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German Pages 480 Year 2017
Nora Lohmeyer Instrumentalisierte Verantwortung?
Edition Politik | Band 41
Nora Lohmeyer (Dr. rer. pol.) ist Postdoktorandin im Projekt »Changes in the Governance of Garment Global Production Networks: Lead Firm, Supplier and Institutional Responses to the Rana Plaza Disaster« an der Freien Universität Berlin. Ihr Forschungsinteresse liegt im Bereich makro-organisationaler Phänomene, wie u.a. Fragen der diskursiven Pfadabhängigkeit, der Politik unternehmerischer Verantwortung und der Governance globaler Produktionsnetzwerke in der Bekleidungsindustrie – insbesondere mit Blick auf Arbeitsstandards.
Nora Lohmeyer
Instrumentalisierte Verantwortung? Entstehung und Motive des »Business Case for CSR« im deutschen Diskurs unternehmerischer Verantwortung
Die Schrift wurde unter dem Titel »Die gesellschaftliche Konstruktion des ›Business Case for CSR‹ – Zur Entwicklung und Stabilisierung instrumenteller Motive im deutschen Diskurs unternehmerischer Verantwortung« an der Freien Universität Berlin als Dissertation angenommen (D 188).
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2017 transcript Verlag, Bielefeld
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Inhalt
Abkürzungsverzeichnis | 9 Danksagung | 11 Geleitwort | 13 1
Einleitung | 15
1.1 Die stabile Führerschaft des »Business Case for CSR« im deutschen Diskurs unternehmerischer Verantwortung als empirisches Problem | 15 1.2 Die stabile Führerschaft des »Business Case for CSR«: Literaturüberblick über bisherige Annäherungen | 20 1.3 Spezifizierung des Forschungsinteresses – zwei Forschungsfragen | 29 1.4 Die stabile Führerschaft des »Business Case for CSR« als Phänomen diskursiver Pfadabhängigkeit? | 31 1.5 Zielsetzung und Aufbau der Arbeit | 34 2
Theoretischer Rahmen | 37
2.1 Spezifizierung des Forschungsgegenstands: Begriff und Motive unternehmerischer Verantwortung | 38 2.2 Eine Theorie diskursiver Pfadabhängigkeit? | 55 2.3 Die Analyse der Entwicklung und Stabilisierung der Führerschaft des »Business Case for CSR« mit der diskursiven Pfadtheorie | 86 Methodologie und methodische Umsetzung | 95 3.1 Epistemologische und methodologische Vorbemerkungen | 96 3.2 Forschungsdesign: Der deutsche Diskurs unternehmerischer Verantwortung | 98 3.3 Eingrenzung des zu analysierenden ›Diskursausschnitts‹ | 100 3.4 Datensammlung, -organisation und -analyse | 115 3.5 Evaluierung der Datensammlung, -organisation und -analyse | 139 3.6 Zwischenfazit | 141
3
4
Phase 1: Diskursive Offenheit im frühen Diskurs, 1970-1994 | 145
4.1 Historische Verortung des frühen Diskurses unternehmerischer Verantwortung | 146
4.2 Formierung eines Diskurses »gesellschaftlicher Verantwortung« – Offenheit hinsichtlich der Konstellation der Akteure und der vorgebrachten Motive | 159 4.3 Zwischenfazit | 220 5
Phase 2: Etablierung des »Business Case for CSR«, 1995-2008 | 221
5.1 Historischer Kontext: Vorboten der Veränderung | 222 5.2 »Triggering Event« – die Entstehung eines europäischen »CSR«-Diskurses | 224 5.3 »Critical juncture« und Neufassung unternehmerischer Verantwortung: Formierung einer den »Business Case for CSR« befördernden Diskurskoalition wirtschaftlicher und staatlicher Akteure | 229 5.4 Formierung eines Konterdiskurses: Diskurskoalition gewerkschaftlicher und NGO-Akteure | 267 5.5 Zwischenfazit | 292 Phase 3: Lock-in des »CSR«-Diskurses, 2009-2014 | 295 6.1 Der Übergang zum Lock-in: ›Kippen‹ des Diskurses und Festschreiben des »Business Case for CSR« im Rahmen des Nationalen CSR-Forums | 296 6.2 Stabilität im Diskurs: Fortgesetzte Reproduktion des »Business Case for CSR« | 310 6.3 Verteidigung des »Business Case for CSR« gegen Wandelinitiativen | 325 6.4 Potenzielle Problematik des Status quo für die am Diskurs beteiligten Akteure | 337 6.5 Zwischenfazit | 342 6
7
Der »Business Case for CSR« in der unternehmerischen Berichterstattung | 345
7.1 Nicht-finanzielle Berichterstattung der DAX-30-Unternehmen | 347 7.2 Signifikanten der Verantwortung deutscher Unternehmen | 351 7.3 Der »Business Case for CSR« in den nicht-finanziellen Berichten der DAX-30-Unternehmen | 359 7.4 Relationale und moralische Motive im Unternehmensdiskurs | 371 7.5 Zwischenfazit | 377 8
Diskussion | 379
8.1 Die Entwicklung und Stabilisierung der Führerschaft des »Business Case for CSR« – Zusammenführung und theoretische Reflexion der Ergebnisse | 380 8.2 Beiträge zur Literatur unternehmerischer Verantwortung und weitere Beiträge zur Pfadforschung | 391 8.3 Limitationen und zukünftige Forschungsfelder | 400 8.4 Was bedeutet die stabile Führerschaft des »Business Case for CSR« für die Gestaltung unternehmerischer Verantwortung? | 404 Literatur- und Quellenverzeichnis | 415
Abkürzungsverzeichnis
ACU BDA BDI BKU BMAS BMU BMWi BR BT BUND CC CFP CorA CSR CSP CR DGB DIHK Econsense EED EK EK SMU EuK HBS IHK KMU NGO
Arbeitsgemeinschaft christlicher Unternehmer Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände Bundesverband der deutschen Industrie Bund Katholischer Unternehmer Bundesministerium für Arbeit und Soziales Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Bundesministerium für Wirtschaft Bundesregierung Bundestag Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland Corporate Citizenship Corporate Financial Performance Corporate Accountability – Netzwerk für Unternehmensverantwortung Corporate Social Responsibility Corporate Social Performance Corporate Responsibility Deutscher Gewerkschaftsbund Deutsche Industrie- und Handelskammer Economic and Ecological in Consensus Evangelischer Entwicklungsdienst Enquete-Kommission Enquete-Kommission Schutz des Menschen und der Umwelt Europäische Kommission Hans Böckler Stiftung Industrie- und Handelskammer Kleine und mittelständische Unternehmen Nichtregierungsorganisation (non-governmental organisation)
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RNE SRU UBA WEED WBGU
Rat für Nachhaltige Entwicklung Sachverständigenrat für Umweltfragen Umweltbundesamt Weltwirtschaft, Ökologie und Entwicklung (World Economy, Ecology and Development) Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen
Danksagung
Diese Arbeit wäre ohne die Unterstützung zahlreicher Menschen und Institutionen nicht möglich gewesen. Ihnen allen möchte ich meinen Dank aussprechen. Ganz besonderer Dank gebührt meinen drei Dissertationsbetreuern. Prof. Dr. Dr. h.c. Georg Schreyögg, Prof. Dr. Gregory Jackson und Prof. Dr. Jana Costas haben mir jederzeit zur Seite gestanden und mich in großzügiger Weise mit ihrem Wissen und ihrer Zeit beschenkt. Was ich von ihnen gelernt habe geht weit über das in diesem Buch Festgehaltene hinaus. Für die finanzielle Unterstützung ist der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) für ein dreijähriges Stipendium und dem Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) für einen Forschungsaufenthalt am Corporate Social Responsibility Centre der Copenhagen Business School zu danken. Der FAZIT-Stiftung danke ich für einen großzügigen Druckkostenzuschuss. Das Graduiertenkolleg „Pfade organisatorischer Prozesse“ ebenso wie das Management-Department der Freien Universität Berlin haben mir nicht nur hervorragende Arbeits- und Lernbedingungen geboten, sondern mir mit tollen Kolleginnen und Kollegen neben dem Ankommen in der Wissenschaft auch das in Berlin erleichtert. Insbesondere Blagoy Blagoev und Waldemar Kremser, die mittlerweile weit mehr als Kollegen sind, möchte ich für den wissenschaftlichen Austausch, ihren freundschaftlichen Zuspruch und die zahlreichen Abende im ‚Peppy‘ und anderswo danken. Auch meine Zeit am Lehrstuhl von Prof. Dr. Gregory Jackson hat mir nicht nur viel Spaß gebracht, sondern neben einem Chef, den ich mir nicht hätte besser wünschen können, auch weitere Kolleginnen und Kollegen beschert, die ich glücklicherweise auch zu meinen Freundinnen und Freunden zählen darf. Danke Julia Bartosch und Rami Kaplan! Zahlreiche Kolleginnen und Kollegen haben mir Feedback gegeben und damit auf ganz unterschiedliche Weise zu dieser Arbeit beigetragen. Insbesondere Daniel Kinderman hat nicht nur durch seine Arbeit die notwendige Grundlage für mein
12 | I NSTRUMENTALISIERTE V ERANTWORTUNG ?
Vorhaben gelegt, sondern mir durch seinen Zuspruch immer wieder zu verstehen gegeben, dass ich nicht völlig auf dem Holzweg bin. Für die häufig notwendige Ablenkung und vielseitige Unterstützung möchte ich meinen Freundinnen und Freunden aus Berlin und Hamburg danken, insbesondere Luise Neumann-Cosel, Katharina Higelin und Inga Hartmann. Meinen Eltern gebührt Dank dafür, dass sie mir den Mut mit auf den Weg gegeben haben, ein solches Projekt überhaupt für möglich zu halten und mich auch in schwierigen Zeiten nicht davon abbringen zu lassen. Unersetzlich – nicht nur für die Fertigstellung dieser Arbeit – war Niklas Dommaschk. Ihm gilt mein ganz spezieller Dank. Nora Lohmeyer
Berlin-Neukölln, im November 2016
Geleitwort
Eine gesellschaftlich-verantwortungsvolle Unternehmensführung anstelle einer reinen Gewinnmaximierung – das ist eine unüberhörbare Forderung im jüngeren gesellschaftlichen Diskurs geworden. Dabei hat sich das Stichwort »CSR« (Corporate Social Responsibility) immer mehr in den Vordergrund geschoben. Kaum ein Geschäftsbericht einer großen Aktiengesellschaft, der nicht dieses Stichwort enthielte. Und sogar verschiedene Bundesregierungen haben sich für die Adoption dieses Stichworts und das dahinterstehende Konzept stark gemacht. Die Diskussion um die Übernahme sozialer Verantwortung durch die Wirtschaft hat in Deutschland eine lange Tradition, die weit vor der »CSR«-Bewegung beginnt. Die Thematik wurde insbesondere nach dem 2. Weltkrieg sehr intensiv diskutiert und fand schließlich in der Idee einer Sozialen Marktwirtschaft ihren markantesten Niederschlag. Kurz gesagt, wurde Soziale Verantwortung als moralische Verpflichtung verstanden und nicht so sehr als vorteilsgetriebenes »BusinessCase«-Prinzip. Vorliegendes Werk widmet sich dieser divergenten Entwicklung und geht der Frage nach, weshalb das traditionell ganz anders ausgerichtete deutsche Verantwortungsprinzip immer mehr einer »Business Case for CSR«-Perspektive wich. Wie kam es zu dieser überraschenden Wende hin zu einer Dominanz des »Business Case«? Was waren die Treiber dieses Prozesses? Und weshalb ist diese neue Ausrichtung auf das US-amerikanische CSR-Modell des »Business Case« so schwer zu revidieren? Die Autorin untersucht in ebenso informativer wie gekonnter Weise, wie aus verschiedenen diskursiven Dynamiken diese Entwicklung entstanden ist. Als Grundlage zur Erklärung der konstatierten Diskurs-Verfestigung („Lock-in“) wird die Theorie der Pfadabhängigkeit in Kombination mit der Theorie hegemonialer Diskursführerschaft (nach Gramsci und Laclau/Mouffe) einschließlich der Diskurskoalitionen verwendet. Mit dieser Perspektive rückt das Prozessgeschehen in das Zentrum der Analyse, mit der These, dass die Eigenart des Prozessgeschehens das Prozessergebnis und schließlich seine Verriegelung („Lock-in“) bestimmt hat.
14 | I NSTRUMENTALISIERTE V ERANTWORTUNG ?
Um einen Einblick in das Wirkungsgeschehen zu gewinnen, wird eine empirische Studie nach dem Muster einer historischen Intensivfallstudie durchgeführt. Die Verfasserin hat mit allem erforderlichen Nachdruck und Fleiß umfangreiche Daten gesammelt, und zwar auf der Basis von Presseberichten, elektronischen Verlautbarungen und Interviews. Analysiert wurden die Jahre 1970 – 2014. Es gelingt ihr eindrucksvoll, die Verfestigungsbehauptung, das „Diskurs-Lock-in“, zu substantiieren. Das hat in dieser Klarheit noch niemand gezeigt. Die Erklärung von DiskursVerriegelungen („Lock-ins“) durch Pfadabhängigkeit und hegemoniale Diskursführerschaft ist noch ein relativ junges Forschungsfeld, es liegen dazu noch kaum Studien vor. Insofern kommt der Studie Pioniercharakter zu. Insgesamt wird hier von Frau Lohmeyer nicht nur ein sehr schönes Stück transdisziplinärer Arbeit präsentiert, sondern auch ein Lehrstück für die deutsche Debatte um die unternehmerische Verantwortung – jetzt und in Zukunft.
Georg Schreyögg
Berlin-Dahlem, im November 2016
1 Einleitung
1.1 D IE
STABILE F ÜHRERSCHAFT DES »B USINESS FOR CSR« IM DEUTSCHEN D ISKURS UNTERNEHMERISCHER V ERANTWORTUNG ALS EMPIRISCHES P ROBLEM
C ASE
Die vorliegende Arbeit geht von der Vermutung aus, dass der sogenannte »Business Case for CSR« sich als führendes Motiv zur Rechtfertigung unternehmerischer Verantwortung im deutschen Diskurs stabilisiert hat. Hinter dem »Business Case for CSR« verbirgt sich die Idee, verantwortliches Handeln solle »nicht aus innerer Überzeugung fließen, sondern durch monetäre Belohnung erzeugt werden« (Schreyögg 2009: 766). Der »Business Case for CSR« beschreibt Unternehmensverantwortung folglich als unternehmerischen »Erfolgsfaktor« (Hansen/Schrader 2005: 374; Schreck 2015: 71) und stellt ihre Umsetzung dem Markt anheim. Kaum eine Äußerung zum Thema Unternehmensverantwortung scheint heute noch ohne den Verweis auszukommen, dass sich Verantwortung für das Unternehmen auszahlen solle. Die Presse schreibt: »Tue Gutes und profitiere davon« (Manager Magazin 21.1.2005) oder berichtet von »Gute[n] Taten, die sich rechnen« (Süddeutsche Zeitung 17.5.2010). Unternehmensverbände plädieren für die Freiwilligkeit ihrer Verantwortung und beschreiben sie als »gesellschaftliche[s] Investment« oder explizit als »Business Case« (Econsense 2010b: 3). Die Managementliteratur stellt »Gesellschaftliche Verantwortung als Innovationstreiber und Wettbewerbsvorteil« dar (Altenburger 2013) oder erklärt, »Wie ethisches Handeln Wettbewerbsvorteile schafft« (Bruton 2011). Auch die Bundesregierung verspricht, »sozial und ökologisch vorausschauendes Wirtschaften« könne den Unternehmen »Vorteile im nationalen und internationalen Wettbewerb eröffnen« (Aktionsplan CSR 2010: 12). Selbst Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) betonen, verantwortliche Unternehmensführung mache »ökonomisch durchaus Sinn« (DGB 2005a: 7), und verweisen damit ebenfalls auf den Markt als Mechanismus zur Ver-
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breitung unternehmerischer Verantwortung (BUND 2008: 20). Eine Vielzahl nicht nur wirtschaftlicher Akteure reiht sich ein in die instrumentell-voluntaristische Konstruktion unternehmerischer Verantwortung – der »Business Case for CSR« scheint sich zum führenden Motiv unternehmerischer Verantwortung entwickelt zu haben. Diese erste Vermutung einer Führerschaft des »Business Case for CSR« lässt sich mit Blick auf die Entwicklung von Motiven unternehmerischer Verantwortung in Deutschland weiter erhärten. Betrachten wir die im Rahmen einer Vorstudie identifizierten Motive unternehmerischer Verantwortung im Zeitablauf – hier dem Ansatz von Aguilera et al. (2007) folgend in moralische, relationale und instrumentelle Motive unterteilt –, so lassen sich zwei Beobachtungen anstellen.1 Abbildung 1 zeigt über die Zeit eine Verengung einer anfänglichen Motivvielfalt auf instrumentelle Motive und legt nahe, drei Phasen der Entwicklung zu differenzieren, die sich durch das Verhältnis der jeweils vorgebrachten Motive unterscheiden lassen. In einer ersten Phase werden instrumentelle, relationale und moralische Motive unternehmerischer Verantwortung vorgebracht, wobei relationale und moralische überwiegen. Instrumentelle Motive spielen eine im Vergleich geringere Rolle. Dies ändert sich Mitte der 1990er-Jahre. Hier scheint eine neue Phase zu beginnen, da erstmals und fortan instrumentelle Motive überwiegen, wohingegen nun relationale und moralische Motive in den Hintergrund treten, ohne jedoch vollkommen zu verschwinden. Mit einem Einschnitt im Jahr 2010 scheint abermals eine neue Phase eingeleitet. Nicht nur scheint die Auseinandersetzung hier kurz zum Erliegen zu kommen, auch zeigt sich, dass in den Folgejahren allein instrumentelle Motive vorgebracht werden, relationale und moralische Motive hingegen scheinen nun keine Rolle mehr zu spielen. Die vermutete Führerschaft des »Business Case for CSR« scheint sich hier zu erhärten, was Abbildung 2 – die das prozentuale Verhältnis der Motive innerhalb der zuvor identifizierten Phasen zeigt – noch einmal verdeutlicht.
1
Ausgewertet wurden Artikel des »Manager Magazins« mit Blick auf die darin vorgebrachten Motive unternehmerischer Verantwortung (zum genauen Vorgehen der Analyse siehe Kapitel 3). Als »Basismedium zur Ansprache von Entscheidern und Multiplikatoren« mit einer durchschnittlichen Auflage von 107.781 (2015) ist das »Manager Magazin« eine der einflussreichsten Wirtschaftszeitschriften Deutschlands und kann als vielgelesenes und seriöses Presseorgan (so auch Bewernick et al. 2013: 443) eine erste Annäherung an den deutschen Diskurs unternehmerischer Verantwortung und die darin vorgebrachten Motive ermöglichen.
E INLEITUNG
| 17
Abbildung 1: Entwicklung instrumenteller, relationaler und moralischer Motive in Artikeln des »Manager Magazins« zwischen 1971 und 2014
25
Instrumentell
Relational
Moralisch
Anzahl veröffentlichter Texte
20 15 10 5 0
(Eigene Darstellung)
Abbildung 2: Prozentuale Verteilung instrumenteller, relationaler und moralischer Motive in Artikeln des »Manager Magazins« in den drei identifizierten Phasen
Instrumentell
Relational
120
100
100 76
80 60 40 20
Moralisch
46 34 20
21 3
0 1. Phase (1971-1994)
2. Phase (1995-2009)
0
0
3. Phase (2010-2014)
(Eigene Darstellung)
Diese Entwicklung – die Verengung der Motive unternehmerischer Verantwortung hin zu einer Führerschaft des »Business Case for CSR« – erscheint geradezu absurd
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vor dem Hintergrund, dass Unternehmensverantwortung häufig mit dem Gedanken eines Regulativs des Marktes verbunden wird. Sie wird oft als Antwort auf das Unvermögen eines allein instrumentell-strategischen Kalkülen folgenden Marktes begriffen, ein gesellschaftlich und ökologisch verträgliches Maß unternehmerischer Verantwortung zu ›produzieren‹ (u.a. Schreyögg 2009; Steinmann/Löhr 1992). Wird Unternehmensverantwortung unter dem Banner des »Business Case for CSR« nun eben diesem Markt und seiner Logik anheimgestellt, so wird sie in ihrer regulativen Rolle ad absurdum geführt. Weitergeführt könnte man sogar sagen, dass Unternehmensverantwortung durch den »Business Case for CSR« nicht nur am Problem vorbeiläuft, sondern dieses noch bestärkt (so z.B. Archel et al. 2011; Gond et al. 2009). Nicht zuletzt kann oft genug auch ein »Business Case« für unverantwortliches Unternehmenshandeln konstatiert werden (siehe dazu u.a. Jackson 2014: 30). Eine Untersuchung dieser Verkehrung der Idee unternehmerischer Verantwortung erscheint vor diesem Hintergrund interessant. Doch mehr noch: Der »Business Case for CSR« scheint sich gerade in Deutschland, trotz eines sich deutlich darstellenden Umweltwandels in Europa und damit im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern, stabil zu halten; er zeigt sich geradezu immun gegenüber europäischen Wandelinitiativen. Auf europäischer Ebene findet – vornehmlich befördert durch die Finanzkrise im Jahr 2008, die in vielen Ländern zu einer Schwächung unternehmerischer Legitimität sowie zu einer ReLegitimierung staatlicher Autorität und einer höheren Akzeptanz von Standardisierung und Regulierung auch unter Wirtschaftsakteuren beigetragen hat (Bizzarri 2013: 2; Kinderman 2013a: 11-13) – eine Abkehr vom instrumentell-voluntaristischen Kurs statt. Beispielsweise nimmt die Europäische Kommission in ihrer überarbeiteten »CSR«-Strategie im Jahr 2011 eine Neudefinition unternehmerischer Verantwortung vor, die Abstand vom bis dato geltenden Prinzip der Freiwilligkeit nimmt und die Verantwortung des Unternehmens deutlich ausweitet (Europäische Kommission 2011, nachfolgend als EuK zitiert). Auch schlägt sie in den Folgejahren eine Reihe neuer Richtlinien vor, die unter anderem eine Verpflichtung zur nicht-finanziellen Berichterstattung vorsehen und damit ebenfalls von Freiwilligkeit und Markt als primäre ›Disziplinarkräfte‹ Abstand nehmen (EuK 2013). Diese Veränderungen zeugen von einem Paradigmenwechsel. Kinderman schreibt insbesondere mit Blick auf die definitorischen Neuerungen: »this move is radical, for it broadens the scope of CSR to encompass all business impacts« (Kinderman 2013a: 11, eigene Hervorhebung, N.L.). Und auch die Richtlinien zur verpflichtenden Berichterstattung werden als grundlegende Veränderung gelesen: »[T]he fact that the reporting requirements will be – in principle – mandatory does suggest something of a cultural shift in the relationship between companies, regulators and citizens […].« (Bizzarri 2013: 2, eigene Hervorhebung, N.L.) Während diese Neuerungen in anderen europäischen Ländern Unterstützung finden und umgesetzt werden (dazu u.a. Kinderman 2015; Barbu et al. 2014; Gon-
E INLEITUNG
| 19
zalez/Pardo 2013; Vallentin/Murillo 2012; Vallentin/Schmiegelow 2013; überblickshaft EuK 2014), verwehren sich deutsche Akteure diesem Wandel. Deutschland stellt sich im Vergleich zu anderen europäischen Ländern bis heute nicht nur als das Land »with the least constraining regulation on environmental disclosures« dar (Barbu et al. 2014: 236), sondern verschließt sich auch einer Anpassung an die neue Definition der Europäischen Kommission (Bundesregierung 2012, nachfolgend als BR zitiert). Diese Haltung wird als ›besonders resistent‹ (Bizzarri 2013: 2) beschrieben und es wird betont: »German officials have been particularly outspoken in their opposition to the Commission’s new definition and its attempts to introduce non-financial disclosure requirements […] leading EU insiders to characterize Germany’s reaction as ›virulent‹ and ›out of proportion compared to all other countries‹« (Kinderman 2013a: 14, eigene Hervorhebung, N.L.)
Vorstehende Betrachtungen legen die Vermutung nahe, dass sich der »Business Case for CSR« in Deutschland nicht nur als führendes Motiv unternehmerischer Verantwortung durchgesetzt hat, sondern sich – trotz des zu beobachtenden Wandels in anderen europäischen Ländern – auch stabil hält. Diese Beharrungstendenzen ebenso wie die Führerschaft des »Business Case for CSR« erscheinen insbesondere für Deutschland rätselhaft, das nach wie vor als ›role model‹ einer ebenso koordinierten (z.B. Streeck 2009; Matten/Moon 2008) wie sozialen Marktwirtschaft dient (z.B. Kröger 2011) und damit, der prominenten Unterscheidung von Matten und Moon (2008) folgend, weiterhin auch hinsichtlich des Themas unternehmerischer Verantwortung als »relatively statist one, preferring CSR as mandate« beschrieben wird (Gond et al. 2011: 656; ähnlich Kang/Moon 2012, für Ausnahmen Kinderman 2008, 2013). Mehr noch als zu diesem aktuellen Bild scheint die stabile Führerschaft des »Business Case for CSR« in deutlichem Spannungsverhältnis zur geschichtlichen Entwicklung unternehmerischer Verantwortung in Deutschland zu stehen. Diese ist aufs Engste verbunden mit Konzepten wie der Sozialen Marktwirtschaft, der (Montan-)Mitbestimmung, sozialpartnerschaftlichen Beziehungen sowie einem relativ ausgeprägten ordnungspolitischen Rahmen, die als Wegbereiter einer stark formell wie informell institutionalisierten Form der Unternehmensverantwortung verstanden werden können (z.B. BackhausMaul 2010; Antal et al. 2009; Hiß 2009a), und steht somit in deutlichem Kontrast zur heutigen instrumentell-voluntaristischen Fassung unternehmerischer Verantwortung. Nicht zuletzt zeigt auch die soeben präsentierte Vorstudie eine sehr spezifische Entwicklung der Motive unternehmerischer Verantwortung in Deutschland. Es erscheint damit – auch und insbesondere mit Blick auf Deutschland – geboten, die Entwicklung und Stabilisierung der Führerschaft des »Business Case for CSR« genauer in den Blick zu nehmen. Wie unten zu zeigen sein wird, fehlt es bis dato an Arbeiten, die dieses Phänomen einer Untersuchung unterziehen.
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1.2 D IE
F ÜHRERSCHAFT DES »B USINESS C ASE CSR«: L ITERATURÜBERBLICK ÜBER BISHERIGE
STABILE
FOR ANNÄHERUNGEN
Die Führerschaft des »Business Case for CSR« sowie insbesondere deren Stabilität sind nicht nur angesichts des sich in Europa abzeichnenden Umweltwandels, sondern vor allem in Anbetracht der besonderen Geschichte unternehmerischer Verantwortung in Deutschland überraschend und stellen insgesamt eine problematische Entwicklung dar. Im Folgenden werden drei Literaturstränge vorgestellt, die sich in unterschiedlicher Weise dem »Business Case for CSR« sowie Formen der Instrumentalisierung unternehmerischer Verantwortung gewidmet haben. Diese Arbeiten verweisen auf die große Bedeutung des »Business Case for CSR« und zuweilen auch auf dessen Stabilität und untermauern damit die eingangs angestellte Vermutung. Sie zeichnen jedoch insgesamt nur ein abstraktes Bild des »Business Case for CSR« und nehmen auch den Prozess der Entwicklung und Stabilisierung seiner Führerschaft allenfalls in Ausschnitten in den Blick. Der »Business Case for CSR« als Gegenstand quantitativer Forschung: verifizierende Annäherungen Zum überwiegenden Teil nähern sich Studien und Metastudien dem Verhältnis zwischen Unternehmensverantwortung und -performance auf quantitativ-verifizierende Weise (für Übersichten siehe u.a. Orlitzky et al. 2003; DeBakker et al. 2005; Vogel 2006; Lockett et al. 2006; Raghubir et al. 2010). Allein Margolis und Walsh (2003) beziehen sich in ihrer Metastudie auf 127 Artikel dieser Art, die zwischen 1972 und 2002 veröffentlicht wurden, Perrini und Kollegen (2012) analysieren mehr als 250 entsprechende Artikel und zeigen damit die hohe Relevanz des »Business Case for CSR« in der Forschung. Gemeinsam haben diese Studien und Metastudien zur Beziehung zwischen Unternehmensverantwortung und -performance, dass sie den »Business Case for CSR« und einzelne seiner Argumente als ›technische‹ Variablen innerhalb einer wie auch immer gestalteten »CSP-CFP-relationship« (Perrini et al. 2012: 60)2 betrachten, die es zu verifizieren gilt. Mit sehr unterschiedlichen Ergebnissen, die insgesamt Zweifel an einem strukturellen Zusammenhang von Unternehmensverantwortung und -performance aufkommen lassen (dazu Devinney 2009; Gond/Crane 2010; Orlitzky et al. 2003; Orlitzky 2009; Raghubir et al. 2010; Vogel 2005), werden dabei Zusammenhänge untersucht, wie beispielsweise der zwischen
2
CSP steht hier für »Corporate Social Performance« und CFP für »Corporate Financial Performance«.
E INLEITUNG
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Unternehmensverantwortung und Mitarbeiterinnen3-›Commitment‹ (z.B. Collier/Esteban 2007), zwischen Unternehmensverantwortung und -reputation (z.B. Minor/Morgan 2011) oder unternehmerischer Verantwortung und der Wettbewerbsposition des Unternehmens (z.B. Porter/Kramer 2006). Dabei wird anerkannt, dass »the business case for social responsibility and the related link between CSP and CFP remain the most controversial areas in studies on business-in-society« (Perrini et al. 2012: 60). Diese Kontroversen beziehen sich jedoch vornehmlich auf methodische Fragen und kreisen um die »state-of-the-art methodology for analysing the business case for CSR« (Schreck 2011: 168). Kaum im Fokus steht dabei, dass »[t]he strong fascination with the business case for CSR is a noteworthy phenomenon in itself […]« (Brammer et al. 2012: 4). Unser Wissen um den »Business Case for CSR« bleibt damit von mehr oder weniger komplexen, mehr oder weniger aussagekräftigen, statistischen Modellen bestimmt. Weder geben diese Arbeiten mit ihrem Fokus auf die häufig isoliert betrachteten Wirkbeziehungen von Unternehmensverantwortung und -erfolg ein umfassendes Bild des »Business Case for CSR«, noch wird seine Relevanz für die Akteure, die Unternehmensverantwortung umsetzen und gestalten, in den Blick genommen. Dies ist insofern problematisch, als sich die Forschung zum »Business Case for CSR« damit relativ weit von der praktischen ›Realität‹, den Forderungen nach Unternehmensverantwortung, ihrer Umsetzung sowie den Verhandlungen darüber entfernt. Der »Business Case for CSR« als Produkt ›managerieller Vereinnahmung‹: unternehmenszentrierte Annäherungen Bisweilen verweisen Arbeiten, die sich mit dem unternehmerischen Umgang mit Verantwortung auseinandersetzen, auf die große Bedeutung des »Business Case for CSR« in der unternehmerischen (Sprach-)Praxis und verweisen zuweilen auch auf dessen Stabilität. Beispielsweise werden Bedeutungszuschreibungen einzelner Akteure in den Blick genommen und gezeigt, wie etwa Managerinnen und Mitarbeiterinnen Unternehmensverantwortung mit Bedeutung füllen (Allen et al. 2012; Witt/Redding 2008), unternehmerisches Engagement rechtfertigen (Nyberg/Wright 2012, 2013) oder die Beziehung zwischen Unternehmen und Gesellschaft konstruieren (Witt/Redding 2012) und dabei oft einzelne oder mehrere Argumente des »Business Case for CSR« bedienen. Häufig nähert man sich der Instrumentalisierung von Verantwortung in und durch Unternehmen unter dem Schlagwort der ›manageriellen Vereinnahmung‹ (»managerial capture«) (Bebbington 1997; Owen et al. 1997, 2000; Adams 2002; O’Dwyer 2003; Gray 2006, 2010; Spence 2007; Smith et al. 2011). Dieser Begriff wird verwendet »to refer to the means by which corporations through the actions of 3
Ich verwende in dieser Arbeit das generische Femininum als Abkürzung und meine damit jeweils alle Geschlechtsformen.
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their management, take control of the debate over what CSR involves by attempting to outline their own definition which is primarily concerned with pursuing corporate goals of shareholder wealth maximisation« (O’Dwyer 2003: 524; ähnlich Owen et al. 2000: 85-86). Es geht diesen Arbeiten folglich in erster Linie darum, wie Unternehmen bzw. Managerinnen sowohl die an sie gestellten Verantwortungsforderungen als auch die Prozesse des Umgangs mit diesen Forderungen (z.B. Stakeholder-Dialoge, Nachhaltigkeitsmanagement, nicht-finanzielle Berichterstattung) einer instrumentellen Ratio unterordnen (Owen et al. 2000; Power 1991) bzw. sie in einen »narrow economic view« überführen und sich dabei dennoch als verantwortliche Unternehmen konstruieren (Livesey 2002a: 141; auch Burchell/Cook 2006; Smith et al. 2011). Andere Akteure, wie etwa Gewerkschaften, staatliche Akteure oder NGOs, bleiben dabei unberücksichtigt oder in der passiven Rolle der ›Vereinnahmten‹ (z.B. Livesey 2002b). Die Arbeiten dieser Forschungstradition, die ein besonderes Augenmerk auf die von den Unternehmen bzw. ihren Managerinnen vorgebrachten Motive unternehmerischer Verantwortung legen (O’Dwyer 2003: 525; Owen et al. 2000; Livesey 2002a, 2002b), haben immer wieder eine – wenn auch in ihrer Ausgestaltung regelmäßig pauschal bleibende – Ausrichtung unternehmerischer Verantwortungspraxis an instrumentellen Motiven festgestellt und kritisiert.4 O’Dwyer (2003) beispielsweise untersucht die unternehmerischen »rationales underpinning the acceptance of […] responsibilities« und zeigt, dass diese vornehmlich instrumenteller Natur sind: »Economic self-interest was deemed the primary motivation fuelling the recognition of societal responsibilities among the managers.« (O’Dwyer 2003: 532, eigene Hervorhebung, N.L.) Owen und Kollegen (2000) beobachten »that this managerialist perspective has increasingly become the core value of contemporary social audit […]« (Owen et al. 2000: 84; ähnlich Adams 2002; Fooks et al. 2012). Auch Livesey (2002a, 2002b), die sich die nicht-finanzielle Berichterstattung von Unternehmen ansieht, identifiziert »[an] emphasis on the free-market system and the necessity of profit, its generally negative view of regulation, and its construction of business as apolitical« (Livesey 2002b: 331) und beschreibt die damit einhergehende Ausrichtung unternehmerischer Verantwortung an Prinzipien wie Freiwilligkeit und Profitabilität (Livesey 2002b: 331-338). Zuweilen wird innerhalb dieser Literatur auf die Stabilität der instrumentellen Fassung unternehmerischer Verantwortung verwiesen. O’Dwyer stellt etwa fest, dass die von ihm interviewten Managerinnen zwar mitunter der instrumentellen 4
In der Kritik stehen dabei Ausmaß und Konsequenzen der ›manageriellen Vereinnahmung‹ – beispielsweise wird befürchtet, dass unternehmerische Verantwortung dadurch begrenzt (z.B. O’Dwyer 2003: 528; Owen et al. 2001: 276) bzw. sogar unverantwortliches Unternehmenshandeln kaschiert und letztlich erleichtert würde (z.B. Archel et al. 2011: 328).
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Fassung unternehmerischer Verantwortung kritisch gegenüberstanden, sich jedoch – durch nicht weiter definierte ›strukturelle Zwänge‹ – von einer Veränderung des aktuellen Bildes abgehalten sahen: »[…] managers […] [talked about] structural constraints imposed on them which, they claimed, prevented them from conceiving CSR in a broader, more societally concerned vein« (O’Dwyer 2003: 549). Ausgehend von diesen strukturellen Zwängen sei eine Veränderung der instrumentellen Rechtfertigung unternehmerischer Verantwortung »unlikely to succeed« (O’Dwyer 2003: 550). Auch an anderer Stelle werden zwar Widerstände gegen die Vereinnahmung unternehmerischer Verantwortung innerhalb von Unternehmen beobachtet, deren Realisierung jedoch ebenfalls als weitgehend aussichtslos beschrieben (Owen et al. 2000; Gray et al. 1996). Warum dies so ist oder wie es zu dieser Form der Stabilisierung instrumenteller Motive kommt, wird dabei kaum untersucht. Vielmehr scheinen diese Arbeiten davon auszugehen, dass der unternehmerische Umgang mit Verantwortung quasi-automatisch zur Vereinnahmung und letztlich Instrumentalisierung führt (z.B. Gray 2002; kritisch dazu O’Dwyer 2003). Wird nach den Mechanismen der Vereinnahmung gefragt, so wird angenommen, dass Unternehmen die an sie gestellten Verantwortungsforderungen nicht abweisen, sondern sich diese zu eigen machen, »appropriat[ing] [CSR] issues and translating them into [their] own economic and risk based language« (z.B. Power 1991), »thereby veering little from ›business as usual‹« (O’Dwyer 2003: 527; Bebbington 1997; Owen et al. 1997). Livesey (2002a: 128) hat etwa im unternehmerischen Umgang mit Umweltmanagement beobachtet, wie Unternehmen sich die Kritik und Forderungen von Umweltaktivistinnen und -NGOs zu eigen machen, »by co-opting the very language and rhetorical positions of the environmental movement itself«. Das Argument ist dabei, dass »dominant groups« (Bebbington 1997) – vornehmlich Managerinnen – ehemals an moralischen Verpflichtungen und Werten ausgerichtete Ideen unternehmerischer Verantwortung ›übernehmen‹ und unter ihre Kontrolle bringen, indem sie diese in ihre eigene Sprache übersetzen und den ›eigenen‹, instrumentellen Zielen dienlich machen (Bebbington 2001; Bebbington/Gray 2001; O’Dwyer 2001; Owen et al. 2000; Power 1991). Grundlegend geht es damit um »processes of appropriation and colonisation« (Burchell/Cook 2006: 122), wobei selten eine dezidierte Prozessperspektive eingenommen (kritisch dazu auch Smith et al. 2011) oder der Versuch einer Spezifizierung der zugrundeliegenden Mechanismen vorgenommen wird. Der »Business Case for CSR« als Ausdruck politisch-ökonomischer Verhältnisse: historische Annäherungen Drittens setzt sich ein – in jüngerer Zeit an Bedeutung gewinnender – Forschungsstrang mit den (historischen) Entwicklungen unternehmerischer Verantwortung auseinander (u.a. Kaplan 2015; Soule 2009; Banerjee 2008; Marens 2008; Spector 2008) und nimmt dabei immer wieder auch auf eine Instrumentalisierung unter-
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nehmerischer Verantwortung Bezug (z.B. Höllerer 2013; Marens 2013, 2010). Carroll und Shabana (2010: 86-88) gehen in knapper Form auf die Entwicklung des »Business Case for CSR« in der akademischen Debatte ein und verorten den Beginn einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem »Business Case for CSR« in den 1980er-Jahren, in denen sich ein vermehrtes Interesse an den Resultaten unternehmerischer Verantwortung gezeigt habe: »[the] focus on outcomes was moving the field closer to the idea of the ›business case‹« (Carroll/Shabana 2010: 88). In empirischen Arbeiten wird häufig eher am Rande und – im Sinne der Unterscheidung von Matten und Moon (2008) – in allgemeiner Weise auf einen Bedeutungszuwachs expliziter Formen unternehmerischer Verantwortung bei gleichzeitiger Abnahme impliziter Formen verwiesen.5 Höllerer stellt in seiner Arbeit zur Entwicklung unternehmerischer Verantwortung in Österreich beispielsweise eine solche Veränderung fest, wenn er schreibt: »[…] the macroeconomic focus of ›societal responsibility of entrepreneurship‹ within the corporatist system (i.e. including a broad societal consensus on norms and values) has been superseded by the more microeconomic utility function of CSR (e.g. individual interests, business case framing, focus on image and public relations).« (Höllerer 2013: 601)
Auch Marens (2010, 2013) konstatiert eine solche Entwicklung: »it is only recently that the American-style ›explicit‹ managerial version of CSR has won increasing acceptance at the expense of the more ›implicit‹ version […]« (Marens 2013: 455). Zur Erklärung dieser Entwicklungen wird in diesen Arbeiten in erster Linie auf Veränderungen politisch-ökonomischer Verhältnisse verwiesen (z.B. Kinderman 2012; Banerjee 2008; Hiß 2009a). Hanlon und Fleming (2009) etwa rekurrieren zur Erklärung auf die Entstehung eines neuen kapitalistischen Regimes – genauer: den Übergang vom Fordismus zum Post-Fordismus in den 1970er-Jahren –, das Unternehmen zwar mehr Handlungsspielraum überlasse, sie aber auch in die Notwendigkeit gesellschaftlicher Legitimation bringe und letztlich dazu führe, dass Unternehmen sich die Verantwortung nutzbar machen würden. Rezente neoliberale Trends wie »the increased dominance of finance, the rise of the institutional investors, the decline of collective bargaining, the increasing growth of the non-standard working ›career‹, the retrenchment and commoditization of large parts of the welfare state, increased polarization of income inequality, etc.« (Hanlon 2009: 164) würden stra5
Explizite Unternehmensverantwortung wird von Matten und Moon (2008: 409-410) als freiwillige, an den Erwartungen von Stakeholdern ausgerichtete und von den Unternehmen kommunizierte Form unternehmerischer Verantwortung beschrieben, wohingegen implizite Verantwortung als formell oder informell institutionalisierte, nicht kommunizierte und an gesellschaftlichem Konsens ausgerichtete Form unternehmerischer Verantwortung beschrieben wird.
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tegisch geprägte, explizite Formen unternehmerischer Verantwortung hervorbringen und dabei alternative Formen unternehmerischer Verantwortung ersetzen (Marens 2013: 455). »The so-called neoliberal revolution in the 1980s, which lasted long into the 1990s, separated social responsibility from ethics, thereby depriving CSR of its normative base […]. The result was an overemphasis on the corporate perspective in the CSR discourse […].« (Acquier et al. 2011: 630)
Ähnlich argumentiert Kinderman (2008, 2012), der eine Ko-Evolution von Liberalisierung und expliziter Unternehmensverantwortung konstatiert und zeigt, dass wirtschaftliche »CSR«-Verbände Unternehmensverantwortung als Quidproquo für Deregulierung verhandeln: »Responsibility? Yes, but in exchange for (greater) freedom!« (Kinderman 2008: 3). Erst durch die Liberalisierung der Wirtschaft, so Kinderman, würden Möglichkeiten und Legitimationsbedürfnisse geschaffen, die eine Verbreitung expliziter Formen der Unternehmensverantwortung beförderten (Kinderman 2008: 2). Beeinflusst durch die Entstehung eines europäischen Diskurses unternehmerischer Verantwortung sind zuletzt vermehrt Arbeiten entstanden, die sich mit ähnlichen Entwicklungen auf europäischer Ebene (Kinderman 2013; Fairbrass 2011; Kröger 2011; Ungericht/Hirt 2010; De Schutter 2008; MacLeod 2005) und in verschiedenen europäischen Ländern befassen (z.B. Archel et al. 2011; Albareda et al. 2007, 2008; Milá-Cantò/Lozano 2008). Nach einem als sozial-liberal zu bezeichnenden Einstieg der Europäischen Kommission in das Thema Unternehmensverantwortung in den späten 1990er- und frühen 2000er-Jahren (so z.B. Kinderman 2013) wird auch hier eine verstärkte Orientierung unternehmerischer Verantwortung an Wirtschaftsinteressen festgestellt, ohne diese jedoch genauer zu spezifizieren (Fairbrass 2011; Ungericht/Hirt 2010; De Schutter 2008; MacLeod 2005). Zur Erklärung dieser Entwicklung, wird dabei ebenfalls auf allgemeine Trends der Neoliberalisierung sowie die Zunahme wirtschaftlichen Einflusses auf politische Prozesse bei gleichzeitiger Abnahme staatlicher Autorität verwiesen. Ungericht und Hirt (2010) beobachten beispielsweise eine vermehrte Ausrichtung der europäischen Politik an Unternehmensinteressen und führen diese vor allem auf die Lobbying-Tätigkeiten europäischer »CSR«-Verbände der Wirtschaft sowie das Ignorieren alternativer Stimmen von Gewerkschaften und NGOs durch die Europäische Kommission zurück (ähnlich Kinderman 2013; Fairbrass 2011). De Schutter (2008) spricht davon, dass »the European Commission made itself hostage to a process which it lost control of – and which the business partners, then, hijacked«, und
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schließt: »It is a sad but widely accepted truth that today, the voices of business dominate the European concert.« (De Schutter 2008)6 Ebenfalls dieser Forschungstradition folgend sind vereinzelt Studien zur Entwicklung unternehmerischer Verantwortung in Deutschland entstanden (Antal et al. 2009; Curbach 2009). Hiß z.B. (2006, 2009a, 2009b) hat wesentlich zum Verständnis der Entwicklung unternehmerischer Verantwortung in Deutschland beigetragen und dabei – wie auch Kinderman (2008) – einen Bedeutungsgewinn einer an Unternehmensinteressen und Freiwilligkeit ausgerichteten expliziten Fassung unternehmerischer Verantwortung festgestellt. Hiß (2006, 2009b) zieht zur Erklärung dieser Veränderung neo-institutionalistische Konzepte heran und beschreibt den Wandel, den Unternehmensverantwortung in Deutschland erfahren hat, vor allem aus einer Erosion früherer formaler und informeller Institutionen, die Raum für eine Neuverhandlung des Konzepts geschaffen habe. Unterschiedliche Akteure, so Hiß (2009b), hätten sich an diesem Prozess der Neudefinition gesellschaftlicher Verantwortung als »CSR« beteiligt, der letztlich zu einer Institutionalisierung expliziter Formen unternehmerischer Verantwortung geführt habe. Hiß (2009b) zeigt in ihrer Arbeit die große Bedeutung sowohl wirtschaftlicher als auch politischer und gesellschaftlicher Akteure für diese Prozesse der Aushandlung (dazu auch Hiß 2009a). Wie Kinderman (2008) begrenzt sie ihre Analyse jedoch auf den Wandel von impliziten, regulierten zu expliziten, freiwilligen Formen unternehmerischer Verantwortung und geht nicht auf zugrunde liegende motivationale Veränderungen ein, die mit dem Wandel zum »Business Case for CSR« verbunden sind. Zusammenfassend geben die den drei dargestellten Literaturen zugehörigen Arbeiten wertvolle Einblicke in die Bedeutung des »Business Case for CSR« sowie erste Hinweise auf dessen Stabilität. Sie sind jedoch in mehrfacher Hinsicht begrenzt. Erstens zeichnen diese Arbeiten insgesamt nur ein abstraktes Bild vom »Business Case for CSR«. Seine Ausgestaltung bleibt offen und damit Fragen wie: Welche Motive bilden die Struktur des »Business Case for CSR« und wie haben sich diese über die Zeit entwickelt? Zweitens bleibt offen, welche Akteure wie auf diese Motive Bezug nehmen. Gerade Letzteres vermögen die diskutierten Arbeiten mit ihrem überwiegenden Fokus auf Wirtschaftsakteure – Wirtschaftsverbände, Unternehmen und deren Repräsentantinnen – nur in Ausschnitten zu beantworten. Diese Arbeiten weisen somit zwar auf die große Bedeutung des »Business Case for CSR« für die unternehmerische Verantwortungspraxis hin, können jedoch kaum Auskunft über seine Bedeutung für andere Akteure und die zwischen diesen Akteuren stattfindenden Aushandlungen um die Bedeutung unternehmerischer Verantwortung geben. 6
Wie bereits angedeutet, scheint sich – das zeigen Arbeiten jüngeren Datums – dieser Trend auf europäischer Ebene jedoch aktuell zu den frühen sozial-liberalen Wurzeln zurückzubewegen (Bizzarri 2013; Kinderman 2013).
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Dies ist insofern problematisch, als dass wir so nur ein einseitiges Bild unternehmerischer Verantwortung und des »Business Case for CSR« erhalten: »Focusing on the individual corporation as the unit of analysis can only produce limited results and serves to create an organizational enclosure around corporate social responsibility.« (Banerjee 2008: 73) Insgesamt setzt sich in der Literatur die Annahme durch, dass Unternehmensverantwortung heute durch eine Vielzahl von Akteuren beeinflusst wird: »CSR is as much about the non-business environment as the business one« (Burchell/Cook 2006: 122), weshalb vermehrt Studien gefordert werden, die dem Rechnung tragen und dabei ein differenzierteres Bild darüber geben, wie die Bedeutung unternehmerischer Verantwortung ausgehandelt wird: »research needs to further examine the role of nonbusiness actors in processes of organizing for CSR« (Rasche et al. 2013: 660; ähnlich Egels-Zandén/Hyllman 2009; Dentchev et al. 2015a, 2015b; Archel et al. 2011; Gond et al. 2011; Levy/Newell 2005) und »need[s] to […] critically examine the dynamics of the relationships between corporations, NGOs, governments, community groups and funding agencies« (Banerjee 2008: 73; ähnlich Lozano et al. 2008: 179). Es muss folglich darum gehen, Unternehmensverantwortung und die ihr zugeschriebenen Motive nicht allein als Produkt von Unternehmen und Wirtschaftsakteuren zu betrachten, sondern jeweils als Ergebnis von Aushandlungen unterschiedlicher Akteure. »Analysis of interactions between firms and interactions between firms and other actors interested in CSR might therefore offer some insight into how certain meanings and practices around CSR become crystallized […].« (Archel et al. 2011: 328; ähnlich Rasche et al. 2013: 660; Lozano et al. 2008: 179; Egels-Zandén/Hyllman 2006: 314; O’Dwyer 2003: 551-555)7
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Die Studie von Archel und Kollegen (2011) bildet in diesem Zusammenhang eine Ausnahme, da sie unter Berücksichtigung unterschiedlicher Akteure betrachtet, wie ein dominantes Verständnis unternehmerischer Verantwortung »overwhelmingly characterised by voluntarism and business-as-usual« sich im Diskurs unternehmerischer Verantwortung durchsetzt (Archel et al. 2011: 331). Die Autorinnen fragen: »How is it that such a passage from polyphony to dominance took place?« (Archel et al. 2011: 340) Mit Blick auf die von ihnen beobachteten Stakeholder-Konsultationsprozesse stellen sie fest, dass »[w]e might thus conclude that managerial capture takes place long before CSR is put in the hands of managers who need to write a CSR report and is the result of institutionalisation processes which have themselves been shaped by previous, supra-national institutionalization processes« (Archel et al. 2011: 340) und dass die von ihnen beobachteten Konsultationsprozesse vielmehr dazu dienten, das zuvor bereits Initiierte zu festigen und zu bestätigen. Die Frage, wie diese Prozesse der Entwicklung und Stabilisierung der Führerschaft des »Business Case for CSR« stattfinden, bleibt somit auch hier offen.
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Um ein differenziertes Bild des »Business Case for CSR« sowie insgesamt der Motive unternehmerischer Verantwortung zu erlangen und den Prozess der Entwicklung und Stabilisierung der Führerschaft »Business Case for CSR« zu verstehen, scheint es demzufolge notwendig, unterschiedliche an der Ausgestaltung unternehmerischer Verantwortung beteiligte Akteure in den Blick zu nehmen. Drittens gehen insbesondere die Arbeiten zur ›manageriellen Vereinnahmung‹ kaum darüber hinaus, die große Bedeutung der instrumentellen Ratio für die unternehmerische Verantwortungspraxis festzustellen, zu kritisieren sowie vereinzelt auf deren Beharrung zu verweisen (kritisch auch Smith et al. 2011). Um zu einem Verständnis der stabilen Führerschaft des »Business Case for CSR« zu gelangen, reicht es jedoch nicht aus, dessen aktuelle Bedeutung und Beharrung festzustellen. Vielmehr kommt es darauf an, sie als Ergebnis eines (historischen) Entwicklungsprozesses zu betrachten und den spezifischen Verlauf dieses Prozesses in den Blick zu nehmen sowie Erklärungen für seinen Verlauf und die aktuellen Beharrungstendenzen vorzuschlagen. Auch historische Arbeiten zur Unternehmensverantwortung konzentrieren sich – wie wir gesehen haben – in insgesamt recht allgemeiner Weise auf die Entwicklungen unternehmerischer Verantwortung, weniger jedoch auf die Entwicklung des »Business Case for CSR«.8 Die Arbeiten, die sich der Entwicklung instrumenteller Rechtfertigungen gewidmet haben, stellen häufig auf jeweils nur einzelne Akteursgruppen ab und können damit jeweils nur ein begrenztes Bild von der Entwicklung und Stabilisierung der Führerschaft des »Business Case for CSR« im Diskurs unternehmerischer Verantwortung geben. Die Arbeiten hingegen, die auf einer den Einzelakteuren übergeordneten Ebene ansetzen und die Instrumentalisierung unternehmerischer Verantwortung mit Meta-Narrativen wie der Neoliberalisierung und Deregulierung in Verbindung bringen, widmen sich kaum der Übersetzung dieser Ideen in den (Sprach-)Gebrauch der Akteure innerhalb bestimmter Länder und können damit nur grobe Hinweise zur Stabilisierung der Führerschaft des »Business Case for CSR« im Diskurs der auf nationaler Ebene beteiligten Akteure geben. Eine solche Perspektive steht mit Blick auf den »Business Case for CSR« (auch für den deutschen Sprachraum) noch aus.
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Letztlich müssen auch Meta-Narrative wie die Liberalisierung und Flexibilisierung, wie sie insbesondere von Forscherinnen vorgebracht werden, die sich mit der (historischen) Entwicklung unternehmerischer Verantwortung befasst haben, auf nationaler Ebene zwischen den Akteuren verhandelt und in die (Sprach-)Praxis übernommen werden – weshalb auch hier die Berücksichtigung unterschiedlicher Akteure wichtig erscheint.
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1.3 S PEZIFIZIERUNG DES F ORSCHUNGSINTERESSES – ZWEI F ORSCHUNGSFRAGEN Ausgehend von der empirischen Problemstellung und der Problematisierung bisheriger Annäherungen an dieses Phänomen setzt sich die vorliegende Arbeit das Ziel, die Entwicklung und Stabilisierung der Führerschaft des »Business Case for CSR« nachzuvollziehen und zu erklären und dabei insgesamt einen Beitrag zum Verständnis der Motive unternehmerischer Verantwortung und insbesondere des »Business Case for CSR« zu leisten. Ziel ist damit die Beantwortung folgender Forschungsfragen: • Wie motivieren wirtschaftliche, staatliche und zivilgesellschaftliche Akteure un-
ternehmerische Verantwortung in Deutschland? • Warum hat sich der »Business Case for CSR« im deutschen Diskurs unternehme-
rischer Verantwortung als führendes Motiv stabilisiert? Die erste Frage zielt auf eine Analyse der Motive unternehmerischer Verantwortung, und zwar zum einen mit Blick auf unterschiedliche an der Ausgestaltung und Umsetzung unternehmerischer Verantwortung beteiligte Akteure und zum anderen in longitudinaler Sicht, d.h. mit Blick auf die Entwicklung von Motiven unternehmerischer Verantwortung, insbesondere des »Business Case for CSR«, über die Zeit. Die zweite Forschungsfrage verfolgt alsdann das Ziel, die Entwicklung und Stabilisierung der Führerschaft des »Business Case for CSR« nachzuvollziehen und zu erklären, d.h. Gründe für diesen spezifischen Verlauf des deutschen Diskurses vorzuschlagen. Die Beantwortung dieser Forschungsfragen ist sowohl aus praktischer wie auch wissenschaftlicher Sicht von Relevanz. Aus praktischer Sicht erscheint ein besseres Verständnis des »Businesss Case for CSR« geboten, da unter dem Begriff der Unternehmensverantwortung elementare Themen wie Menschenrechte in der Wirtschaft, unternehmerischer Umwelt- und Klimaschutz, Erhalt der Ressourcenvielfalt, das Recht auf Gewerkschaftsbeteiligung und faire Arbeitsbedingungen ebenso wie die gleichberechtigte und -bezahlte Beteiligung von Frauen auf allen Ebenen der Unternehmenshierarchie verhandelt werden. Der »Business Case for CSR« – nehmen wir ihn als Anreiz unternehmerischer Verantwortung ernst – begrenzt jedoch Umfang und Möglichkeiten der Unternehmensverantwortung stark (u.a. Crane et al. 2014; Schreyögg 2009; Banerjee 2008, O’Dwyer 2003) und wird nicht zuletzt insgesamt in seiner Wirksamkeit angezweifelt, sprich, das Vorhandensein einer positiven Beziehung zwischen Unternehmensverantwortung und -performance wird infrage gestellt (Gond/Crane 2010; Orlitzky et al., 2003; Orlitzky 2009; Raghubir et
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al. 2010).9 Vogel beispielsweise geht davon aus, es gebe »little support for the claim that more responsible firms are more profitable« (Vogel 2005a, ähnlich Devinney 2009: 45). Unternehmerische Verantwortung und damit wichtige Themen wie die oben genannten allein durch den »Business Case for CSR« zu motivieren und sie damit in den Autonomiebereich des Marktes zu stellen, scheint folglich eine hoch problematische Strategie zu sein. Ein besseres Verständnis des »Business Case for CSR«, seiner Führerschaft und insbesondere seiner vermuteten aktuellen Stabilität kann Hinweise auf Möglichkeiten der Veränderung eröffnen und hätte damit nicht nur Implikationen für die Unternehmen, sondern auch für die von den Folgen unternehmerischen Handelns Betroffenen. Auch aus wissenschaftlicher Sicht ist die Beantwortung dieser Forschungsfragen von Interesse. Ein Verständnis der Motive unternehmerischer Verantwortung und insbesondere des »Business Case for CSR« sowie die Untersuchung der Vermutung seiner Stabilisierung als führendes Motiv unternehmerischer Verantwortung erfordern einen spezifischen Zugang. Dieser muss erlauben, die Bedeutung unternehmerischer Verantwortung, die ihr durch das Vorbringen bestimmter Motive zugeschrieben wird, unter Berücksichtigung ihrer zeitlichen Veränderungen nicht nur nachzuvollziehen, sondern deren Entwicklung und Stabilisierung auch zu erklären. Zum einen geht es für ein Verständnis des »Business Case for CSR« darum, diesen nicht wie im überwiegenden Anteil der bisherigen Forschung als ›quasitechnische‹ Beziehung zwischen Unternehmensverantwortung und -performance zu untersuchen oder in allgemeiner Weise eine Instrumentalisierung unternehmerischer Verantwortung festzustellen. Vielmehr erscheint eine theoretisch und empirisch fundierte Betrachtung des »Business Case for CSR« als soziales Phänomen geboten, d.h. als Motivmuster unternehmerischer Verantwortung, auf das Akteure unterschiedlicher Provenienz Bezug nehmen, zur Rechtfertigung unternehmerischer Verantwortung heranziehen und dabei Möglichkeiten und Bedeutung unternehmerischer Verantwortung aushandeln. Es ist also zu berücksichtigen, dass unternehmerische Verantwortung – wie sich oben bereits anhand der Beförderung des »Business Case for CSR« durch sowohl wirtschaftliche als auch staatliche und zivilgesellschaftliche Akteure andeutete – keine ausschließlich unternehmerische Idee ist, sondern unterschiedliche Akteure betrifft und von ihnen (mit-)gestaltet wird (z.B. Rasche et al. 2013; Wittneben et al. 2012; Archel et al. 2011; Banerjee 2008; Lozano et al. 2008). Für ein Verständnis unternehmerischer Verantwortung und der ihr unterliegenden Motive ist demzufolge der Prozess der Aushandlung von Bedeutung zwischen unterschiedlichen Akteuren zu untersuchen. Zum anderen kommt es vor dem Hintergrund der vermuteten Stabilisierung der Führerschaft des »Business Case for CSR« sowie dem in der Vorstudie gezeigten 9
Ich komme später auf diese Kritik zurück (siehe Kapitel 8).
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Verlauf darauf an, den Status quo nicht als gegeben zu nehmen, sondern eine dezidiert prozessorientierte Perspektive einzunehmen, um Emergenz und Entwicklung der stabilen Führerschaft des »Business Case for CSR« nachzuvollziehen und zu erklären.10 Dabei ist außerdem der Fokus auf eben die Dynamiken zu legen, die innerhalb dieser Prozesse zur Verfestigung mitunter problematischer Bedeutungszuschreibungen führen und dabei Stabilisierung als Problem und weniger als alltäglich stattfindende Bedeutungsverständigung zu begreifen. Ein Verständnis der Stabilisierung der Führerschaft des »Business Case for CSR« erfordert folglich, die diesem Prozess unterliegenden Selektions- und Stabilisierungsmechanismen in den Blick zu nehmen. Jüngst wurde diesbezüglich betont: »more qualitative studies are needed to improve our understanding of the underlying mechanisms of CSR« (Aguinis/Glavas 2012: 954, 958). Wie können wir uns ausgehend vom aufgezeigten Forschungsbedarf der Beantwortung dieser Forschungsfragen nähern?
1.4 D IE
STABILE F ÜHRERSCHAFT DES »B USINESS FOR CSR« ALS P HÄNOMEN DISKURSIVER P FADABHÄNGIGKEIT ?
C ASE
Eingangs wurde die Vermutung einer stabilen Führerschaft des »Business Case for CSR« im deutschen Diskurs unternehmerischer Verantwortung angestellt. Müssen diese ersten Beobachtungen und auch die Ergebnisse der Vorstudie vor dem Hintergrund des mit der Betrachtung von Artikeln des »Manager Magazins« spezifisch gewählten und stark eingegrenzten Diskursausschnitts mit Vorsicht interpretiert werden, so scheinen sie eine nähere Untersuchung der eingangs angestellten Vermutung zu rechtfertigen. Zudem legt gerade die Vorstudie einen sehr spezifischen Verlauf der Entwicklung von Motiven unternehmerischer Verantwortung in Deutschland nahe, bei dem sich ausgehend von einer Vielfalt von Motiven ein Motiv nach und nach durchsetzt, andere Motive hingegen marginalisiert werden. Diese schrittweise Verengung auf ein Muster, welches sich – wie vorstehend argumentiert – trotz eines aktuell stattfindenen Umweltwandels und trotz seiner offensichtlichen Problematik als stabil zu erweisen scheint, ist charakteristisch für pfadabhängige Prozessverläufe (siehe z.B. Schreyögg/Sydow 2011; Sydow et al. 2009). Als pfadabhängig werden solche Prozesse beschrieben, bei denen ausgehend von bestimmten historischen Ausgangsbedingungen und initiiert durch ein kleines (oder großes) Ereignis eine eskalierende Dynamik in Gang gesetzt wird, in deren
10 In jüngster Zeit werden immer wieder historische und prozessorientierte Arbeiten zur Unternehmensverantwortung gefordert (Aguiris/Glavas 2012: 958; Nuhn 2013: 12-13, früher auch schon Booth/Rowlinson 2006: 21-22).
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Zuge ein bestimmtes Muster sich als führend entwickelt und zunehmend verfestigt, andere hingegen verdrängt werden, und die letztlich in ein – zumindest potenziell ineffizientes – sogenanntes »Lock-in« führt, das selegierte Muster folglich ›einschließt‹ und ein Abweichen erschwert. Ausgehend von der Ähnlichkeit der vermuteten Entwicklung des Diskurses unternehmerischer Verantwortung in Deutschland mit dem Verlauf pfadabhängiger Prozesse scheint es angemessen, die Vermutung einer Pfadabhängigkeit des deutschen Diskurses unternehmerischer Verantwortung auszusprechen und dessen Entwicklung im Folgenden mithilfe eines pfadtheoretischen Analyserahmens weiter zu untersuchen. Die Theorie der Pfadabhängigkeit legt zur Erklärung dieser spezifischen Prozessverläufe ihr Augenmerk insbesondere auf die prozessimmanenten, endogenen Treiber dieser Entwicklung – der Fokus liegt auf den dem Prozessverlauf unterliegenden Mechanismen. Diese Theorie bietet folglich einen Zugang, der explizit die Logik von Prozessen der Selektion und Stabilisierung bestimmter Muster – seien sie institutioneller, technischer, organisationaler oder diskursiver Natur – fokussiert. Ausgehend vom empirischen Problem – dem hier vermuteten Prozessverlauf – sowie aufbauend auf dem aktuellen Forschungsstand, scheint die Pfadtheorie als analytischer Rahmen für das Vorhaben der vorliegenden Arbeit geeignet, da sie sowohl die oben als wichtig erachtete historische Prozessperspektive bietet als auch die diesen Prozessen unterliegenden Mechanismen in den Blick zu nehmen vermag und damit spezifische Prozessverläufe und deren Stabilisierung erklären kann. Dabei scheint es angebracht, eine diskurstheoretisch informierte Fassung des Ansatzes der Pfadabhängigkeit zu wählen (z.B. Haussmann 2014; Koch 2011; Scherrer 2005). Die zuvor ausgeführten Darstellungen zur stabilen Führerschaft des »Business Case for CSR« legen nahe, dass sich das Verständnis unternehmerischer Verantwortung über die Zeit verändert hat, sprich, dass das, was wir unter Unternehmensverantwortung verstehen, einer grundlegenden Transformation unterlag. Um folglich Entwicklung und Stabilisierung der Führerschaft des »Business Case for CSR« nachzuvollziehen, bedarf es eines Ansatzes der diesen Bedeutungsverschiebungen Rechnung tragen kann und die Führerschaft des »Business Case for CSR« somit als das aktuelle Stadium der Aushandlung von Bedeutungszuschreibungen betrachtet. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, wird die vorliegende Arbeit das Phänomen des »Business Case for CSR« ebenso wie die Entwicklung und Stabilisierung seiner Führerschaft diskursiv untersuchen. Gerade in ihrer diskursiven Fassung – die, wie wir im weiteren Verlauf sehen werden, in mehrfacher Hinsicht weiter zu präzisieren ist – verspricht die Theorie der Pfadabhängigkeit, sowohl die Entwicklung als auch die Stabilisierung der Führerschaft des »Business Case for CSR« im deutschen Diskurs unternehmerischer Verantwortung nachzuvollziehen und zu erklären und dabei nicht zuletzt den »Business Case for CSR« als soziales Phänomen insgesamt besser zu verstehen.
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Die diskursive Pfadtheorie verspricht mindestens drei Beiträge zur Forschung zur Unternehmensverantwortung und insbesondere zum »Business Case for CSR« zu liefern. Erstens erlaubt es dieser analytische Ansatz, über die bloße Feststellung der aktuellen Bedeutung des »Business Case for CSR« hinauszugehen und den Status quo als Ergebnis eines historischen Prozesses der Aushandlung zu begreifen. Viele der oben beschriebenen Arbeiten nehmen die Führerschaft des »Business Case for CSR« als bereits etabliertes Muster in den Blick oder beschreiben eine nur am Rande erwähnte und zumeist vage verbleibende Instrumentalisierung unternehmerischer Verantwortung, nehmen jedoch keine auf den »Business Case for CSR« fokussierte prozessorientierte Perspektive ein. Der diskursive Pfadansatz verspricht diesbezüglich einen Beitrag zu leisten, indem er untersucht, wie der »Business Case for CSR« als führendes Motiv überhaupt erst zustande gekommen ist und sich als spezifisches Muster im Verlauf des Diskurses unternehmerischer Verantwortung entwickelt hat. Zweitens verspricht der gewählte diskursive Pfadansatz die Problembetrachtung nicht allein auf die Führerschaft des »Business Case for CSR« zu legen, sondern auch auf deren Stabilisierung zu verschieben und damit nicht nur einen Beitrag zu leisten, indem die (Un-) Möglichkeiten einer Veränderung des Status quo erhellt werden – womit nicht zuletzt eine neuartige Betrachtung der Problematik dieses Status quo ermöglicht wird –, sondern die überraschenden Beharrungstendenzen auch theoretisch und empirisch fundiert zu untersuchen. Wie wir gesehen haben, verweisen bisherige Arbeiten meist nur am Rande auf die Stabilität des »Business Case for CSR«, nehmen sie jedoch nicht genauer in den Blick. Drittens erlaubt es der gewählte pfadtheoretische Ansatz gerade in seiner diskursiven Form, die Entwicklung und Stabilisierung der Führerschaft des »Business Case for CSR« als Prozess der Aushandlung von Bedeutung in den Blick zu nehmen. Damit verspricht er zum einen, den »Business Case for CSR« als grundlegend soziales Phänomen zu betrachten und seine Ausgestaltung in sowohl theoretischer als auch empirischer Weise zu erhellen. Zum anderen verspricht er, den häufig auf Unternehmen begrenzten Fokus bisheriger Arbeiten zum »Business Case for CSR« zu erweitern. Damit kann die Rolle auch anderer Akteure an der Inthronisierung und Stabilisierung der Führerschaft des »Business Case for CSR« erhellt werden und so ein über bisherige Betrachtungen hinausgehender Beitrag geleistet werden. Zusammenfassend scheint die Wahl eines diskursiven Pfadansatzes als analytischer Rahmen für das Vorhaben der vorliegenden Arbeit sowohl mit Blick auf das empirische Problem – die rätselhafte und problematische Entwicklung und Stabilisierung der Führerschaft des »Business Case for CSR« – als auch vor dem Hintergrund des aktuellen Forschungsstandes und der erwarteten Beiträge gerechtfertigt.
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1.5 Z IELSETZUNG
UND
AUFBAU
DER
ARBEIT
Ausgehend von der in diesem Kapitel umrissenen Problemstellung und den bestehenden Leerstellen in der Forschung zum »Business Case for CSR« setzt sich diese Arbeit zum Ziel, eine empirisch und theoretisch fundierte Bestimmung der Motive unternehmerischer Verantwortung und insbesondere des »Business Case for CSR« vorzunehmen und die Entwicklung und Stabilisierung seiner Führerschaft im deutschen Diskurs unternehmerischer Verantwortung nachzuvollziehen und zu erklären. Im Folgenden wird zu zeigen sein, wie dieses Vorhaben theoretisch und empirisch umgesetzt werden kann und damit ein Überblick über den Aufbau der Arbeit gegeben. In einem ersten Schritt wird in Kapitel 2 ein theoretischer Analyserahmen zur Untersuchung der Entwicklung und Stabilisierung der Führerschaft des »Business Case for CSR« erarbeitet. Zunächst werden die begrifflichen Grundlagen der weiteren Untersuchung gelegt. Die Begriffe der Unternehmensverantwortung und des Motivs werden bestimmt, um alsdann einen Bezugsrahmen möglicher Motive unternehmerischer Verantwortung zu erarbeiten, vor dem die Analyse der Entwicklung und Stabilisierung der Führerschaft des »Business Case for CSR« allererst möglich wird. Wie oben dargelegt und begründet, geschieht letzteres unter Rückgriff auf die noch ›in den Kinderschuhen‹ befindliche diskursive Pfadtheorie, die es hier zu erweitern gilt. Aufbauend auf bisherige Versuche, Pfadprozesse als diskursive Prozesse zu verstehen, wird diese Arbeit die Idee des Pfades diskursivhegemonietheoretisch ausbauen. Der so erarbeitete theoretische Analyserahmen bildet das Fundament für die empirische Annäherung an das Phänomen des »Business Case for CSR« und die Untersuchung des Prozesses der Entwicklung und Stabilisierung seiner Führerschaft im deutschen Diskurs unternehmerischer Verantwortung. Kapitel 3 widmet sich dem zur Beantwortung der Forschungsfragen verwendeten Forschungsdesign. Es wird ein qualitatives diskursanalytisches Vorgehen vorgeschlagen, welches erlaubt, sowohl die gesellschaftlichen Aushandlungsprozesse zwischen den Akteuren als auch die historischen Prozesse der Entwicklung und Stabilisierung spezifischer Bedeutungszuschreibungen zu untersuchen. Sodann gilt es, den deutschen Diskurs unternehmerischer Verantwortung für die diskursanalytische Untersuchung in seinen thematischen und zeitlichen Grenzen sowie hinsichtlich der relevanten Akteure präzise zu bestimmen. Die dezidierte Beschreibung der für die Analyse selektierten Textkorpora leitet in die Darstellung der Datenanalyse, die mit einer Betrachtung der Kriterien der ›guten Praxis‹ diskursanalytischer Forschung abgeschlossen wird. Die folgenden vier Kapitel widmen sich der Rekonstruktion der Entwicklung und Stabilisierung der Führerschaft des »Business Case for CSR« im deutschen
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Diskurs unternehmerischer Verantwortung und schlagen unter Rückgriff auf den in Kapitel 2 entwickelten diskursiv-pfadtheoretischen Analyserahmen eine Erklärung vor. Dazu ist es notwendig, in Kapitel 4 zunächst in die Zeit vor der Entstehung der stabilen Führerschaft des »Business Case for CSR« zurückzugehen, um den Prozess ihrer Entstehung, Entwicklung und Stabilisierung vollständig abzubilden. Dieses Kapitel konzentriert sich auf die Formierung des Diskurses »gesellschaftlicher Verantwortung des Unternehmens« in Deutschland und stellt die in dieser ersten Phase von wirtschaftlichen, staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren artikulierten Motive unternehmerischer Verantwortung dar. Diese erste Phase zeichnet sich, so wird deutlich werden, vor allem durch ihre Offenheit hinsichtlich der für die Unternehmensverantwortung vorgebrachten Motive und Akteurskonstellationen aus. Die Idee unternehmerischer Verantwortung folgt somit weder von Beginn an einem instrumentellen Verständnis, noch tut sich Letzteres bereits in irgendeiner den weiteren Verlauf des Diskurses vorhersehbar gestaltenden Weise hervor. Die in der ersten Phase des Diskurses beobachtbare Offenheit, das zeigt Kapitel 5, verengt sich in der zweiten Phase hinsichtlich instrumenteller Motive, ohne alternative Motive dabei vollends auszuschließen. Der Diskurs, der von nun an unter dem Begriff der »Corporate Social Responsibility« verhandelt wird, gewinnt in dieser Phase insgesamt an Bedeutung. Während Gewerkschaften und NGOs dem »CSR«-Diskurs zunächst skeptisch gegenüberstehen und sich erst spät als aktive Teilnehmerinnen positionieren, formieren sich wirtschaftliche und staatliche Akteure zunächst ungestört von Gegenstimmen zu einer ersten den »Business Case for CSR« gemeinsam befördernden Diskurskoalition. Die Vereinigung wirtschaftlicher und staatlicher Akteure unter dem ›Dach‹ des »Business Case for CSR« verschiebt den Diskurs erstmals in Richtung instrumenteller Motive. Zivilgesellschaftliche Akteure hingegen wehren sich zunächst noch gegen diese Neufassung unternehmerischer Verantwortung, nur um sich dann teilweise seinem Zwang beugen zu müssen, was dem »Business Case for CSR« erneut Aufschwung verleiht. Kapitel 6 zeigt sodann, wie der sich etablierende ›instrumentelle Mainstream‹ schließlich derart Zwang entwickelt, dass sich ihm auch einige der zunächst noch widerständigen Akteure beugen und in das diskursive Lager der wirtschaftlichen und staatlichen Akteure hinüberwechseln, indem sie dem instrumentellen Mainstream zustimmen, womit der Diskurs endgültig kippt und dabei den verbleibenden widerständigen Akteuren eine nur mehr randständige Position zuweist. Der »Business Case for CSR« stützt sich von nun an auf einen alle gesellschaftlichen Lager übergreifenden Konsens und stellt sich als ebenso führendes wie gegen Änderungsversuche immun und stabil scheinendes, mithin ›eingeschlossenes‹, Muster dar. Kapitel 7 liefert weitere Evidenz für das postulierte Lock-in und richtet den Fokus auf die Verantwortungssubjekte selbst – hier die DAX-30-Unternehmen. Die
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Ergebnisse der Analyse nicht-finanzieller Berichte dieser Unternehmen zeigt, dass der »Business Case for CSR« auch von den Unternehmen als führendes Motiv artikuliert wird und folglich auch die praktische Ausgestaltung unternehmerischer Verantwortung durchdringt, was dessen Führerschaft weiter untermauert und ein Abweichen von diesem Muster umso unwahrscheinlicher erscheinen lässt. Eine Diskussion der Ergebnisse rundet in Kapitel 8 die Arbeit ab. Dabei werden zunächst die Ergebnisse zusammengefasst und unter Berücksichtigung des in Kapitel 2 erarbeiteten diskursiv-pfadtheoretischen Analyserahmens reflektiert, um anschließend die Beiträge der vorliegenden Arbeit zur Literatur der Unternehmensverantwortung sowie weitere Beiträge zur Idee des Pfades darzustellen. Es folgt eine Diskussion der Grenzen der Arbeit, die zugleich Anknüpfungspunkte für zukünftige Forschung eröffnet. Eine kritischer Blick auf die praktischen Implikationen der stabilen Führerschaft des »Business Case for CSR« sowie Überlegungen zum Bruch mit dem Bestehenden schließen die Arbeit ab.
2 Theoretischer Rahmen
Der Literaturüberblick zeigte, dass – obwohl weitgehend Einigkeit hinsichtlich der großen Bedeutung des »Business Case for CSR« besteht, und obwohl dieser immer häufiger in der Kritik steht (u.a. Brammer et al. 2012; Fleming/Jones 2013; Hanlon/Fleming 2009; Hanlon 2009; Unerman/O’Dwyer 2007) und zuweilen auch auf die Stabilität dieses Motivs verwiesen wird (u.a. Banerjee 2008; O’Dwyer 2003) – wir bislang nur wenig über die Ausgestaltung des »Business Case for CSR« wissen, auch und insbesondere unter nicht-wirtschaftlichen Akteuren, und dass vor allem der Prozess der Entwicklung und Stabilisierung seiner Führerschaft kaum im Fokus der Forschung stand. Ausgehend von den identifizierten Leerstellen der aktuellen Auseinandersetzung zum »Business Case for CSR« und motiviert durch dessen ebenso problematische wie rätselhafte Entwicklung, nähert sich diese Arbeit dem »Business Case for CSR« als soziales Phänomen und setzt sich das Ziel, den Prozess der Entwicklung und Stabilisierung der Führerschaft des »Business Case for CSR« nachzuvollziehen und zu erklären. Ziel dieses Kapitels ist es, die für dieses Vorhaben notwendigen begrifflichen Grundlagen zu legen und einen theoretischen Analyserahmen zu erarbeiten. Dabei ist zunächst das der vorliegenden Arbeit zugrunde liegende Verständnis unternehmerischer Verantwortung1 zu klären, um alsdann den Begriff des Motivs in für das
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Heute kursieren unterschiedliche Begriffe unternehmerischer Verantwortung. Wird die internationale wissenschaftliche Debatte, in die sich auch diese Arbeit einordnet, unter dem englischen Begriff der »Corporate Social Responsibility« (kurz: CSR) geführt, so werden im Deutschen sowohl der englische Begriff als auch die deutschen Begriffe der »gesellschaftlichen« oder »sozialen Verantwortung des Unternehmens« verwendet. Da sich, wie wir in den folgenden Kapiteln sehen werden, mit dem Gebrauch spezifischer Begriffe häufig eigene Interpretationen der Unternehmensverantwortung verbinden, ist es mit Blick auf das Forschungsinteresse dieser Arbeit opportun, sensibel für die jeweilige Begriffsverwendung zu sein. Um zugleich einen konsistenten Sprachgebrauch zu ermöglichen, wird diese Arbeit jeweils dort, wo es um die grundsätzliche Idee einer wie auch
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Vorhaben geeigneter Weise zu fassen und mit der Bestimmung möglicher Motive unternehmerischer Verantwortung einen Referenzrahmen für die Untersuchung der Entwicklung und Stabilisierung der Führerschaft des »Business Case for CSR« zu erarbeiten (2.1). Alsdann wird es darum gehen, die »Idee des Pfades« (David 2007: 94) zu erläutern und, unter Berücksichtigung der Leerstellen ihrer diskursiven Fassung, diese diskursiv-hegemonietheoretisch zu erweitern (2.2), um so zu einem diskursiv-pfadtheoretischen Analyserahmen für die Erklärung der Entwicklung und Stabilisierung der Führerschaft des »Business Case for CSR« zu gelangen (2.3), der die empirische Untersuchung in geeigneter Weise anleiten kann.
2.1 S PEZIFIZIERUNG DES F ORSCHUNGSGEGENSTANDS : B EGRIFF UND M OTIVE UNTERNEHMERISCHER V ERANTWORTUNG Für die Untersuchung des Prozesses der Entwicklung und Stabilisierung der Führerschaft des »Business Case for CSR« im deutschen Diskurs unternehmerischer Verantwortung kommt es darauf an, zunächst einleitend den Begriff der Unternehmensverantwortung zu klären, und zwar in einer Weise, welche die Analyse sowohl ihrer zeitlichen Veränderung als auch der Aushandlungen um ihre Bedeutung erlaubt (2.1.1). Im Anschluss wird ein Referenzrahmen für die Untersuchung der Entwicklung und Stabilisierung des »Business Case for CSR« als führendes Motiv unternehmerischer Verantwortung entwickelt, der es erlaubt, die ›Karriere‹ dieses instrumentellen Motivs im Lichte alternativer Motive unternehmerischer Verantwortung zu verstehen (2.1.2). 2.1.1 Unternehmensverantwortung: Begriffliche Annäherung Um uns dem Begriff der Unternehmensverantwortung zu nähern, können wir sie zunächst als »responsibility of enterprises for their impacts on society« beschreiben (EuK 2011, ähnlich Blowfield 2005: 173; Knudsen/Moon 2012: 3). Deutlich wird an dieser einfachen Definition der Beziehungscharakter des Begriffs der Verantwortung, der ein Verhältnis aufspannt zwischen einem Subjekt der Verantwortung – dem Unternehmen – und einem Objekt der Verantwortung – die nicht weiter be-
immer gearteten Verantwortung des Unternehmens geht, den Begriff der Unternehmensverantwortung oder auch unternehmerischen Verantwortung verwenden und jeweils dort, wo es um spezifische Begriffe und ihre je eigene Konnotation geht, die im jeweiligen Kontext verwendeten Begriffe in Anführungszeichen angeben.
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stimmte Gesellschaft (Bayertz 1995; Lenk/Maring 2001).2 Unternehmensverantwortung ist damit als relationaler Begriff zu verstehen. Wie weit sich diese Verantwortung erstreckt und wo ihre Grenzen gezogen werden, bleibt in dieser Definition offen und kann, wie im Folgenden gezeigt wird, als über die Zeit dynamisch, kontextabhängig und umstritten betrachtet werden. In der nun schon gut 60 Jahre andauernden Auseinandersetzung zum Begriff der Unternehmensverantwortung wurden über die Zeit viele Begriffe und Definitionen entwickelt, haben sich abgelöst, überlagert oder bestehen – sich ergänzend oder konkurrierend – nebeneinander her. Schon früh wurden dem Begriff der Unternehmensverantwortung beispielsweise Begriffe wie »Corporate Social Responsiveness« (Ackerman/Bauer 1976; Frederick 1976; Sethi 1975) oder »Corporate Social Performance« (Carroll 1979) an die Seite gestellt und später durch Begriffe wie unter anderem »Corporate Citizenship« oder »Nachhaltigkeit« ergänzt, abgelöst oder auch synonym verwendet (für begriffliche Abgrenzungen siehe z.B. van Marrewijk 2003; Matten et al. 2003). Begleitet ist der Wandel von Begriffen unternehmerischer Verantwortung von einer ebenso dynamischen Entwicklung ihrer Bedeutung. Das heißt, auch das, was wir unter diesen Begriffen verstehen, hat sich über die Zeit entwickelt (überblickshaft z.B. Carroll 1999, Frederick 1994, für die deutsche Entwicklungsgeschichte auch Aßländer 2010). Die Bedeutung unternehmerischer Verantwortung zeigt sich uns folglich nicht als feststehende Kategorie, sondern als sich stetig fortentwickelnder Prozess (Basu/Palazzo 2008; Carroll 1999; Christensen et al. 2013; Schultz/Wehmeier 2010) – sie befindet sich in einem »continuing state of emergence« (Lockett et al. 2006: 133). Ein so verstandener ›dynamischer Verantwortungsbegriff‹ (Stoecker 2007) ist keinesfalls mit Beliebigkeit gleichzusetzen. Vielmehr ist damit anerkannt, dass selbst das, was wir am Verantwortungsbegriff als unveränderlich wahrnehmen, wie z.B. dessen rechtliche Ausgestaltung, jeweils Ergebnis gesellschaftlicher Verhandlung ist – folglich einer zeitlichen Entwicklung unterliegt und nicht als objektiv gegeben verstanden werden kann (dazu Bayertz 1995, zur Rolle gesellschaftlicher Normen für das Recht auch Buchanan 2004). Die 2
Der Beziehungscharakter wird in Abhandlungen zum Begriff der Verantwortung deutlich hervorgestellt und verbindet sich häufig mit einem verpflichtenden Element – Lenk und Maring (2001: 247) betonen beispielsweise neben dem Beziehungs- auch einen Zuschreibungscharakter der Verantwortung, der betont, dass Verantwortung nicht nur übernommen und ebenso auch abgelehnt werden kann, sondern auch zugeschrieben wird und sich somit mitunter der persönlichen Wahl entzieht. Röttgers (2007: 17-19) schreibt in diesem Sinne, dass der Begriff der Verantwortung sich aus der »Antwortung« ableitet und zunächst vor Gericht im Sinne eines »zur Verantwortung ziehen« verwendet wurde. Er stellt fest: »Hier bereits deutet sich eine der Komponenten des heutigen Verantwortungsbegriffs an: Man wird zur Verantwortung gezogen, was nichts anderes heißen kann, als dass man dahin bewegt wird, wohin man freiwillig nicht ginge […].« (Röttgers 2008: 18)
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Bedeutung unternehmerischer Verantwortung ist demzufolge als über die Zeit wandelbar, dynamisch zu verstehen. Wie diese Entwicklung verläuft und welche Bedeutungen mit dem Begriff der Unternehmensverantwortung verbunden werden, wird sich dabei zwischen verschiedenen Ländern unterscheiden (u.a Campell 2007; Matten/Moon 2008). Entwicklung und Ausgestaltung unternehmerischer Verantwortung sind von den historisch gewachsenen, institutionellen Bedingungen des jeweiligen Landes (Brammer et al. 2012; Jackson/Apostolakou 2010), insbesondere der jeweils herrschenden (Wirtschafts-)Ordnung geprägt – womit eine Betrachtung unternehmerischer Verantwortung ohne die Berücksichtigung dieser Verhältnisse wenig ergiebig erscheint (Schreyögg 2009: 759; Abelshauser 2009). Campbell (2007) diskutiert beispielsweise den Einfluss des regulativen Rahmens, der Präsenz von NGOs und anderen Kontrollorganen sowie institutionalisierter Normen hinsichtlich angemessenen Unternehmensverhaltens und, damit zusammenhängend, das Verhalten der Unternehmen sowie deren Austausch mit Stakeholdern als wesentliche Faktoren und Unterscheidungsmerkmale unternehmerischer Verantwortung in verschiedenen Ländern. An anderer Stelle wird insbesondere darauf verwiesen, dass die Ausgestaltung der Beziehung zwischen Unternehmen und Gesellschaft jeweils Ergebnis gesellschaftlicher Erwartungen ist, die sich ebenfalls zwischen Ländern unterscheiden werden (Aguinis/Glavas 2012; Carroll 1979, 1999; Gond/Moon 2011; Matten/Moon 2008). Ausgehend von diesen Betrachtungen ist die Bedeutung unternehmerischer Verantwortung folglich kontextabhängig zu verstehen. Zugleich wird deutlich, dass die Bedeutung unternehmerischer Verantwortung nicht nur über die Zeit dynamisch und kontextabhängig ist, sondern sich auch von Akteur zu Akteur unterscheiden kann: »Corporate social responsibility (CSR) means something, but not always the same thing to everybody.« (Votaw 1972: 25) Und so wird die Frage »what do we mean by Corporate Social Responsibility?« (Moir 2001) bis heute von dem ständigen Verweis darauf begleitet, dass Unternehmensverantwortung ein unklares (Henderson 2001; Lantos 2001; Jonker/Marberg 2007) und teilweise widersprüchliches (Windsor 2001; De Schutter 2008; Kinderman 2012, 2013), ja insgesamt umstrittenes (Fairbrass 2011) bzw. ›grundlegend umkämpftes Konzept‹ sei (Okoye 2009; Matten/Moon 2008; Crane et al. 2005).3 Als grundlegend umkämpft werden Konzepte bezeichnet, die durch eine lange andau3
Insgesamt scheint die Begriffsgeschichte unternehmerischer Verantwortung vor allem durch Uneinigkeit und letztlich Unklarheit gekennzeichnet; einig ist man sich hingegen, dass der Versuch, dieses Konstrukt einheitlich zu definieren, bislang nicht von Erfolg gekrönt gewesen sei (Crane et al. 2008; McWilliams et al. 2006; Rivoli/Waddock 2011). Immer häufiger wird Unternehmensverantwortung deshalb heute als »umbrella term« bezeichnet, welcher je unterschiedliche Bedeutungen unter sich vereinen könne (u.a. Matten/Moon 2008: 405; Mäkinen et al. 2012: 649; Palazzo/Scherer 2008: 774).
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ernde Auseinandersetzung, interne Komplexität, einen normativen Charakter, begriffliche Offenheit und unterschiedliche Umsetzbarkeit gekennzeichnet sind (Gallie 1956; Connolly 1974).4 Eine einheitliche und feststehende Bestimmung des Begriffs der Unternehmensverantwortung wird davon ausgehend weder als mögliche noch als zwingend notwendige Aufgabe betrachtet: »[…] it makes little sense to talk about CSR as if it possessed a definition that is stable and fixed and only has to be discovered and applied« (Cantó-Milà/Lozano 2009: 158, ebenso Okoye 2009: 616). Innerhalb einer solchen Perspektive werden die Wandlungsfähigkeit und Unbestimmtheit des Begriffs der Unternehmensverantwortung folglich nicht zwingend als problematisch,5 sondern vielmehr als Folge fortwährender Sinngebungs- und Aushandlungsprozesse betrachtet (Christensen et al. 2013; May 2011; Schultz et al. 2013). Berücksichtigen wir, dass Unternehmensverantwortung durch eine Vielzahl von Akteuren beeinflusst wird (Rasche et al. 2013; Wittneben et al. 2012), so ist die Bedeutung unternehmerischer Verantwortung jeweils »[…] the outcome of a process of bargaining, compromise, and alliance formation at the level of specific regimes.« (Levy/Newell 2005: 48) Unternehmensverantwortung ist damit als »collectively negotiated order« zu verstehen (Acquier et al. 2011: 633). »Analysis of interactions between […] actors interested in CSR might therefore offer some insights into how certain meanings and practices around CSR become crystallized« (Archel et al. 2011: 328). Zusammengefasst ist Unternehmensverantwortung folglich als relationaler Begriff bestimmt, der einen Bezugsrahmen zwischen Verantwortungssubjekt und objekt aufspannt, hinsichtlich der Bestimmung dieser Relation jedoch als dynamisch, kontextabhängig und grundlegend umkämpft aufzufassen ist. Dies erlaubt zunächst einmal anzuerkennen, dass Unternehmensverantwortung von unterschiedlichen Akteuren und zu unterschiedlichen Zeiten sowie in unterschiedlichen Kon4
Die Idee der »essentially contested concepts« geht auf Gallie (1956) und Connolly (1974) zurück und wurde von Crane et al. (2005) sowie von Matten und Moon (2008) zunächst lose auf den Begriff der Unternehmensverantwortung angewendet und später diesbezüglich von Okoye (2009) spezifiziert.
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In der Literatur wird das uneinheitliche Begriffsverständnis hingegen häufig als Mangel empfunden (Banerjee 2008; Bartlett/Devin 2011; Woolfson/Beck 2005). Beispielweise wird befürchtet, dass die unklare Terminologie die wissenschaftliche Auseinandersetzung in ihrem Fortschreiten behindere (Devinney 2009: 45; Göbbels 2002: 5, van Marrewijk 2009: 296, ähnlich Campbell 2007) oder dass der unterschiedliche Gebrauch und ausufernde Charakter verhindere, dass Unternehmensverantwortung praktische Wirkung entfalten könne (Banerjee 2001: 42, ähnlich Henderson 2001: 21-22). Dabei wird die »konzeptionelle Anarchie« (Néron 2010: 333) mitverantwortlich gemacht für den »apparent failure of CSR to fulfil its potential in remedying the adverse impact of corporate activity« (Whitehouse 2003: 300).
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texten auf je unterschiedliche Weise definiert und nicht zuletzt auch motiviert werden kann. Um ein Verständnis unternehmerischer Verantwortung zu erlangen, gilt es somit, zum einen die Prozesse ihrer Entwicklung zu betrachten und zu verstehen, »what it has meant in the past and still means today« (Carroll 1999: 269). Damit rückt der (historische) Entwicklungsprozess der Bedeutung unternehmerischer Verantwortung in den Blick. Zum anderen heißt es, angesichts der grundlegenden Umkämpftheit des Begriffs die Bedeutungszuschreibungen unterschiedlicher Akteure in den Blick zu nehmen (Crane et al. 2008: 86-87; Fineman 2001) und damit auf die Prozesse der Aushandlung von Bedeutung abzustellen, wobei kontextabhängig die herrschenden gesellschaftlichen und wirtschaftspolitischen Verhältnisse zu reflektieren sind. Die Frage »what CSR really means« (Carroll/Shabana 2010: 89, eigene Hervorhebung, N.L.) wird somit als empirische Frage behandelt. Insgesamt ist mithin der Fokus auf die Prozesse der gesellschaftlichen Konstruktion von Bedeutung – hier vor allem die Motivation unternehmerischer Verantwortung – innerhalb spezifischer Kontexte zu legen (Dahlsrud 2008: 6). Es sind die Bedeutungsverfestigungen, die vor diesem Hintergrund erklärungsbedürftig werden. 2.1.2 Motive unternehmerischer Verantwortung: Begriffliche Annäherung und Erarbeitung eines Referenzrahmens für die Analyse der Führerschaft des »Business Case for CSR« Geht es darum, dem »Business Case for CSR« sowie der Entwicklung und Stabilisierung seiner Führerschaft auf den Grund zu gehen, so müssen wir nach unterschiedlichen Rechtfertigungen – Motiven – unternehmerischer Verantwortung fragen. Bisher wurde der Begriff des Motivs verwendet, ohne diesen systematisch einzuführen oder theoretisch zu verankern. Im Folgenden soll dies – in Übereinstimmung mit dem oben formulierten Ziel einer theoretisch und empirisch fundierten Annäherung an die Motive unternehmerischer Verantwortung und den »Business Case for CSR« im Besonderen – nachgeholt werden. Alsdann wird ein Spektrum möglicher Motive unternehmerischer Verantwortung erarbeitet, das als Referenzrahmen für die empirische Analyse der Entwicklung und Stabilisierung der Führerschaft des »Business Case for CSR« dienen kann, im Weiteren jedoch empirisch zu spezifizieren ist. 2.1.2.1 »Vocabularies of Motive«: Bestimmung des Motivbegriffs Für eine begriffliche Annäherung an den Begriff des Motivs können wir uns auf die Ausführungen von C. Wright Mills in seinem viel beachteten Aufsatz »Situated Actions and Vocabularies of Motive« berufen (Mills 1940).6 Mills definiert Motive als 6
Auch heute noch dient Mills’ Aufsatz als Ausgangspunkt von Auseinandersetzungen mit Motiven und Rechtfertigungen, siehe prominent z.B. Boltanski/Thévenot »On justificati-
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»accepted justifications for present, future, or past programs or acts« (Mills 1940: 907). Verstanden als Rechtfertigungen, sind Motive jeweils Antworten auf die Frage des ›Warum‹ hinsichtlich bestimmter – vergangener, aktueller oder zukünftiger – Handlungen (Tilly 2006); mit Blick auf den »Business Case for CSR«: »the ›business case‹ for CSR […] refers to the arguments or rationales supporting or documenting why the business community should accept and advance the CSR ›cause‹« (Carroll/Shabana 2010: 86). Mindestens drei eng miteinander verwobene und für das Vorhaben dieser Arbeit relevante Aspekte sind in diesem Motivbegriff angelegt. Erstens werden Motive als im Austausch von Akteuren abgegebene oder einander zugeschriebene Rechtfertigungen für Handlungen oder Verhaltensweisen beschrieben, womit das grundlegend Soziale von Motiven – ihr »intrinsically social character« – unterstrichen ist (Mills 1940: 907). Weniger als ›in‹ einem Individuum liegende, individualpsychologisch zu erklärende Beweggründe oder (An-)Triebe, werden Motive als sozial bedingt verstanden: »The differing reasons men give for their actions are not themselves without reasons.« (Mills 1940: 906)7 Rechtfertigungen von Handlungen oder deren Interpretation werden folglich durch das in einer bestimmten Situation, d.h. in einem zeitlich begrenzten Rahmen, in einer bestimmten Gruppe von Akteuren und in Bezug auf ein bestimmtes Handeln, akzeptierte und für diese Situation typische ›Vokabular von Motiven‹ bedingt (Mills 1940: 907). Die Artikulation von Motiven ist damit beeinflusst durch das in der Vergangenheit bereits als ›typisch‹ Etablierte sowie in Erwartung dessen, was als legitimes Motiv aufgenommen und deshalb akzeptiert werden wird. Mit dem Verweis auf die ›akzeptierten Rechtfertigungen‹ sieht sich dieser Motivbegriff jeweils eingebettet in bestimmte Situationen und die in ihr als typisch oder legitim erachteten Motivvokabulare. Als in einer spezifischen Situation akzeptiertes Motiv gilt dabei eines, »which is to the actor and to the other members of a situation an unquestioned answer to questions concerning social and lingual conduct« (Mills 1940: 907, ähnlich bei Weber 1972: 13, 17).
on« (2006) oder Tilly »Why?« (2006). Für eine Bestimmung des Motivs, die der von Mills (1940) nahe kommt, siehe auch Max Weber (1972, S. 5). 7
Damit ist nicht abgestritten, dass es so etwas wie individual-psychologische Triebe oder Beweggründe gibt und wir uns ihnen z.B. auf beobachtende oder nachfragende Weise nähern können. Es ist jedoch anzunehmen, dass auch sie immer eine soziale Komponente haben bzw. spätestens in ihrer (sprachlichen) Vermittlung/Interpretation bekommen. Die Betonung des Sozialen von Motiven macht diesen Motivbegriff insbesondere für das Vorhaben dieser Arbeit geeignet, die sich weniger für die ›inneren‹ Motive einzelner Individuen interessiert denn für die von Akteuren kollektiv vorgebrachten und innerhalb spezifischer raum-zeitlicher Kontexte als gültig erachteten Motive unternehmerischer Verantwortung.
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Eng verbunden mit dem Verweis auf das jeweils ›Akzeptierte‹ ist, zweitens, dass Motive eine ermöglichende und begrenzende und damit insgesamt koordinierende Wirkung haben können: »Motives are common grounds for mediated behaviors. […] Vocabularies of motives ordered to different situations stabilize and guide behavior and expectation of the reactions of others.« (Mills 1940: 911, 908) Wenn in einer spezifischen Situation bestimmte Motive akzeptiert sind, so sind diese sowohl glaubhaft und unhinterfragt vermittelbar – »A stable motive is an ultimate in justificatory conversation.« (Mills 1940: 907, eigene Hervorhebung, N.L.) – als auch anschlussfähig, womit sie andere von einer Handlung überzeugen und zum Handeln aktivieren können und/oder die Handlung eines Akteurs stärken können: »It [the accepted motive, N.L.] may win new allies for his act.« (Mills 1940: 907) Akzeptierte Motive haben somit eine integrierende Wirkung (»integrative factor«) (Mills 1940: 908). Nicht dem jeweils akzeptierten Vokabular entsprechende Motive hingegen können weder unhinterfragt vorgebracht werden, noch werden sie anschlussfähig für weitere Akteure sein. Um ›Allianzen‹ für bestimmte Handlungen zu bilden, erscheint es damit zugleich einfacher und erfolgsversprechender, sich auf das bestehende Motivvokabular zu beziehen. Drittens beschreibt Mills, wie durch den Begriff des ›Motivvokabulars‹ angedeutet wird, Motive als Worte – »Motives are words.« (Mills 1940: 906) – und betrachtet sie folglich als vor allem sprachlich vermittelt und analysierbar. Damit richtet sich Mills gegen die Annahme, dass Akteure, die mit ›tatsächlichen‹ alternativen Handlungsmöglichkeiten konfrontiert sind, jeweils die eine oder andere Handlung wählen, je nach den daraus erwarteten Konsequenzen. Diese Annahme, so Mills, sei inadäquat, da alternative soziale Handlungen jeweils in sprachlicher Form auftreten würden, z.B. als Frage die ein Akteur sich selbst stellt oder gestellt bekommt, und zum anderen soziale Akteure ebenso in Erwartung genannter Konsequenzen handeln: »Men discern situations with particular vocabularies, and it is in terms of some delimited vocabulary that they anticipate consequences of conduct. […] Anticipation is a subvocal or overt naming of terminal phases and/or social consequences of conduct. When an individual names consequences, he elicits the behaviors for which the name is a redintegrative cue. In a societal situation, implicit in the names for consequences is the social dimension of motives.« (Mills 1940: 905-906)
Als verbal vorgebrachte oder zugeschriebene Rechtfertigungen werden Motive – und hier schließt sich der Kreis zu ihrem grundlegend sozialen Charakter – nicht als Index für ›im‹ Individuum liegende Beweggründe gewertet, sondern als Ausgangspunkt für Rückschlüsse auf in bestimmten Situationen akzeptierte Motivvokabulare (Mills 1940: 909), was heißt: »The variable is the accepted vocabulary of motives,
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the ultimates of discourse, of each man‘s dominant group about whose opinion he cares.« (Mills 1940: 910) Für die Untersuchung von Motiven kommt es – im Einklang mit dem zuvor dargelegten Begriffsverständnis unternehmerischer Verantwortung – folglich auf die Analyse jeweils für bestimmte situative Kontexte typische, sprachlich geäußerte Motivvokabulare an. Das heißt, es müssen die für eine bestimmte Gruppe von Akteuren, eine bestimmte Handlung und einen bestimmten (raum-zeitlichen) Kontext geltenden »ultimates of discourse« identifiziert werden: »Determination of such groups, their location and character, would enable delimitation and methodological control of assignment of motives for specific acts.« (Mills 1940: 910) Bei der Untersuchung von Motiven für unternehmerische Verantwortung als »particular type of action« (Mills 1940: 913) geht es folglich darum, die in je unterschiedlichen zeitlichen ›Epochen‹ akzeptierten Motivvokabulare in Augenschein zu nehmen, die von den an der Ausgestaltung unternehmerischer Verantwortung beteiligten Akteuren als akzeptiert angenommen werden und damit auch die Artikulation weiterer Motive bestimmen werden. Im Folgenden wird zunächst ein Spektrum möglicher Motive unternehmerischer Verantwortung eröffnet, vor dessen Hintergrund die Führerschaft des »Business Case for CSR« allererst möglich wird, wobei zu beachten ist, dass die Analyse von Motiven jeweils situationsspezifisch erfolgen muss und das im Folgenden Dargestellte demzufolge empirisch zu spezifizieren ist: »The only source for a terminology of motives is the vocabularies of motives actually and usually verbalized by actors in specific situations.« (Mills 1940: 910, eigene Hervorhebung, N.L.) 2.1.2.2 Instrumentelle, relationale und moralische Motive unternehmerischer Verantwortung Zahlreiche Versuche einer konzeptuellen Systematisierung von Motiven unternehmerischer Verantwortung wurden unternommen (Aguilera et al 2007; Garriga/Melé 2004; Lantos 2001; Windsor 2006).8 Häufig wird dabei ein Spektrum von Motiven
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Nicht immer ist dabei explizit von Motiven die Rede, zuweilen wird auch von Perspektiven, Theorien oder Zielen gesprochen und zugleich auf unterschiedliche Grade der Verpflichtung (»required vs. optional«) abgestellt (z.B. Garriga/Melé 2004; van Marrewijk 2003). Motive, Ziele und Verpflichtungsgrade unternehmerischer Verantwortung stehen dabei häufig in enger Verbindung (Garriga/Melé 2004). Beispielsweise ist – wie wir im Folgenden sehen werden – instrumentell motivierte Unternehmensverantwortung mit der Ausrichtung auf unternehmerische Ziele verbunden und stellt die Wahrnehmung der Verantwortung in den Autonomiebereich des Unternehmens, womit Unternehmensverantwortung einen eher optionalen denn verpflichtenden Charakter bekommt.
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eröffnet, bei dem sich strategisch-instrumentelle und ethisch/moralische9 Motive gegenüberstehen und durch weitere, ihnen zwischengeordnete Motive ergänzt werden (Aguilera et al. 2007; Garriga/Melé 2004; Campbell et al. 2002; Lantos 2001; Windsor 2006). Eine klare und häufig rezipierte10 Klassifizierung von Motiven unternehmerischer Verantwortung schlagen Aguilera und Kolleginnen (2007) vor. Sie unterscheiden drei mögliche Motive: moralische, relationale und instrumentelle Motive. Moralische Motive motivieren Unternehmensverantwortung aus moralischen Wertvorstellungen und Überzeugungen und sehen Unternehmen in der (moralischen) Pflicht, sich am sozial Wünschenswerten zu orientieren. Relationale Motive werden immer dort vertreten, wo es darum geht, die Beziehungen des Unternehmens zu seinen Anspruchsgruppen zu stärken und damit die gesellschaftliche Akzeptanz des Unternehmens zu sichern. Instrumentelle Motive schließlich betrachten Unternehmensverantwortung in erster Linie als ein strategisches Mittel und fragen nach dem Nutzen, der sich aus der Wahrnehmung unternehmerischer Verantwortung für das Unternehmen und dessen Eigentümer ergibt. Die von Aguilera und Kollegen (2007) vorgeschlagenen Kategorien sind hilfreich für einen ersten Überblick über die Vielfalt grundsätzlich möglicher Motive unternehmerischer Verantwortung sowie um die ihnen jeweils zugrunde liegende Ratio zu verstehen. Es kann so heuristisch ein Spektrum möglicher Motive – ein Referenzrahmen – eröffnet werden, vor dessen Hintergrund die Untersuchung der Entwicklung und Stabilisierung der Führerschaft des »Business Case for CSR« als spezifisches Motivmuster erfolgen kann. Der Begriff des Motivmusters bezeichnet dabei sich durch eine gemeinsame Ratio sinnhaft miteinander verbindende Gruppen von Motiven (»clusters of motive«) (Mills 1940: 913).11 Weder sind diese Motive bislang jedoch näher spezifiziert noch empirisch fundiert worden. Ersteres soll nun erfolgen, um die empirische Untersuchung von Motiven im deutschen Diskurs unternehmerischer Verantwortung zu orientieren.
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Die Begriffe der Moral und der Ethik werden dabei häufig unreflektiert und synonym verwendet. Diese Arbeit begreift Moral als die Normen über das »Gute und Richtige«, als Institutionen einer Gesellschaft oder Teilen der Gesellschaft (Beauchamp 1988; Kettner 2001). Die Ethik wird im Gegensatz dazu als die Reflektionstheorie der Moral verstanden, als die Moralphilosophie, die sich mit den Begründungen des jeweils als »gut und richtig« Empfundenen beschäftigt (Birnbacher/Hoerster 1976: 9-10).
10 Der Artikel von Aguilera und Kollegen (2007) wurde laut »google.scholar« über 1.500 Mal zitiert (Stand: Juli 2016). 11 Der Begriff des Motivmusters ist dabei von den drei Kategorien von Motiven (instrumentell, relational, moralisch) zu unterscheiden. So ist es beispielsweise denkbar, dass Motivmuster auch Motive verschiedener Kategorien verbinden.
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Moralische Motive unternehmerischer Verantwortung Moral kann grundsätzlich als die Gesamtheit der Normen verstanden werden, die das ›gute‹ und ›richtige‹ Handeln beschreibt (Homann/Lütge 2003: 12). Dabei ist zu beachten, dass es sich hierbei jeweils um die »faktisch herrschenden Normen eines abgegrenzten Kulturkreises« handelt (Steinmann/Löhr 1994: 8, eigene Hervorhebung, N.L.). Moralische Motive richten sich folglich danach, was als »ethically appropriate« begriffen wird (Aguilera et al. 2007: 842), sprich, was innerhalb einer bestimmten Bezugsgruppe, einer »Moralgemeinschaft«, als moralisch angemessen erachtet wird (Kettner 2001: 163-164). Geht es darum, die Fundierung bestimmter Moralvorstellungen zu bestimmen, können die deontologische (Pflichtethik) und die teleologische/konsequentialistische Ethik (Folgenethik) unterschieden werden. Max Weber hat den Begriff der Gesinnungsethik für deontologische und den Begriff der Verantwortungsethik für teleologische Ansätze geprägt (Weber 1992 [1919]) und damit auf den für ihn fundamentalen Unterschied beider Ethiken verwiesen: »Aber es ist ein abgrundtiefer Gegensatz, ob man unter der gesinnungsethischen Maxime handelt ̶ religiös geredet: ›Der Christ tut recht und stellt den Erfolg Gott anheim‹ ̶ oder unter der verantwortungsethischen: daß man für die (voraussehbaren) Folgen seines Handelns aufzukommen hat.« (Weber 1992 [1919]: 56, Hervorhebungen im Original)
Die deontologische Ethik orientiert sich an allgemeinen Grundsätzen und nicht an den Konsequenzen des Handelns. Ausgehend von diesen Theorien der Moral ist etwa auf als universal geltend angenommene Grundsätze, wie dem kategorischen Imperativ der Kant’schen Ethik (Evans/Freeman 1988) oder Rawls’ Begriff der Gerechtigkeit (Phillips 1997; Rawls 1979, 2003), oder auf als allgemeingültig angenommene Werte zu verweisen. Unternehmensverantwortung kann somit etwa unter Verweis auf die Menschenrechte oder Menschenwürde oder ›das Allgemeinwohl‹ als gerechtfertigt erscheinen (Garriga/Melé 2004). Religiöse Gebote oder allgemein gefasste humanistische Ideale sind ebenso hierunter zu fassen wie das Streben nach einer »guten Gesellschaft«, das als moralisches Motiv unternehmerischer Verantwortung angeführt werden kann (Okoye 2009: 614). Orientiert sich unternehmerische Verantwortung an derartigen Grundsätzen, so ist sie – wie der Name deontologisch (deon, griechisch für Pflicht, das Gesollte) ausdrückt – (moralisch) verpflichtend. Die teleologische Ethik hingegen nimmt die Folgen des Handelns in den Blick und unterscheidet jeweils in Abhängigkeit der Konsequenzen ›gutes‹ Handeln von ›schlechtem‹, weshalb sie auch als konsequentialistische Ethik bezeichnet wird.12 12 Die teleologische bzw. konsequentialistische Perspektive dieser Ethik ist nicht mit instrumentellen Motiven zu verwechseln. Sie bewertet die (zu erwartenden) Konsequenzen
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Scheint es aufgrund der Ausrichtung an den Konsequenzen aus dieser Sicht zunächst nicht möglich, ex ante zu bestimmen, was als ›gut‹ oder ›schlecht‹ zu bewerten ist, so zeigt etwa Jonas‘ Verantwortungsprinzip, dass es hier jeweils darum gehen muss, die Folgen des eigenen Handelns unter Berücksichtigung der wahrscheinlichen Folgen abzuschätzen und bei Unsicherheit der Folgen die Handlungen gegebenenfalls zu unterlassen (Jonas 1988). Die konsequentialistische Ethik ist folglich in einem »präventiven Sinn als futuristische Für- und Vorsorge« zu verstehen, die auch die Vermeidung potenzieller Risiken miteinschließt (Heidbrink 2003: 124-126). Unternehmensverantwortung könnte teleologisch etwa aus der Sorge um zukünftige Generationen gerechtfertigt werden, zu deren Schutz ein bestimmtes Tun oder Unterlassen erfolgt.13 Ausgehend von der Akzeptanz des »Prinzip Verantwortung« (Jonas 1988), würde Unternehmensverantwortung durch den Gedanken der Sorge für Umwelt, Mitmenschen und zukünftige Generationen getragen. Moralisch motivierte Unternehmensverantwortung zeigt sich damit in einem Gefühl der Verpflichtung für Dritte, das sich in der Ausrichtung an als allgemein gültig angenommenen Werten sowie in der Abwägung der Konsequenzen des eigenen Handelns auf Dritte ausdrücken kann (Lenk/Maring 2001; Neuhäuser 2011). Dies kann auch unter Inkaufnahme von Nachteilen für die eigene Person gelten, etwa wenn die Unternehmensleitung sich trotz eventueller Gewinneinbußen für hohe Arbeitsstandards entscheidet, weil sie sich dem Wohl ihrer Mitarbeiterinnen verpflichtet fühlt. Ermöglicht wird moralisches Handeln durch die Fähigkeit natürlicher Personen, den ›moralischen Standpunkt‹ einzunehmen und damit mögliche Auswirkungen des eigenen Handelns auf andere in Entscheidungen einzubeziehen und als Handlungskriterium für sich geltend zu machen (Kettner 2001: 152). Neben dieser Fähigkeit des Moralempfindens, welches gesunden Menschen zugesprochen werden kann, wurde eine grundsätzliche Moralfähigkeit auch für Unternehmen als »korporative Akteure« diskutiert und ist heute weitgehend akzeptiert (Neuhäuser 2011; Ortmann 2010; Wieland 2001; French 1992, 1979). Es wird dabei davon ausgegangen, dass von Handlungen als moralisch gut oder schlecht und beurteilt nach diesem Kriterium die Handlungen selbst. Instrumentelle Motive betrachten Handlungen ebenfalls nach den Konsequenzen – jedoch ohne die Handlungen nach moralischen Gesichtspunkten zu bewerten. Im Fall des »Business Case for CSR« ist das leitende Kriterium Profit: unternehmerische Verantwortung wird propagiert, wenn sie rentabel scheint – ob sie moralisch geboten ist, fällt bei diesem instrumentellen Motivmuster nicht ins Gewicht. 13 Ebenso wie die rechtliche kann auch die moralische Verantwortung ein Tun oder Unterlassen, d.h. die Vermeidung von Schädigungen erfordern. Moralisch motivierte Unternehmensverantwortung ist damit nicht nur auf positive Pflichten, sondern auch auf negative, sogenannte Unterlassenspflichten, ausgerichtet. Zur Bedeutung des Unterschieds von Tun und Unterlassen für die Verantwortung siehe Birnbacher (1995b).
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das Unternehmen aufgrund seiner Fähigkeit, eigenständig zu handeln, auch moralisch agieren sowie den moralischen Spielraum der Unternehmensmitglieder erweitern oder begrenzen kann (Lenk/Maring 1992, 2001; Ortmann 2010).14 So können etwa Leitlinien, Verhaltenskodizes, Satzungen, Wertemanagementsysteme oder interne Entscheidungsstrukturen, die unabhängig von einzelnen Unternehmensmitgliedern bestehen, das unternehmerische wie individuelle Handeln in moralische Bahnen lenken und damit das Unternehmen selbst zum moralischen Akteur machen (Wieland 2001; French 1979). Trotz seiner Eigenschaften als nicht-natürliche Person können moralische Verantwortungserwartungen an das Unternehmen aufgrund der angenommenen Moralfähigkeit somit gerechtfertigt sein (Neuhäuser 2011). Das Unternehmen wird aus dieser Perspektive Teil einer moralischen Ordnung und ist, ebenso wie andere Personen, angehalten, zur Aufrechterhaltung derselben beizutragen (Kettner 2001). Die Verletzung der moralischen Verantwortung stellt eine Störung der moralischen Ordnung dar (Jonas 1988; Kettner 2001). Unternehmen, die ihren moralischen Verpflichtungen nicht nachkommen, verhalten sich ausgehend von dieser Perspektive unverantwortlich (Lantos 2001: 606), denn hier geht die moralische Verantwortungsfähigkeit mit der Verpflichtung zu moralisch verantwortlichem Handeln einher (Stoecker 2007: 153, eigene Hervorhebung, N.L.). (Handlungs-) Macht und Verantwortung stehen in einem nicht auflösbaren Verhältnis zueinander (Davis 1960, 1973; Lenk/Maring 2001: 246; Lenk/Maring 1992: 162), was bedeutet, »dass meine Kontrolle darüber zugleich meine Verpflichtung dafür einschließt. Die Ausübung der Macht ohne die Beachtung der Pflicht ist dann ›unverantwortlich‹, das heißt ein Bruch des Treueverhältnisses der Verantwortung« (Jonas 1988: 176, Hervorhebung im Original). Damit kann die moralische Verantwortung weiter gehen als etwa die rechtliche Verantwortung, die in den meisten Rechtssystemen zwingend kausale Macht voraussetzt und deren Verletzung mit Haft- oder Geldstrafen als Bußleistung abgegolten wird (Jonas 1988: 172-174). Ist die moralisch motivierte Verantwortung somit nicht in jedem Fall rechtlich geregelt, so ist sie doch insofern verpflichtend, als dass die Unterordnung unter die bestehende moralische
14 Weitergehend zum Zusammenhang von individueller und korporativer Verantwortungsbzw. Moralfähigkeit siehe auch Aguilera et al. (2007), Ortmann (2010; 2012) und Lenk/Maring (1992, 2001). Ortmann (2010) z.B. geht diesbezüglich von einem »rekursiven Konstitutionsverhältnis« aus (Ortmann 2010: 77). Das heißt, dass sich die Organisationsmoral emergent aus der individuellen Moral der Organisationsmitglieder ergibt, also von ihr bedingt wird, ohne vollends aus ihr erklärt werden zu können (Ortmann 2010: 7278). Die Organisation übt umgekehrt eine »marginale Kontrolle« auf ihre Mitglieder aus und wird damit entweder deren Moral befördern oder begrenzen (Ortmann 2010: 72).
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Ordnung ebenso wenig frei gewählt werden kann wie die Unterordnung unter einen herrschenden Rechtsrahmen (Kettner 2001).15 Relationale Motive unternehmerischer Verantwortung Relationale Motive unternehmerischer Verantwortung sind auf Beziehungen zwischen Akteuren ausgerichtet und streben die positive Gestaltung dieser Beziehungen an. Ziel relational motivierter Verantwortung sind etwa positive, langfristige Beziehungen des Unternehmens zu seinen Anspruchsgruppen oder die gesellschaftliche Akzeptanz des Unternehmens und seines Handelns (Aguilera et al. 2007: 845). Unternehmen verhalten sich folglich verantwortlich, um durch die Herstellung oder Erhaltung von Akzeptanz innerhalb einer für sie relevanten gesellschaftlichen Gruppe ihre »social license to operate« (Livesey 2001: 71) zu erwirken und aufrechtzuerhalten. Grundlegend ist hierbei die Annahme, dass Unternehmen hinsichtlich ihres Fortbestehens auf die gesellschaftliche Akzeptanz ihres Handelns angewiesen sind (Garriga/Melé 2004: 52). Aus relationaler Perspektive wird davon ausgegangen, dass Unternehmen sich an gesellschaftlichen Erwartungen und Forderungen ausrichten müssen, um ihre gesellschaftliche Akzeptanz zu sichern (Aguilera et al. 2007; Moir 2001). Relationale Motive können auf individueller wie auch korporativer Ebene als Streben danach verstanden werden, legitimierter Teil einer Gesellschaft oder Gemeinschaft zu sein, in diese eingebunden zu bleiben und/oder an der Aufrechterhaltung einer Gemeinschaft mitzuwirken (Aguilera et al. 2007: 842-843; Donaldson/Dunfee 2002; Moir 2000). Gesellschaften oder Gemeinschaften werden hier als Netzwerk sozialer Verträge zwischen den Mitgliedern einer Gesellschaft und der Gesellschaft selbst verstanden (Gray et al. 1997). Unternehmensverantwortung wird dann nicht aus der Fürsorge für Dritte begründet, sondern ist Folge spezifischer Erwartungen bestimmter Teile der Gesellschaft an das Unternehmen sowie bestimmter impliziter Vereinbarungen zwischen beiden, sogenannten ›sozialen Verträgen‹ (Donaldson/Dunfee 2002). Dunfee und Donaldson (1999) unterscheiden beispielsweise zwischen makrosozialen Verträgen und mikrosozialen Verträgen. Erstere können etwa für das Vertragsverhältnis zwischen Unternehmen und Branche gelten, Letztere einen relationalen Anreiz zwischen den Mitgliedern des Unternehmens und einzelnen Anspruchsgruppen bieten (Dunfee/Donaldson 1999). Die Wahrnehmung 15 Wobei natürlich beachtet werden muss, dass Unternehmen sich den für sie ›passenden‹ Rechtsrahmen durchaus mitunter wählen oder das Verlassen eines als zu eng empfundenen Rechtsrahmens zumindest in Aussicht stellen, womit auch das Verlassen einer moralischen Ordnung durchaus denkbar ist – jedoch ebenso wie das Verlassen einer rechtlichen Ordnung mit einigem Aufwand verbunden sein wird. Ist man jedoch Teil einer rechtlichen oder moralischen Ordnung, so kann die Befolgung ihrer Regeln nicht oder zumindest nicht straffrei gewählt werden.
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von Verantwortung ist dann jeweils Teil bzw. Folge implizit oder explizit vereinbarter Normen innerhalb bestimmter Gemeinschaften oder Gruppen (Donaldson/Dunfee 2002; Moir 2001: 10), wobei diese Normen durchaus auch rechtlich bestimmt sein können. Das Unternehmen wird innerhalb der relationalen Perspektive folglich nicht als rein private Angelegenheit betrachtet, sondern als ein entscheidender Vertragspartner innerhalb eines Geflechts sozialer Verträge verstanden und ist damit nicht nur zur Erfüllung der Erwartungen seiner Eigentümerinnen verpflichtet, sondern einem weiteren Kreis von Anspruchsgruppen gegenüber verantwortlich. Wahrnehmung der Verantwortung bedeutet in diesem Falle die Ausrichtung des Handelns entlang dieser Erwartungen und Verantwortungsforderungen, wie beispielsweise die Berücksichtigung der Erwartungen der lokalen Gemeinde, in der ein Unternehmen tätig ist. Unverantwortlich hingegen verhält sich ein Unternehmen dieser Ratio folgend immer dann, wenn es gesellschaftlichen oder gemeinschaftlichen Erwartungen nicht nachkommt und damit soziale (und mitunter auch rechtliche) Verträge verletzt. Die einseitige Verletzung als gültig vereinbarter Reziprozitätsnormen kann folglich den Vorwurf der Unverantwortlichkeit rechtfertigen. Der Grundannahme der relationalen Perspektive folgend, geht die Verletzung sozialer Verträge mit einer Schwächung oder dem Verlust der gesellschaftlichen Legitimation, schlimmstenfalls der Aberkennung der »license to operate« einher (Donaldson/Dunfee 2002; Moir 2000). Im Falle explizit und rechtlich verbindlicher Verträge können diese Verletzungen auch juristische Strafen zur Folge haben. Instrumentelle Motive unternehmerischer Verantwortung Als instrumentell werden solche Motive bezeichnet, die die Wahrnehmung unternehmerischer Verantwortung als Instrument zur Steigerung des finanziellen Unternehmensnutzens betrachten. Während auch einige der bisher genannten Motive im weiteren Sinne insofern als instrumentell bezeichnet werden könnten, als dass sie sich auf Handlungen beziehen, mit denen ein bestimmtes Ziel (z.B. gesellschaftliche Akzeptanz) erreicht werden soll, so soll der Begriff des Instrumentellen in der vorliegenden Arbeit allein für die instrumentellen Motive verwendet werden, die sich auf einen unternehmerischen, sich direkt oder indirekt finanziell niederschlagenden Vorteil beziehen – Unternehmensverantwortung folglich als »Business Case« konstruieren. Die so verstandene instrumentelle Perspektive rückt damit das Interesse des Unternehmens bzw. seiner Eigentümer in den Mittelpunkt der Betrachtung (Aguilera et al. 2007: 841-842). Das Unternehmen wird dieser Ratio folgend als reine Privatangelegenheit und Instrument zur Vermögensgenerierung betrachtet (Garriga/Melé 2004: 53-55), weshalb Verantwortung in erster Linie als Verantwortung gegenüber der Anspruchsgruppe der Shareholder verstanden wird (Friedman 1970; Lantos 2001). Unternehmensverantwortung wird dann und nur
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dann als legitime Handlungsmöglichkeit anerkannt, wenn sich daraus ein zumindest potenzieller Nutzen für das Unternehmen ergibt.16 Die Definition des »Business Case« fasst diese Ratio knapp zusammen: Er bezeichnet ein »pitch for investment in a project or initiative that promises to yield a suitably significant return to justify the expenditure« (Carroll/Shabana 2010: 92). Der »Business Case for CSR« bezeichnet entsprechend Positionen, die Unternehmensverantwortung durch einen Gewinn auf Unternehmensseite motivieren und damit im hier gemeinten, engen Sinne instrumenteller Natur sind. Verantwortliches Handeln soll den Unternehmen folglich nicht nur keine Kosten verursachen, sondern es soll sich positiv in der Bilanz niederschlagen. Vertreterinnen dieser Perspektive geht es entsprechend um die Frage, ob und in welcher Höhe dem Unternehmen (finanzielle) Vorteile aus ihren »Verantwortungsinvestitionen« erwachsen. Die Entscheidung für verantwortliches Unternehmenshandeln ist aus dieser Sicht eine Kosten-Nutzen-Kalkulation, keine moralische oder relationale Frage: Übersteigt der finanzielle Nutzen die Kosten für sozial verantwortliches Handeln, so ist ein Engagement gerechtfertigt – andernfalls nicht (Oels 2005: 201). Voraussetzung für verantwortliches Unternehmenshandeln ist damit die Annahme, dass Unternehmen, die sich verantwortlich verhalten, vom Markt in finanzieller Hinsicht entlohnt werden, sich unverantwortlich verhaltende Unternehmen hingegen (finanziell) abgestraft werden (Carroll/Shabana 2010: 101). Stets unter dem übergeordneten Kalkül des finanziellen Nutzens für das Unternehmen wurde über die Jahre eine Vielzahl an Argumenten zum »Business Case« vorgetragen. Alle diese Argumente lassen sich der vorgestellten instrumentellen Grundlogik auf die eine oder andere Weise unterordnen, da ihnen die Mehrung des unternehmerischen Gewinns als Ziel gemein ist. Vier Gruppen von Argumenten werden dabei in den Vordergrund gestellt: (1) Kosten- und Risikoreduktion, (2) Generierung eines Wettbewerbsvorteils, (3) Entwicklung von Reputation und Legitimation sowie (4) die Realisierung sog. »win–win outcomes«, d.h. der Generierung eines synergetischen Vorteils für Gesellschaft und Wirtschaft (siehe zusammenfassend dazu Carroll/Shabana 2010; Kuruzc et al. 2009). Mit Blick auf eine Kosten- und Risikoreduktion wird argumentiert, dass Unternehmen durch die Wahrnehmung unternehmerischer Verantwortung Kosten sparen und/oder Risiken vermeiden (Kurucz et al. 2008: 97). Beispielsweise wird argumentiert, dass der schonende Umgang mit Ressourcen zu geringeren Produktionskosten (Berman et al. 1999: 486) und damit zu potenziell höheren Gewinnen führe oder dass die Wahrnehmung von Verantwortung zur Vermeidung von Reputationsund anderen Marktrisiken führe (Carroll/Shabana 2010: 97). Die Vermeidung von 16 Anzumerken ist hier, dass es sich jeweils um instrumentelle Motive aus ›Sicht‹ der Unternehmen handelt, auch wenn diese Motive von nicht-unternehmerischen Akteuren artikuliert werden.
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(Reputations-)Risiken könne beispielsweise durch die Berücksichtigung von Stakeholder-Interessen erreicht werden (Bowie/Dunfee 2002). Zweitens wird die Beförderung von Wettbewerbsvorteilen durch die Wahrnehmung unternehmerischer Verantwortung in den Vordergrund gestellt (Kurucz et al. 2008: 89) und argumentiert, Unternehmen könnten sich durch die Wahrnehmung unternehmerischer Verantwortung positiv von den Wettbewerbern abheben (Porter/Kramer 2006). Auch die Erschließung neuer Märkte (Hoff 2006; Prahalad/Hammond 2002) oder die Generierung von Wettbewerbsvorteilen innerhalb bestehender Märkte werden unter dieses Argument gefasst (Porter/Kramer 2006). Ein drittes Argument setzt die Wahrnehmung unternehmerischer Verantwortung mit einer gesteigerten Reputation bzw. mit der Vermeidung negativer Reputation in Verbindung. Es wird argumentiert, dass verantwortliche Unternehmen durch Reputationsgewinne beispielsweise Konsumentinnen zu gesteigertem oder andauerndem Konsum motivieren (Doane 2005) oder die Markenbindung erhöhen (Minor/Morgan 2011; Schuler/Cording 2006), was sich positiv für die Shareholder auswirke (Godfrey et al. 2009; Schaltegger/Burritt 2005). Entsprechende Argumente werden unter speziellem Fokus auf die Mitarbeiterinnen des Unternehmens auch mit einem Blick nach ›innen‹ angebracht. Unternehmerische Verantwortung würde sich durch eine gesteigerte Reputation beispielsweise positiv auf das ›Commitment‹ der Mitarbeiterinnen (u.a. Stites/Michael 2011) sowie auf deren Identifikation und Leistung auswirken (Carmeli et al. 2007; Kim et al. 2010). Auf der anderen Seite könnten Reputationsschäden zu hohen Kosten für das Unternehmen führen, zum Beispiel durch Auswirkungen auf die Aktienwerte des Unternehmens, Aufwand für die Wiederherstellung der Reputation oder erhöhte Risikomaßnahmen, um erneute Schädigungen zu vermeiden (Minor/Morgan 2011). Das sog. win-win-paradigm drückt die Absicht aus, Bedarfe der Stakeholder zu erfüllen und gleichzeitig dem Unternehmen die Fortführung der eigenen Tätigkeiten zu ermöglichen (Carroll/Shabana 2010: 100; Banerjee 2008: 61; Levy 2005: 686; Prasad/Elmes 2005: 848; Spence 2007: 869). Unternehmensverantwortung dient hier dem Lösungsversuch des Konflikts zwischen ökonomischen und sozialen/ökologischen Zielsetzungen einerseits und zwischen kurzfristiger und langfristiger Orientierung andererseits. Eine Verbesserung sozialer/ökologischer Probleme soll im Zuge dieser Argumentation ›Hand in Hand‹ mit wirtschaftlichem Wachstum gehen, wird zugleich aber auch davon in Abhängigkeit gestellt (Methmann 2010: 359). Ziel der Vertreterinnen dieses Arguments ist es, zu zeigen, »that corporate social responsibility makes sound economic as well as social, ethical, political and philosophical sense« (Hopkins 2003: 126, eigene Hervorhebung, N.L.; ähnlich Jensen 2002; Porter/Kramer 2011). Allen instrumentellen Motiven ist gemein, dass Unternehmensverantwortung als Mittel zur Erreichung des primären Unternehmensziels, der Maximierung des Shareholder Value, betrachtet wird und dementsprechend strategisch ausgerichtet
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ist. Auch die Verhinderung von Regulierung wird als ein solches Ziel beschrieben (Aguilera et al. 2007: 851). Aufgrund der strengen Ausrichtung am finanziellen Unternehmensvorteil folgen der instrumentellen Perspektive häufig auch Skeptikerinnen unternehmerischer Verantwortung. So lassen sich ihr sowohl Ansätze zuordnen, die eine »enlightened value maximization« fordern (Jensen 2002) und damit unterstreichen, dass Unternehmensverantwortung zum (langfristigen) Shareholder Value beitragen solle, als auch solche Ansätze, die einen Beitrag zum Unternehmensnutzen zur alleinigen und zwingenden Voraussetzung für die Wahrnehmung unternehmerischer Verantwortung machen (z.B. Lantos 2001; Levitt 1958). Grundlegender Mechanismus der ›Regulierung‹ ist hier folglich der Markt, der über finanzielle Anreize ein ausreichendes, das heißt, der jeweiligen ›Nachfrage‹ entsprechendes Maß verantwortlichen Unternehmenshandelns herbeiführen soll. Impliziert wird bei all diesen Argumenten, dass die Mechanismen des Marktes zur Lösung sozialer und ökologischer Probleme führen (Methmann 2010; Livesey 2002a). Ökonomische Anreize, Wettbewerb und Konsumentinnenmacht werden dabei als Disziplinarkräfte gesehen, die unverantwortliches Handeln verdrängen und verantwortliches Handeln befördern. Dieser von Vogel (2005) prominent als »Market for Virtue« bezeichnete Mechanismus ist folglich darauf angewiesen, dass beispielsweise Konsumentinnen oder Investorinnen gewillt und befähigt sind, durch ethische Konsum- oder Investitionsentscheidungen verantwortlich handelnde Unternehmen zu belohnen und unverantwortlich handelnde Unternehmen durch Vermeidung ›abzustrafen‹. Voraussetzungen, die nur in seltenen Fällen gegeben sind, wie Vogel (2005) zeigt, weswegen er den »Market for Virtue« auch als »Nischenmarkt« beschreibt (wir kommen in Kapitel 8.4 auf diese Kritik zurück). Die vorstehende Diskussion zeigt, dass es nicht die moralische, instrumentelle oder relationale Rechtfertigung zu geben scheint, sondern den Kategorien jeweils unterschiedliche Motive zugeordnet werden können. Dabei ist die Unterscheidung der jeweiligen Kategorien nicht vollkommen trennscharf. Innerhalb der instrumentellen Kategorie beispielsweise lassen sich zwar viele der Studien zum Verhältnis von Unternehmensverantwortung und -erfolg zunächst in die von Carroll/Shabana (2010) und Kurucz et al. (2009) vorgeschlagene Untergliederung einzelner Motive einordnen, ihre Zuordnung wird in der Literatur jedoch unterschiedlich vorgenommen. So werden z.B. zuweilen Reputationsaufbau und Risikomanagement zusammengefasst (Heal 2005; Schaltegger/Burritt 2005) und auch die Trennung von Kostenreduktion und Erzielung eines Wettbewerbsvorteils erscheint schwierig (u.a. Porter/van der Linde 1998). Zwischen den unterschiedlichen Kategorien hingegen wird das Streben nach Legitimation Aguilera und Kolleginnen (2007) zufolge dem relationalen Typ zugeordnet, andernorts hingegen im Rahmen der instrumentellen Motive verhandelt (Carroll/Shabana 2010; Kurucz et al. 2008; Okoye 2009; Zadek 2000). Für eine Zuordnung scheint hier die Orientierung von Reputationsfragen am Unterneh-
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mensgewinn (instrumentelles Motiv) sowie der Legitimation an der Erhaltung gesellschaftlicher Akzeptanz (relationales Motiv) dienlich zu sein (McWilliams/Siegel 2001: 120), ist jedoch im empirischen Material weiter zu spezifizieren. Auch ist zu bedenken, dass Akteure auf unterschiedliche Motive zugreifen können, um unternehmerische Verantwortung zu rechtfertigen oder zu fordern. Dennoch sind die von Aguilera und Kolleginnen (2007) vorgeschlagenen und hier weiter spezifizierten Kategorien hilfreich für einen ersten Überblick hinsichtlich möglicher Motivmuster sowie um die Vielfalt ihrer Motive und ihre grundlegende Ratio zu verstehen. Wie unterschiedliche Akteure diese Motivmuster ausgestalten, welchen Stellenwert sie in der Rechtfertigung von unternehmerischer Verantwortung jeweils haben, d.h. welche Motive und Motivmuster jeweils als akzeptiert angenommen werden, auf welche ihrer Motive die Akteure jeweils Bezug nehmen und wie sie sich im Laufe der Zeit entwickeln, ist – wie wir oben gesehen haben – eine empirische Frage und bislang kaum untersucht worden. Um über die Beschreibung von Motiven unternehmerischer Verantwortung durch unterschiedliche Akteure im Zeitverlauf hinauszugehen und den Prozess der Entwicklung und Stabilisierung der Führerschaft des »Business Case for CSR« zu erklären, muss im Folgenden ein theoretischer Rahmen erarbeitet werden, der es erlaubt, konkrete Hinweise für die Beantwortung der Frage zu liefern, warum bestimmte Motive und damit Bedeutungszuschreibungen unternehmerischer Verantwortung führend und möglicherweise stabil werden und damit das zu bestimmten Zeitpunkten, unter bestimmten Akteuren und für eine bestimmte Handlung akzeptierte Motivvokabular ausmachen. Einen solchen theoretischen Analyserahmen gilt es im Folgenden zu erarbeiten.
2.2 E INE T HEORIE
DISKURSIVER
P FADABHÄNGIGKEIT ?
In Kapitel 1 wurde die Vermutung einer stabilen Führerschaft des »Business Case for CSR« im deutschen Diskurs unternehmerischer Verantwortung angestellt. Der Blick auf die aktuelle Entwicklung des Diskurses sowie eine Vorstudie – als erste und noch vage Annäherung an den Diskurs – erhärteten diesen Verdacht. Die Vorstudie wies auf einen sehr spezifischen Verlauf des deutschen Diskurses hin: Ausgehend von den zunächst geäußerten instrumentellen, relationalen und moralischen Motiven schienen sich instrumentelle Motive schrittweise durchzusetzen und schließlich den Diskurs vollends zu dominieren, während andere Motive verdrängt wurden. Der Blick auf die jüngsten Entwicklungen des deutschen und europäischen Diskurses hingegen schien eine Stabilisierung dieser Führerschaft in Deutschland nahezulegen. Beide Beobachtungen – die sich nach und nach durchsetzende Führerschaft sowie deren Stabilisierung – wurden zum Anlass genommen, einen pfadab-
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hängigen Verlauf des deutschen Diskurses unternehmerischer Verantwortung zu vermuten sowie die Untersuchung des deutschen Diskurses mithilfe eines pfadtheoretischen Analyserahmens vorzunehmen. Denn für die Beschreibung derartiger Prozessverläufe wird innerhalb der Sozialwissenschaften vermehrt auf die »Idee des Pfades« (David 2007: 94) zurückgegriffen (Beyer 2005: 5; Vergne/Durand 2010: 736-737) und dabei in jüngerer Zeit auch der Versuch unternommen, sich derartigen Stabilisierungsprozessen auf diskursanalytische wie -theoretische Weise zu nähern (Haussmann 2014; Hess et al. 2010; Koch 2011; Scherrer 2005). Die vorliegende Arbeit wird sich insbesondere dieser diskursiven Fassung der Pfadtheorie bedienen. Mit der vorstehend vorgenommenen Beschreibung unternehmerischer Verantwortung als jeweils kontextabhängiges, stetig emergierendes Ergebnis von Aushandlungen zwischen gesellschaftlichen Akteuren sowie der Bestimmung des Begriffs des Motives als grundlegend soziale Kategorie ist unterstrichen, dass es für ein Verständnis von Begriff und Motiven unternehmerischer Verantwortung auf die Betrachtung des Prozesses ihrer Aushandlung zwischen unterschiedlichen Akteuren ankommt. Geht es um historische17 Prozesse der Aushandlung von Bedeutung, so ist, wie im Laufe dieses Kapitels weiter ausgeführt wird, in erster Linie die Frage nach den Prozessen der gesellschaftlichen Konstruktion von Wirklichkeit (Berger/Luckmann 2004) und deren grundlegend diskursiver Verfasstheit gestellt (Laclau/Mouffe 2014 [1984]). Denn wird auf die Aushandlungsprozesse von Bedeutung abgestellt, so rückt zuvorderst die Sprache als »das wichtigste Zeichensystem der Gesellschaft« ins Zentrum des Interesses (Berger/Luckmann 2004: 39). Neben anderen Zeichensystemen (gestische und mimische zum Beispiel) ist es insbesondere die Sprache, die ›vermittelnd‹, ›übermittelnd‹, ›typisierend‹ und ›objektivierend‹ Verständigung möglich macht und deren Verständnis deshalb für ein »Verständnis der Wirklichkeit der Alltagswelt« entscheidend ist (Berger/Luckmann 2004: 39-42). Betrachten wir diese Wirklichkeit erzeugenden Verständigungsprozesse als miteinander in Beziehung stehende Sequenzen von Artikulationen, so gelangen wir zum Begriff des Diskurses als Sinnformation, die Wirklichkeit gleichsam repräsentiert wie konstituiert (Foucault 1988 [1981]; Laclau/Mouffe 2014 [1985]). Indem (verschriftlichte) »Sprache […] [als] Speicher angehäufter Erfahrung« sich zwischen verschiedenen raumzeitlichen Kontexten zu bewegen und damit auch die aktuelle Situation ihres Entstehens zu transzendieren vermag (Berger/Luckmann 2004: 39-42), ist ihre Analyse, die Diskursanalyse, immer auch eine »genuin historische« (Sarasin 2007: 205; ähnlich 17 Historisch meint dabei nicht unbedingt die Analyse von lange Vergangenem, sondern vielmehr die Betrachtung eines »in Raum und Zeit genau lokalisierten konkreten Fall[s]« (Mayntz 2002: 9), hier »die Rekonstruktion der Serie [von Artikulationen, N.L.] und ihrer diskursiven Regelmäßigkeiten« (Sarasin 2007: 205) des deutschen Diskurses unternehmerischer Verantwortung. Zur zeitlichen Einordnung der Analyse siehe Kapitel 4.
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Landwehr 2009). Ein Verständnis der historischen Aushandlungsprozesse die zur aktuellen Bedeutung – hier Motivation – unternehmerischer Verantwortung geführt haben, soll im Folgenden deshalb durch eine Analyse des (gesellschaftlichen) Diskurses erreicht werden, der Prozess der Stabilisierung der Führerschaft des »Business Case for CSR« sowie die für diesen Prozessverlauf verantwortlichen Mechanismen mithilfe der diskursiven Pfadtheorie erhellt werden. Im Folgenden wird die Pfadtheorie in ihren Grundzügen dargestellt und ein Überblick über erste Annäherungen an »diskursive Pfade« gegeben. Letzterer legt offen, dass bislang weder ein dezidiertes Verständnis des Verlaufs dieser Prozesse, der darin sich entwickelnden Dynamiken und der sich um die Stabilisierung ereignenden diskursiven Aushandlungen erarbeitet, noch die Frage nach dem Warum ihrer Entstehung und Entwicklung beantwortet wurden (2.2.1). Diese Leerstellen sollen mithilfe eines diskursiv-hegemonietheoretischen Rahmens adressiert werden, der eben diese Aushandlungen um Bedeutung in den Blick nimmt und damit ein Weiterdenken diskursiver Pfade erlaubt (2.2.2). 2.2.1 Die »Idee des Pfades« und erste diskursive Annäherungen Unter der »Idee des Pfades«18 (David 2007: 94) hat sich über die Zeit eine Reihe unterschiedlicher theoretischer Auslegungen sowie inhaltlicher Schwerpunkte angesiedelt. Nach den von David (1985) und Arthur (1989) geprägten frühen Konzeptualisierungen technologischer Prozesse (siehe auch Arthur 1990; Cowan 1990) wurde das Konzept der Pfadabhängigkeit auch für institutionelle (Mahoney 2001; North 1990, 1994; Thelen 1999, 2003) und politische Prozesse nutzbar gemacht (Collier/Collier 1991; Pierson 2000a, 2000b) und erweist sich in jüngerer Zeit auch auf organisationaler Ebene als fruchtbar (Blagoev 2015; Erfurt-Sandhu 2014; Schreyögg et al. 2011; Schreyögg et al. 2003; Sydow et al. 2009; Holtmann 2008). Innerhalb dieser Entwicklung wurde ausgehend von den vornehmlich technologisch-ökonomischen Begründungen für Persistenzen zunehmend der Blick auch auf »soziale Prozesse« der Stabilisierung gerichtet (Schreyögg/Sydow 2011: 326) und damit vermehrt auf kognitive, normative und diskursive Stabilisierungsdynamiken gelenkt (u.a. Haussmann 2014; Koch 2011; Prahalad/Bettis 1986; Tripsas/Gavetti 2000).19 18 Während häufig von der Pfadtheorie gesprochen wird (u.a. Beyer 2010; Sydow et al. 2009), spricht David selbst explizit vom »Konzept der Pfadtheorie« (z.B. David 2007: 92; persönliche Kommunikation). Kay diskutiert die Frage nach dem Theoriecharakter näher und spricht letztlich auch von einem »organizing concept which can be used to label a certain type of temporal processes« (Kay 2005: 554, eigene Hervorhebung, N.L.). 19 Hier ist damit vor allem eine Unterscheidung in Prozesse, die letztlich ökonomischmonetär motiviert sind, und solchen, die sich aus der sozialen Interaktion von Akteuren
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Hat die Vielzahl unterschiedlicher Anwendungen auch zu einer relativ breiten Auslegung des Konzeptes geführt – wobei zuweilen beklagt wird, dass »the predominant usage [of the concept, N.L.] is more metaphorical than theoretical in nature« (Sydow et al. 2009: 9; ähnlich David 2007: 92; Page 2006: 87-88; Vergne/Durand 2010: 737) – so eint die sich innerhalb eines pfadtheoretischen Rahmens positionierenden Arbeiten doch ein grundlegendes Interesse an Prozessen der Selektion und Stabilisierung bestimmter Muster. Grundlegendes Element der Erklärung sind sogenannte positive Feedback-Mechanismen, die aufgrund ihrer Bedeutung für das Konzept der Pfadabhängigkeit auch als dessen »Herz« beschrieben werden (Dobusch/Schüßler 2012: 816, 638; ähnlich Koch 2008: 61; Pierson 2004: 21; Sydow et al. 2009: 698)20 und Erklärungen dafür erlauben, warum bestimmte Muster sich durchsetzen und stabilisiert, andere hingegen marginalisiert werden. Im Folgenden sollen über die modellhafte Betrachtung eines pfadabhängigen Prozesses dessen Kernelemente dargestellt werden (2.2.1.1), um dann erste diskurstheoretische Konzeptualisierungen pfadabhängiger Prozesse zu diskutieren (2.2.1.2). 2.2.1.1 Kernelemente pfadabhängiger Prozesse Allgemein formuliert lautet die zentrale Aussage der Pfadtheorie, dass historisch kontingente Ereignisse einen Prozess in Gang setzen können, der aufgrund einer selbstverstärkenden Dynamik zur Selektion und Stabilisierung eines bestimmten Musters und damit letztlich in eine Lock-in-Situation mit stark eingeschränktem Handlungsspielraum führt (Dobusch/Schüßler 2012; Vergne/Durand 2011). Aus Kontingenz – der bloßen Möglichkeit – wird im Verlauf dieses Prozesses Notwendigkeit (Ortmann 2009). Zur spezifischen Beschreibung eines pfadabhängigen Prozesses hat insbesondere Arthur (1989) vier konstituierende Elemente genannt: Pfadabhängige Prozesse seien gekennzeichnet durch die Unbestimmbarkeit ihres Ausgangs (»non-predictability«), eine grundsätzliche initiale Offenheit des Prozesses, dessen Verlauf sich im weiteren Fortgang prozessendogen ergibt (»nonergodicity«), eine im Prozessverlauf progressiv zunehmende Inflexibilität (»inflexibility«) sowie die »potenzielle Ineffizienz« des sich letztlich einstellenden Prozessergeben, gemeint, auch wenn die Unterscheidung »sozialer« und »technologischökonomischer« Prozesse vor dem Hintergrund der grundsätzlich sozialen Verfasstheit von Märkten (siehe etwa Fliegstein 2009) unklar erscheint. 20 Häufig wird kein Unterschied zwischen positiven Feedback-Mechanismen und selbstverstärkenden Mechanismen gemacht (Pierson 2004; Sydow et al. 2009), es scheint sich jedoch eine Deutung durchzusetzen, die positive Feedback-Mechanismen als übergeordnete Kategorie betrachtet und die selbstverstärkenden Mechanismen diesen unterordnet (Dobusch/Schüßler 2012: 618; Page 2006: 88). Page möchte sowohl positives Feedback und Selbstverstärkung als auch »increasing returns« voneinander unterschieden wissen (Page 2006: 88).
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verlaufs (»potential inefficiency«) (Arthur 1989: 116-117). Gehen diese vier Eigenschaften bereits von einem sich zunehmend unflexibel gestaltenden Prozess aus, so haben vor allem Sydow et al. (2009) den Verlauf eines »pfadabhängigen Prozesses« anhand eines dreistufigen Modells präzise gefasst (siehe Abbildung 3). Ausgehend von den vorstehend beschriebenen Eigenschaften werden die aufeinander folgenden Phasen durch unterschiedliche »Regimes« geleitet (Sydow et al. 2009: 690). Abbildung 3: Die drei Phasen des »Berliner Modells« der Pfadabhängigkeit
(Quelle: Sydow et al. 2009: 692)
Die erste Phase des Prozesses – die »Präformationsphase« – ist durch ihre grundlegende Offenheit gekennzeichnet (Sydow et al. 2009: 691; diese Phase ist in Abbildung 3 mit I gekennzeichnet). Zu Beginn ist der Prozess in seinem Verlauf damit unbestimmt, sein Ausgang nicht vorhersagbar (Mahoney 2000: 511; Sydow et al. 2009: 691). Entscheidungen innerhalb dieser Phase können in ihrer Wirkung nicht bestimmt werden, zwar sind sie durch vergangene Entscheidungen und Ereignisse beeinflusst, nicht jedoch determiniert (David 1997: 13-14; Schreyögg et al. 2011: 323). Der Prozessverlauf ist noch durch eine grundlegende Kontingenz, ein jeweils »Auch-anders-möglich-Sein« gekennzeichnet (Ortmann 1995: 61). Der Beginn einer zweiten Phase – der »Formationsphase« – wird eingeleitet durch ein »critical juncture« (Collier/Collier 1991), d.h. ein mehr oder weniger bewusstes (David 2007: 94), mehr oder weniger wichtig erscheinendes (Arthur 1989: 116), mehr oder weniger lang andauerndes (Collier/Collier 1991: 27) Ereignis oder Ensemble von Ereignissen, womit zugleich ein neues Regime, das der sogenannten »selbstverstärkenden Prozesse«, in Gang gesetzt wird (Sydow et al: 2009: 681, die Formationsphase ist in Abbildung 3 mit II gekennzeichnet). Die anfängliche Offenheit des Prozesses verringert sich in dieser Phase zunehmend, das einmal in Gang
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gesetzte Muster wird prozessbestimmend und alternative Verläufe werden unwahrscheinlicher (Vergne/Durand 2011: 371). »Initial steps in a particular direction induce further movement in the same direction such that over time it becomes difficult or impossible to reverse [the] direction.« (Mahoney 2000: 512; ähnlich Schreyögg et al. 2011: 324) Der Prozess verengt sich, bestimmte Alternativen werden reproduziert und letztlich stabilisiert, andere zunehmend ausgeschlossen. Unterschiedliche selbstverstärkende Mechanismen21 können hier wirken, wobei sie formal einem Muster folgen, das beschrieben werden kann »as an increase in the likelihood of an action happening at t1, if the same action has been conducted by the same (or other) actors at t0« (Dobusch/Schüßler 2012: 618). Vier Gruppen selbstverstärkender Mechanismen werden unterschieden: Koordinationseffekte, Komplementaritäten, adaptive Erwartungen sowie Lerneffekte (siehe u.a. Koch 2008, 2011; Schreyögg/Sydow 2011; Beyer 2010; Sydow et al. 2009, Schreyögg et al. 2003). Komplementaritätseffekte treten dann in Erscheinung, wenn zwei Elemente – z.B. Produkte (Besen/Farrell 1994; Katz/Shapiro 1998), Institutionen (Campbell 2011; Hall/Soskice 2000; Kang/Moon 2012) oder Strategien (Blagoev 2015) – sich derart in Interdependenz zueinander entwickeln, dass eine Veränderung des einen zu einer Veränderung des anderen Elements führt. Entscheidend für die Bestimmung von Komplementaritätseffekten als selbstverstärkend ist, dass der Nutzen aus der aufrechterhaltenen Komplementarität jeweils den Wert beider Elemente steigert und über die Zeit mehr als die Summe beider Teile ergibt, somit ein ›Plus‹ generiert
21 Aufgrund seiner zwar häufigen, meist aber ungenauen Verwendung wird immer wieder die Bedeutung eines präziseren Umgangs mit dem Begriff des »Mechanismus« hervorgehoben (u.a. Beyer 2005: 6; Bunge 2004: 182-283; Mayntz 2004: 238-239; Pajunen 2008: 1449; Sydow et al. 2009: 698). Mechanismen sollen hier als »recurrent processes taking place in time [and] linking specific initial conditions and a specific outcome« verstanden werden (Mayntz 2004: 241, 242; ähnlich Hedström/Ylikoski 2010; Hedström/Swedberg 1996). Entscheidendes Merkmal von Mechanismen sowie Abgrenzungskriterium zum Beispiel zu Korrelationen oder Kovariationen ist dabei, dass Mechanismen nicht nur eine Anfangsbedingung mit einem Ergebnis in Beziehung setzen, sondern auch beschreiben, »by what intermediate steps, a certain outcome follows from a set of initial conditions« (Mayntz 2004: 241; eigene Hervorhebung, N.L.; ähnlich Bunge 2004: 183-184; Hedberg/Swedström 1996: 286, 288-289). Im Gegensatz zu linearen Mechanismen, die als »causal chains in which one element after the other is activated, as in a wave rippling through a lake or a chain reaction involving each component only once« beschrieben werden können (Mayntz 2004: 242; siehe auch Mahoney 2000, 2001), folgen positive Feedback-Mechanismen einem nicht-linearen Verlauf.
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(Schreyögg/Sydow 2011: 234).22 Implikation eines solchen Prozesses ist, dass die Beibehaltung der komplementären Beziehung mit anwachsendem Nutzen immer wahrscheinlicher und das Zurückgreifen auf andere Kombinationen, d.h. die Auflösung der Interdependenz der Elemente, immer weniger wahrscheinlich wird (Sydow et al. 2009: 699). Von Koordinationseffekten wird gesprochen, wenn die Abstimmung zweier oder mehr Elemente zur Einsparung von Ressourcen oder verbesserten Prozessabläufen führt und sich der Satz der Einsparung über die Zeit erhöht. So kann z.B. die Standardisierung von Prozessen, routinebasiertes Handeln oder die Vereinbarung von Regeln zur Einsparung von Zeit, Arbeitsmitteln oder Personal zu Effizienzsteigerungen führen. Koordinationseffekte basieren folglich auf dem Nutzen aus kollektiver Regelbefolgung (North 1990). Je mehr Menschen einer bestimmten Regel folgen, desto attraktiver ist es, sich dieser Regel ebenfalls zu beugen (Sydow et al. 2009: 699) und umso schwieriger wird es, sich ihr zu widersetzen oder abweichende Regeln einzuführen. Lerneffekte können sich ergeben, wenn bestimmte Tätigkeiten oder Abläufe stetig wiederholt und so durch Übung und Erfahrung sowohl schneller als auch fehlerfreier ausgeführt werden können, womit ein Umlernen immer aufwendiger, die Beibehaltung des Gelernten hingegen vorteilhaft erscheint. Einmal eingeschlagene ›Lernpfade‹ können dabei eine Erweiterung auf neue Wissensgebiete erschweren oder gänzlich verhindern (Cohen/Levinthal 1990). Aufgrund positiver Lernerfahrung und der mit einem Neu-Lernen verbundenen Kosten erscheint ein Abweichen von gelernten Abläufen unattraktiv, wie schon Paul David eindrücklich am Beispiel der Schreibmaschinentastatur QWERTY gezeigt hat (David 1985). Adaptive Erwartungen beruhen auf dem Mechanismus der interaktiven und dynamischen Bildung von Präferenzen (Sydow et al. 2009: 700). Ausschlaggebend für die eigene Präferenz wird hierbei jeweils die Ausbildung einer bestimmten Präferenz in einer relevanten Gruppe von Akteuren. Das Objekt dieser Präferenz kann dabei z.B. die Verbreitung einer bestimmten Technologie (David 1985), (Management-)Mode (Abrahamson 1996; Kieser 1996, 1997; Prasad/Prasad 2011), ›best practice‹ (Szulanski 1996) oder einer Form der Corporate Governance sein (Bebchuk/Roe 1999; Fiss/Zajac 2004). Mit der Übernahme einer bestimmten Alternative durch immer mehr Akteure steigt der Druck auf weitere Akteure, sich derselben Alternative anzuschließen. Bei ausreichender Verbreitung kann der Wunsch, »dazuzugehören«, die eigene Präferenz als Entscheidungskriterium ablösen (Abrahamson/Fairchild 1999: 731-732). Die Bildung der Präferenzen wird abhängig vom 22 Diese Verwendung des Begriffs der Komplementarität stellt nicht die einzige, doch aber die im Rahmen pfadtheoretischer Arbeiten verbreitete Verwendung dar (zu weiteren Interpretationen und einer ausführlichen Diskussion siehe Crouch et al. 2005; Crouch 2010; Jackson/Ni 2013).
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Verlauf des Verbreitungsprozesses, sie entwickelt sich damit prozessendogen. Für die Beteiligungs- oder Kaufentscheidung ist nun vor allem wichtig, »to end up on the winner’s side« (Schreyögg et al. 2011: 325), weniger die individuelle Vorliebe oder der eigene Bedarf: »Besser ist aber doch immer, ein Narr in der Mode als ein Narr außer der Mode zu sein« (Kant (1798, § 68), zitiert in Esposito 2004: 14). Diese selbstverstärkenden Mechanismen können in einer weiteren Begrenzung des Prozesses münden, dem sogenannten »Lock-in«, welches die dritte Phase des pfadabhängigen Prozesses beschreibt (Sydow et al. 2009: 692, die sogenannte »Lock-in-Phase« ist in Abbildung 3 mit III gekennzeichnet). Das »Lock-in« kann als Begrenzung oder Determinierung (Schreyögg et al. 2011: 325), als Unmöglichkeit des Abweichens von einem bestimmten Status (Beyer 2010: 1-2), einem institutionellen Muster (Mahoney 2001: 114) oder einer Strategie (Koch 2008: 56), als Unumkehrbarkeit (David 1985: 336), Verriegelung (Ortmann 1995: 162) oder Inflexibilität (Sydow et al. 2009: 692) beschrieben werden. Im Laufe des Prozesses hat sich damit eine Verengung von Optionen ergeben, die ein freies und flexibles Um-entscheiden oder Anders-Handeln schwierig gestaltet. Aufgrund dieser Inflexibilität kann sich der Prozess vor dem Hintergrund eines Wandels der Umwelt (auch als »rationality shift« bezeichnet) als »potenziell ineffizient« erweisen (Arthur 1989: 116). Akteure werden in dieser Phase als handlungsunfähig beschrieben, sie sind nicht mehr in der Lage, ihre Situation flexibel zu verändern. Die Unveränderlichkeit im »Lock-in« kann dabei zuweilen eine solche Macht entwickeln, dass nicht nur die aktuellen Akteure daran gebunden sind, sondern auch neu eintretende zur Adaption gezwungen werden (Schreyögg/Sydow 2011: 325). Im Zuge der Anwendung der Pfadtheorie auf institutionelle und organisationale Prozesse wurden die Annahme der Persistenz (Martin/Sunley 2006: 405-407; ähnlich Beyer 2005: 9; Beyer/Wieghols 2001: 365) sowie das Kriterium der Ineffizienz (Clark/Rowlinson 2004: 340; Beyer 2005: 10; Ebbinghaus 2005: 10; Scherrer 2005: 7; Vergne/Durand 2010) als zu deterministisch kritisiert und infolgedessen gelockert (Beyer 2005, 2010; Schreyögg/Sydow 2011: 325; Sydow et al. 2009: 694; Koch 2011: 338). In Bezug auf die Rigidität des Lock-in spricht Beyer etwa von einer »Gefahr des impliziten Konservatismus« und meint damit die »systematische Nichterfassung des Unvorhersehbaren« (Beyer 2005: 6). Gerade aufgrund der Kontingenz sozialer Phänomene (Mayntz 2002: 22) seien extreme Formen des Lock-in unwahrscheinlich und dessen Restriktivität deshalb zumindest teilweise zu lockern (Sydow et al. 2009: 695; Schreyögg/Sydow 2011: 325, in Abbildung 3 durch den grauen Schleier beschrieben). Auch die konstitutive Rolle der (potenziellen) Ineffizienz, aus der gerade die frühen Arbeiten zur Pfadabhängigkeit ihre Radikalität schöpften und der infolgedessen großer Stellenwert zukam (David 1985), wurde im Zuge der Entwicklung des Konzepts infrage gestellt (Beyer 2005, 2010, Vergne/Durand 2011). Dabei wurde insbesondere betont, dass das Kriterium der ökonomischen Effizienz gerade
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unter Bezug auf soziale Akteure nur eine untergeordnete Rolle spiele: »Aufgrund der Wirkung von Macht, Normen und Werten, Traditionen, unvollständigen Rationalitäten oder Funktionslogiken« müsse davon ausgegangen werden, dass »Effizienz kein Orientierungsmaßstab für die handelnden Akteure« sei (Beyer 2005: 10). Auch sei die Bewertung von Effizienz jeweils interessengeleitet und abhängig vom Kontext (Scherrer 2005: 7; ähnlich Ortmann 1995: 260; ausführlich Oberschall/Leifer 1986), sodass sich letztlich unterschiedliche Wahrnehmungen der Effizienz oder Ineffizienz eines Prozesses ergeben können. Nicht zuletzt, so wird argumentiert, werde mit einem zu starren Beharren auf diesem Kriterium die von der Pfadtheorie angezweifelte neoklassische Effizienzannahme in veränderter Weise wieder eingeführt, sodass diese in ihrer Kritik letztlich »ins Leere« laufe (Beyer 2005: 10; ebenso Clark/Rowlinson 2004: 340-341). Durch eine Verabschiedung vom Fokus auf den problematischen Charakter dieser Prozessverläufe verlöre die Pfadtheorie jedoch ihren besonderen Erklärungsanspruch. Als ein Weg, die Problematik pfadabhängiger Prozesse im Blick zu behalten, das Problembewusstsein über (In-)Effizienzfragen jedoch hinausgehen zu lassen, wurde auch von potenziellen Kosten pfadabhängiger Entwicklungen gesprochen (so z.B. Erfurt-Sandhu 2014), womit der Fokus jedoch noch immer auf dem Ökonomischem liegt. Um nicht nur finanzielle Kosten anzusprechen, sondern ebenso gesellschaftliche Auswirkungen zu berücksichtigen, soll in dieser Arbeit von potenzieller Problematik die Rede sein. Zusammenfassend beschreibt das Konzept der Pfadabhängigkeit über die vor allem von Schreyögg et al. (2003, 2011) und Sydow et al. (2009) spezifizierten Phasen einen Prozess zunehmender Begrenzung und Stabilisierung. Ausgehend von einer Situation der Offenheit wird dabei, angestoßen durch ein ›critical juncture‹, ein sich selbstverstärkender Prozess in Gang gesetzt, der in fortlaufend-rekursiver Weise zur Selektion eines bestimmte Muster führt und sich mehr und mehr verfestigt. Um uns derartigen Prozessverläufen auch im Hinblick auf die Verfestigung von Bedeutung – hier der Motive unternehmerischer Verantwortung – zu nähern, wenden wir uns nun einem noch im Entstehen begriffenen Bereich pfadtheoretischer Anwendungen zu, den »diskursiven Pfaden«. 2.2.1.2 Diskursive Erweiterungen der Pfadtheorie In der vorstehend skizzierten pfadtheoretischen Diskussion, insbesondere institutioneller wie organisationaler Fassung, wurde immer wieder der Ruf nach einem Verständnis pfadabhängiger Prozesse als »soziale Prozesse« laut (Schreyögg/Sydow 2010; Sydow et al. 2009; ähnlich Beyer 2005, 2010), um Stabilisierungsdynamiken auch über technologische oder ökonomische Begründungen hinaus greifen zu können. Wurde innerhalb institutioneller Betrachtungen pfadabhängiger Prozesse schon des Längeren auf ein Verständnis sozialer Prozesse abgestellt und dabei Stabilisierung unter anderem als Ergebnis kollektiver politischer Aktivitäten und Macht-
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asymmetrien (Pierson 2000), ideologisch beeinflusster Normen und Regelsysteme (North 1990) oder »shared mental models« (Denzau/North 1994) gefasst, so hat insbesondere die »Berliner Schule« organisationaler Pfadabhängigkeit die Frage nach Stabilisierungsmechanismen außerhalb des Technisch-Ökonomischen erneut aufgeworfen und vorangetrieben (Koch 2008, 2011; Schreyögg et al. 2003; 2010; Sydow et al. 2009) und dabei den Versuch unternommen, pfadabhängige Prozesse insgesamt als sozial konstituiert zu denken (Schreyögg et al. 2010; Sydow et al. 2009). Wesentlich für diese Entwicklung sind unter anderem jene Arbeiten, die pfadabhängige Prozesse diskursanalytisch bzw. -theoretisch zu fassen suchen (Haussmann 2014; Hess et al. 2010; Koch 2011; Scherrer 2005) und sich damit nicht nur explizit mit der (sprachlichen) Interaktion sozialer Akteure befassen, sondern Wirklichkeit grundsätzlich als ›sozial konstruiert‹ begreifen. Im Einklang mit anderen durch den ›linguistic turn‹ motivierten Arbeiten gehen diese, sich noch ›in den Kinderschuhen‹ befindlichen, diskursiven Annäherungen an die Pfadtheorie folglich davon aus, dass gesellschaftliche Wirklichkeit gleichfalls durch Diskurse repräsentiert wie konstituiert ist und wir uns einem Verständnis dieser Wirklichkeit und den darin stattfindenden Prozessen sinnvoll über eine Analyse von Diskursen nähern können. Beispielsweise seien Entscheidungs- und Handlungsprozesse wesentlich durch interpretative Schemata (Denzau/North1994; Prahalad/Bettis 1986; Tripsas/Gavetti 2000), Narrative (Doolin 2003; Dunford/Jones 2000; Geiger/Antonacopoulou 2009) und Diskurse (Maguire/Hardy 2009; Phillips et al. 2004; Prasad/Prasad 2011) beeinflusst. Mit Blick auf pfadabhängige Prozesse argumentieren beispielsweise Hess und Kolleginnen, dass von Diskursen ebenso wie von Technologien eine restringierende Kraft ausgehen könnte, die in der Lage sei, (politische) Entscheidungsprozesse zu begrenzen, weshalb ihnen im Rahmen der Analyse pfadabhängiger Prozesse besondere Aufmerksamkeit zukommen sollte (Hess et al. 2010: 197; ähnlich Koch 2008: 343). Pfadabhängigkeit wird innerhalb dieser Arbeiten jeweils verstanden als ein Prozess, der in ein »hegemoniale[s] Gleichgewicht« bzw. ein »konträre Weltdeutungen und alternativ denkende Akteure« ausschließendes »Lock-in« (Haussmann 2014: 72) mündet, sowie als »the prevalence of certain speakers and storylines« bzw. als »persisting dominant discourse« (Hess et al. 2010: 204, 210). Der derart etablierte und stabilisierte Diskurs würde, so Hess und Kolleginnen (2010: 204), bestimmte Möglichkeiten des Sprechens, Denkens und Handelns ausschließen und damit zu einem »shortage of acceptable statements about reality« führen. Wird hier also bereits auf Begriffe wie ›Hegemonie‹, ›Vorherrschaft‹, ›Dominanz‹ oder ›Persistenz‹ verwiesen, so entwickeln diese Arbeiten jedoch kein Verständnis davon, wie etwa Vorherrschaft und Persistenz zueinander in Beziehung stehen und wie damit die besondere Qualität des Lock-ins pfadtheoretischer Ansätze diskurstheoretisch gefasst werden kann.
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Weitgehend unklar ist zudem, wie es zur Etablierung eines derart begrenzten und damit auch weitere Artikulationen begrenzenden Diskurses kommt. Während Hess und Kolleginnen (2010) sich im Rahmen ihrer empirischen Studie vor allem darauf konzentrieren, die Vorherrschaft von »Storylines« und Akteuren zu zeigen, stellen sie abschließend hinsichtlich des zu diesem Status führenden Prozesses (selbst)kritisch fest, dass bislang offen geblieben sei, »how self-reinforcing feedback processes develop in […] discourses«, d.h. wie dabei »individual discursive elements (such as storylines) become increasingly powerful over time until they eventually dominate the whole discussion on the issue« bzw. wie sich daraus letztlich eine »Konvergenz« der Aussagen unterschiedlicher Akteure ergebe (Hess et al. 2010: 210, 212). Auch Haussmann (2014), der sich in seiner Arbeit vornehmlich dem »Pfadbruch im Diskurs« widmet, entwickelt zwar ein »Modell diskursiver Pfadkonstitution«, lässt hinsichtlich der Bestimmung eines pfadspezifischen Verlaufs diskursiver Prozesse jedoch einige Fragen unbeantwortet. Unter Rückgriff auf die Arbeiten von Foucault sowie deren pragmatische Umsetzung durch Fairclough konzeptualisiert er die Entstehung von Pfaden als »einen stetigen Kreislauf, ein[] Wechselspiel zwischen aktiv vollzogener diskursiver Praxis und der durch sie fortgesetzt erschaffenen und sie gleichzeitig ›rahmenden‹ Strukturen des Wissens, der Macht und der Herrschaft« (Haussmann 2014: 68). Dabei würden im Zuge dieses mit Fairclough als »Naturalisierung« bzw. »Normalisierung« gefassten Prozesses privilegierte Strukturen und (Subjekt-)Positionen des Wissens und der Herrschaft entstehen, wodurch einige in Kohärenz zu diesen Positionen stehende Diskurse leichter zu artikulieren seien, während die Artikulation anderer, sich außerhalb dieser Ordnung befindlicher Sinnzuschreibungen es zunehmend schwerer hätten, sich zu etablieren (Haussmann 2014: 70). Letztlich bliebe durch diese »sich kreis(lauf)förmig vollziehende reziproke Konstitution der Dualität aus Diskurs und Struktur immer weniger Platz für alternative Deutungen, Sinnzuschreibungen und Positionierungen von Subjekten beziehungsweise eine anders geartete und andere Sinnzuschreibungen und Subjektpositionierungen überhaupt zulassende diskursive Praxis« (Haussmann 2014: 7071).
Haussmann leistet damit einen wesentlichen Beitrag zum Verständnis pfadabhängiger Prozesse. Bedingt durch den Schwerpunkt seiner Arbeit auf dem Pfadbruch lässt er – ebenso wie andere Annäherungen an diskursive Pfadprozesse – entscheidende Aspekte der Pfadkonstitution jedoch unberücksichtigt. Zum einen wird innerhalb dieser ersten diskurstheoretischen Pfadarbeiten nicht in den Blick genommen, wie diskursiv gestaltete Prozesse der Stabilisierung initiiert werden. Zwar verweist Haussmann (2014: 70-71) darauf, dass ein entsprechender pfadkonstituierender »Kreislauf« erst einsetzen könne, »wenn verschiedene
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Gruppen von Individuen und Organisationen […] fortlaufend eine hinreichend große Zahl an thematisch mehr oder weniger eng miteinander verbundenen Sprechakten, das heißt Texten, produzieren« und diese sich zunehmend aufeinander beziehen würden. Wie derartige Entwicklungen jedoch in Gang gesetzt werden und warum bestimmte Sinnformationen bevorzugt, andere hingegen vernachlässigt werden, bleibt offen. Zum anderen wurde bislang weder untersucht, wie die von Haussmann angesprochenen »diskursiven Kämpfe« innerhalb dieser Prozesse ausgetragen werden und es dabei zur fortgesetzten Entwicklung des Diskurses in eine bestimmte Richtung kommt, noch wie innerhalb dieses »Kampfes« eventuell widerständige Akteure in die ›privilegierten‹ Strukturen eingebunden werden und warum es Letzteren ›immer schwerer fällt‹, sich anderweitig zu artikulieren. Zwar erscheint mit den Begriffen der »Normalisierung« und »Naturalisierung« die grundsätzliche Dynamik eines pfadabhängigen Diskurses eingängig beschrieben. Das dabei angedeutete »diskursive[] Kampfesgeschehen« (Haussmann 2014: 72) und damit der eigentliche Vorgang diskursiver Prozesse der Aushandlung bleibt hierbei jedoch – nicht zuletzt auch durch die schon bei Fairclough nur unbefriedigend bestimmten Begrifflichkeiten (siehe etwa Fairclough 2010: 30-37, 44, 62-67) – unbestimmt. Offen bleibt damit, wie Akteure für die sich etablierenden Strukturen gewonnen werden und letztere dabei einen derartigen Zwang entwickeln, dass selbst neu hinzukommende Akteure sich diesem fügen müssen (Sydow et al. 2009: 692). Nicht zuletzt bleibt hinsichtlich eines als »Normalisierung« bzw. »Naturalisierung« beschriebenen Prozesses der Diskursstrukturierung der Erklärungsanspruch diskursiver Pfadkonstitution undeutlich. Denn während eine grundsätzliche Bedeutungsvereinbarung notwendige Voraussetzung für die Verständigung zwischen Akteuren und damit ein alltäglich stattfindender Prozess ist, kommt der Verfestigung im Rahmen pfadabhängiger Prozesse aufgrund ihres zwingenden Charakters sowie ihrer potenziell problematischen Effekte eine besondere Stellung zu. Um das Spezifische eines Prozesses der Pfadentwicklung, seine zunehmende Stabilisierung, die sich letztlich auch gegen den Willen der Akteure erhält, herauszuarbeiten, kommt es damit umso mehr darauf an, die diskursiven Kämpfe innerhalb dieser Prozesses genauer zu betrachten und davon ausgehend eine Unterscheidung in alltägliche und – im Sinne der Pfadtheorie zu beschreibende – potenziell problematische Entwicklungen zu ermöglichen. Scherrer (2005), der sich dem Thema der Pfadabhängigkeit ebenfalls aus diskurstheoretischer Perspektive nähert, sieht den Verlauf pfadabhängiger Prozesse deshalb vor allem als eine Mischung aus strukturellem Zwang und aktiver Überzeugung (Scherrer 2005: 2) und schlägt für eine Annäherung an derartige Verhandlungsprozesse die Diskurstheorie von Laclau und Mouffe als geeignet vor. Diese Theorie sei, nicht zuletzt durch ihren Rückgriff auf Gramscis Konzept der Hegemonie, in der Lage, strukturelle Zwänge zu verstehen, ohne dabei jedoch die ›Um-
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kämpftheit‹ des Diskurses zu negieren. Insbesondere könnten dadurch »the relative power relations between advocates and opponents« bestimmter Ideen untersucht werden (Scherrer 2005: 14-15), womit nicht zuletzt auch der bereits von Hess und Kolleginnen (2010: 210) als wesentlich für einen pfadabhängigen Diskurs dargestellten »growing convergence among statements by different actors« Leben eingehaucht werden kann. Zusammenfassend sind damit, trotz erster fruchtbarer Ansätze der Konzeptualisierung diskursiver Stabilisierungsprozesse im Rahmen pfadtheoretischer Betrachtungen, an eine Weiterentwicklung diskursiver Pfade die folgenden Aufgaben gestellt. • Zunächst ist danach zu fragen, wie pfadkonstituierende Prozesse auf diskursiver
Ebene in Gang gesetzt werden und warum dabei bestimmte diskursive Formationen befördert werden, andere hingegen unberücksichtigt bleiben. • Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Umkämpftheit des Diskurses unternehmerischer Verantwortung muss dabei vor allem in den Blick genommen werden, wie im Prozess der Aushandlung eventuell zunächst widerständige Akteure ›eingebettet‹ werden und es damit zur Bestärkung und Stabilisierung des initiierten Verlaufs kommt. • Um dem spezifischen Erklärungsanspruch pfadtheoretischer Ansätze, d.h. ihrem zwingenden und potenziell problematischen Charakter, gerecht zu werden, ist vornehmlich aber zu erhellen, wie der letztlich pfadbildende Prozess – über theoretisch diffuse Vokabeln wie Naturalisierung und Normalisierung hinausgehend – derart Zwang auf die Akteure ausübt, dass sie sich in seinem Fortgang dem einmal eingeschlagenen Verlauf fügen müssen bzw. alternative Bedeutungszuschreibungen zunehmend schwerer zu artikulieren sind. Damit ist nicht nur die Frage nach der Initiierung derartiger Prozesse, sondern auch nach den Erklärungen für ihren Verlauf gestellt. Für eine solche über die Beschreibung des Prozesses der Naturalisierung hinausgehende Erklärung kommt es darauf an, Mechanismen der Stabilisierung zu identifizieren. Im Folgenden soll diesen Leerstellen bisheriger Annäherungen an diskursive Pfadprozesse mithilfe eines diskursiv-hegemonietheoretischen Ansatzes begegnet werden. 2.2.2 Von Diskursen und Hegemonien Aufbauend auf und – unter Berücksichtigung des vorstehend aufgezeigten Entwicklungsbedarfs – über bisherige Annäherungen an diskursive Pfadprozesse hinausgehend, soll im Folgenden unter Zuhilfenahme der diskursiven Hegemonietheorie, die von Ernesto Laclau und Chantal Mouffe in Fortführung der Arbeiten Antonio
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Gramscis entwickelt wurde (Laclau/Mouffe 2014 [1985], 1987),23 ein Weiterdenken einer diskursiven Pfadtheorie erfolgen und damit zugleich ein Analyserahmen für das Vorhaben dieser Arbeit entwickelt werden. Die diskursive Hegemonietheorie – die auch in der Organisations- und Managementforschung zunehmend aufgegriffen wird (u.a. Da Costa/Saraiva 2012; Kenny/Scriver 2012; van Bommel/Spicer 2011; Böhm/Brei 2008; Spence 2007)24 – erscheint für das Vorhaben der vorliegenden Arbeit aus mehreren Gründen geeignet. Zum einen legt diese Theorie, mehr noch als andere Diskurstheorien, ihren Fokus auf die ›Kämpfe‹ um Bedeutungszuschreibungen zwischen Akteuren und insbesondere Akteursgruppen und kann damit den als umkämpft beschriebenen Aushandlungsprozess um Bedeutung und Motivation unternehmerischer Verantwortung erhellen. Zum anderen kann das Konzept der diskursiven Hegemonie nicht nur ein Verständnis diskursiver Stabilität vermitteln – indem z.B. Aussagen über ›Stabilitätsgrade‹ hegemonialer Ordnungen möglich werden –, sondern dabei dem besonderen Erklärungsanspruch pfadtheoretischer Betrachtungen insofern gerecht werden, als dass es bei der Stabilität diskursiver Hegemonien nicht um für die sprachliche Verständigung notwendige alltägliche Bedeutungsvereinbarungen geht, sondern um potenziell problematische Stabilisierungen, die nicht nur nahezu totalitären Charakter entwickeln – sodass sich beispielsweise auch zunächst widerständige Akteure ihr nicht mehr entziehen können –, sondern zuweilen auch für die an ihrer Etablierung beteiligten Akteure problematisch werden können. Bevor ein solches Weiterdenken der diskursiven Pfadtheorie erfolgen kann, sollen zunächst die Begriffe des Diskurses und der (diskursiven) Hegemonie erläutert werden. Eine präzise Fassung dieser Begriffe ist umso wichtiger, da beide Begriffe heute auf verschiedene und sich teilweise widersprechende Weise gefasst werden 23 Hierbei ist anzumerken, dass die grundlegenden Arbeiten zur Diskurstheorie von Laclau und Mouffe in ihrem gemeinsamen Werk »Hegemony and Socialist Strategy« (2014 [1985]) erarbeitet wurden. In späteren Jahren hat sich insbesondere Laclau der Weiterentwicklung der für diese Arbeit interessanten Aspekte der Theorie gewidmet – so z.B. in »New Reflections on the Revolutions of our Time« (1990), »Emancipation(s)« (2007c), »On Populist Reason« (2007a) sowie zuletzt in »The Rhetorical Foundations of Society« (2014) –, während Mouffe ihren Forschungsschwerpunkt vor allem in Richtung demokratietheoretischer Arbeiten verlagert hat (Mouffe 1992, 2007, 2010). 24 Insbesondere mit dem Begriff der Hegemonie findet in der Organisations- und Managementforschung eine rege Auseinandersetzung statt, die so unterschiedliche Bereiche wie organisationale Identität (Muller 2012; Brown/Humphreys 2006; Humphreys/Brown 2002),
strategisches
Management
(Levy/Egan
2003),
organisationales
Lernen
(Contu/Willmott 2003), organisationale Kultur (Ogbor 2001), industrielle Beziehungen (Haworth/Hughes 2003), Entrepreneurship (Jones/Spicer 2005; Kenny/Scirver 2012; Levy/Scully 2007) und Managementlehre (Elliott 2003) berührt.
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(siehe zum Diskurs z.B. Alvesson/Kärreman 2000: 143-147; Heracleous/Barrett 2001: 755-757; Nonhoff 2006: 24-29, zum Begriff der Hegemonie z.B. Opratko 2012; Scherrer 2005: 21-29; Condit 1994: 207-208). 2.2.2.1 Diskurs – eine Begriffsbestimmung Die Diskurstheorie von Laclau und Mouffe ist – wie der Titel ihres bekanntesten Buches »Hegemony and Socialist Strategy« anzeigt – von Beginn an eng mit dem Begriff der Hegemonie verbunden (Laclau/Mouffe 2014 [1985]). Ihren Ausgangspunkt findet sie in der kritischen Auseinandersetzung mit dem Marxismus, in deren Rahmen es den beiden Politikwissenschaftlern vornehmlich darum ging, den Marx’schen Klassendeterminismus den aktuellen Verhältnissen ihrer Zeit – die für sie wesentlich durch das Aufkommen neuer sozialer, klassenübergreifender Bewegungen gekennzeichnet war – anzupassen sowie dem »linken Traum von einer ethisch versöhnten Gesellschaft« eine Position radikaler Demokratie entgegenzustellen (Landwehr 2009: 85; Laclau/Mouffe 2014 [1985]: 1-36; Laclau 2007b; Mouffe 1979).25 Um der Heterogenität sozialer Kämpfe begegnen zu können, wenden sich Laclau und Mouffe Gramscis den Klassendeterminismus teilweise überwindendem Konzept der Hegemonie zu, welches sie unter Rekurrenz auf diskurstheoretische Annahmen erweitern und zu einer Theorie diskursiver Hegemonien ausarbeiten. Dass ihre Arbeit als »eine der wichtigsten Erweiterungen auf dem Feld der Diskurstheorie« bezeichnet wird (Landwehr 2009: 85; ähnlich Torfing 1999), mag vor allem daher rühren, dass Laclau und Mouffe mit ihren Arbeiten eine grundlegende, politische Sozialtheorie entwickeln. Das Politische ihrer Diskurstheorie zeigt sich darin, dass Laclau und Mouffe Diskurse als ein Terrain begreifen, auf dem in fortlaufender Weise Kämpfe um Bedeutung stattfinden (Laclau/Mouffe 2014 [1985]: 98-99).26 Diese Kämpfe, die u.a. mit dem Begriff des »sozialen Antagonismus« umschrieben werden, seien konstitutiv für das Soziale (Laclau/Mouffe 2014 [1985]; Mouffe 2007a, 2007b). Unter anderem mit der Schaffung ›echter Wahlmöglichkeiten‹ machten sie jede Form der demokratischen Auseinandersetzung allererst mög25 Zur Ausarbeitung ihrer Diskurstheorie nehmen Laclau und Mouffe zudem insbesondere Anleihen bei Ferdinand de Saussure sowie Foucault. Für Einführungen in die Diskurstheorie von Laclau und Mouffe siehe z.B. Nonhoff (2006, 2010); Marchart (2007); Reckwitz (2011); Stäheli (1999); Torfing (1999) sowie die Beiträge in den Sammelbänden von Nonhoff (2007) und Critchley/Marchart (2004). 26 Deutlich wird hierbei, dass »politisch« hier in erster Linie nicht »die Politik«, verstanden als die »vielfältigen Praktiken der Politik im konventionellen Sinne« meint, sondern vielmehr »das Politische« angesprochen wird, das »die Dimension des Antagonismus« meint, welche »als für menschliche Gesellschaften konstitutiv« betrachtet werden (Mouffe 2007a: 15-16).
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lich (Mouffe 2007a: 10; Laclau/Mouffe 2014 [1985]). Als Sozialtheorie kann ihre Diskurstheorie begriffen werden, da sie im Gegensatz zu anderen Diskursforscherinnen den Diskurs nicht als eine Ebene des Sozialen begreifen, die neben anderen, etwa der materiellen Ebene besteht, sondern vielmehr die Gesellschaft, das Soziale, als grundsätzlich diskursiv konstituiert verstehen (Laclau/Mouffe 1987). Das derart gefasste »Diskursive«, auch als das »Feld der Diskursivität« bezeichnet, bildet damit den theoretischen Horizont vor dem sich spezifische Diskurse etablieren können (Laclau 1990: 105). Artikulation und Diskurs Diskurse werden von Laclau und Mouffe als kontinuierliche Folgen von Artikulationen aufgefasst. Artikulationen bilden die kleinste Einheit des Diskurses (Laclau 2007a: 73; ähnlich Foucault 1988 [1981]: 117).27 Indem Artikulationen in fortlaufender Weise Elemente28 (z.B. Begriffe, Akteure, Objekte) miteinander in Beziehung setzen – »entweder indem auf ihr Anderssein verwiesen wird (Differenz) […] oder indem auf ihre Ähnlichkeit Bezug genommen wird (Äquivalenz)« (Bruell 2007: 200) –, weisen sie den Dingen eine ›Identität‹ zu (Laclau/Mouffe 2014 [1985]: 92; Laclau 1993: 432). Die Logiken der Differenzierung und Äquivalenzierung sind die wesentlichen Operationsmodi der Bedeutungsproduktion; durch das Verhältnis ihrer Operationen wird der Diskurs strukturiert. Artikulationen schließen in fortlaufender Weise aneinander an, nehmen sich abgrenzend oder einpassend aufeinander Bezug und bilden so einen kontinuierlichen Prozess, der auch als »artikulatorische Praxis« beschrieben wird. »[…] we will call articulation any practice establishing a relation among elements such that their identity is modified as a result of the articulatory practice.« (Laclau/Mouffe 2014 [1985]: 91) Artikulationen können dabei als sprachliche oder schriftliche Äußerungen, einzelne Argumente,
27 Foucault bezeichnet die Artikulation als »Atom[] des Diskurses« bzw. als »[e]in Korn, das an der Oberfläche eines Gewebes auftaucht, dessen konstitutives Element es ist« (Foucault 1988 [1981]: 117). 28 Bedeutungseinheiten innerhalb dieses Feldes der Diskursivität werden als »Elemente« bezeichnet. Sie bilden damit, ähnlich zum »Archiv« bei Foucault (Foucault 1988 [1981]: 186-190), das grundsätzlich Sagbare. Werden diese Elemente artikuliert, d.h. wird innerhalb eines Diskurses auf sie Bezug genommen, werden sie zu »Momenten« dieses spezifischen Diskurses. Während Momente also innerhalb eines spezifischen Diskurses regelmäßig artikuliert werden, befinden sich Elemente im Feld der Diskursivität, sind jedoch nicht Bestandteil des spezifischen Diskurses. Diese Unterscheidung wird gerade in historischen Diskursanalysen hilfreich, um zwischen randständigen Elementen, die z.B. in früheren Zeiten aktiver Bestandteil des Diskurses waren, und aktuellen, zentralen Momenten eines Diskurses zu unterscheiden.
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Motive oder Forderungen verstanden werden, die wenige Worte oder mehrere Sätze umfassen können (Bruell 2007: 203). Grundsätzlich gehen Laclau und Mouffe davon aus, dass jede Form der sozialen Praxis als sinngebende Praxis verstanden werden kann (Laclau/Mouffe 1987: 8283; Laclau 2007a: 68; dazu auch Keller 2011: 54; Torfing 1999: 94). Artikulationen sind damit nicht allein auf den Modus der Sprache begrenzt, auch Handlungen ebenso wie »›schweigsame[] institutionelle[] Komplexe« (Reckwitz 2012: 72) werden als Form der Artikulation begriffen (Laclau/Mouffe 2014 [1985]: 95; Laclau/Mouffe 1987: 82; Laclau 1993) und können auf nicht-sprachliche Weise Bedeutung erzeugen: »If I kick a spherical object in the street or if I kick a ball in a football match, the physical fact is the same, but its meaning is different. The object is a football only to the extent that it establishes a system of relations with other objects, and these relations are not given by the mere referential materiality of the objects, but are, rather, socially constructed.« (Laclau/Mouffe 1987: 82)
Die Modi der Differenzierung und Äquivalenzierung haben für Laclau und Mouffe folglich ontologischen Status (Laclau 1994; dazu auch Distelhorst 2007: 71-72). Damit wird die Unterscheidung des Diskursiven vom Nicht-Diskursiven obsolet und das Soziale kann, wie eingangs angedeutet, als »das Diskursive« gefasst werden (Laclau/Mouffe 2014 [1985]: 93). Jegliches soziale Geschehen wird, so die Annahme, grundsätzlich durch Akte der Differenzierung und Äquivalenzierung, die artikulatorische Praxis, bestimmt. Vor dem Hintergrund des »Diskursiven« können spezifische »Diskurse« ausgemacht werden. Der Diskurs wird dabei jeweils um einen sogenannten »Knotenpunkt« (auch »Master-Signifier« (Laclau/Mouffe 2014 [1985]: xi, 99) gebildet, einen Signifikanten wie etwa »Unternehmensverantwortung«, auf den Bezug genommen wird, um den herum der Diskurs strukturiert wird und der ihn von anderen Diskursen sowie vom Horizont des Diskursiven unterscheidet (Torfing 1999: 89). Die Gesamtheit dieser sich auf einen Signifikanten beziehenden Prozesse der Artikulation bildet den Diskurs: »The structured totality resulting from this articulatory practice, we will call discourse« (Laclau/Mouffe 2014 [1985]: 91; auch Laclau 2007a: 68-69). Das fortdauernde Bezugnehmen auf den Knotenpunkt, die Versuche ihn mit spezifischer Bedeutung zu füllen, z.B. ihm bestimmte Motive zuzuschreiben und andere hingegen auszuschließen, kann als ›Kampf‹ um diskursive Deutungshoheit begriffen werden: »Any discourse is constituted as an attempt to dominate the field of discursivity, to arrest the flow of differences, to construct a centre.« (Laclau/Mouffe 2014 [1985]: 98-99, Hervorhebung im Original) Der Diskurs kann somit als »der Raum gesellschaftlicher Sinnproduktion« verstanden werden (Non-
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hoff 2006: 32; siehe auch Nonhoff 2010: 302), in dem über kontinuierliche Akte der Artikulation, des In-Beziehung-Setzens, Bedeutung geschaffen und so eine »diskursspezifische Ordnung der Dinge« herzustellen versucht wird (Reckwitz 2012: 72). Diskurse sind dementsprechend als Differenzsysteme zu verstehen, in denen »die einzelnen Elemente nicht von sich aus eine bestimmte Bedeutung tragen« (Stäheli 1999: 146, auch Laclau/Mouffe 1987: 82; Torfing 1999: 91). Alle Formen von Elementen bedürfen der artikulatorischen Praxis zur Errichtung ihrer Identität, »[they] do not pre-exist the relational complex but are constituted through it« (Laclau 2007a: 68). Dass Bedeutung damit niemals den Dingen und Ereignissen inhärent ist, sondern immer erst durch Akte der Artikulation geschaffen wird, impliziert, wie zuweilen fälschlicherweise angenommen (siehe u.a. Geras 1987), keinesfalls die Negation der physischen Realitäten von Subjekten oder Objekten. Vielmehr wird eine dezidiert sozial-konstruktivistische Position eingenommen, die ebenfalls nicht zu verwechseln ist mit dem radikalen Konstruktivismus eines Heinz von Förster, Ernst von Glasersfeld oder Paul Watzlawick (siehe etwa die Beiträge in von Förster et al. 1997). »The fact that every object is constituted as an object of discourse has nothing to do with whether there is a world external to thought, or with the realism/idealism opposition. […] What is denied is not that such objects exist externally to thought, but the rather different assertion that they could constitute themselves as objects outside of any discursive condition of emergence.« (Laclau/Mouffe 2014 [1985]: 94; Hervorhebung im Original)
Sprachliche und nicht-sprachliche Elemente werden damit nicht gegeneinandergestellt, sondern bilden gemeinsam ein differenzielles und strukturiertes System von Positionen – den Diskurs (Laclau/Mouffe 2014 [1985]: 95; Laclau 1999: 94). Akteur und Struktur Ebenso wie Dinge und Handlungen erhalten auch die Subjekte ihre Identität erst durch den Diskurs, der ihre Handlungen ermöglicht, aber auch begrenzt: »[I]t is the discourse which constitutes the subject position of the social agent, and not, therefore, the social agent which is the origin of discourse – the same system of rules that makes that spherical object into a football, makes me a player.« (Laclau/Mouffe 1987: 82)
In ihren früheren, gemeinsamen Arbeiten sprechen Laclau und Mouffe deshalb jeweils von »Subjektpositionen« (siehe auch Laclau/Mouffe 2014 [1985]: 95, 101) und lehnen sich damit an das Subjektverständnis von Foucault an (siehe z.B. Foucault 2000). Subjektpositionen werden dabei als vom Diskurs ermöglichte, quasi ›bereitgestellte‹ Positionen aufgefasst, die Individuen sich aneignen können (Stä-
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heli 2000: 50-54) oder von anderen zugesprochen bekommen, keinesfalls aber mit dem Individuum gleichzusetzen sind (Laclau/Mouffe 2014 [1985]: 104-105). Individuen werden immer erst durch den Diskurs ›subjektiviert‹ (Laclau/Mouffe 2014 [1985]: 101-102), was heißt, dass sie sich dem Diskurs unterordnen, sich in ihn einpassen müssen, um handlungsfähig zu werden (Stäheli 2000: 50-51). Die jeweilige Position des Diskurses wirkt hier zugleich ermöglichend – sie macht das Individuum zum Subjekt, verleiht ihm eine Identität –, auf der anderen Seite aber auch einschränkend – sie verhindert beispielweise ein Handeln außerhalb des durch die Position vorgegebenen Rahmens (Distelhorst 2007: 270; Stäheli 1999: 154).29 Angeregt durch die Auseinandersetzung mit Slavoj Žižek hat das Subjekt bei Laclau in späteren Arbeiten (vor allem Laclau 2007c, 2000a, 2000b) einen Lacan’ianisch gefärbten Charakter erhalten (Distelhorst 2007: 86-87, Reckwitz 2012: 80; Stäheli 1999: 155-156), der nicht im Widerspruch zum früheren Subjektbegriff steht (Stäheli 1999: 155), das Subjekt jedoch stärkt. Distelhorst beschreibt die Veränderung des Subjekts im Werk Laclaus gar als »Befreiung des Subjekts aus den fesselnden Strukturen [des Diskurses, N.L.] […], aus der ein äußerst starkes Subjekt hervorgeht, das […] in der Lage ist, Protagonist radikaler gesellschaftlicher Veränderung zu sein« (Distelhorst 2007: 267-269). Weniger als ›bloß‹ eine vom Diskurs bereitgestellte Position einzunehmen, wird das Subjekt mit Lacan nun als eine »Instanz des Begehrens« betrachtet (Reckwitz 2012: 52-68), welche in ständigen Versuchen der Identitätsfindung begriffen ist. Laclau, der diese subjektgebundenen Komplettierungsversuche auf das Diskursive überträgt, beschreibt damit die artikulatorische Praxis als auf die Identitätsbildung bezogen, aber niemals vollständig zu erfüllen. Ebenso wie für den Diskurs ist auch für das Subjekt eine vollkommene Schließung, d.h. die Erfüllung des Anspruchs auf Vollkommenheit, durch das Angewiesensein auf das »Andere« bzw. den konstitutiven Charakter des Antagonismus unmöglich.30 Struktur des Diskurses und Subjekt bedingen sich gegenseitig und unterminieren sich zugleich (Scherrer 2005) – sie sind »gleichursprünglich« (Nonhoff 2006: 195; Scherrer 2005: 8). Beide unterliegen der »Dynamik des Artikulierens«, d.h. »dass sich also im Laufe von Artikulationsprozessen Subjekte
29 Um die Verdeutlichung der einschränkenden Wirkungen bestimmter Subjektpositionen, z.B. der Konstruktion der »Frau« bzw. des »Weiblichen« durch unterschiedliche Praktiken innerhalb des Rechtes, der Wirtschaft, der Politik oder der Familie, hat sich die feministische Literatur verdient gemacht (u.a. Butler 1991; Federici 2012). 30 Ebenso wie Objekte ihre Bedeutung allein durch Differenz zu einem »Anderen« erhalten, sind auch die Subjekte für ihre Identität auf ein »Anderes« angewiesen (Lacan 1996 [1987]). Das »Andere« ist für das Subjekt konstitutiv; da damit das Subjekt aber auf das »Andere« angewiesen ist, unterläuft es die Identitätsfindung zugleich und verhindert die Erfüllung des Begehrens (Laclau 1990: 39-41; Reckwitz 2012: 80).
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ebenso wandeln wie die diskursiven Strukturen, auf die die Subjekte vermeintlich einbahnstraßenhaft einwirken« (Nonhoff 2006: 195).31 Kontingenz und Stabilität Diskurse sind bei Laclau und Mouffe grundlegend durch Kontingenz gekennzeichnet und weisen infolgedessen jeweils nur prekäre Sinnfixierungen auf (Laclau 1993: 435). Die Kontingenz sowie die Unmöglichkeit einer endgültigen Fixierung von Bedeutung erwachsen dabei aus der grundlegenden »Unentscheidbarkeit des Sozialen«, was bedeutet, dass die fortdauernden Kämpfe um Bedeutung, sprich, die kontinuierliche Artikulation und Re-artikulation bestimmter Elemente, jeweils zu deren unterschiedlicher Auslegung und Interpretation und damit zur Überbestimmung dieser Elemente führen werden. Jeder Begriff weist damit einen Überschuss an Bedeutung auf, kann – zu einem Zeitpunkt oder auch über die Zeit – unterschiedliche Bedeutungen tragen. Der sich fortsetzende Fluss an Artikulationen wird damit die endgültige Fixierung von Bedeutung immer wieder herausfordern und unterlaufen (Laclau/Mouffe 2014 [1985]: 99, 107-108). Bedeutungen sind damit jeweils nur temporär fixiert, die Kontingenz und Ereignishaftigkeit des Sozialen stellen das Gegebene immer wieder infrage. Dies bedeutet jedoch nicht, dass nicht fortdauernd Versuche der Fixierung unternommen werden (Stäheli 2000: 35; dazu auch Reckwitz 2012: 73) und dass es nicht partielle Fixierungen geben kann – Letztere sind sogar notwendig, um den Diskurs nicht in ein »psychotisches Chaos« verfallen zu lassen (Laclau/Mouffe 2014 [1985]: 98-99). Die artikulatorische Praxis kann – wie wir gesehen haben – als ständiger Versuch der Bedeutungsfixierung gelesen werden, der durch immer neue Artikulationen sowohl bestärkt als auch unterminiert werden kann – womit diese Bestrebungen zwar auf die Fixierung von Bedeutung ausgerichtet sind, zugleich aber auch jegliche Bedeutungszuschreibung verhandlungsoffen erscheinen lassen (Laclau/Mouffe 2014 [1985]: 105-108). »[T]he social exists as an effort to construct that impossible object« (Laclau/Mouffe 1987: 112) [so that] »[e]ach discourse emerges in a struggle to arrest the flow of differences and 31 Anhand dieser Sicht zeigt sich noch einmal deutlich der Wert einer derartigen Auffassung der Realität auch für die empirische Analyse. Weniger als die Dinge, Akteure, Elemente als naturgegeben zu sehen, wird es möglich, die historischen Bedingungen ihrer Möglichkeit über die Zeit zu bestimmen und damit ihr je spezifisches Entstehen nachzuvollziehen (dazu auch Laclau/Mouffe 2014 [1985]: 103). Zugleich wird hier auch deutlich, warum Bedeutung niemals vollständig fixiert sein kann – die Bedeutung des »verantwortungsvollen Unternehmers« wird niemals vollständig homogen und entschieden sein, vielmehr wird es zu jeder Zeit auch immer mehr oder weniger abweichende Bedeutungen der gleichen Subjektposition geben (Laclau/Mouffe 2014 [1985]: 103).
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thereby dominate the field of discursivity« (Willmott 2005: 763; Laclau/Mouffe 2014 [1985]: 98-99).
Die Kontingenz und das fortlaufende Prozessieren von Artikulationen implizieren folglich nicht die Unmöglichkeit von Stabilität oder Kontinuität (Laclau/Mouffe 2014 [1985]: 82, 120; dazu auch Scherrer 2005: 8; Spence 2007: 858), vielmehr unterstreichen sie das grundlegend Umkämpfte des Diskurses und rücken in den Blick, dass Phasen der Stabilität erklärungsbedürftig werden. Das Interesse dieser Arbeit an der Stabilisierung von Bedeutung führt uns damit zum Begriff der Hegemonie als Moment relativer Stabilität (Laclau/Mouffe 2014 [1985]: 1-2; Levy 2008: 951; Böhm/Brei 2008: 350), sowie zum Prozess der Hegemonisierung als der Entstehung von stabiler Führerschaft. Vor dem Hintergrund der grundsätzlichen Kontingenz im Diskursbegriff von Laclau und Mouffe sind es die ›hegemonialen Projekte‹, die regelmäßig versuchen, Bedeutungszuschreibungen dauerhaft »stillzustellen [und] […] nur einen bestimmten Sinn als den einzig möglichen zu präsentieren« (Reckwitz 2012: 75). 2.2.2.2 Diskursive Hegemonien und Prozesse der Hegemonisierung Wurde vorstehend der Diskurs als die Totalität sich fortlaufend aneinanderreihender Artikulationen bestimmt, die in jeweils nur prekäre Fixierungen von Bedeutung münden, so sind von diesen jeweils nur temporären, alltäglichen und für ein gegenseitiges Verständnis notwendigen Bedeutungsvereinbarungen die Prozesse der Hegemonisierung zu unterscheiden. Derartige Stabilisierungen führender diskursiver Formationen stellen umkämpfte Prozesse der Aushandlung von Übereinkunft dar, die, einmal etabliert, alternative Bedeutungszuschreibungen ausschließen und damit einen zwingenden Charakter erhalten. Akteure sind gezwungen, sich dem hegemonialen Muster zu unterwerfen oder sehen sich ins ›diskursive Abseits‹ gedrängt. Zudem können, aufgrund des sich ab einem gewissen Zeitpunkt ›verselbstständigenden‹ Verlaufs, diese Prozesse einen, auch für die an ihrer Etablierung beteiligten Akteure, problematischen Verlauf nehmen. Unintendierte Ergebnisse sind möglich, die den Interessen der Akteure entgegenstehen können. Im Zentrum hegemonietheoretischer Arbeiten im Allgemeinen und diskursiv-hegemonietheoretischer im Besonderen steht folglich der Versuch, zu verstehen, wie es zur Stabilisierung bestimmter führender Interpretationen kommt. Das Konzept der Hegemonie wurde von Antonio Gramsci geprägt (Gramsci 1971) – zur Einführung soll deshalb zunächst auf Gramscis Idee der Hegemonie eingegangen werden, um ein erstes Verständnis dieses Begriffs zu erhalten. Ausgehend von Gramsci haben Laclau und Mouffe eine Theorie diskursiver Hegemonie
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entwickelt (grundlegend Laclau/Mouffe 2014 [1985]),32 mit deren Hilfe eine diskursiv-hegemonietheoretische Fassung pfadabhängiger Prozesse gelingen kann und die deshalb den Kern der weiteren Ausführungen bilden wird. Gramscis Konzept der Hegemonie Gramsci entwickelte die grundlegenden Arbeiten zur Hegemonie in den sogenannten »Gefängnisheften« während seiner politischen Gefangenschaft (Gaedt 2007: 216-217; Mumby 1997: 345).33 Stark beeinflusst durch die breite gesellschaftliche Akzeptanz des Faschismus innerhalb der europäischen Gesellschaften, bewertete Gramsci die Erklärung herrschender sozialer Ordnungen allein durch (klassen)deterministische Kräfte, Macht und Gewalt als unzureichend und suchte nach alternativen Erklärungen (Condit 1994: 206; Holz 1991: 9; Mumby 1997: 347). Hegemonie beschrieb er infolgedessen als einen »auf Konsens beruhenden Modus der Führung« (Nonhoff 2006: 142). Levy und Egan schreiben in Bezug auf diesen Begriff Gramscis: »Perhaps Gramsci’s most significant insight was that the persistence of social and economic structures in the face of the inequalities and alienation of early twentieth century capitalism is not dependent on coercive control by a small élite. Rather, hegemony rests on a broad base of consent, which relies on coalitions and compromises that provide a measure of political and material accommodation with other social groups, and on ideologies that convey a mutuality of interests.« (Levy/Egan 2003: 805, eigene Hervorhebungen, N.L.)
32 Für weitere und von der Verwendung von Laclau und Mouffe abweichende Konzeptionen von Gramscis Begriff der Hegemonie siehe die Diskussion verschiedener Ansätze innerhalb des Forschungsfeldes der internationalen Beziehungen bei Scherrer (2005: 2129). Anders als bei Gramsci und auch bei Laclau und Mouffe wird Hegemonie in den internationalen Beziehungen vor allem als Herrschaft eines Staates (eines Hegemons) über andere Staaten verstanden und gründet damit auf materieller und militärischer Macht (eine Ausnahme von diesem Verständnis bildet Schmitt 2004). Zu verschiedenen von Gramsci ausgehenden Strömungen auch Condit (1994: 207-208) sowie grundlegend Opratko (2012). Letzterer betont, dass der Begriff der Hegemonie seinen Ursprung bereits in der griechischen Antike hat, insbesondere aber mit Ende des 19. Jahrhunderts zum Leitmotiv sozialistischer Strategien avancierte und dort von Gramsci als politische Strategie sowie als theoretisches Konstrukt ausgearbeitet wurde (Opratko 2012: 26-35, ähnlich Nonhoff 2006: 141). 33 Antonio Gramsci wurde im Jahr 1926 aufgrund der von Mussolini erlassenen Sondergesetze zum Schutz des faschistischen Staates durch das faschistische Regime in Italien verhaftet und blieb bis kurz vor seinem Tod im Jahr 1937 in Gefangenschaft (Candeias 2007: 15).
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Nicht die ›Herrschaft‹ einer machtvollen Elite beschreibt das Konzept der Hegemonie, sondern die Vielzahl sozialer, politischer und ökonomischer Kräfte im Prozess der Herstellung von aktiver oder passiver Billigung von ›Führerschaft‹ (Condit 1994: 206; Klimecki/Willmott 2011: 130).34 Gramscis Begriff der Hegemonie sieht sich damit in expliziter Abgrenzung zu Begriffen wie Herrschaft, Dominanz und Determination und dem damit verbundenen Begriff einseitig ausübbarer Macht.35 Während beispielsweise ökonomische Dominanz durch jede Elite ausübbar sei, der es gelänge, »to impose its own particular ›economic-corporate‹ interests on the other fractions regardless of their wishes and/or at their expanse«, basiere ökonomische Hegemonie auf »leadership won through general acceptance of an accumulation strategy« (Jessop 1990: 199, eigene Hervorhebung, N.L.). Die ›generelle Akzeptanz‹ bestimmter Gruppen und ihrer Interessen müsse dabei jeweils durch die Integration der Interessen insbesondere (zivil-)gesellschaftlicher Gruppen gewonnen werden (Jessop 1990: 199; Scherrer 2007: 74; Klimecki/Willmott 2011: 130; Levy/Egan 2003: 805-806). Hegemonie wird deshalb als Form der »moralischen und intellektuellen Führerschaft« beschrieben, welche die Grenzen politischer oder ökonomischer Herrschaft transzendiert (Gramsci 1971: 181-182). Hegemonie beinhaltet für Gramsci damit »not only a unison of economic and political aims, but also intellectual and moral unity […], the development and expansion of the [dominant] group are conceived of, and presented as being the motor force of a universal expansion […]. In other words, the dominant group is coordinated concretely with the general interests of the subordinate groups.« (Gramsci, 1971: 181-182)
34 Der Unterschied zwischen Herrschaft und Führerschaft wird bei Triepel (1938) deutlich, der in seinem Buch »Die Hegemonie« Herrschaft in enger Beziehung zum Begriff der Macht sieht. Herrschaft ginge allein vom Hegemon aus, ohne dabei auf die Anerkennung der Dominierten angewiesen zu sein. Für die Führerschaft, die bei Triepel die Hegemonie charakterisiert, ist die Führende auf die jeweils freiwillige Unterordnung der Geführten angewiesen und muss sich demnach die Folgebereitschaft durch Selbstbeschränkung und Ausrichtung an den Interessen der Geführten jeweils aufs Neue sichern (Triepel 1938). 35 Häufig wird Hegemonie dennoch mit diesen Begriffen, insbesondere der Dominanz gleichgesetzt (siehe u.a. Böhm/Brei 2008: 341). Kritisch nimmt dazu vor allem Mumby (1997: 357-361) Stellung, der diese Sicht als unterkomplex darstellt und Hegemonie wie folgt verstanden wissen will: »It is precisely the struggle between various groups over interpretive possibilities and what gets to count as meaningful that the hegemonic dialectic of power and resistance gets played out.« (Mumby 1997: 346; kritisch auch Hall, in Grossberg 1986: 59, zu dem mit dem Begriff der Hegemonie verbundenen Begriff von Macht auch Lukes 2014)
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Dabei ging es Gramsci – nicht zuletzt mit Blick auf seine eigne, über weite Strecken erfolglose, politische Tätigkeit (siehe dazu z.B. die Ausführungen in Gaedt 2007: 206-207) – vornehmlich um die Frage, wie eine derartige Führerschaft erreicht und aufrechterhalten werden könne. Als grundlegend wird hierbei die Bildung von Koalitionen, die Entstehung eines ›historischen Blocks‹ gesellschaftlicher Kräfte, sowie die Erzielung von Zustimmung beschrieben (Gramsci 1971: 168; dazu auch Levy/Egan 2003: 805; Levy/Scully 2007: 6). Zustimmung wird dabei vor allem durch Kompromissbildung sowie die Präsentation der eigenen als universale Interessen erreicht – ein Vorgang, den Burawoy als »manufacturing consent« beschrieben hat (z.B. Burawoy 1979). Schwindet das Element des Zwangs auch nicht ganz, so geht es weniger um ein Aufzwingen, denn um die Schaffung eines »senso comune«, d.h. »eine die Massen ergreifende und von ihnen als Ausdruck ihrer Erfahrungen und Interessen zu begreifende Weltanschauung […], die die vielen Lebensbeziehungen, in denen jeder einzelne steht, integrieren kann« (Holz 1991: 22). Notwendiger Bezugspunkt jeder Hegemonie ist damit ein »widely shared ›common sense‹« (Mouffe 1993: 53), ein als gemeinsamer Wille zumindest darstellbares Ziel, wie in unserem Fall beispielsweise die Verbreitung unternehmerischer Verantwortung. Durch diesen Prozess aus kompromisshafter Überzeugung und Integration des Willens subordinierter Gruppen könne es zur Formierung eines »historischen Blocks« kommen – einer Allianz gesellschaftlicher Kräfte, die der hegemonialen Gruppe ihre Führerschaft und Stabilität verleiht (Gramsci 1971: 360, 366, 377). Um wirkungsvoll zu sein, müsse der historische Block die Autorität des Staates, die Kraft der ökonomischen Sphäre, vor allem aber die Zustimmung der Zivilgesellschaft umfassen (Levy 2008: 951). Insbesondere der Zivilgesellschaft und ihren Institutionen (die Kirche, das Bildungssystem, Kulturbetriebe, zivilgesellschaftliche Bewegungen etc.) kommt im Konzept der Hegemonie eine besondere Rolle zu. Ihre Zustimmung zu gewinnen wird als »key source of stability« beschrieben, denn »without real roots in civil society, historical blocs are likely to be weak« (Levy/Egan 2003: 806, 812). Summa summarum ist mit dem Begriff der Hegemonie bei Gramsci ein Status der stabilen Führerschaft bestimmter Gruppen beschrieben, deren Position und Stabilität aus der Vereinigung unterschiedlicher gesellschaftlicher Kräfte erwächst. Somit kommt es für die Bildung der Hegemonie insbesondere auf die Formierung von Allianzen zwischen gesellschaftlichen Gruppen an, die Formierung eines ›historischen Blocks‹ bzw. die Schaffung eines ›kollektiven Willens‹. Indem Gramsci beschreibt, wie Hegemonie durch die Zustimmung vieler erreicht wird, ist er in der Lage, Führerschaft nicht durch die Macht weniger zu erhellen, sondern auch die Perspektive subordinierter Gruppen, die Gründe ihrer Zustimmung, mit in den Blick zu nehmen. Hegemonie muss deshalb eher als eine ›Einverleibung‹ subordinierter durch dominante Gruppen verstanden werden denn als ihre Unterdrückung. Rand-
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ständige Gruppen werden dabei keinesfalls als »dupes suffering from a form of ›false consciousness‹« (Levy 2008: 952, ähnlich Laclau/Mouffe 2014 [1985]: 57), sondern vielmehr als widerständige und für die Gewinnung der Hegemonie unumgängliche Kräfte konzipiert. ›Führende Gruppen‹ sehen sich damit ebenfalls in einer Form der Abhängigkeit von denen, auf deren Zustimmung sie für die Etablierung und Aufrechterhaltung ihrer Position angewiesen sind, was ihnen Zugeständnisse und Kompromisse abverlangt. Hegemonie ist damit in einem fortdauernden Balanceakt zwischen Stabilität und Wandel, Führerschaft und Widerstand befindlich (Gramsci 1971: 327; dazu auch Hall 1986: 20; Mumby 1997: 344). Diskursive Erweiterung des Hegemoniebegriffs Die diskursive Hegemonietheorie legt ihren Schwerpunkt insbesondere auf die politischen Kämpfe um (Versuche der) Stabilisierung führender Bedeutungsmuster. Sie ist daran interessiert, wie innerhalb dieser Prozesse spezifische diskursive Konstellationen als allgemeingültig und letztlich alternativlos ausgegeben werden, während andere marginalisiert werden (Laclau 2007a: 70; Laclau 1990: 34; so auch Reckwitz 2012: 75; Mumby 1997: 343). Laclau und Mouffe beschreiben Hegemonie als die »unity existing in a concrete social formation« (Laclau/Mouffe 2014 [1985]: 1, 128-129) bzw. die Vereinigung (»unification«) zunächst disparater Artikulationen »into a stable system of signification« (Laclau 2007a: 74). Mit dem Begriff der Hegemonie wird – in Analogie zu Gramscis Begriff der Hegemonie – dabei zum einen auf eine stabile Führerschaft verwiesen, hier das stabile System der Bedeutung, und zum anderen auf einen Prozess der ›(Ver-)Einigung‹ abgestellt, hier die Einigung von Artikulationen sowie der sie artikulierenden Akteure. Wir wollen uns zunächst der Hegemonie als Form »stabiler Führerschaft« zuwenden, bevor wir uns eingehender mit den Prozessen ihrer Entstehung und Stabilisierung auseinandersetzen. Hegemonie als stabile Führerschaft: Wie die vorstehend genannte Definition anzeigt, geht es der diskursiven Hegemonie vor allem um das »Vorherrschen bestimmter Artikulationsmuster« (Nonhoff 2006: 137; auch Torfing 1999: 101), die aufgrund ihrer spezifischen Stellung als »alternativlos« erachtet werden (Distelhorst 2007: 156), an denen »›man nicht vorbeikommt‹ wenn man innerhalb eines bestimmten Kontextes ernst genommen werden will« (Nonhoff 2006: 379) und die so den Diskurs »abzuschließen« (Stäheli 2000: 39) und zumindest zeitweise »stillzustellen« vermögen (Reckwitz 2012: 75). Hegemonie wird damit zum einen als ›Führerschaft‹ begriffen – produziert und reproduziert durch ständige Ordnungsversuche des Diskurses durch (kollektive) Akteure (Distelhorst 2007: 157-158). Zum anderen kommt es mit dieser Führerschaft dazu, dass der Diskurs als ›stillgestellt‹ und ›abgeschlossen‹ beschrieben wird, womit auf die Stabilität einer hegemonialen Ordnung verwiesen ist. Beide – Führerschaft und Stabilität – sind notwendige Bestandteile, um von einer hegemonialen Formation zu sprechen (Stäheli 2000: 39; dazu auch Schmitt 2004).
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Dass Führerschaft und Stabilität dabei eng verwoben sind, ergibt sich daraus, dass die Stabilität der diskursiven Hegemonie vor allem relationaler Natur ist und damit Stabilität durch Führerschaft erreicht wird. Nonhoff schreibt beispielsweise, dass die in der Hegemonie hervorgebrachte Ordnung »deswegen so stabil ist, weil sie von einer Vielzahl von diskursiven Artikulationen unterstützt wird« (Nonhoff 2006: 14-15). Denn analog zu Gramscis Hegemoniebegriff wird auch die diskursive Hegemonie nicht durch die Macht eines zentralen, allmächtigen ›Hegemons‹ erzwungen, sondern hat konsensualen Charakter (Laclau 2007c: 44, sowie 2007a). Ihre Führerschaft beruht auf einem hohen »diskursiven Verbreitungsgrad« (Nonhoff 2006: 141) und ist dafür auf die »Einbindung immer neuer diskursiver Elemente angewiesen« (Stäheli 2000: 38-39; dazu auch Böhm/Brei 2008: 352; ausführlich van Bommel/Spicer 2011). Muss die in der Laclau/Mouffe’schen Definition bereits angelegte »Einigkeit« vor dem grundlegend umkämpften Charakter des Diskursiven zwar mehr als pragmatische ›Übereinkunft‹ denn als einvernehmliche ›Einigkeit‹ verstanden werden (Laclau 2007a: 55; 2007c: 50), so unterstreicht sie doch das grundlegende Angewiesensein auf das Kollektiv, die Unterstützung möglichst vieler gesellschaftlicher Kräfte. Diskursive Formationen sind folglich dann und nur dann hegemonial (und nicht etwa nur ›dominant‹), wenn sie zur »Einschreibefläche« für eine Vielzahl von Akteuren unterschiedlicher Herkunft geworden sind (Scherrer 2007: 75). Aus der Zustimmung dieser Vielzahl an Unterstützern erlangt die Hegemonie ihre Stabilität (Spence 2007: 857). Mögliche ›Widerständler‹ sehen sich jeweils einer von vielen gebilligten Kraft gegenüber, deren Aufbruch damit umso unwahrscheinlicher wird. Zudem gehört es, wie wir im Folgenden sehen werden, zum Prozess der Hegemonisierung, Widerstände zu vereinnahmen: »The stability of the system lies in the specific alignment of forces, and small perturbations can often be absorbed and accommodated with little impact on the overall structure.« (Levy/Egan 2003: 811-812; ähnlich Levy 2008: 956) Einmal etabliert, kann die hegemoniale Ordnung kleinere Störungen folglich absorbieren. Versuche der Veränderung, von Laclau als »Dislozierung« bezeichnet, werden mitunter in die hegemoniale Ordnung aufgenommen und stärken sie gegebenenfalls sogar (Levy 2008: 945); nur sofern sie – ebenso wie zuvor das hegemoniale Muster – Unterstützung finden, können sie über das Auslösen einer Krise zum Wandel führen (Methmann 2010: 353). Durch die Gefahr des Erstarkens ihrer Widersacher bleibt die Stabilität stets »kontingent« (Levy/Egan 2003; Levy 2008: 958) und bedarf, um ihre Stellung dauerhaft zu halten, der fortlaufenden Re-Artikulation durch ihre Unterstützer (Nonhoff 2006: 137). Ausgehend von diesen Betrachtungen lassen sich unterschiedliche Grade der Hegemonie unterscheiden. Mumby (1997: 364-365) etwa beschreibt Hegemonie als ein Kontinuum, welches sich zwischen den (niemals ganz zu erreichenden) Extremstadien der ›totalen Integration‹ und ›weit verbreitetem Widerstand‹ bewegt. Damit ist zum einen auf die Anzahl der Unterstützerinnen abgestellt. Es wird folg-
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lich davon ausgegangen, dass eine Hegemonie umso gefestigter ist, je mehr (relevante) gesellschaftliche Kräfte sich einer diskursiven Formation anschließen oder unterordnen. Wie wir vorstehend bereits gesehen haben, kommt es dabei vor allem auf die Zustimmung zivilgesellschaftlicher Kräfte an. Zum anderen kommt es auf die Qualität der Unterstützung an, denn je mehr das führende Artikulationsmuster »nicht nur passiv geduldet, sondern aktiv unterstützt wird, desto gesicherter ist die Hegemonie« (Scherrer 2007: 72-73, 75). Die ›Übereinkunft‹ kann folglich sowohl auf aktiver Zustimmung beruhen als auch auf passiver Billigung basieren. Wie aber kommt es zu dieser stabilen Führerschaft, d.h. wie verläuft der Prozess der ›Hegemonisierung‹? Prozesse der Hegemonisierung – Koalitionsbildung und Subjektivierung: Der Prozess der Hegemonisierung beschreibt die Stabilisierung führender Artikulationsmuster bzw. diskursiver Formationen qua Generierung von ›Einigkeit innerhalb eines konkreten sozialen Systems‹ (Laclau/Mouffe 2014 [1985]: 1, 128-129). Grundlegend für die Entstehung von Hegemonien ist damit die Vereinigung gesellschaftlicher Kräfte, die Gewinnung von Zustimmung breiter Teile der Gesellschaft (Laclau/Mouffe 2014 [1985]: 57, 122). Die Entstehung einer Hegemonie wird deshalb auch über die Bildung von »Diskurskoalitionen« beschrieben, womit auf die Bildung von Allianzen um bestimmte diskursive Formationen abgestellt wird (Hajer 1995). Die Formierung von Diskurskoalitionen ist wiederum angewiesen auf einen Prozess, der als »Subjektivierung« bezeichnet wird, und die Gewinnung von Akteuren für bestimmte diskursive Formationen meint (Nonhoff 2006; Jones/Spicer 2005; Stavrakakis 1997), indem diese als ›attraktiv‹ erlebt und deshalb zum Anknüpfungspunkt verschiedener Akteure wird (Levy/Spicer 2013: 660; Nonhoff 2006: 225).36 Für eine Untersuchung des Prozesses der Hegemonisierung kommt es mithin darauf an, die Bildung von Diskurskoalitionen in den Blick zu nehmen und die Gründe für ihre Vereinigung um bestimmte diskursive Formationen zu erhellen.
36 Die umfangreichsten Arbeiten zum Prozess der Hegemonisierung stammen von Hajer (1995) und Nonhoff (2006). Beide beschäftigen sich mit dem Begriff der Hegemonie aus diskursiver Perspektive, wobei sich Hajer vor allem an den Arbeiten Foucaults, Nonhoff hingegen an der Laclau/Mouffe’schen Diskurstheorie orientiert. Darüber hinaus existieren einige Arbeiten, die sich mit Prozessen der Hegemonisierung im Allgemeinen (Levy/Spicer 2013; Levy/Scully 2007; Levy/Egan 2003; Otto/Böhm 2006) und in explizit diskursiver Weise im Besonderen (Böhm/Brei 2008; Kenny/Scriver 2012; van Bommel/Spicer 2011) beschäftigen; Letztere greifen dabei ebenfalls auf die Arbeiten von Laclau und Mouffe zurück. Da diese Arbeiten, anders als die Arbeiten von Laclau und Mouffe, sich ausdrücklich auch um eine empirische Umsetzbarkeit des abstrakten Prozesses der Hegemonisierung bemühen, sind sie für das weitere Vorgehen dieser Arbeit von großer Bedeutung.
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Beides – Diskurskoalitionen und Subjektivierung – soll im Folgenden beschrieben werden. Das Konzept der Diskurskoalitionen (siehe u.a. Dobusch/Schüßler 2014; Nonhoff 2006; Szarka 2004; Bulkeley 2000; Hajer 1993, 1995; Singer 1990) geht zurück auf den politikwissenschaftlichen Ansatz der »advocacy coalitions« (entwickelt von Sabatier 1987, 1998; Sabatier/Jenkins-Smith 1988, 1993; Jenkins-Smith 1994), dem es grundsätzlich um Prozesse der Aushandlung politischer Strategien geht sowie darum, wie sich innerhalb dieser Prozesse jeweils spezifische Lösungen unter alternativen Lösungsmöglichkeiten durchsetzen (Sabatier/Jenkins-Smith 1993: 16 f.; Sabatier 1998: 99).37 Diskurskoalitionen werden in dieser Arbeit verstanden als ein Ensemble von Akteuren oder Akteursgruppen, die durch ihre gemeinsame Unterstützung einer oder mehrerer diskursiver Formationen miteinander ›verbunden‹ werden. Sie konstituieren sich »durch den Bezug auf ein gemeinsames Sinn-/Artikulationsnetz« (Nonhoff 2006: 202), welches sie im Weiteren gemeinsam artikulieren und reartikulieren. Der Idee der Diskurskoalitionen liegt die Annahme zugrunde, dass Diskurse nicht durch einzelne Individuen beeinflussbar sind – und seien sie noch so mächtig (Böhm/Brei 2008: 852-853; Scherrer 2005: 9) –, vielmehr gehe die Bestärkung bestimmter Tendenzen ›dezentralisiert‹ vonstatten (Scherrer 2005: 9). Nur Gruppen von Akteuren werden folglich als befähigt angesehen, gemeinsam diskursive Wahrnehmbarkeit zu erreichen, weshalb sie von entscheidender Bedeutung für Verbreitungs- und Durchsetzungsprozesse bestimmter Artikulationsmuster in Diskursen sind (Nonhoff 2010: 311; Hajer 1995: 14). Werden bestimmte Artikulationsmuster folglich von einer Vielzahl von zu einer Diskurskoalition verbundenen 37 Schon im »advocacy coalition« Ansatz ist ein diskursives Element angelegt. Die Durchsetzung bestimmter Lösungsalternativen wird hier weniger als Ergebnis rationaler Entscheidungen einzelner, machtvoller Akteure betrachtet, sondern in Abhängigkeit der Interaktion von Akteuren und ihrer impliziten Theorien und Problemdefinitionen (sogenannter »belief systems«) gestellt (Singer 1990: 430). Annahme des »advocacy coalition«-Ansatzes und Ergebnis zahlreicher entsprechender empirischer Studien (siehe dazu z.B. die Beiträge in Sabatier 1993) ist, dass sich die an den Prozessen beteiligen Akteure entlang geteilter »belief systems« zu Koalitionen zusammenfinden, die dann gemeinsam das Ergebnis des »Policy-Prozesses« beeinflussen. Als derart geformte »advocacy coalition« wird somit eine Gruppe verstanden, die, zusammengesetzt aus unterschiedlichen Akteuren und über institutionelle Zugehörigkeiten hinweg, »(a) share a set of normative and causal beliefs and (b) engage in a non-trivial degree of co-ordinated activity over time« (Sabatier 1998: 103; ähnlich Sabatier/Jenkins-Smith 1988: 124). Die Mitgliedschaft von Akteuren in einer Koalition wird dabei nicht ohne Wirkung auf die »belief systems« selbst bleiben, womit ihre Veränderung zur endogenen Variable wird (Hall 1986: 277; Sabatier 1998: 109, 124).
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(kollektiven) Akteuren artikuliert, so werden sich diese im Diskurs ›hervortun‹; um auf Dauer wahrnehmbar im Diskurs zu sein, müssen sie kontinuierlich (re-)aktiviert werden (Nonhoff 2006: 194). Der Ansatz der Diskurskoalitionen macht es somit möglich, die Hegemonie bestimmter Motivmuster als eine Beziehung zwischen kollektiven Akteuren zu verstehen (Scherrer 1999: 16-33; Scherrer 2005: 10) und damit nicht nur den Prozess der Stabilisierung auf Akteursebene nachzuvollziehen, sondern auch das oben bereits erwähnte relationale Verständnis der Stabilität selbst zu erhalten. Die vorliegende Arbeit greift deshalb auf das Konzept der Diskurskoalitionen als »wesentlichen Mechanismus jeder hegemonialen Praxis« und damit »Baustein« der Erklärung stabiler diskursiver Führerschaft zurück (Nonhoff 2006: 201, 188, 197; ähnlich Hajer 1995: 65), um die Entwicklung und Stabilisierung der Führerschaft des »Business Case for CSR« zu verstehen. Diskurskoalitionen formieren sich – anders als institutionalisierte Gruppen – durch die gemeinsame Bezugnahme auf bestimmte Artikulationsmuster oder deren Bestandteile (z.B. Argumente, Motive, Forderungen, etc.) (Nonhoff 2006: 188). Weder ist ein physisches Treffen der Akteure notwendig, noch müssen sich die Mitglieder einer Diskurskoalition zwingend mit allen Interessen der jeweils anderen Akteure oder der Koalition als solcher identifizieren (Hajer 1995: 13, 65). Vielmehr ist es die geteilte Bezugnahme auf bestimmte diskursive Formationen, welche die Diskurskoalition als deren »Zement« zusammenhält (Hajer 1995: 65; Singer 1990: 440), und zwar unabhängig davon, aus welchen Gründen die Akteure bestimmte Argumente oder Motive bedienen (Hajer 1995: 65; Nonhoff 2006: 201), weshalb es für das Fortbestehen von Diskurskoalitionen auch essenziell ist, dass das gemeinsame Artikulationsmuster stetig reproduziert und immer wieder aufs Neue artikuliert wird (Nonhoff 2006: 201-202). Dabei kann es dazu kommen, dass sich durch den ›Anschluss‹ weiterer Akteure – die aus ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen ›Lagern‹ stammen können, ja für die Stabilisierung der Hegemonie sogar müssen – auch das gemeinsame Artikulationsmuster über die Zeit verändert. Umgekehrt wird auch die ›Mitgliedschaft‹ in einer Diskurkoalition nicht ohne Wirkung auf die Akteure bleiben (Laclau 2007a; auch Sabatier 1998). Denn »fundamentale Annahme der Diskurstheorie« ist, wie wir gesehen haben, dass Diskurs und Subjekt beide der Dynamik des Artikulierens unterliegen, »dass sich also im Laufe von Artikulationsprozessen Subjekte ebenso wandeln wie die diskursiven Strukturen« (Nonhoff 2006: 195). Dies führt uns zum zweiten ›Baustein‹ des Prozesses der Hegemonisierung, der Subjektivierung. Nicht jede Artikulation wird zum Anknüpfungspunkt für die Bildung einer Diskurskoalition. Um zum »Knotenpunkt« einer Diskurskoalition und damit potenziell diskursbeeinflussend zu werden, muss die jeweilige Artikulation bzw. das Artikulationsmuster einen nahezu absorbierenden Charakter haben, sie muss »Subjektivierungswirkung« entfalten, ein »Inklusionspotenzial« entwickeln (Nonhoff 2010: 315, ähnlich Levy/Spicer 2013: 662, 675), was bedeutet, dass sie von unterschiedli-
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chen Positionen aus vorgebracht und damit zur Einschreibefläche für viele Akteure werden kann. Das gemeinsame Artikulationsmuster – auch als »Storyline« (Hajer 1995; ähnlich Gamson/Modigliani 1989) oder diskursive Formation (Laclau/Mouffe 2014 [1985]: 128-131) bezeichnet – bildet symbolische Referenzen eines gemeinsamen Verständnisses, die einzelne Positionen, Forderungen, Sinneinheiten in sich vereinen und so als Versuche der Schließung des Diskurses verstanden werden können (Hajer 1995: 62). Sie werden gebildet, wenn zuvor unzusammenhängende Argumente unter einer übergreifenden ›Erzählung‹ miteinander verbunden werden (Hajer 1995: 65), und erlauben es, auf komplexe Sachverhalte auch in vereinfachter Weise Bezug zu nehmen, weshalb sie eine ordnende und für die Strukturierung des Diskurses elementare Rolle innehaben (Hajer 1995: 41). Die »Attraktivität« bestimmter Artikulationen bzw. Artikulationsmuster muss nicht zwingend aus ihrer logischen Kohärenz oder ihrem ›Wahrheitsgehalt‹ entstammen, vielmehr geht es um ihre wahrgenommene (zuweilen affektive) Überzeugungskraft (Hajer 1005: 6667; Kenny/Scriver 2013) und Anschlussfähigkeit (Levy/Spicer 2013: 675; ähnlich Levy/Egan 2003: 823). Akteure mit unterschiedlichen Interessen und Zielen müssen die gleiche Artikulation folglich als »attraktiv« und damit »erstrebenswert« empfinden (Reckwitz 2012: 70). Hajer stellt fest, »the power of a political text is not derived from its consistency […] but comes from its multi-interpretability« (Hajer 1995: 61). Je stärker sich bestimmte Artikulationen als »Zuschreibungsmatrix« für die (zuweilen auch divergierenden) Interessen unterschiedlicher Akteure erweisen, desto wahrscheinlicher wird die Formierung einer Diskurskoalition, womit die Wahrscheinlichkeit steigt, dass diese diskursive Formation den Diskurs maßgeblich bestimmen wird (Schulz 2007: 227). Vor allem solche Artikulationen haben folglich das Potenzial, den Diskurs zu prägen, die einen »Bedeutungsüberschuss« produzieren, »also eine Form der symbolischen Mehrdeutigkeit, die sich auch als ›Deutungsoffenheit‹ bezeichnen lässt und die den Sinn des jeweiligen Diskurses für die Identifikationsmöglichkeiten aus mehreren unterschiedlichen Perspektiven öffnet« (Schulz 2007: 226). Der Modus der Äquivalenzierung, über den die Einbindung neuer Elemente erfolgt, eröffnet dabei auch die Möglichkeit der Inklusion zuvor in konträrer Relation stehender Artikulationen und kann dadurch das hegemoniale Projekt vorantreiben (Nonhoff 2006: 288-289). Dabei stehen Bedeutungszuwachs und Inklusionspotenzial und Formierung bzw. Erweiterung der Diskurskoalition in einem einander rekursiv verstärkenden Verhältnis. Wir haben gesehen, dass Artikulationsmuster, um eine Verstärkung zu erfahren, fähig sein müssen, möglichst viele auch verschiedene (und nicht zwingend vereinbare) Positionen zu subsumieren. Werden Elemente einer diskursiven Formation durch viele unterschiedliche Akteure artikuliert und re-artikuliert, so gewinnt diese an Bedeutung und ist unter Umständen in der Lage, den Diskurs zu beeinflussen. Wenn dies geschieht, sich also zunehmend Artikulationen einpassen, dann wird
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damit jedoch auch eine Öffnung des Interpretationsspielraums der jeweiligen diskursiven Formation einhergehen, was es weiteren Akteuren erlaubt, sich in die diskursive Formation ›einzuschreiben‹. Es kann erwartet werden, dass Akteure die gleiche Storyline auf jeweils (leicht) unterschiedliche Weise interpretieren, ihr eigene Interpretationen hinzufügen (Hajer 1995: 13; Nonhoff 2010: 315): »[…] the more extended the equivalential chain, the more mixed will be the nature of the links entering into its composition […].« (Laclau 2007a: 75) Mit der Artikulation eines Artikulationsmusters durch unterschiedliche Akteure gewinnt dieses folglich nicht nur an Bedeutung, auch wird die Interpretationsoffenheit des Artikulationsmusters zunehmen. Dies wiederum ermöglicht es weiteren Akteuren, sich dieser Interpretation anzuschließen. Es ergibt sich ein selbstverstärkender Effekt, der bestimmte Artikulationen/Bedeutungen in derart rekursiver Weise begünstigt, andere jedoch benachteiligt. Unter Fortführung dieses Prozesses wird die Entstehung eines leeren Signifikanten wahrscheinlich (Laclau 2007a: 76). Im Zentrum hegemonialer Diskurse stehen damit Signifikanten, wie beispielsweise »Freiheit«, »Verantwortung« oder »Demokratie«,38 die zugleich notorisch über- und unterbestimmt sind und denen es gerade deshalb gelingt, einen »Knotenpunkt« für eine »imaginäre Einheit des Diskurses« zu stellen (Reckwitz 2012: 76). Durch ihre Offenheit bzw. Vieldeutigkeit, welche die Inklusion immer neuer Elemente erlaubt, sind es insbesondere leere Signifikanten, die die Stabilität eines Diskurses gewährleisten. Verbunden mit dieser Dynamik ist die Möglichkeit unintendierter Konsequenzen. Laclau spricht hier von einem »mixed blessing« (Laclau 2007a: 88-89, 2007c: 42): Auf der einen Seite gewinnen einzelne Artikulationen durch Aufnahme in ein Artikulationsmuster an Einflusskraft und auch das Artikulationsmuster selbst wird durch andauernde Reaktivierung zunehmend an Bedeutung gewinnen: »It ceases to be a fleeting, transient occurrence, and becomes part of […] a discursive/institutional ensemble which ensures its long-term survival.« (Laclau, 2007a: 8889; ähnlich Laclau 2000a: 56-57) Auf der anderen Seite wird mit Inklusion immer weiterer Artikulationen der Interpretationsspielraum des Musters ausgeweitet und die Einzelforderungen werden in ihrer Partikularität verblassen. Es tut sich über eben diesen Prozess und die dabei entstehende Eigendynamik des Diskurses die 38 Wendy Brown (2012: 56) etwa diskutiert den Begriff der »Demokratie« als »leeren Signifikanten« und schreibt: »Das Lob der Demokratie wird heute nicht nur rund um den Globus, sondern auch durch das gesamte politische Spektrum hindurch gesungen. Gemeinsam mit den Systemveränderern aus der Zeit nach dem Ende des Kalten Krieges, ehemaligen Sowjetbürgern, die noch immer in unternehmerischer Glückseligkeit schwelgen, Avataren des Neoliberalismus und unerschütterlichen Liberalen ist auch die euroatlantische Linke von der Marke hingerissen. […] Berlusconi und Bush, Derrida und Balibar, italienische Kommunisten und Hamas – wir sind jetzt alle Demokraten. Aber was ist von der Demokratie übriggeblieben?«
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Möglichkeit auf, dass sich partikulare Forderungen im Universalismus des so entstehenden Diskurses nicht repräsentiert sehen. Der Diskurs entfaltet mit der Aufnahme immer weiterer Artikulationen eine gewisse Eigendynamik – »laws of movement of its own« (Laclau, 2007a: 88-89) –, die durch den Einzelnen immer weniger beeinflussbar wird. Aus Sicht der Einzelnen scheint der Diskurs über die Zeit seine Richtung damit zunehmend selbst zu bestimmen, eigenen Gesetzen zu unterliegen (Laclau 2007c: 55-56): »[…] and nothing guarantees that these laws would not lead to sacrify [sic], or at least substantially compromise, the requests involved in some of the individual democratic demands.« (Laclau, 2007a: 88-89; ähnlich Laclau 2000a: 56-57) Die Integration unterschiedlicher Artikulationen in ein Artikulationsmuster befördert so auf der einen Seite deren Bedeutung; auf der anderen Seite werden sie mit ihrer Inklusion nur noch als Teil des hegemonialen Artikulationsmusters und nicht mehr in ihrer Partikularität wahrgenommen, weshalb dieser Prozess sich für die einzelne Artikulation (und somit auch die Akteure) als eine ambivalente Bewegung darstellen kann.
2.3 D IE ANALYSE DER E NTWICKLUNG UND S TABILISIERUNG DER F ÜHRERSCHAFT DES »B USINESS C ASE FOR CSR« MIT DER DISKURSIVEN P FADTHEORIE Im Folgenden wird der zuvor vorgestellte Verlauf pfadabhängiger Prozesse unter Bezugnahme auf das dargestellte Verständnis diskursiver Hegemonien für das Diskursive handhabbar gemacht und damit ein Analyserahmen entwickelt, mit dem wir uns der Entwicklung und Stabilisierung der Führerschaft des »Business Case for CSR« im deutschen Diskurs unternehmerischer Verantwortung in sowohl theoretisch informierter wie auch empirisch zugänglicher Weise nähern können. Die folgende Beschreibung orientiert sich am Phasenmodell der Pfadabhängigkeit von Sydow und Kollegen (2009, 2012), deren Dimensionen und Indikatoren jeweils in diskursive Termini ›übersetzt‹ werden und überblickshaft in Tabelle 1 dargestellt sind.
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Tabelle 1: Analyserahmen und Indikatoren für den diskursiven Pfadverlauf Phasen
Dimensionen
Indikatoren
Präformationsphase
historische Ausgangsbedingungen: diskursive Offenheit
Verschiedene Artikulationsmuster werden vorgebracht und es haben sich noch keine Diskurskoalitionen von Dauer zwischen den Akteuren etabliert.
Kontingenz
Es ist noch nicht absehbar, welches Artikulationsmuster sich im weiteren Verlauf durchsetzen wird.
Triggering Event/ Critical Juncture
Kleines oder großes Ereignis oder Reihe von Ereignissen, die dem Diskurs einen bestimmten Trend verleihen.
Formations- Selbstverstärkung phase
Ein selbstverstärkender Mechanismus führt zur vermehrten Bezugnahme auf ein bestimmtes und zur Marginalisierung alternativer Artikulationsmuster, d.h. ein Artikulationsmuster wird zur Einschreibefläche unterschiedlicher Akteure, sodass sich eine Diskurskoalition bildet und möglicherweise ausweitet, mit dem Ergebnis eines sich zunehmend als führend durchsetzenden Artikulationsmusters.
Lock-inPhase
Kontinuität
Das führende Artikulationsmuster wird durch die nun hegemoniale Diskurskoalition fortgesetzt reproduziert und/oder durch das Absorbieren weiterer Artikulationen sogar ausgeweitet. Alternative Artikulationsmuster sehen sich de facto aus dem etablierten ›Mainstream‹Diskurs ausgeschlossen.
Scheitern von Veränderungsversuchen
Angriffe auf die bestehende Ordnung werden von den eingeschlossenen Akteuren ›abgeblockt‹ oder der hegemonialen Ordnung ›einverleibt‹.
potenzielle Problematik
Das Festhalten am führenden Artikulationsmuster erweist sich für die eingeschlossenen Akteure als potenziell problematisch.
(Eigene Darstellung)
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Präformationsphase Zunächst ist der Blick auf die erste Phase, die Präformationsphase zu richten. Die Pfadtheorie kennt – so wurde im Rahmen der Diskussion zum Dreiphasenmodell deutlich – mehrere Dimensionen der Präformationsphase. Mit dem Begriff der Historizität unterstreicht sie, dass die sich im Verlauf des Prozesses stabilisierenden Muster nicht von Beginn an als ›gegeben‹ zu verstehen sind. In der Pfadanalyse muss es folglich darum gehen, historische Ausgangsbedingungen zu zeigen, die eine solche Offenheit zum Prozessbeginn deutlich machen. In dieser Phase ist noch nicht abzusehen, wie sich der weitere Prozess entwickeln wird, mehrere alternative Prozessverläufe sind denkbar (Kontingenz). Erst ein als »critical juncture« bezeichneter Wendepunkt leitet mit einem ›Kippen‹ des Prozessverlaufs, in Richtung einer der bis dato gleichwertig nebeneinander stehenden Alternativen, die zweite Phase des Diskurses ein. Die Analyse des Diskurses unternehmerischer Verantwortung muss folglich zunächst darauf abstellen, die spezifischen historischen Ausgangsbedingungen des Diskurses darzustellen, und dabei mit Blick auf die im Fokus der vorliegenden Arbeit stehenden Motive unternehmerischer Verantwortung in die Zeit vor Entstehung der Führerschaft des »Business Case for CSR« zurückgehen. Dabei wird es mit Blick auf die Kontingenz dieses diskursiven Pfadprozesses darum gehen, die alltägliche »Prozessierung« von Bedeutung (Keller 2011: 29) darzustellen, deren grundlegende Umkämpftheit und Unabschließbarkeit verhindern, dass diskursive Entwicklungen vorhersagbar wären und allein unter Rückgriff auf ihre Vergangenheit eindeutige Aussagen über ihren Verlauf gemacht werden könnten (Laclau 2007a: 43; Laclau 1993: 435). Welche partikulare Forderung leitend für den Diskurs wird, ist etwas, das a priori nicht bestimmt werden kann (Laclau 2007c: 58). Auch aus Sicht der Diskursteilnehmer ist das Entstehen leitender Interpretationen nicht vorhersagbar, da es trotz zum Teil starker Interessen keinem Einzelakteur möglich sein wird, die Richtung des Diskursverlaufs in letzter Instanz zu bestimmen (Laclau 2007b; Scherrer 2005, 2007). Das Auftreten einzelner Artikulationen muss damit zunächst keine Wirkung entfalten, bieten sie jedoch die Möglichkeit der Inklusion, stellen etwa aktuelle Forderungen dar, so werden sich weitere Akteure ›anschließen‹. Was aber beeinflusst, dass ein bestimmter Signifikant der Repräsentant einer hegemonialen Ordnung wird und nicht irgendein anderer? Laclau sieht diese Frage als empirische Frage, für deren Beantwortung die Identifikation eines »particular conjuncture« notwendig sei, das heißt die Entstehung einer ersten ›hegemonialen Beziehung‹ durch das Zusammentreffen von Subjektpositionen unter der Verfügbarkeit bestimmter Signifikanten (Laclau 2007c: 43). Vergleichbar mit dem »critical juncture« pfadtheoretischer Ansätze (Collier/Collier 1991), dient eine solche, kontingente Verbindung als Anstoß einer bestimmten ›Richtung‹ des Diskurses. Ausgedrückt in der Terminologie Laclaus, ist es hierfür notwendig, dass es zur Artikulation von Äquivalenzbezie-
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hungen zwischen den Forderungen unterschiedlicher Gruppen kommt, sodass eine strukturierte diskursive Formation entstehen kann, die über die Vereinigung verschiedener Akteure unter ihrem ›Dach‹, Wirkung im Diskurs entfalten kann (Laclau 2007a: 72-75; Laclau 2000a: 55). Ein kritisches Ereignis könnte z.B. die Bildung einer ersten Diskurskoalition durch die neuartige Verbindung vormals disparater Artikulationen sein. Dieses ›Zusammentreffen‹ kann durch die Eröffnung neuer Subjektpositionen und damit Identifikationsmöglichkeiten weitere Artikulationen ›triggern‹, etwa indem vormals randständige Akteure zu einer bestehenden Akteursgruppe oder -koalition quasi ›herübergezogen‹ werden und so den Diskurs erstmals – und in noch nicht entscheidender Weise – durch eine erste Verschiebung seines Gleichgewichts zum ›Kippen‹ bringen. Entsprechende Trajektorien sind in der Analyse hegemonialer Diskurse jeweils retrospektiv zu identifizieren und müssen in der empirischen Analyse weiter spezifiziert werden. Laclau betont im Einklang mit pfadtheoretischen Annahmen, dass sich eine Analyse der »rejected alternatives« dabei nicht beziehen dürfe auf »everything that is logically possible, but those alternatives which were in fact attempted, which thus represented antagonistic alternatives and were suppressed« (Laclau 1990: 34, Hervorhebung im Original). Formationsphase Mit der durch das vorstehend beschriebene »critical juncture« und im Zuge dieser erstmaligen Bündelung von Kräften stattfindenden Verschiebung kann es im weiteren Prozessverlauf dazu kommen, dass die anfängliche Offenheit des Diskurses sich zu schließen beginnt, sodass »a ›forgetting of the origins‹ tends to occur; the system of possible alternatives tends to vanish and the traces of the original contingency to fade« (Laclau 1990: 34). Indem also ein bestimmtes Artikulationsmuster durch die Bildung einer Akteursbeziehung ›Momentum‹ erlangt, wird es gleichsam zum Horizont weiterer Artikulationen. Sich anschließende Artikulationen werden vor allem im Sinne des einmal initiierten Musters geäußert. Laclau spricht ab diesem Punkt des Prozesses von »sedimentation«: »[i]n this way, the instituted tends to assume the form of a mere objective presence« (Laclau 1990: 34). Wesentliches Element der Pfadtheorie, um derartige Prozesse zu erklären, sind – wie in den Ausführungen zum Phasenmodell der Pfadtheorie expliziert – die selbstverstärkenden Mechanismen, die als prozessendogene Logik Selektion und Stabilisierung bestimmter Muster erklären.39 Um der Frage nach der »Sedimentie39 Unterschiedliche selbstverstärkende Mechanismen werden – wie wir gesehen haben – von der Pfadtheorie angeboten, um zu erklären, warum bestimmte Muster immer wieder, andere hingegen zunehmend weniger gewählt werden. Dabei scheinen sich einige dieser Mechanismen einer diskursiven Fassung eher anzubieten als andere. Adaptive Erwartungen beispielsweise scheinen diskursiven Prozessen insofern zugeneigt, als dass sie eine ähnliche ›Infektionswirkung‹ zu entwickeln scheinen, wie sie auch Diskursen unterstellt
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rung« bzw. den in bisherigen Pfadstudien auf diskursiver Ebene bereits als »Normalisierung« umrissenen Dynamiken nachzugehen und uns den zugrunde liegenden Mechanismen zu nähern, greifen wir auf das Konzept der Diskurskoalitionen zurück, mit denen die Verschiebung diskursiver Gleichgewichte auch empirisch nachvollziehbar wird. So kann die Formierung und Re-Formierung von Diskurskoalitionen ›Verschiebungen‹ des Diskurses hinsichtlich bestimmter Muster erklären und beispielsweise die Vereinigung von Akteuren um ein bestimmtes Artikulationsmuster dessen Bedeutungszuwachs erhellen. Für die Selektion bestimmter Artikulationsmuster, die Etablierung ihrer Führerschaft sowie deren Stabilisierung müssen – wie wir gesehen haben – immer weitere Akteure ›gewonnen‹ werden, wobei dieser Prozess Kompromisse und »substantive concessions to weaker groups« sowie die Integration der Interessen potenzieller Koalitionspartner umfassen (Hall 1986: 20; Laclau/Mouffe: 67; Levy 2008: 952; Levy/Egan 2003), aber auch Elemente des Zwangs beinhalten kann (Levy 2008: 952; Levy/Egan 2003). Beides kann Grund dafür sein, »why weaker groups might consent to participate in [coalitions, N.L.] in which they have little influence over the ›rules of the game‹ and do not enjoy a ›fair share‹ of the benefits« (Levy 2008: 952). Mit Blick auf die Verbreitung bestimmter Motive wurde beispielsweise die vereinigende Kraft sich als typisch etablierender Motivvokabulare hervorgehoben. Nicht nur könnten durch andere als typisch empfundene Motive unhinterfragt vorgebracht werden, auch könne deren Artikulation andere vom eigenen Handeln überzeugen sowie zum Handeln bewegen und so die Formierung von Allianzen fördern (Mills 1940). So übe das als typisch etabliere Motivvokabular eine sowohl ermöglichende wie auch begrenzende Wirkung auf die Akteure aus (ebd.). Auch in der diskursiven Hegemonietheorie wird das ›Gewinnen‹ von Akteuren für bestimmte diskursive Formationen als komplexe Dynamik gefasst, die teils auf dem Zwang der an Bedeutung gewinnenden diskursiven Formation beruht, teils auf der Integration bislang widerständiger Akteure fußt. Auch für widerständige Akteure muss die hegemoniale Forderung folglich eine eigene Forderung werden, d.h. sie müssen die Verwirklichung ihrer Ziele zumindest partiell durch die Forderungen der hegemonialen Koalition ermöglicht sehen. Aus Sicht des hegemonialen Projekts ist die eigene Position im weiteren Verlauf zum einen gegen das »Andere« und damit gegen etwaige Widerständler zu verteidigen, zum anderen kann das ›Lager‹ der Widerständigen als Inklusionspotenzial aufgefasst
wird (z.B. Farrell/Quiggin 2012). Wie wir gesehen haben, sind diskursive Artikulationsmuster für ihre Verbreitung auf die Zustimmung einer Vielzahl von Akteuren angewiesen, die sich durch die Einbindung verschiedener Forderungen durch Integration der damit verbundenen Interessen ergibt. Dementsprechend wäre es denkbar, dass etwa Erwartungen hinsichtlich der Erfüllung der eigenen Interessen durch den Anschluss an das Muster zu dessen Beförderung führen.
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werden, um das eigene Muster bestenfalls weiter zu bestärken (Stäheli 2007: 2032). In diesem Prozess der (Ver-)Einigung kommt es zur Verschiebung immer weiterer gesellschaftlicher Kräfte unter das ›Dach‹ einer diskursiven Formation. Es setzt sich ein selbstverstärkender Prozess zwischen dem ›Herüberziehen‹ immer weiterer Akteure, der Ausweitung der diskursiven Formation sowie ihrem Bedeutungszwuachs in Gang, der Widerspruch schwieriger und Zustimmung umso wahrscheinlicher macht und damit weitere Akteure dazu bewegen wird, sich der diskursiven Formation ›anzuschließen‹, was erneut ihre Position stärken wird, usw. Die innerhalb derartiger Prozesse stattfindenden Dynamiken sind dem Prozess endogen. Während die artikulatorische Praxis der Akteure, ihre diskursiven Kämpfe, als ›Motor‹ der Dynamiken innerhalb eines Diskurses gesehen werden können, sind die Akteure, ihre Interessen und Ziele selbst Ergebnis des Prozesses (Levy/Egan 2003: 811-812). Akteuren wird dabei, wie wir vorstehend bereits angemerkt haben, keinesfalls ihre Rationalität und Interessenlastigkeit abgesprochen. Auch Interessen sowie das, was als »rational« angenommen wird, sind jedoch jeweils durch den Diskurs beeinflusst (Hajer 1005: 59). Lock-in-Phase Das Lock-in wird definiert als »[s]ituation or outcome where the trajectory of a path becomes confined to a single solution that does not need to be efficient« und wo »alternative options are considered to be niches« (Sydow et al. 2012: 5). Von Lockin kann – wie die Darstellungen zum Dreiphasenmodell der Pfadtheorie gezeigt haben – dann gesprochen werden, wenn an den etablierten Mustern fortgesetzt festgehalten wird (Kontinuität) und sich diese selbst gegen Wandelinitiativen immun zeigen (Inflexibilität), und zwar auch dann, wenn sie sich bei Auftreten von Umweltveränderungen (rationality shift) als zumindest potenziell ineffizient erweisen (potenzielle Ineffizienz). Übertragen auf diskursive Prozesse stellt sich das Lock-in wie folgt dar. Das diskursive Lock-in wird eingeleitet, indem sich ein bestimmtes Artikulationsmuster – in unserem Falle ein bestimmtes Motivmuster – als führend erweist, d.h. es die aktive Unterstützung oder passive Billigung von Akteuren aller gesellschaftlichen ›Lager‹ erfährt, sich ein ›historischer Block‹ bzw. eine Akteure unterschiedlicher gesellschaftlicher Lager umfassende Diskurskoalition um dieses Artikulationsmuster formiert hat und sich folglich eine Situation der ›Einigkeit‹ oder ›Übereinkunft‹ hinsichtlich dieses Artikulationsmusters eingestellt hat, wobei es – wie wir gesehen haben – vor allem auf die Unterstützung von Akteuren der Zivilge-
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sellschaft ankommt. Die derart etablierte Führerschaft stellt den Übergang zu dritten Phase des diskursiven Pfadprozesses dar.40 Die so etablierte Führerschaft ist für ihre Stabilität fortan auf die fortgesetzte Artikulation des als führend etablierten Artikulationsmusters angewiesen (Kontinuität), denn wie wir gesehen haben, bedarf die hegemoniale Ordnung der fortlaufenden Re-Artikulation durch ihre Unterstützerinnen (Nonhoff 2006: 13). Die der nun hegemonialen Diskurskoalition angehörigen Akteure werden folglich die etablierte Ordnung reproduzieren oder diese sogar ausbauen. Widerständige Akteure hingegen sehen sich einer als ›gesamtgesellschaftlich akzeptiert‹ darstellbaren Ordnung gegenüber, was es ihnen erschwert, alternative Artikulationen vorzubringen. Von der etablierten Ordnung abweichende Artikulationen sehen sich ins ›diskursive Abseits‹ verwiesen oder müssen – sofern sie ihre Forderungen in den diskursiven Mainstream einbringen wollen – dafür jeweils auf das hegemoniale Artikulationsmuster Bezug nehmen (Hajer 1995: 57). Im Lock-in wirkt der Diskurs einschließend und ausschließend zugleich (so auch zum strategischen Lock-in bei Schüßler 2009: 44) und wird sich damit als inflexibel gegenüber Veränderungsversuchen zeigen (Inflexibilität): Für die eingeschlossenen Akteure wird die fortgesetzte Artikulation des führenden Artikulationsmusters jeweils als die naheliegendere Option erscheinen. Aus dieser Position werden alternative und zur etablierten Ordnung in Kontrarität stehende Artikulationen als Bedrohung der etablierten Ordnung, als ›radikal anders‹, wahrgenommen und aus dem ›diskursiven Mainstream‹ ausgeschlossen, ihre Forderungen als unvereinbar mit der herrschenden Meinung ›abgeblockt‹. Mit der etablierten Ordnung kompatible Forderungen hingegen werden als sogenannte ›Dislozierungen‹ in die hegemoniale Ordnung integriert, ihr subordiniert, womit sie ihre Partikularität einbüßen und nicht mehr in der Lage sein werden, die hegemoniale Ordnung signifikant zu ›stören‹, ja vielmehr werden sie diese durch ihre Einpassung möglicherweise zusätzlich stärken. Hoffnungen gerade mit Blick auf zivilgesellschaftlich angestoßenen Wandel müssten regelmäßig enttäuscht werden, denn nicht nur seien »[h]egemonic systems […] resilient to challenge […] and tend to absorb and deflect threats in ways that protect system fundamentals […], [a]t the same time, the multilevel and resilient nature of hegemony points to the limitations of strategic action for change, […] [as] [d]ominant actors frequently respond to pressure from challengers […] in a way that preserves the essentials of a field structure, in some cases even reinforcing their position« (Levy 2008: 956-957, eigene Hervorhebung, N.L.).
40 Hess und Kollegen haben, unabhängig vom Begriff der Hegemonie, die Vormachtstellung bestimmter Storylines und entsprechender Akteurskonstellationen bereits als Pfadabhängigkeit interpretiert (Hess et al. 2010).
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Nicht umsonst wird in der Zivilgesellschaft zugleich auch der Ort möglicher Stabilisierung und im Gewinn ihrer Zustimmung eine »key source of stability« gesehen (Levy/Egan 2003: 805). Wandel im Sinne des Einbringens sich vom Mainstream signifikant unterscheidender Muster erscheint damit kaum mehr möglich, was den Diskurs ›stillstellt‹, sprich, ihn gegen Veränderungsversuche immunisiert und folglich stabil hält. Potenzielle Ineffizienz: Die Bedeutung von Koalitionen für die Entwicklung und Stabilisierung von Führerschaft unterstreicht, dass diese jeweils Resultat kollektiver Handlungen ist. Die für die Etablierung der Führerschaft notwendige Erweiterung der Diskurskoalition kann dazu führen, dass das entstehende Ergebnis zunehmend aus den Händen derer gerät, deren Forderungen das hegemoniale Projekt einmal repräsentierte. Der Diskurs entwickelt im Laufe des Prozesses ›eigene Gesetze‹ (Laclau 2007a: 89) und kann folglich zu unintendierten und zumindest einigen der Akteure zuwiderhandelnden Ergebnissen führen (Mumby 1997: 344; Levy/Egan 2003: 812) – er ist nicht zwingend mit dem Eintreten der anfangs intendierten Ergebnisse verbunden, stellt sich für die Akteure mitunter vielmehr als »mixed blessing« dar (Laclau 2007a: 88-89, 2007c: 42). Dabei ist anzumerken, dass diese Problematik – anders als z.B. in Fällen der organisationalen Pfadabhängigkeit konzipiert – von den eingeschlossenen Akteuren nicht unbedingt erkannt werden wird, sie sich dem ›stillen Zwang der Verhältnisse‹ mitunter nicht (mehr) bewusst sein werden, sofern sie die eingeschlossenen Forderungen als die ihren übernommen haben: »Der Zwang ist ein solcher nur für den, der ihn nicht akzeptiert, nicht für den, der ihn akzeptiert.« (Gramsci, GH 7: 1688, zitiert in Scherrer 2007: 78) Die ›eingeschlossenen‹ Akteure sind dem Muster des Pfades unterworfen und werden, sei es weil sie von den aktuellen Strukturen profitieren oder weil Alternativen außerhalb des von ihrem Standpunkt aus Denkbaren liegen, einen Wandel kaum anstoßen. Wie wir gesehen haben, werden hegemoniale Artikulationsmuster als »alternativlos« (Distelhorst 2007: 156; Reckwitz 2012: 75), als »mere objective presence« (Laclau 1990: 34) wahrgenommen. Randständige Akteure hingegen sind aufgrund ihrer abseitigen Position zwar zu diesem ›Über-das-Bestehende-Hinausdenken‹ in der Lage, ihnen fehlen jedoch Einfluss und Ressourcen, um Wandel effektiv einzuleiten: Es ergibt sich ein spannungsreicher Zustand, den Haussmann (2014: 77-79, 239) unter Rückgriff auf (diskursiv) neo-institutionalistische Arbeiten treffend mit »paradox of embedded agency« beschrieben hat (siehe dazu auch Maguire/Hardy 2008; Suddaby/Greenwood 2005). Aufgrund des bis hierhin nur theoretisch erläuterten Prozessverlaufs und des somit noch unvollständigen Verständnisses bezüglich diskursiver Pfadprozesse kommt es im Weiteren vor allem darauf an, die im deutschen Diskurs unternehmerischer Verantwortung artikulierten diskursiven Formationen – verschiedene Motivmuster – und die sie artikulierenden Akteure und Akteurskoalitionen zu identifizieren und im Zeitablauf zu analysieren. Dabei ist es vor dem Hintergrund des
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soeben dargelegten Prozessverlaufs diskursiver Pfade insbesondere wichtig, Phasen der diskursiven Aushandlung und (Ver-)Einigung zu identifizieren sowie den Verlauf und die Gründe der Einigung zu betrachten. Im Folgenden soll ein methodisches Vorgehen entwickelt werden, das diese Prozesse im empirischen Material erfassbar macht.
3 Methodologie und methodische Umsetzung
Dieses Kapitel stellt das methodische Vorgehen der Analyse des Diskurses unternehmerischer Verantwortung dar. Zunächst wird die qualitative Diskursanalyse als geeignete Methode für die Beantwortung der Forschungsfragen vorgestellt und damit das grundlegende empirische Vorgehen dieser Arbeit bestimmt sowie ihre epistemologischen Vorannahmen expliziert (3.1).1 Im Anschluss daran wird ausgehend von den Forschungsfragen ein geeignetes Forschungsdesign bestimmt (3.2) und der zu analysierende Diskursausschnitt eingegrenzt (3.3). Daran anschließend werden die Schritte der Datensammlung, -organisation, und -analyse im Einzelnen vorgestellt (3.4). Abschließend wird das Vorgehen anhand geeigneter Gütekriterien bewertet (3.5). Mit der Offenlegung der Datenbasis sowie des Prozesses der Analyse soll das Vorgehen nachvollziehbar und nicht zuletzt auch einer intersubjektiven Überprüfung zugänglich gemacht werden.
1
Der Mangel an qualitativen Analysen unternehmerischer Verantwortung wurde immer wieder festgestellt (z.B. Lockett et al. 2006) und entsprechend qualitative Studien gefordert, zuletzt von Aguinis/Glavas (2012: 954) die schreiben: »Finally, more qualitative studies are needed to improve our understanding of the underlying mechanisms of CSR. Results of our review indicate that only 20 (i.e., 11 %) of the studies in the content analysis employed qualitative methodologies, with over half of the qualitative studies being case studies or interviews that set up quantitative studies.« Auch longitudinale Forschungsdesigns werden als wesentlich hervorgehoben: »[…] future CSR research would benefit from using data collection approaches that allow for the study of processes as they unfold over time.« (Aguinis/Glavas 2012: 958)
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3.1 E PISTEMOLOGISCHE V ORBEMERKUNGEN
UND METHODOLOGISCHE
Ausgehend von der in Kapitel 1 umrissenen Problemstellung hat sich die vorliegende Arbeit das Ziel gesetzt, eine empirisch und theoretisch fundierte Bestimmung der Motive unternehmerischer Verantwortung, insbesondere des »Business Case for CSR«, vorzunehmen und die Entwicklung und Stabilisierung der Führerschaft des »Business Case for CSR« im deutschen Diskurs unternehmerischer Verantwortung nachzuvollziehen und zu erklären. Es bedarf für die empirische Untersuchung damit eines methodischen Rahmens, der es erlaubt, die von den an der Ausgestaltung unternehmerischer Verantwortung beteiligten Akteuren vorgebrachten Motive und Motivmuster zu identifizieren sowie die Entwicklung stabiler Führerschaft bestimmter Motivmuster im empirischen Material zu erfassen. Wie wir in Kapitel 2 festgestellt haben, ist »[t]he only source for a terminology of motives […] the vocabularies of motives actually and usually verbalized by actors in specific situations« (Mills 1940: 910, eigene Hervorhebung, N.L.). Es kommt somit zunächst auf die Analyse von regelmäßig geäußerten Motiven a) durch bestimmte Akteure oder Akteursgruppen, b) für eine bestimmte Handlung oder ein bestimmtes Verhalten, hier die unternehmerische Verantwortung, c) innerhalb von bestimmten zeitlichen Perioden und damit letztlich über die Zeit an (Mills 1940: 910), um sodann mithilfe des diskursiv-pfadtheoretischen Rahmens die Gründe für die Entwicklung und möglicherweise sich stabilisierende Führerschaft eines bestimmten Motivvokabulars auszumachen. Dabei soll der konstitutiven Rolle der Sprache sowie der diskursiven Konstruiertheit von Bedeutung und Motivation unternehmerischer Verantwortung Rechnung getragen werden, womit noch einmal die Positionierung der vorliegenden Arbeit im sozialen Konstruktivismus unterstrichen ist, von der ausgehend auch das methodische Vorgehen entwickelt werden soll. Eine Methode, die sowohl die Identifikation jeweils geäußerter Motive als auch den Prozesscharakter der Entwicklung und Stabilisierung bestimmter Motivmuster zu erfassen vermag, ist die qualitativ-interpretierende Diskursanalyse (Keller 2012: 14).2 Da die Diskursanalyse untersucht, in welcher Weise jeweils Bedeutung er2
Gephart und van Maanen betonen, dass qualitative Forschung insgesamt eng verbunden ist mit einem sprachlichen Verständnis der Welt, d.h. einen starken Fokus auf Sprache und die Bedeutung legt, die bestimmten Phänomenen ›zugesprochen‹ wird (Gephart 2004: 455; van Maanen 1979: 520). Sprache wird dabei nicht nur zur Beobachtung und zum Verständnis der Welt als wichtig verstanden, sondern spielt während des gesamten Forschungsprozesses, der eng mit der eigenen Produktion von Texten und Bedeutung verbunden ist, eine gewichtige Rolle (Alvesson/Kärreman 2000: 147; Creswell 1998: 1718).
M ETHODOLOGIE UND
METHODISCHE
U MSETZUNG
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zeugt wird und welche Formen der Wirklichkeit aus bestimmten Diskursen entstehen, d.h. beispielsweise auch, welche Motivmuster sich als akzeptiert etablieren und damit das den Diskurs zu einem Zeitpunkt bestimmende Motivvokabular stellen, kann sie als Instrument der strukturierten Analyse von Prozessen der Realitätskonstruktion verstanden werden (Keller 2011; Sarasin 2007).3 Die Frage ist folglich nicht nur, wie Diskurse ›Realität‹ repräsentieren, sondern wie sie diese erzeugen, konstruieren (Phillips/Di Domenico 2011: 551) und wie auf diese Weise bestimmte Beschreibungen zu gültigen Beschreibungen der Welt werden (Nonhoff 2010: 299). Die Diskursanalyse zielt darauf ab, festzustellen, »was faktisch gesagt wurde und wie eine Reihe von Aussagen sich zu stabilen Aussagemustern verstetigt, die eine Weile lang den Rahmen vorgeben, innerhalb dessen weitere sinnvolle oder wahre Sätze geäußert werden können« (Sarasin 2007: 206). Dies führt zwangsläufig in eine prozesshafte Betrachtung, die auch historische Analysen ermöglicht (Sarasin 2007; Landwehr 2009). Die Diskursanalyse erlaubt damit auch das für das spezifische Forschungsinteresse der vorliegenden Arbeit notwendige prozessanalytische Vorgehen, welches uns befähigt zu verstehen, »how things evolve over time and why they evolve this way« (Langley 1999: 692; ähnlich Pettigrew 1997; van de Ven/Huber 1990; van de Ven/Poole 1990). Texte, als Medium des sozialen Gedächtnisses und zugleich Quelle der Wirklichkeitsproduktion (Parker 2002), können das für historische (und insbesondere potenziell pfadabhängige) Prozesse typische »Weiterreichen der Vergangenheit in der Gegenwart« erfassen (Mayntz 2002: 28; ähnlich Pettigrew 1990).4 Gerade die qualitativ-interpretative Diskursanalyse legt ihren Schwerpunkt dabei auf die Identifikation von diskursiven Ordnungen, die sich auf mitunter versteckte Muster des Diskurses zurückführen lassen. Ihr Ziel ist es, zu zeigen, wie sich bestimmte Bedeutungsformationen auf diese grundlegenden Muster eines Diskurses zurückführen lassen und wie diese im sozio-historischen Kontext entstanden sind (Keller 2012). Der Zusatz interpretative Diskursanalyse verdeutlicht, dass die Diskursanalyse mehr als eine Wiedergabe von Textinhalten und grundlegend an der Herausarbeitung für den jeweiligen Diskurs ›typischer‹ Muster interessiert ist.
3
Analog zur Diskurstheorie hat die Diskursanalyse im Laufe der Zeit eine Vielzahl von Formen angenommen. Besondere Bedeutung haben etwa die historische Diskursanalyse (Eder 2006; Haslinger 2006; Landwehr 2009; Sarasin 2007) oder die kritische Diskursanalyse erlangt (Fairclough 2010; Parker 1992). Für eine Übersicht über weitere Ausprägungen der Diskursanalyse siehe u.a. die verschiedenen Ansätze in den Sammelbänden von Keller et al. (2010, Band 2); Nonhoff (2010) oder van Dijk (2011).
4
Nicht zuletzt hat Mills zur Identifikation typischer Motivvokabulare auf die Analyse von Texten als geeignetes Vorgehen verwiesen (Mills 1940: 913).
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3.2 F ORSCHUNGSDESIGN : D ER DEUTSCHE D ISKURS UNTERNEHMERISCHER V ERANTWORTUNG Die Analyse der Entwicklung des Diskurses unternehmerischer Verantwortung wird sich auf den deutschen Diskurs und damit auf ›nur‹ ein Land konzentrieren. Mindestens vier Gründe rechtfertigen diese Festlegung. Erstens erscheint die bislang nur hypothesenhaft vermutete Entwicklung des Diskurses unternehmerischer Verantwortung – die Stabilisierung der Führerschaft des »Business Case for CSR« – besonders interessant für Deutschland, da sie in einem deutlichen Spannungsverhältnis mit der heute weit verbreiteten Zuordnung expliziter Formen der Unternehmensverantwortung zu liberalen und impliziten Formen zu koordinierten Marktwirtschaften steht (Matten/Moon 2008; ähnlich Lozano et al. 2008).5 Die vermutete Instrumentalisierung ist somit insbesondere für den deutschen Diskurs überraschend, da sie einer solchen Zuteilung entgegensteht. Nicht zuletzt wird in der Literatur deshalb zuweilen auch ein der Vermutung dieser Arbeit widersprechendes Bild unternehmerischer Verantwortung gezeichnet, etwa wenn Unternehmensverantwortung in Deutschland noch immer als reglementiert und ›staatlich verordnet‹ beschrieben wird (Gond et al. 2011: 656; ähnlich Kang/Moon 2012). Vor diesem Hintergrund erscheint gerade auch die sich, trotz eines sich in anderen europäischen Ländern ankündigenden Umweltwandels und damit im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern, abzeichnende Beharrung auf dem »Business Case for CSR« in Deutschland rätselhaft, das noch immer als ›role model‹ einer ebenso sozialen wie koordinierten Marktwirtschaft dient (Streeck 2009; Thelen 2014). Zweitens erscheint diese Entwicklung insbesondere vor dem Hintergrund der historischen Entwicklung unternehmerischer Verantwortung in diesem Land überraschend. Diese ist eng verknüpft mit Konzepten wie der Sozialen Marktwirtschaft, der Mitbestimmung und der sozialen Partnerschaft sowie der damit verbundenen institutionellen Einbindung deutscher Unternehmen in öffentliche und dem Gemeinwohl verpflichtete Aufgaben (z.B. Backhaus-Maul 2010; Antal et al. 2009; Hiß 2009a). Diese für korporative Länder als charakteristisch beschriebenen »autochthonen Institutionen« am Gemeinwohl orientierter, häufig rechtlich reglementierter Solidarität und die damit verbundenen Ideen unternehmerischer Verantwortung 5
Matten und Moon (2008) argumentieren in ihrem Artikel »›Implicit‹ and ›explicit‹ CSR: a conceptual framework for a comparative understanding of corporate social responsibility«, dass in liberalen Marktwirtschaften vor allem explizite (strategische und freiwillige) und in koordinierten Marktwirtschaften vor allem implizite (wertebasierte, institutionalisierte) Formen der Unternehmensverantwortung umgesetzt würden. Diese Unterteilung wurde zuletzt jedoch vermehrt infrage gestellt (siehe dazu u.a. Brammer et al. 2012; Kinderman 2012).
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(Höllerer 2013: 574) stehen in deutlichem Widerspruch zur aktuellen Ausgestaltung unternehmerischer Verantwortung in Deutschland. Eine Untersuchung der Entwicklung und stabilen Führerschaft des »Business Case for CSR« ist deshalb insbesondere mit Blick auf die deutsche Historie der Unternehmensverantwortung interessant. Drittens verspricht eine Untersuchung des Diskurses in Deutschland – vor dem Hintergrund der langen Tradition sowie den diese historisch fundierenden, sich von aktuellen Konzeptionen unterscheidenden, Ideen unternehmerischer Verantwortung (Antal et al. 2009; Hiß 2009a) – besser als eine Untersuchung des Diskurses in anderen Ländern Aufschluss über mögliche Alternativen zum »Business Case for CSR« zu bieten und damit den Blick für alternative Motive wieder zu öffnen. Durch die historische Kontextualisierung des aktuell als ›gegeben‹ und ›alternativlos‹ Wahrgenommenen, d.h. durch das Aufzeigen der den Status quo hervorbringenden Entstehungsgeschichte, können die aktuellen Strukturen als Ergebnis vergangener Trajektorien und Entscheidungen betrachtet werden. Indem sie die auf dem Weg zur Führerschaft des »Business Case for CSR« verdrängten Motive wieder offenlegt, die aufgrund der spezifischen Geschichte unternehmerischer Verantwortung in Deutschland als besonders ›reichhaltig‹ angenommen werden können, kann die aktuelle »objektive Faktizität« (Berger/Luckmann 2004: 20) des »Business Case for CSR« infrage gestellt und problematisiert werden. In dieser Funktion liegt nicht zuletzt der besondere Gewinn historischer und sozial-konstruktivistischer Forschung im Allgemeinen (Kieser 1994: 611-612; Alvesson/Sködberg 2009: 23-24; Landwehr 2009: 168) und der Pfadforschung im Besonderen (David 1985). Viertens erscheint es insgesamt, ausgehend von einer Vielzahl an (komparativen) Studien, die zum Teil große Unterschiede bezüglich der Ausgestaltung und Entwicklung der Unternehmensverantwortung in unterschiedlichen Ländern nachweisen (Albareda et al. 2008; Campbell 2007; Chen/Bouvain 2009; Matten et al. 2012; siehe auch die Beiträge in Habisch et al. 2005 und Habisch/Brychuk 2011), notwendig, sich gerade für die Analyse der historischen Entwicklung unternehmerischer Verantwortung auf ein Land zu konzentrieren, um eine detaillierte und für die Spezifika dieser Entwicklung sensible Analyse durchzuführen. Nicht zuletzt wurde Unternehmensverantwortung in Kapitel 2 deshalb auch als kontextabhängig bestimmt. Dies heißt nicht, dass diese Entwicklung unbeeinflusst von den Diskursen anderer Länder wäre. Gerade in der jüngeren Vergangenheit hat die Entwicklung unternehmerischer Verantwortung in den USA und insbesondere in Europa Spuren in Deutschland hinterlassen. Dort, wo die Betrachtung der Entwicklungen in anderen Ländern für das Verständnis des deutschen Diskurses notwendig erscheint, wird deshalb auf sie Bezug genommen. Notwendig wird dies vor allem dort, wo die untersuchten Akteure selbst auf internationale Entwicklungen hinweisen, etwa indem sie Entwicklungen auf europäischer Ebene kommentieren oder auf Ereignisse in anderen Ländern Bezug nehmen (siehe z.B. Kapitel 5 und 6). Die Betrachtung eines
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über diese punktuellen Referenzen hinausgehenden Zusammenhangs der deutschen zur internationalen Entwicklung unternehmerischer Verantwortung oder eine komparative Analyse sind jedoch nicht Fokus der vorliegenden Arbeit. Gerade mit Blick auf das Interesse an der historischen Entwicklung (von Motiven) unternehmerischer Verantwortung erscheint die Konzentration auf ›nur‹ ein Land somit geboten. Im Folgenden soll der deutsche Diskurs unternehmerischer Verantwortung mit Blick auf das Forschungsinteresse der vorliegenden Arbeit eingegrenzt und einer empirischen Untersuchung zugänglich gemacht werden.
3.3 E INGRENZUNG DES ZU ANALYSIERENDEN ›D ISKURSAUSSCHNITTS ‹ Eine präzise Bestimmung der Grenzen des zu analysierenden Diskurses ist von großer Wichtigkeit, um eine systematische Analyse zu gewährleisten, dabei jedoch zugleich die Umsetzbarkeit der Untersuchung nicht aus dem Blick zu verlieren (Flick 2012; Keller 2011). Eine Annäherung an die Analyseeinheit erfolgt, »when a researcher figuratively puts brackets around a temporal and spatial domain of the social world. These brackets define the territory about which descriptions are fashioned« (van Maanen 1979: 520). Eine erste, noch grobe ›Einklammerung‹ des ›Territoriums‹, innerhalb dessen sich diese Arbeit bewegt, wurde vorstehend mit dem Fokus auf den deutschen Diskurs unternehmerischer Verantwortung vorgenommen und ist nun weiter zu fokussieren. Die Aufgabe einer Fokussierung gestaltet sich insbesondere für den Diskurs unternehmerischer Verantwortung schwierig, da dieser in seiner historischen Entwicklung zum einen unter Beteiligung unterschiedlicher Akteurskonstellationen geführt wurde, womit eine Festlegung auf bestimmte Akteure innerhalb einer Periode leicht zur Vernachlässigung der in anderen Perioden wichtigen Akteure führen kann. Zum anderen erscheint eine Festlegung auf das Thema der unternehmerischen Verantwortung zunächst recht klar, gestaltet sich aber insofern als empirisch schwierig umsetzbar, als dieses Thema im Laufe der Jahre unter verschiedenen Signifikanten geführt wurde, deren Bestimmung sowohl in der wissenschaftlichen Literatur als auch im Feld so unterschiedlich vorgenommen wird, dass eine klare und für den gesamten Verlauf des Diskurses gültige Festlegung auch hier problematisch ist. Um dennoch eine begründete Spezifizierung der Analyseeinheit vornehmen zu können und etwa spezifische Akteure zu benennen sowie den zu analysierenden Diskurs sowohl inhaltlich als auch zeitlich sinnvoll zu begrenzen, ist die Erarbeitung eines »Vorab-Wissens über den Diskurs« von Bedeutung (Diaz-Bone 1999: 130-131; Flick 2012: 165; Keller 2011: 86; Landwehr 2009: 101-103). Die Erarbeitung eines tieferen Verständnisses des deutschen Diskurses unternehmerischer Ver-
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antwortung, seiner zeitlichen Entwicklung und der daran beteiligten spezifischen Akteure ist Basis für die informierte und begründete Zusammenstellung des Textkorpus für die Diskursanalyse. Die Vorab-Analyse, auch als »Sondierung des Untersuchungsfeldes« beschrieben (Keller 2011: 86), erfolgte anhand dreier sich gegenseitig ergänzender Schritte. In einem ersten Schritt wurde eine offene dokumentbasierte Annäherung an den deutschen Diskurs unternehmerischer Verantwortung vorgenommen, um ein erstes Verständnis über dessen Entwicklung zu gewinnen. Ergänzend wurden in einem zweiten Schritt »Sondierungsinterviews« (Hajer 2008) geführt, um die Erkenntnisse des ersten Schritts punktuell zu ergänzen. In einem dritten Schritt wurde eine Vorstudie durchgeführt, auf deren Ergebnisse in Kapitel 1 bereits vorgegriffen wurde, die aber auch die Bestimmung des zu analysierenden Diskursausschnitts informiert. Alle drei Schritte werden im Folgenden vorgestellt, um anschließend die für die weitere Analyse relevanten Zwischenergebnisse zu präsentieren. 1. Schritt: dokumentbasierte Annäherung an den Diskurs Für eine erste, zunächst noch breit angelegte, Annäherung an den deutschen Diskurs unternehmerischer Verantwortung wurden ausgehend von einer themenspezifischen Schlagwortsuche zunächst verschiedene Datenbanken nach den Begriffen »gesellschaftliche Verantwortung«, »soziale Verantwortung« sowie dem in Deutschland ebenfalls häufig verwendeten englischen Begriff »Corporate Social Responsibility«, durchsucht.6 Um diesen ersten Überblick zunächst möglichst offen zu gestalten, kamen unterschiedliche Internet-Suchmaschinen zum Einsatz. Das »Online Public Access Catalogue (OPAC)-Bibliothekssystem der Freien Universität Berlin«7 liefert als digitaler und öffentlich zugänglicher Bibliothekskatalog vor allem wissenschaftliche Beiträge. Aufschlussreich war hier unter anderem die ergänzende Sichtung von betriebswirtschaftlichen Lehrbüchern und Lexika über mehrere überarbeitete und erweiterte Ausgaben, um so einen ersten Eindruck hinsichtlich der Entstehung des Themas und seines Eingangs in den gesicherten Wissenstand zu erhalten.8 Auch die Internet-Suchmaschine »google-scholar.com« erlaubt den Zugriff auf wissenschaftliche Bücher sowie Beiträge aus wissenschaftlichen Zeitschriften. Die Suchmaschine »google.com« liefert unterschiedlichste Beiträge, 6
Diese Schlagwörter wurden im weiteren Verlauf durch logische »UND«- und »ODER«Kombinationen durch Begriffe wie »Business Case«, »Pfad« bzw. »pfadabhängig«, »Geschichte« oder »Entwicklung« ergänzt.
7 8
Zu erreichen unter: http://aleph-www.ub.fu-berlin.de/F, zuletzt abgerufen am 17.08.2016. Überraschend war hier etwa, dass das Standardwerk »Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre« von Günther Wöhe, welches das absatzstärkste Lehrbuch der deutschen BWL darstellt und erstmals im Jahr 1960 herausgegeben wurde (Wöhe 1960), bis heute keinen Verweis auf die Suchbegriffe aufweist.
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zum Beispiel themenspezifische Webseiten oder Nachrichten,9 und kann die Suche sinnvoll ergänzen. Wesentlich waren hier vor allem Verweise auf entsprechende Internet-Portale, wie u.a. »CSR-in-Deutschland.de«, »CSR-Germany.de« oder »CSRpreis-bund.de«, über die auch ein erster Überblick über wesentliche – hinter diesen Portalen stehende – Akteure und ihre Aktivitäten zur Unternehmensverantwortung gewonnen werden konnte. So zeigt sich beispielsweise, dass das Internetportal »CSR-Germany.de« durch die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft, d.h. die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), den Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), den Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) sowie den Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) ins Leben gerufen wurde und unterhalten wird. Auch werden hier themenspezifische Aktivitäten und Publikationen präsentiert, die eine vertiefende Recherche sinnvoll leiten können. Die Pressedatenbank »LexisNexis.com« erweiterte die Suche noch einmal um journalistische Beiträge.10 Eine Sichtung verschiedener Tages- und Wochenzeitungen (u.a. »Die Zeit«, »Der Spiegel«, »Süddeutsche Zeitung«, »Tageszeitung«) sowie der Wirtschaftspresse (u.a. »Handelsblatt«, »Manager Magazin«, »WirtschaftsWoche«) vermittelt einen Einblick in die öffentliche Darstellung unternehmerischer Verantwortung in Deutschland. Diese erste, offene Suche wurde im Rahmen eines »Schneeballsamplings« fortgeführt, d.h. ausgehend von den (Literaturverzeichnissen der) aufgefundenen Quellen konnten weitere Beiträge gewonnen werden und die Suche so vertieft und fokussiert werden. Vor dem Hintergrund der Vielzahl an Suchergebnissen11 und im Zuge der vertiefenden Suche wurde eine, sich am Forschungsinteresse dieser Arbeit orientierende, Spezifikation vorgenommen (so z.B. auch Glasze 2008: 201). Der Fokus lag zum einen auf der historischen Entwicklung unternehmerischer Verantwortung in Deutschland sowie den beteiligten Akteuren und zum anderen auf den Motiven unternehmerischer Verantwortung. Informativ war hier etwa die vertiefen-
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Die »google«-Suche kann unterschiedlich spezifiziert werden und damit die Suchergebnisse auf »Webbeiträge«, »Bilder«, »Videos« oder »Bücher« beschränken.
10 Die Pressedatenbank »LexisNexis.com« erlaubt allein im deutschsprachigen Raum den Zugriff auf 300 Presseerzeugnisse (siehe http://www.lexisnexis.de/quellen/deutschsprachige-quellen, zuletzt abgerufen am 04.03.2015), die internationale Suche ermöglicht den Zugriff auf über 36.000 Quellen (http://w3.nexis.com/sources/, zuletzt abgerufen am 17.08.2016). 11 Allein die Suchanfrage nach dem Begriff der »gesellschaftlichen Verantwortung« lieferte im »OPAC-Bibliothekssystem der Freien Universität Berlin« über 600 Einträge (Stand Juni 2012), auf »LexisNexis.com« mehr als 3000 Dokumente (nur deutschsprachige Pressemedien, Stand Juni 2012) und auf »google.com« über eine Million Einträge (unter der Einstellung »Web«, Stand Juni 2012).
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de Recherche der im ersten Suchschritt identifizierten Internetseiten, z.B. von spezifischen Forschungseinrichtungen (u.a. »Institute 4 Sustainability«) und Stiftungen (z.B. »Bertelsmann-Stiftung«), die unter anderem auch Umfrageergebnisse und Fallstudien zur unternehmerischen Verantwortung unter deutschen Unternehmen (z.B. Bertelsmann-Stiftung 2005, 2008) oder spezifische, auf den »Business Case for CSR« abzielende Analysen ›zu Tage förderten‹ (z.B. Institute 4 Sustainability/Borderstep Institute 2011). 2. Schritt: Sondierungsinterviews In einem zweiten Schritt wurde die Annäherung an den Diskurs und seine Akteure durch eine Reihe von persönlichen oder telefonischen »Sondierungsinterviews« ergänzt (siehe Tabelle 2). Tabelle 2: Liste der geführten Sondierungsinterviews Interviewpartnerin
Dauer des Interviews
Akteursgruppe
Interviewtyp
DGB
Zivilgesellschaftliche Akteure
Persönliches Gespräch
67 Minuten
BKU
Wirtschaftliche Akteure
Persönliches Gespräch
77 Minuten
BUND
Zivilgesellschaftliche Akteure
Telefonisches Interview
59 Minuten
CorA
Zivilgesellschaftliche Akteure
Persönliches Gespräch
68 Minuten
Gesamtdauer Interviews: 271 Minuten (Eigene Darstellung)
Die Interviews zielten insbesondere auf eine Untermauerung des bis dato generierten Überblicks über den Diskurs. Sie galten insbesondere den Akteuren, die sich in einzelnen Phasen des Diskurses weniger zu äußern schienen. Phasen des ›Schweigens‹, d.h. Phasen, in denen die Akteure keine oder nur vereinzelt Texte veröffentlichen, sind mithilfe der Diskursanalyse zwar festzustellen, jedoch nur begrenzt hinsichtlich ihrer Gründe zu erfassen. Hier sind ergänzende Interviews sinnvoll. Die Interviews wurden entlang eines teilstrukturierten Interviewleitfadens geführt und fokussierten neben Dauer, Form und Intensität der Diskursbeteiligung der jeweiligen Akteure, die Entwicklung des Diskurses unternehmerischer Verantwortung in
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Deutschland, die Wahrnehmung und das Verhältnis zu anderen Akteuren des Diskurses sowie die Bedeutung und Entwicklung des »Business Case for CSR« für die jeweiligen Akteure sowie insgesamt für den deutschen Diskurs. Darüber hinaus wurde den Interviewpartnerinnen Raum für eigene Themen und Aussagen gewährt. Alle Interviews wurden aufgenommen und vollständig transkribiert. Auf Wunsch der Interviewten sind alle Interviews lediglich den jeweiligen Organisationen, nicht aber einzelnen Individuen zuzuordnen. Die Interviews informieren vor allem die im Folgenden darzustellenden Zwischenergebnisse der Vorab-Analyse, fließen darüber hinaus aber auch in die Ergebnisse zur Entwicklung des deutschen Diskurses unternehmerischer Verantwortung ein. 3. Schritt: Vorstudie In einem dritten Schritt der Annäherung an das Feld wurde eine Vorstudie mit besonderem Blick auf die Entwicklung der Motive unternehmerischer Verantwortung durchgeführt (vergleiche auch Abbildung 1 und Abbildung 2 in Kapitel 1). Dazu wurden Artikel einer monatlich erscheinenden Wirtschaftszeitschrift, dem »Manager Magazin«, aus den Jahren 1971 (erstmaliges Erscheinen des »Manager Magazins«) bis 2014 (Abschluss der Datenerhebung für diese Vorstudie) ausgewertet. Das »Manager Magazin« ist online unter »www.wiso-net.de« für die Jahre von 1988 bis 2014 einsehbar und nach Schlagworten durchsuchbar. Als Suchkriterien wurden dabei im Rahmen einer Volltextsuche die Schlagworte »soziale Verantwortung« (56 Treffer), »gesellschaftliche Verantwortung« (40 Treffer) und »Corporate Social Responsibility« (23 Treffer) eingegeben (insgesamt 119 Treffer). Die Ausgaben für die Jahre 1971 bis 1987 wurden manuell auf relevante Artikel durchgesehen und passende Artikel eingescannt, um sie der späteren, softwaregestützten Analyse zugänglich zu machen. Die manuelle Suche ergab zunächst 134 Treffer. Sowohl die online generierten als auch die manuell identifizierten Artikel wurden in einem ersten Schritt durchgesehen und auf ihre Relevanz geprüft. Um Vergleichbarkeit mit den früheren Jahren herzustellen, in denen es noch keine OnlineBeiträge gab, wurden auch für die Phase von 1988 bis 2014 ausschließlich PrintArtikel einbezogen. Ausgeschlossen wurden im Rahmen einer ersten Durchsicht (a) Artikel mit weniger als 150 Wörtern, da der inhaltliche Beitrag bei kürzeren Artikeln als zu gering eingeschätzt wurde (häufig handelte es sich dabei um Inhaltsverzeichnisse, Leserbriefe oder Bestsellerlisten), (b) doppelte Artikel, d.h. solche Artikel, die unter mehreren, unterschiedlichen Schlagworten angezeigt wurden (betrifft nur die online recherchierten Artikel), sowie (c) Artikel, die sich bei genauerem Lesen kaum oder gar nicht auf die Verantwortung von (deutschen) Unternehmen bezogen (beispielsweise Artikel, die Unternehmen anderer Länder porträtieren oder die »soziale Verantwortung« anderer Akteursgruppen, wie etwa Politikerinnen, betrachten). Nach einer ersten Durchsicht verblieben damit von den insgesamt 253
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Treffern 120 Artikel, die in die Software für qualitative Datenanalyse MAXQDA eingepflegt und analysiert wurden.12 Alle Artikel wurden mehrmals gelesen und in aufeinanderfolgenden, das Abstraktionsniveau jeweils steigernden Schritten mit Blick auf die in den Artikeln vorgebrachten Motive unternehmerischer Verantwortung auf induktive Weise codiert (eine ausführliche Beschreibung des Codierungsprozesses erfolgt unten). Wie sich zeigte, konnten diese Codierungen in geeigneter Weise in die in der Literatur identifizierten Kategorien instrumenteller, relationaler und moralischer Motive eingeordnet und so weiter strukturiert und in sinnvoller Weise auch in ihrer Entwicklung über die Zeit dargestellt werden. Mithilfe dieser Vorstudie konnte so ein erster Überblick über den Verlauf der Motive im deutschen Diskurs unternehmerischer Verantwortung gewonnen und das Forschungsvorhaben weiter spezifiziert werden. Die aus der dokument- und interviewbasierten Vorab-Analyse sowie der Vorstudie gewonnenen Erkenntnisse haben im Wesentlich zu drei Zwischenergebnissen geführt: der Erstellung einer chronologischen Ereignisgeschichte, der Identifikation von unterschiedlichen Signifikanten der Unternehmensverantwortung, unter denen der Diskurs über die Jahre geführt wurde, sowie der Spezifikation der Akteure. Diese Zwischenergebnisse werden im Folgenden dargestellt. Ereignisgeschichte des deutschen Diskurses unternehmerischer Verantwortung Ein wesentliches Ergebnis dieser Vorab-Analyse war ein tieferes Verständnis des Diskursverlaufs und seiner wesentlichen ›Etappen‹. Ausgehend von der Sichtung des umfangreichen Materials konnte eine chronologische Ereignisgeschichte erstellt werden (dazu van de Ven/Poole 1990: 319-321), die kontinuierlich über den gesamten Forschungsprozess erweitert wurde (Maguire/Hardy 2009: 153). Im Rahmen dieser ersten systematischen Annäherung konnten wesentliche diskursive Ereignisse identifiziert und die Umrisse der Phasen der Entwicklung des Diskurses weiter untermauert werden.13
12 Softwarelösungen zur computergestützten qualitativen Daten- und Textanalyse erleichtern das Sortieren, Strukturieren und Analysieren großer Textmengen sowie die Archivierung und Verwaltung des Analysekorpus. MAXQDA erlaubt u.a. die Ordnung der Texte in Gruppen, die Erstellung eines hierarchisch organisierten Code-Systems, die Definition von Merkmalen (Variablen) für einzelne Texte sowie die Darstellung von Übersichten über die vergebenen Codes und Merkmale. Für eine detaillierte Darstellung der Nutzung dieser Software im Rahmen der vorliegenden Arbeit siehe unten. 13 Als ›wesentlich‹ wurden hier jeweils die Ereignisse identifiziert, auf die mehrmals und von unterschiedlicher Seite verwiesen wurde (z.B. in wissenschaftlichen Publikationen und in Pressemitteilungen oder von unterschiedlichen Akteuren wie Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden).
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Beispiele für solche Ereignisse sind etwa die Veröffentlichung relevanter Dokumente und die Verabschiedung von Gesetzen (z.B. die »Nationale CSRStrategie« der Bundesregierung), die Bildung von Kommissionen, Foren und MultiStakeholder-Dialogen (z.B. die Kommission »Schutz des Menschen und der Umwelt« oder das »Nationale CSR-Forum«), die Gründung von spezifischen Verbänden und Plattformen (z.B. die Gründung von »Econsense« oder von »CorA – Corporate Accountability. Netzwerk für Unternehmensverantwortung«) sowie die Veranstaltung von Konferenzen und Workshops (z.B. die »CSR-Konferenz« der Bundesregierung oder die »CSR«-Workshops der Gewerkschaften). Im Zuge der chronologischen Ordnung dieser Ereignisse wurde eine kurze Deskription wichtiger Geschehnisse angefertigt, um beteiligte Akteure, Entscheidungen und Ergebnisse zu vermerken und im späteren Analyseprozess abrufen zu können. Die derart entwickelte Chronologie dient so auch der späteren ›Triangulation‹ der diskursiven Interpretation (so z.B. Maguire/Hardy 2009: 153). Veränderungen von Artikulationsmustern und Akteurskonstellationen können dabei mit Ereignissen in Beziehung gesetzt werden und eigene Interpretationen im Kontext der Ereignisgeschichte verortet werden. Beispielsweise konnte eine erhöhte Publikationsdichte um das Jahr 2009 (siehe die Abbildungen in Kapitel 5) mit der Gründung des »Nationalen CSRForums« und der im Zuge dieses Forums anstehenden Aushandlung der Positionen zur Unternehmensverantwortung in Beziehung gesetzt werden. Insbesondere mithilfe der Vorstudie konnte zudem ein zeitlicher Analyserahmen näher bestimmt werden. Für die weitere Untersuchung, die es – wie wir gesehen haben – notwendig macht, einen zeitlichen Forschungshorizont zu bestimmen, der die Entwicklung und Stabilisierung der Führerschaft des »Business Case for CSR« vollständig abbildet und damit bereits vor ihrer Entstehung einsetzt, können wir aus der Vorstudie folgern, dass ein Zurückgehen in die 1970er-Jahre mit aller Wahrscheinlichkeit ausreichend erscheint, da sich instrumentelle Motive hier noch nicht als führend erwiesen, sich das heutige Muster folglich noch nicht etabliert hatte. Die Entwicklung der Führerschaft scheint sich vielmehr in der Zeit ab 1995 zu ereignen und ab dem Jahr 2010 unter Ausschluss alternativer Motive vollends etabliert zu sein (siehe Abbildung 1 und Abbildung 2 in Kapitel 1). Die derart identifizierten Phasen konnten mithilfe der Ereignischronologie weiter erhärtet werden. Beispielsweise war deutlich zu sehen, dass der Begriff der Unternehmensverantwortung mit Beginn der 1970er-Jahre an Relevanz gewinnt. Dies zeigte sich nicht nur in der Wissenschaft mit einer Reihe von Publikation zu diesem Thema (siehe z.B. Steinmann 1973, 1978; Gemper 1973; Kramer 1973; Mintrop 1976; Ullrich 1979; Schröder 1978; Weitzig 1979; Zorn 1978), auch schienen in dieser Zeit die Verantwortung der Unternehmen unter Wirtschaftsakteuren als relevant wahrgenommen zu werden, wie u.a. die Veröffentlichung des Davoser Manifests auf dem European Management Forum im Jahr 1973 oder die vermehrte Auseinanderset-
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zung mit Fragen der Sozialbilanzierung und Humanisierung der Arbeit zeigen (siehe dazu ausführlich Kapitel 4). Die Signifikanten des Diskurses unternehmerischer Verantwortung Als zweites wesentliches Ergebnis der Vorab-Analyse wurden die für die Zusammenstellung der Textkorpora wesentlichen Signifikanten eingegrenzt. Die im Rahmen der Vorab-Analyse vorgenommene Sichtung der Sekundärliteratur sowie erster Primärtexte zeigte, dass der deutsche Diskurs unternehmerischer Verantwortung über die Jahre unter verschiedenen Signifikanten geführt wurde.14 Während die Signifikanten der »gesellschaftlichen Verantwortung«, der »sozialen Verantwortung« sowie der »Corporate Social Responsibility« am häufigsten verwendet werden, ist immer wieder auch von »Corporate Responsibility« sowie »gesellschaftspolitischer Verantwortung« die Rede. Überraschend war, dass während die Begriffe »Corporate Citizenship« oder »Bürgerschaftliches Engagement« nur selten gemeinsam mit den vorstehenden Signifikanten genannt wurden, die Begriffe der »Nachhaltigkeit« und der »nachhaltigen Entwicklung« sehr häufig mit diesen in Verbindung gebracht wurden. Vereinzelt wird auch auf die Begriffe der »ökologischen Verantwortung« sowie der »Umweltverantwortung« Bezug genommen oder auf den Begriff der »ökonomischen Verantwortung« verwiesen. Die Verwendung der Signifikanten verändert sich über die Zeit. Einsetzend mit den 1970er-Jahren und über die Zeit zunehmend werden die Begriffe der »gesellschaftlichen Verantwortung« und der »sozialen Verantwortung« verwendet. Beide Begriffe sind bis heute häufig in Gebrauch. Die Begriffe der »Corporate Social Responsibility« und »Corporate Responsibility« werden hingegen erst seit der Jahrtausendwende regelmäßiger verwendet, wobei sehr vereinzelt und ausschließlich in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung bereits in den 1980er-Jahren auf den Begriff der »Corporate Social Responsibility« Bezug genommen wird (so z.B. Hunziker 1980: 2). Der Begriff der »gesellschaftspolitischen Verantwortung« hingegen wird in den 1970er- und frühen 1980er-Jahren gebraucht, nach 1985 aber kaum noch verwendet. In den 1970er-Jahren setzt auch die Auseinandersetzung mit Fragen der »ökologischen Verantwortung« sowie der »Umweltverantwortung« ein, die später durch den Begriff der »Nachhaltigkeit« sowie »nachhaltigen Entwicklung« ergänzt und dann nahezu ersetzt werden. Der Begriff der »Nachhaltigkeit« bringt, ausgehend von seiner Unterteilung in eine soziale, eine ökologische und eine ökonomische Dimension in den 1990er-Jahren, auch den Begriff der »ökonomischen Verantwortung« mit sich. Der Begriff des »bürgerschaftlichen Engagements« wiederum rückt mit Einsetzen der Enquete-Kommission »Zukunft des bürgerschaft14 Um die Auswahl der für diese Untersuchung herangezogenen Signifikanten zu begründen, ist es an dieser Stelle unvermeidbar, der späteren Darstellung des Diskurses in Teilen vorzugreifen.
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lichen Engagements« im Jahr 2000 auf die (vornehmlich politische) Tagesordnung und gerät mit der Verabschiedung des »Ersten Engagementberichts« der Bundesregierung im Jahr 2012 erneut in den Fokus, spielt insgesamt aber, wie auch der Begriff »Corporate Citizenship«, eine untergeordnete Rolle. Die Begriffe weisen zum Teil große inhaltliche Überschneidungen auf oder werden synonym verwendet (so auch Hansen/Schrader 2005; Habisch/Wegner 2005). Zuweilen werden sie einander in unterschiedlichen hierarchischen Beziehungen zugeordnet. Relativ große Einigkeit herrscht in Deutschland etwa dahingehend, dass die Begriffe der »gesellschaftlichen« und »sozialen Verantwortung« synonym mit »Corporate Social Responsibility« verwendet werden können und dass sie als unternehmerischer Beitrag zu einer »nachhaltigen Entwicklung« verstanden werden können (z.B. BMAS 2010: 7; DGB 2009d: 4). Diese Signifikanten scheinen damit für die Beschreibung der Idee unternehmerischer Verantwortung von besonderer Bedeutung zu sein. Während die Vielfalt und Dynamik der Signifikanten unternehmerischer Verantwortung häufig als »problem of confusing terms« (Habisch/Wegner 2005: 113) beschrieben wird, ist doch deutlich, dass die einzelnen Signifikanten sich allgemein gefasst auf die Verantwortung des Unternehmens gegenüber seiner ökologischen und sozialen Umwelt beziehen. Aufgrund der Vielfalt und Dynamik dieser Signifikanten sowie ihrer hohen inhaltlichen Überschneidungen ist eine enge Festlegung der Analyse, etwa ausschließlich auf die Begriffe der »gesellschaftlichen Verantwortung« oder der »Corporate Social Responsibility«, nicht zweckmäßig. Vielmehr ist die Berücksichtigung unterschiedlicher Signifikanten aufgrund ihres gemeinsamen Bezugs zur Idee unternehmerischer Verantwortung als notwendig anzusehen und gerade die mit diesen Begrifflichkeiten einhergehenden inhaltlichen Veränderungen sind aufschlussreich, um die Entwicklung des deutschen Diskurses umfassend zu verstehen. Die Textauswahl wird deshalb unter Referenz auf die folgenden Stichworte in ihren unterschiedlichen Ausprägungen (z.B. als Abkürzungen sowie unter Berücksichtigung verschiedener Flexionsformen) vorgenommen: • gesellschaftliche
Verantwortung/soziale Verantwortung/Corporate Social Responsibility/Corporate Responsibility/ökologische Verantwortung/Umweltverantwortung/ökonomische Verantwortung • Nachhaltigkeit/Sustainability/nachhaltige Entwicklung/Sustainable Development Obwohl diese Arbeit an der historischen Entwicklung der Unternehmensverantwortung interessiert ist und sich in ihrer Analyse auf die diesbezüglichen Motive konzentriert, werden aufgrund des in der Vorab-Analyse aufgewiesenen (und später auch in der weiteren Analyse bestätigten) engen Zusammenhangs somit auch Texte zu den Signifikanten der »Nachhaltigkeit«/»nachhaltigen Entwicklung« (und ihren englischen Entsprechungen), trotz ihres nur indirekten begrifflichen Bezugs zur
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»Verantwortung«, als wichtig für ein Verständnis des Diskurses betrachtet. Sie fließen jedoch nur insofern in die Analyse ein, als sie einen Beitrag zum Verständnis der Verantwortung des Unternehmens leisten können. Eine dezidierte und systematische Analyse der Entwicklung der »Nachhaltigkeit« ist nicht Ziel dieser Arbeit. Die Akteure des deutschen Diskurses unternehmerischer Verantwortung Ein drittes wesentliches Ergebnis der Vorab-Analyse ist die begründete Eingrenzung der Analyseeinheit hinsichtlich der für die Beantwortung der Forschungsfragen relevanten Akteure. Scheint die Konzentration auf unterschiedliche Akteure wichtig, um den Aushandlungsprozess unternehmerischer Verantwortung zu verstehen, so empfiehlt die Literatur zur deutschen Entwicklung unternehmerischer Verantwortung eine Fokussierung auf wirtschaftliche, staatliche und zivilgesellschaftliche Akteure. Hiß (2009b: 441) schreibt beispielsweise, dass obwohl die Identifikation individueller Akteure sich häufig schwierig gestalte, »[…] it seems obvious that at least three groups of actors struggle to infuse the institutional void [of CSR, N.L.] with elements of their favorite myth: state actors representing a wide variety of societal interests, economic actors, in particular large stock corporations and professional employer or industry associations, and civil society organizations, e.g., social movements, NGOs, or trade unions.«
Neben einer Vielzahl an Studien, die Akteure dieser drei gesellschaftlichen ›Sphären‹ sowohl auf internationaler Ebene (Aguilera et al. 2007; Banerjee 2008; Brammer et al. 2012) als auch speziell für Deutschland (Antal et al. 2009; Curbach 2009; Habisch/Wegner 2005; Hiß 2009a, 2009b)15 als relevant erachtet, kann die Wahl einer Berücksichtigung wirtschaftlicher, staatlicher und zivilgesellschaftlicher Akteure auch durch die Literatur zum Korporatismus gestützt werden, der diese besondere Akteurskonstellation als regelmäßig an der Interessenvermittlung beteiligt und dadurch regelmäßig miteinander in Aushandlung stehend beschreibt (prominent z.B. Streeck 1999, 2006). Kann Korporatismus allgemein als »an institutional ar15 Wird die Bedeutung dieser Akteure für die Ausgestaltung unternehmerischer Verantwortung häufig hervorgehoben, konzentrieren sich – wie in Kapitel 1 dargestellt – viele Arbeiten in ihrem empirischen Vorgehen auf jeweils eine dieser Gruppen, häufig wirtschaftliche Akteure. Damit entwickeln sie kein Verständnis darüber, wie sich die Akteure zueinander im Feld verhalten, womit die Bestimmung der Akteure, die tatsächlich miteinander um die Bedeutung unternehmerischer Verantwortung ringen, bislang weitgehend unbeachtet blieb. Auch behandeln diese Studien häufig nur kurze Abschnitte der Entwicklung des Themas in Deutschland und können vor diesem Hintergrund über mögliche Verschiebungen innerhalb der Konstellation relevanter Akteure im zeitlichen Ablauf keine Auskünfte geben.
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rangement that involves negotiation, bargaining, collaboration and accord between major economic groupings in the society, in particular business and unions, usually involving also governments« (Acocella 2014: 2) beschrieben werden, so betont insbesondere das »deutsche Modell« – als »textbook example of corporatist arrangements« (Zimmer 1999: 37) – die Beteiligung staatlicher, wirtschaftlicher und zivilgesellschaftlicher Akteure an wesentlichen sozio- wie wirtschaftspolitischen Entscheidungen (Heeg 2012; Weßels 2000; Streeck 1999; Zimmer 1999). Der Fokus auf diese Akteure für eine Analyse der gesellschaftlichen Aushandlung unternehmerischer Verantwortung in Deutschland erscheint auch deshalb sinnvoll. Die weitere Durchsicht der Sekundärtexte bestätigte die starke Beteiligung aller drei gesellschaftlichen Gruppen am Diskurs. Erstens zeigte sich eine dauerhafte – wenn auch mit unterschiedlicher Intensität stattfindende – Teilnahme staatlicher, wirtschaftlicher und zivilgesellschaftlicher Akteure am deutschen Diskurs unternehmerischer Verantwortung. Zweitens wurde deutlich, dass jeweils dort, wo von Unternehmensverantwortung (in ihren unterschiedlichen begrifflichen Ausformungen) die Rede ist, aus dem ›Lager‹ der wirtschaftlichen Akteure vor allem Vertreter großer Unternehmen sowie der Arbeitgeber- und Industrieverbände (Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI)) und aufseiten der staatlichen Akteure vor allem die Bundesregierung (BR) sowie die Bundesministerien für Soziales (BMAS) sowie für Umwelt (BMU) zu Wort kommen, während aus den Reihen zivilgesellschaftlicher Akteure unterschiedliche Nichtregierungsorganisationen beteiligt sind und Gewerkschaften vor allem durch Vertreter des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) repräsentiert werden. Nichtregierungsorganisationen sind dabei immer wieder nur punktuell am Diskurs beteiligt und weisen insbesondere in den frühen Jahren gegenüber den anderen Akteuren eine weniger kontinuierliche und rege Auseinandersetzung mit dem Thema auf. Diese zunächst lose getroffene Vorauswahl von Akteuren wurden während des weiteren Vorgehens immer wieder überprüft und im Rahmen von Gesprächen und Präsentationen vor wissenschaftlichem Publikum sowie Expertinnen auf dem Gebiet der unternehmerischen Verantwortung diskutiert und gegebenenfalls angepasst.16 Wer sind diese Akteure? Wirtschaftliche Akteure: Ausgehend von der Vorab-Analyse werden wirtschaftliche Akteure durch große Unternehmen und Unternehmensvertreter sowie Arbeit16 Zu diesen für die getroffene Auswahl hilfreichen Expertinnenrunden zählen zum einen die Präsentationen vor den Betreuerinnen des Kollegs »Pfade organisatorischer Prozesse« sowie vor Expertinnen auf dem Gebiet der unternehmerischen Verantwortung (z.B. der »CR-Study Group Berlin«). Im Zuge dieser Präsentationen wurde z.B. der zunächst angedachte Fokus auf den wissenschaftlichen Diskurs verworfen und der Fokus auf zivilgesellschaftliche Akteure (Gewerkschaften und NGOs) gelenkt.
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geber- und Industrieverbände repräsentiert. Während der Bundesverband Deutscher Arbeitgeber sowie der Bundesverband der Deutschen Industrie als größte Dachverbände in die Untersuchung eingehen, ist der Fokus aufseiten der Unternehmen auf die DAX-30-Unternehmen gelegt. Insbesondere große, börsennotierte und international agierende Unternehmen und ihre Vertreterinnen nehmen in Deutschland aktiv am Diskurs unternehmerischer Verantwortung teil, während kleine und mittelständische Unternehmen sich weniger aktiv zeigen (Bluhm/Geicke 2007; BertelsmannStiftung 2005). Ihre finanziellen und organisationalen Ressourcen sowie ihre engen Beziehungen untereinander und zur Politik (Streeck 2011: 138) verleihen sowohl großen Unternehmen als auch den Arbeitgeber- und Industrieverbänden die Möglichkeit, den unternehmerischen Handlungsrahmen wesentlich zu beeinflussen und auch auf andere am Diskurs beteiligte Akteure Einfluss zu nehmen. Darüber hinaus sind große Unternehmen der öffentlichen Aufmerksamkeit weit mehr ausgesetzt als kleine und mittelständische Unternehmen, sodass sie sich einem hohen Druck zur Kommunikation der eignen Aktivitäten im Bereich der Unternehmensverantwortung ausgesetzt sehen. Sie werden damit regelmäßiger und häufiger am Diskurs beteiligt sein als kleine und mittlere Unternehmen. Zudem zeigte sich, dass in den frühen Jahren des Diskurses der Bund Katholischer Unternehmer (BKU) eine wesentliche Instanz darstellte und sich nicht nur regelmäßig zum Thema äußerte, sondern auch eine Reihe der in Fragen unternehmerischer Verantwortung aktiven Unternehmer aus dem Kreis dieser Organisation stammte. In die Analyse aufgenommen werden damit der BDA und der BDI, die DAX-30-Unternehmen sowie der BKU.17 Staatliche Akteure, die sich am Diskurs unternehmerischer Verantwortung beteiligen, sind vor allem die Bundesregierung sowie das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), das seit 1949 besteht, das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMU), das im Juni 1986 gegründet wurde, sowie das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi), ehemals Bundesministerium für Technologie, das ebenfalls seit 1949 besteht. Mit ihren jeweiligen Arbeitsschwerpunkten in den Bereichen Soziales, Umwelt und Wirtschaft sind sie für die Analyse als bedeutend zu erachten.18 Die Bundesregierungen und 17 Zur Auswahl der DAX-30-Unternehmen, die sich immer wieder verändert, wurde die durch die Wirtschaftszeitung »Handelsblatt« regelmäßig veröffentlichte Auflistung der DAX-30-Unternehmen herangezogen. Basisjahr ist das Jahr 2011 als Zeitpunkt der Datenerhebung dieses Textkorpus. 18 Das BMAS hat durch Betätigungsfelder wie Arbeitsmarkt, Arbeitsrecht, Arbeitsschutz, Rente und soziale Sicherung große thematische Schnittmengen mit dem Thema unternehmerische Verantwortung, insbesondere in deren sozialer Dimension. Ähnlich verhält es sich bezüglich des BMU, welches mit den Kernthemen Klimaschutz, Ressourceneffizienz, Wasser- und Abfallwirtschaft, Bodenschutz, Umwelt und Gesundheit, Immissions-
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Bundesministerien nehmen immer wieder in unterschiedlicher Weise Einfluss auf Ausgestaltung und Umsetzung unternehmerischer Verantwortung, sei es durch Gesetzesverabschiedungen in den Bereichen Umwelt, Soziales und Wirtschaft, aber auch durch offizielle Stellungnahmen und Redebeiträge zu aktuellen Ereignissen. Vor allem in jüngerer Zeit sind auch die von staatlichen Akteuren initiierten Dialogveranstaltungen (z.B. das »Nationale CSR-Forum«) eine Plattform für den Austausch mit den Akteuren anderer gesellschaftlicher ›Lager‹ und damit für die Analyse der Interaktion aller drei Gruppen aufschlussreich. Nehmen staatliche Akteure häufig selbst Stellung zu relevanten Themen und aktuellen Ereignissen, so lagern sie stellenweise Themenbereiche aus und beauftragen Sachverständigenräte (z.B. der »Sachverständigenrat für Umweltfragen« oder der »Rat für Nachhaltige Entwicklung«) und Kommissionen (z.B. verschiedene Enquete-Kommissionen) mit der Ausarbeitung von Themen sowie dem Erstellen von Berichten und Handlungsvorschlägen. Diese Akteure beschäftigen sich für eine bestimmte Zeit mit spezifischen Themen, legen regelmäßig Berichte vor, die Auskunft über den jeweils aktuellen Stand bestimmter Themen sowie notwendige Entwicklungen geben, und sprechen mitunter konkrete Handlungsempfehlungen an die Bundesregierung sowie entsprechende Ministerien aus. Sachverständigenräte und Kommissionen haben deshalb großen Einfluss auf politische Entscheidungen und prägen damit Art und Weise der staatlichen Diskursbeteiligung. Ihre Publikationen werden deshalb ebenfalls für die Analyse herangezogen. Zivilgesellschaftliche Akteure: Insbesondere für Deutschland wird im Rahmen des Korporatismus die große Rolle von Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen betont (z.B. Streeck 1999; Zimmer 1999). Während das Verhältnis von Gewerkschaften zur Unternehmensverantwortung bisher eine eher untergeordnete Rolle in der Forschung gespielt hat (siehe dazu Preuss et al. 2006; Vitols 2011), ist das Verhältnis von NGOs zum Thema unternehmerischer Verantwortung breiter behandelt worden (für einen Überblick siehe Arenas et al. 2009; für Deutschland siehe z.B. Curbach 2009; Rieth/Göbel 2005, Leggewie 2004; Unsöld 2007). Für die Analyse wird der Schwerpunkt auf den Deutschen Gewerkschaftsbund und seine Rolle im Diskurs gelegt. Als Dachverband deutscher Gewerkschaften können die Äußerungen des DGB als leitend, wenn auch nicht bindend, auch für Einzelgewerkschutz, Anlagensicherheit und Verkehr sowie Chemikaliensicherheit, Naturschutz und nachhaltige Naturnutzung, die Sicherheit kerntechnischer Einrichtungen, nukleare Verund Entsorgung, Strahlenschutz und internationale Zusammenarbeit in der Umweltpolitik vor allem Fragen der ökologischen Dimension unternehmerischer Verantwortung berührt. Das BMWi beschreibt seine Aufgaben selbst als die Sicherung des wirtschaftlichen Wohlstands mit breiter Teilhabe aller Bürgerinnen und nennt neben anderen Aufgaben die Verbindung ökonomischer und ökologischer Ziele als wichtig zur Erreichung wirtschaftlicher Ziele (siehe dazu www.bmwi.de).
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schaften betrachtet werden. Die Äußerungen des DGB können damit die Position der deutschen Gewerkschaften sinnvoll darstellen. Zudem bildet der DGB gerade in den letzten Jahren vermehrt eigene Expertise zum Thema Unternehmensverantwortung aus und äußert sich regelmäßig. Auch NGOs sollen Berücksichtigung finden. Als größter und einer der frühen Akteure im Feld der Umweltverantwortung soll hier der BUND analysiert werden. Durch die unregelmäßige Teilnahme deutscher NGOs am Diskurs ist eine Selektion nur einer NGO zwangsläufig mit der Vernachlässigung wesentlicher, aber nur einmaliger Äußerungen anderer NGOs verbunden, weshalb die Analyse der Artikulationen des BUND punktuell durch relevante Publikationen anderer NGOs ergänzt wird. Ein wesentliches Ergebnis dieser auf die Akteure konzentrierten Vorab-Analyse ist, dass während sich die drei Akteursgruppen in früheren Jahren (etwa zwischen 1970 und 2000) gesondert, d.h. zum Beispiel als Arbeitgeberverband oder als Gewerkschaftsbund, am Diskurs beteiligten, ab der Jahrtausendwende eine als ›Professionalisierung der Diskursteilnahme‹ zu beschreibende Veränderung zu beobachten ist. Diese zeigt sich insofern, als dass die einzelnen Akteure ab dem Jahr 2000 nach und nach beginnen, übergreifende »CSR«-Verbände und Plattformen zu gründen, mit denen sie sich zusätzlich zur je individuellen Teilnahme an der Gestaltung des Themas Unternehmensverantwortung beteiligen. Im Jahr 2000 wird als Erste solcher Initiativen der Unternehmensverband »Econsense« (Abkürzung für »economic and ecological in consensus«) gegründet, im Jahr 2004 der Arbeitgeber- und Industrieverband »CSR-Germany« sowie die Plattform der Bundesregierung »UnternehmensWerte – CSR made in Germany« und im Jahr 2006 unter gemeinsamer Beteiligung von Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen das Netzwerk »CorA – Corporate Accountability. Netzwerk für Unternehmensverantwortung«. Wirtschaftliche, staatliche und zivilgesellschaftliche Akteure verändern damit beginnend ab dem Jahr 2000 ihre Diskursteilnahme, bilden themenspezifisch Expertise aus und äußern sich ausgehend von einer so auch äußerlich dargestellten Position des »Expertinnentums« zur Unternehmensverantwortung. Nicht zuletzt wird durch die Gründung dieser Verbände und Plattformen auch ein gesteigertes Interesse der Akteure am Thema der Unternehmensverantwortung deutlich. Die Äußerungen dieser Verbände und Plattformen als Repräsentantinnen der oben selektierten wirtschaftlichen, staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteure fließen ebenfalls in die Analyse ein. Alle für die Analyse wesentlichen Akteure sind in Tabelle 3 zur Übersicht aufgeführt.
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Tabelle 3: Analysierte wirtschaftliche, staatliche und zivilgesellschaftliche Akteure des deutschen Diskurses unternehmerischer Verantwortung Jahr der Gründung
Akteursgruppe
Analysierte Akteure
Wirtschaftliche Akteure
Bundesvereinigung deutscher Arbeitgeberverbände (BDA)
1913
Bundesverband der deutschen Industrie (BDI)
1949
Bund Katholischer Unternehmer (BKU)
1949
Econsense
2000
CSR-Germany
2004
DAX-30-Unternehmen
---
Bundesregierung (BR)
---
Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS)
1949
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMU)
1986
Bundesministerium für Wirtschaft (BMWi)
1917
Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU)
1971
Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE)
2001
CSR made in Germany
2004
Nationales CSR-Forum
2009
Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB)
1949
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND)
1975
Corporate Accountability – Netzwerk für Unternehmensverantwortung (CorA)
2006
Staatliche Akteure
Zivilgesellschaftliche Akteure
(Eigene Darstellung)
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3.4 D ATENSAMMLUNG , - ORGANISATION
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UND - ANALYSE
Im Folgenden werden die Schritte der Datensammlung, -organisation und -analyse beschrieben. Diese folgen, orientiert am üblichen Vorgehen der Diskursanalyse, einem iterativen Verlauf (Keller 2011: 84; Taylor 2001a: 38). Bei einem solchen Vorgehen werden Datensammlung, -organisation und -analyse nicht als voneinander unabhängige und linear aufeinander folgende Schritte betrachtet, sondern vielmehr als parallel und in ›zyklischen‹ Schleifen immer wieder das Bisherige im Lichte des Neuen hinterfragende und ergänzende Prozesse gesehen (Flick 2012: 124; Truschkat 2012: 80). So ist beispielsweise der Schritt der Datensammlung kein vor dem Beginn der Analyse als abgeschlossen zu betrachtender Prozess, sondern wird im Laufe der Analyse sukzessiv fortgeführt (Flick 2012: 124-131). Ausgehend von diesem Forschungsverlauf kann das Vorgehen in zwei Schritten beschrieben werden, beginnend mit der Datensammlung, d.h. der Zusammenstellung des zu untersuchenden Textkorpus (3.4.1). Daran anschließend wird der Prozess der Datenorganisation und -analyse dargestellt (3.4.2). 3.4.1 Datensammlung – Zusammenstellung des Textkorpus Im Zuge der Datensammlung ist zunächst eine für die Beantwortung der Forschungsfragen geeignete Textform zu identifizieren. Während es für die Generierung des ›Vorab-Wissens über den Diskurs‹ sinnvoll sein kann, sehr unterschiedliche Textformate heranzuziehen, wird in Bezug auf die eigentliche Diskursanalyse die Verwendung konsistenterer Textformen empfohlen, um über die Vergleichbarkeit der Dokumente, z.B. hinsichtlich ihrer Artikulationsweisen und Adressaten, eine konsistente Interpretation erzielen zu können (Keller 2011: 88, 91). Wichtiges Kriterium ist etwa die »Wiederholung und Gleichförmigkeit von immer wieder ähnlich Gesagtem oder Geschriebenen. Denn es ist dieser Charakter diachroner Reihung und synchroner Häufigkeit von miteinander verbundenen Aussagen, der die Diskursanalyse empirisch begründet« (Landwehr 2009: 102). Ausgehend von den Forschungsfragen wurden folglich Texte zusammengetragen, die a) Aussagen über die von den drei selektierten Akteursgruppen regelmäßig vorgebrachten Motive unternehmerischer Verantwortung zulassen und b) insbesondere ein Verständnis der Aushandlung von Bedeutung erlauben, d.h. die Positionierung der einzelnen Akteure nicht nur zur unternehmerischen Verantwortung insgesamt, sondern auch zu den Positionen der jeweils anderen Akteure abbilden und damit auch die (Gründe möglicher) (Ver-)Einigung zwischen den Akteuren erfassbar machen. Die vorliegende Analyse konzentriert sich deshalb vor allem auf die Textform ›offizieller Stellungnahmen‹, d.h. Kommentare, Standpunkte, Positionspapiere, Aktionspläne und -programme sowie Handlungsleitfäden und Strategiepapiere, die von
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staatlichen, wirtschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren unter Nennung eines oder mehrerer der oben beschriebenen Schlagworte publiziert wurden.19 Die Textform ›offizieller Stellungnahmen‹ ist als »natürliche«, sprich, nicht eigens für dieses Forschungsvorhaben generierte, Dokumentform (Keller 2011: 87) für die hier angestrebten Forschungsziele besonders geeignet, da sie erstens als offizielle, d.h. innerhalb der jeweiligen Organisation abgestimmte, Verlautbarung die Haltung der Akteure darstellt. Standpunkte und Positionspapiere etwa werden von den Akteursgruppen nach interner Diskussion erstellt und nach Beschluss als offizielle Äußerung zum Thema veröffentlicht. Dabei werden sie von den Akteuren vor allem an die interessierte Fachöffentlichkeit, d.h. hier vor allem die anderen am Diskurs beteiligten Akteure, adressiert und können als expliziter Diskussionsbeitrag verstanden werden. Nicht zuletzt trägt dieses Interesse auch zu einem ähnlichen Aufbau sowie zu einer vergleichbaren Sprache bei. Zweitens werden offizielle Stellungnahmen regelmäßig von den Akteuren erneuert und können damit auch Veränderungen über die Zeit abbilden. Aktionspläne und -programme etwa werden immer wieder ergänzt und aktuellen Ereignissen angepasst. Drittens ist diese Textform für die Analyse geeignet, da sie – mehr als beispielsweise Zeitungsartikel – auch Bezugnahmen auf die Positionen anderer Akteure abbildet und damit den Fokus auf das Agieren und Reagieren der jeweiligen Positionen ermöglicht. Insbesondere Kommentare und Stellungnahmen stellen Gemeinsamkeiten und Differenzen zu den Positionen anderer Akteure explizit dar. Kommentieren etwa Gewerkschaften die Positionspapiere der Bundesregierung oder nehmen Stellung zur Position der Industrieverbände, so wird ihre Ablehnung oder Zustimmung hinsichtlich dieser Positionen deutlich formuliert und häufig auch begründet. Neben der Identifikation von akteursspezifischen Aussagensystemen können anhand dieser Textformen damit auch die Identifikation geteilter Positionen und Konfliktlinien geleistet sowie die Gründe dafür erhellt werden. Viertens werden mit der Wahl dieser Textform die für die Entwicklung des deutschen Diskurses wichtigsten Dokumente erfasst, wie u.a. der »CSR-Aktionsplan« aufseiten der Bundesregierung oder die Publikationen des »Nationalen CSR-Forums« (siehe dazu Kapitel 6). Fünftens schließlich weisen ›natürliche Dokumente‹ insgesamt den Vorteil auf, anders als z.B. Interviews oder teilnehmende Beobachtungen, unbeeinflusst von der Forscherin (erstellt worden) zu sein und zudem auch den insbesondere für historische Arbeiten mit ihren zwingend retrospektiven Forschungsdesigns problematischen Bias selektiven Erinnerns (z.B. Langley/Tsoukas 2010) auszuschließen. Im Gegensatz zu den anderen Akteuren nehmen Unternehmen in erster Linie durch die Veröffentlichung nicht-finanzieller Berichte am Diskurs unternehmerischer Verantwortung teil. Über Textformen wie Stellungnahmen, Kommentare so19 Eine Ausnahme bilden hier die nicht-finanziellen Berichte der DAX-30-Unternehmen, deren Auswahl im Anschluss erläutert wird.
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wie Standpunkte sind sie nur indirekt, d.h. mittels der sie repräsentierenden Akteure der Arbeitgeber- und Industrieverbände sowie insbesondere über unternehmerische »CSR«-Verbände wie Econsense, am Diskurs beteiligt. Für Unternehmen wurde deshalb ein gesonderter Textkorpus erhoben. Ein solcher gesonderter Textkorpus ist nicht zuletzt auch aufgrund der spezifischen Rolle der Unternehmen, als zugleich Gestaltende und Ausführende unternehmerischer Verantwortung, gerechtfertigt (siehe dazu ausführlich Kapitel 7). Gemeinsam haben nicht-finanzielle Unternehmensberichte mit den offiziellen Stellungnahmen, dass sie ebenfalls eine natürliche Textform darstellen, als ›offizielle‹ Äußerungen der Unternehmen betrachtet werden können und die Interpretation unternehmerischer Verantwortung bzw. das von den Unternehmen als Interpretation Dargestellte wiedergeben (ähnlich auch Höllerer 2013: 585-586). Natürlich birgt die gewählte Textform offizieller Stellungnahmen, seien es Positionspapiere oder nicht-finanzielle Berichte, auch Nachteile. Nachteilig ist beispielsweise, dass sie als ›offizielle Stellungnahmen‹ explizit als Diskussionsbeitrag veröffentlicht werden und insofern dem Forschungsinteresse dieser Arbeit zwar gerecht werden können, dabei aber von den Akteuren durchaus flexibel genutzt werden können. Das BMU schreibt beispielsweise mit Blick auf nicht-finanzielle Berichte, dass deren Vorteil gerade darin läge, dass sie »ein sehr flexibles Instrument der Information« seien und man empfiehlt den Unternehmen: »Wollen Sie vor allem die Anteilseigner und Investoren ansprechen, so sollten Sie die ökonomischen Aspekte stärker gewichten und mehr Graphiken zur Verdeutlichung einbauen. […] Wollen Sie sich vor allem an Ihre Mitarbeiter wenden, so sollten Sie die sozialen Aspekte und entsprechende Bilder in den Mittelpunkt des Berichts stellen.« (BMU 2006: 5) Damit ist darauf verwiesen, dass diese Textform einen durchaus strategischen Charakter hat. Des Weiteren und mit Ersterem verbunden, werden in offiziellen Stellungnahmen zwar die offiziellen Positionen der jeweiligen (kollektiven) Akteure erfassbar und häufig auch die (ebenfalls offiziellen) Begründungen mit angegeben, der dahinterliegende Rationalisierungs- und Entscheidungsprozess bleibt jedoch weitgehend verborgen. Halten wir uns auch hier an Mills (1940), so geht es aber vor allem darum, aus den jeweils ›angegebenen‹ Motiven und Rationalisierungen zu erfahren, was die Akteure meinen, was als Motiv akzeptiert werden wird, weniger hingegen darum, was die – auch mit anderen Methoden kaum unmittelbar zu erhebenden – ›wahren‹ oder ›inneren‹ Gründe für eine bestimmte Position sind, womit die genannten Kritikpunkte für das Vorhaben der vorliegenden Arbeit weniger ins Gewicht fallen. Des Weiteren heißt der oben angesprochene Vorteil natürlicher Dokumente, unbeeinflusst von der Forscherin erstellt worden zu sein, natürlich im Umkehrschluss, dass diese Texte nicht immer direkt auf die Fragen der Forscherin Antwort geben und daher mit weiteren Materialien ergänzt werden sollten, was hier mit den im Zuge der Generierung des Vorab-Wissens zusammengetragenen Hintergrundmaterialien und den geführten Interviews geschehen ist.
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Kommen wir zur Zusammenstellung des Textkorpus, so sind nicht zuletzt auch forschungspragmatische Gründe zu berücksichtigen, z.B. sollten Zugänglichkeit und ausreichende Verfügbarkeit bei gleichzeitiger Handhabbarkeit gewährleistet sein (Landwehr 2009: 103, ebenso Keller 2010). Da die Textform der ›offiziellen Stellungnahme‹ auf ihre weite Verbreitung angelegt ist, sind die jeweiligen Texte öffentlich zugänglich bzw. auf Anfrage einsehbar. Um eine Übersicht der von den einzelnen Akteuren veröffentlichten ›offiziellen Stellungnahmen‹ zu erhalten, wurde zunächst für jeden Akteur auf dem jeweiligen Internetauftritt eine Schlagwortsuche nach den zuvor selektierten Begriffen (siehe oben) durchgeführt. In der überwiegenden Anzahl der Fälle konnten hier die Dokumente direkt heruntergeladen oder bestellt werden. Auch die DAX-30-Unternehmen richten sich mit ihren eigenständigen, nicht-finanziellen Berichten an die interessierte Fachöffentlichkeit und stellen die von ihnen veröffentlichten Berichte somit auf ihren Internetseiten zum Download zur Verfügung. Die Zusammenstellung des Textkorpus konnte zudem für alle Akteure unter Rückgriff auf öffentliche Bibliotheken (»Online Public Access Catalogue (OPAC)-Bibliothekssystem der Freien Universität Berlin«) und unter Zuhilfenahme von Internet-Suchmaschinen (»google.com«) weiter ergänzt werden. Die derart selektierten Texte wurden im weiteren Verlauf der Analyse schrittweise durch Quellenverweise innerhalb der einzelnen Texte und somit im Sinne eines »Schneeballsampling« ergänzt. Der Prozess der sukzessiven Zusammenstellung des Analysekorpus war begleitet von einer permanenten Überprüfung hinsichtlich des notwendigen Grades der Vollständigkeit und Eignung für die Beantwortung der gestellten Forschungsfragen (Keller 2011: 89-96). Ein ergänzender Schritt der Datensammlung war in diesem Zuge unter anderem, die Akteure per E-Mail oder telefonisch zu kontaktieren, nach wesentlichen Publikationen zum Thema zu befragen sowie fehlende oder nicht (mehr) öffentlich zugängliche Dokumente anzufordern und dem Textkorpus hinzuzufügen. Dies war insbesondere auch für die Zusammenstellung des Textkorpus der eigenständigen nicht-finanziellen Berichte der DAX-30-Unternehmen von Bedeutung, um sicherzustellen, dass der gesamte Berichtszeitraum jedes Unternehmens erfasst wurde. Als abgeschlossen kann der Prozess der Datensammlung, der (wie bereits erwähnt) auch parallel zum Analyseprozess und im Sinne eines iterativen Vorgehens fortgesetzt wurde, betrachtet werden, wenn ein Punkt der »Saturierung« erreicht ist, d.h. wenn die Hinzunahme weiterer Texte keinen zusätzlichen Erkenntnisgewinn hinsichtlich der gestellten Forschungsfragen mehr ergibt (Keller 2011: 93). Der Textkorpus ist getrennt nach Akteursgruppen und Akteuren in der folgenden Tabelle abgebildet (Tabelle 4).
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METHODISCHE
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Tabelle 4: Untersuchter Textkorpus wirtschaftlicher, staatlicher und zivilgesellschaftlicher Akteure Akteursgruppe
Anzahl Texte
Akteur
Textform
Zeitraum
Arbeitgeber- und Industrieverbände (BDA, BDI), Bund Katholischer Unternehmer (BKU), Unternehmer und »CSR«-Verbände (Econsense, CSR-Germany)
offizielle Stellungnahmen
1970-2014
93
Unternehmen (DAX 30)
eigenstän- 1995-2014 dige, nichtfinanzielle Berichte
184
Staatliche Akteure
Bundesregierung und ministerien und »CSR«Verbände (CSR made in Germany, RNE, SRU), Nationales CSR-Forum
offizielle Stellungnahmen
1970-2014
61
Zivilgesellschaftliche Akteure
Gewerkschaften (DGB)
offizielle Stellungnahmen
1970-2014
82
NGOs (CorA, BUND)
offizielle Stellungnahmen
1975-2014
77
Wirtschaftliche Akteure
Dokumente insgesamt: 497 Texte (Eigene Darstellung)
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3.4.2 Datenorganisation und -analyse Die Datenanalyse vorbereitend, wurden alle Texte,20 sofern sie nicht bereits in digitalisierter Form vorlagen, digitalisiert und in die Software für Qualitative Datenanalyse (engl. »Qualitative Data Analysis«, QDA) MAXQDA eingepflegt. Dort wurden die Texte nach Akteuren und, innerhalb der Archive zu den einzelnen Akteuren, chronologisch geordnet. Alle Texte sind mit dem Jahr ihrer Veröffentlichung markiert, womit die darin geäußerten Motive nicht nur einem Akteur bzw. einer Akteursgruppe (der jeweiligen Autorin oder Autorinnengruppe), sondern auch einem Jahr zuzuordnen sind. MAXQDA diente folglich sowohl als Archiv, im Sinne einer strukturierten Datenbank, als auch als Analysesoftware für die systematische Codierung und Auswertung des Textkorpus. Für die Auswertung des umfangreichen Textkorpus wurde ein Analyseverfahren entwickelt, welches sich am gängigen Vorgehen qualitativ-interpretativer Diskursanalysen (Keller 2011, 2012) und (diskursiver) Pfadanalysen orientiert. Hinsichtlich Letzterem bietet sowohl der in Kapitel 2 erarbeitete theoretische Analyserahmen als auch der von Sydow und Kollegen (2012) erarbeitete Ansatz der »Path Constitution Analysis« konkrete Hilfestellung. Mit Blick auf die Forschungsfragen sind nachfolgend zum einen die von den Akteuren vorgebrachten Motive unternehmerischer Verantwortung zu identifizieren und zum anderen, unter Berücksichtigung ihrer Entwicklung über die Zeit, die Entwicklung und Stabilisierung der Führerschaft des »Business Case for CSR« nachzuvollziehen und zu erklären, d.h. ausgehend vom entwickelten Analyserahmen, die diskursiven (Ver-)Einigungsprozesse zwischen den Akteuren zu untersuchen. Die Analyse erfolgt damit in zwei Schritten, die im Folgenden beschrieben werden. Dabei müssen mitunter Ergebnisse der Analyse vorweggenommen werden, wodurch jedoch in den folgenden Kapiteln eine lesefreundlichere Präsentationsweise gewählt werden kann. 1. Schritt der Datenanalyse: Identifikation von Motiven unternehmerischer Verantwortung Das qualitativ-interpretative Vorgehen der Diskursanalyse wird durch einen steten Wechsel zwischen der Analyse einzelner Artikulationen und deren Verbindung zu 20 Texte mit mehr als 200 Seiten wurden nicht gescannt und ausschließlich händisch analysiert. Letzteres betrifft vor allem Texte aus den frühen Jahren, weshalb für diese Jahre eine Quantifizierung der vorgebrachten Motive nur teilweise möglich war. Die in den folgenden Kapiteln (siehe Kapitel 4 bis 6) zitierten Texte sind im Literatur- und Quellenverzeichnis aufgeführt, die nicht-finanziellen Berichte der DAX-30-Unternehmen (siehe Kapitel 7) sowie die für die Vorstudie (siehe Kapitel 1) verwendeten Artikel des »Manager Magazins« sind aus Platzgründen nicht ins Literatur- und Quellenverzeichnis aufgenommen.
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Artikulationsmustern, auch Aussagensystemen, sowie der abstrahierenden Analyse der Ebene des Diskurses geleitet (Keller 2011). Für die empirische Arbeit ist es somit zunächst notwendig, das Zusammenspiel der Analyseebenen von Artikulationen, Artikulationsmustern und des Diskurses klar zu fassen und analytisch zu unterscheiden.21 Die kleinste Analyseeinheit ist die Artikulation (Laclau 2007a: 72), auch als Argument oder Forderung bezeichnet. Im empirischen Material handelt es sich dabei um einzelne Aussagen, die jeweils durch die Zugehörigkeit zu einem Text einem Akteur und einem Zeitpunkt zugeordnet werden können. Eine Artikulation kann nur wenige Worte, einen oder mehrere Sätze umfassen. Ein analysierter Text kann eine oder mehrere Artikulationen einer Autorin enthalten. Da die Texte des in dieser Arbeit analysierten Textkorpus zum Teil sehr lang sind (bis zu mehreren Hundert Seiten), umfassen sie jeweils viele Artikulationen. Der Fokus dieser Arbeit liegt dabei auf Artikulationen, die sich auf Motive unternehmerischer Verantwortung beziehen. Aus einzelnen Artikulationen können sich im weiteren Fluss des Diskurses Artikulationsmuster formen, d.h. durch eine gemeinsame Ratio sinnhaft (nicht notwendigerweise logisch) miteinander verbundene und, die kontinuierliche Artikulation vorausgesetzt, im Diskurs wahrnehmbare Aussagensysteme entstehen. Artikulationsmuster – in unserem Falle Motivmuster – fassen die Vielzahl an Artikulationen (Motiven) in handhabbare Strukturelemente und stellen damit für die am Diskurs beteiligten Akteure den »essential discursive cement« dar, »that creates communicative networks among actors with different or at best overlapping perceptions and understandings« (Hajer 1995: 63), der also die Bildung von Diskurskoalitionen ermöglicht. Der Diskurs wurde im vorstehenden Kapitel als die Totalität kontinuierlicher Akte der Artikulation definiert (Laclau/Mouffe 2014 [1985]: 105). Für die empirische Umsetzung kann der Diskurs als ein Strom miteinander in Beziehung stehender Artikulationen und Artikulationsmuster gefasst werden, die von Akteuren ›angerufen‹ werden, um dann von anderen am Diskurs beteiligten Akteuren aufgenommen, ignoriert oder abgelehnt zu werden. Auf dieser aggregierten Ebene zeigen sich uns die in bestimmten Perioden jeweils akzeptierten Motivvokabulare, d.h. ein oder mehrere zu bestimmten Zeitpunkten, von bestimmten Akteuren und hinsichtlich bestimmter Handlungen akzeptierte Motivmuster. Während die Identifikation von Motiven unternehmerischer Verantwortung für einzelne Akteure und innerhalb begrenzter Zeiträume durch die Analyse einzelner Texte möglich wird, kann das Zusammenspiel verschiedener Akteure, die dabei entstehenden Artikulationsmuster sowie deren Entwicklung über die Zeit nur auf übergeordneter, mehrere Texte umgreifender, Ebene erfolgen (dazu auch Nonhoff 2010: 318). Es bedarf damit zunächst jeweils der auf einzelne Akteure bezogenen 21 Die Ebenen sind nicht unabhängig voneinander, vielmehr hängen alle drei in untrennbarer Weise zusammen und beeinflussen sich wechselseitig.
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Analyse einzelner Texte und ihrer Artikulationen, um dann, weiterhin für einzelne Akteure, über die Analyse von einer Reihe von Texten zu Aussagensystemen zu gelangen und letztlich, die Gesamtheit der Aussagen und Aussagensysteme unterschiedlicher Akteure aggregierend, zur Analyse und Darstellung des Diskurses vorzudringen. Um über die Aussagen einzelner Texte hinauszugehen und Aussagen über den Diskurs zu erhalten, müssen im Zuge der Interpretationsleistung folglich immer wieder die »Feinanalysen« einzelner Texte und Gruppen von Texten aggregiert werden (Keller 2011: 113). Hierbei ist von Bedeutung, dass die Analyse immer wieder zwischen den Ebenen des Diskurses und der einzelner Texte wechselt und sich so der zunächst temporär gebildeten Annahmen vergewissert, diese wieder verwirft, verändert oder bestätigt. An diesen analytischen Ebenen orientiert sich der im Folgenden beschriebene Prozess der Datenanalyse. Die Codierung der Texte des Analysekorpus erfolgte, ebenso wie ihre Archivierung, mithilfe von MAXQDA. Die Analyse begann zunächst mit der aufmerksamen einfachen oder wiederholten Lektüre jedes einzelnen Textes, worauf eine Zusammenfassung des Textinhalts und der Vermerk von wichtig erscheinenden Formulierungen oder Querverweisen folgen konnten (Keller 2011: 98). Dies ist hilfreich, um einen ersten Überblick über den jeweiligen Text zu erhalten und erste Eindrücke hinsichtlich behandelter Themen und Motive festzuhalten.22 Für ein Verständnis des jeweiligen Textes kann zudem seine Situierung im Verlauf des Diskurses unter Berücksichtigung des jeweiligen sozio-historischen, institutionell-organisatorischen sowie situativen Kontexts dienlich sein (Keller 2011: 100). So ist es z.B. von Bedeutung, den jeweiligen Text auch mit Blick auf seine Autorin, das von ihr adressierte Publikum und, mithilfe der chronologischen Ereignisgeschichte (siehe Kapitel 3.3.2), im Kontext der aktuellen Ereignisse einzuordnen, die beispielsweise zu einer Über- oder Unterbetonung bestimmter Inhalte oder der Nutzung eines spezifischen Vokabulars beitragen können (Landwehr 2009: 105-110). Im Rahmen einer solchen Kontextualisierung kann das Verfolgen der im jeweiligen Text direkt oder indirekt hergestellten Querverweise auf Referenztexte oder -diskurse insbesondere intertextuelle sowie interdiskursive Verbindungen erhellen.23
22 MAXQDA erlaubt hierfür das Erstellen textspezifischer Memos, die ebenfalls archiviert und kontinuierlich ergänzt werden können und auf die in späteren Phasen des Analyseprozesses immer wieder zurückgegriffen werden kann. 23 Direkte Querverweise stellen dabei explizite Bezugnahmen auf einen anderen Text oder Diskurs dar (z.B. angezeigt durch ein Zitat, einen Kommentar oder eine Stellungnahme), indirekte Querverweise hingegen stellen Referenzen zu anderen Texten oder Diskursen ohne einen expliziten Verweis (z.B. durch die Verwendung gleicher Formulierungen, eine nicht angezeigte Zitation oder den impliziten Bezug auf einen anderen Text oder Diskurs) dar. Insbesondere die Identifikation Letzterer erfordert die genaue Kenntnis der
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Auf einem derart erlangten ersten Verständnis des Textes aufbauend, kann in den weiteren Schritten mit der interpretativ-analytischen Identifikation und Rekonstruktion regelmäßiger Aussageninhalte begonnen werden (Keller 2011: 101). Der Fokus liegt hier auf der schrittweisen Identifizierung der von den Akteuren artikulierten Motive. Dabei wurden, einem induktiven Vorgehen folgend, in einem ersten Codierungsschritt möglichst ›textnahe‹ Codierungen gebildet. Das heißt, die Codierungen bleiben in ihrer Benennung möglichst nah an der Sprache des jeweiligen Akteurs, sodass verwendete Begriffe, Argumente und Formulierungen identifiziert werden, ohne dabei der späteren analytischen Interpretation vorzugreifen (Keller 2011: 100). Hierbei wurden jeweils die Textpassagen in den Texten codiert, die auf Motive unternehmerischer Verantwortung verwiesen, d.h. explizit Motive benannten oder durch Darstellung von Zielen oder Vorgehensweisen Rechtfertigungen unternehmerischer Verantwortung offenlegten.24 Ein Beispiel für eine derartige ›textnahe‹ Codierung ist etwa die Codierung der Artikulation: »Bayer will sich durch seinen Beitrag zur Lösung gesellschaftlicher Probleme von Wettbewerbern und anderen Unternehmen abheben.« (Bayer 2004: 51), die mit dem Code »abheben von Wettbewerbern« versehen wurde. Ein weiteres Beispiel ist die Artikulation: »Unternehmerische Verantwortung ist ein integraler Bestandteil unserer Konzernstrategie und leistet einen wichtigen Beitrag zu unserem wirtschaftlichen Erfolg und unserer Wettbewerbsfähigkeit« (Deutsche Post 2009: 54), die als »Verantwortung als Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit« codiert wurde. Insgesamt wurden in diesem ersten Schritt 598 verschiedene Codierungen gebildet. Ausgehend von den in MAXQDA vorgenommenen ›textnahen‹ Codierungen galt es in einem zweiten Schritt, diese nach und nach und vorerst noch hypothetisch tastend anzupassen, miteinander zu verschmelzen und neu zu definieren. Dabei wurden beispielweise die oben genannten Codierungen »abheben von Wettbewerbern« und »Verantwortung als Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit« zu einem Code »Wettbewerbsfaktor« zusammengefasst (siehe beispielhaft hierfür Code 1 in Tabelle 5). Für die derart gebildeten Codierungen wurden jeweils Kommentare erstellt, die in Form von »›Begleitnotizen‹« jeweils Informationen darüber enthalten, »nach welchen Gesichtspunkten ein bestimmter Code formuliert und einer Textpassage zugeordnet wurde«, um so während des gesamten, mehrere Durchgänge des Materials umfassenden Prozesses der Analyse Klarheit und Konsistenz der Codierungen
Thematik, kann jedoch durch eine ›Triangulation‹ mit der chronologischen Ereignisgeschichte unterstützt werden. 24 Von Bedeutung ist hier, dass es in diesem Analyseschritt jeweils um unternehmerische Motive geht, d.h. um instrumentelle, relationale und moralische Motive für die Übernahme unternehmerischer Verantwortung aus Sicht des Unternehmens.
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sicherzustellen (Keller 2011: 99). Die derart induktiv gebildeten Codierungen sind in Tabelle 5 dargestellt und durch Textbeispiele veranschaulicht.25
25 Zu beachten ist, dass die Akteure häufig mehrere Motive innerhalb eines Satzes nennen, wie das folgende Beispiel zeigt: »Die Erkenntnis: Effizienter Umweltschutz verbessert nicht nur das Image, sondern ist unverzichtbarer Teil des Qualitätsmanagements und hilft, die Kosten in Vertrieb und Service spürbar zu reduzieren.« (BMW 2001: 54) Ebenso können Motive unterschiedlicher Kategorien innerhalb eines Satzes genannt werden: »Schutz und Förderung der Gesundheit werden bei Volkswagen als soziale Verpflichtung und als ökonomische Notwendigkeit betrachtet. […] So zielen die im Gesundheitsmanagement verankerten Maßnahmen insbesondere auf die Erhöhung der Leistungsbereitschaft und der Leistungsfähigkeit ab.« (VW 2003: 101)
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Tabelle 5: Überblick über die induktiv gebildeten Codierungen unter Angabe beispielhafter Textstellen: Motive unternehmerischer Verantwortung Code
Codebezeichnung
Beispielhafte Textstellen
1
Wettbewerbsfaktor
• »Unternehmerische Verantwortung ist ein integraler Bestandteil unserer Konzernstrategie und leistet einen wichtigen Beitrag zu unserem wirtschaftlichen Erfolg und unserer Wettbewerbsfähigkeit.« (Deutsche Post 2009: 54) • »Bayer will sich durch seinen Beitrag zur Lösung gesellschaftlicher Probleme von Wettbewerbern und anderen Unternehmen abheben.« (Bayer 2004: 51)
2
Erfolgsfaktor/ Investition
• »Die Deutsche Bank versteht Corporate Social Responsibility (CSR) nicht als Wohltätigkeit, sondern als Investition in die Gesellschaft und damit auch in ihre eigene Zukunft.« (Deutsche Bank 2007: 5) • »Es macht ökonomisch durchaus Sinn, wenn auch Unternehmen sich an den gleichen Grundsätzen und Werten messen lassen, wie sie in einer wohlgeordneten demokratischen Gesellschaft für alle Bürgerinnen und Bürger gelten.« (DGB Hexel 2005b: 7)
3
Versicherung
• »Unsaubere Geschäfte dagegen schaden unserer Reputation und richten wirtschaftlichen Schaden an. Daher lehnen wir jeden Verstoß gegen unsere Standards – zum Beispiel Korruption und Wettbewerbsverstöße – strikt ab.« (Henkel 2009: 10) • »Gesellschaftliches Engagement [ist] Instrument zur Früherkennung von Risiken: Durch die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Problemen sollen Themen identifiziert werden, welche die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen des unternehmerischen Handelns negativ beeinflussen können.« (Bayer 2004: 51)
4
Strategie
• »Corporate Social Responsibility (CSR) ist längst kein leeres Schlagwort mehr, sondern ein strategisches Konzept, dem Großkonzerne ebenso wie kleine und mittlere Unternehmen folgen. Damit können sie neue Potenziale für die Unternehmensentwicklung und für ihre Wertschöpfung erschließen.« (BMU 2009: 3)
126 | I NSTRUMENTALISIERTE V ERANTWORTUNG? • »Ziel ist es, dass Unternehmen CSR stärker als unternehmerisches und strategisches Konzept auffassen und einsetzen.« (NCSRF 2010: o.S.) 5
Win-Win
• »Es ist für uns damit weder Opfer noch Alibi, weder Ablasshandel noch Reparaturauftrag. Wir betreiben hier nicht Wohltätigkeit mit dem Geld unserer Aktionäre, sondern tätigen sinnvolle Investitionen in unsere eigene Zukunft – und zugleich in die der Gesellschaften, in denen wir operieren.« (Deutsche Bank 2007: 3) • »Henkel stellt sich dieser kontinuierlichen Herausforderung mit einer marktorientierten Nachhaltigkeitsstrategie und sieht darin eine klare ›win-win‹-Situation für das Unternehmen, die Gesellschaft und die Umwelt.« (Henkel 2001: 5)
6
Freiwilligkeit
• »Bürokratische Berichtspflichten gefährden und konterkarieren die innovativen Anstrengungen beim freiwilligen Engagement. […] Die auf europäischer Ebene diskutierten Berichtspflichten lehnt die Wirtschaft deshalb ab.« (DIHK/IHK 2012: 5) • »CSR steht für gelebte Verantwortung der Unternehmen in einem wettbewerbsorientierten Umfeld. Das freiwillige Engagement darf nicht missbraucht werden, um Unternehmen neue Lasten aufzuerlegen, die dem Staat im Rahmen der Daseinsvorsorge […] obliegen.« (Econsense 2010b: 6)
7
Systemerhalt/ Gesellschaftsordnung
• »Wir alle wissen, daß unsere Wirtschaftsordnung nur dann auch schlechte Tage überstehen wird, wenn jeder einzelne bei seinen täglichen Entscheidungen das rechte Maß findet, oder, wie es gerade jetzt immer wieder betont wird, wenn jeder bereit ist, in seinem Rahmen maßzuhalten.« (Münchmeyer 1963: 205) • »Dabei gilt es, verantwortungsbewusst handelnde Unternehmen in ihrer Vorbildrolle zu stärken, weitere Anreize zur Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung zu schaffen sowie Hilfestellungen zur Umsetzung von CSR in das unternehmerische Alltagshandeln zu bieten. So kann die Akzeptanz der Sozialen Marktwirtschaft in Deutschland gestärkt werden.« (BMAS 2010a: 9)
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8
Beziehungsaufbau
• »Im kontinuierlichen Austausch zeigen wir auf, wie wir unsere Unternehmenswerte leben und welche CRStrategie wir verfolgen. Auch soll der Dialog unsere Wertschätzung gegenüber unseren Stakeholdern zum Ausdruck bringen. Wir wollen Vertrauen erhalten beziehungsweise aufbauen […].« (Merck 2012: 17) • »Auch Daimler verdankt seinen langjährigen Erfolg letztlich den vertrauensvollen Beziehungen zu seinen Kunden, Partnern und Nachbarn – und dieses Vertrauen müssen wir uns immer wieder neu erarbeiten. Deshalb übernehmen wir Verantwortung […].« (Daimler 2011: 8)
9
Akzeptanz
• »Verantwortungsvolle Geschäftspraktiken sind das Fundament unseres operativen Geschäfts, unsere ›license to operate‹.« (Bayer 2011: 12) • »Bei einigen Themen stehen große Teile der Gesellschaft unserem Unternehmen weiterhin sehr kritisch gegenüber. Wir wollen den Dialog deshalb ausbauen und für unser Handeln bis zum Jahr 2020 eine hohe gesellschaftliche Akzeptanz erreichen.« (RWE 2012: 28)
10
Gesellschaftsvertrag
• »Unsere Umwelt zu bewahren ist Bestandteil eines sich immer wieder erneuernden Generationenvertrags.« (VW 1999: 4) • »Es bedurfte unter anderem der Anstöße der Neuen Linken, um von einer oft allzu einseitigen, nur pragmatisch erfolgsorientierten Denkweise zu einer mehr gesellschaftsorientierten Sicht der Unternehmung vorzudringen oder – wenn man will – zurückzufinden. Heute scheint mehr und mehr wieder anerkannt zu werden, daß das Unternehmen als eine gesellschaftliche Veranstaltung in privatrechtlicher Form in dem gesellschaftspolitischen Zusammenhang gesehen werden muß, in dem es wirkt.« (Biedenkopf 1973)
11
Gemeinwesen/wohl
• »Verantwortung übernehmen die Unternehmen freiwillig, damit das Gemeinwohl funktioniert.« (NCSRF 2010: o.S.) • »Wir sind überzeugt, dass Familien die Grundlage einer starken Gesellschaft bilden und eine wichtige Quelle von Zuversicht und Geborgenheit sind. Deshalb unter-
128 | I NSTRUMENTALISIERTE V ERANTWORTUNG? stützen wir Familien auf der ganzen Welt durch langfristige Initiativen.« (Beiersdorf 2013: 25) 12
Anspruch Dritter
• »BMW setzt sich als Unternehmen für den Ausgleich von Mensch, Natur, Technik, Wirtschaft und Fortschritt ein und für das Recht zukünftiger Generationen auf eine intakte Umwelt.« (BMW 2001: 57) • »Insgesamt liegt der Nachhaltigkeit ein ethischer Ansatz zugrunde. Dass wir neben den berechtigten Anliegen der heute lebenden Menschen bei den notwendigen Weichenstellungen auch maßgeblich die Lebenschancen der Kinder und Enkelkinder in den Blick nehmen, ist der Grund, weshalb wir Klimaschutz betreiben, die Energieeffizienz steigern und die erneuerbaren Energien ausbauen.« (BR 2002b: 6)
13
Anliegen/ eigener Anspruch
• »Als internationales Unternehmen wissen wir, welches Potential in einer ethnisch und kulturell vielfältigen Mitarbeiterschaft bei der Entwicklung neuer Leistungen für unsere Kunden liegt. Die Förderung kultureller Vielfalt und der Austausch zwischen den Kulturen ist deshalb auch in unserem gesellschaftlichen Engagement eines unserer zentralen Anliegen.« (Deutsche Bank 2003: 5) • »Das Unternehmen fördert die friedliche Zusammenarbeit dieser verschiedenen Kulturen aus tiefer Überzeugung.« (VW 2013: 74)
14
moralische Verpflichtung
• »Die BMW Group ist in mehr als 130 Ländern vertreten und beschäftigt allein in Deutschland Mitarbeiter aus mehr als 90 Nationen. Vor diesem Hintergrund ist interkulturelles Verständnis für die BMW Group nicht nur moralische Verpflichtung […].« (BMW 2005: 79) • »Freiheit ohne Vernunft und Vernunft ohne Freiheit sind daher undenkbar. Wenn der Mensch als vernünftiges und freies Wesen sich aber von seiner Umwelt und ihren Bedingungen lösen kann, dann begründet das seine Verantwortlichkeit.« (Werhahn BKU 1964: 7)
15
Tradition/Kultur-/ Werteerhalt
• »Verantwortung für Umwelt, Arbeitswelt und Gesellschaft gehört zu unseren Grundwerten.« (Bayer 2005: 65)
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• »Der verantwortliche Umgang mit Ressourcen ist ein gewachsenes Element der Unternehmenskultur.« (VW 1995: o.S.) 16
Altruismus
• »Uns geht es nicht um den maximalen Profit, sondern um die größtmögliche Wirkung.« (VW 2013: 5) • »Comvent GmbH wollte einfach etwas tun […].« (MM 02/1993)
17
Ethos
• »[Es] ist die Herausbildung eines Ethos gefordert, das den Sinn und das Gespür für das Ganze der menschlichen Entfaltungsbedingungen zu wecken und zur Geltung zu bringen vermag.« (SRU 1994: 26) • »[…] Ethik der Verantwortung als Schranke gegen Kontrollverlust und Maßlosigkeit […].« (BDA 2013a: 1)
(Eigene Darstellung)
Ausgehend von den in Tabelle 5 dargestellten Codierungen, konnten in einem dritten Schritt entsprechende Kategorien von Motiven gebildet werden, die in mehreren Durchgängen auf ihre Tauglichkeit für die Beschreibung der im wirtschaftlichen, staatlichen und zivilgesellschaftlichen Diskurs unternehmerischer Verantwortung geäußerten Motive überprüft wurden. Dabei zeigte sich, dass die von der Forscherin induktiv identifizierten Motive sich sinnvoll durch das von Aguilera et al. (2007) sowie in Kapitel 2 diskutierte Schema instrumenteller, relationaler und moralischer Motive strukturieren ließen. Diese Rückbindung der identifizierten Motive an die Literatur war notwendig, da mit der Zuordnung zu den drei Kategorien die – durch die Vielzahl der identifizierten Motive entstehende – Komplexität heruntergebrochen werden konnte und damit der prozessualen und teilweise quantifizierenden Analyse zugänglich gemacht werden konnte. Es wurden dabei jeweils Codierungen als instrumentell kategorisiert, die sich auf ein unternehmerisches Ziel bezogen und damit die Wahrnehmung oder Beförderung von Verantwortung als Mittel zur Erreichung eines solchen Ziels darstellten sowie unternehmerische Verantwortung als Teil der unternehmerischen Strategie präsentierten.26 Als relational wurden die Codierungen kategorisiert, die Verantwortung als Schritt zum Beziehungsaufbau zwischen Akteuren kennzeichneten sowie unternehmerische Verantwortung als Teil eines gesellschaftlichen Vertrags be26 Wie in Kapitel 2 ausgeführt, repräsentieren diese jeweils auf den unternehmerischen Vorteil bezogenen instrumentellen Motive den »Business Case for CSR«, sind also im dort erläuterten Sinne instrumentell.
130 | I NSTRUMENTALISIERTE V ERANTWORTUNG?
trachteten. Als moralisch wurden jeweils solche Codierungen kategorisiert, die Verantwortung als unternehmerische Verpflichtung und Ausdruck einer Überzeugung darstellten oder durch altruistische Motive begründeten. In Tabelle 6 sind die im deutschen Diskurs unternehmerischer Verantwortung artikulierten Kategorien von Motiven mitsamt der induktiv identifizierten Motive dargestellt. Tabelle 6: Kategorien von Motiven unternehmerischer Verantwortung im deutschen Diskurs Kategorie
Instrumentell
Relational
Moralisch
Code
Motiv
(1)
Wettbewerbsfaktor
(2)
Erfolgsfaktor/Investition
(3)
Versicherung
(4)
Strategie
(5)
Win-Win
(6)
Freiwilligkeit
(7)
Systemerhalt/Gesellschaftsordnung
(8)
Beziehungsaufbau
(9)
Akzeptanz
(10)
Gesellschaftsvertrag
(11) (12)
Gemeinwesen/-wohl Anspruch Dritter
(13)
Anliegen/eigener Anspruch
(14)
Moralische Verpflichtung
(15)
Tradition/Kultur/Werteerhalt
(16)
Altruismus
(17)
Ethos
(Eigene Darstellung)
2. Schritt der Datenanalyse: Diskursiver Prozess der Entwicklung und Stabilisierung der Führerschaft des »Business Case for CSR« Die Beantwortung der zweiten Forschungsfrage, welche den Prozess der Entwicklung und Stabilisierung der Führerschaft des »Business Case for CSR« im deutschen Diskurs unternehmerischer Verantwortung nachvollziehen und erklären möchte, verlangt – aufbauend auf der im ersten Analyseschritt im Fokus stehenden Identifikation von Motiven unternehmerischer Verantwortung – eine systematische
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Analyse der um diese Bedeutungszuschreibungen stattfindenden Aushandlungsund Stabilisierungsprozesse. Wie oben bereits erwähnt, kann sich die Analyse dabei auf den in Kapitel 2 dargelegten theoretischen Analyserahmen sowie die von Sydow und Kolleginnen (2012) beschriebene »Path Constitution Analysis« stützen. In einem ersten Schritt ging es zunächst darum, das empirische Material weiter zu strukturieren. Aufbauend auf der im vorherigen Analyseschritt erfolgten Identifikation von Motiven und Motivkategorien, konnte dabei für jede Akteursgruppe eine eigene Diskurshistorie erstellt werden, d.h. die von den Akteuren über die Zeit artikulierten Motive in Augenschein genommen werden. Dazu wurden je Akteursgruppe die Jahr für Jahr artikulierten Motive identifiziert, um so insgesamt zu einer prozesshaften Betrachtung zu gelangen. Damit wurde nicht nur ein erster Einblick dahingehend gewonnen, welche Motive von den Akteuren häufiger artikuliert und welche hingegen weniger oder gar nicht genannt wurden, sondern auch, zu welchen Zeiträumen/-punkten sich jeweils Kontinuitäten oder Veränderungen hinsichtlich der von den Akteuren vorgebrachten Motive zeigten. Für die Phasen, in denen alle Texte der Akteure in digitalisierter Form vorlagen, konnte dieser Schritt auch in quantifizierender Weise durchgeführt werden und damit je Akteursgruppe die Entwicklung der Motive sowie ihres Verhältnisses zueinander in Augenschein genommen werden (siehe die Abbildungen in Kapitel 4, 5 und 6).27 Diese Ergebnisse wurden in einem zweiten Schritt genutzt, um für jede Akteursgruppe eine dichte Beschreibung dieser zunächst noch ›rohen‹ Diskurshistorien vorzunehmen. Dabei wurde für jede Akteursgruppe so detailliert wie möglich beschrieben, wie sich die von ihnen vorgebrachten Motive unternehmerischer Verantwortung über die Zeit verändert haben. Der Fokus lag dabei auf den von den Akteuren in bestimmten zeitlichen Perioden regelmäßig geäußerten Motiven. Die Konstruktion dieser dichten Diskurshistorien war notwendig, um die Fülle der Informationen, die sich durch die große Anzahl von Texten, die Vielfalt von Motiven und die unterschiedlichen Akteure ergaben, zu verdichten und so von der »Feinanalyse« (Keller 2011: 113) einzelner und sich damit auf je ein Jahr und eine Akteursgruppe beziehender Texte schrittweise zur Betrachtung größerer Zeiträume für jede Akteursgruppe vorzuarbeiten und schließlich die derart konstruierten Diskurshistorien der einzelnen Akteursgruppen auch miteinander in Beziehung setzen zu können. In diesem dritten Schritt zeigte sich, dass es einige Gemeinsamkeiten zwischen den Diskurshistorien einzelner oder aller Akteursgruppen gab, dass z.B. bestimmte Umbrüche bei allen Akteuren in den gleichen Zeitraum fielen, es gemeinsame Pha27 Während dies für wirtschaftliche und zivilgesellschaftliche Akteure über alle drei Phasen möglich war, lagen für staatliche Akteure in der ersten Phase nur wenige Texte in digitalisierter Form vor, weshalb die Motiventwicklung für diese Akteure ausschließlich in der zweiten und dritten und Phase in quantitativer Weise ausgewertet werden konnte.
132 | I NSTRUMENTALISIERTE V ERANTWORTUNG?
sen des ›Schweigens‹ gab oder bestimmte Entwicklungen von allen Akteuren kommentiert wurden. Damit konnten unter Rückgriff auf die Ereignischronologie bestimmte Ereignisse sowie Entwicklungen, die bei zweien oder allen Akteursgruppen gleichzeitig stattfanden, als für die am Diskurs beteiligten Akteure besonders relevant identifiziert werden. Zwei wesentliche Ergebnisse konnten durch die gemeinsame Betrachtung der dichten Diskurshistorien erzielt werden. Zum einen konnte im Sinne des in Kapitel 2 erarbeiteten Analyserahmens eine wesentliche Trajektorie im Verlauf des Diskurses unternehmerischer Verantwortung identifiziert werden, in deren Zuge es zu einer deutlichen Veränderung der von den Akteuren vorgebrachten Motive sowie des Verantwortungsverständnisses insgesamt kam (siehe dazu ausführlich Kapitel 5). Zum anderen konnte die vermutete Stabilisierung im Sinne des Analyserahmens, d.h. die fortgesetzte Reproduktion trotz potenzieller Problematik und Wandelinitiativen, bestätigt werden (siehe dazu Kapitel 6). Diese die Pfadvermutung erhärtenden Befunde sollten in einem vierten Schritt mit Fokus auf die den Prozessverlauf möglicherweise treibenden selbstverstärkenden Mechanismen weiter fundiert werden. Im Sinne des erarbeiteten Analyserahmens konnte dies in einem ersten Schritt sinnvoll über die Identifikation von Diskurskoalitionen geschehen, um so die für eine diskursive Stabilisierung als relevant beschriebenen (Ver-)Einigungsprozesse genauer in den Blick zu nehmen und dann in einem zweiten Schritt die Gründe für diesen Prozess zu identifizieren. Diskurskoalitionen wurden in Kapitel 2 als Ensembles von Akteuren beschrieben, die durch die gemeinsame und kontinuierliche Bezugnahme auf bestimmte Artikulationsmuster oder deren Bestandteile entstehen und zusammengehalten werden (Hajer 1995: 13, 65; Nonhoff 2006: 201). Die gemeinsame Artikulation und ReArtikulation bestimmter Inhalte wurde dabei als »Zement« der Diskurskoalition beschrieben, gleich aus welchen Gründen diese formuliert werden (Hajer 1995: 65; Nonhoff 2006: 201). Innerhalb der empirischen Analyse kommt es mithin darauf an, von den Akteuren gemeinsam artikulierte Motive zu identifizieren, um so letztlich zu Aussagen über die zu bestimmten Zeitpunkten unter den am Diskurs beteiligten Akteursgruppen akzeptierten Motivvokabulare zu gelangen. Eine Diskurskoalition kann im empirischen Material folglich jeweils dann unterstellt werden, wenn unterschiedliche Akteursgruppen regelmäßig auf gleiche Motive oder Motivmuster Bezug nehmen, z.B. wirtschaftliche und staatliche Akteure regelmäßig beide die Motive »Wettbewerbsfaktor« und »Versicherung« artikulieren. Haben wir für jede einzelne Akteursgruppe folglich die innerhalb bestimmter Perioden artikulierten Motive identifiziert, so kann in höherer Abstraktionsstufe nach Gemeinsamkeiten zwischen den Motiven der Akteursgruppen gesucht werden. Um diese Formierung und Re-Formierung von Diskurskoalitionen als Prozess der (Ver-)Einigung in seinen einzelnen Schritten zu verstehen, wurde also untersucht, welche Akteure gemeinsam spezifische Motive artikulieren und wie sich dabei Diskurskoalitionen
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und Konter-Diskurskoalitionen28 bilden und gegebenenfalls über die Zeit verändern. Dabei zeigte sich, dass die zuvor identifizierte Trajektorie im Zusammenhang mit der Verschiebung der Akteurskonstellation, d.h. der Formierung einer ersten den »Business Case for CSR« gemeinsam befördernden Diskurskoalition, stand und um eine zweite solche Trajektorie ergänzt werden konnte, nämlich die Erweiterung dieser Diskurskoalition um Akteure aus dem zivilgesellschaftlichen Lager, was erneut auf eine Veränderung im Diskurs verwies (siehe dazu Kapitel 5 und 6). Aufbauend auf der zuvor identifizierten Formierung und Erweiterung der den »Business Case for CSR« befördernden Diskurskoalition konnte nun der Fokus auf die Gründe für diesen schrittweisen (Ver-)Einigungsprozess der Akteure gelegt werden. Wie wir in Kapitel 2 gesehen haben, müssen also Gründe dafür gefunden werden, warum gerade der »Business Case for CSR« zur Einschreibefläche für die unterschiedlichen Akteure wurde und sie sich unter seinem ›Dach‹ zu einer Diskurskoalition zusammengefunden haben. Dazu musste unter Rückgriff auf die Ereignischronologie und die dichten Diskurshistorien der einzelnen Akteursgruppen sowohl auf Diskursebene als auch auf Akteursebene nach Gründen für die Beförderung des »Business Case for CSR« durch die Akteursgruppen gesucht werden, d.h. zum einen unter Berücksichtigung der (auch von den Akteuren selbst) als wesentlich erachteten wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen (z.B. Veränderungen der marktwirtschaftlichen Ordnung, Verantwortungsdiskurse anderer Länder etc.) und zum anderen unter Berücksichtigung der von den Akteuren geäußerten Motive und (normativen) Bewertungen der selbst oder durch andere vorgebrachten Motive (z.B. die abwertende Äußerung oder positive Konnotation bestimmter Motive, Erwartungen bezüglich mehr oder weniger akzeptierter Motive etc.). Dafür war es notwendig, das empirische Material erneut durchzugehen, um zu prüfen, ob die identifizierten Beweggründe auch tatsächlich mit den relevanten Diskursverschiebungen im Prozessverlauf zusammenhingen und damit im Sinne des erarbeiteten theoretischen Rahmens als selbstverstärkender Mechanismus zu beschreiben sind. Abbildung 4 zeigt diese Formierung und Re-Formierung von Diskurskoalitionen um bestimmte Motive in stark abstrahierter Form. Dabei sind für alle Akteure die über die Zeit und in den jeweiligen Phasen vornehmlich artikulierten Motive dargestellt (kleinere Schwankungen sind aus Gründen der Übersichtlichkeit nicht aufgeführt). Die zweite Phase nimmt in Abbildung 4 aufgrund ihrer Bedeutung für die Entwicklung des Diskurses überproportional Platz ein und zeigt 28 Der Begriff der Konter-Diskurskoalition zeigt an, dass es mehrere Diskurskoalitionen geben kann, die – wie wir im Weiteren sehen werden – als hinsichtlich der von ihnen vorgebrachten Artikulationen im Konflikt miteinander stehen, wobei sich die als KonterDiskurskoalition (auch widerständige Diskurskoalition) bezeichnete als Reaktion auf die Formierung einer ersten Diskurskoalition bildet und deren Artikulationen zu konterkarieren versucht.
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die Formierung einer ersten Diskurskoalition zwischen wirtschaftlichen und staatlichen Akteuren (jeweils angezeigt durch die die Akteure verbindenden Kreise) sowie eine durch Punkte gekennzeichnete Phase des Schweigens unter zivilgesellschaftlichen Akteuren. Gegen Ende der zweiten Phase wird die wirtschaftlichstaatliche Diskurskoalition um Akteure aus dem zivilgesellschaftlichen Lager erweitert, wobei das endgültige Herübertreten der Gewerkschaften den Übergang zur dritten Phase darstellt. Zivilgesellschaftliche Akteure sind in Abbildung 4 getrennt in NGOs und Gewerkschaften dargestellt, da sie sich in der zweiten und dritten Phase des Diskurses teils auf unterschiedliche Weise am Diskurs beteiligen (dazu ausführlich Kapitel 5 und 6). Zuletzt galt es weiter zu fundieren, ob die durch die identifizierten Trajektorien unterscheidbar gewordenen Phasen, sich auch tatsächlich im Sinne des Analyserahmens als Phasen eines pfadabhängigen Prozesses, d.h. als Präformations-, Formations- und Lock-in-Phase beschreiben ließen, um so über die Identifikation konstitutiver Charakteristika pfadabhängiger Prozesse (Selbstverstärkung, Stabilität) hinauszugehen und den Prozessverlauf auch anhand der in Kapitel 2 (sowie dort insbesondere Tabelle 1) beschriebenen Dimensionen der drei Phasen nachzuvollziehen (siehe Tabelle 7). Es musste also insbesondere geprüft werden, welche historischen Ausgangsbedingungen die erste Phase kennzeichneten und ob bzw. wenn ja welche alternativen Prozessverläufe denkbar gewesen wären (Kontingenz), um dann in einer zweiten Phase über die Selbstverstärkung zur Selektion und schrittweisen Verengung des Diskurses zu führen und schließlich, ob sich die dritte Phase tatsächlich als Lock-in, im Sinne der Dimensionen der Kontinuität, potenziellen Problematik und des Scheiterns von Wandelinitiativen, beschreiben ließ.
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Abbildung 4: Schematische Übersicht über die Diskursentwicklung (Eigene Darstellung)
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136 | I NSTRUMENTALISIERTE V ERANTWORTUNG?
Tabelle 7: Indikatoren für diskursive Pfadabhängigkeit und Nachweise im empirischen Material Phasen
Dimensionen
Indikatoren
Nachweise im empirischen Material
Präformationsphase
historische Ausgangsbedingungen: diskursive Offenheit
Verschiedene Artikulationsmuster werden vorgebracht und es haben sich noch keine Diskurskoalitionen von Dauer zwischen den Akteuren etabliert.
Unterschiedliche Motive werden artikuliert, wobei relationale und moralische Motive überwiegen und instrumentelle Motive nur vereinzelt artikuliert werden. Es haben sich noch keine Diskurskoalitionen gebildet, da die Akteure je unterschiedliche Motive artikulieren.
Kontingenz
Es ist noch nicht absehbar, welches Artikulationsmuster sich im weiteren Verlauf durchsetzen wird.
Relationale und moralische Motive überwiegen, staatliche Akteure experimentieren mit instrumentellen Motiven, die, nur vereinzelt, auch von wirtschaftlichen Akteuren artikuliert werden.
Triggering Event/ Critical Juncture
Kleines oder großes Ereignis oder Reihe von Ereignissen, die dem Diskurs einen bestimmten Trend verleihen.
Einführung des »CSR«-Begriffs durch die Europäische Kommission und Verweis auf »Business Case for CSR« als Hauptmittel zur Verbreitung unternehmerischer Verantwortung. Aufgreifen des Vorschlags der Europäischen Kommission durch wirtschaftliche und staatliche Akteure, wobei sich über das geteilte, neue Verständnis unternehmerischer Verantwortung eine erste, wirtschaftlich-staatliche Diskurskoalition formiert.
Selbstverstärkung
Ein selbstverstärkender Mechanismus führt zur vermehrten Bezug-
Während zivilgesellschaftliche Akteur sich den Neuerungen des Diskurses zunächst verweigern und damit der wirtschaftlich-
Formationsphase
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Lock-inPhase
Kontinuität
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nahme auf ein bestimmtes und zur Marginalisierung alternativer Artikulationsmuster, d.h. ein Artikulationsmuster wird zur Einschreibefläche unterschied-licher Akteure, sodass sich eine Diskurskoalition bildet und möglicherweise ausweitet, mit dem Ergebnis eines sich zunehmend als führend durchsetzenden Artikulationsmusters.
staatlichen Diskurskoalition den Diskurs ›überlassen‹, bietet der »Business Case for CSR« wirtschaftlichen und staatlichen Akteure eine Einschreibefläche für ihre partikularen Interessen, womit sie ihn in den Folgejahren kontinuierlich befördern und ausweiten. Dabei entwickelt sich der »Business Case for CSR« von einer Möglichkeit der Verbreitung unternehmerischer Verantwortung zur einer Notwendigkeit, weshalb sich schließlich einige zivilgesellschaftliche Akteure nach einer Phase des Aufbegehrens, dem diskursiven Mainstream annähern, was dem »Business Case for CSR« erneut Auftrieb verleiht. Die sich dem »Business Case for CSR« gegen Ende der zweiten Phase annähernden zivilgesellschaftlichen Akteure werden schließlich in den diskursiven Mainstream ›herübergezogen‹, womit sich der »Business Case for CSR« als ›breiter gesellschaftlicher Konsens‹ als führend etabliert, womit die dritte Phase eingeleitet ist.
Das führende Artikulationsmuster wird durch die nun hegemoniale Diskurskoalition fortgesetzt reproduziert und/oder wird durch das Absor-
Die Führerschaft des »Business Case for CSR« wird von einer nun hegemonialen Diskurskoalition wirtschaftlicher, staatlicher und gewerkschaftlicher Akteure fortgesetzt reproduziert, teilweise ausgebaut. Weiterhin widerständige Akteure sehen sich ignoriert.
138 | I NSTRUMENTALISIERTE V ERANTWORTUNG? bieren weiterer Artikulationen sogar ausgeweitet. Alternative Artikulationsmuster sehen sich de facto aus dem etablierten ›Mainstream‹Diskurs ausgeschlossen. Scheitern von Veränderungsversuchen
Angriffe auf die bestehende Ordnung werden von den eingeschlossenen Akteuren ›abgeblockt‹ oder der hegemonialen Ordnung ›einverleibt‹.
Zwei extern initiierte Wandelinitiativen werden von wirtschaftlichen und staatlichen Akteuren abgeblockt, der »Business Case for CSR« gegen Veränderungsversuche verteidigt. Gewerkschaftliche Akteure billigen den Status quo. Widerständige Akteure dringen mit ihren Forderungen nicht in den ›Mainstream‹-Diskurs vor.
potenzielle Problematik
Das Festhalten am führenden Artikulationsmuster erweist sich für die eingeschlossenen Akteure als potenziell problematisch.
Wirtschaftliche Akteure erleben einen Glaubwürdigkeitsverlust, der letztlich auch die erhoffte Wirkung des »Business Case for CSR« infrage stellt. Staatliche Akteure drohen erneut zu ›Nachzüglern‹ der europäischen Entwicklung zu werden, womit die von ihnen erhoffte ›Vorreiterrolle‹ bedroht scheint. Gewerkschaften sehen sich gefangen in einem ›Konsens‹, der die von ihnen erhofften ›weiteren‹ Schritte nicht realisiert, vielmehr den anderen Akteuren als legitimatorischer Bezugspunkt der Beharrung auf dem Status quo dient.
(Eigene Darstellung)
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3.5 E VALUIERUNG DER D ATENSAMMLUNG , - ORGANISATION UND - ANALYSE Das qualitativ-diskursanalytische Vorgehen steht mit seiner Verortung im Sozialkonstruktivismus im Widerspruch zur Prüfung der Güte anhand ›traditioneller‹ Gütekriterien. In positivistischen Forschungstraditionen zu verortende Kriterien gehen davon aus, dass es der Forscherin möglich sei, »[to] obtain knowledge of the world and its workings […] which is value-free and objective, unaffected by any personal bias or world-view of the researcher […] [and] which is universal, in that it holds across different situations and different times« (Taylor 2001a: 11). Im Gegensatz dazu verstehen die qualitative Forschungstradition und mit ihr die qualitativinterpretative Diskursanalyse die Generierung wissenschaftlicher Daten und die Aussagen darüber als Prozess der Konstruktion, an dem sowohl die Akteure im Feld als auch die Forscherin selbst beteiligt sind. Eine ›objektive Realität‹, anhand derer die generierten Daten überprüft werden könnten, wird damit ausgeschlossen (Hardy/Clegg 1997: 13). Aufgrund der Komplexität und Dynamik sozialer Phänomene sowie der Vielzahl notwendig subjektiver Perspektiven darauf wird das mithilfe qualitativer Verfahren generierte Wissen jeweils als partiell, kontextuell situiert und relativ angenommen (Denzin/Lincoln 1998: 21; Taylor 2001a: 12; van Maanen 1979: 520). Dass diese Annahmen keinesfalls zu einer Situation der »methodological anarchy« (Seale/Silverman 1997: 380) oder des konzeptionellen Relativismus führen müssen, haben zahlreiche Entwicklungen zur ›guten Praxis‹ qualitativer Forschung gezeigt, die zum einen auf Kohärenz und Stringenz des jeweiligen Vorgehens und zum anderen auf die Möglichkeit intersubjektiver Überprüfung abstellen (Lincoln et al. 2011; Gioia et al. 2010; Denzin/Lincoln 1998). Auch die Ergebnisse diskursanalytischer Forschung sollen ihre Überzeugungskraft aus einem stringent und kohärent gestalteten Prozess der Datensammlung, -organisation und -analyse und der Nachvollziehbarkeit des Forschungsprozesses erhalten (Taylor 2001b: 320). Während Kohärenz und Stringenz vor allem mithilfe der semantischen Validität sowie der Inter- und Intracoderreliabilität festgestellt werden können und damit vor allem den Prozess der Datenorganisation und -analyse betreffen, kann die intersubjektive Überprüfbarkeit durch Transparenz hinsichtlich der Schritte der Datensammlung, organisation und -analyse sowie im Rahmen der Ergebnisdarstellung ermöglicht werden. Das Kriterium der semantischen Validität beschreibt, ob die Bedeutungsrekonstruktion des untersuchten Textmaterials angemessen ist (Mayring 2010: 119). Zu fragen ist: Beschreiben die vergebenen Codierungen die codierten Textstellen adäquat, d.h. geben sie den Sinn der jeweiligen Textstelle wieder? Sind die mit ein und derselben Codierung versehenen Textstellen in sich homogen, d.h. können sie sinn-
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voll mit ein und derselben Codierung beschrieben werden? Und fassen die Kategorien die ihnen zugeordneten Codierungen sinnvoll zusammen, d.h. sind sie in sich homogen und untereinander abgrenzbar? Zur Prüfung dieser Kriterien wurden die einzelnen Schritte des Codierungs- bzw. Kategorisierungsprozesses immer wieder unter mit der Technik des Codierens und Kategorisierens vertrauten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zur Diskussion gestellt sowie einzelne Ankerbeispiele für die Codierungen aus den Texten durchgesehen und hinsichtlich der oben aufgeworfenen Fragen überprüft. Dabei wurden ggf. kleine Anpassungen in der Zuordnung oder Benennung der Codierungen und Kategorien vorgenommen. Um die Zuverlässigkeit der Analyse zu überprüfen, kann zum einen die Reproduzierbarkeit durch die Forscherin selbst in zeitlich versetzt stattfindenden Codierungsdurchgängen überprüft werden (Intracoderreliabilität) und zum anderen die Codierungsdefinitionen und Kategorienzuordnungen durch mehrere Forscherinnen nachvollzogen werden (Intercoderreliabilität) (Mayring 2010: 117). Um die Intracoderreliabilität zu überprüfen wurden Teile des Materials durch die Forscherin mit zeitlichem Abstand von etwa vier Wochen erneut codiert. Bis auf wenige Ausnahmen (unter 4 Prozent), deren Passung in das entwickelte System im Anschluss erneut überprüft wurden, konnte dabei die Verlässlichkeit der Analyse auch über die Zeit bestätigt werden. Für das Kriterium der Intercoderreliabilität wurden einer externen, aber mit dem Thema der Arbeit vertrauten Person Textstellen vorgelesen, für die sie sodann Codierungen benennen sollte. Dafür wurden der Person das entwickelte Codierungsschema sowie das Kategoriensystem ohne Nennung von beispielhaften Textstellen an die Hand gegeben. Die von der externen Person genannten Codierungen und Kategorienzuordnungen wurden mit der von der Forscherin selbst erstellten ›Lösung‹ verglichen. Die Vergabe von Codierungen für Textstellen durch die externe Person stimmte dabei zu 94 Prozent mit der der Forscherin überein, was im Vergleich mit anderen Studien dieser Komplexität ein gutes Ergebnis ist.29 Im Zuge qualitativ-interpretativer Diskursanalysen wird zudem größter Wert auf die Transparenz und Nachvollziehbarkeit des Forschungsprozesses gelegt, um die Überprüfbarkeit des Vorgehens sowie der erzielten Ergebnisse zu ermöglichen. Dies schließt eine genaue und umfassende Offenlegung des verwendeten Datenmaterials sowie des Vorgehens der Analyse ein, verlangt für die Präsentation der Ergebnisse aber auch eine detailreiche Darstellung von Beispielen aus dem Material, um damit die Interpretationsleistung der Forscherin nachvollziehbar zu gestalten (Taylor 2001b: 320-321). Letzteres kann auch die Diskussion von abweichenden 29 Mayring (2010: 117) führt an, dass die Übereinstimmung unterschiedlicher Codiererinnen mit Zunahme der Komplexität unwahrscheinlicher wird. Gioia und Kolleginnen (2010: 9) führen an, sowohl hinsichtlich der Codierungen als auch der Kategorien eine Übereinstimmung von je über 90 Prozent mit externen Forscherinnen erreicht zu haben.
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oder inkonsistenten Ergebnissen umfassen (so z.B. Methmann 2010: 368-369), um etwaige Widersprüche oder Unstimmigkeiten offenzulegen und es den Leserinnen zu ermöglichen, die Ergebnisse in diesem Lichte zu lesen und zu bewerten. Ausdruck der Ausrichtung an diesem Ideal ist zum einen die in diesem Kapitel erfolgte Offenlegung der Prozesse der Datensammlung, -organisation und -analyse, die das Vorgehen der Arbeit transparent macht sowie Einblicke in das Datenmaterial gewährt, auf das sich die Ergebnisse dieser Arbeit stützen. Zum anderen spielt das Kriterium der Transparenz und Überprüfbarkeit auch im Rahmen der Datenpräsentation eine Rolle. Erstens wird dort für die analytischen Schlüsse durch reiche Belege aus dem Textmaterial Rechenschaft abgelegt und zweitens wurde dort, wo dies sinnvoll erschien, die qualitative Analyse durch quantitative Techniken (z.B. das Zählen der Häufigkeit des Auftretens von Codierungen) unterstützt, um so einzelne Elemente der Analyse leichter nachvollziehbar zu machen sowie die qualitativen Ergebnisse zu untermauern.30
3.6 Z WISCHENFAZIT Mit Abschluss dieses Kapitels ist in Anlehnung an den theoretischen Analyserahmen der vorliegenden Arbeit die Grundlage für die empirische Beantwortung der Forschungsfragen erarbeitet. Die qualitativ-interpretative Diskursanalyse wurde dafür als geeignete Methode vorgeschlagen, da sie es ermöglicht, die den Diskurs unternehmerischer Verantwortung charakterisierenden Muster der Motivation zu verstehen und dabei zugleich dem am Prozessverlauf des Diskurses ausgerichteten Forschungsinteresse – der Frage nach den Prozessen der Entwicklung und Stabilisierung der Führerschaft des »Business Case for CSR« – Rechnung trägt. Zur Spezifizierung der Analyseeinheit wurde der zu analysierende Diskurs in zeitlicher Hinsicht bestimmt sowie auf staatliche, wirtschaftliche und zivilgesellschaftliche 30 Den Informationsgehalt dieser quantitativen Ergänzung der qualitativen Diskursanalyse einschränkend ist zu beachten, dass eine numerische Darstellung des Diskurses jeweils mit einiger Vorsicht zu bewerten ist, da beispielsweise nicht alle für den Diskurs relevanten Artikulationen immer auch frequent auftreten müssen (Spitzmüller/Warnke 2011: 39) und insgesamt die Quantifizierung von Diskursen – und insbesondere solch breiter Diskurse wie dem der unternehmerischen Verantwortung – mit einiger Komplexitätsreduktion einhergeht (Gephart 2004: 455). Zwar sind quantitative Textanalysen in der Lage, Worthäufigkeiten und, in neueren Verfahren, auch Wortbeziehungen zu erfassen (siehe z.B. Cretchley et al. 2010; Indulska et al. 2012), sie abstrahieren jedoch von den Bedeutungen der Worte, die sie allein zählend erfassen, die sich aber im Wesentlichen aus ihrem Satz-, Text- bzw. Diskurskontext ergeben. Beispielsweise können diese Verfahren den Wandel der Bedeutung von Begriffen über die Zeit nicht nachvollziehen.
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Akteure und deren Bezugnahmen auf wiederum spezifische Signifikanten der Verantwortung begrenzt. Im Weiteren wurden die Prozesse der Datensammlung und organisation en detail dargestellt und so transparent gemacht. Auch der Prozess der Datenanalyse wurde entlang der einzelnen Schritte des Codierens beschrieben sowie die theoretischen Konzepte der empirischen Analyse zugänglich gemacht. Die Diskussion für die qualitativ-interpretative Diskursanalyse geeigneter Gütekriterien schloss das Kapitel ab. Wie fließen die Ergebnisse des Prozesses der Datensammlung, -organisation und -analyse in die weiteren Kapitel ein? Zur Präsentation der Forschungsergebnisse bedient sich diese Arbeit, in Orientierung am gängigen Vorgehen qualitativer Arbeiten, bewusst einem narrativen Darstellungsmodus. Zum besseren Verständnis soll die folgende Kapitelstruktur an dieser Stelle kurz expliziert werden. Die folgenden Kapitel präsentieren die Ergebnisse der empirischen Untersuchung des deutschen Diskurses unternehmerischer Verantwortung, wobei die Abfolge der Kapitel chronologisch geordnet ist und sich an den drei identifizierten Phasen – der Präformations-, der Formations- und der Lock-in-Phase – orientiert. Die Übergänge zwischen den Phasen sind dabei als fließend zu interpretieren – sie sollen der Übersichtlichkeit halber dennoch in getrennten Kapiteln präsentiert werden. Die Unterscheidung der Phasen wird, die Kapitel jeweils einleitend und die sich anschließende Phase dabei zugleich im historischen Kontext situierend, begründet. Die Phasen unterscheiden sich voneinander hinsichtlich der sie jeweils leitenden Regime, der vorgebrachten Motive31 und der Konstellationen der Akteure (Diskurskoalitionen). Die drei Phasen beschreiben insgesamt eine Verengung des Motivvokabulars unternehmerischer Verantwortung, wobei sich der »Business Case for CSR« als führend etabliert, relationale und moralische Motive hingegen marginalisiert werden. Diese Verengung wird befördert durch die Formierung und Erweiterung einer den »Business Case for CSR« artikulierenden Diskurskoalition und die Schwächung der Akteur, die den »Business Case for CSR« ablehnen. In der ersten Phase (Kapitel 4), in der noch keine Diskurskoalitionen von Dauer bestehen, werden die Akteure und die von ihnen artikulierten Motive jeweils für sich vorgestellt. In der zweiten Phase (Kapitel 5) werden die sich formierende Diskurskoalition wirtschaftlicher und staatlicher Akteure auf der einen und die Konter-Diskurskoalition gewerkschaftlicher und NGO-Akteure auf der anderen Seite samt der von ihnen artikulierten Motive vorgestellt und in der dritten Phase (Kapitel 6) werden die den »Business Case for CSR« artikulierende, nun hegemoniale Diskurskoalition wirtschaftlicher, staatlicher und gewerkschaftlicher Akteure auf der einen und die verbleibenden widerständigen Akteure auf der anderen Seite dargestellt. Kapitel 7 führt weitere empirische 31 Die in diesem Kapitel vorgestellten Motiv-Codierungen sind im Text der folgenden Kapitel jeweils kursiv gedruckt und durch Anführungszeichen gekennzeichnet, um ihre Verwendung kenntlich zu machen.
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Evidenz für das postulierte Lock-in an. Es legt den Fokus dabei auf die Verantwortungssubjekte selbst, hier die DAX-30-Unternehmen, und präsentiert die Ergebnisse der Analyse der nicht-finanziellen Berichte.
4 Phase 1: Diskursive Offenheit im frühen Diskurs, 1970-1994
Ziel dieses Kapitels ist es, die erste Phase der diskursiven Pfadentwicklung, die sogenannte Präformationsphase, darzustellen. In den Blick genommen werden die frühen Jahre des deutschen Diskurses unternehmerischer Verantwortung und damit die Zeit vor der Emergenz der Führerschaft des »Business Case for CSR«. Um das Spezifische des deutschen Diskurses unternehmerischer Verantwortung herauszuarbeiten wird zuvor der Beginn des Diskurses im Kontext der Nachkriegsjahre verortet (4.1). Erscheint eine Verortung der Unternehmensverantwortung im herrschenden Wirtschaftssystem insgesamt von Bedeutung für ein Verständnis ihrer Ausprägung (Schreyögg 2009: 759), so sind es insbesondere die Soziale Marktwirtschaft und die Mitbestimmung, die als wesentliche Unterscheidungsmerkmale der Wirtschaftsgeschichte Deutschlands die Besonderheit des deutschen Diskurses zutage treten lassen.1 Nicht nur illustrieren diese Ideen das damalige Verständnis wirtschaftlichen Handelns, auch prägen sie über die Bestimmung des Verhältnisses von Wirtschaft, Staat und (Zivil-)Gesellschaft die Konstellation der am Diskurs beteiligten Akteure. Nicht zuletzt scheinen beide Themen auch für die Akteure selbst einen wesentlichen Referenzrahmen für die Idee unternehmerischer Verantwortung zu stellen – immer wieder wird von unterschiedlichen Akteuren auch heute noch auf diese Themen rekurriert, wenn von unternehmerischer Verantwortung die Rede ist.2
1
Ziel ist dabei nicht, einen allgemeinen Überblick über diese Themen zu geben. Dies ist an anderer Stelle hinreichend getan (siehe u.a. die Beiträge in Aßländer/Ulrich 2009; Lehmbruch 2001 für die Soziale Marktwirtschaft sowie u.a die Beiträge in Streeck/Kluge 1999; Müller 1987 für die Mitbestimmung). Beide Themen sollen allein in ihrer Bedeutung für den Diskurs unternehmerischer Verantwortung betrachtet werden.
2
Ich werde später darauf zurückkommen (siehe Kapitel 5 und 6). Um hier nur ein Beispiel vorwegzunehmen, sei auf den im Jahr 2010 verabschiedeten CSR-Aktionsplan der Bundesregierung verwiesen, in dem an mehreren Stellen geäußert wird, dass Unternehmens-
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Im Fokus des Kapitels steht dann die Frage nach den Motiven unternehmerischer Verantwortung, die seitens wirtschaftlicher, staatlicher und zivilgesellschaftlicher Akteure in dieser Phase vorgebracht werden (4.2), um die historischen Ausgangsbedingungen des sich im Weiteren entwickelnden Pfadprozesses darzustellen. Das Kapitel zeigt auf, dass sich der Diskurs in dieser Phase deutlich von seiner heutigen Ausprägung unterscheidet und als prinzipiell offen hinsichtlich der vorgebrachten Motive sowie hinsichtlich der Konstellation der Akteure betrachtet werden kann. Die Akteure legen sich noch auf kein Motivmuster fest, sodass auch der Diskurs insgesamt durch unterschiedliche Motive bestimmt ist, und es bilden sich auch keine Diskurskoalitionen von Dauer zwischen den Akteursgruppen. Das instrumentell-voluntaristische Motivmuster wird zwar zuweilen vorgebracht, nimmt in diesen Jahren jedoch noch keine führende Position ein, womit deutlich wird, dass der Diskurs unternehmerischer Verantwortung in Deutschland nicht von Beginn an durch dieses Muster geprägt ist. Vielmehr werden vor allem relationale und moralische Motive artikuliert und bestimmen den Diskurs sogar, was dessen weiteren Verlauf – die rasche Karriere des »Business Case for CSR« in der zweiten Phase – überraschend erscheinen lässt.
4.1 H ISTORISCHE V ERORTUNG DES FRÜHEN D ISKURSES UNTERNEHMERISCHER V ERANTWORTUNG Eine historische Verortung des Diskurses unternehmerischer Verantwortung nach dem Zweiten Weltkrieg scheint vor dem Hintergrund der tiefgreifenden Zäsur gerechtfertigt.3 Knüpften dabei die Nachkriegsentwicklungen mitunter auch an die Institutionen, Eliten und Normen der Vorkriegsgeschichte an, so machten das Ende des Nationalsozialismus und die Erfahrungen des Krieges auf allen gesellschaftlichen Ebenen grundlegende Veränderungen unumgänglich (Ambrosius 1977; Lehmbruch 2001). Aufseiten der regierenden CDU etwa führen diese Erfahrungen zu einem grundsätzlichen Umdenken in Bezug auf die Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Das Ahlener Programm der CDU, veröffentlicht im Februar 1947, beschreibt die Notwendigkeit eines neuen Ordnungsrahmens wie folgt:
verantwortung als »Bestandteil einer sozialen und ökologischen Marktwirtschaft« sowie als »Zeugnis der Sozialen Marktwirtschaft« (BMAS 2010a: 10, 17) zu verstehen sei. 3
Mit der Wahl des Einstiegszeitpunktes nach dem Zweiten Weltkrieg soll nicht ausgedrückt werden, dass nicht auch vor dem Krieg Entwicklungen stattfanden, die den späteren Verlauf des Diskurses beeinflussten bzw. eine Idee der Unternehmensverantwortung bereits in sich trugen (siehe dazu etwa Habisch/Wegner 2005: 111-112; Hiß 2009a: 290292; auch Aßländer 2010; Schultz 2011).
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»Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden. Nach dem furchtbaren politischen, wirtschaftlichen und sozialen Zusammenbruch als Folge einer verbrecherischen Machtpolitik kann nur eine Neuordnung von Grund aus erfolgen. Inhalt und Ziel dieser sozialen und wirtschaftlichen Neuordnung kann nicht mehr das kapitalistische Gewinn- und Machtstreben, sondern nur das Wohlergehen unseres Volkes sein. Durch eine gemeinschaftliche Ordnung soll das deutsche Volk eine Wirtschafts- und Sozialverfassung erhalten, die dem Recht und der Würde des Menschen entspricht, dem geistigen und materiellen Aufbau unseres Volkes dient und den inneren und äußeren Frieden sichert.« (CDU Ahlener Programm 1947)
Aus diesem Programm folgt eine Reihe weitreichender Forderungen, die zum einen auf die »Neuordnung des Verhältnisses zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber«, und zwar in Form eines »Mitbestimmungsrecht[s] der Arbeitnehmer in der wirtschaftlichen Planung und sozialen Gestaltung, ihre Vertretung in Aufsichtsräten und Vorstand sowie die Ausgestaltung der Rechte des Betriebsrates« abstellen (Begründung Ahlener Programm, zitiert in Potthoff 1957: 51). Zum anderen wird mit der Bestrebung, Kapitalismus und Marxismus zu überwinden – so das leitende Motto des Ahlener Programms –, der mit der Sozialen Marktwirtschaft später eingeschlagene ›Dritte Weg‹ bereits geebnet und eine als soziale Gesellschaftsordnung verstandene Wirtschaftsordnung gefordert (Ahlener Programm 1947). Dementsprechend sind es vornehmlich die Ideen der Sozialen Marktwirtschaft und der unternehmerischen und betrieblichen Mitbestimmung, die die 1950er- und 1960er-Jahre prägen und als zunächst einmal wirtschaftsethisches Programm den Boden für den sich entwickelnden Diskurs unternehmerischer Verantwortung bereiten. 4.1.1 Soziale Marktwirtschaft: etatistische und ethisch-humanistische Vorprägungen des Diskurses unternehmerischer Verantwortung Insbesondere zwei Charakteristika der Sozialen Marktwirtschaft sind es, die den frühen Diskurs unternehmerischer Verantwortung beeinflussen werden: ihre ethisch-humanistische Ausrichtung sowie die steuernde Rolle des Staates. Schon im Ahlener Programm ist mit dem Verweis auf die Würde des Menschen, den sozialen Frieden, die Lebensinteressen des Volkes sowie das In-FrageStellen kapitalistischen Gewinn- und Machtstrebens die ethisch-humanistische Umformung von Fragen der Wirtschaft angelegt (siehe oben), die auch die frühen Jahre des Diskurses unternehmerischer Verantwortung prägen wird. Gerade in den frühen Konzeptionen der Sozialen Marktwirtschaft wird dabei ein die marktwirtschaftliche Ordnung umformender Moraldiskurs geprägt, der Anleihen bei Ideen der Katholischen Soziallehre nimmt und charakteristisch für die frühe Wirtschaftsgeschichte
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Deutschlands ist. Die Orientierung am Gemeinwohl bzw. an »überwirtschaftlichen Werten« (Rüstow 1960: 8) zeigt sich in vielen Publikationen zur Sozialen Marktwirtschaft, sehr deutlich etwa im wohl bekanntesten von Müller-Armack veröffentlichten Text, »Wirtschaftslenkung und Marktwirtschaft« (Müller-Armack 1947). Hier werden in der Gegenüberstellung beider Systeme der Vorrang und die Notwendigkeit einer »Marktwirtschaft« deutlich, doch könne diese nur dann verwirklicht werden, »wenn wir gewiß sein dürfen, die Ideale und Werte einer von uns angestrebten Gesamtlebensordnung durch sie verwirklicht zu sehen« (Müller-Armack 1947: 103). Ziel, so Müller-Armack (1947: 15, 28), sei eine Ausrichtung der Wirtschaft am »Gesamtinteresse« sowie die Schaffung einer »harmonischen Sozialordnung« (Müller-Armack 1947: 105),4 welche die Wirtschaft in einen gesamtgesellschaftlichen Rahmen stelle und anzeige, dass die Soziale Marktwirtschaft nach mehr als einer effizienten Wirtschaftsordnung strebe. Die Wirtschaft habe sich an den »Ideale[n] menschlicher Freiheit und persönlicher Würde« (Müller-Armack 1947: 62) zu orientieren. Die Entscheidung für die Marktwirtschaft als Wirtschaftsordnung ist damit nicht nur eine sozial gebundene, sie wird vielmehr in Abhängigkeit der Verwirklichung einer über sie hinausgehenden Gesamtlebensordnung gestellt. Der Wirtschaft wiederum wird, im Einklang mit dieser Ordnung, eine dem Gesamtinteresse dienende und diesem somit untergeordnete Position zugesprochen. Auch in den Schriften von Müller-Armacks Wegbegleitern Rüstow und Röpke zeigt sich diese, das Verhältnis von wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zielen hierarchisierende, Ordnungsvorstellung. Beispielsweise stellen sie heraus, dass schon die Wahl eines Wirtschaftssystems sich nach »überwirtschaftlichen Gründen« richte; dies gelte auch dann, wenn es notwendig sei, »dafür auch wirtschaftliche Opfer zu bringen« (Rüstow 1960: 9-10; ähnlich Röpke 1958: 17-18; Röpke 1960: 20). In ihrem gemeinsamen Band »Was wichtiger ist als Wirtschaft« (Rüstow/Röpke und Kollegen 1960) beschreibt Rüstow, in aus heutiger Sicht geradezu pathetisch anmutender Weise, die »Wirtschaft als Dienerin der Menschlichkeit« (Rüstow 1960) und betont, dass die Wirtschaft zwar das Fundament »höherer Werte« sei, es dabei jedoch »der eigentliche Zweck der Wirtschaft [sei], […] überwirtschaftlichen Werten zu dienen« (Rüstow 1960: 8). Röpke hingegen formuliert wie folgt: »[…] entscheidend sind die Dinge jenseits von Angebot und Nachfrage, von denen Sinn, Würde und innere Fülle des Daseins abhängen, die Zwecke und Werte, die dem Reiche des Sittlichen im weitesten Verstande angehören« (Röpke 1958: 18). Daraus folge auch, dass die Wirtschaft keine Formen annehmen dürfe, die diesen Werten widersprächen (Rüstow 1960: 8). Die Marktwirtschaft sei damit, so Röpke in einem Vortrag mit dem Titel »Wirtschaft und Moral« (Röpke 1960: 18), eine »notwendige, aber keine ausreichende Bedingung einer menschenwürdi4
Müller-Armack spricht an anderer Stelle auch vom »Gemeinwohl« bzw. vom »Blick [...] auf das Ganze« (Müller-Armack 1947: 57, 84).
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gen, produktiven, ergiebigen und freien Wirtschaftsordnung«. Erneut erweist sich die Marktwirtschaft als eine im Wesentlichen durch nicht-wirtschaftliche Ziele gerechtfertigte Ordnung – ein Verständnis, welches sich schon bald in Überlegungen zu einer sowohl die herrschende Ordnung sichernden als auch moralisch umformten Unternehmensverantwortung niederschlagen sollte. Neben dem in sozialpolitischen und ethisch-humanistischen Wertvorstellungen verwurzelten Anspruch ist das zweite für die Anfänge des Diskurses unternehmerischer Verantwortung grundlegende Charakteristikum der Sozialen Marktwirtschaft die darin vorgesehene Rolle des Staates. Versteht sich die, in wesentlichen Zügen von Müller-Armack geprägte und von Ludwig Erhard politisch ausgestaltete (dazu Müller-Armack 1974: 9-10), Idee der Sozialen Marktwirtschaft5 auch deutlich als Marktwirtschaft – und nimmt nicht zuletzt starke Anleihen beim Ordoliberalismus der Freiburger Schule,6 wie unter anderem in den Arbeiten von Müller-Armack, Rüstow und Röpke deutlich wird (siehe u.a. Müller-Armack 1974; Rüstow 1960; Röpke 1959, 1960) –, so wird sie doch als eine »bewußt gesteuerte« Marktwirtschaft konzipiert und dem Staat eine ›steuernde‹ Rolle zugesprochen (MüllerArmack 1947: 88, ähnlich 89, 94, 96). Soziale Marktwirtschaft bedeute, »daß uns die Marktwirtschaft notwendig als das tragende Gerüst der künftigen Wirtschaftsordnung erscheint, nur daß dies eben keine sich selbst überlassene, liberale Marktwirtschaft, sondern eine bewußt gesteuerte, und zwar sozial gesteuerte Marktwirtschaft sein soll« (Müller-Armack 1947: 88; eigene Hervorhebung, N.L.).7 5
Wichtig zu beachten ist dabei, dass sich die Idee der Sozialen Marktwirtschaft, die von Beginn an als »evolutive Ordnung« verstanden wurde (Müller-Armack 1974: 10), nicht nur bis heute stark verändert hat – was unter anderem durch Versuche der Reformulierung als »Öko-Soziale Marktwirtschaft« (Eichhorn 1995; Rademacher/Riegler 2011; Wicke et al. 1990) und jüngst als »Neue Soziale Marktwirtschaft« deutlich wird –, sondern insgesamt weniger als eindeutig zu definierendes Konzept denn als ordnungspolitische Integrationsformel begriffen werden kann (Aßländer/Ulrich 2009: 13), die von unterschiedlichen Akteuren auf verschiedene Weise interpretiert wird (Nonhoff 2006).
6
Beispielsweise hatte sich Walter Eucken im Rahmen des Ordoliberalismus noch ausschließlich für die Gestaltung der Wirtschaftsordnung, nicht aber der wirtschaftlichen Prozesse selbst ausgesprochen und damit ein Eingreifen des Staates allein zur Milderung der »Lücken« und »Härten« des freien Wettbewerbs vorgesehen (Eucken 1952: 183; ähnlich auch Böhm 1937). Unter anderem Walter Eucken und Franz Böhm hatten bereits 1933 die Freiburger Schule der Nationalökonomie gegründet und dort die grundlegende Idee des Ordoliberalismus ausgearbeitet (u.a. Böhm 1937; Eucken 1952).
7
Die Ausrichtung an einer »aktive[n] und konstruktive[n] Wirtschaftspolitik« (MüllerArmack 1947: 6) wird nicht zuletzt in der synonymen Verwendung von »gesteuerter Marktwirtschaft« und »sozialer Marktwirtschaft« deutlich (u.a. Müller-Armack 1947:
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Die Soziale Marktwirtschaft versteht sich folglich als sozial gebundene und staatlich gesteuerte Gesellschaftsordnung und stellte auch die Unternehmen in einen über den ökonomischen Gewinn hinausgehenden Rahmen. Die vom marktwirtschaftlichen System vorgesehene unternehmerische Freiheit sieht sich gebunden an die Einhaltung von sozial- und arbeitsrechtlichen Regelungen, eine Beteiligung der Unternehmen in staatlichen Aufgabengebieten sowie die Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen und Steuern. Die mit diesen Pflichten verbundene »Inkorporierung« von Unternehmen sowie Arbeitgeber- und Unternehmerverbänden in den staatlichen Handlungsbereich zeichnet das deutsche Wirtschaftsmodell der Nachkriegsjahre aus (Braun/Backhaus-Maul 2010). Innerhalb dieses korporatistischen Modells ist ein stark institutionalisierter und verpflichtender Charakter unternehmerischer Verantwortung bereits angelegt (Streeck 1999). Für den sich später entwickelnden Diskurs unternehmerischer Verantwortung bedeutet dies, dass die aktive Rolle des Staates auch in Fragen der Verantwortung des Unternehmens durchaus näher zu liegen scheint als die heute gängigen marktbasierten Lösungen, ja eine solche Rolle zuweilen sogar explizit gefordert wird. Dass in einer derart formulierten Wirtschaftsordnung auch Fragen der Verantwortung des Unternehmens in den Blick rücken, zeigt Röpkes Werk »Wirtschaftsethik heute« (Röpke 1959) – ein Buch, das einer der ersten expliziten Beiträge zur sich später in Deutschland entwickelnden Wirtschafts- und Unternehmensethik sein dürfte. Deutlich schlagen sich die soeben aufgezeigten Charakteristika der Sozialen Marktwirtschaft in diesen frühen Überlegungen zur unternehmerischen Verantwortung nieder. Auch die Wirtschaftsethik folgt dabei der Position der Vertreter der Sozialen Marktwirtschaft, die diese in einer »Mittellage« zwischen reinem »Moralismus« und »Ökonomismus« verstanden wissen wollen (Röpke 1959). »So wenig wir die wirtschaftliche Nützlichkeit verachten, so wenig soll sie uns tyrannisch beherrschen, wenn sie uns zwingen will, die Schönheit unseres Landes der Reklame oder Recht und Glück der Schwachen einem Fortschritt zu opfern, der in Kilowatt und Pferdestärken definiert wird. Wir sollen eben nicht bloß Ökonomisten sein, sondern zugleich Philosophen, die weder die natürliche Ordnung der Dinge noch die echte Rangfolge der Werte mißachten.« (Röpke 1959: 8-9)
89). Sie zeigt sich zudem in der Abgrenzung vom reinen Liberalismus (Müller-Armack 1947: 70, ähnlich 13, 58, 79-80; ebenso Röpke 1959: 22-23) bzw. dort, wo die Soziale Marktwirtschaft als Kritik am Liberalismus formuliert wird (Rüstow 1960: 7-9). Ist auch umstritten, wie weit diese Steuerung wirklich ging (kritisch etwa Ambrosius 1977: 197), so wird zumindest in den frühen Texten zur Sozialen Marktwirtschaft deutlich auf eine solche Steuerung referiert.
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Röpke entwickelt davon ausgehend eine wirtschaftsethische Position, die auch in späteren Jahren – dann übersetzt in unternehmensethische Überlegungen – im Diskurs vernehmbar ist und den Markt sowohl durch den Staat als auch durch die Moral in seinen negativen Folgen begrenzt betrachtet. Es heißt, das Wirtschaftsleben sei »dauernd in Gefahr, die ethische Mittellage zu verlieren, wenn es nicht von starken moralischen Stützen getragen wird, die vorhanden sein und fortgesetzt gesichert werden müssen« (Röpke 1959: 23). Dafür sei es notwendig, der Wirtschaft »den Rang zuzuweisen, der ihr zukommt, wenn wir unsere ethischen Wertüberzeugungen befragen« und damit zu bedenken, dass das Wohlbefinden der Gesellschaft vornehmlich von nicht-materiellen Werten abhängig sei (Röpke 1959: 10-11). Um folglich innerhalb der Wirtschaft dem »Appetit Schranken« zu setzen und den »Verantwortungssinn« zu fördern, reiche es nicht, an einen »aufgeklärten Egoismus« zu appellieren, sondern bedürfe es der ständigen moralischen Anstrengung der am Wirtschaftsleben Beteiligten (Röpke 1959: 22-24). Auf der anderen Seite jedoch dürfe nicht »zuviel vom durchschnittlichen Menschen« gefordert werden bzw. dürfe von ihm nicht die »ständige Verleugnung seines eigenen Interesses« erwartet werden (Röpke 1959: 23). Denn jeder Versuch, »eine Wirtschaftsordnung auf eine Moral zu gründen, die wesentlich höher ist als die durchschnittliche und dem Menschen gemäße, muß auf Zwang und organisierte Massenberauschung durch die Lüge der Propaganda zurückgreifen« (Röpke 1959: 23). Weder ›Heiligtum‹, noch liberaler Utilitarismus, sondern nur das Zusammenspiel der Systeme könnten die »ethischen Grundprobleme« der Zeit lösen (Röpke 1959: 25-26). Ganz deutlich komme es dafür neben der unternehmerischen Moral somit auch auf einen starken Staat an: »An sich sollte man vom Industrieunternehmen die nötige Einsicht und Gemeingesinnung erwarten […]. […] Aber da sich hier leider das Gesetz der Grenzmoral geltend macht, bedarf es eines höchst eindeutigen und entschiedenen Aktes der staatlichen Disziplinierung gegenüber einem nicht genügend durch Selbstdisziplin in Schranken gehaltenen Gewinnstreben.« (Röpke 1960: 26, eigene Hervorhebung, N.L.)
Folglich sei »wegen des Mangels an Selbstdisziplin [auch] eine staatliche Disziplin nötig« (Röpke 1960: 26). Diese zwei Kernmerkmale – die Gestaltung der Wirtschaft durch eine aktive Wirtschafts- und Sozialpolitik auf der einen sowie deren Ausrichtung an »moralische[n] Größen wie etwa ›Gemeinwohl‹ und ›soziale Gerechtigkeit‹« (ebd.) auf der andere Seite – bestimmen die Soziale Marktwirtschaft als Wirtschaftsmodell der Nachkriegszeit. Staat und Moral werden als notwendige Korrektive des Marktes betrachtet. Wie wir sehen werden, gehen von dieser Grundlage auch die frühen Konzeptionen unternehmerischer Verantwortung aus.
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4.1.2 Mitbestimmung und Demokratisierung der Wirtschaft Die unternehmerische und betriebliche Mitbestimmung – erstmals geregelt im Montan-Mitbestimmungsgesetz von 1951 sowie im Betriebsverfassungsgesetz von 1952 und später, wenn auch mit Einschränkungen, im Mitbestimmungsgesetz von 1976 – kann als eines der grundlegenden Charakteristika der Sozialen Marktwirtschaft (Roe 1999: 547) und in dieser Form zugleich als weiteres Spezifikum der deutschen Wirtschaftsgeschichte betrachtet werden. Drei für ein Verständnis des Diskurses unternehmerischer Verantwortung wesentliche Aspekte sollen hier hervorgehoben werden. Die Auseinandersetzungen um die Mitbestimmung veranschaulichen, wie sich die soeben dargestellten Charakteristika der Sozialen Marktwirtschaft im Konkreten niederschlagen. Sie zeigen folglich, wie sich erstens die Ausrichtung des wirtschaftlichen Geschehens an »überwirtschaftlichen« Maßstäben (Rüstow 1960: 9) – hier u.a. das Recht auf Partizipation, die freie Entfaltung der Arbeitnehmenden und der soziale Frieden – in die Praxis umsetzt und dass, zweitens, eine Übersetzung gewerkschaftlicher Forderungen8 in staatliche Regulierung durchaus im Bereich des Möglichen liegt und damit die ›steuernde‹ Rolle des Staates auch von den Wirtschaftsakteuren als reale Option erkannt und befürchtet wird. Drittens zeigt sich im Zuge der Diskussionen um das Mitbestimmungsgesetz von 1976, wie die Argumente der Mitbestimmungsgegner durch Verweis auf wirtschaftlich-strategische Motive entkräftet werden – eine Verwendung instrumenteller Motive, die sich punktuell später erneut zeigen wird und die Einführung instrumenteller Motive im Sinne eines Überzeugungsversuches wirtschaftlicher durch staatliche Akteure hier wie dort erklären hilft. Diese drei Aspekte sollen im Folgenden kurz ausgeführt werden. Ähnlich wie in der Auseinandersetzung zur Sozialen Marktwirtschaft zeigt sich erstens folglich auch in den Verhandlungen um die Mitbestimmung, sowohl in den 1950er- als auch in den 1970er-Jahren, eine Ausrichtung an zunächst einmal nichtökonomischen Idealen. Übergeordneter Gedanke der gewerkschaftlichen Forderung einer »Demokratisierung der Wirtschaft« ist dabei, dass die politische Demokratisierung nach dem Kriege mit einer wirtschaftlichen Demokratisierung einhergehen müsse. Die Forderungen gehen der starken Verhandlungsposition der Gewerkschaften sowie dem allgemeinen politischen Klima der Nachkriegszeit entsprechend weit 8
Dabei erweisen sich die Auseinandersetzungen um die Mitbestimmung auch hinsichtlich der für das deutsche Wirtschaftssystem charakteristischen Akteurskonstellation als wichtiger Vorläufer des frühen Diskurses unternehmerischer Verantwortung. Waren für die Entwicklung der Sozialen Marktwirtschaft vor allem Vertreter aus Wirtschaft und Politik maßgeblich, so wird mit der Diskussion um die Mitbestimmung der wirtschaftspolitische Kerndiskurs um die Arbeitnehmerinnen und ihre gewerkschaftlichen Vertreterinnen erweitert (Lehmbruch 2001: 86).
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und richten sich nicht nur auf Demokratisierungsmaßnahmen innerhalb der Unternehmen und Betriebe, sondern fordern eine gleichberechtigte Beteiligung der Gewerkschaften auch in der gesamtwirtschaftlichen Rahmenplanung (Berghahn 1985: 206; Kißler 1992: 32; Otto 1975: 400-401). Hans Böckler, Vorsitzender des DGB und Verfechter der Idee der »Demokratisierung der Wirtschaft« formuliert diese Forderung wie folgt: »Wir müssen in der Wirtschaft selber als völlig gleichberechtigt vertreten sein, nicht nur in einzelnen Organen der Wirtschaft, nicht in den Kammern der Wirtschaft allein, sondern in der gesamten Wirtschaft.« (Hans Böckler, zitiert in Berghahn 1985: 208)
Motiviert werden diese Forderungen sowohl aus sozial-ethischen als auch soziopolitischen Überlegungen (Ebeling 1994: 15-17). Grundlegend ist nach dem Krieg zuallererst das Ziel, nicht nur in der Politik, sondern auch in der Wirtschaft erneute Machtkonzentrationen zu verhindern und durch die Mitbestimmung zur gesamtgesellschaftlichen Demokratisierung beizutragen. Die Notwendigkeit einer auch wirtschaftlichen Demokratisierung wird nicht zuletzt durch die Rolle der Industrie während des Krieges untermauert (siehe dazu u.a. Erker 1993 sowie die Beiträge in Frei/Schanetzky 2010; Gall/Pohl 1998). Zudem wird aus der entscheidenden Beteiligung der Arbeiterinnen am Wiederaufbau ein grundlegendes Recht auf deren Gleichberechtigung gegenüber den Arbeitgeberinnen abgeleitet – ein Recht, das sich auch durch die allgemeine Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen von 1947 sowie das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland von 1949 untermauert sah, welche mit Begriffen wie der Menschenwürde und dem Recht auf freie Entwicklung der Persönlichkeit auch ein Recht auf Mitbestimmung verbanden (Ebeling 1994: 15-16). Letztlich wird mit der Mitbestimmung die Berücksichtigung der Interessen der Mitarbeiterinnen anerkannt und gesetzlich verankert: »At the plant level, works councils prevent management from unilaterally implementing decisions where employees’ interests are at stake. At the enterprise level, Aufsichtsrat representation introduced accountability of management to employees and thereby altered the constellation of interests in the firm from a pure shareholders model to a ›dual‹ logic of balancing multiple groups in the interests of the firm as a whole.« (Jackson 2001: 210)
Ein erster Versuch der Berücksichtigung öffentlicher Interessen in Unternehmensentscheidungen – als frühe Ausprägung des Stakeholder-Ansatzes, wenn man so will – erfolgt dabei durch die bei der Besetzung des Aufsichtsrates vorgesehenen unabhängigen »neutralen Mitglieder«, welche von Kapital- und Arbeitnehmerinnenseite bestimmt werden. Verstanden als Befriedungsversuch des Konflikts zwischen Kapital und Arbeit, kann die Mitbestimmung nicht zuletzt als eine Form der
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gesetzlichen Festschreibung unternehmerischer Verantwortung auf Ebene des Betriebes betrachtet werden. Das politische Klima der Nachkriegszeit sowie die außerordentlich starke Verhandlungsposition der Gewerkschaften machen dabei, zweitens, die staatliche Durchsetzung der weitreichenden Forderungen der Gewerkschaften auch gegen den Willen vieler Wirtschaftsakteure möglich und veranschaulichen die aktive und noch nicht allein an wirtschaftlichen Zielen ausgerichtete Rolle des Staates in dieser Zeit. Dies lässt nicht zuletzt auch im weiteren Verlauf der Geschichte das Bedrohungsszenario staatlicher Regulierung bzw. die Umsetzung gewerkschaftlicher Forderungen für die Wirtschaftsakteure real werden. Die Gewerkschaften, die nach ihrer Zerschlagung im Jahr 1933 als Einheitsgewerkschaft wiedergegründet werden und die vormals getrennten Richtungsgewerkschaften vereinen, erleben nach dem Krieg einen hohen Mitgliederzulauf und sehen sich in einer starken Verhandlungsposition (Otto 1974: 402-403). Die Unternehmen, insbesondere der ehemaligen Rüstungsindustrie, hingegen sehen sich in ihrer unternehmerischen Freiheit durch Kontrollen sowie die weitere Zerschlagung und Dezentralisierung dieses Wirtschaftsbereichs durch die Alliierten bedroht und ziehen vielfach die Kooperation mit den Gewerkschaften vor, was sich nicht zuletzt auch in ihrer pragmatischen Zustimmung zur Mitbestimmung zeigt und die Position der Gewerkschaften weiter stärkt (Lehmbruch 2001: 78; Kißler 1992: 31).9
9
Auch von den Unternehmern in Bergbau sowie der Eisen und Stahl produzierenden Industrie wird die starke Position der Gewerkschaften wahrgenommen. Diese seien gerade in Sachen Mitbestimmung bevorteilt, da »der Entschluß, das Mitbestimmungsrecht zu fordern, von den Widerstandsgruppen der SPD und der Gewerkschaften schon vor dem Zusammenbruch des Hitlerregimes gefaßt wurde, so daß beide, Gewerkschaften und SPD, als sie sich nach 1945 wieder formierten, ein festes Programm bereits hatten, während den Unternehmern der Zusammenschluß noch verboten war […].« (Rede von Dr. Walter Raymond vor den westfälischen Arbeitgeberverbänden, »Reden eines Arbeitgebers«, Frankfurt (M), Münster 19.3.1952: 91-92, Anmerkung: Walter Raymond war Mannheimer Metallindustrieller und u.a. maßgeblich an der Gründung des BDI beteiligt, dessen Präsident er später wurde (Berghahn 1985: 66).). Berghahn (1985: 66) schreibt zur späten Gründung des BDI jedoch: »Der Grund für diese erneute Verzögerung scheint nicht so sehr bei den Alliierten gelegen zu haben als in Meinungsverschiedenheiten über den Umfang der Organisation und möglicherweise auch darüber, ob ein Dachverband überhaupt wünschenswert sei.« Wie dem auch sei, die Erkenntnis der eigenen Verhandlungsposition sowie die fortgesetzten Forderungen von Arbeiterinnen führen bei einigen Unternehmen dieser Industrie schon vor der Verabschiedung des Mitbestimmungsgesetzes zur Beteiligung von Arbeitnehmerinnen. Die Hüttenwerke Hagen-Haspe AG etwa besetzt als erstes deutsches Unternehmen schon Anfang 1947 einen paritätisch besetzten
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Nichtsdestotrotz äußern Unternehmer und Arbeitgeberverbände weitreichende Kritik an der Beteiligung von Arbeitnehmerinnen und lehnen diese in der von Arbeiterinnen und Gewerkschaften geforderten Form ab. Hauptargument ist dabei die Ungleichverteilung unternehmerischen Risikos zwischen Arbeitgeberinnen und Arbeitnehmerinnen. Insbesondere »unter den zwingenden Gesichtspunkten der wirtschaftlichen Leistungs- und Lebensfähigkeit« sei es notwendig, »Form und Grad der Einflußnahme der Arbeitnehmer im Betriebe den einzelnen Funktions- und Verantwortungsbereichen anzupassen«, ein Mitbestimmungsrecht sei »ohne Pflicht zur Mitverantwortung und damit zur Mithaftung auch für das Mißlingen einer Entscheidung undenkbar« (Stellungnahme und Vorschläge der Unternehmerschaft zur Mitbestimmung, Mai 1950: 5). Des Weiteren wird die Bildung eines »Monopol[s] der Gewerkschaften« (Geschäftsbericht der BDA 1.4.1949-31.10.1950: 9) und damit die Verwirklichung einer gesamtwirtschaftlichen Mitbestimmung befürchtet. Es gehe den Gewerkschaften »als geistig Gefangene der Idee der Wirtschaftsdemokratie« allein darum, »die wichtigsten Rechte des Arbeiters im Betriebe für sich selber haben [zu] wollen« (Rede von Dr. Walter Raymond, »Reden eines Arbeitgebers«, Frankfurt (M), Rede zur Kieler Woche, Kiel 26.6.1952: 100-103; ebenso Geschäftsbericht des BDA 1.4.1949-31.10.1950: 10, 11). Vonseiten der Unternehmer und Arbeitgeberverbände werden damit vor allem machtpolitische Beweggründe gegen die Mitbestimmung ins Feld geführt.10 Mit diesen Argumenten wird versucht, die Mitbestimmung auf eine reine Informationspflicht der Betriebsräte durch die Unternehmensleitung sowie ein Recht zur Stellungnahme zu beschränken (Stellungnahme und Vorschläge der Unternehmerschaft zur Mitbestimmung, Mai 1950: 5-6).
Aufsichtsrat und einen Arbeitsdirektor im Vorstand – andere Unternehmen folgen (Potthoff 1957: 47-48). 10 Ähnlich argumentiert auch Fritz Berg, Präsident des BDI in einer Rede auf dem Internationalen Industriellen Kongress in New York, 1951: »In unserem eigenen Interesse ist uns daran gelegen, die Meinung und den Rat des Arbeiters zu hören. Aber die Entscheidungen müssen wir selbst treffen. Denn wir bringen dazu die nötige Erfahrung mit, und wir übernehmen auch das Risiko. Wenn wir nicht mehr auf eigene Verantwortung handeln können, werden wir auch aufhören müssen, das Risiko zu tragen. Und wir können ziemlich sicher sein, daß auch die Gewerkschaftsvertreter im Aufsichtsrat nicht in der Lage sein werden, das Risiko zu übernehmen. Dazu kommt noch ein Weiteres. Wir haben bereits die Monopolstellung des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Darüber hinaus aber wird er nun seine Vertreter in die Aufsichtsräte der Schlüsselindustrien entsenden. Dies führt zu einer so unerhörten Konzentration wirtschaftlicher Macht, wie man sie bisher außerhalb der politischen oder militärischen Sphäre noch nie gekannt hat.« (Fritz Berg, New York, 1951, aus dem Geschäftsbericht des BDI 1.6.1951-30.4.1952)
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Trotz der Ablehnung der Mitbestimmung durch die Wirtschaftsakteure unterstützt die Politik schließlich die Forderungen von Arbeitnehmerinnen und Gewerkschaften. Hatte man sich aufseiten staatlicher Akteure aufgrund des Konflikts zwischen Wirtschaft sowie Gewerkschaften und Arbeiterinnen und damit der gespaltenen Haltung großer Teile der eigenen Wählerschaft zunächst zurückgehalten, so beziehen die Parteien aufgrund des steigenden Drucks durch Arbeiterinnen und Gewerkschaften schließlich aktiv Stellung. Klare Befürworter der Mitbestimmung ist vor allem die SPD, die eng mit den Gewerkschaften zusammenarbeitet. In ihren Äußerungen zeigt sich weitgehende Übereinstimmung mit der gewerkschaftlichen Position: »Für uns geht es um das neue Gesicht der Wirtschaft und der Deutschen Demokratie. Für uns Sozialdemokraten ist ein echtes Mitbestimmungsrecht der Arbeitenden in der Wirtschaft die notwendige, gerechte und zeitbedingte Eingliederung der Arbeitenden in die Führung von Betrieb und Wirtschaft in Deutschland.« (Erich Ollenhauer, SPD-Parteivorsitzender, o.J., zitiert in HBS 2013).
Sowohl die SPD als auch die CDU begründen die Durchsetzung der Mitbestimmung in der Montan-Industrie vor allem aus den Erfahrungen der Kriegszeit und damit vornehmlich aus Bestrebungen der Sicherung der Demokratie bzw. Verhinderung erneuter Machtkonzentrationen. In beiden Lagern befürwortet man von diesem Standpunkt aus die gesetzliche Verankerung der Partizipation der Arbeiter und setzt sie 1951 innerhalb der Montan-Industrie und, in weniger weitreichender Form, im Betriebsverfassungsgesetz von 1952 gegen den Willen der Wirtschaftsakteure um. Auch in den Folgejahren bleibt das Thema der Mitbestimmung, das vor allem durch die zunehmende Re-Konzentration von Betrieben in den 1950er- und 1960erJahren (Berghahn 1986) wieder auf die Agenda rückt, ein zentrales – sowohl unter Willy Brandt, der seine Zeit als Bundeskanzler 1969 unter dem Motto »mehr Demokratie wagen« beginnt, als auch unter Helmut Schmidt, in dessen Amtszeit als Bundeskanzler mit dem Mitbestimmungsgesetz von 1976 die Ausweitung der Mitbestimmung fällt. Auch die Gewerkschaften setzen sich in den folgenden Jahren dafür ein, das Montanmodell auf alle Wirtschaftsbereiche zu übertragen (u.a. DGB 1955, 1963, 1965, 1972), was insbesondere von Arbeitgebervertreterinnen mit Sorge beobachtet wird: »Zur Zeit besteht das Mitbestimmungsrecht auf gesetzlicher Grundlage im westdeutschen Kohlenbergbau und in der Stahlindustrie. Wir haben jedoch begründete Besorgnis, daß die Gewerkschaften hier nicht halt machen werden.« (Ansprache von Fritz Berg, Präsident des BDI, auf dem Internationalen Industriellen-Kongress in New York 1951 aus dem Geschäftsbericht des BDI 1.6.1951-30.4.1952)
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Nicht zuletzt machen die strukturellen wirtschaftlichen Veränderungen dieser Jahre eine weitere Auseinandersetzung mit der Mitbestimmung immer wieder notwendig, da viele Unternehmen der Montan-Industrie durch Produktionsänderung oder Umstellung der Unternehmensstruktur die Voraussetzungen der Montan-Mitbestimmung nicht mehr erfüllen. Und auch wenn vor allem die Regierung Adenauer sich zunehmend ablehnend gegenüber der Forderung nach einer demokratischen Wirtschaft zeigt (Adenauer 1958, Rede auf dem 7. Rheinischen Mittelstandstag der CDU, Düsseldorf 23. Juni 1958),11 so wird die Mitbestimmung im Laufe der folgenden Jahre grundsätzlich in einer Reihe von Sicherungs- und Ergänzungsgesetzen bestätigt,12 wenn auch einige Einschränkungen vorgenommen werden (dazu BMAS 2010: 21; Ebeling 1994; Kißler 1992). Drittens wird in der Auseinandersetzung um die Mitbestimmung deutlich, dass die Einführung instrumenteller Motive in eine zumindest moralisch umformte Debatte vornehmlich als Integrationsversuch wirtschaftlicher durch staatliche Akteure zu verstehen ist. Denn geht es auf allen Seiten nach wie vor darum, erneute Machtkonzentrationen zu verhindern, so zeigen sich die Akteure hinsichtlich der Mittel dazu mehr und mehr gespalten. Auf der einen Seite stehen diejenigen, die im Zuge der Verhinderung einer Ausbreitung unternehmerischer Macht einen starken Staat gerechtfertigt sehen und nach wie vor die Mitbestimmung als Mittel der Dezentralisierung betrachten (z.B. DGB 1972a; SPD 1959). In den Forderungen der Gewerkschaften zeigt sich dabei weiterhin ein starkes Beharren auf dem grundsätzlichen Recht der Arbeitnehmerinnen zur Partizipation, das nicht nur als Menschenrecht, sondern auch als wesentliches Fundament einer »demokratischen Gestaltung der 11 »[…] die Gefahr der Bildung eines Machtmonopols bei den Gewerkschaften und Arbeitnehmern: Wenn ich mir ein Land vorstelle, das nur Großwirtschaft hat, eine kleine Anzahl von Managern, eine ungeheure Zahl von unselbständigen Arbeitnehmern und dabei vielleicht auch noch die Alleinherrschaft der Gewerkschaften, dann fehlt nur noch die Kolchose, dann haben wir den kompletten kommunistischen Staat. Eine solche letzten Endes doch vom Staate, von der staatlichen Bürokratie, oder, wie es bei uns versucht wird, von einer Gewerkschaftsbürokratie gelenkte Wirtschaft wird auf die Dauer niemals Erfolge haben und wird auf die Dauer mit der freien Wirtschaft in freien Völkern niemals konkurrieren können. [...]« (Adenauer, Rede auf dem 7. Rheinischen Mittelstandstag der CDU, Düsseldorf 23. Juni 1958). 12 Zu nennen sind hier u.a. die »Holding-Novelle« (Mitbestimmungsergänzungsgesetz, 1956), das Mitbestimmungssicherungsgesetz von 1981 (auch »Lex-Mannesmann«) und das »Gesetz zur Sicherung der Montan-Mitbestimmung« (1989). Mit einer weiteren Neufassung des
Mitbestimmungsergänzungsgesetzes
von 1956
wird die Montan-
Mitbestimmung im Jahr 1988 schließlich auf Dauer festgeschrieben. Auch die betriebliche Mitbestimmung wird mit einer Neuregelung im Jahr 1972 sowie im Jahr 1989 dauerhaft für Unternehmen mit weniger als 2000 Beschäftigten bestätigt.
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Gesellschaft« betrachtet wird (DGB 1981: 1). Auf der anderen Seite werden nun Stimmen lauter, die erneute Machtkonzentration durch den freien Wettbewerb zu sichern suchen und damit nicht zuletzt die im Zuge der Mitbestimmung geforderte »›Demokratisierung aller Lebensbereiche‹« als eine »freiheitsgefährdende Forderung« bzw. als »eine Rezentralisierung wirtschaftlicher und politischer Macht in den Händen einer Funktionärsclique« betrachten und sich ihr entgegenstellen (Biedenkopf 1973a: 151). Der »einzig wirksame« Weg zur Verhinderung erneuter Machtregime sei die »Dezentralisation der Macht« und zwar im politischen wie auch wirtschaftlichen Bereich (Biedenkopf 1973a: 143-144). Sie solle im Rahmen der Wirtschaft bestmöglich durch einen freien Markt bzw. den Wettbewerb zwischen den am Wirtschaftsleben Beteiligten erreicht werden (Biedenkopf 1973a: 144-145). Mit zunehmendem Wohlstand bzw. der Wiederherstellung der gesamtgesellschaftlichen Ordnung werden die rein verfassungsrechtlichen wie ordnungspolitischen Aspekte der Sozialen Marktwirtschaft vermehrt unter dem »Gesichtspunkt der ökonomischen Effizienz« verhandelt, dem eine Ausweitung der Mitbestimmung entgegenstünde (Biedenkopf 1973a: 149-150).13 Auf derartige Angriffe der Mitbestimmungsgegner und ihre ökonomischen Argumente reagierend, gilt es von Regierungsseite, diese zu entkräften und so die Mitbestimmung zu rechtfertigen: »Niemand kann behaupten, dass Mitbestimmung und Marktwirtschaft oder Mitbestimmung und Wettbewerb miteinander nicht vereinbar wären.« (Helmut Schmidt, damaliger Bundeskanzler (SPD), Mitbestimmung, Sozialdemokratische Fachkonferenz, 03.06.1976, Bonn, zitiert in HBS 2013)
Man versucht die ökonomischen Einwände gegen die Mitbestimmung zu entkräften, indem Möglichkeiten der Einigung eröffnet werden: »Arbeitnehmer und Anteilseigner sind gleichermaßen daran interessiert, die Stellung ihres Unternehmens am Markt zu erhalten und zu verbessern. Trotzdem gibt es in unternehmenspolitischen Fragen Interessengegensätze. Diese sollen weder geleugnet noch unterdrückt wer13 Wie verbittert die Verhandlungen gerade im Zuge der Diskussion um die Mitbestimmung geführt wurden, zeigt exemplarisch die Aufkündigung der Mitarbeit des DGB in der Konzertierten Aktion als Reaktion auf die Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz über die paritätische Mitbestimmung durch die Arbeitgeber im Juni 1977 (Kißler 1992: 36). Und auch die Auseinandersetzung um die Mitbestimmung im Mannesmann-Konzern zu Beginn der 1980er-Jahre zeigt, dass Mitbestimmung ein kontroverses Thema bleibt (dazu etwa Ebeling 1994: 62-67). Mit den darauf folgenden Gesetzen wie dem Änderungsgesetz von 1981 sowie dem Gesetz zur Sicherung der Montan-Mitbestimmung von 1988 wird immer wieder die Kampfbereitschaft sowohl der Anteilseignerinnen und Arbeitgeberinnen als auch der Arbeitnehmerinnen und ihrer Vertreterinnen deutlich.
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den. Die Mitbestimmung will jedoch erreichen, dass die gegensätzlichen Interessen offen und fair ausgetragen werden. Eine so verstandene Mitbestimmung wird die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Unternehmen nicht beeinträchtigen, sondern kann sie durch Verminderung innerer Widerstände erhöhen.« (SPD-Parteivorstand, aus dem Entwurf eines Orientierungsrahmens der SPD, Rn. 228, 229, Bonn 1972, zitiert in HBS 2013, eigene Hervorhebung, N.L.)
Und so wird mit dem Mitbestimmungsgesetz von 1976 die unternehmerische Mitbestimmung schließlich gegen (auch gerichtlich vorgebrachte) Einwände von wirtschaftlicher Seite zwar gesetzlich durchgesetzt, dies aber mit deutlichen Einschränkungen (dazu Kißler 1992) und unter Rekurrenz auf nun auch (vereinzelte) instrumentelle Motive. Speist sich die Motivation für die Mitbestimmung folglich nach wie vor vornehmlich aus relationalen (z.B. Erhalt der Wirtschaftsordnung) und ethischen Überlegungen (z.B. Recht auf Partizipation), so werden in der Mitbestimmungsdiskussion in den 1970er-Jahren auch erste instrumentelle Motive ins Feld geführt. Wie wir im Folgenden sehen werden, ist der frühe Diskurs unternehmerischer Verantwortung durch ein ähnliches Motivverhältnis gekennzeichnet.
4.2 F ORMIERUNG EINES D ISKURSES » GESELLSCHAFTLICHER V ERANTWORTUNG « – O FFENHEIT HINSICHTLICH DER K ONSTELLATION DER AKTEURE UND DER VORGEBRACHTEN M OTIVE In den frühen 1970er-Jahren beginnt, ausgehend von den im vorherigen Abschnitt dargestellten Debatten, sich ein Diskurs unternehmerischer Verantwortung zu formieren.14 Wurde zuvor vereinzelt teils auf die Wirtschaftsethik (z.B. Röpke 1959), teils auf die Verantwortung der am Wirtschaftsleben Beteiligten (z.B. Biedenkopf 1973a) verwiesen, so mehren sich nun die Referenzen auf eine »gesellschaftliche Verantwortung des Unternehmens«, die sich als wesentlicher Knotenpunkt der Auseinandersetzungen etabliert. Diese verdichten sich über die Jahre zu einem expliziten Diskurs über Notwendigkeit, Möglichkeit und Grenzen unternehmerischer Verantwortung. Im Weiteren werden die wesentlichen Entwicklungslinien des Diskurses unternehmerischer Verantwortung, insbesondere die Motive wirtschaftlicher (4.2.1), staatlicher (4.2.2) und zivilgesellschaftlicher (4.2.3) Akteure dargestellt, um
14 Die folgenden Ausführungen beziehen sich ausschließlich auf die Bundesrepublik, eine Behandlung der Thematik unternehmerischer Verantwortung im Rahmen der Planwirtschaft der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) wäre sicherlich aufschlussreich, umso mehr im Vergleich zur Entwicklung in der BRD, soll im Rahmen der vorliegenden Arbeit jedoch nicht geleistet werden.
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dessen historische Ausgangsbedingungen herauszuarbeiten. Letztere sind in Tabelle 8 dem aktuellen Diskurs unternehmerischer Verantwortung gegenübergestellt, um einleitend deutlich zu machen, dass der Diskurs nicht von Beginn an die heute bestimmenden Charakteristika aufwies, sondern vielmehr einem grundlegend anderen Verantwortungsverständnis folgte.
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Tabelle 8: Wandel des Diskurses unternehmerischer Verantwortung 1970er- und 1980er-Jahre
Heute (2014)
führende Signifikanten
»gesellschaftliche/soziale/ gesellschaftspolitische Verantwortung des Unternehmens«
»Corporate Social Responsibility«, »Nachhaltigkeit«
Verantwortungsdimensionen
soziale Dimension (Gesellschaft, Mitarbeiterinnen) ökologische Dimension (Umwelt)
soziale Dimension (Gesellschaft, Mitarbeiterinnen) ökologische Dimension (Umwelt, Klima) ökonomische Dimension (Unternehmen, Eigentümer)
Verantwortungssubjekte
Unternehmer und Unternehmen
Unternehmen
führende Motive
relationale Motive moralische Motive
instrumentelle Motive
den Diskurs bestimmende Akteure
Unternehmer und Arbeitgeberund Industrieverbände, Bundesregierung und -ministerien, Gewerkschaften und NGOs
Unternehmen und Arbeitgeberund Industrieverbände, Bundesregierung und -ministerien, Gewerkschaften und NGOs und professionelle »CSR«-Verbände
(Eigene Darstellung)
Wie in Tabelle 8 dargestellt, drückt sich diese Unterscheidung des frühen zum aktuellen Diskurs durch verschiedene Merkmale aus. Zuvorderst zeigt sich der Unterschied anhand der von den Akteuren verwendeten Signifikanten der Verantwortung, die in der ersten Phase des Diskurses vor allem als »gesellschaftliche Verantwortung des Unternehmens«, auch »soziale« oder »gesellschaftspolitische« Verantwortung bestimmt sind und dabei eine soziale und eine ökologische Verantwortungsdimension umfassen und nicht etwa, wie heute, als »CSR« und »Nachhaltigkeit« auch eine ökonomische Dimension. Der Fokus auf die soziale und ökologische Dimension ergibt sich dabei nicht zuletzt aus den die ersten Jahre des Diskurses prägenden
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Themenkomplexen. Ganz wesentlich ist dies zum einen die sich in den 1970er- und 1980er-Jahren formierende Umweltdiskussion, die nicht zuletzt durch Impulse wie das Europäische Naturschutzjahr (1970) sowie die Stockholmer Umweltschutzkonferenz (1972) initiiert wird und erstmals einen Bezug zwischen dem Unternehmenshandeln und der zunehmend wahrgenommenen Umweltzerstörung herstellt, mithin die Verantwortung des Unternehmens in ökologischer Dimension prägt. Eine soziale Dimension der Verantwortung wird zum einen im Zuge einer Debatte um die Sozialbilanzierung unternehmerischen Handelns hervorgehoben, die – eingebettet in eine größere Auseinandersetzung um volkswirtschaftliche ›Sozialindikatoren‹ – erstmals versucht, die unternehmerische Verantwortung im Rahmen eines »gesellschaftsbezogenen Erfolgsberichts« in die Unternehmensberichterstattung aufzunehmen und sie damit nicht nur transparent zu machen, sondern zugleich auch zu systematisieren und zu befördern (Dierkes 1974: 15-17; Kunstreich 1978: 14, 20). Des Weiteren werden von den Akteuren Fragen der ›Humanisierung der Arbeit‹ diskutiert, die als »Bestandteil des Gesamtprogramms gesellschaftlich verantwortlichen Handelns der Unternehmung« (Schröder 1978: 72) verstanden werden können und die Unternehmensverantwortung ebenfalls in sozialer Dimension prägen,15 dabei aber auch zu breiteren Diskursen eines ›humanen Kapitalismus‹ und der ›Lebensqualität‹ sprechen. Diese Diskursstränge sind Ausdruck des sich formierenden und zu großen Teilen noch experimentierenden Diskurses »gesellschaftlicher Verantwortung«.16 15 Die Debatte zur Humanisierung der Arbeit ist ein entscheidender, in der Literatur zur Unternehmensverantwortung bislang jedoch vernachlässigter Angelpunkt dieses Diskurses. 16 Dass es sich hierbei um einen sich zunehmend strukturierenden Diskurs handelt, zeigen nicht zuletzt auch die zahlreichen Beziehungen, die zwischen diesen Themen hergestellt werden. Beispielsweise stellen die Mitbestimmungs- sowie die Sozialbilanzierungsdiskussion immer wieder Bezüge zur Humanisierung der Arbeit her. Nicht zuletzt werden diese Beziehungen auch gesetzlich festgehalten. So heißt es im Betriebsverfassungsgesetz von 1972 z.B., der Betriebsrat könne bei »Änderungen der Arbeitsplätze, des Arbeitsablaufes oder der Arbeitsumgebung, die den gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen über die menschengerechte Gestaltung offensichtlich widersprechen […], angemessene Maßnahmen zur Abwendung, Milderung oder zum Ausgleich der Belastung verlangen« (BetrVG 1972 § 91, eigene Hervorhebung. N.L.). Die menschengerechte Gestaltung der Arbeit als grundlegende Forderung der Humanisierung der Arbeit wird damit auch zum Inhalt der Mitbestimmungsrechte. Ähnlich verhält es sich mit der Beziehung von Umweltschutz und Mitbestimmung (siehe dazu BetrVG 1972 § 53,2; § 74, 2; § 80; § 88 und insbesondere § 89). Alle diese Diskussionen sind zudem beeinflusst von einer übergeordneten Idee der »Qualität des Lebens«, die ebenfalls zu Beginn der 1970er-Jahre gesellschaftspolitische Relevanz erfährt. Humanisierung der Arbeit und Mitbestimmung wiederum werden in der Auseinandersetzung um die Umweltverantwortung für den Be-
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Wie im Folgenden gezeigt wird, werden als Subjekte der Verantwortung in dieser ersten Phase des Diskurses sowohl das Unternehmen als auch der Unternehmer bestimmt; Letzterer wird heute kaum mehr adressiert, womit dem Diskurs nicht zuletzt auch ein entscheidender Träger moralischer Verantwortung abhandenkommt. Darüber hinaus wird deutlich, dass wirtschaftliche (Unternehmen, Wirtschaftsverbände), staatliche (Bundesregierung, -ministerien) und zivilgesellschaftliche (Gewerkschaften, NGOs) Akteure über die gesamte Zeitspanne die den Diskurs bestimmenden Akteure stellen, der Diskurs heute im Gegensatz zum frühen Diskurs jedoch zusätzlich und nicht unwesentlich durch professionelle »CSR«-Verbände bestimmt wird, was nicht zuletzt einen insgesamt professionalisierten – dabei aber zunehmend auch den ›Expertinnen‹ vorbehaltenen – Umgang mit dem Thema Unternehmensverantwortung aufzeigt. Die führenden Motive sind im frühen Diskurs vor allem relationaler und moralischer Natur. Instrumentelle Motive sind selten und werden wenn, dann nur vereinzelt vonseiten staatlicher und wirtschaftlicher Akteure vorgebracht. Insgesamt haben sie in dieser Phase eine untergeordnete Rolle. Die sich in späteren Phasen etablierende Führerschaft des instrumentellen Motivmusters war in der ersten Phase somit noch nicht vorhersehbar – die fortgesetzte Artikulation unterschiedlicher Motive oder ein Ausbau relationaler oder moralischer Motive lagen durchaus im Bereich des Denkbaren, womit sich der Diskurs in der ersten Phase, sowohl hinsichtlich der vorgebrachten Motive als auch der Akteurskonstellation, als prinzipiell offen darstellt. 4.2.1 Wirtschaftliche Akteure: christliches Unternehmerethos und »gesellschaftliche Verantwortung« in sozialer und ökologischer Dimension Der Diskurs unternehmerischer Verantwortung wird aufseiten wirtschaftlicher Akteure in der ersten Phase vornehmlich durch relationale und moralische Motive bestimmt. Instrumentelle Motive werden weit weniger artikuliert und setzen sich erst in späteren Phasen durch. Abbildung 5 zeigt das prozentuale Verhältnis der von wirtschaftlichen Akteuren vorgebrachten Motivmuster in der ersten Phase. Am häufigsten wird unternehmerische Verantwortung in dieser Phase, so wird hier deutlich, durch moralische Motive gerechtfertigt – insbesondere der in dieser Zeit aktive Bund Katholischer Unternehmer (BKU) macht sich um eine moralische Fundierung unternehmerischer Verantwortung verdient und prägt den Diskurs in entscheidender griff des »qualitativen Wachstums« relevant, der vor allem von Gewerkschaften und Umweltverbänden geprägt wird. Damit setzt mit den 1970er-Jahren eine Auseinandersetzung um die unternehmerische Verantwortung ein, die wenn auch zunächst noch fragmentarisch, die Idee der »gesellschaftlichen Verantwortung des Unternehmens« zu prägen beginnt.
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Weise. Auch andere unternehmerische Interessenverbände, wie »B.A.U.M. e.V.«, »future e.V. – verantwortung unternehmen« oder der »Arbeitskreis Sozialbilanz Praxis«,17 formulieren einen Verantwortungsbegriff, der sich aus moralischen Motiven speist. Das ebenfalls in seiner Bedeutung nicht unerhebliche relationale Motivmuster wird in dieser Phase vor allem von prominenten Unternehmerpersönlichkeiten, wie u.a. Hermann Josef Abs, Gerd Tacke, Dieter Fertsch-Röver und Reinhard Mohn – die sich gerade in den 1970er-Jahren häufig in Presse und Fernsehen und mit Redebeiträgen und Publikationen zu ihrer Verantwortung äußern – sowie von Arbeitgeber- und Industrieverbänden geprägt. Vereinzelt und eher als willkommener Nebeneffekt denn als Hauptmotiv werden in dieser Phase auch instrumentelle Motive vorgebracht. Diese werden häufig jedoch mit einiger Skepsis betrachtet oder gar gänzlich abgelehnt und stellen in dieser Phase somit keinen relevanten Bestandteil des Motivvokabulars wirtschaftlicher Akteure dar. Abbildung 5: Wirtschaftliche Akteure: Prozentuales Verhältnis instrumenteller, relationaler und moralischer Motive in der ersten Phase
Instrumentelle Motive
Relationale Motive
60,0
Moralische Motive 50,0
50,0 34,2
40,0 30,0
15,8
20,0 10,0 0,0
1. Phase (1970-1994) (Eigene Darstellung)
17 Ein weiteres Beispiel für derartiges Engagement deutscher Unternehmer ist der 1992 gegründete
Verband
»UnternehmensGrün«.
Aufgrund
seines
allein
auf
baden-
württembergische Unternehmen beschränkten, regionalen Fokus soll dieser Verband hier nur am Rande behandelt werden (siehe dazu Burschel et al. 2004: 94-96). Ebenso verhält es sich mit dem 1991 gegründeten »Modell Hohenlohe – Netzwerk betrieblicher Umweltschutz und nachhaltiges Wirtschaften«, eine ebenfalls regional stark begrenzte Initiative (Sitz in Waldenburg, Hohenlohekreis, Baden-Württemberg), die aus dem Widerstand von Bürgerinnen und Unternehmerinnen gegen eine geplante Verbrennungsanlage für Sondermüll in der Region entstand (Fritz 2014: 45).
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Von den Akteuren wird dabei ein Bild der Verantwortung in sozialer und ökologischer Dimension entworfen, welches sowohl den Unternehmer als auch das Unternehmen als Subjekte der Verantwortung adressiert. Beispielsweise in den Äußerungen des BKU und vieler Unternehmer zeigt sich eine Beschäftigung vornehmlich mit der Rolle des (christlichen) Unternehmers und seiner Verantwortung gegenüber seinen Mitarbeiterinnen sowie der Gesellschaft. Weniger wird hier der Versuch unternommen, allgemeingültige »Patentrezepte« einer Verantwortung der Unternehmen oder der Wirtschaft zu entwickeln (BKU 1983: 3; ähnlich Ockenfels (BKU) 1990: 10). Anders hingegen machen die oben genannten Interessenverbände erste Versuche einer Verbreitung verantwortlichen Unternehmenshandelns auch über das eigene Unternehmen hinaus und konzipieren dabei weniger den Unternehmer als personale Instanz der Verantwortung, sondern verankern vielmehr verantwortungsvolles Unternehmenshandeln in (Umwelt-)Managementsystemen und Kodizes und lösen damit die Verantwortung vom ›sittlichen Verhalten‹ der individuellen Person. Diesen frühen Ideen der Verantwortung – der »gesellschaftlichen Verantwortung des Unternehmens« auf der einen und der »gesellschaftlichen Verantwortung des Unternehmers« auf der anderen Seite – sowie den dabei vorgebrachten Motiven gelten die folgenden Abschnitte. 4.2.1.1 »Angreifende Verteidigung«: relational motivierte Unternehmensverantwortung Der Beginn einer Auseinandersetzung mit der Unternehmer- bzw. Unternehmensverantwortung aufseiten wirtschaftlicher Akteure ist vor dem Hintergrund eines größeren, gesamtgesellschaftlichen Transformationsprozess zu verstehen, der sich im Übergang von den 1960er- in die 1970er-Jahre Bahn bricht. Standen, wie wir vorstehend gesehen haben, in den Nachkriegsjahren vor allem ordnungspolitische Fragen der Wirtschaft im Vordergrund, die ausgehend von den Kriegserfahrungen zu großen Teilen um die Verhinderung erneuter Machtzentren sowie um einen raschen (auch wirtschaftlichen) Wiederaufbau und die damit verbundene Bereitstellung grundlegender Produkte und Dienstleistungen drehten, so treten mit der Ordnung der unsicheren Lage in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft und dem raschen wirtschaftlichen Aufschwung gesellschaftspolitische Fragen in den Vordergrund, die unter anderem mit Forderungen nach unternehmerischer Verantwortung verbunden sind.18 Der Bankier Hermann Abs beschreibt diese Veränderung wie folgt: 18 Hanns Martin Schleyer, damaliger Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) drückt diese Wende wie folgt aus: »Die Kombination von staatlich gestaltender Rahmenpolitik und weitgehender wirtschaftlicher Selbstregulierung hat in den letzten 30 Jahren Friktionen größeren Stils nicht aufkommen lassen. Bedürfnisse im weitesten Sinne wurden befriedigt, wie sie sich jeweils artikulierten: in der Wiederaufbauphase die nach Leben und Wohnen; nach einer gewissen Phase der Sättigung ge-
166 | I NSTRUMENTALISIERTE V ERANTWORTUNG? »Die Jahrzehnte des Übergangs scheinen zu Ende zu gehen. Neue Wertvorstellungen finden in der Öffentlichkeit zunehmend Resonanz. An ihnen kann die Veränderung abgelesen werden, die sich vollzogen hat. Für die Wirtschaft hat diese Veränderung eine stärkere Einbettung in die Gesellschaft gebracht. Der gesellschaftspolitische Aspekt beherrscht die Diskussionen, und auch die Wirtschaft und ihre Leistungen werden an der Verantwortung für die Gesellschaft gemessen.« (Abs 1974: 26; ähnlich Fertsch-Röver 1974: 80-81)
Es zeichnet sich in der Wahrnehmung wirtschaftlichen Handelns eine »Tendenzwende« (MM 6/1975) ab, die sich unter anderem in einem »Wandel in der Zielvorgabe wirtschaftlichen Handelns« niederschlägt: »Der Beweis für die Richtigkeit der Entscheidung für die Marktwirtschaft und das heißt auch, der Entscheidung für das private Unternehmertum, war solange problemlos, als die politische Fragestellung durch das Primat der Wirtschaft bestimmt wurde. Die großen Aufgaben der Nachkriegszeit: Wiederaufbau und später Mehrung des Wohlstandes wurden durch die wirtschaftliche Effizienz des privaten Unternehmertums so überzeugend gelöst, daß kein Raum für Fragen blieb. Dies änderte sich, als die ursprünglichen Ziele erreicht waren und Wiederaufbau, Wachstum und Wohlstandsmehrung aufhörten wirtschaftliche, mehr aber noch gesellschaftliche Orientierungspunkte zu sein. Die Menschen in diesem Land begannen nach neuen Ufern auszuschauen, nach Zielen, die jenseits von Angebot und Nachfrage liegen, nach Werten, die ganz vage unter dem Begriff ›Qualität des Lebens‹ zusammengefaßt werden können. Diese Veränderungen in der gesellschaftlichen Zielsetzung führten zu einem neuen Verständnis wirtschaftlicher Tätigkeit. Von der Wirtschaft wird heute erwartet, daß sie nicht nur der Verwirklichung materieller Ziele, sondern auch der Befriedigung nicht spezifisch ökonomischer gesellschaftlicher Bedürfnisse dient.« (Biedenkopf 1973a: 147-148)19
Nach dem wirtschaftlichen Aufschwung und vor dem Hintergrund steigender Arbeitslosigkeit, dem wachsenden Umweltbewusstsein sowie den Studentinnenrevolten geraten im Zuge dieser Tendenzwende die Marktwirtschaft und mit ihr die Unternehmen und Unternehmer stark in die Kritik. Beides – die Kritik an der Marktwirtschaft und am Unternehmerverhalten – beschwört nicht zuletzt Regulierungsforderungen herauf, angesichts derer sich die Unternehmerschaft zu einer Reaktion gemüßigt fühlt. nossen die Gemeinschaftsgüter höhere Priorität in der Bedarfsskala, und heute sind es die Knappheitsprobleme ›Rohstoff‹, ›Luft‹, ›Wasser‹, die bewältigt werden wollen.« (MM 9/1975: 93) 19 Kurt Biedenkopf ist aufgrund seiner wirtschaftlichen, politischen und wissenschaftlichen Karriere nur schwer in die hier verwendeten Akteurskategorien ›einzuordnen‹. Der hier erwähnte Text fällt jedoch in die Zeit seiner Geschäftsführungstätigkeit beim HenkelKonzern, weswegen seine Erwähnung an dieser Stelle gerechtfertigt erscheint.
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Die Soziale Marktwirtschaft sieht sich in diesen Jahren durch Alternativkonzepte bedroht – wie etwa Entwürfe einer »Gesellschaft sich selbst verwaltender frei assoziierter Produzenten« (Ernest Mandel), einer »gerechten Verteilung des Sozialprodukts – oder selbständigen Bestimmung des eigenen Lebens gegenüber bürokratischen Vormundschaften« (Helmut Schelsky) und Ansätzen zur Beteiligung der Arbeitnehmerinnen am Produktivvermögen, wie sie selbst von CDU/CSU, wenn auch aus der bequemen Position der Opposition heraus, vorgeschlagen werden. Manch einer sieht »die Marktwirtschaft als ›ausbeuterische[n] Kapitalismus‹ und als ›profitorientierte Tätigkeit im ausschließlichen Privatinteresse‹ diffamiert und ihre Ablösung durch planwirtschaftliche Modelle gefordert« (Biedenkopf 1973a: 149, 155-156). Auch der einzelne Manager und Unternehmer sieht sich – ebenfalls im Zuge dieser ›Tendenzwende‹ – in der Kritik: »Kritik am Management: Der autoritäre Frieden geht zu Ende« (MM 2/1972: 22). Diese wird in den Folgejahren für Unternehmen und Unternehmer zum realen Bedrohungsszenario. In den Jahren 1971 und 1972 wird eine Reihe von Sprengstoffanschlägen auf Unternehmen und Unternehmer verübt (dazu MM 1/1975: 81-82). Die Bedrohungen erreichen mit der Entführung und Ermordung Hanns Martin Schleyers ihren Höhepunkt und haben in vielen Unternehmen entsprechende Sicherungsvorkehrungen, wie unter anderem Kommunikationssperren oder persönlichen Geleitschutz, zur Folge. Unternehmen sehen sich in den 1970er-Jahren zudem einer »Unterwanderung« durch »diplomierte Systemveränderer«, »trotzkistische« und »linksradikale« Gruppen sowie »maoistisch orientierte Studentenverbände« gegenüber, zu deren »Abwehr« die Unternehmen zunehmend »Prüfverfahren« entwickeln, mit denen der »politische Hintergrund der Bewerber ausgeleuchtet werden« soll (MM 11/1975: 76-77).20 Das Problem »Linksextremisten im Betrieb« (MM 4/1975, MM 6/1978, MM 7/1980) sowie geeignete Strategien, um diesen Gruppen den »Nährboden« zu entziehen, sind wesentliche Bestandteile der wirtschaftlichen Diskussion.21 Werden die Anschuldigungen auch nicht von allen als gerechtfertigt empfunden (ablehnend z.B. Zempelin 1974: 102), so sehen viele Unternehmer und Manager die Notwendigkeit, die ihnen entgegengebrachte Kritik zu entkräften, wie eine Reihe 20 Zum Problem werden dabei nicht nur die Unterwanderung der Betriebsräte durch »Kommunisten aller Schattierungen« (MM 7/1980) und sonstige »linksextreme Agitationen« (MM 4/1975), sondern auch »Krankenquoten [von] bis zu 30 Prozent« – eine Gruppe mit dem Namen »Original Gesundheitskollektiv« verfasst etwa einen »Leitfaden zum betrügerischen Krankfeiern, der trotz polizeilicher Beschlagnahmeaktionen weiterhin vertrieben wird«, wie das »Manager Magazin« empört berichtet (MM 3/1981). 21 Interessanterweise führen diese Entwicklungen u.a. zu einer Reihe von Marx-Seminaren für Manager: »Wer im Streit mit der Linken bestehen will, muß ihre Ideologie kennen und ihre Terminologie beherrschen« (MM 8/1977).
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von Anzeigen beispielhaft deutlich macht, die von Unternehmen in den 1970erJahren in Tageszeitungen und Wirtschaftsmagazinen geschaltet wird (siehe Abbildung 6 und Abbildung 7). Das Unternehmen Henkel veröffentlicht bereits im Jahr 1972 eine Reihe von Anzeigen, u.a. in der »Welt«, der »Frankfurter Allgemeinen«, dem »Handelsblatt«, dem »Manager Magazin« und der »Zeit«, in der nicht nur die Kritik am unternehmerischen Profitstreben aufgegriffen wird, sondern zugleich auch das Unternehmen als gesellschaftlich engagiert dargestellt wird. Es werden dabei u.a. Aussagen getroffen wie: »Unternehmen, die nur in Gewinnen denken, werden bald eine Menge zu verlieren haben«, »Wie sozial ein Unternehmen denkt, merkt man nicht daran, ob es mittags Schnitzel gibt« (sondern an der betrieblichen Altersvorsorge), »Das wichtigste Kapital, das ein Unternehmen heute haben muß, findet man in keiner Bilanz« (denkende Mitarbeiterinnen) und ähnliche (siehe beispielhaft Abbildung 6 ). In einer der Anzeigen heißt es, die Zeichen der Zeit anerkennend, »die Zeiten, wo [sic!] der Unternehmer sich auf die Gewinnmaximierung und die Gesundheit seines Unternehmens allein konzentrieren durfte, sind vorüber« (Henkel, in MM 6/1973). Auch Anzeigen anderer Unternehmen greifen die Kritik auf. So fragt beispielsweise eine Anzeige von BASF: »Sind Aktionäre Ausbeuter?«, um diese Frage ebenfalls mit Verweis auf die gesellschaftliche Funktion unternehmerischen Gewinns zu verneinen (siehe Abbildung 7).
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Abbildung 6: Neuorientierung der Zielfunktion des Unternehmens, Anzeige von Henkel
(Quelle: Manager Magazin, 6/1973: 39)
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Abbildung 7: Der Aktionär als verantwortungsvoller Kapitalist, Anzeige von BASF
(Quelle: Manager Magazin, 10/1975: 7)
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Auch von anderen Unternehmern wird die Kritik an der eigenen Rolle sowie der Marktwirtschaft insgesamt durchaus selbstkritisch aufgegriffen und übersetzt sich dabei in ein Nachdenken über das unternehmerische ›Selbstverständnis‹ und die ›Glaubwürdigkeit‹ des marktwirtschaftlichen Systems: »Der Unternehmer hat darüber nachzudenken, ob sein Bild in der Öffentlichkeit und die Kritik daran nicht echte Maßstäbe widerspiegeln, und ob es deshalb nicht notwendig ist, sein eigenes Selbstverständnis und seine Haltung in den Unternehmen einer Änderung zu unterziehen.« (Mohn 1974: 88) »Wir müssen heute selbstkritisch feststellen, daß die Marktwirtschaft als primär ökonomisch definiertes Instrument zur Verwirklichung eng definierter wirtschaftlicher Aufgaben […] ihre politische Glaubwürdigkeit zu verlieren droht. Marktwirtschaft ist für wachsende Gruppen in unserer Bevölkerung nichts anderes als die Kennzeichnung hoher wirtschaftlicher Effizienz – und schlimmer noch: Kennzeichnung für maximalen individuellen Profit. Diese Entwicklung stellt eine ernste Gefährdung unserer freiheitlichen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung dar.« (Biedenkopf 1973a: 149-150, auch 156)
Ob als gerechtfertigt empfunden oder nicht, die Unternehmer sehen sich in den Folgejahren zu Reaktionen auf die Kritik bemüßigt. In der Folge entsteht eine rege Auseinandersetzung über die Rolle der Unternehmen in der Gesellschaft im Allgemeinen sowie die Verantwortung der Unternehmen im Besonderen, die – wie vorstehenden Zitaten zu entnehmen und im Weiteren näher ausgeführt – vor allem aus den relationalen Motiven einer Reaktionsnotwendigkeit auf gesellschaftliche Erwartungen (»Akzeptanz«), dem Erhalt der Marktwirtschaft (»Systemerhalt«) und einer veränderten Beziehung zwischen Gesellschaft und Unternehmen (»Gesellschaftsvertrag«) entspringt, in der das Unternehmen auch einen Beitrag zum Wohle der Gesellschaft zu leisten habe (»Gemeinwesen/-wohl«). Immer häufiger werden Aufforderungen zur Wahrnehmung der »hohe[n] gesellschaftliche[n] Verantwortung« durch die Unternehmer und Manager laut (Biedenkopf 1973a: 145).22 Der die unternehmerischen Reaktionen insgesamt bestim22 Frühes Zeugnis dieser Hinwendung zu Fragen unternehmerischer Verantwortung ist beispielsweise das als »Davoser Manifest« in die Geschichte eingegangene Papier des Europäischen Management Forums, das im Jahr 1973 veröffentlicht und in Praxis und Wissenschaft breit diskutiert wird. Das Davoser Manifest beinhaltet im Wesentlichen Forderungen nach der Berücksichtigung aller Interessengruppen in Führungsentscheidungen, das Bemühen um einen Ausgleich gegensätzlicher Interessen sowie die Betrachtung des unternehmerischen Gewinns nicht als »Endziel«, sondern als Mittel zur Erfüllung der Verpflichtungen des Unternehmens gegenüber seinen Bezugsgruppen (zitiert in Steinmann 1973). Auch wird in diesen Jahren von Unternehmern die Stiftung »Gesellschaft
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mende Tenor kann mit den Worten des damaligen »Bosch-Generaldirektors« Hans Merkle als eine »angreifende Verteidigung« beschrieben werden,23 die aus der Einsicht erfolgt, dass »die unternehmerische Welt in ihrer derzeitigen Form ihrem Ende entgegengehen müßte, wenn nicht dem Unternehmer der Ausbruch gelänge aus dem engen Gehäuse seiner geschäftlichen Tätigkeit« und damit der Anerkennung einer gesellschaftlichen Einbettung des Unternehmens entspringt (Merkle, MM 12/1972: 22) (»Gesellschaftsvertrag«). Da die »grundsätzliche Notwendigkeit« der Verbesserung der gesellschaftlichen und ökologischen Verhältnisse »nicht mehr in Zweifel gezogen werden« könne, sei eine »ausschließlich auf Abwehr gerichtete Haltung […] nirgendwo überzeugend und erfolgreich«, sodass nun auch der Unternehmer aufgerufen sei, »den Boden für konstruktive Lösungen im Interesse der Allgemeinheit und der Wirtschaft« zu bereiten (Zempelin 1974: 107; ebenso Biedenkopf 1973a: 156-157). Eingebettet in ein als Ganzes zu betrachtendes gesellschaftliches System,24 wird die Wahrnehmung der gesellschaftspolitischen Rolle des Unternehmers – seine Erfüllung des Gesellschaftsvertrags sowie sein Beitrag zum Wohle auch der Gesellschaft – als notwendige Reaktion auf die wachsende Kritik an den Unternehmen betrachtet. Das Unternehmen müsse sich »seiner Leistung für das Ganze bewußt« werden (Merkle MM 11/1972: 41) und »als eine gesellschaftliche Veranstaltung in privatrechtlicher Form« (Biedenkopf MM 01/1977: 92), als »quasi-öffentliche Institution« mit einem »am Gemeinwohl orientierten Auftrag« verstanden werden (»Gemeinwesen/-wohl«): »Dahinter steht ein Wandel der Betrachtungsweise in dem Sinne, daß das Unternehmen nicht nur die Sache des Unternehmers ist, sondern die Sache der Wirtschaft und der Gesellschaft.« (MM 01/1977: 95) Dabei geht es insbesondere den Unternehmern letztlich auch um die Rehabilitation ihrer gesellschaftlichen Stellung, ihre gesellschaftliche »Akzeptanz«. Den Grundprinzipien der »sozial-verpflichteten marktwirtschaftlichen Ordnung« folgend gelte: »[A]uf die Dauer bestehen die Unternehmer und die Unternehmungen und Unternehmen« gegründet (1972), die sich wesentlich mit Fragen unternehmerischer Verantwortung beschäftigte; der DGB hingegen beginnt, sich in der gesellschaftsorientierten Managerinnenausbildung zu engagieren (BKU 1973a: 19). 23 Das »Manager Magazin« zitiert Merkle, der in einem Vortrag anlässlich der »Unternehmertage Baden-Württemberg« am 9. Juli 1971 in Freiburg seine Kollegen dazu aufgerufen habe, sich bzgl. lauter werdender Forderungen nach unternehmerischer Verantwortung »angreifend zu verteidigen«. 24 Der Konzern BP drückt diese Einbettung in einer Anzeige im »Manager Magazin« wie folgt aus: »Wir, die Deutsche BP, eines der größten Unternehmen der Energie- und Rohstoffwirtschaft in Deutschland, bekennen uns zu dieser Verantwortung vor der Gesellschaft und der Umwelt, in der wir leben. Denn wir sind ein Teil dieser Gesellschaft, und ihre Interessen müssen auch unsere sein.« (MM 07/1979)
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nur in der Übereinstimmung mit der Gesellschaft – oder sie bestehen eines Tages nicht mehr« (Fertsch-Röver 1974: 96; ähnlich Merkle 1974a: 44, 45; Zempelin 1974: 99, 102). Seine gesellschaftliche Akzeptanz könne der Unternehmer »nur verteidigen, wenn er seine Funktion ethisch und moralisch begründet«: »Deshalb muß er politische Aufgaben lösen.« (Mohn 1974: 88) Stärker als bisher gehe es darum, die »Frage ›Wer soll Unternehmer sein?‹« auch im Hinblick auf die Erfüllung gesellschaftlicher Aufgaben zu beantworten und dabei die »Frage nach der Legitimation« durch die Gesellschaft im selben Zuge zu beantworten (Weber 1974: 22-23). Darin drückt sich eine Haltung aus, die von vielen Unternehmern dieser Zeit getragen wird und auch den Gewinn zwar als »eine Lebensvoraussetzung für jedes Unternehmen und so notwendig wie die Luft zum Atmen für den Menschen« betrachtet, dabei jedoch auch festhält: »Wie der Mensch aber nicht nur lebt, um zu atmen, so betreibt er [der Unternehmer, N.L.] auch nicht seine wirtschaftliche Tätigkeit, nur um Gewinn zu machen. Jedenfalls ist die Gewinnerzielung allein keine ausreichende Legitimation der wirtschaftlichen Betätigung gegenüber der Gesellschaft.« (Abs 1974: 32, ähnlich Fertsch-Röver 1974: 81, 86-87) Ausdruck dieses unternehmerischen Bemühens um gesellschaftliche Akzeptanz sind unter anderem die Auseinandersetzungen um eine »gesellschaftsbezogene Berichterstattung« (Brockhoff 1975; Mintrop 1976), auch »Sozialbilanzierung« (Dierkes 1974, 1984; Götte-Steidtmann 1985; Heymann 1981; Kunstreich 1978), bei denen es in Anlehnung an die amerikanische Debatte des »Corporate Social Accounting« oder »Socio-Economic Accounting« (siehe u.a. Dierkes 1974) um eine Erweiterung der rein finanziellen Gewinn- und Verlustrechnung um soziale und ökologische Indikatoren geht.25 Diese Entwicklungen können im Lichte einer vor allem in Politik und Wissenschaft stattfindenden Auseinandersetzung zur »Qualität des Lebens« betrachtet werden, die sich in der Befassung mit nicht-ökonomischen Kriterien der Wohlstandsmessung auch auf volkswirtschaftlicher Ebene niederschlägt und von einigen Beteiligten wohl etwas zu hoffnungsvoll als »social indicator movement« (Betz 1983: 18) bezeichnet wird. Ausgangspunkt, so die Aussage eines sich aus Unternehmen zusammensetzenden Arbeitskreises mit dem Namen 25 Früher als viele Beiträge von staatlicher und auch wissenschaftlicher Seite greifen Unternehmen das Thema der Sozialbilanzierung aktiv auf und veröffentlichen in den 1960erJahren vereinzelte und zunächst an die Mitarbeiterinnen gerichtete Arbeits- und Sozialberichte (Brockhoff 1975: 19). Nach einer »Lernphase« sollte die Sozialbilanz dann auch für ein unternehmensexternes Publikum transparent gemacht werden. Frühe Versuche einer »gesellschaftsbezogenen Rechnungslegung« bzw. »Sozialbilanz« mit einer ausgewiesenen gesellschaftsbezogenen Gewinn- und Verlustrechnung erfolgen in den 1970erJahren (Dierkes 1974: 78; Götte-Steidtmann 1985: 179; Mintrop 1976: 95-97). Erste Unternehmen waren dabei die STEAG, ein bundeseigenes Energieversorgungsunternehmen sowie die Kölner Bank (Dierkes 1974; Mintrop 1976; Götte-Steidtmann 1985).
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»Sozialbilanz-Praxis«,26 sei auch hier »die kritische Einstellung der Öffentlichkeit gegenüber den Auswirkungen unternehmerischen Handelns – insbesondere auch das verstärkte Umweltbewußtsein der Bürger« (Arbeitskreis »Sozialbilanz-Praxis« 1977: 1) und damit ein Reagieren auf gesellschaftliche Forderungen (»Akzeptanz«). Vor allem vor dem Hintergrund der Kritik aus der Öffentlichkeit erscheint es den Unternehmen »notwendig, die steigende Belastung der Unternehmen mit ›sozialen‹ Kosten transparent zu machen« (dazu auch Leipert 1978: 3; Dierkes et al. 2002: 11) sowie eine regelmäßige und »nachprüfbare Darstellung der im und vom Unternehmen ausgeübten gesellschaftlichen Verantwortung« vorzunehmen (Arbeitskreis »Sozialbilanz-Praxis« 1977: 1-2) und nicht zuletzt durch ihre Informations- und Kontrollfunktion die »gesellschaftliche Verantwortung« des Unternehmens zu befördern (Götte-Steidtmann 1985: 211-212; Dierkes 1974: 15-17; Kunstreich 1978: 20). Auch scheint sich die Haltung zu verbreiten – und damit ein weiteres relationales Motiv angebracht –, dass von der »Erfüllung der gesellschaftlichen Verantwortung des Unternehmers« und »Qualität der unternehmerischen Leistung […] die Qualität der Ausübung unternehmerischer Planungs- und Entscheidungsgewalt ab[hängt] und von dieser wiederum die Funktionsfähigkeit unserer marktwirtschaftlichen Ordnung« (Biedenkopf 1973a: 155-156). Im aktuellen gesellschaftspolitischen Klima der »fortschreitenden Einengung individueller Freiheiten« müsse sich jeder Unternehmer schon aus Gründen des »Systemerhalts« einer freien Marktwirtschaft seiner Verantwortung bewusst werden und diese in »persönliches Engagement« übersetzen (MM 03/1980: 138; BDA 1971). Der Unternehmer brauche sich weder über staatliche Eingriffe in die unternehmerische Autonomie noch über die öffentliche Kritik an seinem Verhalten »zu wundern«, wenn er nicht endlich selbst die Initiative ergreife und sich seiner gesellschaftlichen Rolle bewusst werde, so heißt es (Fertsch-Röver 1974: 85; ähnlich Ulrich (Deutsche Bank), zitiert in MM 12/1972: 22). Einige Unternehmer sehen sich dabei auch durch die Verhinderung staatlicher Eingriffe zur Wahrnehmung ihrer gesellschaftspolitischen Aufgaben motiviert (»Freiwilligkeit«) und lassen damit ein erstes instrumentelles Motiv vernehmbar werden.27 Sie sehen sich gezwungen, mit der Wahrnehmung ihrer gesellschaftspoli26 Dieser Arbeitskreis konstituiert sich aus verschiedenen Unternehmen, die bereits erste Versuche der Sozialbilanzierung veröffentlicht hatten und sich nun der Systematisierung und Verbreitung dieser neuen Praktik verschreiben (Arbeitskreis »Sozialbilanz-Praxis« 1977). Zu den beteiligten Unternehmen zählten die BASF AG, Bertelsmann AG, Deutsche Shell AG, Pieroth GmbH, Rank Xerox GmbH, Saarbergwerke AG, STEAG AG. 27 Die Ablehnung von Regulierung wird an verschiedenen Stellen explizit formuliert, sei es in Bezug auf die »dirigistische« Regelung deutscher multinationaler Konzerne durch andere Länder, die etwa Tacke, Aufsichtsratsmitglied des Siemens Konzerns, bemängelt
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tischen Aufgabe drohenden staatlichen Interventionen oder weitreichenderen Forderungen28 vorzugreifen. Auch dies verbindet sich hier mit der Leitidee der ›angreifenden Verteidigung‹, wenn es heißt: »Wenn wir die paritätische Mitbestimmung – aus guten Gründen – ablehnen, sollten wir andererseits einen glaubwürdigen Beweis dafür liefern, daß wir mit ganzem Herzen alle Maßnahmen unterstützen, welche die Stellung des einzelnen Arbeitnehmers im Betrieb stärken und das soziale Klima in unseren Betrieben menschlicher machen.« (Kasteleiner 1973: 2).
An anderer Stelle heißt es, diese Haltung auf den Punkt bringend: »Nur wer für das Mögliche offen ist, wirkt in der Darstellung und Verweigerung des Unmöglichen glaubhaft.« (Zempelin 1974: 107) Gesellschaftliches Engagement scheint dabei sowohl im Vergleich mit weitreichenden Forderungen an die Unternehmen als auch mit staatlicher Regulierung als das ›kleinere Übel‹ betrachtet zu werden. In einer »Befragung von Leitern der Groß- und Größt-Unternehmen der Bundesrepublik Deutschland« durch das Batelle-Institut heißt es etwa: »Für eine Lösung der hier angesprochenen [ökologischen und sozialen, N.L.] Probleme und zur Abwehr der auch für die Zukunft vermuteten weiter zunehmenden Kritiken bei mangelnder Berücksichtigung gesamtgesellschaftlicher Interessen im unternehmerischen Entscheidungsprozeß sehen die befragten Unternehmensleiter […] zwei mögliche, aber unterschiedliche Entwicklungstrends in dem Beziehungsfeld zwischen Unternehmen und Gesellschaft: einerseits eine Zunahme des staatlichen Einflusses, verbunden mit einem Funktionsverlust des Privateigentums an Produktionsmitteln, andererseits die verstärkte Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch die Unternehmen mit dem Ziel, dadurch den staatlichen Einfluß zurückzudrängen.« (Dierkes 1976: 23, eigene Hervorhebung, N.L.)
Anders als in der zweiten Phase des Diskurses, ordnet sich diese Haltung einem klassisch liberalen Weltbild unter. Entgegen den entgrenzenden Tendenzen des Neoliberalismus, die sich später zeigen werden, wird hier auf die Autonomie des (Tacke 1974: 74), oder in Bezug auf den Entscheidungsspielraum des Unternehmens innerhalb Deutschlands, der zuweilen »systemwidrig eingeengt« werde (Abs 1974: 28). Ablehnend zeigen sich die im Arbeitskreis »Sozialbilanz-Praxis« organisierten Unternehmen auch hinsichtlich einer verpflichtenden Regelung der Berichterstattung, die sie »nicht für sinnvoll« halten (Arbeitskreis »Sozialbilanz-Praxis« 1977: 5). 28 Dass diese Forderungen tatsächlich formuliert werden, zeigt ein Artikel des »Manager Magazins«, der von einer Umfrage des Allensbacher Instituts aus dem Jahr 1971 berichtet, in der 57 Prozent der befragten Bürgerinnen und Bürger die Ansicht vertraten, »die Unternehmer müßten erst durch Gesetze zur Erfüllung der Wünsche der Arbeitnehmer gezwungen werden« (MM 4/1972: 14).
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Marktes als abgegrenztes Handlungsgebiet der Unternehmen gepocht, dabei aber gleichzeitig sowohl die Bedeutung einer Kontrollfunktion des Staates akzeptiert, wenn nicht sogar explizit gefordert, als auch die Wahrnehmung gesellschaftlicher Verantwortung als mit dieser Freiheit notwendig verbunden betrachtet (Abs 1974: 28, so auch BKU 1970: 12, 17-18; Zempelin 1974: 104-105). In der Tradition der Sozialen Marktwirtschaft werden dabei ausgehend von einer marktwirtschaftlichen Ordnung verschiedene Korrektive des unternehmerischen Handelns für notwendig erklärt, die ein Ausufern des unternehmerischen Selbstinteresses begrenzen sollen. Abs betont beispielsweise vier »Grenzen der Entscheidungsfreiheit«: die Gesetze des Staates, das Verhalten der am Markt Beteiligten (Verbraucher, Arbeitnehmer, Konkurrenten, Lieferanten und Geldgeber), die öffentliche Meinung sowie »die eigene Verantwortung des Unternehmers« (Abs 1974: 28). So wird die unternehmerische Verantwortung, hier vor allem die Unternehmerverantwortung, als Korrektiv bzw. als »das natürliche innere Gegengewicht im Menschen gegen seine eigenen egoistischen Antriebe« betrachtet (Abs 1974: 32) und gerade aus der Freiheit des Unternehmers eine »moralische Verpflichtung« zur Wahrnehmung unternehmerischer Verantwortung abgeleitet: »Macht und Verantwortung gehören zusammen; beide sind notwendig. […] Die Übernahme von Verantwortung gegenüber der Gesellschaft für jede einzelne Entscheidung ist das notwendige Gegenstück zur Entscheidungsbefugnis« (Abs 1974: 34, 36). »Mit dem steigenden Spielraum des Handelns, den die Menschen mit steigendem Wohlstand gewinnen, steigt auch die Verantwortung für das richtige Handeln, für den richtigen Einsatz der sich mehrenden Möglichkeiten in einer wirtschaftlich entwickelten Welt. Mit anderen Worten: die sittlichen Anforderungen, die an uns gestellt sind, werden nicht geringer, sondern eher größer.« (Werhahn 1964: 25).
Es geht den Unternehmern damit zwar um die Verteidigung einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung und die Erhaltung ihrer unternehmerischen Autonomie, zugleich wird betont, dass dieser »Macht- und Freiheitsraum des Unternehmers« beschränkt bleiben müsse und mit einer moralischen Verantwortungspflicht des Unternehmers verbunden sei. Das instrumentelle Motive der Verhinderung staatlichen Eingreifens (»Freiwilligkeit«) wird hier also sowohl moralisch als auch relational ›eingefangen‹ und so mit den zu dieser Zeit vorwiegenden Motivmustern kompatibel gemacht. Von einigen Unternehmern wird dabei – um mit Abs zu sprechen – als zweite »Grenze« eine steuernde Rolle des Staates bzw. staatlicher Regulierung gar explizit als notwendig erachtet und dabei, den heute verbreiteten, freiwilligen Vereinbarungen eine klare Absage erteilt. Ein Unternehmer äußert sich mit Blick auf den Umweltschutz dazu wie folgt:
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»Grundsatzfragen des Umweltschutzes können nur durch allgemeine, für alle gültige Bedingungen geregelt werden. […] Derartige allgemeine und grundsätzliche Bedingungen kann nur der Staat setzen. Nicht allein wegen seiner Verantwortung für das Ganze, sondern auch wegen der unerläßlichen Gleichbehandlung, die wiederum Voraussetzung dafür ist, daß der Wettbewerb nicht verzerrt wird.29 […] Eine ähnliche Überlegung verbietet auch, Grundsatzfragen des Umweltschutzes in Form freiwilliger Vereinbarungen zwischen den Wettbewerbern zu regeln. […] Im Übrigen wäre es ja geradezu eine Anmaßung, wenn die Industrie selbst bestimmen wollte, welcher Grad der Luftverschmutzung für die Nachbarn eines Betriebes oder die Verkehrsteilnehmer zumutbar ist. Der Staat würde damit die Ausübung seiner Schutzfunktion gegenüber der Allgemeinheit auf eine Interessengruppe übertragen.« (Zempelin 1974: 104-105)
Ausgehend von diesen Überlegungen tritt neben die moralische Verpflichtung auch eine, durch den Staat gesetzte, rechtliche Verpflichtung. Hier zeigt sich die unternehmerische Verantwortung geprägt von der Sozialen Marktwirtschaft, die – wie wir gesehen haben – ebenfalls zum einen die staatliche Steuerung, zum anderen die (moralisch fundierte) Sozialpflichtigkeit als notwendige Korrektive des Marktes betrachtet. Wie gestaltet sich die derart motivierte Verantwortung und auf welche Bereiche erstreckt sie sich? Der Unternehmer Dieter Fertsch-Röver beschreibt die »gesellschaftliche Verantwortung des Unternehmens« wie folgt: »Was aber kann angesichts gesellschaftlicher Veränderungen und der geschilderten ordnungspolitischen Relevanz seiner Funktion der Unternehmer in seiner täglichen Praxis tun, um seiner geforderten gesellschaftlichen Verantwortung gerecht zu werden? Aus den im gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereich erkennbaren Entwicklungstendenzen: ›Mehr Gerechtigkeit‹, ›Mehr Humanität‹, ›Mehr Demokratie‹ und ›Mehr gesellschaftliche Strukturund Umweltqualität‹ ergeben sich für den Unternehmer folgende Interpretationen und damit Aufgaben: So steht für Gerechtigkeit: das Streben nach mehr Chancengerechtigkeit im Materiellen wie im Immateriellen für seine Mitarbeiter; für Humanität: das Fördern des Strebens nach mehr Selbstentfaltungsmöglichkeiten jedes einzelnen Mitarbeiters durch entsprechende Arbeitsorganisation und Gestaltung der Arbeitsplätze; für Demokratie: gegenüber Mitarbeitern und Gesellschaft das Bemühen um Abbau von Privilegien, nach leistungsgerechterer Machtverteilung, um durch funktionsgerechte Mitsprache und Mitbestimmung zu höherer Mitverantwortung und Mitentscheidungsbefugnis zu kommen; für Struktur- und Umweltqualität: das Streben nach Übernahme von mehr Verantwortung bei der Datensetzung im politi29 Interessanterweise wird heute gerade von Wirtschaftsakteuren die unternehmerische Freiheit, nicht die staatliche Regulierung, zur Grundbedingung des (die unternehmerische Verantwortung vermeintlich befördernden) Wettbewerbs erhoben (siehe dazu Kapitel 5 und 6).
178 | I NSTRUMENTALISIERTE V ERANTWORTUNG? schen und gesellschaftlichen Bereich, bei der Planung für zukünftige Entwicklungen und das Bemühen nach umweltfreundlichen Produkten und Produktionsverfahren unter sparsamstem Umgang mit unseren natürlichen Ressourcen.« (Fertsch-Röver 1974: 88-89)
Vergleichbar mit aktuellen Verantwortungsbegriffen erstreckt sich auch in den 1970er-Jahren der unternehmerische Verantwortungshorizont auf interne und externe Bereiche. Die Verantwortung des Unternehmens bestehe in der Sorge sowohl für die Gesellschaft als Ganzes als auch für die im Unternehmen Beschäftigten (Abs 1974: 33-34). Hinsichtlich des Ersteren müsse der Unternehmer ein »waches Gespür für die Regungen und Stimmungen in seiner gesellschaftlichen Umwelt« entwickeln, wenn er »seine vielfältige Verantwortung in den täglichen Entscheidungen voll zum Tragen bringen« und sich »in jeder einzelnen seiner Entscheidungen dann auch konsequent von seiner Gesamtverantwortung gegenüber der Gesellschaft leiten« lassen wolle (Abs 1974: 32, ähnlich Fertsch-Röver 1974: 84). Die Verantwortung des Unternehmens müsse das Verhalten insgesamt bestimmen, sie gelte »auf allen Gebieten« (Abs 1974: 33). Doch auch für die Mitarbeitenden trage der Unternehmer Verantwortung, wozu von den Akteuren Leistungen wie Jahresprämien, Weihnachtszuwendungen, Urlaubsgeld, vermögenswirksame Leistungen, Lohnfortzahlungen, Geburts- und Heiratsbeihilfen, Miet- und Kinderzuschüsse, Aus- und Weiterbildung, Unfallverhütung, Ferienheim/Firmenurlaub sowie Zuschüsse an Sportvereine und Verbände sowie karitative Organisationen, Investitionen und Ausgaben für den Umweltschutz und die Förderung von Kultur und Wissenschaft gezählt werden (z.B. Arbeitskreis »Sozialbilanz-Praxis« 1977: 11-12). Darüber hinaus werden in den 1970er- und 1980er-Jahren zunehmend Fragen einer »Vermögensbildung« auf Arbeitnehmerseite diskutiert, mit dem Ziel eine »gerechtere Eigentumsverteilung an[zu]streben« (Mohn 1974: 90) und zum »Abbau von Privilegien« beizutragen (Fertsch-Röver 1974: 90). Nicht zuletzt sind auch Versuche der Humanisierung des Arbeitslebens – etwa die Reduktion der Taktzeiten oder die Abkehr von der Fließbandarbeit, die Einführung von Einzel- und Gruppenarbeitsplätzen sowie erste Versuche des »Job Enrichment« oder der »Job Rotation« –, mit denen Unternehmen seit den frühen 1970er-Jahren experimentieren und »die auch im Rahmen der Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung gesehen werden« (Fertsch-Röver 1974: 90), als Zeugnis eines veränderten Verhältnisses der Unternehmer zu ihren Mitarbeiterinnen zu verstehen. Damit erkannten die Unternehmen eine sowohl innerbetriebliche wie auch externe Verantwortung an. Die externe Verantwortung wies aus der Perspektive der im Arbeitskreis beteiligten Unternehmen – wie auch heute noch üblich – soziale und ökologische Komponenten auf. Eine Befassung mit ihrer ökologischen Verantwortung zeigt sich in den 1970er- und 1980er-Jahren unter anderem an der Inklusion umweltspezifischer
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Daten in die Unternehmensberichte, der Implementierung von Umweltleitlinien, das Einsetzen von Umweltbeauftragten in Unternehmen30 und nicht zuletzt der Einbindung des Umweltschutzes in die unternehmerische Außendarstellung auch und gerade unter Unternehmen besonders umweltbelastender Industrien wie der Energie-, Chemie- oder Automobilindustrie (siehe beispielhaft Abbildung 8).31
30 Um einige Beispiele der DAX-30-Unternehmen zu nennen: Bayer verabschiedete etwa 1986 »Leitlinien für Umweltschutz und Sicherheit« und 1994 »Leitlinien für verantwortliches Handeln bei Umweltschutz und Sicherheit« und initiierte 1987 ein Fortbildungsprogramm zum Thema »Umweltschutz und Arbeitssicherheit«, (Bayer 2007: 20), Umwelt- und soziale Daten fließen seit 1976 in die Berichterstattung ein, ein erster »Umweltbericht« folgte im Jahr 1993 (Bayer 2005: 2). Bei BMW nahm der erste Umweltbeauftrage im Jahr 1973 (BMW 2008: 38), in der Commerzbank im Jahr 1990 (Commerzbank 2007: 38) seine Arbeit auf. Siemens unterhält seit 1971 ein »zentrales Umweltschutzreferat« (Siemens 2002: 19). 31 Kade berichtet etwa von einem »Umwelt-Film« des BP-Konzerns sowie einer von Esso herausgegebenen Studie »Öl und die Reinhaltung von Wasser und Luft« aus dem Jahr 1969 (Kade 1971: 258). Esso schaltet in den 1970er-Jahren eine Reihe von Anzeigen, in denen die Umweltverantwortung des Konzerns zum Thema gemacht wird (z.B. MM 10/1975), ebenso tun dies u.a. Bauknecht (MM 01/1971), Hoechst (MM 08/1978), VW (MM 08/1977, 08/1980), BMW (MM 12/1982), BP (MM 08/1980, 09/1980), Shell (MM 08/1978).
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Abbildung 8: Zeichen unternehmerischen Umweltbewusstseins, Anzeige Bayer
(Quelle: Manager Magazin 10/1974: 7)
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Darüber hinaus wird Mitte der 1980er-Jahre ein Aufgreifen der sich zunehmend ausbreitenden Umweltdebatte durch die Unternehmen mit der Gründung des Vereins B.A.U.M. (Bundesdeutscher Arbeitskreis Umweltbewusstes Management e.V.) im Jahr 1984 sowie des Vereins »future – verantwortung unternehmen« im Jahr 1986 in einem auch über das Engagement einzelner Unternehmen hinausgehenden Rahmen deutlich.32 Weisen B.A.U.M. und future mit ihrem Ansatz einer Darstellung guter Unternehmensbeispiele, der Vernetzung engagierter Unternehmer, öffentlichkeitswirksamer Preisverleihungen und Beratungsleistungen zu unterschiedlichen Umweltmanagementsystemen und -rechtsgrundlagen auch Parallelen zu heutigen »CSR«-spezifischen Interessenverbänden wie etwa »CSR-Germany« oder »Econsense« auf,33 so sieht sich die Arbeit von B.A.U.M. und future doch deutlich im Diskurs ihrer Zeit verortet. Beispielsweise verpflichtet B.A.U.M. seine Mitgliedsunternehmen neben der Implementierung von (Umwelt-)Managementkonzepten und Standards auf einen »Ehrenkodex« (B.A.U.M. 2014: 97-98) und grenzt sich dabei deutlich von instrumentellen Motiven, wie etwa Reputationsgewinnen, ab: 34 »Der Bundesdeutsche Arbeitskreis für umweltbewußtes Management versteht sich nicht ausschließlich als wirtschaftlicher Interessenverband, sondern in gleichem Maße als ein Zusammenschluß zur Stärkung der Umweltverantwortung der Unternehmer. Die Verantwortung für die Umwelt ist für BAUM nicht Imagewerbung, sondern charakterlicher Imperativ mit kla-
32 B.A.U.M. wird durch engagierte Unternehmer als branchenübergreifender nationaler Unternehmensverband für Umweltmanagement gegründet und ist »weltweit der erste Verband seiner Art«. Siehe: http://www.baumev.de/default.asp?Menue=128, zuletzt geprüft am 04.11.2015. 33 Seit 1992 verleiht B.A.U.M. etwa einen »Umweltpreis« an private und öffentliche Unternehmen (B.A.U.M. 2014: 70). Future verleiht den sog. »Zukunftspreis« und würdigt damit »vorbildliches unternehmerisches Engagement«. Siehe dazu auch die Website www.ranking-nachhaltigkeitsberichte.de, die gemeinsam mit dem Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) betrieben wird. Gemeinsam mit dem Institut für ökologische Wirtschaftsforschung, mit dem future auch heute noch eng zusammenarbeitet, bewertet future seit 1994 die Umweltberichte von Unternehmen und veröffentlicht die entsprechenden Ergebnisse in der Fachzeitschrift »Capital« (Burschel et al. 2004: 94). 34 Die Bedeutung von B.A.U.M. sowie insbesondere dieses ersten Umweltkodex zeigt sich auch daran, dass der Kodex in die Erarbeitung anderer Kodizes, etwa der »Business Charter for Sustainable Development« der International Chamber of Commerce (ICC) Eingang gefunden hat (Burschel et al. 2004: 90). Der Ansatz von B.A.U.M. kann damit als Vorläufer heutiger Umweltmanagement- und Audit-Standards betrachtet werden.
182 | I NSTRUMENTALISIERTE V ERANTWORTUNG? ren Anforderungen an das Verhalten der Mitglieder.« (Winter 1988: 38, eigene Hervorhebung, N.L.)35
Zwar seien positive Imageeffekte ein willkommener Nebeneffekt des umweltpolitischen Engagements, es wird diesen Motiven jedoch eine nachgeordnete Rolle zugesprochen, wenn es deutlich heißt: »Unsere Motivation liegt nicht im ökonomischen Bereich […].« (Winter, zitiert in MM 10/1986: 280, ähnlich future e.V. o.J.) 4.2.1.2 Das ›Ethos des Unternehmers‹: moralisch motivierte Unternehmensverantwortung Grundlegend beschäftigt sich in der ersten Phase der »Bund Katholischer Unternehmer« (BKU) mit Fragen der Unternehmens- und insbesondere Unternehmerverantwortung. Der BKU wird bereits im Jahr 1949 gegründet und vereint über tausend Unternehmer, Selbstständige und leitende Angestellte, die »begriffen, daß die Gestaltung von Wirtschaft und Gesellschaft nicht ein nach rein funktionalen Marktgesetzen ablaufendes, sondern ein vom Menschen, auch und gerade vom Unternehmer sittlich zu verantwortendes Geschehen ist« und die damit die Wirtschaft als ein am Menschen ausgerichtetes »Kulturgeschehen« verstehen (Weber (BKU) 1984: 5, 7).36 Seit der Gründung verschreiben sich die Mitglieder des BKU der Vermittlung und Weiterentwicklung der »Katholischen Soziallehre« sowie den Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft (Weber (BKU) 1984: 3, 5, 7). Ausgehend von ihrem katholischen Glauben entwerfen sie ein Bild des »christlichen Unternehmers« bzw. eine »Berufsethik des Unternehmers«. Grundlage ist dabei ein »geistig-sittliches Fundament, von dem aus Wirtschaft und Gesellschaft in humaner, d.h. menschendienlicher Weise aufzubauen« seien (Weber (BKU) 1984: 6; 35 Georg Winter ist Unternehmer (Ernst Winter & Sohn GmbH & Co (Hamburg) sowie Ernst Winter & Sohn Norderstedt GmbH & Co) und Erfinder des »Integrierten Systems umweltorientierter Unternehmensführung« auch »Winter-Modell«, an dem sich u.a. B.A.U.M. ausrichtet. Von Winter ging zudem die Gründung von B.A.U.M. aus. 36 Wie bedeutsam diese Auffassung der Wirtschaft sich auch für die Unternehmensverantwortung erweist, führt Werhahn (1984: 4-5) weiter aus: »[A]lles hängt davon ab, was ich unter Wirtschaft verstehe, welchen Begriff ich mir von Wirtschaft mache. Wenn ich die Wirtschaft ausschließlich als einen mechanischen Prozeß ansehe, in dem Wertentscheidungen nicht in Betracht kommen, sondern nur das quantitative Denken einen Platz hat, dann, meine Damen und Herren, brauchen wir uns über moralische Fragen nicht mehr lange zu unterhalten. […] Das ist und wird anders in dem Augenblick, da ich die Wirtschaft […] einordne in den Gesamtzusammenhang menschlichen Handelns und Denkens. Wenn ich das tue, dann kommen selbstverständlich auch die Grundprinzipien und Grundwerte aller menschlichen Gesellschaft zur Geltung, nämlich Gerechtigkeit, Nächstenliebe, Wahrheitsliebe, Ehrenhaftigkeit und überhaupt die allgemeine Anständigkeit.«
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BKU 1983: 3). Dabei wird vom BKU im Sinne des christlichen Unternehmerbildes der einzelne Unternehmer als Subjekt der Verantwortung betrachtet (Ockenfels (BKU) 1990: 12-13). Es geht mithin weniger um die Formulierung eines im Unternehmen zu implementierenden Verantwortungskonzepts – etwa im Sinne heutiger Formen der »Corporate Social Responsibility« oder des »Sustainability Managements« – oder standardisierter Ansätze – wie der Sozialbilanz oder dem Umweltmanagement – als um die Integration des katholischen Glaubens und des dahinterstehenden humanistischen Weltbildes in den Unternehmeralltag (BKU 1970: 9-10). Der BKU trägt in den ersten Jahren des Diskurses wesentlich zu dessen moralischer Fundierung bei, zeigt sich aber im Einklang mit anderen Unternehmern und Managern stellenweise auch vom Willen um die Rehabilitation der gesellschaftlichen »Akzeptanz« des Unternehmers sowie den Erhalt des marktwirtschaftlichen Systems (»Systemerhalt«) und damit relational motiviert. Um relationale Motive im Allgemeinen und die gesellschaftliche Rehabilitation im Besonderen geht es etwa dort, wo angemahnt wird, mit dem Entwurf einer Rolle des »christlichen Unternehmers« »dazu bei[zu]tragen, das oft negative Image […], das dem Unternehmer anhaftet, zu korrigieren« und folglich dessen gesellschaftliche »Akzeptanz« (wieder) herzustellen (Weber (BKU) 1984: 15-16). In den Jahren nach dem Krieg – in dem viele Unternehmer eine kollaborative Rolle eingenommen hatten – stand die Öffentlichkeit dem Unternehmer »mißtrauisch, verständnislos und ablehnend« gegenüber und der »moderne Unternehmer [sei] seiner selbst und seiner Daseinsberechtigung irgendwie unsicher geworden« (Höffner (BKU) 1956: 5). Doch, so befanden die Mitglieder des BKU, sei der Unternehmer »lange genug der Prügelknabe für alle möglichen Weltverbesserer gewesen« (Briefs (BKU) 1957: 5), sodass es darum gehen müsse, die Verantwortung des Unternehmers wieder in den Mittelpunkt zu rücken und seine Aufgabe wieder als eine »von hohem sittlichem und sozialem Rang« zu begreifen (Briefs (BKU) 1957: 13-14). Immer wieder geht es darum, die als privilegiert wahrgenommene Position des Unternehmers vor (neo-)marxistischen und anarchistischen Angriffen zu bewahren (BKU 1970: 5), die sich im Zuge der 1968er-Bewegung mehrten und, wie wir gesehen haben, von vielen Unternehmern Reaktionen erforderten. Bis in die 1990er-Jahre fühlt sich der BKU berufen, den Unternehmer gegen die »moralisierende Kritik« »öffentliche[r] Meinungsmacher« zu verteidigen, die den »Kapitaleigner und Manager« als allein auf das eigene Interesse ausgerichteten Menschen darstellen und »Unternehmer vorzüglich als Sündenböcke für alle möglichen strukturellen Mißstände […] [wie] Arbeitslosigkeit, die Umweltverschmutzung und das Elend der Dritten Welt verantwortlich« machten (Ockenfels (BKU) 1990: 11-12). Dabei verbindet sich der Wunsch nach gesellschaftlicher Anerkennung auch immer wieder ein Moment des »Systemerhalts« – auch hier in Form der ›angreifenden Verteidigung‹ bzw. vorbeugenden Verantwortungsübernahme, z.B. heißt es dort: »Gerade wegen der Verantwortung etwa im Bereich des Umweltschutzes sind die Unternehmen zur freien Ini-
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tiative herausgefordert. Sie sollten nicht darauf warten, daß der Staat ihnen das rechtlich gebietet, was sie in freier und solidarischer Initiative und Selbstverpflichtung zu tun versäumt haben. […] Die unternehmerische Freiheit kann sich nur dann dauerhaft sichern, wenn sie sich selber begrenzt und kontrolliert.« (Ockenfels (BKU) 1993: 18) Neben derartigen relationalen Motiven zeigt sich als übergeordnetes Bild in den Texten des BKU eine vor allem moralisch gerechtfertigte Verantwortung. Besonders häufig rekurriert der BKU dabei auf die moralischen Motive des »Anspruchs Dritter«, des »Ethos« der Unternehmerschaft, betont die Notwendigkeit des Werteerhalts (»Tradition/Kultur/Werte«) sowie eine grundlegende »moralische Verpflichtung« der Unternehmer gegenüber Dritten. Erstens verfolgt der BKU ein an der Würde des Menschen ausgerichtetes Weltbild, aus welchem sich ein Anspruch auf ein menschenwürdiges Leben ergibt, dessen Erfüllung für alle Mitglieder einer Gesellschaft sichergestellt werden müsse (BKU 1970: 23; Nell-Breuning 1985: 58). Auch die Verantwortung des Unternehmers habe sich stets am Anrecht des Menschen auf eine menschenwürdige Entwicklung auszurichten (»Anspruch Dritter«). Die Würde des Menschen verstehe sich »von der Person her und auf sie hin«, woraus folgt, dass die Wirtschaft (ebenso wie der Staat) »keinen Selbstzweck darstellen, sondern Dienstfunktionen für die Person ausüben« solle (BKU 1970: 9). Wie auch die »gesellschaftliche Verantwortung des Unternehmens« erstrecke sich die Verantwortung des Unternehmers dabei sowohl auf innerbetriebliche wie außerbetriebliche Fragen (Briefs (BKU) 1957: 4). Vor allem im Verhältnis zu den Mitarbeiterinnen habe der christliche Unternehmer dafür Sorge zu tragen, dass diese ihre tägliche Arbeit »mit [einem] innerem Ja tun. Sie sollen sich im Betrieb als Menschen geachtet, dazugehörig, mitverantwortlich fühlen« (Höffner (BKU) 1956: 14; ähnlich Briefs (BKU) 1957: 9). Zudem erstrecke sich die »soziale Verantwortung« des Unternehmers aber über die Betriebsgrenzen hinaus auf den »ganzen Ausstrahlungsraum des Betriebs« (Briefs (BKU) 1957: 4). Es gehe auch um die »Sorge für das Gemeinwohl«, die »Bereitschaft, sich überhaupt für das allgemeine Wohl verantwortlich zu fühlen« (Höffner (BKU): 1956: 16). Die aus diesen beiden Grundprinzipien sich ergebende Verantwortung stellt sich als »Solidarität« dar, d.h. als »[…] feste und beständige Entschlossenheit, sich für das Gemeinwohl einzusetzen, das heißt für das Wohl aller und eines jeden, weil wir für alle verantwortlich sind. Wir katholischen Unternehmer stehen zu dieser Verantwortung, in unseren Betrieben, in unserer Gesellschaft und in der globalisierten Welt.« (BKU o.J.)
Auf der anderen Seite ergibt sich aus dem wechselseitigen Verhältnis von Einzelzu Gemeinwohl ein für den Verantwortungsbegriff des BKU und die Katholische Soziallehre im Allgemeinen nicht minder wichtiges »Subsidiaritätsprinzip«, wel-
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ches beschreibt, dass die aus dem Solidaritätsprinzip abgeleitete Pflicht der Gemeinschaft, sich um den Einzelnen zu sorgen, als »Gemeinschaftshilfe zur Selbsthilfe« zu erfüllen sei (Nell-Breuning 1985: 56). Weder Paternalismus noch »patriarchalische[s] Gönnertum« dürfe aus der Verantwortung des Unternehmers erwachsen (Höffner (BKU) 1956: 15). Vielmehr gelte es, die »personale Selbstverantwortung« zu befördern (Briefs (BKU) 1957: 8-9). Ausgehend von diesen Grundfesten der Katholischen Soziallehre entwirft der BKU im Zuge seiner Tätigkeit eine grundlegende »Berufsethik« des Unternehmers (BKU 1983; Briefs (BKU) 1957; BKU 1970). Dieser »Ansatz christlicher Unternehmerverantwortung« (Briefs (BKU) 1957: 3) fußt auf einem »Ethos« des Unternehmers sowie einer Ethik der Unternehmer, die sich gegenseitig ergänzen und befördern sollen und ein weiteres moralische Motiv dieser Zeit begründen. Während mit dem Ethos des Unternehmers vor allem seine »subjektive Moral« sowie seine »persönliche sittlich-verantwortliche Einstellung zu seinem Beruf, zu seinem Eheund Familienleben, zur Gesellschaft, zur Wirtschaft und zum Staat« beschrieben ist, bezeichnet die Ethik vor allem die »objektive Moral im Sinne von vorgeschriebenen Verhaltensregeln und Normen, an denen sich der Mensch in bestimmten Situationen auszurichten hat« (Weber (BKU) 1984: 7-8). Die objektive Moral, verstanden als z.B. »Standes-Kodices« [sic] und »Kodices von Verhaltensregeln« sowie »Institutionen und Organisationsformen«, sollte es dem »Menschen ermöglichen oder erleichtern, sich subjektiv richtig und gut zu verhalten, d.h. ein gutes Ethos zu entfalten« (Weber (BKU) 1984: 7-8). Vor diesem Hintergrund eines »Entlastungscharakters« einer derart verstandenen Ethik (Weber (BKU) 1984: 8) sowie im Einklang mit anderen Unternehmern und Wirtschaftsverbänden, wird etwa auch dem geregelten (!) Wettbewerb eine die unternehmerische Moral »entlastende« bzw. das »knappe Gut der Moral schonende« Funktion beigemessen (Briefs (BKU) 1957: 34). Der »reine Liberalismus« hingegen zerstöre die Gemeinschaftsethik und sei damit abzulehnen (Briefs (BKU) 1957: 6-7, 12-13). Die »gesellschaftliche Verantwortung des Unternehmers« bedeutet damit vor allem, dass der Unternehmer selbst ein »gutes Ethos, eine gute subjektive Einstellung« zu entwickeln habe, zugleich aber auch im Sinne der Ethik auf eine dieses Ethos ermöglichende Organisation des wirtschaftlichen Zusammenwirkens hinwirken müsse (Weber (BKU) 1984: 8, 10). Es rückt damit die Unternehmerpersönlichkeit in den Mittelpunkt, für den es um eine »Gesinnungsreform« im Hinblick auf sein persönliches Wertgefüge – seinen »Anstand«, seine »Fairness«, seine »›guten Sitten‹«, aber auch »Liebe, Treue, Wahrhaftigkeit, Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit«37 –
37 Höffner fügt dieser Gesinnung noch die Fähigkeit zu dienen hinzu: »Das Ethos des Dienens müsse den Kaufmannsberuf veredeln und auf eine christliche Ebene emporheben. Das Leitbild des unternehmerischen Dienens ist überzeitlich gültig. Der hervorragendste
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gehen müsse (»Tradition/Kultur/Werteerhalt«). Zum anderen aber müsse eine entsprechende »Zuständereform« die Ausübung dieser Werte erleichtern (Weber (BKU) 1984: 9-10; Werhahn (BKU) 1984: 7-8): »Natürlich hat der Christ […] nicht bei einer Gesinnungsreform, bei der Bekundung guten Willens, stehenzubleiben. Die Gesinnungsreform hat die Motive und Impulse für eine Zuständereform zu liefern! Gesinnungsreform und Zuständereform müssen Hand in Hand gehen [...]. […] Kurz und bündig: Gesinnung, Moral, guter Wille werden durch schlechte gesellschaftliche und wirtschaftliche Verhältnisse auf die Dauer selbst beim Gutwilligsten untergraben (die Gesellschaft besteht nicht aus Heiligen oder Moralheroen!).« (Weber (BKU) 1984: 10).
Damit stellt das verantwortliche Wirtschaften Anforderungen an die persönliche Gesinnung des Unternehmers im Sinne einer Individualethik und adressiert zugleich, im Sinne einer Struktur- oder Sozialethik, das die Wirtschaft ordnende System, dessen die Moral ermöglichende Gestaltung ebenfalls zur Aufgabe des Unternehmers wird (Briefs (BKU): 1957: 12-13).38 Verantwortliches Wirtschaften ist damit »Ethos und Ethik zugleich« (Weber (BKU) 1984: 13). Diese Verantwortung wird als »moralische Verpflichtung« formuliert. Dem Unternehmer sei eine weit über das eigene bzw. unternehmerische Selbstinteresse hinausgehende »soziale« bzw. »gesellschaftliche Verantwortung« zugewiesen, und zwar »ob er sie anerkennt oder nicht« (Briefs (BKU) 1957: 9, 14). Auch ohne staatliche Regulierung habe sie verbindlichen Charakter: »An das Ethos, die subjektive oder persönliche Moral, läßt sich mancher nicht gern erinnern. Viele sind sogar der Ansicht oder geneigt anzunehmen, im harten Wirtschaftsleben spielten in erster Linie Interessen eine Rolle, nicht aber moralische Überlegungen. Gehe jeder seinen privaten Interessen nach, dann werde auch das allgemeine Wohl am besten gefördert. Dies ist nicht nur die Grundthese des alten Wirtschaftsliberalismus, sondern auch die von Karl Marx. Und wer als Unternehmer diese Grundthese für sich übernimmt, sollte wenigstens wissen, in welche Gesellschaft er sich da begibt. Wer alles in erster Linie durch die Brille von Interessen sieht, muß weiterhin wissen, daß er damit nicht der Sachlichkeit, der Objektivität das Wort redet, sondern der Ideologie, daß er sich, mit anderen Worten, unbekümmert als Ideologen bekennt!« (Weber (BKU) 1984: 7-8)
Dienst des modernen Unternehmers ist der an seinen eigenen Mitarbeitern.« (Höffner (BKU) 1956: 13) 38 Dabei hätten, so Briefs, »Berufsverbände […] die Aufgabe, Mindestnormen zu bereden und verbindlich zu machen. Das Arbeitsrecht und bestimmte sozialpolitische Einrichtungen mögen diese Normen ergänzen.« (Briefs (BKU) 1957: 12-13)
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Damit ist nicht nur dem reinen Liberalismus sowie dem Sozialismus eine Absage erteilt, sondern auch die unternehmerische Verantwortung als »sittlich gebotenes Verhalten« beschrieben und dem christlichen Unternehmer eine unhintergehbare moralische Verpflichtung auferlegt (Weber (BKU) 1984: 7; ähnlich Briefs (BKU) 1957: 14-15). Der BKU folgt in all seinen Texten einem strengen Programm Sozialer Marktwirtschaft. So spricht man sich z.B. klar für eine »Leistungsgesellschaft« aus, in der sich »das persönliche Einkommen primär an dem Beitrag orientiert, den jemand in den volkswirtschaftlichen Leistungsprozeß einbringt« (BKU 1970: 18). Auch privates Produktiveigentum und Wettbewerb werden durchaus »anerkannt und positiv gewürdigt«, jedoch gelte es – in Anlehnung an die Soziale Marktwirtschaft sowie die Katholische Soziallehre –, das »(subjektiv) verantwortliche wirtschaftliche Handeln des Menschen immer in engster Verbindung mit der ordnungspolitischen Komponente« zu sehen (Weber (BKU) 1984: 13-14). Ausgehend von der gesellschaftlichen »Chancenungleichheit« beispielsweise bedürfe es deshalb eines »starken Staat[es]«, der Gesetze und Regeln derart entwickeln solle, dass sich der Wettbewerb am Menschen ausrichte und die »Schaffung möglichst gleicher Lebenschancen« befördere und nicht an der Bevorteilung Einzelner sich ausrichte (BKU 1970: 20). Der christliche Unternehmer »verwirft die schrankenlose Konkurrenz« und betrachtet den Wettbewerb als ein »Mittel zum Zweck, das auf das Gesamtwohl bezogen sein muss« (Briefs (BKU): 1957: 12-13). Ebenso hält es der BKU mit dem privaten Produktivvermögen, welches er als wichtigen Anreiz betrachtet und auch als Entlohnung für unternehmerisches Risiko für notwendig hält, das er jedoch zugleich »allen Bevölkerungskreisen« zugänglich machen will, wie der BKU in einem eigenen Entwurf zum »Miteigentum am Produktivvermögen« darlegt (BKU 1983). Damit sind weder Wettbewerb noch unternehmerisches Eigeninteresse abgelehnt, beides ist jedoch gerahmt durch einen starken Staat mit einer entsprechenden Ordnungspolitik, die es dem christlichen Unternehmer erlaubt, sein Unternehmerethos derart wahrzunehmen, dass er sich nicht nur gegenüber seinen Mitarbeiterinnen und der Gesellschaft als Ganzes verantwortlich zeigt, sondern auch zur Aufrechterhaltung einer moralischen Ordnung beiträgt. 4.2.1.3 Ethik und Profit – ein Widerspruch? Erste instrumentelle ›Ausflüge‹ der Unternehmerschaft Wie vorstehend dargestellt, werden von wirtschaftlichen Akteuren in der ersten Phase des Diskurses regelmäßig relationale und moralische Motive vorgebracht. Vereinzelt und ohne dabei als Hauptmotive für ein gesellschaftliches Engagement präsentiert zu werden, wird von unterschiedlichen Themen ausgehend auch auf instrumentelle Motive verwiesen. Diesen ersten ›instrumentellen Ausflügen‹ einiger wirtschaftlicher Akteure wird in dieser Phase jedoch von anderen Wirtschaftsakteuren zuweilen Skepsis, wenn nicht offene Ablehnung entgegengebracht. Anders als
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heute scheinen instrumentelle Motive damit im wirtschaftlichen Motivrepertoire nicht nur einen untergeordneten Stellenwert zu haben, sondern zuweilen auch als ›verwerflich‹ betrachtet zu werden. Sie scheinen damit nicht zum akzeptierten Motivvokabular dieser Zeit zu gehören. Instrumentelle Motive, auf die dabei rekurriert wird, sind zum einen Motivations- und damit einhergehende Produktivitätssteigerungen im Zuge von Maßnahmen der Humanisierung der Arbeit sowie der Mitbestimmung (»Erfolgsfaktor/Investition«). Vonseiten des BKU und des BDA heißt es beispielsweise »Humanität und Wirtschaftlichkeit« würden sich nicht so »grundsätzlich ausschließen, wie man bei oberflächlicher Betrachtung meinen könnte und wie auch oft tendenziös behauptet« würde, sondern könnten sich ergänzen, wenn der »Leistungswille« der Mitarbeitenden durch humane Arbeitsbedingungen gesteigert würde (BKU 1974: 16-17; ähnlich BDA 1973: 8). Im Weiteren zeigt sich jedoch, dass dieser Gedanke eher Zukunftsprognose, denn gelebte Praxis darstellt, wenn es fortführend heißt: »Diese Erkenntnis hat jedoch in den meisten betrieblichen Kalkulationen noch keinen Eingang gefunden.« (BKU 1974: 33) Auch an anderer Stelle werden hinsichtlich der Frage »Lassen sich ökonomische und gesellschaftspolitische Ziele gleichrangig verfolgen, ohne daß das ganze System vor die Hunde geht?« ›Zweifel angemeldet‹ (MM 08/1974: 47). Sicher ist man sich hingegen, »daß es nicht allein aufgrund ökonomischer [Anreize, N.L.] geht. Wir werden das nicht einfach über neue Märkte lösen können. Es wird eine neue Dimension eingebracht in das, was wir unternehmerisches Verhalten nennen: die Dimension der Verantwortung. Wir haben dann ein neues Ziel-Vieleck. Das können wir optimieren. Dann wird zwar nicht der gleiche Geldüberschuß herauskommen, das nicht. Aber der Gesamtgewinn unter Einbezug des gesellschaftlichen Nutzens wird möglicherweise höher sein.« (MM 08/1974: 47)
Auch die Steigerung des langfristigen Gewinns wird vereinzelt in Aussicht gestellt – interessanterweise ausgehend von ›Standardisierungen und Normierungen‹ und nicht, wie heute, der Beharrung auf dem freien Wettbewerb: »Standardisierungen und Normierungen sind gerade im ethischen Bereich des Umweltschutzes unerläßlich. Allerdings bedürfen sie auch der öffentlichen Anerkennung und Belohnung durch das kritische Verhalten der Konsumenten, der Kunden und der Mitarbeiter, vor allem aber auch des Staates. Von der ethischen Nachfrage hängt es wesentlich ab, wie sich Unternehmen konkret verhalten. Viele werben inzwischen damit, daß ihre Produkte besonders gesund, umweltschonend produziert und konsumierbar seien. Hier kann sich ein anfängliches Verlustgeschäft später als ein Gewinn darstellen.« (Ockenfels (BKU): 1993: 19)
Zum anderen werden zuweilen Reputationseffekte (»Versicherung«) sowie Potenziale für Kostensenkungen und Effizienzsteigerungen (»Wettbewerbsfaktor«) im
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Zusammenhang mit unternehmerischer Umweltverantwortung genannt (z.B. Zempelin 1974: 109). Maßnahmen des Umweltschutzes würden, so die Ansicht einiger Unternehmer, zwar zunächst die »Gewinnerwartungen reduzieren«, könnten sich aber, wenn auch »erst langfristig[,] positiv auf das Image seines Unternehmens auswirken« (Fertsch-Röver 1974: 96). Dass diese instrumentellen Überlegungen dabei eingebettet sind in relationale Rechtfertigungen (hier »Akzeptanz«) zeigt die Fortsetzung des Zitats: »Dies setzt voraus, daß diese Entscheidung und ihre Folgen publiziert werden, die Öffentlichkeit positiv reagiert und so ein stiller Zwang auf die breite Unternehmerschaft ausgeübt wird, einen Beitrag zum Konsens Wirtschaft-Gesellschaft zu leisten.« (Fertsch-Röver 1974: 96)
Auch wird instrumentellen Motiven in dieser Phase ein gewisses Maß an Ablehnung entgegengebracht: »Unternehmensethik darf nicht der ideologischen Rechtfertigung partikulärer Interessen dienen und für die eigene Gewinnerwartung instrumentalisiert werden. Die nur den eigenen Erfolg berechnende Moral bleibt im Utilitarismus stecken und ist nicht glaubwürdig.« (Ockenfels (BKU) 1993: 18)
Ähnliche Sichtweisen zeigen sich auch in den Texten anderer Unternehmer, die entweder die ›Verwerflichkeit‹ instrumenteller Motive feststellen oder sie als inexistent wahrnehmen: »[…] [A]us der Befriedigung notwendigen gesellschaftlichen Bedarfs ein Geschäft zu machen, daraus Profit zu erzielen, gilt als über alle Maßen unfein, wenn nicht sittenwidrig.« (Fritz 1976: 89) »Es gibt keine Belohnung nicht-ökonomischer Entscheidungen. […] Der soziale Aspekt der Marktwirtschaft bleibt insoweit für das einzelne Unternehmen bloße Absichtserklärung, eine Angelegenheit der persönlichen Moral.« (Rüßmann 1975: 19)
Auch andere Elemente des heute vorherrschenden »Business Case for CSR« scheinen offensichtlich noch nicht zu existieren. Horst Albach stellt beispielsweise eine, mit Blick auf die heutige Verknüpfung von Verantwortung und Risikomanagement, durchaus zutreffende Zukunftsprognose: »Schließlich muß damit gerechnet werden, daß neue Aufgaben für die Unternehmen entstehen und zu neuen organisatorischen Lösungen führen. Ich halte es für wahrscheinlich, daß in den Sparten und der Unternehmensspitze Risiko-Manager mit Querschnittsaufgaben einge-
190 | I NSTRUMENTALISIERTE V ERANTWORTUNG? setzt werden. Heute gibt es in keinem deutschen Unternehmen ein Querschnittsressort ›Risikopolitik‹.« (Albach 01/1975: 20)
Gesellschaftliche und ökonomische Ziele werden dabei insgesamt in ein grundlegend anderes Verhältnis gesetzt, als dies heute der Fall ist. Zum einen werden sie nicht miteinander verschmolzen, sondern vielmehr geht es darum, »neben ökonomischen Zielen auch gesellschaftliche Ziele« zu verfolgen (Dierkes MM 01/1975: 17, eigene Hervorhebung, N.L.) und damit den Zielkatalog des Unternehmens zu erweitern. Weniger als um eine Umformung gesellschaftlicher Ziele in ökonomische Rationale geht es darum, auch »Zielentscheidungen nichtökonomischer, etwa sittlicher, Art zu fordern«, womit diese klar als »außerökonomische Ziele« formuliert sind (MM 09/1986: 218, eigene Hervorhebung, N.L.). Ökonomische Ziele werden dabei zuweilen sogar explizit von der Wahrnehmung gesellschaftlicher Verantwortung abgegrenzt, wie der folgende Auszug eines im »Manager Magazin« abgedruckten Gesprächs zwischen Unternehmern zeigt: »Kieffer: ›[…] Das ist aber im Grunde ökonomisch, auch im Interesse des Unternehmens gehandelt.‹ Ache: ›Sie wollen damit sagen, dazu brauchten Sie gar keine besondere Verantwortung zu zeigen, das ist auch ökonomisch vernünftig?‹ Kieffer: ›Richtig.‹« (MM 8/1974: 48)
Zum anderen werden, ebenfalls im Gegensatz zum heute verbreiteten »Win-win«Motiv, ökonomische und gesellschafts- bzw. umweltpolitische Ziele als im Konflikt miteinander stehend betrachtet, etwa wenn von einem »Spannungsverhältnis zwischen Gewinnstreben und ethischem Verhalten« oder vom »schmerzlichen Konflikt zwischen Gewinnstreben und Gewissen« die Rede ist (MM 09/1986: 210). An anderer Stelle fragt man, die heutige »Win-win«-Logik anscheinend ebenfalls noch nicht verinnerlicht habend: »Wie kann der Zielkonflikt zwischen Effizienz und Moralität besser gelöst werden?« (MM 10/1987: 380, eigene Hervorhebung, N.L.) Zusammenfassend können wir feststellen, dass von wirtschaftlichen Akteuren in den 1970er- und 1980er-Jahren ein Begriff der Verantwortung geprägt wird, der sich kaum und zuweilen ablehnend auf instrumentelle Motive beruft und stark durch das persönliche Engagement sowie den christlichen Glauben der im Wirtschaftsleben tätigen Personen geprägt ist. Unternehmer folgen dabei zum einen relationalen Motiven – hier entspringt die Verantwortung einer übergeordneten Haltung ›angreifender Verteidigung‹ – und sehen sich zum anderen moralisch zur Wahrnehmung gesellschaftspolitischer Aufgaben ebenso motiviert wie verpflichtet. Dabei scheint die »gesellschaftliche Verantwortung« des Unternehmens bzw. Unternehmers insgesamt auf breite Akzeptanz zu stoßen. Beschrieben wird diese als Verantwortung in sozialer Dimension – gegenüber den Mitarbeiterinnen sowie ›der Gesellschaft‹ – und in ökologischer Dimension, d.h. gegenüber der natürlichen Umwelt. Zeigt sich mitunter eine Ablehnung staatlicher Regulierung, so ist die sich
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daraus ableitende Freiheit des Unternehmers keinesfalls eine ›schrankenlose‹, sondern eine durch das sittliche Verhalten des Unternehmers begrenzte und durch ihre Sozialgebundenheit jeweils zu rechtfertigende Freiheit. 4.2.2 Staatliche Akteure: von der Umwelt- zur Nachhaltigkeitspolitik Im Folgenden soll die Rolle der deutschen Politik in Bezug auf die Entwicklung unternehmerischer Verantwortung betrachtet werden. Auch staatliche Akteure zeigen in dieser ersten Phase des Diskurses eine andere Form der Diskursbeteiligung, als dies heute der Fall ist. Maßnahmen und Initiativen, die sich explizit mit dem Begriff der unternehmerischen Verantwortung auseinandersetzen – wie etwa die in der zweiten Phase des Diskurses veröffentlichten Handlungsempfehlungen und Stellungnahmen, Kommissionen und Foren sowie Konferenz- und WorkshopVeranstaltungen –, werden in dieser ersten Phase des Diskurses weniger initiiert. Vielmehr versteht sich die Politik zunächst in einer aktiv steuernden Rolle. Ist in den 1970er- und 1980er-Jahren eine Auseinandersetzung mit Fragen der Humanisierung der Arbeit wahrnehmbar (z.B. BR 1979),39 so zeigt sich analog zur Auseinandersetzung aufseiten wirtschaftlicher und, wie wir im Folgenden sehen werden, zivilgesellschaftlicher Akteure, mit Beginn der 1970er-Jahre aufseiten staatlicher Akteure vor allem eine Beschäftigung mit Umweltfragen. Von diesem Thema ausgehend werden zunächst noch vereinzelt Bezüge zu einer »ökologischen« oder auch »Umweltverantwortung« der Unternehmen hergestellt und etwa unternehmerisches Engagement im Umweltschutz gefordert sowie Überlegungen zu einer Verbreitung umweltverantwortlichen Wirtschaftens angestellt. Zeigt sich der Verantwortungsbegriff zunächst noch in vornehmlich moralischen Motiven fundiert, so werden im Zusammenhang mit dem Begriff der Nachhaltigkeit sowie der Idee der ökologischen Modernisierung Überlegungen zu marktlichen Anreizen und damit instrumentellen Motiven angestellt, was zum einen Antwort auf Befürchtungen hinsichtlich wettbewerblicher Verzerrungen durch (umwelt-)politische Eingriffe und zum anderen Antwort auf vermehrt wahrgenommene umweltrechtliche Regelungsdefizite ist.
39 Das im Jahr 1974 initiierte Humanisierungsprogramm der Bundesregierung wird trotz des finanziellen Umfangs von 410 Millionen Mark allgemein als gescheitert betrachtet (dazu MM 3/1980, MM 8/1980). Bundesforschungsminister Dr. Volker Hauff muss später vor dem Bundestag zum Scheitern des Programms Stellung beziehen.
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4.2.2.1 Die 1970er-Jahre: Bürgerrecht auf eine ›menschenwürdige‹ Umwelt Nicht zuletzt als Reaktion auf die sich immer deutlicher manifestierende »›Ökologisierung‹ der Weltbetrachtung und Leitbilder« in breiten Schichten der Bevölkerung (Dierkes/Fietkau 1988: 154) verabschiedete die Bundesregierung im Jahr 1971 ein erstes Umweltprogramm (BR 1972).40 Bereits in ihrer Regierungserklärung im Oktober 1969 hatte die Bundesregierung unter Willy Brandt den Umweltschutz als einen Schwerpunkt ihrer Arbeit hervorgehoben und im Jahr 1970 einen Kabinettsausschuss zum Thema gebildet (BR 1972: 34). Zudem wurde im Jahr 1971 der »Sachverständigenrat für Umweltfragen« (SRU) einberufen, der sich im Jahr darauf konstituierte. Der bis heute bestehende SRU sollte Anstoß für die Etablierung einer Umweltpolitik geben und zu aktuellen Themen der Ökologie und des Klimas beratend tätig sein. Neben ersten Schritten in Richtung einer Umweltgesetzgebung, etwa mit dem Abfallbeseitigungsgesetz von 1972 oder dem Bundesemmissionsschutzgesetz von 1974, sowie der Gründung des Umweltbundesamtes in Berlin, sind dies Anzeichen einer sich etablierenden Umweltpolitik bzw. einer Anerkennung der Bedeutung des Umweltthemas auch auf staatlicher Ebene. Bereits im ersten Umweltprogramm der Bundesregierung aus dem Jahr 1971 wird ein Bezug zwischen wirtschaftlichem Handeln und der Umwelt hergestellt (BR 1972: 30, 35, 48-51; 76-77). Im Umweltprogramm heißt es dazu einleitend: »Die Bedrohung der Umwelt ist ein Grundproblem unserer Industriekultur. Sie zeigt, der Mensch stößt an seine Grenzen. Wie in der Parabel vom Zauberlehrling werden wir nach Meinung vieler mit den Geistern des Fortschritts und der Technik, die wir riefen, nicht mehr fertig.« (Genscher, in BR 1972: 8)41
Dabei wird zum einen betont, dass wirtschaftliches Handeln verantwortlich für die Verursachung von Umweltproblemen sei, dabei aber auch anerkannt, dass die Wirtschaft sich in steigendem Maße mit Fragen des Umweltschutzes befasse (BR 1972: 49). Zum anderen wird aus der Wahrnehmung ökologischer Probleme der Umweltschutz als staatliche Aufgabe angenommen und in den Folgejahren an der Ausge40 Das Umweltprogramm aus dem Jahr 1971 wurde in einer Taschenbuchausgabe im Jahr 1972 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Diese Ausgabe wird hier zitiert. Es heißt dort im Vorwort: »Eine ungewöhnlich hohe Nachfrage aus allen Kreisen der Bevölkerung machte die Veröffentlichung erforderlich – ein Beweis für das wachsende Umweltbewußtsein in der Öffentlichkeit.« (BR 1972, Vorwort) 41 Der Umweltschutz war zunächst noch im Bundesministerium des Inneren verankert und so nahm sich vor allem der damalige Innenminister Genscher des Themas an. Er stellte dem Umweltprogramm ein ausführliches Vorwort voran, in dem er die wesentlichen Aspekte des Programms hervorhebt.
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staltung einer Umweltpolitik gearbeitet. Aufgabe des Staates sei es, insbesondere mit Blick auf die Durchsetzung umweltfreundlichen Wirtschaftens, zu verdeutlichen, »welches Maß an Umweltschutz er für notwendig hält« (BR 1972: 49). Motiviert wird die Notwendigkeit einer Auseinandersetzung mit Fragen des Umweltschutzes aus dem Anrecht der Bürgerinnen und Bürger auf eine unversehrte Umwelt (»Anspruch Dritter«). Im Umweltprogramm wird das Recht der Bürgerinnen auf eine »menschenwürdige Umwelt« als wesentlicher Impuls genannt (BR 1972: 42). »Maßstab jeder Umweltpolitik« müsse der »Schutz der Würde des Menschen« sein, die durch eine Gefährdung der Gesundheit und des Wohlbefindens regelmäßig bedroht sei (BR 1972: 42). Umweltschutz sei ein »Bürgerrecht«, womit die Konzeption einer Umweltpolitik »aus humanitärer und zivilisatorischer Verpflichtung, aus dem Recht auf eine menschenwürdige Umwelt erwachse[] und die Naturgrundlagen unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung [zu] stellen [seien]« (Genscher, in BR 1972: 11, 9, eigene Hervorhebung, N.L.) (»moralische Verpflichtung«). Zu einem »menschenwürdigen Dasein« gehöre aus ökologischer Perspektive, »[…] daß der Mensch frei atmen kann, ohne befürchten zu müssen, mit jedem Atemzug schädliche Stoffe aufzunehmen. Zum menschenwürdigen Dasein gehört, daß der Mensch Wasser trinken kann, daß er sich mit sauberem Wasser waschen kann. Es gibt ein Recht auf Schlaf, nicht gestört durch Motoren und Maschinen. Auch ein Leben in Wüsten aus Stein und Stahl, zwischen wachsenden Müllbergen, ist des Menschen nicht würdig.« (Genscher, in BR 1972: 2)
Ausgehend von diesem ›Bürgerrecht‹ erhebt die Bundesregierung das Thema des Umweltschutzes – so zumindest heißt es im Umweltprogramm – zu einer Aufgabe gleichen Ranges mit anderen öffentlichen Aufgaben wie der Bildungspolitik oder der inneren und äußeren Sicherheit des Landes. In der Politik, in der Wirtschaft sowie im Konsumverhalten der Bürgerinnen müsse »Umweltfreundlichkeit […] zu[m] selbstverständlichen Maßstab« des täglichen Handelns werden, »Gesichtspunkte des Umweltschutzes und der Umweltgestaltung müss[t]en […] künftig in allen Entscheidungsprozessen der öffentlichen Hand und der Wirtschaft in gleicher Weise berücksichtigt werden wie etwa Fragen der Wirtschafts- und Sozialpolitik« (Genscher in BR 1972: 9-10; BR 1972: 33). Im Rahmen des vom Umweltprogramm hervorgehobenen »Verursacherprinzips«, welches im Umweltprogramm erstmals eingeführt und auch in den Folgejahren als zentrale Säule der Umweltpolitik vertreten wird (BR 1972: 29, 41), rücken auch die Unternehmen – in ihrer Rolle als Produzenten – in den Fokus der Umweltpolitik (BR 1972: 47). Um die Umweltpolitik, auch mit Blick auf die Unternehmen, umzusetzen, wird in dieser Phase eine zweigleisige Strategie verfolgt. Zum einen werden in den 1970er-Jahren eine Reihe gesetzlicher Ver- und Gebote verabschie-
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det (BR 1972: 34-35), wie etwa das Abfall- oder Emissionsgesetz, und damit eine aktive Rolle des Staates vorgesehen. Zum anderen werden erste Überlegungen zu marktbasierten Regelungen unternommen sowie, wenn auch nur vereinzelt, auf die wettbewerbliche Bedeutung des Umweltschutzes verwiesen (»Wettbewerbsfaktor«): »Der verstärkte Übergang auf umweltfreundliche Verfahren und Erzeugnisse kann zur Rationalisierung der Herstellung und damit Verbesserung der Wettbewerbsposition führen. Gleichzeitig entstehen aus dieser Entwicklung neue Märkte, Beschäftigungsmöglichkeiten und damit auch gesamtwirtschaftliche Vorteile.« (BR 1972: 50)
Für den betrieblichen Umweltschutz wird dabei, die gesetzlichen Regelungen ergänzend, eine innovationsorientierte Politik angedacht, die weder den technischen Fortschritt noch das wirtschaftliche Wachstum ›beeinträchtigen‹ solle (BR 1972: 30, 70, dazu auch SRU 2002: 75). Mit der nicht weiter präzisierten Annahme, »daß allein die Marktwirtschaft in der Lage […] [sei], die Probleme des Umweltschutzes zu lösen, ohne daß andere wichtige Fragen unseres gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens vernachlässigt« würden (BR 1972: 13-14, 49), scheint somit bereits an dieser Stelle der Weg für eine ›ökologische Modernisierung‹ geebnet zu werden, wie sie später vor allem im Nachhaltigkeitsdiskurs große Bedeutung erlangen wird. Dabei wird jedoch zugleich betont, dass Wettbewerbsüberlegungen »nicht zu Lasten der strengeren Umweltstandards eines Landes gehen« dürften und eine ausschließlich wettbewerbliche Lösung ausgeschlossen (Genscher in BR 1972: 17). Insgesamt heißt es: Weder fortschreitende Technik und Industrialisierung noch wirtschaftliches Wachstum dürften »Selbstzweck« sein: »Mit der Steigerungsrate des Bruttosozialprodukts ist die Zerstörung unserer natürlichen Umwelt nicht zu rechtfertigen« (Genscher in BR 1972: 14-15). Qualitative Aspekte wie die »Qualität der Lebensbedingungen« müssten den quantitativen Aspekten wie dem Wirtschaftswachstum jeweils vorgehen (BR 1972: 54). Diese zweigleisige Strategie sowohl rechtlicher als auch marktbasierter Modelle der Umweltpolitik wird auch in den Folgejahren weiter diskutiert (SRU 1974, 1978, 1979). Marktbasierte Regelungen ergeben sich dabei zum einen aus Überlegungen der wirtschaftlichen Tragbarkeit umweltpolitischer Maßnahmen sowie Befürchtungen von Wettbewerbsnachteilen im Zuge einer uneinheitlich geregelten internationalen Umweltpolitik und werden zum anderen als Folge zunehmend festgestellter »Vollzugsdefizite« bei der Umsetzung von Umweltgesetzen ins Spiel gebracht (SRU 1978: 36-39). So wird etwa betont, dass eine Berücksichtigung der wirtschaftlichen Kosten des Umweltschutzes zukünftig durch »eine Analyse und Berücksichtigung der positiven ökonomischen Effekte des Umweltschutzes ergänzt werden« solle (SRU 1978: 40). Hoffnungen bestehen diesbezüglich etwa mit Blick auf »positive Beschäftigungswirkungen« (SRU 1978: 41). Insgesamt werden die 1970er-Jahre durch Diskussionen um eine »Instrumentenmischung« aus marktba-
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sierten und gesetzlichen Regelungen als die geeignete »umweltpolitische Gesamtstrategie« bestimmt (SRU 1974). Auch wird weiterhin betont, dass eine Berücksichtigung wirtschaftlicher Aspekte nicht bedeuten dürfe, »daß ökologisch erforderliche Anpassungsprozesse bei Haushalten, Unternehmen und öffentlicher Hand aus einer falsch verstandenen Rücksichtnahme auf traditionelle ökonomische Ziele« unterblieben (SRU 1978: 10-11) und damit am Primat des Umweltschutzes festgehalten. 4.2.2.2 Die 1980er-Jahre: Von der Umweltverantwortung zum Begriff der Nachhaltigkeit Auch in den Folgejahren wird die große Bedeutung des Umweltschutzes innerhalb der Politik immer wieder deutlich und wird noch einmal unterstrichen durch den Einzug von »Bündnis 90 DIE GRÜNEN« in den Bundestag im Jahr 1983. Die aus der »grünen Bewegung« hervorgegangene Partei bringt das Thema auf die politische Tagesordnung und stellt nicht zuletzt auch immer wieder einen engen Zusammenhang zwischen Wirtschaft und Umweltverschmutzung sowie Ressourcenverbrauch her (Spretnak/Capra 1986). Wenig später wird, u.a. als Reaktion auf die Katastrophe in Tschernobyl, das Thema Umweltschutz mit der Gründung des »Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit« (heute »Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit«, BMU) auch institutionell verankert. Das BMU wird im Jahr 1986 durch einen Zusammenschluss zuvor auf andere Ministerien verteilter Geschäftsbereiche gegründet. Ab Mitte der 1980er-Jahre wird die Umweltdebatte in Deutschland um den Begriff der Nachhaltigkeit erweitert. War die »Vorsorge für künftige Generationen« im Umweltprogramm von 1971 bereits implizit angelegt (z.B. BR 1972: 32, 44),42 so wird insbesondere durch das Konzept der Nachhaltigkeit ein Begriff der Zukunftsverantwortung nun auch explizit in den Vordergrund gestellt. Wesentlich auch für die deutsche Umweltpolitik ist hierbei der sogenannte »Brundtland Report«, der ein Jahr nach seinem Erscheinen auch in deutscher Sprache herausgegeben wird (Hauff 1987). Nachhaltigkeit wird darin definiert, als »dauerhafte Entwicklung […], die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können« (Hauff 1987: 46). Gegenüber weiten Teilen der Umweltdebatte, nimmt der Begriff des »sustainable development«, damals noch als »dauerhafte Entwicklung« übersetzt, eine explizit langfristige Perspektive ein und legt dabei einen Schwerpunkt 42 Immer wieder wird auf eine Verpflichtung gegenüber zukünftigen Generationen hingewiesen. Es heißt z.B.: »Der Raum und die Naturgrundlagen (Wasser, Luft, Grundstoffe, Boden) dürfen nur so weit in Anspruch genommen werden, daß auch kommende Generationen den größtmöglichen Nutzen haben werden.« (BR 1972: 44)
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auf die Entwicklung, die synonym mit den Begriffen »dauerhafter Fortschritt« und »dauerhaftes Wachstum« verwendet wird und damit den Umweltschutz nicht nur in die Zukunft ausweitet, sondern den bisherigen Schwerpunkt auf die Ökologie auch um weitere Dimensionen ergänzt (Hauff 1987; dazu auch Brand/Jochum 2000: 2223). Diese Vermengung von ökologischer Zukunftsverantwortung mit Begriffen wie ›Fortschritt‹ und ›Wachstum‹ sowie der Fokus auf die Befriedigung von Bedürfnissen sind kennzeichnend für die Ambiguität und Interpretationsoffenheit des Begriffs der Nachhaltigkeit und wegweisend für seine Auslegung im weiteren Diskursverlauf. Über die Begriffe der inter- und intragenerativen Gerechtigkeit, die ebenfalls wesentlich für den im Brundtland-Bericht vorgeschlagenen Nachhaltigkeitsbegriff sind, wird nun auch auf eine soziale Dimension der Nachhaltigkeit verwiesen und damit der staatliche Diskurs erweitert. Mit dem Begriff der intragenerativen Gerechtigkeit stellt der Bericht vor allem auf eine Verminderung der weltweiten Ungleichheit ab; intergenerative Gerechtigkeit verweist auf die Verantwortung gegenüber zukünftigen Generationen. Dauerhafte Entwicklung bedeutet somit »die Verantwortung für soziale Gerechtigkeit zwischen den Generationen, die sich logischerweise auch bezieht auf die Gerechtigkeit innerhalb jeder Generation« (Hauff 1987: 46). Neben der Einführung einer sozialen Dimension schwingt dabei – wie mit den Begriffen »dauerhaftes Wachstum« und »dauerhafter Fortschritt« schon angedeutet – auch eine ökonomische Dimension mit, ohne explizit in den Vordergrund gehoben zu werden. Diese zumindest implizite Verknüpfung von Ökologie und Ökonomie wird getragen von der sich ab Mitte der 1980er-Jahren entwickelnden Strategie der ›ökologischen Modernisierung‹, die auf eine innovationsorientierte Integration von Ökologie und Ökonomie abzielt (Jänicke 1984; Simonis 1985; SRU 2002: 7475). Ausgehend von dieser Diskussion wird in diesen Jahren beispielsweise vonseiten des Sachverständigenrats für Umweltfragen vermehrt über ökonomische Anreize nachgedacht. Auszugehen scheinen diese Überlegungen außerdem von sich abzeichnenden Schwierigkeiten rechtlicher Regelungsmöglichkeiten des Umweltschutzes: »Die gesellschaftliche Verantwortung der Industrie erstreckt sich heute auch auf die ökologischen Folgen ihres Handelns. […] Umweltgerechtes Verhalten von Industrieunternehmen läßt sich nur in Teilbereichen auf (straf-)rechtlichem Wege erzwingen. Die Entwicklung umweltgerechter Technologien und umweltfreundlicher Produkte und deren Implementation ist wahrscheinlich – sieht man von strafrechtlich relevanten Grenzfällen ab – eher eine Funktion ökonomischer Anreize und der Einschätzung der Konsumentennachfrage nach umweltgerechten Produkten.« (Dierkes/Fietkau 1988: 146)
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Über Instrumente wie die Umweltberichterstattung könnten, so die Argumentation, Unternehmen eine »Vorreiterposition« einnehmen und nicht zuletzt Transparenz und Wettbewerb in Bezug auf ihre »gesellschaftliche[] Verantwortung, […] [die] sich heute auch auf die ökologischen Folgen ihres Handelns« erstrecke, schaffen (Dierkes/Fietkau 1988: 146-147). Mit diesen Überlegungen ist der Wettbewerb als Disziplinarkraft in den Diskurs eingebracht. 4.2.2.3 Die frühen 1990er-Jahre: Hin zu einer Ökonomisierung der Nachhaltigkeit? Die auch in den Folgejahren fortdauernde Bedeutung des Umweltschutzes sowie die dabei relevanten Themen lassen sich nicht zuletzt an der Einrichtung entsprechender Enquete-Kommissionen ablesen, die sich über die Jahre u.a. mit der »zukünftige[n] Kernenergiepolitik« (1976-1980 und 1983-1987) den »Chancen und Risiken der Gentechnologie« (1983-1987) sowie der »Einschätzung und Bewertung von Technikfolgen« (1983-1987 und 1987-1990) beschäftigten (Heyer/Liesing 2004: 25-33) und mit diesen Themen nicht zuletzt auch einen deutlichen Bezug zur Wirtschaft herstellen.43 Von besonders hoher, auch öffentlicher Bedeutung ist dabei die auf Initiative der SPD eingesetzte Enquete-Kommission zum »Schutz des Menschen und der Umwelt« (1990-1994 und 1994-1998, im Weiteren als EK SMU zitiert), die in den Jahren ihres Bestehens mehrere einflussreiche Zwischen- und Abschlussberichte vorlegt.44 Gerade diese Enquete-Kommission zeigt exemplarisch die Erweiterung der Umweltverantwortung um den Begriff der Nachhaltigkeit auf, für die mit dem Brundtland-Bericht im Jahre 1986 der Grundstein gelegt wurde und die im Rahmen der Kommission fortgeführt und ausgebaut wird. Nach der Initiierung durch den Brundtland-Bericht geht das Erstarken der Auseinandersetzungen um den Begriff der »Nachhaltigkeit« in Deutschland nicht zuletzt auf die RioKonferenz von 1992 zurück, die das Konzept der »nachhaltigen Entwicklung« weiter ausformuliert und in der Agenda 21 verankert. Mit dem ersten Abschlussbericht der Kommission wird der zuvor formulierte Fokus auf die Umweltverantwortung im weitaus breiteren und offeneren Begriff der Nachhaltigkeit aufgelöst, wie die weiteren wesentlichen Veröffentlichungen sowohl des BMU, des Umweltbundesamtes, des SRU und auch der Enquete-Kommission »Schutz des Menschen und der Umwelt« belegen, die sich von nun an im Wesentli43 Es folgt in späteren Jahren die Enquete-Kommission »Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements« (1998-2002). 44 Mit vollem Namen heißt die Kommission: »Schutz des Menschen und der Umwelt – Bewertungskriterien und Perspektiven für umweltverträgliche Stoffkreisläufe in der Industriegesellschaft«. Die darauffolgende Kommission zum »Schutz des Menschen und der Umwelt« trägt den Nachsatz im Titel »Ziele und Rahmenbedingungen einer nachhaltig zukunftsverträglichen Entwicklung«.
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chen nicht mehr auf den Begriff des Umweltschutzes, sondern auf den Begriff der Nachhaltigkeit beziehen (BMU 1998; SRU 1994, 2000, 2002; EK SMU 1994, 1998). Der erste Abschlussbericht der Enquete-Kommission »Schutz des Menschen und der Umwelt« ist für den Diskurs unternehmerischer Verantwortung außerdem insofern relevant, als er sich explizit mit den ökologischen Auswirkungen der Chemieindustrie beschäftigt und sich damit vor allem auf die Rolle der Unternehmen konzentriert und dabei nicht nur ihre Rolle als Problemverursacher in den Vordergrund stellt, sondern erstmals auch explizit deren Rolle in der Lösung ökologischer Probleme in den Blick nimmt. Beispielsweise werden in dem ersten Zwischenbericht der Enquete-Kommission drei »Managementregeln« vorgestellt, die das Leitbild der »nachhaltig zukunftsverträglichen Entwicklung (sustainable development)« erstmals zu operationalisieren versuchen. Die Managementregeln lauten: »1. Die Abbaurate erneuerbarer Ressourcen darf ihre Regenerationsrate nicht überschreiten. 2. Nicht-erneuerbare Ressourcen dürfen nur in dem Umfang verwendet werden, in dem ein physisch gleichwertiger Ersatz in Form erneuerbarer Ressourcen oder höherer Produktivität erneuerbarer Ressourcen geschaffen wird. 3. Stoffeinträge müssen sich an der Belastbarkeit (resilience, Assimilationskapazität) der Produktions- und Trägerfunktion der Natur orientieren.« (Held 1994: 212)
Deutlich wird hier, dass die ökologischen Bedingungen eine klare Grenze für unternehmerisches Handeln ziehen, was sich auch im Abschlussbericht der Kommission zeigt, in dem es heißt, die »Tragekapazität der natürlichen Umwelt« solle eine Grenze gesellschaftlicher Entwicklung vorgeben, die nicht zu überschreiten sei (z.B. SRU 1994: 9). Die Präsentation des Leitbilds nachhaltiger Entwicklung im Sinne des »DreiSäulen-Modells« stellt einen weiteren Versuch der Konkretisierung der Nachhaltigkeit für den unternehmerischen Umgang dar.45 Ökologische, soziale und ökonomische Ziele werden als »tragende Säulen des Leitbilds einer nachhaltig zukunftsverträglichen Entwicklung« explizit dargestellt und vage bleibende Versuche einer Operationalisierung vorgenommen (EK SMU 1994: 54-64, 480-501). Ausgehend von der Feststellung einer zunehmend bedrohten Umwelt und deren »Wechselwirkungen zu wirtschaftlichen und sozialen Krisenerscheinungen« müsse zukünftig ein Ausgleich zwischen Ökologie, Ökonomie und Sozialem geschaffen werden, »politisches wie wirtschaftliches Handeln [müssten] künftig alle drei Aspekte gleichermaßen ins Kalkül einbezieh[en]« (EK SMU 1994: 54). Insgesamt müsse die Soziale
45 Diese Dreiecksbeziehung geht auf Dierkes (1985) Begriff des »magischen Dreiecks« der Stabilitätspolitik zurück, der ebenfalls auf einen Ausgleich ökologischer, sozialer und wirtschaftlicher Ziele abstellt (EK SMU 1994: 54).
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Marktwirtschaft zu einer »ökologisch sozialen Marktwirtschaft« ausgebaut werden, so das Kredo der Kommission (EK SMU 1994: 54, 64). Wesentliches Konzept dieses Berichts und damit Empfehlung der EnqueteKommission an den Bundestag ist die Idee der »ökologischen Modernisierung« (EK SMU 1994: 9). Vor allem durch technische Innovationen und damit einhergehende Effizienzsteigerungen soll zum Erhalt natürlicher Ressourcen für zukünftige Generationen beigetragen werden (EK SMU 1994). Insgesamt zeigt sich die Kommission hinsichtlich der Chancen dieses Konzepts noch unentschlossen. So heißt es etwa: »Einerseits kann Umweltpolitik langfristig unmittelbar positive wirtschaftliche Wirkungen ausüben; die Internalisierung externer Kosten ist volkswirtschaftlich erstrebenswert. Zudem ist erfolgreicher Umweltschutz teilweise zu einem wichtigen Standortfaktor geworden. Er bietet Unternehmen, die rechtzeitig umweltschonende Technologien und Produkte entwickelt haben, neue Absatzchancen und verbessert die Akzeptanz von Standorten, während umweltbelastete Regionen von den Unternehmen mehr und mehr gemieden werden. Andererseits kann Umweltschutz ein Kostenfaktor sein und insoweit die internationale Konkurrenzfähigkeit von Unternehmen schwächen. […] Das Verhältnis von Ökonomie und Ökologie ist also von gegensätzlichen Aspekten geprägt.« (EK SMU 1994: 58)
An anderer Stelle werden erneut mögliche Vor- und Nachteile des wirtschaftlichen Umweltschutzes gegeneinandergestellt. Der »Notwendigkeit, eine gravierende Verzerrung internationaler Wettbewerbsprozesse« durch eine internationale Harmonisierung der Umweltpolitik zu verhindern, stünden hier Beispiele gegenüber, die zeigten, dass sich für deutsche Unternehmen »die in manchen Bereichen eingenommene Vorreiterrolle im Umweltschutz bezahlt gemacht« habe (EK SMU 1994: 59-60). Es wird langfristig von »first mover advantages im Umweltschutz« sowie von positiven Auswirkungen unternehmerischen Umweltschutzes auf die »Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen« ausgegangen (ebd.). Sowohl die Beförderung des Umweltschutzes als auch dessen Begrenzung werden unter dem Postulat des internationalen Wettbewerbs artikulierbar. Aufgrund der Unsicherheit hinsichtlich des Vorzeichens wirtschaftlicher Auswirkungen ökologischer Verantwortung bleiben auch die Überlegungen zu Instrumenten ihrer Verwirklichung noch vage und spalten nicht zuletzt auch die Kommission (dazu EK SMU 1994: 632-634). Ohne eine Entscheidung zu treffen, werden unterschiedliche Vorgehensweisen angedacht. Erstens wird auf bis dato vorherrschende »ordnungsrechtliche Instrumente« gesetzt, die auf rechtliche Regulierung sowie den Abbau von Vollzugsdefiziten zielen (EK SMU 1994: 638; 641-654). Ge- und Verbote zur Abwehr von Gefahren bilden die Grundlage dieses Instruments. Unter anderem wird ein Umwelthaftungsrecht zur Schadensvermeidung und damit eine Präventionsfunktion diskutiert (EK SMU 1994: 654-666). Ein »Schwerpunkt im Verantwortungsbereich des Staates« sei die
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»Setzung von Umwelt(qualitäts)zielen und von Rahmenbedingungen. […] Das Vertrauen auf individuelles, freiwilliges Engagement reicht nicht aus, die drängenden Probleme in diesem Bereich zu lösen« (EK SMU 1994: 634), womit – wie schon in den 1970er-Jahren – ausschließlich freiwillige Maßnahmen ausgeschlossen werden. Auch freiwillige Selbstverpflichtungen werden hier insbesondere als »Vereinbarungen zwischen einzelnen Unternehmen oder Branchen und dem Staat [als] interessant« befunden (EK SMU 1994: 680), jedoch insofern als problematisch betrachtet, als ein »Freifahrerverhalten einzelner branchenzugehöriger Unternehmen« zu erwarten sei und derlei Instrumente zudem auf eine mangelnde Akzeptanz bei Arbeitnehmer-, Umwelt- und Verbraucherverbänden stoße (EK SMU 1994: 680-681). Nachteilig seien zudem »Vollzugsdefizite« und die »Ineffizienz der Zielerreichung« dieser Instrumente zu bewerten (EK SMU 1994: 633). Zweitens werden »ökonomische Instrumente« vor allem zur Internalisierung externer Kosten vorgeschlagen, die darauf abzielen, ein »Eigeninteresse der Marktteilnehmer an einer ökologischen Ausrichtung von Produktion und Konsum« zu wecken (EK SMU 1994: 638). Vorgeschlagen werden hier z.B. Umweltabgaben wie etwa Öko-Steuern, Sonderabgaben, Gebühren und Beiträge sowie Lizenzen und Zertifikate (EK SMU 1994: 654-666). Eine Lösung orientiert sich dabei beispielsweise an einer Ausrichtung ökologischer Restriktionen an der wirtschaftlichen Vertretbarkeit und schlägt eine Kosten-Nutzen-Rechnung vor, in deren Sinne Eingriffe dann »wirtschaftlich vertretbar« seien, »wenn der ökonomische Nutzen einer ökologisch motivierten Restriktion die Kosten deutlich übersteigt« (EK SMU 1994: 58). Dieser Vorschlag der Enquete-Kommission entspricht insofern der Ratio des »Business Case for CSR«, als er davon ausgeht, dass Unternehmen nur dann ihre ökologische Verantwortung wahrzunehmen hätten, wenn daraus ein wirtschaftlicher Nutzen erwächst. Der Bericht lässt jedoch offen, ob sich dieser Nutzen auf das einzelne Unternehmen bezieht oder von volkswirtschaftlichem Nutzen die Rede ist. Zudem bleibt mit dem Begriff einer ›deutlichen‹ Übersteigung der Kosten durch den mit dem Umweltschutz verbundenen Nutzen der Handlungsrahmen der Unternehmen unbestimmt. Eine andere Alternative schlägt die Kalkulation von »Schattenpreisen« vor, d.h. eine monetäre Ermittlung der »Wohlfahrtsverluste, die sich aus einer marginalen Verschärfung der ökologischen Rahmenwerte ergeben«, – in funktionierenden Märkten würde der individuelle Nutzer so »in Form von Marktpreisen mit seiner wirtschaftlichen Verantwortung konfrontiert« (EK SMU 1994: 58, ähnlich 633634). Da Umweltressourcen als öffentliche Güter keine oder negativ verzerrte Preise erzielten und es so zu einer »›kollektiven Selbstschädigung‹ durch wirtschaftlich unverantwortliches Handeln – und damit Umweltzerstörung« komme, werden hier »übertragbare Umweltnutzungsrechte« wie Lizenzen oder Zertifikate als »Schattenpreise ökologischer Restriktionen« angedacht (EK SMU 1994: 59). Insgesamt sollen dadurch »die Kosten der Umweltnutzung in das einzelwirtschaftliche Kalkül
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mit einbezogen werden« (EK SMU 1994: 639). Deutlich wird hier, dass im Rahmen der ökologischen Modernisierung zwar marktbasierte Regelungen wichtiger werden, jedoch vor allem auf eine Internalisierung externer Kosten abzielen und damit zwar an das Eigeninteresse der Unternehmen appellieren, vor allem aber auf die Vermeidung von Kosten setzen und weniger auf aus dem Umweltschutz entstehende finanzielle Gewinne abstellen. Insgesamt werden alle diese Instrumente lediglich vorgestellt und hinsichtlich ihrer Vor- und Nachteile kritisch reflektiert, eine abschließende Empfehlung spricht die Kommission nicht aus und lässt damit die Frage des Instrumentariums – wie auch in den vorhergehenden Jahren – weiterhin offen (EK SMU 1994: 694-695). Die zweite Kommission zum »Schutz des Menschen und der Umwelt« wird dann auch mit dem Ziel eingesetzt, »entsprechende ökonomische, ökologische und soziale Rahmenbedingungen zu erarbeiten, sowie deren Umsetzungsmöglichkeiten im nationalen und internationalen Raum zu überprüfen« (BT 1994: 1). Stärker als aufseiten wirtschaftlicher Akteure werden hier marktliche Anreize als Ergänzung zu weiterhin präferierten staatlichen Lösungen ins Spiel gebracht. Anders als in den späteren Phasen zielen sie in dieser Phase weniger auf einen finanziellen Gewinn, denn auf die Vermeidung von Kosten ab. 4.2.3 Zivilgesellschaftliche Akteure: staatlich regulierte Unternehmensverantwortung in ökologischer und sozialer Dimension Analog zur wirtschaftlichen und staatlichen Diskursbeteiligung setzen sich auch zivilgesellschaftliche Akteure in dieser ersten Phase mit Fragen des Umweltschutzes sowie – aufseiten der Gewerkschaften – der Humanisierung der Arbeit auseinander. Während sich heute die Forderungen von Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften sowohl an den Staat als auch an die Unternehmen selbst richten, werden in den 1970er- und 1980er-Jahren von Gewerkschaften kaum und von NGOs keinerlei explizite Forderungen hinsichtlich einer »gesellschaftlichen Verantwortung« an die Unternehmen adressiert. Vielmehr werden Forderungen an den Staat gestellt, die als drängend empfundenen Problemlagen dieser Zeit mithilfe von Gesetzen und Verordnungen zu regeln. Weder ›dem Markt‹ noch der unternehmerischen Moral wird hinsichtlich der Lösung dieser Probleme von zivilgesellschaftlicher Seite Vertrauen entgegengebracht. Es entspinnt sich ein Diskurs, der sich in skeptischer bis kritischer Weise an aktuellen industriellen Entwicklungen und deren Folgen reibt und dabei immer wieder auch auf die Verantwortung der Unternehmen verweist. Dabei ziehen Gewerkschaften und zivilgesellschaftliche Bürgerinitiativen und die neuen sozialen Bewegungen zwar immer wieder auch an einem Strang – sei es im Rahmen von gemeinsam un-
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terstützen Demonstrationen oder von ähnlichen Forderungen, wie der nach einem »qualitativen Wachstum« (Binswanger (BUND) 1981; DGB 1985) –, tragen aber ebenso auch Konflikte und Stellungskriege aus. Die Gewerkschaften sehen sich etwa durch die in den 1970er-Jahren aufkommenden Bürgerinitiativen bedroht und kritisieren die Beförderung jeweils nur partikularer (Umwelt-)Interessen (so z.B. Radke, IG Metall 1972: 563-564). Trotz Uneinigkeiten wird sowohl innerhalb der Umweltbewegung als auch in den Forderungen der Gewerkschaften der Fokus auf ein ebenso relational wie moralisch motiviertes Konzept unternehmerischer Verantwortung deutlich, welches einerseits auf staatliche Regulierungen, Kontrollen und Sanktionen für die Verhinderung unverantwortlichen Unternehmenshandelns sowie die Durchsetzung verantwortlichen Handelns setzt und andererseits Forderungen aus dem Anrecht aktueller wie zukünftiger Generationen auf eine unversehrte Umwelt, menschengerechte Arbeitsbedingungen sowie Teilhabe an Entscheidungen in Wirtschaft und Politik motiviert. 4.2.3.1 Umweltbewegung: Kritik an Umweltpolitik und industrieller Umweltverschmutzung In Fortführung der 1968er-Bewegung formiert sich, ausgehend von zunächst lokalen Bürgerinitiativen und -vereinen sowie studentischen Bewegungen, eine breite überregionale »grüne Bewegung« in Deutschland (Mez 1987: 263; Papadakis 1984: 8-13; Spretnak et al. 1986: 5-27).46 Den Mitgliedern dieser Bewegung geht es in »dialektischer Verschränkung von Selbst- und Gesellschaftsveränderung« in erster Linie darum, einen Wandel von aktuellen wirtschaftlichen und politischen Entwicklungslinien hin zu einer dezentralisierten und ökologisch verträglichen Lebens- und Wirtschaftsweise zu erreichen (Brand 1987: 31, ähnlich Papadakis 1984: 8-9). Die Aktivität und Intensität dieser Bewegung, aber auch ihr Organisationsgrad, werden durch die Gründungen von umweltorientierten Vereinen und Initiativen deutlich, die sich im Laufe der 1970er- und 1980er-Jahre konstituierten, sowie durch die zahlreichen ›grünen‹ und ›alternativen Listen‹ auf kommunaler und Landesebene (Mez 1987: 263, 269-275). Eine Reihe bis heute aktiver Umweltorganisationen werden in dieser Zeit gegründet, z.B. der »Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland« (BUND) (1975), »Greenpeace Deutschland« (1980) und »Robin 46 Die »Ökologiebewegung« bzw. »grüne Bewegung« war Teil der sogenannten »neuen sozialen Bewegungen« (z.B. die Frauenbewegung, Studentenbewegung, Neue Linke), welche sich von den ›alten‹ Bewegungen wie etwa der Arbeiterbewegung und deren Nachfolgebewegungen (u.a. Lebensreformbewegung und Jugendbewegung) vor allem durch neue politische Inhalte, neue organisatorische Formen und Strukturen sowie neuartige (spontane und offensive) Formen des Protestes unterscheidet (Brand 1987: 32-44; Rucht 1987: 240; Gundelach 1984: 1068).
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Wood« (1982). Auch der »Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz« (BBU) gründet sich im Jahr 1972 als Alternative zum schon länger bestehenden Dachverband »Deutscher Naturschutzring« (DNR, Gründung 1950) und unterstreicht damit nicht zuletzt eine Schwerpunktverschiebung von den bis dato zumeist konservativ orientierten und mit dem ›Naturschutz‹ vornehmlich die Bewahrung einer naturnahen Freizeitgestaltung verbindenden Initiativen (so z.B. die Wander-, Alpen- und Heimatvereine, aber auch Jagd- und Reitvereine) hin zu einem weiter gefassten Gedanken des Schutzes der Umwelt vor anthropogenen Einflüssen. Deutlich wird diese neue Orientierung am BUND, dem am längsten bestehenden und mitgliedsstärksten Verband, der schnell zu einer überregionalen Organisation ausgebaut wird und seine Mitgliedschaft durch eine eigenständige Jugendorganisation, die »BUND Jugend«, auch auf jüngere Generationen erweitert. Der BUND, der sich ausdrücklich dem Schutz von Natur und Umwelt widmet, wird als »weitaus konfliktfreudiger und aggressiver als […] konventionelle[] Naturschutzorganisationen« beschrieben, da er sich sowohl in der Bildungs- und Aufklärungsarbeit als auch in konflikthaften Auseinandersetzungen, wie etwa denen zur Startbahn West oder zur Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf, beteiligt (Rucht 1987: 250). Die Relevanz dieser neuen Akteure zeigt sich deutlich auch in ihrer Wahrnehmung durch staatliche und wirtschaftliche Akteure, die sich – wie wir vorstehend gesehen haben – zunehmend mit dem »gesellschaftlichen Wertewandel« beschäftigten, der sich auch in der grünen Bewegung manifestiert.47 Insbesondere die grüne Bewegung, die sich auf alle Gesellschaftsschichten erstreckt – und damit auch eine ernst zu nehmende Anzahl von Wählerinnen und Verbraucherinnen umfasst –, kann weder auf staatlicher noch auf wirtschaftlicher Ebene länger ignoriert werden (Papadakis 1984: 10-16; 90-112). Nicht zuletzt manifestiert sich ihre Relevanz auch in der Gründung der Partei der GRÜNEN, zahlreicher Wahlerfolge auf Landesebene und dem Einzug in den Bundestag im Jahr 1983 (siehe oben). Insbesondere mit Gründung und Erfolg der GRÜNEN erstreckte sich die Bewegung nun auch in andere gesellschaftliche Bereiche. Ein weiteres Beispiel für diese Ausdehnung und Professionalisierung ist das 1977 gegründete »Öko-Institut – Institut für angewand47 Dierkes und Fietkau (1988: 117) betonen, dass es aufgrund der häufig informalen Mitgliedschaft in Umweltschutzgruppen und -initiativen kaum verlässliche Zahlen über diejenigen gebe, die sich für den Umweltschutz einsetzten. Nach Schätzungen unterschiedlicher Herkunft vermuten die Autoren, dass 1977 etwa 750.000 Menschen aktive Mitglieder in Umweltschutzinitiativen gewesen seien (zum Vergleich führen sie an, dass zum gleichen Zeitpunkt etwa 1,7 Millionen Menschen Mitglied in politischen Parteien gewesen seien) (Dierkes/Fietkau 1988: 117). Rucht (1987: 248) schreibt mit Blick auf den weiter gefassten Naturschutz von 94 dem Dachverband DNR zugeordneten Organisationen im Natur- und Umweltbereich mit insgesamt 3,3 Millionen Einzelmitgliedern im Jahr 1985.
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te Ökologie« als ökologisch orientiertes Forschungsinstitut, das ebenfalls als Ausfluss dieser Bewegung betrachtet werden kann. Die zivilgesellschaftliche Umweltbewegung adressiert mit ihren Forderungen zum einen die Politik, da insbesondere auf politischer Ebene sowohl viele der Ursachen aktueller Umweltprobleme als auch Lösungsmöglichkeiten verortet werden. So werden als wesentliche Gründe für das Erstarken des zivilgesellschaftlichen Engagements vor allem Strukturprobleme im Aufgabenbereich der öffentlichen Hand und eine generelle »Staatsverdrossenheit«, aber auch der mit der Wirtschaftskrise von 1967 verlorene Glaube an das deutsche »Wirtschaftswunder« sowie ein Gefühl der Ohnmacht gegenüber »der Allmacht der Technokraten« genannt (Mez 1987: 266). Auch zeigt sich die Wut vieler Bürgerinnen über die aktuelle Politik in zahlreichen politischen Unruhen, wie der Mobilisierung der Atomkraftgegnerinnen in Brokdorf, Wyhl, Grohnde und Gorleben ab Mitte der 1970er-Jahre oder den jeweils über 100.000 Menschen umfassenden Demonstrationen in Hannover und Bonn im Jahr 1979 sowie in Brokdorf und Wiesbaden im Jahr 1981. Nicht zuletzt manifestiert sich ein vor allem politischer Veränderungswille auch in der Gründung von »DIE GRÜNEN« durch den Zusammenschluss zahlreicher grüner Listen, Arbeitskreise und Initiativen. Mez schreibt dazu passend: »Dem Sturm auf die Bauplätze folgte der Sturm auf die Parlamentssitze. Die Losung hieß jetzt: Wahlbeteiligung.« (Mez 1987: 272)48 Immer wieder verbindet die grüne Bewegung die Schädigungen von Umwelt und Klima jedoch auch mit dem Handeln der Unternehmen (so auch Dierkes/Fietkau 1988: 140). Während – wie zahlreiche in den 1980er-Jahren durchgeführte Studien zeigen – sowohl Unternehmen als auch das Versagen der Politik für Umweltprobleme verantwortlich gemacht werden, wird insbesondere den Unternehmen kaum Vertrauen zur Besserung entgegengebracht. So machten im Jahr 1983 77 Prozent der Bevölkerung Wirtschaft und Industrie für Umweltbelastungen verantwortlich und 73 Prozent sahen Politikversagen dafür verantwortlich (Börg et al. 1983: 61; zitiert in Dierkes/Fietkau 1988: 121-122). Hinsichtlich der Lösung von Umweltproblemen vertrauen nur wenige (9 Prozent) Bürgerinnen auf die Wirtschaft, viele (56 Prozent) sehen Unternehmen hingegen als Verhinderer von Umweltschutz (Tampe/Oloff 1985: 68; zitiert in Dierkes/Fietkau 1988: 122-123). Dies kann nicht zuletzt als befördert durch die zahlreichen wirtschaftsbedingten Umweltkatastrophen dieser Zeit gesehen werden, die jeweils Angelpunkte für ein Auf48 Engagierten sich später auch Aktivisten der Umweltbewegung bei den GRÜNEN, so muss betont werden, dass sie zunächst weniger aus der Bewegung selbst als aus der Initiative, teils konservativer, in etablierten Parteien »gescheiterter« Personen und Gruppierungen entstanden (Mez 1987: 268-275; ähnlich Stöss 1987: 294). Mez (1987: 269) nennt hier etwa ehemalige Politiker aus der CDU und CSU, aber auch aus dem Kommunistischen Bund (KB) und der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD).
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flammen der Bewegungen sind – so etwa die Massendemonstrationen nach den Atomkatastrophen von »Three Mile Island« im Jahr 1979 und Tschernobyl im Jahr 1986, nach dem Chemieunglück im Werk des US-Konzerns Union Carbide im Dezember 1984 sowie den Havarien der Öltanker »Amoco Cadiz« (1978) und »Exxon Valdez« (1989). Nicht zuletzt vermengt sich mit der Kritik am Umweltverhalten der Unternehmen auch eine allgemeinere Kritik am wirtschaftlichen System, wie beispielsweise die Entstehung von Entwürfen einer »alternativen Ökonomie« zeigt, die sich entlang der neuen sozialen Bewegungen, insbesondere der Ökologiebewegung, entwickeln und durch die steigende Arbeitslosigkeit in den 1970/1980er-Jahren sowie die als belastend empfundenen Arbeitsbedingungen noch an Bedeutung und Zulauf gewinnen (dazu Beywl 1987). Von alternativen Verlagen und Kneipen über handwerkliche und landwirtschaftliche Produktionsgemeinschaften bis zu Wohnungsund Konsumgenossenschaften, antiinstitutionellen Sozialarbeits- und Arbeitslosenselbsthilfeorganisationen werden hier Modelle entwickelt, die dem »normalen kapitalistischen Betrieb als echte Alternative entgegen[gestellt]« werden sollen (Arbeiterselbsthilfe Frankfurt 1979). Krise der Wachstumsgesellschaft und Vorschläge struktureller Veränderungen vonseiten der NGOs Eine deutliche Verbindung zwischen Umweltschutz und Wirtschaft zieht vor allem der BUND immer wieder. Wegweisend ist diesbezüglich etwa die Veröffentlichung »Arbeit ohne Umweltzerstörung – Strategien einer neuen Wirtschaftspolitik« (Binswanger (BUND) 1981). Dieser Text erarbeitet unter anderem ein Konzept »qualitativen Wachstums«, welches sich gegen ein Wachstum richtet, das von einem konstanten Verhältnis zwischen Wachstumsrate des Bruttosozialprodukts und Wachstumsrate des Energie- und Rohstoffeinsatzes ausgeht und sich gegen einen bloß kompensatorischen Umweltschutz ausspricht (Binswanger (BUND) 1981: 81, 209-243).49 Grundlegend für diesen Entwurf ist die Erkenntnis, dass während bishe-
49 Eine solche Verbindung von Umweltproblemen und Wirtschaftshandeln schlägt sich im BUND nicht zuletzt auch in der Gründung einer entsprechenden Arbeitsgruppe nieder. Der »Arbeitskreis Wirtschaft«, der sich im Frühjahr 1981 konstituiert (Binswanger (BUND) 1981: 9), arbeitet bis heute zum Verhältnis von Umwelt und Wirtschaft und nimmt dabei auch immer wieder explizit die Unternehmensverantwortung in den Blick. Der Arbeitskreis erweitert sein Arbeitsspektrum in den 1990er-Jahren um finanzwirtschaftliche und betriebswirtschaftliche Fragen (BUND 2007: 60-61) und befasst sich u.a. mit Fragen der »zukunftsfähigen Unternehmen« (BUND 2002) sowie »Unternehmensverantwortung« und »Corporate Social Responsibility« (BUND 2006, 2008). Auch andere Umweltorganisationen beschäftigen sich in dieser Zeit mit ähnlichen Fragen. Auch
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rige Bemühungen vor allem einen »kompensatorischen, d.h. nachträglich korrigierenden Charakter [gehabt hätten], der die grundlegenden Macht- und Entscheidungsstrukturen im Unternehmen und der Gesamtwirtschaft letztlich nicht antastete, sondern nur deren Folgen auf verschiedenen Gebieten nachträglich zu korrigieren versuchte« (Binswanger (BUND) 1981: 34), nun langfristig angelegte, aktiv und präventiv gestaltete Maßnahmen in den Vordergrund rücken müssten. Dabei wird vom BUND zum einen in umfassender Weise Kritik an der aktuellen Energie- und Umweltpolitik geübt und Vorschläge zu einer umweltorientierten Wirtschaftspolitik erarbeitet, zum anderen werden aber auch konkrete Vorschläge zur Umweltverantwortung der Unternehmen gemacht. Letztere zielen vor allem auf eine Reform der Unternehmensverfassung unter Einbezug ökologischer Gesichtspunkte und ziehen nicht zuletzt auch Verbindungen zu den Themen Mitbestimmung und Humanisierung der Arbeit (Binswanger (BUND) 1981: 313-328, 209).50 So wird etwa über die Vertretung der »Natur-Interessen« analog zur Vertretung der Arbeitnehmerinneninteressen im Aufsichtsrat nachgedacht, um die »›natürliche Umwelt‹ als ›dritten Faktor‹ an der Leitung großer Unternehmen zu beteiligen« (Binswanger (BUND) 1981: 327). In Einzelunternehmen, Personengesellschaften und kleinen Kapitalgesellschaften könnte zudem, so der Vorschlag des BUND, »die Vertretung von Belangen der betroffenen Bevölkerung und der natürlichen Umwelt durch fachkundige ›Umweltbeauftragte‹ erfolgen, die – ähnlich der bekannten Institution des ›Obudsmans‹ [sic] – aufgrund von Klagen und Beschwerden Betroffener, aber auch aus eigener Sachkenntnis und Initiative heraus tätig werden und durch Verhandlungen mit den Unternehmern auf die Vermeidung oder Beseitigung von Belastungen für die Bevölkerung und/oder die natürliche Umwelt hinwirken« (Binswanger (BUND) 1981: 328).
Dass auch dabei den Unternehmen wenig Vertrauen hinsichtlich eigenständiger Lösungen entgegengebracht wird, zeigt, dass dieser Vorschlag explizit das Einsetzen von externen und damit »unabhängigen« Personen vorsieht und nicht zuletzt für Streitfälle die Zusammenarbeit des Umweltbeauftragten mit der Gewerbeaufsicht angeraten wird. Und so wird dieser Vorschlag zwar als »moralische Verpflichtung« über die Umweltbewegung hinaus bekannt wird etwa die Veröffentlichung »Wege aus der Wohlstandsfalle: der NAWU-Report« aus dem Jahr 1979 (Binswanger 1979). 50 Ein Charakteristikum des qualitativen Wachstums ist für den BUND ausdrücklich eine Neudefinition des Einkommensbegriffs, welche »neben die Quantität des Geldeinkommens […] die Erhöhung der Qualität der Arbeit« stellt und dabei sowohl »Verbesserungen in der Gestaltung des Arbeitsplatzes als auch […] die Anerkennung der Eigenarbeit als eines Einkommensbestandteils [vorsieht], dessen Wert sowohl im Produkt der Arbeit selbst besteht […] als auch in der Freude an der eigenen Tätigkeit« (Binswanger (BUND) 1981: 209).
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der Unternehmen zum Umweltschutz präsentiert, zugleich aber durch eine NeuInterpretation der Sozialbindung des Eigentums (nach Art. 14, 2 GG) auch als »Naturbindung« rechtlich gestützt (Binswanger (BUND) 1981: 328). Diese Vorschläge, so werden wir sehen, werden in ähnlicher Form später auch von den Gewerkschaften aufgegriffen (z.B. DGB 1985).51 Vorschläge zur Verbesserung, Revision oder Substitution herkömmlicher gesamtwirtschaftlicher Indikatoren gehen über die Ebene des Unternehmens hinaus (Binswanger (BUND) 1981: 216-252), wirken sich aber dennoch teilweise direkt auf Unternehmensentscheidungen aus und prägen damit ebenfalls den Begriff der Umweltverantwortung des Unternehmens. Diese Vorschläge gehen aus von einem grundlegenden Zweifel am Bruttosozialprodukt als alleinigem gesamtgesellschaftlichen Wohlfahrtsmaß und der dahinterstehenden zentralen Gleichung, Wirtschaftswachstum entspreche der Zunahme der Wohlfahrt der Bevölkerung (Binswanger (BUND) 1981: 216-220).52 Mit Begriffen des »qualitativen Wachstums« sowie der »Lebensqualität« wird der »Notwendigkeit der Qualifizierung des bisherigen Wachstumsziels« sowie einer »der Vielfalt der menschlichen Bedürfnisse und Interessen entsprechende[n] Mehrdimensionalität der sozioökonomischen Entwicklung« Rechnung getragen (Binswanger (BUND) 1981: 220). Vorgeschlagen werden u.a. die Einrichtung eines »Umwelt-Kontos«, welches die Aufzehrung natürlicher Ressourcen in die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung integriert, eine an die amerikanische »Environmental Impact Assessment« angelehnte »Umweltverträglichkeitsprüfung« bei privaten und öffentlichen Entwicklungsvorhaben oder die »ökologische Buchhaltung« sowie alternative Indikatoren der Lebensqualität, des Lebensniveaus, der Nettowohlfahrt sowie veränderte Wachstums- und Verteilungsindizes. Mit ihrem weitreichenden und strukturellen Charakter sprechen diese Vor51 Auch die Gewerkschaften fordern ein Programm des »qualitativen Wachstums«. Anders als beim BUND ist bei den Gewerkschaften nur die Rede von einer Veränderung des Wirtschaftsstils, nicht des Wirtschaftssystems (Binswanger (BUND) 1981: 117). 52 Dabei wird u.a. darauf verwiesen, dass »man sich sehr wohl eine Zunahme der Wohlfahrt nicht durch Wirtschaftswachstum, sondern durch bessere Verteilung des Vorhandenen (des Einkommens und Vermögens) vorstellen kann« und dass Wachstum auch durch Rationalisierungsinvestitionen erfolgen und damit zur Arbeitslosigkeit führen kann, die zumindest für Betroffene zur Verminderung der Wohlfahrt führen kann (Binswanger (BUND) 1981: 217, 139-150). Ebenso vorstellbar wäre, dass das Bruttosozialprodukt auch mit einer Zunahme an steigendem Rohstoffverbrauch oder wachsenden Umweltsanierungsaufgaben zunehme bzw. mit sparsamerem Energieverbrauch sinke und damit »einer umfassenden qualitativen Zielsetzung nicht gerecht« werde (Binswanger (BUND) 1981: 218). Verwiesen wird zudem auf die Unvollständigkeit des volkswirtschaftlichen Rechnungswesens, welches u.a. eine Unterscheidung in sinnvolle und weniger sinnvolle Ausgaben nicht zulasse (Binswanger (BUND) 1981: 218).
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schläge nicht allein die Unternehmen an, sondern streben Veränderungen auch der Wirtschaftsordnung und -politik an. In ähnlicher, das Wirtschaftssystem als Ganzes und weniger das einzelne Unternehmen adressierender Weise sind auch die Vorschläge zu einer ökologischen Steuerreform zu verstehen, die in den 1980er-Jahren wesentlich vom BUND lanciert wurden und als »Ökosteuer« breite öffentliche Aufmerksamkeit erhielten. Initialzündung dieser Debatte ist ebenfalls die Veröffentlichung »Arbeit ohne Umweltzerstörung« (Binswanger (BUND) 1981), die den Grundstein für eine weitere Diskussion legt und in zahlreichen weiteren Publikationen in den Folgejahren ausgebaut wird (u.a. BUND 1995). Ziel ist auch hier, die Verminderung des Energieverbrauchs insbesondere der Wirtschaft nicht unternehmensstrategischen Maßnahmen zu überlassen, sondern mithilfe staatlicher Regelungen darauf einzuwirken. Die moralisch fundierte und mithilfe gesetzlicher Regelungen umzusetzende Fassung unternehmerischer Verantwortung wird vom BUND und anderen Nichtregierungsorganisationen auch in den Folgejahren fortgesetzt vorgebracht und dabei schließlich durch die Befassung mit dem Begriff der Nachhaltigkeit um eine soziale Dimension ergänzt (z.B. BUND/MISEREROR 1996). Auch gewinnt die so verstandene Verantwortung eine Zukunftsperspektive – erstreckt sich folglich nicht nur auf die intra-, sondern auch die inter-generationale Gerechtigkeit. Mit den Zielen der Umweltbewegung grundsätzlich in Übereinstimmung, hinsichtlich ihrer Lösung jedoch abweichend zeigen sich die Gewerkschaften, deren Annäherung an die Idee der Unternehmensverantwortung im Folgenden Betrachtung findet. 4.2.3.2 Gewerkschaften: Umweltverantwortung und Humanisierung der Arbeit Gewerkschaften setzen sich in den 1970er und 1980er Jahren aktiv mit Fragen des betrieblichen Umweltschutzes und der Humanisierung der Arbeit auseinander. Dabei bringen sie analog zu den NGOs der Umweltbewegung vor allem moralische Motive vor (siehe Abbildung 9). Auch relationaler Motive spielen eine, wenn auch deutlich geringere, Rolle. Instrumentelle Motive hingegen werden in dieser Phase von gewerkschaftlichen Akteuren kaum genannt.
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Abbildung 9: Gewerkschaftliche Akteure: Prozentuales Verhältnis instrumenteller, relationaler und moralischer Motive in der ersten Phase
Instrumentelle Motive 90,0 80,0 70,0 60,0 50,0 40,0 30,0 20,0 10,0 0,0
Relationale Motive
Moralische Motive 79,1
20,4 0,4 1. Phase (1970-1994)
(Eigene Darstellung)
Umweltverantwortung und qualitatives Wachstum: Unternehmensverantwortung in ökologischer Dimension Die Gewerkschaften greifen das Thema des Umweltschutzes in den 1970er-Jahren auf. Während in den 1950er- und 1960er-Jahren der Umweltschutz noch keine Rolle in der gewerkschaftlichen Arbeit gespielt hatte, verabschiedet der DGB in seinem Aktionsprogramm von 1972 erstmals »Leitsätze zum Umweltschutz« (DGB 1972a)53 und veröffentlicht im Jahr 1974 ein erstes eigenes Umweltprogramm (DGB 1974a). Von da an etabliert sich der Umweltschutz als fester Bestandteil in Aktionsprogrammen (DGB 1979a) und ab 1981 wird der Umweltschutz auch in Grundsatzprogrammen als ein Grundsatz gewerkschaftlicher Arbeit aufgeführt (DGB 1981: 21-22; DGB 1996: 14-17).54
53 Dort heißt es beispielsweise: »Für die Bundesrepublik Deutschland ist ein Umweltschutzprogramm zu entwickeln und laufend fortzuschreiben. Die Normen für die Reinhaltung von Luft, Wasser und Landschaft sollen in Zusammenarbeit mit unabhängigen Forschungsinstituten aufgestellt und bundeseinheitlich erlassen werden. Alle Schäden hat der Verursacher zu tragen. Verstöße gegen Umweltschutzvorschriften sind streng zu ahnden« (DGB 1972a: o.S.). 54 Auch Einzelgewerkschaften nehmen in den Folgejahren zum Umweltschutz Stellung (IG Metall 1980a; IG BSE 1985; IG Chemie, Papier, Keramik 1985). Die IG Metall gründet zudem im Jahr 1981 einen Arbeitskreis unter dem Titel »Alternative Produktion«, der
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Das Thema des Umweltschutzes stellt sich für die Gewerkschaften – wenig überraschend – vornehmlich als ein auf die Arbeitnehmerin gerichtetes dar (DGB 1979a; DGB 1985). Die Arbeitnehmerinnen seien besonderen Belastungen ausgesetzt – etwa durch Lärm- und Abgasbelästigung am Arbeitsplatz und zusätzlich durch die Nähe des Wohnortes zum arbeitgebenden Unternehmen –, würden in die Entscheidungen zum betrieblichen Umweltschutz jedoch nur unzureichend einbezogen (DGB 1974a: 10-12; DGB 1985: 5, 10). Mit den Forderungen nach dem »Schutz der natürlichen Umwelt«, vor allem verstanden als »Herstellung gesunder Arbeitsbedingungen und eines gesunden Wohnumfeldes für die arbeitende Bevölkerung« (DGB 1985: 31; Radke (IG-Metall) 1972: 568), werden zugleich auch Forderungen zur Mitbestimmung – Arbeitnehmerinnen müssten in die unternehmerischen Entscheidungen zum Umweltschutz einbezogen werden – sowie zur Humanisierung der Arbeit verbunden und dabei Umweltschutz als Frage des Schutzes der Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz verstanden (DGB 1974a: 19, 23-24 sowie 12, 46-47; DGB 1979a; DGB 1985: 10-11, 31). Der Umweltschutz wird damit als weiteres Anwendungsfeld traditioneller gewerkschaftlicher Kernthemen behandelt und verbindet sich mit anderen zu dieser Zeit ebenfalls wesentlichen Themen gewerkschaftlicher Arbeit. Zunächst ist das Verhältnis der Gewerkschaften zu Fragen des (betrieblichen) Umweltschutzes jedoch von Ambivalenz und Unsicherheit geprägt. Hatte der DGB in seinem Umweltprogramm zunächst noch die von Arbeitgeberseite vorgebrachten Befürchtungen negativer Auswirkungen des Umweltschutzes auf die Arbeitsplatzsicherheit als Versuch abgetan, »die Arbeitnehmer gegen berechtigte umweltpolitische Forderungen zu mobilisieren« (DGB 1974a: 20), so zeigen spätere Publikationen zum Thema, dass sich der DGB – wohl auch beeinflusst vom rapiden Anstieg der Arbeitslosigkeit Mitte der 1970er-Jahre – Befürchtungen hinsichtlich »sozialer Kosten« des Umweltschutzes aufseiten der Einzelgewerkschaften anschließt (IG Chemie, Papier, Keramik 1985: 76; DGB 1977b: 603-604; DGB 1985: 7). Skeptisch zeigen sich die Gewerkschaften gegenüber dem Umweltschutz jeweils dort, wo eine Gefährdung von Arbeitsplätzen befürchtet wird oder der »Umweltschutz als Einfrieren der sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse mißver[standen]« werde (Radke (IG-Metall) 1972: 567). So heißt es im grundsatzpolitischen Bekenntnis der Gewerkschaften zum Umweltschutz dann auch einschränkend, dass bei dessen Umsetzung »beschäftigungspolitische Ansätze angemessen zu berücksichtigen« seien (DGB 1981: 21). Aufgrund der Skepsis hinsichtlich der Sozialverträglichkeit betrieblicher Umweltmaßnahmen erteilen die Gewerkschaften – anders als weite Teile der Umweltbewegung – dann auch »denen eine klare Absage, die die Umweltprobleme zum sich u.a. mit dem Thema Umweltschutz auseinandersetzt (dazu Umweltbundesamt 2007: 36).
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Anlaß nehmen, einen Ausstieg aus der Industriegesellschaft zu fordern« (DGB 1985: 7). Vielmehr fordern sie, im Einklang mit der sich entwickelnden Idee der ökologischen Modernisierung, eine »grundlegende Anpassung der Industriegesellschaft an ökologische Notwendigkeiten« (DGB 1985: 7). Innerhalb dieses von der Umweltbewegung aufgegriffenen und teilweise abgewandelten Paradigmas »qualitativen Wachstums« (DGB 1985) löst sich die anfängliche Skepsis hinsichtlich möglicher Konflikte von Arbeitnehmerinnen- und Umweltschutz schließlich in ein Bild der Vereinbarkeit beider Ziele auf. Umweltschutz wird nun auch aus beschäftigungspolitischer Sicht zunehmend positiv betrachtet und dabei etwa die Entwicklung umweltschonender Technologien als Beschäftigungspotenzial gesehen (IG Chemie, Papier, Keramik 1985: 75; IG Metall 1980a: 468, 470). So heißt es beim DGB in den Folgejahren: »Arbeit und Umwelt gehören zusammen. […] Unverzügliche und einschneidende Programme zum Schutze der Umwelt sind gleichermaßen geboten wie unverzügliche und einschneidende Programme und Maßnahmen zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit. Mehr Beschäftigung durch mehr Umweltschutz ist möglich und nötig und zeigt zugleich, was qualitatives Wachstum bedeutet.« (DGB 1985: 2, 20)
Ebenso wie die Umweltbewegung betrachten auch die Gewerkschaften den Umweltschutz in erster Linie als staatliche Aufgabe (z.B. DGB 1987, 1985). Ursachen der Umweltprobleme ebenso wie die Barrieren ihrer Lösung werden jedoch in der Wirtschaft sowie im »herrschende[n] Wirtschaftsprinzip des privaten Gewinnstrebens« gesehen (DGB 1974a: 8-9, 12-13): »Rauch und schädliche Abgase von Industrieanlagen, Feuerungsanlagen und Verkehrsmitteln verschmutzen die Luft. Industrielle und kommunale Abwässer verschmutzen Seen, Flüsse und Meere. Industrielle Anlagen, Boden- und Luftverkehr führen zu erheblichen, zum Teil unerträglichen Lärmbelästigungen. Der unsachgemäße Gebrauch von Chemikalien in der Landwirtschaft beeinträchtigt die Qualität unserer Nahrungsmittel und gefährdet die Trinkwasserversorgung. Verantwortungslose Formen der Abfallbeseitigung haben die Zerstörung der Landschaft und die Verschmutzung der Weltmeere zur Folge. [...] Die Beschleunigung des technischen Wandels, die gewaltige Steigerung der Produktivität wie des Umfangs der wirtschaftlichen Tätigkeit führen zu einer ungeheueren [sic] Verschärfung aller dieser Probleme.« (DGB 1974a: 8)
Die gewerkschaftlichen Forderungen zur Lösung dieser Probleme richten sich – wie auch die Forderungen der grünen Bewegung – in erster Linie an die Politik (DGB 1974a: 14-18, 21; DGB 1972a, 1979a).
212 | I NSTRUMENTALISIERTE V ERANTWORTUNG? »Die Forderungen der Gewerkschaften richten sich zunächst an den Gesetzgeber. Entscheidende Fragen können nur durch Gesetze geregelt und von der öffentlichen Hand erfüllt werden. Das macht die Mitwirkung, auch der Gewerkschaften, bei dem Entscheidungsprozeß notwendig.« (Radke (IG-Metall) 1972: 564-565, auch 467).
Sei es hinsichtlich eines Aktivwerdens innerhalb Deutschlands – etwa bezüglich einer entsprechenden Strukturpolitik, dem Ausbau von Umweltstatistik und gesetzgebung sowie der Kontrolle der Umweltverträglichkeit und »strengen Ahndung« ihrer Verletzung – oder auf europäischer Ebene – z.B. in Bezug auf eine internationale umweltpolitische Abstimmung (DGB 1974a: 44-45; DGB Grundsatzprogramm 1981; DGB 1985: 7, 19; DGB 1972a, 1979a; IG Metall 1980) –, Forderungen nach »strenge[n] bundeseinheitliche[n] Auflagen, Gebote[n], Verbote[n] und Abgaben« (DGB 1985: 15, 16) machen die gewerkschaftliche Ausrichtung an einem zuvorderst staatlich regulierten Umweltschutz deutlich (DGB 1974a: 2837).55 Dabei dürfe die Umweltpolitik nicht an der Verabschiedung von Umweltgesetzen und -richtlinien haltmachen, auch Kontrolle und Sanktionierung müssten ausgebaut werden. So wird etwa eine personelle Aufrüstung der Gewerbeaufsichtsämter gefordert, da sonst »von einer wirksamen Unternehmensüberwachung keine Rede sein« könne (DGB 1974a: 40). Auch dürfe Umweltschädigung nicht länger als »Kavaliersdelikt« betrachtet werden; die strafrechtliche Verfolgung müsse diesbezüglich ausgebaut und dabei »Gewinnsucht […] als strafverschärfender Tatbestand« gewertet werden (DGB 1974a: 40-41, ähnlich DGB 1972a, 1979a). Weder den einzelnen Unternehmerpersönlichkeiten noch ›dem Markt‹ wird in Bezug auf eine unternehmerische Umweltverantwortung von gewerkschaftlicher Seite Vertrauen entgegengebracht. Vielmehr drückt sich in den Beiträgen der Gewerkschaften ein großes Misstrauen gegenüber der Lösungskompetenz und bereitschaft der Unternehmen aus. Umweltschutz werde in den Unternehmen vielfach als Kostenfaktor wahrgenommen, staatliche Maßnahmen würden von Unternehmensseite blockiert sowie ›Täuschungs- und Verschleierungsversuche‹ unternommen (u.a. DGB 1974a: 41-42). Die von staatlicher und wirtschaftlicher Seite vorgebrachten instrumentellen Motive werden deutlich abgelehnt. So stünden die unternehmerischen »Hoffnungen
55 Auch Instrumente wie die Verabschiedung von Umweltstatistikgesetzen, die Entwicklung von Umweltstandards und Sozialindikatoren oder die Zugänglichkeit des Umweltinformationssystems für alle Bürgerinnen und natürlich die Beteiligung des DGB und aller Einzelgewerkschaften bei der Festlegung und Überprüfung von Standards und Grenzwerten machen die dem Unternehmen übergeordnete Ausrichtung gewerkschaftlicher Forderungen deutlich (DGB 1974a: 26-28).
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auf das Geschäft mit dem Umweltschutz«56 einer wirklichen Lösung des Umweltproblems entgegen und würden zeigen, »in welch beschränktem Maße die über den Markt koordinierte arbeitsteilige Wirtschaft geeignet […] [sei], eine gesamtwirtschaftlich sinnvolle Berücksichtigung der Umweltbeziehungen zu gewährleisten« (DGB 1974a: 17). Unter diesen »Bedingungen privaten Kosten-Nutzen-Denkens […] [sei] mit der Rücksichtnahme auf Umweltbeziehungen erst auf Grund entsprechender gesetzlicher Bestimmungen zu rechnen«; Umweltschutz müsse deshalb »gesetzlich erzwungen werden« (DGB 1974a: 14). Wettbewerbliche Anreize werden von gewerkschaftlicher Seite klar abgelehnt und insgesamt in ihrer Wirkungsmacht angezweifelt. Das von Wirtschaft und Politik vorgetragene »Argument, die Wirtschaft müsse wettbewerbsfähig bleiben, insbesondere auch gegenüber der ausländischen Konkurrenz«, wird gerade in Bezug auf den Umweltschutz abgelehnt (DGB 1987: 119, 121). Auch international dürfe die »Festsetzung fortschrittlicher Umweltstandards und Umweltnormen […] nicht mit dem Hinweis auf unterschiedliche Wettbewerbsbedingungen, die international abgestimmte Regelungen erforderlich machten, hintertrieben werden« (DGB 1974a: 44). Vielmehr sei die »Zielsetzung der Herstellung und Erhaltung des ökologischen Gleichgewichts […] in den volkswirtschaftlichen Zielkatalog aufzunehmen« (DGB 1974a: 36-37; DGB Grundsatzprogramm von 1981: 21). Das Verursacherprinzip wird – sofern es im Sinne einer »Herstellerverantwortung« verstanden wird und diese Verantwortung nicht in Form »›soziale[r] Kosten‹ auf die Gesellschaft abgewälzt« würden – für wichtig befunden, zugleich aber dessen Wirksamkeit in »vermachteten Märkten« angezweifelt (DGB 1974a: 30-33; ähnlich Radke (IG-Metall) 1972: 565). Auch hier wird struktureller angesetzt und ein »übergreifendes Konzept
56 Mit dem »Geschäft mit dem Umweltschutz« bezieht sich der DGB auf die folgende Entwicklung: »Bereits jetzt gibt es Unternehmen, die sich angesichts der allgemeinen Zuspitzung der Umweltkrise und der Forderung nach Verschärfung der Umwelt-Normen die Hoffnung machen, die durch gewinnbringende Produktion entstandenen Beeinträchtigungen der Umwelt dadurch kommerziell zu nutzen, daß sie diese in einem zweiten Schritt – wiederum gewinnbringend – beseitigen können. […] Die Produktion ›umweltschützender Anlagen‹ setzt einen entsprechenden neuen Wirtschaftszweig voraus. Dieser jedoch kann sich nur dann optimal entwickeln, wenn möglichst viel Umwelt verschmutzt wird. Die derzeitige Bruttosozialprodukts-Rechnung wirft ein bezeichnendes Licht auf den irrationalen Charakter des vorherrschenden rein quantitativen Wachstumsdenkens. Sowohl die Schädigung der Umwelt als auch deren Beseitigung werden als Beiträge zu Wachstum und Bruttosozialprodukt registriert. […] [E]s werden in dem einen Betrieb umweltgefährdende Produkte hergestellt, z.B. überflüssige Kunststoffverpackungen, während in einem anderen Betrieb Anlagen produziert werden, um jene Güter umweltfreundlich wieder aus der Welt zu schaffen […].« (DGB 1974a: 17-18)
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der Planung und Steuerung der gesellschaftlichen, technischen und ökonomischen Entwicklung« gefordert (DGB 1974a: 32). Trotz dieser deutlichen Ausrichtung gewerkschaftlicher Umweltüberlegungen an staatlicher Regulierung, Kontrollen und Sanktionen fordern die Gewerkschaften auch Veränderungen innerhalb der Unternehmen. Betriebliche Entscheidungen hätten starke Auswirkungen auf die Umweltbelastung für das lokale Umfeld, vor allem aber für die im Betrieb Beschäftigten, die Lärm- und Schadstoffbelastungen besonders ausgesetzt seien. »Deshalb beginn[e] Umweltschutz für die Gewerkschaften im Betrieb.« (DGB 1985: 10) Beispielhaft für diesen Gedanken, sowie wegweisend auch für die aktuelle Implementierung von z.B. Nachhaltigkeits- und CSRManagerinnen in den Unternehmen, ist die Forderung der Gewerkschaften, in »allen Unternehmen mit umweltbelastend wirkenden Betrieben« einen »Beauftragten für den Umweltschutz« einzurichten, um so eine Verantwortung für den Umweltschutz auch innerhalb der Unternehmen zu verankern (DGB 1974a: 38). Diese sollten mit der Aufgabe betraut werden, »für die Einhaltung der gesetzlichen und behördlichen Bestimmungen des Umweltschutzes zu sorgen« sowie vorsorgend über Fragen des Umweltschutzes aufzuklären, betriebliche Richtlinien für den Umweltschutz zu entwickeln sowie bei der Entwicklung umweltgerechter Verfahren und Prozesse beratend tätig zu werden (DGB 1974a). Dass auch hierbei weder dem ›Ethos der Unternehmer‹ noch marktbasierten Anreizen vertraut und auf eine rechtliche Durchsetzung unternehmerischer Umweltverantwortung gedrängt wird, drückt sich in der Forderung aus, die Stelle des Beauftragten für den Umweltschutz nicht nur auf Vorstandsebene anzusiedeln, sondern ihn auch »für die Einhaltung der umweltrechtlichen Vorschriften strafrechtlich und zivilrechtlich verantwortlich« zu machen (DGB 1974a: 38-39). Unter Bezug auf den Begriff der Umweltverantwortung zeigt sich damit aufseiten gewerkschaftlicher Akteure ein ähnliches Bild wie in der grünen Bewegung. Gewerkschaften und NGOs greifen die Ideen des jeweils anderen auf und stimmen in vielen Forderungen überein. Während die Unternehmen klar als Problemverursacher betrachtet werden, wird ihnen hinsichtlich der Lösung der Umweltprobleme keinerlei Kompetenz zugewiesen oder Vertrauen entgegengebracht. Forderungen werden vor allem an den Staat gerichtet und zeigen den deutlichen Wunsch nach Verbindlichkeit, Regulierung und Sanktionierung. Dennoch wird eine klare Verantwortungsverpflichtung auch auf Ebene des Unternehmens gesehen, deren Umsetzung jedoch ebenfalls gesetzlich abzusichern sei.
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Humanisierung der Arbeit als gewerkschaftliches Kernthema Neben dem Umweltschutz und der Mitbestimmung ist die Humanisierung der Arbeit ein Kernthema gewerkschaftlicher Arbeit der 1970er- und 1980er-Jahre.57 Analog zur Verbindung des Umweltschutzes zu beiden Themen zeigen sich auch Mitbestimmung und Humanisierung als eng verwobene Themenfelder. Ihre Verbindung zeigt sich immer dort, wo zum Beispiel »Mitbestimmung am Arbeitsplatz als Beitrag zur Humanisierung der Arbeit« betrachtet wird (Döding 1982: 602), Humanisierung allein durch Mitbestimmung von Arbeitnehmerinnen und Gewerkschaften als möglich erachtet wird (DGB 1977c, 1979b; Leminsky (DGB) 1975: 121) oder die von der Mitbestimmung erhoffte Veränderung der Machtverhältnisse in Wirtschaft und Unternehmen als Möglichkeit einer Verbesserung der Arbeitsverhältnisse interpretiert werden (Vetter 1973). Während die Mitbestimmung seit Ende des Krieges zum Kernthema der Gewerkschaften gehörte und als Reaktion auf den Krieg zunächst auf volkswirtschaftlicher Ebene ansetzte (DGB 1949), drückt sich sowohl im Aufkommen des Themas der Humanisierung der Arbeit als auch in dessen Verknüpfung mit der Mitbestimmung ein neuer Fokus gewerkschaftlicher Arbeit auch auf die (inner)betrieblichen und damit betriebswirtschaftlichen Verhältnisse aus. Während etwa kürzere Arbeitszeiten (DGB 1955, 1965, 1972a, 1979a, 1980a) und längere Urlaubszeiten (DGB 1965, 1972a, 1979a) sowie höhere Löhne und Gehälter58 (DGB 1955, 1965, 1972a, 1979a) schon früh zu den gewerkschaftlichen Forderungen gehörten, wurden mit den 1970er-Jahren auch Forderungen zum Arbeits- und Gesundheitsschutz für Arbeitnehmerinnen laut (DGB 1972a, 1979a). Die von gewerkschaftlicher Seite entwickelten »Leitlinien für eine humanere Arbeitswelt« (Vetter 1973: 4-6) stellen zudem – und hier tritt erneut der enge Zusammenhang von Humanisierung der Arbeit und Mitbestimmung hervor – auf eine Ausweitung der »Einflußnahme auf den Arbeitsumfang, die Arbeitsgeschwindigkeit und die Arbeitszeit, […] auf die ergonomische Gestaltung der Arbeitsbedingungen, […] auf den Arbeitsinhalt und die Arbeitsqualifikation […] [sowie] auf den Entfaltungs- und Gestaltungsraum in der 57 Während in den gewerkschaftlichen Aktionsprogrammen zunächst noch von »menschengerechten Arbeitsbedingungen« (DGB 1979a: o. S.) sowie von der »Menschenwürde im Betrieb« (IGM 1977) die Rede ist, geht der Begriff der »Humanisierung der Arbeit« explizit erst im Grundsatzprogramm von 1981 in die Gewerkschaftsprogramme ein (DGB 1981: 7-8). Im Grundsatzprogramm des DGB aus dem Jahr 1981 werden die Themen der Humanisierung der Arbeit, die Mitbestimmung und der Umweltschutz als wesentliche Grundsätze der Gewerkschaften und des DGB genannt (DGB 1981). 58 Zur Forderung nach höheren Löhnen und Gehältern zählen auch die Forderungen nach gleicher Entlohnung für Männer und Frauen, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall auch für Arbeiterinnen, die Zahlung von Urlaubsgeld sowie Weihnachtszuwendungen und betriebliche Sozialleistungen (DGB 1955, 1965).
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Arbeit« ab (Balduin (DGB) 1974: 176, ähnlich Leminsky (DGB) 1975: 111, 116).59 Es wird damit im Zuge der »Humanisierung der Arbeit« erneut die Forderung nach Mitbestimmung auch auf Ebene des Arbeitsplatzes laut, wie sie bereits nach dem Krieg gefordert wurde. Die partikularen Forderungen zur Arbeits- und Urlaubszeit, höheren Löhnen und Gehältern sowie zum Arbeits- und Gesundheitsschutz und zur Mitbestimmung finden unter dem Begriff der Humanisierung der Arbeit ein gemeinsames ›Dach‹ und werden überführt in die allgemeine Forderung nach einer »menschengerechte[n] Gestaltung der Arbeitswelt« (DGB 1972a, 1979b; Leminsky (DGB) 1975: 111), die als »Humanisierung der Arbeit« Eingang auch in die Grundsatzprogramme des DGB hält. Die »Humanisierung der Arbeit« kann als deutlicher Ausdruck des Versuchs einer Verankerung unternehmerischer Verantwortung auf Ebene des Betriebes betrachtet werden. Die »Humanisierung der Arbeit« wird vom DGB in den Folgejahren als eine der »vordringlichsten Aufgaben der Gewerkschaften« beschrieben und als wesentliches Betätigungsfeld gewerkschaftlicher Arbeit begriffen (DGB 1979b: 6; ebenso Balduin (DGB) 1974: 175). Dementsprechend nehmen die Gewerkschaften eine führende Rolle ein und setzen wichtige Impulse, die auch von anderen Akteuren wahrgenommen und diskutiert werden. So erregen etwa die DGB-Konferenz »Humanisierung der Arbeit« im Mai 1974 in München sowie einige der gewerkschaftlichen Beiträge zum Thema große Aufmerksamkeit. Im Oktober 1973 wird in BadenWürttemberg erstmals für Forderungen zur Verbesserung der Qualität des Lebens in der Arbeit gestreikt, der daraus entstandene Tarifvertrag als »›Meilenstein‹« bezeichnet (dazu Leminsky (DGB) 1974: 120). Vonseiten der Unternehmer wird vor allem ein Beitrag des damaligen DGB-Vorsitzenden Vetter aus dem Jahr 1973 als eine »Grundsatzerklärung des DGB« sowie als ein »erster Höhepunkt« der Debatte insgesamt hervorgehoben (Kasteleiner (BKU) 1974: 7).60 In diesem Beitrag wird noch einmal deutlich, dass die Humanisierung der Arbeit ebenso wie die Frage der Mitbestimmung in diesen Jahren eingebettet ist in einen generellen gesellschaftlichen Transformationsprozess unter dem Begriff der »Qualität des Lebens« (Vetter 1973: 1). Die Notwendigkeit einer menschengerechteren Gestaltung der Arbeit wird dabei vor allem aus den Folgen von Rationalisierung, Technisierung und Automatisierung von Arbeitsabläufen abgeleitet (Vetter 1973; Balduin (DGB) 1974: 177-178). Die 59 Diese Forderungen werden nun zudem ausdrücklich nicht mehr nur für die Arbeiterinnen gestellt, sondern sollen auch »im Büro«, d.h. für die Angestellten, umgesetzt werden (DGB 1979b: 3-4, 11, 1977c: 11). 60 Rolf Kasteleiner war zum Zeitpunkt des Verfassens dieser Schrift sowohl Vorstandsmitglied des BDA, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft christlicher Unternehmer (ACU) sowie Vorsitzender des BKU.
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»teilweise beängstigend gestiegene Arbeitsanspannung« und der Leistungsdruck durch zunehmende Arbeitsverdichtung, -geschwindigkeit, -umfang und Unterbesetzung einerseits sowie Dequalifizierung, Entpersönlichung und Monotonie durch Wiederholungsarbeiten und »qualifikationsarme[], langweilige[] und sinnentleerte[] Arbeitsvollzüge« andererseits (Balduin (DGB) 1974: 177-178, ähnlich Vetter 1973: 2; DGB 1979a, 1979b: 5; IGM 1977), führen auf gewerkschaftlicher Seite zu einer »desillusionierende[n] Bilanz« aktueller Arbeitsbedingungen, die »den Anspruch unserer Gesellschaftsordnung, eine demokratische und menschenwürdige zu sein, zutiefst kompromittier[t]« (Vetter 1973: 2). Arbeitnehmerinnen sähen sich insgesamt »bei ihrer Arbeit wachsenden Gefährdungen und Belastungen ausgesetzt«, der Arbeitsschutz hingegen sei »weithin unzureichend« (Vetter 1973: 2-3). Die Forderungen, die aus dieser Bestandsaufnahme abgeleitet werden, sehen sich in erster Linie aus dem Anrecht der Arbeitnehmerinnen auf arbeitsrechtlichen Schutz, Beteiligung und Selbstbestimmung bzw. allgemeiner, dem »Recht [der Arbeitnehmerinnen, N.L.] auf eine menschenwürdige Arbeit« (DGB 1981: 7) motiviert (»Anspruch Dritter«), wobei ein ebenso moralischer wie (arbeits)rechtlicher Verpflichtungscharakter der Verantwortung unterstrichen wird. »Die Arbeitsbedingungen haben diesem Grundrecht der Arbeit gerecht zu werden. […] Maßstab aller wirtschaftlichen Betätigung müssen menschenwürdige Arbeits- und Lebensbedingungen sein.« (DGB 1981: 7)
Instrumentellen Motiven ebenso wie einer Vorordnung ökonomischer vor gesellschaftliche Ziele wird dabei eine Absage erteilt. Weniger das »Prinzip der Rentabilität« solle die Richtschnur für die Gestaltung der Arbeit bilden, sondern die »sozialen Bedürfnisse der Beschäftigten« (DGB 1977c: 3, 9, 11, 1979a). »In jedem Fall […] [sei] die einzelwirtschaftliche Produktivität ein zu enger Bezugsrahmen; gesellschaftliche Kriterien müss[t]en in die Beurteilung mit einbezogen werden.« (Leminsky (DGB) 1975: 112) »Der Tribut, den wir dem Rentabilitätsprinzip zu erbringen haben, wird noch größer, wenn man bedenkt, daß die Arbeitnehmer unter solchen Bedingungen keinerlei Befriedigung finden können. Sie können in ihrer Arbeit nichts Wertvolles, keine Leistung erblicken. Sie können sich kaum mehr als schöpferische Menschen erfahren und betätigen. Sie können also dementsprechend auch kein Selbstbewußtsein und keine Selbstachtung entwickeln. Eindringlich sollte man sich vor Augen führen, daß Eintönigkeit und Sinnentleerung der Arbeit sich nicht auf die Arbeitszeit beschränken, sondern drohen, die menschliche Existenz insgesamt sinnlos zu machen. Die Arbeit bildet den zentralen Kern des gesamten menschlichen Lebens. Der Mensch sucht daher Befriedigung und Erfüllung in der Arbeit. Versagt man sie ihm, so hat dies schwerwiegende Folgen für sein körperliches und seelisches Wohlbefinden. Im Rahmen
218 | I NSTRUMENTALISIERTE V ERANTWORTUNG? des heute vorherrschenden Arbeitssystems wird der Mensch zur Nummer, die funktionieren muß.« (Vetter 1973: 3)
Nach dem Konzept zur Humanisierung der Arbeit müsse »jede Tätigkeit mit einem Mindestmaß an Abwechslung, Lernfähigkeit, Entscheidungsraum (vor allem durch Gruppenarbeit) verbunden sein. Der einzelne soll[e] in seiner Arbeit berufliche Entwicklungsmöglichkeiten sehen und sie als nützlich für die Gesamtgesellschaft ansehen können« (Leminsky (DGB) 1975: 116). »Die Wirtschaft muß der freien und verantwortlichen Entfaltung der Persönlichkeit innerhalb der menschlichen Gemeinschaft dienen. […] Jedes Wirtschaften ist seiner Natur nach gesellschaftlich. Es darf nicht allein vom Gewinnstreben bestimmt sein, sondern muss auch seiner sozialen Verpflichtung gerecht werden.« (DGB 1981: 8, eigene Hervorhebung, N.L.)
Ähnlich zum betrieblichen Umweltschutz sehen die Gewerkschaften auch die Humanisierung der Arbeit vor allem als eine primär gewerkschaftliche und staatliche Aufgabe, die durch Vorschriften, Regelungen, Kontrollen und Sanktionierungen durch den Staat sowie mithilfe von, notfalls unter Anwendung von Arbeitskampfmaßnahmen durchzusetzenden, Tarifverträgen zu lösen sei. Dabei werden auch hier die »Arbeitgeber […] als Verantwortliche« klar benannt, für eine Lösung der bestehenden Missstände jedoch gesetzliche Regulierung für notwendig befunden, Umsetzung und Kontrolle entsprechender Regelungen dem Staat überordnet (DGB 1963: 27; ähnlich DGB 1965, 1972): »Die Verwirklichung der gewerkschaftlichen Zielsetzungen zur Humanisierung der Arbeit könnte im Prinzip auf mehreren Wegen geschehen: durch staatliche und gesetzgeberische Maßnahmen und durch Einsatz gewerkschaftlicher Instrumente wie Mitbestimmung und Tarifpolitik. Nun schließen sich diese Wege zwar nicht aus; doch stehen sie untereinander in einem bestimmten Verhältnis. So ist durchaus anzustreben, durch den Gesetzgeber Normen und Rahmenrichtgrößen für humane Arbeitsbedingungen zu setzen, wie es in Ansätzen derzeit geschieht. Allerdings wird man den Ruf nach dem Gesetzgeber nicht überstrapazieren dürfen. Einesteils nimmt dieser zumeist lediglich Anstöße auf, die vorher von den Gewerkschaften, durch ihre Betriebs- und Tarifpolitik, in die Wege geleitet wurden. […] Zum anderen können gesetzliche Regelungen zumeist nur gewisse Untergrenzen angeben, entsprechen jedoch durchweg nicht den gewerkschaftlichen Zielvorstellungen insgesamt. Aus all dem ergibt sich, daß es vorrangig Aufgabe der gewerkschaftlichen Politik mit den ihr zur Verfügung stehenden Instrumenten ist, solche Standards und Leitlinien zu setzen. In erster Linie ist damit die gewerkschaftliche Tarifpolitik angesprochen. Sie hat auf überbetrieblicher Ebene Rahmenrichtgrößen, Standards und Leitlinien zu setzen, wofür der Tarifvertrag der IG Metall in Nord-Württemberg/Nord-Baden ein überzeugendes Beispiel darstellt.« (Balduin (DGB) 1974: 182)
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Bei alldem wird auch in Bezug auf die Humanisierung der Arbeit marktbasierten Anreizen ebenso wie dem Engagement der Unternehmer zur Umsetzung menschengerechter Arbeitsverhältnisse Skepsis entgegengebracht. Vielmehr seien es gerade die »Auswirkungen des Gebots größtmöglicher Gewinnerzielung«, die in der Verschlechterung der Arbeitsverhältnisse ihren Ausdruck fänden (Vetter 1973: 3; ähnlich IGM 1977: 3). Zwar sei die »menschengerechte Gestaltung der Arbeitswelt […] eine viel diskutierte Forderung von Arbeitgebern, Ministerien und Gewerkschaften. [Andererseits stünden] für die Arbeitgeber […] Rationalisierung und Gewinnsteigerung weiterhin an erster Stelle, auch wenn sie von ›Humanisierung‹« sprächen (DGB 1979: 3). Und so werden von unternehmerischer Seite initiierte Humanisierungsprogramme als »äußerst geschickte ›Public-relations‹-Strategie […], kombiniert mit recht eigennützigen ökonomischen Motiven« kritisiert (Balduin (DGB) 1974: 175). Ausgehend von diesem grundlegenden Misstrauen sei bei allen gewerkschaftlichen Forderungen darauf zu achten, dass diese nicht den »Leistungssteigerungsstrategien der Unternehmen« Vorschub leisteten, sondern auf eine tatsächliche Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Arbeitnehmerinnen abzielten (Balduin (DGB) 1974: 176). Demgemäß müsse die »gewerkschaftliche Politik […] weiter Abwehrstrategien gegenüber solchen Sozialtechniken entwickeln, die unter dem Deckmantel angeblicher Vermenschlichung als moderne Organisationsund Führungstechniken Einzug in die Betriebe« hielten (Balduin (DGB) 1974: 181). »Vielfach verbergen sich selbst hinter – für sich isoliert genommen – durchaus positiven Arbeitsumgestaltungsmaßnahmen wie Arbeitswechsel, Arbeitsbereicherung usw. raffiniertere Techniken der Arbeitsintensivierung; [...]. Auch hier gilt der Grundsatz: Gefährlich sind diese Methoden in den Händen des Kapitals.« (Balduin (DGB) 1974: 181; ähnlich IGM 1977: 1921)
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass sich vonseiten der gewerkschaftlichen Akteure in Bezug auf die Themen der Humanisierung der Arbeit und des Umweltschutzes und den damit verbundenen Mitbestimmungsfragen ein hohes Aktivitätsniveau vor allem für die 1970er- und 1980er-Jahre zeigt, welches mit Ende der 1980er-Jahre etwas an Schwung verliert. Der Begriff unternehmerischer Verantwortung, der hier häufig zwar implizit, deshalb aber nicht weniger dringlich mitschwingt, ist an der Würde des Menschen und der Schutzbedürftigkeit der Umwelt und ihrer Ressourcen ausgerichtet. Es sind dabei weniger positive Definitions- und Bestimmungsversuche unternehmerischer Verantwortung als Forderungen und Kritik, die den zivilgesellschaftlichen Diskurs bestimmen. Zentral für diese Phase sind Forderungen wie das »Recht auf menschenwürdige Arbeit« in, wenn man so will, sozialer Dimension sowie das »Recht aktueller und zukünftiger Generationen auf eine unversehrte Natur« in ökologischer Dimension. Werden Unternehmen klar als
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Verantwortungssubjekte benannt, so werden Forderungen und die mit ihr verbundene Kritik an den aktuellen Verhältnissen doch in erster Linie an die Politik gerichtet. Entsprechend sind auch Kritik an Wirtschaft und Unternehmenshandeln sowie Forderungen nach einer Verankerung von (Umwelt-)Verantwortung auf Unternehmensebene mit dem Ruf nach staatlicher Regulierung sowie Kontrollen und Sanktionen durch unternehmensexterne Akteure verbunden. Unternehmerischen Lösungen ebenso wie instrumentellen Motiven wird hingegen große Skepsis entgegengebracht.
4.3 Z WISCHENFAZIT Die in diesem Kapitel dargestellten Entwicklungslinien unternehmerischer Verantwortung lassen zusammengenommen ein Bild recht heterogener Annäherungsversuche an den Begriff der Unternehmensverantwortung entstehen. Diese Annäherungsversuche finden über unterschiedliche Themenfelder statt, zu denen vor allem die Umweltverantwortung, später auch Nachhaltigkeit, und die Humanisierung der Arbeit zählen. Ausgehend von diesen Themen bildet sich ein Verantwortungsbegriff heraus, der sowohl den Unternehmer als auch das Unternehmen als Verantwortungssubjekt vorsieht und in sozialer und ökologischer Dimension bestimmt wird. Nur aufseiten staatlicher Akteure zeichnet sich im Zuge der Einführung des Nachhaltigkeitsbegriffs und dem damit verbundenen »Drei-Säulen-Modell« gegen Ende dieser Phase die Einführung einer dritten, ökonomischen Dimension ab, jedoch ohne explizit bestimmt zu werden oder sich vor die ökologische oder soziale Dimension zu drängen. In Bezug auf die vorgebrachten Motive zeigt sich der Diskurs in dieser Ausgangsphase als offen. Die Akteure bringen insgesamt unterschiedliche Motive vor und es haben sich noch keine Diskurskoalitionen von Dauer um bestimmte Motive gebildet, die dem Diskurs eine eindeutige Richtung geben würden. Zu dem in dieser ersten Phase akzeptierten Motivvokabular gehören vornehmlich relationale und moralische Motive. Deutlich weniger häufig und nur vonseiten wirtschaftlicher und staatlicher Akteure, werden instrumentelle Motive vorgebracht. Wirtschaftliche Akteure zeigen sich gespalten hinsichtlich instrumenteller Motive; immer wieder werden diesbezüglich auch Skepsis und Ablehnung deutlich. Auch Gewerkschaften zeigen sich ablehnend gegenüber derartigen Motiven, was auf eine insgesamt nur mangelnde Akzeptanz dieser Motive schließen lässt. Es zeigt sich in dieser Phase somit noch keine klare Tendenz hinsichtlich des heute vorherrschenden »Business Case for CSR«, vielmehr kann die Logik dieser Ausgangsphase des Diskurses als durch Kontingenz gekennzeichnet beschrieben werden: unterschiedliche Diskursverläufe erscheinen möglich.
5 Phase 2: Etablierung des »Business Case for CSR«, 1995-2008
Dieses Kapitel widmet sich der zweiten Phase des diskursiven Pfadprozesses, der Formationsphase. In dieser Phase verengt sich der Diskurs hinsichtlich des »Business Case for CSR«, der sich in dieser Phase zunehmend als das Motivmuster unternehmerischer Verantwortung etabliert. Alternative Motive hingegen werden marginalisiert, ohne jedoch völlig aus dem Diskurs ausgeschlossen zu werden. Befördert wird diese Entwicklung durch einen sich in dieser Phase entfaltenden selbstverstärkenden Mechanismus adaptiver Erwartungen, der die Akteure nach und nach in den ›Bann‹ des »Business Case for CSR« zieht, sodass sie dessen Motive für sich übernehmen. Dabei wird sich zeigen, dass die Akteure ihre Motiväußerungen jeweils hinsichtlich der als akzeptiert und dementsprechend als handlungsleitend angenommenen Motive an den Diskursverlauf, d.h. an das jeweils von den anderen Akteuren Geäußerte, anpassen. Der »Business Case for CSR« etabliert sich dabei als – hinsichtlich der Verbreitung unternehmerischer Verantwortung als geeignet angenommenes – Motivmuster und stellt so zunächst auf positive Weise Anschlussfähigkeit für die Akteure her, entwickelt mit zunehmender Verbreitung jedoch zwingenden Charakter, sodass schließlich auch zunächst widerständige Akteure einige der instrumentellen Motive übernehmen, was dem »Business Case for CSR« wiederum ›Aufschwung‹ verleiht, alternative Motive jedoch zunehmend ausschließt. Vorbereitet und ermöglicht werden die in dieser Phase sich ereignenden Entwicklungen erstens durch das ›Abebben‹ des Diskurses unternehmerischer Verantwortung im Übergang in die 1990er-Jahre, wodurch eine Neudefinition unternehmerischer Verantwortung allererst ermöglicht wird, und zweitens durch grundlegende wirtschaftspolitische Veränderungen, im Wesentlichen die Erosion der Sozialen Marktwirtschaft und die Verbreitung eines zunehmend (neo)liberalen (Wirtschafts-)Politikstils, die eine Instrumentalisierung der Unternehmensverantwortung ebenfalls begünstigen (5.1). Das ›Momentum‹ für die zweite Phase des Diskurses liefert sodann die Entstehung eines europäischen »CSR«-Diskurses, der durch einen
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instrumentell-voluntaristischen Verantwortungsbegriff geprägt ist und die Neufassung unternehmerischer Verantwortung anstößt (5.2). Erst durch das Aufgreifen dieses Verantwortungsbegriffs durch wirtschaftliche und kurz darauf auch staatliche Akteure gewinnt dieser im deutschen Diskurs an Gewicht, bietet im Sinne eines »particular conjuncture« die Möglichkeit zur Formierung einer ersten, den »Business Case for CSR« befördernden Diskurskoalition wirtschaftlicher und staatlicher Akteure (5.3). Begünstigt werden diese Entwicklungen durch das anfängliche Schweigen zivilgesellschaftlicher Akteure, die dieser Neufassung unternehmerischer Verantwortung zunächst ablehnend gegenüberstehen und sich erst einige Jahre darauf zu einer Konter-Diskurskoalition zusammenfinden und gemeinsam, d.h. in diskursiver Koalition von Gewerkschaften und NGOs, Kritik an den jüngsten Diskursentwicklungen üben (5.4). Mit zunehmender Verbreitung des »Business Case for CSR« erscheint insbesondere den Gewerkschaften ein Aufbrechen des sich etablierenden Mainstream-Diskurses jedoch als ›unrealistisch‹ und sie passen sich ihm an, sprich, übernehmen einige seiner Motive, was den »Business Case for CSR« weiter stärkt und die Wirkkraft des selbstverstärkenden Mechanismus demonstriert.
5.1 H ISTORISCHER K ONTEXT : V ORBOTEN V ERÄNDERUNG
DER
Das Erstarken instrumenteller, zuungunsten der in der ersten Phase starken Motive moralischer und relationaler Natur wird vorbereitet, wenn nicht allererst ermöglicht, durch das Zusammentreffen mehrerer Entwicklungen. Erstens ebbt der in den 1970er- und 1980er-Jahren aktiv geführte Diskurs »gesellschaftlicher Verantwortung« mit den 1990er-Jahren stark ab, d.h. es ist bei den drei untersuchten Akteursgruppen ein Rückgang der Beschäftigung mit dem Thema zu verzeichnen,1 der eine Neufassung der Idee unternehmerischer Verantwortung um die Jahrtausendwende begünstigt. Die Wiedervereinigung, die Ausweitung des ökonomischen und politischen Systems in Richtung Osten sowie die Chancen und Bedrohungen der zunehmenden Internationalisierung scheinen zunächst keine Kapazitäten für eine Auseinandersetzung mit Fragen unternehmerischer Verantwortung zu lassen. Es ereignet sich, was Beyer und Höpner (2003) als die ›Erosion des organisierten Kapitalismus‹ beschrieben haben, einhergehend mit einer Welle der Privatisierung, einer teilweisen Verdrängung des Stakeholder- durch den Shareholder-Ansatz (Fiss/Zajac 2004; Jarass/Obermair 2004), einem vermehrt finanziellen Wachstum und einer zunehmenden Kurzfristorientierung des Finanzmarktes (Windolf 2005) sowie begleitet durch die abnehmende Macht der Gewerkschaften und 1
Hier sei noch einmal auf die Vorstudie (Abbildung 1 und Abbildung 2 in Kapitel 1) verwiesen, die diesen Einbruch ebenfalls deutlich zeigte.
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einer sinkenden Abdeckung durch Tarifverträge und Betriebsräte (Hassel 1999). Der Druck der – nun zunehmend globalisierten – Märkte ›kriecht‹ dabei auch in ehemals unantastbare Institutionen wie die Unternehmensmitbestimmung hinein (Höpner/Jackson 2002: 364) und verändert letztlich auch die Unternehmenspolitik grundlegend (Jackson 2001; Höpner/Jackson 2002), was zunächst dazu führt, dass Unternehmen weniger bereit sind, »to take societal and collective aspects into account« (Beyer/Höpner 2003: 182). Der mit diesen Veränderungen einhergehende Rückgang der Beschäftigung mit dem Thema unternehmerischer Verantwortung in Deutschland schafft die Basis für einen unter neuen Vorzeichen wiedererstarkenden Diskurs mit dem Übergang in die 2000er-Jahre: »[N]ew institutional equilibria have to be found. The floor is open to all kinds of actors to establish these new equilibria, including corporations and the state, but also international organizations and civil society organizations, such as NGOs, trade unions, or the churches«, wie Hiß (2009b: 438) schreibt. Der sich in der zweiten Phase des Diskurses durchsetzende Signifikant der »CSR« kann sich somit relativ losgelöst von früheren Ideen »gesellschaftlicher Verantwortung« entwickeln. Dabei stellen die beschriebenen Veränderungen, die zusammengefasst nicht nur eine Erosion der Grundfesten der Sozialen Marktwirtschaft bedeuten, sondern ebenso als Vorboten einer neoliberalen Wende gedeutet werden können, die Weichen für die beginnende Instrumentalisierung unternehmerischer Verantwortung. Der Abbau der Sozialen Marktwirtschaft und die unter der Regierung Kohl angestoßenen Liberalisierungsbestrebungen werden von der rot-grünen Regierung fortgeführt2 und verändern nicht nur die herrschende Wirtschaftsordnung und das Verhältnis der Sozialpartner grundlegend (Streeck 2006),3 sondern setzen nicht zuletzt auch die Transformation vom ›expandierenden zum aktivierenden Staat‹ (von Bandemer/Hilbert 1998) weiter fort. Der ›aktivierende Staat‹ wird zur Leitformel der Regierung unter Schröder und sieht letztlich nicht nur eine ›Verschlankung‹ staatlicher Aufgabenbereiche vor, sondern geht auch mit der Annahme einer »prinzipiellen Überlegenheit von Marktsteuerung gegenüber sonstigen Modi der Koordination sozialen und wirtschaftlichen Handelns« einher (Dahme et al. 2003: 10), was sich – 2
Exemplarisch zeigt sich dies an den zu Beginn der 2000er-Jahre umgesetzten Hartz-IVReformen, die u.a. einhergehen mit einer Zunahme atypisch, häufig prekär, Beschäftigter, Niedriglohnarbeit und dem Abbau des Arbeitnehmerschutzes zugunsten einer ›Flexibilisierung‹ des Arbeitsmarktes (Garz 2013; Helfen 2015).
3
Dass diese Verschiebung des ehemals durch einen Interventionsstaat moderierten Klassenkompromisses von Kapital und Arbeit sich dabei zugunsten der Kapitalseite verlagert, zeigen nicht zuletzt die Angriffe auf die Institution der Mitbestimmung zu Beginn der 2000er-Jahre – »Mit der Anerkennung der Gewerkschaften durch die wirtschaftlichen und politischen Eliten des Landes als ›birds of the same feather‹ ist es heute vorbei«, wie Streeck (2006: 266) die Veränderung des Verhältnisses der Sozialpartner zusammenfasst.
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wie wir sehen werden – auch auf Fragen der Unternehmensverantwortung niederschlägt. Ausgehend von diesen neuen Prämissen liegen Fragen der Wettbewerbsfähigkeit und Effizienz näher als solche der Sozialpflichtigkeit und Menschenwürde, liegen Marktanreize und Voluntarismus näher als Ge- und Verbote sowie staatliche Regulierung. Die wirtschaftspolitischen Voraussetzungen des sich in dieser Phase entwickelnden »CSR«-Diskurses sind damit grundlegend andere als die von der frühen Idee der Sozialen Marktwirtschaft geprägten, durch die sich der Diskurs in der ersten Phase beeinflusst sah. Sie stellen den Nährboden, auf dem die im Folgenden dargestellten Entwicklungen allererst fruchten können.
5.2 »T RIGGERING E VENT « – DIE E NTSTEHUNG EINES EUROPÄISCHEN »CSR«-D ISKURSES Das »Momentum« für die zweite Phase des deutschen Diskurses unternehmerischer Verantwortung geht von der Entwicklung eines internationalen, insbesondere europäischen »CSR«-Diskurses aus (Antal et al. 2007: 14), der mit einiger Verzögerung auch in Deutschland zum Wiedererstarken des Diskurses unternehmerischer Verantwortung führt und entscheidende Veränderungen anstößt.4 Den in der zweiten Phase des deutschen Diskurses sich vollziehenden Veränderungen gehen mithin Entwicklungen voraus, die das Thema »CSR« auf die internationale wirtschaftspolitische Bühne heben. Mit den 1990er-Jahren zeichnet sich deutlich ab, dass die unternehmerische Verantwortung nicht mehr per se infrage gestellt werden kann, womit das Thema unter multinationalen Konzernen sowie in der internationalen Politik rapide an Bedeutung gewinnt. Zum einen zeigt eine Reihe von international prominent gewordenen Unternehmensskandalen, dass die Ablehnung unternehmerischer Verantwortung keine gangbare Option mehr ist, und führt der Welt Ausmaß und Folgen wirtschaftlicher Unverantwortlichkeit vor Augen. Unternehmensboykotte und öffentliche Skandale verbunden mit bekannten Firmennamen wie Nike, Nestlé, Shell oder Union Carbide lassen zum einen gesellschaftliche Erwartungen an Unternehmen und zum anderen die Konsequenzen eines Mangels an Verantwortung auch in wirtschaftlichen Zahlen – und damit erstmals auch für die Unternehmen selbst – unverkennbar deutlich werden (Klein 2001; Ladd 1992). Auch im unternehmerischen Interesse, so wird deutlich, können weder Ignorieren noch passives Reagieren adäquate Formen des Umgangs mit den lauter werdenden Verantwortungsforderungen sein (Ungericht/Hirt 2010: 2; ähnlich Antal et al. 2007: 10). 4
Auch in anderen (europäischen) Ländern wird ausgehend von diesen Entwicklungen ein »CSR«-Diskurs angestoßen (dazu ausführlich Albareda et al. 2008; Habisch et al. 2005; Habisch/Brychuk 2011).
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Zum anderen tritt deutlich zutage, dass weder der Unverantwortlichkeit multinationaler Konzerne noch den dringenden umwelt- und soziopolitischen Problemen dieser Jahre auf nationalstaatlicher Ebene wirksam begegnet werden kann. Traditionelle rechtsstaatliche Steuerungsmittel verlieren vor dem Hintergrund entgrenzter Märkte an Bedeutung (Habermas 1998). Produkt-, Dienstleistungs-, Arbeits- und Finanzmärkte wurden globalisiert, »without globalizing the civic and democratic institutions that have historically comprised the free market’s indispensable context« (Barber 2000: 275). In dieser »postnationalen Konstellation« (Habermas 1998) kommt es zunehmend auf das Handeln internationaler Organe an. Mit dem Weltgipfel in Rio de Janeiro im Jahr 1992 wird dem Rechnung getragen und Umweltprobleme werden international als politisches Thema anerkannt. Mit der Agenda 21 einigen sich die Staaten auf strategische Handlungsfelder der Entwicklungsund Umweltpolitik, deren Bedeutung auf der Folgekonferenz in New York (1997) noch einmal unterstrichen wird. In einer ähnlichen Anstrengung wird im Jahr 1998 durch eine UN-Unterkommission zur Förderung und zum Schutz der Menschenrechte eine Expertengruppe zur Erarbeitung verbindlicher Normen der Unternehmensverantwortung eingesetzt. Im darauffolgenden Jahr initiiert UNGeneralsekretär Kofi Anan die Idee eines »Global Compact of shared values and principles« zwischen Vereinten Nationen und Wirtschaft, die im Jahr 2000 lanciert wird, und im gleichen Jahr verabschiedet die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ihre revidierten Leitsätze für Multinationale Unternehmen. Drei Jahre später, im Jahr 2003, befasst man sich auf dem G-8Gipfeltreffen in Evian (Frankreich) explizit auch mit dem Thema »CSR«. Unternehmerische Verantwortung ist für die internationale Politik ebenso wie für multinationale Konzerne zu einem relevanten, die nationalen Grenzen überschreitenden, Thema geworden. Dabei zeichnet sich international ein Kurs in Bezug auf die unternehmerische Verantwortung ab, der sich auch auf europäischer und später auf deutscher Ebene durchsetzen wird. Aus der Einsicht, dass insbesondere wirtschaftlich verursachte Probleme, noch dazu angesichts fehlender internationaler Rechtsmittel, nur unter deren aktiver Teilnahme gelöst werden können, sind Staaten ebenso wie Bürgerinnen auf die Kooperation von Unternehmen angewiesen: »Unlike national governance with its monopoly on the use of force and the capacity to enforce regulations upon private actors within the national territory, global governance rests on voluntary contributions and weak or even absent enforcement mechanisms.« (Scherer/Palazzo 2011: 900) Daraus ergibt sich eine Abkehr von der konfrontativen, begrenzenden Rahmung bestehender Probleme, die etwa die Publikation der »Grenzen des Wachstums« noch begleitet hatte, zu einer kooperativen, positiv konnotierten Rahmung. Weniger als Grenzen denn als Möglichkeiten werden die weltweiten Umweltprobleme nun dargestellt. Während der Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro bringt US-Präsident Goerge W.
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Bush diese Wende auf den Punkt: »Twenty years ago, some spoke of the limits to growth. Today we realize that growth is the engine of change and the friend of the environment.« (Bush 1992) Diese Entwicklungen schlagen sich auch in Europa nieder. Ebenso wie auf internationaler Ebene wird die Bedeutung umwelt- und sozialpolitischer Strategien auch von der Europäischen Kommission bestätigt und vermehrt Handlungsdruck auf die Mitgliedsländer ausgeübt. Ausdruck der gestiegenen Bedeutung dieser Themen auf europäischer Ebene sind etwa das fünfte Umweltaktionsprogramm von 1993, das als »umfassender Rahmen und strategisches Konzept für eine dauerhafte und umweltgerechte Entwicklung« verabschiedet wurde, der 1998 eingeleitete »Cardiff-Prozess«, der die Erarbeitung von »Sektorstrategien für die Einbeziehung der Umweltdimension« verfolgt sowie die »Lissabon Strategie« aus dem Jahr 2000, die sich mit der ökonomischen und sozialen Dimension der EUNachhaltigkeitsstrategie befasst. Nicht zuletzt hatte auch der damalige Präsident der Europäischen Kommission, Jacques Delors, zu Beginn der 1990er-Jahre zum Kampf gegen die soziale Ausgrenzung aufgerufen und damit insbesondere die soziale Dimension der Verantwortung auf die europäische Agenda gehoben. Ab dem Jahr 2000 steht das Thema »CSR« auf der Tagesordnung der Europäischen Politik. In diesem Jahr appelliert der Europäische Rat in Lissabon an das soziale Verantwortungsbewusstsein der Unternehmen und drängt auf die Einführung von »Best Practices« in den Bereichen lebenslanges Lernen, Arbeitsorganisation, Chancengleichheit, soziale Eingliederung und nachhaltige Entwicklung (EuK 2001: 3). In der im Dezember 2000 in Nizza proklamierten Charta der Grundrechte sowie im Rahmen des Göteborger Gipfels im darauffolgenden Jahr verpflichtet sich die Europäische Union, wirtschaftliche, soziale und ökologische Belange sowie Grundrechte, einschließlich Kernarbeitsnormen und Geschlechtergleichstellung, in ihre Politik zu integrieren (EuK 2002: 21). Diese Entwicklungen kulminieren in die Erarbeitung einer europäischen »CSR«-Strategie durch die Europäische Kommission. Der Beginn einer europäischen »CSR«-Politik ist für die Entwicklung des deutschen Diskurses unternehmerischer Verantwortung maßgeblich. Wesentlich sind vor allem die ersten beiden Publikationen der Europäischen Kommission aus den Jahren 2001 und 2002. Im Jahr 2001 veröffentlicht die Europäische Kommission ein erstes, als »Grünbuch« bekannt gewordenes, Dokument zum Thema »CSR« (»Europäische Rahmenbedingungen für die soziale Verantwortung der Unternehmen der EU (CSR)«, im Folgenden zitiert als EuK 2001). Mit dem Grünbuch macht die Europäische Union »die soziale Verantwortung der Unternehmen zu ihrem Anliegen« und zwar mit der Idee, »CSR« könne beitragen »zur Verwirklichung des in Lissabon vorgegebenen strategischen Ziels, die Union zum ›wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen
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– einem Wirtschaftsraum, der fähig ist, ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum mit mehr und besseren Arbeitsplätzen und einem größeren sozialen Zusammenhalt zu erzielen‹« (EuK 2001: 3).
»CSR« wird damit zum Bestandteil einer übergeordneten europäischen Wettbewerbsstrategie und sieht sich bereits durch diese Zielsetzung immer auch wirtschaftlichen Zielen – Wettbewerb, Wirtschaftswachstum, Innovation – verpflichtet. Ausgehend von dieser Zielsetzung wird an die Mitgliedsländer »appelliert, ein unternehmensfreundliches und ermutigendes Umfeld zu schaffen« und Unternehmen zu einem »pro-aktiven Ansatz« unternehmerischer Verantwortung anzuhalten (EuK 2001: 5-6). Jedes Mitgliedsland sei aufgefordert, auf nationaler Ebene »CSR« zu befördern, um so einen Beitrag zur Gestaltung eines wettbewerbsfähigen europäischen Wirtschaftsraums zu leisten.5 Die Europäische Kommission definiert »CSR« im Grünbuch als »ein Konzept, das den Unternehmen als Grundlage dient, auf freiwilliger Basis soziale Belange und Umweltbelange in ihre Unternehmenstätigkeit und in ihre Wechselbeziehungen mit den Stakeholdern zu integrieren« (EuK 2001a: 5). Trotz des Bezugs auf die Freiwilligkeit von »CSR« in der Definition verfolgt das Grünbuch, anders als die nachfolgenden Papiere (dazu auch Ungericht/Hirt 2010: 6; De Schutter 2008), einen Mix aus freiwilligen, marktbasierten und regulatorischen Mechanismen der Umsetzung unternehmerischer Verantwortung. Freiwillige Maßnahmen wie etwa Verhaltenskodizes dürften, so die Argumentation, weder Ersatz für nationale, europäische und internationale Rechtsvorschriften und verbindliche Regelungen sein, noch deren Weiterentwicklung behindern und wären lediglich dafür geeignet, diese Standards »zu ergänzen und anzuheben« (EuK 2001: 15, 8, eigene Hervorhebung, N.L.). Standards, wie die Grundsätze der Internationalen Arbeitsorganisation, werden dabei ebenso als verbindlich vorausgesetzt wie die Einhaltung bestehender Rechtsvorschriften (EuK 2001a: 5, 29). Zudem sei die Einhaltung von Standards und Verhaltenskodizes, einer »laufenden Überprüfung« sowie einem sorgfältigen Monitoring durch unabhängige dritte Parteien zu unterziehen – daran, so die Argumentation, »komme man nicht vorbei« (EuK 2001: 16, 20). Neben diesen Ideen zur Regulierung unternehmerischer Verantwortung geht es der Europäischen Kommission auch darum, den »Business Case for CSR« als marktbasierten Anreiz zu ihrer Verbreitung zu stärken. Dass damit ein Wandel des Verständnisses unternehmerischer Verantwortung einhergeht, wird auch von europäischer Seite deutlich herausgestellt:
5
Dabei wird »CSR« u.a. als unternehmerischer Beitrag zur Erreichung der EUNachhaltigkeitsziele verstanden (EuK 2002: 21), was später so auch von deutschen Akteuren übernommen wird.
228 | I NSTRUMENTALISIERTE V ERANTWORTUNG? »Sozial verantwortliches Handeln von Unternehmen hat eine lange Tradition in Europa. Was das heutige CSR-Verständnis von den Initiativen der Vergangenheit unterscheidet ist das Bemühen, CSR strategisch einzusetzen und zu diesem Zweck ein geeignetes Instrumentarium zu entwickeln.« (EuK 2002: 6, eigene Hervorhebung, N.L.)
Grundtenor dieses veränderten europäischen »CSR«-Verständnisses ist, dass Unternehmensverantwortung als »Investition« und nicht als »Kosten« zu betrachten sei (EuK 2001: 5). Die Erfahrung zeige, so die Kommission, dass »Investitionen« in umweltverträgliche Technologien und Unternehmenspraktiken »der Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens zuträglich« sein könnten, »wenn man über die bloße Gesetzeskonformität hinausgeh[e]« – so würden letztlich »neue Wege der Bewältigung des Wandels und neue Möglichkeiten, soziale Errungenschaften mit der Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit in Einklang zu bringen« eröffnet (EuK 2001: 7). Dabei wird neben der Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit (z.B. EuK 2001: 3, 4-5, 11) auf so unterschiedliche Wirkungen unternehmerischer Verantwortung verwiesen wie »Leistungssteigerung«, »höhere Gewinne« und »stärkeres Wachstum« (EuK 2001: 8), eine gesteigerte Motivation und Produktivität der Arbeitnehmerinnen sowie ein erhöhtes »Interesse der Verbraucher und Investoren«, was letztlich »gleichbedeutend mit besseren Marktchancen« sei (EuK 2001: 8). Gerade im Umweltbereich ließen sich »›Win-Win‹-Situationen« erreichen, die »gut für die Wirtschaft und gut für die Umwelt« seien (EuK 2001: 11, eigene Hervorhebung, N.L.). Auch auf die Kapitalmarktrelevanz unternehmerischer Verantwortung wird verwiesen: Dem »Status eines Unternehmens förderlich und mit ganz konkreten finanziellen Vorteilen verbunden« könne es sein, als verantwortlich handelndes Unternehmen anerkannt zu werden und damit etwa in entsprechende Börsenindizes aufgenommen zu werden oder Vorteile bei der Kreditvergabe zu generieren (EuK 2001: 8). Im Umkehrschluss könne »Kritik an der Unternehmenstätigkeit dem Ruf eines Unternehmens schaden, d.h. wesentliche Vermögenswerte, wie zum Beispiel den Markennamen und das Image, beeinträchtigen« (EuK 2001: 8). Der derart formulierte »Business Case for CSR« wird insbesondere mit der Erwartung verbunden, unternehmerische Verantwortung in besonderer Weise zu befördern und unter Unternehmen aller Größen zu verbreiten (EuK 2001: 7-8, 17). Das im Jahr 2002 veröffentlichte »Weißbuch« (»Die soziale Verantwortung der Unternehmen: ein Unternehmensbeitrag zur nachhaltigen Entwicklung«, EuK 2002) stellt diesen Gedanken, hier mit Blick auf KMU, deutlich hervor: »Der Nachweis, dass sozial und ökologisch verantwortungsvolles Handeln die Wettbewerbsfähigkeit und die nachhaltige Entwicklung insbesondere in den KMU fördert, wäre das wirkungsvollste Argument für die Integration von CSR in die Unternehmen […]. […] Allgemein zugängliche Informationen über den Business Case« seien »der Schlüssel zu einem besseren Verständnis und einer stärkeren Einbindung der KMU […]« (EuK 2002: 11, 13).
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Weiter heißt es, es sei unter anderem eine »wichtige Aufgabe« der Politik, »die Unternehmen darin zu unterstützen, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu steigern« sowie die »Auswirkungen von CSR und nachhaltiger Entwicklung auf die Unternehmensperformance« zu erforschen (EuK 2002: 22-23). Insgesamt wird es für wichtig befunden, das »Wissen über die Beziehung zwischen CSR und Unternehmensperformance (der Business Case)« zu befördern, da eine mangelnde Sensibilisierung hinsichtlich dieser Beziehung der weiteren Verbreitung bisher im Wege stehe (EuK 2002: 8, 20). Der »Business Case for CSR« wird hier zum wesentlichen Anreiz der Verbreitung unternehmerischer Verantwortung. Unternehmerische Verantwortung könne, so die Erwartungshaltung, vor allem befördert werden, wenn auch die Unternehmen davon profitierten. Dies ist eine Erwartungshaltung, die sich – wie wir nachstehend sehen werden – auch unter deutschen Akteuren durchsetzt und die Verbreitung instrumenteller, ja von nun klar instrumentell-voluntaristischer Motive befördert.
5.3 »C RITICAL
JUNCTURE « UND N EUFASSUNG UNTERNEHMERISCHER V ERANTWORTUNG : F ORMIERUNG EINER DEN »B USINESS C ASE FOR CSR« BEFÖRDERNDEN D ISKURSKOALITION WIRTSCHAFTLICHER UND STAATLICHER AKTEURE
Die vorstehend beschriebene Entwicklung eines europäischen »CSR«-Diskurses ist für den deutschen Diskurs von großer Bedeutung. Zum einen bildet sie das Momentum für das Wiedererstarken des deutschen Diskurses. Zunächst wirtschaftliche (5.3.1), wenig später auch staatliche Akteure (5.3.2) beginnen – in den ersten Jahren unter Fernbleiben zivilgesellschaftlicher Akteure –, sich erneut mit Fragen der unternehmerischen Verantwortung auseinanderzusetzen. Während sich die Entwicklungen auf europäischer Ebene für wirtschaftliche Akteure vor allem zu einem Bedrohungsszenario regulativer Eingriffe auswachsen und damit, ähnlich der Strategie der ›angreifenden Verteidigung‹ in den 1970er-Jahren, ein Wiederaufgreifen der Beschäftigung mit Fragen der Unternehmensverantwortung befördern, dieses Mal – ausgehend von der nun weniger sozial verpflichteten und aktiv gesteuerten, sondern zunehmend (neo)liberal geprägten Wirtschaftsordnung – jedoch unter veränderten Vorzeichen, so sehen sich staatliche Akteure von internationaler, insbesondere europäischer Seite gedrängt, ein Programm unternehmerischer Verantwortung zu entwickeln, dieses unter deutschen Unternehmen zu verbreiten und so zum Ziel der Europäischen Kommission beizutragen, den europäischen Wirtschaftsraum, auch in Fragen der Unternehmensverantwortung, zum ›weltweit wettbewerbsfähigsten‹ zu machen.
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Zum anderen zeigen sich wirtschaftliche und staatliche Akteure auch inhaltlich stark durch die Entwicklungen auf europäischer Ebene beeinflusst, an denen sie unter anderem durch das Europäische Multi-Stakeholder-Forum auch direkt beteiligt sind. Der neue Signifikant »CSR« dient dabei als gemeinsamer Anknüpfungspunkt wirtschaftlicher und staatlicher Akteure, die sich im Sinne einer »particular conjuncture« zu einer den »Business Case for CSR« befördernden Diskurskoalition zusammenschließen und sich in den Folgejahren stark an der »CSR«-Strategie der Europäischen Kommission orientieren. Nicht nur übernehmen sie den »CSR«-Begriff als führenden Signifikanten unternehmerischer Verantwortung ebenso wie dessen von der Europäischen Kommission vorgeschlagene Definition, seinen freiwilligen Charakter und viele der oben skizzierten instrumentellen Motive, auch wird der »Business Case for CSR« unter deutschen Akteuren mit der Erwartung verbunden, der Anreiz für die Verbreitung unternehmerischer Verantwortung zu sein. Diese Erwartungshaltung wird zunächst von wirtschaftlichen Akteuren im Hinblick auf die Freiwilligkeit von »CSR« befördert – Freiwilligkeit dabei zur Voraussetzung unternehmerischer Verantwortung erhoben – und schon bald von staatlichen Akteuren aufgegriffen. Letztere bringen weitere Motive des »Business Case for CSR« vor, von denen in dieser Phase vor allem Wettbewerbsmotive wiederum von wirtschaftlichen Akteuren aufgegriffen werden. Die gemeinsame Artikulation der Motive des »Business Case for CSR« ist es, die die wirtschaftlich-staatliche Diskurskoalition verbindet und über die Jahre zusammenhält. Dabei wird der »Business Case for CSR« als zunehmend alternativlos erscheinender Weg zur – als ›gemeinsames Ziel‹ dargestellten – Verbreitung unternehmerischer Verantwortung artikuliert und letztlich zur notwendigen Bedingung unternehmerischer Verantwortung erhoben. 5.3.1 Wirtschaftliche Akteure und ihre Motive im »CSR«-Diskurs – Aneignung statt Abwehr Wirtschaftliche Akteure greifen als Erste den Diskurs unternehmerischer Verantwortung wieder auf. Mit bedeutendem Vorsprung zu zivilgesellschaftlichen und bald schon in diskursiver Koalition mit staatlichen Akteuren übernehmen und befördern sie den von der EU-Kommission eingeführten Signifikanten »CSR« und definieren unternehmerische Verantwortung als freiwilliges und auf den unternehmerischen Erfolg gerichtetes Konzept. Indem sie eine ›quasi-natürliche‹, sich über die Jahre als geradezu notwendig darstellende, Verbindung zwischen Unternehmensverantwortung auf der einen und unternehmerischer Freiheit und ökonomischem Erfolg auf der anderen Seite herstellen, etablieren wirtschaftliche Akteure die Erwartung, Unternehmensverantwortung könne nur dann (erfolgreich) umgesetzt werden, wenn sie freiwillig sei und sich für die Unternehmen positiv auswirke:
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Freier Wettbewerb, sprich, das Ausbleiben von Regulierung und Standardisierung, wird zur notwendigen Voraussetzung, ja zum »Garant«, ›kreativer‹, ›effektiver‹ und ›effizienter‹ Unternehmensverantwortung (Econsense 2003: 4). Der »Business Case for CSR« ermöglicht es Unternehmen und Wirtschaftsverbänden, ihre Partikularinteressen – in erster Linie die Vermeidung staatlicher Eingriffe und die Bewahrung eines freien Wettbewerbs – mit der Forderung nach unternehmerischer Verantwortung zu verbinden. Ja vielmehr werden diese gerade unter Verweis auf das ›gemeinsame Ziel‹ einer Verbreitung unternehmerischer Verantwortung für die Akteure artikulierbar. Der Diskurs unternehmerischer Verantwortung wird folglich über den »Business Case for CSR« auch für die Wirtschaftsakteure anschlussfähig, erlaubt es ihnen, als »CSR«-Expertinnen wahrgenommen zu werden ohne dabei wesentlich vom »business as usual« abweichen zu müssen oder sich durch Regulierung eingeschränkt zu sehen. 5.3.1.1 Intensivierung und Professionalisierung der Diskursteilnahme wirtschaftlicher Akteure Das (Wieder-)Aufgreifen des Diskurses, ebenso wie eine veränderte Diskursbeteiligung manifestiert sich aufseiten wirtschaftlicher Akteure in der Gründung einer Reihe von »CSR«-Verbänden, die sich im Folgenden als rege Diskursteilnehmerinnen und Befördererinnen des instrumentell-voluntaristischen Motivmusters erweisen. Bereits im Jahr 2000 wird die Initiative Econsense (Economic and Ecological in Consensus) auf Betreiben des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) und von großen deutschen Unternehmen gegründet. Econsense, nicht zuletzt als Gegengewicht zum neu gegründeten »Rat für nachhaltige Entwicklung« ins Leben gerufen (Kinderman 2008), versteht sich selbst als »Meinungsbildner« und setzt sich die Verbreitung von »CSR« und »Nachhaltigkeit« unter deutschen Unternehmen zum Ziel (Econsense 2003). Der Initiative gehören heute die meisten der DAX-30-Unternehmen an. Eine weitere Initiative ist die im Jahr 2000 von den Arbeitgeber- und Industrieverbänden in Kooperation mit dem Wirtschaftsmagazin »WirtschaftsWoche« gegründete »Initiative Freiheit und Verantwortung«, auf die im Jahr 2004 eine weitere mit dem Namen »CSR Germany« folgt. Mit der Gründung dieser Initiativen ›institutionalisieren‹ und professionalisieren Unternehmen sowie Arbeitgeber- und Industrieverbände ihre Auseinandersetzung mit Fragen der unternehmerischen Verantwortung. Alle diese Initiativen setzen sich die Förderung unternehmerischer Verantwortung sowie deren öffentlichkeitswirksame Kommunikation, etwa durch die Darstellung von »best practice«-Beispielen, Preisverleihungen und Rankings sowie in Redebeiträgen, Stellungnahmen und Positionspapieren, Konferenzen und auf Internet-
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plattformen, zum Ziel.6 Sie zeigen nicht nur, dass »CSR« zu einem wesentlichen und wichtigen Thema für Unternehmen und Wirtschaftsverbände geworden ist, sondern belegen auch das Interesse dieser Akteure an einer aktiven Mitgestaltung unternehmerischer Verantwortung. »CSR«-Initiativen wie diese zeigen in der zweiten und auch in der dritten Phase eine rege Diskursbeteiligung (siehe Abbildung 10), artikulieren eigene Positionen, nehmen Stellung zu den Äußerungen anderer Akteure sowohl auf nationaler wie internationaler Ebene und sind in zahlreiche Kooperationen und Projekte involviert.7 Waren Arbeitgeber- und Industrieverbände ebenso wie Unternehmen schon zuvor am Diskurs beteiligt, partizipieren sie nun zusätzlich und ausdrücklich auch als »CSR«-Verbände, explizieren damit die Bedeutung des Themas für die eigene Arbeit und transportieren nicht zuletzt eine Form des »CSR«-Expertentums. Im Vergleich zur vorherigen Phase wird der »CSR«-Diskurs damit zunehmend von professionellen »CSR«-Akteuren geführt. Zudem fungieren diese Initiativen als Multiplikatoren der Positionen von Unternehmen respektive Arbeitgeber- und Industrieverbänden.
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Die Initiative »Freiheit und Verantwortung« hat diese Ausrichtung nicht zuletzt durch die strategische Partnerschaft mit der »WirtschaftsWoche« perfektioniert. Unter anderem verleiht die Initiative regelmäßig Preise für gesellschaftliches Engagement und nachhaltiges Unternehmenshandeln, über die auch in der »WirtschaftsWoche« berichtet wird, sodass sie einem breiten Publikum bekannt gemacht werden.
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Unter anderem wird mit Gründung der »CSR«-Verbände ein erhöhter Vernetzungsgrad der Diskursteilnehmer deutlich. Verbindungen sowohl zu anderen wirtschaftlichen Akteuren als auch zu staatlichen, vereinzelt auch zu zivilgesellschaftlichen Akteuren werden hergestellt. Neben ihrer ähnlichen inhaltlichen Ausrichtung weisen die wirtschaftlichen »CSR«-Verbände enge personelle Verbindungen zu anderen wichtigen Akteuren auf. Den Vorsitz bei »Freiheit und Verantwortung« etwa haben regelmäßig deutsche Bundespräsidenten inne, welche darüber hinaus maßgeblich in Aktivitäten der Initiative, so z.B. die Verleihung der Preise, Symposia und Informationsveranstaltungen, eingebunden sind. Im Fall von Econsense sind dies vor allem Kontakte zu anderen wirtschaftlichen Akteuren sowie zur Politik. So unterhält Econsense z.B. enge personelle Verbindungen zu den Arbeitgeber- und Industrieverbänden, auch wenn diese häufig nicht explizit kommuniziert werden. Jürgen Thumann etwa war zugleich Präsident des BDI und von Econsense und vertritt in beiden Rollen die gleichen Ziele, Eigenverantwortung und Freiwilligkeit in Bezug auf »CSR«, stellt die Verbindung beider Vereine jedoch selbst nicht in den Vordergrund (siehe z.B. »Freiheit und Verantwortung« 2005). Nicht nur wurde Econsense auf Initiative des BDI gegründet und ist im gleichen Haus angesiedelt, auch stellt Econsense regelmäßig Bemühungen an, auf die Politik Einfluss zu nehmen, sei es in öffentlichen Briefen oder im Zuge der zahlreichen Veranstaltungen, die Econsense organisiert (siehe auch Kinderman 2008: 19-21).
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Abbildung 10: Veröffentlichung von Texten zur Unternehmensverantwortung durch Wirtschaftsverbände nach 1995 9 8 7 6 5 4 3 2 1 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014
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(Eigene Darstellung)
Zu erklären ist diese frühe Aneignung des »CSR«-Begriffs durch die Wirtschaftsakteure sowie ihre rege Diskursbeteiligung als Antwort auf die sich, zumindest für die Wirtschaftsakteure, abzeichnende Bedrohung durch Regulierungsbestrebungen, wie sie sowohl vonseiten der Europäischen Kommission im Grünbuch angekündigt wurden (siehe oben sowie Ungericht/Hirt 2010: 6) als auch, wenn auch letztlich unbegründet, von der rot-grünen Regierung erwartet wurden: »Employers were concerned that Chancellor Gerhard Schröder’s newly elected Red-Green Government, with its left-wing finance Minister Oskar Lafontaine, would pursue an anti-business and redistributive agenda.« (Kinderman 2014: 9)8 Sie entspringt damit – wie schon in den 1970er-Jahren – einer Form der ›angreifenden Verteidigung‹ (siehe Kapitel 4.2.1). Anders als in der ersten Phase mündet dies nun jedoch weniger in ein grundsätzliches Überdenken des eigenen Handelns, sondern führt – ausgehend von den veränderten Verhältnissen – in eine das unternehmerische »business as usual« beschützende Haltung. Wie wir im Folgenden sehen werden, vertreten wirtschaftliche Akteure in dieser Phase eine nahezu ausschließlich instrumentell-voluntaristische 8
Dass Unternehmen die Bestrebungen vonseiten der europäischen Kommission vor allem als Bedrohungsszenario möglicher regulativer Eingriffe betrachten, zeigen nicht zuletzt die Beiträge zum Konsultationsprozess, der sich an die Veröffentlichung des »Grünbuchs« anschloss und in dessen Zuge sich in deutlicher Mehrheit Unternehmen und Wirtschaftsverbände zurückgemeldet hatten (Fairbrass 2011: 951-961), um sich vor allem gegen Regulierungsbestrebungen auszusprechen (De Schutter 2008: 207).
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Perspektive auf »CSR« und artikulieren kaum mehr relationale oder moralische Motive (siehe Abbildung 11), lehnen insbesondere Letztere zuweilen sogar explizit ab. Abbildung 11: Wirtschaftliche Akteure: Prozentuales Verhältnis instrumenteller, relationaler und moralischer Motive in der zweiten Phase Instrumentelle Motive 100,0 90,0 80,0 70,0 60,0 50,0 40,0 30,0 20,0 10,0 0,0
Relationale Motive
Moralische Motive
89,3
5,0
5,7
2. Phase (1995-2008) (Eigene Darstellung)
5.3.1.2 Etablierung einer quasi-natürlichen Verbindung zwischen »CSR« und Argumenten des »Business Case for CSR« – ›Freiheit und Wettbewerb‹ als Voraussetzung unternehmerischer Verantwortung In enger inhaltlicher Übereinstimmung wählen die Wirtschaftsakteure – Arbeitgeber- und Industrieverbände sowie die neu gegründeten wirtschaftlichen »CSR«Verbände – mit der Jahrtausendwende eine pragmatische Herangehensweise an unternehmerische Verantwortung. Akzeptierend, dass Fragen der unternehmerischen Verantwortung nicht länger zu umgehen sind, und deutlich in Aufruhr gebracht durch die Entwicklungen auf europäischer und deutscher Ebene, nähern sie sich dem Thema nun auf ihre eigene Weise. Dabei wird »CSR« in Einklang mit der Haltung der Europäischen Kommission als unternehmerischer Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung dargestellt und damit an den drei Säulen der Nachhaltigkeit – Ökonomie, Ökologie und Soziales – ausgerichtet. Beide, »CSR« und Nachhaltigkeit werden, »der Einfachheit halber«, von den Akteuren synonym verwendet (Econsense 2009a). Wesentlicher ist, dass »CSR« über die Jahre ausdrücklich als »Business Case« betrachtet und als »Bestandteil unternehmerischen Managements zur Sicherung der Zukunftsfähigkeit des Unternehmens und damit wohlverstandenes Eigeninteresse« interpretiert wird (Econsense 2010b: 2), was vor allem heißt, dass Unter-
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nehmensverantwortung »keine äußere Verpflichtung« sei und damit ausschließlich freiwillig umgesetzt werden könne (Econsense 2010: 2-3). Ausgehend von dieser Bestimmung unternehmerischer Verantwortung werden von den Wirtschaftsakteuren in den Folgejahren mehrere instrumentelle Motive artikuliert. Zwei davon werden besonders häufig vorgebracht: Beginnend mit der Verknüpfung von »CSR« und »Freiwilligkeit« wird eine notwendige Verbindung auch zwischen »CSR« und Wettbewerbsvorteilen hergestellt (»Wettbewerbsfaktor«), weniger häufig wird »CSR« auch als »Erfolgsfaktor/Investition« und »Versicherung« dargestellt. Insbesondere erstere zwei Motive sowie die dahinterliegende Ratio sollen im Folgenden vorgestellt werden. Verknüpfung von »CSR« und Freiwilligkeit – Freiwilligkeit als Voraussetzung für »effizientes«, »effektives« und »kreatives« Engagement Alle wirtschaftlichen Akteure setzen sich, unter Bezug auf die von der Europäischen Kommission verabschiedete »CSR«-Definition, für die Freiwilligkeit von »CSR« ein und beschreiben »CSR« bis heute als ein notwendigerweise freiwilliges Konzept – jedoch weitgehend unter Absehung der von der Europäischen Kommission vorgebrachten Vorschläge zur Transparenz, Kontrolle und Sanktionierung. Insbesondere Econsense setzt sich von Beginn an die Beförderung der Freiwilligkeit zum obersten Ziel (Econsense 2001, 2003, 2004). Zu ihrer Beförderung wird die Freiwilligkeit dabei zum einen als Voraussetzung unternehmerischen Engagements dargestellt, ihr eine positive, die unternehmerische Verantwortung förderliche Konnotation zugesprochen; zum anderen werden Regulierung und Standardisierung als Hindernis unternehmerischer Verantwortung, und damit dem ›allgemeinen Ziel‹ einer Verbreitung von »CSR« entgegenstehend, propagiert. Ziel ist – auf die eine oder andere Weise – die Verhinderung regulierender Eingriffe. Indem wirtschaftliche Akteure etwa zwischen Freiwilligkeit und Kreativität oder zwischen Freiwilligkeit und Effizienz eine Beziehung herstellen (Econsense 2005, 2010a), wird die Beförderung der als gemeinsames Ziel erhobenen Unternehmensverantwortung in Abhängigkeit von ihrer Freiwilligkeit gestellt. Um ihre »Kreativität« und »ihr innovatives Potenzial« zu entfalten, so die Argumentation, bräuchten Unternehmen den notwendigen Freiraum (Econsense 2003: 3, 5, 7, 21). Besonders häufig werden auch die Effizienz und Effektivität freiwilliger Formen von »CSR«, wie z.B. freiwillige Selbstverpflichtungen betont (BDI 2004; Econsense 2003). Die Kriterien der ›Kreativität‹, ›Effizienz‹ und ›Effektivität‹ werden dabei neu in den Diskurs eingeführt – sie stellen somit von den Wirtschaftsakteuren erhobene und zuvor nicht im Diskurs artikulierte Kriterien unternehmerischer Verantwortung dar, mittels derer die Freiwilligkeit unternehmerischer Verantwortung gerechtfertigt wird. Eine positive und notwendige Konnotation erhält die Freiwilligkeit von »CSR« bereits früh auch durch die Verbindung zu Begriffen der »Eigenverantwortung« oder »Eigeninitiative«, die immer wieder hergestellt wird (Econ-
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sense 2001: 1, 2003: 1, 3, 5, 12, 17-19, 21; BDA 2005: 4; Initiative Freiheit und Verantwortung 2005: 4, 5, 7, 9, 42): »Die Eigenverantwortung ist der Eckstein für gesellschaftliche Verantwortung.« (Thumann (BDI), Initiative Freiheit und Verantwortung 2005: 4, eigene Hervorhebung, N.L.). Eigenverantwortung wiederum sei vor allem durch ›Freiheit‹ zu stärken (BDA/BDI 2007: 2). Zum anderen wird eine klare Differenz zwischen Regulierung und Verantwortung hergestellt, sodass Formen der Regulierung aus dem Begriff der Verantwortung ausgeschlossen werden. »Im Gegensatz zu staatlicher Regulierung erkennen Selbstverpflichtungen die Lösungskompetenz der Industrie für die Erreichung von umweltpolitischen Zielen an und lassen den Unternehmen und Branchen den erforderlichen Gestaltungsspielraum, um die umweltpolitischen Ziele sowohl ökonomisch als auch ökologisch effizient zu erreichen.« (BDI 2004: 2) »Anders als andere politische Strategien kann Nachhaltigkeit […] nicht per Verordnung umgesetzt werden. Vielmehr geht es darum, einen politischen Rahmen zu schaffen, in dem durch Freiheit, Wettbewerb und Eigenverantwortung alle Potenziale insbesondere auch durch die Unternehmen genutzt werden können.« (Econsense 2003: 3)
Impliziert wird dabei immer wieder, dass unternehmerisches Engagement nur unter der Bedingung der Freiwilligkeit möglich sei, Regulierung dieses hingegen verhindere. Econsense etwa spricht sich explizit gegen sogenannte »one size fits all approaches« aus, d.h. für alle Unternehmen verbindliche Regelungen und Standardisierungen, da diese die »Kreativität« der Unternehmen sowie deren »hohes Engagement« zerstören würden (Econsense 2003, 2004, 2010). Unternehmen würden bereits zeigen, dass sie »Verantwortung durch freiwillige Vereinbarungen und Regelungen wahrnehmen. Neue gesetzliche Regelungen, die individuelle, freiwillige Lösungen ersetzen würden, halten wir dagegen nicht für geeignet, unser Engagement in diesen Bereichen zu stärken.« (Econsense 2003: 24, eigene Hervorhebung, N.L.).
Auch der BDA betont: »Für CSR kann es aufgrund der Vielfältigkeit und Komplexität keine vereinheitlichten Standards geben.« (BDA 2005: 5) Man setze sich deshalb dafür ein, »dass der freiwillige Charakter von CSR erhalten bleibt und Unternehmen ihr gesellschaftliches Engagement weiterhin individuell gestalten können«, »Vielfältigkeit und Freiwilligkeit« seien »die zentralen Prinzipien von CSR« (BDA 2005: 4). Nicht zuletzt geht es unter Verweis auf die »Vielfalt« und das »gemeinsame Ziel« auch um den von Kinderman (2012) als »Quid pro Quo« beschriebenen
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wirtschaftspolitischen Handel von »CSR«-Engagement gegen einen Verzicht auf staatliche Eingriffe: »Wir sind überzeugt, daß es sich für Politik wie Wirtschaft gleichermaßen auszahlen wird, eine Vielfalt an Lösungswegen zum gemeinsamen Ziel zuzulassen. Wir müssen jedoch gleichzeitig gewährleisten, dass neue Pflichten für Bürger oder Unternehmen auch mit einer Entlastung verbunden sind, vor allem durch Senkung von Steuern und Abgaben.« (Econsense 2003, eigene Hervorhebung, N.L.)
Wie ernst es insbesondere den Wirtschaftsverbänden mit ihrer auf Freiwilligkeit basierenden Neufassung unternehmerischer Verantwortung ist, zeigt nicht zuletzt der Ausstieg des BDI aus einem vom Bundesumweltministerium anberaumten Dialogprozess zur Erarbeitung gemeinsamer Grundsätze zur Stärkung des Umweltschutzes bei deutschen Auslandsinvestitionen. In der Begründung dieses Ausstiegs heißt es: »Der BDI hat sich entschieden, den ›Grundsätzen zur Stärkung von Umweltschutz bei Direktinvestitionen‹ nicht zuzustimmen und das Projekt nicht weiter zu verfolgen. […] Grund für das Scheitern der Umwelt-Erklärung ist, dass die Umweltverbände […] den Versuch unternommen haben, eine zusätzliche Klausel in den Text der Vereinbarung einzufügen. Demnach seien die Grundsätze lediglich als ein Zwischenschritt auf dem Weg zu notwendigen weitergehenden zwischenstaatlichen Regeln für transnational agierende Unternehmen anzusehen. Damit haben die Umweltverbände einseitig gegen den Geist der Freiwilligkeit der Vereinbarung verstoßen […].« (BDI 2002, zitiert in Kerkow et al. 2003: 9)
Hier kündigt sich bereits an, was sich später zum Kernpunkt der Auseinandersetzung zwischen wirtschaftlichen und staatlichen Akteuren auf der einen und zivilgesellschaftlichen Akteuren auf der anderen Seite entwickelt. ›Dialog‹ scheint für die Wirtschaftsakteure nur innerhalb des Rahmens der Freiwilligkeit möglich zu sein, schon Andeutungen von verbindlicher Regulierung führen zur Beendigung der ›Kooperationsbereitschaft‹.9 Statt auf rechtlich verbindliche Regulierung wird ausgehend von dieser Haltung vor allem auf freiwillige Selbstverpflichtung und Vereinbarungen zwischen Politik und Industrie gesetzt, die sich als »effektives und effizientes Mittel zur Erreichung 9
Kerkow und Kollegen (2003: 9) betonen sogar, dass der Versuch der Umweltverbände in dieser Art nicht stattgefunden habe und es sich lediglich um eine »Anmerkung der NGOs […] außerhalb des eigentlichen Textes der geplanten Vereinbarung« gehandelt habe, was für die Autoren den Schluss nahelegt, »dass der BDI nicht nur eine Abkehr vom Grundsatz der Freiwilligkeit bei Verhaltenskodizes rigoros ablehnt, sondern auch den kontinuierlichen Dialog über Unternehmensverantwortung mit all denen, die seine Meinung nicht teilen« (ebd.).
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politischer Ziele« erwiesen hätten (BDI 2004: 2). Mithilfe freiwilliger Selbstverpflichtungen wäre es »sehr viel leichter« und »ohne zusätzliche Bürokratie« möglich, »differenziert auf die spezifischen Bedingungen in den Unternehmen, aber auch an den jeweiligen Standorten einzugehen« (Econsense 2003: 7, 23) – gerade Verweise wie der auf die »zusätzliche Bürokratie« sind es, die später von staatlichen Akteuren aufgegriffen werden und dort ebenfalls in eine Präferenz voluntaristischer Ansätze münden. Es stehen damit Effizienz und Effektivität freiwilliger Verantwortung sowie Eigeninitiative und Eigenverantwortung auf der einen und Begrenzung von Kreativität und Vielfältigkeit des Engagements durch regulierte und standardisierte Verantwortung auf der anderen Seite. Forderungen bzgl. einer steuernden Rolle des Staates oder der Schaffung eines für alle Unternehmen einheitlich geltenden Rahmens sind vonseiten der Wirtschaft, anders als noch in der ersten Phase, kaum zu vernehmen. Dort, wo dem Staat auch in der zweiten Phase noch eine Aufgabe zugesprochen wird, geht es allein um die Bewahrung unternehmerischer Freiheit. Aufgabe der Politik sei es, »verlässliche politische Rahmenbedingungen« zu schaffen, »die die Potenziale unternehmerischen Engagements unter den Bedingungen weltweiten Wettbewerbs bestmöglich fördern« (Econsense 2001; ähnlich 2003: 3, 11). Die Abwesenheit von Forderungen nach »weitere[n] gesetzliche[n] Maßnahmen zur Förderung von gesellschaftlicher Verantwortung von Unternehmen« durch Unternehmen und Verbände stellt auch Rieth (2009: 107) fest. Dem ist hinzuzufügen, dass derartige Forderungen nicht nur ausbleiben, sondern sogar klar abgelehnt (Econsense 2003: 25) sowie »vereinheitliche Standards« und »Zertifizierungsbestrebungen« insgesamt »kritisch« betrachtet werden (BDA 2005: 5). Dass der Fokus auf die Freiwilligkeit ein neues Element des Diskurses darstellt, wird auch von den Akteuren selbst angemerkt. Beispielsweise werden die neuen Formen privater Regulierung als Bruch mit dem »traditionell dominierenden ordnungsrechtlichen Ansatz« dargestellt und als ein »neuer Entwicklungsstrang«, der »unmittelbar aus der Interaktion von Politik und Industrie hervorgegangen« sei (BDI 2004: 2). Wirtschaftliche Akteure schließen aus ihrem Begriff von »CSR« damit Aspekte der Regulierung, Vereinheitlichung und rechtlichen Verbindlichkeit aus und schreiben ihm die Freiwilligkeit, Vielfalt, Kreativität und Freiheit zu. Nur auf freiwilligem Wege, so die übergeordnete Aussage, sei unternehmerische Verantwortung umsetzbar. Über den Verweis auf das »gemeinsame Ziel« unternehmerischer Verantwortung werden die Partikularinteressen von Unternehmen und Wirtschaftsverbänden – hier das Ausbleiben regulativer Eingriffe – artikulierbar, womit der »Business Case for CSR« eine Anknüpfungsmöglichkeit wirtschaftlicher Akteure an den »CSR«-Diskurs wird. Die Verantwortung ist in diesem Sinne in den Autonomiebereich der Unternehmen gestellt; Unternehmen müssten »selbst entscheiden, welche Interessengruppen für sie relevant sind und welche Ansprüche sie erfüllen wollen und können« (BDA 2005: 7).
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Verknüpfung von »CSR« und unternehmerischen Wettbewerbsvorteilen: Wettbewerb als »Garant« für »CSR« und »CSR« als Wettbewerbsfaktor Eine Verbindung von »CSR« und Wettbewerb wird, die Argumentation staatlicher Akteure aufgreifend (siehe unten), von wirtschaftlichen Akteuren auf zweierlei Weise hergestellt und damit ein weiteres instrumentelles Motiv aufgegriffen und befördert. Zum einen wird (freier) Wettbewerb als notwendige, wenn nicht hinreichende, Bedingung verantwortlichen Wirtschaftens dargestellt und folglich, in enger Verbindung zur Freiwilligkeit, als Möglichkeit der Beförderung unternehmerischer Verantwortung präsentiert. Auch hier werden folglich die partikularen Interessen der Wirtschaft durch den Verweis auf das »gemeinsame Ziel« unternehmerischer Verantwortung artikulierbar. Über den »Business Case for CSR« wird der Diskurs zur Einschreibefläche wirtschaftlicher Interessen. Zum anderen wird »CSR« als »Wettbewerbsfaktor« betrachtet und damit aus dem Eigeninteresse der Unternehmer motiviert. Letztlich bedeutet die Freiwilligkeit des »CSR«-Konzepts für wirtschaftliche Akteure, dass es für die Beförderung unternehmerischer Verantwortung vor allem auf den Wettbewerb ankomme, ja Verantwortung sogar »fairen Wettbewerb brauch[e]« (Econsense 2003: 1). Erstere Argumentationsfigur zeigt ein Ineinandergreifen von Freiwilligkeits- und Wettbewerbsmotiven: Freiwillige »CSR« ist – unter Ausschluss der Möglichkeit moralischer Verpflichtung oder gesellschaftlichen Drucks – jeweils auf den Wettbewerb angewiesen. »Freier Wettbewerb in unternehmerischer Verantwortung ist ein wichtiger Garant für eine nachhaltige Entwicklung. Er verdient es, mit allen Kräften unterstützt zu werden: Durch Deregulierung und Flexibilisierung, wo immer dies möglich ist. Der Wettbewerb erscheint manchem als nachhaltigkeitsgefährdender Faktor, weil das Streben nach Profitabilität oft als vermeintlicher Gegensatz zu sozialer und ökologischer Verantwortung gesehen wird. Doch der Wettbewerb als Innovationsmotor ist unverzichtbar. So hat er in Ökonomie und Technologie entscheidend zur kontinuierlichen Verbesserung der ökologischen Bedingungen beigetragen. Wir brauchen Freiheit für konkurrierende Lösungsansätze, damit sich die besten Lösungen herausstellen können.« (Econsense 2003: 4, eigene Hervorhebung, N.L.) »Was uns als Unternehmen besonders wichtig erscheint, ist die Erkenntnis, dass Handeln nach dem Leitbild der Nachhaltigkeit fairen Wettbewerb braucht, dass Nachhaltigkeit Wachstum fördert und Nachhaltigkeit letztlich Arbeitsplätze schafft und sichert.« (Econsense 2003: 1)
Wettbewerb wird zur notwendigen und wie es scheint hinreichenden Bedingung für eine soziale und umweltgerechte Entwicklung erhoben. Verantwortung »bedarf des globalen Wettbewerbs auf Basis internationaler Fairness«, denn »[j]e mehr Menschen sich am Wettbewerb um die besten Ideen, Konzepte und Produkte beteiligen,
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desto größer der Nutzen für die Nachhaltigkeit. Dies ist letztlich die Ratio der Globalisierung.« (Econsense 2003: 6) Schon früh werden deshalb vonseiten wirtschaftlicher Akteure Forderungen an die Politik gestellt, welche auf eine wettbewerbsbasierte Anreizstruktur setzen. Die »weitest gehende Nutzung marktwirtschaftlicher Mechanismen« (Econsense 2010: 5, auch Econsense 2006, 2007), »marktbasierter Instrumente« (Econsense 2003: 13) (auch als »bottom-up«-Instrumente bezeichnet) und die »Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen im innereuropäischen wie auch im internationalen Wettbewerb (level playing field)« durch Regulierung seien wichtige und zu unterstützende Ziele im Aufbau politischer Rahmenbedingungen (Econsense 2010: 5). Neben der Darstellung von Wettbewerb als Voraussetzung für verantwortliches Unternehmertum, wird »CSR« von den Wirtschaftsakteuren auch als Mittel zur Verbesserung der eigenen Wettbewerbsposition betrachtet. Ein wichtiges Argument innerhalb des von den Wirtschaftsakteuren konstruierten »Business Case for CSR« wird somit die Verbindung zwischen einem »gesellschaftlichen Investment« – der Umsetzung von »CSR« – und unternehmerischen Wettbewerbsvorteilen (BDA 2005: 4-5; Econsense 2010a, 2010b). Wirtschaftliche Akteure sehen in der Wahrnehmung ihrer unternehmerischen Verantwortung die Möglichkeit, sich durch ein solches »Investment« von Wettbewerbern abzuheben, Innovationen und Märkte zu entwickeln und ihre »gesellschaftlichen Projekte als Werttreiber in das unternehmerische Kerngeschäft aufzunehmen« (Econsense 2001; 2010b). »CSR ist in einigen Sektoren für die Unternehmen bereits zu einem Wettbewerbsvorteil geworden. Die Wahrnehmung gesellschaftlicher Verantwortung kann je nach Branche und Größe für Unternehmen in Bereichen wie der Sicherung ihrer Innovationsfähigkeit, Verbesserung ihres Risikomanagements und Stärkung ihrer Marktposition von betriebswirtschaftlichem Nutzen und Bestandteil ihrer strategischen Ausrichtung sein.« (BDA 2005: 4)
Unternehmensverantwortung müsse als »wertschaffender Bestandteil« verstanden werden (Econsense 2003: 23). Unterstützung erfahren aufseiten wirtschaftlicher Akteure deshalb auch »Aktien-Indizes, Fonds und Kreditgeber[] am Kapitalmarkt, die gesellschaftlich und ökologisch verantwortungsvolles Verhalten der Unternehmen in den Mittelpunkt ihrer Aufnahme- und Vergabeentscheidungen stellen […], [d]enn mit solchen Indikatoren können wir unsere Überzeugung, dass gesellschaftlich verantwortliches Handeln langfristig Wettbewerbsvorteile sichert, argumentativ untermauern« (Econsense 2003: 24). Die Überzeugung einer positiven Verbindung zwischen »CSR« und Wettbewerbsposition der Unternehmen bezieht sich dabei auf so unterschiedliche Bereiche wie das Meistern des demografischen Wandels, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, die Erhaltung der Biodiversität oder die Entwicklung effizienter Technologien – diese Herausforderungen zu bewältigen werde in den kommenden Jahrzehn-
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ten entscheidend für die Sicherung »strategische[r] Wettbewerbsvorteil[e]« deutscher Unternehmen sein (Econsense 2003: 11, 16). Ein freiwilliges »verantwortungsvolles Verhalten der Unternehmen« erweise sich »als Schlüssel zur Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens, von dem Anteilseigner, Mitarbeiter, Kunden und Gesellschaft gemeinsam profitieren« (Econsense 2003: 23, 1). 5.3.1.3 Moralische und relationale Motive: Überführung in die instrumentelle Ratio Wir haben festgestellt, dass wirtschaftliche Akteure ausgehend vom ›Prinzip der Freiwilligkeit‹ eine instrumentelle Perspektive auf »CSR« einnehmen und ihre »CSR«-Aktivitäten vor allem als Mittel zur Verbesserung der eigenen Wettbewerbsposition betrachten und sich damit vornehmlich durch den »Business Case for CSR« motiviert sehen. Bedeutet dies auch eine Abnahme anderer möglicher Perspektiven auf »CSR«? Abbildung 11 zeigt, dass moralische und relationale Motive innerhalb der Argumentation wirtschaftlicher Akteure in der zweiten Phase kaum mehr artikuliert werden. Ausgehend von der von den Wirtschaftsakteuren vertretenen, z.B. auf Effizienz und Effektivität unternehmerischer Verantwortung verweisenden Ratio, scheint gerade gegenüber moralischen Motiven eher eine Abgrenzung stattzufinden und diese damit explizit aus dem Diskurs ausgeschlossen zu werden. Beispielsweise geschieht dies, indem moralische Motive der eigenen ›rationalen Vernunft‹ und Lösungsorientierung entgegengestellt werden. Mit Blick auf das Thema Menschenrechte ist hier beispielsweise von einer »emotionalisierten und politisierten Diskussion« die Rede, zu deren »Versachlichung« die Wirtschaftsverbände beitragen wollen (BDA 2008a: 5). Auch heißt es, vor allem auf »normiertes sozial und ethisch korrektes Verhalten [zu] setzen, statt die Kreativitätspotenziale der Unternehmen zu analysieren«,10 stünde unternehmerischer Verantwortung entgegen (Econsense 2010a). Durch das Gegenüberstellen der ›rationalen‹, instrumentellen Vernunft wirtschaftlicher Akteure und den ›emotionalisierten‹ Forderungen hinsichtlich der Menschenrechte in der Wirtschaft werden Letztere delegitimiert und ausgeschlossen. Dort, wo vereinzelt auf moralische Motive – etwa ›moralische Verpflichtungen‹, die ›Rückbesinnung auf Werte‹, eine ›Ethik der Verantwortung und des guten 10 Hier sticht erneut der Verweis auf die »Kreativität« ins Auge, die als Kriterium unternehmerischer Verantwortung zunächst einmal weit hergeholt erscheint. Sie soll in diesem Zusammenhang vor allem die aktive und vielseitige Betätigung der Unternehmen in Fragen unternehmerischer Verantwortung vermitteln, drückt aber vor allem aus, dass es den Unternehmen weniger um die verantwortliche Ausführung ihrer Geschäftstätigkeit geht, sondern um Programme und Projekte, die sich in ›kreativer‹ Weise neben der Geschäftstätigkeit her anzusiedeln scheinen.
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Vorbildes‹ – rekurriert wird, werden diese stets an instrumentelle Motive rückgebunden. Dies zeigt unter anderem das folgende Zitat, das zwar von der »selbstverständlichen Verpflichtung« hinsichtlich der Einhaltung von Menschenrechen spricht, diese jedoch sogleich in die wirtschaftliche Ratio überführt und dabei das Unternehmen in den Mittelpunkt der Betrachtung rückt: »Neben der selbstverständlichen Verpflichtung eines jeden einzelnen Unternehmens auf Humanität und Ethik gibt es auch wirtschaftliche Motive die für die Einhaltung der Menschenrechte sprechen. Die Stärkung politischer Freiheiten fördert wirtschaftliche Entwicklung beispielsweise durch die Verbesserung von Investitionsmöglichkeiten, von Freizügigkeit oder von Bildungsmöglichkeiten für Arbeitskräfte. Die Verletzung von Menschenrechten und die Abwesenheit von Rechtsstaatlichkeit hingegen beeinträchtigen wirtschaftliche Aktivitäten massiv und behindern damit auch multinational tätige Unternehmen.« (BDA 2008a: 12)
Nicht zuletzt scheint der Verweis auf Ethik und Moral häufig als weiterer Grund für die Ablehnung politischer Eingriffe zu fungieren, wie das folgende Zitat mit Blick auf die zu dieser Zeit in der Kritik stehende Managerinnenentlohnung deutlich macht: »Die Soziale Marktwirtschaft braucht nicht nur Wettbewerbsregeln, sondern auch eine Ethik der Verantwortung als Sperre gegen Kontrollverlust und Maßlosigkeit. Jeder, der in der Wirtschaft Verantwortung trägt, muss an seinem Platz glaubwürdig durch sein eigenes Handeln dazu beitragen, die Menschen für eine freiheitliche Wirtschaftsordnung zu gewinnen. Die Wirtschaft und ihre Vertreter müssen Vorbilder für unsere Gesellschaft sein und sich höchsten Ansprüchen an ihr Handeln stellen. Verfehlungen müssen konsequent geahndet werden. Die Entscheidung über die Höhe von Managergehältern und -abfindungen gehört in die Unternehmen. Versuche der Politik, mit steuerlichen Sonderregelungen u. ä. auf die Gehaltsfindung Einfluss zu nehmen, schaden vor allem den Anteilseignern und schüren die Neiddebatte.« (BDA 2008b: 10)
Häufig kommt es zu einer ›Moralisierung‹ ökonomischer Argumente. Dies wird etwa dort deutlich, wo dem unternehmerischen Handeln ein gesellschaftlicher Wert per se zugeschrieben und damit der ökonomischen Ratio eine eigene Moral zugesprochen wird. So wird vereinzelt etwa die Versorgung der Gesellschaft mit Gütern als »ethische Dimension« der Wirtschaft bezeichnet (BDA 2006: 4) oder auf die »soziale Dimension des Faktors Wettbewerbsfähigkeit« verwiesen (Econsense 2011: 3). Damit wird jedoch weniger auf moralische Motive für »CSR« rekurriert, als vielmehr dem Ökonomischen ein gesellschaftlicher Wert in sich zugeschrieben. Weniger als um eine ethische (Um-)Gestaltung wirtschaftlichen Handelns geht es um eine Moralisierung desselben. In diese Richtung stoßen auch Artikulationen, die
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etwa die Beseitigung von »Marktschranken« als Mittel zu einer »fairen Globalisierung« bzw. »Freihandel« als »die effizienteste Entwicklungshilfe« betrachten: »Eine durch Freihandel ermöglichte Bekämpfung der weltweiten Armut und die Schaffung von mehr Wohlstand in Entwicklungsländern ist unverzichtbar für die Sicherung von Frieden und Stabilität in der Welt.« (Econsense 2003: 6)
Auch der BDA (2008a: 13) betont: »Im Rahmen ihrer Direktinvestitionen schaffen deutsche Unternehmen im Ausland Arbeitsplätze und ermöglichen höhere Sozialstandards, mehr Umweltschutz, bessere Bildung und damit insgesamt die Erhöhung des Lebensniveaus der Menschen und mehr Wohlstand in den jeweiligen Ländern. Dies erhöht zugleich das Potenzial für mehr Demokratie und Menschenrechte.«
Insbesondere die Formulierung »CSR im Kerngeschäft« wird dabei häufig verwendet (erstmals Econsense 2001).11 Mit der »Verantwortung im Kerngeschäft« wird eine enge und natürlich erscheinende Verbindung zwischen originärer Unternehmenstätigkeit und Verantwortung hergestellt. Die Verankerung der Verantwortung im täglichen Handeln des Unternehmens erweckt zugleich den Anschein eines inhärenten Wertes dieses Handelns für Gesellschaft und Umwelt. »Zweck der Wirtschaft ist es, die Menschen mit Gütern und Dienstleistungen zu versorgen – in ausreichender Menge, zu marktfähigen Preisen und mit der gewünschten Qualität. Das ist der Dienst der Wirtschaft am Menschen und darin besteht ihre ethische Dimension.« (BDA 2006: 4)
Wirtschaft sei »Dienst von Menschen für Menschen« und auch der Wettbewerb komme »letztlich der Gesellschaft insgesamt zu Gute« (Initiative Freiheit und Verantwortung 2005: 6). Innerhalb dieser Argumentation wird Verantwortung vor allem als Verantwortung zur Profitabilität verstanden:
11 Wie wir in Kapitel 7 sehen werden, wird auf diese Formulierung auch von den DAX-30Unternehmen immer wieder rekurriert. Die Integration von »CSR« in die originäre Geschäftstätigkeit des Unternehmens bedeutet für Unternehmen innerhalb der Pharmaindustrie etwa die Erhöhung der Medikamentenzugänglichkeit in den sogenannten »Entwicklungsländern« in Verbindung mit der Erschließung zukünftiger Märkte; für Unternehmen in der Konsumgüterindustrie ist damit zum Beispiel die Erzielung von Wettbewerbsvorteilen durch nachhaltige Produkte oder die Einsparung von Verpackungskosten verbunden.
244 | I NSTRUMENTALISIERTE V ERANTWORTUNG? »Wir betrachten es als unsere wichtigste unternehmerische Verantwortung, profitabel zu wirtschaften und dabei im Einklang mit den Bedürfnissen von Umwelt und Gesellschaft zu handeln.« (Econsense 2001, 2003: 3, 10, 15) »Nachhaltigkeit heißt für Unternehmen schlicht, gut zu wirtschaften, mit einer realistischen Ausgewogenheit zwischen Gewinnerzielung und Sicherung der Zukunftsfähigkeit. Schon deshalb ist es unser ureigenes Anliegen, gesamtgesellschaftlich, sozial und ökologisch verantwortlich zu denken und zu handeln.« (Econsense 2003: 3)
Mit der selbstverständlichen Verbindung von Verantwortung und ökonomischem Interesse geht die Konstruktion wirtschaftlichen Handels als per se verantwortlichem Handeln einher. Mögliche Zielkonflikte zwischen ethischen Ansprüchen und wirtschaftlichen Anforderungen werden innerhalb dieser Argumentation negiert. Es heißt z.B.: »Ethik und Wirtschaft sind keine Gegensätze. […] Gutes Wirtschaften setzt sich zusammen aus ethisch und ökonomisch richtigem Handeln. Unternehmen, die erfolgreich wirtschaften und sich in einer Wettbewerbsordnung behaupten, leisten einen wichtigen und unersetzbaren Beitrag zum Gemeinwohl. Sie bieten Freiheits- und Lebenschancen für die Menschen und schaffen die Basis für Wohlstand und Sicherheit. In einer Wettbewerbsordnung wie der Sozialen Marktwirtschaft ist das Handeln der Unternehmen daher grundsätzlich ethisch legitim.« (BDA 2006: 6)
Letztlich wird jedoch auch dabei die »ethische Verantwortung« zum wettbewerbsrelevanten Faktor: »Die ethische Verantwortung bewusst wahrzunehmen ist bereits zu einem Wettbewerbsfaktor für viele Unternehmen geworden: bei der Sicherung ihrer Innovationsfähigkeit, bei der Verbesserung ihres Risikomanagements, bei der Stärkung ihrer Marktposition, bei ihrer strategischen Ausrichtung, bei der Motivation ihrer Mitarbeiter.« (BDA 2006: 7)
Es liege im »Eigeninteresse des Unternehmens […], seine Existenz nachhaltig zu sichern, seine Marktposition auszubauen und sich zukunftsfähig zu machen. Dabei helfen ihm ethische Werte wie Verantwortung und Verlässlichkeit, Freiheit und Offenheit, Integrität und Wahrhaftigkeit u.a.m. maßgeblich. […] Werte wie Zuverlässigkeit, Wahrhaftigkeit und Sorgfalt ›lohnen‹ sich mithin auch betriebswirtschaftlich.« (BDA 2006: 6)
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5.3.2 Staatliche Akteure und ihre Motive im »CSR«-Diskurs – Schaffung eines aktivierenden Umfeldes für die Umsetzung unternehmerischer Verantwortung Auch aufseiten staatlicher Akteure verändern sich Qualität und Quantität der Diskursteilnahme und, ähnlich der Diskursveränderung wirtschaftlicher Akteure, findet auch unter staatlichen Akteuren in dieser Phase eine Auseinandersetzung mit der unternehmerischen Verantwortung unter dem Signifikanten »CSR« statt. Weitgehend in Analogie zu den wirtschaftlichen Akteuren konstruieren Bundesregierung und Bundesministerien ausgehend vom Grünbuch der Europäischen Kommission einen auf dem »Grundsatz der Freiwilligkeit« und sich »in Wettbewerbs- oder sonstigen Marktvorteilen und positiven Unternehmensbilanzen niederschlagen[den]« Begriff der Unternehmensverantwortung und steigen damit nicht zuletzt auf den vonseiten wirtschaftlicher Akteure eingeschlagenen und im vorherigen Abschnitt dargestellten Kurs des »Business Case for CSR« ein (BR 2002b), den sie in diskursiver Koalition mit diesen Akteuren bestärken und im Diskurs etablieren. Dabei ist das Vorbringen gerade instrumenteller Motive nicht als bloßes Reagieren auf die Artikulationen wirtschaftlicher Akteure zu verstehen; auch bringen staatliche Akteure eigene instrumentelle Motive vor, die dann von den Wirtschaftsakteuren aufgegriffen werden. So verbreiten sich die Argumente des »Business Case for CSR« in gegenseitiger Bestätigung zwischen wirtschaftlichen und staatlichen Akteuren und entwickeln sich zunehmend zum für die Unternehmensverantwortung ›typischen‹ Vokabular von Motiven. Eine wichtige Entwicklung geht den Veränderungen des staatlichen Diskurses jedoch voraus, welche die spätere Ausgestaltung von »CSR« beeinflusst und die Richtung für den Verlauf des »CSR«-Diskurses bereits ankündigt und ›vorbereitet‹. Diese betrifft insbesondere das Konzept der »Nachhaltigkeit«, das mit dem Begriff »CSR« aufs Engste verflochten ist. Wie die wirtschaftlichen Akteure versteht die Bundesregierung »CSR« bis heute als einen »wesentliche[n] Beitrag der Unternehmen zu einer nachhaltigen Entwicklung« (BMAS 2010a: 35; BMU 2008c: 6) bzw. als Teil der »Corporate Sustainability« (BMU 2008c: 6; BR 2004: 140-142). Die Fortführung der Auseinandersetzungen um den Nachhaltigkeitsbegriff in dieser Phase bildet den Boden, auf dem ein sich von vorherigen Diskussionen der »gesellschaftlichen Verantwortung« unterscheidendes Konzept instrumenteller »CSR« fruchten kann.12 Die dem »CSR«-Diskurs vorausgehende Debatte um den Begriff 12 In Deutschland nehmen sich, wie wir gesehen haben, insbesondere der Sachverständigenrat für Umweltfragen und das Umweltbundesamt früh des Themas an (SRU 1990,1994). Ab Mitte der 1990er-Jahre beginnt auch das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit sich vermehrt mit dem Thema der Nachhaltigkeit auseinanderzusetzen (BMU 1998, siehe dazu auch BT 1998: 33). Wesentlich dafür ist auch weiterhin
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der »Nachhaltigkeit« ist damit für die Entwicklung der unternehmerischen Verantwortung und, wie sich zeigen wird, auch für die Entwicklung des »Business Case for CSR« von grundlegender Bedeutung. 5.3.2.1 Nachhaltigkeit als Wegbereiter für die Umorientierung unternehmerischer Verantwortung War Nachhaltigkeit in Deutschland von Beginn an eng mit den Begriffen der »wirtschaftlichen Entwicklung« und des »wirtschaftlichen Fortschritts« verbunden, so spiegeln sich in der Konzentration dieser Auseinandersetzung auf die ökologischen Aspekte der Nachhaltigkeit zunächst noch die frühen Umweltdebatten der 1970erund 1980er-Jahre wider (siehe dazu Kapitel 4). Beschrieben als »dauerhaftumweltgerechte Entwicklung«, stand der Begriff der Nachhaltigkeit für die Ausrichtung der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung an der Belastbarkeit der Umwelt (z.B. SRU 1994: 9). Zwar wird auch in den frühen Schriften die Interdependenz des ökologischen Systems mit sozialen und ökonomischen Entwicklungen erkannt und als wichtig erachtet (SRU 1990, 1994), eine soziale oder ökonomische Dimension der Nachhaltigkeit, wie sie heute formuliert werden, spielen hier jedoch noch eine untergeordnete Rolle (siehe dazu auch BT 1998: 37). Insgesamt zeigte man sich hinsichtlich Ausgestaltung und Umsetzungsinstrumentarium bis dato unentschieden. Dies ändert sich grundlegend, als Bundesregierung und Bundestag sich gegen Ende der 1990er-Jahre des Themas annehmen. Der Druck auf die Regierung hatte über Jahre zugenommen und sowohl der Sachverständigenrat für Umweltfragen als auch der »Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen« (WBGU) hatten vermehrt eine systematische und umfassende Auseinandersetzung mit Fragen der Nachhaltigkeit angemahnt (SRU 1990, 1994) bzw. die Bundesregierung dazu aufgerufen, sich stärker am Leitbild »nachhaltiger Entwicklung« auszurichten (WBGU 1996, siehe dazu auch BT 1998: 37). Wie vorstehend aufgezeigt, hatte zudem die Rio-Folgekonferenz in New York im Jahr 1997 die Staaten erneut dazu aufgefordert, nationale Nachhaltigkeitsstrategien zu erarbeiten und umzusetzen, und auch auf Ebene der EU war mit der Strategie für eine nachhaltige Entwicklung die Dringlichkeit zu handeln noch einmal unterstrichen worden. So sollten künftig »alle Politiken danach beurteilt werden, ob sie zur nachhaltigen Entwicklung innerhalb und außerhalb der Union beitragen« (BR 2002b: 27-28). Die gestiegene Anerkennung der Handlungsnotwendigkeit und die konkreten Aufforderungen auf nationaler und internationaler Ebene machten auch innerhalb Deutschlands politische Lösungsstrategien notwendig, die das eigene Handeln konkretisiedie »Enquete-Kommission zum Schutz des Menschen und der Umwelt«, die mit ihren Zwischen- und Abschlussberichten wichtige Beiträge lieferte (EK SMU 1993, 1994, 1998).
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ren und systematisieren sollten, vor allem aber in der Lage sein mussten, strategisch relevante Akteure zum Handeln zu bewegen (BR 2002b: 6). Bundesregierung und Bundestag reagieren auf den gestiegenen Handlungsdruck vor allem mit der erneuten Einsetzung der Enquete-Kommission »Schutz des Menschen und der Umwelt – Ziele und Rahmenbedingungen einer nachhaltig zukunftsverträglichen Entwicklung« im Juni 1995,13 die den Auftrag erhält, eine nationale Nachhaltigkeitsstrategie und Grundlagen für einen nationalen Umweltplan zu erarbeiten. Wenig später fasst der Bundestag einstimmig den Beschluss, die Bundesregierung aufzufordern, eine konsensfähige nationale Umweltstrategie zur Konkretisierung und Umsetzung des Leitbildes der nachhaltigen Entwicklung im Dialog mit Wissenschaft, Wirtschaft und gesellschaftlichen Gruppen zu entwickeln. Es heißt: »Die Phase des Theoretisierens muß endlich vorbei sein« (EK SMU 1998: 3). Nachhaltigkeit müsse zur »Chefsache werden und im Mittelpunkt der Bemühungen des Staates stehen« sowie »in allen Bereichen von Wirtschaft und Gesellschaft weit oben auf die Agenda gesetzt werden« (BT 1998: 4). Die Gründung des »Rates für Nachhaltige Entwicklung« im Jahr 2001, die zuvor von der zweiten EnqueteKommission empfohlen worden war (EK SMU 1998: 3), und die Verabschiedung der »Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie« im Jahr 2002 (BR 2002b) sind Zeichen der Anerkennung dieser Forderungen. Zwei wesentliche Entwicklungen werden in diesen Jahren eingeleitet, welche die Wandlung des Verantwortungsdiskurses zum »Business Case for CSR« begünstigen und einen veränderten Politikstil zeigen. Erstens setzt sich in den 1990erJahren – wie auch auf internationaler Ebene – ein »integratives« Verständnis der Nachhaltigkeit durch, das die Verknüpfung von Ökologie, Sozialem und Ökonomie legitimiert und damit auch die spätere Verbindung von Verantwortung und (finanziellen) Unternehmenszielen erleichtert. In Bezug auf den Begriff der Nachhaltigkeit ist mit dieser Verbindung ein Trend der »Ökonomisierung« bzw. »Instrumentalisierung« zumindest eingeleitet. Zweitens wird innerhalb dieses integrativen Bildes der Nachhaltigkeit zunehmend auf freiwillige Selbstverpflichtungen gesetzt, woran der Freiwilligkeitskurs des »CSR«-Diskurses anknüpfen kann. Sie lösen den früheren Kurs staatlicher Regulierung und unternehmerischer Moral zwar noch nicht ab,
13 Zuvor hatte sich bereits eine Vorgänger-Kommission mit der Umwelt als »Engpassfaktor« insbesondere für die wirtschaftliche Entwicklung auseinandergesetzt, bzgl. einer übergreifenden nationalen Nachhaltigkeitsstrategie jedoch nur wenige Fortschritte erreicht. Dabei handelte es sich um die Enquete-Kommission »Schutz des Menschen und der Umwelt – Bewertungskriterien und Perspektiven für umweltverträgliche Stoffkreisläufe in der Industriegesellschaft«, die ihre Arbeit 1994 mit dem Bericht »Die Industriegesellschaft gestalten – Perspektiven für einen nachhaltigen Umgang mit Stoff- und Materialströmen« abschloss.
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stellen ihn doch aber zunehmend infrage und leiten nicht zuletzt einen kooperativen Kurs zwischen Staat und Wirtschaft ein. Ökonomisierung der Nachhaltigkeit Ausgehend von der Definition der Enquete-Kommission im Jahr 1998 und in Fortsetzung des bereits im ersten Bericht eingeführten »Drei-Säulen-Modells«, wird ein deutlicher Schritt im Sinne des von der Rio-Konferenz vorgegeben integrativen Kurses auch in Deutschland getan.14 Die Idee des auch international an Bedeutung gewinnenden »Triple Bottom Line«-Ansatzes ist damit auch in der deutschen Strategie verankert und bestimmt von nun an, trotz deutlicher Kritik vonseiten des Sachverständigenrats für Umweltfragen,15 die Nachhaltigkeitsdiskussion. Ausgehend von der gegenseitigen Abhängigkeit der drei Dimensionen der Ökologie, des Sozialen und der Ökonomie geht es nun nicht mehr darum, die Wirtschaft an den Grenzen der Ökologie auszurichten, sondern die soziale und ökologische 14 Der Bericht nimmt immer wieder deutlich Bezug auf die Konferenz in Rio und stellt das Aktivwerden der Bundesrepublik Deutschland auch als Reaktion auf die mit Rio gestartete internationale Debatte dar: »Spätestens seit dem Erdgipfel von Rio steht das Thema Nachhaltigkeit auf der politischen Agenda. Die Bundesrepublik Deutschland als eine der reichsten Industrienationen der Erde ist besonders gefordert, wenn es darum geht, eine Vorreiterfunktion für eine nachhaltige Entwicklung zu übernehmen und Impulse für eine ökologisch, ökonomisch und sozial gleichermaßen vertretbare Zukunftsperspektive zu geben.« (EK SMU 1998: 8, dort außerdem 30, 78, 206, 217-220.) Auch die Folgekonferenz 1997 in New York, auf der insbesondere die Verabschiedung nationaler Strategien angemahnt wurde, wird hier erwähnt, was deren Einfluss auf die Bundesregierung in Deutschland unterstreicht (EK SMU 1998: 30). 15 Insbesondere steht dabei in der Kritik, dass mit dem Vorschlag der Bundesregierung der Begriff der Nachhaltigkeit eher geöffnet als konkretisiert werde (SRU 2002: 28). Weiter kritisiert der Sachverständigenrat für Umweltfragen: »Ergebnisse von Forschungsprojekten, die mit diesem Konzept arbeiten, wie auch der politische Umgang mit diesem Konzept machen allerdings deutlich, dass das Drei-Säulen-Konzept zu einer Art Wunschzettel verkommt, in den jeder Akteur einträgt, was ihm wichtig erscheint. Das Konzept begünstigt damit zunehmend willkürliche Festlegungen. […] Ein Nachhaltigkeitskonzept, das für jedes wichtige Thema offen ist, verliert aber zwangsläufig jede Orientierungsfunktion.« (SRU 2002: 21, 28) Bemängelt wird auch »eine konzeptionelle und inhaltliche Konturlosigkeit sowie eine zunehmende Trivialisierung« der deutschen wie internationalen Nachhaltigkeitsdebatte (SRU 2002: 57). »Dabei sind unterschiedliche Akteure bestrebt, den Begriff gemäß ihren Interessen zu besetzen. Es entsteht der Eindruck, als könnten unterschiedliche, oft auch gegensätzliche politische Ziele unter Rekurs auf diesen Begriff gleichermaßen gut begründet werden. Die Folge ist eine Auflösung der Orientierungsfunktion des Leitbildes der nachhaltigen Entwicklung.« (SRU 2002: 57)
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Dimension im Rahmen des ›ökonomisch Machbaren‹ zu betrachten. Hatte in der deutschen Diskussion »bislang der Umweltaspekt als Grundlage für eine Politik der nachhaltig zukunftsverträglichen Entwicklung im Vordergrund« gestanden, »während man die entwicklungspolitische Komponente, die soziale und ökonomische Dimension des Leitbildes vernachlässigte« (BT 1998: 16), so gilt von nun an als »[z]entrales Ziel des Nachhaltigkeitsanliegens« die »Sicherstellung und Verbesserung ökologischer, ökonomischer und sozialer Leistungsfähigkeiten« (BT 1998: 19, eigene Hervorhebung, N.L.). Es heißt, der Begriff der Nachhaltigkeit dürfe nicht auf die Ökologie »begrenzt« bleiben (BT 1998; ähnlich BR 2002b: 4). Alle drei Dimensionen seien von nun an »gleichberechtigt und gleichwertig« zu behandeln (BT 1998: 18). Die Enquete-Kommission vertritt in ihrem Abschlussbericht damit einen Nachhaltigkeitsbegriff, der sich vom Vorrang der Ökologie abwendet und sich dem von nun an leitenden Gedanken der »Integration«16 bzw. einer »integrativen Politik der Nachhaltigkeit« zuwendet (BT 1998: 47). Statt von Begrenzung ist dabei nun von »Effizienzrevolution« (BR 2002b: 9), statt von Zielkonflikten ist von »Ausgleich« die Rede (BR 2002b: 8). Zwar werden mitunter noch immer mögliche Zielkonflikte angesprochen, deutlich wird jedoch auch die grundsätzliche Möglichkeit der »gleichberechtigten« und »gleichzeitigen« Erreichung aller drei Dimensionen in Aussicht gestellt. So heißt es etwa in der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung: »Zu Unrecht« seien »Ökonomie und Ökologie […] in der Vergangenheit oft als Gegensatz verstanden worden.« (BR 2002b: 11) Zielkonflikte, so heißt es nun, würden langfristig betrachtet eher abnehmen (BR 2002b: 13). Die Neuausrichtung am »Drei-Säulen-Modell« äußert sich damit vor allem an einem veränderten Verhältnis ökologischer zu sozialen, vor allem aber ökonomischen Fragen. Hatte der Begriff der Nachhaltigkeit zunächst eine Aufwertung der Ökologie in der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung bezwecken sollen (BT 1998: 37), so scheint dieser Fokus mit der »Dreidimensionalität« der Nachhaltigkeit teilweise rückgängig gemacht zu werden. Per definitionem ist der Begriff der Nachhaltigkeit von nun an auch auf eine »wirtschaftlich leistungsfähige« Entwicklung ausgerichtet (BR 2002b: 1). Verstärkt wird – ausgehend von einer Betonung ökonomischer Nachhaltigkeit – dabei auch die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft mit einer nachhaltigen Entwicklung in Verbindung gebracht (BR 2002b: 10), sprich, als positive Variable in die Definition aufgenommen und nicht als deren Infragestellung betrachtet. Subsumiert unter der an Bedeutung gewinnenden Idee der »ökologischen Modernisierung« (SRU 2002: 2) werden etwa Effizienzsteigerungen und Innovationen zu wichtigen Treibern der nachhaltigen Entwicklung und damit die »Erhaltung und nachhaltige Sicherung der Wettbewerbs- und Marktfunktionen« zu einem »unver16 Allein das Substantiv »Integration« wird 59 Mal im Bericht der Enquete-Kommission von 1998 genannt.
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zichtbare[n] Zwischenziel zur Erreichung gesellschaftlicher Ziele« erhoben (EK SMU 1998: 22). Umwelt- und Sozialpolitik drücken sich in Folge vor allem in wettbewerbspolitischen Maßnahmen aus, die sich weniger an ordnungsrechtlichen Geboten und Verboten als an der Stärkung der »dynamischen Wettbewerbsfunktionen« orientieren (EK SMU 1998: 3, 21). Die »Erhaltung der Leistungsfähigkeit und die damit verbundene innovatorische Kapazität des ökonomischen Systems«, so heißt es, sei eine »notwendige, wenn auch nicht hinreichende Bedingung zur Erreichung makroökonomischer Zielsetzungen« (EK SMU 1998: 21-23): »Ein funktionierender Wettbewerb ist schließlich die Voraussetzung für die Entstehung von Innovationen im weitesten Sinne, was sich schon aus der Definition des Wettbewerbs als Organisation eines dynamischen Suchverfahrens ergibt. Diese dynamische Anreizfunktion wirkt im Suchprozeß der nachhaltig zukunftsverträglichen Entwicklung, da sie Innovationen hin zu einer besseren Befriedigung menschlicher Bedürfnisse (neue Techniken, neue Organisation, höheres Niveau etc.) zu fördern vermag.« (EK SMU 1998: 22).
In dieser wettbewerblichen Regelung einer (nun auch) wirtschaftlich verstandenen »nachhaltigen Entwicklung« finden die Politik des »aktivierenden Staates« und eine Umweltpolitik der »ökologischen Modernisierung« zusammen. Gerade der Wandel in Richtung »innovationsorientierter Umweltpolitik«, die vor allem technische Problemlösungen anstelle von strukturellen vorsieht (SRU 2002: 22; Weale 1992),17 wird mit der Hoffnung verbunden, eine »Vorreiterrolle« im internationalen Wettbewerb einzunehmen. Der Begriff der »Vorreiterrolle« bzw. der »Vorreiterposition« ist kennzeichnend für die umweltpolitische Diskussion dieser Jahre und unterstreicht mit dem impliziten Verweis auf den internationalen Wettbewerb um Umweltprodukte und -technologien einmal mehr die Verknüpfung von Ökologie und Ökonomie. »Durch eine wohl dosierte Vorreiterpolitik, die technisch-ökonomische Innovationen ebenso begünstigt wie die internationale Diffusion des zugrunde liegenden Politikmusters, lassen sich vielmehr die nationale Wettbewerbsfähigkeit stärken und zusätzliche Chancen auf den Weltmärkten eröffnen.« (SRU 2002: 22-23)
Der technologie- und innovationsgetriebene Ansatz der Nachhaltigkeit stellt eine Brücke zu instrumentellen Motiven her und ist mit dem Verweis auf die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen und Wirtschaft nicht nur für Unternehmen attrak-
17 An dieser Stelle ist zu betonen, dass sich der Umweltrat durchaus kritisch mit dem Begriff der Nachhaltigkeit auseinandersetzt, dem Konzept der »ökologischen Modernisierung« gegenüber aber grundsätzlich positiv eingestellt ist (SRU 2002: 75).
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tiv, sondern auch für die Bundesregierung (SRU 2002: 75 ff.). Zugleich kündigt er – wie nachfolgend deutlich wird – einen neuen Politikstil an. Selbst-Regulierung statt Regulierung und Zusammenarbeit von Staat und Wirtschaft Mit der neuen Strategie der »Integration« bzw. »integrativen Politik der Nachhaltigkeit« zeigt sich die veränderte Rolle des Staates, die das weitere Vorgehen sowohl der Bundesregierung als auch der Ministerien in den nächsten Jahren kennzeichnen wird. Wie wir gesehen haben, erkennen staatliche Akteure die Dringlichkeit aktueller Probleme und die Notwendigkeit ihrer Lösung an und reagieren entsprechend (u.a. EK SMU 1998; BR 2002b, 2004). Zugleich ist Nachhaltigkeit als gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstanden, deren Lösung der Zusammenarbeit sowohl gesellschaftlicher als auch wirtschaftlicher und politischer Akteure bedürfe (EK SMU 1998; BR 2002b): »Allen ist bewusst: Nachhaltige Entwicklung kann nicht einfach vom Staat verordnet werden. Nur wenn alle Akteure in Wirtschaft und Gesellschaft, wenn Bürgerinnen und Bürger das Thema zu ihrer eigenen Sache machen, werden wir Erfolg haben. Denn über Nachhaltigkeit entscheidet, wer investiert, produziert und konsumiert.« (BR 2002b: 54)
Die Bundesregierung sieht sich damit vor allem in einer vermittelnden und delegierenden Rolle, die sich auch im Konzept des »aktivierenden Staats« ausdrückt (SPD 1998). Damit geht ein Bild der Bundesregierung als »Impulsgeber[in]« einher (BR 2002b: 55), die ihre Aufgabe eher darin sieht, die gesellschaftlichen Kräfte zu aktivieren, als steuernd einzugreifen (BR 2002b: 12). Zudem findet sich die Bundesregierung einer sinkenden »gesellschaftliche[n] Akzeptanz staatlicher Regulierung und Vorschriften« gegenüber (BT 1998: 21-23), was diesen Kurs noch befördert haben dürfte. Insbesondere ›den Markt‹ sieht die Bundesregierung in Folge als das Hauptinstrument zur Umsetzung der Nachhaltigkeit. Ein wichtiges Instrument, das mit diesem neuen Politikstil einhergeht, sind freiwillige Selbstverpflichtungen, die von nun an vermehrt eingesetzt werden und im Einklang mit der Politik des »aktivierenden Staates«, einer vornehmlich wettbewerbsgetriebenen Umweltpolitik sowie einer Anerkennung der »Lösungskompetenz« der Wirtschaft stehen. Vermehrt werden nun, in Kooperation von Politik und Wirtschaft, Selbstverpflichtungen erarbeitet und verabschiedet. Bis zum Jahr 2002 bestehen laut Bundesregierung allein 120 Selbstverpflichtungen der Wirtschaft mit Umweltbezug, was den Politikwechsel dieser Jahre deutlich zeigt, der sich auch im »CSR«-Diskurs niederschlagen wird. Beispielhaft ist die »Vereinbarung der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Wirtschaft zur globalen Klimavorsorge« (BMU 2000). In der Selbstverpflichtung setzt sich die Wirtschaft das Ziel, »freiwillig besondere An-
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strengungen zu unternehmen, um die spezifischen CO2-Emissionen bzw. den spezifischen Energieverbrauch bis zum Jahre 2005 gegenüber 1990 um 20 Prozent zu mindern« (BMU 2000). Zugleich wird hier deutlich, worauf Kinderman (2008, 2012) unter Bezug auf den »CSR«-Diskurs bereits hingewiesen hat: Selbstverpflichtungen werden vor allem im Tausch für politische Verpflichtungen zur Nichtregulierung verabschiedet. In der »Vereinbarung der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Wirtschaft zur globalen Klimavorsorge« tritt dies eindrücklich hervor. Neben der Teilung der Kosten für das Monitoring dieser Vereinbarung verpflichtet sich die Bundesregierung gegenüber der Wirtschaft, keine »klimaschutzpolitischen Ziele auf ordnungsrechtlichem Wege zu erreichen«, auf die »Einführung eines verbindlichen Energieaudits« zu verzichten, dafür Sorge zu tragen, »dass der an der Vereinbarung teilnehmenden Wirtschaft auch bei der Fortentwicklung der ökologischen Steuerreform im internationalen Vergleich keine Wettbewerbsnachteile entstehen«, auf »europäischer Ebene eine Berücksichtigung der von der deutschen Wirtschaft sowie von anderen Akteuren bislang erbrachten Leistungen« anzustreben sowie bei einer EU-weiten Harmonisierung der Energiebesteuerung auf »wettbewerbskonforme Lösungen« zu setzen bzw. »sich dafür ein[zu]setzen, dass der deutschen Wirtschaft aus den Kyoto-Verpflichtungen und den damit verbundenen Instrumenten (Emission Trading, Joint Implementation, Clean Development Mechanism) sowie dem EU-Burden-Sharing im internationalen Vergleich keine Wettbewerbsnachteile entstehen« (BMU 2000). Darüber hinaus hatte die Bundesregierung bereits beim Einstieg in die ökologische Steuerreform die »Anstrengungen der Wirtschaft zur Klimavorsorge berücksichtigt« (BMU 2000). Ausgehend von diesen Zusicherungen seitens der Politik scheint die Frage berechtigt, wer hier wen verpflichtet. Dennoch wird diese Selbstverpflichtung auf der 6. Vertragsstaatenkonferenz der Klimarahmenkonvention in Den Haag als »ein Beispiel dafür, dass ambitionierte Umweltziele im Konsens festgelegt und umgesetzt werden können« vorgestellt.18 Von der Bundesregierung werden Selbstverpflichtungen als »Ausdruck für die gestiegene Verantwortung der Wirtschaft« interpretiert (BR 2002b: 74). In dieser neuen Regulierungsform zeigt sich neben einer Präferenz für wettbewerbliche Anreize zur Umsetzung von Nachhaltigkeit auch ein neues Verhältnis der Politik zu wirtschaftlichen Akteuren. Dringlichkeit der bestehenden Probleme und sinkende Akzeptanz regulierender Eingriffe durch die Politik lassen ein Umdenken in Richtung kooperativer Formen deutlich werden. Umwelt- und soziale Probleme werden als Probleme gesehen, die nur gesamtgesellschaftlich und in Kooperation 18 Schon bald wurden insbesondere vonseiten der Industrie- und Handelskammern (BDI, DIHK) dennoch Stimmen laut, die die vereinbarten Ziele als zu ehrgeizig bezeichneten und dabei vor allem auf die vermeintlich hohen Kosten einer Verringerung der Treibhausgase verwiesen (SRU 2005: 3).
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vieler, insbesondere wirtschaftlicher Akteure, zu lösen sind (SRU 2002: 22) und sich deshalb stark vom ökonomisch Machbaren geleitet sehen. Angesichts dieser Veränderungen kann die Auseinandersetzung zur Nachhaltigkeit als ein wichtiger Ausgangspunkt der zweiten Phase des Diskurses unternehmerischer Verantwortung betrachtet werden. Blicken wir nun auf die Entwicklung des staatlichen »CSR«Diskurses, so zeigt sich hier die Fortschreibung der im Nachhaltigkeitsdiskurs angelegten Veränderungen hinsichtlich der Rolle der deutschen Politik als nicht mehr steuernde Kraft, sondern nur mehr aktivierende, und zunehmend auf freiwillige Selbstverpflichtungen setzende, Intermediärin auf der einen Seite sowie die Ausrichtung ökologischer und sozialer an ökonomischen Zielen auf der anderen Seite. 5.3.2.2 Beginn eines staatlichen »CSR«-Diskurses Eine Auseinandersetzung mit dem Begriff »CSR« beginnt aufseiten staatlicher Akteure zunächst nur zögerlich (so auch Loew et al. 2004: 40). Zwar beschäftigten sich um die Jahrtausendwende einzelne Ministerien mit dem Thema Unternehmensverantwortung, entsprechende Maßnahmen erfolgen jedoch zunächst unkoordiniert und ohne klare ministerielle Zuordnung.19 Mit dem Begriff »CSR« wird sich erstmals explizit im Rahmen einer Stellungnahme der Bundesregierung zur Strategie der Europäischen Kommission auseinandergesetzt (BR 2002a).20 Anstoß für das 19 Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) initiiert z.B. im Jahr 2001 den »Runden Tisch Verhaltenskodizes«, bei dem neben Unternehmen und Wirtschaftsverbänden unter anderem auch NGOs und Gewerkschaften beteiligt sind. Ebenfalls unter Beteiligung von Arbeitgeber- und Industrieverbänden, Gewerkschaften und NGOs hatte auch das Auswärtige Amt bereits im Jahr 1999 einen Arbeitskreis zum Thema »Menschenrechte und Wirtschaft« gegründet, der sich u.a. mit möglichen Beiträgen von Unternehmen zum Schutz und zur Förderung der Menschenrechte beschäftigt und gesellschaftliches Engagement von ihnen fordert (AWA 2002). Das BMAS beginnt im Jahr 2002 gemeinsam mit der unternehmerischen »Initiative Beschäftigung gestalten!«, regelmäßig den gleichnamigen Preis »Beschäftigung gestalten – Unternehmen zeigen Verantwortung« zu verleihen. Scheinen diese Initiativen auch ein Wahrnehmen der Bedeutung unternehmerischer Verantwortung auf politischer Ebene zu zeigen, so lässt sich eine systematische Annäherung an den Begriff »CSR« zunächst nicht erkennen. 20 Dies zeigt sich nicht zuletzt in der Vergabe einiger Forschungsarbeiten durch das BMU, die sich mit dem Stand der »CSR«-Entwicklung in Deutschland auseinandersetzen (z.B. Loew et al. 2004) und als erste Sondierungsschritte hinsichtlich dieses Themas verstanden werden können. Ein in Kooperation mit dem Verein »future e.V. – Umweltinitiative von Unternehme(r)n« und dem »Institut für ökologische Wirtschaftsforschung gGmbH (IÖW)« erarbeiteter Bericht »Bedeutung der internationalen CSR-Diskussion für Nachhaltigkeit und die sich daraus ergebenden Anforderungen an Unternehmen mit Fokus Berichterstattung« zeigt noch einmal, dass der staatliche »CSR«-Diskurs aus der Nachhal-
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staatliche Aufgreifen des »CSR«-Diskurses ist damit vor allem die Handlungsaufforderung vonseiten der Europäischen Kommission. In den Folgejahren setzen sich die Bundesregierung, das BMAS und das BMU, vereinzelt auch das BMWi, mit dem Thema »CSR« auseinander, veröffentlichen Standpunkte, Handlungsleitfäden und Studien (siehe Abbildung 12). Eine regelmäßige und systematische Beschäftigung mit dem Thema zeigt sich in den Folgejahren in zahlreichen Veranstaltungen, wie beispielsweise den ab 2004 kontinuierlich stattfindenden »CSR«-Workshops des BMU.21
tigkeitsdebatte entstanden ist und zunächst als eine Spezifikation dieses Diskurses bzgl. sozialer Aspekte wahrgenommen wird (Loew et al. 2004). Auch wird innerhalb dieser Bestandsaufnahme erneut deutlich, dass bis zur Erstellung des Berichts nur wenige »CSR«-Aktivitäten innerhalb Deutschlands feststellbar waren und auch der Begriff »CSR« bei den deutschen Ministerien keinerlei Verwendung fand (Loew et al. 2004: 40). 21 In Letzteren drückt sich über die Bedeutung des Themas »CSR« hinaus auch die mit diesem Diskurs entstandene neuartige Vernetzung und Zusammenarbeit aus, auf die wir später noch genauer eingehen werden. So nehmen an diesen Workshops, die unter Leitung des BMU durch unterschiedliche »CSR«- und Nachhaltigkeitsinstitute organisiert und koordiniert werden, relevante Akteure des Diskurses teil. Darunter etwa zahlreiche Unternehmen, die Bundesministerien für Umwelt, Entwicklung, Arbeit und Wirtschaft, der Rat für Nachhaltige Entwicklung, das Umweltbundesamt, der Bundesverband der Deutschen Wirtschaft (BDI), Econsense, Gewerkschaften, der Bundesverband Verbraucherzentrale, die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit, Wissenschaftlerinnen und NGOs (z.B. der BUND, GermanWatch, Oxfam und UPJ).
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Abbildung 12: Veröffentlichung von Texten zur Unternehmensverantwortung durch staatliche Akteure nach 199522 8 7 6 5 4 3 2 1 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013
0
(Eigene Darstellung)
In den ersten Jahren ist diese Auseinandersetzung von einiger Zurückhaltung, wenn nicht Skepsis, geprägt. So ist zunächst beispielsweise nur von einer ›Unterstützung‹ der europäischen Aktivitäten durch wenig offensive Maßnahmen, wie die Förderung eines verbesserten Informationsaustauschs, die Verbreitung von guten Beispielen sowie die Gründung von Netzwerken im Bereich der Unternehmensverantwortung, die Rede (BR 2004: 140) und es wird mit Blick auf die Bestrebungen der Europäischen Kommission insgesamt »zu Zurückhaltung geraten« (BR 2002a: 8-9). Diese anfängliche Zurückhaltung speist sich aufseiten der Bundesregierung vor allem aus der Sorge einer ›Überforderung‹ bzw. ›zusätzlichen Belastung‹ der Unternehmen durch weitere, d.h. über die als bereits hoch wahrgenommenen Sozial- und Umweltstandards hinausgehende, Anforderungen an Unternehmen (BR 2002a: 6, 9; dazu auch Kinderman 2008; Antal et al. 2009). Auch vom Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit (heute BMWi) wird die Zurückhaltung geteilt und mit einer bereits hohen Belastung der Unternehmen begründet: »Corporate Social Responsibility ist für die Bundesregierung ein wichtiges Thema. Für das gesellschaftliche Engagement der Wirtschaft über gesetzliche Verpflichtungen hinaus ist allerdings zu beachten, dass es in Deutschland bereits eine relativ große Regelungsdichte (z.B.
22 Staatliche Akteure haben im Jahr 2014 keinen Text zum Thema veröffentlicht, weshalb die Abbildung hier nur bis einschließlich 2013 dargestellt ist.
256 | I NSTRUMENTALISIERTE V ERANTWORTUNG? hinsichtlich Umweltstandards) gibt und dementsprechend weniger Raum für zusätzliches Engagement verbleibt.« (Bade (BMWi) 2003: 9)
Für staatliche Akteure stellt sich damit ein Dilemma: Zum einen steht die Notwendigkeit im Raum, »CSR« unter deutschen Unternehmen zu verbreiten, zum anderen scheint vor dem als bereits hoch erlebten Regulierungsrahmen und der Sorge einer Überforderung der Unternehmen eine staatlich regulierende Beförderung nicht in Frage zu kommen. Von diesem Dilemma ausgehend, heißt es demzufolge zunächst vor allem: »Wie lässt sich CSR in Deutschland fördern?«23 5.3.2.3 Der »Business Case for CSR« – Garant der Akzeptanz und Verbreitung von »CSR« unter deutschen Unternehmen Für das soeben aufgezeigten Dilemma – die Notwendigkeit »CSR« unter deutschen Unternehmen zu verbreiten unter Annahme eines bereits (zu) stark ausgeprägten Regulierungsniveaus – bietet der »Business Case for CSR« eine Möglichkeit der Auflösung. Ebenso wie für wirtschaftliche Akteure entwickelt sich der »Business Case for CSR« somit auch für staatliche Akteure zur geeigneten Einschreibefläche: er ermöglicht es staatlichen Akteuren, »CSR« zu befördern ohne dabei regulierend einzugreifen. Zudem verspricht die Rekurrenz auf das von wirtschaftlichen Akteuren akzeptierte instrumentelle Motivvokabular die Gewinnung der Unternehmen für das Thema »CSR« und erlaubt letztlich die Bildung von Allianzen (Mills 1940: 910). Und so artikulieren staatliche Akteure in dieser zweiten Phase vor allem instrumentelle Motive, weniger häufig relationale und kaum noch moralische Motive. Abbildung 13 zeigt das prozentuale Verhältnis der drei von den staatlichen Akteuren artikulierten Motivmuster in der zweiten Phase. Über die gemeinsame Artikulation instrumenteller Motive verbinden sich staatliche und wirtschaftliche Akteure in dieser Phase zu einer, den »Business Case for CSR« befördernden, Diskurskoalition.
23 So der Titel eines der ersten Multi-Mtakeholder-Workshops des BMU: http://www. 4sustainability.de/wie-laesst-sich-csr-in-deutschland-foerdern-2004/praesentationen.html, zuletzt geprüft am 04.09.2016.
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Abbildung 13: Staatliche Akteure: prozentuales Verhältnis instrumenteller, relationaler und moralischer Motive in der zweiten Phase Instrumentelle Motive 80,0 70,0
Relationale Motive
Moralische Motive
71,1
60,0 50,0 40,0 30,0
20,5
20,0
8,4
10,0 0,0 2. Phase (1995-2008) (Eigene Darstellung)
Drei instrumentelle Motive werden von staatlichen Akteuren in dieser Phase besonders betont.24 Ausgehend vom Vorschlag der Europäischen Kommission und von nun an in diskursiver Allianz mit wirtschaftlichen Akteuren, wird »CSR« auch von staatlichen Akteuren als freiwillig definiert. Davon ausgehend – eine auf Regulierung beruhende Verbreitung unternehmerischer Verantwortung ist mit dem ›Grundsatz der Freiwilligkeit‹ schließlich nicht zu vereinen – wird Unternehmensverantwortung zudem mit unternehmerischen wie volkswirtschaftlichen Wettbewerbsvorteilen verbunden und somit an den Markt als Disziplinarkraft appelliert. Dieses Motiv wird – wie wir gesehen haben – auch von wirtschaftlichen Akteuren aufgegriffen und damit eine weitere Verbindung zwischen beiden Akteursgruppen hergestellt, ihre diskursive Koalition somit gefestigt. Ab etwa 2008 wird vonseiten staatlicher Akteure ein weiteres instrumentelles Motiv in den Diskurs eingeführt, welches die Verantwortung des Unternehmens mit dem unternehmerischen Reputations- und Risikomanagement verbindet und damit den »Business Case for CSR« um ein weiteres Motiv ausbaut, ihn weiter stärkt. Insgesamt wird »CSR« von staatlichen Akteuren in dieser Phase als »ein strategisches Konzept« beschrieben, mit 24 Der Begriff des »Business Case« wird dabei explizit erstmals im Jahr 2005 auf einem Workshop des BMU diskutiert (BMU 2005a). Ist hier auch die Rede vom »Business Case for Sustainability«, so zeigt sich vor dem Hintergrund der Verwobenheit von Nachhaltigkeit und »CSR« der generelle Trend, der sich zu dieser Zeit entwickelt.
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dem Unternehmen »neue Potenziale für die Unternehmensentwicklung und für ihre Wertschöpfung erschließen« könnten (BMU 2009: 3). Freiwilligkeit als »Gewähr« für die Akzeptanz von »CSR« unter Unternehmen Ausgehend von der »CSR«-Definition der Europäischen Kommission und die Artikulationen der wirtschaftlichen Akteure aufgreifend, wird der freiwillige Charakter der Verantwortung auch von staatlichen Akteuren übernommen. Heißt es bereits im Jahr 2002 mit Blick auf die als stark reglementiert wahrgenommene Umweltpolitik vonseiten der Bundesregierung noch, es sei »erforderlich zu überlegen, ob freiwilligen betrieblichen Umweltanstrengungen, die von vielen Unternehmen in verschiedenerweise [sic!] bereits unternommen werden, nicht ein größerer Stellenwert bei der weiteren Diskussion dieser Fragen beigemessen werden sollte« (BR 2002a: 2, eigene Hervorhebungen, N.L.), so setzt sich in den Folgejahren die Freiwilligkeit von »CSR« auch unter staatlichen Akteuren als leitendes Kriterium unternehmerischer Verantwortung durch. Sie wird nun – obwohl sie in der vorgebrachten Deutlichkeit erst mit dem Signifikanten »CSR« in den Diskurs eingeflossen war – auch dort vertreten, wo nach wie vor von »gesellschaftlicher Verantwortung« oder auch »bürgerschaftlichem Engagement« die Rede ist. Über die Jahre wird in jeder Publikation und in jeder Rede staatlicher Akteure immer dort, wo von unternehmerischer Verantwortung die Rede ist, auch deren Freiwilligkeit betont (siehe etwa BMU 2005a, 2005b, 2006, 2007a) und selbst dort, wo über die Unklarheit des »CSR«Konzepts berichtet wird, steht doch die Freiwilligkeit als das einzige gesicherte Merkmal fest (BMU 2007b: 94). Wie ist dieser starke Fokus auf die Freiwilligkeit unternehmerischer Verantwortung vonseiten staatlicher Akteure zu erklären? Deutlich wird in den Texten staatlicher Akteure, dass die Betonung der Freiwilligkeit unternehmerischer Verantwortung vor allem dazu dient, die Unternehmen ›an Bord zu holen‹ und damit das Ziel einer Verbreitung von »CSR« unter deutschen Unternehmen zu verwirklichen. Beispielsweise heißt es von staatlicher Seite, allein freiwillige Ansätze böten die »Gewähr für eine hohe Akzeptanz innerhalb der Unternehmen« (BR 2002a: 2). Vonseiten staatlicher Akteure wird damit das von den Wirtschaftsakteuren gesetzte Argument einer nur unter Voraussetzung von Freiwilligkeit möglichen Verantwortungsübernahme aufgegriffen und in die eigene Argumentation übernommen. HauserDitz/Wilke (2005: 4) sprechen hinsichtlich dieser Einigkeit von staatlichen und wirtschaftlichen Akteuren gar von einem »informellen Konsens […], keine CSRInitiativen voranzutreiben, die auf gesetzliche Regulierung hinauslaufen könnten«. Eine Übereinkunft, die sich nicht zuletzt in einigen der von Wirtschaft und Politik gemeinsam erarbeiteten freiwilligen Selbstverpflichtungen zeigt, bei denen es jeweils darum geht, freiwillige Selbstverpflichtungen der Wirtschaft durch Autonomiezugeständnisse seitens der Politik zu erlangen (siehe oben).
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Im Einklang mit dieser Ratio sowie der bereits zu Beginn des staatlichen »CSR«-Diskurses geäußerten Sorge einer Überforderung der Wirtschaft, werden – ebenfalls analog zur Haltung wirtschaftlicher Akteure – Regulierungs- und Standardisierungsbestrebungen auch von staatlicher Seite »kritisch gesehen« (BR 2002a: 3). Es heißt, die Unternehmen dürften »nicht über einen Leisten geschlagen werden« – die »CSR-Debatte« müsse »die besondere Situation« unterschiedlicher Unternehmensgrößen und -strukturen sowie »die Grenzen ihrer Belastbarkeit beachten«, was die »Notwendigkeit eines freiwilligen Ansatzes« unterstreiche (BR 2002a: 2, 3, eigene Hervorhebung, N.L.). »In keinem Fall« dürften die nationalen und europäischen Bestrebungen die »Freiwilligkeit von CSR-Initiativen in Frage stellen und die Unternehmen […] zusätzlich belasten« (BR 2002a: 8, eigene Hervorhebung, N.L.). Aus Sorge einer möglichen ›zusätzlichen Belastung‹ heißt es folglich: »Die Autonomie und die Gestaltungsfreiheit von Unternehmern und Sozialpartnern sind uneingeschränkt zu respektieren.« (BR 2002a: 1) Diese Haltung speist sich nicht zuletzt aus der von der rot-grünen Regierung eingeschlagenen Politik des »aktivierenden Staates«, der vor allem auf Instrumente der Selbstregulierung und freiwillige Standards setzt (siehe z.B. BR 2004: 140) und weniger auf regulierende ordnungspolitische Eingriffe, rechtliche Ver- und Gebote. »Denn mit Regulierung allein lassen sich die ökologischen und sozialen Herausforderungen nicht bewältigen. Vielmehr bedarf es der Innovationskraft von Unternehmen, um mehr Energie- und Ressourceneffizienz und eine geringere Umweltbelastung zu erreichen. Auch sind es in erster Linie die Maßnahmen von Unternehmen, die zur Sicherheit und Gesundheit von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern oder zu besseren Arbeitsbedingungen in der Lieferkette beitragen können.« (BMU 2007a: 14, eigene Hervorhebung, N.L.)
Deutlich unterstrichen wird von der Bundesregierung hiermit, dass die »Hauptrolle bei der Förderung der sozialen Verantwortung der Unternehmen den Unternehmen selbst in Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern und NROs zukomm[e]« (BR 2002a: 7). Behörden sollten deren Zusammenarbeit lediglich unterstützen, ohne dabei durch »verpflichtende Regelungen in die Ergebnisse des Dialogs einzugreifen« (BR 2002a: 8). Werden die Unternehmen als Hauptakteure betrachtet, kommt der Politik damit eine nur vermittelnde Rolle zu. »Der Politik fällt die Aufgabe zu, durch Schaffung günstiger gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Rahmenbedingungen die Unternehmen zu einem Mehr an sozialem und umweltpolitischen Engagement zu ermutigen.« (BR 2002a: 1, eigene Hervorhebung, N.L.)
Neben einer – ob der sich erst langsam verbreitenden »CSR«-Praxis eher behaupteten – Anreizwirkung für unternehmerisches »CSR«-Engagement scheint damit die Beförderung der Freiwilligkeit auch der Bewahrung der passiven, nur intermediie-
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renden Rolle der deutschen Politik zuträglich und damit der Lösung des oben dargestellten Dilemmas zuträglich. »CSR« als Wettbewerbsfaktor: den Unternehmen eine ›CSR-freundliche Entscheidung erleichtern‹ Eng verbunden mit der Freiwilligkeit von »CSR« und der damit einhergehenden Annahme, dass die »Hauptrolle bei der Förderung der sozialen Verantwortung der Unternehmen den Unternehmen selbst […] zukomm[e]« (BR 2002a: 8), ist die Auffassung, dass »CSR« vor allem Verbreitung fände, wenn sie sich auch für das Unternehmen auszahle bzw. positiv auf die Wettbewerbsposition der Unternehmen auswirke. Dieses Argument, das auch von der Europäischen Kommission als wichtiger Treiber unternehmerischer Verantwortung genannt wurde (siehe oben), wird im deutschen Diskurs zuerst von staatlichen Akteuren genannt (erstmals BR 2002a), um dann von wirtschaftlichen Akteuren aufgegriffen zu werden. Staatliche Akteure bringen dieses Motiv in erster Linie vor, um die Verbreitung unternehmerischer Verantwortung unter deutschen Unternehmen zu befördern: »Eine CSR-freundliche Entscheidung wird den Unternehmen erleichtert, wenn sich – neben günstigen Rahmenbedingungen – verstärkte soziale oder umweltpolitische Initiativen – ggf. durch die Publizität entsprechender Gütesiegel – in Wettbewerbs- oder sonstigen Marktvorteilen und positiven Unternehmensbilanzen niederschlagen.« (BR 2002a: 3)
Um folglich Anreize für eine »CSR-freundliche Entscheidung« aufseiten deutscher Unternehmen zu erreichen, sollten »Unternehmen, die mehr an sozialer Verantwortung übernehmen, […] auch die Möglichkeit erhalten, ihr Engagement werbewirksam zu vermarkten« und sich so von Wettbewerbern abzuheben (BR 2002a: 3). Durch eine solche Kommunikation, so heißt es, könne »das gesamte sich aus dem sozial verantwortlichen Handeln ergebende Potenzial für die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen genutzt werden.« (BR 2002a: 3) Nicht zuletzt sei zur Verbreitung unternehmerischer Verantwortung auch das Argument zu widerlegen, »CSR« würde »vor allem Kosten […] verursachen«, und vielmehr hervorzuheben, »dass ein intelligent gestaltetes Nachhaltigkeitsmanagement auch Kosteneinsparungen ermöglicht, Umsätze steigern und zur Marktführerschaft verhelfen kann« (BMU 2009; auch BMU 2005a: 3). Auch mit dem Wettbewerbsmotiv wird folglich die Erwartung verbunden, zum Ziel einer Verbreitung unternehmerischer Verantwortung in Deutschland beizutragen. Aus dem Wettbewerbsargument spricht dabei auch der Glaube an die Überlegenheit der Problemlösungsfähigkeit des Marktes gegenüber staatlicher Steuerung, der sich hier in der wettbewerblichen Beförderung sozialen und ökologischen Engagements unter deutschen Unternehmen niederschlägt (SRU 2002: 86). Beispielsweise empfiehlt selbst der Sachverständigenrat für Umweltfragen, der häufig eine
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eher wettbewerbskritische Haltung einnimmt, unternehmensbezogene Emissionsdaten der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, um so »verbesserte Umweltleistungen zum Gegenstand eines Wettbewerbs zwischen Unternehmen« zu machen (SRU 2002: 24). Diese Ratio hat ihre Wurzeln in der Idee der »ökologischen Modernisierung«, die, wie wir gesehen haben, auf der Annahme beruht, dass es für eine nachhaltige und damit zugleich sozial und ökologisch verträgliche wie ökonomisch förderliche Entwicklung vornehmlich innovativer und effizienter Technologien bedürfe. Effizienz und (technologische) Innovation sind aus dieser Perspektive die Antwort auf Probleme des Klimawandels, der sozialen Ungerechtigkeit und des Ressourcenverbrauchs. Bis heute vertreten staatliche Akteure die Ansicht, sozial- und umweltpolitische Lösungen bedürften insbesondere der »Innovationskraft der Unternehmen und der Kreativität der Märkte« – diese wiederum müsse im Rahmen dynamischer Wettbewerbsmärkte befördert werden (BMU 2012b: 6, auch BMU 2007a: 14; BR 2004: 172).25 Für den Staat ergibt sich daraus die Aufgabe, diesen Wettbewerb zwischen den Unternehmen um die besten Lösungen – z.B. umweltschonende Produkte, Dienstleistungen und Technologien – zu ermöglichen, wenn nicht zu befördern. Nicht zuletzt um auch auf gesamtwirtschaftlicher Ebene den Wettbewerb um z.B. »LeadMärkte für umweltfreundliche Technologien« erfolgreich zu bestreiten, aus dem sich auch die Bundesregierung Vorteile erhofft (SRU 2002: 23, 82, 86; auch BMU 2005a: 15). Für Unternehmen hingegen bestehe die »Herausforderung […] darin, diejenigen ökologischen und sozialen Aktivitäten zu identifizieren, die den ökonomischen Erfolg am meisten stärken, und diese Maßnahmen so umzusetzen, 25 Nicht zuletzt initiiert das BMU im Jahr 2008, nachdem immer wieder Verbindungen zwischen unternehmerischer Verantwortung und Wettbewerbsvorteilen hergestellt wurden (BMU 2005a, 2006), einen Forschungsprozess zum Thema »CSR und Innovation«, der die positiven Auswirkungen von »CSR« auf das Innovationsmanagement und damit die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen nicht nur im Rahmen eines »CSR«-Workshops mit wirtschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren diskutiert, sondern das Wettbewerbsargument auch in einer vor allem an deutsche Unternehmen gerichteten »CSR«Veröffentlichung des BMU mit dem Titel »Innovation durch CSR – Die Zukunft nachhaltig gestalten« ausführlich darstellt. Dort heißt es etwa: »Corporate Social Responsibility (CSR) ist längst kein leeres Schlagwort mehr, sondern ein strategisches Konzept, dem Großkonzerne ebenso wie kleine und mittlere Unternehmen folgen. Damit können sie neue Potenziale für die Unternehmensentwicklung und für ihre Wertschöpfung erschließen. Ein besonderes Potenzial bietet CSR gerade für die Entwicklung von Innovationen im Produkt- und Dienstleistungsportfolio.« (BMU 2009: 3) Im Rahmen dieser Broschüre werden u.a. konkrete Handlungsempfehlungen an Unternehmen dargestellt und Ideen für eine innovationsorientierte »CSR«-Strategie gegeben (BMU 2009: 11-14).
262 | I NSTRUMENTALISIERTE V ERANTWORTUNG? dass die Kosten niedrig gehalten werden, um den ökonomischen Erfolg zu maximieren. Damit stellt sich die Frage nach den Ansatzpunkten, um den Business Case unternehmerischer Nachhaltigkeit für das eigene Unternehmen konkret zu entwickeln.« (BMU 2005a: 7)
Ob gesamt- oder einzelwirtschaftlicher Wettbewerb, ob Wettbewerb um Problemlösungen oder Wettbewerbsvorteile aus Problemlösungen – »CSR« ist unter staatlichen Akteuren zum Wettbewerbsfaktor geworden und wird als solcher mit dem Ziel der Verbreitung unternehmerischer Verantwortung unter deutschen Unternehmen befördert. Erweiterung des »Business Case for CSR«: »CSR« als unternehmerische Versicherung Ab dem Jahr 2006 und damit kurz nach dem ›Eintritt‹ zivilgesellschaftlicher Akteure in den »CSR«-Diskurs (siehe Kapitel 5.4) erweitern staatliche Akteure die Motive des »Business Case for CSR« um eine zusätzliche Verknüpfung von Verantwortung und Unternehmenszielen, die »CSR« als Versicherung der Unternehmen gegenüber (Reputations-)Risiken interpretiert. Während die reputationssteigernden Effekte von »CSR« vereinzelt schon relativ früh herausgestellt werden (erstmals BR 2002a), wird die Verbindung zwischen »CSR« und dem »Risikomanagement« des Unternehmens erst in der zweiten Hälfte der 2000er dargestellt. Insgesamt zeigt auch dieses Motiv der »Versicherung« deutlich, dass Anreize für ein unternehmerisches »CSR«-Management von staatlicher Seite vor allem instrumentell gesetzt werden. Zunächst geschieht dies über die Promotion der Möglichkeit, durch die Kommunikation von »CSR«-Aktivitäten, vor allem in »CSR«und Nachhaltigkeitsberichten, den unternehmerischen »Bekanntheitsgrad« sowie das »Image« des Unternehmens zu erhöhen (BMU 2006: 1, 4, 25) und so insgesamt die Reputation des Unternehmens positiv zu beeinflussen (BMU 2007a: 5; BMU 2007b: 25, 45, 98; BMU 2008c: 3). »CSR« wird hierbei unter anderem als Teil der Unternehmenskommunikation dargestellt bzw. es geht vor allem um die Außenwirkung von »CSR«, die im Rahmen einer geeigneten Kommunikationsstrategie positiv beeinflusst werden könne, um letztlich positive Reputationswirkung entfalten zu können (BMU 2006: 1, auch BMAS 2010a: 17). Die Verbindung zwischen »CSR« und Unternehmensreputation wird innerhalb der staatlichen »CSR«-Artikulationen durch ein Risikomotiv ergänzt. Es geht damit nicht mehr nur um den Aufbau positiver Reputation, sondern auch die Vermeidung von (Reputations-)Risiken. Etwa auf den Finanzmärkten seien »CSR«- und Nachhaltigkeitsberichte »zum Beleg eines umfassenden Risikomanagements geworden, das auch nichtfinanzielle Risiken miteinbezieht und geeignet ist, den Unternehmenswert zu sichern« (BMU 2007a: 5, ähnlich BMU 2008c: 13). Es sei »darauf zu achten, dass Reputationsrisiken reduziert« und »Effizienz- und Synergiepotenziale erschlossen« würden, »um insgesamt die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens
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zu stärken« (BMU 2008c: 6). Dabei zeigt sich auch, dass es nun nicht mehr nur darum geht, mithilfe von »CSR«-Maßnahmen Kosten beispielsweise durch Effizienzgewinne einzusparen, sondern auch solche Kosten zu berücksichtigen, die möglicherweise aus einem Ignorieren unternehmerischer Verantwortung oder aus unverantwortlichem Handeln entstehen (u.a. BMU 2007a: 3). Gestützt auf bekannte Fälle, u.a. wird beispielsweise auf den Fall des Unternehmens Nike verwiesen, drückt sich darin ein Versicherungsgedanke gegen unternehmerische Risiken aus.26 Auch dieses instrumentelle Motiv wird von den wirtschaftlichen Akteuren aufgegriffen. Es dient damit zum einen der weiteren Verbreitung des »Business Case for CSR« als für die unternehmerische Verantwortung typisches Motivvokabular und zum anderen der Bestärkung der wirtschaftlich-staatlichen Diskurskoalition. In gegenseitiger Bestätigung staatlicher und wirtschaftlicher Akteure entwickelt sich der »Business Case for CSR« als geeignete Möglichkeit – ja Garant – der Beförderung unternehmerischer Verantwortung. 5.3.2.4 Moralische und relationale Motive im staatlichen Diskurs Insgesamt werden von den staatlichen Akteuren in dieser Phase nur wenige Motive vorgebracht, die als relational oder ethisch bezeichnet werden könnten (siehe Abbildung 13). Auf moralische Motive wird gelegentlich verwiesen, ohne diese jedoch in ähnlicher Ausführlichkeit darzustellen oder in den Vordergrund zu rücken, wie dies mit Blick auf die instrumentellen Motive getan wird. Zwar werden mitunter »ethische Grundsätze« oder »Normen« angesprochen oder, wie im folgenden Zitat, der Schutz der Natur um ihrer selbst willen angeführt: »Auch heute dürfen die Gefahren für Mensch und Umwelt nicht klein geredet werden. Drohende Klimaänderungen, das Aussterben von Tier- und Pflanzenarten und der fortschreitende Verlust naturnaher Lebensräume zeigen die Dimensionen. Umso wichtiger ist es, dass wir den Wert erkennen, den die Natur für uns Menschen besitzt. Selbstverständlich schützen wir die Natur auch um ihrer selbst willen. Adonisröschen und Störche sollen in Deutschland das Recht auf ein Leben in ihrem natürlichen Lebensraum haben. Aber ein Platz, an dem Störche leben, ist mit Sicherheit auch ein guter Platz für Menschen. Intakte Landschaften, Seen und Wälder, eine vielfältige Tier- und Pflanzenwelt, gehören zum Reichtum unseres Landes. Diesen Reichtum gilt es neu zu entdecken und zu bewahren.« (BR 2002b: 15)
26 Diese Artikulationen fortsetzend und ausbauend, stößt das BMU im Jahr 2009, u.a. in Vorbereitung auf die Verabschiedung der Nationalen CSR-Strategie (siehe Kapitel 7) und in Analogie zum Innovationsargument (s.o.), einen Forschungsprozess zum Thema »CSR und Risikomanagement« an. Dabei geht es vor allem um die Beiträge, die »CSR« zur Identifikation und zum Umgang mit Risiken leisten kann.
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Sind diese Verweise auch relativ selten, so sind es vor allem Werte wie »Lebensqualität« auf die verwiesen wird und zu deren Erreichen etwa der Schutz der Umwelt als wichtig erachtet wird (BR 2002b: 14). Gerade betrieblicher Umweltschutz wird dabei auch mit Blick auf einen »Generationenvertrag« sowie den Begriff der »Generationengerechtigkeit« begründet, die als »Werte« anzuerkennen seien, sowie allgemeiner auf »ethische Grundsätze« verwiesen (BR 2002b: 5, ähnlich BMU 2006: 2): »Insgesamt liegt der Nachhaltigkeit ein ethischer Ansatz zugrunde. Dass wir neben den berechtigten Anliegen der heute lebenden Menschen bei den notwendigen Weichenstellungen auch maßgeblich die Lebenschancen der Kinder und Enkelkinder in den Blick nehmen, ist der Grund, weshalb wir Klimaschutz treiben, die Energieeffizienz steigern und die erneuerbaren Energien ausbauen. (BR 2002b: 6).
Mit Blick auf moralische Motive werden Unterschiede in der Argumentation der Bundesregierung und Ministerien auf der einen und dem Sachverständigenrat für Umwelt und Nachhaltigkeit sowie zuweilen auch dem Umweltbundesamt auf der anderen Seite deutlich. Insbesondere der Sachverständigenrat für Umweltfragen sticht mit seiner kritischen Haltung häufig aus der Gruppe der staatlichen Akteure hervor und betont etwa die Bedeutung auch einer ethischen Motivation der Nachhaltigkeit (SRU 2002: 21, 57-62). Das BMU und die Bundesregierung folgen jedoch vor allem der Gruppe der »CSR«-Institute und deren dem »Business Case for CSR« verpflichteter Forschung, deren Vorschläge in die Veröffentlichungen der Bundesregierung und der Ministerien einfließen. Eingebracht werden moralische Motive somit vornehmlich vom Sachverständigenrat für Umweltfragen, der sich regelmäßig auch mit den normativen Grundlagen der Verantwortung gegenüber Umwelt und Gesellschaft auseinandersetzt und dabei auch ethische Prinzipien mitberücksichtigt. Damit steht er jedoch relativ alleine und die enge Zusammenarbeit der Bundesministerien mit nicht-staatlichen Nachhaltigkeits- und »CSR«-Instituten scheint den Einfluss des Umweltrats in den Hintergrund zu drängen. Relationale Motive zielen vonseiten staatlicher Akteure vor allem auf Fragen des Vertrauens in Wirtschaft und Soziale Marktwirtschaft sowie deren gesellschaftliche Akzeptanz, die es zu stärken gelte. Mit Blick auf die gesellschaftliche Akzeptanz der Unternehmen heißt es beispielsweise: »Die soziale Herausforderung stellt das Unternehmen vor die Aufgabe, die Summe seiner positiven sozialen Wirkungen zu erhöhen und negative soziale Wirkungen zu vermeiden. Unternehmen sind gesellschaftlich eingebettete Institutionen, die auf gesellschaftliche Akzeptanz angewiesen sind. Sie müssen ihre sozialen Wirkungen auf Individuen, Anspruchsgruppen und die Gesellschaft insgesamt berücksichtigen. Ziel ist die Steigerung der Sozio-Effektivität und somit die Reduktion sozial unerwünschter Auswirkungen des Unternehmens und die Förde-
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rung positiver sozialer Wirkungen. Dies erhöht die gesellschaftliche Akzeptanz und sichert damit auch die soziale Legitimation des Unternehmens.« (BMU 2007b: 11)
Fragen der gesellschaftlichen Akzeptanz verbinden sich häufig mit der Glaubwürdigkeit unternehmerischen Engagements, die beispielsweise in Bezug auf die nichtfinanzielle Berichterstattung und damit verbundene Testate und Audits diskutiert werden. So ist etwa die Rede von der »Sicherung der Akzeptanz in der Gesellschaft« durch nicht-finanzielle Berichterstattung (BMU 2007a:5; ähnlich BMU 2007b: 142; BMAS 2012: 13, 17) bzw. der Wirkung von externen Audits auf die Glaubwürdigkeit der Berichterstattung, die das Vertrauen in die (Markt-)Wirtschaft stärken könnten (BMU 2005b, siehe auch den »CSR«-Workshop des BMU »Nutzen von Testaten« im Jahr 2005). Die Sicherstellung der Glaubwürdigkeit unternehmerischen »CSR«-Engagements solle vor allem durch Gütesiegel für einzelne Produkte, z.B. der »blaue Engel« (SRU 2002: 89-92; BR 2012: 134, 191) oder das seit 2001 existierende »deutsche Bio-Siegel« (BR 2012: 134), sowie umwelt- oder sozial-gerechte Prozesse innerhalb des Unternehmens erreicht werden (z.B. EMAS) (BMU 2006: 29, 2008c: 13-14, 2012a: 16, 56, 2013: 2). Nicht zuletzt wird die Erhöhung der Glaubwürdigkeit von »CSR«, wie wir im Folgenden sehen werden, als eines der wesentlichen Ziele des Nationalen CSR-Aktionsplans formuliert (BMAS 2010a: 12, 17 ff., 36). Deutlich ist dabei jedoch stets die große Nähe dieser Argumente zu instrumentellen Motiven. In einer Veröffentlichung des BMU heißt es unter Bezug auf die nicht-finanzielle Berichterstattung beispielsweise: »Gegenüber der Öffentlichkeit, Kunden, Geschäftspartnern und Behörden stellen Nachhaltigkeitsberichte dar, was Unternehmen tun, um ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht zu werden. Sie sichern damit die Akzeptanz des wirtschaftlichen Handelns (›license to operate‹) und tragen zur Reputation des Unternehmens bei. Für die Finanzmärkte sind Nachhaltigkeitsberichte zum Beleg eines umfassenden Risikomanagements geworden, das auch nichtfinanzielle Risiken miteinbezieht und geeignet ist, den Unternehmenswert zu sichern.« (BMU 2007a: 5)
So werden gerade Fragen der gesellschaftlichen Akzeptanz und Glaubwürdigkeit in der Argumentation staatlicher Akteure in enger Verbindung zu Fragen der Reputation und damit zum Markenwert des Unternehmens (BMU 2007b: 73, 165, 2011: 10) oder direkt in Verbindung zur Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens gestellt (BMU 2007b: 35, 2008c: 7, 2011: 13; BMAS 2010a: 10, 2012: 17, 30, 34; BR 2012: 129). Ähnlich wie wirtschaftliche, grenzen sich auch staatliche Akteure zuweilen explizit von nicht-instrumentellen Motiven ab. Dabei wird auch hier die eigene Position mit dem Anspruch der Rationalität vertreten und durch Adjektive wie »rational«,
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»richtig«, »effektiv«, »systematisch« ergänzt, andere Positionen jedoch unter Verweis auf Adjektive wie »utopisch«, »idealistisch«, »ideologisch« ausgegrenzt. So heißt es etwa: »Die Beschäftigung mit dem Thema Nachhaltigkeit sollte systematisch und explizit erfolgen und erfordert eine detaillierte Betrachtung. Soll unternehmerische Nachhaltigkeit erfolgreich sein, so darf sie nicht ausschließlich Idealisten überlassen werden. Auf der einen Seite wird vielfach übersehen, dass Nachhaltigkeitsmanagement, will es nicht eine Utopie bleiben, nicht nur ökologisch und sozial, sondern auch ökonomisch nachhaltig sein muss. Ein ökonomisch nicht nachhaltiges Umwelt- und Sozialengagement wird über kurz oder lang zu einem Verschwinden der Unternehmung aus dem Markt und damit auch ihrer ›guten Taten für die Umwelt und Gesellschaft‹ führen.« (BMU 2005a: 4, eigene Hervorhebung, N.L.)
Während offen gelassen wird, wer die als »idealistisch« bezeichnete Position einnimmt, bewirkt dieses Zitat eine klare Konstruktion eines »erfolgreichen« Nachhaltigkeitsbegriffs, der zwingend auch ökonomisch motiviert sein »muss«. Durch die Abgrenzung von einem als »utopisch« charakterisierten, nicht-ökonomisch orientierten Verständnis unternehmerischer Verantwortung, welches mit einem »Verschwinden« jeglichen Engagements einhergehe, wird die Führerschaft und unbedingte Notwendigkeit instrumenteller Motive unterstrichen. Das Zitat geht weiter: »Schlimmer noch: ›grüne Idealisten‹ werden nach anfänglichem Schulterklopfen zum abschreckenden Beispiel und nehmen ökonomisch erfolgreichen Unternehmen die Motivation für ein fortschrittliches Nachhaltigkeitsmanagement. Vermag es eine Unternehmung jedoch durch ein fortschrittliches Umwelt- und Sozialmanagement ihren ökonomischen Erfolg auszubauen, so werden einerseits firmeninterne und -externe Verteilungskonflikte entschärft. Andererseits zwingen die Marktmechanismen andere Unternehmungen, diesem erfolgreichen Beispiel zu folgen, da die Unternehmen Druck auf Geschäftspartner, Zulieferer und ganze Branchen ausüben und somit zur weiteren Verbreitung einer nachhaltigen Entwicklung beitragen.« (BMU 2005a: 4, eigene Hervorhebung, N.L.)
Ähnliche Effekte werden erzielt, wenn etwa in Bezug auf Kritiker von »jungen Menschen« die Rede ist und damit ein noch nicht gefestigtes und unausgereiftes Urteilsvermögen impliziert wird (BR 2002: 44): »Viele junge Menschen kritisieren, international arbeitende Unternehmen könnten mit ihren Kapitalbewegungen und Investitionen massiven Einfluss auf die wirtschaftliche und soziale Entwicklung eines Landes nehmen. Widerstände gibt es auch gegen die kulturelle Dimension der Globalisierung […].« (BR 2002: 44)
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Ähnliches gilt auch dort, wo von einem »modernen« CSR-Verständnis in Bezug auf den »Business Case for CSR« oder einzelnen seiner Argumente die Rede ist (siehe etwa BMU 2011: 9) und damit eine Konnotation des »Social Case« als veraltet oder konservativ nahgelegt wird. Durch diese Grenzziehung wird das NichtÖkonomische aus dem Diskurs ausgeschlossen und die Erwartung eines nur durch den »Business Case for CSR« zu erreichenden Ziels der Verbreitung unternehmerischer Verantwortung untermauert.
5.4 F ORMIERUNG EINES K ONTERDISKURSES : D ISKURSKOALITION GEWERKSCHAFTLICHER NGO-AKTEURE
UND
Die Diskursbeteiligung zivilgesellschaftlicher Akteure zeigt sich in dieser zweiten Phase von Spannungen und Konfliktlinien gekennzeichnet. Sie beginnt mit einer Phase nur vereinzelt und wenig systematisch geäußerter Zweifel am »CSR«Konzept (5.4.1) und schreitet mit der Vernetzung von Gewerkschaften und NGOs zu einer widerständigen Diskurskoalition und der gemeinsamen Kritik an den bis dato von wirtschaftlichen und staatlichen Akteuren geprägten Diskursentwicklungen fort (5.4.2). Dabei ist das Verhältnis der zivilgesellschaftlichen Akteure durch Spannungen zwischen Kritik am instrumentell-voluntaristisch gefassten »CSR«Konzept und der Kollaboration in seiner Beförderung gekennzeichnet, die insbesondere auf gewerkschaftlicher Seite letztlich in eine Form der pragmatischen Annäherung an die Artikulationen der wirtschaftlich-staatlichen Koalition münden (5.4.3). Insgesamt zeigt sich in dieser Phase, dass die zivilgesellschaftlichen Akteure aufgrund ihrer späten Beteiligung vor allem auf die von der wirtschaftlichstaatlichen Diskurskoalition vorgebrachten Interpretationen reagieren. Eigene, alternative Verantwortungskonzeptionen werden vor allem von NGOs kaum und von Gewerkschaften immer weniger vorgebracht (5.4.4), womit der Verbreitung des »Business Case for CSR« insgesamt wenig entgegengesetzt wird. 5.4.1 Skeptisches Schweigen zivilgesellschaftlicher Akteure Zivilgesellschaftliche Akteure greifen nach dem Abebben des Diskurses in den 1990er-Jahren die Auseinandersetzung mit Fragen unternehmerischer Verantwortung deutlich später wieder auf als wirtschaftliche und staatliche Akteure. Begründet ist das anfängliche ›Schweigen‹ durch die Skepsis gewerkschaftlicher und NGO-Akteure hinsichtlich der Neufassung unternehmerischer Verantwortung als »CSR«. Beide Akteursgruppen zeigen sich zu Beginn dieser Phase skeptisch gegenüber den Veränderungen des Diskurses und äußern sich nur vereinzelt und ab-
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lehnend, womit nicht zuletzt die Prägung des für die unternehmerische Verantwortung typischen Motivvokabulars wirtschaftlichen und staatlichen Akteure überlassen bleibt. Die Gewerkschaften gehen in den ersten Jahren der zweiten Phase zwar insofern mit dem Thema »CSR« um, als dass sie etwa die Entwicklungen auf europäischer Ebene verfolgen und sich an Initiativen anderer Akteure beteiligen, wie z.B. dem »Runden Tisch Verhaltenskodizes« oder dem Arbeitskreis »Wirtschaft und Menschenrechte«,27 eigene Projekte und Initiativen gehen in dieser Zeit von den deutschen Gewerkschaften jedoch nicht aus. Auch eine Zusammenarbeit unter den Einzelgewerkschaften findet zum Thema »CSR« kaum statt (DGB 2005: 4, 32; Hauser-Ditz/Wilke 2005: 7-8), womit die Beteiligung der Gewerkschaften in den Anfangsjahren der zweiten Phase des Diskurses insgesamt als »eher zu vernachlässigen« zu beschreiben ist (Rieth 2009: 111).28 Grund für dieses anfängliche Schweigen der Gewerkschaften ist die Skepsis gegenüber den mit der Einführung des »CSR«-Begriffs einhergehenden Veränderungen unternehmerischer Verantwortung. Stehen Gewerkschaften prinzipiell den Zielen von »CSR« positiv gegenüber, so hegen sie vor allem Zweifel hinsichtlich der Formen der Umsetzung (DGB 2001, dazu auch Kröger 2011: 241). Vor allem die starke Betonung der Freiwilligkeit, wie sie gemeinsam von wirtschaftlichen und staatlichen Akteuren befördert wird, ruft Sorgen hinsichtlich einer Erosion rechtlich verbindlicher Standards durch ein Erstarken des »CSR«-Konzepts hervor – wobei es insbesondere die Mitbestimmungsrechte sind, auf die sich diese Sorgen beziehen (Hauser-Ditz/Wilke 2005: 8; DGB 2005b: 32; Seyboth in DGB 2005b: 4-5). Wie wir gesehen haben, war die Politik deutscher Gewerkschaften bislang geprägt von 27 Darüber hinaus ist z.B. die IG-Metall auf Initiative der internationalen Metallgewerkschaft zwischen 1998 und 2005 an der Vereinbarung von Globalen Rahmenvereinbarungen mit einzelnen Unternehmen (z.B. dem Volkswagen Konzern) beteiligt (CorA 2006b: 28; Kerkow et al. 2003: 5). 28 Auch andere Studien weisen darauf hin, dass die Gewerkschaften in diesen Jahren kein wesentlicher Akteur im Diskurs seien bzw. ihre Rolle noch nicht definiert hätten (Bertelsmann-Stiftung 2005: 33; Habisch/Wegner 2005: 115; Hauser-Ditz/Wilke 2005: 7, 26). Auch Segal und Kollegen (2003: 44) beschreiben die Rolle der deutschen Gewerkschaften als gering und weisen dabei auch auf den strategischen Vorteil der Unternehmen hinsichtlich der Bestimmung des Konzepts hin: »At present, German work counsels and trade unions play only a marginal role in the CSR movement. This means nothing else but companies and management succeeded to gain dominance in a field that so far was assigned to the trade unions. The competence for ›social responsibility‹, ›justice‹ and ›fairness‹ is a traditional domain of the trade union movement. Today companies rule the communication of this topic. For trade unions, this is a fundamental challenge which, however, does not seem to be realised.«
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dem Ringen um gesetzlich verpflichtende Standards und Regulierungen (siehe Kapitel 4) und steht in starkem Kontrast zur Freiwilligkeit von »CSR« bzw. Formen der freiwilligen Selbstverpflichtung, die noch dazu ohne gewerkschaftliche Beteiligung ausgehandelt werden. Auch die von wirtschaftlichen und staatlichen Akteuren vorgebrachten instrumentellen Motive lassen aufseiten gewerkschaftlicher Akteure zunächst Zweifel am »CSR«-Begriff aufkommen. Fraglich erscheint für die Gewerkschaften beispielsweise, dass es bei unternehmerischen »CSR«-Maßnahmen »um mehr als [nur] ökonomischen Eigennutz gehe« (Mutz/Ebgringhoff (HBS) 2006a: 21-22; ebenso Beile et al. 2006), um mehr als »reine PR-Politik« (Hauser-Ditz/Wilke 2005: 23), womit die Frage nach Zielen und Substanz unternehmerischer Verantwortung gestellt ist. Darüber hinaus stellen Fragen zur eigenen Rolle innerhalb der sozialen Partnerschaft, die über Jahre eng mit der exklusiven Besetzung sozialer und ökologischer Themen verbunden war, Grund zur Skepsis gegenüber dem veränderten Diskurs dar (ähnlich auch Habisch/Wegener 2005; Rieth 2009: 110). Das »CSR«-Konzept, das eine systematische und gewerkschaftliche Beteiligung von Arbeitnehmerinnen zunächst nicht vorzusehen und damit auch die in Deutschland traditionelle Rollenverteilung der Sozialpartner anzuzweifeln scheint, bestärkt die Skepsis der Gewerkschaften (Mutz/Egbringhoff (HBS) 2006: 5).29 Befürchtungen einer Schwächung der eigenen Position werden unter Gewerkschaften zusätzlich durch die zu Beginn der 2000er-Jahre erneut aufflammende Kritik an der Mitbestimmung geschürt, was auch die Sorge eines Aufweichens rechtlicher Rahmenbedingungen weiter verstärkt. Ähnlich skeptisch verhalten sich auch NGOs zu den Entwicklungen zu Beginn dieser zweiten Phase. Deutsche NGOs setzen sich zunächst nur sehr vereinzelt mit der Unternehmensverantwortung insgesamt und dem neu eingeführten Signifikanten »CSR« im Besonderen auseinander.30 Weder veröffentlichen sie zu Beginn der 2000er-Jahre regelmäßige Stellungnahmen zu den Äußerungen anderer Akteure, 29 Wie wir noch sehen werden, ist die Beteiligung der Arbeitnehmerinnen gewerkschaftliche Grundvoraussetzung für verantwortungsvolles Unternehmenshandeln. 30 Die großen international aktiven NGOs – darunter Greenpeace, Amnesty International, Clean Clothes Campaign, Fair Labor Association – haben sich zunächst ausschließlich in ihren amerikanischen oder europäischen Hauptzentralen mit dem Thema »CSR« auseinandergesetzt. Stellungnahmen beschäftigen sich hier vornehmlich mit dem angloamerikanischen und internationalen »CSR«-Diskurs und haben keinen deutschlandspezifischen Bezug. Das Thema »CSR« scheint aber auch dort für die NGOs keinen großen Stellenwert zu haben, viele Veröffentlichungen befassen sich nur am Rande mit dem Thema. Eine Ausnahme bildet die Veröffentlichung der Initiative »Christian Aid«, die sich grundlegend und äußerst kritisch mit »CSR« auseinandersetzt, sowie ein Überblickartikel des WWF International (2003).
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noch nehmen sie innerhalb eigener Beiträge explizit auf das Thema Bezug oder bringen eigene Vorschläge in den Diskurs ein. Grund dafür ist zum einen die Verhaftung vieler deutscher NGOs in umweltpolitischen Themen, die im Diskurs mit dem Begriff »CSR« – häufig verstanden als die soziale Dimension der Nachhaltigkeit – weiter in den Hintergrund rückt. Wie in Kapitel 4 deutlich wurde, entstanden zahlreiche NGOs in Deutschland vor allem aus der Umweltdebatte der 1970er- und 1980er-Jahre. Große deutsche NGOs haben dadurch vor allem umweltpolitische Ausrichtungen, wie etwa der BUND, der NABU, der DNR oder Greenpeace Deutschland. Zahlreiche Projekte auf regionaler und nationaler Ebene, wie etwa Informationsveranstaltungen zur umweltverträglichen Betriebsführung in Handwerksbetrieben oder zur Entwicklung und Vermarktung umweltverträglicher Produktionswege durch den BUND (BR 2002: 78), das Engagement für eine ökologische Steuerreform sowie die Kennzeichnung ökologischer Produkte und Dienstleistungen, an dem sich sowohl die Umweltverbände DNR, BUND und NABU als auch Gewerkschaften und Unternehmen beteiligten (BR 2002: 79), zeigen diesen Fokus auf umweltpolitische Themen. Auch die Auseinandersetzung mit dem Begriff der Nachhaltigkeit geschieht vor allem aus ökologischer Perspektive (z.B. BUND/MISEREOR 1996). Insgesamt verbleiben die Aktivitäten vieler deutscher NGOs folglich zunächst stark im umweltpolitischen Bereich verhaftet, womit das Thema »CSR« allenfalls einen Nebenschauplatz darstellt.31 Zum anderen teilen die NGOs die gewerkschaftliche Skepsis hinsichtlich des sich unter dem Begriff »CSR« durchsetzenden ›Prinzips der Freiwilligkeit‹. Die bisher gemachten Erfahrungen mit Freiwilligkeit, insbesondere freiwilligen Selbstverpflichtungen, Verhaltenskodizes und Multi-Stakeholder-Initiativen, werden neben inhaltlichen Schwächen vor allem aufgrund der begrenzten Beteiligung zivilgesellschaftlicher Akteure, mangelnder Verbindlichkeit sowie stark eingeschränkter Kontroll- und Sanktionsfähigkeit als unzureichend bewertet (Kerkow et al. 2003). Für die Akteure stellt sich »die grundsätzliche Frage nach der Wirksamkeit freiwilliger Instrumente zur Stärkung der Unternehmensverantwortung« (Kerkow et al. 2003: 6), die mit großen Zweifeln besetzt ist und die Akteure zunächst eine zurückhaltend skeptische Haltung einnehmen lässt.
31 Das zeigt auch die Beteiligung einiger deutscher NGOs in der Erarbeitung von MultiStakeholder-Initiativen, wie etwa im Rahmen der Forest Stewardship Council unter Beteiligung von Greenpeace, BUND, WWF, NABU, Robin Wood und Urgewald (1993) oder der Marine Stewardship Council, die aus einer gemeinsamen Initiative von Unilever (»Käpt’n Iglo«) und dem WWF entstanden ist (1999) (dazu Kerkow et al. 2003: 12).
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5.4.2 Formierung einer Konter-Diskurskoalition und der Angriff auf die wirtschaftlich-staatliche Deutungshoheit im »CSR«-Diskurs Erst im Jahr 2005 entscheiden sich die zivilgesellschaftlichen Akteure, sich aktiv an der Auseinandersetzung um »CSR« zu beteiligen. Mehrere Gründe lassen sich für diese Entscheidung anführen. Erstens werden von den Gewerkschaften mit Voranschreiten des »CSR«-Diskurses die steigende Bedeutung des Themas »CSR« und die Aktivitäten der Wirtschaft deutlich wahrgenommen (z.B. DGB 2005b: 3-4). Es zeichne sich ab, dass »CSR« »keine Modeerscheinung« darstelle, ja vielmehr in Zukunft an Bedeutung gewinnen werde (Mutz/Ebringhoff 2006a: 173). Die Diskussion sei »in vollem Gange« und biete gerade deshalb, weil sich allgemeine Standards noch nicht herausgebildet hätten, »Chancen für eine Mitgestaltung der betrieblichen CSR-Strategien/Prozesse durch die Arbeitnehmervertreter«, so heißt es (Hauser-Ditz/Wilke 2005: 2-3). Dabei wird die eigene Rolle als zu gering bewertet (z.B. DGB 2005b: 3-4), die wirtschaftliche Deutungshoheit hingegen als zu groß wahrgenommen (DGB 2005b: 2, 34). »In Anbetracht der aktuellen Entwicklungen stehen die Gewerkschaften und die betrieblichen Arbeitnehmervertreter vor der Wahl. Entweder sie verhalten sich weitgehend passiv und überlassen Unternehmen, Rater [sic] und NGOs das Feld, und verlieren an Definitionsmacht oder sie bringen sich ein und nutzen die Chance, CSR mit Gewerkschaften und Arbeitnehmervertretungen als einen der Garanten für die Wahrnehmung sozialer Verantwortung in Verbindung zu bringen.« (HBS 2005: 26)
Angesichts der steigenden Bedeutung des »CSR«-Diskurses wird nun folglich vor allem das »Risiko« gesehen, »sich aus der Debatte herauszuhalten und so wichtige Definitionsmöglichkeiten zu verlieren« (Hauser-Ditz/Wilke 2005: 23), was die Entscheidung befördert, sich verstärkt und in systematischer Weise am Diskurs zu beteiligen. Zweitens, das klingt auch im vorstehenden Zitat an, wenn es heißt, man wolle »die Chance [nutzen], CSR mit Gewerkschaften und Arbeitnehmervertretungen als einen der Garanten für die Wahrnehmung sozialer Verantwortung in Verbindung zu bringen« (HBS 2005: 26), erkennen gerade die Gewerkschaften die »Chance, als ein wichtiger Akteur diese Debatte richtungsweisend mitzugestalten« (Mutz/Ebringhoff 2006a: 173, eigene Hervorhebung, N.L.) und damit Befürchtungen der eigenen Bedeutungslosigkeit entgegenzuwirken. So erhoffen sich die gewerkschaftlichen Akteure mit dem Einstieg in den »CSR«-Diskurs verbesserte Informations- und Beteiligungsmöglichkeiten (Hauser-Ditz/Wilke 2005) sowie die Gewinnung »neue[r] Gestaltungsspielräume« (Seyboth in DGB 2005: 5). Auch
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könnten die Gewerkschaften, trotz aller Kritik am bisherigen Verlauf der Debatte, durch »ihre Beteiligung an der CSR Diskussion ihr Image und ihren Gebrauchswert steigern« (Hexel in DGB 2005b: 3). Es öffne sich hier »ein Diskursraum, der vonseiten der Gewerkschaften und betrieblichen Arbeitnehmervertreter ausgestaltet werden« könne und die Möglichkeit biete, eigene Ziele in den »Blickpunkt« zu rücken, wie etwa Investitionen in Humankapital, Arbeitsbedingungen, Gesundheitsschutz, Qualifikation und Chancengleichheit (HBS 2005: 22, 25-26; DGB 2005b: 5). Der »CSR«-Diskurs wird somit auch für die Stärkung der eigenen Position sowie die Beförderung gewerkschaftlicher Themen als wichtige Arena erkannt, womit sich die Gewerkschaften schließlich für eine Diskursbeteiligung entscheiden. Wie Abbildung 14 zeigt, veröffentlichen die Gewerkschaften ab dem Jahr 2005 eigene Publikationen zu »CSR«. Darüber hinaus wird der Beginn einer systematischen Auseinandersetzung in einer Reihe von Veranstaltungen zum Thema »CSR« deutlich. Beispielweise findet ein erster Workshop ebenfalls im Jahr 2005 zum Thema »Corporate Social Responsibility (CSR) – Neue Handlungsfelder für Arbeitnehmervertretungen« statt, welcher durch den DGB in Kooperation mit der Hans-Böckler-Stiftung veranstaltet wird und im Titel den Anspruch einer gewerkschaftlichen Rolle hinsichtlich des Themas »CSR« deutlich macht.32
32 Weitere Diskussionsrunden und Workshops finden in der Folgezeit statt; die Titel skizzieren deutlich Sorgen und Hoffnungen der Gewerkschaften: »Gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen: Zwischen Regulierung und freiwilliger Selbstverpflichtung« (Diskussion, 06.06.2005); »Corporate Citizenship ein Potenzial für das Gemeinwesen?« (Diskussion, 04.07.2005); »Gesellschaftliche Verantwortung von kleinen und mittleren Unternehmen: Zwischen Tradition und Strategie« (Diskussion, 07.10.2005); »Was kann Beratung bei bürgerschaftlichem Engagement von Unternehmen leisten?« (Diskussion, 27.01.2006); »Gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen. Die Rolle der Arbeitnehmervertretung« (Workshop, 07.04.2005); »Kooperationen von Unternehmen mit Einrichtungen des Dritten Sektors« (Workshop, 24.10.2005); »›Das ist immer eine Gratwanderung!‹ Mitwirkungspraxis von Arbeitnehmervertretungen bei CSR-/CC-Aktivitäten« (Workshop, 31.03.2006) (dazu Mutz/Egbringhoff (HBS) 2006: 52-53). Über diese Veranstaltungen hinaus hat die IG BCE gemeinsam mit dem Bundesarbeitgeberverband Chemie (BAVC) im Juli 2007 zudem einen Diskussionsprozess zum Thema Unternehmensverantwortung initiiert (Wittenbergprozess) (HBS 2009: 3).
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Abbildung 14: Veröffentlichung von Texten zur Unternehmensverantwortung durch die Gewerkschaften nach 199533 8 7 6 5 4 3 2 1 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013
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(Eigene Darstellung)
Zur gleichen Zeit entwickelt sich auch aufseiten deutscher NGOs ein deutlicheres Interesse am »CSR«-Diskurs. Auch hier wird das Fortschreiten der Auseinandersetzung ohne eigene Beteiligung als negativ erlebt und ein aktiver und systematischer Einstieg für notwendig befunden (WEED et al. 2006: 27). Dabei teilen die NGOs viele der gewerkschaftlichen Bedenken und Hoffnungen hinsichtlich des Themas, und so kommt es im Jahr 2005 zu einem Vernetzungstreffen zum Thema Unternehmensverantwortung zwischen DGB Bildungswerk und verschiedenen NGOs,34 auf dem aktuelle Entwicklungen des Themas »CSR« kritisch diskutiert und eine gemeinsame Diskursbeteiligung beschlossen werden. Die an diesem Treffen teilnehmenden Akteure formulieren deutlich die gemeinsame Absicht, die »Machtasymmetrien zugunsten der Wirtschaft und die engen Verbindungen von Wirtschaft und Staat« aufzulösen und der wirtschaftlichstaatlichen Koalition in Bezug auf die Ausgestaltung unternehmerischer Verantwortung die eigenen Standpunkte entgegenzusetzen (WEED et al. 2006: 50). Als Konsequenz aus dem als zu groß wahrgenommenen Einfluss von Wirtschaft und Politik 33 Im Jahr 2014 hat der DGB meines Wissens keinen Text zum Thema veröffentlicht, weswegen diese Abbildung sich nur auf die Jahre bis einschließlich 2013 bezieht. 34 Maßgeblich beteiligt und auch Herausgeber des Abschlussberichts dieses Treffens (im Folgenden WEED et al. 2006) sind neben dem DGB Bildungswerk, die NGOs Weltwirtschaft, Ökologie & Entwicklung e.V. (WEED), Terre des Hommes sowie Global Policy Forum Europe.
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wird die Bildung einer »strategischen Allianz« zwischen Gewerkschaften und NGOs als wichtig befunden (WEED et al. 2006: 53). Für das eigene Vorgehen wird außerdem konstatiert: »Eine Spezialisierung ist sinnvoll, um zum jeweiligen Thema Expertise zu entwickeln«, was vor allem »für wirksame Kampagnen und Druck zur Erreichung von weitergehenden politischen Rahmensetzungen auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene […]« notwendig sei (WEED et al. 2006: 53).
Eine stärkere Vernetzung sowie der Aufbau eigener Expertise war den Gewerkschaften auch von der Hans-Böckler-Stiftung empfohlen worden (HauserDitz/Wilke 2005: 27)35 und zudem ein wichtiges Ergebnis der ersten »CSR«Konferenz der Gewerkschaften im Jahr 2005 (DGB 2005b: 32). Es heißt dazu, die »Diskussion über die gesellschaftliche Verantwortung der Unternehmen« müsse »auch in den Gewerkschaften und Arbeitnehmervertretungen auf breitere Füße gestellt werden […]« (Botsch in DGB 2005b: 34, ebenso IG Metall in WEED et al. 2006: 28; HBS 2008: 2, 2009: 6).36 Ausfluss dieser ersten Vernetzung zivilgesellschaftlicher Akteure zum Thema »CSR« ist im darauffolgenden Jahr die Gründung von »CorA. Netzwerk für Unternehmensverantwortung«, an der neben zahlreichen Menschenrechtsorganisationen, kirchlichen und entwicklungspolitischen Organisationen, Verbraucher- und Umweltverbänden auch Gewerkschaften und der DGB beteiligt sind. Deutlich formuliertes Ziel von CorA und den Mitgliedsorganisationen ist neben der Verstärkung der »gesellschaftliche[n] Debatte über das wirtschaftliche und politische Handeln von Unternehmen« vor allem, sozial und ökologisch verantwortliches Handeln in
35 Eine von der Hans-Böckler-Stiftung in Auftrag gegebene Studie hält ebenfalls fest, dass sowohl NGOs als auch Gewerkschaften im Bereich »CSR« mit ähnlichen Schwierigkeiten zu kämpfen hätten, und folgert: »Dies begründet die Notwendigkeit des Austauschs und Vernetzung: Interessenallianzen wären wichtig. […] Überlässt man hingegen diese Aktivitäten allein den Unternehmen, ist mit der Dominanz unternehmerischer Interessen sowie mit der Fortschreibung eines schleichenden Prozesses einer Privatisierung des Sozialen zu rechnen.« (Mutz/Ebringhoff 2006: 170) 36 Die Hans-Böckler-Stiftung engagiert sich diesbezüglich ab dem Jahr 2007 durch die jährliche Veranstaltung von Workshops und Seminaren für Arbeitnehmervertreterinnen, die Bereitstellung von Informationen zu »Guter Praxis« von »CSR«-Strategien und aktivitäten und geeigneten »CSR«-Instrumenten und erfasst regelmäßig den Informations- und Beratungsbedarf für »CSR«-bezogene Aktivitäten aufseiten der Arbeitnehmervertreterinnen (siehe dazu HBS 2008: 2), dem sie durch Studien und weitere Veranstaltungen entgegenzukommen versucht.
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transnationalen Unternehmen und deren Zulieferern »verbindlich« durchzusetzen (CorA 2006a). Analog zur Gründung wirtschaftlicher und staatlicher »CSR«-Verbände ist die Gründung von CorA, neben einigen weiteren Kampagnen, die ebenfalls zu dieser Zeit initiiert werden,37 deutliches Bekenntnis zur Bedeutung unternehmerischer Verantwortung und Ausdruck einer expliziten und systematischen Auseinandersetzung mit »CSR«. Auch aufseiten zivilgesellschaftlicher Akteure ist damit ein dezidiertes Bekenntnis zur Relevanz des Diskurses getan, das auch hier mit einer Professionalisierung der Teilnahme einhergeht. »CSR« wird nun nicht mehr aus der zivilgesellschaftlichen Diskussion ausgeklammert, sondern der Versuch einer aktiven Mitgestaltung unternommen, der sich nicht zuletzt in der Veröffentlichung zahlreicher themenspezifischer Texte ausdrückt. Abbildung 15 zeigt deutlich, dass mit der Gründung von CorA die Zahl der durch NGOs veröffentlichten Texte steigt. Nicht zuletzt ist CorA als Netzwerk Manifestation der Vernetzung gewerkschaftlicher und NGO-Akteure sowie Beginn der gemeinsamen Diskursteilnahme.38
37 Im Jahr 2006 wird z.B. von Ver.di und Attac eine »Lidl-Kampagne« gestartet, die sich insbesondere mit den Arbeitsbedingungen des Konzerns beschäftigt, für den weiten Diskurs aufgrund ihrer spezifischen und zeitlich begrenzten Ausrichtung jedoch kaum Einfluss entwickelt. 38 Orientierung für die Bildung einer strategischen Allianz fanden die Gründerinnen unter anderem bei entsprechenden Netzwerken anderer Länder, wie sie z.B. bereits zu Beginn des Jahrtausends u.a. in den Niederlanden und Großbritannien gegründet worden waren. Im Jahr 2002 wurde in den Niederlanden etwa das Netzwerk MVO gegründet, die »CORE Coalition« wurde in Großbritannien bereits im Jahr 1998 ins Leben gerufen. Ähnliche Netzwerke gibt es auch in Spanien (Observatorio de RSC), Frankreich (Forum Citoyen pour la RSE), der Schweiz (MultiWatch) sowie in Schweden und Finnland (SwedWatch, FinnWatch).
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Abbildung 15: Veröffentlichung von Texten zur Unternehmensverantwortung durch NGOs nach 1995 16 14 12 10 8 6 4 2 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014
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(Eigene Darstellung)
NGOs und Gewerkschaften nehmen zunächst kritisch auf »CSR« und dessen instrumentell-voluntaristische Formung durch wirtschaftliche und staatliche Akteure Bezug. Sie positionieren sich damit in deutlicher Differenz zum sich entwickelnden »CSR«-Verständnis. Durch die gemeinsam formulierte Kritik sehen sie sich zu einer zivilgesellschaftlichen Diskurskoalition verbunden. Da sich diese in kritischer Abgrenzung zur wirtschaftlich-staatlichen Diskurskoalition definiert, wird sie im Folgenden auch als widerständige Diskurskoalition sowie das Netz ihrer Artikulationen als Konterdiskurs bezeichnet. Gleichzeitig ist mit dem Begriff des Konterdiskurses ausgedrückt, dass zivilgesellschaftliche Akteure jeweils auf das von der wirtschaftlich-staatlichen Diskurskoalition Vorgebrachte Bezug nehmen, sich folglich jeweils im Verhältnis zum ›Anderen‹ definieren und damit – wie sich im Weiteren zeigen wird – in eine reaktive Position verwiesen sind. Zunächst geht es der widerständigen Diskurskoalition vornehmlich darum, die Ausrichtung unternehmerischer Verantwortung an Unternehmenszielen sowie die sich etablierende »Freiwilligkeitsideologie« (siehe unten) aufzubrechen und verbindliche und sanktionsfähige »CSR«-Standards und -Regelungen durchzusetzen. Beispielsweise üben Gewerkschaften und NGOs Kritik am freiwilligen Charakter von »CSR« und bemängeln, dass dieser nicht geeignet sei, unternehmerische Verantwortung umzusetzen und deshalb »keine ausreichende Alternative zu notwendigen Regulierungen« darstelle (CorA 2006a: 2).
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»Denn Unternehmen müssen die Renditeerwartungen ihrer Eigner erfüllen und stehen unter Kostendruck. Sobald es auch nur einen Mitbewerber gibt, der die Empfehlungen nicht beachtet und sich dadurch kurzfristige Kostenvorteile verschafft, geraten die Standards auch bei allen anderen Unternehmen unter Druck – selbst wenn diese sich sozial verantwortungsvoll verhalten wollen.« (DGB 2007b: 30)
Es wird folglich davon ausgegangen, dass selbst den Willen der Unternehmen vorausgesetzt ein auf freiem Wettbewerb (und damit auf Freiwilligkeit) basierendes Anreizsystem nicht ausreicht, um soziale und ökologische Verantwortung in allen Unternehmen durchzusetzen. Auch freiwillige Standards, wie der Global Compact oder die OECD-Leitlinien, zeigten trotz zum Teil großer Verbreitung immer wieder, dass sie nur unzureichend umgesetzt würden und hätten damit »das Argument, dass freiwillige Ansätze genügen, nicht ausreichend bestätigt« (Greenpeace in WEED et al. 2006: 18; ebenso CorA 2006a: 2).39 Zudem würden mit freiwilligen Maßnahmen zwar einige motivierte Unternehmen erreicht, die »schwarzen Schafe« hingegen könnten damit nicht zu verantwortungsvollerem Handeln bewegt werden (Lobby Control in WEED et al. 2006: 49; ebenso Verbraucherinitiative e.V. in WEED et al. 2006: 37). Zivilgesellschaftliche Akteure seien sich deshalb »in der Analyse, dass Freiwilligkeit nicht ausreicht, weiter einig« (Greenpeace in WEED et al. 2006: 19). Es wird befunden: »Wir brauchen eine gemeinsame mittel- und langfristige Strategie für eine Diskursverschiebung weg von der ›Freiwilligkeitsideologie‹ beim Thema CSR und hin zu einer neuen politischen Agenda mit verbindlichen Corporate Accountability-Maßnahmen.« (WEED et al. 2006: 58)40
Ausgehend von dieser Kritik plädieren Gewerkschaften und NGOs gemeinsam für rechtlich verbindliche Maßnahmen, deren Nicht-Einhalten mit Sanktionen verbunden sein müsse. Denn insbesondere im Vergleich zu anderen Wirtschaftsbereichen bewerten die Akteure Sozial- und Umweltstandards als zu wenig bindend. Unter anderem ist von einem »Zweiklassen-Recht« die Rede, welches für Umwelt- und Sozialaspekte jeweils auf weiches Recht (sogenanntes »Soft-Law«) verweise, für z.B. Handelskonflikte aber rechtlich verbindliche und sanktionsfähige Mittel (soge39 An dieser Stelle ist anzumerken, dass Gewerkschaften und NGOs zwar zunächst hinsichtlich ihrer Kritik am freiwilligen Charakter von »CSR« einig sind, sich die Gewerkschaften aber, anders als viele der NGOs, trotz Kritik an ihrem ebenfalls freiwilligen Charakter für die OECD-Leitlinien aussprechen. 40 Der Fokus auf die Verbindlichkeit unternehmerischer Verantwortung drückt sich auch in zahlreichen Arbeitsgruppen des CorA-Netzwerkes aus, wie etwa zu den Themen Rechenschafts- und Publizitätspflichten sowie Regulierung und Haftung für Unternehmen.
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nanntes »Hard-Law«) vorsehe (WEED et al. 2006: 22, ähnlich DGB et al. 2005: 17; DGB 2007b: 4, 31). Die Forderungen der kommenden Jahre sind damit vor allem die Verbindlichkeit von »CSR«, aber auch Transparenz, Überprüfbarkeit, Sanktionierbarkeit sowie zivilgesellschaftliche Beteiligung.41 Auch andere von der wirtschaftlich-staatlichen Diskurskoalition beförderte instrumentelle Motive greifen Gewerkschaften und NGOs kritisch auf. Eng verbunden ist die Kritik einer wettbewerbs- und reputationsfördernden Wirkung von »CSR« etwa mit der Kritik an der Freiwilligkeit von »CSR«. Insgesamt werfe der freiwillige Ansatz Fragen nach den Beweggründen für ein »CSR«-Engagement auf, was dazu führe, dass es der auf »reiner Freiwilligkeit basierenden unternehmerischen Selbstverpflichtung leicht an der notwendigen Glaubwürdigkeit« fehle (Fuchs (CorA) in EED 2008: 3-4). So entstünden erst durch die Freiwilligkeit von »CSR« Anreize, unternehmerische Verantwortung im Zuge des Reputationsmanagements auszunutzen und so vor allem die Darstellung der eigenen Tätigkeiten zu verändern, ohne dabei das eigene Handeln an unternehmerischer Verantwortung auszurichten, sprich »Greenwashing« zu betreiben (Greenpeace 2005: 8; Fuchs (CorA) in WEED et al. 2006: 58-59; CorA 2007: 21; BUND 2008: 12). Auch bereits regulierte Bereiche, wie etwa Menschenrechte und Arbeitsbedingungen, würden zu PR-Zwecken als freiwillige Leistungen dargestellt, weswegen CorA u.a. fordert, die Darstellung freiwilliger Maßnahmen aus der Berichterstattung von Unternehmen zu entfernen (Lübke (CorA) in EED 2008: 14). Generell wird die starke Orientierung von »CSR« an der unternehmerischen Reputation als kritisch gesehen: »Teilweise wird mehr Geld in die Werbung für Umweltfreundlichkeit investiert als in konkrete Maßnahmen zum Umweltschutz – nur um von Kritik abzulenken. Die Konzerne leugnen zwar nicht länger ihre Schuld an der Umweltzerstörung, geben Fehler zu und beschreiben ihre Probleme. Dadurch meinen sie allen Ernstes, sich als Vorzeigeunternehmen für Corporate 41 Vor allem NGOs rekurrieren aus dieser Kritik heraus deshalb immer wieder deutlich auf den Begriff »Corporate Accountability«, der sich auch im Namen des Netzwerkes – CorA »Corporate Accountability« – verbirgt: »Den Vorschlägen einer vermeintlich freiwilligen Corporate Social Responsibility (CSR) wird das Konzept ›Corporate Accountability‹ entgegengehalten. Der Begriff meint verbindliche politische Regeln und Rechenschaftspflichten, die Unternehmen zur Beachtung ökologischer und sozialer Rechte zwingen sollen.« (EED 2008: 12) Das Konzept der »Corporate Accountability« unterscheidet sich im Verständnis der Organisationen weniger bezüglich seines Inhalts oder Umfangs vom Konzept der »Corporate Social Responsibility«. Anders als der Begriff »CSR« gehen mit dem Begriff der »Corporate Accountability« klar verbindliche Regeln, Kontroll- und Sanktionsmechanismen anstelle von freiwilligen Selbstverpflichtungen einher (siehe vergleichend die »CSR«-Definition EED 2008: 4 und die »Corporate Accountability«Definition EED 2008: 12).
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Social Responsibility (CSR) auszuzeichnen. […] Leider gilt allzu oft: Je ausgefeilter und teurer der CSR-Report, desto schlimmer das Sündenregister. Der Begriff ›Verantwortung‹ wird ausgehöhlt und als Feigenblatt missbraucht.« (Greenpeace 2005: 8; ähnlich Fuchs (CorA) in EED 2008: 4)
Diese »nur zu PR-Zwecken« ausgeführte »CSR« würde, so die Kritik, dazu benutzt werden, »das Gewissen allzu kritischer Bürgerinnen und Bürger in sozialer Sicherheit zu wiegen« (DGB und IG Metall in WEED et al. 2006: 27) und damit den »öffentlichen Druck auf Unternehmen abzuschwächen« (IG Metall in CorA 2006: 28). Ausgehend von der kritischen Haltung zivilgesellschaftlicher Akteure – die zunächst noch ihre Beteiligung verhindert hatte, um wenig später zum Anlass der Mitgestaltung zu werden –, zeigt sich im weiteren Verlauf des Diskurses ein deutlicher Konflikt unter zivilgesellschaftlichen Akteuren in Bezug auf die eigene Diskursteilnahme und die Beförderung des zusehends instrumentell-voluntaristisch gefassten »CSR«-Konzepts. 5.4.3 Spannungen der zivilgesellschaftlichen Diskursbeteiligung: Zwischen Kollaboration und Kritik Bald schon zeichnet sich für die zivilgesellschaftliche Diskurskoalition ab, dass sich die instrumentell-voluntaristische Fassung unternehmerischer Verantwortung nicht so leicht aufbrechen und verändern lässt. Der »Business Case for CSR« wird von Gewerkschaften und NGOs mehr und mehr als ›gesetzt‹ wahrgenommen. Letzteres zeigt sich beispielsweise am »Prinzip der Freiwilligkeit«. Auch von zivilgesellschaftlichen Akteuren wird die enge Verbindung von Freiwilligkeit und »CSR« als kaum mehr auflösbar erlebt: »Corporate Social Responsibility (CSR) ist zu einem Schlüsselwort moderner Unternehmenskultur geworden. Trotzdem oder gerade deswegen ist der Begriff bisher eher unscharf geblieben. Klar ist nur für alle Vertreter dieses Konzepts: Was auch immer CSR genau meint, es soll auf freiwilliger Basis geschehen.« (Fuchs (CorA) in EED 2008: 3)
Die Freiwilligkeit wird als zusehends fester Bestandteil des »CSR«-Konzept erlebt und so setzt sich trotz fortgesetzter Kritik an der Freiwilligkeit die Erkenntnis durch, dass es »derzeit unrealistisch« sei, ein inhaltlich umfassendes Regelwerk als verbindliches Instrument zu schaffen (GermanWatch in EED 2008: 9).42 42 Nicht zuletzt wird der große Stellenwert der Freiwilligkeit für das Konzept »CSR« auch von zivilgesellschaftlicher Seite reifiziert. Wird die Freiwilligkeit von »CSR« auch kritisch betrachtet, so müssen Gewerkschaften und NGOs doch bzw. gerade deswegen immer wieder auf die Verbindung Freiwilligkeit/»CSR« Bezug nehmen. So wird beispielsweise die Definition von »CSR« als freiwilliges Konzept durch andere Akteursgruppen
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Vor dem Hintergrund der, wenn auch weiterhin kritisch betrachteten, Anerkennung des ›Gesetzt-Seins‹ des instrumentell-voluntaristischen Motivmusters ergibt sich für die zivilgesellschaftlichen Akteure ein Spannungsverhältnis hinsichtlich der eigenen Beteiligung an der Beförderung des derart geprägten »CSR«-Konzepts oder der fortgesetzten Kritik und letztlich Ablehnung dieses Konzepts. Dieses Spannungsverhältnis zwischen Kritik und Kollaboration wird von den Akteuren selbst deutlich wahrgenommen und reflektiert. Ganz klar präsentiert sich aus Sicht der Gewerkschaften in Bezug auf die sich herausbildende »CSR«-Konzeption ein »Spannungsfeld«, da diese zum einen »hervorragende Aktivitäten« verspräche, zum anderen jedoch Gefahren des Missbrauchs einschlösse (IG Metall in CorA 2006: 28). Die Beteiligung an der Beförderung von »CSR« berge damit »sowohl Chancen als auch Risiken«, heißt es (HBS 2009: 3; DGB 2009d). Ähnliche Konflikte stellen sich auch aufseiten der NGOs (siehe etwa EED 2008; WEED et al. 2006). Auch von ihnen wird weiterhin deutliche Kritik an mangelnder Substanz, Transparenz und Verbindlichkeit geübt, zugleich verbinden sich vonseiten der NGOs auch Hoffnungen mit dem »CSR«-Konzept. Der BUND stellt beispielsweise fest, dass eine erhöhte Präsenz von »CSR« dazu beitragen könne, »bei Entscheidern in Unternehmen Bewusstsein für die sozialen und ökologischen Dimensionen wirtschaftlichen Handelns zu schaffen und Handlungsalternativen aufzuzeigen. […] Optimistisch formuliert wäre mit CSR die Wahrnehmung unternehmerischer Verantwortung für nachhaltige Entwicklung beschrieben. […] Dann könnte CSR einen Beitrag zu nachhaltiger Entwicklung leisten. Im Einzelnen gibt es sie, die guten Beispiele für gelebte und effektive unternehmerische Verantwortung für nachhaltige Entwicklung.« (BUND 2008: 8)
Nicht zuletzt werden als Folge einer nur schwachen Beteiligung zivilgesellschaftlicher Akteure »inhaltliche Rückschritte« befürchtet, die den Druck zur kritischen Beteiligung weiter aufrechterhalten (GermanWatch in EED 2008: 9). Auch die von den Gewerkschaften zuvor bereits geäußerten Befürchtungen eines weiteren Aufweichens verbindlicher Standards durch den erstarkenden Freiwilligkeitskurs halten sich weiter und werden auch von den NGOs aufgegriffen: »Schädliche Wirkung entfaltet CSR dort, wo es bewusst dazu eingesetzt wird, gesetzliche Regelungen zum Schutz von Mensch und Umwelt zu verhindern. Als Beispiele dienen die enttäuschenden Erfahrungen mit Selbstverpflichtungen der deutschen Wirtschaft in den Be-
diskutiert und nicht zuletzt ist auch dort, wo von zivilgesellschaftlichen Akteuren selbst auf »CSR« rekurriert wird, häufig gleichzeitig von »Freiwilligkeit« die Rede (siehe oben, BUND 2008: 7, 8; ebenso CorA 2006a: 2; WEED 2008: 2; Seyboth in DGB 2005: 4; WEED et al. 2008: 24).
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reichen PKW/CO2, Kraft-Wärme-Kopplung sowie dem Versprechen der vermehrten Einstellung älterer Arbeitnehmer bei Lockerung des Kündigungsschutzes.« (BUND 2008: 8-9)
Und so stehen Hoffnungen hinsichtlich einer Beförderung unternehmerischer Verantwortung und positive Beispiele aus der Unternehmenspraxis auf der einen und Befürchtungen hinsichtlich wirkungslos bleibender und inhaltsleerer »CSR« auf der anderen Seite. Gewerkschaften und NGOs gehen unterschiedlich mit diesem Spannungsverhältnis um. Während die Gewerkschaften über die Jahre einen Weg der pragmatischen Kollaboration wählen und sich zumindest teilweise der Position wirtschaftlicher und staatlicher Akteure annähern, setzen die NGOs ihre kritische Position fort. 5.4.3.1 Der fortgesetzt kritische Standpunkt der NGOs Zeigen sich NGOs auch – wie vorstehend dargestellt – gezeichnet von der von den wirtschaftlichen und staatlichen Akteuren beförderten ›Realität‹ der instrumentellvoluntaristischen Fassung unternehmerischer Verantwortung, so übernehmen sie auch in den Folgejahren nicht die instrumentell-voluntaristischen Motive der wirtschaftlich-staatlichen Diskurskoalition und üben weiterhin deutliche Kritik daran: »Es ist immer wieder zu betonen: Entscheidendes Defizit aller CSR-Initiativen ist ihre Freiwilligkeit. Im globalen Wettbewerb um Aufträge und Kapital gilt schließlich jedes Abweichen vom ökonomischen Fokus auf Marktanteile, Rendite und Kostenoptimierung als existenzgefährdend. Es muss davon ausgegangen werden, dass in konkreten unternehmerischen Entscheidungssituationen dann grundsätzlich gegen die Einhaltung sozialer und ökologischer Standards entschieden wird, wenn damit Kostennachteile in Kauf genommen werden müssten. Trotz zum Teil ambitionierter Selbstverpflichtungen bleibt in der Regel der shareholder value oberstes Ziel und Gewinnmaximierung erstes Funktionsprinzip von Unternehmen. Die Jagd nach dem kurzfristigen wirtschaftlichen Erfolg drängt soziale Effekte des Wettbewerbs (zum Beispiel den Verlust von Arbeitsplätzen) und ökologische Beeinträchtigungen (zum Beispiel den Einfluss auf den Klimawandel) in den Hintergrund.« (BUND 2008: 8-9)
Und so fordern NGOs weiterhin verbindliche und transparente Informationen über die ökologischen und sozialen Auswirkungen unternehmerischer Aktivität, auf nationaler wie europäischer Ebene: »Da die Tätigkeit globaler Unternehmen gravierende Auswirkungen habe«, müssten verpflichtende Regelungen getroffen werden, Unternehmen für diese Auswirkungen zur Rechenschaft zu ziehen (CorA 2007c: 1). Verantwortungskonzepte, die sich allein auf den Markt verließen, seien nicht ausreichend: »Verantwortungsbewusste Unternehmer und ManagerInnen stecken […] in einer Zwickmühle: In einem ungeregelten Markt können anspruchsvolle Umwelt- und Sozialstandards zur
282 | I NSTRUMENTALISIERTE V ERANTWORTUNG? Existenzgefährdung werden, wenn die Konkurrenz nicht mitzieht und unter Ausnutzung von Öko- und Sozialdumping billiger produzieren kann. Der gleiche Effekt kann eintreten, wenn die KonsumentInnen diese Anstrengungen nicht honorieren, sondern Produkte nachfragen, für die Raubbau getrieben wird. Zur Herstellung transparenter Wettbewerbsbedingungen sind Rahmensetzungen, vor allem die Rechenschaftspflicht zur Einhaltung von sozialen und ökologischen Mindeststandards, zwingend erforderlich.« (BUND 2008: 5, ähnlich TransFair in EED 2008: 4)
Und so werden sowohl Freiwilligkeit als auch Instrumentalität unternehmerischer Verantwortung weiterhin kritisiert. Insbesondere steht dabei in der Kritik, dass freiwillige und von unternehmerischen Kalkülen bestimmte Verantwortung keine Verbindlichkeit herstelle – weshalb sich nicht zuletzt die zivilgesellschaftlichen Forderungen weiterhin auch an die Politik richten (z.B. BUND 2008: 18). Insbesondere CorA wendet sich u.a. mit Forderungen nach der Verankerung sozialer und ökologischer Kriterien im Vergaberecht sowie Richtlinien zur ökologischen und sozial-gerechten Beschaffung an die Bundesregierung (z.B. CorA 2007c, 2008) und stellt damit Forderungen, die instrumentell-voluntaristischen Interpretationen klar entgegenstehen. 5.4.3.2 Der pragmatische Ansatz der Gewerkschaften: Partielle Inkorporation der Artikulationen des hegemonialen Projekts Anders als aufseiten der NGOs mündet das zuvor beschriebene Spannungsverhältnis für die Gewerkschaften in eine als pragmatisch zu bezeichnende Haltung, die letztlich zu einer Annäherung an die wirtschaftlich-staatliche Position – den »Business Case for CSR« – führt. Das Spannungsverhältnis wird dabei nicht vollends aufgelöst, auch weiterhin ist von gewerkschaftlicher Seite Kritik am »Business Case for CSR« zu vernehmen. Beispielweise tragen sich Gewerkschaften bis heute mit der Befürchtung, Gewerkschafts- und Arbeitnehmervertreterinnen könnten in substanzlose unternehmerische »CSR«-Projekte eingebunden werden, womit nicht zuletzt Ressourcen gebunden würden, die an anderer Stelle benötigt würden (DGB 2009d: 5-6; 2009e: 2, dazu auch HBS 2009: 3). Es heißt, insgesamt spreche vieles für einen kritischen Umgang mit »CSR« (DGB 2009d: 5-6, 2009e: 2). Im Gegensatz zu den NGOs verbindet sich diese Skepsis unter den Gewerkschaften jedoch immer deutlicher mit »Hoffnungen und Erwartungen« an den »CSR«-Diskurs (DGB 2012c: 306), die nach und nach zu einer Annäherung an die wirtschaftlichstaatliche Position führen, wie Abbildung 16 zeigt. Mit zunehmender Verbreitung instrumentell-voluntaristischer Motive übernehmen Gewerkschaften diese schließlich teilweise in die eigene Argumentation, passen sich also dem als typisch Wahrgenommenen an und verleihen ihm damit zusätzliche Bedeutung. Und so überla-
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gern instrumentell-voluntaristische die relationalen und moralischen Motive letztlich in dieser Phase, wie Abbildung 17 zeigt. Abbildung 16: Gewerkschaftliche Akteure: Entwicklung instrumenteller, relationaler und moralischer Motive in der zweiten Phase Instrumenteller Motive Moralische Motive
Relationale Motive
20 15 10 5 0 2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
2008
2009
(Eigene Darstellung)
Abbildung 17: Gewerkschaftliche Akteure: Prozentuales Verhältnis instrumenteller, relationaler und moralischer Motive in der zweiten Phase Instrumentelle Motive 50,0 45,0 40,0 35,0 30,0 25,0 20,0 15,0 10,0 5,0 0,0
Relationale Motive
38,5
15,4
2. Phase (1995-2008) (Eigene Darstellung)
Moralische Motive
46,2
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Mehrere Gründe lassen sich für die Annäherung der Gewerkschaften an den instrumentell-voluntaristischen Kurs der wirtschaftlich-staatlichen Diskurskoalition erkennen. Erstens ist trotz aller Kritik die Beteiligung am sich etablierenden Mainstream mit einer Reihe von Hoffnungen und Erwartungen verbunden. Auf der »Chancenseite« wird beispielsweise verbucht, durch eine gewerkschaftliche Beteiligung auf eine »möglicherweise bestehende Diskrepanz zwischen dem öffentlich bekundeten Anspruch eines Unternehmens hinsichtlich der Übernahme sozialer, gesellschaftlicher und ökologischer Verantwortung und der praktischen Umsetzung hinweisen und auf Veränderungen hinwirken« zu können (DGB 2009d: 5-6, 2009e: 2; HBS 2009: 3). Da gewerkschaftliche Akteure und Arbeitnehmervertreterinnen, anders als NGOs, in unternehmerische Prozesse eingebunden sind, erhoffen sie sich einen positiven Einfluss auf die Ausgestaltung von »CSR« und nehmen auch deshalb eher einen kooperativ-pragmatischen Kurs ein. Nicht zuletzt hieße eine NichtBeteiligung auch, den Unternehmen die Definitionsmacht unternehmerischer Verantwortung zu überlassen – »CSR darf von Unternehmen nicht dazu verwendet werden, um ihre Verantwortung neu zu definieren bzw. neu auszulegen. […] Es bleibt dabei: Die Unternehmen sind nicht politisch legitimiert, ihre Verantwortung gegenüber der Gesellschaft allein zu definieren.« (DGB 2009d: 9) – sprich, eine gewerkschaftliche Beteiligung wird auch weiterhin als notwendig erachtet. Zweitens könne die »Einbeziehung von Arbeitnehmervertreter/innen in ein CSR-Konzept die Chance eröffnen, dass Mitbestimmungsträger über ihre jeweiligen institutionellen Grenzen hinaus agieren können« (DGB 2009d: 5-6, 2009e: 2). Mit einer engeren Beteiligung an der Ausgestaltung von »CSR« wird folglich auch die Hoffnung verbunden, die eigenen Handlungsspielräume zu erweitern und »in der Auseinandersetzung mit CSR auch auf nicht-mitbestimmungspflichtige Aspekte Einfluss [zu] gewinnen« (HBS 2009: 3). Entstehende »Handlungsmöglichkeiten« wären dabei »Mitsprache bei der Definition der Unternehmenswerte und Unternehmensziele, bei der Einführung von Managementsystemen und Verhaltenskodizes, Hinterfragen und Festlegen der Inhalte des CSR- bzw. Nachhaltigkeitsberichts sowie Auswahl der Adressaten eines Stakeholderdialogs« (HBS 2008: 3). Auch biete sich die Chance, gewerkschaftliche Themen wieder vermehrt auf die Tagesordnung zu rücken: »Betriebsräte und Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsräten sind aufgefordert, CSRRegelungen mit zu gestalten. Hierbei bietet sich die Chance, klassische gewerkschaftliche Themen wie Gute Arbeit und Teilhabe der Beschäftigten in den Fokus der Selbstverpflichtungen zu rücken.« (DGB 2009d: 4)
Als Einschreibefläche für unterschiedlichste Themen bietet der »CSR«-Diskurs folglich auch die Chance, eigene Ziele und gewerkschaftliche Interessen (wieder) in den bislang wirtschaftlich-staatlich dominierten Diskurs einzubringen und damit
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originär gewerkschaftliche Themen zu stärken, nicht zuletzt aber auch die eigene Position zu untermauern und auszubauen (siehe auch DGB 2009d; Hexel (DGB) 2011). Drittens zeigt sich, dass der »CSR«-Diskurs für die Gewerkschaften zu einer geradezu notwendigen Arena wird und eine Nicht-Beteiligung kaum mehr infrage kommt. Eine ganze Reihe von Themen, wie unter anderem Strukturpolitik, Nachhaltigkeit, Umweltpolitik, betrieblicher Umweltschutz, Arbeitsschutz, Verbraucherarbeit, Globalisierung, Menschenrechte oder Gleichberechtigung, werden »unter dem gemeinsamen Thema CSR zusammen[geführt]« (Botsch in DGB 2005b: 35). Damit wird auch der »CSR«-Diskurs zur wesentlichen Arena unterschiedlichster Themen. Für ein Mitspracherecht bei diesen vielfältigen Themen und nicht zuletzt, um die eigene Expertinnenrolle hinsichtlich dieser Themen aufrechtzuerhalten, wird es für die Akteure nun geradezu notwendig, am »CSR«-Diskurs beteiligt zu sein. Damit tritt neben die positiven Hoffnungen hinsichtlich einer Beförderung von »CSR« nun auch ein Druck zur stärkeren Beteiligung, der die Skepsis gegenüber dem Konzept langsam hinter den Wunsch der Beteiligung zurücktreten lässt. Befördert wird dieser Druck noch durch die von den Gewerkschaften und Arbeitnehmerinnenvertreterinnen wahrgenommene, steigende Relevanz des Themas: »CSR […] wird unter diesem Label erst seit wenigen Jahren diskutiert. Diese Diskussion hat jedoch vor allem in den vergangenen fünf Jahren spürbar an Intensität gewonnen. […] Diese Entwicklung wird vermutlich in Zukunft noch zunehmen.« (DGB 2009e: 3, 6)
»CSR« werde auch in den Unternehmen wichtiger und Gewerkschaften und Arbeitnehmerinnenvertreterinnen seien immer häufiger damit konfrontiert (DGB 2009d: 5; ebenso DGB 2009e: 6; HBS 2009: 5). Der DGB schlussfolgert aus dieser Wahrnehmung: »Angesichts der zunehmenden Bedeutung von CSR-Strategien v.a. in börsennotierten Unternehmen ist der Einfluss von Arbeitnehmervertretungen auszubauen. […] Diese sollten die Möglichkeit erwägen, die soziale, gesellschaftliche und ökologische Verantwortung als Teil der Unternehmensstrategie im mitbestimmten Aufsichtsrat zu diskutieren.« (DGB 2009e: 5)
Deutlich wird hier erneut, dass die kritische Distanz nicht länger Option sein kann; in den Unternehmen ist »CSR« zum alltäglichen Thema geworden, das Kernaufgaben der Gewerkschaften und Arbeitnehmerinnenvertreterinnen berührt. Viertens wird von Gewerkschaften eine Veränderung des »CSR«-Diskurses als »unrealistisch« erlebt und nicht zuletzt die instrumentell-voluntaristische Fassung unternehmerischer Verantwortung auch von den Gewerkschaften als gegeben ange-
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nommen.43 War schon in früheren Jahren vereinzelt durchgeklungen, dass eine Abkehr gerade vom ›Grundsatz der Freiwilligkeit‹ eine nur schwer durchzusetzende Forderung sei – hier hieß es im Jahr 2005 zum Ziel verbindlicher Regelungen beispielsweise: »So wünschenswert ein solches Ziel ist, so unrealistisch ist es doch« (Seyboth in DGB 2005b: 5) –, so scheint sich diese Resignation über die Jahre verfestigt zu haben zu der Erkenntnis: »Unternehmen akzeptieren CSR nur, solange CSR auf dem Prinzip der Freiwilligkeit beruht.« (DGB 2009d: 5) Der gewerkschaftliche Pragmatismus scheint durch die bereits stark etablierte Stellung dieser Motive im »CSR«-Diskurs weiter befördert zu werden, ein Abweichen aus gesellschaftlicher Sicht wenig aussichtsreich – man muss sich an das im Diskurs Etablierte, das ›Typische‹, anpassen. Insgesamt geht vom sich etablierenden, nach wie vor durch wirtschaftliche und staatliche Akteure geprägten instrumentell-voluntaristischen Diskurs folglich ein sowohl mit Hoffnungen wie auch mit der Notwendigkeit zur Beteiligung verbundener ›Sog‹ zur Annäherung an diese Positionen aus, der eigene Standpunkt rückt dabei hinter die Notwendigkeit der Diskursbeteiligung zurück. Dies führt letztlich dazu, dass Gewerkschaften sich – trotz fortgesetzter kritischer Äußerungen und trotz fortgesetzter Beteiligung am CorA-Netzwerk – dem instrumentell-voluntaristischen Begriff unternehmerischer Verantwortung annähern und zumindest einige seiner Artikulationen in den eigenen Sprachgebrauch übernehmen. Diese Annäherung der Gewerkschaften ist – wie sich zeigen wird – nicht als Form der Überzeugung zu interpretieren, sondern zeigt vielmehr eine pragmatische Herangehensweise, die sich dem zum gegebenen Zeitpunkt als ›realistisch‹ Empfundenen anpasst. Wie erfolgt diese Annäherung? Die Annäherung der Gewerkschaften an »CSR« als voluntaristisches Konzept zeigt exemplarisch die pragmatische Herangehensweise der Gewerkschaften angesichts des als ›gesetzt‹ empfundenen »Business Case for CSR«. Der DGB schreibt zur Freiwilligkeit, die Unzulänglichkeit freiwilliger Ansätze bedeute zwar zum einen, »die Notwendigkeit der gewerkschaftlichen Bemühungen um rechtsverbindliche und durchsetzungsfähige Sozialstandards [zu] unterstreich[en]«; zum anderen wird nun aber der Schluss gezogen, dass »[s]olange diese jedoch auf politischen Widerstand stoßen, […] sie möglicherweise pragmatische Handlungs- und Lösungsansätze im Umgang mit konkreten Problemen im Betrieb und/oder wichtige Orientierungspunkte bei Verhandlungen über internationale Rahmenvereinbarungen in multinationalen Unternehmen« bieten (DGB 2007b: 4, eigene Hervorhebung, N.L.). Dargestellt als ›erster Schritt‹ zu weiteren Regelungen, hält die Freiwilligkeit aus dieser pragmatischen Haltung heraus Einzug in den Forderungskatalog der Gewerkschaften; es heißt: 43 Beispielsweise trägt ein jährlich stattfindendes Seminar für Betriebsräte zum Umgang mit »CSR« die Freiwilligkeit bereits im Namen: »Freiwillige Verantwortung von Unternehmen – Neue Handlungsfelder für Betriebsräte« (HBS 2009: 3).
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»Solange kein international verbindliches Rahmenwerk für die Regulierung der Tätigkeit von Unternehmen auf den Weltmärkten existiert, sind Gewerkschaften, Regierungen sowie Arbeitgeberverbände auf das Funktionieren vorhandener Standards und Initiativen für unternehmerisches Handeln angewiesen.« (DGB 2009a: o.S., eigene Hervorhebung, N.L.) »Solange ein internationales Regelwerk und zugehörige Überprüfungsmechanismen fehlen, sind die Gewerkschaften weiter bereit, den konsensualen Weg des Dialogs innerhalb der CSR-Debatte weiterzugehen und über pragmatische Wege diejenigen Unternehmen zu unterstützen, die soziale und ökologische Mindeststandards garantieren wollen. Internationale Rahmenabkommen können einen funktionalen Beitrag zur Sicherung von Mindeststandards für die Arbeitsbedingungen an allen Standorten der Unternehmen leisten. Dennoch gilt auch hier: Freiwillige Vereinbarungen können staatliche Regelungen nur ergänzen, niemals aber ersetzen.« (DGB 2009d: 7, eigene Hervorhebung, N.L.)
Von den Gewerkschaften wird folglich weiterhin betont, sie stünden »für robuste und gesetzlich verankerte Schutzregeln am Arbeitsplatz, Tarifautonomie und Mitbestimmung zur Sicherung von Arbeitnehmerrechten und guten Arbeitsbedingungen« (DGB 2009d: 5), daraus jedoch nicht mehr der Schluss einer Ablehnung von »CSR« als freiwilliges Konzept gezogen. Vielmehr heißt es nun, »CSR« sei »allein nicht geeignet« den Schutz von Arbeitnehmerrechten und Arbeitsbedingungen zu gewährleiten, könne diese aber durchaus »ergänzen« (DGB 2009d: 5, eigene Hervorhebung, N.L.). Über die Akzeptanz von freiwilliger »CSR« als Ergänzung staatlicher Regulierung wird die Freiwilligkeit für die Gewerkschaften annehmbar. »Die Staatengemeinschaft und ihre Regierungen haben die Hauptverantwortung dafür, endlich verbindliche und sanktionierbare zwischenstaatliche Regelungen zur Durchsetzung und Umsetzung einer sozialen Dimension der Globalisierung zu realisieren. Zusätzlich zu den Kernarbeitsnormen und weiteren ILO-Konventionen, die lediglich Mindeststandards bedeuten, können freiwillige Verpflichtungen mit Unternehmen einen zusätzlichen Effekt bedeuten, d.h. Core Labor Standards (CLS) plus Corporate Social Responsibility (CSR).« (DGB 2009d: 6, eigene Hervorhebung, N.L.)
Es wird ein Kompromiss gefunden, der argumentiert, »CSR« dürfe »nicht nur auf dem Prinzip der Freiwilligkeit basieren« und dürfe »kein Ersatz für gesetzliche Regelungen« sein (Hahn (DGB) in EED 2008: 5, eigene Hervorhebungen, N.L.), die Beförderung der Freiwilligkeit damit aber als mit der eigenen Position vereinbar sieht (DGB 2007b: 30). Die Haltung der Gewerkschaften zur Freiwilligkeit hat sich von einem ›Entweder-oder‹ in ein ›Sowohl-als-auch‹ gewandelt. Der pragmatische Ansatz der Gewerkschaften geht folglich mit einer partiellen Inkorporation der Artikulationen der wirtschaftlich-staatlichen Diskurskoalition in die eigenen einher
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und gibt sich mit dem momentan als ›realistisch‹ Wahrgenommenen zufrieden bzw. verschiebt weitergehende Forderungen in die Zukunft. Auch hinsichtlich anderer von der wirtschaftlich-staatlichen Diskurskoalition vertretener instrumenteller Motive zeigt sich der Pragmatismus der Gewerkschaften. Wettbewerbs- und Reputationsmotive, vereinzelt auch Risikomanagementmotive, fließen gegen Ende der zweiten Phase in die gewerkschaftlichen Forderungen ein. Diese Motive werden dabei zuweilen mit den eigenen Forderungen verbunden und für die eigene Position dienlich gemacht. Zugleich wird dabei deutlich, dass den Gewerkschaften eine Formulierung eigener Forderungen jeweils nur im Rahmen einer Subordination unter die instrumentelle Ratio möglich erscheint. Die Nutzbarmachung instrumenteller Motive für die eigenen Forderungen zeigt sich beispielsweise in Bezug auf Reputationsmotive (»Versicherung«). Es hält sich unter Gewerkschaften die Skepsis hinsichtlich allein zu Image-Zwecken durchgeführter, substanzloser »CSR«-Praktiken, beispielsweise wenn »CSR« als »neuer Ansatz zur Imagepflege«, »PR« oder »Greenwashing« kritisiert wird (Matecki in DGB 2007b: 1; ähnlich DGB et al. 2005: 6, 16; DGB 2007b: 29, 2009d: 7). Zugleich aber wird die Imagefrage für Gewerkschaften als Mechanismus der Beförderung unternehmerischer Verantwortung anerkannt, wenn es heißt, sozial und ökologisch verantwortliches Unternehmenshandeln könne sich in positiver Weise auf die Unternehmensreputation auswirken und so zu einem entscheidenden Anreiz werden, denn ein »wesentliches Motiv der Unternehmensverantwortung« sei »der Erhalt oder die Verbesserung der Reputation« (HBS 2009: 1-2; ähnlich Seyboth in DGB 2005b: 4). Dabei wird die Verbindung von »CSR« und Unternehmensreputation für Gewerkschaften nicht nur zu einem wichtigen Treiber unternehmerischer Verantwortung, sondern wird – anders als vonseiten wirtschaftlicher und staatlicher Akteure – ebenso als Sanktions- und Kontrollmechanismus vorgebracht und verbindet sich derart mit gewerkschaftlichen Forderungen nach Transparenz, Kontrolle und Sanktionierung. Beispielsweise könne die Veröffentlichung von Verstößen gegen freiwillige Standards und Leitsätze »Wirkung erzielen und das Verhalten der Unternehmen beeinflussen« (DGB et al. 2005: 10). Dabei komme es, gerade vor dem Hintergrund freiwilliger »CSR«, auf die Zusammenarbeit unterschiedlicher zivilgesellschaftlicher Akteure, wie etwa Verbraucherinnen und die kritischen Stimmen der Gewerkschaften und NGOs an, um »CSR« auf unternehmerischer Ebene voranzubringen (HBS 2009: 1-2). Auch die Rolle der Medien sei für eine positive wie negative Sanktionierung »nicht zu unterschätzen«: »Weltkonzerne reagieren empfindlich auf negative Schlagzeilen, die ihren Markennamen in Verruf bringen, wie z.B. Meldungen über ausbeuterische Arbeitsbedingungen der Beschäftigten auch bei den Zulieferern, über einen Korruptionsverdacht oder die Verursachung von Umweltschäden. Kampagnen auf diesem Gebiet können bewirken, dass Unternehmen ihr
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Fehlverhalten korrigieren. Umgekehrt gilt, dass gute Praktiken den Ruf der Unternehmen fördern.« (DGB et al. 2005: 8)
In den Unternehmen hingegen seien die Arbeitnehmerinnen und ihre Vertreterinnen in besonderer Weise in der Lage, Widersprüche zwischen »Anspruch und Wirklichkeit« unternehmerischer Verantwortung zu beurteilen und Wandel zu befördern: »Die Arbeitnehmervertreter wissen am besten, was soziale Verantwortung bedeutet und können sehr gut beurteilen, inwieweit Unternehmen sowohl den gesetzlichen Vorgaben entsprechen als auch der im Rahmen von CSR verkündeten sozialen Verantwortung gerecht werden. Aus ihrer alltäglichen Arbeit heraus können Betriebsräte und Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat sehr gut wissen, wo die Schwachpunkte der Umsetzung von CSR liegen und welche Strategien zur Vermeidung und Verschleierung angewandt werden. Als Stakeholder, welche kraft Gesetzes über ein Mitbestimmungsrecht verfügen, können sie die Beachtung von Arbeitnehmerinteressen auch im Rahmen ›freiwilliger‹, und damit außergesetzlicher CSRMaßnahmen einfordern. Hier können sie den Anspruch auf Glaubwürdigkeit und gutes Image der Unternehmen nutzen.« (HBS 2008: 1)
Klingt in diesen Bezugnahmen auf das Motiv der Versicherung ein Bezug zum Risikomanagement von Unternehmen im Sinne einer Nutzbarmachung von Reputationsrisiken zur Kontrolle und Sanktionierung bereits an, so sind direkte Bezugnahmen auf das Risikomanagement seltener vonseiten der Gewerkschaften zu vernehmen. Dort, wo sie angebracht werden, geschieht dies ebenfalls in Verbindung mit eigenen Forderungen. Beispielsweise wird »CSR« »als Grundlage eines Plädoyers für die langfristige Orientierung der Unternehmensführung im Sinne des Risikomanagements und der zukünftigen Wettbewerbsfähigkeit« betrachtet (HBS 2008: 3). Auch im Rahmen der für Arbeitnehmerinnenvertreterinnen von der Hans-BöcklerStiftung veranstalteten jährlichen Fachtagung »CSR als Bestandteil der Unternehmensstrategie« geht es darum, »CSR als Teil des Reputations- und Risikomanagements [zu betrachten], das Voraussetzung einer zukunftsorientierten Unternehmensstrategie ist, welche den Umweltschutz, die Interessen der Gesellschaft und die Beschäftigten in den Mittelpunkt rückt« (HBS 2009: 6), womit einmal mehr das Eigene in instrumentelle Begriffe überführt wird. Auch das Motiv »Wettbewerbsfaktor« wird aufgegriffen und fließt in die gewerkschaftlichen Texte ein. Es wird mit der gewerkschaftlichen Forderung nach Monitoring und Beteiligung von Anspruchsgruppen verbunden und scheint dabei zur Voraussetzung eines Zugeständnisses hinsichtlich marktbasierter Mechanismen erhoben zu werden. Beispielsweise wird unterstrichen, dass der »Wettbewerbsvorteil bei kritischen Verbrauchern […] nur nachweislich sozial und ökologisch verantwortungsbewusst handelnden Unternehmen zu Gute kommen« solle, weswegen externen Kontrollen der unternehmerischen »CSR«-Praxis vonseiten relevanter
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Stakeholder eine wichtige Aufgabe zukäme (DGB 2009d: 7). Für das Wirken derartiger wettbewerblicher Anreize wird auch die Transparenz und Vergleichbarkeit von »CSR«-Aktivitäten der Unternehmen – ebenfalls zwei gewerkschaftliche Forderungen – als notwendig erachtet. In Bezug auf die nicht-finanzielle Berichterstattung von Unternehmen wird auch die Sanktionierbarkeit, als weitere gewerkschaftliche Forderung, mit Wettbewerbsvorteilen verbunden: »Nur wenn die Verweigerung der Informationen und Falschaussagen sanktioniert werden, kann durch Berichterstattung ein Wettbewerb um mehr Unternehmensverantwortung unterstützt werden.« (Wötzel (Ver.di) in CorA 2009c: 1)
Es heißt bei den gewerkschaftlichen Akteuren folglich: Wettbewerb als Anreiz für »CSR« ja, aber unter der Bedingung von Transparenz, Kontrolle und Sanktionierbarkeit. Wettbewerbsvorteile dürften jeweils dort erzielt werden, wo »substanzielle« Maßnahmen ergriffen würden, sodass diese und nur diese Unternehmen sich über »CSR« profilieren könnten. Unternehmenseigene Interessen werden damit auch von den gewerkschaftlichen Akteuren als Motivation für »CSR« anerkannt und für die eigenen Forderungen nutzbar gemacht. Dort, wo diese Forderungen in der ersten Phase des Diskurses noch für sich stehen konnten, müssen sie nun in Beziehung zu instrumentell-voluntaristischen Motiven gesetzt werden. Gewerkschaften passen sich den im Diskurs etablierten Erwartungen hinsichtlich der alleinigen Akzeptanz instrumenteller Motive an, übernehmen sie für sich und befördern sie, was dem »Business Case for CSR« erneut Aufschwung verleiht. 5.4.4 Moralische und relationale Motive im zivilgesellschaftlichen Diskurs Dass es in dieser Phase für die zivilgesellschaftlichen Akteure vor allem um ein Reagieren auf das von der wirtschaftlich-staatlichen Diskurskoalition Vorgebrachte geht, zeigt sich auch mit Blick auf moralische und relationale Motive, die in dieser Phase deutlich weniger artikuliert werden. Auch für die Gruppe der zivilgesellschaftlichen Akteure wird deutlich – wenn auch in anderer Weise als bei wirtschaftlichen und staatlichen Akteuren –, dass die Zunahme instrumentell-voluntaristischer Motive im Diskurs, wenn auch nicht zu einem Verschwinden, so doch zu einem Zurücktreten moralischer und relationaler Motive geführt hat (hier sei noch einmal auf Abbildung 17 verwiesen). Moralische Motive, die auch in dieser Phase noch vorgebracht werden, sind der Verweis auf einen Anspruch von Bürgerinnen sowie Mitarbeiterinnen auf verantwortliches Unternehmenshandeln (»Anrecht Dritter«), der eng mit einer »moralischen Verpflichtung« zur unternehmerischen Verantwortung verknüpft wird. Erste-
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res zeigt sich beispielsweise im Verweis auf Fragen der sozialen Gerechtigkeit sowie Gleichberechtigung (DGB 2005a: 2). Hier heißt es etwa, die Wirtschaft dürfe »nicht nur einer kleinen Elite« dienen, sondern ihre Erträge sollten auch Bürgerinnen und vor allem Mitarbeiterinnen als maßgeblich Beteiligten – als Produzentinnen und Konsumentinnen – zugutekommen (DGB 2005a: 3). Mit Blick auf die Mitarbeiterinnen stehen in Fortsetzung des Bisherigen auch weiterhin der Schutz von Menschen- und Arbeitnehmerrechten im Fokus (DGB 2006a: 1; DGB 2009d: 5; DGB 2009f: 3-4), auf deren Wahrung Mitarbeiterinnen ebenfalls einen Anspruch hätten. Bei der Mitbestimmung als wesentlicher Teil einer verantwortungsvollen Unternehmensführung beispielsweise gehe es um ein »aktives Gestaltungs- und Schutzrecht der Arbeitnehmer/innen«, das sich letztlich der ökonomischen Bewegung entziehe (DGB 2006a). Auch in der zweiten Phase wird auf eine »moralische Verpflichtung« verwiesen und diese vor allem aus der wirtschaftlichen Macht der Unternehmen abgeleitet. Es heißt z.B., die stetig wachsende Macht der Unternehmen verpflichte zur Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung (DGB 2009e: 3). »CSR« werde umso wichtiger, »seit mit der nahezu unbeschränkten Öffnung der Märkte der Einfluss großer Konzerne auf die Politik ständig gewachsen ist« (DGB 2009a: o.S.). Auch auf die Sozialpflichtigkeit des Eigentums wird weiterhin verwiesen – Artikel 14, Absatz 2 des Grundgesetzes zitierend heißt es: »Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.« (z.B. DGB 2009d: 4) Unternehmen seien deshalb »verpflichtet«, die Arbeits- und Lebensbedingungen zu verbessern und zum Umweltschutz beizutragen (DGB 2009d; HBS 2009: 2). Diese Motive seien durch den instrumentell-voluntaristischen Kurs der wirtschaftlich-staatlichen Koalition infrage gestellt und werden insbesondere vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung um die Freiwilligkeit von »CSR«, die – wie wir gesehen haben – in dieser Phase einen wesentlichen Bezugspunkt darstellt, auch mit Forderungen nach Verbindlichkeit und Regulierung verbunden und so rechtlich untermauert. Relationale Motive hingegen, die von zivilgesellschaftlichen Akteuren auch in der zweiten Phase noch vorgebracht werden, betrachten Unternehmensverantwortung als Teil eines »Gesellschaftsvertrags«, den Unternehmen zu erfüllen hätten. Das Unternehmen wird dabei im Sinne relationaler Motive in einen gesellschaftlichen Zusammenhang eingebettet – als »Teil einer Gesellschaft« müsse das Unternehmen »seiner sozialen Verpflichtung nachkommen« (DGB 2005a: 5). Unternehmen seien »keine Privatangelegenheit, vor allem nicht der Finanzmärkte […] [und] weit mehr als eine ökonomische Einheit«, entsprechend hätten sie gesellschaftliche Aufgaben zu erfüllen (DGB 2005a: 1). Diese Haltung verbindet sich in dieser Phase mit der Forderung, Unternehmen nicht die alleinige Definitionsmacht über ihre Verantwortung zu überlassen – als Teil einer demokratischen Gesellschaftsordnung seien Unternehmen dazu nicht legitimiert (DGB 2005b; Mutz/Ebringhoff 2006a).
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Wie Abbildung 17 zeigt, treten derartige Motive in der zweiten Phase schon deutlich zugunsten instrumenteller Motive zurück.
5.5 Z WISCHENFAZIT In der zweiten Phase löst sich der deutsche Diskurs unternehmerischer Verantwortung weitgehend von seinen Wurzeln und weist im Vergleich zur ersten Phase einige bedeutende Unterschiede auf (hier sei noch einmal auf Tabelle 8 in Kapitel 4 verwiesen). Erstens wird der deutsche Diskurs mit Beginn des europäischen »CSR«-Diskurses vornehmlich unter dem Signifikanten »CSR« geführt (siehe auch Antal et al. 2009: 286; Loew et al. 2004). Wird auch weiterhin vereinzelt auf die Begriffe der »gesellschaftlichen« oder »sozialen Verantwortung« Bezug genommen, so kann der Begriff »CSR«, von einigen Akteuren synonym oder in enger Verbindung mit dem Begriff der »Nachhaltigkeit« verwendet, als der führende Signifikant dieser zweiten Phase des Diskurses verstanden werden. Unter diesem Signifikanten wendet sich die Auseinandersetzung von Fragen der grundsätzlichen Möglichkeit und Notwendigkeit der unternehmerischen Verantwortung zu Möglichkeiten ihrer Verbreitung und Formen ihrer Umsetzung. Zweitens wird »CSR« dabei nicht mehr allein in sozialer und ökologischer Dimension bestimmt, sondern erstreckt sich auch auf eine ökonomische Dimension. Unternehmerische Verantwortung wird im weiteren Verlauf des Diskurses mithin auch im Sinne einer ›Verantwortung‹ für unternehmerischen Erfolg verstanden. Die derart verstandene Verantwortung bezieht sich damit, drittens, auch auf das Unternehmen selbst, welches nun zugleich Subjekt und Objekt der Verantwortung ist; der Unternehmer als Träger der Verantwortung tritt hingegen in den Hintergrund. Viertens schließlich verändern die Akteure in dieser Phase grundlegend die Form ihrer Diskursteilnahme. Wirtschaftliche, ebenso wie staatliche und zivilgesellschaftliche Akteure ›professionalisieren‹ ihre Diskursteilnahme und gründen (teilweise mehrere) »CSR«Verbände und -Plattformen, die den Diskurs als »CSR«-Expertinnen von nun an wesentlich prägen. Vor allem aber zeigt die zweite Phase eine grundlegende Veränderung der Motive unternehmerischer Verantwortung, was sich in einer Zunahme instrumenteller zuungunsten relationaler und moralischer Motive zeigt. Relationale und moralische Motive werden von wirtschaftlichen Akteuren kaum noch, von staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren deutlich weniger als noch in der ersten Phase vorgebracht. Dabei ist es die Formierung einer Diskurskoalition wirtschaftlicher und staatlicher Akteure, die den »Business Case for CSR« zur geeigneten, im Verlauf der zweiten Phase zunehmend alternativlos erscheinenden Möglichkeit der Verbreitung unternehmerischer Verantwortung erhebt. Schon früh wird der »Business Case for
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CSR« von wirtschaftlichen und staatlichen Akteuren mit der Erwartung verbunden, ein geeigneter – wenn nicht der einzige – Anreiz zur Verbreitung unternehmerischer Verantwortung zu sein. Im Sinne eines selbstverstärkenden Mechanismus adaptiver Erwartungen stellen die Akteure in Koalition mehr und mehr Verbindungen zwischen »CSR« und dem Unternehmenserfolg her, passen ihre Erwartungen hinsichtlich der als akzeptiert und dementsprechend als handlungsleitend angenommenen Motive an und etablieren den »Business Case for CSR« als letztlich alternativlose Möglichkeit der Verwirklichung der als ›gemeinsames Ziel‹ erhobenen Verbreitung unternehmerischer Verantwortung. Dabei schafft der »Business Case for CSR« für staatliche und wirtschaftliche Akteure die Möglichkeit, dem steigenden Druck zur Übernahme bzw. Verbreitung unternehmerischer Verantwortung (scheinbar) zu begegnen, dabei aber mit ihren partikularen Interessen zu verbinden. Zivilgesellschaftliche Akteure hingegen halten sich zunächst in skeptischer Distanz zu dieser Neufassung unternehmerischer Verantwortung, nur um dann einen gemeinsamen, letztlich wenig erfolgreichen, Versuch der Veränderung des von der wirtschaftlich-staatlichen Diskurskoalition etablierten Verantwortungsbegriffs zu unternehmen. Durch den späten Diskurseintritt zeigt sich vor allem ein Reagieren der zivilgesellschaftlichen Akteure auf den von der wirtschaftlich-staatlichen Diskurskoalition etablierten Mainstream – immer weniger werden alternative, d.h. relationale oder moralische Motive vorgebracht. Mit der Verbreitung des »Business Case for CSR« empfinden es Gewerkschaften letztlich als ›unrealistisch‹ auf eine Veränderung des sich etablierenden Mainstreams hinzuwirken und sehen sich nicht zuletzt zur Erhaltung ihrer Position zu einer Beteiligung am unter instrumentellvoluntaristischen Vorzeichen geführten »CSR«-Diskurs gedrängt, der sich zunehmend als relevante Arena auch traditionell gewerkschaftlicher Kernthemen zeigt. Der Wunsch der Beteiligung am »CSR«-Diskurs tritt dabei vor die bislang geübte Kritik. Es zeichnet sich eine Annäherung der Gewerkschaften an den diskursiven Mainstream ab, sie übernehmen Motive des »Business Case for CSR« – d.h. sie passen im Sinne einer weiteren ›Schleife‹ der selbstverstärkenden Dynamik ihre Erwartungen hinsichtlich der von den anderen Akteuren akzeptierten Motive an das Etablierte an – und bestärken den »Business Case for CSR« damit weiter. NGOs hingegen setzen den kritischen Kurs fort.
6 Phase 3: Lock-in des »CSR«-Diskurses, 2009-2014
Dieses Kapitel zeichnet die dritte Phase des diskursiven Pfadprozesses nach, die Lock-in-Phase. Den Übergang zur dritten Phase markiert die Formierung eines Nationalen CSR-Forums, in deren Zuge es erstens zum erneuten ›Kippen‹ des Diskurses durch eine – sich in der zweiten Phase bereits ankündigende – Verschiebung der Akteurskonstellation kommt, die mit einer Stärkung der Position der wirtschaftlichstaatlichen Koalition und der Schwächung der widerständigen Diskurskoalition einhergeht. Zweitens wird der »Business Case for CSR« als führende Verantwortungsinterpretation im Sinne eines ›kompromisshaften Gleichgewichts‹ (Gramsci 1971: 161) als »gemeinsames Verständnis von CSR in Deutschland« (NCSRF 2010) und auch in der Nationalen CSR-Strategie festgehalten und damit als »gesellschaftlicher Konsens« (NCSRF 2010) endgültig als führend etabliert (6.1). Die Bildung des Nationalen CSR-Forums stellt damit einen (weiteren) entscheidenden Kristallisationspunkt im Diskurs dar. Drei Merkmale zeichnen das derart eingeleitete Lock-in des Diskurses aus und unterscheiden damit nicht zuletzt die dritte von der zweiten Phase. Erstens wird der »Business Case for CSR« von den Akteuren fortgesetzt reproduziert, alternative Begriffe der Verantwortung hingegen scheinen in dieser Phase nur mehr als randständige Positionen artikulierbar (6.2), zweitens wird der Status quo gegen Wandelinitiativen verteidigt, Versuche einer Veränderung ›prallen‹ am Diskurs ab (6.3) und drittens erweist sich der Status quo für die beteiligten Akteure als potenziell problematisch bzw. kündigt sich eine solche Problematik zumindest an (6.4).
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6.1 D ER Ü BERGANG ZUM L OCK - IN : ›K IPPEN ‹ DES D ISKURSES UND F ESTSCHREIBEN DES »B USINESS C ASE FOR CSR« IM R AHMEN DES N ATIONALEN CSR-F ORUMS Mit der Initiierung eines Nationalen CSR-Forums gewinnt das Thema »CSR« in Deutschland noch einmal an Bedeutung. Das Forum wird im Januar 2009 von der Bundesregierung mit dem Ziel ins Leben gerufen, ein einheitliches »CSR«Verständnis sowie eine Nationale CSR-Strategie zu erarbeiten und darüber Konsens zu erzielen.1 Die Bundesregierung hatte bereits unter der deutschen G8Präsidentschaft im Jahr 2007 das Thema »CSR« auf die Tagesordnung gesetzt und es damit in seiner Bedeutung erneut hervorgehoben. Die Staats- und Regierungschefs verständigen sich im Zuge des Gipfels darauf, die Förderung von »CSR« voranzutreiben und die Globalisierung nachhaltig, d.h. wirtschaftlich, sozial und ökologisch, zu gestalten (BMAS 2010). Die Bundesregierung greift diese Entscheidung mit der Einsetzung des Nationalen CSR-Forums auf und setzt damit nicht zuletzt auch eine Empfehlung des Rates für Nachhaltige Entwicklung um (RNE 2006: 710, 24-32). In der deutschen Geschichte unternehmerischer Verantwortung stellt das Nationale CSR-Forum ein bislang einzigartiges und für den Verlauf des Diskurses elementares Ereignis dar. Im Zuge der Formierung des Nationalen CSR-Forums kommt es zur Spaltung der widerständigen Diskurskoalition (6.1.1). Während CorA die Beteiligung am Forum ablehnt, entscheiden sich die Gewerkschaften für eine Beteiligung und stärken dadurch die Position des hegemonialen Projekts, schwächen zugleich aber die Gruppe der widerständigen Akteure. Die am Nationalen CSR-Forum beteiligten Akteure einigen sich auf ein »gemeinsames Verständnis von CSR in Deutschland« (NCSRF 2009) und verabschieden im Konsens Empfehlungen für eine Nationale CSR-Strategie (6.1.2), die im Jahr 2010 von der Bundes-
1
Die Initiierung des Forums geht mit zahlreichen Workshops und Konferenzen unter Beteiligung unterschiedlicher Akteure einher. Zu nennen sind im Vorfeld zum Nationalen CSR-Forum unter anderem, die »CSR«-Konferenz »Unternehmen in Verantwortung – Ein Gewinn für Alle« im April 2008, in deren Rahmen Workshops mit Vertreterinnen der verschiedenen Ressorts unter Einbindung von Unternehmen, Politik, Verbänden und Zivilgesellschaft mit dem Ergebnis der Formulierung eines Erwartungsrahmens für die Nationale CSR-Strategie stattfinden sowie Stakeholder-Dialoge mit KMUs und Großkonzernen im August und September 2008, bei denen Rückmeldungen zu einzelnen Handlungsfeldern und zentralen Fragen eingeholt werden (BMAS 2008: 50-64). Diese Dialoge werden im Rahmen des Nationalen CSR-Forums fortgesetzt und weitere CSRKonferenzen finden statt (Trautner 2012: 760), wie etwa die Internationale CSRKonferenz im Jahr 2011 in Berlin.
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regierung in einen Nationalen CSR-Aktionsplan übernommen werden, womit der darin formulierte »Business Case for CSR« offiziell als für Deutschland (handlungs)leitendes Verantwortungsverständnis festgeschrieben wird (6.1.3) und damit endgültig das den Diskurs führende Motivvokabular bestimmt.2 6.1.1 Spaltung der widerständigen Diskurskoalition im Zuge der Etablierung des Nationalen CSR-Forums Waren die im vorangehenden Kapitel dargestellten diskursiven Entwicklungen aufseiten der wirtschaftlich-staatlichen Diskurskoalition bislang mit der Etablierung und Ausweitung des »Business Case for CSR« verbunden, für die widerständige Diskurskoalition hingegen zunächst durch den Versuch des Aufbruchs der wirtschaftlich-staatlichen ›Allianz‹ sowie des von ihr beförderten Verantwortungsverständnisses gekennzeichnet, um dann in ein Spannungsverhältnis hinsichtlich des »CSR«-Konzepts sowie der eigenen Rolle bei dessen Beförderung und, auf gewerkschaftlicher Seite, in eine pragmatische Annäherungen an den Mainstream zu münden, so wird dieser diskursive ›Kampf‹ zwischen hegemonialem Projekt und widerständiger Diskurskoalition im Zuge der Erarbeitung einer Nationalen CSR-Strategie zugunsten des Ersteren befriedet. Eine Veränderung des sich als Mainstream etablierenden instrumentell-voluntaristischen »CSR«-Begriffs wird – wie wir gesehen haben – als ›unrealistisch‹ erlebt, die Beteiligung im »CSR«-Diskurs scheint den Akteuren nur unter Annahme des Gegebenen möglich (siehe dazu Kapitel 5.4.3). Zugespitzt wird der zivilgesellschaftliche Konflikt zwischen Kritik und Kollaboration im Zuge der Formierung des Nationalen CSR-Forums. Bereits die Etablierung des Forums ist für den Diskursverlauf folglich von größter Bedeutung. Eine Beteiligung am Forum, so wird im Zuge seiner Initiierung deutlich, ist nur unter Zustimmung zum Mainstream des instrumentell-voluntaristischen »CSR«Verständnisses möglich: Das Forum startet bereits unter der Prämisse eines instrumentell-voluntaristischen Verständnisses unternehmerischer Verantwortung und stellt die Akteure damit endgültig vor die Wahl einer Billigung des Gegebenen oder 2
Wie wir in Kapitel 6.2.2 sehen werden, dient dieser im Rahmen des Nationalen CSRForums erzielte, »breite Konsens« (BMAS 2010: 5) hinsichtlich des »Business Case for CSR« den Akteuren im weiteren Verlauf als legitimatorischer Bezugspunkt der Verteidigung des Bestehenden und beschreibt im Diskursverlauf damit auch für die Akteure selbst den Beginn einer neuen Phase, in der der »Business Case« nun als gesicherter Allgemeinplatz wahrgenommen wird, hinter den vermeintlich nicht mehr zurückgegangen werden kann. Diese Veränderung drückt sich, wie wir sehen werden, auch im Wechsel von einer den »Business Case for CSR« befördernden zu einer verteidigenden Sprache aus, was ebenfalls darauf verweist, dass seine Führerschaft von den Akteuren selbst als etabliert betrachtet wird.
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der Fortsetzung ihrer Kritik, die verbunden ist mit dem Ausschluss aus den für die Ausgestaltung einer Nationalen CSR-Strategie relevanten ›Verhandlungen‹. Die Beteiligung am »CSR«-Diskurs und damit die Frage »who has a right to have a genuine say« (Deetz 1992: 189) wird folglich in Abhängigkeit von der Akzeptanz des »Business Case for CSR« gestellt und das sich für die widerständigen Akteure darstellende Spannungsverhältnis hinsichtlich der eigenen Positionierung im Diskurs noch einmal verschärft. Spätestens hier zeigt sich, dass der Diskurs unternehmerischer Verantwortung vor allem Zustimmung zum Kurs des hegemonialen Projekts generiert, abweichendes hingegen ausschließt. Während wirtschaftliche3 und staatliche Akteure4 sich am Forum beteiligen, reagieren die zivilgesellschaftlichen Akteure in unterschiedlicher Weise. CorA entscheidet sich gegen eine Teilnahme am Forum. Sie halten weiter an ihrer Kritik fest, bleiben damit aber im Weiteren auch vom Kreis der ›relevanten CSR-Expertinnen und Experten‹ sowie von den Verhandlungen um die im Rahmen des CSR-Forums erarbeitete Nationale CSR-Strategie ausgeschlossen. CorA begründet die Ablehnung mit den insbesondere von der Bundesregierung »vorgegebenen Prämissen für seine Arbeit« (CorA 2009h: 1, 2009b: 1, eigene Hervorhebung, N.L.). Mit deutlicher Kritik an der bereits vor Beginn des Multi-Stakeholder›Dialogs‹ gesetzten instrumentellen Ausrichtung von »CSR« heißt es in der offiziellen, an die Bundeskanzlerin adressierten Absage weiter:
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Wirtschaftliche Akteure beteiligen sich zahlreich am Nationalen CSR-Forum. Wesentliche Teilnehmer sind neben großen Unternehmen wie BASF, Henkel und der Otto Group auch einige kleine und mittelständische Unternehmen, die Arbeitgeber- und Industrieverbände (BDA und BDI), die deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK), der Verein Die Familienunternehmer (ASU e.V.), der Zentralverband des deutschen Handwerks (ZDH) sowie Econsense. Diese Akteure bringen sich in den Sitzungen des Nationalen CSR-Forums ein und sehen sich durch die Beschlüsse und Publikationen des Forums in ihrer Haltung weitgehend bestätigt.
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Vonseiten staatlicher Akteure zeigt sich auch im Zuge des Nationalen CSR-Forums die führende Rolle des BMAS, welches die Federführung des Forums übernimmt, sowie des BMU, welches weiterhin vor allem über Veröffentlichung von Studien am Diskurs teilnimmt. Ferner am Nationalen CSR-Forum beteiligt sind das Auswärtige Amt, das Bundeskanzleramt sowie zahlreiche Bundesministerien, darunter das Bundesministerium für Finanzen, das Bundesministerium für Bildung und Forschung, das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, das Bundesministerium des Inneren, das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie sowie das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
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»Gesellschaftliche Probleme wie z.B. die Finanzkrise, der Klimawandel, Menschenrechtsverletzungen, Armut, Umweltzerstörung oder zunehmend Konflikte um knapper werdende Ressourcen können nicht dadurch beseitigt werden, dass einige Unternehmen nach Gutdünken beschließen, dort punktuell Verantwortung zu übernehmen, wo es ihnen aus einzelwirtschaftlicher Sicht sinnvoll erscheint, während die übrigen Unternehmen weiter zur Verschärfung der Probleme beitragen.« (CorA 2009h: 1, eigene Hervorhebung, N.L.)
Auch »wegen des auf Freiwilligkeit basierenden Grundverständnisses«, welches ebenfalls bereits vor Beginn des Dialogs gesetzt ist, sieht CorA eine Beteiligung ausgeschlossen. Es heißt in der offiziellen Absage an die Bundeskanzlerin: »Wir glauben nicht, dass der erneute Versuch, ›zu einem gemeinsamen Verständnis von CSR‹ zu kommen, hier Neues bringen wird, zumal Sie die Grundlage der ›Freiwilligkeit‹ von vorneherein gesetzt haben.« (CorA 2009h: 2, eigene Hervorhebung, N.L.)
Eine Entscheidung, in der sich CorA auch im Verlauf des Nationalen CSR-Forums weiter bestätigt sieht (CorA 2009b: 1). Insgesamt sei der Prozess »aufwendig und steh[e] zumindest bislang nicht im Verhältnis zum Ertrag« (CorA 2009b: 1, ähnlich CorA 2009h: 2). Anders als CorA entschließen sich die Gewerkschaften für eine Beteiligung am Nationalen CSR-Forum,5 akzeptieren damit jedoch auch die Prämissen der wirtschaftlich-staatlichen Diskurskoalition. Befördert wird die Beteiligung der Gewerkschaften durch die fortgesetzte Dynamik aus positiven Erwartungen und diskursivem Zwang, die auch gegen Ende der zweiten Phase bereits zur gewerkschaftlichen Annäherung an den Mainstream geführt hatte und sich – vor die Entscheidung einer Beteiligung am Forum gestellt – noch einmal zuspitzt. Erstens hegen die Gewerkschaften – anders als die NGOs – durch ihre betriebliche Einbindung weiterhin Hoffnungen, Einfluss auf »CSR« zu gewinnen und damit den Unternehmen nicht die »alleinige Definitionsmacht über die Ausgestaltung ihres sozial verantwortlichen Handelns« zu überlassen (DGB 2009d: 4, 2012a: 3; DGB Hexel 2011c: 230; DGB Thannisch 2012c: 307-308). Die Beteiligung sei bislang »unzureichend«, aber »notwendig […], um die Grundsätze gesellschaftlicher Verantwortung von Unternehmen allgemein zu definieren und durchzusetzen« (DGB 2012b: 3, eigene Hervorhebung, N.L.), auf substanziellere Maßnahmen hin5
Auf gewerkschaftlicher Seite beteiligen sich der DGB als Dachverband sowie die IG BCE, die IG Metall und Ver.di letztlich am Nationalen CSR-Forum. Vonseiten der NGOs nehmen GermanWatch, der DNR, der Runde Tisch Verhaltenskodizes, Stiftung Warentest, Transparency International Deutschland, VENRO und die Verbraucherzentrale am Forum teil. Der DGB, Transparency International Deutschland und die Verbraucherzentrale sind zudem im Lenkungskreis des Forums vertreten.
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zuwirken und die betriebliche Verantwortungspraxis kritisch zu überprüfen (z.B. DGB 2009e: 5-7, 2009f: 4-6).6 Hoffnungen auf eine positive Entwicklung werden dabei nicht zuletzt befördert durch die diskursive Einbettung der Gewerkschaften in den instrumentell-voluntaristischen Mainstream durch Zugeständnisse vonseiten wirtschaftlicher und staatlicher Akteure. So werden gerade im Zuge des Nationalen CSR-Forums von wirtschaftlichen und staatlichen Akteuren verstärkt »Win-win«Motive geäußert, die auf eine synergistische Nutzengenerierung für Unternehmen und Gesellschaft abstellen und somit die Einbettung zivilgesellschaftlicher Akteure durch ein (zumindest scheinbares) Entgegenkommen erleichtern (siehe dazu unten).7 Zweitens sehen die Gewerkschaften weiterhin die Beteiligung an den Auseinandersetzungen um »CSR« als wesentlich, sowohl für die Beförderung gewerkschaftlicher Themen als auch für die eigene Positionierung als relevanter Akteur in sozialen und ökologischen Fragen. Gerade die Gewerkschaften bangen um ihre Stellung und sehen in der aktiven Beteiligung am »CSR«-Diskurs die Möglichkeit, den eigenen Einfluss auch über mitbestimmungspflichtige Themen hinaus zu sichern. So sei es gerade »[a]ngesichts der zunehmenden Bedeutung von CSR-Strategien v.a. in börsennotierten Unternehmen [notwendig,] […] de[n] Einfluss von Arbeitnehmervertretungen auszubauen« (DGB 2009e: 5) und dabei auch »gewerkschaftliche Themen wie Gute Arbeit und Teilhabe der Beschäftigten in das Zentrum der Selbstverpflichtungen zu rücken« (HBS 2009: 2). Umso mehr vor dem nun auch von Gewerkschaften pragmatisch akzeptierten freiwilligen Charakter von »CSR« mache eine »Debatte um CSR nur Sinn, wenn Mitbestimmung und Partizipation der Arbeitnehmerschaft und Gewerkschaften wesentliche Strukturmerkmale« würden (DGB 2009d: 4). Die sich für die Gewerkschaften als Notwendigkeit darstellende Beteiligung an den weiteren Auseinandersetzungen, der Wunsch »to end up on the side of the winners« (Sydow et al. 2009: 700) – tritt vor die Skepsis gegenüber dem »CSR«-Konzept und führt letztlich zur Beteiligung.
6
Hier zeigt sich ein interessantes Beteiligungsparadox: Gerade die Unzufriedenheit mit der aktuellen Ausgestaltung von »CSR« in Deutschland scheint für die Gewerkschaften in eine Beteiligungsnotwendigkeit zu münden – sei es um Einfluss auf Definition und Ausgestaltung auszuüben oder um eine die unternehmerische »CSR«-Praxis kontrollierende Funktion wahrzunehmen.
7
Von Zielkonflikten zwischen ökonomischen und nicht-ökonomischen Zielen ist hingegen kaum noch die Rede. Deutlich wird dabei jedoch, dass ein (insgesamt kaum definierter) gesellschaftlicher Nutzen nur dann angestrebt wird, wenn dies auch einen Nutzen für das Unternehmen verspricht – diese Argumente sind deshalb nicht als Abweichen vom instrumentell-voluntaristischen Kurs zu interpretieren, sondern unterstützen seine weitere Etablierung.
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Unterstützt wird das Ringen um die eigenen Position sowie die Hoffnung, diese durch eine Beteiligung zu sichern, nicht zuletzt durch die Einführung einer entscheidenden Unterscheidung im Rahmen des Nationalen CSR-Forums: Die Teilnehmerinnen des Forums sind nicht nur an der Ausgestaltung der Nationalen CSRStrategie beteiligt und haben damit inhaltlichen Einfluss auf die deutsche CSRStrategie, sondern werden zudem zu »relevanten Akteuren« des Diskurses erhoben sowie letztlich als »CSR-Expertinnen und Experten« positioniert (so z.B. BMAS 2010; NCSRF 2012). Nicht zuletzt wird betont, dass die am »gemeinschaftlichen Arbeitsprozess« beteiligten Akteure ihren »Willen [bekunden], die Rolle von CSR in Deutschland weiter zu entwickeln« (BMAS 2010: 5). Den Nichtteilnehmenden wird im Umkehrschluss die weitere Mitgestaltung der Nationalen CSR-Strategie verwehrt, der Platz innerhalb dieses Kreises von »Expertinnen und Experten« und nicht zuletzt auch der Wille zur Weiterentwicklung unternehmerischer Verantwortung abgesprochen. Neben dem Einfluss auf die inhaltliche Ausgestaltung des nationalen CSR-Verständnisses, wird mit der Beteiligung am Forum folglich auch eine wesentliche Entscheidung hinsichtlich der am Diskurs beteiligten Akteure und ihrer Wahrnehmung als legitime und als ›relevant‹ zu berücksichtigende ›Expertinnen‹Stimmen dieses Diskurses getroffen, der insbesondere für die auf Beteiligung drängenden Gewerkschaften ausschlaggebend gewesen sein dürfte.8
8
Wie wir sehen werden, werden die positiven Hoffnungen mit Blick auf das Einbringen gewerkschaftlicher Standpunkte im weiteren Verlauf der Aushandlungen enttäuscht – für die Gewerkschaften erweist sich der im Nationalen CSR-Forum beschlossene, »von den verschiedenen Stakeholdergruppen gemeinsam getragene« Konsens (NCSRF 2010: 5, 7, 10; ebenso BMAS 2010a: 3, 7, 8) letztlich als ›fauler‹ Kompromiss, während er den wirtschaftlichen und staatlichen Akteuren zur Legitimation ihrer Beharrung dient (siehe Kapitel 6.3 und 6.4) – die Einschätzung hinsichtlich der Positionierung der Akteure im Diskurs hingegen scheint sich zu bestätigen. Es wird deutlich, dass viele der am Nationalen CSR-Forum beteiligten zivilgesellschaftlichen Akteure die Teilnahme am Forum als positiv für die eigene Position beschreiben. Zwar hatte es auch hier, in Fortsetzung der früheren Position, zunächst häufig noch Zweifel hinsichtlich der eigenen Beteiligung gegeben – sei es aufgrund des vorgeformten Verständnisses von »CSR« oder aus Furcht, lediglich als »Feigenblatt« für wirtschaftspolitische Entscheidungen zu dienen. Einmal dabei, beschreibt beispielsweise Transparency International Deutschland jedoch, dass sich »das Engagement gelohnt« habe (Transparency International Deutschland 2010: 24). Dabei wird deutlich, dass die Zugehörigkeit zum Kreis der »Expertinnen und Experten« nicht unerheblich für die Entscheidung der Beteiligung war. Das ›Knüpfen‹ und ›Vertiefen‹ ›wichtiger Kontakte‹ sowie die Gewinnung von »Unterstützung für wesentliche Positionen« werden hier als relevante Ergebnisse der Beteiligung hervorgehoben (Transparency International Deutschland 2010: 24).
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Der Diskurs übt folglich derart Zwang auf die Akteure aus, dass »[e]ven […] [formerly deviant actors] cannot refrain from adopting it« (Sydow et al. 2009: 692). Mit der Kooptation der Gewerkschaften wird die wirtschaftlich-staatliche Diskurskoalition noch einmal verstärkt und als nun hegemoniale Diskurskoalition etabliert. Mit dieser zweiten Verschiebung von Akteuren in Richtung des instrumentellvoluntaristischen Pfades ›kippt‹ der Diskurs in ein hegemoniales Gleichgewicht. Das Wechseln der ›Lager‹ einiger widerständiger Akteure führt zugleich zu einer Schwächung der weiterhin widerständigen Akteure, was diese ins ›diskursive Abseits‹ verweist. Untermauert wird deren Schwächung durch die Differenzierung zwischen am Forum beteiligte ›konstruktive Expertinnen‹ und sich der weiteren Entwicklung ›Entziehende‹. Ein Aufbrechen des im Fortgang des Forums als ›Konsens‹ etablierten instrumentell-voluntaristischen »CSR«-Verständnisses erscheint aus dieser Position unwahrscheinlich. 6.1.2 Einigung auf ein »gemeinsames Verständnis von CSR in Deutschland« Neben der erneuten Verschiebung der Akteurskonstellation ist das Nationale CSRForum von entscheidender Bedeutung, da hier über ein gemeinsames – im Konsens der Beteiligten zu beschließendes – »CSR«-Verständnis entschieden wird, wobei der »Business Case for CSR« als leitendes Verantwortungsverständnis festgeschrieben wird. Wirtschaftliche, staatliche und gewerkschaftliche Akteure einigen sich im Jahr 2009 zunächst auf ein »gemeinsames Verständnis von CSR in Deutschland« (veröffentlicht im April 2009; NCSRF 2009)9 und entwickeln gemeinsam einen »Empfehlungsbericht an die Bundesregierung« (veröffentlicht im Juli 2010; NCSRF 2010), der kurz darauf als offizieller »CSR-Aktionsplan« von der Bundesregierung bestätigt und veröffentlicht wird (im Oktober 2010; BMAS 2010a) und bis heute den Diskurs als offizielles Verständnis unternehmerischer Verantwortung prägt (dazu Kapitel 6.1.3). Die im Nationalen CSR-Forum erarbeiteten Positionspapiere legen damit ein offizielles und aufgrund des Verweises auf die Beteiligung und Zustimmung »aller relevanten gesellschaftlichen Kräfte« legitim erscheinendes »CSR«-Verständnis für Deutschland fest (NCSRF 2012: 2). Dabei folgen die Beteiligten, den »Mainstream«-Diskurs der wirtschaftlichstaatlichen Diskurskoalition zugleich fortsetzend und seit dem Wechsel der Lager durch die Gewerkschaften nun auch von zivilgesellschaftlicher Seite bestätigend, dem instrumentell-voluntaristischen Motivmuster und ›zementieren‹ damit den »Business Case for CSR« als leitendes – »gemeinsames« – Verständnis unterneh9
Die »Vereinheitlichung des Verständnisses von CSR der verschiedenen Stakeholder« wird in den Empfehlungen des Nationalen CSR-Forums ausdrücklich als Ziel benannt (NCSR 2010: 61).
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merischer Verantwortung. In fortgesetzter Orientierung an der »CSR«-Definition der Europäischen Kommission aus dem Jahr 2001 (NCSRF 2009: 2, Fn. 1) wird im Zuge des Forums folgende Definition als »gemeinsames Verständnis von CSR in Deutschland« festgeschrieben: »Corporate Social Responsibility (CSR) bezeichnet die Wahrnehmung gesellschaftlicher Verantwortung durch Unternehmen über gesetzliche Anforderungen hinaus. CSR steht für eine nachhaltige Unternehmensführung im Kerngeschäft, die in der Geschäftsstrategie des Unternehmens verankert ist. CSR ist freiwillig, aber nicht beliebig.« (NCSRF 2009: 1; ebenso NCSRF 2010: 7)
Drei Aspekte werden mit diesem »von den verschiedenen Stakeholdergruppen gemeinsam getragene[n]« und »im Konsens beschlossen[en]« Verständnis festgehalten (NCSRF 2010: 5, 7, 10; ebenso BMAS 2010a: 3, 7, 8). Erstens wird erneut die enge Verbindung zwischen »CSR« und Nachhaltigkeit betont, wobei »CSR als ein wesentlicher Beitrag der Unternehmen zu einer nachhaltigen Entwicklung in den Handlungsfeldern Markt, Umwelt, Arbeitsplatz und Gemeinwesen zu verstehen« sei (NCSRF 2009: 1). Damit wird die unternehmerische Verantwortung auf den, dem Nachhaltigkeitskonzept zugrundeliegenden, Dreiklang ökonomischer, sozialer und ökologischer Ziele, die Triple Bottom Line, festgelegt und damit nicht nur in sozialer und ökologischer Dimension bestimmt, sondern auch in ökonomischer.10 Zweitens und direkt damit zusammenhängend wird »CSR« als »nachhaltige Unternehmensführung im Kerngeschäft« bzw. als im Einklang mit der »Geschäftsstrategie des Unternehmens« beschrieben, womit die »strategische Ausrichtung« der »CSR«-Aktivitäten betont wird (NCSR 2009: 2). »CSR« könne »die Bedingungen nachhaltig funktionierender Märkte verbessern und gewinnbringend für Gesellschaft und Unternehmen sein«, »[s]trategisch angelegte CSR« werde so »zu einem Wettbewerbsfaktor« (NCSRF 2009: 2). Drittens wird erneut die Freiwilligkeit von »CSR« bestätigt und als ›Grundsatz‹ festgeschrieben, ergänzt durch den Zusatz »aber nicht beliebig« (NCSRF 2009: 1), der hier als partielles Zugeständnis wirtschaftlicher und staatlicher Akteure an die beteiligten zivilgesellschaftlichen Akteure verstanden werden kann, sich im Nachhinein jedoch als inhaltsleer erweisen wird (siehe dazu Kapitel 6.4). Neben diesen scheinbaren Zugeständnissen an die widerständigen Akteure hinsichtlich der ›Nicht-Beliebigkeit‹ von »CSR« setzt sich in den 10 Auch die Bundesregierung folgt dieser Einordnung, wenn sie schreibt, der Aktionsplan leiste »einen wichtigen Beitrag zur Umsetzung der Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung in Deutschland sowie des Leitbildes einer Nachhaltigen Entwicklung im Rahmen internationaler Beziehungen und Prozesse« (BMAS 2010a: 9). Der »Dreiklang« ökonomischer, sozialer und ökologischer Ziele sei die »Grundidee, die hinter CSR steht« (BMAS 2010a: 8).
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Empfehlungen des Nationalen CSR-Forums sowie auch im daraus hervorgehenden CSR-Aktionsplan wesentlich der instrumentelle Mainstream der wirtschaftlichstaatlichen Diskurskoalition fort, womit dieser das Verständnis unternehmerische Verantwortung in Deutschland bestimmt. Neben dem gemeinsamen Verständnis von »CSR« erarbeitet das Forum Empfehlungen an die Bundesregierung für die Erstellung einer Nationalen CSRStrategie. Auch diese auf Grundlage der »von allen Akteurinnen und Akteuren des Forums geteilte[n] Definition« (NCSRF 2010: 26) erarbeiteten »Empfehlungen an die Bundesregierung« werden ebenfalls »im Konsens beschlossen« und der Bundesregierung übergeben (NCSRF 2010: 10).11 Auch dieser Text schreibt den instrumentell-voluntaristischen Kurs weiter fort. Dabei wiederholt sich, was bereits zu Beginn der Auseinandersetzungen um den Signifikanten »CSR« mit Blick auf die großen Unternehmen deutlich geworden ist: Der »Business Case for CSR« dient erneut als Anknüpfungspunkt positiver Erwartungen hinsichtlich der Verbreitung unternehmerischer Verantwortung. Wesentliches »Ziel ist es, noch mehr Unternehmen dafür zu gewinnen, sich gesellschaftlich zu engagieren und nachhaltig zu wirtschaften«, wobei der Fokus, nachdem er zuvor auf großen Unternehmen lag, nun auf KMUs verschoben wird (NCSRF 2010: 11, 14-16, 32-34). Auch hier wird zur Erreichung dieses Ziels auf den »Business Case« verwiesen und auch hier bedeutet dies zugleich eine Abkehr von alternativen Motiven unternehmerischer Verantwortung. So wird beispielsweise betont, dass für die Gewinnung von KMUs eine »strategische[] CSR-Ausrichtung« notwendig und den KMU näher zu bringen sei, deren gesellschaftliches Engagement bislang von der »persönlichen Motivation der Unternehmensverantwortlichen« getragen gewesen sei (NCSRF 2010: 15). »Der Antrieb, sich gesellschaftlich zu engagieren, liegt gerade bei KMU oft in der persönlichen Motivation der Unternehmensverantwortlichen. […] Darüber hinaus können betriebswirtschaftliche Argumente zusätzlich zu gesellschaftlichem Handeln überzeugen: Gute Arbeitsbedingungen fördern die Motivation, Ideen und Einsatzbereitschaft. Motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tragen maßgeblich zum Unternehmenserfolg bei, sie sind stolz auf ein Unternehmen, das sich gesellschaftlich engagiert. Der gute Ruf eines Unternehmens führt
11 Dabei werden entlang von sechs sogenannten Aktionsfeldern die »Zukunftschancen« von »CSR« dargestellt und Schritte zu deren Umsetzung vorgeschlagen. Die sechs Aktionsfelder lauten: 1. Glaubwürdigkeit und Sichtbarkeit von CSR, 2. Förderung der Verbreitung des Themas CSR, insbesondere auch bei KMU, 3. Integration von CSR in Bildung, Qualifizierung, Wissenschaft und Forschung, 4. Stärkung von CSR in internationalen und entwicklungspolitischen zusammenhängen, 5. Beitrag von CSR zur Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen, 6. Schaffung eines CSR-förderlichen Umfelds (NCSRF 2010).
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zudem dazu, dass Talente leichter zu gewinnen und zu halten sind – gerade im Hinblick auf den Fachkräftemangel ein wichtiges Argument […].« (NCSRF 2010: 15)
Weiterhin wird die Umsetzung unternehmerischer Verantwortung dem Markt anheimgestellt, der durch den Staat in seiner ›Freiheit‹ gesichert, »einen wesentlichen Anreiz für verantwortliches Wirtschaften [] bieten« würde (NCSRF 2010: 23). Zur Beförderung unternehmerischer Verantwortung sei – auch dies in Fortsetzung des bisherigen Kurses – der Bundesregierung der Auftrag erteilt, ein »CSR-förderliches Umfeld« zu schaffen (NCSRF 2010: 23-25). Dazu wird die »Schaffung von aktivierenden Rahmenbedingungen für ein freiwilliges gesellschaftliches Engagement der Wirtschaft [als] wichtige politische Aufgabe« hervorgehoben (NCSRF 2010: 23, eigene Hervorhebung, N.L.). Instrumentelle Motive werden als das einzig legitime Mittel der Verbreitung unternehmerischer Verantwortung reifiziert, die mit dem »Business Case for CSR« verbundenen Erwartungen wiederholt artikuliert und auch in dieser Phase aufrechterhalten. Dieser sich in den Empfehlungen an die Bundesregierung zeigende und den Kurs der wirtschaftlich-staatlichen Koalition nun auch unter Zustimmung der Gewerkschaften fortschreibende instrumentell-voluntaristische Tenor wird in die Nationale CSR-Strategie der Bundesregierung übernommen. 6.1.3 Die Nationale CSR-Strategie der Bundesregierung: der »Business Case for CSR« als offizielle Handlungsanleitung Die Nationale CSR-Strategie, die im Oktober 2010 von der Bundesregierung verabschiedet wird, folgt im Wesentlichen den Empfehlungen des Nationalen CSRForums und orientiert sich folglich ebenfalls in erster Linie am »Business Case for CSR« (siehe Abbildung 18). Als Nationale CSR-Strategie soll der Aktionsplan Unternehmen »Orientierung« geben und »Hilfestellungen zur Übersetzung des CSRAnsatzes in den Unternehmensalltag bieten« (BMAS 2010: 5-6). Er tut dies im Zeichen des »Business Case for CSR«.
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Abbildung 18: Relative Häufigkeit der Motive im Nationalen CSR-Aktionsplan der Bundesregierung Instrumentell
Relational
Ethisch
13%
18%
69%
(Eigene Darstellung)
»CSR« wird als »strategisches« Konzept präsentiert und im »Kerngeschäft« der Unternehmen positioniert. Zudem werden die Argumente des »Business Case for CSR« fortgeschrieben, etwa wenn es zusammenfassend heißt: »Eine wachsende Zahl von Unternehmen nimmt über gesetzliche Anforderungen hinaus gesellschaftliche Verantwortung im Kerngeschäft wahr und leistet damit einen Beitrag zum Wohl der Gesellschaft. Gleichzeitig kann CSR zum Unternehmenserfolg im In- und Ausland beitragen: Indem Unternehmen ein positives Umfeld schaffen, durch strategische Personalplanung und eine gute Reputation Talente anziehen oder halten, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fördern und motivieren, ein effizientes nachhaltiges Lieferkettenmanagement entwickeln und auf dem Markt mit innovativen und nachhaltigen Produkten überzeugen und Verbraucherinnen und Verbraucher gewinnen. Damit können sie gleichzeitig Wettbewerbsvorteile für sich erzielen. Gerade mit dieser positiven Wettbewerbswirkung können weitere Unternehmen überzeugt werden, über das gesetzliche Maß hinaus gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen.« (BMAS 2010a: 13, eigene Hervorhebung, N.L.)
Wie der letzte Satz des Zitats deutlich macht, ist für die Bundesregierung mit dem »Business Case for CSR« weiterhin die Erwartung verbunden, »CSR« zu befördern (auch BMAS 2010: 5-6). Ein unternehmerischer Gewinn wird dabei in Fortsetzung des bisherigen Kurses der staatlichen Akteure vor allem als »Anreiz für die Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung« hervorgehoben (BMAS 2010a: 5). Dabei geht es, die Empfehlungen des Nationalen CSR-Forums aufgreifend, nun insbeson-
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dere um die KMUs, die häufig bereits »in vorbildlicher Weise gesellschaftliche Verantwortung« wahrnähmen, »ohne jedoch den Begriff CSR zu kennen und ihr Engagement entsprechend sichtbar zu machen« (BMAS 2010a: 13). KMUs sollten gewonnen werden, »ihr gesellschaftliches Engagement strategisch im Kerngeschäft zu verankern« und »CSR stärker als unternehmerisches und strategisches Konzept aufzufassen« (BMAS 2010a: 5, 12-14). Zur Gewinnung großer sowie kleiner und mittlerer Unternehmen biete die Nationale CSR-Strategie somit »einen Rahmen […], der auf die Entfaltung der Marktkräfte setzt, dabei jedoch anstrebt, Handlungsfreiheit mit aktiver Verantwortungsübernahme in Einklang zu bringen« (BMAS 2010a: 7). In dieser »CSR« ermöglichenden Rolle sieht sich die Bundesregierung nach wie vor als Intermediärin, deren Aufgabe es sei, ein »positives Umfeld für CSR zu schaffen« (NCSRF 2009: 1, 2010: 8), das heißt, »die Grundlage« dafür zu schaffen, »dass sich CSR für Unternehmen und Gesellschaft lohnt« (NCSRF 2010: 5). Vor diesem Hintergrund wettbewerblicher, marktbasierter Anreize liegt auch weiterhin der Schwerpunkt auf der Freiwilligkeit von »CSR«. Im Aktionsplan wird die Freiwilligkeit zum definitorischen Kern unternehmerischer Verantwortung erhoben. »CSR« wird als inhärent freiwillig dargestellt, wenn festgestellt wird: »Vieles, was in anderen Ländern als CSR-Aktivität gilt, ist für deutsche Unternehmen rechtlich verbindlich und stellt damit schon per definitionem kein CSR dar.« (BMAS 2010: 17, eigene Hervorhebung, N.L.) Mit der Aufnahme in den CSR-Aktionsplan ist die Freiwilligkeit endgültig im deutschen »CSR«-Verständnis verankert und wird in der Nationalen CSR-Strategie handlungsleitend. Von nun an heißt es jedoch, und dies kann als Zugeständnis an die Forderungen zivilgesellschaftlicher Akteure verstanden werden: »CSR ist freiwillig, aber nicht beliebig.« (BMAS 2010: 8, eigene Hervorhebung, N.L.) Unter Beibehaltung des Kurses der Freiwilligkeit wird hier ein partielles Zugeständnis an die zivilgesellschaftlichen Akteure gemacht, die – wie wir gesehen haben – zunächst vor allem verbindliche Regeln gefordert hatten. Das Moment des Aufgreifens zivilgesellschaftlicher Forderungen bei gleichzeitiger Fortführung des Bestehenden zeigt sich in dieser Phase besonders deutlich. Die zivilgesellschaftlichen Akteure diskursiv einbettend, folgt der Nationale CSR-Aktionsplan beispielsweise stärker als bisher einem auf allseitigen Gewinn abstellenden »Win-win«-Credo, welches die damalige Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Ursula von der Leyen, als »die wichtigste Botschaft« ihrer »CSR«-Politik verstanden wissen will: »CSR kommt der Gesellschaft insgesamt zu Gute und zahlt sich auch für die Unternehmen aus« (BMAS 2010a: 5, 6).12 Die Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung müsse für »Unter12 An anderer Stelle heißt es analog dazu: »Wichtiges Ziel des ›Aktionsplans CSR‹ ist es, einen Bewusstseinswandel dahingehend herbeizuführen, dass CSR sich für Unternehmen und Gesellschaft lohnt. Denn CSR bietet für Deutschland die Chance, sowohl die Wett-
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nehmen und Gesellschaft attraktiv« werden (BMAS 2010a: 12, eigene Hervorhebung, N.L.): »Sowohl die Gesellschaft als auch die Wirtschaft werden profitieren, wenn Deutschland sein international hohes Ansehen in sozialen und ökologischen Fragen durch eine eigenständige CSR-Strategie unterstreichen kann. Dieser Aktionsplan hat zum Ziel, dass mehr Unternehmen ihre gesellschaftliche Verantwortung erkennen und nutzen, um ihre Geschäftsstrategie nachhaltig zu gestalten. Denn soziales und ökologisch vorausschauendes Wirtschaften kann Unternehmen Vorteile im nationalen und internationalen Wettbewerb eröffnen.« (BMAS 2010a: 12, eigene Hervorhebung, N.L.)
Dass dabei der ›Gewinn für die Gesellschaft‹ seine Grenzen in den Möglichkeiten des unternehmerischen Profits findet, zeigt sich jeweils dort, wo allein »im Rahmen der Wirtschaftlichkeit« ein »klares politisches Bekenntnis« zu Verantwortung und Nachhaltigkeit gegeben wird (BMAS 2010a: 31). Scheint auch hier die Sorge der zivilgesellschaftlichen Akteure aufgegriffen zu werden, so wird letztlich nicht vom Credo des »Business Case for CSR« abgewichen. Derartige Versuche der Einbettung waren auch im Zuge des Nationalen CSRForums vermehrt artikuliert worden. Auch dabei schien das Aufgreifen zivilgesellschaftlicher Forderungen und nicht-instrumenteller Motive als deren endgültige Inkorporation in den diskursiven Mainstream und weniger als Abweichen davon. Zivilgesellschaftliche Forderungen werden von der wirtschaftlich-staatlichen Diskurskoalition aufgenommen, dabei aber deren instrumentellem Verständnis subordiniert. Deutlich wird dies beispielsweise, wenn es um die Stärkung des Gemeinwesens durch unternehmerisches Engagement geht. Die Bedeutung dieses Aspekts wird hervorgehoben, wenn es anerkennend heißt: »Die Stärkung des Gemeinwesens durch regionales und lokales Engagement ist ein Teil von CSR. Kleine, mittlere und auch große Unternehmen setzen sich bereits für das Gemeinwohl ein.« (NCSRF 2010: 8, 2009: 2) Im Weiteren wird diese (nicht weiter spezifizierte) Förderung des Gemeinwesens mit einem »wesentlichen Einfluss auf ein positives Unternehmerbild« verbunden (NCSRF 2010: 8; ebenso NCSRF 2009: 2) und damit in den Kanon instrumenteller Motive überführt. Dem diskursiven Zwang der Zustimmung bewerbsfähigkeit der Unternehmen nachhaltig zu stärken, als auch Antworten auf gesellschaftliche Herausforderungen zu finden, die durch politische Maßnahmen allein nicht zu erreichen wären. CSR ist gerade in Finanz- und Wirtschaftskrisen wichtig, um das Vertrauen in die Wirtschaft wieder herzustellen. CSR ist vor diesem Hintergrund als Bestandteil einer sozialen und ökologischen Marktwirtschaft zu verstehen.« (BMAS 2010a: 10) Schon im Vorwort zum CSR-Aktionsplan betont von der Leyen: »Wenn Unternehmen gesellschaftliche Verantwortung übernehmen, lohnt sich das für alle.« (BMAS 2010a: 6)
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wird damit ein Moment des kompromisshaften Entgegenkommens an die Seite gestellt, ohne dabei jedoch vom Primat des »Business Case for CSR« abzuweichen. Den bisherigen Trend staatlicher Akteure fortsetzend, zeigt sich auch im Aktionsplan nur ein marginaler Verweis auf moralische und relationale Motive. Auch diese werden jeweils eingebettet in den – den Aktionsplan insgesamt durchziehenden – »Win-win«-Tenor. So schreibt die Bundesregierung etwa – vermeintlich auf Alters- und Geschlechtergerechtigkeit abzielend –, sie werde an »entsprechenden Rahmenbedingungen arbeiten, damit eine ausbalancierte Altersstruktur für alle Unternehmen eine Selbstverständlichkeit ist sowie ausgewogene Anteile von Frauen und Männern in allen Berufen und Branchen und auf allen hierarchischen Ebenen ermöglicht werden«, schließt aber sogleich an: »Die Unternehmen sollen die Potenziale älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer voll ausschöpfen können.« (BMAS 2010a: 26) Auch zum Stichwort der Diversität ist von »fairen Beschäftigungschancen für alle Gruppen« sowie vom »Nutzen sozialer Vielfalt für eine demografiefeste [sic] und leistungsfähige Arbeitswelt« zugleich die Rede (BMAS 2010a: 27; eigene Hervorhebung, N.L.). Es werden dabei insgesamt ökonomische und nicht-ökonomische Ziele als miteinander ›Hand in Hand‹ gehend und nichtkonfliktär dargestellt, wobei sich auch in der sprachlichen Darstellung die grundlegend ökonomische Zielrichtung zeigt, beispielsweise wenn es in der Diskussion um eine die Familien- und Geschlechtergerechtigkeit befördernde und damit über das Ökonomische hinausgehende Unternehmensführung unter dem Stichwort »Erfolgsfaktor Familie« jeweils auch heißt, »Familienfreundlichkeit [habe sich] als wichtiger Standort- und Wettbewerbsfaktor« etabliert (BMAS 2010a: 28; eigene Hervorhebung, N.L.). Auch die ehemals zivilgesellschaftlichen Forderungen nach Transparenz, Vergleichbarkeit, Substanz und Verbindlichkeit werden partiell aufgegriffen, dabei scheint Transparenz jedoch vor allem als »Sichtbarkeit« verstanden sowie Verbindlichkeit mit »Verlässlichkeit« übersetzt zu werden, während beide Ziele der ökonomischen Ratio unterstellt werden. Insbesondere Sichtbarkeit und Glaubwürdigkeit seien »wesentliche Voraussetzung dafür, dass die für das Unternehmen entscheidenden Zielgruppen – Verbraucherinnen und Verbraucher, Investorinnen und Investoren, aber auch potenzielle Stellenbewerber/innen oder die breite Öffentlichkeit – die Wahrnehmung gesellschaftlicher Verantwortung von Unternehmen bemerken, bewerten und durch ihre Entscheidung auf dem Markt honorieren können. […] Eine solche Informationsbasis kann auch Aufschluss über die Glaubwürdigkeit und Ernsthaftigkeit von CSR-Aktivitäten geben und es den Unternehmen ermöglichen, den Verdacht bloßer Schönfärberei zu entkräften.« (BMAS 2010a: 17, eigene Hervorhebung, N.L.)
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Dabei wird zugleich versichernd festgehalten: »Die Einführung einer gesetzlich geregelten CSR-Zertifizierung wird hierbei nicht angestrebt.« (BMAS 2010a: 17) Summa summarum markiert das Nationale CSR-Forum – wie vorstehend beschrieben – den Übergang in die dritte Phase des Diskurses. Wie wir gesehen haben wechseln im Zuge der Initiierung des Nationalen CSR-Forums die gewerkschaftlichen Akteure das ›Lager‹, stärken damit das hegemoniale Projekt und schwächen zugleich die Koalition widerständiger Akteure. Das partielle Entgegenkommen der wirtschaftlich-staatlichen Koalition, beispielsweise hinsichtlich der Ergänzung der Freiwilligkeit um den Nachsatz »aber nicht beliebig«, kann als Akt der Einbettung widerständiger Akteure verstanden werden. Es scheint ein Aufgreifen der Forderungen zivilgesellschaftlicher Akteure zu signalisieren, integriert diese jedoch zugleich in den führenden instrumentell-voluntaristischen Mainstream. Die Verabschiedung der Papiere des Nationalen CSR-Forums – das gemeinsame Verständnis und die Empfehlungen – sowie der Nationalen CSR-Strategie der Bundesregierung, und damit die Einigung auf den »Business Case for CSR«, legt diesen als offizielle Handlungsanleitung fest. Die vom Nationalen CSR-Forum und seinen Teilnehmerinnen verabschiedeten Positionen sowie die im Zuge des Forums ebenfalls erfolgende ›Definition‹ relevanter und nicht relevanter Akteure markieren den Zeitpunkt der Inkorporation von Akteuren aus dem zivilgesellschaftlichen Lager und das endgültige ›Kippen‹ des Diskurses in ein kompromisshaftes, hegemoniales Gleichgewicht und damit den Beginn der Lock-in-Phase.
6.2 S TABILITÄT IM D ISKURS : F ORTGESETZTE R EPRODUKTION DES »B USINESS C ASE FOR CSR« Zwei Indikatoren lassen sich dafür anführen, dass die zuvor beschriebene Einigung auf den »Business Case for CSR« als gemeinsam getragenes Verantwortungsverständnis – seine Etablierung als führendes Motivmuster unternehmerischer Verantwortung – auch weiterhin stabil im Diskurs bestehen wird.13 Der erste, die fortgesetzte Reproduktion der Führerschaft des »Business Case for CSR« durch wirtschaftliche, staatliche und gewerkschaftliche Akteure (6.2.1), bei gleichzeitigem 13 Während die hier dargestellten Ausführungen eine Stabilität des »Business Case for CSR« im Diskurs belegen, erscheint der Zeitraum der Stabilität – gerade in Relation zur langen Entwicklung des Diskurses – relativ gering, was die Stabilitätsbehauptung infrage stellen könnte. Die (zumindest für die zivilgesellschaftlichen Akteure kompromisshafte) Einigkeit bzw. Übereinkunft der Akteure hinsichtlich des »Business Case for CSR« sowie die gescheiterten Veränderungsversuche weisen jedoch auf Stabilität hin. Gleichzeitig sei hiermit zukünftigen Untersuchungen die Aufgabe mitgegeben, den weiteren Diskursverlauf zu verfolgen (siehe dazu Kapitel 8).
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De-facto-Ausschluss widerständiger Akteure und ihrer vom Status quo abweichenden Artikulationen (6.2.2), soll im Folgenden dargestellt werden. 6.2.1 Fortschreiben des »Business Case for CSR« als führendes Motivmuster unternehmerischer Verantwortung durch wirtschaftliche, staatliche und gewerkschaftliche Akteure In den jüngeren Publikationen artikuliert die – nun aus wirtschaftlichen, staatlichen und gewerkschaftlichen Akteuren bestehende – hegemoniale Diskurskoalition weiterhin vornehmlich instrumentelle Motive. Die folgenden Abbildungen zeigen das prozentuale Verhältnis der von den drei Akteursgruppen artikulierten Motivmuster in der dritten Phase und stellen die fortgesetzte Führerschaft des »Business Case for CSR« deutlich dar. Abbildung 19 und Abbildung 20 zeigen, dass wirtschaftliche und staatliche Akteure an der Führerschaft des »Business Case for CSR« festhalten, diese fortgesetzt reproduzieren und sogar leicht ausbauen. Abbildung 19: Wirtschaftliche Akteure: Prozentuales Verhältnis instrumenteller, relationaler und moralischer Motive in der dritten Phase Instrumentelle Motive 100,0 90,0 80,0 70,0 60,0 50,0 40,0 30,0 20,0 10,0 0,0
Relationale Motive
91,9
4,4 3. Phase (2009-2014)
(Eigene Darstellung)
Moralische Motive
3,7
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Abbildung 20: Staatliche Akteure: Prozentuales Verhältnis instrumenteller, relationaler und moralischer Motive in der dritten Phase Instrumentelle Motive 90,0 80,0 70,0 60,0 50,0 40,0 30,0 20,0 10,0 0,0
Relationale Motive
Moralische Motive
76,8
15,5 7,7 3. Phase (2009-2014)
(Eigene Darstellung)
Abbildung 21, die das prozentuale Verhältnis der von den Gewerkschaften artikulierten Motive für die dritte Phase darstellt, belegt deutlich den Wechsel dieser Akteure in das Lager wirtschaftlicher und staatlicher Akteure und zeigt einen deutlichen Zuwachs instrumenteller Motive im Verhältnis zu relationalen und moralischen Motiven. Während instrumentelle Motive mit guten 62 Prozent nun die absolute Mehrheit der Motive ausmachen, war ihr Anteil mit guten 46 Prozent der in der zweiten Phase von gewerkschaftlichen Akteuren insgesamt geäußerten Motive noch deutlich geringer.
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Abbildung 21: Gewerkschaftliche Akteure: Prozentuales Verhältnis instrumenteller, relationaler und moralischer Motive in der dritten Phase Instrumentelle Motive 70,0 60,0
Relationale Motive
Moralische Motive
62,1
50,0 40,0 25,9
30,0 20,0
12,1
10,0 0,0 3. Phase (2009-2014) (Eigene Darstellung)
Die hegemoniale Diskurskoalition staatlicher, wirtschaftlicher und gewerkschaftlicher Akteure sieht sich somit verbunden durch die gemeinsame Artikulation verschiedener Motive des »Business Case for CSR«. Gemeinsam von wirtschaftlichen, staatlichen und gewerkschaftlichen Akteuren wird unternehmerische Verantwortung heute als »Wettbewerbsfaktor«, als »Versicherung« und als unternehmerischer »Erfolgsfaktor/Investition« dargestellt sowie der Grundsatz der »Freiwilligkeit« befördert. Wirtschaftliche und staatliche Akteure artikulieren zusätzlich auch »Winwin-Motive« und staatliche Akteure stellen »CSR« darüber hinaus als unternehmerische »Strategie« dar. Am häufigsten wird von den Akteuren auch in dieser Phase »CSR« als »Wettbewerbsfaktor« dargestellt. Man ist sich einig, »CSR« schaffe »die lokalen Antworten, die durch ihre spezifische Ausgestaltung eine außergewöhnliche Attraktivität auf Arbeitnehmer, Stakeholder und vor allem Kunden ausstrahlt[en]« – dadurch werde »CSR zum Wettbewerbsvorteil und zum Business Case« (Econsense 2010b: 3): »Gesellschaftliche Verantwortung ist zu einem Wettbewerbsfaktor geworden« (BDA 2013a: 1). Eine positive Verbindung zwischen »CSR« und Wettbewerbsposition komme dabei nicht nur dem einzelnen Unternehmen zugute, sondern »CSR« könne als Beitrag zur Nachhaltigkeit auch »als Standortfaktor für den Standort Deutschland« verstanden werden: »Denn wir sind der festen Überzeugung, dass eine nachhaltige Wirtschaftsweise in Zukunft Deutschland auch weiterhin im internationalen Vergleich wettbewerbsfähig halten wird.« (Econsense 2011b: 2) »Konsequentes CSR-Management« wirke sich, so wird auch von der Bundesregierung im-
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mer wieder hervorgehoben, »positiv auf die Kreativität, die Leistungsfähigkeit und die Offenheit der Mitarbeiter für neue Lösungsansätze« aus und erleichtere die Rekrutierung von Talenten (BMU 2009: 12, auch BMU 2009: 5, 2011: 13; NCSRF 2010). Auch über Kostensenkungen und Effizienzsteigerungen sowie die »Verbesserung des Zugangs zu Kapital« verbessere »CSR« die Wettbewerbsfähigkeit (BMU 2009: 6, 2011: 13).14 Bestätigend heißt es auch vonseiten der Gewerkschaften, verantwortliches Handeln könne »auch ökonomisch rational sein«, indem es etwa mit »Image- und Wettbewerbsvorteilen« verbunden sei (DGB 2011b: 58). Zudem achteten Investorinnen zunehmend auf Nachhaltigkeitsindizes, was verantwortlichen Unternehmen ebenfalls zum Vorteil gereichen könne (HBS 2011a: 7). Mit gestärkter Sicherheit wird »CSR« in den jüngsten Texten dabei nicht mehr nur als Mittel unternehmerischer und volkswirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit betrachtet, sondern Wettbewerbsfähigkeit als notwendige Voraussetzung für unternehmerische Verantwortung behauptet. »CSR«-Verbände »betonen, dass nachhaltiges Wirtschaften die Wettbewerbsfähigkeit der einzelnen Unternehmen voraussetzt und umgekehrt« (Econsense 2011b: 4). »Denn nur auf Basis wettbewerbsfähiger Unternehmen kann Deutschland eine zukunftsfähige Wirtschaft aufbauen.« (Econsense 2011b: 3) Dabei werden, so scheint es, der Aufbau und der Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens zum Bestandteil gesellschaftlichen Engagements. Wettbewerbsfähigkeit erhält einen gesellschaftlichen ›Wert per se‹: »Wir möchten zudem auch auf die soziale Dimension des Faktors Wettbewerbsfähigkeit hinweisen. Gerade an der seit einigen Jahren positiven Entwicklung der deutschen Wirtschaft zeigt sich exemplarisch die Bedeutung des Faktors Wettbewerbsfähigkeit für Beschäftigung und die Finanzierung der Sozialsysteme.« (Econsense 2011b: 3) »Erstes Ziel eines Unternehmens ist es, im Kerngeschäft erfolgreich zu sein. Dieser Erfolg ist Basis für gesellschaftliches Handeln eines Unternehmens und damit auch für Wohlstand und Beschäftigung von Volkswirtschaften.« (DIHK/IHK 2012: 6) 14 Dass diese Position und ihre Nutzung als Anreiz unternehmerischer Verantwortung eine systematisch erarbeitete und konsequent umgesetzte Haltung der Bundesregierung ist, zeigt sich nicht zuletzt auch darin, dass bereits im Vorfeld zur Verabschiedung der Nationalen CSR-Strategie das »Institute for Sustainability« in Kooperation mit dem »Borderstep Institut für Innovation und Nachhaltigkeit« eine Studie zum Thema »Wettbewerbsvorteile durch CSR. Eine Metastudie zu Wettbewerbsvorteilen von CSR und Empfehlungen zur Kommunikation an Unternehmen« erstellt hatte, die »als Informationsgrundlage für die Arbeitsgruppe ›Förderung der Verbreitung des Themas CSR, insbesondere auch bei KMU‹ des CSR-Forums der Bundesregierung erstellt« wurde (Loew 2010: 5) und auch auf der Plattform der Bundesregierung »CSR in Germany« prominent platziert wird.
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Das Voranstellen der Wettbewerbsfähigkeit vor die Beförderung ökologischer und sozialer Ziele steht im Widerspruch zur ansonsten hervorgehobenen Gleichstellung der Ziele der Ökologie, Ökonomie und des Sozialen ebenso wie zur häufig betonten harmonischen Integration sozialer, ökologischer und ökonomischer Ziele. Es kommt zu einer deutlichen Gewichtung in »primäre« und »sekundäre« Ziele, wobei unter dem Signifikanten der »CSR« ökologisches und soziales Handeln der Wettbewerbsfähigkeit nachgeordnet wird. Zur von der Europäischen Kommission im Zuge der neuen »CSR«-Strategie angeregten »Implementierung von CSR bei der Auftragsvergabe« heißt es beispielsweise: »Die EU-Kommission beabsichtigt, im Rahmen der Überarbeitung der EU-Vergaberichtlinien verstärkt soziale und ökologische Erwägungen in Vergabeverfahren zu integrieren. Die Ziele Umweltschutz und sozialverantwortliches Handeln sind grundsätzlich zu befürworten. Allerdings ist das primäre Ziel der öffentlichen Auftragsvergabe eine möglichst wirtschaftliche Bedarfsdeckung. Sekundäre Ziele sollten dieses nicht überlagern und sollten nicht über das Vehikel der öffentlichen Auftragsvergabe verfolgt werden. Sie sollten vielmehr im Kontext ihrer jeweiligen Politikfelder verfolgt werden. Wichtig ist, dafür Sorge zu tragen, dass etwaige zusätzliche allgemeinpolitische Kriterien im Vergabewesen auf jeden Fall unmittelbar auf den Auftragsgegenstand bezogen sind.« (BDI et al. 2011: 3-4, eigene Hervorhebung, N.L.)
Weder in der nationalen noch in der internationalen Debatte dürfe »das ökonomisch verantwortliche Handeln und das Ziel eines dauerhaften wirtschaftlichen Unternehmenserfolges« hinter anderen Zielen in den Hintergrund rücken (Econsense 2010b: 5). Mit dieser Ordnung der Präferenzen geht, einmal mehr, die Verdrängung moralischer Motive aus dem Diskurs einher. So wird befürchtet: »Die CSR-Diskussion könnte in der EU wieder traditionellen Politikmustern folgen, die vor allem auf normiertes sozial und ethisch korrektes Verhalten setzen, statt die Kreativitätspotenziale der Unternehmen zu analysieren und für andere Politikbereiche nutzbar zu machen. Unternehmen werden gerade durch die ökonomische Dimension der Nachhaltigkeit ihrer Verantwortung CSR gegenüber gerecht.« (Econsense 2010b: 5)
Auch als »Versicherung«, im Sinne des Reputations- und Risikomanagements, wird »CSR« weiterhin konstruiert. Werden von gewerkschaftlicher Seite ausschließlich Imageeffekte ins Feld geführt (z.B. DGB 2011b: 58), so betonen wirtschaftliche und staatliche Akteure sowohl Reputations- als auch Risikomotive. Die Wirtschaftsverbände betonen etwa, dass beispielsweise die (freiwillige) nicht-finanzielle Berichterstattung im eigenen Interesse der Unternehmen sei, da sie »[n]eben Kundenbindung und Imagepflege […] Unternehmen z.B. helfen [könne], sich Probleme[n] in ihrer Geschäftstätigkeit bewusst zu werden, und so zum Risikomanagement bei[zu]tragen«, was nicht zuletzt »verstärkt von Anlegern [] eingefordert«
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würde (BDA 2011a: 31; ebenso Econsense 2011b: 5). Auch die Bundesregierung hebt hervor, »CSR« könne zu einer erhöhten Reputation bei den Stakeholdern führen (BMU 2008c: 5, 2009: 5, 2011: 13), stellt aber in dieser Phase insbesondere das Risikomotiv deutlich hervor (BMU 2011; BMAS 2010a: 26). Die Beschäftigung mit dieser Thematik dürfte auch durch die Verabschiedung der ISO 31000 im Jahr 2009 beeinflusst sein, die sich grundlegend mit dem Risikomanagement beschäftigt und vor allem auf die Risikoabschätzung und -behandlung abzielt und durch die Bundesregierung nun auch in Verbindung mit »CSR« gebracht wird.15 In einer durch das BMU veröffentlichten Broschüre mit dem Namen »Verantwortung neu denken. Risikomanagement durch CSR« (BMU 2011) werden beispielsweise neben der Darstellung des »wissenschaftlich belegten« Zusammenhangs zwischen »CSR« und der Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens u.a. konkrete Handlungsanleitungen für Unternehmen gegeben – »CSR« wird hier explizit »als Management sozialer und ökologischer Risiken« dargestellt (BMU 2011: 9). »CSR« könne so als »Flankenschutz« des Unternehmens dienen und helfen, verschiedene Risiken zu erkennen und ihnen frühzeitig entgegenzuwirken;16 darüber hinaus könne »CSR« zu einem erweiterten Risikobewusstsein der Mitarbeiterinnen führen und nicht zuletzt auch Reputationsrisiken entgegengewirkt werden (BMU 2011: 9-11). Dabei könnten durch ein systematisches »CSR«-Management neben den Risiken auch die Chancen, die sich aus den »Megatrends der Nachhaltigkeit« ergeben, erkannt und strategisch genutzt werden (BMU 2011: 12, ebenso BMU 2009: 11). Das Risikoszenario der »Megatrends der Nachhaltigkeit« wird damit zugleich in eine unternehmerische Chance überführt und auch hier der »Business Case for CSR« bedient. Über »Produkte und Dienstleistungen, die mit den Herausforderungen der Zukunft kompatibel sind«, könnten Unternehmen kurzfristige Kosten vermeiden und die »langfristige Wettbewerbsfähigkeit« sichern (BMU 2011: 15). Insgesamt sei Unternehmensverantwortung als unternehmerischer »Erfolgsfaktor/Investition« und Chance zu betrachten, so heißt es unter den Akteuren. Der DGB stellt beispielsweise den »positive[n] Beitrag einer sozialverantwortlichen Un15 Das BMU z.B. geht in seiner Veröffentlichung direkt auf die ISO 31000 ein und verweist auf den Nutzen, den das »CSR«-Management für die Identifikation und den Umgang von Risiken haben könne (BMU 2011: 11). Auch durch das Nationale CSR-Forum waren entsprechende Argumente bereits an die Bundesregierung herangetragen worden (siehe NCSRF 2009). 16 Zu diesen Risiken werden vor allem strategische Risiken sowie Produkt-, Prozess- und Investitionsrisiken gezählt (BMU 2011). Vom BMU in Aussicht gestellte Vorteile durch »CSR als Risikomanagement« sind dabei unter anderem die »Reduzierung von Risiken und Kosten, Reduzierung von Risiken aus den Megatrends der Nachhaltigkeit, Reduzierung von Risiken bzgl. Compliance, Haftung, Vermeidung von strategischen Fehlentwicklungen, Schutz der Reputation und ggf. der Marke« (BMU 2011: 13).
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ternehmenspolitik für den Erfolg und die Zukunft des Unternehmens« hervor (DGB 2009f: 5; ähnlich HBS 2011a: 7). Und auch die Wirtschaftsakteure reproduzieren die etablierte Verknüpfung von Verantwortung und unternehmerischem Erfolg. Auch weiterhin »betrachtet [Econsense] CSR als einen ›Business Case‹« (Econsense 2010b: 2), der als »Bestandteil unternehmerischen Managements« in erster Linie der »Sicherung der Zukunftsfähigkeit des Unternehmens« diene (Econsense 2010b: 3). »CSR« könne »wesentliche Vermögenswerte, wie z.B. den Markennamen und das Image, sichern und ausbauen« (Econsense 2010b: 3) und werde so zum »Werttreiber« (Econsense 2010b: 3). Wachstumspotenziale z.B. durch neue Umwelttechnologien (BDI 2011: 6) ebenso wie das Innovationsmanagement insgesamt (BMU 2012b: 12; Econsense 2011b: 4) könnten erzielt werden, da sind sich die Akteure einig. Insbesondere staatliche Akteure betonen zudem, »CSR« eröffne die Chance, »bestehende Geschäftsfelder auszubauen oder gar neue Märkte zu eröffnen« (BMU 2009: 6) und könne so »zum Unternehmenserfolg im In- und Ausland beitragen« (BMAS 2010a: 13). Auch mit Blick auf die »Freiwilligkeit« wird der bisherige Trend weiter reproduziert – von wirtschaftlichen und staatlichen Akteuren wird sie explizit gefordert, von gewerkschaftlicher Seite, wenn auch mit Skepsis, billigend und die Unumstößlichkeit dieses Kriteriums anerkennend mitgetragen. Dort, wo von den Gewerkschaften auf »CSR« Bezug genommen wird, geschieht dies beispielsweise jeweils unter Widergabe der von der Europäischen Kommission im Jahr 2001 eingeführten und vom Nationalen CSR-Forum übernommenen Definition, die »CSR« als ein Konzept bestimmt, »das den Unternehmen als Grundlage dient, auf freiwilliger Basis soziale Belange und Umweltbelange in ihre Unternehmenstätigkeit und in die Wechselbeziehungen mit den Stakeholdern zu integrieren« (so z.B. Thannisch DGB 2010: 16). Auch ist vom »freiwilligen CSR-Konzept« sowie von der für »CSRKonzepte konstitutiven Freiwilligkeit« die Rede (DGB 2010: 17). An anderer Stelle heißt es, das Gegebene resümierend, »CSR basiert […] auf Freiwilligkeit und ist marktorientiert, das heißt, eine höhere soziale oder ökologische Leistung soll nicht durch gesetzliche Regulierung, sondern durch den Mechanismus des Marktes erreicht werden.« (Thannisch DGB 2010: 16)
Das Konzept »CSR« scheint, wenn auch mit Skepsis beobachtet, als freiwilliges, vom Markt bestimmtes Konzept anerkannt und mitgetragen zu werden. Vonseiten wirtschaftlicher Akteure geschieht die Reproduktion der Freiwilligkeit unter weitgehender Ignoranz des im Rahmen des Nationalen CSR-Forums vereinbarten Zusatzes der ›Nicht-Beliebigkeit‹ (NCSRF 2010: 7; eine Ausnahme bildet BDI/Econsense 2011: 9). Die bisherigen Modi des wirtschaftlichen Diskurses werden dabei fortgeschrieben. So wiederholt sich beispielsweise, was zuvor für große Unternehmen in Anschlag gebracht wurde, nun mit Blick auf KMU. Dabei stellen
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Wirtschaftsakteure die Freiwilligkeit von »CSR« erneut als notwendige Bedingung unternehmerischen Engagements heraus. Auch KMU bräuchten für ihr gesellschaftliches Engagement »maßgeschneiderte Konzepte, individuellen Freiraum und schlanke Strukturen« (Econsense 2010b: 4). Zum anderen werden, Regulierungsbestrebungen widersprechend, »Normierungen von CSR« auch hier weiterhin als »kontraproduktiv« beschrieben oder es wird sich gegen »eine generalisierende ›Gleichmacherei‹« ausgesprochen, »die innovative und regionenspezifische Lösungen verhinder[e]« (Econsense 2010b: 5) und damit unternehmerischem Engagement grundsätzlich entgegenstehe. »Die zukünftige wirtschaftliche und soziale Entwicklung findet ihre Effizienzpotentiale nicht in einem überregulierten Staat, der schon an den Vollzugsdefiziten seiner überbordenden Bürokratie scheitert, sondern im Corporate Citizen, der seine Kompetenz auch in den Dienst der Gesellschaft stellt.« (Econsense 2010b: 5, eigene Hervorhebung, N.L.)
Diese grundlegend ablehnende Haltung gegenüber einer »regulatorische[n] Herangehensweise« an Fragen der Unternehmensverantwortung zieht sich ganz besonders in der dritten Phase durch alle Veröffentlichungen der Wirtschaftsakteure (BDI/Econsense 2011: 1; Econsense 2011b; DIHK/IHK 2012; BDA 2013b). Im Zuge der Reproduktion des »Business Case« durch die Akteure wird deutlich, dass der Status quo von den Akteuren im Sinne der dritten Phase des Pfadprozesses (siehe Kapitel 2) heute nicht mehr nur als zu erreichende Möglichkeit fortgeschrieben, sondern als alternativlos erscheinende Notwendigkeit bzw. anerkannte Faktizität reproduziert wird. So wird im Anschluss an das Nationale CSR-Forum auf die Verbindung von Freiwilligkeit, Wettbewerb und Verantwortung als allseits anerkannte Realität rekurriert. Hieß es über die Verbindung von »CSR« und Freiwilligkeit bislang, der »Grundsatz der Freiwilligkeit [sei] langfristig [zu] verankern« (Econsense 2007: 4), so heißt es heute, »CSR muss effizient und freiwillig bleiben« (Econsense 2010b: 5, eigene Hervorhebung, N.L.), womit nicht nur darauf abgestellt ist, dass »CSR« bereits ›effizient‹ umgesetzt werde, sondern vor allem darauf, dass die Freiwilligkeit von »CSR« als de facto Realität anerkannt und nicht mehr infrage zu stellen sei: »Das Prinzip der Freiwilligkeit […] muss anerkannt bleiben« (BDI 2011: 1, eigene Hervorhebung, N.L.). Wurde bis dato an der Etablierung einer notwendigen Verknüpfung von »CSR« und Freiwilligkeit gearbeitet, so ist Letztere nun zum naturalisierten, definitorischen Merkmal unternehmerischer Verantwortung geworden. Es heißt dabei etwa, vom Prinzip der Freiwilligkeit abweichende Vorschläge würden letztlich »das Konzept von CSR selbst« ›verkennen‹ (BDA 2013b: 2). »Der Wesenskern der gesellschaftlichen Verantwortung der Unternehmen […] [sei] die Freiwilligkeit ihres Engagements.« (BDA 2013b: 8, eigene Hervorhebung, N.L.) Diese Verbindungen sind in der dritten Phase des Diskurses bereits derart in den Sprachgebrauch der Akteure übergegangen, dass Formulierun-
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gen wie das oben genannte »Verantwortung muss freiwillig und effizient bleiben« (Econsense 2010a) oder Sätze wie »Regulierung von CSR verhindert innovatives Engagement« (DIHK/IHK 2012: 5) als »shortcuts« (Hirschman 1984) für sich stehen können, d.h. als anerkannte Aussagen keinerlei Erläuterung mehr bedürfen. Nicht zuletzt sind es auch die von den wirtschaftlichen Akteuren zu Beginn der zweiten Phase eingeführten Verantwortungskriterien der ›Effizienz‹ und ›Innovativität‹, die als nicht infrage zu stellende Maßstäbe in den alltäglichen Sprachgebrauch der Akteure eingeflossen sind. Zusätzlich zu den zuvor beschriebenen von allen drei Akteursgruppen gemeinsam artikulierten Motiven reproduzieren wirtschaftliche und staatliche Akteure gemeinsam »Win-win-Motive«, die von Gewerkschaften nur sehr selten artikuliert werden (Ausnahmen z.B. DGB in BMAS 2009: 12, 26; HBS 2009: 1). Staatliche und wirtschaftliche Akteure hingegen sind sich einig, dass die »wichtigste Botschaft lautet: Wenn Unternehmen gesellschaftliche Verantwortung übernehmen, lohnt sich das für alle« (BMAS 2010a: 6). Allgemeiner Tenor ist hier folglich, dass »gesellschaftliches Engagement […] sowohl der Gesellschaft als auch den Unternehmen [nütze]« (DIHK/IHK 2012: 5, 16, eigene Hervorhebung, N.L.). Econsense etwa schreibt von »intelligenten win-win-Projekten« und meint damit die gleichzeitige Verfolgung gesellschaftlicher und ökonomischer Ziele; »CSR« schaffe somit Vorteile für die Unternehmen, gereiche aber auch »zum Vorteil vieler Stakeholder und der Gesellschaft als Ganzer« (Econsense 2010b: 5). Mögliche Konflikte zwischen gesellschaftlichen, ökologischen und ökonomischen Zielen oder zwischen Ethik und Profit werden dabei nicht nur regelmäßig ausgeblendet, sondern explizit als »Irrtum« abgetan, frei nach dem Motto: »Wirtschaft und Ethik – kein Widerspruch!« (BDA 2014a: 1, 2013a: 1). Vonseiten staatlicher Akteure wird unternehmerische Verantwortung weiterhin auch als »Strategie« dargestellt – eine Artikulation, die von Wirtschaftsakteuren kaum (Ausnahmen z.B. BDA 2011a: 34; Econsense 2011b: 3) und von den Gewerkschaften gar nicht vorgebracht wird. Staatliche Akteure hingegen verstehen »CSR« als »ein strategisches Konzept«, mit dem »Großkonzerne ebenso wie kleine und mittlere Unternehmen […] neue Potenziale für die Unternehmensentwicklung und für ihre Wertschöpfung erschließen« könnten (BMU 2009: 3). Dazu sei »CSR« nicht nur strategisch umzusetzen (BMAS 2012: 34-35), sondern »CSR strategisch in das Geschäftskonzept zu verankern«, d.h. ins »Kerngeschäft« zu integrieren (BMAS 2010a: 14). Warum halten die Akteure am etablierten Mainstream fest? Grund für diese fortgesetzte Reproduktion, das Festhalten an der Führerschaft des »Business Case for CSR«, scheint zu sein, dass der auch in der zweiten Phase wirksame Mechanismus der adaptiven Erwartung sich fortzusetzen scheint. Es zeigt sich, dass der »Business Case for CSR« weiterhin als Einschreibefläche für die Erwartungen der Akteure dient. Für staatliche Akteure verbindet sich mit dem »Business Case for CSR«
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weiterhin die Erwartung, unternehmerische Verantwortung zu verbreiten und damit zugleich die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen sowie des Standorts Deutschland weiter auszubauen. Ziel des CSR-Aktionsplans sei es beispielsweise, »einen Bewusstseinswandel dahingehend herbeizuführen, dass CSR sich für Unternehmen und Gesellschaft lohnt. Denn CSR bietet für Deutschland die Chance, sowohl die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen nachhaltig zu stärken, als auch Antworten auf gesellschaftliche Herausforderungen zu finden, die durch politische Maßnahmen allein nicht zu erreichen wären.« (BMAS 2010a: 10)
Weiterhin wird dabei das Bild von allein durch den guten Willen der Unternehmen zu meisternden Herausforderungen gemalt und davon ausgehend das Zurückgreifen auf instrumentelle Motive als einzigem Anreiz unternehmerischer Verantwortung bestätigt: »Gerade mit dieser positiven Wettbewerbswirkung könnten weitere Unternehmen überzeugt werden, über das gesetzlich erforderliche Maß hinaus gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen.« (BMAS 2010a: 13; ähnlich BMU 2012b: 5-7, eigene Hervorhebung, N.L.)
Nicht nur auf einzelwirtschaftlicher Ebene wirke sich »CSR« positiv aus. Ebenso wird deutlich, dass die Beförderung von »CSR« auch im Eigeninteresse der staatlichen Akteure liege, »[e]in positives Bild der deutschen Sozialen Marktwirtschaft im Ausland zu fördern und gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen sowie die Nachhaltigkeit von Produktionsabläufen und Produkten zu betonen, damit Deutschland im globalen Wettbewerb um qualifizierte Fachkräfte, Investitionen und Marktanteile gestärkt wird« (BMAS 2010a: 18). Neben Wettbewerbsvorteilen für das einzelne Unternehmen werden somit auch volkswirtschaftliche Wettbewerbsvorteile hervorgehoben: »Die Gestaltung der Rahmenbedingungen durch die Politik, die von Unternehmen oft als reiner Kostenfaktor angesehen wird, wirkt sich ökonomisch meist positiv aus. So hat die Initiierung von Modernisierungsprozessen überwiegend vorteilhafte Folgen für die Volkswirtschaft und verbessert die internationalen Wettbewerbschancen auf zukünftig wachsenden ›grünen‹ Märkten für Umwelttechnologien.« (BMU 2012b: 10)
Wirtschaftliche Akteure scheinen im »Business Case for CSR« weiterhin eine Möglichkeit zu sehen, den an sie gerichteten Forderungen gerecht zu werden, ohne sich dabei von regulierenden Maßnahmen in ihrer Handlungsfreiheit eingeschränkt oder sich von möglichen Kosten belastet zu sehen. Dabei wird heute das »Ob« unter-
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nehmerischer Verantwortung von den Wirtschaftsakteuren kaum mehr infrage,17 weiterhin aber in Abhängigkeit des Marktes und damit nicht zuletzt in den Autonomiebereich der Unternehmen gestellt: »Die Wirtschaft ist bereit, zusätzliche Verantwortung zu übernehmen, soweit es nach ihrer eigenen Einschätzung Markt und Wettbewerb ermöglichen.« (Econsense 2010b: 6; ähnlich BDA 2013b: 1; BDI 2013: 1) »Aufgabe der Unternehmen und Grundlage ihres Engagements ist in erster Linie die langfristige Sicherung der eigenen Wirtschaftlichkeit im globalen Wettbewerb. Die vier Spitzenverbände unterstützen, dass sich Unternehmen zu ihrer wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Verantwortung im Kerngeschäft bekennen und danach handeln.« (BDI et al. 2011: 2; DIHK/IHK 2012: 5)
Unter Verweis auf das ›gemeinsame Ziel‹ der unternehmerischen Verantwortung wird die Ablehnung weitergehender Verantwortungsforderungen für die Akteure artikulierbar. Und auch die Gewerkschaften scheinen, trotz ihrer Skepsis, auch die Beteiligung am unter den instrumentell-voluntaristischen Vorzeichen geführten »CSR«Diskurs auch weiterhin mit »Hoffnungen und Erwartungen« zu verbinden (DGB 2012c: 306). Weiterhin wird die Beteiligung beispielsweise mit der Ausweitung der »Handlungsmöglichkeiten jenseits der institutionellen Grenzen des Betriebsverfassungsgesetzes« begründet sowie die Möglichkeit der Mitsprache in nichtmitbestimmungspflichtigen Aspekten wie der Innovationspolitik, dem Risikomanagement oder der Compliance betont (DGB 2012c: 307). Und weiterhin wird die eigene Beteiligung auch daher als wichtig erachtet, um anderen Akteuren nicht das Feld zu überlassen oder um eine Wächterfunktion hinsichtlich betrieblicher »CSR«Programme wahrzunehmen (u.a. DGB 2013b: 9, 2012a: 3, 2012b: 3). Nicht zuletzt wird die Beteiligung von Arbeitnehmerinnenvertreterinnen und Gewerkschaften zum grundlegenden Maßstab der Auseinandersetzung überhaupt:
17 Eine Ausnahme bildet ein Text der Spitzenverbände der Wirtschaft, in dem es mit Blick auf die »CSR«-Berichterstattung ausdrücklich heißt: »Die Unternehmen engagieren sich freiwillig auf unterschiedlichsten Gebieten – folglich sollte auch das ›ob‹ und das ›wie‹ der Information darüber freiwillig bleiben.« (BDI et al. 2011: 2) In ähnlicher Weise heißt es an anderer Stelle: »Was ökonomisch unvertretbar ist, kann nicht moralische Pflicht sein: Betriebswirtschaftlich unverantwortliche Entscheidungen können ein Unternehmen gefährden.« (BDA 2013a: 1)
322 | I NSTRUMENTALISIERTE V ERANTWORTUNG? »Eine Debatte um den Umfang und die Folgen von CSR macht für die deutschen Gewerkschaften deshalb nur Sinn, wenn Mitbestimmung und Partizipation der Arbeitnehmerschaft und Gewerkschaften wesentliche Strukturelemente darstellen.« (DGB 2012a: 2)
Trotz der Kritik scheint das aktuelle instrumentell-voluntaristische Verständnis auch für die Gewerkschaften folglich immer noch mit Hoffnungen verknüpft. Zudem zeigt sich, im Einklang mit den oben ausgeführten Gründen, dass es den Akteuren für die Beförderung eigener Forderungen auch weiterhin notwendig erscheint, die ehemals von ihnen abgelehnte instrumentell-voluntaristische Position zu übernehmen. Die eigenen Forderungen werden beispielsweise mit instrumentellen Motiven überformt, in diese ›verpackt‹. Die Argumente des »Business Case for CSR« werden dabei zur Einschreibefläche auch für traditionelle gewerkschaftliche Forderungen wie Standardisierung und Vergleichbarkeit: »Der DGB wird sich für vereinheitlichte, überprüfbare CSR-Standards einsetzen. Nur eine Standardisierung eröffnet denjenigen Unternehmen Wettbewerbsvorteile, die auch gesellschaftlich verantwortungsbewusst handeln, nur eine Vergleichbarkeit erleichtert Verbraucherinnen und Verbrauchern ihre Kaufentscheidung.« (DGB 2012a: 2, 8)
Die eigenen Forderungen – Standardisierung, Überprüfbarkeit, Vergleichbarkeit – werden mit den Argumenten des »Business Case for CSR« verbunden und zur Beförderung der eigenen Anliegen genutzt. Während das instrumentellvoluntaristische Verantwortungsverständnis von wirtschaftlichen und staatlichen Akteuren vollends unterstützt wird und sie insgesamt häufiger auf den »Business Case for CSR« rekurrieren, nehmen die gewerkschaftlichen Akteure ihn eher billigend in Kauf und verleihen dort, wo es für die eigenen Forderungen sinnvoll erscheint, diesen mithilfe instrumentell-voluntaristischer Motive Nachdruck. Die Übereinkunft mit der Nationalen CSR-Strategie beruht aufseiten gewerkschaftlicher Akteure folglich nicht allein auf positiver Zustimmung, sondern ist vielmehr von einer Position der kritischen Kollaboration getragen. Diese ist gekennzeichnet durch den Versuch, die eigene ›skeptische‹ Position nicht vollends aufzugeben – man stehe »CSR« heute »skeptisch, aber nicht ablehnend« gegenüber, wie es in den jüngeren Texten heißt (Thannisch 2012, Hexel 2011)18, und nicht zuletzt ist man immer noch formales Mitglied von CorA –, zugleich aber Teil des als relevant erachteten »CSR«-Diskurses zu bleiben. Trotz der anhaltenden Skepsis geht, wie oben gezeigt, mit der Zustimmung zum ›gemeinsamen Verständnis von CSR in Deutschland‹ und den Empfehlungen an die Bundesregierung, der instru18 Die Skepsis zeigt sich beispielsweise auch, wenn Betriebsräte davor gewarnt werden, sich mit oberflächlichen Zusagen abspeisen zu lassen oder wenn geraten wird, einen kritischen Blick auf »CSR« zu bewahren (Thannisch DGB 2010: 17; 2011b).
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mentell-voluntaristische Charakter von »CSR« in den Sprachgebrauch auch der Gewerkschaften über und scheint hier ebenfalls als gegebene Realität angesehen zu werden. Ebenso wenig wie diese Haltung eine Form der überzeugten Zustimmung ist, erfolgt aus ihr eine klare Ablehnung des im Mainstream Beförderten oder gar eine Aufkündigung des im Nationalen CSR-Forum erarbeiteten ›Konsens‹. Nicht zuletzt würde eine grundsätzliche Kritik am Nationalen CSR-Aktionsplan die eigene Entscheidung infrage stellen und somit die eigene Position schwächen. Eine Opposition erscheint den Akteuren vor dem Hintergrund der Zustimmung zum ›Konsens‹ nur schwer artikulierbar, die Akteure sind »entrapped in the system’s dynamics« (Sydow et al. 2009: 691). Einmal ›gefangen‹, erscheinen abweichende Artikulationen oder gar Kritik am Status quo weit entfernt, dessen Fortsetzen hingegen naheliegend. 6.2.2 Fortgesetzte Kritik und de facto Ausschluss kritischer Akteure Aufseiten der zivilgesellschaftlichen Akteure stellt sich das Nationale CSR-Forum, wie wir gesehen haben, als Scheidepunkt dar. Mit der Entscheidung gegen eine Beteiligung beharren CorA und der BUND auf ihrem kritischen Standpunkt, werden damit jedoch auch in eine nur mehr randständige Position verdrängt. Aufgrund der Prämissen des Nationalen CSR-Forums scheint es den sich klar kritisch positionierenden Akteuren nicht möglich unter Beibehaltung der eigenen Position daran teilzunehmen; sie wurden damit von den Verhandlungen und somit nicht zuletzt aus dem Kreis der »CSR«-Expertinnen und -Experten ausgeschlossen und werden heute weitgehend von der hegemonialen Diskurskoalition ignoriert. Die sich fortgesetzt kritisch artikulierenden Akteure sind damit de facto aus dem Diskurs ausgeschlossen. Nicht zuletzt haben sie durch die Kooptation der Gewerkschaften durch die wirtschaftlich-staatliche Diskurskoalition einen Koalitionspartner verloren und sehen sich auch dadurch in ihrer Position geschwächt. Das Fehlen einer deutlichen Opposition zum Status quo macht eine Veränderung umso unwahrscheinlicher. CorA behält auch in den Jahren während der Arbeit des Nationalen CSRForums eine kritische Position bei und problematisiert sowohl die Empfehlungen des Nationalen CSR-Forums als auch die endgültige Strategie deutlich. Das »magere Resultat« aus den Verhandlungen stoße »auf Kritik«, lasse sich aber aus der »Wahl der falschen Strategie, nämlich eines auf reiner Freiwilligkeit basierenden Ansatzes des CSR-Forums« erklären: »Das von der Bundesregierung eingesetzte CSR-Forum setzt auf Freiwilligkeit und Dialog, der Staat selbst spielt nur die Rolle des Moderators.« (CorA 2009b: 1) Bis heute kritisiert CorA den als (zu) passiv wahrgenommenen Staat und fordert weiterhin gesetzliche Vorgaben sowie verbindliche und sanktionsfähige Maßnahmen (siehe etwa CorA 2009b, 2011, 2013a,
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2014). Regierungen seien gefordert, »Sorgfaltspflichten für Unternehmen gesetzlich vorzuschreiben, so dass sie für Betroffene einklagbar werden« (CorA 2013c: 2). Auch instrumentelle Argumente stehen weiterhin in der Kritik. Dabei greifen die zivilgesellschaftlichen Akteure unter anderem das insbesondere durch staatliche Akteure verstärkt artikulierte Risikomotiv auf. Deutliche Kritik wird in jüngster Zeit etwa am dabei zugrunde gelegten Risikoverständnis geübt. So müsse das Risikoverständnis der Unternehmen in Zukunft sowohl die Risiken für die eigene Geschäftstätigkeit umfassen, aber – in Anlehnung an die neue »CSR«-Definition der Europäischen Kommission – auch die Risiken, »die erst durch die Unternehmenstätigkeit entstehen und die sich negativ auf Umwelt und Gesellschaft auswirken«, einschließen (CorA 2013a: 2). »Risiken umfassen nicht nur die finanziellen Risiken für das Unternehmen, sondern auch die sozialen und ökologischen Risiken der Unternehmenstätigkeit und deren tatsächliche gesellschaftliche Auswirkungen. Der Risikobegriff muss entsprechend angepasst werden.« (CorA 2013a: 1) CorA nimmt mit dieser Kritik direkt Bezug auf die aktuellen Entwicklungen des MainstreamDiskurses und artikuliert nicht zuletzt mit dem Begriff der »Corporate Accountability« alternative Verantwortungskonzeptionen. Die von CorA geäußerte Kritik scheint in ihrem Einfluss auf die anderen am Diskurs beteiligten Akteure jedoch begrenzt. Kann die marginale Rolle auch durch die weitgehend ehrenamtlich durchgeführte Arbeit der beteiligten Organisationen beeinflusst sein und mit der damit einhergehenden Ressourcenbegrenzung zusammenhängen, so sprechen die hohe Frequenz der Veröffentlichungen und Veranstaltungen sowie die ausgeprägte Vernetzung der Organisation eher für das Scheitern des Versuchs einer Einflussnahme auf den (vor allem vom Nationalen CSR-Forum und seinen Mitgliedern beeinflussten) »CSR«-Diskurs. Innerhalb der Publikationen anderer am Diskurs beteiligter Akteure spielt das Netzwerk keine relevante Rolle mehr. Vielmehr scheinen sowohl die Entscheidung gegen die Beteiligung am Forum als auch die geäußerte Kritik im weiteren Verlauf der Arbeit des Forums ignoriert zu werden. Im Zuge der Verabschiedung der Empfehlungen an die Bundesregierung durch das Nationale CSRForum wird weder auf die explizite und begründete Nicht-Beteiligung von CorA Bezug genommen, noch die Position dieser Gruppe in die Verhandlungen eingebracht. Vielmehr wird der »breite Konsens« unter »Beteiligung aller befassten Akteurinnen und Akteure sowie gesellschaftlichen Gruppen« als »Erfolg« hervorgehoben (BMAS 2010a: 5, 11). Auch finden sich heute keine Bezugnahmen zum Netzwerk selbst oder dessen Forderungen in den Veröffentlichungen der anderen Diskursteilnehmer mehr. Die ›Einigung‹ im Nationalen CSR-Forum scheint das bis dahin empfundene Bedrohungsszenario einer Diskursveränderung für die wirtschaftliche und staatliche Akteure weitgehend entkräftet zu haben, was sich unter anderem daran zeigt, dass heute nur mehr die Veränderungen auf Europäischer Ebene ablehnend adressiert
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werden.19 Deutsche Akteure hingegen werden innerhalb dieser Abgrenzungsversuche nicht mehr adressiert, von ihnen scheint für den instrumentell-voluntaristischen Kurs heute keine Gefahr mehr auszugehen. Selbst kritische Referenzen auf die Papiere von CorA seitens des diskursiven Mainstreams bleiben aus. Bedroht fühlen sich die Akteure hingegen durch die bereits angesprochene neue »CSR«-Strategie der Europäischen Kommission aus dem Jahre 2011 sowie durch die Vorschläge hinsichtlich verpflichtender nicht-finanzieller Berichterstattung im Jahr 2013.
6.3 V ERTEIDIGUNG DES »B USINESS C ASE GEGEN W ANDELINITIATIVEN
FOR
CSR«
Während, wie vorstehend deutlich wurde, der »Business Case for CSR« von den Akteuren in dieser dritten Phase weiterhin reproduziert und damit als führendes Motivmuster stabil gehalten wird, zeigt sich die Stabilität der Führerschaft insbesondere auch an der Verteidigung des Status quo gegen extern initiierte Wandelinitiativen, die jeweils am Diskurs ›abzuprallen‹ scheinen und zu keiner Veränderung der stabilen Führerschaft des »Business Case for CSR« führen. Das Scheitern dieser Wandelinitiativen stellt – im Sinne der dritten Phase des Pfadprozesses (siehe Kapitel 3) – ein zweites Kriterium der Stabilität des »Business Case for CSR« dar. Zwei Wandelinitiativen gingen in den vergangenen Jahren von der Europäischen Kommission aus. Die erste Wandelinitiative ist eine im Jahr 2011 von der Kommission veröffentlichte »Neue CSR-Strategie«, die im Vergleich zu der zu Beginn des Jahrtausends veröffentlichten Strategie eine deutlich veränderte »CSR«-Definition enthält, die nicht nur die Reichweite unternehmerischer Verantwortung deutlich ausweitet – »CSR« wird von da an als »die Verantwortung von Unternehmen für ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft« definiert (EUK 2011: 7) –, sondern auch eine Abkehr von der Freiwilligkeit zumindest in Teilen anstrebt (6.3.1). Die zweite 19 Dass sich ein solches Bedrohungsszenario gerade für die Wirtschaftsakteure zuvor durchaus aufgetan hatte, wird deutlich in den von Econsense im Zuge des Nationalen CSRForum geäußerten Befürchtungen: »Die aktuelle CSR-Diskussion droht vom kreativen, innovativen und unternehmensspezifischen Ansatz abzukommen. Das Kreativitätspotenzial unternehmerischer CSR-Projekte wird zunehmend durch einen traditionellen PolitikDiskurs in Frage gestellt. Die Unternehmen stellen sich dieser Entwicklung zu Recht mit aller Kraft entgegen. […] Automatisch treten Regeln in Form von Guidelines und Standards für ein solches Verhalten in den Vordergrund: Forderungen nach Transparenz und Offenlegung der unternehmerischen Performance, ihrer Messbarkeit im Sinne von Überprüfbarkeit und ihrer Klassifizierung im Sinne von Gütesiegeln. Diese starren Regeln stehen dem Fortschritt, der sich bisher erfolgreich auf freiwilliger Basis entwickelt hat und implementiert wurde, entgegen.« (Econsense 2010b: 5)
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Wandelinitiative ist ein Vorschlag zur verbindlich geregelten nicht-finanziellen Berichterstattung, die im Jahr 2013 veröffentlicht wird, um dann – zu wesentlichen Teilen aufgrund des Widerstands deutscher Akteure – in stark abgeschwächter Form im Jahr 2014 vom EU-Parlament beschlossen zu werden (6.3.2). Beide Initiativen stellen deutliche Angriffe auf den Status quo dar, stoßen in Deutschland auf Ablehnung vonseiten wirtschaftlicher und staatlicher Akteure und werden mit deutlichen Verteidigungsversuchen des Bestehenden beantwortet. Sie sollen mitsamt der vom deutschen Diskurs ausgehenden Reaktionen nachfolgend dargestellt werden. 6.3.1 Gescheiterte Wandelinitiative 1 – Ablehnung der neuen CSR-Strategie der Europäischen Kommission Als die Europäische Kommission im Oktober 2011 eine »Neue CSR-Strategie« verabschiedet, wird dort – wie oben bereits skizziert – der freiwillige Charakter von »CSR« nicht mehr in den Vordergrund gestellt. Während das Papier der Europäischen Kommission weiterhin in Teilen auf freiwillige Maßnahmen setzt, werden deutlicher als in den vorangegangenen Stellungnahmen nun auch Regulierungs- und Koregulierungsprozesse vorgeschlagen (EUK 2011). Kinderman (2013: 11) schreibt dazu: »CSR is no longer voluntary; it is always there.« Auch werden mit der Formulierung, die Verantwortung der Unternehmen umfasse deren »Auswirkungen auf die Gesellschaft«, nicht nur die häufig negativen gesellschaftlichen Auswirkungen unternehmerischen Handelns anerkannt, sondern damit zugleich die Reichweite unternehmerischer Verantwortung über das in der ersten CSRDefinition der Kommission bestimmte Maß ausgeweitet. Von allen deutschen Akteuren wird die neue CSR-Strategie als deutliche »Abkehr« (BR 2011: 3) vom bislang Bestehenden wahrgenommen. Die Wirtschaftsakteure erleben gerade das Abweichen von der Betonung der Freiwilligkeit als einen »fundamentale[n] Paradigmenwechsel«, der »weg vom Grundprinzip der Freiwilligkeit hin zu einer etatistischen Regulierung von unternehmerischem Engagement« führe (BDI et al. 2011: 6; auch DIHK/IHK 2012: 12, eigene Hervorhebung, N.L.). »Der Schwerpunkt der Kommissionsmitteilung lieg[e] nicht mehr auf praxisorientierter Sensibilisierung, Unterstützung und dem Erfahrungsaustausch, sondern auf bürokratischen Vorgaben und Verpflichtungen.« (BDI et al. 2011: 6)20 CorA kom20 DIHK und IHK schreiben gar: »EU-Kommission zieht Regulierungsschraube an« und führen aus: »In dieser aktuellen Mitteilung vollzieht die EU einen Paradigmenwechsel. So hieß es im Grünbuch von 2001 noch: ›Soziale Verantwortung der Unternehmen ist ein Konzept, das den Unternehmen als Grundlage dient, um auf freiwilliger Basis soziale und ökologische Belange in ihre Unternehmenstätigkeit und ihre Beziehungen zu den Stakeholdern (interessierte Kreise) zu integrieren.‹ In der neuen Mitteilung wird CSR sehr pau-
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mentiert (2012a: 5), die Europäische Kommission habe »nach zehn Jahren die definitorische Bindung von Corporate Social Responsibility (CSR) an das Prinzip der Freiwilligkeit aufgegeben«. Die Gewerkschaften sind der Meinung, dass die neue CSR-Definition »deutlich über die frühere Definition hinaus[gehe]« (DGB 2012c: 309, eigene Hervorhebung, N.L.), indem vom bisherigen »Dogma der alleinigen Freiwilligkeit abgewichen« würde und »die Anforderung der Einhaltung von geltenden Rechtsvorschriften und Tarifverträgen als Voraussetzung für verantwortliches Handeln« klar herausgestellt sei (DGB 2012a: 2). Auch sie schreiben der neuen Strategie deshalb eine »besonders herausgehobene Bedeutung« zu (DGB 2012c: 309). Während Gewerkschaften und NGOs diesen »Paradigmenwechsel« eher begrüßen (z.B. CorA 2012a; DGB 2012c), wird er von wirtschaftlichen und staatlichen Akteuren deutlich abgelehnt. Der DGB etwa »begrüßt« die im 2011er Papier der Europäischen Kommission angestellten Überlegungen zu einer Ausweitung verpflichtender Maßnahmen und spricht sich nun wieder deutlicher für einen gesetzlichen Rahmen aus (DGB 2012a: 7-8, 11). Die dabei getroffene Unterscheidung in freiwillige »CSR« und gesetzliche Maßnahmen erlaubt jedoch weiterhin, die nahezu inhärente Verknüpfung von Freiwilligkeit und »CSR« zu billigen. Für die kommenden Jahre entwickelt der DGB die folgende Haltung zur Frage der Freiwilligkeit: »CSR kann über gesetzliche Regelungen hinaus den Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ergänzen, dies setzt jedoch den Nachweis der Rechtskonformität als Mindestanforderung voraus. Freiwillige CSR-Konzepte können nationale, europäische und internationale Rechtsvorschriften und Tarifvereinbarungen ergänzen, sie aber auch in Zukunft niemals ersetzen. Außerdem darf die Weiterentwicklung und der Ausbau gesetzlicher und tarifvertraglicher Standards nicht behindert werden.« (DGB 2012a: 1; 2012b: 1)
Diese Haltung erlaubt es den Gewerkschaften bei gleichzeitiger Forderung verpflichtender Standards, Teil des auf Freiwilligkeit basierenden »CSR«-Diskurses zu bleiben. Obwohl der Vorschlag vonseiten der Europäischen Kommission einen wichtigen Beförderer der Position zivilgesellschaftlicher Akteure bilden könnte – unterstützt sie doch erstmals viele ihrer (ehemaligen) Forderungen und bringt auch die Gemeinsamkeiten von NGOs und Gewerkschaften wieder vermehrt auf den Plan –, schal und weitreichend als ›die Verantwortung von Unternehmen für ihre Auswirkung auf die Gesellschaft‹ erklärt. Gleichzeitig fehlt in der CSR-Beschreibung ein wesentliches Element der bisherigen EU-CSR-Politik, die Freiwilligkeit. Zudem sollen Regulierungen – wie eine verpflichtende Berichterstattung und Monitoring von Unternehmen – eingeführt werden.« (DIHK/IHK 2012: 12, eigene Hervorhebung, N.L.)
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erscheint es gerade den Gewerkschaften nicht möglich, diesen »Rückenwind für die gewerkschaftliche CSR-Politik« zu nutzen (z.B. DGB 2012a: 9-10; 2012c: 310) bzw. eine Umsetzung in die deutsche CSR-Politik als unwahrscheinlich erlebt zu werden: Die neue EU-Mitteilung könne zwar »eine wichtige Argumentations- und Handlungsgrundlage für Arbeitnehmervertreter und Gewerkschaften bieten, um ihre Ansprüche an die soziale und ökologische Verantwortung von Unternehmen umzusetzen. Fraglich ist jedoch, ob dieser ›Rückenwind‹ aus der internationalen und vor allem europäischen Debatte auch zu einer Überarbeitung der CSR-Politik der Bundesregierung führen wird.« (DGB 2012c: 310)
Vor dem Hintergrund der wahrgenommenen Unwahrscheinlichkeit einer Veränderung setzen die Gewerkschaften ihren Kurs der pragmatischen Kollaboration fort. Auch weiterhin heißt es also: »Solange ein internationales Regelwerk und zugehörige Überprüfungsmechanismen fehlen, sind DGB und Gewerkschaften weiterhin bereit, den konsensualen Weg des Dialogs innerhalb der CSR-Debatte weiterzugehen und über pragmatische Wege diejenigen Unternehmen zu unterstützen, die soziale und ökologische Mindeststandards garantieren wollen.« (DGB 2012b: 1; ähnlich DGB 2012c: 308, eigene Hervorhebung, N.L.)
Ein Weg der die Unterstützung des ›Konsens‹ durch die Gewerkschaften – trotz Kritik – auch weiterhin zusichert. Wirtschaftliche und staatliche Akteure hingegen lehnen den Kurswechsel der Europäischen Kommission deutlich ab. An der Ablehnung zeigt sich, auch und gerade im Vergleich zu Akteuren anderer europäischer Länder, die außerordentlich starke Beharrung wirtschaftlicher und staatlicher Akteure auf dem Status quo. Vonseiten wirtschaftlicher Akteure heißt es zur neuen CSR-Strategie der Europäischen Kommission zunächst noch zustimmend, man »befürworte[] insbesondere den Plan, Orientierungshilfen für kleine und mittlere Unternehmen zur unternehmerischen Verantwortung für Menschenrechte zu erarbeiten, Bildungs- und Ausbildungsprojekte im Bereich CSR im Rahmen der EU-Programme ›Lebenslanges Lernen‹ und ›Jugend in Aktion‹ weiter finanziell zu fördern und die Ankündigung, ab dem Jahr 2012 EU-Preise zur Auszeichnung von CSR Partnerschaften zwischen Unternehmen und anderen Stakeholdern zu vergeben« (BDI et al. 2011: 1),
so wird davon ausgehend vor allem der »Grundsatz der Freiwilligkeit« verteidigt. Dementsprechend lautet es in der Stellungnahme zur neuen »CSR«-Strategie der Europäischen Kommission weiter:
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»Allerdings konterkariert die EU-Kommission diesen praxisorientierten Ansatz in der Mitteilung durch eine Vielzahl von Ankündigungen, die dem freiwilligen Charakter von CSR widersprechen, die Vielfalt von CSR gefährden und zu neuen bürokratischen Regulierungen führen.« (BDI et al. 2011: 1)
Jeweils unter Verweis auf das ›gemeinsame Ziel‹ unternehmerischer Verantwortung werden weitergehende Forderungen abgelehnt. Zwar würden die Spitzenverbände die Wahrnehmung der »wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Verantwortung im Kerngeschäft« unterstützen, dies sei »aber eine freiwillige und zusätzliche Leistung der Unternehmen, die über die Einhaltung der Gesetze hinausgeh[e]« – Unternehmen könnten dabei »staatliches Handeln ergänzen, aber nicht ersetzen« (BDI et al. 2011: 2; ebenso BDA 2011a: 5; DIHK/IHK 2012: 5, 6).21 Gerade vor dem Hintergrund des »sehr erfolgreich[en]«, »auf Erfahrungsaustausch und Freiwilligkeit basierenden Ansatz[es]« der Europäischen Kommission sei es »daher unverständlich, dass die EU-Kommission diesen Weg verlässt und damit ihren eigenen Erfolg untergräbt« (BDI et al. 2011: 5). Folglich werde die Europäische Kommission nicht nur »ihrem Anspruch nicht gerecht, eine Strategie zur Förderung von CSR vorzulegen«, sondern »gefährde[] […] mit dem in der Mitteilung skizzierten Aktionsplan den großen Erfolg ihrer eigenen CSR Politik der letzten zehn Jahre« (BDI et al. 2011: 6; ähnlich DIHK/IHK 2012: 12). Dabei werden heute – ausgehend vom ›gesicherten Status‹ der Freiwilligkeit unternehmerischer Verantwortung – nun nicht mehr nur Gesetze abgelehnt, sondern auch Abneigung gegenüber weichen Regelungen, wie die oben genannten Guidelines und Standards, geäußert. Ausgehend von dieser Haltung sprechen die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft die Forderung an die Europäische Kommission aus, »den breiten politischen und gesellschaftlichen Konsens zur Freiwilligkeit von Corporate Social Responsibility auch weiterhin zu respektieren und den bewährten Kurs der vergangenen zehn Jahre en-
21 Interessant ist hierbei auch die spezifische Formulierung, »Unternehmen können staatliches Handeln ergänzen, aber nicht ersetzen« bzw. »unternehmerische CSR-Aktivitäten können die Verantwortung des Gesetzgebers jedoch nicht einfach ersetzen«, die ein Aufgreifen der gewerkschaftlichen Forderung darstellt, »CSR« könne die staatliche Regulierung ergänzen, dürfe sie aber niemals ersetzen (siehe Hexel in DGB 2005b: 2; DGB et al. 2005: 3; DGB 2009d: 4, 7). Während Gewerkschaften dabei auf die Befürchtung eines Aufweichens verbindlicher Regulierung verweisen, zielen die wirtschaftlichen Akteure auf eine klare Begrenzung ihrer Verantwortung ab. Beim BDA heißt es in Ergänzung dieses Satzes: »Es ist in allererster Linie die Politik, die Menschenrechte und die grundlegenden Sozial- und Umweltstandards um- und durchsetzen muss. Die Verantwortung der Unternehmen muss daher klar zu der der Politik abgegrenzt und von überzogenen Erwartungen befreit werden.« (BDA 2011a: 7-8)
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gagiert und konstruktiv fortzusetzen.« (BDI et al. 2011: 6-7) Insbesondere der BDA sieht es dabei als eine seiner Aufgaben im Rahmen von »CSR«, »sich gegenüber der nationalen Politik wie auch bei internationalen Organisationen (Europäische Kommission, OECD, Internationale Arbeitsorganisation, Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen) dafür ein[zusetzen], dass der freiwillige Charakter von CSR erhalten bleibt und Unternehmen die Möglichkeit haben, die jeweils besten CSR-Ansätze entwickeln und umsetzen zu können. Denn Art und Ausprägung des Engagements ist [sic] abhängig von seiner Größe sowie der Branche und den Märkten, in denen es operiert. Vielfältigkeit und Freiwilligkeit sind die zentralen Prinzipien von CSR.« (BDA 2011a: 5; ähnlich BDA 2011b: 20)
In dieser am Status quo festhaltenden Position sehen sich die Wirtschaftsakteure durch die Bundesregierung unterstützt. Während andere Länder ihre Nationalen CSR-Strategien am neuen »CSR«-Verständnis der Europäischen Kommission ausrichten, ihre Aktionspläne überarbeiten, die neue »CSR«-Definition der Kommission übernehmen und vom freiwilligen Charakter von »CSR« zumindest in Teilen abrücken (siehe z.B. Vallentin 2013 für Dänemark), verharrt die deutsche Bundesregierung auf der bestehenden Konzeption von »CSR« und lehnt Schritte der Regulierung bis heute vehement ab. In ihrem Kommentar zur neuen EU-CSR-Strategie geht es der Bundesregierung fast ausschließlich um die Beibehaltung der Freiwilligkeit (BR 2011). Erneut ist hier vom »Grundsatz der Freiwilligkeit« bzw. vom »Prinzip der Freiwilligkeit« die Rede (BR 2011: 2-3). Es heißt vonseiten der Bundesregierung – und dies hatte sie bereits im Jahr 2010 in einer schriftlichen Stellungnahme zum Entwurf der neuen EU-CSR-Strategie betont –, eine »Abkehr vom Prinzip der Freiwilligkeit [sei] mit dem in Deutschland praktizierten Verständnis von CSR nicht vereinbar«, dieses dürfe »nicht aufgeweicht werden« (BR 2011: 3). Eine Abkehr vom einmal verabschiedeten Konsens scheint für die staatlichen Akteure außerhalb des Denkbaren zu liegen. Es ist gar von der »Unmöglichkeit«, aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen über Regulierung zu begegnen, die Rede (BMU 2011: 12, eigene Hervorhebung, N.L.). Bis heute ist auch im Rahmen des Nationalen CSR-Forums, welches sich ebenfalls mit der neuen »CSR«-Strategie der Europäischen Kommission auseinandergesetzt hat (NCSRF 2012), kein Abweichen vom eingeschlagenen Weg der Freiwilligkeit abzusehen. Diese Argumentation aufseiten staatlicher und wirtschaftlicher Akteure macht deutlich, dass das einmal beschlossene, freiwillige Verständnis von »CSR« unhintergehbar, eine Abkehr davon nicht mehr denkbar scheint. Als legitimatorischer Bezugspunkt der Unmöglichkeit einer Abkehr vom Bestehenden dient den Akteuren der im Rahmen des Nationalen CSR-Forums erzielte ›gesellschaftliche Konsens‹. Immer wieder wird im Zuge der Beharrung auf den ›Konsens‹ und die darauf aufbauende Nationale CSR-Strategie verwiesen. Mit der
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neuen »CSR«-Definition ändere die Europäische Kommission »die bislang geltende Definition von CSR« (BDA 2013b: 2, eigene Hervorhebung, N.L.) und setze sich »über den Konsens aller relevanten Stakeholder zur Definition von CSR hinweg« (BDI et al. 2011: 5, eigene Hervorhebung, N.L.). Der »bisher gültige Grundsatz der Freiwilligkeit von Corporate Social Responsibility [sei] bereits das Ergebnis der unternehmerischen Praxis sowie langer Beratungen und Diskussionen in der EU und auch in Deutschland«, zudem sei es im »einvernehmlich beschlossenen gemeinsamen CSR-Verständnis des von der Bundesregierung eingesetzten Nationalen CSRForums verankert und lieg[e] auch dem vom Bundeskabinett verabschiedeten Nationalen Aktionsplan zu Grunde« (BDI et al. 2011: 6-7; ebenso BDA 2013b: 2, Hervorhebung, N.L.). Werde nun eine neue »angeblich ›moderne‹ Definition und Sichtweise von CSR vorgeschlagen«, so werde das »Vertrauen, das für die Motivierung und Stimulierung freiwilliger Aktionen erforderlich ist, in Frage gestellt« sowie die »Arbeit der Multistakeholderforen […] abgewertet und es […] [werde] unterstellt, das auf Freiwilligkeit basierende CSR Verständnis des Multistakeholderforums sei unmodern, also nicht mehr zeitgemäß« (BDI et al. 2011: 5-6). Der im Nationalen CSR-Forum vereinbarte Konsens wird hier zum Legitimationsgrund der Beharrung. Dies unterstreicht erstens die Bedeutung der gewerkschaftlichen ›Zustimmung‹ für die Stabilität der Führerschaft des »Business Case for CSR«. Zweitens wird deutlich, dass die Kritik der am Forum beteiligten zivilgesellschaftlichen Akteure hinter dem Fakt ihrer Beteiligung zurücktritt und damit weniger zur Veränderung als vielmehr zu Bestärkung des instrumentell-voluntaristischen Kurses geführt hat: Man kann sich nun auf einen ›einvernehmlich beschlossenen Konsens aller relevanten Stakeholder‹ beziehen. 6.3.2 Gescheiterte Wandelinitiative 2 – Vorschlag zur verpflichtenden nicht-finanziellen Berichterstattung von Unternehmen Dass die vorstehend beschriebene, scheinbar unmögliche Abkehr vom Status quo sich auch in den Folgejahren hält, wird deutlich, als es zwei Jahre nach Verabschiedung der neuen »CSR«-Strategie durch die Europäische Kommission darum geht, Offenlegungspflichten für Unternehmen einzuführen. Der Richtlinienvorschlag zur Offenlegung nicht-finanzieller und die Diversität betreffender Informationen22 (EuK 2013) zielt vornehmlich darauf ab, die Berichterstattung für europäische Unternehmen verpflichtend umzusetzen. Größere Unternehmern sollen demnach im 22 Es handelt sich um die »Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates im Hinblick auf die Offenlegung nichtfinanzieller und die Diversität betreffender Informationen durch bestimmte große Gesellschaften und Konzerne« (COM(2013) 207 final, hier als EuK 2013 zitiert).
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Lagebericht mindestens über Umwelt-, Sozial- und Arbeitnehmerbelange, die Achtung der Menschenrechte und die Bekämpfung von Korruption und Bestechung berichten. Der Vorschlag wird vonseiten der Europäischen Kommission zum einen aus den bisherigen Erfahrungen begründet, die gezeigt hätten, »dass in der EU nur eine begrenzte Zahl großer Gesellschaften regelmäßig nicht-finanzielle Informationen offenlegt und die Qualität der offengelegten Informationen stark variiert«, sowie mit dem Ziel, »EU-weit gleiche Spielregeln« zu gewährleisten sowie »die Kosten für Unternehmen, die in mehr als einem Mitgliedstaat tätig sind, einzudämmen und gleichzeitig einen leichteren und breiteren Zugang von Investoren zu zentralen zweckdienlichen Informationen sicherzustellen« (EuK 2013: 2-4). Die Verbesserung der Transparenz der Sozial- und Umweltberichterstattung der Unternehmen hatte bereits die neue »CSR«-Strategie der Kommission betont und dabei erste Überlegungen zur Berichtspflicht angestellt (EuK 2011), die im Richtlinienvorschlag nun wieder aufgegriffen und konkretisiert werden.23 Nach Veröffentlichung des Vorschlags wird vonseiten der Europäischen Kommission die Möglichkeit der Stellungnahme eingeräumt, von der vor allem Unternehmen und Wirtschaftsverbände Gebrauch machen. Im Jahr 2014 wird dann ein überarbeiteter Vorschlag veröffentlicht, dem wenig später vom Europäischen Parlament und dem Ausschluss der Mitgliedsstaaten zugestimmt wird.24 Deutschland enthält sich im Zuge dieser Abstimmung der Stimme. Insgesamt sind die Reaktionen der deutschen Akteure auf diesen Vorschlag ähnlich der zuvor beschriebenen: Gewerkschaften und NGOs begrüßen diesen Schritt weitgehend, während wirtschaftliche und staatliche Akteure ihn kategorisch ablehnen. Die Vehemenz der Abwehrhaltung hinsichtlich der vom in Deutschland bestehenden Status quo abweichenden Vorschläge zeigt abermals die Beharrung auf der Führerschaft des »Business Case for CSR«. Im Unterschied zur ersten Wandelinitiative gehen gerade die Reaktionen wirtschaftlicher und staatlicher Akteure nun jedoch deutlich weiter. Nicht nur wird die Umsetzung des Europäischen Vorschläge in die deutsche CSR-Politik bis heute verzögert, auch wird vonseiten wirtschaftlicher und staatlicher Akteure versucht, auf europäischer Ebene auf eine Abschwächung des Vorschlags hinzuwirken – ein Versuch der letztlich gelingt und in eine deutlich weniger umfangreiche Regelung mündet und sich damit der bisherigen deutschen Position annähert. Der Widerstand auf deutscher Seite gegen den Vorschlag wird durch die »industry-government coalition« angeführt, wie auch auf europäischer Ebene durchaus 23 Dem Prozess waren im Vorhinein bereits einige entsprechende Workshops und MultiStakeholder-Dialoge zum Thema Berichterstattung und Offenlegungspflichten vorausgegangen. 24 Die Umsetzung der darin geregelten Offenlegungspflicht in nationales Recht muss spätestens 2016 erfolgen, um ab dem Jahr 2017 anwendbar zu sein (EuK 2014b: 8).
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wahrgenommen wird (Bizzarri 2013: 2). Es heißt zur Mobilisierung der deutschen Akteure im Rahmen wirtschaftlichen »CSR«-Verbands Business Europe: »Business Europe’s position was quite moderate until the Germans mobilized, […] leading to EU insiders to characterize Germany’s reaction as ›virulent‹ and ›out of proportion compared to all other countries‹.« (Kinderman 2013: 14)25
Die deutsche Bundesregierung etwa lehnt den Vorschlag der Europäischen Kommission schlichtweg ab und wird sich später auch im Rahmen der Abstimmung des Ausschusses der Mitgliedsstaaten der Stimme enthalten. Bezüglich der Überlegungen zur verpflichtenden nicht-finanziellen Berichterstattung heißt es: »Die Bundesregierung spricht sich ausdrücklich gegen neue gesetzliche Berichtspflichten zu sozialen und ökologischen Informationen aus. […] Mit sehr großer Skepsis steht die deutsche Regierung auch dem von der Kommission angekündigten ›Koregulierungsprozess‹ gegenüber. Dieser darf nicht zu einer de-facto gesetzlichen Regelung werden. […] Das Prinzip der Freiwilligkeit muss auch hier gewahrt bleiben.« (BR 2011: 2-3, eigene Hervorhebung, N.L.)
Die Neuerungen von Europäischer Seite werden abgelehnt, da sie eine »Abkehr vom Prinzip der Freiwilligkeit bedeuten« würden und mit »erheblichem Bürokratieaufwand« verbunden wären (BR 2011: 2-3). Es heißt zudem: »[z]u strikte Vorgaben unterlaufen die Motivation für Selbstregulierung«, weshalb das »Prinzip der Freiwilligkeit […] auch hier gewahrt bleiben« müsse (BR 2011: 2-3). Doch auch und gerade deutsche Wirtschaftsverbände zeigen in Fortführung des Bisherigen eine »bemerkenswert liberal und voluntaristisch« ausgeprägte Haltung, die weit über die Äußerungen der Wirtschaftsverbände anderer Länder, etwa der der britischen Confederation of British Industry (CBI), hinausgeht (Kinderman 2015: 5) und der befürwortenden Position einiger europäischer Investorinnenverbände und Unternehmen sogar entgegensteht und auch hier auf wenig Verständnis trifft (dazu ECCJ in CorA 2014e: 3). Unter Verweis auf das ›gemeinsame Ziel‹ der Unternehmensverantwortung heißt es: zwar sei »Transparenz ein Kernanliegen der deutschen Industrie« (BDI 2013: 5, eigene Hervorhebung, N.L.), aufgrund der unterschiedlichen »CSR-relevanten unternehmensspezifischen Situationen« bedürfe es jedoch »unterschiedliche[r] CSR Maßnahmen und CSR-Ansätze« – hierzu benötigten »die Unternehmen Spielraum, um selber festzulegen, ob [!] und wie sie ihr gesellschaftliches Engagement kommunizieren« (BDA 2013b: 1; BDI 2013: 5). Ein »Ansatz der detaillierten gesetzlichen Festschreibung von Kriterien« sei weder »sinnvoll« noch »notwendig«, »da die Unternehmen bereits aus eigenem Interesse 25 Kinderman stützt diese Aussagen unter anderem mit Interviews, die er mit offiziellen Vertreterinnen der Europäischen Kommission geführt hat.
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in dem Umfang kommunizieren, wie es für sie wirklich hilfreich« sei (BDA 2013b: 2, eigene Hervorhebung, N.L.). Mit der geplanten EU-weiten Regulierung werde ein »massive[r] Eingriff in die Gestaltungsfreiheit von Unternehmen« vorgenommen und den Unternehmen damit die Möglichkeit genommen, »die jeweils angemessenen Formen von CSR und Berichterstattung über CSR selbst zu bestimmen« (BDA 2013b: 2). »CSR-Aktivitäten von Unternehmen im In- und Ausland sollten keinesfalls verpflichtend gemacht werden – weder direkt noch indirekt. […] Eine pauschale und umfassende Berichtspflicht lehnt der BDI aufgrund der sehr unterschiedlichen und unternehmensspezifischen Gegebenheiten ab.« (BDI 2013: 3, 8)
Man ist sich einig: die »Einführung von neuen gesetzlichen Berichterstattungspflichten im Rahmen des Richtlinienvorschlags zur Offenlegung von Informationen nichtfinanzieller Art und zu Diversity [sei] entschieden abzulehnen.« (BDA 2013b: 1; ebenso BDI 2013, eigene Hervorhebung, N.L.) Die verbindliche Regelung der Berichterstattung wird mit dem Argument abgelehnt, eine »›one-size-fits-all‹Lösung […] [gäbe] es weder für CSR-Maßnahmen selbst, noch für die Berichterstattung darüber« (BDA 2013b: 1). Den Glauben an den »Business Case for CSR« weiter bestätigend, heißt es, die von der Europäischen Kommission vorgeschlagene gesetzliche Berichterstattungspflicht sei »nicht nur ungeeignet«, die Wahrnehmung der Verantwortung durch die Unternehmen zu bewirken, sie sei »sogar kontraproduktiv« (BDA 2013b: 1; BDI 2013: 3, 10; ähnlich Econsense 2013). Auch hier wird auf das Nationale CSR-Forum als Bezugspunkt der Legitimation verwiesen. So heißt es, auch das »deutsche Multistakeholderforum zu CSR, in dem NGOs, Gewerkschaften, Wissenschaft und Wirtschaft vertreten sind, […] [habe] vorgeschlagen, keine Regulierung einzuführen« (BDA 2013b: 7; ähnlich BDA et al. 2014: 2-3). Gewerkschaften und NGOs begrüßen den Vorschlag der Europäischen Kommission hingegen und bewerten ihn als einen ›ersten Schritt in die richtige Richtung‹ (CorA 2013g: 5; DGB 2013a: 2). Insbesondere CorA stellt heraus, dass freiwillige Ansätze der Berichterstattung keine Alternative sein könnten, u.a. »da sie untereinander nicht vergleichbar« seien (CorA 2013b: 3), und drängt die Bundesregierung, den »Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Rechtsvorschrift über die Transparenz der sozialen und ökologischen Informationen konstruktiv voranzutreiben und diese bei Inkrafttreten zügig, effektiv […] in deutsches Recht umsetzen« (CorA 2013a: 4, 2013b: 3). Es müssten endlich effektive Durchsetzungsmechanismen inklusive Sanktionen eingeführt werden (CorA 2013b: 4). Des Weite-
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ren sei der »Gesetzesentwurf zu stärken, damit er sowohl für Mensch und Umwelt als auch für Unternehmen gleichermaßen von Vorteil ist« (CorA 2013f: 1).26 Im Gegensatz zu den Gewerkschaften kritisiert CorA dabei auch klar das Beharrungsverhalten der deutschen Bundesregierung, die sich »bisher als starke Bremserin in den Prozess eingebracht« hätte (CorA 2013d: 4, eigene Hervorhebung, N.L.). Bereits vor Abschluss des Konsultationsprozesses zum Vorschlag der Kommission, an dem wirtschaftliche und zivilgesellschaftliche Akteure teilgenommen hatten, hätten die Ministerien und das Bundeskanzleramt den Vorschlag abgelehnt (CorA 2013d: 4). Es bleibe zu hoffen, dass die »blockierende Haltung Deutschlands in der EU« sich bessere (CorA 2013d: 4, eigene Hervorhebung, N.L.). Um dies zu befördern, richtet sich CorA im Jahr 2014 gemeinsam mit anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen in einem offenen Brief an Kanzlerin Merkel und bittet sie, »sich auf EU-Ebene für die Einführung einer ausgewogenen unternehmerischen Transparenzpflicht einzusetzen« (CorA 2014a: 1). Es heißt: »Mit großer Sorge verfolgen wir die abwehrende Verhandlungslinie der Bundesregierung im EU-Ministerrat bei der Gestaltung der ›Richtlinie zur Einführung von Offenlegungspflichten von Unternehmen zu nicht-finanziellen Informationen‹. Diese Haltung führt dazu, dass von dem ursprünglichen Sinn und Zweck des Gesetzesvorschlags – nämlich Transparenz und gleiche Regeln für alle zu schaffen – nichts mehr übrig bleibt.« (CorA 2014a: 1, eigene Hervorhebung, N.L.)
Überraschend ist, dass auch CorA nun beginnt, zur Untermauerung der eigenen Forderungen auf Argumente des »Business Case for CSR« zu verweisen: »Diese Informationen sind auch für Verbraucherinnen und Verbraucher, die ihre Kaufentscheidung unter Nachhaltigkeitsaspekten treffen wollen, von höchster Bedeutung. […] Transparenz ist die Grundlage dafür, dass Unternehmen für Risiken, die von ihnen verursacht werden, auch Verantwortung übernehmen und dass Konsumenten ihre Kaufentscheidungen angemessen treffen können.« (CorA 2014a: 1-2)
Die Forderung der Transparenz wird hier als instrumentelles Motiv ›verpackt‹. Zivilgesellschaftliche Akteure scheinen sich – trotz aller Kritik – gezwungen zu sehen, zur Beförderung ihrer Forderungen auf den »Business Case for CSR« Bezug zu nehmen. 26 Gefordert werden u.a. konkretere Mindestanforderungen an die Berichterstattung, eine Festlegung des Berichtsstandards hinsichtlich der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, die Ausweitung der Berichtspflichten auf die gesamte Wertschöpfungskette sowie bessere Kontrollmechanismen und eine Verringerung der bislang vorgesehenen Ausnahmeregelungen (CorA 2013d: 4, ebenso 2013f, 2013g).
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Der überarbeitete Vorschlag der Europäischen Kommission wird im Februar 2014 veröffentlicht, im April 2014 stimmen EU-Parlament und der Ausschuss der Mitgliedsstaaten – unter Enthaltung der deutschen Stimme27 – zu und im Oktober 2014 schließlich tritt die Richtlinie in Kraft. Zu diesem Zeitpunkt ist das Papier insbesondere aufgrund des Drucks der deutschen Akteure derart abgeschwächt, dass es als »virtually meaningless« beschrieben wird (Bizzarri 2013: 2). Nicht nur ist über die Erhöhung der Größenschwelle betroffener Unternehmen auf über 500 Mitarbeiterinnen (anstatt wie vorher 250) die Anzahl der zu verpflichtenden Unternehmen von ca. 42.000 europäischen Unternehmen auf ca. 6.000 Unternehmen gesunken, auch sind zahlreiche Ausnahmeregeln vorgesehen, die diese Zahl – abhängig von der jeweiligen Umsetzung in nationales Recht – weiter senken wird. Darüber hinaus können die Unternehmen hinsichtlich des Berichtsstandards zwischen unterschiedlichen Rahmen (z.B. GRI, OECD etc.) wählen und sehen sich lediglich einer »comply or explain«-Regelung unterworfen – womit auch der Verpflichtungsgrad der Regelung erheblich aufgeweicht wurde. Die Vorschläge der Europäischen Kommission wurden im Verlaufe des Konsultations- und Überarbeitungsprozesses folglich nicht nur maßgeblich beschnitten, sondern wurden auch mit den Interessen der deutschen Wirtschafts- und Regierungsakteure in Einklang gebracht. Die Verteidigungshaltung deutscher Akteure, das zeigt diese zweite gescheiterte Wandelinitiative, schützt nicht nur den nationalen Status quo, sondern geht im Rahmen von Einflussversuchen auf die europäische Politik auch über die eigenen Landesgrenzen hinaus. Dass die Beharrungshaltung nicht nur aufseiten deutscher NGOs und der europäischen Nachbarländer auf Verwunderung stößt,28 sondern zumindest langfristig auch für die Akteure selbst von Nachteil sein kann, wird im Folgenden dargestellt.
27 Außer Deutschland enthält sich nur Spanien der Stimme, Estland stimmt als einziges Land gegen den Kompromissvorschlag, wenig später – im April 2014 – nimmt das Europaparlament den Kompromisstext mit großer Mehrheit mit 599 Ja-Stimmen und nur 55 Nein-Stimmen an. 28 Die ablehnende Position ist nicht nur im Vergleich zum willentlichen und nahezu allumfänglichen Aufgreifen der frühen Vorschläge der Europäischen Kommission zu Beginn der 2000er-Jahre beachtlich, sondern auch im Vergleich mit anderen europäischen Ländern überraschend deutlich. Während beispielsweise Frankreich sich sogar für eine Verschärfung des Richtlinienvorschlags der Europäischen Kommission einsetzt, verhält sich Großbritannien zumindest grundsätzlich kooperativ-positiv (Kinderman 2015). Auch Länder wie Dänemark und die Niederlande nehmen im Prozess der Verhandlung eine eher unterstützende Rolle ein (ECCJ, in CorA 2014e: 3).
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6.4 P OTENZIELLE P ROBLEMATIK DES S TATUS AM D ISKURS BETEILIGTEN AKTEURE
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QUO FÜR DIE
Was bedeutet die aktuelle Stabilität der Führerschaft des »Business Case for CSR« für die am Diskurs beteiligten Akteure? Der scheinbare Konsens der Akteure könnte den Eindruck vermitteln, die Entwicklung unternehmerischer Verantwortung in Deutschland sei als grundlegend positiv zu bewerten: Die Akteure haben sich nach jahrelangen Auseinandersetzungen um den Begriff unternehmerischer Verantwortung auf ein ›gemeinsames Verständnis‹ sowie eine Nationale CSR-Strategie verständigt, an der die Akteure ihr Handeln ausrichten können. Sowohl die Idee des Pfades als auch hegemonietheoretische Betrachtungen erlauben und erfordern es jedoch, auch die ›dunkle Seite‹ derartiger Entwicklungen zu betrachten. Die Entwicklung und Stabilisierung der Führerschaft des »Business Case for CSR« zu betrachten ist nur eine Seite der Medaille. Ebenso wichtig ist es, die potenziellen Nachteile der Beharrung in den Blick zunehmen (Sydow et al. 2009: 694-695), die – pfadtheoretisch als »potentielle Ineffizienz« gefasst (David 1985; Schreyögg et al. 2009; Sydow et al. 2009) – neben der Stabilität ein weiterer Indikator des Lock-ins sind (Schreyögg/Sydow 2011: 325). Wie in Kapitel 2 bereits angerissen, soll hier von ›potenzieller Problematik‹ gesprochen werden, um das Problematische dieses stabilen Zustands nicht auf das primär Ökonomische zu begrenzen. Im Wesentlichen entstehen potenzielle Nachteile aufgrund von Pfadabhängigkeit, wenn die Akteure sich aufgrund ihres Eingeschlossen-Seins neuen Anforderungen nicht anpassen können (Sydow et al. 2009: 695). Die Unfähigkeit, auf neue Anforderungen aus der Unternehmensumwelt zu reagieren, erscheint gerade mit Blick auf die unternehmerische Verantwortung als einer im Wesentlichen durch gesellschaftliche Erwartungen geprägten Idee (Hiß 2009b; Okoye 2009) besonders kritisch. Ändern sich diese Erwartungen und werden Forderungen an die Akteure gestellt, die mit einem instrumentell-voluntaristischen Verantwortungsbegriff nicht zu beantworten sind oder diesem gar entgegenstehen, ist es vor dem Hintergrund ihres aktuellen ›Gefangenseins‹ wahrscheinlich, dass die deutschen Akteure Schwierigkeiten haben werden, angemessen zu reagieren, was zu negativen Folgen auch für die am Status quo festhaltenden Akteure führen kann. Über die zuvor diskutierten Umweltveränderungen auf europäischer Ebene hinausgehende Anforderungen kündigen sich bereits an. Deren ›Clash‹ mit dem Status quo wäre im Rahmen zukünftiger Forschung jeweils näher zu untersuchen, sie legen jedoch nahe, dass es sich bei der stabilen Führerschaft des »Business Case for CSR« auch für die an seiner Inthronisierung beteiligen Akteure um eine problematische Entwicklung handelt.
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Eine derartige, sich bereits ankündigende neue Anforderung ist das aktuell (wieder) wichtiger werdende Thema der Menschenrechte in der Wirtschaft,29 welche mit einer allein instrumentell-voluntaristischen Motivation unternehmerischer Verantwortung kaum erfüllbar scheint. Das sowohl in den Menschenrechtskonventionen der Vereinten Nationen als auch in der Minimalethik der Menschenwürde gründende legale und moralische Anrecht auf die fundamentalen Menschenrechte (Donnelly 2013) fordert unternehmerisches Engagement häufig gerade dort, wo es sich nicht auszahlt, und verlangt damit ein Handeln auch außerhalb der ökonomischen Ratio (Wettstein 2008, 2009). Ein angemessenes Reagieren erscheint jedoch kaum möglich, solange diese und andere von der instrumentell-voluntaristischen Logik abweichende Anforderungen durch die eingeschlossenen Akteure weiterhin allein als abzuwehrendes Bedrohungsszenario wahrgenommen werden. Unter der z.B. vom BDA (2006: 4; 2013a: 1) vertretenen Maxime: »Was ökonomisch unvertretbar ist, kann nicht moralische Pflicht sein […]«, erscheint ein an vornehmlich moralischen Ansprüchen ausgerichtetes Handeln kaum möglich, die Umsetzung dieser neuen Anforderungen unwahrscheinlich. Deutlich zeichnet sich eine Veränderung von Erwartungen auch hinsichtlich der Freiwilligkeit von Unternehmensverantwortung ab. Wie wir gesehen haben, wird auf europäischer Ebene der Kurs der Freiwilligkeit bereits in Teilen wieder verlassen (Kinderman 2013; EuK 2011, 2013). Doch auch in Deutschland kommt eine Diskussion um Möglichkeiten der Unternehmenshaftung in Deutschland auf (dazu z.B. CorA 2015), die dem Grundsatz der Freiwilligkeit des deutschen Mainstreams diametral entgegensteht. Sind die deutschen Akteure aufgrund ihres Gefangenseins in der ›Freiwilligkeitsideologie‹ nicht in der Lage, sich diesen Entwicklungen anzupassen, werden sie sich erneut als »Nachzügler« einer fortschrittlichen Entwicklung darstellen.30 Das angestrebte Ziel einer »Vorreiterrolle« der deutschen Wirtschaft(spolitik) im Bereich Verantwortung und Nachhaltigkeit, wie es immer wieder unterstrichen wird (z.B. SRU 2001; 2012; BMU 2008b; BR 2012, dazu auch Trautner 2015), ist damit einmal mehr infrage gestellt. Nicht zuletzt läuft gerade die deutsche Politik Gefahr, den häufig bemühten Verweis auf die ›hohe Regulierungsdichte‹ im Umwelt- und Sozialbereich mit dem Beharren auf der Freiwilligkeit als längst vergangenen Mythos zu entlarven. Nicht umsonst wird bzw. kann vor dem Hintergrund der Entwicklungen der letzten Jahre häufig nur auf Gesetze aus den 29 Nicht nur sind von den Vereinten Nationen vor wenigen Jahren Leitprinzipien zur Umsetzung der Menschenrecht in der Wirtschaft verabschiedet worden, auch ist das Thema im Jahr 2013 mit der Katastrophe von Rana Plaza in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. 30 Bereits mit Blick auf die Beteiligung an der »CSR«-Bewegung wurde Deutschland häufig als »Nachzügler« dargestellt (Gond et al. 2011: 656; Habisch/Wegner 2004: 9-10; Habisch/Wegner 2005: 111, 121; Kinderman 2008: 1, 3, 8).
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1970er-Jahren verwiesen werden. Das BMU bemüht unter Rekurrenz auf die »hohe[n] umweltpolitische[n] Standards« Deutschlands etwa das Abfallbeseitigungsgesetz von 1972, das Bundesimmissionsschutzgesetz von 1974, das Benzinbleigesetz von 1971, die FCKW-Halon-Verbotsverordnung von 1981 und weiß als aktuellstes Gesetz dieser Art nur auf das Ablagerungsverbot unbehandelter Abfälle aus dem Jahr 2005 zu verweisen (BMU 2008a: 19). Exemplarisch für diese Lücke zwischen empfundener und tatsächlicher Regulierungsdichte ist auch das Scheitern der Verabschiedung eines einheitlichen Umweltgesetzbuches im Jahr 2009 bei fortgesetztem Verweis auf die hohen Umweltstandards in Deutschland (BMU 2009). Gerade mit Blick auf die wirtschaftlichen Akteure könnte vermutet werden, dass die Stabilisierung der instrumentell-voluntaristischen Perspektive eine für diese Akteure positive ist. Insbesondere Unternehmen und Wirtschaftsverbände haben, die »CSR«-Definition der Europäischen Kommission aufgreifend, das freiwillige und instrumentelle Verständnis unternehmerischer Verantwortung zu Beginn der zweiten Phase des Diskurses befördert. Der Diskurs scheint sich damit in eine für sie günstige Richtung entwickelt zu haben. Nehmen wir eine kritische Position ein, die die Rationalität wirtschaftlicher Akteure an ihren eigenen Maßstäben misst (zu dieser und anderer Formen der Kritik siehe Boltanski 2010: 28-35), so erweist sich die Beharrung wirtschaftlicher Akteure als kurzsichtig. Zu beachten ist etwa, dass sie – auch für das von ihnen erwartete und zur Voraussetzung für ihr Engagement erhobene Wirken des »Business Case for CSR« – auf ein Mindestmaß an Glaubwürdigkeit ihres Engagements angewiesen sind, welche durch einen eindimensionalen Fokus auf die Unternehmensinteressen kaum aufrechtzuerhalten sein dürfte. Kundinnen und Investorinnen werden auf Dauer nur dann die »CSR«-Programme der Unternehmen honorieren, wenn sich diese für sie als glaubwürdig darstellen. Glaubwürdigkeit ist für das Funktionieren eines »Market for Virtue« damit von Bedeutung (Vogel 2005). Dass (der Verlust von) Glaubwürdigkeit auch für die im Mainstream des deutschen Diskurses eingeschlossenen Akteure selbst von Relevanz ist, zeigt sich unter anderem an den im Rahmen des Nationalen CSR-Forums geführten Diskussionen, in denen als zentrales Ziel festgehalten wird, die »Glaubwürdigkeit und Sichtbarkeit von CSR« zu erhöhen (NCSRF 2010: 8, 11-14; auch NCSRF 2009: 2). Gerade große Unternehmen hatten die Forderung an eine Nationale CSR-Strategie gestellt, die Glaubwürdigkeit zu erhöhen und »das Misstrauen der (Zivil-)Gesellschaft gegenüber der Übernahme von Verantwortung durch Unternehmen zu verringern« (BMAS 2008: 62, 63). Die »medial und gesellschaftlich skeptischen Wahrnehmung von CSR« war von ihnen als »Hürde für ihr unternehmerisches Engagement« bezeichnet worden (BMAS 2008: 50). Während Glaubwürdigkeit von zivilgesellschaftlichen Akteure für notwendig erachtet wird, um »gelebte unternehmerische Verantwortung« von »geschickter PR« zu unterscheiden BMAS 2008: 52), wird sie von staatlichen und wirtschaftli-
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chen Akteuren als grundlegend für die Wirkkraft des »Business Case for CSR« gesehen: »Damit CSR in Deutschland vom Markt belohnt werden kann, ist die kritische Haltung bei Verbraucherinnen und Verbrauchern sowie in Teilen der Medien zu überwinden.« (BMAS 2008: 51, auch BMU 2007a: 14; Econsense/BDI 2014: 12; Econsense 2011b: 5; BDI/BDA 2011: 5)
Glaubwürdigkeit und Sichtbarkeit seien »wesentliche Voraussetzung dafür, dass die für das Unternehmen entscheidenden Zielgruppen – Verbraucherinnen und Verbraucher, Investorinnen und Investoren, aber auch potenzielle Stellenbewerber/innen oder die breite Öffentlichkeit – die Wahrnehmung gesellschaftlicher Verantwortung von Unternehmen bemerken, bewerten und durch ihre Entscheidung auf dem Markt honorieren können« (BMAS 2010a: 17, eigene Hervorhebung, N.L.). Damit »CSR« zu einem »Wettbewerbsfaktor« werden könne, sei folglich die »Glaubwürdigkeit von CSR für Verbraucherinnen und Verbraucher aber auch für Investoren [sic] entscheidend« (BMAS 2010a: 36), nicht zuletzt, um »den Verdacht bloßer Schönfärberei zu entkräften« (BMAS 2010a: 17, ähnlich Ver.di in CorA 2009c). Innerhalb der Ratio der eingeschlossenen Akteure bedarf es folglich eines glaubwürdigen Kerns unternehmerischer Verantwortung. Die Beharrung auf dem »Business Case for CSR« scheint jedoch im Widerspruch zum Wunsch nach Glaubwürdigkeit zu stehen, wie z.B. durch Vorwürfe des »Greenwashing«, d.h. die Darstellung unternehmerischer Verantwortung zu ImageZwecken, immer wieder zutage tritt (z.B. WEED et al. 2006). »Im Grundsatz ist diese freiwillige Kommunikationspolitik der Unternehmen zu begrüßen, allerdings nur, wenn die Berichterstattung ehrlich und nachvollziehbar erfolgt. Der Zweck solcher Internetseiten und illustrierter Handbücher ist jedoch in der Regel die Entwicklung des Firmen- bzw. Markenimages. Steht dies im Mittelpunkt, so verkommt der Kern glaubwürdiger CSR, nämlich transparente und nachprüfbare Kommunikation der sozialen und ökologischen Leistung, zur Öffentlichkeitsarbeit (PR) und zum zielgruppenspezifischen Marketing. Solche Berichterstattung ist nichts anderes als Schönfärberei (green washing) und angesichts der globalen Problemlagen eine Irreführung der Öffentlichkeit. Bei dieser Vorgehensweise werden tatsächliche Maßnahmen und Fortschritte der Unternehmen im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung weitgehend irrelevant. Doch Verbraucher und Öffentlichkeit wollen erkennen können, ob die Berichterstattung über unternehmerisches Engagement für nachhaltige Entwicklung der Wahrheit entspricht.« (BUND 2008: 10; ähnlich auch CorA 2009c)
Sind Unternehmen nur mehr in der Lage, dem rein instrumentell-voluntaristischen Verständnis unternehmerischer Verantwortung zu folgen, und können damit nicht
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mehr auf Ansprüche, die außerhalb dieser Logik liegen, reagieren, so sehen sie sich damit auch im Rahmen der eigenen Ratio gefährdet. Aufseiten gewerkschaftlicher Akteure scheint sich der Status quo als Enttäuschung darzustellen. In jüngeren Publikationen des DGB wird deutlich, dass sich Skepsis, wenn nicht Ernüchterung, Bahn bricht. Beispielsweise wird auch von den Gewerkschaften das im Nationalen CSR-Forum verabschiedete »CSR«-Verständnis zwar als »gemeinsames Verständnis« bezeichnet und scheint damit auch weiterhin als solches akzeptiert (DGB 2012a: 11, eigene Hervorhebung, N.L.). Die Einwilligung in den Konsens des Nationalen CSR-Forums zeigt sich für die Gewerkschaften jedoch als ein leerer Kompromiss und die Hoffnungen auf eine Fortentwicklung unternehmerischer Verantwortung als enttäuscht, wenn etwa betont wird, dass es aus »gewerkschaftlicher Sicht […] von zentraler Bedeutung [sei], nun Maßnahmen gegen die Beliebigkeit in unternehmerischen CSR-Strategien anzugehen« (DGB 2012a: 11), da »[l]eider […] die Praxis [zeige], dass die Auslegung des Satzes ›freiwillig, aber nicht beliebig‹ durchaus unterschiedlich« sei und insbesondere »die Wirtschaftsseite ausschließlich die Freiwilligkeit beton[e]« (DGB 2012c: 308). Das gemeinsame Verständnis von »CSR« scheint somit zwar von den Gewerkschaften mitgetragen, der Konsens bleibt für sie jedoch faktisch leer. Die Hoffnung, mit dem Freiwilligkeitskompromiss einen ersten Schritt zu weitergehenden Regelungen gemacht zu haben, hat sich nicht erfüllt. Die Resignation wird dort deutlich, wo beispielsweise der DGB zwar in seinem Kommentar zur neuen »CSR«-Strategie der Europäischen Kommission begrüßt, dass mit der neuen Definition »ein kleiner Schritt vom Dogma der alleinigen Freiwilligkeit abgewichen« werde (DGB 2012a: 4, 2013a: 4, eigene Hervorhebung, N.L.), der Verweis auf das ›Dogma der alleinigen Freiwilligkeit‹ ebenso wie vorsichtige Formulierungen, wie »Sollte eine Rechtsvorschrift zur Offenlegung sozialer und ökologischer Informationen von Unternehmen in den kommenden Jahren umgesetzt werden, wäre dies ein wichtiger Schritt in Richtung Transparenz und Überprüfbarkeit« (DGB 2012a: 10, eigene Hervorhebung, N.L.) jedoch deutlich machen, dass sich hinsichtlich der Beförderung eigener Positionen im Diskurs unternehmerischer Verantwortung Ernüchterung eingestellt hat (auch DGB 2012c: 308). An anderer Stelle heißt es zu den Verhandlungen mit wirtschaftlichen und staatlichen Akteuren dann auch enttäuscht, »Neoliberalismus und Marktgläubigkeit« würden »geradezu mit Leidenschaft verteidigt«, ja »[v]ielfach […] [wäre] das Beharren auf neoliberalen Grundsätzen nur noch mit einer starren ideologischen Fixierung zu erklären« (DGB 2013c: 4, eigene Hervorhebung, N.L.). Letztlich verbleibt auch die gewerkschaftliche Kritik am aktuellen Verständnis von »CSR« vor dem Hintergrund der weiterhin geäußerten Bereitschaft zum ›konsensualen‹ und ›pragmatischen‹ Umgang mit »CSR« jedoch wirkungslos. Wie wir gesehen haben (Kapitel 6.3), wird auch von den anderen Akteuren im Forum vor allem die Teilnahme der Gewerkschaften gesehen und als Legitimationsbasis des Sta-
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tus quo herangezogen, weniger jedoch die Skepsis der Gewerkschaften ernst genommen oder gar als Ansatzpunkt der Weiterentwicklung aufgegriffen.
6.5 Z WISCHENFAZIT Dieses Kapitel hat die dritte Phase des Prozessverlaufs, die Lock-in-Phase beschrieben. Den Übergang von der zweiten zur dritten Phase des Diskurses markierte dabei a) das im Zuge des Nationalen CSR-Forums offizielle ›Übertreten‹ der Gewerkschaften in die sich damit als hegemoniale Diskurskoalition etablierende wirtschaftlich-staatliche und nun auch zivilgesellschaftliche Allianz sowie b) die Übereinkunft hinsichtlich eines ›gemeinsamen Verständnisses unternehmerischer Verantwortung in Deutschland‹ im Verlauf der Arbeit des Forums, welches in der Nationalen CSR-Strategie festgehalten und zur offiziellen Handlungsanleitung erhoben wird. Im Zuge des Nationalen CSR-Forums ›kippt‹ der Diskurs folglich erneut. Durch das Herübertreten der Gewerkschaften wird die wirtschaftlich-staatliche Diskurskoalition erweitert und ihre Position gestärkt, die widerständige Diskurskoalition hingegen geschwächt. Der »Business Case for CSR« wird als von den Akteuren im ›Konsens‹ verabschiedetes – und damit bis heute die Beharrung auf dem Status quo legitimierendes – Verständnis unternehmerischer Verantwortung endgültig inthronisiert. Als Folge, und in Abgrenzung zur zweiten Phase, stellt sich der »Business Case for CSR« in dieser Phase nicht mehr als zu erreichende Möglichkeit, sondern als scheinbar gesamtgesellschaftlich akzeptierte und als solche zu verteidigende Notwendigkeit dar. Drei Merkmale des derart eingeleiteten Lock-ins wurden in diesem Kapitel dargestellt. Erstens die fortgesetzte Reproduktion des »Business Case for CSR« unter Ausschluss alternativer Artikulationen und der sie artikulierenden Akteure: Wirtschaftliche, staatliche und, wenn auch in begrenzterem Umfang, gewerkschaftliche Akteure artikulieren und re-artikulieren in dieser Phase des Diskurses den »Business Case for CSR« und halten seine Führerschaft im Diskurs stabil. Deutlich wurde hier, dass die sich bereits in der zweiten Phase des Diskurses mit der Beförderung des »Business Case for CSR« verknüpfenden Erwartungen auch in dieser dritten Phase weiter wirken und zur Erklärung der fortgesetzten Reproduktion beitragen können: Der »Business Case for CSR« wird in dieser Phase endgültig als akzeptiertes Motivvokabular etabliert und bestimmt – im Sinne des hier vorgeschlagenen Motivverständnisses (siehe Kapitel 2) – damit, was weiterhin als Motiv für unternehmerische Verantwortung vorgebracht werden kann. Insbesondere in Bezug auf die Gewerkschaften zeigte sich uns erneut der ›integrative Charakter‹ typischer Motivvokabulare (Mills 1940: 908); Um Teil des »CSR«-Diskurses zu bleiben, müssen Akteure sich auf das etablierte Motivvokabular beziehen, werden zugleich
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aber dessen Beförderer und erhalten seine erwartungssteuernde Position weiter aufrecht. Zweitens zeigt sich die Stabilität des Status quo an der Verteidigung gegen extern initiierte Wandelinitiativen, in diesem Falle die Ablehnung zweier Veränderungsversuche vonseiten der Europäischen Kommission, die als Ausdruck eines auf europäischer Ebene eingeläuteten Veränderungsprozesses unternehmerischer Verantwortung verstanden werden können. Die Verteidigungshaltung wirtschaftlicher und staatlicher Akteure ist eine in dieser Phase neu hinzukommende und in der zweiten Phase noch nicht ausgeprägte Dynamik. Die Akteure zeigen sich nicht nur resistent gegenüber des – durchaus auch von ihnen wahrgenommenen – »rationality shifts« (Sydow et al. 2009: 625) oder, um in der Sprache einiger der Akteure zu bleiben, »Paradigmenwechsels« auf europäischer Ebene, sondern blocken Veränderungsvorschläge ab bzw. wirken sogar über die nationalen Grenzen hinaus auf deren Verhinderung hin. Mit dem akzeptierten Motivvokabular in Kontrarität stehende Forderungen werden offensichtlich nicht akzeptiert, ja vielmehr als ›Störung‹ des Status quo abgelehnt. Alternative Motive oder Motivmuster sind samt der sie artikulierenden Akteure de facto aus dem diskursiven Mainstream ausgeschlossen. Dies geschieht durch Ignorieren oder Abblocken widerständiger Akteure und ihrer Artikulationen. Ersteres zeigt sich an der deutlichen Grenzziehung zwischen am Nationalen CSR-Forum beteiligten »CSR«-Expertinnen und für die weitere Auseinandersetzung relevant erachteten Akteuren zu den sich diesen Entwicklungen ›verweigernden‹ Akteuren. Auch dass allein die Vorschläge der Europäischen Kommission von den eingeschlossenen Akteuren adressiert werden, zeigt, dass die widerständigen Akteure ignoriert werden und unterstreicht deren randständige Position. Ein Abblocken hingegen war in den Reaktionen auf die Wandelinitiativen der Europäischen Kommission deutlich zu beobachten. Solange der MainstreamDiskurs allein in der Lage ist, Zustimmung zu produzieren, und vom Status quo abweichende Artikulationen entweder ignoriert oder als Bedrohungsszenario ›abblockt‹, gelingt es nicht, signifikante Änderungen einzubringen, womit eine Veränderung des Diskurses als unwahrscheinlich anzunehmen ist. Der »Business Case for CSR« kann mithin als ebenso führendes wie stabiles Motivmuster betrachtet werden. Drittens kündigt sich in dieser Phase zumindest an, dass der Status quo für wirtschaftliche, staatliche und zivilgesellschaftliche Akteure alles andere als eine ›glückliche‹ Lösung darstellt. Diese potenzielle Problematik ergibt sich im Wesentlichen – wenn auch in für die Akteure unterschiedlicher Auswirkung – durch die zuvor beschriebene Inflexibilität hinsichtlich des im Diskurs Denk- und Artikulierbaren bei gleichzeitig sich abzeichnendem Umweltwandel. Das Ziel staatlicher Akteure, eine »Vorreiterrolle« im Bereich unternehmerischer Verantwortung einzunehmen, scheint durch das dogmatische Festhalten am Status quo zumindest bedroht, wirtschaftliche Akteure hingegen erkennen bereits einen für sie schädlichen
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Glaubwürdigkeitsverlust ihrer Verantwortungspraxis, der nicht zuletzt auch die erhoffte Wirkung des »Business Case for CSR« infrage stellt, und die Gewerkschaften sehen sich einem hinsichtlich der erhofften Fortentwicklung unternehmerischer Verantwortung folgenlos gebliebenen, in seiner Bedeutung als legitimatorischer Bezugspunkt des Status quo jedoch umso relevanteren, ›Kompromiss‹ gegenüber. Dass nicht zuletzt auch die Verantwortungssubjekte selbst dem »Business Case for CSR« folgen, ihn damit ebenfalls befördern und in der Praxis verankern, zeigt das folgende Kapitel.
7 Der »Business Case for CSR« in der unternehmerischen Berichterstattung
Dieses Kapitel führt eine weitere Evidenz für das im vorherigen Kapitel beschriebene Lock-in des »Business Case for CSR« an und nimmt hierzu die durch große deutsche Unternehmen vorgebrachten Motive unternehmerischer Verantwortung in den Blick. Die hier dargestellten Ergebnisse beruhen auf dem Textkorpus eigenständiger nicht-finanzieller Berichte, die von den DAX-30-Unternehmen zwischen 1995 und 2014 veröffentlicht wurden.1 Die gesonderte Betrachtung der Unternehmen und der von ihnen veröffentlichten Texte ist zum einen durch die besondere Rolle der Unternehmen als Verantwortungssubjekte gerechtfertigt. Als solche sind sie im Unterschied zu den bisher betrachteten Akteuren auch Ausführende unternehmerischer Verantwortung. Zum anderen unterscheiden sich die von den Unternehmen veröffentlichen nicht-finanziellen Berichte von den bisher betrachteten Texten insofern, als dass sie als kontinuierlich – meist jährlich – veröffentlichte ›Berichte‹ mit fortlaufend aktualisiertem Inhalt weniger als beispielsweise Stellungnahmen und Positionspapiere einen dialogischen Charakter haben, sondern vielmehr mit dem Ziel veröffentlicht werden, das Handeln der Unternehmen im Bereich unternehmerischer Verantwortung darzustellen. Damit unterscheiden sie sich 1
Zahlreiche Studien haben sich mit den textuellen (Castello/Lozano 2011; Canary/Jennings 2008; Chen/Bouvain 2009; Tate et al. 2010) und visuellen Bestandteilen (Breitbarth et al. 2010; Höllerer et al. 2013) nicht-finanzieller Berichte auseinandergesetzt und dabei den Informationsgehalt von Inhalt und Aufmachung dieser Textform dargestellt (z.B. Livesey 2002b). Bisherige Studien konzentrieren sich jedoch häufig auf Querschnittsanalysen. Qualitative Langzeituntersuchungen dieser Form des organisationalen Diskurses (Canary/ Jennings 2008) blieben bisher aus, wurden zuletzt jedoch ausdrücklich gefordert (Höllerer et al. 2013; Tate et al. 2010: 39). Castello und Lozano (2011: 24) betonen explizit, »[f]urther research is needed for understanding how companies actively make sense of their role and new responsibilities and how this is evolving through time.«
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auch hinsichtlich ihres Adressatinnenkreises von den bisher betrachteten Texten – sie sind weniger an die den Diskurs gestaltenden Akteure gerichtet als an eine interessierte, das Geschriebene eher empfangende denn zur Auseinandersetzung aufgreifende Öffentlichkeit adressiert. Ziel der Analyse dieser Texte ist damit weniger, den Aushandlungsprozess unternehmerischer Verantwortung in den Blick zu nehmen, als vielmehr zu untersuchen, ob und wenn ja wie, das instrumentell-voluntaristische Motivmuster auch das Verständnis unternehmerischer Verantwortung der Verantwortungssubjekte selbst erfasst und deren ›Praxis‹ durchdringt. Scherrer betont mit Blick auf die Hegemonie etwa, dass sich deren Qualität auch daran bemesse, inwieweit sie das alltägliche Handeln durchdringe (Scherrer 2007: 76-77). Ein sich auch unter den Unternehmen als führend erweisender »Business Case for CSR« kann weiteres Indiz für die sich auch (handlungs)praktisch niederschlagende Führerschaft sein und damit eine weitere empirische Evidenz für das im vorherigen Kapitel postulierte Lock-in bieten. Zudem werden sich Unternehmen, dem hier vorgeschlagenen Motivverständnis folgend (siehe Kapitel 2), wie die bisher betrachteten Akteure auf das jeweils als akzeptiert erwartete Motivvokabular beziehen. Ein Vorbringen vor allem instrumenteller Motive kann damit als weiteres Indiz für die Bestimmung des aktuell akzeptierten Motivvokabulars durch den »Business Case for CSR« dienen. Das Kapitel zeigt, dass sich alle DAX-30-Unternehmen heute mit dem Thema unternehmerische Verantwortung befassen und die Mehrheit von ihnen nichtfinanzielle Berichte veröffentlicht (7.1). Dabei wird Verantwortung heute strategisch gefasst und als unternehmerischer Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung mit dem Ziel der Erfolgssteigerung verstanden (7.2). Große Unternehmen folgen in ihren Berichten vor allem dem »Business Case for CSR« zur Rechtfertigung ihrer Verantwortung (7.3). Verschiedene Motive des »Business Case for CSR« werden von den Unternehmen befördert und kontinuierlich reproduziert, während relationale und moralische Motive nur vereinzelt angeführt werden und sich kaum als systematisches Muster abzeichnen (7.4).2
2
Die überwiegend instrumentelle Perspektive von Unternehmen auf ihre Verantwortung wurde, wie wir in Kapitel 1 gesehen haben, mehrfach angemerkt (u.a. Banerjee 2008; Livesey 2002a, 2002b; Levy 1997), die zugrunde liegenden Argumente sowie deren Beziehungen zueinander allerdings kaum beachtet (so auch Nyberg/ Wright 2012). Wie wir im Folgenden sehen werden, liegt hinter dem generellen Muster der Instrumentalität eine Vielzahl von unterschiedlichen mehr oder weniger miteinander verbundenen Argumenten.
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7.1 N ICHT - FINANZIELLE B ERICHTERSTATTUNG DER DAX-30-U NTERNEHMEN Nachdem schon in den 1970er- und 1980er-Jahren über eine die finanziellen Jahresberichte ergänzende Sozialbilanzierung diskutiert worden war (u.a. Dierkes 1974; Mintrop 1976; Kunstreich 1978; Wysocki 1981), ebbt die Diskussion Ende der 1980er-Jahre wieder ab – »fell off the public agenda« (Gilbert/Rasche 2007: 187) – und wurde erst in den 1990er-Jahren wieder aufgegriffen (Dierkes et al. 2002). Unter großen deutschen Unternehmen beginnt eine regelmäßige Veröffentlichung eigenständiger nicht-finanzieller Berichte Mitte der 1990er-Jahre und zunächst unter Beteiligung nur weniger Unternehmen. Mit der sich auch in anderen Ländern, vor allem den USA und Frankreich, durchsetzenden Berichterstattung, neuen Möglichkeiten der Kommunikation und damit einhergehenden gestiegenen Erwartungen an die Bereitstellung von Informationen sowie sich verbreitender Berichtsstandards,3 beteiligen sich über die Jahre immer mehr, vor allem große Unternehmen an der nicht-finanziellen Berichterstattung. Ist die nicht-finanzielle Berichterstattung in Deutschland, anders als z.B. in Frankreich und zu Teilen in Schweden, Dänemark und den Niederlanden, bis heute nicht verpflichtend, so sind die Berichte neben der Kommunikation im Internet für die DAX-30-Unternehmen doch das Medium ihrer Verantwortungskommunikation. Die Anzahl der berichtenden DAX-30-Unternehmen ist über die letzten Jahre stetig gestiegen (siehe Abbildung 22). 24 von 30 DAX-Unternehmen stellen heute einen eigenständigen nicht-finanziellen Bericht in deutscher Sprache öffentlich zugänglich zum Download bereit.4 Betrachtet sowohl im Sinne eines Berichts über ihre Verantwortungsaktivitäten als auch des Ausdrucks verantwortlichen Handelns (Chen/Bouvain 2009; Dierkes et al. 2002; Kolk 2008), zeugt die zunehmende An3
Als erstes Rahmenwerk wurde 1993 das »Eco-Management and Audit Scheme« (EMAS) von der Europäischen Kommission verabschiedet, um Unternehmen bzgl. ihres Umweltmanagements zu unterstützen. Wenig später folgte ein weiterer Umweltmanagementstandard von der Internationalen Organisation für Normung, die sogenannte ISO 14001, die vor allem auf ein kontinuierliches Umweltmanagementsystem abzielte. Ein erster internationaler Sozial- und Arbeitsstandard war die SA 8000, veröffentlicht von der Nichtregierungsorganisation »Social Accountability International«. Am weitesten verbreitet ist heute die Global Reporting Initiative (GRI), ein Nachhaltigkeitsstandard, der mit einer ersten Version 1999 von Unternehmen erprobt und dann weiterentwickelt wurde. Bei all diesen Standards handelt es sich um freiwillige Standards. Unter den DAX-30-Unternehmen folgen 21 der 24 berichtenden Unternehmen den Vorgaben der GRI.
4
Sechs Unternehmen veröffentlichen entweder keinen eigenständigen Bericht, stellen keinen Bericht zum Download bereit oder stellen einen Bericht nur in englischer Sprache zur Verfügung.
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zahl veröffentlichter Berichte vom gestiegenen Stellenwert des Themas Verantwortung unter den DAX-30-Unternehmen. Nicht zuletzt zählen einige der im Sample vertretenen Unternehmen im Dow Jones Sustainability Index (DJSI) zu den Group Leadern für die Periode 2013/2014, so z.B. die Volkswagen AG (Gruppe: Automobile), Henkel (Gruppe: Household und Personal Products) und die Siemens AG (Gruppe: Capital Goods).5 Abbildung 22: Zunahme eigenständiger nicht-finanzieller Berichte, die von den DAX-30-Unternehmen in deutscher Sprache online zur Verfügung gestellt wurden6 30 25 20 15 10 5 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014
0
(Eigene Darstellung)
Während sich die Berichte hinsichtlich ihrer Länge zum Teil stark unterscheiden, mit sehr kurzen Berichten von nur 13 Seiten bis zu Berichten mit 385 Seiten,7 wei-
5
Die Aussagekraft des DJSI bzgl. der Nachhaltigkeit der darin geführten Unternehmen, insbesondere hinsichtlich der ökologischen Dimension, wird jedoch angezweifelt (Figge/Schaltegger 2000), was sich durch den jüngsten Skandal um den Volkswagen-Konzern wohl bestätigt haben dürfte.
6
Nicht alle Unternehmen veröffentlichen jährlich einen nicht-finanziellen Bericht. Die Abbildung stellt die Zunahme der Berichterstattung insgesamt dar. Berichtet ein Unternehmen in einem Jahr nicht, im nächsten aber wieder, werden alle Jahre als Berichtsjahr erfasst. Einzelne Jahre, in denen ein Unternehmen keinen Bericht veröffentlicht hat sind in dieser Abbildung deshalb nicht ausgewiesen.
7
Über alle Jahre und Unternehmen liegt die durchschnittliche Seitenanzahl bei 86,2. Über die Jahre stieg die durchschnittliche Seitenanzahl, mit einigen Schwankungen, von 56 Seiten im Jahr 1995 zu durchschnittlich 112 Seiten im Jahr 2014.
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sen sie bezüglich Inhalt und Aufmachung große Übereinstimmungen auf. Alle Berichte werden mit einem kurzen Anschreiben, meist des Vorstandsvorsitzenden, an die Leserinnen eröffnet. Häufig wird bereits hier durch Verweis auf die lange Verantwortungstradition und die tiefe Verankerung von Verantwortung in der Unternehmenskultur und -geschichte die Bedeutung des Themas für das Unternehmen herausgestellt. Im Weiteren fällt vor allem die ausgeprägte visuelle Gestaltung der Berichte durch Fotos und andere schmückende und darstellende Abbildungen, wie z.B. Icons, Tabellen, Prozessdarstellungen oder Zeichnungen auf, die insgesamt einen großen Teil der Berichte ausmachen.8 Bebilderung, Layout und Typografie folgen überwiegend einem magazinhaften Design, das mit Darstellungen von Natur, Kindern und Familien Assoziationen zu bestimmten Werten herstellt, durch die elegante Aufmachung aber zugleich einen Eindruck von Professionalität, Fortschritt und Zukunftsgewandtheit vermittelt. Der sich anschließende Bericht besteht zu großen Teilen aus Fließtext, in dem Tätigkeiten, Ziele und Erfolge schriftlich ausgeführt werden. Häufig wird die Darstellung durch Zitate von Mitarbeiterinnen oder unternehmensexternen Personen, wie Kooperationspartnerinnen und Geförderten, Vertreterinnen aus Politik und Gesellschaft ergänzt. Gerade die Darstellung unternehmensexterner Stimmen, d.h. Vertreterinnen, die den Leserinnen hinsichtlich ihrer Beziehung zum Unternehmen gleichgestellt sind, vermittelt zum einen den Eindruck der Nähe und des ›Dialogs‹, zum anderen verleiht es dem Bericht – ähnlich den externen Audits – Legitimität. Den Bericht abschließend folgt, für die späteren Jahre durchgängig, die tabellarische Darstellung der Anforderungen der Global Reporting Initiative (GRI) sowie deren Bescheinigung durch die GRI. Häufig erfolgt hier auch eine Darstellung der Ergebnisse und Empfehlungen bzgl. der allgemeinen Berichtskennzahlen durch externe Audits.9 Abgesehen von den der GRI folgenden Angaben sind große Bestandteile des Inhalts der Berichte kaum konkretisiert und vergleichbar. Die Informationen im Fließtext sind häufig nicht mit Angaben über entsprechende Ausgaben, klare Kriterien oder Zielangaben ergänzt. Eindrücke der
8
In einer Analyse der nicht-textuellen bzw. visuellen Aspekte in nicht-finanziellen Berichten stellen Breitbarth und Kolleginnen fest, dass deutsche Unternehmen im Durchschnitt alle 1,6 Seiten ein Bild einfügen. Im Vergleich nutzen Unternehmen aus Großbritannien nur alle 3,1 Seiten ein Bild; auch ganzseitige Bilder nutzen deutsche Unternehmen etwa doppelt so häufig wie Unternehmen aus Großbritannien (Breitbarth et al. 2010: 244, 247). Graves und Kolleginnen (1996: 83) unterstreichen, insbesondere die visuellen Bestandteile hätten »the rhetorical purpose of arguing the truth claims of those reports and the social constructs they represent«.
9
Diese Audits werden unter den DAX-30-Unternehmen vor allem durch Unternehmensberatungen, wie PricewaterhouseCoopers (PwC) und KPMG, vereinzelt auch durch Ernst & Young, vorgenommen.
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Leserin sind deshalb umso mehr von der Form der textuellen und visuellen Präsentation geprägt. Auch für die nicht gesondert Bericht erstattenden DAX-30-Unternehmen scheint Unternehmensverantwortung von Bedeutung zu sein. Alle 30 Unternehmen, d.h. auch die Unternehmen, die keinen eigenständigen Bericht zum Download anbieten, nehmen auf ihren Webseiten zum Themenkomplex ›Verantwortung‹ Stellung.10 Einige stellen dort einen online lesbaren Bericht zur Verfügung oder verweisen auf eine entsprechende Berichterstattung innerhalb des Geschäftsberichts. Insgesamt variieren Quantität und Qualität der im Internet zur Verfügung gestellten Informationen stark. Von einfachen schriftlichen Statements und der Angabe von Kontaktinformationen der Verantwortlichen über die Darstellung einzelner CSRbezogener Aktivitäten, Verhaltenskodizes und Leitlinien sowie der Ankündigung entsprechender Veranstaltungen reicht die Bandbreite bis hin zu vollständigen textuellen und audio-visuellen Beiträgen, die über das eigene sowie das Engagement der Zulieferer Rechenschaft ablegen. Neben der Berichterstattung, der Mitgliedschaft in CSR-Verbänden sowie der Teilnahme an Ausschreibungen und Preisen wird die Bedeutung des Themas Verantwortung für die DAX-30-Unternehmen auch in der Verankerung des Themas in der Unternehmensstruktur und der hohen Anzahl entsprechender Stellen und Stäbe in diesem Bereich deutlich. Im Internet, vor allem aber in den nicht-finanziellen Berichten, beschreiben die Unternehmen die Stellen, Komitees und Ausschüsse, die für verantwortungsbezogene Themenbereiche zuständig sind (dazu im Folgenden mehr). Verantwortung ist dabei häufig in den obersten Führungsetagen der Unternehmen verankert und wird von vielen Unternehmen als ein Vorstandsthema wahrgenommen. Um uns nun dem Verantwortungsverständnis großer deutscher Unternehmen zu nähern, ist zunächst zu fragen: Wie konstruieren Unternehmen ihre Verantwortung? Welche Signifikanten der Verantwortung nutzen sie und welche Bedeutungen schreiben sie diesen jeweils zu? 10 Häufig wird dabei auf die Mitgliedschaft des jeweiligen Unternehmens in verantwortungsrelevanten Verbänden, Ausschüssen und Arbeitskreisen sowie auf die Anwendung bestimmter Standards hingewiesen; auch Auszeichnungen werden prominent dargestellt; darunter vor allem Preise wie der »World’s Most Ethical Companies-Award« oder der »Ethics in Business-Award« und Listungen in den relevanten Indizes (darunter der Dow Jones Sustainability Index (DJSI), der FTSE4Good und Advanced Sustainability Performance Indices (ASPI)) und Rankings (vor allem das oekom corporate responsibility ranking). 24 der DAX-30-Unternehmen sind heute Teil des Globalen Pakts der Vereinten Nationen (Global Compact), einem Zusammenschluss aus Unternehmen und Vereinten Nationen, der sich die ökologische und soziale Gestaltung der Globalisierung zum Ziel gesetzt hat. Zudem sind viele der Unternehmen in den wichtigsten verantwortungsrelevanten Wirtschaftsverbänden vertreten, darunter Econsense und CSR-Europe.
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7.2 S IGNIFIKANTEN DER V ERANTWORTUNG DEUTSCHER U NTERNEHMEN In den ersten Jahren der nicht-finanziellen Berichterstattung hat sich unter den DAX-30-Unternehmen noch keine einheitliche Berichtspraxis herausgebildet. Deutlich wahrnehmbar ist zunächst noch die Herkunft aus der in die Jahresberichte integrierten Umwelt- und Sozialberichterstattung. So sind die ersten eigenständig veröffentlichen Berichte zunächst Umweltberichte sowie Personal- und Sozialberichte. Vor allem zwischen 2000 und 2003 zeigt sich die größte Vielfalt an Berichten (siehe Abbildung 23). Neben den Umweltberichten werden in diesen ersten Jahren Berichte unter den Namen Gesundheit und Umwelt, Personal- und Sozialbericht, aber auch Corporate Citizenship, Nachhaltigkeit, Corporate Responsibility sowie Corporate Cultural Affairs veröffentlicht.11 Wie Abbildung 23 zeigt, verengt sich ab etwa 2004 diese Berichtsvielfalt; es zeigt sich eine zunehmende Präsenz von Nachhaltigkeitsberichten sowie teilweise eine Abnahme anderer Berichtsformen. Heute sind mehr als die Hälfte der veröffentlichten Berichte Nachhaltigkeitsberichte.12
11 Auch diese Berichte werden in die Analyse aufgenommen, weil die Themen in diesen Berichten hohe Übereinstimmung mit den heutigen CSR- und Nachhaltigkeitsberichten aufweisen bzw. ähnlich gestaltet sind, und zweitens, Themen wie Corporate Cultural Affairs oder Gesundheit und Umwelt etc. auch heute noch Teil der Berichterstattung sind und damit von Unternehmensseite eindeutig als Bestandteil der verantwortungsbezogenen Berichterstattung aufgefasst werden (zu dieser Frage auch Meyer/Höllerer 2010: 1259). 12 Unter der Rubrik ›Andere‹ sind in den frühen Jahren Berichte, wie u.a. CorporateCitizenship-Berichte und Community-Commitment-Berichte zusammengefasst. Die Zunahme ›anderer‹ Berichte ab dem Jahr 2012 ist mit der Zunahme der sog. integrierten Berichterstattung zu erklären, die Nachhaltigkeitsinformationen in den Geschäftsbericht inkludiert.
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Abbildung 23: Veränderung der Benennung der nicht-finanziellen Berichte der DAX-30-Unternehmen im Zeitablauf Andere Nachhaltigkeitsbericht soziale/gesellschaftliche Verantwortung Corporate Responsibility/ unternehmerische Verantwortung Umweltbericht 14 12 10 8 6 4 2 2014
2013
2012
2011
2010
2009
2008
2007
2006
2005
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2003
2002
2001
2000
1999
1997
1995
0
(Eigene Darstellung)
Entsprechend der Berichtsvielfalt variieren in den ersten Jahren auch die von den Unternehmen verwendeten Signifikanten der Verantwortung. Dazu gehören zu Beginn vor allem die Umweltverantwortung, teilweise auch ökologische Verantwortung, in den folgenden Jahren die gesellschaftliche und soziale Verantwortung, Corporate Social Responsibility, Corporate Responsibility und Nachhaltigkeit. Interessant ist in diesem Zusammenhang zunächst die Verwendungshäufigkeit dieser unterschiedlichen Begriffe. Wie Tabelle 9 zeigt, wird über alle nicht-finanziellen Berichte und Berichtsjahre der Begriff der Nachhaltigkeit am häufigsten verwendet,13 weit weniger werden die Begriffe Corporate Responsibility, gesellschaftliche oder soziale Verantwortung und Corporate Social Responsibility verwendet; der Begriff der Umweltverantwortung, auch ökologische Verantwortung, wird am seltensten genannt.
13 »Nachhaltigkeit« ist insgesamt das am häufigsten verwendete Substantiv in den Berichten.
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Tabelle 9: Verwendungshäufigkeit unterschiedlicher Verantwortungssignifikanten in den nicht-finanziellen Berichten der DAX-30-Unternehmen Begriff
Verwendungshäufigkeit
Nachhaltigkeit
6.003
Corporate Responsibility
2.587
gesellschaftliche/soziale Verantwortung
1.360
Corporate Social Responsibility
462
Umweltverantwortung/ ökologische Verantwortung
206
(Eigene Darstellung)
Die unterschiedlichen Berichtsformen sowie die darin vorgebrachten Bedeutungen der Verantwortungssignifikanten werden im Folgenden kurz vorgestellt. Dabei wird deutlich, dass – analog zum in den vorherigen Kapiteln dargestellten Diskursverlauf – der Begriff der unternehmerischen Verantwortung insbesondere durch die Einführung der Signifikanten »CSR«, »CR« und »Nachhaltigkeit« einen instrumentellen ›Schlag‹ bekommt. Die ersten Berichte – Umwelt, Personal- und Sozialberichte sowie Berichte zur gesellschaftlichen Verantwortung des Unternehmens – orientieren sich hinsichtlich ihres Inhalts noch stark am Titel des Berichts und stellen themenspezifische, konkrete Handlungen der Unternehmen dar. Umweltschutz sowie soziales und gesellschaftliches Engagement sind die dominierenden Themen des frühen Diskurses. Umweltberichte konzentrieren sich klar auf die Umweltverantwortung des Unternehmens und beschäftigen sich mit dem Umweltschutz entlang des Produktionsprozesses. Berichtet wird hier über die Umweltmanagementsysteme des Unternehmens sowie Umweltdaten aus der Forschung und Entwicklung, der Produktion und Vermarktung, Angaben über die Umwelteinflüsse sowie Einsparungs- oder Wiederverwertungspotenziale für alle Unternehmensbereiche (Deutsche Post 2003; K+SGruppe 1999-2001; VW 1995-2003). Ihre ökologische Verantwortung verstehen die Unternehmen vornehmlich als den »Einsatz ebenso intelligenter wie Energie und Ressourcen sparender Produktionsverfahren«, um »die notwendigen Eingriffe in den Haushalt der Natur so schonend wie möglich vorzunehmen« (K+S-Gruppe
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1999), womit Unternehmen ihre Verantwortung gegenüber der Umwelt vor allem als negative Pflicht betrachten, d.h. als Unterlassen von Umweltschädigungen. In den Berichten zur gesellschaftlichen Verantwortung werden unterschiedliche Initiativen in Bereichen wie Kunst, Wissenschaft, Bildung, Sport, Gesellschaft gegenüber verschiedenen Stakeholder-Gruppen sowie das Engagement der Mitarbeiterinnen dargestellt (z.B. Deutsche Bank 2003-2006). Vereinzelt wird mit der gesellschaftlichen Verantwortung auch auf die historische Verantwortung verwiesen und z.B. über die Aufarbeitung der Unternehmensgeschichte während des Nationalsozialismus berichtet oder ein internationales Verantwortungsverständnis, etwa in der Berichterstattung über humanitäre und Katastrophenhilfe dargestellt. In Bezug auf ihre gesellschaftliche Verantwortung im direkten Unternehmensumfeld rekurrieren die Unternehmen teilweise auf den Begriff Corporate Citizenship, der als »[v]erantwortungsbewusste, die Unternehmensziele flankierende Mitwirkung eines Unternehmens in seinem jeweiligen gesellschaftlichen Umfeld« beschrieben wird (Siemens 2001, ähnlich Deutsche Bank 2002). Auch in den als Personal- und/oder Sozialbericht bezeichneten Berichten liegt der Schwerpunkt auf den Mitarbeiterinnen des Unternehmens sowie Initiativen des Unternehmens für die lokale Gesellschaft, aus denen das Unternehmen seine Mitarbeiterinnen rekrutiert (Deutsche Post 2003). Die Verantwortung erstreckt sich hier vom Gesundheitsschutz für die Mitarbeiterinnen, über Diversity-Themen (die damals vor allem die Integration von Menschen mit Behinderungen beinhaltete) bis hin zur Einrichtung von Betriebskindergärten. Deutlich weiter, wenn nicht unbestimmter, werden sowohl die Berichtsinhalte als auch die Begrifflichkeiten mit der Einführung der Signifikanten »CSR«, »CR« und »Nachhaltigkeit«. Der Signifikant der Corporate Social Responsibility (CSR) wird von den Unternehmen, ebenso wie von wirtschaftlichen und staatlichen Akteuren (siehe Kapitel 5), ab dem Jahr 2001 verwendet. Volkswagen, als erster Konzern, der diesen Begriff einführt, stellt dazu fest: »Die gesellschaftlichen Leistungen eines Unternehmens werden in der internationalen Fachdiskussion zunehmend unter dem Begriff ›Corporate Social Responsibility‹ (CSR) zusammengefasst. In die weite Definition des Begriffs CSR wird nicht nur die soziale, sondern auch die ökonomische und ökologische Verantwortung eines Unternehmens miteinbezogen. Damit tritt CSR in Konkurrenz zum mittlerweile etablierten Begriff der Nachhaltigen Entwicklung.« (VW 2001, eigene Hervorhebung, N.L.)
Was sich hier – neben der erneut bestätigten Verwobenheit des deutschen »CSR«Diskurses mit dem Nachhaltigkeitsdiskurs – deutlich zeigt, ist, dass mit der Einführung des »CSR«-Begriffs eine Öffnung unternehmerischer Verantwortung einhergeht. Wurde unter den Signifikanten der Umwelt- oder ökologischen Verantwortung oder der sozialen und gesellschaftlichen Verantwortung noch ein Bezug zu ei-
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nem konkreten, mit dem Signifikanten jeweils bereits benannten, Verantwortungsobjekt hergestellt, so wird vom Signifikanten »CSR« nun Soziales, Ökologie und Ökonomie adressiert. Deutlich wird auch, dass durch die Öffnung hinsichtlich einer nun auch ›ökonomischen Verantwortung‹ ein Bezug zu unternehmerischen Zielen bereits angedeutet ist. Eine derart veränderte Zielsetzung wird von nun an auch explizit von den Unternehmen adressiert. Der VW-Konzern schreibt weiter, »CSR« umfasse »die Bereitschaft des Unternehmens, seine Fähigkeiten in innovative Lösungen sozialer Probleme innerhalb und außerhalb des Unternehmens einzubringen und hierdurch den unternehmerischen Erfolg zu steigern. In diesem Sinne ist ›Corporate Social Responsibility‹ weit mehr als soziale Wohltat, sondern ein konzeptioneller Ansatz.« (VW 2001, eigene Hervorhebung, N.L.)
Mit der Einführung des »CSR«-Begriffs wird die ›Steigerung des unternehmerischen Erfolgs‹ zum Ziel der Verantwortung. Nicht zuletzt scheint damit auch eine Abkehr von alternativen Verantwortungsverständnissen – etwa eine aus dem persönlichen Verantwortungsempfinden der Unternehmensmitglieder erwachsende ›soziale Wohltat‹ – hin zu einer Auffassung von Verantwortung als zu implementierendes Managementinstrument (»konzeptioneller Ansatz«) einherzugehen. Ähnlich verhält es sich bei anderen Unternehmen, die in den Folgejahren den »CSR«-Begriff ebenfalls aufgreifen. Wird »CSR« hier auch als »gesellschaftliches und soziales Engagement« (Bayer 2004), »verantwortliches Handeln« (Deutsche Bank 2006), als »freiwillige Leistungen von Unternehmen im Sozialbereich« (Lufthansa 2007, 2008) beschrieben oder als »gesellschaftliche Verantwortung« übersetzt (E.On 2007; Lufthansa 2007, 200814), so wird in den Berichten eine ökonomische Zielsetzung jeweils impliziert: »Schon im ureigenen, längerfristigen Interesse« müssten Unternehmen »CSR« wahrnehmen, d.h. – und auch hier klingt erneut die Abkehr von anderen Zielen an – »nicht als Wohltätigkeit, sondern als Investition in die Zukunft der Gesellschaft und gleichzeitig in ihre eigene Zukunft« müsse »CSR« verstanden werden (Deutsche Bank 2007, eigene Hervorhebung, N.L.). Deutlicher noch wird diese Ausrichtung am ›ureigenen‹ Unternehmensinteresse mit dem Begriff der Corporate Responsibility (CR), der ab 2002 und insgesamt sehr häufig von den Unternehmen verwendet wird (siehe Tabelle 9). Abbildung 23 zeigt, 14 Lufthansa definiert »CSR« und »CC« als synonym: »Corporate Social Responsibility (CSR) Gesellschaftliche Verantwortung des Unternehmens (Synonym: Corporate Citizenship: ›Unternehmen als gute Staatsbürger‹).« (Lufthansa 2007, 2008) Zuweilen wird der CR- dem CSR-Begriff auch übergeordnet und dabei CSR als die soziale/gesellschaftliche Dimension einer breiter gefassten unternehmerischen Verantwortung verstanden (siehe z.B. Commerzbank 2005; Siemens 2002, 2003).
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dass ab dem Jahr 2005 zunehmend Corporate-Responsibility-Berichte veröffentlicht werden. Viele Unternehmen ziehen in den Folgejahren den Begriff der »Corporate Responsibility« dem der »Corporate Social Responsibility« vor. Deutlich wird dies beispielsweise in den Glossaren, die viele Unternehmen ihren Berichten anfügen. Die Commerzbank, die ihre Berichtstätigkeit zur »unternehmerischen Verantwortung« im Jahr 2005 beginnt, führt im Glossar zunächst noch die Begriffe »Corporate Social Responsibility«, »Corporate Responsibility« und »Nachhaltigkeit«. Ab dem Jahr 2007 fehlt der Begriff der »Corporate Social Responsibility« und es wird nur noch auf die Begriffe »Corporate Responsibility« und »Nachhaltigkeit« verwiesen (ebenso z.B. bei Bayer ab 2005, Lufthansa ab 2009). E.On, die den »CSR«ebenfalls durch den »CR-Begriff« ersetzen, schreibt zu dieser Ablösung: »Seit 2005 hatten wir unsere Aktivitäten zum Thema gesellschaftliche Verantwortung unter dem Begriff ›Corporate Social Responsibility‹ (CSR) zusammengefasst. Vor allem in der deutschen Übersetzung von CSR entstand bei uns zunehmend der Eindruck, dass diese Bezeichnung unser Engagement auf eine soziale Ebene beschränkt. Dabei wurde die Verankerung von Verantwortung in unserem Kerngeschäft nicht ausreichend abgebildet. 2007 sind wir deshalb dazu übergegangen, den Begriff der gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen, der ›Corporate Responsibility‹ (CR), zu verwenden.« (E.On 2007, Fußnote 1)
Wurde bereits mit der Einführung des »CSR«-Begriffs ein Zusammenhang zur ökonomischen Dimension hergestellt, dabei jedoch – schon durch das »Social« im Namen – ein gesellschaftlicher Bezug beibehalten, so unterlässt der »CR«-Begriff Letzteres. Übersetzt als »unternehmerische Verantwortung« (siehe u.a. Commerzbank 2005 ff.; Deutsche Börse 2008; Deutsche Post 2009 ff.; E.On 2007 ff.), beinhalten weder der deutsche noch der englische Begriff einen Verweis auf die soziale oder gesellschaftliche Dimension. Insgesamt wird »CR« als umfassender »Strategie- und Managementansatz« sowie als »Hebel für den Geschäftserfolg« betrachtet, mit dem die »ökonomische, ökologische und gesellschaftliche Performance« integriert werden soll, »um auf ethisch einwandfreiem Weg materiellen wie immateriellen Wert zu schaffen und zu erhalten« (Siemens 2006). Die »CR-Strategien« werden als »eng mit der Unternehmensstrategie verknüpft« beschrieben und richten sich an der »unternehmerischen Zielsetzung des profitablen Wachstums« und der »Differenzierung im Wettbewerb« aus (Deutsche Börse 2009). Ebenso wie der »CSR«- ist auch der »CR«-Begriff deutlich weiter gefasst als frühere Verantwortungssignifikanten. So werden unter dem »CR«-Begriff beispielsweise Programme für gesellschaftliches Engagement der Mitarbeiterinnen, Spenden- und Förderprogramme u.a. in den Bereichen Kunst, Bildung, Musik, Sport und Entwicklungshilfe, mitarbeiterspezifische Aktivitäten wie die Unterstützung und Ausbildung von Jugendlichen, Diversity-Themen oder Mitbestimmung behandelt, aber auch Themen wie Transparenz in Kommunikation und Berichter-
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stattung, Dialoge mit Stakeholdern, Verantwortung in der Zuliefererkette sowie Produkt- und Umweltverantwortung (Commerzbank 2005 ff.; Deutsche Börse 2008; Deutsche Post 2009; E.On 2007 ff.; Siemens 2002 ff.). Die Anspruchsgruppen, die mit »CR« angesprochen werden sollen, umfassen die Mitarbeiterinnen, Kundinnen, Zulieferer, die lokale und globale Gesellschaft, Politik, Wissenschaft, Investorinnen, Kooperationspartnerinnen und Nichtregierungsorganisatoren (NGOs). Neben dieser Vielfalt an Betätigungsfeldern und Stakeholdern werden zudem ganze Themenkomplexe, wie etwa Nachhaltigkeit, Corporate Governance und Corporate Citizenship, dem »CR«-Begriff unterstellt und ebenfalls in den Berichten diskutiert (z.B. Deutsche Börse 2008; Commerzbank 2005; Siemens 2006). Zum einen wird damit die weite Fassung des »CR«-Begriffs, zum anderen dessen akzentuierte Ausrichtung an unternehmerischen Zielen und Strategien deutlich. Wie der »CSR«-Begriff unterscheidet sich auch der »CR«-Begriff in seiner Nähe zur ökonomischen Dimension deutlich von den Begriffen der gesellschaftlichen und Umweltverantwortung. Ab dem Jahr 2004 ist eine deutliche Verlagerung der Berichtsformen (auch) zur Nachhaltigkeitsberichterstattung zu erkennen (siehe Abbildung 23). Dabei werden neu hinzukommende Berichte als solche deklariert, aber auch Berichte, die vorher unter anderem Namen veröffentlicht wurden, nun als Nachhaltigkeitsbericht publiziert. Die Einführung des Nachhaltigkeitsbegriffs verändert die Berichterstattung deutscher Unternehmen grundlegend.15 Dies spiegelt sich erstens in der inhaltlichen Gliederung. Folgten die frühen Berichte noch unterschiedlichen Gliederungsformaten, die sich z.B. am Produktionsprozess (VW 1995-2003) oder den Gebieten des gesellschaftlichen Engagements orientierten (Deutsche Bank 2002; Siemens 20002003), so setzt sich ab etwa 2004, unabhängig vom Titel des Berichtes, eine Dreiteilung in die Themengebiete Ökologie, Soziales und Ökonomie durch, die bis heute vorherrschend ist. Die Dreiteilung ergibt sich vor allem durch die Interpretation der Nachhaltigkeit als »Triple Bottom Line«-Ansatz – der Ausrichtung der Nachhaltigkeit an ökologischen, sozialen und ökonomischen Zielen –, der heute alle DAX-30Unternehmen folgen.16 Mit der allseits anerkannten Dreigliedrigkeit der Nachhal-
15 Auch die Berichte, die bis heute anders betitelt werden, richten sich stark am Nachhaltigkeitsbegriff aus (z.B. Merck, RWE, Commerzbank, Deutsche Bank, Lanxess, Linde, Munich Re, Telekom, Siemens). 16 Nicht immer wird dabei einer einheitlichen Terminologie gefolgt; auch bei Unterteilungen in z.B. »Products, Planet, People« (Beiersdorf 2012), »Finanzen, Klimawandel, demographischer Wandel« (Allianz 2012) oder »Energie und Umwelt, Gesundheit, aufstrebende Volkswirtschaften« (Linde 2012) ist die Ausrichtung an den drei Dimensionen der Triple Bottom Line jedoch klar zu erkennen. Umrahmt wird diese dreiteilige Gliederung durch eine Einleitung sowie eine abschließende Rubrik, die häufig als »Zahlen und Fak-
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tigkeit sieht sich das Konzept der »ökonomischen Verantwortung« endgültig etabliert. Es erfolgt damit eine (Re-)Integration der finanziellen bzw. ökonomischen Berichterstattung in die (eigentlich) nicht-finanziellen Berichte der Unternehmen. Der Bezug zum Unternehmensinteresse wird durch die Dreigliedrigkeit des Nachhaltigkeitsbegriffs noch einmal untermauert und als akzeptierter Bestandteil der Nachhaltigkeit normalisiert. Verantwortung im Sinne der Nachhaltigkeit bedeutet neben den bisherigen sozialen und ökologischen Aspekten auch »nachhaltiges Wachstum« (K+S 2004, 2007), »nachhaltige Wertsteigerung« (Siemens 2012, ähnlich Allianz 2011; BMW 2011) bzw. »wirtschaftliche Leistungsfähigkeit« (Commerzbank 2005, 2007, 2009). Zweitens ändert sich im Zuge der Orientierung am Nachhaltigkeitsbegriff auch das Verantwortungsverständnis der Unternehmen. Am deutlichsten zeigt sich dies für den Signifikanten der »Umweltverantwortung«. Stellte dieser, wie wir gesehen haben, im frühen Diskurs ein eigenständiges Thema dar, so wird ab dem Jahr 2004 kein einziger Umweltbericht mehr veröffentlicht. Die Unternehmen, die einen solchen bis dahin veröffentlicht haben, wechseln nun ihr Berichtsformat und publizieren Nachhaltigkeitsberichte. »Umweltverantwortung« wird heute nur noch als ein Aspekt der »Nachhaltigkeit« behandelt bzw. wird dieser als ökologische Dimension untergeordnet. Auch die Signifikanten »gesellschaftliche Verantwortung«, »CSR« und »CR« werden vielfach dem Nachhaltigkeitsbegriff untergeordnet, spielen aber weiterhin eine wesentliche und eigenständige Rolle. Nachhaltigkeit wird von den Unternehmen verstanden als »Zusammenspiel aus Ökonomie, Ökologie und gesellschaftlicher Verantwortung« (Deutsche Bank 2002, 2006, ebenso Bayer 2004, 2005, 2006; BMW 2005, 2007, Commerzbank 2005; Deutsche Post 2008; Heidelberg Cement 2007; Siemens 2010, eigene Hervorhebung, N.L.). Damit wird neben der »Umweltverantwortung« teilweise auch die »gesellschaftliche Verantwortung« und/oder »CSR« zum Teilaspekt der »Nachhaltigkeit«. »CSR« und »CR« werden heute vor allem als »nachhaltiges Wirtschaften« definiert bzw. gehen im Nachhaltigkeitsbegriff auf. So wird z.B. von einem »modernen Verständnis unternehmerischer Verantwortung« ausgegangen, das als »nachhaltiges Wirtschaften entlang der gesamten Wertschöpfungskette« beschrieben wird (VW 2012, eigene Hervorhebung, N.L.; ähnlich E.On 2011; RWE 2012; Linde 2012; Lufthansa 2012; Munich Re 2013; Merck 2012). Verantwortliches Handeln wird nun als nachhaltiges Handeln verstanden und bezieht sich auf die drei Bereiche der Ökologie, des Sozialen sowie der Ökonomie. Ausgehend von diesen begrifflichen Bestimmungen der Verantwortung können wir nun einen näheren Blick auf die Motive der Verantwortung werfen, die durch die Unternehmen vorgebracht werden. ten«, »Ziele und Fakten« oder »Daten und Zahlen« bezeichnet wird und die GRIBerichterstattung in Tabellenform enthält.
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7.3 D ER »B USINESS C ASE FOR CSR« IN DEN NICHT FINANZIELLEN B ERICHTEN DER DAX-30-U NTERNEHMEN Wie vorstehend dargestellt, ist im Unternehmensdiskurs über die Jahre vor allem ein zunehmender Bezug auf die »Nachhaltigkeit« sowie die weitgehende Überlagerung des »CSR«-Begriffs durch den »CR«-Begriff festzustellen. Geht häufig bereits mit der Bestimmung dieser Begriffe ein Fokus auf unternehmerische Interessen einher, so wird im Folgenden gezeigt, dass diese Veränderungen begleitet sind von einer vornehmlich instrumentell-voluntaristischen Motivation unternehmerischer Verantwortung und wie diese Motive durch die Unternehmen vorgebracht werden, d.h. welche Motive sie regelmäßig artikulieren und welche Ratio diesen jeweils unterliegt. Unternehmen nehmen auf fünf der sechs in Kapitel 3 identifizierten instrumentellen Motive regelmäßig Bezug. Dort, wo Unternehmen ihre Verantwortung rechtfertigen, setzen sie diese jeweils in engen Bezug zu unternehmerischen Zielen, wie dem Reputationsaufbau und die Vermeidung von Risiken (»Versicherung«) (7.3.1) oder der Generierung und dem Erhalt von Wettbewerbsvorteilen (»Wettbewerbsfaktor«) (7.3.2). Sie sehen in ihrer Verantwortung einen unternehmerischen »Erfolgsfaktor/Investition« (7.3.3) und verfolgen eine »Win-win-Motiven« (7.3.4). Zudem beharren Unternehmen auf der »Freiwilligkeit« von Verantwortung und beschreiben sie als zwingende Bedingung für deren Übernahme (7.3.5). Damit artikulieren Unternehmen die gleichen Motive wie Wirtschaftsverbände, staatliche und teilweise gewerkschaftliche Akteure, orientieren sich am akzeptierten Motivvokabular und bestätigen dieses zugleich. Im Folgenden werden diese Motive samt der ihnen unterliegenden Ratio vorgestellt. 7.3.1 Verantwortung als Versicherung: »Risikomanagement aus Verantwortung« Das »Versicherungs«-Motiv stellt zum einen eine Verbindung zwischen Verantwortung und dem Risikomanagement des Unternehmens her und motiviert Verantwortung mit der Vermeidung unternehmerischen Risikos. Zum anderen werden diese Risiken vornehmlich als Reputationsrisiken für das Unternehmen dargestellt, womit eine Verbindung auch zum Reputationsmanagement des Unternehmens – verstanden als die Vermeidung von Reputationsschäden sowie Aufbau und Erhalt positiver Reputation – hergestellt ist. Beide Verbindungen – Risiko- und Reputationsmanagement – motivieren Verantwortung letzten Endes durch unternehmerische Interessen, das heißt instrumentell im Sinne des »Business Case for CSR«. Alle DAX-30-Unternehmen nehmen innerhalb ihrer nicht-finanziellen Berichte auf den Themenkomplex Risikomanagement Bezug; die Identifikation, Bewertung und Vermeidung verschiedener Risikoarten ist heute fester Bestandteil nicht-
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finanzieller Berichterstattung. Waren Risiken von Beginn des unternehmerischen Diskurses an ein Thema nicht-finanzieller Berichterstattung (siehe z.B. VW 1995, 1997, 1999), so hat sich der Fokus im Laufe der Jahre jedoch auf unternehmerische Risiken verengt. In den frühen Berichten bis 2000 werden sowohl unternehmerische Risiken besprochen (z.B. finanzielle Risiken wie Haftungs- und Bußgeldrisiken) (VW 1997, 1999) als auch Risiken mit Relevanz für Dritte, d.h., die Risikoanalyse bezog sich u.a. auch auf Gesundheits- und Sicherheitsrisiken für Mitarbeiterinnen und die Gesellschaft oder auf Umweltrisiken (VW 1995, 1997, 1999). VW z.B. führte schon früh ein spezifisches Umwelt-Risiko-Programm ein, mit dem die »standort- und anlagenbezogenen Umwelt-Risiken im Rahmen des Umwelt-Audits bei Volkswagen« ermittelt werden sollten (VW 1995). Zwar wurde, laut Bericht, mit diesem Programm auch die Vermeidung von Haftungsrisiken angestrebt, doch wird explizit auch die »kontinuierliche Verbesserung des betrieblichen Umweltschutzes« an den Standorten als Ziel des Risikomanagements genannt (VW 1997) und damit der Risikobegriff auch auf vom Unternehmen ausgehende Risiken bezogen. Während VW bis heute auch die Vermeidung von Gesundheitsrisiken für Mitarbeiterinnen und Gesellschaft als Teil des Risikomanagements formuliert, hat sich der Risikobegriff in der Berichterstattung insgesamt auf das Unternehmen selbst betreffende Risiken gewendet, die in erster Linie den finanziellen Nutzen für das Unternehmen in den Blick nehmen. Risiken für Dritte sind heute kaum noch Thema der Risikobewertung der DAX 30-Unternehmen. Wird von der Integration von »Nachhaltigkeitsaspekten« in die Risikoanalyse berichtet, so bedeutet dies weniger die Berücksichtigung von unternehmerischen Risiken für die Umwelt oder Gesellschaft als vielmehr die Berücksichtigung von Umweltrisiken oder gesellschaftlichen Risiken für das Unternehmen: »Das Risikomanagement der Allianz Group […] identifiziert und bewertet die Risiken, denen die Gesellschaften der Allianz Group ausgesetzt sind. Aktuell wurde die Group Risk Policy so überarbeitet, dass Nachhaltigkeitsaspekte künftig in die Risikobetrachtung systematisch integriert sind.« (Allianz 2005, eigene Hervorhebung, N.L.)
Die Interpretation von Risiken als ausschließlich unternehmerische Risiken geht mit der Überführung ökologischer und sozialer Schäden in unternehmensstrategische Rationale einher. Umweltschäden z.B. werden ausschließlich hinsichtlich ihrer unternehmerischen Auswirkungen bewertet, nicht aber unter Berücksichtigung der Folgen für das Ökosystem oder den Lebensraum aktueller und zukünftiger Generationen: »Wenn durch eine Betriebsstörung die Nachbarschaft gefährdet oder der Umwelt Schaden zugefügt wird, ist dies nicht nur mit hohen, unvorhergesehenen Kosten verbunden. Auch der Ruf des Unternehmens wird geschädigt. Für die Henkel-Gruppe, die rund 70 Prozent ihres
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Umsatzes mit Markenartikeln erwirtschaftet, kommt verschärfend hinzu: Die Verbraucher können sich Tag für Tag vor dem Regal für oder gegen den Kauf von Henkel-Produkten entscheiden und beeinflussen so den wirtschaftlichen Erfolg von Henkel.« (Henkel 2001)
Von einer derart unternehmensbezogenen Risikobewertung zeugt auch der Fokus der Risikobewertung auf Reputationsrisiken, d.h. solcher Risiken, die sich explizit auf das Unternehmen beziehen. In ihren nicht-finanziellen Berichten definieren Unternehmen Risiken vornehmlich als Reputationsrisiken: »Corporate Responsibility bezieht sich dabei nach unserem Verständnis auf alle Risikoarten. In besonderem Maß ist jedoch das Reputationsrisiko von Bedeutung. Darunter verstehen wir die Gefahr von Verlusten, sinkenden Erträgen oder einem verringerten Unternehmenswert aufgrund von Geschäftsvorfällen, die das Vertrauen in die Bank in der Öffentlichkeit, bei Ratingagenturen, Investoren oder Geschäftspartnern mindern. Reputationsrisiken können aus anderen Risikoarten – zum Beispiel Umweltrisiken – resultieren oder ergänzend zu diesen auftreten.« (Commerzbank 2005)
Es wird hier erstens die Ausrichtung der Verantwortung auf unternehmerische Ziele noch einmal unterstrichen und zweitens wird erneut deutlich, dass auch wenn z.B. Umweltrisiken erwähnt werden, diese nicht als Risiken unternehmerischen Handelns für die Umwelt, sondern als umweltbedingte Risiken für das Unternehmen, dessen Reputation, verstanden werden. Ökologisches Handeln z.B. wird damit, wie das folgende Zitat zeigt, zum »Instrument des ›Reputations-Managements‹«: »Ökologisches Handeln ist heute nicht zuletzt aus wirtschaftlichen Gründen zur Selbstverständlichkeit geworden: So haben beispielsweise Abfallentsorgung, Energieverbrauch und eventuelle Reputationsschäden durch unzulänglichen Umweltschutz immer auch eine ökonomische Wirkung. Überdies wird das ökologisch verantwortliche Handeln eines Unternehmens von den Stakeholdern beachtet, gefordert und honoriert.« Da »eine möglichst positive Wahrnehmung der Commerzbank in der Öffentlichkeit von großer Bedeutung für ihre Reputation und somit für ihren unternehmerischen Erfolg [ist]«, wird ökologisches Handeln vor allem als Instrument des »Reputations-Managements« durchgeführt (Commerzbank 2011).17
17 Der besondere Fokus auf die Reputationsrisiken innerhalb des Risikomanagements scheint mit der Finanzkrise und dem damit einhergehenden Vertrauensverlust vor allem in Unternehmen des Finanzwesens noch einmal verstärkt worden zu sein. Insbesondere bei den Finanzunternehmen ist ab dem Berichtsjahr 2008 eine kurzzeitige Verstärkung dieses Themas identifizierbar. Die Deutsche Bank schreibt dazu: »So haben in den letzten fünf Jahren viele Menschen ihr Vertrauen in Banken verloren. Diesen Tendenzen begegnen wir beispielsweise durch die Ausweitung unseres Reputationsrisikomanagements.«
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Die starke Verbindung von Verantwortung mit dem Risiko- und Reputationsmanagement ist auch in der organisationalen Zu- und Unterordnung entsprechender Abteilungen der Unternehmen wahrnehmbar. So machen die Berichte deutlich, dass etwa das Nachhaltigkeits- und Risikomanagement bzw. Nachhaltigkeits- und Reputationsmanagement häufig in einer organisatorischen Einheit zusammengefasst sind, womit nicht nur thematisch, sondern auch organisational eine enge Verbindung hergestellt und in den Organisationsstrukturen manifestiert wird. Der Fokus dieser Abteilungen liegt vornehmlich auf der Kommunikation von Verantwortung: »[A]ngesiedelt in der Konzernkommunikation […] unterstützt [die Abteilung ›Nachhaltigkeits- und Reputationsmanagement‹, N.L.] die Bereiche Presse, Investor Relations und Public Affairs bei der Aufbereitung und Platzierung von Nachhaltigkeitsthemen.« (Commerzbank 2009)
Auch die Berichterstattung über die Nachhaltigkeitspraxis weist auf die Verbindung zu Risiko und Reputation und damit den Fokus auf unternehmerische Ziele hin. Stakeholder-Dialoge – in der Literatur häufig als verständigungsorientiertes Instrument zur Lösung gesellschaftlicher Konflikte verstanden (u.a. Steinmann 2013) – werden z.B. dazu genutzt, unternehmerische Risikopotenziale auszuloten und Reputationsrisiken vorzubeugen. Der »Dialog mit externen Interessengruppen« wird genutzt, »um über neu aufkommende Risiken und Reputationsrisiken zu diskutieren« (Allianz 2005) und so »Chancen und Geschäftsrisiken frühzeitig zu erkennen« (Commerzbank 2007). Weniger als um die Folgen des Unternehmenshandelns für Umwelt und Gesellschaft sowie die Lösung daraus entstehender Konflikte geht es bei diesen Dialogen darum, mögliche Konsequenzen für die Unternehmensstrategie zu bewerten. Auch das Compliance-Management scheint häufig vornehmlich durch Kosteneinsparungen und die Vermeidung von Reputationsschäden motiviert. Zwar sei die Verfolgung und Ahndung von Compliance-Verstößen »selbstverständlich«, doch werden als Gründe in erster Linie Kostenvermeidung und Reputationsaufbau genannt: »Unser Compliance-System schafft die organisatorischen Voraussetzungen dafür, dass das jeweils geltende Recht, unsere internen Regelungen und Richtlinien sowie die vom Unternehmen anerkannten regulatorischen Standards konzernweit bekannt sind und ihre Einhaltung überwacht werden kann. Wir wollen so nicht nur Haftungs-, Straf- und Bußgeldrisiken sowie sonstige finanzielle Nachteile für das Unternehmen vermeiden, sondern zu einer positiven
(Deutsche Bank 2012, ähnlich Allianz 2008) Abgesehen von diesen Äußerungen ist die Finanzkrise erstaunlicherweise nicht Thema der Berichterstattung.
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Wahrnehmung des Unternehmens und seiner Mitarbeiter in der Öffentlichkeit beitragen.« (K+S-Gruppe 2009, 2011, ähnlich RWE 2011)
Und auch die nicht-finanzielle Berichterstattung selbst wird als Teil des Reputationsmanagements verstanden. So wird etwa »erwarte[t], dass die Berichterstattung über unsere sozialen, ökologischen und gesellschaftlichen Leistungen das Image und den Marktwert der Commerzbank steigert« (Rainer Dahms, Leiter der Personalabteilung bei der Commerzbank, Commerzbank 2005). Analog zu den Artikulationen der Wirtschaftsverbände wird dabei auch von den Unternehmen nicht nur Verantwortung als Teil der Unternehmensstrategie, als Mittel zum Zweck betrachtet, auch findet eine Umdeutung strategischen Handelns als verantwortliches Handeln statt. Ist die Verbindung zwischen Verantwortung und Risiko- bzw. Reputationsmanagement einmal etabliert, so kann das Risikomanagement z.B. auch als ›Ausdruck der Verantwortung‹ dargestellt werden, wie das folgende Zitat verdeutlicht: »Risikomanagement aus Verantwortung. Für uns ist Risikomanagement ein integraler Bestandteil nachhaltiger Unternehmensführung und Ausdruck der damit verbundenen langfristigen Verantwortung gegenüber unseren Kunden.« (Deutsche Börse 2009)
Unternehmensstrategisches Handeln wird als Ausdruck verantwortlichen Handelns und damit als inhärent verantwortlich dargestellt. Ob strategischem Handeln per se ein Verantwortungsgehalt zugesprochen wird oder Verantwortung aus strategischer Perspektive betrachtet wird, beide Tendenzen befördern eine Instrumentalisierung der Verantwortung. Werden innerhalb des Verantwortungsdiskurses Risiken ausschließlich als unternehmerische Risiken verstanden, so ist es letztlich allein der wirtschaftliche Erfolg, der über die Berücksichtigung ökologischer und sozialer Aspekte im wirtschaftlichen Handeln entscheidet. Ein Risikoverständnis, das – wie wir gesehen haben – heute aufgrund seiner Einseitigkeit in der Kritik einiger NGOs steht (siehe Kapitel 6). 7.3.2 Verantwortung als Wettbewerbsfaktor: »Wettbewerbsfähig durch Verantwortung« Von den Unternehmen wird Verantwortung ebenfalls als Wettbewerbsfaktor dargestellt. Es heißt dabei insgesamt: »Wettbewerbsfähig durch Verantwortung.« (VW 2005) Formuliertes Ziel ist es, »Sustainability Leader« (Henkel 2001) zu werden. Abgestellt wird dabei zum einen auf Effizienzsteigerung und Kostenreduktion, zum anderen wird Verantwortung als Mittel zur Generierung oder zum Erhalt von Wettbewerbsvorteilen auf Produkt-, Arbeits- und/oder Finanzmärkten beschrieben.
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Insgesamt zeigt sich die Rekurrenz auf Wettbewerbsmotive schon früh in der nicht-finanziellen Berichterstattung. Als Möglichkeit zur Erreichung dieser Ziele sehen die Unternehmen zu Beginn vor allem die Kostenreduktion. Erstmals wird im Jahr 2001 von mehreren Unternehmen auf Potenziale der Kostenreduktion durch nachhaltig ausgerichtetes Unternehmenshandeln rekurriert (BMW 2001; VW 2001; K+S-Gruppe 2001). Durch das »Umweltmanagement« könnten »die Umwelt geschont und Kosten gespart werden« (Bayer 2005). Vor allem im Bereich des Umweltschutzes motiviert die Reduktion von Kosten bzw. die Effizienzsteigerung Unternehmen zum schonenden Umgang mit Ressourcen: »Bei den BMW Partnern hat sich Umweltschutz neben der Sicherung des wirtschaftlichen Erfolgs, der Arbeitssicherheit und dem Gesundheitsschutz gleichberechtigt als zentrale Querschnittsaufgabe unternehmerischen Handelns etabliert. Die Erkenntnis: Effizienter Umweltschutz verbessert nicht nur das Image, sondern ist unverzichtbarer Teil des Qualitätsmanagements und hilft, die Kosten in Vertrieb und Service spürbar zu reduzieren.« (BMW 2001)
Nicht nur die Kosten für Ressourcen könnten durch schonenden Einsatz und Wiederverwertung gesenkt werden, auch die Vermeidung bzw. Reduktion von Abfall, sprich die Senkung von Entsorgungskosten wird als Anreiz für Umweltschutz genannt (BMW 2001). Ebenso könne die Wettbewerbsfähigkeit auf unterschiedlichen Märkten ausgebaut und erhalten werden, beispielsweise die Produktion nachhaltiger Technologien, Produkte und Dienstleistungen die Wettbewerbsfähigkeit auf Absatzmärkten erhöhen ̶ »[…] Wettbewerbsvorteile durch nachhaltige Produkte« (Henkel 2001). Auch die Arbeitgeberinnenattraktivität ebenso wie die Motivation der Mitarbeiterinnen könnten gesteigert werden. Bayer beschreibt als eines der Ziele gesellschaftlichen Engagements: »Die Handlungsweise als ›Good Corporate Citizen‹ soll uns interessant und attraktiv machen für hoch qualifiziertes Personal.« (Bayer 2004: 51) Darüber hinaus solle durch »gesellschaftliches Engagement« auch die Position des Unternehmens auf dem Kapitalmarkt positiv beeinflusst werden; hier solle ein »Beitrag zur Steigerung des Unternehmenswerts durch die Aufnahme in die Portfolios von Investment- und Pensionsfonds, die sich an ethischen Grundsätzen und Nachhaltigkeitskriterien orientieren« erfolgen und eine »[p]ositive Bewertung durch Rating-Agenturen, die sich auf die Beurteilung des gesellschaftlichen, sozialen, ökologischen und nachhaltigen Engagements von Unternehmen spezialisiert haben« erreicht werden (Bayer 2004: 51).
Hinsichtlich der Annahme einer Produkt- und Kapitalmarktrelevanz unternehmerischer Verantwortung fühlen sich die Unternehmen vor allem durch die positive Entwicklung von Absatzzahlen und Aktienkursen sowie gute Rankingergebnisse in Nachhaltigkeitsindizes wie dem Dow Jones Sustainability Index und dem
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FTSE4Good bestätigt (u.a. Allianz 2008; Bayer 2009; BMW 2001; Henkel 2001; Munich RE 2001). Alle untersuchten Unternehmen weisen in ihren Berichten auf entsprechende Auszeichnungen, Zertifizierungen und Ranking-Platzierungen hin und beschreiben nicht selten die dahinter stehende Motivation: »Anerkannte Zertifikate gewinnen schnell an Bedeutung und sind damit ein klarer Wettbewerbsvorteil.« (K+S-Gruppe 2007) Auch an den Auswirkungen auf die Mitarbeiterinnen bestehe »kein Zweifel«, die »weltweit […] besten Talente« könnten gewonnen und an das Unternehmen gebunden und »die Beschäftigungsfähigkeit und Motivation […] [der] Mitarbeiter langfristig [ge]sicher[t]« werden (VW 2007: 4). Insgesamt scheint das Motiv des Wettbewerbsfaktors heute so im unternehmerischen Bewusstsein verankert zu sein, dass Verknüpfungen zwischen Verantwortung und Wettbewerbserfolg auch ohne weitere Erklärungen in die Berichterstattung integriert werden können. So kann symbolhaft bzw. in einer »shorthand fashion« auf diese Argumente rekurriert und diese damit als gegeben normalisiert werden (Gamson/Lasch 1983: 389-391). Sätze wie • »Recycling: ökologisch sinnvoll und lukrativ.« (K+S-Gruppe 2007) • »Energie sparen, wettbewerbsfähig bleiben.« (Commerzbank 2011) • »Nachhaltigkeit als strategisches Prinzip.« (Siemens 2012)
sind als Überschriften oder auf dem Einband von Berichten zu lesen und zeigen an, dass die Äquivalenz von Verantwortung und Unternehmenserfolg heute weitestgehend etabliert zu sein scheint. 7.3.3 Verantwortung als Erfolgsfaktor und Investition: »Verantwortung zahlt sich aus« Die Weiterführung der vorstehenden Argumente führt die Unternehmen zu der Schlussfolgerung, dass durch verantwortliches Handeln nicht nur Kosten gespart, sondern auch Gewinne erwirtschaftet werden könnten. »Mit anderen Worten: Umweltschutz, gesellschaftliches Engagement und Mitarbeiterorientierung sowie Engagement für Investoren und Politik sind keine Kostenfaktoren, sondern Schlüssel zum langfristigen Erfolg.« (BMW 2001, eigene Hervorhebung, N.L.) Engagement wird dann als »Investition« oder unternehmerische Chance bzw. insgesamt als »Erfolgsfaktor« betrachtet, wenn neben die Einsparungspotenziale z.B. auch die Erschließung neuer Märkte als wesentlicher Treiber unternehmerischer Verantwortung tritt. So gilt mit Fortschreiten des unternehmerischen Diskurses: »Nachhaltigkeit – vom Kostentreiber zum Business Case« (VW 2007).
366 | I NSTRUMENTALISIERTE V ERANTWORTUNG? »Investitionen in Projekte zur Reduzierung der CO2-Emissionen sind nicht nur eine Möglichkeit, um klimaneutral zu sein, sondern auch ein rentabler Business Case mit wettbewerbsfähigen Renditen für die Allianz.« (Armin Sandhövel, CEO, Allianz Climate Solutions, Allianz 2011, ähnlich Allianz 2005; Bayer 2011) »Nachhaltiges Wirtschaften als Business Case. Nachhaltiges Wirtschaften ist für uns eine Investition in unsere Zukunftsfähigkeit und ein wesentlicher Treiber unseres Geschäfts. Bereits heute können wir aufzeigen, dass Nachhaltigkeitsmaßnahmen zu Kostenersparnissen bzw. Umsatzgenerierung führen und somit den Business Case Nachhaltigkeit untermauern.« (BMW 2012)
Damit wird die Besetzung von bestehenden Nischenmärkten im Bereich nachhaltiger oder verantwortlich hergestellter Produkte sowie der »Return on Investment« etwa aus der Erschließung neuer Märkte zur wesentlichen Motivation der Verantwortung. Die Beispiele für dieses strategische Engagement sind zahlreich. Erneuerbare Energien z.B. werden als »attraktiver Wachstumsmarkt« (Allianz 2011), die Finanzierung von Mikrokrediten in Entwicklungsländern als Möglichkeit zur Erschließung zukünftiger »Massenmärkte« betrachtet (Allianz 2005) und »Patientenzugangsprogramme unterstützen nicht nur Patienten im Zugang zu Behandlungsmöglichkeiten, die sie sich ansonsten nicht leisten könnten, sondern helfen […] auch, neue Märkte zu erschließen« (Bayer 2011). Innerhalb dieser unternehmerischen Argumentation werden Verantwortung und Nachhaltigkeit als »Rendite der Zukunft« (BMW 2010) verstanden: »Nachhaltigkeit ist ein wichtiges Element unserer Unternehmensstrategie. Wir verstehen das als Investition in unsere Zukunft.« (Reithofer, Vorsitzender des Vorstands der BMW AG, BMW 2012) »Wir definierten ein Nachhaltigkeitsprogramm mit dem klaren Ziel, Geschäftschancen und Wettbewerbsvorteile auszubauen.« (Kux, Mitglied des Vorstands der Siemens AG und Chief Sustainability Officer, Siemens 2012) »Unternehmerische Verantwortung ist ein integraler Bestandteil unserer Konzernstrategie und leistet einen wichtigen Beitrag zu unserem wirtschaftlichen Erfolg und unserer Wettbewerbsfähigkeit.« (Appel, Vorstandsvorsitzender der Deutsche Post DHL, Deutsche Post 2009)
Verbunden ist die Interpretation von Verantwortung als Investition, wie hier zu sehen, häufig mit ihrer Konnotation als »unternehmerisches Potenzial« anstatt als einer das Handeln begrenzenden Größe. Insbesondere die Formulierung »Nachhaltigkeit als Chance« findet sich besonders häufig (u.a. BMW 2007; Henkel 2001; Siemens 2008; VW 2007). Werden z.B. die »gesellschaftlichen Herausforderungen«,
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die »Risiken des Klimawandels« oder die »Auswirkungen von Globalisierung und Demografie« besprochen, so berge die Berücksichtigung dieser Trends »die Chance, die eigene Wettbewerbsfähigkeit auszubauen« (VW 2007, ähnlich Allianz 2006, 2008; Beiersdorf 2012; Commerzbank 2011). Verantwortung wird somit als »strategischer Erfolgsfaktor« verstanden (Henkel 2011; Lanxess 2011; Siemens 2008). In den jüngsten Berichten ist diese Sicht auf Verantwortung – hier vor allem unter dem Signifikanten der Nachhaltigkeit – in verkürzter Form als Quasi-Objektivität zu lesen: • • • • •
»Klimawandel: Risiken bewältigen und Chancen nutzen.« (Allianz 2012) »Nachhaltig wirtschaften – Chancen nutzen.« (Siemens 2012) »Hohe Nachhaltigkeitsstandards zahlen sich aus.« (Munich Re 2012) »Nachhaltigkeit – Erfolgsfaktor mit bleibendem Wert.« (Commerzbank 2011) »Nachhaltigkeit zahlt sich aus.« (BMW 2012)
In derartigen Konzeptionen eines rein erfolgsorientierten Verantwortungsbegriffs, die Verantwortung als unternehmerische Chance und Investition beschreiben, wird zugleich ein Verständnis unternehmerische Verantwortung ausgeklammert, welches Konflikte zu anderen Zielen des Unternehmens oder die Unerfüllbarkeit der Ansprüche einzelner Stakeholder mit in den Blick nimmt. 7.3.4 Win-win-Motive: »Verantwortung und Profit gehen Hand in Hand« Impliziert wird bereits mit den vorstehenden Motiven die Möglichkeit einer gleichzeitigen Erfüllung unternehmerischer und gesellschaftlicher Interessen. Explizit wird dieser Grundtenor des »Business Case for CSR«, wenn unternehmerische Verantwortung als »Win-win«-Situation beschrieben wird (z.B. Henkel 2001; Allianz 2007; VW 2012). Innerhalb dieser Artikulationen wird beispielsweise die natürliche Vereinbarkeit von ökologischen und ökonomischen Zielen hervorgehoben oder die Verfolgung des Umweltschutzes und die Steigerung des Unternehmenserfolgs als miteinander einhergehend bzw. nicht in Konflikt stehend beschrieben. »Nachhaltiges Handeln und wirtschaftliche Vernunft – das sind keine Gegensätze, im Gegenteil« (Siemens 2012: 20): »Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit lassen sich […] erfolgreich in Einklang bringen.« (K+S Gruppe 2003: 4) Schonung der Umwelt und Kostensenkung beispielsweise verbinden sich zu einer »Win-win«-Situation: »Erfolgreicher Umweltschutz wirkt bei Siemens in zwei Richtungen: Einerseits trägt er maßgeblich dazu bei, unserer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht zu werden; andererseits
368 | I NSTRUMENTALISIERTE V ERANTWORTUNG? birgt er auch Potenziale für Kostensenkungen und Produktivitätssteigerungen.« (Siemens 2001)
Auch »[b]eim Treibstoffverbrauch gehen Ökologie und Ökonomie Hand in Hand« (Lufthansa 2013: 3, ähnlich Commerzbank 2007: 27). Im Bericht der Deutschen Bank wird dieser Gedanke in einem Interview mit Karl Homann auf den Punkt gebracht: »Aus Sicht der Unternehmen geht es [bei der gesellschaftlichen Verantwortung, N.L.] um Investitionen in die Stärkung der Gesellschaft – zum gegenseitigen, also auch zum eigenen, Nutzen. Gesellschaftliche Verantwortung zu denken, zu praktizieren und gegenüber den Anteilseignern zu rechtfertigen, ist unter Bedingungen des globalen Wettbewerbs nur in einem Win-win-Modell zu denken und zu praktizieren.« (Deutsche Bank 2008: 9, eigene Hervorhebung, N.L.)
Das Zitat macht deutlich, dass, auch wenn hier der gesellschaftliche ›Nutzen‹ mitgedacht ist, er jeweils ›nur‹ dann realisiert wird, ja nur realisiert werden könne, wenn auch das Unternehmen profitiert; die Verantwortung findet ihre Grenzen in den Profitmöglichkeiten des Unternehmens. Vom Ziel der Gewinnmaximierung wird dabei nicht unbedingt abgewichen, vielmehr sucht man »nach Lösungen, die einen möglichst hohen Mehrwert schaffen – für die Gesellschaft und für unser Unternehmen« (BMW 2007: 2). 7.3.5 Freiwilligkeit als zwingende Bedingung für unternehmerische Verantwortung: »Eigeninitiative statt staatlicher Regelung« Analog zu Wirtschaftsverbänden, staatlichen und gewerkschaftlichen Akteuren beschreiben auch Unternehmen Verantwortung als freiwilliges Konstrukt. Die Freiwilligkeit der Verantwortung wird dabei als zwingende Voraussetzung unternehmerischer Verantwortung gesehen. Nur eine auf Freiwilligkeit basierende und damit Abgrenzung erlaubende Verantwortungsübernahme, so die Argumentation der Unternehmen, könne Wettbewerbsvorteile sowie Reputationsgewinne ermöglichen. Freiwilligkeit wird damit auch hier zur Bedingung der Möglichkeit der von den Unternehmen verfolgten Instrumentalisierung. Zugleich erhebt die Freiwilligkeit der Verantwortung marktbasierte Anreize zum (vermeintlich) einzig wirksamen Instrument ihrer Durchsetzung. Das heißt, vor allem wenn Verantwortung als freiwillig definiert wird, kann die Generierung von finanziellem Erfolg als legitimes Ziel der Verantwortungsübernahme aufrechterhalten werden. Finanzieller Erfolg kann als Beförderer der Verantwortung als notwendiger Schritt ihrer Realisierung be-
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trachtet werden. Wachstum, Wettbewerb und Gewinnstreben werden so nicht nur Teil unternehmerischer Verantwortung, sie bleiben auch außerhalb des Bereichs des Problematischen bzw. werden nicht infrage gestellt. Auch der ›Grundsatz der Freiwilligkeit‹ wird von den Unternehmen durch verschiedene Argumente gestützt, die auf unterschiedliche Weise unternehmerische Verantwortung als notwendig freiwilliges Konzept konzipieren. In der nichtfinanziellen Berichterstattung zeigt sich von Beginn an eine klare Befürwortung freiwilliger Selbstverpflichtungen und die Bevorzugung marktbasierter Anreize, etwa »marktwirtschaftlich orientierte[r] Umweltpolitik« (K+S-Gruppe 2001). Selbstverpflichtungen, die zumeist vonseiten der Wirtschaft, zum Teil durch Kooperation mit staatlichen Akteuren, initiiert und verabschiedet werden, gehen als rechtlich unverbindliche Erklärungen häufig mit dem Verzicht auf gesetzliche Regulierungen durch den Staat einher. Gerade in der Verhinderung gesetzlicher Regulierungen liegt für viele Unternehmen der Reiz dieses Instruments (Kinderman 2012). Zudem verbleiben Ausgestaltung, Berichterstattung und Überprüfung der Vereinbarungen vornehmlich bei den Unternehmen und Verletzungen bleiben häufig ohne gravierende Sanktionen. Bis heute steht die Erhaltung der »Grundsubstanz eines freiwilligen und damit wettbewerbsgetriebenen Verständnisses« der Verantwortung (VW 2012) für viele Unternehmen im Vordergrund. Wenige Unternehmen sprechen diesen Regulierungshandel jedoch so direkt wie im folgenden Zitat an: »Seit dem Jahr 2000 ist K+S an der hessischen Umweltbilanz beteiligt. Die Umweltbilanz hat zum Ziel, auf der Basis von freiwilligen Vereinbarungen zwischen Wirtschaft und Landesregierung Verbesserungen für den betrieblichen Umweltschutz zu erreichen. Als Gegenleistung wird die Landesregierung den sich beteiligenden Unternehmen Erleichterungen im Verwaltungsvollzug einräumen und so auch den Wirtschaftsstandort Hessen stärken.« (K+S-Gruppe 2001)
Weitaus häufiger als die direkte Benennung der Tauschbeziehung zwischen Staat und Unternehmen wird der freiwillige Verantwortungsbegriff auf implizite Weise befördert. Häufig wird dazu auf die Effizienz und Effektivität des Instruments der freiwilligen Selbstverpflichtungen Bezug genommen bzw. werden bisherige Erfahrungen mit freiwilligen Selbstverpflichtungen als »überaus erfolgreich« und »wirksam« (BMW 2001) beschrieben sowie die Verbindlichkeit der Unternehmen gegenüber den von ihnen unterzeichneten Selbstverpflichtungen unterstrichen. Diesen positiven Zuschreibungen freiwilliger Verantwortung werden von den Unternehmen negative Bezugnahmen auf Gesetze und verbindliche Standards entgegengestellt, sodass ein positiv besetzter freiwilliger Verantwortungsbegriff einem negativ konnotierten Begriff staatlich regulierter Verantwortung gegenübersteht. Beispielsweise wird Kritik an bestehenden Gesetzen und Regelungen geübt sowie
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neue Regulierungsbestrebungen abgelehnt und gleichzeitig die unternehmerische Freiheit positiv hervorgehoben, wie das folgende Zitat deutlich macht: »Eigeninitiative statt staatlicher Regelung. Die BMW Group gestaltet aktiv auch die umweltpolitischen Rahmenbedingungen mit, die die Unternehmenstätigkeit im Kern betreffen. Generell setzt sich die BMW Group dabei für Eigeninitiative und freiwillige Selbstverpflichtungen ein, statt auf staatliche Vorgaben zu warten.« (BMW 2001)
Zum einen werden die Eigeninitiative, der Einsatz und die Aktivität der Unternehmen im Umweltschutz betont, zum anderen implizit Kritik an staatlichen Regulierungsversuchen geübt. Indem diese als langsam (»warten«) dargestellt werden und durch die direkte Gegenüberstellung zur unternehmerischen Lösung zusätzlich in einen »Bürokratie vs. Markteffizienz«-Diskurs eingeordnet werden, wird die Überlegenheit wettbewerblicher Lösungen behauptet. Häufig werden z.B. Überlegungen und Pläne staatlicher und überstaatlicher Regulierung mit »großer Sorge« (BMW 2001; K+S-Gruppe 2001) verfolgt, meist unter Verweis auf die Komplexität und den bürokratischen Aufwand, den verbindliche Regelungen mit sich führten. Für die unternehmerische Aktivität sei es von großer Bedeutung, »dass keine unverhältnismäßigen Anforderungen« gestellt würden und diese auf »effektive und sparsame Weise« umsetzbar seien (K+S-Gruppe 2002, ähnlich 2005, 2007). Begründet wird die Ablehnung ›staatlicher Eingriffe in die unternehmerische Freiheit‹ durch Befürchtungen von »Wettbewerbsverzerrungen« vor allem im internationalen Markt (Commerzbank 2011; Lufthansa 2011). Es ist insbesondere der Emissionshandel, der in vielen Unternehmen Kritik hervorruft.18 Vor allem die emissionsreichen Industrien, wie Luftfahrt- und Automobilindustrie, wehren sich gegen diese und andere Bestimmungen zur Emissionsreduktion. In Bezug auf die Förderung nachhaltiger Mobilität wird u.a. gefordert, dass »sich die Politik aus der Technologie raushalten, keiner Technologie den Vorrang geben und nicht den gesunden Wettbewerb unterschiedlicher Technologien verhindern« solle, um so »dem Wettbewerb und der Evolution der Technologien ihren Lauf zu lassen« (Dr. Wolfgang Steiger, Leiter Konzernforschung Antriebe der Volkswagen AG, VW 2007). Ähnlich wie in der Argumentation wirtschaftlicher Akteure (siehe Kapitel 6) werden staatliche Eingriffe hier als Begrenzung der Lösungskompetenz, Eigeninitiative und Innovationskraft der Unternehmen betrachtet und damit nicht zuletzt auch als Verantwortung und Nachhaltigkeit verhindernd begriffen. Durch den Verweis auf
18 Die K+S-Gruppe beispielsweise, die besonders starke Kritik an Regulierungen übt, berichtet in mehreren Jahren davon, bei der deutschen Emissionshandelsstelle rechtlichen Widerspruch in Bezug auf den Emissionshandel eingelegt zu haben (Emissionshandelsstelle DEHSt, siehe K+S-Gruppe 2005, 2007, 2009).
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das ›gemeinsame Ziel‹ unternehmerischer Verantwortung wird das partikulare Interesse der Regulierungsverhinderung für die Unternehmen artikulierbar. Dabei steht ebenso wie bei staatlichen Akteuren und Wirtschaftsverbänden nicht nur die nationale Gesetzgebung in der Kritik, auch den Einfluss auf internationale Gesetze und Regelungen etwa durch die europäische Gesetzgebung sehen die Unternehmen mit Skepsis: »Da zumindest in Deutschland bereits ein ausgeprägtes und weit verzweigtes System umweltrechtlicher Vorschriften besteht, ist die übertriebene Geschwindigkeit, in der neue Rechtsnormen beschlossen werden sollen, schwer verständlich. Für die betroffenen Unternehmen und die zuständigen Behörden ist es bereits heute problematisch, die sich in schneller Folge ändernden Rechtsnormen in die Betriebspraxis umzusetzen, beziehungsweise deren Umsetzung zu überwachen.« (K+S-Gruppe 2002)
Auch hier äußert sich die Kritik an staatlicher Regulierung durch den Verweis auf die Komplexität und den bürokratischen Aufwand. Anders als im obigen Zitat wird jedoch nicht die Schwerfälligkeit der staatlichen Bürokratie kritisiert, sondern vielmehr die »übertriebene Geschwindigkeit« der Regulierungsprozesse, denen Unternehmen kaum Folge leisten könnten. Hier wie dort ist die Schlussfolgerung: mehr Freiwilligkeit und weniger Regulierung, mehr Markt und weniger Staat.
7.4 R ELATIONALE UND MORALISCHE M OTIVE U NTERNEHMENSDISKURS
IM
In der nicht-finanziellen Berichterstattung der DAX-30-Unternehmen lassen sich neben den instrumentellen Motiven vereinzelt relationale und moralische Motive identifizieren. Während moralische Motive von den Unternehmen kaum genannt, vereinzelt sogar explizit abgelehnt werden, werden relationale Motive etwas häufiger angesprochen. Auch sie müssen jedoch insofern als marginal bezeichnet werden, als sie dort, wo sie angesprochen werden, in enger Verbindung zu instrumentellen Motiven genannt bzw. durch diese überlagert werden. Insgesamt zeigen sich weder relationale noch moralische Motive als kontinuierlich geäußerte Motive. 7.4.1 »Wertschätzung führt zu Wertschöpfung«: Relationale Motive? Den relationalen Motiven unternehmerischer Verantwortung können in erster Linie die Stärkung von Beziehungen sowohl innerhalb als auch außerhalb des Unternehmens, d.h. auch der Aufbau und Erhalt des Vertrauens von Anspruchsgruppen
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(»Beziehungsaufbau«) sowie das Sicherstellen von gesellschaftlicher »Akzeptanz« zugeordnet werden. In den nicht-finanziellen Berichten der Unternehmen verbinden sich relationale Motive mit einer Reihe von Strategieansätzen. Ansätze, die von Unternehmen in Zusammenhang mit den Begriffen der Legitimität oder Glaubwürdigkeit genannt werden (»Akzeptanz), sind vor allem Compliance-Management und StakeholderDialoge, auch das Beschwerdemanagement und Kundenbefragungen werden vereinzelt genannt. Über verschiedene Formen von Stakeholder-Dialogen etwa wird mit zwei Ausnahmen von allen Unternehmen regelmäßig berichtet und auch das Compliance-Management wird von allen bis auf ein Unternehmen im nichtfinanziellen Bericht behandelt. Diese Ansätze werden von den Unternehmen als beziehungs- und akzeptanzfördernd wahrgenommen; sie sprechen z.B. davon, »solide Brücken« zu ihren Stakeholdern zu bauen und zu erhalten (Commerzbank 2005), als »vertrauenswürdige Partner« wahrgenommen werden zu wollen (Allianz 2010; Deutsche Bank 2012; Siemens 2012, ähnlich Bayer 2006) und ihre »gesellschaftliche Verankerung und Akzeptanz« zu sichern (E.On 2008, ähnlich Daimler 2010; HeidelbergCement 2009; Henkel 2011; K+S-Gruppe 2011; RWE 2012). Im Rahmen des Compliance-Managements z.B. könne Vertrauen durch Beweis der Rechtschaffenheit des Unternehmens erreicht werden (Bayer 2007), im »Dialog« mit Stakeholdern die »Glaubwürdigkeit als verantwortungsvolles Unternehmen durch ein authentisches Engagement« gestärkt werden (Deutsche Börse 2009). Und auch im Austausch mit Kunden, der Politik oder der Wissenschaft sollen Vertrauen und gesellschaftliche Akzeptanz geschaffen werden (Commerzbank 2007; Merck 2012). Legitimitäts- und Beziehungsaufbau, der Erhalt des Vertrauens der Stakeholder bzw. der gesellschaftlichen »Licence to Operate« (Bayer 2009, 2011, 201219; E.On 2005; Linde 2007; Siemens 2006, 2007) werden von den Unternehmen folglich als wichtig erachtet, häufig jedoch mit instrumentellen Motiven verknüpft. In vielen Fällen ist der Verweis auf relationale Motive folglich von instrumentellen begleitet: Das Bauen »solider Brücken« (Commerzbank 2005; s.o.) zu den Stakeholdern des Unternehmens wird z.B. mit der »Überzeugung« verbunden, »dass dieser kontinuierliche Dialog hilft, Geschäftsrisiken zu mindern, aber auch Chancen wahrzunehmen« (Commerzbank 2005) bzw. »Verbesserungspotenziale zu entdecken und Risiken zu vermeiden« (Deutsche Börse 2009). Auch die transparente und glaubwürdige Kommunikation wird nicht nur als Möglichkeit des Beziehungsaufbaus zu gesellschaftlichen Anspruchsgruppen gesehen, sondern sei ebenso »Erfolgsfaktor«, denn »auch der Finanzmarkt, Ratingagenturen und unsere Kunden urteilen täglich darüber, wie wir unserer Verantwortung gerecht werden« (RWE 2012, ähnlich 19 Bayer (2011, 2012) definiert die »Licence to Operate« als »›Betriebslizenz‹, die sich weniger in Recht und Gesetz als vielmehr in der gesellschaftlich wahrgenommenen Legitimität unternehmerischen Handelns manifestiert«.
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Deutsche Post 2010). Auch dort, wo auf Compliance-Management als Mittel zur Bildung von Vertrauen Bezug genommen wird, wird zugleich auf das Motiv der Versicherung (siehe Kapitel 7.3.1) verwiesen, indem auf die Vermeidung »rechtlicher, regulatorischer Sanktionen oder finanzieller Verluste« (Commerzbank 2007) sowie von (Reputations-)Risiken und den damit einhergehenden Kosten abgezielt wird: »Die Integrität von Unternehmen ist ein zentrales Kriterium für ihre Akzeptanz in der Gesellschaft. Die Öffentlichkeit erwartet, dass Unternehmen zuverlässig und rechtschaffen sind. Es liegt deshalb auch im Interesse der Unternehmen, durch ein effektives ComplianceManagement unrechtmäßigen Handlungen vorzubeugen. Nur so lässt sich das Risiko empfindlicher Strafen und Reputationseinbußen verringern.« (Bayer 2007)
Wird folglich auf die Erwartungen der Gesellschaft reagiert und deren Akzeptanz betont, so wird zugleich auch auf das Unternehmensinteresse rekurriert bzw. die Vermeidung von Kosten und Reputationsverlust hervorgehoben oder eine positive Beziehungsgestaltung als Voraussetzung zum Geschäftserfolg betrachtet. »Das Ansehen bei unseren Kunden, Geschäftspartnern und Investoren, das Vertrauen unserer Mitarbeiter, die öffentliche Akzeptanz und Glaubwürdigkeit gegenüber Wissenschaft, Politik, Medien und gesellschaftlichen Institutionen: Dies alles ist für uns Grundvoraussetzung des geschäftlichen Erfolgs. Stakeholder-Engagement stellt deshalb einen wichtigen Baustein unserer Aktivitäten dar.« (Siemens 2009, eigene Hervorhebung, N.L.)
Weil Vertrauen, Akzeptanz und Glaubwürdigkeit Grundvoraussetzung des geschäftlichen Erfolgs sind, werden sie als wichtig erachtet. So werden immer wieder Verbindungen zwischen Integrität, Rechtschaffenheit und möglichen Kosten/Erträgen hergestellt bzw. »Integrität und Vertrauenswürdigkeit« als »Geschäftsgrundlage« betrachtet (Commerzbank 2011). Ein entsprechendes »Fazit« zieht auch der BMW-Vorstand: »Werte wie Vertrauen und gegenseitige Wertschätzung prägen unsere Unternehmenskultur. Wertschätzung bereichert nicht nur die tägliche Zusammenarbeit im Unternehmen, sondern zahlt sich auch aus: Mitarbeiter, die akzeptiert werden, leisten mehr und identifizieren sich stärker mit dem Unternehmen. Ein solches Klima ist zudem innovationsfördernd. Fazit: Wertschätzung führt zu Wertschöpfung.« (Baumann, Mitglied des Vorstandes der BMW AG, Personal- und Sozialwesen, BMW 2007, eigene Hervorhebung, N.L.)
Während sich aus den Artikulationen der Unternehmen nicht immer ablesen lässt, ob innerhalb dieser Verbindung die Erfüllung der Unternehmensinteressen notwendige Bedingung und damit ausschlaggebend für verantwortliches Unternehmens-
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handeln ist oder ob das unternehmerische Interesse nur eine potenzielle Nebenfolge darstellt, so lässt insgesamt die Allgegenwärtigkeit instrumenteller Motive Ersteres zumindest als wahrscheinlich erscheinen. 7.4.2 »Nicht Wohltätigkeit, sondern Investition«: Moralische Motive? Die Analyse der nicht-finanziellen Berichte zeigt, dass moralische Motive kaum und wenn, dann nur selten für sich allein stehend vorgebracht werden. Anstatt ein eigenständiges, konsistentes Muster zu bilden, werden moralische Motive, ebenso wie relationale, meist im Zusammenhang mit instrumentellen Motiven genannt. Neben der weitgehenden Abwesenheit moralischer Motive distanzieren sich einige der Unternehmen explizit von diesen Motiven. Sie werden dann nicht nur nicht artikuliert, sondern aktiv aus dem unternehmerischen Motivvokabular ausgeschlossen. Interessant ist auch, dass gerade moralische Motive häufig im Vorwort der Berichte artikuliert werden und damit ebenfalls aus dem ›eigentlichen‹ Bericht herausgehalten, ›strukturell‹ marginalisiert werden, wenn man so will. Lässt die Rekurrenz der Unternehmen auf Begriffe wie »Überzeugung« (u.a. Bayer 2004; Daimler 2011; Deutsche Bank 2012; Deutsche Post 2003; Lufthansa 2011; VW 2012),20 »Selbstverständnis« (u.a. BMW 2010, 2012; Deutsche Bank 2004) oder »Verpflichtung« (u.a. Bayer 2012; Siemens 2001) zunächst auf moralische Motive unternehmerischer Verantwortung schließen (»Anliegen/eigener Anspruch«, »moralische Verpflichtung«), so sind Zitate wie das folgende, in denen eine Verpflichtung zum verantwortlichen Handeln explizit auch bei Ausbleiben eines unternehmerischen Nutzens formuliert wird, selten: »Ganz selbstverständlich setzt sich die BMW Group aber auch dann mit ganzer Kraft ein, wenn kein direkter Nutzen für das Unternehmen entsteht. Im Fall solch verheerender Katastrophen wie dem Tsunami in Südostasien sieht sich die BMW Group in der Pflicht und der
20 Allerdings kommt es hier auf die genaue Formulierung bzw. den Kontext von Begriffen wie »Überzeugung« an, denn viele Unternehmen sind z.B. auch davon »überzeugt, dass Nachhaltigkeit für uns ein strategischer Erfolgsfaktor und ein Wettbewerbsvorteil ist« (Henkel 2011, eigene Hervorhebung, N.L.). Auch zeigen Unternehmen sich überzeugt bzgl. der Schädlichkeit verbindlich regulierter Verantwortung: »Die Politik sollte – das ist meine feste Überzeugung – dem Wettbewerb und der Evolution der Technologien ihren Lauf lassen.« (Steiger, Leiter Konzernforschung Antriebe der Volkswagen AG, VW 2007). Hier wird erneut deutlich, dass eine rein quantitative Auswertung der Texte, z.B. Wortzählungen von Begriffen wie »Überzeugung«, leicht zu Fehlinterpretationen führen kann, was durch eine qualitative Auswertung vermieden werden kann.
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Verantwortung, ihre wirtschaftliche Stärke zum Wohl der Betroffenen einzusetzen.« (BMW 2007)
Begriffe, die auf ein Gefühl der Verpflichtung oder der Überzeugung hinsichtlich verantwortlichen Handelns hinweisen können, werden von den Unternehmen primär in Bezug auf wenig spezifische Maßnahmen geäußert. So werden z.B. unternehmensinterne Werte wie etwa Wertschätzung unter den Mitarbeiterinnen aus »Überzeugung« ›gelebt‹ (Deutsche Bank 2012) und allgemein gehaltene Ziele wie die »Verantwortung gegenüber Umwelt, Mensch und Gesellschaft« aus »Überzeugung« wahrgenommen (Lufthansa 2011, ähnlich Bayer 2005). Auch wird »gesellschaftliches Engagement« als »Bestandteil des unternehmerischen Selbstverständnisses« bezeichnet (BMW 2012, ähnlich E.On 2008) oder eine »Verpflichtung« gegenüber dem »gesellschaftlichen Umfeld« empfunden (Commerzbank 2007). Zudem werden in Deutschland gesetzlich verpflichtende Verhaltensweisen häufig mit moralischen Motiven in Verbindung gebracht und beispielsweise dort auf »Überzeugung« oder den »eigenen Anspruch« verwiesen, wo kraft Gesetzes bestimmte Maßnahmen vorgeschrieben sind. So wird der eigene »Anspruch als verantwortungsvoller Arbeitgeber« etwa dadurch erfüllt, dass alle Mitarbeiterinnen »gemäß den nationalen Gesetzen krankenversichert« sind (Bayer 2006), innerhalb des Unternehmens aus »Überzeugung« Diskriminierungsfreiheit herrscht (Deutsche Bank 2012) oder die Unternehmensmitglieder aus »Überzeugung« »in Übereinstimmung mit nationalen und internationalen Gesetzen, mit Vorschriften und internen Richtlinien« handeln möchten (Daimler 2012). In der überwiegenden Anzahl der Fälle werden moralische jedoch gemeinsam mit instrumentellen Motiven genannt. Weniger als mit anderen moralischen Motiven verknüpft zu werden, werden moralische Motive so in ökonomische Zusammenhänge gestellt. Es soll z.B. nicht nur aus »Überzeugung« »Verantwortung gegenüber Umwelt, Mensch und Gesellschaft« wahrgenommen (Lufthansa 2011, s.o.) (»Anliegen/eigener Anspruch«), sondern zugleich »für Kunden, Mitarbeiter und Investoren mehr Wert« geschaffen werden (Lufthansa 2011) (»Erfolgsfaktor/Investition«), und »gesellschaftliches Engagement« gehört zwar zu »den Grundwerten [d]er Unternehmenskultur« (E.On 2008, s.o.) (»Tradition/Kultur/Werteerhalt«), soll aber auch die Reputation bei Stakeholdern und die Bindung der Mitarbeiterinnen erhöhen (E.On 2008) (»Versicherung«). Moralische Motive kommen im Unternehmensdiskurs selten ganz ohne Verweis auf unternehmerische Vorteile aus: »Eines haben alle diese Wege [zur Lösung gesellschaftlicher Probleme, N.L.] gemeinsam: Es geht uns dabei nicht um kurzfristige Aktionen oder Effekthascherei. Dafür sind die Probleme zu ernst, mit denen wir weltweit konfrontiert sind. Es geht vielmehr um langfristige und dauerhafte Wirkung. Das bedeutet auch, manchmal unbequeme Wege zu gehen. Wir nehmen das
376 | I NSTRUMENTALISIERTE V ERANTWORTUNG? bewusst in Kauf. Denn wir suchen nach Lösungen, die einen möglichst hohen Mehrwert schaffen – für die Gesellschaft und für unser Unternehmen.« (BMW 2007)
Wo, wie hier im ersten Teil der Aussage, die Ernsthaftigkeit von Problemen21 anerkannt und die Wahrnehmung von Verantwortung auch unter Inkaufnahme von Widerständen betont wird, wird dies durch einen »möglichst hohen Mehrwert« auch für das Unternehmen getan. Mit der Ausrichtung auf den Mehrwert für die Gesellschaft und das Unternehmen wird eine gesellschaftliche Wirkung als wichtig empfunden und angestrebt, aber zugleich in Verbindung zum unternehmerischen Mehrwert gesetzt. Insgesamt wird häufig dort, wo moralische Motive angeführt werden, im gleichen Zuge auf das Unternehmensinteresse verwiesen: »Verantwortung ernst nehmen […] aus Überzeugung und um die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens nachhaltig zu sichern.« (Deutsche Börse 2008, eigene Hervorhebung, N.L.)
Innerhalb dieser Artikulationen geht es jeweils darum, Verantwortung gegenüber Gesellschaft und Umwelt wahrzunehmen aus »Überzeugung und aus eigenem Interesse« (BMW 2005, 2007). Vereinzelt zeigt sich zudem, dass Unternehmen die Wahrnehmung ihrer Verantwortung ausdrücklich »nicht als Wohltätigkeit, sondern als Investition in die Gesellschaft und damit auch in ihre eigene Zukunft« verstanden wissen wollen (Deutsche Bank 2007, eigene Hervorhebung, N.L.). Unter Rekurrenz auf die instrumentelle Rahmung der Verantwortung als »Investition« (siehe Kapitel 7.3.2) wird hier der unternehmerische Begriff der Verantwortung gegenüber Begriffen wie Wohltätigkeit oder Altruismus ausdrücklich abgegrenzt. »Die Umsetzung von Konzepten zur nachhaltigen Entwicklung der Unternehmen gewinnt im globalen Wettbewerb immer mehr an Bedeutung, sie geschieht deshalb nicht aus Altruismus.« (Deutsche Bank 2006, eigene Hervorhebung, N.L.) »Für die BMW Group hat das Wahrnehmen gesellschaftlicher Verantwortung wenig mit Philanthropie oder Mäzenatentum, dafür aber viel mit der Steigerung des Unternehmenswerts zu tun.« (BMW 2007, eigene Hervorhebung, N.L.)
Indem Verantwortung und Nachhaltigkeit von Fragen des wohltätigen Engagements abgegrenzt werden, kreieren Unternehmen eine Grenze zwischen der Wahrneh21 Schon der Gebrauch des Wortes »Problem« ist äußerst selten und scheint hier die Sorge des Unternehmens zu betonen. Unternehmen meiden innerhalb ihrer nicht-finanziellen Berichte weitgehend Begriffe wie »Problem« oder »Krise« und benutzen ›lösungsorientierte‹ und ›zukunftsweisende‹ Begriffe wie »Herausforderung« oder »Chance«.
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mung von Verantwortung im Rahmen der unternehmerischen Strategie und moralisch motivierter Verantwortung.
7.5 Z WISCHENFAZIT Dieses Kapitel hat im Rahmen der Analyse der nicht-finanziellen Berichte großer deutscher Unternehmen die Verantwortungssubjekte selbst in den Fokus genommen, um so ein Bild ihrer Verantwortungsinterpretationen und -motivationen zu erhalten. Dabei zeigte die Verbreitung nicht-finanzieller Berichterstattung unter den DAX-30-Unternehmen, dass unternehmerische Verantwortung für große Unternehmen über die letzten Jahre an Bedeutung gewonnen hat. Auch wurde erneut deutlich, dass mit der Einführung der Signifikanten »CSR« und »CR«, insbesondere aber der Nachhaltigkeit, die den Verantwortungsbegriff auf eine auch ökonomische Dimension ausweiten, das Ökonomische der Verantwortung normalisiert wird und auch in der nicht-finanziellen Berichterstattung einen offenbar akzeptierten Platz erhält. Verantwortlich zu sein, bedeutet für die Unternehmen heute in erster Linie, nachhaltig zu wirtschaften und dabei ihre soziale, ökologische und ökonomische Verantwortung zu beachten. Im Einklang mit diesem Begriffsverständnis werden von den Unternehmen – die Artikulationen wirtschaftlicher, staatlicher und gewerkschaftlicher Akteure aufgreifend und reproduzierend – vor allem instrumentelle Motive vorgebracht, womit der »Business Case for CSR« sowohl das auch hier akzeptierte Motivvokabular stellt als auch die unternehmerische ›Praxis‹ zu durchdringen scheint, was das im vorherigen Kapitel postulierte Lock-in weiter fundiert. Dass von den Verantwortungssubjekten selbst fast ausschließlich instrumentelle Motive vorgebracht werden, zeigt die für das Lock-in charakteristische »shortage of acceptable statements« (Hess et al. 2010: 204), das die Artikulation von Motiven ›außerhalb‹ des akzeptierten Motivvokabulars erschwert. Es wurde gezeigt, dass die Unternehmen fünf instrumentelle Motive regelmäßig artikulieren, wobei deutlich wird, dass die Unternehmen ihre Verantwortung vornehmlich auf sich selbst, den eigenen Vorteil, beziehen. Unternehmen scheinen dabei zugleich Verantwortungssubjekt und -objekt zu sein. Auffällig ist beispielsweise die Interpretation von Risiken als ausschließlich unternehmerische Risiken, was unter anderem im Fokus auf die Reputationsrisiken deutlich wurde. Ausgeschlossen wird von den Unternehmen dabei die Sorge für Dritte, die häufig als wesentliches Moment der Verantwortung angesehen wird (Birnbacher 1995a; Ladd 1992; Neuhäuser 2011). Mögliche Zielkonflikte zwischen unternehmerischem Gewinnstreben und ökologischen oder sozialen Ziele werden von den Unternehmen weitgehend ausgeklammert oder explizit in ein Harmonieszenario überführt. Dies geschieht explizit
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vor allem dort, wo von Win-win-Motiven die Rede ist. Verantwortliches und wirtschaftliches Handeln werden von den Unternehmen als widerspruchsfrei und miteinander ›Hand in Hand‹ gehend beschrieben. Deutlich wird auch hier, dass Verantwortung jeweils nur dort eine Option ist, wo sie sich mit dem Profitstreben der Unternehmen vereinen lässt. Relationale und moralische Motive werden deutlich weniger artikuliert. Weder relationale noch moralische Motive scheinen für sich stehen zu können und werden jeweils in den instrumentell-voluntaristischen Mainstream eingewoben, mit instrumentellen Motiven verknüpft. Von moralischen Motiven distanzieren sich Unternehmen zuweilen gar, was insbesondere dort deutlich wird, wo Unternehmen explizit ausdrücken, dass Verantwortung nicht als ›Wohltat‹, ›Altruismus‹ oder Teil einer ›Verpflichtung‹ gesehen werden dürfe, sondern unternehmerische Strategie sei. Auch darin zeigt sich, dass derartige Motive ›außerhalb‹ des aktuell akzeptierten Motivvokabulars liegen und wenn, dann nur in Verbindung mit diesen zu artikulieren sind.
8 Diskussion
In der Forschung wurde immer wieder beschrieben und problematisiert, dass der – in bisherigen Arbeiten zumeist abstrakt bleibende – »Business Case for CSR« den Diskurs unternehmerischer Verantwortung in besonderer Weise prägt, wobei zuweilen auch auf die Stabilität dieses Motivmusters verwiesen wurde (siehe Kapitel 1). Weniger im Fokus der Forschung stand bislang der Prozess der Entwicklung und Stabilisierung der Führerschaft des »Business Case for CSR«. Auf den bisherigen Arbeiten aufbauend und zugleich über sie hinausgehend, wurden eingangs zwei Forschungsfragen gestellt, wobei die erste Frage auf die von wirtschaftlichen, staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren vorgebrachten Motive unternehmerischer Verantwortung und insbesondere den »Business Case for CSR« abstellte. Die zweite Forschungsfrage fragte nach den Gründen der Entwicklung und Stabilisierung der Führerschaft des »Business Case for CSR«, wollte diesen spezifischen Verlauf des deutschen Diskurses nachvollziehen und erklären. Theoretisch gefasst führten uns diese Forschungsfragen einerseits auf diskursive Prozesse der Aushandlung von Bedeutung, andererseits wurde auf Bedeutungsstabilisierungen abgestellt, die über alltäglich stattfindende Begriffsbestimmungen hinausgehen, und damit dem vermuteten Phänomen und nicht zuletzt auch dem besonderen Erklärungsanspruch der Pfadtheorie Rechnung tragen. In Kapitel 2 wurde eine diskursiv-hegemonietheoretische Fassung der ›Idee des Pfades‹ (David 2007: 94) vorgenommen, um pfadabhängige Prozesse im Diskursiven begreifbar zu machen und der Stabilisierung der Führerschaft des »Business Case for CSR« im deutschen Diskurs unternehmerischer Verantwortung theoretisch wie empirisch auf den Grund zu gehen. Die Prozesse der Bedeutungsaushandlung und -stabilisierung wurden anschließend mithilfe eines eigens entwickelten diskursanalytischen Vorgehens (dazu Kapitel 3) im deutschen Diskurs untersucht, wobei die Motive unternehmerischer Verantwortung anhand wesentlicher Texte wirtschaftlicher, staatlicher und zivilgesellschaftlicher Akteure in ihrer zeitlichen Entwicklung sowie der Prozess der Stabilisierung der Führerschaft des »Business Case for CSR« analysiert wurden.
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Die Kapitel 4 bis 7 haben den Prozess der Entwicklung und Stabilisierung der Führerschaft des »Business Case for CSR« im Sinne einer ›dichten Beschreibung‹ (Geertz 1973: 3-30) nachgezeichnet, Evidenzen für die stabile Führerschaft des »Business Case for CSR« geliefert und, unter Rückgriff auf den in Kapitel 2 entwickelten diskursiv-pfadtheoretischen Analyserahmen, Gründe für diese spezifische Entwicklung des deutschen Diskurses vorgeschlagen. Die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit werden in diesem Kapitel zunächst zusammengefasst und der Erklärungsbeitrag des diskursiv-pfadtheoretischen Zugangs reflektiert (8.1). Es folgt ein Überblick über die Beiträge (8.2) und Limitationen der Arbeit (8.3), die zugleich Anschlussmöglichkeiten für zukünftige Forschung eröffnen. Abschließend wird nach den praktischen Implikationen der stabilen Führerschaft des »Business Case for CSR« für die Gestaltung unternehmerischer Verantwortung sowie Möglichkeiten des Bruchs mit dem Bestehenden zu fragen sein (8.4).
8.1 D IE E NTWICKLUNG UND S TABILISIERUNG DER F ÜHRERSCHAFT DES »B USINESS C ASE FOR CSR« – Z USAMMENFÜHRUNG UND THEORETISCHE R EFLEXION DER E RGEBNISSE Mithilfe des eigens erarbeiteten diskursiv-pfadtheoretischen Analyserahmens hat die vorliegende Arbeit eine neuartige Erklärung für die stabile Führerschaft des »Business Case for CSR« vorgeschlagen. Die wesentlichen Ergebnisse zu jeder der drei identifizierten Phasen sollen im Folgenden rekapituliert und mit Blick auf den Erklärungsbeitrag des diskursiv-pfadtheoretischen Zugangs reflektiert werden. 8.1.1 Phase 1: Offenheit im Diskurs »gesellschaftlicher Verantwortung des Unternehmens« Um die Entwicklung und Stabilisierung der Führerschaft des »Business Case for CSR« vollständig abbilden zu können, war es für die Analyse notwendig, in die Zeit vor der Festlegung auf dieses Motivvokabular zurückzugehen. Dies führte uns zurück bis in die Zeit des Diskurses »gesellschaftlicher Verantwortung des Unternehmens« in den 1970er-Jahren. Dieser frühe Diskurs unterscheidet sich in mehrfacher Hinsicht von dem heute unter dem Begriff »CSR« geführten Diskurs, was sich nicht nur mit Blick auf diese den Diskurs bestimmenden Signifikanten unternehmerischer Verantwortung, die explizite Adressierung auch des Unternehmers als Subjekt der Verantwortung, die ausschließliche Betonung einer ökologischen und sozialen Dimension der Verantwortung sowie die am Diskurs beteiligten Akteure
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zeigt, sondern vor allem an den von den Akteuren vorgebrachten Motiven unternehmerischer Verantwortung (siehe Tabelle 8 in Kapitel 4.2). Mit Blick auf die Motive unternehmerischer Verantwortung zeigte Kapitel 4, dass es sich bei der aktuell gegebenen stabilen Führerschaft des »Business Case for CSR« um eine historisch gewachsene diskursive (Rechtfertigungs-)Ordnung handelt; weder hat der »Business Case for CSR« den Diskurs von Anbeginn als führendes Motivmuster geprägt, noch hat sich seine Führerschaft in dieser Phase bereits abgezeichnet. Wirtschaftliche, staatliche und zivilgesellschaftliche Akteure artikulieren in dieser ersten Phase vielmehr unterschiedliche Motive. Bestimmt wird der Diskurs in der ersten Phase durch moralische und relationale Motive, die auch erste instrumentell-voluntaristische ›Ausflüge‹ einzelner Akteure deutlich übertönen. Rechtfertigungen »gesellschaftlicher Verantwortung des Unternehmens« sind in dieser Phase stark beeinflusst durch die Idee der Sozialen Marktwirtschaft mit ihrer Ausrichtung an ›außerökonomischen Werten‹, die gerade in den frühen 1970erJahren ihren sozialen Charakter sowohl gegen die ›sozialistische Bedrohung‹ aus dem Osten als auch gegen ›kommunistische Angriffe‹ innerhalb Deutschlands erneut unter Beweis stellen muss. Gegen diese ›Angriffe‹ gilt es zwar die unternehmerische Freiheit des marktwirtschaftlichen Systems zu beschützen, diese aber zugleich als sozial gebundene Freiheit gegen Kritik zu verteidigen. Die Idee unternehmerischer Verantwortung entwickelt sich damit in Deutschland als eine, die dem wirtschaftlichen Handeln sowie dem ›Profitappetit‹ der Unternehmer Schranken auferlegen soll: Sie versteht sich als Grenze bzw. Korrektiv unternehmerischen Handelns und ist damit weit entfernt von der am unternehmerischen Gewinnstreben ausgerichteten Idee des »Business Case for CSR«. Zunächst einmal geht es in diesen frühen Jahren folglich darum, den quantitativen ökonomischen Zielen ›qualitative Ziele‹ an die Seite zu stellen. Letztere werden, schon in ihrer Benennung als ›außerökonomische‹ Ziele, deutlich von ersteren differenziert. Konflikte zwischen unternehmerischen auf der einen sowie sozialen und ökologischen Zielen auf der anderen Seite werden dabei nicht im Sinne heutiger »Win-win«-Motive aufzulösen bzw. die Gegensätze miteinander zu verschmelzen versucht. Vielmehr werden ökonomische und nicht-ökonomische Ziele als in ihrer Konflikthaftigkeit immer wieder aufs Neue gegeneinander abzuwägende Ziele interpretiert, wobei sich mitunter eine explizite Abneigung gegenüber rein instrumentellen Motiven zeigt. Im frühen Diskurs wird hingegen häufig auf die gesellschaftliche Rehabilitation und letztlich »Akzeptanz« des Unternehmers abgestellt, Verantwortung aus einer »moralischen Verpflichtung« sowie der Machtstellung des Unternehmers abgeleitet oder als Teil eines unternehmerischen »Ethos« interpretiert. Verantwortung wird dabei zwar von einigen Akteuren als von rechtlichen Regeln unabhängig betrachtet und kann im heutigen Verständnis als freiwillig bezeichnet werden, wurde damals – im deutlichen Unterschied zum heute vertretenen Voluntarismus – dennoch als verbindliche, da sittlich vorgeschriebene Handlungs-
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anleitung bzw. »moralische Verpflichtung« interpretiert, der sich der Unternehmer stellen müsse, ›ob er wolle oder nicht‹. Nicht zuletzt wurde gerade aus der unternehmerischen Freiheit – auch vonseiten wirtschaftlicher Akteure – häufig eine Pflicht zur »gesellschaftlichen Verantwortung« abgeleitet. Deutlich ist in den ersten Jahren zudem die Präsenz des Staates, der z.B. im Umweltschutz das unternehmerische Handeln lenkt. Zivilgesellschaftliche Akteure richten ihre Forderungen dementsprechend auch zunächst vor allem an den Staat als ordnungsgebende Größe, den Unternehmern schreiben sie zwar die Rolle der Problemverursacher zu, bringen ihnen jedoch hinsichtlich der Lösung dieser Probleme wenig Vertrauen entgegen. Instrumentelle Motive werden insgesamt nur wenige geäußert, womit sich diese eher als vereinzelte Artikulationen denn als Teil des in dieser Phase akzeptierten Motivvokabulars darstellen. Unternehmen verweisen im Zuge der HumanisierungsDebatte etwa auf Produktivitätssteigerungen oder versprechen sich Wettbewerbsvorteile aus Umweltinnovationen (»Wettbewerbsfaktor«). Erste instrumentelle Überlegungen aufseiten staatlicher Akteure stehen im Zusammenhang mit der Idee ökologischer Modernisierung und sind somit in der Umweltdebatte zu verorten, wobei sie als Reaktion auf wahrgenommene Regelungsdefizite rechtlicher Lösungen sowie als Antwort auf Befürchtungen vor Wettbewerbsverlusten verstanden werden können. Weitergeführt wurden diese Ideen im Zuge der Überführung des Umwelt- in den Nachhaltigkeitsbegriff, dessen Verwendung durch staatliche Akteure die Verantwortung auch auf eine ökonomische Dimension ausweitete – Entwicklungen, die ohne die Unterstützung vonseiten wirtschaftlicher oder zivilgesellschaftlicher Akteure jedoch vorerst ohne größeren Einfluss auf den Diskurs blieben. Hier erwies es sich als richtig, den Fokus nicht nur auf wirtschaftliche Akteure zu legen, sondern Bedeutung und Motivation unternehmerischer Verantwortung als ebenso durch staatliche und zivilgesellschaftliche Akteure geprägt zu sehen und so auch deren Motivzuschreibungen sowie die Rolle bei deren Verbreitung zu erfassen. Insgesamt zeigt die Vielzahl der unterschiedlichen dem Begriff der Unternehmensverantwortung zugeschriebenen Motive sowie die Unterrepräsentanz instrumenteller Motive in dieser Phase, dass es sich beim »Business Case for CSR« nicht um eine mit der Idee unternehmerischer Verantwortung von Beginn an oder gar inhärent verbundene Bedeutung handelt. Vielmehr zeigt sich uns der frühe Diskurs – im Sinne der ersten Phase pfadabhängiger Prozesse – als kontingente Situation diskursiver Offenheit, in der sich noch keine Diskurskoalitionen von Dauer um bestimmte Motivmuster gebildet haben und unterschiedliche Entwicklungspfade durchaus im Rahmen des Denk- und Artikulierbaren lagen. Mit diesen historischen Ausgangsbedingungen des Diskurses zeigt sich auch das »sehr differenzierte[] Bild von CSR im deutschsprachigen Kontext« (Matten et al. 2012: 4), das sich deutlich unterscheidet von den Wurzeln unternehmerischer Verantwortung im anglo-amerikanischen Kontext (z.B. Frederick 2006). Im Fall der
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USA etwa – häufig als Ursprungsland des Konzepts der »Corporate Social Responsibility« bezeichnet (Carroll 1999) – wird unternehmerische Verantwortung von Beginn an als instrumentell motiviert beschrieben. Frederick (2006), der sich grundlegend mit der Historie unternehmerischer Verantwortung in den USA befasst hat, macht dies sehr deutlich, wenn er schreibt: »CSR, whatever form it takes, serves corporate interests and goals – and has been intended to do so since its inception around the turn of the 20th century.« (Frederick 2006: 7) Ein Blick auf frühe Begriffsbestimmungen amerikanischer Provenienz untermauert diese Sicht (siehe etwa Carroll 1999; Friedman 1970, 1963; Levitt 1958). Bowen (1953), der zuweilen als ›Vater‹ des CSR-Konzepts bezeichnet wird (u.a. Carroll 1979, 1999; Garriga/Melé 2004), sieht die Verantwortung des Unternehmers vor allem als eine mit den Zielen des Unternehmens in Einklang zu bringende und zeigt sich einer instrumentellen Lesart zumindest zugewandt. Auch Steiner (1971: 164) scheint das verantwortungsvolle Unternehmen lediglich in einer Überführung des kurzfristig orientierten »narrow unrestrained self-interest« in ein längerfristig ausgerichtetes »enlightened self-interest« zu sehen. Derartige Fassungen der Unternehmensverantwortung stehen den frühen Konzeptionen in Deutschland entgegen und deuten auf die unterschiedlichen Wurzeln der Unternehmensverantwortung in beiden Ländern hin. Die vorliegende Arbeit unterstreicht damit nicht zuletzt die Bedeutung länderspezifischer Betrachtungen unternehmerischer Verantwortung und insbesondere deren Entwicklung. 8.1.2 Phase 2: Selbstverstärkung im Diskurs – Entwicklung der Führerschaft des »Business Case for CSR« Der Übergang zur zweiten Phase des Diskurses wird eingeleitet durch die Einführung eines Signifikanten unternehmerischer Verantwortung, der es den Akteuren ermöglicht, die »gesellschaftliche Verantwortung des Unternehmens« relativ losgelöst von den ›alten‹ Ideen der ersten Phase als »CSR« neu zu fassen, was nicht nur eine Veränderung der von den Akteuren genutzten Semantik mit sich bringt, sondern im weiteren Verlauf mit einem grundlegend anderen Verständnis unternehmerischer Verantwortung einhergeht. Initiiert wird die Neufassung unternehmerischer Verantwortung durch das Grünbuch der Europäischen Kommission im Jahr 2001, worin »CSR« in erster Linie als ein freiwilliges und auf den unternehmerischen Nutzen ausgerichtetes Konzept definiert wird. Diese zum vorherigen Verantwortungsbegriff in Deutschland deutlich in Kontrast stehende »CSR«-Definition kann in ihrer Funktion als Anknüpfungspunkt für das sich im Weiteren bildende hegemoniale Projekt als wesentlich betrachtet werden (›Triggering Event‹), wobei dieses ›Ereignis‹ im Lichte weitgehender Veränderungen auf internationaler und nationaler Ebene (die in Kapitel 5.1
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und 5.2 dargestellt sind) betrachtet werden muss, doch aber durch das explizite Aufgreifen des im Grünbuch Formulierten durch die deutschen Akteure als Initialpunkt der weiteren Entwicklung bestimmt werden konnte. Erst duch das Aufgreifen durch wirtschaftliche und staatliche Akteure wird es zu einem für den Diskurs relevanten Ereignis: Es bildet sich eine erste Diskurskoalition um den von der Europäischen Kommission eingeführten Begriff, die – zunächst weitgehend unbeeinflusst von Gegenstimmen – ein geteiltes Verständnis unternehmerischer Verantwortung befördert, welches sich nun zunehmend instrumentell motiviert sieht. Die Formierung dieser die Argumente des »Business Case for CSR« gemeinsam befördernden Diskurskoalition kann als »critical juncture« (Collier/Collier 1991) oder, um mit Laclau zu sprechen, als »particular conjuncture« (Laclau 2007c: 43) des instrumentell-voluntaristischen Pfades im Diskurs unternehmerischer Verantwortung bezeichnet werden. Durch die gemeinsame Artikulation der Motive des »Business Case for CSR« durch wirtschaftliche und staatliche Akteure kommt es zu einer ersten Verschiebung des Diskurses hinsichtlich des instrumentell-voluntaristischen Motivmusters. Die Einigkeit dieser Akteure verleiht dem »Business Case for CSR« erstmals ›Aufschwung‹. In Folge setzt sich eine selbstverstärkende Dynamik in Gang, die den »Business Case for CSR« zunächst als gemeinsame Einschreibefläche wirtschaftlicher und staatlicher Akteure befördert, wobei der »Business Case for CSR« durch die gemeinsame Artikulation seiner Motive durch wirtschaftliche und staatliche Akteure schließlich derart an Bedeutung gewinnt, dass sich ihm auch zunächst widerständige Akteure beugen müssen. Die für die Entwicklung und Stabilisierung der Führerschaft des »Business Case for CSR« verantwortliche Dynamik wurde hier als selbstverstärkender Mechanismus adaptiver Erwartungen beschrieben. Adaptive Erwartungen werden in pfadtheoretischen Arbeiten, so wurde in Kapitel 2 ausgeführt, als Mechanismus der interaktiven Bildung von Präferenzen charakterisiert (z.B. Sydow et al. 2009: 700). Für die Bildung der eigenen Präferenz kommt es demzufolge auf die Ausbildung einer bestimmten Präferenz in einer relevanten Gruppe von Akteuren an. Mit der Übernahme einer bestimmten Alternative durch immer mehr Akteure steigt der Druck auf weitere Akteure, sich derselben Alternative anzuschließen. Bei ausreichender Verbreitung kann der Wunsch, ›dazuzugehören‹, die eigene Präferenz als Entscheidungskriterium ablösen; Für die Entscheidung ist nun vor allem ausschlaggebend, »to end up on the winner’s side« (ebd.). Die Bildung der Präferenzen wird abhängig vom bisherigen Verlauf des Verbreitungsprozesses bestimmter Präferenzen, sie entwickelt sich damit prozessendogen. Auch die Entwicklung und Stabilisierung der Führerschaft des »Business Case for CSR« ist auf eine solche Dynamik zurückzuführen (siehe Abbildung 24 als stilistische Darstellung des sich im Verlauf des Diskurses fortsetzenden Mechanismus). Ausgehend von dem in dieser Arbeit vorgeschlagenen Motivverständnis sowie basierend auf dem hier dargelegten Diskursverlauf wurde deutlich, dass Akteu-
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re Motive jeweils in Abhängigkeit der von anderen Akteuren in der Vergangenheit bereits geäußerten Motive vorbringen, d.h. in Abhängigkeit des in der Vergangenheit bereits als typisch etablierten Motivvokabulars bzw. des von den anderen Akteuren als akzeptiert Angenommenen. Kurz: die Artikulation von Motiven eines Akteurs wird erklärt aus den von anderen Akteuren artikulierten Motiven bzw. den Erwartungen hinsichtlich der von anderen Akteuren akzeptierten Motive. Es handelt sich hierbei um einen grundlegend rekursiven Vorgang. Dieser ist insofern selbstverstärkend, als dass ein Mehr von Äußerungen eines Motivs zum Zeitpunkt 0 zu einem Mehr der Artikulation des gleichen Motivs in Zeitpunkt 1 führt bzw. wird umgekehrt die Wahrscheinlichkeit der Äußerung eines bestimmten Motivs zum Zeitpunkt 1 größer sein, wenn dieses Motiv bereits zum Zeitpunkt 0 artikuliert wurde. Abbildung 24: Selbstverstärkender Mechanismus adaptiver Erwartungen (Schritt 1) – wirtschaftlich-staatliche Diskurskoalition
(Eigene Darstellung)
Wirtschaftliche Akteure etwa, die zunächst den freiwilligen Charakter des von der Europäischen Kommission eingeführten »CSR«-Begriffs aufgreifen und ihn zur Voraussetzung für ›kreative‹ und ›effiziente‹ Verantwortung erheben, etablieren schon früh die Erwartung, dass Unternehmensverantwortung allein in unternehmerischer Autonomie verbreitet und ›erfolgreich‹ umgesetzt werden könne. Dies greifen staatliche Akteure auf und davon ausgehend ist es insbesondere die Bundesregierung, die ›Wettbewerbs- und sonstige Marktvorteile‹ als notwendigen Anreiz un-
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ternehmerischer Verantwortung artikuliert und gemeinsam mit Wirtschaftsakteuren, die diese Motive wiederum aufgreifen, im Diskurs etabliert. Mit dem »Business Case for CSR« wird dabei in gegenseitiger Bestätigung wirtschaftlicher und staatlicher Akteure die Erwartung verbunden, die einzige Möglichkeit einer umfassenden Beförderung unternehmerischer Verantwortung zu sein. Damit bildet sich ein »CSR«-Begriff, der nicht nur Regulierung, sondern auch Formen nichtwettbewerblicher »CSR« ausschließt. Der »Business Case for CSR« stellt damit zugleich den Horizont, vor dem weitere Motive im Diskurs artikulierbar werden. Seine zunehmende Verbreitung bestätigt in positiv selbstverstärkender Weise die Erwartungserwartungen der Akteure hinsichtlich der Akzeptanz instrumenteller Motive. Zur Analyse und Beschreibung dieses diskursiven (Ver-)Einigungsprozesses erwies sich das Konzept der Diskurskoalitionen als hilfreich. Es kommt – wie in Kapitel 2 beschrieben – für die Etablierung einer diskursiven Führerschaft auf die Verbreitung diskursiver Formationen und damit die passive Billigung, bestenfalls aktive Zustimmung unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen an (Laclau/Mouffe 2014 [1985]; Bulkeley 2000; Hajer 1995; Lehmbruch 2001). Wesentlich für die Formierung der sich schrittweise vergrößernden und schließlich hegemonialen Diskurskoalition ist dabei, dass der »Business Case for CSR« als »Inklusionsfigur« (Stäheli 2007: 20-22; Laclau 2007b) für die am Diskurs Beteiligten fungiert. Der »Business Case for CSR« zeigt sich folglich als eine diskursive Figur, durch die der Diskurs unternehmerischer Verantwortung für Akteure anschlussfähig wird und die es ihnen erlaubt, zu relevanten Teilnehmerinnen des Diskurses zu werden. Die gemeinsame Artikulation instrumenteller Motive verbindet zudem die Akteure und erhält die Diskurskoalition als »diskursiver Zement« ihres Verhältnisses auch in den Folgejahren aufrecht (Hajer 1995: 65). Wesentlich ist hier zu betonen, dass es sich bei dieser Entwicklung zunächst um eine –für die Relevanz des Themas unternehmerischer Verantwortung insgesamt als auch für dessen Verbreitung unter (großen, börsennotierten) Unternehmen – positive Entwicklung handelt: Alle untersuchten Akteursgruppen zeigen in der zweiten Phase des Diskurses eine deutlich intensivierte Diskursbeteiligung, die sich in einer deutlich verstärkten Veröffentlichung von Texten zum Thema zeigt, sich in der Gründung von »CSR«-Verbänden aber auch institutionell niederschlägt. Die Verbreitung des instrumentell-voluntaristisch geprägten »CSR«-Begriffs kann zunächst weitgehend unbeeinflusst von Widerspruch stattfinden. Zu Beginn der zweiten Phase des Diskurses nehmen zivilgesellschaftliche Akteure aufgrund ihrer Skepsis gegenüber der Neudefinition unternehmerischer Verantwortung kaum am Diskurs teil. Die Prägung des »CSR«-Begriffs wird damit zunächst der wirtschaftlich-staatlichen Koalition überlassen. Erst nach einigen Jahren und wesentlich ›getriggert‹ durch die Unzufriedenheit mit der Deutungshoheit der wirtschaftlichstaatlichen Diskurskoalition, beginnen Gewerkschaften und NGOs, Kritik an der
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Entwicklung des »CSR«-Diskurses zu äußern, und vernetzen sich zu einer zivilgesellschaftlichen Konterdiskurskoalition. Was diese Konterdiskurskoalition verbindet und zusammenhält, ist ihre gemeinsame Kritik an der von der wirtschaftlichstaatlichen Diskurskoalition vertretenen Ausrichtung unternehmerischer Verantwortung am Unternehmensnutzen, auch und insbesondere der sich etablierenden ›Freiwilligkeitsideologie‹. Hier zeigte sich auch die Sequenz des Diskursverlaufs als relevant für die Etablierung der Führerschaft des »Business Case for CSR«. So ist die Prägung des neuen Verantwortungsbegriffs durch den »Business Case for CSR« schon relativ etabliert, als die zivilgesellschaftlichen Akteure entscheiden, dagegen aufzubegehren. Dieser ›verspätete‹ Diskurseintritt führt nicht zuletzt dazu, dass sich die Konterdiskurskoalition vor allem in Abgrenzung zum hegemonialen Projekt positioniert und die eigenen Forderungen jeweils im Verhältnis zur kritisierten Position definiert. Gewerkschaften und NGOs artikulieren vor allem Kritik an Unternehmensfokus und Freiwilligkeit des sich etablierenden »CSR«-Begriffs, kaum werden von ihnen hingegen andere Motive vorgebracht und dem »Business Case for CSR« eine Alternative entgegengestellt. Indem die Konterdiskurskoalition derart in ihrer Kritik auf das hegemoniale Projekt bezogen bleibt, führt sie weniger zu dessen Schwächung als zu einer weiteren Ausweitung. Vor allem vonseiten staatlicher Akteure werden weitere instrumentelle Motive in den Diskurs eingebracht und so mit einem weiteren Ausbau des hegemonialen Projekts auf die ›Angriffe‹ reagiert. Für die zivilgesellschaftlichen Akteure stellt sich die Diskursbeteiligung so bald schon als Spannungsverhältnis dar. Dabei schwanken die Akteure zwischen fortgesetzter Kritik auf der einen Seite und den mit der Ausbreitung des »Business Case for CSR« verbundenen Hoffnungen hinsichtlich einer Verbreitung unternehmerischer Verantwortung auf der anderen Seite. Insbesondere aufseiten gewerkschaftlicher Akteure, die sich zudem eine Stärkung der eigenen Position durch die Beteiligung am ›Mainstream‹-Diskurs erhoffen und eine Veränderung des Gegebenen zunehmend als ›unrealistisch‹ wahrnehmen, schiebt sich das Dabei-sein-Wollen – der Wunsch »to end up on the side of the winners« (Sydow et al. 2009: 700) – vor die Kritik, was zu einer Annäherung an den diskursiven ›Mainstream‹ führt und diesem erneut ›Aufschwung‹ verleiht. Gerade mit Blick auf die Gewerkschaften zeigt sich uns hier der integrative Charakter typischer Motivvokabulare (Mills 1940) und die Wirkkraft des selbstverstärkenden Mechanismus (dessen zweiter Schritt mit Blick auf die widerständigen Akteure in Abbildung 25 dargestellt ist): trotz anfänglicher Ablehnung des sich etablierenden Mainstreams ändern sich die von den Gewerkschaften artikulierten Motive über die Zeit in Abhängigkeit des typischen Motivvokabulars. Die Freiwilligkeit unternehmerischer Verantwortung beispielsweise wurde von den Gewerkschaften zunächst eindeutig abgelehnt, um dann in Abhängigkeit von dem zum gegebenen Zeitpunkt als ›realistisch‹ Empfundenen als ›erster Schritt‹ zu weitergehenden Regulierungen in die eigenen Forderungen übernommen zu
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werden. Um relevante Teilnehmerin des »CSR«-Diskurses zu sein, scheint es im Zuge der Verbreitung des »Business Case for CSR« notwendig zu werden, sich dem den diskursiven Mainstream bestimmenden Motivvokabular anzuschließen bzw. auf dessen Motive zur Beförderung der eigenen Forderungen Bezug zu nehmen. Die Akteure passen dabei ihre Erwartungen hinsichtlich der als akzeptiert angenommenen und damit Handlung erzeugenden Motive aneinander an. Motive werden im Sinne des in Kapitel 2 beschriebenen Analyserahmens jeweils artikuliert »with reference to the situation and its normative patterns of expectations« (Mills 1940: 905). Damit nähern sich einige der bislang widerständigen Akteure der den »Business Case for CSR« befördernden Diskurskoalition, was diesem Motivmuster erneut Bedeutung verleiht. Abbildung 25: Selbstverstärkender Mechanismus adaptiver Erwartungen (Schritt 2) – widerständige Akteure
(Eigene Darstellung)
Während ein Anschluss an den diskursiven Mainstream mit zunehmender Verbreitung des »Business Case for CSR« hier zwingender erschien, wurde die Beförderung alternativer Motive – die nicht zum gegebenen Motivvokabular gehörten – erschwert und diese samt der sie artikulierenden Akteure in eine zunehmend randständige Position verwiesen. Der Diskursverlauf – das jeweils in der Vergangenheit Etablierte – bestimmt hier die weiteren Äußerungen der Akteure, »vocabularies of motive exercise control«, wie Mills (1940: 913) schreibt.
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8.1.3 Phase 3: Der »Business Case for CSR« als eingeschlossene und zugleich alternative Motivmuster ausschließende diskursive Formation Der Übergang zur dritten, noch andauernden Phase des Diskurses wird eingeleitet durch die Formierung eines Nationalen CSR-Forums im Jahr 2009, welche die Entwicklungen der zweiten Phase zuspitzt und endgültig entscheidet. Im Zuge seiner Etablierung kommt es erstens zur Spaltung der widerständigen Diskurskoalition. Während sich Gewerkschaften dem Forum anschließen, entscheiden sich NGOs gegen eine Beteiligung. Ein Ereignis, das zur Schwächung des widerständigen Lagers führt und zugleich die Position der wirtschaftlich-staatlichen Diskurskoalition stärkt und damit den Diskurs endgültig ›in Richtung‹ »Business Case for CSR« ›kippen‹ lässt. Zweitens einigt man sich im Laufe der Verhandlungen im Nationalen CSR-Forum auf ein ›gemeinsames Verständnis von CSR in Deutschland‹ sowie auf eine Nationale CSR-Strategie, die – nun unter Beteiligung von Akteuren aller gesellschaftlichen ›Lager‹ und damit im ›breiten gesellschaftlichen Konsens‹ – die Führerschaft des »Business Case for CSR« endgültig etabliert und ›offiziell‹ festschreibt. Drei Indikatoren deuten dabei auf ein diskursives Lock-in hin. Erstens wird der »Business Case for CSR« von wirtschaftlichen, staatlichen und gewerkschaftlichen Akteuren fortgesetzt reproduziert. Die Bezugnahmen auf die Motive des »Business Case« nehmen in dieser Phase sogar noch einmal zu, andere Motive hingegen verlieren an Bedeutung (siehe Abbildung 19, Abbildung 20 und Abbildung 21). Die Stabilität der Führerschaft des »Business Case« zeigt sich folglich durch die fortgesetzte Reproduktion des Status quo. Zweitens wird das nun »hegemoniale Gleichgewicht« stabil gehalten durch die Verteidigung gegen Veränderungsversuche seitens wirtschaftlicher und staatlicher Akteure und die fortgesetzt passive Billigung vonseiten der Gewerkschaften. Dabei zeigt sich, dass die Zustimmung gewerkschaftlicher Akteure als wesentlicher legitimatorischer Bezugspunkt der Beharrung dient, womit noch einmal die Bedeutung der Zustimmung der Gewerkschaften – die Erweiterung der wirtschaftlichstaatlichen Diskurskoalition um Akteure aus dem zivilgesellschaftlichen Lager – für die stabile Führerschaft des »Business Case for CSR« unterstrichen ist, die auch in Kapitel 2 als »key source of stability« beschrieben wurde (Levy/Egan 2003: 805). Für die an der Etablierung des »Business Case for CSR« beteiligten Akteure scheint angesichts dieses Lock-ins ein Verlassen des hegemonialen Gleichgewichts außerhalb des Denk- und Artikulierbaren zu liegen: »A stable motive is an ultimate in justificatory conversation.« (Mills 1940: 907) Vom Status quo abweichende Alternativvorschläge – wie sie z.B. von der Europäischen Kommission vorgebracht werden – werden als Bedrohung des Gegebenen betrachtet und deshalb abgeblockt.
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Zwar ist innerhalb des Konterdiskurses Kritik auch weiterhin artikulierbar, diese bleibt aufgrund der randständigen und durch das ›Ausschwenken‹ der Gewerkschaften geschwächten Position der widerständigen Akteure jedoch ohne Auswirkungen auf den ›Mainstream‹-Diskurs. Aufseiten der hegemonialen Diskurskoalition scheint sie es nicht einmal wert, als diskussionswürdiger Beitrag aufgegriffen und abgelehnt zu werden; die Kritik der randständigen Akteure findet – ganz im Gegensatz zu den Vorschlägen vonseiten der Europäischen Kommission – keinen Eingang mehr in den etablierten hegemonialen Diskurs. Damit sind mit dem Status quo in Konflikt stehende Stimmen ausgeschlossen und vermögen die etablierte Rechtfertigungsordnung unternehmerischer Verantwortung nicht mehr zu ›stören‹. Es zeigt sich uns die als ›paradox of embedded agency‹ beschriebene Situation, in der etablierte Akteure »may have the power to force change but often lack the motivation; while peripheral players may have the incentive to create and champion new practices, but often lack the power to change« (Garud et al. 2007: 961). Ein Abweichen vom Status quo erscheint damit unwahrscheinlich. Das instrumentellvoluntaristische Verständnis unternehmerischer Verantwortung erscheint im deutschen Diskurs heute ebenso »eingeschlossen« (David 1985; Arthur 1989) wie »stillgestellt« (Reckwitz 2012: 75). Drittens kündigt sich zumindest an, dass der Status quo sich für die eingeschlossenen Akteure als problematisch erweisen könnte. Wirtschaftliche Akteure sehen sich einem Glaubwürdigkeitsverlust ihrer »CSR«-Praxis gegenüber, die letztlich auch die erhoffte Wirkung des »Business Case for CSR« infrage stellt. Staatliche Akteure drohen mit ihrer Verweigerungshaltung hinsichtlich der Entwicklungen auf europäischer Ebene erneut zum ›Nachzügler‹ des europäischen »CSR«Diskurses zu werden, was dem immer wieder formulierten Ziel einer ›Vorreiterrolle‹ zuwiderläuft. Gewerkschaften hingegen zeigen sich frustriert hinsichtlich des Status quo. Ihre Einwilligung zum ›Konsens‹ zeigt sich heute zwar als wesentlich für die Legitimation seiner Aufrechterhaltung, bleibt hinsichtlich der Hoffnung, ein erster Schritt zu weiteren Entwicklungen zu sein, jedoch leer. Weitere Evidenz für das postulierte Lock-in der stabilen Führerschaft des »Business Case for CSR« lieferte der Blick auf die Motivzuschreibungen der Verantwortungssubjekte selbst – hier die DAX-30-Unternehmen. Dabei wurde gezeigt, dass die Unternehmen vor allem instrumentelle Motive kontinuierlich artikulieren und als Hauptrechtfertigungen ihrer unternehmerischen Verantwortung anbringen. Auch sie orientieren sich am akzeptierten Motivvokabular und bestätigen es damit zugleich, erhalten es aufrecht. Nehmen wir die analysierten nicht-finanziellen Berichte als Einblick in die unternehmerische Verantwortungspraxis, so zeigt sich uns zudem, dass die stabile Führerschaft des »Business Case for CSR« auch die Praxis der Verantwortungssubjekte durchdringt und damit als umso gesicherter gelten kann.
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Zusammenfassend zeigt sich uns das Lock-in, im Sinne des diskursivpfadtheoretischen Analyserahmens, anhand der Kriterien der fortgesetzten Reproduktion, der Stabilität trotz Wandelinitiativen sowie der potenziellen Problematik des Status quo für die Akteure. Aufgrund des Andauerns dieser dritten Phase kann hier nicht abschließend untersucht werden, ob etwa die Skepsis der Gewerkschaften sich – gegebenenfalls bestärkt durch weitere Entwicklungen auf europäischer Ebene – zu einem Abweichen vom Status quo auswachsen wird (siehe dazu Kapitel 8.3). Überraschend war zudem das vereinzelte Aufgreifen instrumenteller Motive unter den NGOs in der jüngsten Vergangenheit, auch hier sei zukünftigen Analysen der Auftrag mitgegeben, den Fortgang dieser Entwicklungen zu untersuchen. Summa summarum hat sich die Idee unternehmerischer Verantwortung in Deutschland über alle drei Phasen entwickelt von einer Idee, die als »gerechtigkeitssicherndes Korrektiv zum Marktmodell« (Schreyögg 2009: 764) ihren Anfang nahm, zu einer, die sich heute gerade diesem Marktmodell als Dienerin erweist. Um diese Transformation zuzuspitzen, könnte die Entwicklung unternehmerischer Verantwortung in Deutschland beschrieben werden als die Überführung des Versuchs, die Wirtschaft verantwortlicher zu gestalten, in das Ergebnis, die Verantwortung wirtschaftlicher gestaltet zu haben.
8.2 B EITRÄGE ZUR L ITERATUR UNTERNEHMERISCHER V ERANTWORTUNG UND WEITERE B EITRÄGE ZUR P FADFORSCHUNG Diese Arbeit ist ausgegangen von der Vermutung einer Stabilisierung der Führerschaft des »Business Case for CSR« im deutschen Diskurs unternehmerischer Verantwortung. Die Arbeit sieht sich damit phänomengetrieben und leistet in erster Linie Beiträge zur Forschung zur Unternehmensverantwortung und hier insbesondere zum »Business Case for CSR«. Mit der Erarbeitung und empirischen Umsetzung eines diskursiv-pfadtheoretischen Analyserahmens trägt sie dabei auch zur Pfadforschung bei. Im Folgenden werden zunächst die Beiträge zur Literatur zur Unternehmensverantwortung vorgestellt, um dann auf weitere Beiträge zur ›Idee des Pfades‹ einzugehen. 8.2.1 Beiträge zur Forschung zu unternehmerischer Verantwortung und dem »Business Case for CSR« Drei Leerstellen der bisherigen Auseinandersetzung mit dem »Business Case for CSR« wurden in Kapitel 1 hervorgehoben, auf die wir hier zurückkommen wollen. So wurde gezeigt, dass zwar die hervorgehobene Bedeutung des »Business Case for
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CSR« heute weitgehend anerkannt ist und häufig auch in der Kritik steht, wir jedoch erstens nur ein abstraktes Bild des »Business Case for CSR« und der Motive unternehmerischer Verantwortung haben, zweitens sich wenige Arbeiten mit dem Prozess der Entwicklung und Stabilisierung der Führerschaft des »Business Case for CSR« befasst haben, d.h. die Stabilität als Problem bisher nicht im Fokus der Forschung stand und folglich auch die dem Prozess unterliegenden Selektions- und Stabilisierungsmechanismen nicht in den Blick genommen wurden und dabei, drittens, vornehmlich Wirtschaftsakteure fokussiert wurden und wir somit kaum etwas über die Prozesse der Aushandlung von Bedeutung und Motivation unternehmerischer Verantwortung zwischen unterschiedlichen Akteuren wissen. Aus dem in dieser Arbeit gewonnenen Verständnis der durch wirtschaftliche, staatliche und zivilgesellschaftliche Akteure geäußerten Motive sowie des Entwicklungs- und Stabilisierungsprozesses der Führerschaft des »Business Case for CSR« in Deutschland ergeben sich mehrere Beiträge zu den drei genannten Leerstellen, die im Folgenden vorgestellt werden sollen. 8.2.1.1 Theoretisch und empirisch fundiertes Verständnis der Motive unternehmerischer Verantwortung und des »Business Case for CSR« In Abgrenzung von der großen Anzahl quantifizierender Annäherungen hat sich die vorliegende Arbeit dem »Business Case for CSR« als soziales Phänomen in vornehmlich qualitativer Analyse genähert. Sie untersucht den »Business Case for CSR« als Motivmuster, auf das Akteure unterschiedlicher Provenienz zur Rechtfertigung unternehmerischer Verantwortung zugreifen und damit die Bedeutung und nicht zuletzt auch Grenzen (siehe Kapitel 8.4.1) unternehmerischer Verantwortung aushandeln. Im Rahmen der Analyse der von wirtschaftlichen, staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren vorgebrachten Motive wurde dabei die bislang nur konzeptuell vorgenommene Klassifizierung möglicher Perspektiven auf unternehmerische Verantwortung (u.a. Aguilera et al. 2007; Garriga/Melé 2004; Windsor 2006) um eine empirische Untersuchung ergänzt, die nicht nur einzelne, instrumentelle Motive in verifizierender Weise in den Blick nimmt, wie dies bislang geschah (überblickshaft McWilliams/Siegel 2001; Perrini et al. 2012), sondern auch die Vielzahl der von den Akteuren artikulierten Motive in ihrem Verhältnis zueinander sowie in ihrer zeitlichen Entwicklung betrachtet. Dabei wurden nicht nur unterschiedliche, dem »Business Case for CSR« zugrunde liegende, instrumentelle Motive identifiziert, sondern auch alternative – hier als relationale und moralische bestimmte – Motive, auf die Akteure im Verlauf des Diskurses unternehmerischer Verantwortung Bezug genommen haben und (teilweise) heute noch nehmen. Entgegen der in konzeptionellen Arbeiten verbreiteten Annahme, dass »actors and interest groups have three main motives for pressuring firms to engage in CSR: instrumental (self-interest driven), relational (concerned with relationships among
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group members), and moral (concerned with ethical standards and moral principles)« (Aguilera et al. 2007: 839, eigene Hervorhebung, N.L.; ähnlich Garriga/Melé 2004; Windsor 2004), hat diese Arbeit mithilfe des diskursiv-pfadtheoretischen Analyserahmens gezeigt, dass wirtschaftliche, staatliche und zivilgesellschaftliche Akteure heute vornehmlich ein ›Hauptmotiv‹ für unternehmerische Verantwortung vorbringen: den »Business Case for CSR«. Relationale und moralische Motive hingegen sind im Repertoire des Diskurses kaum noch wahrnehmbar, konnten mithilfe des longitudinalen Ansatzes der vorliegenden Arbeit jedoch als im Zuge seiner Verengung aus dem Diskurs verdrängte Motive bestimmt werden. Diese Arbeit eröffnet damit ein Verständnis vergangener und aktueller Motive unternehmerischer Verantwortung, auch und insbesondere des »Business Case for CSR«, und hat ihr Verhältnis zueinander im Zeitablauf bestimmt. 8.2.1.2 Erklärung der stabilen Führerschaft des »Business Case for CSR« Die vorliegende Arbeit hat die bislang vor allem als Verschiebung von impliziter zu expliziter Verantwortung beschriebene Transformation unternehmerischer Verantwortung in Deutschland (z.B. Anthal et al. 2009; Curbach 2009; Hiß 2009a, 2009b) durch ein spezifisches Verständnis der Bedeutungsveränderungen und insbesondere Motive unternehmerischer Verantwortung über die letzten vierzig Jahre fokussiert. Es wurde gezeigt, dass Unternehmensverantwortung in Deutschland sich nicht nur hinsichtlich der im Diskurs vorgebrachten Motive grundlegend verändert hat, sondern dass sich im gleichen Zuge auch Verantwortungsbedeutung, -dimensionen und -subjekte sowie das ›Personal‹ des Diskurses gewandelt haben (siehe Tabelle 8 in Kapitel 4.2). Dabei wurde nicht nur die geschichtliche Entwicklung unternehmerischer Verantwortung in Deutschland empirisch fundiert und systematisch aufgearbeitet, was bislang häufig nur am Rande und in eher anekdotischer Weise geschehen ist (z.B. Backhaus-Maul 2010; Braun 2010), sondern die bisherige Auseinandersetzung auch um eine aktuelle Perspektive ergänzt.1 Mithilfe des diskursiv-pfadtheoretischen Zugangs konnte darüber hinaus eine Erklärung für die Entwicklung und Stabilisierung der Führerschaft des »Business Case for CSR« vorgeschlagen werden. Damit wurde zum einen ein Beitrag zu den Arbeiten geleistet, die den »Business Case for CSR« als bereits bestehende Ordnung in den Blick nehmen (z.B. Spence 2007; Livesey 2002a, 2002b; Livesey/Kearins 2002), bislang aber kein Verständnis seiner Entwicklung haben. Zum 1
Wie die Veröffentlichungsjahre der genannten Arbeiten zeigen (z.B. Abelshauser 2009; Curbach 2009; Hiß 2009a, 2009b; Kinderman 2008), wurden zudem bislang kaum die rezenten und – wie sich hier zeigte – für die Stabilisierung der Führerschft des »Business Case for CSR« wesentlichen Jahre in den Blick genommen (jüngere Entwicklungen werden nur in den Arbeiten von Kinderman (2013, 2015) beachtet).
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anderen wurde den Arbeiten, die sich mit der Entwicklung unternehmerischer Verantwortung und deren Instrumentalisierung auseinandersetzen (z.B. Höllerer 2013; Hanlon/Fleming 2009; Banerjee 2008), eine neuartige Erklärung der stabilen Führerschaft des »Business Case for CSR« hinzugefügt. Die Entwicklung und Stabilisierung der Führerschaft des »Business Case for CSR« wurde dabei auf einen selbstverstärkenden Mechanismus adaptiver Erwartungen zurückgeführt, eine rekursive und über die Zeit zunehmend zwingenden Charakter entwickelnde Dynamik. Die diskursiv-hegemonietheoretisch gefasste Idee des Pfades hat dabei erlaubt, den Blick sowohl auf das Inklusionspotenzial des »Business Case for CSR«, seine ›verführerische‹ Natur (Crane et al. 2014: 130), zu legen als auch darauf, dass seine Beförderung mit zunehmender Verbreitung seiner Motive sich als Notwendigkeit unternehmerischer Verantwortung darstellte und damit zwingenden Charakter erhält. Durch die Formierung und Erweiterung einer ihn unterstützenden Diskurskoalition wurde der »Business Case for CSR« im Diskurs befördert und schließlich zum ›gemeinsamen Verständnis‹ erhoben und als führend stabilisiert. Der in dieser Arbeit vorgebrachte Motivbegriff sowie der diskursivpfadtheoretische Rahmen zeigten dabei, dass die statische Betrachtung von, häufig für bestimmte Akteure als gegeben angenommenen, Motiven – wie beispielsweise mitunter in der Literatur zur manageriellen Vereinnahmung zu beobachten (z.B. O’Dwyer 2001; Owen et al. 2000) – einen nur sehr begrenzten Blick auf die Motive unternehmerischer Verantwortung erlaubt. Motive sind weder, das wurde hier deutlich, als über die Zeit stabil zu betrachten, noch sind die von den jeweiligen Akteuren vorgebrachten Motive als feststehende Präferenzen und damit unabhängig vom Verlauf des Diskurses zu verstehen. Vielmehr verändern sich Motive prozessendogen, d.h. die Akteure artikulieren sie in Abhängigkeit der von anderen Akteuren geäußerten Motive bzw. der in bestimmten zeitlichen Perioden jeweils als akzeptiert antizipierten Motive. Motive stehen für »anticipated situational consequences of questioned conduct« (Mills 1940: 905). Spezifische Motive werden folglich vorgebracht, weil Akteure erwarten, damit andere zu bestimmtem Handeln motivieren zu können oder andere von ihrem eigenen Handeln zu überzeugen. Besonders drastisch wurde dies im Fall der Gewerkschaften deutlich, die ihre Motive entsprechend des als ›realistisch‹, d.h. als akzeptiert Antizipierten, an das diskursive Geschehen angepasst haben. Den Blick für diesen »intrinsically social character« von Motiven (Mills 1940: 907) zu öffnen und damit motivationale Veränderungen ›aus dem Prozess heraus‹ zu erklären, muss nicht den Arbeiten widersprechen, die eine Instrumentalisierung unternehmerischer Verantwortung vornehmlich auf Veränderungen der politischen Ökonomie und damit exogene Faktoren zurückführen (z.B. Marens 2012; Hanlon/Fleming 2009; ähnlich auch Hoffmann/Ventresca 1999). Auch in der vorliegenden Arbeit wurden Veränderungen insbesondere der marktwirtschaftlichen Verhältnisse berücksichtigt und Prägungen unternehmerischer Verantwortung etwa durch die Idee der Sozialen Marktwirtschaft festgestellt. Vielmehr ist mithilfe des
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diskursiv-pfadtheoretischen Ansatzes und seinem Blick für die prozessendogenen Dynamiken eine ergänzende Erklärung für die stabile Führerschaft des »Business Case for CSR« vorgeschlagen. Dies erlaubt es uns, trotz des für viele westliche Marktwirtschaften (mehr oder weniger) geltenden Überbaus der neoliberalen Ideologie (u.a. Kinderman 2012; Hanlon/Fleming 2009) sowie der Zunahme unternehmerischer Größe und Macht (u.a. Banerjee 2008), dennoch nationale Unterschiede im Allgemeinen und den abweichenden Kurs Deutschlands hinsichtlich Verlauf und aktueller Ausgestaltung unternehmerischer Verantwortung im Besonderen zu erklären. 8.2.1.3 Erweiterung des Fokus der Forschung zu Motiven unternehmerischer Verantwortung auf unterschiedliche Akteure Die vorliegende Arbeit hat – die allgemein zwar anerkannte, aber bislang nur unzureichend empirisch untersuchte gesellschaftliche ›Konstruiertheit‹ unternehmerischer Verantwortung und des »Business Case for CSR« ernst nehmend – die Beteiligung unterschiedlicher Akteure an der Aushandlung der Bedeutung und Motivation unternehmerischer Verantwortung untersucht. Dabei hat sich die Betrachtung wirtschaftlicher, staatlicher und zivilgesellschaftlicher Akteure insofern als fruchtbar erwiesen, als dass so ein umfassenderes Bild von der Entwicklung und Stabilisierung des »Business Case for CSR« gewonnen werden konnte, wie es jüngst für Arbeiten zur unternehmerischen Verantwortung vermehrt gefordert wird (u.a. Rasche et al. 2013; Wittneben et al. 2012). Der Blick auf die unterschiedlichen Akteure und ihre Beteiligung an der Etablierung und Stabilisierung der Führerschaft des »Business Case for CSR« zeigte, dass eine Beschreibung dieses Status quo als »managerial capture« ebenso zu kurz greift (u.a. Owen et al. 2000; O’Dwyer 2003; Smith et al. 2011) wie eine Betrachtung, die den »Business Case for CSR« allein als Idee von Wirtschaftsverbänden oder Unternehmen in den Blick nimmt (u.a. Höllerer 2013; Kinderman 2013). Die Betrachtung sowohl wirtschaftlicher als auch staatlicher und zivilgesellschaftlicher Akteure hat vielmehr offengelegt, dass der »Business Case for CSR« unter Beteiligung staatlicher und schließlich auch zivilgesellschaftlicher Akteure befördert wurde und heute stabil gehalten wird und dass alle diese Akteure insgesamt an der Ausgestaltung unternehmerischer Verantwortung rege beteiligt sind. Wirtschaftsverbände und Unternehmen sehen sich dabei nicht selten durch das von den anderen Akteuren Vorgebrachte beeinflusst und stehen in Interaktion mit staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren. Weniger als auf einzelne Akteure kommt es für die Ausgestaltung unternehmerischer Verantwortung, das hat die vorliegende Arbeit gezeigt, auf über die Zeit variable Akteurskonstellationen an. Zivilgesellschaftliche und staatliche Akteure waren dabei nicht unwesentlich an der Stabilisierung der Führerschaft des »Business Case for CSR« beteiligt, womit
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diese Arbeit nicht nur eine neue Perspektive eröffnet, sondern auch einen Beitrag leistet zur Literatur unternehmerischer Verantwortung, die dieses Zusammenspiel der Akteure bislang nur wenig in den Blick genommen hat. Die Rolle staatlicher Akteure beispielsweise wird mit Blick auf Fragen unternehmerischer Verantwortung bis heute als »largely overlooked« (Gond et al. 2011: 641) und »insufficiently addressed« (Dentchev et al. 2015a: 2, 2015b) beschrieben. Die vorliegende Arbeit zeigte, dass staatliche Akteure für die Etablierung und Stabilisierung der Führerschaft des »Business Case for CSR« wesentlich waren: sie zeigten sich nicht nur in der ersten Phase instrumentellen Motiven zugewandt, sondern insbesondere in der zweiten Phase sehr aktiv an der Etablierung der Führerschaft des »Business Case for CSR« beteiligt und verteidigen diesen in der dritten Phase ebenso vehement wie dies wirtschaftliche Akteure tun. Damit ist der Annahme einer nur marginalen Rolle staatlicher Akteure, wie sie ausgehend vom Prinzip der Freiwilligkeit häufig angenommen wird (dazu auch Dentchev et al. 2015a: 4; Gond et al. 2011: 641), entschieden zu widersprechen. Nicht nur schließen sich die Freiwilligkeit unternehmerischer Verantwortung und eine aktive Rolle des Staates nicht aus, vielmehr zeigt sich uns im deutschen Diskurs sogar eine aktive Beteiligung staatlicher Akteure in der Etablierung unternehmerischer Verantwortung als ›zwingend freiwillig‹ sowie eine explizite Ablehnung auch weicher Formen der (Selbst-)Regulierung, wie die von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen »comply or explain«Lösungen. Letzteres mag insbesondere für den deutschen Fall überraschen. Denn der starke Fokus auf Freiwilligkeit (nicht nur, aber insbesondere) vonseiten staatlicher Akteure widerspricht der immer noch weit verbreiteten Sicht auf den deutschen Diskurs unternehmerischer Verantwortung, die – ausgehend von der Einordnung Deutschlands als Paradebeispiel einer ebenso koordinierten wie sozialen Marktwirtschaft (z.B. Thelen 2014; Kröger 2011; Matten/Moon 2008) und als »›model‹ for countries unwilling to subject themselves to the rule of the market in the same way and to the same extent as Anglo-American economies« (Streeck 2009: 21) – unternehmerische Verantwortung als »relatively statist one, preferring CSR as mandate« beschreibt (Gond et al. 2011: 656). Diese Arbeit hat in Abgrenzung zur bislang verbreiteten Sicht eine starke Fixierung auf die Freiwilligkeit, eine harsche Ablehnung jeglicher Form der Regulierung sowie eine eindeutige Präferenz für marktliche Lösungen offen gelegt, die angesichts bisheriger Forschung für den deutschen Diskurs im Allgemeinen und staatliche Akteure (und ebenso gewerkschaftliche Akteure) im Besonderen überraschend erscheint. Eine derartige Haltung war für den deutschen Fall bislang nur mit Blick auf deutsche Top-Executives (Witt/Redding 2009, 2012) und Arbeitgeberinneninitiativen gezeigt worden (Kinderman 2014), stellt sich vor dem Hintergrund der Ergebnisse dieser Arbeit jedoch als eine das wirtschaftliche Lager transzendierende dar.
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8.2.2 Weitere Beiträge: Pfadforschung Die vorliegende Arbeit leistet in erster Linie Beiträge zur Forschung zur Unternehmensverantwortung. Dennoch lassen sich aus dem hier erarbeiteten diskursivhegemonietheoretisch informierten Pfadansatz sowie dessen empirischer Umsetzung interessante Einblicke auch für die Pfadforschung gewinnen, die es in zukünftigen Forschungsarbeiten weiter zu untersuchen gilt. In Kapitel 2 wurden ausgehend von diskurstheoretischen wie -analytischen Annäherungen an die Idee des Pfades vor allem drei Aspekte für eine weitere Bearbeitung als wichtig herausgestellt, zu deren Klärung die vorliegende Arbeit beiträgt. Einen neuartigen Ansatz der theoretischen wie methodischen Annäherung an pfadabhängige Prozesse konnte hier die – in diskursiv-hegemonietheoretischen Arbeiten verwendete – Idee der Diskurskoalitionen bieten. So wurde eingangs beispielsweise nicht nur danach gefragt, warum bestimmte diskursive Formationen befördert werden, andere hingegen unberücksichtigt bleiben, sondern auch, wie selbstverstärkende Mechanismen im Diskurs denkbar werden. Hinsichtlich dieser Fragen konnte unter Rückgriff auf die Laclau/Mouffe’sche Diskurstheorie sowie das Konzept der Diskurskoalitionen herausgearbeitet werden, dass es für eine solche erste kontingente Verschiebung des Diskurses auf eine »particular conjuncture« ankommt, das heißt, die Entstehung einer ersten ›hegemonialen Beziehung‹ durch das Zusammentreffen von Subjektpositionen unter der Verfügbarkeit bestimmter Signifikanten (Laclau 2007c: 43). Es müsse, so wurde argumentiert, zur Artikulation von Äquivalenzbeziehungen zwischen den Forderungen unterschiedlicher Gruppen kommen, sodass eine strukturierte diskursive Formation entstehen kann, die über die Vereinigung verschiedener Akteure unter ihrem ›Dach‹ Wirkung im Diskurs entfalten kann (Laclau 2007a: 72-75, 2000a: 55). Im deutschen Diskurs unternehmerischer Verantwortung zeigte sich, dass der vonseiten der Europäischen Kommission eingeführte Signifikant »CSR« eine solche Anschlussmöglichkeit sowohl für wirtschaftliche als auch für staatliche Akteure bot. Mit seiner instrumentell-voluntaristischen Fassung erlaubte der neue Signifikant »CSR« es den Akteuren durch die Eröffnung neuer Subjektpositionen und damit Identifikationsmöglichkeiten, (wieder) Teil des Diskurses zu werden und ermöglichte damit das für diese erste deutliche Verschiebung des Diskurses notwendige ›Zusammentreffen‹ von Akteuren unterschiedlicher gesellschaftlicher ›Lager‹. Durch die derart ermöglichte Formierung einer Diskurskoalition wirtschaftlicher und staatlicher Akteure gewann das instrumentell-voluntaristische Motivmuster erstmals Auftrieb und der Diskurs eine erste Tendenz. Die Fassung des »critical juncture« als »particular conjuncture« scheint damit zumindest für die Betrachtung diskursiver Pfade eine Möglichkeit, die Selektion bestimmter diskursiver Formationen theoretisch nachvollziehbar so-
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wie empirisch greifbar zu machen. Ein Ansatz, dessen Fundierung in weiteren diskursiv-pfadtheoretischen Arbeiten lohnenswert erscheint. Zweitens wurde in Kapitel 2 gefragt, wie selbstverstärkende Mechanismen im Diskursiven zu verstehen sind und nicht zuletzt auch empirisch erforscht werden können. Hier wurde deutlich, dass insbesondere die diskursiven Formationen eine hohe Verbreitung erfahren und im weiteren Diskursverlauf befördert werden, die Anschlussmöglichkeiten für unterschiedliche Akteure bieten und damit nicht nur die Bildung, sondern auch Erweiterung von Diskurskoalitionen begünstigen. Es entsteht ein sich selbstverstärkender Prozess zwischen rekrutierten Akteuren, der Erweiterung der Diskurskoalition, sowie Erweiterung und Bestärkung der jeweiligen diskursiven Formation, was wiederum weiteren Anschluss befördert, die Artikulation alternativer Muster im Zuge dieser Dynamik jedoch erschwert. Die diskursive Formation wird führend und letztlich stabilisiert. Alternative diskursive Formationen werden ausgeschlossen. Es entsteht ein rekursiver Prozess, der letztlich auch zunächst widerständige Akteure in seinen Bann nimmt. Damit hat diese Arbeit gezeigt, dass Diskurse in eine selbstverstärkende Dynamik geraten können und sich dabei dem Einfluss einzelner Akteure letztlich entziehen. Die beispielsweise von Hess und Kollegen (2010) in den Raum gestellte Auffassung der Pfadabhängigkeit als Vorherrschaft von Artikulationsmustern und Akteurskonstellationen konnte damit theoretisch untermauert und mit Blick auf die zu dieser Vorherrschaft – hier als stabile Führerschaft begriffen – führenden Dynamiken erweitert werden. Die von Haussmann (2014) angeregte Auffassung pfadkonstituierender Prozesse als Prozess der »Naturalisierung« und »Normalisierung«, konnte hier ausgebaut und zu einem Verständnis erweitert werden, das diese weniger als geradlinig verlaufende Entwicklung denn als Prozess diskursiver Kämpfe begreift, im Zuge dessen auch zunächst widerständige Akteure in den Bann des etablierten Regimes geraten. Dabei wurde deutlich, dass auch wenn an diesen Prozessen intentional handelnde und interessengeleitete Akteure beteiligt sind, sie Verschiebungen des Diskurses jedoch jeweils nur im Kollektiv erreichen können und damit stets in Abhängigkeit der anderen beteiligten Akteure zu sehen sind, auf deren Zustimmung oder zumindest Billigung sie für die Beförderung der eigenen Motive angewiesen sind (siehe ähnlich auch das Konzept der »distributed agency« bei Garud/Karnøe 2003). Dieses Verständnis erlaubt es, das Politische derartiger Prozesse in den Blick zu nehmen, ohne die auf strukturellen Argumenten basierende Erklärungsstärke der Pfadtheorie zu schwächen oder ihre Skepsis gegenüber handlungsmächtigen Akteuren zu unterlaufen. Die hier konzipierte diskursiv-hegemonietheoretische Pfadidee sieht demzufolge auch Wirtschaftsakteure nicht nur in Abhängigkeit der ihnen – heute anscheinend mehr denn je – nahestehenden staatlichen Akteure, sondern sieht sie für die Etablierung ihrer hegemonialen Stellung ebenso angewiesen auf die Zustimmung oder zumindest Billigung durch zivilgesellschaftliche Akteure. Dieses
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Gramscianisch geprägte Verständnis des Verhältnisses von Akteur und Struktur gilt es in weiteren Untersuchungen zu untermauern. Durch die Beschreibung unterschiedlicher Formen der Beharrung konnte ein Verständnis des Lock-in erreicht werden, welches diese viel kritisierte und bislang wenig bestimmte Phase insbesondere für den diskursiven Gebrauch öffnet und theoretisch weiter fokussiert. Dabei wird im Sinne bisheriger Pfadarbeiten das Lock-in als zugleich ein- und ausschließend konzipiert (z.B. Schüßler 2009: 44), wobei das Ausgeschlossene von den eingeschlossenen Akteuren sowohl als Bedrohungsszenario als auch als Inklusionspotenzial begriffen werden kann (Stäheli 2007: 23-26) und damit im ersten Fall, d.h. sofern es die etablierte Ordnung zu bedrohen scheint, abgeblockt oder ignoriert wird oder, im zweiten Fall, d.h. sofern es in die etablierte Ordnung integrierbar scheint, absorbiert wird und somit der Stärkung dieser Ordnung dient. Durch diese Logik, die das Bestehende letztlich gegen alles Konträre immunisiert, bleibt das führende Muster stabil. Ein für das Aufbrechen pfadabhängiger Ideen, Ideologien und Diskurse als notwendig beschriebenes Einbringen neuer und das Bestehende störender Annahmen (Haussmann 2014; Denzau/North 2000) scheint hier erschwert, das Bestehende umso stabiler. Damit wird deutlich, dass – wie nahegelegt wurde – die für die Etablierung des Lock-in verantwortlichen Mechanismen auch im Lock-in weiter wirken, der »Business Case for CSR« folglich weiterhin auch seinen ›Inklusionsanspruch‹ aufrechterhält. In der vorliegenden Arbeit wurde deutlich, dass die Akteure in unterschiedlicher Weise an der Aufrechterhaltung des diskursiven Lock-in beteiligt sein können. Dabei können im Sinne des diskursiv-pfadtheoretischen Analyserahmens die Beharrungstendenzen der eingeschlossenen Akteure sowohl die passive Duldung des Bestehenden als auch die aktive Unterstützung und Verteidigung des Status quo bedeuten. Farrell/Quiggin (2012: 10, 32) betonen, dass auch ein nur ›scheinbarer Konsens‹, der durchaus »within itself many pockets of quiet dissent« enthalten könne, dennoch dazu führt, dass »it will be far more costly to take actions inconsistent with that consensus, and easier to take actions that are consistent with it«. Dies gelte umso mehr, wenn die dem Konsens scheinbar zustimmenden Akteure als ›Expertinnen‹ konstruiert werden (ebd.), wie es im Fall des Nationalen CSR-Forums geschehen ist. Was es im Zuge zukünftiger Arbeiten genauer in den Blick zu nehmen gilt, ist, ob die hier gezeigten unterschiedlichen Formen der Zustimmung zum »Business Case for CSR«, d.h. die aktive Unterstützung (fast) all seiner Motive durch wirtschaftliche und staatliche Akteure auf der einen Seite und die passive Billigung bzw. pragmatische Kollaboration durch gewerkschaftliche Akteure hinsichtlich einiger Motive des »Business Case for CSR« auf der anderen Seite, möglicher Anknüpfungspunkt für einen »Pfadbruch im Diskurs« (Haussmann 2014) sein kann und damit das postulierte Lock-in schwächt oder aber – wie hier nahegelegt – der Fakt der Zustimmung zivilgesellschaftlicher Akteure, unabhängig davon ob diese aktiver oder passiver Natur ist, als legitimatorischer Bezugspunkt der Beharrung
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ausreicht und damit die Stabilität der Führerschaft des »Business Case for CSR« auch weiterhin aufrechtzuerhalten vermag. Nicht zuletzt wurde mit Blick auf die andauernden Auseinandersetzungen um theoretische und methodische Zugänge der Pfadforschung (Dobusch/Kapeller 2013; Garud et al. 2010; Vergne/Durand 2010) durch die vorliegende Arbeit bestätigt, dass diskurstheoretische wie -analytische Ansätze für ein Verständnis pfadabhängiger Prozesse geeignet sind (so auch Haussmann 2014; Koch 2011). Die weitere Auseinandersetzung mit diskursiven Pfadprozessen erscheint lohnend, da ökonomische Kriterien nicht immer eine ausreichende Erklärung pfadabhängiger Prozessverläufe liefern können (Hess et al. 2010: 197; Garud/Karnøe 2003: 280), und wir uns auch deshalb, in Fortführung institutioneller und organisationaler Annäherungen an Pfade, auch mit anderen Treibern pfadabhängiger Prozessverläufe auseinandersetzen müssen. Dass auch von Diskursen eine pfadbildende Kraft ausgehen kann und dabei nicht nur politisch (Hess et al. 2010), strategisch (Koch 2011) und technologisch (Haussmann 2014) relevante Entscheidungen beeinflusst werden, sondern auch solche, die grundlegend über das Verhältnis von Unternehmen und Gesellschaft entscheiden, hat diese Arbeit gezeigt.
8.3 L IMITATIONEN UND
ZUKÜNFTIGE
F ORSCHUNGSFELDER
Auch die Grenzen dieser Arbeit sollen nicht unerwähnt bleiben. Sie eröffnen zugleich mögliche zukünftige Forschungsfelder. Häufig muss sich gerade qualitative Forschung die Frage nach der Generalisierbarkeit ihrer Ergebnisse gefallen lassen. Zu fragen ist also auch im Fall dieser Arbeit, inwiefern die Ergebnisse von Relevanz sind auch für andere Diskurse, d.h. zum einen für Diskurse unternehmerischer Verantwortung in anderen Ländern und zum anderen für Diskurse anderen ›Inhalts‹. Diese Arbeit hat sich, bedingt durch die phänomengetriebene Vorgehensweise – der Vermutung einer für den deutschen Diskurs spezifischen Stabilisierung der Führerschaft des »Business Case for CSR« – sowie ausgehend vom Anspruch einer kontextsensitiven Analyse, ausschließlich auf den deutschen Diskurs unternehmerischer Verantwortung beschränkt. Nicht zuletzt wurde argumentiert, dass (nicht nur, aber insbesondere) die spezifische Historie unternehmerischer Verantwortung in Deutschland, den deutschen Diskurs zu einem interessanten Fall für die Untersuchung des beobachteten Phänomens macht. Die Betonung der Spezifika des deutschen Falls lässt jedoch zugleich eine Generalisierung der für diesen Fall vorgeschlagenen Erklärung fraglich erscheinen. Noch dazu scheint, wie wir gesehen haben, in anderen europäischen Ländern ein Abweichen vom instrumentell-voluntaristischen Verständnis unternehmerischer Verantwortung möglich und wird z.B. in Fragen der Berichterstattung aktuell vollzogen. Eine
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Übertragung der Ergebnisse auf andere (europäische) Länder scheint somit fraglich, wäre jedoch im Einzelfall zu überprüfen. Nicht zuletzt müssen vor dem umkämpften, dynamischen und kontextabhängigen Charakter unternehmerischer Verantwortung (siehe Kapitel 2) auch die hier identifizierten Motive und Motivmuster als länderspezifisch begriffen werden. Studien zur Ausgestaltung von Motiven unternehmerischer Verantwortung und insbesondere des »Business Case for CSR« in anderen Ländern wären aufschlussreich, um unterschiedliche Modi der Rechtfertigung zu identifizieren, diese noch besser zu begreifen und nicht zuletzt problematischen Entwicklungen, wie sie in der vorliegenden Arbeit gezeigt wurden, gegebenenfalls vorzugreifen. Zudem ist die Frage nach der Übertragbarkeit der Ergebnisse der vorliegenden Arbeit mit Bedacht zu beantworten, da – wie wir gesehen haben – die Diagnose diskursiver Pfadabhängigkeit besonders voraussetzungsvoll ist. Die vorliegende Arbeit hat sich unter Zuhilfenahme eines diskursiv-hegemonietheoretischen Rahmens gerade darum bemüht, den diskursiven Pfadprozess – anders als dies in einigen der bisherigen diskursiv-pfadtheoretischen Arbeiten geschah – nicht als alltäglich stattfindende ›Normalisierung‹ bestimmter Bedeutungsmuster zu begreifen, sondern sie vielmehr als problematische – da sich zunehmend totalitär und unflexibel gestaltende – Prozesse zu denken, die sich aufgrund einer eigentümlichen, sich dem Einfluss der Akteure mitunter entziehenden, selbstverstärkenden Dynamik ergeben. Folglich sind keinesfalls alle Bedeutungsvereinbarungen als pfadabhängig zu bezeichnen und der Diagnose der (diskursiven) Pfadabhängigkeit jeweils eine systematische Analyse voranzustellen. Trotz der gebotenen Vorsicht wäre zu fragen, ob möglicherweise andere, dem hier betrachteten Diskurs in seinen Spezifika ähnliche, Diskurse einem pfadabhängigen Verlauf unterliegen oder unterlegen haben könnten und damit die Ergebnisse dieser Arbeit sich nach eingehender Prüfung übertragbar zeigen. Zu denken wäre hier beispielsweise an Diskurse, die mit dem in der vorliegenden Arbeit untersuchten verwandt sind und ähnliche Tendenzen einer Instrumentalisierung oder auch Ökonomisierung aufzeigen, wie etwa der GenderDiversity-Diskurs, der sich ebenfalls zunehmend instrumentellen Rechtfertigungen unterworfen sieht (z.B. Herring 2009; Campbell/Mínguez-Vera 2008). Zukünftige Arbeiten sollten dabei insbesondere prüfen, inwieweit dieser oder andere Diskurse ebenfalls der hier als relevant befundenen Etablierung des Ökonomischen als Möglich- bzw. Notwendigkeit der Verbreitung unterlagen. Mit der Vermutung einer Ähnlichkeit des in der vorliegenden Arbeit diskutierten Falls zu anderen Fällen, in denen eine Instrumentalisierung stattgefunden haben könnte, drängt sich eine weitere Limitation der vorliegenden Arbeit auf. So wurde zwar mit der Betrachtung des jeweiligen historischen Kontextes, vor dem die beschriebenen Diskursverschiebungen stattgefunden haben, auf Veränderungen der politischen Ökonomie eingegangen, eine explizite Betrachtung breiterer Diskurse, wie beispielsweise dem des Neo-Liberalismus, die ebenfalls zur Stabilisierung der
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Führerschaft des »Business Case for CSR« beigetragen haben könnten, stand jedoch nicht im Fokus der Arbeit. Es wurde argumentiert, dass sich in der scheinbaren Alternativlosigkeit instrumenteller Rechtfertigungen zur Beförderung bestimmter Forderungen, wie sie hier gezeigt wurde, ein für die aktuellen Verhältnisse als typisch erachteter ›kapitalistischer Realismus‹ (Fisher 2009; Žižek 2009) ausdrückt, »which has successfully installed a ›business ontology‹ in which it is simply obvious that everything in society, including healthcare and education, should be run as a business« (Fisher 2009: 17, Hervorhebung im Original). Eine tiefergehende Analyse des Zusammenhangs des in der vorliegenden Arbeit beschriebenen Diskursverlaufs mit derartigen Metanarrativen muss den Befunden dieser Arbeit nicht widersprechen, könnte aber eine zusätzliche Erklärung bieten und nicht zuletzt Anschlüsse zur eingangs diskutierten, an politisch-ökonomischen Verhältnissen interessierten Literatur zur (historischen) Entwicklung unternehmerischer Verantwortung herstellen, die – wie gesagt ohne dabei die Stabilität der Führerschaft des »Business Case for CSR« in den Blick zu nehmen – entsprechende Zusammenhänge bereits hergestellt hat (Kinderman 2012; Hanlon/Fleming 2009). Eine weitere Limitation stellt sich dieser Arbeit ebenso wie allen Arbeiten, die sich mit aktuellen, noch andauernden Prozessen befassen. Die Analyse des Diskurses unternehmerischer Verantwortung schließt mit dem Jahr 2014, der Diskurs jedoch entwickelt sich weiter, womit abschließende Aussagen erschwert werden. Insbesondere der betrachtete Zeitraum des Lock-ins scheint, wie bereits angemerkt, relativ kurz und damit eine endgültige Aussage nur eingeschränkt möglich. Zukünftigen Studien sei damit der Auftrag mitgegeben, sich mit den noch andauernden Entwicklungen auseinanderzusetzen und den Diskurs in seinem weiteren Verlauf, insbesondere mit Blick auf das postulierte Lock-in, zu untersuchen. Wie gezeigt wurde, stehen aktuell für den Diskurs unternehmerischer Verantwortung grundlegende Entscheidungen an, wie etwa der Umgang mit dem Vorschlag der Europäischen Kommission zur verpflichtenden nicht-finanziellen Berichterstattung, dessen nahende Umsetzung die deutschen Akteure unter den aktuellen Prämissen des Diskurses vor große Herausforderungen stellen wird. Auch die jüngst von zivilgesellschaftlicher Seite eingebrachten Vorschläge zur Unternehmenshaftung (z.B. CorA 2015), die der aktuellen ›Freiwilligkeitsideologie‹ geradezu diametral entgegenstehen, versprechen interessante Auseinandersetzungen, die einen Angriff auf das Bestehende darstellen und deren Untersuchung das Vorhaben der vorliegende Arbeit fortführen könnte.2
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Forderungen zur Schließung von Lücken in der Unternehmenshaftung wurden unter anderem auf europäischer Ebene auch in früheren Jahren schon geäußert, erlangen aber gerade in Deutschland durch die Einrichtung einer Arbeitsgruppe unter Beteiligung staatlicher, wirtschaftlicher und zivilgesellschaftlicher Akteure jüngst erneuten Aufwind.
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Zuletzt scheint – wie in Kapitel 3 bereits angerissen – eine kritische Betrachtung der gewählten empirischen Herangehensweise opportun. Die vorliegende Arbeit hat sich für die Untersuchung der Motive unternehmerischer Verantwortung sowie zur Erklärung der Entwicklung und Stabilisierung der Führerschaft des »Business Case for CSR« für die Analyse ›offizieller Stellungnahmen‹ wirtschaftlicher, staatlicher und zivilgesellschaftlicher Akteure entschieden. Es sind somit vornehmlich kollektive Akteure, u.a. Verbände und Vereine, und deren offizielle Positionen untersucht worden. Damit wurde es zum einen möglich, die Anzahl der zu untersuchenden Akteure auf ein handhabbares Maß zu reduzieren. Zum anderen erlaubte die Dokumentform der ›offiziellen Stellungnahmen‹ es, die jeweils unter den Mitgliedern dieser kollektiven Akteure ausgehandelte und folglich bewusst entschiedene Position zu untersuchen und nicht etwa vereinzelte Stimmen etwa der Unternehmerschaft zu untersuchen, die gegebenenfalls nicht mehr als bloße ›Ausreißer‹ sind. Zugleich bleibt so der Aushandlungs- und Entscheidungsfindungsprozess, der diesen Dokumenten und den darin formulierten Positionen vorausgeht, verborgen. Gleiches gilt für die nicht-finanziellen Berichte der Unternehmen, deren bebilderte Seiten ebenso wie die glänzenden Oberflächen, den Prozess ihrer Entstehung vergessen machen. Die Analyse der Aushandlungsprozesse um die in dieser Arbeit analysierten offiziellen Positionen, d.h. der hinter diesen Texten stehenden (Mikro-)Diskurse, und damit letztlich auch der hinter den kollektiven Akteuren stehenden individuellen Akteure, kann die Beweggründe und lokalen Rationalitäten hinter den offiziell geäußerten Motiven offenlegen. Mit Blick auf die in dieser Arbeit verfolgte Entwicklung wäre etwa zu fragen, wie entsprechende Motivzuschreibungen auf Mikroebene ausgehandelt werden, welche von dieser Arbeit nicht in den Blick genommenen Beweggründe zur Äußerung vornehmlich instrumenteller Motive geführt haben und ob gegebenenfalls unter den individuellen Akteuren weiterhin vom instrumentellen Mainstream abweichende Stimmen vorhanden sind. Nicht zuletzt würde mit der Betrachtung der Mikroebene eine in der Forschung zur Unternehmensverantwortung bislang stark unterbeleuchtete Ebene in den Fokus rücken (Costas/Kärreman 2013: 411).
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8.4 W AS BEDEUTET DIE STABILE F ÜHRERSCHAFT DES »B USINESS C ASE FOR CSR« FÜR DIE G ESTALTUNG UNTERNEHMERISCHER V ERANTWORTUNG ? Haben wir in Kapitel 6 bereits einige der sich ankündigenden Problematiken betrachtet, die sich für die an der Inthronisierung des »Business Case for CSR« beteiligten Akteure abzeichnen, so soll hier der Blick geöffnet werden und nach den praktischen Implikationen der stabilen Führerschaft des »Business Case for CSR« für den Umgang mit Unternehmensverantwortung gefragt werden: Was also bedeutet die stabile Führerschaft des »Business Case for CSR« für die praktische Gestaltung unternehmerischer Verantwortung? (8.4.1) Ausgehend von der recht pessimistisch ausfallenden Antwort auf diese Frage werden abschließend Möglichkeiten des ›Pfadbruchs‹ kritisch reflektiert (8.4.2) und damit Optionen für ein mögliches Verlassen des Status quo diskutiert. 8.4.1 Praktische Implikationen und Kritik der stabilen Führerschaft des »Business Case for CSR« Zwei Problemkomplexe sind mit dem »Business Case for CSR« im Wesentlichen verbunden. Zum einen begrenzt der »Business Case for CSR« unternehmerische Verantwortung, zum anderen entpolitisiert der »Business Case for CSR« den Diskurs unternehmerischer Verantwortung und verhindert damit nicht zuletzt auch die für die Durch- und Umsetzung unternehmerischer Verantwortung notwendige Formierung politischer Subjekte. 8.4.1.1 Begrenzung unternehmerischer Verantwortung durch den »Business Case for CSR« Unternehmerischer Verantwortung sind unter dem Banner des »Business Case for CSR« enge Grenzen gesteckt. Ist es allein der unternehmerische Profit, der über Verantwortung entscheidet, obliegt es ausschließlich der unternehmerischen Entscheidung, ob, in welchen Bereichen und in welchem Umfang Verantwortung wahrgenommen wird – Verantwortung verkommt zur unternehmerischen »pick and choose«-Agenda (Shamir 2008: 12; Blowfield 2005: 177). Steht die Wahrnehmung unternehmerischer Verantwortung in Abhängigkeit von einem (finanziellen) Unternehmensnutzen, wird sie jeweils dann wieder aufgegeben werden, wenn der erhoffte Nutzen ausbleibt (Oels 2005; Banerjee 2001; Weaver et al. 1999). Zudem sind nicht alle gesellschaftlich relevanten Probleme in ökonomischen Kategorien rekonstruierbar und werden, sofern Verantwortung allein Kosten-Nutzen-Kalkülen folgt, nicht oder nicht in gleichem Umfang Beachtung finden (Schreck 2010: 239). Interessen von Anspruchsgruppen werden jeweils nur dann adressiert werden, wenn
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dies mit den an erster Stelle stehenden Interessen der Shareholder kompatibel ist (Keay 2011). Ihre Grenzen findet Verantwortung gemäß der instrumentellen Ratio somit immer dort, wo sich Stakeholder- und Shareholder-Interessen entgegenstehen, d.h. wo sich die Wahrnehmung von Verantwortung nicht auszahlt oder ein entsprechender ›Return on Investment‹ zumindest infrage steht (Crane et al. 2014: 136-137; Brammer et al. 2012: 12). Die instrumentelle Ratio wird Verantwortung damit nur dort befördern, wo Shareholder- und Stakeholder-Interessen kongruent sind – ein Fall, der schon aufgrund der Vielzahl und Unterschiedlichkeit der Anspruchsgruppen, denen sich ein (noch dazu in mehreren Ländern agierendes) Unternehmen gegenübersieht, unwahrscheinlich erscheint. Verlässlichkeit für betroffene Anspruchsgruppen erwächst derart ebenso wenig wie ein Anspruch auf verantwortliches Unternehmenshandeln. Mit der in dieser Arbeit aufgezeigten Engführung des Diskurses auf instrumentelle Motive wird dementsprechend deutlich, dass Antworten auf die Frage »why the business community should accept and advance the CSR ›cause‹« (Carroll/Shabana 2010: 86) und damit letztlich die Faktoren »that may lead organizations to be more socially responsible and, if successful, to impart social change« (Aguilera et al. 2007: 839) eine Begrenzung erfahren haben. Bestimmte Forderungen, die der instrumentellen Motivation nicht entsprechen, beispielsweise weil sie sich nicht ›auszahlen‹, werden vor dem Hintergrund der Ausschließlichkeit des »Business Case for CSR« heute kaum mehr als legitim aufgenommen werden. Reichweite, Verlässlichkeit und Effektivität der Verantwortung sehen sich durch die instrumentelle Ratio erheblich begrenzt. Nicht zuletzt ist – wie in der Einleitung bereits angesprochen – die Idee, unternehmerische Verantwortung unter der Führerschaft des »Business Case for CSR« ›dem Markt‹ anzuvertrauen, geradezu absurd vor dem Hintergrund, dass gerade aus den Steuerungs- und Koordinationsdefiziten des Marktes die »Notwendigkeit einer Unternehmensethik« als Korrektiv abgeleitet und davon ausgehend auf die gegenseitige Ergänzung von Markt, Recht und Ethik verwiesen wurde (Gerum 1992: 254; Steinmann/Löhr 1992: 236).3 Dabei wird argumentiert, dass u.a. negative externe 3
Auch rechtliche Regelungen haben ihre Grenzen, diese liegen z.B. in ihrem bloß reaktiven Charakter, der die effektive Regelung von neuartigen Problemlagen und Ad-hocKonflikten kaum zulässt, sowie der Schwierigkeit, komplexe Sachverhalte zielgenau zu regeln, und Vollzugsdefiziten aufgrund mangelnder Zurechenbarkeit sowie mitunter hoher Kontrollkosten (Gerum 1992: 255-257). Zudem kommt das häufig auf nationale Grenzen beschränkte Recht naturgemäß dort an seine Grenzen, wo Unternehmen transnational aktiv sind (Habermas 1998; Scherer/Palazzo 2007: 1096; Matten/Crane 2005: 171). Ausgehend von diesen Grenzen wurde zuweilen der Ruf nach »korrektiven« Lösungsideen laut – die häufig in der Idee der Unternehmensethik (Steinmann/Löhr 1992: 236) oder einer auf verständigungsorientiertem Handeln basierenden sozialen Verantwortung (Schreyögg 2009: 764-766) gesehen wird. Auch dabei ist jedoch zu bedenken, dass sich
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Effekte, die Intransparenz des Marktes für Verbraucherinnen, die Trennung von Eigentum und Verfügungsgewalt im Unternehmen ebenso wie die Unfähigkeit des Marktes, die Interessen zukünftiger Generationen abzubilden, häufig dazu führten, dass »der reine Marktmechanismus versagt beziehungsweise zu Lösungen führt, die unter moralischen Gesichtspunkten inakzeptabel sind« (Schreyögg 2009: 762). Notwendige Voraussetzung des instrumentellen Ansatzes ist jedoch, dass verantwortliches Unternehmenshandeln am Markt belohnt wird, es somit einen (funktionierenden) Markt für Verantwortung – einen »market for virtue« (Vogel 2005) – gibt. Dieser Markt und damit die Verlässlichkeit instrumenteller Motive als Anreiz für Unternehmensverantwortung erweist sich jedoch als fragwürdig (Margolis/Walsh 2003; Orlitzky et al. 2003; Vogel 2005). Vogel (2005: 19-45) fasst diesen Befund wie folgt zusammen: »[…] unfortunately there is no evidence that behaving more virtuously makes firms more profitable […], the market for virtue is not sufficiently important to make it in the interest of all firms to behave more responsibly.« Wenn auch in einigen Fällen eine positive Beziehung zwischen Unternehmensverantwortung und Unternehmensperformance gezeigt werden konnte (zusammenfassend z.B. Orlitzky 2009), so scheint die Behauptung eines strukturellen (positiven) Zusammenhangs infrage zu stehen (McWilliams/Siegel 2000; Vogel 2005). Erwartungen an den »Business Case for CSR« als alleinigen Anreiz unternehmerischer Verantwortung werden sich somit regelmäßig als Illusion entpuppen.4 die Ausrichtung an allgemeinen moralische Wertvorstellungen angesichts pluralistischer Gesellschaften nicht mehr einfach als allgemein akzeptiert annehmen lassen (Steinmann/Löhr 1992: 239; ähnlich argumentieren Scherer/Palazzo 2011: 906), wovon ausgehend auf eine rationale Konsensethik (Apel 1973; Habermas 1983; Steinmann/Löhr 1992) verwiesen wird, die jedoch ihrerseits einer Reihe von Problemen unterliegt und vor allem an den Voraussetzungen einer »idealen Sprechsituation« scheitern muss (kritisch Mouffe 1999; 2000), wobei das häufig schiefe Machtverhältnis der Beteiligten, die für die Findung eines rationalen Konsens notwendigen Grundbedingungen unterläuft (Žižek 1990: 259; grundsätzlich Keohane 1993; Mouffe 1999). Habermas geht auf diese Kritik ein (1991: 209) und betont, dass es für das Herstellen von Räumen der Kommunikation gesellschaftlicher und politischer Institutionen bedürfe, die zumindest eine Annäherung an die regulative Idee der »idealen Sprechsituation« ermöglichten (Habermas 1981, 1991). Seine Kritikerinnen halten dem entgegen, dass derartige Institutionen ebenfalls immer schon Ergebnis machtbehafteter Prozesse der Aushandlung seien und damit nicht mehr sein könnten als Manifestationen der gegebenen Machtstrukturen (Laclau/Mouffe 2014 [1985]; Mouffe 1989; Keohane 1993: 15). 4
Nicht zuletzt stützt sich der »Business Case for CSR« auf eine paradoxe Argumentation, die zuerst von der Europäischen Kommission propagiert wird, dann aber auch von den deutschen Akteuren übernommen wird. Dabei wird zum einen die Regulierungskraft des Marktes als Rechtfertigung für einen freiwilligen Ansatz herangezogen, auf der andere
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8.4.1.2 Entpolitisierung unternehmerischer Verantwortung durch den »Business Case for CSR« Kritikwürdig ist der »Business Case for CSR« auch, da er zur Entpolitisierung unternehmerischer Verantwortung beiträgt. Der »Business Case for CSR« geht von der grundsätzlichen Vereinbarkeit gesellschaftlicher Ansprüche und unternehmerischer Ziele aus, womit die Auseinandersetzung über die unternehmerische Verantwortung »ihres konfliktären und kritischen Charakters entkleidet und in ein Harmonieszenarium überführt« wird (Schreyögg 2009: 765). Das Versprechen, verantwortliches Handeln würde sich auszahlen, ebenso wie die damit einhergehende »Win-win«-Rhetorik (Livesey 2002b; Livesey/Kearins 2002) stellen die Möglichkeit der Versöhnung wirtschaftlicher und (zivil-)gesellschaftlicher Interessen in Aussicht oder geben an, über mögliche Konflikte dieser Interessen ›hinauszugehen‹ (prominent z.B. Porter/Kramer 2011: 64; Jensen 2002: 239-240). Diese für den »Business Case for CSR« grundlegende Harmonisierung negiert die inhärente Konflikthaftigkeit unternehmerischen Handelns und damit letztlich auch unternehmerischer Verantwortung. Mit dem Ausschluss von Konflikten aus dem Lösungsbereich der Unternehmensverantwortung steht die instrumentell-voluntaristische Perspektive im diametralen Verhältnis zu einem Verständnis unternehmerischer Verantwortung als situatives Korrektiv in ethischen Konfliktfällen (Schreyögg 2009; Steinmann/Löhr 1992). Der aktuelle Begriff unternehmerischer Verantwortung fußt damit auf der grundlegenden Ausklammerung der Fälle, in denen Verantwortung besonders notwendig5 wird, d.h. etwa der Situationen, in denen unternehmerisches Handeln in Konflikt steht mit den Interessen Dritter, seien es Bürgerinnen und Bürger, aktuelle oder zukünftige Generationen. Indem unternehmerische Verantwortung Konflikte ausklammert, negiert oder wegdefiniert, wird sie ihrer Funktion enthoben und ist damit von jeglicher Bedeutung entkernt. Unternehmerische Verantwortung ist aufgrund dieses Grundwiderspruchs zu einem »leeren Signifikant« geworden (Laclau 2005; 2007). Gerade die instrumentell-voluntaristische Fassung unternehmerischer Verantwortung hilft dabei, negative Auswirkungen unternehmerischen Handelns zu maskieren, indem sie nicht nur eine ›Fassade der Verantwortung‹ aufbaut (Basu/Palazzo 2008), sondern letztlich nahezu jedes Unternehmen in die Lage versetzt, sich als ›verantwortliches‹ Unternehmen zu präsentieren. Ein Fakt, den Gond Seite werden Minimumstandards als unrealistisch abgetan, da ihre Umsetzung zu Nachteilen am Markt führen würde (so auch De Schutter 2008: 216-217; MacLeod 2005: 551): »The goal is the same: obligatory standards should be rejected.« Ungericht/Hirt 2010: 9) 5
Ich schreibe hier bewusst ›besonders notwendig‹, wo beispielsweise Steinmann und Löhr, da sie den Fakt der Profitmaximierung per se nicht infrage stellen bzw. als bereits konfliktbeladen sehen, ›überhaupt erst notwendig‹ schreiben würden (Steinmann/Löhr 1992). Für eine Kritik der Position von Steinmann und Löhr siehe Ulrich (1990, 1995).
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et al. (2009) passend mit der »Mafia-Metapher« beschrieben haben, die darauf verweisen, dass die »adoption of an instrumentalist view of CSR could even qualify certain activities of the Mafia as being socially responsible […], [which] could end up applauding corporations that are in fact morally corrupt despite their elaborate façades« (Gond et al. 2009: 58).6 Mehr noch, Gond und Kollegen argumentieren, dass die für die instrumentell-voluntaristische Perspektive charakteristische »combination of weak regulatory power, high self-referentiality and overstretched interpretation of the profit motive, constitute a context that increases the probability of deviant behaviour« (Gond et al. 2009: 63).7 Nicht nur wird innerhalb des durch den »Business Case for CSR« propagierten »Harmonieszenariums« (Schreyögg 2009: 765) über die konkreten, im Rahmen unternehmerischer Verantwortung zu verhandelnden Konflikte zwischen einzelnem Unternehmen und Anspruchsgruppen hinweggesehen. Letztlich hat die angenommene grundsätzliche Vereinbarkeit ökonomischer und nicht-ökonomischer Ziele auch Auswirkungen auf die zur Verfügung stehenden Lösungsansätze. Werden Wettbewerb, Profitmaximierung und Wachstum nicht nur als nicht in Widerspruch mit Fragen sozialer Gerechtigkeit, des Umwelt- und Klimaschutzes oder fairer Arbeitsbedingungen dargestellt, sondern damit ›Hand in Hand‹ gehend oder gar als notwendige Voraussetzungen zu deren Erlangung präsentiert, so werden sie aus dem Terrain der Problemursachen in den ›sicheren Hafen‹ der Problemlösungen verschoben und stehen damit außer Frage. Der instrumentell-voluntaristische Diskurs unternehmerischer Verantwortung »encourages the finding of solutions rather than the understanding of problems. In fact, it has the potential to remove certain sets of problems from consideration because they do not lend themselves to practical solutions« (Blowfield 2005: 177, ähnlich Methmann 2010). Eine Tendenz, die den immer wieder betonten – und jüngst von Klein (2014) am Beispiel des Klimaschutzes prominent wiederholten – Grundwiderspruch von kapitalistischem und sozialem Handeln eskamotiert. Auch auf einer dem Einzelunternehmen sowie konkreten Konfliktsituationen übergeordneten Ebene trägt instrumentell verstandene Unternehmensverantwortung durch das Versprechen beiderseitigen Gewinns sowie das Verdrängen möglicher »Trade-offs« folglich dazu bei, die inhärente Konflikthaftigkeit wirtschaftlichen Handelns zu verschleiern.
6
Die Möglichkeit gleichzeitiger »Corporate Social Responsibility«- und »Corporate Social Irresponsibility«- Aktivitäten ist in jüngster Zeit zum Thema der Forschung geworden (siehe Jackson et al. 2014).
7
Wichtig ist hier jedoch zu betonen, und das tun auch Gond und Kollegen (2009: 63), dass die instrumentell-voluntaristische Logik weder zwingend zu unverantwortlichem Verhalten führt noch per se als unmoralisch zu bezeichnen wäre, sondern grundsätzlich erst einmal eine amoralische Handlungslogik darstellt (so auch Schreyögg 2009: 766).
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Barthold (2013) beispielweise beschreibt diese Wirkung als eine, die sowohl Kollaboration in kapitalistischen Praktiken als auch die Entpolitisierung der Akteure befördert: »[…] corporate social responsibility discourse develops the temptation to collaborate with the ›state of the situation‹, or necessity, which is to say the inhumanity of the capitalist system that destroys men and nature (Badiou 2005: 104). […] [And] it creates the illusion that the noxious impact of corporations can be solved by the mutual responsibilisation of equal stakeholders […] instead of a political confrontation between antagonistic interests. This manifests a cunning in the capitalist logic of accumulation, which utilises an apparently ethical discourse to forbid, through consent, any engagement with a genuine ethics, namely the achievement of a good life.« (Barthold 2013: 393, 399; ähnlich argumentieren Edward/Willmott 2008a)
Das »Harmonieszenarium« (Schreyögg 2009: 765) wird durch das ›Verführen‹ zu Kollaboration und Entpolitisierung zu einem ›Harmonisierungsszenarium‹, das letztlich nicht nur zur Aufrechterhaltung kapitalistischer Strukturen beiträgt, sondern zugleich die für ethisches Verhalten notwendige Formierung politischer Subjekte verhindert (Barthold 2013). Der »Business Case for CSR« vereinnahmt und entkräftet Kritik, »show[ing] capitalism’s ability to transform critique into commercial and managerial assets« (Shamir 2010: 531; ähnlich Edward/Willmott 2008a; Hanlon/Fleming 2009; Costas/Kärreman 2013). Letztlich ist damit eine Wirkung der Aneignung von Kritik angesprochen, die auch als der »neue Geist des Kapitalismus« bezeichnet wurde (Boltanski/Chiapello 2006) und sich hier am Beispiel des »Business Case for CSR« konkretisiert. Summa summarum bringt die zuvor beschriebene exkludierende und zugleich begrenzende Wirkung des Lock-in des »Business Case for CSR« den ideologischen Charakter des Diskurses hervor. »There is ideology whenever a particular content shows itself as more than itself. Without this dimension of horizon we would have ideas or systems of ideas, but never ideologies.« (Laclau 1996: 206) Ideologische Hegemonien gehen mit einer Negation anderer Perspektiven einher (ebd.).8 Der »Business Case for CSR« kann insofern als ideologisch bezeichnet werden, als er erstens mit seinem Versprechen der Vereinbarkeit von Profit und Prinzip die eigenen Grenzen negiert, sich selbst transzendiert sowie zweitens Widersprüche, Konflikte und alternative Perspektiven ausschließt und damit eine exklusive Interpreta-
8
Für dieses Argument ist es von Bedeutung, dass die Konzepte der Hegemonie und der Ideologie, anders als zuweilen angenommen, nicht deckungsgleich sind. Nicht jede Hegemonie ist zwingend eine ideologische (Laclau 1997; Hall 1985) und nicht jede Ideologie ist zwingend hegemonial oder auch ›nur‹ dominant (van Dijk 1998: 179-184).
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tion unternehmerischer Verantwortung darstellt, neben der andere Interpretationen nicht mehr artikulierbar sind. 8.4.2 Möglichkeiten des »Bruchs« mit dem Bestehenden? Bestehen Möglichkeiten eines »Bruchs« mit dem Status quo? Für entsprechende Überlegungen können wir sinnvoll auf den theoretischen Rahmen der Pfad- und Diskurstheorie und die dort entwickelten Ideen zum intendierten9 Pfadbruch (z.B. Schreyögg et al. 2003: 273-281; Haussmann 2014; Stache 2013; Stache/Sydow 2014; Sydow et al. 2009) sowie auf Überlegungen zum Wandel verfestigter Denkund Sprachmuster zurückgreifen (z.B. van Dijk 2006; Denzau/North 1994; Barrett et al. 1995). Möglichkeiten eines Bruchs des festgefahrenen Diskurses unternehmerischer Verantwortung zu beleuchten, erscheint nicht nur aus theoretischer Sicht interessant, sondern käme auch der praktischen Notwendigkeit nach, die durch die stabile Führerschaft des »Business Case for CSR« verschlossenen Potenziale der Idee der unternehmerischen Verantwortung wieder offenzulegen und einen effektiveren Umgang damit zu ermöglichen. Der Bruch einmal eingeschlagener Pfade ist theoretisch wie praktisch schwierig, denn »[p]ath dependent behavior, strictly speaking, excludes path-breaking behavior« (Sydow et al. 2009: 702). Wurde bislang argumentiert, dass es zum Bruch des Pfades »exogener Kräfte« wie etwa Krisen, Schocks oder Katastrophen bedürfe (Arthur, 1994: 118; Vergne/Durand 2010: 752), so kommt es für eine intendierten Pfadbruch vielmehr auf eine von Sydow und Kollegen beschriebene »Integration einer externen Perspektive« an (Sydow et al. 2009: 702; Schreyögg/Sydow 2011: 325). Die (Re-)Integration bislang ausgeblendeter Alternativen soll eine Reflektion über das »scheinbar Unabänderliche« anstoßen und damit Veränderung möglich machen (Schreyögg et al. 2003: 278; Sydow et al. 2009: 702). Auch mit Blick auf ›pfadabhängige Ideen und Ideologien‹ wurde argumentiert, dass es für ein Aufbrechen des Status quo über die Integration neuer Elemente zu einer »endogenen Krise« kommen könne (Denzau/North 1994: 25-26). »The basis for this crisis would be the discovery of a lack of logical consistency in the ideology, or the discovery of a new set of implications which are viewed as disturbing by adherents of the ideology.« (Denazu/North 1994: 25) Haussmann (2014: 299-300) hat diesen Integrationsprozess als einen durch randständige Akteure initiierten und sodann durch die im Mainstream befindlichen Akteure nach und nach aufgegriffenen Pro9
Der Zusatz »intendiert« ist an dieser Stelle insofern relevant, als dass die lange Zeit für den Pfadbruch wichtig erachteten »exogenen Schocks« (Vergne/Durand 2010: 752) ebenso wie zufällige endogene Pfadveränderungen mehr oder weniger Produkte des Zufalls sind und damit für einen bewussten Umgang mit Pfadabhängigkeit wenig zufriedenstellend bleiben (siehe dazu Sydow et al. 2009: 701-702).
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zess der »diskursiven Hybridisierung« spezifiziert. Durch eine solche »brückenschlagende, Altes mit Neuem stetig vermischende und so weit als möglich stimmig machende ›diskursive Hybridisierung‹« wird sowohl das im Mainstream Vertretene zunehmend anschlussfähig für widerständige Akteure als auch das vom bisherigen Mainstream Abweichende in diesen integrierbar (ebd.). Im Zuge einer »bewusst geförderten diskursiven ›Verankerung‹ beziehungsweise ›Auf-Dauer-Stellung‹ und ›Einbettung‹« verwischen schließlich die »inhaltliche[n] Trennlinien zwischen diesen vorher so abgegrenzten diskursiven Ensembles«, was die Etablierung von Neuem erlaubt (ebd.). Nun hat sich im Diskurs unternehmerischer Verantwortung jedoch eine, im Rahmen der Hegemonietheorie angenommene (Gramsci 1971; Levy/Egan 2003) und hier empirisch beschriebene, Inklusionsfähigkeit hegemonialer Diskurse auch für zunächst widersprüchlich erscheinendes gezeigt. Dadurch hat auch die von Haussmann als wesentlich postulierte Einbettung und Durchmischung weniger zur Veränderung des durch die wirtschaftspolitische Koalition initiierten Kurses geführt, sondern diesen vielmehr erst in seine hegemoniale Position kippen lassen. Während der diskursive Kompromiss – etwa hinsichtlich der Formulierung »freiwillig, aber nicht beliebig« – die Position der widerständigen Akteure geschwächt hat, hat er die Position der wirtschaftspolitischen Koalition gestärkt: »[H]eresy served to bolster the dominant ideology by virtue of being heretic.« (Archel et al. 2011: 341) Hybridisierung und Kompromissbildung laufen – umso mehr vor dem Hintergrund des sich nun über alle gesellschaftlichen Lager erstreckenden ›Einverständnisses‹ – jeweils Gefahr, vereinnahmt zu werden und diskursive Ungleichgewichte weiter zu bestärken. Die Unentschiedenheit der zivilgesellschaftlichen Akteure im deutschen Diskurs – ihr Schwanken zwischen Kritik und Kollaboration – sowie der sich zunehmend verstärkende Wunsch »to end up on the winner’s side« (Schreyögg/Sydow 2011: 325) haben die Akteure allzu leicht in Kompromisse einstimmen lassen und so die Möglichkeit einer Vereinnahmung befördert. Es zeigte sich uns eine letztlich paradoxe Situation, bei der Akteure, um wahrgenommen zu werden, auf die Motive des »Business Case for CSR« Bezug nehmen müssen, damit aber Gefahr laufen, vom ›Mainstream‹ absorbiert zu werden und letztlich zu dessen Stärkung beizutragen, oder aber durch die Artikulation alternativer Motive Gefahr laufen, ignoriert zu werden, womit ein Aufbrechen des Bestehenden kaum möglich scheint. Dies macht deutlich, dass es für einen Bruch des etablierten Diskurses unternehmerischer Verantwortung mehr bedarf als einer vorsichtigen Durchmischung des Bestehenden mit Neuem. Die in der vorliegenden Arbeit aufgezeigte Vereinnahmung von Akteuren sowie die oben beschriebene Problematik der Harmonisierung und Entpolitisierung weisen auf die Notwendigkeit grundlegend neuer Formen der Auseinandersetzung über unternehmerische Verantwortung hin. Nicht zuletzt ist hiermit die Notwendigkeit der – zuletzt vermehrt geforderten – Akzeptanz von Dissens, Konflikthaftigkeit,
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Unentscheidbarkeit und Antagonismus auch mit Blick auf unternehmerische Verantwortung und den gesellschaftlichen Diskurs unterstrichen (siehe Rasche 2010; Whelan 2012, 2013; Edward/Willmott 2008a, 2008b). Vor dem Hintergrund des Konflikte ausschließenden Charakters instrumentell-voluntaristisch motivierter Verantwortung müsse, so die Argumentation, der Fokus genau auf die Aspekte gelegt werden, bei denen Differenz und Dissens zutage treten (Edward/Willmott 2008a, ähnlich argumentiert auch Rasche 2010), um die Auseinandersetzung darüber wieder zum Teil des Diskurses werden zu lassen. Nicht zuletzt ist auch zu fragen, von welchen Akteuren der Anstoß für eine Veränderung ausgehen kann. Haussmann legt nahe, dass gerade diskursiver Pfadbruch, aufgrund des zugleich einschließenden wie ausschließenden Zustands des diskursiven Lock-ins, als Prozess gedacht werden müsse, »der nicht entweder randständige oder zentrale Akteure umfasst, sondern sowohl erstere als auch letztere zu unterschiedlichen Zeitpunkten und an unterschiedlichen Orten in unterschiedlicher Weise und Intensität mit einschließt« (Haussmann 2014: 80; Hervorhebung im Original). Für den deutschen Diskurs unternehmerischer Verantwortung bedeutet dies, sowohl die hegemoniale und für die Stabilität des Diskurses wesentliche Diskurskoalition als auch die randständigen Akteure in den Blick zu nehmen. Vor dem Hintergrund des hier beschriebenen Prozesses scheint jedoch eine pessimistische Sicht auf derartige Ansätze geboten. Die vorliegende Arbeit hat gezeigt, dass die instrumentell-voluntaristische Fassung unternehmerischer Verantwortung heute auf breite gesellschaftliche Zustimmung baut. Veränderungsversuche, die bei einzelnen Akteursgruppen ansetzen und beispielsweise – wie dies häufig geschieht – nur die Unternehmen als ›Übeltäter‹ in den Fokus rücken, fassen folglich zu kurz und müssen zwangsläufig scheitern. Auch an den Staat gerichtete Hoffnungen, eine unternehmerische Verantwortung zu befördern, die über das instrumentell und freiwillig mögliche hinausgeht, wie sie etwa vonseiten der NGOs häufig geäußert werden, erscheinen angesichts des Eingeschlossen-Seins der Bundesregierung als wenig erfolgsversprechend. Sowohl wirtschaftliche als auch staatliche Akteure wehren Veränderungsversuche explizit ab. Als potenzieller Ansatzpunkt für eine Erosion des Status quo kann möglicherweise die ›kritische Kollaboration‹ gewerkschaftlicher Akteure betrachtet werden. Gewerkschaftliche Akteure, so wurde deutlich, unterstützen die instrumentelle Perspektive weniger aus Überzeugung, denn aus einer Haltung ›pragmatischer Billigung‹. Trotz ihres Einschwenkens auf den Pfad des »Business Case for CSR« verhält sich diese Akteursgruppe aktuell in ›skeptischer‹ Haltung zum deutschen »CSR«-Diskurs. Zudem prädestiniert ihre spezifische Position im Akteursgefüge die gewerkschaftlichen Akteure als möglichen Partner im Bruchgeschehen. Erstens scheint ihre »ideologische Distanz« zu den randständigen Akteuren geringer als die der wirtschaftlichen oder staatlichen Akteure und zweitens scheint die Distanz gewerkschaftlicher zu den anderen Mitgliedern der hegemonialen Diskurskoalition
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größer als zwischen wirtschaftlichen und staatlichen Akteuren, was die Wahrscheinlichkeit, sie als endogene Partner für den Bruch zu gewinnen, erhöhen könnte (Hinckley 1972). Doch auch die Gewerkschaften verharren in zwar ›skeptischer‹, dem Gegebenen jedoch zustimmender Passivität und scheinen auch den von ihnen als solchen erkannten ›Rückenwind‹ vonseiten der Europäischen Kommission nicht nutzen zu können oder wollen. Randständige Akteure hingegen sind aufgrund ihrer abseitigen Position zwar zu diesem ›Über-das-Bestehende-Hinausdenken‹ in der Lage, ihnen fehlen jedoch Einfluss und Ressourcen, um Wandel effektiv einzuleiten (so auch Haussmann 2014: 77-79, 239). Der Diskurs begrenzt in seinem aktuellen Stadium nicht nur, was geäußert werden darf, sondern immer auch, wer als legitime Sprecherin gilt und im Diskurs ›gehört‹ wird (Laclau/Mouffe [2014] 1985; Parker 1992). Die Betrachtung unterschiedlicher Akteure und der um die Bedeutung unternehmerischer Verantwortung stattfindenden diskursiven Aushandlungen lässt erkennen, dass der »Business Case for CSR« zwar aktuell als ›gemeinsames Verständnis von CSR in Deutschland‹ firmiert, dieses gemeinsame Verständnis jedoch mit dem Ausschluss fortgesetzt kritischer Akteure einherging. Damit wird auch deutlich, dass es zurzeit kaum Sprecherinnenpositionen im Diskurs gibt, von denen aus Kritik legitimerweise formuliert werden könnte. Die sich fortgesetzt kritisch äußernden, widerständigen Akteure sind derart ins ›diskursive Abseits‹ gestellt, dass ihnen ein effektiver Einfluss nicht möglich ist.10 Ausgehend von diesen Überlegungen scheint es, als komme es nicht nur auf eine die Inhalte neu verhandelnde und zunehmend durchmischende (Haussmann 2014), sondern vielmehr die grundlegenden Funktionsmodi des Diskurses durchbrechende Intervention an. In der Pfadforschung wird deshalb betont, für den Bruch bestehender Pfade an den für die Pfadentstehung relevanten und den Pfad aufrechterhaltenden Dynamiken anzusetzen (Sydow et al. 2009: 702-703). Pfadbruch setzt jeweils ein Verständnis der den Pfad stabilisierenden Mechanismen voraus – »[u]nderstanding these mechanisms, in turn, provides a platform for developing path-breaking interventions« (Sydow et al. 2009: 705; Hess et al. 2010: 204). Für 10 Dies ist nicht nur problematisch, weil – wie wir gesehen haben – sich damit eine Verengung von Perspektiven ergibt, sondern weil ausgehend von der Vielzahl an Lebensbereichen, die von unternehmerischem Handeln betroffen sind – Beschäftigung und Arbeitsbedingungen, die psychische und physische Verfassung sowie das finanzielle Auskommen von Arbeitnehmerinnen, Konsum und Konsumverhalten, Umweltqualität und Ressourcenhaushalt, um nur einige zu nennen –, sowie den weitreichenden, häufig katastrophalen und mitunter tödlichen, Konsequenzen unternehmerischen Handelns ein ›Mitspracherecht‹ hinsichtlich der unternehmerischen Verantwortung abgeleitet wird, das auch und insbesondere die vom Unternehmenshandeln Betroffenen einschließt. Ein Diskurs, der die vom Unternehmenshandeln Betroffenen ausschließt, greift zu kurz.
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den Bruch kommt es mithin darauf an, die stabilisierenden Dynamiken zu unterbrechen (Sydow et al. 2009: 702). In Bezug auf den deutschen Diskurs unternehmerischer Verantwortung heißt dies zum einen, an den für die Stabilisierung und Verengung des Diskurses wesentlichen Erwartungen hinsichtlich des »Business Case« einerseits sowie dem, gerade für die Zustimmung der widerständigen Akteure ausschlaggebenden, diskursiven Zwang zur Zustimmung andererseits anzusetzen. Wie wir gesehen haben wurde der »Business Case for CSR« früh mit der Erwartung verbunden, die einzige Möglichkeit einer umfassenden Umsetzung unternehmerischer Verantwortung zu sein. Um eine Abkehr vom instrumentell-voluntaristischen Pfad zu erreichen, erscheinen deshalb Bruchinterventionen sinnvoll, die den Glauben an die Wirksamkeit des »Business Case for CSR« als Beförderer unternehmerischer Verantwortung demontieren und damit direkt an den für die Stabilisierung relevanten Dynamiken ansetzen. Um ein Abrücken von diesem Motivmuster auf Dauer zu stellen, müssen alternative Modi zur Beförderung unternehmerischer Verantwortung präsentiert werden, die eine Übernahme von Verantwortung außerhalb des instrumentellvoluntaristischen Paradigmas in den Bereich des Möglichen rücken lassen. Nicht zuletzt bedarf es für eine solche Re-Integration alternativer Konzepte auch einer Unterstützung durch ein verändertes (Motiv-)Vokabular (Barrett et al. 1995). Um folglich alternative Denk- und Sprachweisen wieder in den Bereich des Möglichen zu rücken sowie dauerhaft zu machen, muss neben die Sprache der Kosten- und Nutzen-Ratio auch wieder die Sprache der Moral in das Vokabular der Akteure integriert werden (Klein 2014). Vor diesem Hintergrund und der in dieser Arbeit deutlich gewordenen Verwobenheit des »CSR«-Konzepts mit dem »Business Case for CSR« scheint die zuletzt vermehrt geforderte generelle Abkehr vom Signifikanten »CSR« gerechtfertigt: »What may be needed is another signifier, one that is not amenable to floating over to the dominant side of the frontier, something that constitutes a demand which challenges the system per se, rather than a demand which can be absorbed by the system and neutered.« (Archel et al. 2011: 341; ähnlich Fleming/Jones 2013; van Oosterhout/Heugens 2009) Vielleicht ist nur so eine Auseinandersetzung über unternehmerische Verantwortung möglich, die über das aktuell im Lock-in gefangene Motivvokabular hinausgeht.
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Andreas Pettenkofer (Hg.) Menschenrechte und Protest Zur lokalen Politisierung einer globalen Idee März 2017, ca. 250 Seiten, kart., ca. 28,80 €, ISBN 978-3-8376-2112-9
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Edition Politik Aram Ziai (Hg.) Postkoloniale Politikwissenschaft Theoretische und empirische Zugänge September 2016, 408 Seiten, kart., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-3231-6
Wolfgang Fach Regieren: Die Geschichte einer Zumutung September 2016, 168 Seiten, kart., 22,99 €, ISBN 978-3-8376-3606-2
Lars Distelhorst Leistung Das Endstadium der Ideologie 2014, 192 Seiten, kart., 22,99 €, ISBN 978-3-8376-2597-4
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Edition Politik Irene Poczka Die Regierung der Gesundheit Fragmente einer Genealogie liberaler Gouvernementalität
Kolja Möller Formwandel der Verfassung Die postdemokratische Verfasstheit des Transnationalen
März 2017, ca. 458 Seiten, kart., ca. 49,99 €, ISBN 978-3-8376-3695-6
2015, 244 Seiten, kart., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-3093-0
Tim Griebel Liebe und Macht in der deutsch-amerikanischen Sicherheitsbeziehung 2001-2003 Eine kritisch-realistische Diskursanalyse
Karin Bischof Global Player EU? Eine ideologiekritische Metaphernanalyse
September 2016, 378 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 39,99 €, ISBN 978-3-8376-3587-4
Lineo Umberto Devecchi Zwischenstadtland Schweiz Zur politischen Steuerung der suburbanen Entwicklung in Schweizer Gemeinden September 2016, 408 Seiten, kart., 44,99 €, ISBN 978-3-8376-3594-2
Magdalena Scherl Ersehnte Einheit, unheilbare Spaltung Geschlechterordnung und Republik bei Rousseau Juni 2016, 290 Seiten, kart., 39,99 €, ISBN 978-3-8376-3516-4
Dirk-Claas Ulrich Die Chimäre einer Globalen Öffentlichkeit Internationale Medienberichterstattung und die Legitimationskrise der Vereinten Nationen Februar 2016, 590 Seiten, kart., zahlr. Abb., 54,99 €, ISBN 978-3-8376-3262-0
2015, 242 Seiten, kart., 34,99 €, ISBN 978-3-8376-3115-9
Timmo Krüger Das Hegemonieprojekt der ökologischen Modernisierung Die Konflikte um Carbon Capture and Storage (CCS) in der internationalen Klimapolitik 2015, 428 Seiten, kart., 34,99 €, ISBN 978-3-8376-3233-0
Thorsten Hasche Quo vadis, politischer Islam? AKP, al-Qaida und Muslimbruderschaft in systemtheoretischer Perspektive 2015, 390 Seiten, kart., 39,99 €, ISBN 978-3-8376-3120-3
Marcus Koch Das utopische Europa Die Verträge der politischen Integration Europas und ihre utopischen Elemente 2015, 162 Seiten, kart., 24,99 €, ISBN 978-3-8376-2958-3
Stefan Luft, Peter Schimany (Hg.) 20 Jahre Asylkompromiss Bilanz und Perspektiven 2014, 332 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2487-8
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Zeitdiagnosen bei transcript Peter Mörtenböck, Helge Mooshammer
Andere Märkte Zur Architektur der informellen Ökonomie
Oktober 2016, 196 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 27,99 E, ISBN 978-3-8376-3597-3, E-Book: 24,99 E Weltweit gesehen gilt die Hälfte aller ökonomischen Aktivitäten als informell. In Zeiten der globalen Unsicherheit wird heute immer mehr darauf gesetzt, die produktive Energie von Informalität zu integrieren, um wirtschaftliches Wachstum und sozialen Zusammenhalt abzusichern. Informelle Marktplätze und die zahlreichen Konflikte rund um deren Räume und Konventionen bilden sowohl Schauplatz als auch Steuerungsmoment dieser Entwicklung. Von Märkten der Überlebensökonomie bis zum inszenierten ökonomischen Anderssein spürt dieses Buch den Diskursen und Akteuren, Widersprüchen und Potenzialen nach, die neue Formen von Informalität vorantreiben.
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