Insiderhandel nach der Marktmissbrauchsverordnung: Eine kritische Betrachtung der Reform des Insiderrechts [1 ed.] 9783428558193, 9783428158195

Boris Waschkowski unterzieht die Reform des Insiderrechts durch die Marktmissbrauchsverordnung (Verordnung (EU) Nr. 596/

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German Pages 292 [293] Year 2019

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Insiderhandel nach der Marktmissbrauchsverordnung: Eine kritische Betrachtung der Reform des Insiderrechts [1 ed.]
 9783428558193, 9783428158195

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Abhandlungen zum Deutschen und Europäischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht Band 149

Insiderhandel nach der Marktmissbrauchsverordnung Eine kritische Betrachtung der Reform des Insiderrechts

Von

Boris Waschkowski

Duncker & Humblot · Berlin

BORIS WASCHKOWSKI

Insiderhandel nach der Marktmissbrauchsverordnung

Abhandlungen zum Deutschen und Europäischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht Herausgegeben von Professor Dr. Holger Fleischer, LL.M., Hamburg Professor Dr. Hanno Merkt, LL.M., Freiburg Professor Dr. Gerald Spindler, Göttingen

Band 149

Insiderhandel nach der Marktmissbrauchsverordnung Eine kritische Betrachtung der Reform des Insiderrechts

Von

Boris Waschkowski

Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg hat diese Arbeit im Jahre 2019 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2019 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, Rimpar Druck: CPI buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany

ISSN 1614-7626 ISBN 978-3-428-15819-5 (Print) ISBN 978-3-428-55819-3 (E-Book) ISBN 978-3-428-85819-4 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Eltern

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2019 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg als Dissertation angenommen. Literatur und Rechtsprechung konnten bis zum 31. Juli 2019 Berücksichtigung finden. Meinem verehrten Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Hanno Merkt, LL.M., gebührt tiefster Dank. Nicht nur hat er mir im Rahmen seines Schwerpunktseminars bereits zu Studienzeiten die Freude am wissenschaftlichen Arbeiten näher gebracht und damit den Grundstein für diese Arbeit gelegt, sondern auch die Entstehung dieser Arbeit stets unterstützt und gefördert sowie mir dabei jeglichen Freiraum eingeräumt, um etwa zwischendurch ein LL.M.-Studium in London absolvieren zu können. Ihm und den Herren Professoren Dr. Holger Fleischer, LL.M., und Dr. Gerald Spindler danke ich zudem für die Aufnahme meiner Arbeit in ihre Schriftenreihe. Herrn Prof. Dr. Jan Lieder, LL.M., möchte ich herzlich für die überaus schnelle Erstellung des Zweitgutachtens danken. Dank gebührt ferner den Kanzleien Gleiss Lutz, insbesondere dem Team von Dr. Dipl.-Kfm. Adrian Bingel, und Hengeler Mueller, insbesondere dem Team von Prof. Dr. Jochen Vetter, für die Möglichkeit einer promotionsbegleitenden wissenschaftlichen Mitarbeit und dadurch gewonnene Praxiserfahrungen und Anregungen hinsichtlich der Marktmissbrauchsverordnung. Herrn Nikita Alymov und Herrn Dr. Julian Spatz danke ich für fruchtbare Diskussionen, kritische Anmerkungen und die Durchsicht des Manuskripts. Frau Véronic Miniböck danke ich herzlichst für ihre große Unterstützung, Motivation, Geduld und Rücksicht nicht nur im Entstehungsprozess dieser Arbeit. Der größte Dank gebührt schließlich meinen Eltern, Ute und Reinhard Waschkowski, für ihre bedingungs- und ausnahmslose Unterstützung, ihren Rat und ihre Zeit während der Promotion und weit darüber hinaus. Ohne sie wäre nicht nur diese Arbeit nicht möglich gewesen. Ihnen widme ich daher diese Arbeit. Stuttgart, im August 2019

Boris Waschkowski

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26

Kapitel 1 Historische Entwicklung des Insiderrechts bis zur Entstehung der MMVO und Hintergrund der Insiderregulierung

28

A. Entwicklung des deutschen und europäischen Insiderrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 I. Historische Anfänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 II. Deutschland: Selbstregulierungsansatz durch die Insiderhandels-Richtlinien . . . . 29 1. Gründe für das Scheitern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 a) Fehlende Akzeptanz und geringe Befolgungsquote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 b) Eindimensionaler Geltungsgrund und unklarer Schutzbereich . . . . . . . . . . . 31 c) Keine inhaltliche Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 d) Fehlende Kontrolle und Sanktionierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 2. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 III. Erlass des WpHG und MMRL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 IV. Entstehung der MMVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 B. Regelungsziele der MMVO und Theorien des Insiderrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 I. Regelungsziele der MMVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 1. Kapitalmarktspezifische Ziele der MMVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 a) Funktionsschutz des Kapitalmarkts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 aa) Institutionelle Funktionsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 bb) Operationale Funktionsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 cc) Allokative Funktionsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 b) Anlegerschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 2. Binnenmarktspezifische Ziele der MMVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 II. Theorien des Insiderrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 1. Juristische Theorie des Insiderrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 a) Informationelle Chancengleichheit („equal access-Ansatz“) . . . . . . . . . . . . . 44 b) Grundsätzlich keine Schädigung wegen fehlender Kausalität . . . . . . . . . . . . 46 c) Anlegervertrauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47

10

Inhaltsverzeichnis 2. Ökonomische Theorie des Insiderrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 a) Die Kapitalmarkteffizienzhypothese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 aa) Informationseffizienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 bb) Fundamentalwerteffizienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 cc) Die drei theoretischen Stützen der ECMH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 (1) Leitbild des rationalen Anlegers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 (2) Das Aggregationsargument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 (3) Das Arbitrageargument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 dd) Die drei Varianten der ECMH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 (1) Schwache Variante . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 (2) Halbstrenge Variante . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 (3) Strenge Variante . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 b) Behavioral Finance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 aa) Kritik der Behavioral Finance an der ECMH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 (1) Verhaltensanomalien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 (2) Systematische Abweichungen vom Leitbild des rationalen Anlegers 60 (3) Limits of arbitrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 bb) Kritik an der Behavioral Finance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 c) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 III. Kritik an Insiderregulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 1. Insiderhandel und -gewinne als Leistungsanreiz für die Unternehmensleitung

64

2. Insiderhandel als Förderung der Kapitalmarkteffizienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68

Kapitel 2 Grundzüge des US-amerikanischen Insiderrechts und vergleichende Darstellung der Insiderrechte von Frankreich und des Vereinigten Königreichs unter der MMRL

69

A. Grundzüge des US-amerikanischen Insiderrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 I. Einzelstaatliches Common Law . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 II. Bundesgesetzliche Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 1. § 10(b) SEA und SEC Rule 10b-5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 2. Cady, Roberts & Co. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 3. SEC v. Texas Gulf Sulphur Co. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 4. Chiarella v. United States . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 5. Dirks v. SEC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 6. United States v. O’Hagan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 7. § 16(b) SEA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79

Inhaltsverzeichnis

11

III. Dogmatische Unterschiede zum europäischen Insiderrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 1. Insiderhandel als Marktdelikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 2. Insiderhandel als Betrug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 B. Vergleichende Betrachtung der Insiderregime von Frankreich und des Vereinigten Königreichs nach der MMRL unter Rückgriff auf die entsprechenden Insiderregelungen in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 I. Insiderverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 1. Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 2. Vereinigtes Königreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 II. Ad-hoc-Publizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 1. Vereinigtes Königreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 2. Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 III. Aufsichtsrechtliche Sanktionen bei Insiderverstößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 1. Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 2. Vereinigtes Königreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90

Kapitel 3 Europarechtlicher Hintergrund der MMVO

92

A. Allgemeines zur europäischen Rechtsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 I. Die Rechtsetzungsinstrumente nach Art. 288 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 II. Richtlinie und Verordnung – die beiden wichtigsten Rechtsakte . . . . . . . . . . . . . . 93 III. Die Wahl des Rechtsakts nach Art. 296 Abs. 1 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 IV. Regel-Vorrang der Richtlinie als grundsätzlich schonendere Maßnahme . . . . . . . . 94 B. Paradigmenwechsel in der kapitalmarktrechtlichen Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . 95 I. Entwicklung der Kapitalmarktregulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 1. Mindest- und Vollharmonisierung im Kapitalmarktrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 2. Von der mindestharmonisierenden Richtlinie zur Verordnung . . . . . . . . . . . . . . 96 II. Das Lamfalussy-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 1. Ursprung und Ziele des Lamfalussy-Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 2. Ablauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 a) Level 1: Rahmenrechtsakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 b) Level 2: Delegierte Rechtsakte und Durchführungsrechtsakte . . . . . . . . . . . 99 aa) Delegierte Rechtsakte (Art. 290 AEUV) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 bb) Durchführungsrechtsakte (Art. 291 AEUV) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 c) Level 3: Leitlinien und Empfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 d) Level 4: Kontrolle der Rechtsumsetzung in den Mitgliedsstaaten . . . . . . . . . 102

12

Inhaltsverzeichnis 3. Bewertung und Frage nach hinreichender demokratischer Legitimation . . . . . . 102 a) Bewertung des Lamfalussy-Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 b) Demokratische Legitimation delegierter Kommissionsrechtsetzung . . . . . . . 103 aa) Keine Legitimation aus dem europäischen Demokratieprinzip . . . . . . . . 103 bb) Gesetzgeberische Kontrolle als Legitimationsressource . . . . . . . . . . . . . 104 cc) Funktionales Prinzip als zusätzliche Legitimationsressource . . . . . . . . . 105

C. Das Regulierungskonzept der MMVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 I. Harmonisierungsgrad der MMVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 1. Grundsätzlich vollharmonisierende Verordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 2. Abweichungsmöglichkeiten des nationalen Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 II. Primärrechtliche Vereinbarkeit der MMVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 1. Art. 114 AEUV als Ermächtigungsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 a) Verordnungs- und Vollharmonisierungskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 b) Subjektive Binnenmarktfinalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 c) Objektive Binnenmarktfinalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 aa) Handelshemmnisse und spürbare Wettbewerbsverzerrungen unter Geltung der MMRL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 (1) Handelshemmnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 (2) Spürbare Wettbewerbsverzerrungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 bb) Beseitigung der Binnenmarkthindernisse als tatsächliches Ziel der MMVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 2. Verhältnismäßigkeits- und Subsidiaritätsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 a) Verhältnismäßigkeitsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 b) Subsidiaritätsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 III. Notwendigkeit einer grundsätzlich vollharmonisierenden Verordnung im Marktmissbrauchsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 1. Keine Notwendigkeit aus den Erwägungsgründen der MMVO . . . . . . . . . . . . . 119 2. Schaffung einer europäischen Kapitalmarktunion als zwingender Grund . . . . . 121 a) Notwendigkeit einer europäischen Kapitalmarktunion . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 b) Kritik an der Kapitalmarktunion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 c) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123

Kapitel 4 Konzeption, Anwendungsbereich und einzelnormübergreifende Probleme der MMVO

127

A. Konzeption der MMVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 I. Allgemeine Struktur der MMVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 II. Erwägungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127

Inhaltsverzeichnis

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III. Rahmenrechtsakt und Level 2-Rechtsakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 B. Der Anwendungsbereich der MMVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 I. Erweiterung des Anwendungsbereichs im Vergleich zur MMRL . . . . . . . . . . . . . . 129 II. Vollständige Erfassung des Freiverkehrs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 1. Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 2. Ausnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 III. Generelle Ausnahmen vom Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 IV. Allgemeine Ausnahmen vom Verbot von Insidergeschäften . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 C. Einzelnormübergreifende Probleme der MMVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 I. Die Auslegung der MMVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 1. Allgemeines zur Auslegung der MMVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 2. Die Auslegungsgrundsätze des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 a) Wörtliche Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 b) Historische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 c) Systematische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 d) Teleologische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 II. Mangelhafte Ausgestaltung der Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 1. Unübersichtlichkeit aufgrund zahlreicher Regelungsebenen . . . . . . . . . . . . . . . 139 a) Europäische Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 b) Nationale Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 2. Hohe Komplexität, fehlende Rechtsklarheit und hieraus resultierende Rechtsunsicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 a) In Widerspruch stehende Zielsetzungen der MMVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 b) Praxis vermisst Rechtsklarheit in zentralen Bereichen des Insiderrechts . . . 142 c) Große Verantwortung für die Aufsichtspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 3. Größerer Verwaltungsaufwand und höhere Compliance-Kosten . . . . . . . . . . . . 145 III. Überbordende Erwägungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 1. Die Bedeutung der Erwägungsgründe im Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 2. Rechtsnatur von Erwägungsgründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 a) Keine zwingende Einschränkung durch Erwägungsgründe . . . . . . . . . . . . . . 147 b) Normative Wirkung der Erwägungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 3. Bewertung der Erwägungsgründe der MMVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149

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Inhaltsverzeichnis Kapitel 5 Das Insiderrecht der MMVO

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A. Der Begriff der Insiderinformationen (Art. 7 MMVO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 I. Keine Ergänzung um eine „Insiderinformation light“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 II. Die Insiderinformationen nach Art. 7 Abs. 1 lit. a) MMVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 1. Präzise Informationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 a) Gegebene Umstände und eingetretene Ereignisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 b) Zukünftige Umstände und Ereignisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 c) Zeitlich gestreckte Vorgänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 aa) Keine Sperrwirkung auf Konkurrenzebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 bb) Die Rolle des Merkmals „vernünftigerweise erwarten kann“ bei der Ermittlung der Kursrelevanz von Zwischenschritten . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 (1) Kursrelevanz des Zwischenschritts, wenn das zukünftige Endergebnis vernünftigerweise erwartet werden kann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 (2) Keine Sperrwirkung auf Kursrelevanzebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 (3) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 (a) Begrüßenswerte Maximierung der Wirksamkeit der Insiderhandelsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 (b) Problematische Folgen für die Ad-hoc-Publizität und die Praxis 160 (c) Zielkonflikt zwischen Insiderhandelsverboten und Ad-hoc-Publizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 (d) Lösungsvorschläge de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 d) Kursspezifität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 2. Nicht öffentlich bekannt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 a) Konzept der Bereichsöffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 b) Konzept der Kapitalmarktöffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 c) Keine Definition in der MMVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 aa) Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 bb) Historische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 cc) Systematische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 dd) Teleologische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 ee) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 3. Emittenten- oder Finanzinstrumentenbezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 4. Eignung zur erheblichen Kursbeeinflussung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 a) Allgemeines zum verständigen Anleger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 aa) Der US-amerikanische materiality-Standard als Ursprung des reasonable investor test . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 bb) Keine veränderte Rolle aufgrund Versetzung in den Rahmenrechtsakt 175 cc) Der verständige Anleger als normativer und funktionaler Begriff . . . . . 176

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b) Der verständige Anleger im Lichte der Regelungsziele der MMVO und ihres Insiderrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 aa) Funktionsschutz und ökonomische Theorie – Der verständige Anleger als Personifikation der halbstrengen Variante der ECMH . . . . . . . . . . . . 178 (1) Das Konzept des Fundamentalwerts und Ausnahme für handelsbezogene Informationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 (2) Möglichkeit der ökonomischen Analyse des Rechts . . . . . . . . . . . . . 180 (3) Ursprung und Erwägungsgründe 14 und 15 MMVO als vorgebrachte Stützen der ökonomischen Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 (a) Der verständige Anleger in der US-amerikanischen Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 (aa) Lediglich vereinzeltes Verständnis des verständigen Anlegers als Personifikation der halbstrengen Variante der ECMH . . . 182 (bb) Stetige Ablehnung einer bright-line rule vom Supreme Court 184 (cc) Versuche der Charakterisierung des verständigen Anlegers

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(b) Der verständige Anleger in den Erwägungsgründen der MMVO 186 (aa) Keine klaren Aussagen zum verständigen Anleger in den Erwägungsgründen 14 und 15 MMVO . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 (bb) Allgemeine Erwägungsgründe sprechen gegen ökonomische Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 (4) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 bb) Der verständige Anleger und Anlegerschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 (1) Insiderhandelsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 (2) Ad-hoc-Publizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 (3) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 cc) Der verständige Anleger vor dem Hintergrund binnenmarktspezifischer Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 (1) Der verständige Anleger als Mittel zur Einheitlichkeit . . . . . . . . . . . 192 (2) Der verständige Anleger als Mittel zur Rechtssicherheit . . . . . . . . . 193 c) Der verständige Anleger gem. Art. 7 Abs. 4 MMVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 aa) Funktionsschutzorientierte Basis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 bb) Berücksichtigung irrationalen Verhaltens anderer Marktteilnehmer . . . . 195 cc) De lege lata keine grundsätzliche Abkehr vom Maßstab des verständigen Anlegers möglich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 dd) Fundamentales Problem der lediglich teilidentischen Regelungsziele

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III. Doppelt verpasster Reformbedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 1. Beibehaltung des einstufigen Modells unter Klarstellung der Ad-hoc-Publizität 200 2. Einführung eines zweistufigen Modells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206

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B. Die Insiderhandelsverbote (Art. 14 MMVO i.V.m. Art. 8 und Art. 10 MMVO) . . . . . 207 I. Der Begriff des Insiders (Art. 8 Abs. 4 MMVO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 1. Primärinsider (Art. 8 Abs. 4 lit. a) bis d) MMVO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 2. Sekundärinsider (Art. 8 Abs. 4 UAbs. 2 MMVO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 II. Verbotstatbestände des Art. 14 MMVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 1. Das Verbot von Insidergeschäften (Art. 14 lit. a) und b) MMVO i.V.m. Art. 8 MMVO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 a) Das Tätigungsverbot (Art. 14 lit. a) MMVO i.V.m. Art. 8 Abs. 1 MMVO) 209 aa) Tatbestandliche Handlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 (1) Erwerb oder Veräußerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 (2) Stornierung oder Änderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 bb) Nutzung der Insiderinformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 (1) Verfügen über eine Insiderinformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 (2) Maßgeblicher Zeitpunkt für die Nutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 (3) Spector-Entscheidung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 b) Das Empfehlungs- und Verleitungsverbot (Art. 14 lit. b) MMVO i.V.m. Art. 8 Abs. 2 MMVO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 aa) Sprachliche Klarstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 bb) Anwendbarkeit der Vermutungsregel aus der Spector-Entscheidung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 cc) Art. 8 Abs. 3 MMVO: Erfassung von Tippempfängern . . . . . . . . . . . . . 217 (1) Eigenständiger personeller Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . 217 (2) Keine Anwendbarkeit der Vermutungsregel aus der Spector-Entscheidung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 c) Legitime Handlungen (Art. 9 MMVO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 aa) Tatbestandsausschließende Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 bb) Berücksichtigung weiterer Fallgruppen außerhalb von Art. 9 MMVO 219 2. Das Offenlegungsverbot (Art. 14 lit. c) MMVO i.V.m. Art. 10 MMVO) . . . . . . 222 a) Unrechtmäßige Offenlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 b) Ausnahmen vom Offenlegungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 aa) Allgemeine Ausnahme nach Art. 10 Abs. 1 Hs. 2 MMVO . . . . . . . . . . . 223 (1) Strittiger Maßstab für eine befugte Weitergabe im alten Recht . . . . 223 (2) Die Grøngaard und Bang-Entscheidung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . 223 (3) Anwendbarkeit der Grøngaard und Bang-Entscheidung unter Geltung der MMVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 (4) Modifizierung der Grøngaard und Bang-Entscheidung im Lichte der MMVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 bb) Marktsondierungen (Art. 11 MMVO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 (1) Marktsondierungen als wichtiges Instrument für das Funktionieren der Finanzmärkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227

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(2) Keine Anwendbarkeit der Grundsätze aus der Grøngaard und BangEntscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 (3) Art. 11 Abs. 4 MMVO als safe harbour unter den dort genannten Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 C. Ad-hoc-Publizität (Art. 17 MMVO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 I. Die allgemeine Ad-hoc-Publizitätspflicht (Art. 17 Abs. 1 MMVO) . . . . . . . . . . . . 234 1. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 2. Grundsätzliche Berichtigungs-, aber keine Aktualisierungspflicht . . . . . . . . . . 235 3. Deutlicher Anstieg der Ad-hoc-Mitteilungen seit Wirksamwerden der MMVO 237 II. Die spezielle Ad-hoc-Publizitätspflicht bei Offenlegung der Insiderinformation (Art. 17 Abs. 8 MMVO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 III. Möglichkeit der Selbstbefreiung (Art. 17 Abs. 4 MMVO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 1. Emittenten- und Marktschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 2. Voraussetzungen der Selbstbefreiung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 a) Berechtigte Interessen des Emittenten (Art. 17 Abs. 4 lit. a) MMVO) . . . . . 241 aa) Keine Interessenabwägung erforderlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 bb) Unabgestimmte Präzisierungen der berechtigten Interessen . . . . . . . . . . 242 b) Keine Irreführung der Öffentlichkeit (Art. 17 Abs. 4 lit. b) MMVO) . . . . . . 243 c) Sicherstellung der Geheimhaltung (Art. 17 Abs. 4 lit. c) MMVO) . . . . . . . . 244 aa) Anforderungen an den Emittenten zur Sicherstellung der Geheimhaltung 244 bb) Unwiderlegbare Vermutung bei ausreichend präzisen Gerüchten (Art. 17 Abs. 7 UAbs. 2 MMVO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 d) Befreiungsbeschluss des Emittenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 e) Keine Selbstbefreiung bei fehlendem Beschluss des Emittenten . . . . . . . . . . 249 IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 D. Insiderlisten (Art. 18 MMVO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 I. Zielsetzungen und erweiterter Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 II. Wortlautproblematiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 III. Veränderungen für die Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 1. Wegfall des Funktionsinsiders und geringe Bedeutung des „permanenten Insiders“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 2. Deutlich erhöhter Verwaltungsaufwand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 E. Managers’ Transactions (Art. 19 MMVO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 I. Meldepflichten (Art. 19 Abs. 1 MMVO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 1. Vielschichtige Regelungszwecke und erweiterter Anwendungsbereich . . . . . . . 256 2. Kritisch zu sehende Erstreckung auf rein passive Geschäfte . . . . . . . . . . . . . . . 256

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Inhaltsverzeichnis 3. Verkürzte Meldefrist und Schwellenwert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 a) Angemessenheit der Beibehaltung einer „post-trading-disclosure“ unter Verkürzung der Meldefrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 b) Unglücklicher Fristengleichlauf von Meldepflichtigem und Emittenten . . . . 259 c) Sinnvolle Einzelbetrachtung hinsichtlich Schwellenwerterreichung . . . . . . . 260 4. Zweifelhafte Handlungsmöglichkeiten für die Mitgliedsstaaten . . . . . . . . . . . . 260 5. Empirie: Größerer Verwaltungsaufwand und höhere Kosten . . . . . . . . . . . . . . . 261 II. Handelsverbot (Art. 19 Abs. 11 MMVO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 1. Mehr informationelle Chancengleichheit auf Kosten von Transparenz . . . . . . . 262 2. Unklarer zeitlicher und sachlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 a) Veröffentlichung statt Ankündigung als Maßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 b) Umfasste Berichte – Problematik bei verpflichtenden Quartalsmitteilungen 264 3. Umstrittene Zuständigkeit des Emittenten für die Befreiungsmöglichkeit . . . . 265 III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267

F. Verwaltungsrechtliche Sanktionen (Art. 30 ff. MMVO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 I. Bußgelder (Art. 30 MMVO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 1. Deutliche Verschärfung zum früheren Standard . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 2. Umsetzung der Mindeststandards ins deutsche Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 II. Naming and shaming (Art. 34 MMVO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291

Abkürzungsverzeichnis a.A. ABl. Abs. AcP AEUV a.F. AG Akron L. Rev. Am. Bus. L.J. Am. Econ. Rev. AMF AnSVG Art. AT BaFin Banking L.J. BB Begr. BGB BGBl. BGH BKR BOARD BörsG BT-Drs. B.U.L. Rev. Bus. Law. Can. L. Times Cardozo L. Rev. Cath. U. L. Rev. CCZ Cir. CMLJ Cornell J.L. & Pub. Pol’y Cornell L. Rev. DB Del. J. Corp. L. DStR Duke L.J. EBOR ECMH

andere Ansicht Amtsblatt Absatz Archiv für die civilistische Praxis Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union alte Fassung Die Aktiengesellschaft (Zeitschrift) Akron Law Review American Business Law Journal American Economic Review Autorité des Marchés Financiers Anlegerschutzverbesserungsgesetz Artikel Allgemeiner Teil Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Banking Law Journal Betriebs-Berater Begründung Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Zeitschrift für Bank- und Kapitalmarktrecht Zeitschrift für Aufsichtsräte in Deutschland Börsengesetz Bundestag Drucksache Boston University Law Review Business Lawyer Canadian Law Times Cardozo Law Review Catholic University Law Review Corporate Compliance Zeitschrift Circuit Capital Markets Law Journal Cornell Journal of Law and Public Policy Cornell Law Review Der Betrieb Delaware Journal of Corporate Law Deutsches Steuerrecht (Zeitschrift) Duke Law Journal European Business Organization Law Review Efficient Capital Market Hypothesis

20 ECML EG Einl. ESMA EU EuGH EuR EUV EuZW EWG EWiR EWS f./ff. FAQs FCA FFG FiMaNoG Fin. An. J. Fn. Fordham J. Corp. & Fin. L. FS FSA FSMA Geo. L.J. Hand. d. KapI. Harvard Bus. Rev. HGB h.M. Hrsg. i.E. Int. J. Fin. & Econ. i.S.v. i.V.m. J. Corp. L. J. Econ. Persp. J. Fin. J. Fin. Econ. J. Marshall L. Rev. J. Mon. Econ. J. Pol. Econ. JZ KMU Law & Fin. Mkt. Rev. lit. Lloyds Bank Rev. Loy. U. Chi. L.J. MAD MAR

Abkürzungsverzeichnis European Capital Markets Law Europäische Gemeinschaft Einleitung European Securities and Markets Authority Europäische Union Europäischer Gerichtshof Europarecht (Zeitschrift) Vertrag über die Europäische Union Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht (Zeitschrift) Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht (Zeitschrift) folgende/fortfolgende Frequently Asked Questions Financial Conduct Authority Finanzmarktförderungsgesetz Finanzmarktnovellierungsgesetz Financial Analysts Journal Fußnote Fordham Journal of Corporate & Financial Law Festschrift Financial Services Authority Financial Services and Markets Act 2000 Georgetown Law Journal Handbuch der Kapitalmarktinformation Harvard Business Review Handelsgesetzbuch herrschende Meinung Herausgeber im Ergebnis International Journal of Finance & Economics im Sinne von in Verbindung mit Journal of Corporation Law Journal of Economic Perspectives Journal of Finance Journal of Financial Economics John Marshall Law Review Journal of Monetary Economics Journal of Political Economy JuristenZeitung Kleine und mittlere Unternehmen Law and Financial Markets Review littera Lloyds Bank Review Loyola University Chicago Law Journal Market Abuse Directive Market Abuse Regulation

Abkürzungsverzeichnis MiFID MMRL MMVO m.w.N. NJW Nr. Nw. J. Int’l L. & Bus. NZG OLG ORDO OWiG Oxford J. Leg. St. Pace L. Rev. P.L. PRA Psychological Rev. Q. J. Econ. RabelsZ RAND J. Econ. RegE Rev. Fin. Stu. RG RGBl. Rn. Rs. S. S. Cal. L. Rev. SEA SEC Slg. Stan. L. Rev. Tex. L. Rev. Transnat’l Law. Tul. L. Rev. UAbs. U.C. Davis L. Rev. UKUT U. Pa. L. Rev. Urt. US/U.S. v. Va. L. Rev. Vand. L. Rev. vgl. Wash. U. J. L. & Pol’y Wash. U. L. Q. WM

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Markets in Financial Instruments Directive Marktmissbrauchsrichtlinie Marktmissbrauchsverordnung mit weiteren Nachweisen Neue Juristische Wochenschrift Nummer(n) Northwestern Journal of International Law & Business Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Oberlandesgericht Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft Ordnungswidrigkeitengesetz Oxford Journal of Legal Studies Pace Law Review Public Law Prudential Regulation Authority Psychological Review Quarterly Journal of Economics Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht RAND Journal of Economics Regierungsentwurf Review of Financial Studies Règlement Général Reichsgesetzblatt Randnummer Rechtssache Satz/Seite Southern California Law Review Securities Exchange Act of 1934 Securities and Exchange Commission Sammlung Stanford Law Review Texas Law Review Transnational Lawyer Tulane Law Review Unterabsatz U.C. Davis Law Review United Kingdom Upper Tribunal University of Pennsylvania Law Review Urteil United States von/vom; versus Virginia Law Review Vanderbilt Law Review vergleiche Washington University Journal of Law & Policy Washington University Law Quarterly Wertpapier-Mitteilungen

22 Wm. & Mary L. Rev. WpAIV WpAV WpHG ZaöRV ZBB ZEuP ZEuS ZGR ZHR Ziff. ZIP ZRP

Abkürzungsverzeichnis William & Mary Law Review Wertpapierhandelsanzeige- und Insiderverzeichnisverordnung Wertpapierhandelsanzeigeverordnung Wertpapierhandelsgesetz Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für Europarechtliche Studien Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht Ziffer Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Rechtspolitik

Einleitung Insiderhandel – also der Handel auf Grundlage von nicht öffentlich bekannten präzisen Informationen, die direkt oder indirekt einen oder mehrere Emittenten oder ein oder mehrere Finanzinstrumente betreffen und die, wenn sie öffentlich bekannt würden, geeignet wären, den Kurs dieser Finanzinstrumente oder den Kurs damit verbundener derivativer Finanzinstrumente erheblich zu beeinflussen1 – führt in der öffentlichen Wahrnehmung nach wie vor ein Schattendasein. Nur bei besonders spektakulären Fällen, wie etwa der Insiderhandelsverdacht gegen den damaligen Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Börse Kengeter,2 schafft es die Thematik in die Schlagzeilen. Das ist jedoch nicht überraschend. Insiderhandel findet nicht in der Öffentlichkeit statt, sondern in der Anonymität des Kapitalmarkts, regelmäßig verschleiert durch undurchsichtige Geflechte oder den Handel in Stückelungen, um keine Auffälligkeiten im Börsenkurs zu hinterlassen. Anormale Ausschläge im Börsenkurs sind aber oftmals der einzige Indikator für Insiderhandel, was ihn nur schwer aufklärbar macht. Auf regulatorischer Ebene dauerte es ebenfalls eine Weile bis Insiderhandel in den Fokus rückte. Nach einem als gescheitert zu betrachtenden Versuch, der Problematik national im Wege der Selbstregulierung Herr zu werden, kam es durch die Insiderrichtlinie von 19893 zu einer ersten europaweiten Regelung. Mit der Marktmissbrauchsrichtlinie von 2003 (MMRL)4 wurde Insiderhandel erstmals in den Kontext des Marktmissbrauchs eingeordnet und die Regulierung umfassender gestaltet. So wurden die Insiderhandelsverbote von drei Publizitätsvorschriften (Adhoc-Publizität, Führen von Insiderverzeichnissen und Melden von Eigengeschäften von Führungskräften)5 flankiert, getreu der bekannten Aussage von Louis D. Brandeis: „Sunlight is said to be the best of disinfectants; electric light the most

1

Definition in Art. 7 Abs. 1 lit. a) Marktmissbrauchsverordnung. Siehe etwa Stuttgarter-Zeitung, Ermittlungen gegen Börsenchef Kengeter, 24. Oktober 2017, abrufbar unter https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.verdacht-auf-insiderhandel-ermitt lungen-gegen-boersenchef-kengeter-gehen-weiter.ab97b9f4-4448-4b1a-90ac-681370a7554d. html (zuletzt abgerufen am 11. 07. 2019). 3 Richtlinie 89/592/EWG des Rates vom 13. 11. 1989 zur Koordinierung der Vorschriften betreffend Insider-Geschäfte, ABl. EG Nr. L 334 v. 18. 11. 1989, S. 30. 4 Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. 01. 2003 über Insidergeschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauch), ABl. EU Nr. L 96 v. 12. 04. 2003, S. 16, oft auch Market Abuse Directive – MAD, im Folgenden wird die deutschsprachige Abkürzung MMRL verwendet. 5 Art. 2 Abs. 1, Art. 3, Art. 4, Art. 6 Abs. 1, Abs. 3 UAbs. 3 und Abs. 4 MMRL. 2

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Einleitung

efficient policeman.“6 Zusätzlich wurden die Mitgliedsstaaten aufgefordert „wirksame, verhältnismäßige und abschreckende“ verwaltungsrechtliche Sanktionen zu erlassen.7 Mit der Wahl des Rechtsakts einer mindestharmonisierenden Richtlinie fügte sich die MMRL damit nahtlos in das damals vorherrschende Konzept der Finanzmarktregulierung ein.8 Die globale Finanzkrise, die ihren Anfang im Jahr 2007 in den USA hatte, bedeutete jedoch eine Zäsur dieser Rechtsetzung. Unter dem Eindruck der Krise beauftragte der damalige Präsident der Europäischen Kommission, José Manuel Barroso, eine hochrangige Expertengruppe unter Leitung des früheren französischen Zentralbankchefs Jacques de Larosière mit der Begutachtung des Zustands der europäischen Finanzmarktregulierung.9 In ihrem Abschlussbericht, gemeinhin als De-Larosière-Bericht bezeichnet,10 kam die Gruppe zu dem Ergebnis, dass die europäische Finanzmarktregulierung dringend reformbedürftig sei. Als Hauptproblematik wurde dabei der Mangel an Harmonisierung zwischen den nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedsstaaten ausgemacht, dessen Ursache von der Gruppe darin gesehen wurde, dass die europäische Finanzmarktregulierung größtenteils von nur mindestharmonisierenden Richtlinien bestimmt wurde, die den Mitgliedsstaaten vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten beließen.11 Aus diesem Befund leitete die Gruppe die Empfehlung ab, dass wann immer es möglich ist, für die Finanzmarktregulierung auf den Rechtsakt der Verordnung zurückgegriffen werden sollte.12 Zusammen mit dem übergeordneten Ziel der Europäischen Kommission eine „Europäische Kapitalmarktunion“, also einen echten Binnenmarkt für Kapital, zu schaffen,13 ist dies der Hintergrund vor dem die Ersetzung der MMRL durch die Marktmissbrauchsverordnung (MMVO)14 zu sehen ist.15 6

Brandeis, Other People’s Money, S. 92. Art. 14 Abs. 1 MMRL. 8 Allein in den Jahren 2003 und 2004 hat der EU-Gesetzgeber vier Rahmenrichtlinien erlassen: die MMRL (2003), die Prospektrichtlinie (2003), die Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (2004) und die Transparenzrichtlinie (2004). 9 Die weiteren Mitglieder waren Leszek Balcerowicz, Otmar Issing, Rainer Masera, Callum McCarthy, Lars Nyberg, José Pérez und Onno Ruding. 10 The High Level Group of Financial Supervision in the EU, Chaired by Jacques de Larosière, Report, Brussels 25 February 2009, (deutsche Fassung). 11 The High Level Group of Financial Supervision in the EU, Chaired by Jacques de Larosière, Report, Brussels 25 February 2009, (deutsche Fassung), S. 31 Rn. 102 f. 12 The High Level Group of Financial Supervision in the EU, Chaired by Jacques de Larosière, Report, Brussels 25 February 2009, (deutsche Fassung), S. 33 Rn. 109. 13 Europäische Kommission, Aktionsplan zur Schaffung einer Kapitalmarktunion, COM(2015) 468 final v. 30. 09. 2015. 14 Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. 04. 2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung) und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinien 2003/124/EG, 2003/125/EG und 2004/72/EG der Kommission, ABl. EU Nr. L 173 v. 12. 06. 2014, S. 1, oft 7

Einleitung

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Mit dem 03. 07. 2016 begann damit für das europäische – und somit auch für das deutsche – Insiderrecht16 eine neue Zeitrechnung.17 Anstatt einzelstaatlicher Regelungen wird das Insiderrecht seither unmittelbar18 durch die MMVO geregelt. Die damit verbundenen Veränderungen gehen weit über die Modifizierung bereits bestehender oder die Einführung neuer Vorschriften hinaus. Es stellen sich vielmehr bereits grundsätzliche Fragen, wie diejenige nach der Notwendigkeit eines solchen Schritts. Zudem hat es auch der Rechtsanwender nun erstmals unmittelbar mit einem europäischen Rechtsakt und europarechtlichen Normen zu tun, was automatisch den europarechtlichen Hintergrund und europarechtliche Bezüge in den Fokus rückt sowie gleichzeitig Klärung hinsichtlich etwaiger nationaler Kompetenzen fordert. Darüber hinaus verbindet der Gesetzgeber mit der MMVO ambitionierte Ziele. Neben der rechtsvereinheitlichenden Wirkung soll sie für „die Klarheit zentraler Begriffe“ sorgen, „mehr Rechtssicherheit und unkompliziertere Vorschriften“ bieten sowie die „rechtliche Komplexität“ und dadurch „Compliance-Kosten“ reduzieren.19 Aufgrund dieser Aussagen, an denen sich der europäische Gesetzgeber messen lassen muss und den vorgenannten vielfältigen Veränderungen und Herausforderungen, die die MMVO mit sich bringt, bietet es sich an, die damit verbundene Reform des Insiderrechts einer umfassenden kritischen Betrachtung zu unterziehen.

auch Market Abuse Regulation – MAR, im Folgenden wird die deutschsprachige Abkürzung MMVO verwendet. 15 Flankiert wird die MMVO von der Richtlinie 2014/57/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. 04. 2014 u¨ ber strafrechtliche Sanktionen bei Marktmanipulation (Marktmissbrauchsrichtlinie), ABl. EU Nr. L 173 v. 12. 06. 2014, S. 179, oft auch Directive on Criminal Sanctions for Market Abuse – CRIM-MAD, die jedoch nicht Gegenstand dieser Arbeit ist. 16 Der Begriff „Insiderrecht“ umfasst hier und im Folgenden den Begriff der Insiderinformation, die Insiderhandelsverbote, die Offenlegungsvorschriften und die dazugehörigen verwaltungsrechtlichen Sanktionen der MMVO. 17 Die ebenfalls betroffenen Vorschriften hinsichtlich Marktmanipulation bleiben im Rahmen dieser Arbeit außer Betracht. 18 Art. 288 Abs. 2 AEUV „gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat“. 19 Erwägungsgründe 3 bis 5 MMVO.

Gang der Untersuchung Nach der Darstellung der historischen Entwicklung der deutschen und europäischen Insiderregulierung widmet sich das erste Kapitel der Erarbeitung von Grundlagen. Dabei werden zunächst die kapitalmarkt- und binnenmarktspezifischen Regelungsziele der MMVO herausgestellt, die für eine kritische Betrachtung der Vorschriften der MMVO essentiell sind. Im weiteren Verlauf des Kapitels werden aus juristischer und ökonomischer Sicht vorgebrachte Geltungsgründe für eine Insiderregulierung untersucht, wobei insbesondere auf die „ökonomische Theorie des Insiderrechts“ eingegangen wird, da ein Verständnis der Insiderproblematik ohne ökonomischen Hintergrund nicht möglich ist. Abschließend findet eine Auseinandersetzung mit den Argumenten der Gegner einer Insiderregulierung statt, die zeigen wird, dass gesetzliche Regelungen klar vorzugswürdig sind. Das zweite Kapitel ordnet die Reform des Insiderrechts durch die MMVO in einen rechtsvergleichenden Kontext ein. Ausgehend von der Vorbildrolle des US-amerikanischen Insiderrechts für die europäische Insiderregulierung, wird die Entwicklung und der Status quo des US-amerikanischen Insiderrechts analysiert, um so eine Basis für einen Rückgriff auf diese Rechtsordnung für spezielle Auslegungs- oder Verständnisfragen zu schaffen. Gleichzeitig werden jedoch auch schon grundlegende dogmatische und konzeptionelle Unterschiede zwischen den beiden Insiderregimen aufgezeigt, die einer undifferenzierten Übertragbarkeit von Ergebnissen generell und nicht nur im Einzelfall entgegenstehen. Der zweite Teil dieses Kapitels wirft einen Blick zurück auf das Insiderrecht unter Geltung der MMRL. Ein Hauptgrund für die Reform war, dass die nationalen Rechtsordnungen als zu unterschiedlich und uneinheitlich angesehen wurden. Dieser Befund soll anhand ausgewählter Vergleichspunkte und deren Regelung in Frankreich und dem Vereinigten Königreich – unter Rückgriff auf die entsprechenden Regelungen in Deutschland – spezifiziert und zudem herausgearbeitet werden, wo die Ursachen für diese Divergenzen lagen. Die so gewonnenen Ergebnisse sind wesentlich für die spätere Beurteilung, ob die MMVO die in diesen Bereichen angestrebten Verbesserungen tatsächlich erreichen kann. Mit dem europarechtlichen Hintergrund der MMVO befasst sich das dritte Kapitel dieser Arbeit. Nach einer kurzen allgemeinen Einführung zur europäischen Rechtsetzung setzt sich das Kapitel mit der im Wandel befindlichen Kapitalmarktgesetzgebung auseinander und geht dabei vor allem auf das bei der Gesetzgebung verwendete Lamfalussy-Verfahren ein. Dieses Verfahren ist nicht nur aufgrund seiner Mehrstufigkeit besonders, sondern wirft durch die vorgesehene Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen an die Kommission und die damit einhergehende Ein-

Gang der Untersuchung

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beziehung von mitgliedsstaatlichen Experten in die Rechtsetzung auch automatisch die Frage nach hinreichender demokratischer Legitimation auf. Im Anschluss wird das Harmonisierungskonzept der MMVO erarbeitet und gleichzeitig anhand des Beispiels der Vorabmitteilung (§ 26 Abs. 1 WpHG) der Frage nachgegangen, inwieweit dem nationalen Gesetzgeber im Rahmen der MMVO noch Handlungsmöglichkeiten verbleiben. Dem folgend, wird die primärrechtliche Vereinbarkeit der MMVO genauer analysiert, bevor abschließend untersucht wird, ob es, wie von der De-Larosière-Gruppe impliziert, tatsächlich zwingende Gründe für eine Verordnungsgesetzgebung im Marktmissbrauchsrecht gibt. Im Rahmen dieser Untersuchung setzt sich die Arbeit auch ausführlich und kritisch mit dem Ziel der Schaffung einer Kapitalmarktunion auseinander, die zwar zu begrüßen ist, aber letztlich auch den einzigen zwingenden Grund für eine Verordnungsgesetzgebung liefert. Das vierte Kapitel befasst sich allgemein mit der MMVO und ihrem Insiderrecht. Nach einer Darstellung der Konzeption der MMVO wird der deutlich weitere Anwendungsbereich abgesteckt. Der größte Teil des Kapitels fasst jedoch die allgemeinen Probleme der MMVO ins Auge, also solche, die sich nicht nur im Rahmen einzelner Vorschriften ergeben, sondern den Rechtsanwender generell bei der Auseinandersetzung mit der MMVO und ihrem Insiderrecht beschäftigen. Besondere Berücksichtigung finden dabei Erfahrungen und Befunde aus der Praxis. Das fünfte und letzte Kapitel widmet sich den einzelnen Normen des Insiderrechts der MMVO, also dem Begriff der Insiderinformation, den Insiderhandelsverboten und seinen Ausnahmen, der Ad-hoc-Publizität, der Führung von Insiderlisten, den Eigengeschäften von Führungskräften sowie den verwaltungsrechtlichen Sanktionen. Die Vorschriften werden einer problemorientierten kritischen Betrachtung unterworfen, die sowohl Neuerungen als auch verpassten Reformbedarf umfasst. Dabei wird aufgezeigt, dass letzterer insbesondere in der Beibehaltung eines einstufigen Modells, mithin der tatbestandlichen Anknüpfung von Insiderhandelsverboten und Ad-hoc-Publizität an den gleichen Begriff der Insiderinformation, zu sehen ist. Daraus ergeben sich strukturelle Konflikte, die dazu führen, dass beide Instrumente, vor dem Hintergrund der mit ihnen verfolgten Regelungsziele, nicht ihre volle Wirksamkeit entfalten können. Aber auch im Hinblick auf die anderen Vorschriften, mit Ausnahme der verwaltungsrechtlichen Sanktionen, macht die Untersuchung deutlich, dass der Gesetzgeber seinen ambitionierten Zielen kaum gerecht geworden ist. Die Schlussbetrachtung fasst die wesentlichen Ergebnisse der Untersuchung noch einmal zusammen und bietet einen Ausblick auf die weitere Entwicklung des Insiderrechts unter der MMVO.

Kapitel 1

Historische Entwicklung des Insiderrechts bis zur Entstehung der MMVO und Hintergrund der Insiderregulierung A. Entwicklung des deutschen und europäischen Insiderrechts I. Historische Anfänge Für Assmann ist Insiderhandel im Grunde so alt, wie es handelbare Papiere und einen Markt für diese gibt.20 Dennoch dauerte es einige Zeit, bis Insiderhandel als „Funktionsproblem des Kapitalmarkts“21 und damit als zu regulierende Materie eine breitere Wahrnehmung erfuhr. Diese gestiegene Wahrnehmung geht auf die amerikanische Kapitalmarktgesetzgebung Anfang der dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts zurück. Seit 1934 verfügt das amerikanische Recht mit § 10(b) Securities Exchange Act (SEA) über eine gesetzliche Grundlage, um gegen Insiderhandel vorzugehen.22 Hinzu kommt mit der Securities and Exchange Commission (SEC) eine dafür zuständige Bundesbehörde. Klöhn spricht daher von einer „historischen Vorbildrolle [des amerikanischen Rechts] für eine kapitalmarktrechtliche Insiderregulierung“.23 Folge dieser amerikanischen Gesetzgebung war eine „Welle insiderrechtlicher Gesetzgebungsmaßnahmen“,24 die alsbald auch den europäischen Kontinent erreichte. In Deutschland wurde das Problem des Insiderhandels im Zuge des Wiederaufbaus der deutschen Wirtschaft nach dem zweiten Weltkrieg virulent, als die Unternehmen die Notwendigkeit der Fremdfinanzierung gerade über den Kapitalmarkt erkannten.25

20 Assmann, in: Assmann/Uwe H. Schneider-WpHG, Vor § 12 Rn. 2; so auch Mennicke, in: Fuchs/WpHG, Vor §§ 12 – 14 Rn. 3. 21 Assmann, in: Assmann/Uwe H. Schneider-WpHG, Vor § 12 Rn. 2. 22 Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Vor Art. 7 Rn. 5; Schwark/Zimmer, in: Schwark/Zimmer, Vor § 12 WpHG Rn. 1. 23 Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Vor Art. 7 Rn. 5. 24 So Assmann, in: Assmann/Uwe H. Schneider-WpHG, Vor § 12 Rn. 2. 25 Assmann, in: Assmann/Uwe H. Schneider-WpHG, Vor § 12 Rn. 3.

A. Entwicklung des deutschen und europäischen Insiderrechts

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Die Problematik war jedoch nicht auf die Einzelstaaten begrenzt, sondern hatte 1966 durch den Segré-Bericht26 über den Aufbau eines Europäischen Kapitalmarkts eine erste europaweite Dimension erfahren.27 Der Bericht ging dabei zwar nicht näher auf die Problematik ein, sah aber in der Insiderregulierung einen wichtigen Bestandteil bei der Schaffung der Bedingungen für einen funktionsfähigen europäischen Wertpapiermarkt.28 Eine erste Novellierung fand dieser Standpunkt im Jahr 1970 in Art. 82 des Vorschlags über das Statut der Europäischen Aktiengesellschaft.29 Deutschland hatte zwar zu diesem Zeitpunkt noch keine gesetzliche Regelung zum Insiderrecht, verfügte aber bereits über ein Börsengesetz (BörsG), dessen ursprüngliche Fassung vom 22. 06. 1896 datiert.30 Dementsprechend kam es auch im Kontext dieses Gesetzes, nämlich im Zuge des Reformentwurfs des BörsG von 1967, zur ersten konkreten Diskussion in Deutschland über die Frage einer gesetzlichen Regelung des Insiderhandels.31 Die Börsen und die betroffenen Wirtschaftskreise lehnten dies jedoch mit Nachdruck ab.32

II. Deutschland: Selbstregulierungsansatz durch die Insiderhandels-Richtlinien Die Selbstregulierung ist eine im Unternehmensrecht seit Langem bekannte und kontrovers diskutierte Thematik.33 Gemeint ist damit, dass eine Regelung nicht hoheitlich erlassen wird, sondern von den privaten Beteiligten selbst, also sozusagen „von den Adressaten für die Adressaten“.34 Auch in Deutschland wurde vor Erlass des WpHG ein solcher Selbstregulierungsansatz verfolgt. Nachdem eine gesetzliche Regelung des Insiderhandels 1967 gescheitert war, verabschiedete die vom Bundesminister für Wirtschaft bestellte Börsensachverständigenkommission am 13. 11. 1970 „Empfehlungen zur Lösung der sog. Insider-Probleme“, die „Richtlinien für 26 Ein von der EWG-Kommission in Auftrag gegebener Bericht unabhängiger Sachverständiger unter dem Vorsitz von Claudio Segré; zu den weiteren Mitgliedern siehe Veil, in: Veil/ EurKapR, § 1 Rn. 2. 27 Fuchs, in: Fuchs/WpHG, Einl. Rn. 3; Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 14 Rn. 22. 28 Assmann, in: Assmann/Schneider/Mülbert, Vor Art. 7 MMVO Rn. 2. 29 Vorschlag einer Verordnung (EWG) des Rates über das Statut für europäische Aktiengesellschaften, Abl. EG Nr. C 124 v. 10. 10. 1970, S. 1, jedoch wurde der Vorschlag nie als Verordnung erlassen; siehe auch Schäfer, in: Schäfer/Hamann, Vor § 12 WpHG Rn. 3. 30 Börsengesetz (BörsG) v. 22. 06. 1896, RGBl. 1896, S. 157. 31 Schwark/Zimmer, in: Schwark/Zimmer, Vor § 12 WpHG Rn. 2; Assmann, in: Assmann/ Schneider/Mülbert, Vor Art. 7 MMVO Rn. 2. 32 Schwark/Zimmer, in: Schwark/Zimmer, Vor § 12 WpHG Rn. 2; Assmann, in: Assmann/ Schneider/Mülbert, Vor Art. 7 MMVO Rn. 2. 33 Vgl. Merkt, in: Bumke/Röthel, S. 167. 34 So ausdrücklich Merkt, in: Bumke/Röthel, S. 167.

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Kap. 1: Historische Entwicklung des Insiderrechts

Insidergeschäfte in börsennotierten oder öffentlich angebotenen Aktien“ (Insiderhandels-Richtlinien).35 Diese Empfehlungen waren nicht verbindlich, sondern stellten einen Selbstkontrollmechanismus auf freiwilliger Basis dar und entfalteten nur durch vertragliche Anerkennung Wirkung.36 Es handelte sich dabei um eine gesetzesverhindernde Selbstregulierung, da die betroffenen Kreise eine gesetzliche Regelung der Insiderproblematik mit allen Mitteln verhindern wollten, jedoch auch erkannten, dass der Ruf nach einer Regulierung in diesem Problemfeld immer lauter wurde.37 Trotz wachsender Kritik, vor allem aus der Literatur, bildeten die Empfehlungen, die 1976 und 1988 verändert und angepasst wurden,38 die bis zum Erlass des WpHG maßgeblichen Regelungen zum Insiderhandel.39 1. Gründe für das Scheitern Aus heutiger Sicht gilt der Versuch einer Selbstregulierung der Insiderproblematik durch die Insiderhandels-Richtlinien als gescheitert.40 Das mag auf den ersten Blick überraschen, weil die Richtlinien immerhin ein Vierteljahrhundert gültig waren, bevor sie von einer gesetzlichen Regelung abgelöst wurden. Gerade in Zeiten, in denen der Europäische Gesetzgeber die Notwendigkeit für den Erlass einer Verordnung für die Regulierung des Marktmissbrauchsrechts sieht und damit im Prinzip den genau gegenteiligen Ansatz einer Selbstregulierung verfolgt, erscheint es lohnenswert sich zu verdeutlichen warum der Selbstregulierungsansatz der Insiderhandels-Richtlinien nicht funktionierte. a) Fehlende Akzeptanz und geringe Befolgungsquote Ein zentrales Kriterium für eine erfolgreiche Selbstregulierung ist die hinreichende Akzeptanz der jeweiligen Regelungen von den davon Betroffenen.41 Die Akzeptanz ist dabei umso höher, je mehr sich die Ziele der Regelungen mit den 35 Schäfer, in: Schäfer/Hamann, Vor § 12 WpHG Rn. 2; Schwark/Zimmer, in: Schwark/ Zimmer, Vor § 12 WpHG Rn. 2; Pfister, ZGR 1981, 318 f. 36 Mennicke, in: Fuchs/WpHG, Vor §§ 12 – 14 Rn. 2; Assmann, in: Assmann/Schneider/ Mülbert, Vor Art. 7 MMVO Rn. 3. 37 Vgl. Assmann, AG 1994, 196, 197; Will, NJW 1973, 645; Buck-Heeb/Dieckmann, Selbstregulierung im Privatrecht, S. 244. 38 1976 wurde die Definition potenzieller Insider erweitert; 1988 wurde u. a. die Weitergabe von Insiderinformationen untersagt; der freiwillige Charakter der Richtlinien blieb jedoch stets bestehen. 39 Schwark/Zimmer, in: Schwark/Zimmer, Vor § 12 WpHG Rn. 2; Buck-Heeb/Dieckmann, Selbstregulierung im Privatrecht, S. 245. 40 Merkt, in: Bumke/Röthel, S. 167, 174. 41 Vgl. Buck-Heeb/Dieckmann, Selbstregulierung im Privatrecht, S. 242; Merkt, in: Bumke/Röthel, S. 167, 177.

A. Entwicklung des deutschen und europäischen Insiderrechts

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Eigeninteressen der Betroffenen decken.42 Mit der Akzeptanz grundsätzlich eng verknüpft ist die Befolgung der Regelungen. Es liegt auf der Hand, dass Regelungen, die akzeptiert werden, auch leichter und schneller befolgt werden. Dennoch sind Akzeptanz und Befolgung nicht untrennbar miteinander verbunden. Ganz im Gegenteil kann es sogar eine Befolgung ohne (mehrheitliche) Akzeptanz geben, was aber voraussetzt, dass es andere Gründe für die Befolgung gibt. Dazu zählen etwa die Befolgung als Ritual und Marketing-Instrument,43 der Erwartungsdruck von außen44 oder erhoffte Vorteile.45 Als die Insiderhandels-Richtlinien am 13. 11. 1970 verabschiedet wurden, erhoffte man sich einen großen Anklang bei den Betroffenen.46 Jedoch lag die Annahmequote Ende 1971 gerade einmal bei 40 %47 und ein Jahr später, Ende 1972, auch erst bei 50 %.48 Diese schleppende Anerkennung der Richtlinien ist auf eine fehlende Akzeptanz bei den Betroffenen zurückzuführen, da es im Falle eines Einverständnisses keinen Grund gegeben hätte, die Richtlinien nicht zu befolgen. Es liegt nahe, dass sich die Ziele der privaten Regelungen oftmals nicht mit den Eigeninteressen der Betroffenen gedeckt haben, sie mithin nicht konsensfähig waren, und deshalb eine Zustimmung unterblieben ist.49 Auch gab es offensichtlich keine anderen Gründe, die zu einer höheren Befolgungsquote verhelfen konnten. b) Eindimensionaler Geltungsgrund und unklarer Schutzbereich Wie bereits angedeutet, bedurften die Insiderhandels-Richtlinien zu ihrer Geltung der Anerkennung durch privatvertragliche Erklärung. Einen anderen Geltungsgrund gab es nicht. Dieses Anerkennungsverfahren erfolgte in zwei Stufen:50 Zunächst mussten sich die Unternehmen gegenüber ihren Wirtschaftsverbänden vertraglich verpflichten die Richtlinien einzuhalten und aktiv auf die Anerkennung durch ihre Mitarbeiter hinzuwirken. In einem zweiten Schritt musste sodann jeder mögliche Insider gegenüber seinem Arbeitgeber die Anerkennung der Richtlinien vertraglich bestätigen. Nur wenn sowohl das Unternehmen als auch der möglicher Insider die Richtlinien akzeptiert hatten, erlangten diese Geltung. 42

Vgl. Buck-Heeb/Dieckmann, Selbstregulierung im Privatrecht, S. 243. Bernhardt, BB 2008, 1686, 1690. 44 Vgl Teubner, in: FS Hopt, S. 1449, 1466 ff. 45 Vgl. Kirchner/Ehricke, AG 1998, 105, 115, die beispielhaft den Reputationsgewinn nennen. 46 Will, NJW 1973, 645. 47 Will, NJW 1973, 645. 48 Holschbach, NJW 1973, 2006; Schwark/Zimmer, in: Schwark/Zimmer, Vor § 12 WpHG Rn. 2. 49 Vgl. Merkt, in: Bumke/Röthel, S. 167, 177. 50 Vgl. § 5 Insiderhandels-Richtlinien; zum zweistufigen Anerkennungsverfahren BuckHeeb/Dieckmann, Selbstregulierung im Privatrecht, S. 245. 43

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Kap. 1: Historische Entwicklung des Insiderrechts

Dieses viel zu komplexe51 vertragliche Geflecht entfaltete wegen der „Relativität der Schuldverhältnisse“ grundsätzlich nur zwischen der Gesellschaft und dem potentiellen Insider Wirkung. Einen Schaden durch Insidergeschäfte erlitten aber regelmäßig auch die ahnungslosen Anleger (Outsider), die jedoch gerade nicht unmittelbar in das vertragliche Konstrukt miteinbezogen waren. Eine Schadenskompensation für die Anleger wäre folglich nur dann in Betracht gekommen, wenn eine Einbeziehung der geschädigten Anleger in die Vertragskonstruktion möglich gewesen wäre, was wohl dogmatisch eher zu verneinen, letztendlich aber völlig unklar war.52 c) Keine inhaltliche Angemessenheit Die inhaltliche Angemessenheit der Selbstregulierung zur Erreichung des mit ihr verfolgten Ziels stellt einen weiteren wichtigen Baustein für eine erfolgreiche Selbstregulierung dar, was vor allem für die gesetzesverhindernde Selbstregulierung gilt.53 Gemeint ist damit der schwierige Spagat, die Regulierung inhaltlich so auszuformen, dass sie auf der einen Seite zu einer Akzeptanz und Befolgung bei den Betroffenen führt und auf der anderen Seite die hohen Erwartungen der Öffentlichkeit und vor allem des Gesetzgebers erfüllt, damit dieser sich nicht doch zu einer hoheitlichen Regelung entscheidet. Für Merkt dürfte darin „die zentrale Herausforderung [der] Selbstregulierung“ bestehen.54 Die freiwilligen Regelungen der Insiderhandels-Richtlinien wurden, trotz ihrer geringen Befolgungsquote, lange Zeit als ausreichend und angemessen angesehen, um Insiderhandel zu unterbinden.55 Assmann sieht einen Grund für diese Einschätzung darin, dass es lange Zeit schlichtweg an Insiderhandelsskandalen fehlte oder keine aufgedeckt wurden, die die Forderung nach einer gesetzlichen Lösung unausweichlich hätten machen können.56 Insiderhandelsfragen wurden lange nur als „Nebenkriegsschauplatz in der Schlacht um den Anleger“ angesehen.57 Allem voran der bekannte Fall Steinkühler58 zeigte jedoch, dass die Annahme der inhaltlichen 51

So ausdrücklich Merkt, in: Bumke/Röthel, S. 167, 174. Wohl für die Einbeziehung der geschädigten Anleger Will, NJW 1973, 645 ff., der jedoch die dogmatischen Probleme erkennt und insoweit nur von „vorübergehenden Notlösungen“ spricht; siehe auch Pfister, ZGR 1981, 318, 336 Fn. 80, der darauf verweist, dass Wills Vorschlag weder wissenschaftliche Gefolgschaft gefunden noch einen geschädigten Anleger zur Klage ermutigt hat; gegen eine Einbeziehung Holschbach, NJW 1973, 2006, 2007. 53 Merkt, in: Bumke/Röthel, S. 167, 179. 54 Merkt, in: Bumke/Röthel, S. 167, 179. 55 Buck-Heeb/Dieckmann, Selbstregulierung im Privatrecht, S. 245; Baumbach/HoptHGB, 29. Auflage, Anhang (16) Rn. 1. 56 Assmann, AG 1994, 196, 198. 57 Mertens, ZHR 138 (1974), 269, 270; Assmann, AG 1994, 196, 198. 58 Dem damaligen IG-Metall Vorsitzenden Franz Steinkühler wurde vorgeworfen, dass er aufgrund seiner Aufsichtsratstätigkeit bei der Daimler-Benz AG über Insiderwissen bezüglich 52

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Angemessenheit eine Fehleinschätzung der Praxis war59 und es trotz der Richtlinien weiterhin Insiderhandel in großem Ausmaße gab.60 Insbesondere die Freiwilligkeit der Richtlinien61 und die Beschränkung auf Primärinsider62 wurden als ihre Schwachpunkte ausgemacht. d) Fehlende Kontrolle und Sanktionierung Die Befolgung der Selbstregulierung ist wichtiger Bestandteil einer erfolgreichen privaten Regelsetzung. Allerdings ist das nur die eine Seite. Auf der anderen Seite ist es ebenso entscheidend, dass eine Kontrolle der Befolgung stattfindet. Selbstregulierung kann nur glaubwürdig sein, wenn ihre Einhaltung regelmäßig nachgeprüft wird.63 Daran fehlte es bei den Insiderhandels-Richtlinien allerdings fast vollständig. Zwar gab es eine Prüfungskommission, die für die Überwachung der InsiderhandelsRichtlinien zuständig war,64 jedoch führt diese weder Untersuchungen auf mögliche Insidergeschäfte von Angestellten durch, noch verfügte sie über ein Akteneinsichtsund Beschlagnahmerecht.65 Folglich konnte die vertragliche Selbstverpflichtung gegenüber der Gesellschaft nicht nachgeprüft werden.66 Zudem wurde auch die Börsenkursentwicklung nicht regelmäßig untersucht,67 obwohl sich aus auffälligen Kursverläufen oftmals erste Ansatzpunkte für mögliche Insidergeschäfte ergeben können.68 Eine Feststellung oder Aufdeckung von Insiderverstößen war damit nahezu unmöglich.69 Mit einer Kontrolle konsequenterweise einhergehen, müssen Möglichkeiten der Sanktionierung. Die Kontrolle würde ad absurdum geführt, wenn zwar festgestellt werden könnte, dass eine Befolgung nicht stattfindet, der Betroffene aber deswegen nicht sanktioniert werden könnte. der geplanten Verschmelzung der Mercedes AG auf die Daimler AG verfügt und dieses Insiderwissen für gewinnbringende Kapitalmarktgeschäfte ausgenutzt habe. Da Steinkühler, wie die meisten Gewerkschaftsmitglieder, die Insiderhandels-Richtlinien jedoch nicht anerkannt hatte, konnte ihm lediglich „moralisches Fehlverhalten“ vorgeworfen werden. 59 Vgl. Baumbach/Hopt-HGB, 29. Auflage, Anhang (16) Rn. 1; Buck-Heeb/Dieckmann, Selbstregulierung im Privatrecht, S. 245. 60 Weiteres Beispiel bei Horn, ZHR 136 (1972), 369, 370. 61 Pfister, ZGR 1981, 318, 336. 62 Vgl. Buck-Heeb/Dieckmann, Selbstregulierung im Privatrecht, S. 245; Pfister, ZGR 1981, 318, 336. 63 Merkt, in: Bumke/Röthel, S. 167, 179. 64 § 3 Insiderhandels-Richtlinien. 65 Vgl. Horn, ZHR 136 (1972), 369, 382 f., 385. 66 Merkt, in: Bumke/Röthel, S. 167, 179 f. 67 Merkt, in: Bumke/Röthel, S. 167, 180. 68 Vgl. Pfister, ZGR 1981, 318, 320. 69 Vgl. Buck-Heeb/Dieckmann, Selbstregulierung im Privatrecht, S. 245.

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Kap. 1: Historische Entwicklung des Insiderrechts

Ein Sanktionsinstrument sahen die Insiderhandels-Richtlinien aber ebenfalls nicht vor. Im schlimmsten Fall drohten den Betroffenen die Abschöpfung des durch das verbotene Insidergeschäft erzielten Gewinns und die Auferlegung der Verfahrenskosten.70 Geldstrafen oder Schadensersatzansprüche waren nicht vorgesehen.71 2. Fazit Mit den Insiderhandels-Richtlinien wurde regelungstechnisches Neuland betreten. Bezüglich der Art und Weise der Regulierung wurde dabei ein Selbstregulierungsansatz auf freiwilliger Basis als ausreichend erachtet. Den Richtlinien mangelte es aber an Akzeptanz, was sich an einer geringen Befolgungsquote zeigte. Gleichzeitig offenbarten sie an vielen Stellen eine unzureichende inhaltliche Ausgestaltung. Gerade auch im Vergleich mit anderen Ländern demonstrierte der deutsche Selbstregulierungsansatz mit seiner rein vertragsrechtlichen Konstruktion wenig Flexibilität und Kreativität.72 In Verbindung mit dem Erlass der Insiderrichtlinie und dem wachsenden Druck der internationalen Märkte, vor allem des US-amerikanischen Kapitalmarkts,73 war der Selbstregulierungsansatz durch die InsiderhandelsRichtlinien schlussendlich zum Scheitern verurteilt.

III. Erlass des WpHG und MMRL Seit 1976 wurde auf europäischer Ebene der Plan zur Entwicklung und Verabschiedung einer Insiderrichtlinie forciert.74 Diese Richtlinie wurde schließlich am 13. 11. 1989 verabschiedet, womit das Marktmissbrauchsrecht erstmals auf europäischer Ebene geregelt wurde.75 Durch den Zwang der Richtlinie war auch das Ende des Selbstregulierungsansatzes beschlossen. Dem deutschen Gesetzgeber war es nun möglich, ohne den Widerstand der Befürworter des Selbstregulierungsansatzes, eine gesetzliche Regelung auf den Weg zu bringen.76 Allerdings hatte der Widerstand zum Zeitpunkt des Erlasses der Insiderrichtlinie schon stark abgenommen und selbst aus 70

§ 4 Insiderhandels-Richtlinien. Vgl. Baumbach/Hopt-HGB, 29. Auflage, Anhang (16), Anmerkung 1 zu § 4 Insiderhandels-Richtlinien. 72 Vgl. zu den Ansätzen anderer Länder Merkt, in: Bumke/Röthel, S. 167, 174 ff. 73 Sowohl zur Insiderrichtlinie als auch zum Druck des amerikanischen Kapitalmarkts siehe sogleich unter III. 74 So Assmann, in: Assmann/Schneider/Mülbert, Vor Art. 7 MMVO Rn. 8, wobei der Plan aufgrund erheblicher Unterschiede in den Rechten der Mitgliedsstaaten nur schwer umzusetzen war und sich über Jahre hinzog. 75 Seibt/Wollenschläger, AG 2014, 593. 76 Schwark/Zimmer, in: Schwark/Zimmer, Vor § 12 WpHG Rn. 3; Assmann, in: Assmann/ Schneider/Mülbert, Vor Art. 7 MMVO Rn. 6; vgl. auch Schäfer, in: Schäfer/Hamann, Vor § 12 WpHG Rn. 5. 71

A. Entwicklung des deutschen und europäischen Insiderrechts

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dem Lager der Befürworter einer Selbstregulierung waren mehr und mehr Stimmen pro gesetzlicher Reglung zu hören.77 Dieser Sinneswandel war der „Sorge um die Reputation des Finanzplatzes Deutschland“ geschuldet.78 So verwehrten die amerikanischen Börsen und die SEC deutschen Finanzinstrumenten und Emittenten den Zugang zum amerikanischen Kapitalmarkt.79 Zugleich warfen die europäischen Konkurrenten um die Ansiedlung einer europäischen Zentralbank den Deutschen ein „zurückgebliebenes Kapitalmarktregelungs- und -aufsichtssystem“ vor.80 Grund für den Ausschluss und die Kritik war stets die ungenügende inhaltliche Ausgestaltung der Insiderhandels-Richtlinien, gerade auch im internationalen Vergleich.81 Der deutsche Finanzplatz drohte seine internationale Konkurrenzfähigkeit zu verlieren.82 Dies war auch nicht im Sinne der Befürworter einer Selbstregulierung, womit der Weg für eine gesetzliche Regelung endgültig frei war. Am 01. 01. 1995 trat das Zweite Finanzmarktförderungsgesetz (2. FFG)83 in Kraft, das der Umsetzung der Insiderrichtlinie und der Transparenzrichtlinie84 in nationales Recht diente. Das 2. FFG enthielt zwar wesentliche Veränderungen des Börsen- und Aktienrechts, das Herzstück bildete jedoch die Einführung des WpHG in Art. 1.85 Mit dem WpHG existierte in Deutschland zum ersten Mal eine gesetzliche Regelung über das Verbot von Insidergeschäften (§§ 12 ff. WpHG a.F.) und die Verpflichtung zur Veröffentlichung von Ad-hoc-Mitteilungen (§ 15 WpHG a.F.).86 Gleichzeitig wurde eine zentrale Aufsichtsbehörde, das Bundesaufsichtsamt für den Wertpapierhandel (BAWe),87 installiert, die die Einhaltung der neuen Regelungen überwachte.88 Das WpHG galt deshalb als „Grundgesetz“ des deutschen Kapitalmarktrechts.89 77 Assmann, AG 1994, 196, 199; Assmann, in: Assmann/Schneider/Mülbert, Vor Art. 7 MMVO Rn. 9; vgl. auch Baumbach/Hopt-HGB, 29. Auflage, Anhang (16) Rn. 1. 78 So ausdrücklich Assmann, AG 1994, 196, 199; Assmann, in: Assmann/Schneider/Mülbert, Vor Art. 7 MMVO Rn. 9. 79 Hopt, in: FS Beusch, S. 393, 395; Assmann, AG 1994, 196, 199. 80 Assmann, in: Assmann/Schneider/Mülbert, Vor Art. 7 MMVO Rn. 9. 81 Hauptkritikpunkte waren die fehlende staatliche Wertpapieraufsicht, das Fehlen zumindest einiger gesetzlicher Regelungen und eine unzureichende Insiderhandelskontrolle, vgl. Assmann, in: Assmann/Schneider/Mülbert, Vor Art. 7 MMVO Rn. 9. 82 Assmann, AG 1994, 196, 199; vgl. auch Hopt, in: FS Beusch, S. 393, 395. 83 Gesetz über den Wertpapierhandel und zur Änderung börsenrechtlicher und wertpapierrechtlicher Vorschriften – Zweites Finanzmarktförderungsgesetz v. 26. 07. 1994, BGBl. I 1994, S. 1749. 84 Richtlinie 88/627/EWG des Rates vom 12. 12. 1988 über die bei Erwerb und Veräußerung einer bedeutenden Beteiligung an einer börsennotierten Gesellschaft zu veröffentlichenden Informationen, ABl. EWG Nr. L 348 v. 17. 12. 1988, S. 62. 85 Kümpel, Rn. 16.1 ff.; Hopt, ZHR 159 (1995), 135, 136. 86 Hirte/Heinrich, in: KK/WpHG, Einl. Rn. 57; Hopt, ZHR 159 (1995), 135, 136. 87 Seit dem Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetz v. 22. 04. 2002: Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). 88 Hirte/Heinrich, in: KK/WpHG, Einl. Rn. 57; Hopt, ZHR 159 (1995), 135, 136.

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Kap. 1: Historische Entwicklung des Insiderrechts

Die Insiderrichtlinie wurde später durch die MMRL ersetzt. Diese wurde durch das Anlegerschutzverbesserungsgesetz (AnSVG)90 in nationales Recht umgesetzt.91 Dadurch erfuhr das Insiderrecht teilweise erhebliche Änderungen,92 erhielt allerdings seine bis zur Geltung der MMVO gültige Ausprägung in den §§ 12 ff. WpHG a.F.

IV. Entstehung der MMVO Der Beginn der Reformvorschläge für das Marktmissbrauchsrecht geht auf das Jahr 2009 zurück und war Teil des Ziels der Wiederherstellung der Finanzmarktintegrität,93 die erheblich unter der Finanzkrise gelitten hatte.94 Dazu wurde bereits im Oktober 2008 die De-Larosière-Gruppe95 beauftragt, Empfehlungen zur künftigen Regulierung und Beaufsichtigung der europäischen Finanzmärkte abzugeben.96 In ihrem Abschlussbericht sah die Gruppe die Hauptprobleme der Finanzmarktregulierung in der unterschiedlichen Umsetzung der MMRL, der divergierenden Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe und im Fehlen gleichwertiger und abschreckender Sanktionen und deren effektiver Durchsetzung.97 Als einen Lösungsansatz zur Behebung der Disharmonie der kapitalmarktrechtlichen Regelungen innerhalb der Mitgliedsstaaten empfahl die Gruppe, dass europäische Rechtsakte in Zukunft „so oft wie möglich in Form von Verordnungen erlassen werden [sollen]“.98 Der erste Entwurf der MMVO wurde von der Kommission am 20. 10. 2011 vorgelegt und zur ersten Lesung an das Parlament und den Rat weitergeleitet (Art. 294 Abs. 2 AEUV). Im folgenden Verfahren waren es vor allem der Parlamentsausschuss für Wirtschaft und Währung und der Rat, die Änderungsanträge und 89

Hirte/Heinrich, in: KK/WpHG, Einl. Rn. 57; Buck-Heeb, Rn. 23 m.w.N. Gesetz zur Verbesserung des Anlegerschutzes (Anlegerschutzverbesserungsgesetz – AnSVG) v. 28. 10. 2004, BGBl. I 2004, S. 2630. 91 Koch, DB 2005, 267; Fuchs, in: Fuchs/WpHG, Einl. Rn. 39 f. 92 Hierzu Fuchs, in: Fuchs/WpHG, Einl. Rn. 41 ff.; Assmann, in: Assmann/Schneider/ Mülbert, Vor Art. 7 MMVO Rn. 11. 93 Zur Wichtigkeit der Finanzmarktintegrität siehe Erwägungsgrund 2 MMVO. 94 Seibt, ZHR 177 (2013), 388, 390. 95 Gruppe herausragender Experten unter dem Vorsitz von Jacques de Larosière, die ihren Abschlussbericht am 25. Februar 2009 vorlegte, siehe The High Level Group of Financial Supervision in the EU, Chaired by Jacques de Larosière, Report, Brussels 25 February 2009. 96 The High Level Group of Financial Supervision in the EU, Chaired by Jacques de Larosière, Report, Brussels 25 February 2009, (deutsche Fassung), S. 3. 97 The High Level Group of Financial Supervision in the EU, Chaired by Jacques de Larosière, Report, Brussels 25 February 2009, (deutsche Fassung), S. 26 Rn. 83 f., S. 31 Rn. 102 f. 98 The High Level Group of Financial Supervision in the EU, Chaired by Jacques de Larosière, Report, Brussels 25 February 2009, (deutsche Fassung), S. 33 Rn. 109. 90

B. Regelungsziele der MMVO und Theorien des Insiderrechts

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-vorschläge einbrachten. Daraufhin änderte die Kommission mehrmals ihren Entwurf, bevor sie sich am 26. 06. 2013 mit Parlament und Rat auf einen gemeinsamen Entwurf einigte. Die MMVO wurde schließlich am 16. 04. 2014 von den Präsidenten des Parlaments (Schulz) und des Rates (Kourkoulas) unterzeichnet. Der europäische Gesetzgeber ist mit der MMVO der Empfehlung der De-Larosière-Gruppe nach einer primären Verordnungsgesetzgebung gefolgt und hat mit ihr eine Antwort auf die Finanzmarktkrise gegeben.99 Darüber hinaus zielt die MMVO ausweislich ihrer Erwägungsgründe drei, vier und fünf auf eine Vereinheitlichung und Verschärfung der Rechtslage in den Mitgliedsstaaten, um so eine wirkungsvolle „Aufsichts-, Untersuchungs- und Sanktionsordnung“ zu etablieren,100 womit die EU auch insoweit den Vorschlägen der De-Larosière-Gruppe gefolgt ist.101

B. Regelungsziele der MMVO und Theorien des Insiderrechts I. Regelungsziele der MMVO Die Herausarbeitung und Konkretisierung der Regelungsziele der MMVO ist für den Fortgang dieser Arbeit von zentraler Bedeutung. Denn die Normen der MMVO können einer kritischen Betrachtung nur vor dem Hintergrund der mit ihr verfolgten Regelungsziele unterzogen werden. Daher gilt es im Folgenden die Regelungsziele der MMVO genauer zu beleuchten, um sie für eine spätere Anwendung und Auslegung fruchtbar zu machen. Dabei kann hinsichtlich der Ziele zwischen kapitalmarktspezifischen und binnenmarktspezifischen Zielen unterschieden werden.102 1. Kapitalmarktspezifische Ziele der MMVO Art. 1 MMVO benennt nicht nur den Gegenstand des Rechtsakts, sondern legt auch die kapitalmarktspezifischen Ziele der MMVO dar.103 Es handelt sich dabei um die beiden das Kapitalmarktrecht prägenden Ziele des Funktionsschutzes und des Anlegerschutzes.104 Aus heutiger Sicht kann dabei als anerkannt gelten, dass das gesamte Kapitalmarktrecht und damit auch das Insiderrecht sowohl dem Funkti-

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Veil, ZBB 2014, 85, 86; Seibt/Wollenschläger, AG 2014, 593, 594. So ausdrücklich Erwägungsgrund 70 MMVO. 101 Vgl. The High Level Group of Financial Supervision in the EU, Chaired by Jacques de Larosière, Report, Brussels 25 February 2009, (deutsche Fassung), S. 27. 102 Vgl. Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Einl. Rn. 70 ff. 103 Vgl. Veil, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 3 Rn. 5. 104 Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Einl. Rn. 70; Veil, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 3 Rn. 5. 100

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Kap. 1: Historische Entwicklung des Insiderrechts

onsschutz des Kapitalmarkts als auch dem Anlegerschutz dient.105 Hopt spricht insoweit von „zwei Seiten derselben Medaille“.106 a) Funktionsschutz des Kapitalmarkts Eine Konkretisierung des Funktionsschutzziels findet sich in Erwägungsgrund 2 MMVO. Danach soll ein integrierter, effizienter und transparenter Finanzmarkt geschaffen werden, der das Vertrauen der Öffentlichkeit in Wertpapiere und Derivate sicherstellt.107 Damit soll gewährleistet werden, dass die Kapitalmärkte ihrer primären volkswirtschaftlichen Aufgabe, nämlich ihrer Kapitalaufbringungs- und Kapitallenkungsfunktion,108 möglichst effizient nachkommen können. Auch die MMVO geht davon aus, dass das reibungslose Funktionieren der Wertpapiermärkte eine Voraussetzung für Wirtschaftswachstum und Wohlstand ist.109 Damit angesprochen wird eine Wirkungskette: Durch ein transparentes Regelungssystem am Kapitalmarkt, das insbesondere eine hinreichende Informationsversorgung der Anleger garantiert, wächst das Vertrauen der Anleger in den Markt, womit diese wiederum bereit sind, ihr Kapital in dem entsprechenden Markt anzulegen.110 Damit steigt die Liquidität des Markts und gleichzeitig die Wahrscheinlichkeit, dass das Kapital genau dorthin fließt, wo es am meisten benötigt wird. Aufgrund dieser verschiedenen Wirkungsweisen wird das Funktionsschutzziel für gewöhnlich in die institutionelle, die operationale und die allokative Funktionsfähigkeit unterteilt. aa) Institutionelle Funktionsfähigkeit Unter institutioneller Funktionsfähigkeit (institutioneller Effizienz) versteht man die Schaffung der Grundvoraussetzungen für wirksame Marktmechanismen.111 Es müssen allgemeine Funktionsvoraussetzungen eines Markts sichergestellt sein, damit der Markt überhaupt funktionsfähig ist und sich ein Vertrauen der Anleger in den Markt aufbauen kann.112 Zu diesen Voraussetzungen zählen beispielsweise der 105

Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Einl. Rn. 70; Krause, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 5 Rn. 5; Fuchs, in: Fuchs/WpHG, Einl. Rn. 13; Oulds, in: Kümpel/Wittig, Rn. 14.141; Mennicke, in: Fuchs/WpHG, Vor §§ 12 – 14 Rn. 113; Hopt, ZHR 159 (1995), 135, 159; Pfister, ZGR 1981, 318, 337; Schwark/Zimmer, in: Schwark/Zimmer, Vor § 12 WpHG Rn. 13. 106 Hopt, ZHR 159 (1995), 135, 159. 107 Siehe auch Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Einl. Rn. 71. 108 Zimmer/Kruse, in: Schwark/Zimmer, § 15 WpHG Rn. 6. 109 Erwägungsgrund 2 MMVO. 110 Vgl. Merkt, Unternehmenspublizität, S. 306 f. 111 Merkt, Unternehmenspublizität, S. 300; Kübler/Assmann, Gesellschaftsrecht, § 32 II 2.; Veil, in: Veil/EurKapR, § 2 Rn. 4. 112 Seiler/Geier, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Vor § 104 Rn. 76; Fuchs, in: Fuchs/ WpHG, Einl. Rn. 16.

B. Regelungsziele der MMVO und Theorien des Insiderrechts

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ungehinderte Zugang zum und Rückzug vom Markt für Emittenten und Anleger sowie standardisierte und damit verkehrsfähige Kapitalmarktprodukte.113 Daneben bedarf es jedoch auch rechtlicher Rahmenbedingungen, die für einen stabilen und integren Markt sorgen und so zur Vertrauensbildung bei den Anlegern beitragen.114 Von besonderer Bedeutung für die institutionelle Funktionsfähigkeit eines Markts ist dessen Liquidität.115 Diese bemisst sich zum einen aus der Zahl der Investoren und dem Marktvolumen (Markttiefe) und zum anderen an der Vielfalt der Anlageformen (Marktbreite).116 Je tiefer und breiter – und damit liquider – ein Markt ist, desto höher ist dessen Grad an erreichter institutioneller Funktionsfähigkeit (Effizienz).117 Wie die dargelegte Wirkungskette zeigt, darf man die drei Teilaspekte des Funktionsschutzes keinesfalls isoliert voneinander betrachten. Vielmehr bedingen sich diese gegenseitig.118 Das wird unter anderem bei der institutionellen Effizienz deutlich, da diese insbesondere dann vorherrscht, wenn am Markt operationale und allokative Effizienz verwirklicht sind.119 bb) Operationale Funktionsfähigkeit Funktionsfähige Märkte zeichnen sich durch eine Vielzahl an Transaktionen aus. Dementsprechend negativ wirken sich Transaktionshindernisse auf die Effizienz eines Markts aus. Bei der operationalen Funktionsfähigkeit (operationalen Effizienz) geht es dabei um Transaktionshindernisse in Form von Transaktionskosten.120 Diese Transaktionskosten entstehen bei der Bereitstellung und Vermittlung von Anlagemöglichkeiten sowie bei der Kapitalverschaffung.121 Das Auftreten dieser Kosten mindert dabei die Rendite des jeweiligen Marktteilnehmers und kann dazu führen, dass der Anleger von der Transaktion absieht.122 Mit geringeren Transaktionskosten steigt jedoch nicht nur die Rendite, sondern auch die Akzeptanz und Attraktivität des Markts sowie die Investitionsbereitschaft der Anleger.123 Je niedriger die Transaktionskosten sind, desto höher ist der Grad an operationaler Effizienz des Markts.124 113

Fuchs, in: Fuchs/WpHG, Einl. Rn. 16; Merkt, Unternehmenspublizität, S. 300. Veil, in: Veil/EurKapR, § 2 Rn. 4; Oulds, in: Kümpel/Wittig, Rn. 14.151 ff. 115 Seiler/Geier, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Vor § 104 Rn. 76; Oulds, in: Kümpel/ Wittig, Rn. 14.148. 116 Merkt, Unternehmenspublizität, S. 300; Fuchs, in: Fuchs/WpHG, Einl. Rn. 16. 117 Vgl. Merkt, Unternehmenspublizität, S. 300. 118 Merkt, Unternehmenspublizität, S. 301; Oulds, in: Kümpel/Wittig, Rn. 14.147. 119 Seiler/Geier, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Vor § 104 Rn. 76. 120 Merkt, Unternehmenspublizität, S. 300; vgl. Veil, in: Veil/EurKapR, § 2 Rn. 5. 121 Kübler/Assmann, Gesellschaftsrecht, § 32 II 2.; Merkt, Unternehmenspublizität, S. 300. 122 Vgl. Oulds, in: Kümpel/Wittig, Rn. 14.163 ff. 123 Merkt, Unternehmenspublizität, S. 300; Fuchs, in: Fuchs/WpHG, Einl. Rn. 16. 124 Kübler/Assmann, Gesellschaftsrecht, § 32 II 2.; Seiler/Geier, in: Schimansky/Bunte/ Lwowski, Vor § 104 Rn. 75. 114

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Kap. 1: Historische Entwicklung des Insiderrechts

cc) Allokative Funktionsfähigkeit Der wichtigste Teilaspekt des Funktionsschutzes ist die allokative Funktionsfähigkeit (allokative Effizienz) des Markts.125 Volkswirtschaftlich betrachtet, dienen Kapitalmärkte primär der Umschichtung privater Ersparnisse in das für Unternehmen benötigte Investitionskapital.126 Der allokativen Funktionsfähigkeit kommt dabei eine Steuerungsleistung dergestalt zu, dass sie die bestmögliche Zusammenführung von möglichen Kapitalgebern und nachfragenden Kapitalnehmern ermöglicht.127 Dabei spricht man von allokativer Effizienz oder optimaler Kapitalallokation, wenn der Markt so ausgestaltet ist, dass das Kapital ungehindert dorthin geleitet wird, wo es am dringendsten gebraucht wird und wo gleichzeitig die höchste Rendite bei größtmöglicher Sicherheit erwirtschaftet werden kann.128 Dieses Ziel kann jedoch nur erreicht werden, wenn am Markt die notwendigen Grundbedingungen (insbesondere Transparenz)129 vorherrschen, die die Basis für das Vertrauen der Anleger in Stabilität, Integrität und Fairness des Markts bilden.130 Allokative Funktionsfähigkeit setzt also institutionelle und operative Funktionsfähigkeit zwingend voraus.131 b) Anlegerschutz Das zweite kapitalmarktspezifische Regelungsziel der MMVO ist der Anlegerschutz. Dieser lässt sich begrifflich unterteilen in den Individualschutz, also den Schutz der Individualinteressen einzelner Anleger, und den kollektiven Schutz des Anlegerpublikums (überindividueller Anlegerschutz).132 Zwar ist der Anlegerschutz als solcher mittlerweile als Regelungsziel des Kapitalmarktrechts anerkannt. Diskutiert wird jedoch das Verhältnis in welchem Funktionsschutz und Anlegerschutz stehen. Zu dieser Frage verhält sich die MMVO nicht. Damit bleibt es bei der Kontroverse, ob der Anlegerschutz lediglich ein Reflex des Funktionsschutzes und somit nur ein überindividueller Anlegerschutz ist oder ob mit dem Anlegerschutz ein selbstständiges, über den Funktionsschutz hinausgehendes Ziel verfolgt wird, welches einen individuellen Anlegerschutz gewährt.133 125 Merkt, Unternehmenspublizität, S. 301; Kübler/Assmann, Gesellschaftsrecht, § 32 II 2.; Seiler/Geier, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Vor § 104 Rn. 74. 126 Seiler/Geier, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Vor § 104 Rn. 74; Oulds, in: Kümpel/ Wittig, Rn. 14.168. 127 Fuchs, in: Fuchs/WpHG, Einl. Rn. 17. 128 Merkt, Unternehmenspublizität, S. 301; Fuchs, in: Fuchs/WpHG, Einl. Rn. 17; Veil, in: Veil/EurKapR, § 2 Rn. 6. 129 Kübler/Assmann, Gesellschaftsrecht, § 32 II 2.; Veil, in: Veil/EurKapR, § 2 Rn. 6. 130 Oulds, in: Kümpel/Wittig, Rn. 14.169; Veil, in: Veil/EurKapR, § 2 Rn. 6. 131 Merkt, Unternehmenspublizität, S. 301. 132 Lutter/Bayer/J. Schmidt, Rn. 14.14; Seiler/Geier, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Vor § 104 Rn. 72, 79. 133 Veil, in: Veil/EurKapR, § 2 Rn. 7; Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Einl. Rn. 72.

B. Regelungsziele der MMVO und Theorien des Insiderrechts

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Dabei ist zu beachten, dass die MMVO eine stärkere Akzentuierung hinsichtlich des Anlegerschutzes enthält als das noch in ihrem Vorgängerrechtsakt der Fall war. Seit Einführung der MMRL und insbesondere seit der globalen Finanzkrise von 2008, ist das Ziel des Anlegerschutzes immer weiter in den Fokus gerückt.134 Auch die MMVO wird von diesem Geist eines insgesamt stärkeren Anlegerschutzes in der EU durchzogen, was etwa dadurch deutlich wird, dass der bereits erwähnte Art. 1 MMVO den Anlegerschutz als Regelungsziel ausdrücklich nennt. Zwar lässt sich in den allgemeinen Erwägungsgründen der MMVO keine weitere – zumindest keine ausdrückliche – Statuierung des Anlegerschutzziels finden. Allerdings zeigt Erwägungsgrund 87 MMVO, dass die MMVO auch in Verbindung mit der MiFID II135 gesehen werden muss, die den Anlegerschutz nicht nur ebenfalls als Ziel nennt,136 sondern ausdrücklich auf eine Stärkung des Anlegerschutzes abzielt.137 Mit dieser stärkeren Akzentuierung ist freilich noch nichts über einen etwaigen individualschützenden Charakter der MMVO gesagt. Gleichzeitig wird aber deutlich, dass ein Individualschutz nicht per se abgelehnt werden kann.138 Vielmehr bedarf es einer Klärung der Frage – auch Individual- oder nur Kollektivschutz – jeweils im Kontext der spezifischen Regelung.139 2. Binnenmarktspezifische Ziele der MMVO Neben den kapitalmarktspezifischen Zielen dient die MMVO auch noch einem übergeordneten Ziel, nämlich der Schaffung einer „Europäischen Kapitalmarktunion“ – eines echten Binnenmarkts für Kapital.140 Einem solchen misst der Gesetzgeber entscheidende Bedeutung für Wirtschaftswachstum und die Schaffung von Arbeitsplätzen in der EU bei.141 Der Startschuss für die nun umfassend geplante Schaffung einer Kapitalmarktunion war die Vorlage eines Grünbuchs der Kom-

134 Seiler/Geier, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Vor § 104 Rn. 77; mit einer Darstellung der Entwicklung des Anlegerschutzes, Buck-Heeb, JZ 2017, 279 ff., die sogar gegenwärtig von einer „Überregulierung“ spricht. 135 Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 über Märkte für Finanzinstrument sowie zur Änderung der Richtlinien 2002/92/EG und 2011/ 61/EU (Neufassung), ABl. EU Nr. L 173 v. 12. 06. 2014, S. 349. 136 Erwägungsgrund 86 S. 1 MiFID II: „Ein Ziel dieser Richtlinie ist der Anlegerschutz.“ 137 Siehe etwa Erwägungsgründe 42, 45, 58, 70 und 74 MiFID II. 138 Krause, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 5 Rn. 5; Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/ Lwowski, § 107 Rn. 4. 139 Krause, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 5 Rn. 5; Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Einl. Rn. 72. 140 Ausführlich zu diesem Ziel: Europäische Kommission, Aktionsplan zur Schaffung einer Kapitalmarktunion, COM(2015) 468 final v. 30. 09. 2015; siehe zum Begriff Schneider, AG 2012, 823; Veil, ZBB 2014, 85, 96. 141 Vgl. Erwägungsgrund 1 MMVO.

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mission im April 2015.142 Dieser Zeitpunkt liegt zwar nach der Entstehung der MMVO, doch wurden die Weichen für eine Kapitalmarktunion schon deutlich früher gestellt,143 etwa durch den Wechsel144 hin zur Verordnung als primärem Rechtsakt für die Kapitalmarktregulierung. Zudem sollen in der Europäischen Kapitalmarktunion alle Hauptrechtsquellen des Kapitalmarktrechts – mithin auch das Marktmissbrauchsrecht145 – in einem einheitlichen europäischen Regelwerk (single rulebook)146 zusammengeführt werden147. Daher ist auch die MMVO Teil dieses Entwicklungsprozesses und folglich vor dem Hintergrund dieser übergeordneten Zielsetzung der Kommission zu sehen.148 Bereits fünf Monate nach Vorlage des Grünbuchs folgte am 30. 09. 2015 der Aktionsplan zur Schaffung einer Kapitalmarktunion.149 Dieser sieht insgesamt 33 Maßnahmen vor, mit denen die Basis für die Kapitalmarktunion bereits 2019 gelegt sein soll.150 In ihrer im Juni 2017 veröffentlichten Halbzeitbilanz151 zeigte sich die Kommission insgesamt zufrieden mit dem Fortschritt – über die Hälfte der Maßnahmen (20 von 33) seien bereits umgesetzt worden.152 Aufgrund der sich schnell ändernden Finanzwelt und der damit stetig wachsenden Zahl an neuen Herausforderungen (insbesondere der Austritt des Vereinigten Königreichs aus dem Binnenmarkt) sah sich die Kommission jedoch gezwungen ihren ursprünglichen Aktions-

142 Europäische Kommission, Grünbuch Schaffung einer Kapitalmarktunion, COM(2015) 63 final v. 18. 02. 2015; Lutter/Bayer/J. Schmidt, Rn. 14.176. 143 Vgl. Schneider, AG 2012, 823 f.; Veil, ZGR 2014, 544, 545 f. 144 Hierzu Kapitel 3, B.I.2. 145 Vgl. Veil, ZBB 2014, 85, 96: „Das neue Insiderrecht bildet zusammen mit dem ebenfalls einheitlich ausgestalteten Marktmanipulationsrecht das Herzstück der europäischen Kapitalmarktunion.“ 146 Zum Ziel eines single rulebooks siehe ESMA, 2016 Work Programme, ESMA/2015/ 1475 rev., 29. 01. 2016, S. 10 ff. 147 Seibt, in: Bankrechtstag 2017, S. 81, 84; Seibt/Wollenschläger, AG 2014, 593; Graßl, DB 2015, 2066. 148 Assmann, in: Assmann/Schneider/Mülbert, Art. 1 MMVO Rn. 9; von der Linden, DStR 2016, 1036; Seibt, in: Bankrechtstag 2017, S. 81, 83 f.; Veil, ZBB 2014, 85, 96; Schneider, AG 2012, 823 f. 149 Europäische Kommission, Aktionsplan zur Schaffung einer Kapitalmarktunion, COM(2015) 468 final v. 30. 09. 2015. 150 Europäische Kommission, Aktionsplan zur Schaffung einer Kapitalmarktunion, COM(2015) 468 final v. 30. 09. 2015, S. 7. 151 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen über die Halbzeitbilanz des Aktionsplans zur Kapitalmarktunion, COM(2017) 292 final v. 08. 06. 2017. 152 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen über die Halbzeitbilanz des Aktionsplans zur Kapitalmarktunion, COM(2017) 292 final v. 08. 06. 2017, S. 5.

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plan neu zu justieren. Im Zuge dieser Neuausrichtung wurden in der Halbzeitbilanz neun neue vorrangige Maßnahmen vorgestellt.153 Den Antrieb hinter der Initiative bildet das Ziel die weiterhin fragmentierten und national ausgerichteten Kapitalmärkte stärker zu integrieren, so bessere Anlagemöglichkeiten für Unternehmen aller Größen (insbesondere den KMU-Sektor) zu schaffen und hierdurch die Abhängigkeit von der vorherrschenden Bankenfinanzierung zu verringern.154 Gleichzeitig soll damit die Stabilität des Finanzsystems gefördert werden.155 Bis zur Verwirklichung der Kapitalmarktunion werden noch weitere Maßnahmen erforderlich sein,156 aber die MMVO stellt in diesem Prozess einen weiteren Mosaikstein dar, mit dem die Kommission ihrem erklärten Ziel näher gekommen ist. Die für eine solche Kapitalmarktunion notwendige Rechtsvereinheitlichung („einheitlicher Rahmen“)157 sieht der Gesetzgeber dabei am besten mit dem Rechtsakt der Verordnung erfüllt. Eine solche sei darüber hinaus jedoch auch erforderlich, um für die Klarheit zentraler Begriffe,158 eine einheitliche Auslegung,159 abschreckende Sanktionen („stärkerer Rahmen“)160 sowie Rechtssicherheit und unkompliziertere Vorschriften zu sorgen.161 Dadurch sollen Handelshemmnisse und erhebliche Wettbewerbsverzerrungen beseitigt oder deren Entstehen vorgebeugt werden.162 Zudem verspricht sich der Gesetzgeber davon eine Senkung der Compliance-Kosten bei grenzüberschreitend tätigen Gesellschaften.163 Ob diese Annahmen des Gesetzgebers zutreffend sind, wird im späteren Verlauf dieser Arbeit zu untersuchen sein.

153 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen über die Halbzeitbilanz des Aktionsplans zur Kapitalmarktunion, COM(2017) 292 final v. 08. 06. 2017, S. 11 ff. 154 Europäische Kommission, Aktionsplan zur Schaffung einer Kapitalmarktunion, COM(2015) 468 final v. 30. 09. 2015; zusammenfassend Lutter/Bayer/J. Schmidt, Rn. 14.177 f. 155 Europäische Kommission, Aktionsplan zur Schaffung einer Kapitalmarktunion, COM(2015) 468 final v. 30. 09. 2015, S. 3. 156 Vgl. Europäische Kommission, Aktionsplan zur Schaffung einer Kapitalmarktunion, COM(2015) 468 final v. 30. 09. 2015, S. 4. 157 Erwägungsgrund 4 MMVO. 158 Erwägungsgrund 3 MMVO. 159 Erwägungsgrund 5 MMVO. 160 Erwägungsgrund 4 MMVO. 161 Erwägungsgrund 4 MMVO. 162 Erwägungsgrund 5 MMVO. 163 Erwägungsgrund 5 MMVO.

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Kap. 1: Historische Entwicklung des Insiderrechts

II. Theorien des Insiderrechts Bestand bis in die sechziger Jahre hinein grundsätzlich Einigkeit über die Sinnhaftigkeit einer gesetzlichen Regelung der Insiderproblematik, so änderte sich dieses Bild in den folgenden Jahren. Ausgehend von der „Chicago School“ positionierten sich ab Mitte der sechziger Jahre zahlreiche Ökonomen als Gegner einer gesetzlichen Insiderregulierung. Die Diskussion über ein Für und Wider einer Insiderregulierung kann zwar de lege lata seit der Einführung einer gesetzlichen Regelung als entschieden angesehen werden, die wissenschaftliche Diskussion besteht jedoch weiterhin fort.164 Dabei ist zu erkennen, dass Juristen und Ökonomen – ausgehend von den beiden primären Regelungszielen des Kapitalmarktrechts – unterschiedliche Begründungsansätze für eine Insiderregulierung verfolgen: Während bei den Juristen normative Wertungen im Vordergrund stehen, geht es bei den Ökonomen in erster Linie um die Effizienz der Märkte.165 Im Folgenden sollen daher zunächst die „juristische Theorie des Insiderrechts“ und anschließend die „ökonomische Theorie des Insiderrechts“ genauer untersucht werden,166 um Geltungsgründe für die Insiderregulierung der MMVO herauszuarbeiten. 1. Juristische Theorie des Insiderrechts a) Informationelle Chancengleichheit („equal access-Ansatz“) Ausgangspunkt der juristischen Diskussion sind die gesetzlichen Regelungen. Mit diesen hat der Gesetzgeber Wertungen getroffen, die zu berücksichtigen und zu respektieren sind.167 Erwägungsgrund 24 S. 3 MMVO statuiert, dass „ob eine Person gegen das Verbot von Insidergeschäften verstoßen hat […], sollte im Hinblick auf den Zweck dieser Verordnung untersucht werden, der darin besteht, die Integrität des Finanzmarkts zu schützen und das Vertrauen der Investoren zu stärken, das wiederum auf der Gewissheit beruht, dass die Investoren gleichbehandelt und vor der missbräuchlichen Verwendung von Insiderinformationen geschützt werden.“ Der MMVO-Gesetzgeber stellt damit den Schutz und die Gleichbehandlung der Investoren ins Zentrum seiner Überlegungen zur Insiderregulierung. Welcher Schutz damit genau gemeint ist, wird bei einem Blick in Erwägungsgrund 23 MMVO deutlich. Dieser besagt in seinem ersten Satz, dass „das wesentliche Merkmal von Insidergeschäften […] ein ungerechtfertigter Vorteil [ist], der mittels Insiderinformationen zum Nachteil Dritter erzielt wird, die diese Information nicht kennen […].“ 164

Mennicke, in: Fuchs/WpHG, Vor §§ 12 – 14 Rn. 98. Mennicke, in: Fuchs/WpHG, Vor §§ 12 – 14 Rn. 99; vgl. auch Hopt, ZGR 1991, 17, 22 ff. 166 Zu den Begriffen Hopt, ZGR 1991, 17, 22; Mennicke, in: Fuchs/WpHG, Vor §§ 12 – 14 Rn. 99; siehe auch Carlton/Fischel, The Regulation of Insider Trading, 35 Stan. L. Rev. 857, 860 (1983): „A fundamental difference exists between the legal and economic definitions of insider trading.“ 167 Vgl. Hopt, ZGR 1991, 17, 25. 165

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Genauer besagt Erwägungsgrund 24 S. 3 MMVO a.E. also, dass die Insiderregulierung dem Schutz der Anleger vor Informationsungleichgewichten diene und die informationelle Chancengleichheit der Anleger fördere.168 Dass dieser „equal access-Ansatz“, den auch der EuGH in seinen Entscheidungen zum Insiderrecht stets als Grund für eine Insiderregulierung betont,169 überzeugt, zeigt sich, wenn man ihn noch weiter konkretisiert. Mit Insiderhandel gibt es am Kapitalmarkt vereinfacht dargestellt drei Anlegertypen: den vorinformierten Insider, den „Börsenprofi“170 und den normalen Anleger. Dass zwischen diesen ein Informationsungleichgewicht besteht, liegt auf der Hand. Es ließe sich nun auf den Standpunkt stellen, dass es für einen Wettbewerb, wie er am Kapitalmarkt stattfindet, typisch ist, dass ein asymmetrischer Informationsstand vorliegt.171 Das ist zwar grundsätzlich richtig, verkennt aber Folgendes: Ein Wettbewerb hat stets objektive und subjektive Wettbewerbsvoraussetzungen. Die objektiven Voraussetzungen sind dabei die Rahmenbedingungen, die für alle Teilnehmer gleich sein müssen, damit überhaupt ein fairer Wettbewerb stattfinden kann. Bezogen auf den Kapitalmarkt bedeutet das die Möglichkeit für alle Anleger auf legalem Wege an alle relevanten Informationen zu gelangen („equal access-Ansatz“). Oder anders ausgedrückt, ein asymmetrischer Informationsstand zwischen den Anlegern ist für den Wettbewerb am Kapitalmarkt nur akzeptabel, solange grundsätzlich ein gleichberechtigter Informationszugang besteht und alle Anleger objektiv die gleichen Chancen haben. Das ist bei zulässigem Insiderhandel jedoch gerade nicht der Fall. Den anderen Anlegern ist es auf legalem Wege nicht möglich, ebenfalls in den Besitz der Insiderinformation zu gelangen.172 Der Insider hat mit seiner Information einen geldwerten Wettbewerbsvorteil, dessen Ausnutzung durch die fehlende Ausgleichsmöglichkeit der anderen Anleger missbräuchlich und daher nicht hinnehmbar ist.173 Präziser ausgedrückt müssen die Anleger folglich vor einem objektiv nicht ausgleichbaren Informationsungleichgewicht geschützt werden. Dafür braucht es eine Insiderregulierung. Dass es trotz der Regulierung weiterhin asymmetrische Informationsstände zwischen den „Börsenprofis“ und den normalen Anlegern gibt, 168 Vgl. Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Vor Art. 7 Rn. 38 ff.; Krause, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 5 Rn. 4; Lutter/Bayer/J. Schmidt, Rn. 35.17; Veil, in: Veil/EurKapR, § 13 Rn. 7. 169 EuGH Urt. v. 22. 11. 2005 – Rs. C-384/02, Slg. 2005 I-9961 Rn. 33 (Grøngaard und Bang); EuGH Urt. v. 10. 05. 2007 – Rs. C-391/04, Slg. 2007 I-3741 Rn. 37 (Georgakis); EuGH Urt. v. 23. 12. 2009 – Rs. C-45/08, Slg. 2009 I-12073 (Spector Photo Group); EuGH Urt. v. 28. 06. 2012 – Rs C-19/11 = ZIP 2012, 1282 Rn. 33 (Geltl); EuGH Urt. v. 11. 03. 2015 – Rs. C628/13 = NZG 2015, 432 Rn. 21 (Lafonta). 170 Gemeint ist jemand, der sich ständig mit Aktien beschäftigt und damit nach Pfister, ZGR 1981, 318, 338 „das Gras wachsen hört“; Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Vor Art. 7 Rn. 38 ff. spricht insoweit vom „Informationshändler“. 171 So Oberender/Daumann, ORDO 43 (1992), 255, 261 f. 172 So auch Mennicke, in: Fuchs/WpHG, Vor §§ 12 – 14 Rn. 116. 173 Vgl. Mennicke, in: Fuchs/WpHG, Vor §§ 12 – 14 Rn. 116 f.

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Kap. 1: Historische Entwicklung des Insiderrechts

ist hingegen wettbewerbstypisch und absolut nicht zu beanstanden. Denn dieser Informationsunterschied ist durch die subjektiven Wettbewerbsvoraussetzungen – beim Handel am Kapitalmarkt etwa ein größerer persönlicher Aufwand bei der Informationsbeschaffung, die individuellen Fähigkeiten beim Umgang mit den relevanten Informationen und die größeren Ressourcen – entstanden. Der Terminus „subjektive Wettbewerbsvoraussetzungen“ meint hierbei allgemein die individuellen Voraussetzungen, die jeder Anleger mitbringt und die damit schon per definitionem von Anleger zu Anleger unterschiedlich und damit zu akzeptieren sind. Es lässt sich festhalten, dass eine Insiderregulierung für die Schaffung der objektiven Wettbewerbsvoraussetzungen, nämlich der Herstellung eines gleichberechtigten Informationszugangs zu allen relevanten Informationen („equal access“) und damit zum einen für einen echten Wettbewerb am Kapitalmarkt und zum anderen für eine formelle Gleichheit aller Anleger unabdingbar ist. b) Grundsätzlich keine Schädigung wegen fehlender Kausalität Zu einem weiteren, dem Anlegerschutz zuzuordnenden Begründungsansatz, nämlich dass es einer Insiderregulierung bedarf, weil Anleger durch Insiderhandel geschädigt und einen Vermögensschaden erleiden würden, äußert sich die MMVO begrüßenswerterweise nicht. Denn dieser Ansatz liefert keine tragfähige Begründung für eine Insiderregulierung. Die Annahme eines Vermögensschadens lässt sich dabei noch relativ leicht nachvollziehen. Angenommen, man erwirbt ein Wertpapier von einem Insider zu einem Kurspreis von zehn Euro, dessen „wahrer Wert“ bei Berücksichtigung der Insiderinformation nur bei fünf Euro gelegen hätte. Mithin zahlt man den doppelten Preis für das Papier, womit keine hinreichende Kompensation vorliegt und folglich ein Vermögensschaden eingetreten ist.174 Richtigerweise ist bei der Berechnung auch der „fiktive Kurs“ bei Berücksichtigung der Insiderinformation heranzuziehen, da dieser den „wahren Preis“ zum Zeitpunkt des Geschäfts wiedergibt, auch wenn die Auswirkungen auf den tatsächlichen Preis typischerweise erst nach Abschluss des Geschäfts eintreten, nämlich bei allgemeinem Bekanntwerden der Insiderinformation.175 Problematisch ist allerdings die Kausalität des Insiderverhaltens für diesen Vermögensschaden. Der Insider müsste ursächlich für das schadensbringende Wertpapiergeschäft des Anlegers geworden sein. Dazu müsste der Anleger das Geschäft gerade wegen des Insiders abgeschlossen haben, was etwa einen persönlichen Kontakt oder persönliche Verhandlungen zwischen dem Insider und dem Anleger voraussetzen würde.176 Solch ein persönlicher Kontakt wird am anonymisierten 174 175 176

Zum Begriff des Vermögensschadens siehe Oetker, in: MüKo/BGB, § 249 Rn. 28 f. Zutreffend Horn, ZHR 136 (1972), 369, 390 f. Vgl. Horn, ZHR 136 (1972), 369, 391.

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Kapitalmarkt jedoch kaum gegeben sein, womit regelmäßig der Einwand durchgreift, dass der Anleger das Geschäft, wenn nicht mit dem Insider, mit jedem anderen am Markt zu den gleichen Konditionen und mithin demselben Vermögensschaden abgeschlossen hätte.177 Der Vermögensschaden wäre damit auch bei Vornahme der gebotenen Handlung, nämlich dem Kauf oder Verkauf ohne Insiderhandel,178 eingetreten und folglich fehlt es am erforderlichen (hypothetischen) Kausalzusammenhang.179 Das Argument, der Anleger würde durch eine Insiderregulierung vor einer Schädigung geschützt, kann somit nicht überzeugen.180 c) Anlegervertrauen Als weiteren Aspekt der Insiderregulierung führt die MMVO in Erwägungsgrund 24 S. 3 das Anlegervertrauen an. Hierzu wird argumentiert, dass ein Kapitalmarkt nur funktionsfähig sein könne, wenn die Anleger bereit seien, am Markt zu investieren.181 Insiderhandel senke jedoch gerade die Bereitschaft der Anleger am Markt aktiv zu werden, da durch Insidergeschäfte das Vertrauen der Anleger in die Integrität des Markts und die formelle Chancengleichheit aller Marktteilnehmer verloren gehe.182 Dieser Begründungsansatz ist theoretisch sehr einleuchtend. In der Praxis wird hingegen kaum die Möglichkeit bestehen den Vertrauensverlust der Anleger durch Insiderhandel zu quantifizieren und folglich einen empirischen Beweis dieses Ansatzes zu führen.183 Ohne einen solchen empirischen Beweis ließe sich vortragen, dass, obwohl es Insiderhandel schon seit vielen Jahrzehnten gibt, der Markt stets funktionsfähig war.184 Dies impliziere, dass immer genügend Anleger dem Markt „vertraut“ und ihr Geld investiert haben. Konsequenz sei, dass Insiderverbote für das Anlegervertrauen und die Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts keine oder nur eine sehr geringe Rolle spielen.185 Dieser Überlegung kann eine gewisse Plausibilität nicht 177 Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Vor Art. 7 Rn. 30; Mennicke, in: Fuchs/WpHG, Vor §§ 12 – 14 Rn. 15. 178 Vgl. Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Vor Art. 7 Rn. 30, der zutreffend darauf hinweist, dass auf den Insiderhandel als solchen und nicht auf die fehlende Offenlegung der Insiderinformation abzustellen ist. 179 Vgl. Horn, ZHR 136 (1972), 369, 391; zur (hypothetischen) Kausalität siehe Rengier, Strafrecht AT, § 49 Rn. 13 ff. 180 So auch Mennicke, in: Fuchs/WpHG, Vor §§ 12 – 14 Rn. 115; Grunewald, ZBB 1990, 128, 129; Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Vor Art. 7 Rn. 30. 181 Mennicke, in: Fuchs/WpHG, Vor §§ 12 – 14 Rn. 119. 182 Brandi/Süßmann, AG 2004, 642, 647; Schwark/Zimmer, in: Schwark/Zimmer, Vor § 12 WpHG Rn. 12; Assmann, in: Assmann/Uwe H. Schneider-WpHG, Vor § 12 Rn. 42. 183 Mennicke, in: Fuchs/WpHG, Vor §§ 12 – 14 Rn. 121; siehe auch Hopt/Will, Europäisches Insiderrecht, S. 50. 184 Grunewald, ZBB 1990, 128, 130. 185 Vgl. Grunewald, ZBB 1990, 128, 130.

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Kap. 1: Historische Entwicklung des Insiderrechts

abgesprochen werden, vor allem, da es sicherlich viele Anleger gibt, die an der Börse aktiv sind ohne zu wissen, was Insiderhandel überhaupt ist und daher ihr „Vertrauen“ nicht auf der Insiderregulierung beruht. Gleichzeitig investieren viele Leute aus den verschiedensten anderen Gründen nicht an der Börse, obwohl sie um die Insiderhandelsverbote wissen. Daher sollte das Vertrauensargument weniger als eigener Begründungsansatz gesehen werden, sondern vielmehr als Konnektiv zwischen Anlegerschutz und Funktionsschutz.186 Wenn Anleger einem Markt vertrauen, da sie sich dort aufgrund informationeller Chancengleichheit fair behandelt fühlen,187 werden sie sehr viel eher bereit sein, an diesem Markt zu investieren.188 Davon profitiert der Markt, der liquider ist und damit seiner Funktion, der Umwandlung von Spar- in Investitionskapital, besser nachkommen kann.189 Dies wiederum kommt dem Wirtschaftswachstum und der Schaffung von Arbeitsplätzen zugute und damit auch dem allgemeinen Wohlstand.190 Dieser Zusammenhang von Insiderregulierung und Liquidität des Kapitalmarkts lässt sich dabei sogar empirisch nachweisen.191 Es zeigt sich, dass bei der Suche nach Geltungsgründen für eine Insiderregulierung die beiden Regelungsziele, Anlegerschutz und Funktionsschutz, nicht isoliert voneinander betrachtet werden können. Vielmehr stehen die einzelnen Begründungsansätze in Verhältnis zueinander. Durch den gleichberechtigten Informationszugang („equal access“) schafft die Insiderregulierung die Voraussetzungen, dass Anleger dem Markt vertrauen und infolgedessen ihr Geld am Markt investieren, womit der Markt in der Lage ist, seinen volkswirtschaftlichen Aufgaben nachzukommen. Das ist aus juristischer Sicht der Grund, warum eine Insiderregulierung

186 So ausdrücklich Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Vor Art. 7 Rn. 34; Mennicke, in: Fuchs/ WpHG, Vor §§ 12 – 14 Rn. 137; vgl. aber auch Weber, Insiderrecht und Kapitalmarktschutz, S. 30; Hopt/Will, Europäisches Insiderrecht, S. 49 f. 187 Dabei sollte auch der Fairnessgesichtspunkt stets mit Funktionsschutzerwägungen verknüpft werden und nicht als alleiniger Grund für eine Insiderregulierung (Insiderhandel sei unfair und deshalb zu verbieten) angeführt werden, darauf hinweisend Weber, Insiderrecht und Kapitalmarktschutz, S. 30; vgl. auch Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Vor Art. 7 Rn. 34. 188 Vgl. Mennicke, in: Fuchs/WpHG, Vor §§ 12 – 14 Rn. 119, 121 wonach es viele Indizien dafür gäbe, dass sich Anleger von der Börse zurückziehen, wenn ihr Vertrauen in die Chancengleichheit verloren geht. 189 Vgl. Mennicke, in: Fuchs/WpHG, Vor §§ 12 – 14 Rn. 119. 190 Erwägungsgründe 1 und 2 MMVO. 191 Beny, Insider Trading Laws and Stock Markets Around the World: An Empirical Contribution to the Theoretical Law and Economics Debate, 32 J. Corp. L. 237 (2007): „[…], the Article finds that more stringent insider trading laws are generally associated with more dispersed equity ownership, greater stock price accuracy and greater stock market liquidity […].“; Fishe/Robe, The impact of illegal insider trading in dealer and specialist markets: evidence from a natural experiment, 71 J. Fin. Econ. 461, 462 (2004): „We find strong evidence that illegal insider trading has a negative impact on market liquidity.“

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unabdingbar ist und warum sie im Wettbewerb der Märkte untereinander als „Gütesiegel“ wahrgenommen wird.192 2. Ökonomische Theorie des Insiderrechts Aus Sicht der Ökonomie sind funktionsfähige Märkte effiziente Märkte.193 Den Ausgangspunkt dieses Grundprinzips der „ökonomischen Theorie des Insiderrechts“ bildet die Tatsache, dass ein Kapitalmarkt nur dann funktionsfähig ist, wenn die Preisbildung am Markt funktioniert.194 Hierfür muss es den Anlegern möglich sein, die mit einer Anlage verbundenen Renditeerwartungen (cash flows) und Risiken richtig einschätzen zu können.195 Grundlage dieser Einschätzung ist die „informierte Anlegerentscheidung“,196 die auf allen Informationen beruht, die eine Beurteilung über erwartbare Rendite und verbundene Risiken hinsichtlich der Anlage zulassen.197 Hintergrund dieses „Informationsmodells“ ist die Annahme, dass Informationsasymmetrien zwischen den Marktteilnehmern zu Fehlallokationen führen, was der Effizienz des Markts entgegensteht.198 Wie wichtig ein hinreichender Informationsfluss am Markt ist, zeigt Akerlofs „market for lemons-Beispiel“:199 An einem Markt mit zwar qualitativ unterschiedlichen Anlagen aber mangelnden Informationen über die Anlagen, können die Anleger keine informierte Anlageentscheidung treffen. Die daraus resultierende Unsicherheit äußert sich in Risikoabschlägen vom Preis, womit der Marktpreis dem Durchschnittspreis für die qualitativ unterschiedlichen Anlageprodukte entspricht.200 In der Folge werden sich Anbieter von höherwertigen Anlagen vom Markt zurückziehen, da sie keine entsprechende Gegenleistung für ihr Produkt bekommen.201 Denkt man diese Entwicklung zu Ende (stetige Anpassung an den Durchschnitts192

Zum „Gütesiegel“-Argument siehe Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Vor Art. 7 Rn. 37; vgl. auch Assmann, in: Assmann/Uwe H. Schneider-WpHG, Vor § 12 Rn. 49 „Schutz des Ansehens“. 193 Vgl. Seiler/Geier, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Vor § 104 Rn. 73; Oulds, in: Kümpel/Wittig, Rn. 14.143. 194 Vgl. Merkt, Unternehmenspublizität, S. 306; Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Vor Art. 7 Rn. 72 ff. 195 Merkt, Unternehmenspublizität, S. 306; Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Vor Art. 7 Rn. 72 ff. 196 Ausdrücklich Merkt, Unternehmenspublizität, S. 306. 197 Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Vor Art. 7 Rn. 75. 198 Grohmann, Das Informationsmodell im Europäischen Gesellschaftsrecht, S. 59 ff.; Lutter/Bayer/J. Schmidt, Rn. 14.78 f.; vgl. auch Brinckmann, in: Veil/EurKapR, § 16 Rn. 14 ff. 199 Akerlof, The Market for „Lemons“: Quality Uncertainty and the Market Mechanism, 84 Q.J.Econ. 488 (1970), der den „market for lemons“ am Beispiel eines Gebrauchtwagenmarkts einführt. 200 Merkt, Unternehmenspublizität, S. 306. 201 Akerlof, The Market for „Lemons“: Quality Uncertainty and the Market Mechanism, 84 Q.J.Econ. 488, 489 f. (1970).

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Kap. 1: Historische Entwicklung des Insiderrechts

preis, womit jeweils die höherwertigen Angebote den Markt verlassen) führt dies letztlich zwangsläufig zum Zusammenbrechen des Markts.202 Entscheidend für einen effizienten Markt ist folglich, dass eine hinreichende Anzahl an Informationen für die Anleger produziert und diesen zugänglich gemacht wird (institutionelle Effizienz).203 Dabei kommt es jedoch nicht nur auf eine möglichst kostensparende Informationsproduktion und -übermittlung (operationale Effizienz), sondern auch auf den angemessenen Umfang an Informationsvermittlung an.204 Die zur Verfügung gestellten Informationen dürfen weder zu einem Informationsmangel noch zu einer Informationsüberflutung (information overload/ overkill) führen, da beides Transaktionshindernisse darstellen kann.205 Bestenfalls führt diese Informationspolitik zu dem Umstand, dass alle Anleger über Angebot, Renditeerwartung und Risiken der einzelnen Anlagen dergestalt informiert sind, dass ihnen ein Vergleich zwischen den verschiedenen Anlageoptionen möglich ist, so Fehlallokationen vermieden werden und sie folglich ihr Geld dort investieren können, wo es am dringendsten benötigt wird und gleichzeitig die höchste Rendite bei größtmöglicher Sicherheit erwirtschaftet werden kann (allokative Effizienz).206 Das Hauptinstrument der Insiderregulierung zur Förderung der Effizienz an den Märkten ist die Ad-hoc-Publizitätspflicht, die in Art. 17 Abs. 1 MMVO statuiert ist.207 Danach muss ein Emittent eine ihn unmittelbar betreffende Insiderinformation „unverzüglich“ veröffentlichen. Ausgehend von unterschiedlichen Informationstypen (historische, öffentliche, nicht-öffentliche), die in den Preis einer Anlage inkorporiert sein können, stellt sich die Frage, wie effizient der Markt jeweils ist. Diese Frage beantwortet die Kapitalmarkteffizienzhypothese. a) Die Kapitalmarkteffizienzhypothese Die Kapitalmarkteffizienzhypothese (Efficient Capital Market Hypothesis – ECMH) geht auf eine Arbeit des Chicagoer Ökonomen Eugene Fama aus dem Jahr 1970 zurück.208 In seinem grundlegenden Werk bringt Fama die Kapitalmarkteffizienz auf eine einfache Formel:

202

Brinckmann, in: Veil/EurKapR, § 16 Rn. 6; Merkt, Unternehmenspublizität, S. 306. Merkt, Unternehmenspublizität, S. 307. 204 Merkt, Unternehmenspublizität, S. 307 f. 205 Merkt, Unternehmenspublizität, S. 307. 206 Lutter/Bayer/J. Schmidt, Rn. 14.79; Merkt, Unternehmenspublizität, S. 308; vgl. Grohmann, Das Informationsmodell im Europäischen Gesellschaftsrecht, S. 60; Buck-Heeb, JZ 2017, 279, 286. 207 Ausführlich zur Ad-hoc-Publizitätspflicht unten Kapitel 5, C. 208 Fama, Efficient Capital Markets: A Review of Theory and Empirical Work, 25 J. Fin. 383 (1970). 203

B. Regelungsziele der MMVO und Theorien des Insiderrechts

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„A market in which prices always ,fully reflect‘ available information is called ,efficient‘.“209

Diese allgemeine Definitionsformel der Kapitalmarkteffizienz lässt sich durch die Begriffe der Informationseffizienz und der Fundamentalwerteffizienz210 konkretisieren.211 aa) Informationseffizienz Informationseffizienz (information arbitrage efficiency)212 im Sinne der ECMH bezeichnet einen Maßstab für die Geschwindigkeit, mit welcher die Preise am Markt auf neue Informationen reagieren.213 Ist ein Markt hiernach informationseffizient, besitzt er die Fähigkeit neue Informationen sehr schnell in den Kurs einzupreisen, womit es Anlegern nicht mehr möglich ist, diese Information gewinnbringend am Markt einzusetzen.214 Sieht man von vorhersehbaren Entwicklungen ab, die bereits mit Bekanntwerden im Kurs reflektiert werden,215 so existiert allerdings stets eine Zeitspanne zwischen dem Bekanntwerden der neuen Information und ihrer Einpreisung in den Kurs.216 Diese Zeitspanne gibt dabei Auskunft über die relative Effizienz des Markts – je kürzer die Zeitspanne, desto höher ist die relative Effizienz.217 Diese Spanne ent209 Fama, Efficient Capital Markets: A Review of Theory and Empirical Work, 25 J. Fin. 383 (1970). 210 Auch fundamentale Effizienz oder Allokationseffizienz genannt. 211 Vgl. Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 15 ff. Fama selbst differenziert nicht zwischen Informations- und Fundamentalwerteffizienz. Allerdings meint er mit dem Begriff der Kapitalmarkteffizienz den Zustand, der besteht, wenn sowohl Informations- als auch Fundamentalwerteffizienz verwirklicht sind. Es handelt sich folglich nur um einen terminologischen Unterschied. Zur Verdeutlichung vgl. Fama, Foundations of Finance, S. 133: „An efficient capital market is a market that is efficient in processing information. The prices of securities observed at any time are based on ,correct‘ evaluation of all information available at that time. […], the ideal is a market where prices are accurate signals for capital allocation. […]. In short, if the capital market is to function smoothly in allocation resources, prices of securities must be good indicators of value.“ 212 Siehe etwa Wang, Some Arguments That the Stock Market is Not Efficient, 19 U.C. Davis L. Rev. 341, 344 ff. (1986). 213 Stout, The Mechanisms of Market Inefficiency: An Introduction to the New Finance, 28 J. Corp. L. 635, 640 (2003); Gilson/Kraakman, The Mechanisms of Market Efficiency, 70 Va. L. Rev. 549, 560 (1984). 214 Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 16; siehe auch Langenbucher, Aktien- und Kapitalmarktrecht, § 1 Rn. 26. 215 Vgl. Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 16. 216 Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Vor Art. 7 Rn. 77. 217 Gilson/Kraakman, The Mechanisms of Market Efficiency, 70 Va. L. Rev. 549, 560 (1984): „[…] relative efficiency is a measure of the speed with which new information is reflected in price.“; Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Vor Art. 7 Rn. 77.

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Kap. 1: Historische Entwicklung des Insiderrechts

scheidet somit darüber, in welchem Umfang die Möglichkeit besteht, eine neu bekannt gewordenen Information gewinnbringend gegenüber dem Markt auszunutzen.218 In einem informationseffizienten Markt ist diese Zeitspanne jedoch so marginal, dass kein Marktteilnehmer erwarten kann unter Ausnutzung seiner Kenntnis von bereits bekannt gewordenen Informationen „den Markt zu schlagen“.219 Daraus folgt, dass der Kurs einer Aktie durch eine bereits veröffentlichte Information nicht nochmals beeinflusst werden kann, auch nicht, wenn die Auswirkungen der Information erst zu einem späteren Zeitpunkt eintreten.220 Ein informationseffizienter Markt verhält sich letztlich so, als wären ihm alle kursrelevanten Neuigkeiten sofort bekannt.221 bb) Fundamentalwerteffizienz Die Differenzierung zwischen Informations- und Fundamentalwerteffizienz geht auf den Ökonomen James Tobin zurück:222 „A second and deeper meaning [than the information arbitrage efficiency] is the following: a market in a financial asset is efficient if its valuation reflects accurately the future payment to which the asset gives title […]. I call this concept fundamental-valuation efficiency.“223

Ein Markt ist danach fundamentalwerteffizient, wenn er auf die verfügbaren Informationen nicht nur schnellstmöglich (Informtionseffizienz), sondern auch zutreffend reagiert – der Kurs also den wahren Wert (true value) des Finanzinstruments widerspiegelt.224 Im Kurs kommt damit eine zutreffende Bewertung über die zukünftigen Zahlungsströme (cash flows), die das Finanzinstrument erwarten lässt, zum Ausdruck.225

218 Gilson/Kraakman, The Mechanisms of Market Efficiency, 70 Va. L. Rev. 549, 560 (1984). 219 Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Vor Art. 7 Rn. 77; Bak/Bigus, ZBB 2006, 430, 431; Stout, The Mechanisms of Market Inefficiency: An Introduction to the New Finance, 28 J. Corp. L. 635, 640 (2003). 220 Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 16. 221 Vgl. Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 16. 222 Grundlegend Tobin, On the Efficiency of the Financial System, 153 Lloyds Bank Rev. 1 ff. (1984). 223 Tobin, On the Efficiency of the Financial System, 153 Lloyds Bank Rev. 1, 2 (1984). 224 Vgl. Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 17; Langenbucher, Aktien- und Kapitalmarktrecht, § 1 Rn. 29. 225 Fischel, Efficient Capital Markets the Crash and the Fraud on the Market Theory, 74 Cornell L. Rev. 907, 913 (1988 – 1989); Ayres, Back to Basics: Regulating How Corporations Speak to the Market, 77 Va. L. Rev. 945, 969 (1991).

B. Regelungsziele der MMVO und Theorien des Insiderrechts

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Die Bewertung einer Aktie wird jedoch dadurch erschwert, dass sie keinen „intersubjektiv feststehenden Wert“ hat.226 Von einer zutreffenden Bewertung kann daher nur vor dem Hintergrund eines Modells gesprochen werden, dem entnommen werden kann, wie Marktteilnehmer Informationen zur Preisbildung nutzen.227 Das bekannteste und am weitesten verbreitete Modell hierfür ist das Capital Asset Pricing Model (CAPM),228 das auf der Portfoliotheorie von Markowitz229 basiert.230 Damit Fundamentalwerteffizienz vorliegt, genügt es folglich nicht, dass der Markt alle verfügbaren Informationen kennt. Vielmehr kommt es zusätzlich darauf an, dass alle Marktteilnehmer oder zumindest die Marktteilnehmer, deren Marktaktivität für die Preisbildung essentiell ist, die den Aussagen eines Modells entsprechenden („richtigen“) Dispositionen tätigen.231 cc) Die drei theoretischen Stützen der ECMH Bei der ECMH handelt es sich um ein Kapitalmarktmodell, das sich mit der Preisbildung an einem (hypothetischen) Markt befasst. Grundvoraussetzung für ein solches Modell ist seine innere Stimmigkeit.232 Dass diese in der Regel unproblematisch vorliegt, ist der Tatsache geschuldet, dass diese Modelle auf künstlich geschaffenen, perfekten Bedingungen aufbauen.233 Im Falle der Kapitalmarkteffizienz sind diese perfekten Bedingungen234 ein Markt, an dem (1) keine Transaktionskosten anfallen, (2) alle verfügbaren Informationen allen Marktteilnehmern kostenlos zur Verfügung stehen und (3) alle Marktteilnehmer zu den gleichen Schlussfolgerungen 226 So die prägnante Bezeichnung bei Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 17. 227 Stout, The Mechanisms of Market Inefficiency: An Introduction to the New Finance, 28 J. Corp. L. 635, 641 (2003); Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 17. 228 Grundlegend Sharpe, Capital Asset Prices: A Theory of Market Equilibrium under Conditions of Risk, 19 J. Fin. 425 (1964); auf das CAPM kann im Rahmen dieser Arbeit nicht näher eingegangen werden, ausführlich hierzu etwa Brealey/Myers/Allen, Principles of Corporate Finance, S. 192 ff.; Bodie/Kane/Marcus, Investments, S. 291 ff.; Berk/DeMarzo, Corporate Finance, S. 379 ff. 229 Grundlegend Markowitz, Portfolio Selection, 7 J. Fin. 77 (1952); siehe auch Markowitz, Foundations of Portfolio Theory, 46 J. Fin. 469 (1991). 230 Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 17, 25 ff.; Stout, The Mechanisms of Market Inefficiency: An Introduction to the New Finance, 28 J. Corp. L. 635, 641 (2003). 231 Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 17, 84 f. 232 Vgl. Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 15. 233 Vgl. Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 15. 234 So ausdrücklich Gilson/Kraakman, The Mechanisms of Market Efficiency, 70 Va. L. Rev. 549, 552 (1984).

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Kap. 1: Historische Entwicklung des Insiderrechts

kommen, was die Auswirkung von aktuellen Informationen auf den aktuellen Kurs und die zukünftigen Zahlungsströme eines jeden Wertpapiers am Markt angeht.235 Problematischer ist die Frage, inwieweit die aus dem Modell gewonnenen Erkenntnisse auf die Preisbildung am realen Markt übertragen werden können.236 Klar ist, dass es einen wie eben beschriebenen perfekten Kapitalmarkt in der Realität nicht gibt. Das erkennt auch Fama, der jedoch gleichzeitig darauf verweist, dass es sich bei den genannten Bedingungen zwar um hinreichende, aber nicht um notwendige Bedingungen für die Kapitalmarkteffizienz handelt.237 Damit impliziert er die Übertragbarkeit der Aussagen der ECMH auf die realen Kapitalmärkte. Bezogen auf die ECMH bedeutet das konkret, zu zeigen, wie die an einem realen Kapitalmarkt stattfindenden Einzeltransaktionen zu der nach dem Modell der ECMH beschriebenen Informations- und Fundamentalwerteffizienz führen. Hierbei konzentriert sich die nachfolgende Darstellung allein auf die Fundamentalwerteffizienz, da die empirische Kapitalmarktforschung die These von der Informationseffizienz – zumindest für die halbstrenge Variante der ECMH, die für diese Arbeit und auch insgesamt am bedeutendsten ist238 – weitestgehend stützt239 und selbst zahlreiche Kritiker die Tragfähigkeit der ECMH in Bezug auf die Informationseffizienz einräumen.240 Die Überzeugung der Vertreter der ECMH, dass die ECMH auch bezüglich der Fundamentalwerteffizienz an einem realen Kapitalmarkt Gültigkeit besitzt, basiert auf einem Annahmedreiklang. (1) Leitbild des rationalen Anlegers Ausgehend vom Modell des Homo Oeconomicus241 nehmen die Vertreter der ECMH an, dass alle Anleger am Markt rational sind und handeln.242 Diese Modellperson strebt danach den eigenen Nutzen zu maximieren243 und ist dabei in der 235 Fama, Efficient Capital Markets: A Review of Theory and Empirical Work, 25 J. Fin. 383, 387 (1970). 236 Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 15. 237 Fama, Efficient Capital Markets: A Review of Theory and Empirical Work, 25 J. Fin. 383, 387 (1970). 238 Dazu sogleich unter dd)(2). 239 Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 123 f., 130 f. 240 Siehe etwa Tobin, On the Efficiency of the Financial System, 153 Lloyds Bank Rev. 1, 5 (1984): „The long-standing judgment of almost all academics in economics and finance is yes, securities markets are efficient in this [information arbitrage efficiency] sense.“ 241 Veil, in: Veil/EurKapR, § 6 Rn. 20; Eidenmüller, JZ 2005, 216, 217. 242 Shleifer, Inefficient Markets: An Introduction to Behavioral Finance, S. 3: „The E[C]MH is thus first and foremost a consequence of equilibrium in competitive markets with fully rational investors.“; Black, Behavioral Economics and Investor Protection: Reasonable Investors, Efficient Markets, 44 Loy. U. Chi. L.J. 1493, 1499 (2013). 243 Veil, in: Veil/EurKapR, § 6 Rn. 20.

B. Regelungsziele der MMVO und Theorien des Insiderrechts

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Lage, alle für ihre Entscheidung verfügbaren und relevanten Informationen aufzunehmen und zu verarbeiten.244 Folglich bewerten rationale Anleger auch Wertpapiere rational, nämlich anhand ihres wahren (fundamentalen) Wertes, da sie sich bei der Bewertung ausschließlich von rationalen Erwartungen und Erwägungen in Bezug auf Höhe und Risiko der zukünftigen Zahlungsströme leiten lassen.245 (2) Das Aggregationsargument Geht man mit der ECMH davon aus, dass an einem Markt Informationseffizienz herrscht und die Marktteilnehmer darüber hinaus alle dieselben und zutreffenden, weil rationalen Schlüsse ziehen, wäre die Fundamentalwerteffizienz die logische Konsequenz der Informationseffizienz. An einem realen Kapitalmarkt gibt es jedoch keinen Marktteilnehmer, der über alle Informationen verfügt und diese auch noch vollständig richtig versteht.246 Vielmehr gibt es Informationsasymmetrien, irrationale Entscheidungen und Fehleinschätzungen.247 Über diese Divergenz zwischen Theorie und Wirklichkeit hilft das „Aggregationsargument“ hinweg.248 Dieser Erklärungsansatz geht davon aus, dass die real gegebenen Abweichungen vom Ideal des vollinformierten und zutreffend, rational handelnden Marktteilnehmers zufällig verteilt sind und sich deshalb bei einer hinreichend großen Zahl an Marktteilnehmern gegenseitig aufheben.249 Folglich verstehen die einzelnen Marktteilnehmer im Aggregat, also als „Kapitalmarkt“, die gegebenen Informationen zutreffend und handeln rational, womit der reale Kapitalmarkt, trotz gegebener, unsystematischer Idealabweichungen fundamentalwerteffizient ist.250

244

Eidenmüller, JZ 2005, 216, 217. Shleifer, Inefficient Markets: An Introduction to Behavioral Finance, S. 2; Black, Behavioral Economics and Investor Protection: Reasonable Investors, Efficient Markets, 44 Loy. U. Chi. L.J. 1493, 1499 (2013); vgl. Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 17. 246 Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Vor Art. 7 Rn. 79. 247 Vgl. Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 130 ff. 248 Begriff bei Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 136 f. 249 Shleifer, Inefficient Markets: An Introduction to Behavioral Finance, S. 3; Rubinstein, Rational Markets: Yes or No? The Affirmative Case, 57 Fin. An. J. 15, 20 (2001); Black, Behavioral Economics and Investor Protection: Reasonable Investors, Efficient Markets, 44 Loy. U. Chi. L.J. 1493, 1499 (2013). 250 Vgl. Gilson/Kraakman, The Mechanisms of Market Efficiency, 70 Va. L. Rev. 549, 552 (1984): „What makes the ECMH non-trivial, of course, is its prediction that, even though information is not immediately and costlessly available to all participants, the market will act as if it were.“; Shleifer, Inefficient Markets: An Introduction to Behavioral Finance, S. 3. 245

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Kap. 1: Historische Entwicklung des Insiderrechts

(3) Das Arbitrageargument Das Aggregationsargument versagt allerdings dann, wenn es um systematische Abweichungen vom Ideal des Marktteilnehmers geht.251 An realen Kapitalmärkten gibt es einerseits eine Vielzahl von Akteuren, die losgelöst von rationalen Erwägungen und nicht am wahren Wert der Aktie orientiert handeln. Vielmehr treffen diese noise trader ihre Anlageentscheidung nach der jeweiligen Börsenstimmung.252 Treten sie in hinreichender Anzahl auf, beeinflussen sie die Kurse und entfernen diese von ihrem wahren Wert.253 Auf der anderen Seite gibt es allerdings auch eine Gruppe von Marktteilnehmern, die dem Ideal der ECMH weitgehend entspricht – man bezeichnet diese Marktteilnehmer als Arbitrageure.254 Wenn nun durch das Handeln der noise trader eine Differenz zwischen Aktienkurs und wahrem Wert des Finanzinstruments besteht (Arbitragemöglichkeit), ist stets ein Arbitrageur zur Stelle, der diese Arbitragemöglichkeit erkennt, realisiert und damit den Preis des Finanzinstruments wieder dem wahren Wert anpasst.255 dd) Die drei Varianten der ECMH Fama hat in seinem Werk von 1970 drei Varianten der Kapitalmarkteffizienz unterschieden, die bis heute in der Literatur vertreten werden: eine schwache (weak), eine halbstrenge (semi-strong) und eine strenge (strong) Variante.256 Dabei ist das Augenmerk bei der genaueren Untersuchung der drei Varianten darauf zu legen, ob die Varianten jeweils einen tragfähigen Grund für eine Insiderregulierung anbieten können.

251 Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 137. 252 Bak/Bigus, ZBB 2006, 430, 435; anschaulich ist die Formulierung bei Black, Noise, 41 J. Fin. 529, 531 (1986): „Noise trading is trading on noise as if it were information. People who trade on noise are willing to trade even though from an objective point of view they would be better off not trading. Perhaps they think the noise they are trading on is information. Or perhaps they just like to trade.“ 253 Bak/Bigus, ZBB 2006, 430, 435; Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 138; siehe aber auch Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Vor Art. 7 Rn. 80, der auf die Möglichkeit hinweist, dass sich die Einschätzungen der noise trader bereits gegenseitig ausgleichen und so ihr Einfluss auf den Preis bereits von vornherein minimiert wird. 254 Werden auch als Vertreter des smart money bezeichnet, siehe Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 137. 255 Vgl. Shleifer, Inefficient Markets: An Introduction to Behavioral Finance, S. 3 f.; Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Vor Art. 7 Rn. 70; Black, Behavioral Economics and Investor Protection: Reasonable Investors, Efficient Markets, 44 Loy. U. Chi. L.J. 1493, 1499 (2013). 256 Fama, Efficient Capital Markets: A Review of Theory and Empirical Work, 25 J. Fin. 383 (1970).

B. Regelungsziele der MMVO und Theorien des Insiderrechts

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(1) Schwache Variante Die schwache Form der ECMH besagt, dass der Kurs lediglich die historische Kursentwicklung widerspiegelt.257 Dies hat zur Folge, dass sich allein durch technische Analyse, also die rechnerische Auswertung von Aktienkursbewegungen, kein Informationsvorsprung erzielen lässt, da aus der historischen Kursentwicklung keine Prognose über die zukünftige Kursentwicklung getroffen werden kann (random walk hypothesis).258 Unter Ökonomen ist diese Variante heutzutage unumstritten.259 Für die in dieser Arbeit behandelte Problematik der Insiderregulierung ist die schwache Variante der ECMH allerdings nur von geringer Bedeutung, da ein Informationsvorsprung nicht nur durch Insiderinformationen, sondern zum Beispiel auch durch Fundamentalwertanalyse260 erlangt werden kann.261 Folglich lässt sich aus der schwachen Form der ECMH keine Notwendigkeit einer Insiderregulierung für einen effizienten Kapitalmarkt ableiten. (2) Halbstrenge Variante In ihrer halbstrengen Variante besagt die ECMH, dass der Aktienkurs alle öffentlich zugänglichen, gegenwärtigen und vergangenen Informationen widerspiegelt.262 Wenn man nun, wie die ECMH, davon ausgeht, dass der Markt diese Informationen nicht nur vollständig (Informationseffizienz), sondern auch inhaltlich korrekt (Allokationseffizienz) in den Kurs „einarbeitet“, ist die Konsequenz, dass sich auch durch Fundamentalwertanalyse keine höheren Ertragschancen ergeben – vielmehr lässt sich nur durch das Nutzen von Insiderinformationen ein Vorsprung gegenüber dem Markt erzielen.263 Mithin lässt sich aus dieser weitgehend anerkannten Variante der ECMH ein Grund für ein Verbot von Insidergeschäften ableiten. Informationshändler, die auf eigene Kosten nach fundamentalwertrelevanten Informationen suchen, haben 257

Fama, Efficient Capital Markets: A Review of Theory and Empirical Work, 25 J. Fin. 383 (1970); Gilson/Kraakman, The Mechanisms of Market Efficiency, 70 Va. L. Rev. 549, 555 (1984). 258 Fama, Random Walks in Stock-Market Prices, S. 7 f.: „Most simply the theory of random walks implies that series of stock price changes has no memory – the past history of the series cannot be used to predict the future in any meaningful way.“; Shleifer, Inefficient Markets: An Introduction to Behavioral Finance, S. 6; Tobin, On the Efficiency of the Financial System, 153 Lloyds Bank Rev. 1, 5 (1984). 259 Merkt, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, Rn. 1047. 260 Fundamentalwertanalyse meint die Analyse von Informationen über die Unternehmen, deren Papiere gehandelt werden (z. B. Jahresabschlüsse), vgl. Langenbucher, Aktien- und Kapitalmarktrecht, § 1 Rn. 28. 261 Vgl. Merkt, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, Rn. 1047. 262 Fama, Efficient Capital Markets: A Review of Theory and Empirical Work, 25 J. Fin. 383 (1970); Gilson/Kraakman, The Mechanisms of Market Efficiency, 70 Va. L. Rev. 549, 555 (1984). 263 Shleifer, Inefficient Markets: An Introduction to Behavioral Finance, S. 6.

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Kap. 1: Historische Entwicklung des Insiderrechts

grundsätzlich keine Möglichkeit an Insiderinformationen zu gelangen.264 Zudem können sie nicht unterscheiden, ob eine Kursbewegung durch Insiderhandel oder noise trading verursacht wurde.265 Für die Informationshändler besteht damit die Gefahr, dass sie das Handeln der Insider aufgrund einer Insiderinformation als noise trading einstufen und deshalb versuchen, die ihrer Ansicht nach entstandene Arbitragemöglichkeit zu nutzen.266 Wird die Insiderinformation dann publik, muss der Informationshändler feststellen, dass er einer Fehleinschätzung unterlag und einen Verlust hinnehmen. Verlieren die Informationshändler auf diese Weise systematisch und regelmäßig Geld an Insider, haben sie keinen Anreiz mehr nach neuen Informationen zu suchen oder ziehen sich komplett vom Markt zurück, was sich negativ auf die Informationslage am Markt auswirkt.267 Allgemein ausgedrückt, schlagen sich bei erlaubtem Insiderhandel nicht alle verfügbaren Informationen unverzüglich im Aktienkurs nieder oder es findet Aktienhandel zu Kursen statt, die nicht alle Informationen enthalten.268 Dadurch erlangen die Insider, die von diesem Informationsdefizit wissen, einen zu missbilligenden Profit auf Kosten der Outsider, was letztlich zu Lasten der Effizienz des Markts geht.269 (3) Strenge Variante Nach der strengen Variante der ECMH reflektiert der Kurs eines Finanzinstruments alle überhaupt verfügbaren Informationen, unabhängig davon, ob es sich um öffentlich zugängliche Informationen oder Insiderinformationen handelt.270 An einem streng effizienten Kapitalmarkt hat also auch der Insider keinen Vorsprung mehr gegenüber dem Markt, womit auch Insiderhandel keinen ertragreichen Nutzen mehr bringt.271 Weitere unmittelbare Folge der strengen Variante ist die Nichtvorhersagbarkeit der zukünftigen Kursentwicklung (random walk).272 264

Vgl. Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Vor Art. 7 Rn. 110. Goshen/Parchomovsky, The Essential Role of Securities Regulation, 55 Duke L.J. 711, 733 (2006). 266 Goshen/Parchomovsky, The Essential Role of Securities Regulation, 55 Duke L.J. 711, 733 f. (2006); Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Vor Art. 7 Rn. 110. 267 Fishman/Hagerty, Insider trading and the efficiency of stock prices, 23 RAND J. Econ. 106, 107 ff. (1992); Goshen/Parchomovsky, The Essential Role of Securities Regulation, 55 Duke L.J. 711, 733 f. (2006); Klöhn, ZHR 177 (2013) 349, 372 ff. 268 Fishman/Hagerty, Insider trading and the efficiency of stock prices, 23 RAND J. Econ. 106, 107 ff. (1992). 269 Vgl. Merkt, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, Rn. 1046; Fishman/Hagerty, Insider trading and the efficiency of stock prices, 23 RAND J. Econ. 106, 107 ff. (1992); zur Kritik, wonach Insiderhandel sogar die Markteffizienz fördere siehe sogleich unter III.2. 270 Fama, Efficient Capital Markets: A Review of Theory and Empirical Work, 25 J. Fin. 383 (1970). 271 Vgl. Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 95. 265

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Der strengen Variante der ECMH wird allerdings entgegengehalten, dass es nach ihr an einem Anreiz fehle, um nach Informationen zu suchen und auszuwerten, da diese kostenlos dem Preis entnommen werden könnten. Die Kursbildung ist aber gerade von diesem Informationsfluss in den Markt abhängig, womit an einem rein preisorientierten Markt der Preis seine Aussagekraft verliert (Informationsparadoxon).273 Gleichzeitig wurde die starke Form auch teilweise widerlegt, da empirisch nachgewiesen werden konnte, dass durch Insiderwissen ein überdurchschnittlicher Gewinn zu erzielen ist, was die Schlussfolgerung nahelegt, dass die Insiderinformation doch noch keinen Niederschlag im Kurs gefunden hat.274 b) Behavioral Finance aa) Kritik der Behavioral Finance an der ECMH Die ECMH galt zeitweise als nahezu unantastbar.275 Ausgehend von der halbstrengen Variante der ECMH und den Annahmen auf denen sie basiert, hat sich jedoch seit einigen Jahren eine Strömung entwickelt, die diese „Unantastbarkeit“ zunehmend in Frage stellt. Diese Strömung wird gemeinhin als Behavioral Finance (verhaltenswissenschaftliche Kapitalmarktforschung) bezeichnet.276 Genauer ausgedrückt, handelt es sich dabei um einen auf kognitionspsychologische Forschungsergebnisse gründenden Versuch, den Annahmedreiklang der ECMH zu widerlegen.277

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Langenbucher, Aktien- und Kapitalmarktrecht, § 1 Rn. 28. Grossman/Stieglitz, Information and Competitive Price Systems, 66 Am. Econ. Rev. 246, 250 (1976): „This paradox can be put another way. If the market aggregated their information perfectly, individuals’ demands would not be based on their own information, but then, how would it be possible for markets to aggregate information perfectly?“; siehe auch Grossman/Stieglitz, On the Impossibility of Informationally Efficient Markets, 70 Am. Econ. Rev. 393 (1980). 274 Shleifer, Inefficient Markets: An Introduction to Behavioral Finance, S. 7; Merkt, USamerikanisches Gesellschaftsrecht, Rn. 1049. 275 Jensen, Some Anamalous Evidence Regarding Market Efficiency, 6 J. Fin. Econ. 95, 96 (1978): „In the literature of finance, accounting, and the economics of uncertainty, the Efficient Market Hypothesis is accepted as a fact of life, and a scholar who purpots to model behavior in a manner which violates it faces a difficult task of justification.“; Gilson/Kraakman, The Mechanisms of Market Efficiency, 70 Va. L. Rev. 549 (1984): „Of all recent developments in financial economics, the efficient capital market hypothesis (,ECMH‘) has achieved the widest acceptance by the legal culture.“; vgl. auch Sester, ZGR 2009, 310, 323. 276 Zum Begriff siehe Fleischer, in: FS Immenga, S. 575; Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 141 ff. 277 Grundlegend sind die Arbeiten von Daniel Kahneman und Amos Tversky, siehe z. B.: Kahneman/Tversky, On The Psychology of Prediction, 80 Psychological Rev. 237 ff. (1973); Kahneman/Tversky, Prospect Theory: An Analysis of Decision under Risk, 47 Econometrica 263 ff. (1979). 273

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(1) Verhaltensanomalien Die erste Annahme auf der die ECMH basiert, ist das Leitbild des rationalen Anlegers (Homo Oeconomicus). Den Vertretern der Behavioral Finance ist es jedoch in zahlreichen Studien gelungen, Verhaltensanomalien festzustellen, die mit dem Leitbild des rational handelnden Anlegers in Widerspruch stehen.278 Zu diesen nachgewiesenen Verhaltensanomalien gehören etwa zu langes Festhalten an verlustbringenden und zu frühes Veräußern von gewinnbringenden Finanzinstrumenten (disposition effect),279 Überschätzung der eigenen Fähigkeiten zu verlässlicher Prognose (overconfidence),280 Überbewertung von Informationen, die das eigene Vorverständnis bestätigen (anchoring),281 Bevorzugung des Heimatstaates als Anlagemarkt (home bias)282 und Herdenverhalten (herding).283 Ein Hauptgrund für das Auftreten dieser Verhaltensanomalien wird in der generellen Unfähigkeit der Marktteilnehmer gesehen, sich bei wirtschaftlichen Entscheidungen dem Einfluss ihrer Emotionen zu entziehen.284 (2) Systematische Abweichungen vom Leitbild des rationalen Anlegers Die Forschungsergebnisse der Behavioral Finance erschöpfen sich jedoch nicht mit der Feststellung von Verhaltensanomalien, die das Leitbild des rationalen Anlegers in Frage stellen. Vielmehr gelangen die Vertreter darüber hinaus zu der These, dass die Abweichungen vom Ideal des rationalen Anlegers nicht immer zufällig verteilt sind (wovon aber das Aggregationsargument ausgeht), sondern es systematische Trends gibt, die die Börsenkurse extrem vom wahren Wert entfernen

278 Black, Behavioral Economics and Investor Protection: Reasonable Investors, Efficient Markets, 44 Loy. U. Chi. L.J. 1493, 1496 (2013); Veil, in: Veil/EurKapR, § 6 Rn. 21; Eidenmüller, JZ 2005, 216, 218. 279 Shefrin/Statman, The Disposition to Sell Winners Too Early and Ride Losers Too Long: Theory and Evidence, 40 J. Fin. 777 ff. (1985). 280 Odean, Do Investors Trade Too Much?, 89 Am. Econ. Rev. 1279, 1280 ff. (1999); Daniel/Hirshleifer/Subrahmanyam, Investor Psychology and Security Market Under- and Overreactions, 53 J. Fin. 1839, 1844 f. (1998); Eidenmüller, JZ 2005, 216, 218. 281 Tversky/Kahneman, Judgment under Uncertainty: Heuristics and Biases, 185 Science 1124, 1128 ff. (1974); Veil, in: Veil/EurKapR, § 6 Rn. 22. 282 Daniel/Hirshleifer/Hong, Investor psychology in capital markets: evidence and policy implications, 49 J. Mon. Econ. 139, 144 (2002); Lütje/Menkhoff, What drives home bias? Evidence from fund managers’ views, 12 Int. J. Fin. & Econ. 21 ff. (2007). 283 Olsen, Implications of Herding Behavior for Earnings Estimation, Risk Assessment, and Stock Returns, 52 Fin. An. J. 37 ff. (1996). 284 Daniel/Hirshleifer/Hong, Investor psychology in capital markets: evidence and policy implications, 49 J. Mon. Econ. 139, 144 (2002): „Feeling or emotion-based judgments can explain mood effects […], certain kinds of attribution errors […], and problems of self-control […].“

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können.285 Einem fundamentalwerteffizienten Markt im Sinne der ECMH steht diese Annahme unvereinbar entgegen. (3) Limits of arbitrage Ferner richtet sich die Kritik der Behavioral Finance auch gegen das Arbitrageargument. So wird angenommen, dass die Arbitrageure nicht dauerhaft die sich durch die noise trader bietenden Arbitragemöglichkeiten wahrnehmen können oder wollen.286 Gestützt wird diese Annahme dabei auf zwei Risiken, denen sich Arbitrageure ausgesetzt sehen und die deshalb der Arbitrage Grenzen setzten (limits of arbitrage).287 Zum einen wird das fundamentale Risiko (fundamental risk) genannt. Gemeint ist damit das Risiko, dass ein Ereignis auftritt, welches den zumindest geglaubten zu hohen oder zu niedrigen Kurs nachträglich rechtfertigt.288 Auf die Arbitrage hat dieses fundamentale Risiko keinen Einfluss, solange ein perfektes Substitut289 vorhanden ist, welches die Arbitrage risikolos werden lässt.290 Allerdings gibt es meistens solch ein perfektes Substitut gerade nicht.291 Der Arbitrageur kauft oder verkauft die Aktien folglich lediglich in der Hoffnung, dass sich der Kurs wieder seinem wahren Wert anpasst, womit die Arbitrage gerade nicht mehr risikolos ist und damit der Einfluss von risikoaversen Arbitrageuren begrenzt wird.292 Zum anderen besteht für Arbitrageure die Gefahr, dass der Einfluss der noise trader erhalten bleibt und der Kurs sich noch weiter vom wahren Wert distanziert 285 Shleifer, Inefficient Markets: An Introduction to Behavioral Finance, S. 12: „The psychological evidence shows precisely that people do not deviate from rationality randomly, but rather most deviate in the same way.“; Fleischer, in: FS Immenga, S. 575, 577 f.; vgl. auch Hirshleifer, Investor Psychology and Asset Pricing, 56 J. Fin. 1533, 1540 ff. (2001). 286 Vgl. Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Vor Art. 7 Rn. 82. 287 Shleifer/Summers, The Noise Trader Approach to Finance, 4 J. Econ. Persp. 19, 21 (1990); vgl. auch Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 148 ff. 288 Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 148 ff.; Shleifer/Summers, The Noise Trader Approach to Finance, 4 J. Econ. Persp. 19, 21 (1990). 289 Vgl. die Definition bei Sharpe/Alexander, Investments, 1990: „[Arbitrage is] the simultaneous purchase and sale of the same, or essentially similar, security in two different markets at advantageously different prices.“ 290 Beispiel: Aktie A ist unterbewertet und wird erworben. Existiert eine Aktie B, dessen Fundamentalwert sich für alle möglichen zukünftigen Ereignisse genau gleich entwickelt, wie der Fundamentalwert von A, so ließe sich durch einen Leerverkauf von B das fundamentale Risiko beseitigen; siehe auch Shleifer/Summers, The Noise Trader Approach to Finance, 4 J. Econ. Persp. 19, 20 (1990): „When the substitute is indeed perfect, this arbitrage is riskless.“ 291 Vgl. Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 149. 292 Shleifer/Summers, The Noise Trader Approach to Finance, 4 J. Econ. Persp. 19, 21 (1990).

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(noise trader risk).293 Für einen Arbitrageur mit unendlich weitem Anlagehorizont oder unendlichen finanziellen Möglichkeiten ist dieses noise trader risk kaum relevant. Allerdings zeigt sich auch hier in der Realität ein anderes Bild. Der Arbitrage liegt in der Regel ein eher kurzer Realisationshorizont zugrunde und auch die finanziellen Mittel sind endlich.294 Vergrößert sich somit mittel- oder langfristig die Lücke (spread) zwischen aktuellem Kurs und wahrem Wert, kann der Arbitrageur gezwungen sein, seine Position unter Inkaufnahme großer Verluste zu liquidieren.295 Sehen Arbitrageure dieses Risiko, unterlassen sie von vornherein die Arbitrage, welcher auch dadurch Grenzen hinsichtlich der Preisbildung am Markt gesetzt sind.296 Im extremsten Fall sorgt die durch die limits of arbitrage hervorgerufene, übermäßige Volatilität der Kurse sogar dafür, dass sich die Arbitrageure auf die Seite der noise trader schlagen und versuchen die gesetzten Börsentrends gewinnbringend auszunutzen (behavioralistische Arbitrage), anstatt ihre Arbitragestrategie an einer Rückkehr des Börsenkurses zu seinem wahren Wert auszurichten.297 Folge dieser behavioralistischen Arbitrage ist, dass sich die Kurse immer weiter von ihrem wahren Wert entfernen und der Markt folglich nicht fundamentalwerteffizient ist.298 bb) Kritik an der Behavioral Finance Die Behavioral Finance Bewegung greift jedoch nicht nur die ECMH und deren Grundannahmen an, sondern ist auch selbst Zielscheibe von Kritik. So wird ihr vorgeworfen, dass ihre Ergebnisse in laborartigen und untypischen Versuchsrahmen gewonnen werden und daher nur schwerlich auf die reale Welt übertragen werden könnten.299 Zudem seien die Experimente gerade so gestaltet, um Fehlverhalten und 293 Shleifer/Summers, The Noise Trader Approach to Finance, 4 J. Econ. Persp. 19, 21 (1990): „As long as the arbitrageur is thinking of liquidation his position in the future, he must bear the risk that at that time stocks will be even more overpriced than they are today.“; Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 150. 294 Vgl. Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 150. 295 Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 150. 296 Shleifer/Vishny, The Limits of Arbitrage, 52 J. Fin. 35, 37 (1997). 297 DeLong/Shleifer/Summers/Waldmann, Noise Trader Risk in Financial Markets, 98 J. Pol. Econ. 703, 727 f. (1990): „[…] we anticipate that many sophisticated investors will try to ,guess better than the crowd how the crowd will behave‘ rather than pursue contrarian longterm arbitrage.“; Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 152 f. 298 Vgl. Adolff, Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, S. 153; Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Vor Art. 7 Rn. 82. 299 Posner, Rational Choice, Behavioral Economics, and the Law, 50 Stan. L. Rev. 1551, 1570 (1998); Arlen, The Future of Behavioral Economic Analysis of Law, 51 Vand. L. Rev. 1765, 1777 (1998).

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Irrationalitäten bei den Teilnehmern hervorzurufen.300 Darüber hinaus würden bei der Analyse der gewonnenen Ergebnisse mögliche Lerneffekte, wie sie in der Realität bei Fehlern auftreten können, außer Betracht gelassen.301 Letztlich stehen die Ergebnisse der Behavioral Finance vor der gleichen Problematik wie die Aussagen der ECMH – nämlich der Frage, welche Gültigkeit die in Modellversuchen gewonnenen Erkenntnisse in Bezug auf die Wirklichkeit besitzen. Ihr größter Schwachpunkt ist aber wohl, dass es ihr bisher nicht gelungen ist, ein eigenständiges, in sich stimmiges, alternatives Kapitalmarktmodell auf Grundlage des menschlichen Verhaltens zu präsentieren, das verlässliche Aussagen liefert und von all ihren Vertretern anerkannt wird.302 c) Zwischenfazit Die ECMH ist, mit ihren drei von Fama geprägte Varianten, ein bis heute in der Literatur kontrovers diskutiertes Kapitalmarktmodell. In ihrer am häufigsten vertretenen halbstrengen Variante gibt sie dabei eine Antwort auf die Frage, warum eine Insiderregulierung für einen Kapitalmarkt essentiell ist: Insiderhandel beeinträchtigt die Effizienz der Kapitalmärkte. Der Annahmedreiklang auf dem die ECMH basiert und insbesondere das Aggregations- und Arbitrageargument stützen dabei zumindest die theoretische Plausibilität der ECMH, indem sie dafür sorgen, dass sich real vorhandene Abweichungen von den Modellvorstellungen der ECMH dennoch mit dieser vereinbaren lassen. Durch das Aufkommen der Behavioral Finance und deren Nachweise über eine Vielzahl an systematischen Verhaltensanomalien bei den Anlegern ist der Annahmedreiklang der ECMH stark erschüttert worden. Das Hinterfragen der Grundannahmen der ECMH war dabei bisher auch das Hauptaugenmerk der Behavioral Finance. Trotz ihrer Erfolge gegenüber der ECMH, sieht sich auch die Behavioral Finance Kritik ausgesetzt, allem voran, dass es ihr bisher nicht gelungen ist, ein eigenes, alternatives und umfassendes Kapitalmarktmodell zu entwickeln. Die Frage, die sich damit letztlich stellt, ist die nach der Verwendbarkeit der Erkenntnisse der Behavioral Finance auf kapitalmarktrechtlicher Ebene. Klar dürfte sein, dass die ECMH in ihrer halbstrengen Form, trotz aufgezeigter Schwächen, weiterhin ihre Gültigkeit und Legitimität besitzt. Gleichzeitig können die Erkenntnisse der Behavioral Finance nicht einfach außen vor gelassen werden. Es bietet sich daher an, 300 Mitchell, Taking Behavioralism Too Seriously – The Unwarranted Pessimism of the New Behavorial Analysis of Law, 43 Wm. & Mary L. Rev. 1907, 1971 ff. (2002). 301 Mitchell, Taking Behavioralism Too Seriously – The Unwarranted Pessimism of the New Behavorial Analysis of Law, 43 Wm. & Mary L. Rev. 1907, 1977 ff. (2002); Arlen, The Future of Behavioral Economic Analysis of Law, 51 Vand. L. Rev. 1765, 1777 (1998). 302 Vgl. Arlen, The Future of Behavioral Economic Analysis of Law, 51 Vand. L. Rev. 1765, 1777 (1998).

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die Erkenntnisse bei der Auslegung des geltenden Rechts fruchtbar zu machen und zwar insbesondere dann, wenn dabei menschliche Verhaltensweisen eine Rolle spielen.303 Einfallstor sind dabei unbestimmte Rechtsbegriffe, wobei sich im Rahmen der MMVO eine Berücksichtigung bei der Auslegung des Begriffs des „verständigen Anlegers“ (Art. 7 Abs. 4 MMVO)304 besonders anbietet.305

III. Kritik an Insiderregulierung Anders als die Behavioral Finance, deren Kritik sich hauptsächlich gegen die Modellvorstellungen der ECMH richtet, gibt es insbesondere unter Ökonomen zahlreiche Stimmen, die sich gänzlich gegen eine Insiderregulierung aussprechen. Den Beginn dieser generellen Kritik an einer Insiderregulierung markieren die beiden Publikationen „Insider Trading and the Stock Market“306 und „In Defense of Insider Trading“307 von Henry Manne aus dem Jahr 1966.308 Hierin führt Manne insbesondere zwei zentrale Argumente gegen eine Insiderregulierung an: Insiderhandel und die damit erzielbaren Gewinne würden einen Leistungsanreiz für die Unternehmensleitung darstellen (1.) und Insiderhandel führe zu einer schnelleren Einarbeitung von Informationen in den Kurs und fördere damit die Effizienz der Kapitalmärkte (2.). Dass beide Ansätze dabei nicht überzeugen können, zeigt die nachfolgende Darstellung. 1. Insiderhandel und -gewinne als Leistungsanreiz für die Unternehmensleitung Das erste Argument von Manne basiert auf folgender Grundüberlegung: Die Unternehmensleitung braucht einen Leistungsanreiz, um das Unternehmen nach vorne zu bringen, anstatt dieses nur zu verwalten.309 Hierfür soll die Unternehmensleitung die Möglichkeit erhalten, durch Insiderhandel selbstgeschaffene, positive Nachrichten am Kapitalmarkt gewinnbringend auszunutzen.310 Dies setzt 303

Vgl. Veil, in: Veil/EurKapR, § 6 Rn. 28. Ausführlich zum „verständigen Anleger“ unten Kapitel 5, A.II.4. 305 Vgl. Veil, in: Veil/EurKapR, § 6 Rn. 28; Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Vor Art. 7 Rn. 83. 306 Manne, Insider Trading and the Stock Market, 1966. 307 Manne, In Defense of Insider Trading, 44 Harvard Bus. Rev. 113 ff. (1966). 308 Hopt, AG 1995, 353, 354; Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Vor Art. 7 Rn. 93. 309 Manne, Insider Trading and the Stock Market, 1966, S. 133: „But what incentive does he [the entrepreneur] have to perform the unusual or to revolutionize a company or an industry? Without some special device, the entreprenuer cannot in any meaningful sense market his service to a large corporation.“ 310 Vgl. Manne, Insider Trading and the Stock Markte, 1966, S. 138: „Insider trading meets all the conditions for appropriately compensating entrepreneurs. It readily allows corporate entrepreneurs to market their innovations.“ 304

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voraus, dass sich die positiven Nachrichten noch nicht im Kurs niedergeschlagen haben. Damit besteht für die Unternehmensleitung eine große Motivation für Weiterentwicklung und Innovation, da so am besten positive Informationen geschaffen werden können, die dem Markt noch fremd sind und sich folglich gewinnbringend ausnutzen lassen.311 Die agency theory griff diesen Ansatz von Manne auf und sprach sich dafür aus, dass vertragliche Vereinbarungen zwischen principal und agent über das Ausnutzen von Insiderinformationen zulässig sein sollten312 – als Teil eines Anreiz- und Belohnungssystems.313 Von diesem System würden letztlich beide Seiten profitieren, da der agent durch Insidergeschäfte seine Belohnung selbst steuern kann und der principal nur ein geringes festes Gehalt zu zahlen braucht, wobei gleichzeitig auch die Motivation des agent zur besseren Leistung für den principal von Vorteil ist.314 Gegen diese Argumentation pro Insiderhandel zugunsten von Leistungsanreizen hat sich eine breite Front an Gegenstimmen und -argumenten gebildet.315 So wird vorgebracht, dass der agent nicht nur von positiven, sondern genauso von negativen Nachrichten profitieren kann, was im Extremfall sogar dazu führen kann, dass der agent schlechte Nachrichten kreiert316 oder falsche Nachrichten verbreitet – er letztlich also selbst aus seinem Missmanagement Profit schlägt.317 Darüber hinaus kann der agent einen Anreiz haben, riskante Geschäfte, die zwar in seinem Interesse aber nicht im Interesse der Gesellschaft und der Aktionäre sind, zu tätigen oder allgemein, vor allem in Zeiten schlechter Entwicklung, sich mehr um seine Insidergeschäfte als um seine eigentliche Tätigkeit beim principal zu kümmern, um so möglichst viel Gewinn zu machen oder Verluste zu minimieren.318 Beide Seiten argumentieren mithin mit Verhaltensweisen des agent, wenn diesem Insiderhandel erlaubt wäre. Während Manne von positiven Folgen für das Unter311 Vgl. Carlton/Fischel, The Regulation of Insider Trading, 35 Stan. L. Rev. 857, 870 f. (1983); auch Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Vor Art. 7 Rn. 103. 312 Carlton/Fischel, The Regulation of Insider Trading, 35 Stan. L. Rev. 857, 866 (1983): „[…] firms should nonetheless be able to opt out of the regulations if they so desire. No justification exists for precluding firms from contracting around a regulatory prohibition of insider trading.“ 313 Hopt, AG 1995, 353, 355; Mennicke, in: Fuchs/WpHG, Vor §§ 12 – 14 Rn. 103. 314 Hopt, AG 1995, 353, 355 f. 315 Vorliegend werden nur einige wenige Argumente genannt. Ausführlich hierzu Hopt, AG 1995, 353, 355 ff.; Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Vor Art. 7 Rn. 108 ff. 316 Easterbrook/Fischel, The Economic Structure of Corporate Law, S. 260. 317 Vgl. Levmore, Securities and Secrets: Insider Trading and the Law of Contracts, 68 Va. L. Rev. 117, 149 (1982): „[…] an insider can profit from a decrease in the firm’s stock price as well as an increase; the temptation of profit might actually encourage an insider to act against the corporation’s interest.“; Cox, Insider Trading and Contracting: A Critical Response to the „Chicago School“, 1986 Duke L.J. 628, 651 (1986); Ott/Schäfer, ZBB 1991, 226, 231 ff. 318 Vgl. Carlton/Fischel, The Regulation of Insider Trading, 35 Stan. L. Rev. 857, 875 f. (1983); Hopt, AG 1995, 353, 356.

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Kap. 1: Historische Entwicklung des Insiderrechts

nehmen ausgeht, sehen die Kritiker die Gefahr, dass der agent nur in seinem Interesse handelt und die Unternehmens- und Aktionärsinteressen ignoriert. Die Meinungen bewegen sich dabei auf rein subjektiver Ebene des agent, womit sich kaum nachprüfen lässt, welche Ansicht zutreffend ist, vor allem deswegen nicht, weil die Verhaltensweisen von agent zu agent auch unterschiedlich sein dürften. Folglich neutralisieren sich die Meinungen in dieser Hinsicht.319 Das Hauptproblem der principal-agent-Argumentation und letztlich der Grund, warum sie nicht überzeugen kann, ist dann auch objektiver Natur, nämlich die Tatsache, dass sie sich zu sehr auf gesellschaftsrechtlicher Ebene bewegt. Die Argumentation schaut isoliert auf das gesellschaftsrechtliche Verhältnis zwischen principal und agent, ohne dabei Kapitalmarktprozesse miteinzubeziehen, die jedoch beim Thema Insiderhandel unabdingbar sind.320 Die Schwächen seines Ansatzes hat Manne bereits selbst eingeräumt.321 2. Insiderhandel als Förderung der Kapitalmarkteffizienz Die zweite These von Manne bezieht sich auf die Kapitalmarkteffizienz. Insiderhandel soll zur Bildung des wahren Kurses eines Finanzinstruments beitragen, da durch den Insiderhandel der Kurs schon vor der Veröffentlichung der Information die richtige Tendenz bekommt, die insbesondere durch das typische Nachziehen322 anderer Marktteilnehmer zustande kommt.323 Folge sei ein richtigerer Börsenkurs als ohne Insiderhandel und damit ein effizienterer Kapitalmarkt.324 Auch dieser Ansatz erfährt in der Literatur starken Gegenwind,325 wobei jedoch selbst die Gegner eingestehen, dass der Ansatz zumindest theoretisch plausibel ist.326 Sie bejahen auch das grundsätzliche Vorhandensein des angeführten Nachzieheffekts, bestreiten aber, dass 319 Vgl. Hopt, AG 1995, 353, 361, der sogar davon spricht, dass die „principal-agent-Argumente“ von u. a. moral hazard und perverse incentive „mehr als aufgewogen [werden]“. 320 Hopt, AG 1995, 353, 356 f.; Mennicke, in: Fuchs/WpHG, Vor §§ 12 – 14 Rn. 104. 321 Manne, Insider Trading: Hayek, Virtual Markets, and the Dog that Did Not Bark, 31 J. Corp. L. 167, 170 f. (2005): „My second ,positive‘ argument for insider trading, that it could perform well as a part of an executive compensation package, has been the more forcefully attacked, and it is perhaps less robust than I and other proponents had originally assumed.“ 322 Vgl. im Englischen trade decoding und price decoding, etwa Gilson/Kraakman, The Mechanisms of Market Efficiency, 70 Va. L. Rev. 549, 572 ff. (1984). 323 Manne, Insider Trading and the Stock Market, 1966, S. 80 ff.; auch Carlton/Fischel, The Regulation of Insider Trading, 35 Stan. L. Rev. 857, 868 (1983), die jedoch auch anmerken, dass bei getarntem Handel weniger Informationen offengelegt werden; Hopt, AG 1995, 353, 357 f. 324 Ott/Schäfer, ZBB 1991, 226, 234; Mennicke, in: Fuchs/WpHG, Vor §§ 12 – 14 Rn. 107. 325 Ausführlich hierzu Prentice/Donelson, Insider Trading as a Signaling Device, 47 Am. Bus. L.J. 1 ff. (2010); vgl. auch Mendelson, The Economics of Insider Trading Reconsidered, 117 U. Pa. L. Rev. 470, 477 (1969): „[…] there is no reason to believe that the improvement in market pricing will exceed the impairment resulting from delay.“ 326 Siehe etwa Hopt, AG 1995, 353, 357; Mennicke, in: Fuchs/WpHG, Vor §§ 12 – 14 Rn. 108.

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dieser hinreichend stark und schnell ist, um die Kapitalmarkteffizienz tatsächlich zu steigern.327 Begründet wird dies damit, dass für die anderen Marktteilnehmer nur sehr schwer erkennbar sein dürfte, ob die Kursänderung gerade auf Insiderhandel oder auf sonstige Faktoren zurückzuführen ist.328 Erschwerend kommt nach den Kritikern hinzu, dass die Insider ihre privilegierte Stellung zu maximalem Profit ausnutzen wollen und daher versuchen, ihr Wissen möglichst lange vor dem Markt zu verbergen und unbemerkt zu handeln (stealth trading).329 Konsequenz ist, dass keine Steigerung der Effizienz eintritt, da Informationen gezielt vor dem Markt zurückgehalten werden und ein Nachziehen aufgrund fehlender Signale (nahezu) unmöglich ist für die anderen Marktteilnehmer. Das Argument leidet insgesamt darunter, dass es den Blick zu stark auf die Effizienz der Kapitalmärkte verschiebt, ohne dabei die Nachteile von Insiderhandel für die Anleger und den Markt zu berücksichtigen. Insiderhandelsverbote in Verbindung mit einer Ad-hoc-Publizitätspflicht sind daher die ausgewogenere und folglich vorzugswürdige Lösung.330 Denn bei einer Ad-hoc-Publizitätspflicht wird die kursrelevante Information durch eine direkte Mitteilung an die Öffentlichkeit publik gemacht, wohingegen bei Insiderhandel die Informationen versteckt, durch etwaige Kursausschläge, die erst interpretiert werden müssen, „mittgeteilt“ werden.331 Mennicke hat folglich Recht, wenn sie anführt, dass durch eine Ad-hoc-Publizitätspflicht die Kapitalmarkteffizienz „schneller“ und „wirkungsvoller“ erreicht werden kann.332 Dies unterstützend, kommen ökonomische Studien zu dem Ergebnis, dass sich Insiderregelungen positiv auf die Kapitalmarkteffizienz auswirken,333 was den Schluss zulässt, dass Insiderhandel die Effizienz der Märkte nicht, wie Manne argumentiert, erhöht, sondern im Gegenteil sogar senkt, womit auch Mannes zweites Argument widerlegt wäre.

327 Hopt, AG 1995, 353, 357; Mennicke, in: Fuchs/WpHG, Vor §§ 12 – 14 Rn. 109; vgl. auch Gilson/Kraakman, The Mechanisms of Market Efficiency, 70 Va. L. Rev. 549, 572 ff. (1984). 328 Mennicke, in: Fuchs/WpHG, Vor §§ 12 – 14 Rn. 109. 329 Ott/Schäfer, ZBB 1991, 226, 234; Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Vor Art. 7 Rn. 109, 119; vgl. auch Fenn/McGuire/Prentice in Hopt/Wymeersch, S. 3, 7. 330 Pananis, Insidertatsache und Primärinsider, S. 16 f.; Mennicke, in: Fuchs/WpHG, Vor §§ 12 – 14 Rn. 112. 331 Vgl. Lücker, Der Straftatbestand des Mißbrauchs von Insiderinformationen, S. 18; Pananis, Insidertatsache und Primärinsider, S. 16. 332 Mennicke, in: Fuchs/WpHG, Vor §§ 12 – 14 Rn. 112. 333 Siehe Beny, Insider Trading Laws and Stock Markets Around the World: An Empirical Contribution to the Theoretical Law and Economics Debate, 32 J. Corp. L. 237 ff. (2007); auch Fernandes/Ferreira, Insider Trading Laws and Stock Price Informativeness, 22 Rev. Fin. Stu. 1845 ff. (2009), die den positiven Effekt von Insiderregulierung auf den Kapitalmarkt zumindest in entwickelten Kapitalmärkten feststellen, z. B. S. 1848: „The positive response of price informativeness to the enforcement of insider trading laws is concentrated in countries with a strong macro infrastructure in terms of the efficiency of the judicial system, investor protection, and financial reporting.“

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Kap. 1: Historische Entwicklung des Insiderrechts

3. Fazit Stimmen gegen eine Insiderregulierung gibt es trotz der Widerlegbarkeit von Mannes zwei Hauptargumenten dennoch bis heute und wird es wahrscheinlich auch immer geben. Die vorstehenden Ausführungen haben jedoch klar gezeigt, dass eine Insiderregulierung vorzugswürdig ist. Für die Bewertung einer Insiderregulierung ist die Frage nach dem „Ob“ allerdings nur eine notwendige Vorstufe. Viel größere Bedeutung kommt hier der Art und Weise – also der Frage nach dem „Wie“ – der Regulierung zu. Insiderregulierung darf es nicht nur um ihrer selbst willen geben, sondern sie muss eine sinnvolle, verständliche und an den Problemen orientierte Ausgestaltung erfahren, die es dem Rechtsanwender ermöglicht, seine Rechte und Pflichten zu erkennen und sein Handeln daran auszurichten. Ob die Insiderregulierung der MMVO diese Anforderungen erfüllt, wird im fünften Kapitel ausführlich untersucht.

Kapitel 2

Grundzüge des US-amerikanischen Insiderrechts und vergleichende Darstellung der Insiderrechte von Frankreich und des Vereinigten Königreichs unter der MMRL Durch die MMVO verändert sich nicht nur das deutsche Insiderrecht, sondern auch das Insiderrecht aller anderen europäischen Länder. Die Pionierarbeit in Sachen Insiderregulierung wurde jedoch nicht in Europa, sondern in Amerika geleistet. Dementsprechend diente das Insiderrecht der USA auch oftmals als Vorbild für die europäische Gesetzgebung. In diesem Kapitel werden daher die Entwicklung und der Status quo des amerikanischen Insiderrechts dargestellt (A.). Dies soll als Grundlage dienen, um bei der Untersuchung der einzelnen Normen der MMVO an passenden Stellen wieder auf das amerikanische Insiderrecht zurückgreifen zu können. Der Zweck dieser späteren vergleichenden Betrachtung liegt zum einen darin, eine etwaige Vorbildrolle des amerikanischen Insiderrechts auch für die MMVO auszumachen und zu bewerten und zum anderen in der Frage, ob die im US-amerikanischen Insiderrecht angebotenen Lösungen auch eine Antwort auf parallele Probleme in der MMVO sein können. Im zweiten Teil wird sich dieses Kapitel vergleichend mit dem aufsichtsrechtlichen Insiderregime anderer europäischer Länder, namentlich Frankreich und Vereinigtes Königreich, unter der MMRL befassen (B.). Ausgehend von ausgewählten Vergleichspunkten – Insiderverbote, Ad-hoc-Publizität und aufsichtsrechtliche Sanktionen bei Insiderverstößen – und unter vergleichendem Rückgriff auf die entsprechenden deutschen Insiderregelungen nach dem WpHG a.F. soll herausgearbeitet werden, wie unterschiedlich die Rechtspraxis in den Mitgliedsstaaten tatsächlich war und welche Ursachen diese Divergenzen hatten. Dieser Aspekt wurde sowohl im Abschlussbericht der De-Larosière-Gruppe als ein Hauptproblem unter der MMRL ausgemacht334 als auch vom europäischen Gesetzgeber in den Erwägungsgründen als ein Grund für den Erlass der MMVO angeführt.335 Ziel soll es sein, konkret herauszuarbeiten, wo die Reform durch die MMVO ansetzen müsste, um zu den bezweckten Verbesserungen zu führen.

334 335

Siehe oben Kapitel 1, A.IV. Erwägungsgründe 3 – 5 MMVO.

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Kap. 2: Grundzüge des US-amerikanischen Insiderrechts und MMRL

A. Grundzüge des US-amerikanischen Insiderrechts I. Einzelstaatliches Common Law Bevor es zu einer bundesgesetzlichen Regelung kam, spielte hinsichtlich der Insiderregulierung das einzelstaatliche common law, was vor allem im 19. Jahrhundert größtenteils Richterrecht war, eine bedeutende Rolle.336 Insiderhandel wurde dabei vor dem Grundsatz caveat emptor (let the buyer beware) gesehen.337 Danach war jeder für seine Belange selbst verantwortlich und keiner durfte darauf vertrauen, dass ihn der Transaktionspartner vor den Folgen seiner eigenen Fehler oder Sorglosigkeit bewahrt.338 Mit anderen Worten: Keiner hatte grundsätzlich eine Pflicht den anderen über sein Insiderwissen aufzuklären. Dementsprechend unterlag der Insider auch keiner deliktsrechtlichen Haftung wegen Täuschung, da bloßes Schweigen (silent trading) keine misrepresentation im Sinne des Haftungstatbestands darstellte.339 Etwas anderes galt nur, wenn dem Insider eine fiduziarische Pflicht zur Offenlegung oblag, die grundsätzlich aber nur gegenüber der Gesellschaft und nicht gegenüber den Aktionären bestand.340 Zudem bestanden vereinzelt noch Sonderausnahmen, wie etwa die special facts-Ausnahme, bei der auch bloßes Schweigen eine Haftung auslösen konnte, wenn der Insider dem Outsider special facts vorenthielt,341 oder eine allgemeine Pflicht im Falle einer face-to-face Transaktion die allgemeinen Umstände offenzulegen (Kansas rule).342 Traditionell wird die Insiderregulierung des common law aber als sehr liberal angesehen.343 Erst mit Aufkommen der Industrialisierung Anfang des 20. Jahrhunderts und dem damit einhergehenden größer werdenden Kapitalbedarf stieg die Bereitschaft zu einer allgemeinen Kapitalmarktgesetzgebung in den Einzelstaaten.344 Diese ein336 Ausführlich zum common law, Seligman, The Reformulation of Federal Securities Law Concerning Nonpublic Information, 73 Geo. L.J. 1083, 1091 ff. (1985); Merkt, Unternehmenspublizität, S. 115. 337 Seligman, The Reformulation of Federal Securities Law Concerning Nonpublic Information, 73 Geo. L.J. 1083, 1091 (1985); Merkt, Unternehmenspublizität, S. 115. 338 Seligman, The Reformulation of Federal Securities Law Concerning Nonpublic Information, 73 Geo. L.J. 1083, 1091 (1985). 339 Merkt, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, Rn. 1059 f.; vgl. Bainbridge, Corporate Law, S. 274. 340 Merkt, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, Rn. 1060; anders aber etwa der Georgia Supreme Court in Oliver v. Oliver, 45 S. E. 232 (Ga. 1903), der die sogenannte minority oder duty to disclose rule einführte, wonach directors eine Pflicht zur Offenlegung von Insiderinformationen gegenüber ihren Aktionären oblag, wenn sie mit diesen handeln wollten. 341 Grundlegend Strong v. Repide, 213 U.S. 419 (1909); Seligman, The Reformulation of Federal Securities Law Concerning Nonpublic Information, 73 Geo. L.J. 1083, 1099 ff. (1985). 342 Grundlegend Hotchkiss v. Fischer, 16 P.2d 531 (Kan. 1932); Merkt, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, Rn. 1062. 343 Merkt, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, Rn. 1058. 344 Merkt, Unternehmenspublizität, S. 116.

A. Grundzüge des US-amerikanischen Insiderrechts

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zelstaatliche Gesetzgebung verfolgte dabei größtenteils das Ziel den Anleger vor Betrug zu schützen und erlangte als blue sky laws – abgeleitet davon, dass die betrügerischen Machenschaften soweit gingen „[that they] would sell building lots in the blue sky in fee simple“ – Bekanntheit.345 Kansas war 1911 der erste Staat, der blue sky laws erließ.346 Ihm folgten aber in der Zeit bis 1933 46 weitere Staaten und Hawaii347 nach.348

II. Bundesgesetzliche Regelungen Trotz dieser einzelstaatlichen Regelungen stellte der große Börsencrash von Oktober 1929 und die darauffolgende große Depression einen weiteren Wendepunkt dar, der den Ruf nach einer umfassenden bundesgesetzlichen Gesetzgebung immer lauter werden ließ.349 Der Kongress musste handeln. Es folgte eine Vielzahl an finanzmarktrechtlicher Gesetzgebung, wobei der Securities Act von 1933 und der für das Insiderrecht wesentliche SEA von 1934 die größte Bedeutung erlangten.350 Ziel beider Gesetze war es, die Anleger mit hinreichend Informationen zu versorgen und betrügerisches Verhalten beim Handel mit Wertpapieren zu verhindern, um so das während der Krisenzeit verlorengegangene Vertrauen der Anleger zurückzugewinnen.351 1. § 10(b) SEA und SEC Rule 10b-5 Seit der Einführung des SEA hat das US-amerikanische Recht mit § 10(b) SEA eine gesetzliche Grundlage, um gegen Insiderhandel vorzugehen.352 § 10(b) SEA statuiert:

345 Mulvey, Blue Sky Law, 36 Can. L. Times 37 (1916); allgemein zu blue sky laws, Macey/ Miller, 70 Tex. L. Rev. 347 (1991). 346 Macey/Miller, 70 Tex. L. Rev. 347, 359 ff. (1991); Merkt, Unternehmenspublizität, S. 116. 347 Hawaii wurde erst 1959 der 50. Bundesstaat der Vereinigten Staaten. 348 Vgl. Seligman, The Reformulation of Federal Securities Law Concerning Nonpublic Information, 73 Geo. L.J. 1083, 1101 (1985). 349 Merkt, Unternehmenspublizität, S. 117; Steinhauer, Insiderhandelsverbot und Ad-hocPublizität, S. 147. 350 Steinhauer, Insiderhandelsverbot und Ad-hoc-Publizität, S. 147; Hagen, Insider Trading under Rule 10b-5: The Theoretical Bases for Liability, 44 Bus. Law. 13, 14 (1988); vgl. auch Bainbridge, Corporate Law, S. 280. 351 Hagen, Insider Trading under Rule 10b-5: The Theoretical Bases for Liability, 44 Bus. Law. 13, 14 (1988); Bainbridge, Corporate Law, S. 280; Steinhauer, Insiderhandelsverbot und Ad-hoc-Publizität, S. 147. 352 Merkt, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, Rn. 1066; Steinhauer, Insiderhandelsverbot und Ad-hoc-Publizität, S. 149.

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Kap. 2: Grundzüge des US-amerikanischen Insiderrechts und MMRL It shall be unlawful for any person, directly or indirectly, by the use of any means or instrumentality of interstate commerce or of the mails, or of any facility of any national securities exchange […] (b) to use or employ, in connection with the purchase or sale of any security registered on a national securities exchange or any security not so registered, any manipulative or deceptive device or contrivance in contravention of such rules and regulations as the Commission may prescribe as necessary or appropriate in the public interest or for the protection of investors.

Konkretisiert wird diese Regelung durch die dazu 1942 von der SEC erlassene Rule 10b-5.353 Diese besagt: It shall be unlawful for any person, directly or indirectly, by the use of any means or instrumentality of interstate commerce, or of the mails or of any facility of any national securities exchange, (a) to employ any device, scheme, or artifice to defraud, (b) to make any untrue statement of a material fact or to omit to state a material fact necessary in order to make the statements made, in the light of the circumstances under which they were made, not misleading, or (c) to engage in any act, practice, or course of business which operates or would operate as a fraud or deceit upon any person, in connection with the purchase or sale of any security.

Wie man bereits dem Wortlaut beider Regelungen entnehmen kann, handelt es sich bei ihnen nicht um spezifische Insiderverbote, wie man sie etwa aus dem deutschen Recht kennt, sondern beide richten sich allgemein gegen betrügerisches Verhalten am Kapitalmarkt.354 Dabei hat sich vor allem SEC Rule 10b-5 mit der Zeit weit über ihren ursprünglich angedachten Anwendungsbereich355 hinausentwickelt356 und stellt heute die zentrale Vorschrift gegen Insiderhandel dar, die zudem Grundlage für einen (wenn auch mit umfassenden aber restriktiv interpretierten Tatbestandsvoraussetzungen versehenen) Schadensersatzanspruch357 für durch Insiderhandel Geschädigte ist.358

353

Merkt, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, Rn. 1066; Hagen, Insider Trading under Rule 10b-5: The Theoretical Bases for Liability, 44 Bus. Law. 13, 14 (1988). 354 Vgl. Überschrift Sec. 10 SEA: „Regulation of the Use of Manipulative and Deceptive Devices“; Bainbridge, Corporate Law, S. 281. 355 Siehe hierzu Thel, The Original Conception of Section 10(b) of the Securities Exchange Act, 42 Stan. L. Rev. 385 (1990); Merkt, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, Rn. 1067. 356 Sehr anschaulich ist die Ausführung des US Supreme Courts in Blue Chip Stamps v. Manor Drug Stores, 421 U.S. 723 (1975), der SEC Rule 10b-5 als „judicial oak which has grown from little more than a legislative acorn“ beschreibt. 357 Ausführlich zu den Tatbestandsvoraussetzungen des Schadensersatzanspruchs aus Rule 10b-5 Merkt, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, Rn. 1070 ff.; Bainbridge, Corporate Law, S. 282 ff.

A. Grundzüge des US-amerikanischen Insiderrechts

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Folge dieser „Blankettnormengesetzgebung“359 ist, dass das US-amerikanische Insiderrecht zu großen Teilen case law ist.360 Hiervon werden nachfolgend die wesentlichen Urteile mit ihren Kernaussagen skizziert. 2. Cady, Roberts & Co. Als „Geburtsstunde des US-amerikanischen Insiderrechts“361 kann die Entscheidung Cady, Roberts & Co.362 betrachtet werden.363 Darin wurde erstmals festgestellt, dass anonyme Insidergeschäfte einen Verstoß gegen Rule 10b-5 darstellen.364 Dabei wird ausgeführt, dass jemand, der im Besitz einer Insiderinformation ist, diese vor dem Handel offenlegen oder auf den Handel verzichten muss (disclose or abstain rule).365 Anders als etwa im einzelstaatlichen common law, konnte es folglich eine Offenlegungspflicht auch außerhalb eines fiduziarischen Verhältnisses geben.366 Die disclose or abstain rule macht jedoch auch deutlich, dass Rule 10b-5 keine allgemeine Offenlegungspflicht von Insiderinformationen statuiert, sondern nur dann, wenn der Insider am Markt aktiv werden möchte. Gleichzeitig wurde in der Entscheidung der Grundstein für die Entwicklung des equal access-Gedankens gelegt – also dem Recht aller Marktteilnehmer auf gleichen Informationszugang –, da das Verwertungsverbot erstmalig mit dem Fairnessgedanken begründet wurde.367

358 Steinhauer, Insiderhandelsverbot und Ad-hoc-Publizität, S. 150; Bainbridge, Corporate Law, S. 281. 359 Vgl. Merkt, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, Rn. 1067. 360 United States v. Chestman, 947 F.2d 551, 572 (2d Cir. 1991); Brodsky/Kramer, A Critique of the Misappropriation Theory of Insider Trading, 20 Cardozo L. Rev. 41 f. (1998). 361 So ausdrücklich Klöhn in Klöhn/MMVO, Vor Art. 7 Rn. 5. 362 40 SEC 907 (1961). 363 Bainbridge, Corporate Law, S. 288; Hagen, Insider Trading under Rule 10b-5: The Theoretical Bases for Liability, 44 Bus. Law. 13, 15 (1988). 364 40 SEC 907, 911 (1961): „[…] we accordingly find that […] willfully violated Sections […] 10 (b) and Rule 10b-5.“ 365 40 SEC 907, 911 (1961): „We […] have consistently held that insiders must disclose material facts which are known to them by virtue of their position but which are not known to persons with whom they deal and which, if known, would affect their investment judgment. […]. If, on the other hand, disclosure prior to effecting a purchase or sale would be improper or unrealistic under the circumstances, we believe the alternative is to forego the transaction.“ 366 Hagen, Insider Trading under Rule 10b-5: The Theoretical Bases for Liability, 44 Bus. Law. 13, 15 (1988); Gevurtz, The Road not Taken, A Comparison of the E.U. and U.S. Insider Trading Prohibitions, 56 Wash. U. J. L. & Pol’y 31, 32 (2018). 367 40 SEC 907, 911 (1961): „Analytically, the obligation rests on two principal elements; […] and second, the inherent unfairness involved where a party takes advantage of such information knowing it is unavailable to those with whom he is dealing.“

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Kap. 2: Grundzüge des US-amerikanischen Insiderrechts und MMRL

3. SEC v. Texas Gulf Sulphur Co. Das Gericht in SEC v. Texas Gulf Sulphur Co.368 bestätigte die disclose or abstain rule. Zur Begründung griff das Gericht den equal access-Gedanken aus Cady, Roberts & Co. auf und baute ihn zu einer allgemeinen equal access-Theorie aus, die darauf gründete, dass das Gericht den Zweck der bundesgesetzlichen Insidervorschriften darin sah, sicherzustellen, dass beim Handel am anonymen Kapitalmarkt alle den gleichen Zugang zu material information haben.369 Von nun an galt das Verbot von Insidergeschäften als generelle Verhaltenspflicht aller Marktteilnehmer, die über Insiderinformationen verfügen.370 Zudem wurde in der Entscheidung die Grundlage für den Begriff der Insiderinformation geschaffen. Danach liegt eine Insiderinformation vor, wenn ein vernünftiger Investor die Information als kurserheblich einstufen und daher bei seiner Anlageentscheidung berücksichtigen würde.371

4. Chiarella v. United States Diese weite disclose or abstain rule basierend auf der equal access-Theorie blieb jedoch nicht ohne Kritik.372 Im Jahre 1980 erteilte der U.S. Supreme Court – in seiner ersten grundlegenden Insiderentscheidung seit Strong v. Repide373 – in Chiarella v. United States374 der equal access-Theorie dann auch eine Absage.375 Insiderhandel sollte vielmehr nur dann verboten sein und die disclose or abstain rule nur dann zur Anwendung kommen, wenn zwischen den Parteien eines Wertpapiergeschäfts eine Treuepflicht besteht, die zur Offenlegung der Information verpflichtet (fiduciary

368 Securities and Exchange Commission v. Texas Gulf Sulphur Co., 401 F.2d 833 (2d Cir. 1968). 369 Securities and Exchange Commission v. Texas Gulf Sulphur Co., 401 F.2d 833, 848 (2d Cir. 1968): „[…] Rule [10b-5] is based in policy on the justifiable expectation of the securities marketplace that all investors trading on impersonal exchanges have relatively equal access to material information […].“; Hagen, Insider Trading under Rule 10b-5: The Theoretical Bases for Liability, 44 Bus. Law. 13, 16 (1988); Bainbridge, Corporate Law, S. 290. 370 Securities and Exchange Commission v. Texas Gulf Sulphur Co., 401 F.2d 833, 848 (2d Cir. 1968); Gevurtz, The Road not Taken, A Comparison of the E.U. and U.S. Insider Trading Prohibitions, 56 Wash. U. J. L. & Pol’y 31, 32 f. (2018). 371 Securities and Exchangge Commission v. Texas Gulf Sulphur Co., 401 F.2d 833, 849 (2d Cir. 1968). 372 Ausführlich zur Kritik Weber, Insiderrecht und Kapitalmarktschutz, S. 63 ff. 373 Strong v. Repide, 213 U.S. 419 (1909). 374 Chiarella v. United States, 445 U.S. 222 (1980). 375 Chiarella v. United States, 445 U.S. 222, 233 (1980): „[…] neither the Congress nor the Commission ever has adopted a parity-of-information rule.“

A. Grundzüge des US-amerikanischen Insiderrechts

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duty-Theorie).376 Folglich löst der bloße Besitz einer Insiderinformation – wie noch in SEC v. Texas Gulf Sulphur Co. angenommen – keine Pflicht zur Offenlegung der Information aus.377 Dieser in Chiarella v. United States statuierte Gedanke, dass es einer Offenlegung nur bedarf, wenn zwischen den Parteien eine Treuepflicht (fiduciary duty) besteht, wird gemeinhin auch als „klassische Theorie des Insiderrechts“ (classical theory of insider trading) bezeichnet.378 Folge dieses restriktiven Verständnisses in Chiarella war, dass die Insiderhandelsverbote nicht mehr so flächendeckend Anwendung fanden und folglich Bereiche und Aktivitäten nicht mehr erfasst waren, die man eigentlich reguliert haben wollte.379 Gerade die Zahl an M&A-Transaktionen stieg in den 80er Jahren an, welche großes Potential für Insiderhandel boten.380 Diesem sollte mit Erlass von SEC Rule 14e-3 entgegengewirkt werden.381 SEC Rule 14e-3 richtet sich dabei gezielt gegen Insiderhandel im Rahmen von M&A-Transaktionen. Jedem – außer dem Bieter – ist es danach verboten aufgrund von wesentlichen, nicht-öffentlichen Informationen über die Transaktion, wenn man sie direkt oder indirekt von einem Insider erhalten hat, und im Wissen hierum, mit Aktien der Zielgesellschaft zu handeln.382 Gleichzeitig sollte damit auch den Insidern von Bieter- und Zielgesellschaft das tipping untersagt werden.383 Die Besonderheit von SEC Rule 14e-3 ist, dass sie weder die Verletzung einer Treuepflicht noch einen persönlichen Nutzen auf Seiten des tipper erfordert.384

376

Chiarella v. United States, 445 U.S. 222, 230 (1980): „But such liability is premised upon a duty to disclose arising from a relationship of trust and confidence between parties to a transaction.“ 377 Chiarella v. United States, 445 U.S. 222, 235 (1980): „When an allegation of fraud is based upon nondisclosure, there can be no fraud absent a duty to speak. We hold that a duty to disclose under § 10(b) does not arise from the mere possession of nonpublic market information.“ 378 Erstmals United States v. O’Hagan, 521 U.S. 642 (1997); Gevurtz, The Road not Taken, A Comparison of the E.U. and U.S. Insider Trading Prohibitions, 56 Wash. U. J. L. & Pol’y 31, 33 (2018). 379 Vgl. Bainbridge, Corporate Law, S. 297. 380 Bainbridge, Corporate Law, S. 297. 381 Merkt, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, Rn. 1081; Bainbridge, Corporate Law, S. 297. 382 Vgl. Merkt, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, Rn. 1081. 383 Bainbridge, Corporate Law, S. 297. 384 Bainbridge, Corporate Law, S. 298.

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Kap. 2: Grundzüge des US-amerikanischen Insiderrechts und MMRL

5. Dirks v. SEC Die klassische Insidertheorie wurde in der Entscheidung Dirks v. SEC385 aus dem Jahre 1983 bestätigt und dahingehend erweitert, dass auch temporary insider386 der disclose or abstain rule unterliegen können.387 Voraussetzung hierfür ist, dass der „temporäre Insider“ wesentliche, nicht-öffentliche Informationen vom Emittenten in der Erwartung bekommen hat, diese vertraulich zu behandeln und das Verhältnis zwischen Emittent und „temporärem Insider“ einem klassischen Treuepflichtverhältnis zumindest nahekommt.388 Das Gericht nennt hierfür Anwälte, Emissionsbanken oder Berater als Beispiel.389 Zusätzlich begründete die Entscheidung eine allgemeine Haftung für Tippempfänger (tippee). Deren Haftung ist dabei jedoch nur von der Haftung des Insiders (tipper) abgeleitet, womit zunächst eine Haftung des Insiders vorliegen muss.390 Dies setzt voraus, dass der Insider durch die Weitergabe der Information an den tippee seine Treuepflicht verletzt hat und aus der Weitergabe – direkt oder indirekt – einen persönlichen Nutzen (personal benefit) zieht.391 Als persönlicher Nutzen wurde dabei in Dirks jeder geldwerte Vorteil aber auch das bloße Geschenk der vertraulichen, nicht-öffentlichen Information an einen Handelspartner oder Freund angesehen (gift theory).392 Die gift theory basiert dabei auf dem Gedanken, dass der Tipp verbunden mit dem folgenden Handel des Tippempfängers den gleichen Effekt hat, wie wenn der Insider die Information selbst ausnutzt (persönlicher Nutzen) und den Gewinn dann dem Empfänger schenkt.393 Das Verständnis des Merkmals des personal benefit ist jedoch in der aktuellen US-amerikanischen Rechtsprechung stark umstritten. Zunächst wurden die Voraussetzungen in United States v. Newman394 deutlich restriktiver angewandt. Danach reicht die Weitergabe an einen „normalen“ Freund nicht aus, sondern es bedarf einer „bedeutenden, engen, persönlichen Beziehung“ (meaningfully close personal relationship).395 Zudem muss der persönliche Nutzen

385

Dirks v. Securities and Exchange Commission, 463 U.S. 646 (1983). Auch constructive insider genannt, siehe Bainbridge, Corporate Law, S. 318. 387 Dirks v. Securities and Exchange Commission, 463 U.S. 646, 655 n. 14 (1983); Hagen, Insider Trading under Rule 10b-5: The Theoretical Bases for Liability, 44 Bus. Law. 13, 22 (1988). 388 Dirks v. Securities and Exchange Commission, 463 U.S. 646, 655 n. 14 (1983). 389 Dirks v. Securities and Exchange Commission, 463 U.S. 646, 655 n. 14 (1983). 390 Dirks v. Securities and Exchange Commission, 463 U.S. 646, 659 (1983). 391 Dirks v. Securities and Exchange Commission, 463 U.S. 646, 661 f. (1983). 392 Dirks v. Securities and Exchange Commission, 463 U.S. 646, 664 (1983). 393 Dirks v. Securities and Exchange Commission, 463 U.S. 646, 664 (1983). 394 United States v. Newman, 773 F.3d 438 (2014). 395 United States v. Newman, 773 F.3d 438, 452 (2014). 386

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zumindest einen möglichen geldwerten oder ähnlich werthaltigen Zuwachs darstellen.396 Letzteres wurde vom Supreme Court in Salman v. United States397 jedoch als unvereinbar mit der Entscheidung in Dirks erklärt.398 Ferner legen die Ausführungen des Gerichts zumindest nahe (es fehlt eine ausdrückliche Ablehnung, wie im Falle des geldwerten oder ähnlich werthaltigen Zuwachses), dass das Geschenk der vertraulichen, nicht-öffentlichen Information an einen Handelspartner oder Freund ausreicht, es also keiner „bedeutenden, engen, persönlichen Beziehung“ bedarf damit die gift theory erfüllt ist.399 In der ersten Entscheidung in United States v. Martoma wurde zunächst bestätigt, dass in Salman das Merkmal der „bedeutenden, engen, persönlichen Beziehung“ aufgehoben wurde.400 In der zweiten Martoma-Entscheidung griff das Gericht – in seiner Argumentation warum die Jury-Unterrichtung unvollständig war – dann allerdings doch wieder auf das Merkmal zurück.401 Die Frage, was genau mit personal benefit gemeint ist und wie dessen Voraussetzungen zu verstehen sind, kann folglich nur durch weitere Gerichtsentscheidungen final geklärt werden. Liegen die Haftungsvoraussetzungen für den tipper vor, hängt die Haftung des tippee davon ab, dass dieser von der Treuepflichtverletzung des tipper wusste oder zumindest davon hätte wissen müssen.402 Für eine strafrechtliche Haftung muss der tippee darüber hinaus Kenntnis vom persönlichen Nutzen haben, den der tipper erhalten hat, und der tippee muss trotz Kenntnis der Umstände aufgrund des Tipps gehandelt oder einer dritten Person für einen persönlichen Nutzen den Tipp weitergegeben haben.403

396

United States v. Newman, 773 F.3d 438, 452 (2014). Salman v. United States, 137 S. Ct. 420 (2016). 398 Salman v. United States, 137 S. Ct. 420, 428 f. (2016). 399 Salman v. United States, 137 S. Ct. 420 (2016). 400 United States v. Martoma, No. 14-3599 (2d Cir. Aug. 23, 2017). 401 United States v. Martoma, No. 14-3599 (2d Cir. June 25, 2018). 402 Dirks v. Securities and Exchange Commission, 463 U.S. 646, 660 (1983): „[…] a tippee assumes a fiduciary duty to the shareholders of a corporation not to trade on material nonpublic information only when the insider has breached his fiduciary duty to the shareholders by disclosing the information to the tippee and the tippee knows or should know that there has been a breach.“; siehe hierzu auch Kukar, Insider Trading Liability of Tippees and Quasi-Insiders: Crime Shouldn’t Pay, 22 J. Marshall L. Rev. 295 (1988). 403 United States v. Newman, 773 F.3d 438, 447 f. (2014). 397

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Kap. 2: Grundzüge des US-amerikanischen Insiderrechts und MMRL

6. United States v. O’Hagan Eine weitere Entwicklung nahm die Insiderhaftung mit der Sache United States v. Newman.404 Dort entschied das Gericht erstmals, dass die Insiderhaftung auch durch einen Treueverstoß des Insiders gegenüber seiner Informationsquelle ausgelöst werden kann (misappropriation theory).405 Diesen Ansatz bestätigte der U.S. Supreme Court in seiner landmark-Entscheidung United States v. O’Hagan.406 Er machte jedoch deutlich, dass das nicht das Ende der fiduciary duty-Theorie bedeutet, sondern sich die beiden Theorien vielmehr ergänzen.407 Die Theorien weisen dabei jeweils eine unterschiedliche Schutzrichtung auf. Während die fiduciary duty-Theorie an das Verhältnis der Parteien eines Wertpapiergeschäfts anknüpft und damit die Interessen innerhalb des Markts schützt, interessiert sich die misappropriation-Theorie ausschließlich für das Verhältnis zwischen dem Insider und seiner Quelle, welches außerhalb des Markts liegt.408 Die privaten und wirtschaftlichen Interessen der Informationsquelle an der Geheimhaltung sollen geschützt werden, womit die Insiderinformation als Eigentum der Informationsquelle zu verstehen ist (property rights-Ansatz).409 SEC Rule 10b5-2 enthält eine nicht abschließende Liste von Fällen, in denen eine Treuepflicht zur Informationsquelle besteht und von Fällen, in denen eine Verletzung der Treuepflicht eine Veruntreuung (misappropriation) der Information darstellt. Darüber hinaus kann es auch unter der misappropriation-Theorie zu einer Haftung für tipper und tippee kommen, wobei umstritten ist, ob die Voraussetzung des persönlichen Nutzens (personal benefit) für den tipper in diesen Fällen Anwendung findet.410 404

United States v. Newman, 664 F.2d 12 (2d Cir. 1981). United States v. Newman, 664 F.2d 12, 16 ff. (2d Cir. 1981); Robertson, United States v. Newman: Misappropriation of Market Information by Outsiders, 3 Pace L. Rev. 311 f. (1983); Hagen, Insider Trading under Rule 10b-5: The Theoretical Bases for Liability, 44 Bus. Law. 13, 24 (1988); näher zur misappropriation theory Brodsky/Kramer, A Critique of the Misappropriation Theory of Insider Trading, 20 Cardozo L. Rev. 41, 57 ff. (1998); Quinn, The Misappropriation Theory of Insider Trading in the Supreme Court: A (Brief) Response to the (many) Critics of United States v. O’Hagan, 8 Fordham J. Corp. & Fin. L. 865 (2003). 406 United States v. O’Hagan, 521 U.S. 642 (1997); siehe zum Urteil auch Quinn, The Misappropriation Theory of Insider Trading in the Supreme Court: A (Brief) Response to the (many) Critics of United States v. O’Hagan, 8 Fordham J. Corp. & Fin. L. 865 (2003). 407 United States v. O’Hagan, 521 U.S. 642, 652 (1997); „The two theories are complementary […].“ 408 Vgl. United States v. O’Hagan, 521 U.S. 642, 652 f. (1997): „The [fiduciary duty] theory targets a corporate insider’s breach of duty to shareholders with whom the insider transacts; the misappropriation theory outlaws trading on the basis of nonpublic information by a corporate ,outsider‘ in breach of a duty owed not to a trading party, but to the source of the information.“ 409 Vgl. United States v. O’Hagan, 521 U.S. 642, 643, 654, 681 (1997). 410 Die überwiegende Meinung befürwortet eine Anwendung, siehe Securities and Exchange Commission v. Obus, 693 F.3d 276, 285 f. (2012): „The Supreme Court’s tipping liability 405

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Seit dem Jahr 2000 sind die den Urteilen zu entnehmenden, wesentlichen Voraussetzungen für Insiderhandelsverbote von der SEC in Rule 10b5-1411 in Gestalt eines restatement zusammengefasst. 7. § 16(b) SEA Während § 10(b) SEA und die dazugehörige SEC Rule 10b-5 Vorschriften sind, die allgemein betrügerisches Verhalten am Kapitalmarkt sanktionieren, handelt es sich bei § 16(b) SEA um die einzige Norm im US-amerikanischen Kapitalmarktrecht, die sich spezieller mit Insiderhandel befasst, ohne jedoch Insiderhandel ausdrücklich zu verbieten.412 Anders als die beiden zuerst genannten Vorschriften, dient § 16(b) SEA dabei nicht dem Anlegerschutz, sondern dem Schutz der Gesellschaft, deren Anteile vom Insiderhandel betroffen sind.413 Ihrem Inhalt nach müssen bestimmte Insider, nämlich directors, officers und Inhaber von mindestens zehn Prozent der Anteile, bestimmte Gewinne aus dem Handel mit Anteilen der Gesellschaft (short-swing profits)414 an die betroffene Gesellschaft abführen.415 Umfasst sind dabei die Gewinne aus Erwerb und Veräußerung (In-and-out-Geschäfte) oder Veräußerung und Erwerb (Out-and-in-Geschäfte) von Anteilen der Gesellschaft, wenn beides jeweils innerhalb eines festen Zeitraums von sechs Monaten geschieht. § 16(b) SEA ist dabei zwar nur auf „klassische Insider“ (und nicht auf temporäre Insider, Tippempfänger oder misap-

doctrine was developed in a classical case, Dirks, but the same analysis governs in a misappropriation case.“; United States v. Newman, 773 F.3d 438, 446 (2014): „The elements of tipping liability are the same, regardless of whether the tipper’s duty arises under the ,classical‘ or the ,misappropriation‘ theory.“; Securities and Exchange Commission v. Yun, 327 F.3d 1263, 1275 (11th Cir. 2003); ablehnend jedoch Securities and Exchange Commission v. Musella, 748 F. Supp 1028, 1038 n.4 (S.D.N.Y. 1989): „The misappropriation theory of liability does not require a showing of a benefit to the tipper […].“ 411 SEC, Selective Disclosure and Insider Trading, Release No. 33-7881, 2000. 412 Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Vor Art. 7 Rn. 8; vgl. Gevurtz, The Globalization of Insider Trading Prohibitions, 15 Transnat’l Law 63, 70 (2002). 413 Merkt, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, Rn. 1113. 414 Näher zu short-swing profits und deren Berechnung Chin, Accurate Calculation of Short-Swing Profits Under Section 16(b) of the Securities Exchange Act of 1934, 22 Del. J. Corp. L. 587 (1997). 415 § 16 (b) SEA lautet (zusammengefasst): For the purpose of preventing the unfair use of information which may have been obtained by such beneficial owner, director, or officer by reason of his relationship to the issuer, any profit realized by him from any purchase and sale, or any sale and purchase, of any equity security of such issuer (other than an exempted security) or a security-based swap agreement involving any such equity security within any period of less than six months, unless such security or securitybased swap agreement was acquired in good faith in connection with a debt previously contracted, shall inure to and be recoverable by the issuer […].; siehe auch Gevurtz, The Globalization of Insider Trading Prohibitions, 15 Transnat’l Law 63, 70 (2002).

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Kap. 2: Grundzüge des US-amerikanischen Insiderrechts und MMRL

propriator) anwendbar, aber dafür besteht die Herausgabepflicht unabhängig davon, ob der Insider basierend auf Insiderwissen gehandelt hat oder nicht.416

III. Dogmatische Unterschiede zum europäischen Insiderrecht Wie bereits erwähnt, war das US-amerikanische Insiderrecht an vielen Stellen Vorbild für die europäische Insiderregulierung. Daraus kann jedoch nicht geschlossen werden, dass die aus einer Analyse des US-amerikanischen Insiderrechts gewonnenen Erkenntnisse ohne Weiteres auf das europäische Insiderrecht übertragen werden können. Neben etwaigen Besonderheiten bei der Ausgestaltung einzelner Vorschriften417 steht bereits ein dogmatischer Unterschied bei der Bestimmung des Wesens des Insiderhandels einer undifferenzierten Erkenntnisübertragung entgegen. 1. Insiderhandel als Marktdelikt Das europäische Insiderrecht versteht Insiderhandel als Marktdelikt.418 Dementsprechend ist das Vorliegen einer Insiderinformation (und die Kenntnis hiervon) das zentrale Kriterium bei der Beurteilung, ob ein Verstoß gegen das europäische Insiderrecht gegeben ist.419 Weitere Voraussetzungen, wie etwa eine Treuepflichtverletzung oder eine Veruntreuung der Information im Verhältnis zur Informationsquelle, sieht das europäische Insiderrecht nicht vor.420 Folglich darf grundsätzlich niemand, der in Besitz einer Insiderinformation ist, auf Basis dieser Information handeln, es sei denn, er legt die Information vorher offen.421 Zudem müssen Emittenten, unabhängig von einer Handelsabsicht, sie betreffende Insiderinformationen „unverzüglich“ veröffentlichen (Art. 17 Abs. 1 MMVO). Damit herrscht im europäischen Insiderrecht grundsätzlich ein Gleichlauf zwischen Insiderhandelsverboten und Ad-hoc-Publizitätspflicht, da sie an den gleichen Begriff der Insiderinformation anknüpfen (einstufiges Modell).422 416 Acobat, Insider Trading Jurisprudence after United States v. O’Hagan: A Restatement (Second) of Torts § 551 (2) Perspective, 84 Cornell L. Rev. 1357, 1361 (1999); vgl. auch Dessent, Weapons to Fight Insider Trading in the 21st Century: A Call fort he Repeal of Section 16(b), 33 Akron L. Rev. 481, 524 ff. (2000). 417 Hierauf wird jeweils bei der Untersuchung der entsprechenden Vorschrift der MMVO Bezug genommen. 418 Vgl. Erwägungsgrund 7 MMVO; Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Vor Art. 7 Rn. 46; vgl. auch Assmann, in: Assmann/Uwe H. Schneider-WpHG, § 12 Rn. 47. 419 Vgl. Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Vor Art. 7 Rn. 49; auch schon Assmann, in: Assmann/ Uwe H. Schneider-WpHG, § 12 Rn. 47 f. 420 Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Vor Art. 7 Rn. 49. 421 Vgl. Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Vor Art. 7 Rn. 49. 422 Assmann, in: Assmann/Schneider/Mülbert, Art. 7 MMVO Rn. 3.

A. Grundzüge des US-amerikanischen Insiderrechts

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2. Insiderhandel als Betrug Das US-amerikanische Insiderrecht sieht Insiderhandel hingegen als Betrug an.423 Diese dogmatische Verortung führt zu der Problematik, dass das Wesen des Betrugs durch falsche oder irreführende Aussagen einer Person gekennzeichnet ist, wohingegen sich Insiderhandel durch das Verschweigen von Informationen auszeichnet.424 Folglich muss die verschweigende Person einer Aufklärungspflicht unterliegen, damit ihr Verhalten als Betrug gewertet werden kann.425 Trotz dieser unterschiedlichen dogmatischen Ansätze, lag dem US-amerikanischen Insiderrecht nach den Entscheidungen Cady, Roberts & Co. und Texas Gulf Sulphur ein ähnliches Verständnis wie dem jetzigen europäischen Insiderrecht zugrunde, da die Aufklärungspflicht an den bloßen Besitz einer wesentlichen, nichtöffentlichen Information geknüpft wurde (equal access-Theorie).426 Mit der Entscheidung in Chiarella hat der U.S. Supreme Court dem US-amerikanischen Insiderrecht allerdings eine komplett andere Ausrichtung gegeben.427 Eine Aufklärungspflicht besteht seither nur noch dann, wenn zwischen den Parteien eine Treuepflicht besteht, die zur Offenlegung der Information verpflichtet (fiduciary duty-Theorie). Dieses stark verengte Verständnis gilt bis heute und hat zu einigen „dogmatisch höchst waghalsigen Konstruktionen“ geführt (tippee-Haftung, misappropriation-Theorie), um das Insiderdelikt als Betrug einstufen zu können.428

423 Das wird bereits durch die Anknüpfung an § 10(b) SEA und die dazugehörige SEC Rule 10b-5 deutlich, siehe zudem Gevurtz, The Road not Taken, A Comparison of the E.U. and U.S. Insider Trading Prohibitions, 56 Wash. U. J. L. & Pol’y 31, 32, 47 (2018): „Fiduciary duty […] is simply the product of the historical need to fit the prohibition of insider trading into a rubric built around the word ,fraud‘.“; Gevurtz, The Globalization of Insider Trading Prohibitions, 15 Transnat’l Law 63, 72 (2002). 424 Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Vor Art. 7 Rn. 52. 425 Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Vor Art. 7 Rn. 52. 426 Vgl. Gevurtz, The Road not Taken, A Comparison of the E.U. and U.S. Insider Trading Prohibitions, 56 Wash. U. J. L. & Pol’y 31, 36 (2018); Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Vor Art. 7 Rn. 46. 427 Illustrativ Gevurtz, The Road not Taken, A Comparison of the E.U. and U.S. Insider Trading Prohibitions, 56 Wash. U. J. L. & Pol’y 31, 47 (2018): „In Chiarella, the U.S. Supreme Court took one fork in the road; in MAD and MAR the European Union took the other.“ 428 So ausdrücklich Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Vor Art. 7 Rn. 53; Gevurtz, The Globalization of Insider Trading Prohibitions, 15 Transnat’l Law 63, 72 (2002): „The result is a jurisprudence loaded with doctrinal inconsistencies and anomalies […].“

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Kap. 2: Grundzüge des US-amerikanischen Insiderrechts und MMRL

B. Vergleichende Betrachtung der Insiderregime von Frankreich und des Vereinigten Königreichs nach der MMRL unter Rückgriff auf die entsprechenden Insiderregelungen in Deutschland I. Insiderverbote 1. Frankreich Im französischen Insiderrecht waren die aufsichtsrechtlichen Insiderverbote in Buch VI des Règlement Général (RG) der Autorité des Marchés Financiers (AMF) in den Art. 622-1 und 622-2 RG AMF normiert, die der Umsetzung der MMRL dienten.429 Der dazugehörige Begriff der Insiderinformation wurde in Art. 621-1 Abs. 1 RG AMF definiert, wobei der Begriff – ähnlich wie im deutschen Recht430 – nahezu wortlautgetreu der MMRL entnommen wurde.431 Folglich musste die Information unter anderem kursrelevant sein, damit sie als Insiderinformation eingestuft werden konnte. Wie im deutschen Insiderrecht (§ 13 Abs. 1 S. 2 WpHG a.F.) kam es zur Bestimmung der Kursrelevanz auch im Insiderrecht von Frankreich auf den verständigen Anleger (investisseur raisonnable) an, nämlich ob dieser die Information als Teil der Grundlage seiner Anlageentscheidung verwenden würde.432 Die Information musste dabei in Frankreich aus der Sicht des investisseur raisonnable verwertbar sein, was stets anhand einer Einzelfallbetrachtung zu beurteilen war, wobei alle Umstände und auch die am Markt bereits vorhandenen Informationen zu berücksichtigen waren.433 In Deutschland traf dies dann zu, wenn ein Kauf- oder Verkaufsanreiz bestand und das Geschäft dem verständigen Anleger als lohnend erschien (Handelsanreiz).434 Dies war nach einer auf den Zeitpunkt des Insiderhandels abzustellenden ex-ante-Prognose zu bestimmen.435

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Veil, in: Veil/EurKapR, § 13 Rn. 19; Krause/Brellochs, AG 2013, 309, 326. Entgegen der MMRL, die von einer „präzisen“ Information sprach, hatte der deutsche Gesetzgeber für die Umsetzung den Begriff der „konkreten“ Tatsache gewählt. Inhaltliche Unterschiede entstanden dadurch jedoch nicht, da die beiden Begriffe als synonym betrachtet werden konnten, siehe Assmann, in: Assmann/Uwe H. Schneider-WpHG, § 13 Rn. 6; Lösler, in: Hand. d. Kap I, § 2 Rn. 21. 431 Krause/Brellochs, AG 2013, 309, 326. 432 Sec. 118C(6) FSMA und Art. 621-1 Abs. 3 AMF (reasonable investor test). 433 Siehe hierzu aus der Praxis Commission des Sanctions AMF v. 22. 1. 2009 – Vinci, S. 4 f.; Commission des Sanctions AMF v. 27. 11. 2009 – EADS, S. 21. 434 Lösler, in: Hand. d. Kap I, § 2 Rn. 60; Assmann, in: Assmann/Uwe H. SchneiderWpHG, § 13 Rn. 64. 435 Schwark/Kruse, in: Schwark/Zimmer, § 13 WpHG Rn. 44; Claussen/Florian, AG 2005, 745, 750. 430

B. Vergleichende Betrachtung der Insiderregime

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Dem reasonable investor test kam dabei im französischen, wie auch im deutschen, Insiderrecht eine konkretisierende Funktion des Begriffs der Kursrelevanz zu. 2. Vereinigtes Königreich Das aufsichtsrechtliche Insiderrecht des Vereinigten Königreichs war im Financial Services and Markets Act 2000 (FSMA) geregelt. Die dortigen Verbotstatbestände in den Sec. 118(2) und 118(3) FSMA waren dabei getreu den Vorgaben der MMRL gestaltet und auch der Wortlaut der für die Verbotstatbestände maßgeblichen Definition der Insiderinformation in Sec. 118C FSMA war nahezu identisch aus der MMRL übernommen worden.436 Auch hier war also der verständige Anleger (reasonable investor) die zentrale Figur bei der Frage, ob eine Insiderinformation vorlag. Im Vereinigten Königreich war die Auslegung dieses reasonable investor test allerdings maßgeblich von der Entscheidung Massey v. FSA geprägt.437 In dieser Entscheidung ging das Gericht davon aus, dass eine Information für einen reasonable investor selbst dann Grundlage seiner Anlageentscheidung sein kann, wenn die Information tatsächlich keine oder keine erhebliche Auswirkung auf den Kurs hat.438 Folglich kam es nach dem Gericht nicht auf den Einfluss der Information auf den Börsenkurs an, sondern lediglich darauf, ob ein (hypothetischer) reasonable investor die Information wahrscheinlich als Teil der Grundlage seiner Anlageentscheidung genutzt hätte.439 In der Folgezeit sorgte das Urteil für große Diskussionen bezüglich der Frage, ob der reasonable investor test das Tatbestandsmerkmal der Kursrelevanz lediglich konkretisiert, wie es Art. 1 Abs. 2 der Durchführungsrichtlinie 2003/124/EG440 nahelegte, oder ob das Merkmal der Kursrelevanz vollständig durch den reasonable investor test ersetzt wurde.441 Nachfolgende Entscheidungen der FSA gingen dabei wohl von letzterem

436 Veil, in: Veil/EurKapR, § 13 Rn. 31, § 19 Rn. 26; Veil/Wundenberg, Englisches Kapitalmarktrecht, S. 45, 112; Krause/Brellochs, AG 2013, 309, 316 ff. 437 David Massey v. Financial Services Authority, [2011] UKUT 49 (TCC). 438 David Massey v. Financial Services Authority, [2011] UKUT 49 (TCC), S. 12 Ziff. 41. 439 David Massey v. Financial Services Authority, [2011] UKUT 49 (TCC), S. 12 Ziff. 41: „But we have to apply the specially extended meaning assigned to this expression by s118C(6). Whether or not the information was (in the ordinary sense) likely to have a significant effect on the price, we consider it is clear that it was information ,of a kind which a [hypothetical] reasonable investor would be likely to use as part of the basis of his investment decisions‘.“ 440 Richtlinie 2003/124/EG der Kommission vom 22. 12. 2003 zur Druchführung der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend die Begriffsbestimmungen und die Veröffentlichung von Insider-Informationen und die Begriffsbestimmung der Marktmanipulation, ABl. EU Nr. L 339 v. 24. 12. 2003, S. 70; im Folgenden Durchführungsrichtlinie-MMRL. 441 Vgl. zur Diskussion Financial Markets Law Committee, Issue 154 – Analysis of Legal Uncertainties Arising from Article 6 of the Proposal for a Regulation on Insider Dealing and Market Manipulation, 30 March 2012, S. 18 f.

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Kap. 2: Grundzüge des US-amerikanischen Insiderrechts und MMRL

Verständnis aus.442 Somit kam dem reasonable investor test im Insiderrecht des Vereinigten Königreichs – anders als in Deutschland und Frankreich – keine einschränkende und konkretisierende Bedeutung zu. Vielmehr prägte seine extensive Auslegung den Begriff der Insiderinformation im Vereinigten Königreich und hatte zur Folge, dass grundsätzlich mehr Informationen als Insiderinformationen angesehen wurden als dies etwa in Deutschland oder Frankreich der Fall war. Das Upper Tribunal nahm allerdings im Jahre 2014 Abstand von seiner extensiven Auslegung in der Entscheidung Massey v. FSA. In der Sache Hannam v. FCA443 stellte das Tribunal klar, dass ein reasonable investor nur solche Informationen berücksichtigt, die auch wahrscheinlich eine erhebliche Auswirkung auf den Börsenkurs haben und gerade nicht Informationen, die keine Auswirkung auf den Kurs haben.444 Zudem sprach sich das Tribunal für das Verständnis aus, den reasonable investor test lediglich als Konkretisierungskriterium für das Merkmal der Kursrelevanz anzusehen,445 womit er dem deutschen und französischen Verständnis angepasst wurde. Europaweit einzigartig war das Verbot, welches Sec. 118(4) FSMA statuierte. Danach war ein Verhalten untersagt, das auf Informationen beruhte, die zwar nicht öffentlich bekannt waren, die aber, wenn sie einem gewöhnlichen Marktteilnehmer (regular user of the market) bekannt gewesen wären, von ihm als relevant für seine Anlageentscheidung angesehen worden wären (relevant information not generally available – RINGA-Konzept). Konkretisiert wurde der Verbotstatbestand durch den regular user test,446 der einen Vergleich des Verhaltens mit anerkannten Marktpraktiken forderte, um festzustellen, ob aus Sicht eines gewöhnlichen Marktteilnehmers wahrscheinlich ein Verstoß gegen die Verhaltensstandards am Markt vorlag. Das RINGA-Konzept stammte noch aus der Zeit vor der MMRL, wurde jedoch nach dessen Umsetzung umgestaltet und als Auffangtatbestand beibehalten. Inhaltlich ging Sec. 118(4) FSMA dabei weit über die Vorgaben der MMRL hinaus. Es bedurfte weder einer präzisen Information noch musste diese Information ein Potential zur erheblichen Kursbeeinflussung haben. Darüber hinaus musste kein Insider im Sinne von Sec. 118B FMSA gehandelt haben und auch ein aktives Handeln mit 442 Financial Markets Law Committee, Issue 154 – Analysis of Legal Uncertainties Arising from Article 6 of the Proposal for a Regulation on Insider Dealing and Market Manipulation, 30 March 2012, S. 19; FSA final notice to JJB Sports plc, dated 25 January 2011, S. 10 f. Ziff. 52 und 56. 443 Ian Charles Hannam v. Financial Conduct Authority, [2014] UKUT 0233 (TCC). 444 Ian Charles Hannam v. Financial Conduct Authority, [2014] UKUT 0233 (TCC), Ziff. 97, 98 und 102: „As just noted, the reasonable investor is an investor who would take into account information which would be likely to have a significant effect on price. Conversely, he is an investor who would not take into account information which would have no effect on price at all […].“ 445 Ian Charles Hannam v. Financial Conduct Authority, [2014] UKUT 0233 (TCC), Ziff. 100. 446 Erläuterungen zum regular user test fanden sich in MAR 1.2.20 und 1.2.21 FCA Handbook.

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Wertpapieren war nicht erforderlich, vielmehr war grundsätzlich jedes Verhalten geeignet den Tatbestand zu erfüllen. Trotz der Fortgeltung nach Umsetzung der MMRL hatte das RINGA-Konzept für die Aufsichtspraxis im Vereinigten Königreich aber keine Bedeutung mehr und sollte hauptsächlich Abschreckungswirkung entfalten. Ein Hauptgrund für die Bedeutungslosigkeit des RINGA-Konzepts in der Praxis waren die principles, die im ersten Abschnitt (Principle for Businesses – PRIN) des Handbuchs der Financial Conduct Authority447 (FCA Handbook) geregelt sind.448 Dabei handelt es sich um übergeordnete Rechtsgrundsätze (high level standards), die in ihrer Formulierung allgemein gehalten und ebenfalls Grundlage für aufsichtsrechtliche Sanktionen der FCA waren. Die principles sind verbindliche Vorschriften449 und wurden nicht durch die in Sec. 118 FSMA normierten Verbotstatbestände gesperrt, womit die FCA ihre Sanktionen jederzeit ausschließlich oder ergänzend auf die principles stützen konnte (principles-based regulation)450 – und weiterhin kann, da auch die Vorschriften der MMVO keine Sperrwirkung entfalten und die principles so weiterhin anwendbar sind.451 Die Aufsichtspraxis griff regelmäßig dann auf die principles, und gerade nicht auf das RINGA-Konzept zurück,452 wenn die Verbotstatbestände nach Sec. 118 FSMA nicht erfüllt waren oder einzelne Tatbestandsvoraussetzungen nicht nachgewiesen werden konnten, um dennoch zu missbilligendes Verhalten zu pönalisieren.453

II. Ad-hoc-Publizität 1. Vereinigtes Königreich Durch das RINGA-Konzept verfügte das Vereinigte Königreich zwar über ein Instrument, das deutlich früher ansetzte als die Insiderverbote der MMRL. Eine gleichzeitige Ad-hoc-Publizitätspflicht wurde dadurch jedoch nicht ausgelöst. 447

Bis 31. 03. 2013 Financial Services Authority (FSA). PRIN 2.1 FCA Handbook. 449 Die principles sind im FCA Handbook mit einem (R) für rule klassifiziert und daher verbindlich, im Gegensatz zu bloßen Leitlinien, die mit einem (G) für guidance gekennzeichnet sind. 450 Näher zur principles-based regulation Black/Hopper/Band, Making a success of Principles-based regulation, 1 Law & Fin. Mkt. Rev. 191 ff. (2007); Black, Forms and paradoxes of principles-based regulation, 3 CMLJ 425 ff. (2008). 451 Veil, in: Veil/ECML, § 14 Rn. 57, 59; Veil, ZBB 2014, 85, 87. 452 Vgl. HM Treasury, FSMA Market Abuse Regime: final impact assessment on the sunset clauses, June 2008, S. 11: „Since the implementation of MAD in 2005 no action based on the superequivalent provisions [inter alia Sec. 118(4) FSMA] has been taken […].“ 453 Siehe etwa FSA Final Notice to Sean Julian Pignatelli, dated 20 November 2006; FSA Final Notice to Roberto Chiarion Casoni, dated 20 March 2007; Veil, in: Veil/ECML, § 14 Rn. 57. 448

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Kap. 2: Grundzüge des US-amerikanischen Insiderrechts und MMRL

Vielmehr war die Ad-hoc-Publizität, die sich im zweiten Abschnitt der Disclosure and Transparency Rules (DTR) des FCA Handbooks, genauer in DTR 2.2.1, befand, an den Begriff der Insiderinformation in Sec. 118C FSME gekoppelt454 und identisch nach den MMRL-Vorgaben umgesetzt. Da Insiderhandelsverbote und Ad-hoc-Publizitätspflicht somit auf zwei verschiedenen Stufen ausgelöst wurden, sprach man auch von einem zweistufigen Modell im Vereinigten Königreich455 – im Gegensatz etwa zum deutschen Gesetzgeber, der ein einstufiges Modell verfolgte, bei dem die Insiderverbote und die Ad-hoc-Publizität an denselben Begriff der Insiderinformation anknüpften.456 Der Ausnahmetatbestand der Befreiung der Veröffentlichungspflicht war in DTR 2.5.1 geregelt. Diese Ausnahme griff zwar, erneut im Gegensatz zur Aufsichtspraxis in Deutschland,457 automatisch, also ohne zusätzlichen Beschluss, wurde jedoch von der Aufsicht im Vereinigten Königreich eher restriktiv interpretiert.458 2. Frankreich In Frankreich waren die Regeln zur Veröffentlichung einer Insiderinformation in Buch II des Règlement Général in den Art. 223-1-A – 223-10-1 RG AMF statuiert. Die Ad-hoc-Publizität knüpfte dabei an den Begriff der Insiderinformation in Art. 621-1 Abs. 1 RG AMF an (Art. 223-2 Abs. 1 RG AMF), womit in Frankreich grundsätzlich ein einstufiges Modell wie in Deutschland bestand.459 Allerdings verpflichtete Art. 223-1 RG AMF dazu, nur Informationen zu veröffentlichen, die exakt, präzise und wahrheitsgemäß (exacte, précise et sincère) waren. Zweck dieser Regelung war die Vermeidung einer Irreführung des Kapitalmarkts durch verfrühte Mitteilungen über unsichere Sachverhalte.460 Gerade bei längeren Entscheidungsprozessen konnte dies zur Folge haben, dass eine bereits früh entstandene Insiderinformation erst später mit weiteren Insiderinformationen, die für das Verständnis der Anleger von der ersten Insiderinformation wesentlich waren, veröffentlicht 454

Dies ergab sich aus der Definition des Begriffs der Insiderinformation im glossary des FCA Handbooks. 455 So aus der deutschen Literatur Krause, CZZ 2014, 248, 250; Krause/Brellochs, AG 2013, 309, 319. 456 Krause, CZZ 2014, 248, 250; Assmann, in: Assmann/Uwe H. Schneider-WpHG, § 15 Rn. 54. 457 Vor allem die BaFin, Emittentenleitfaden 2013, S. 59 ging davon aus, dass die Befreiung nicht automatisch erfolgte; in der Literatur war diese Frage dagegen umstritten, zum Streit Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 17 Rn. 178 ff. 458 Vgl. Davies, Gower and Davies’ Principles of Modern Company Law, Rn. 26-6: „The balance is clearly weighted in favour of disclosure and away form protection of ,legitimate interests‘ except in very narrow circumstances.“ 459 Hierzu Krause/Brellochs, AG 2013, 309, 327. 460 Vgl. Cour d’Appel de Paris v. 26. 9. 2003 – Flammarion; Krause/Brellochs, AG 2013, 309, 327.

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werden durfte, um zu gewährleisten, dass die Insiderinformation stets im Zusammenhang offengelegt wurde und mithin von den Anlegern richtig eingeordnet werden konnte. In diesen Fällen der Entkoppelung von Insiderverboten und Ad-hocPublizitätspflicht glich die französische Regelung dem zweistufigen Modell im Vereinigten Königreich. Der Befreiungstatbestand von der Veröffentlichungspflicht war in Art. 223-2 Abs. 2 und 3 RG AMF statuiert, wobei auch im französischen Recht für die Selbstbefreiung kein zusätzlicher Beschluss notwendig war.461

III. Aufsichtsrechtliche Sanktionen bei Insiderverstößen 1. Frankreich In Frankreich liegt die nationale Aufsicht über die Kapitalmärkte in den Händen der AMF. Diese wurde durch Art. L. 621-15 Code monétaire et financier ermächtigt, aufsichtsrechtliche Sanktionen zu erlassen, wofür intern die commission des sanctions der AMF zuständig war. Diese unterlag bei ihren Bußgeldern, wie die BaFin in Deutschland (§ 39 Abs. 6 WpHG a.F.),462 zwar einem festen Bußgeldrahmen, jedoch war dieser bereits vor der Finanzmarktkrise weiter als in Deutschland. Die BaFin konnte bei vorsätzlicher Begehung, abhängig von der verletzten Norm, Bußgelder von bis zu 50.000, 100.000, 200.000, 500.000 und 1 Mio. Euro verhängen463 – bei Leichtfertigkeit oder Fahrlässigkeit halbierte sich der jeweilige Höchstbetrag (§ 17 Abs. 2 OWiG). Diese Geldbußen richteten sich grundsätzlich nur gegen natürliche Personen, da nach deutschem Recht nur sie Ordnungswidrigkeiten begehen können.464 Jedoch konnten, wenn die Voraussetzungen des § 30 OWiG vorlagen, auch juristische Personen und Personenvereinigungen mit Bußgeldern bedacht werden (Verbandsgeldbuße).465 Die Höchstbeträge dieser Verbandsgeldbuße waren bei Verstößen gegen § 39 WpHG dabei identisch mit denen für natürliche Personen.466 Im Gegensatz dazu konnte die commission des sanctions juristischen Personen ein Bußgeld von bis zu 10 Mio. Euro und natürlichen Personen von bis zu 1,5 Mio. Euro auferlegen. Aufgrund der Finanzmarktkrise sah der französische Gesetzgeber den461

So Krause/Brellochs, AG 2013, 309, 327. Ausführlich zum Bußgeldverfahren Canzler/Hammermaier, AG 2014, 57 ff.; und den Bußgeldleitlinien der BaFin Heinrich/Krämer/Mückenberger, ZIP 2014, 1557 ff. 463 In Ausnahmefällen konnte unter den Voraussetzungen des § 17 Abs. 4 OWiG diese Höchstgrenze noch überschritten werden. 464 Altenhain, in: KK/WpHG, § 39 Rn. 94; vgl. auch Waßmer, in: Fuchs/WpHG, Vor §§ 38 – 40b Rn. 87 ff. 465 Canzler/Hammermaier, AG 2014, 57, 64 ff.; Waßmer, in: Fuchs/WpHG, Vor §§ 38 – 40b Rn. 87. 466 Altenhain, in: KK/WpHG, § 39 Rn. 97; Waßmer, in: Fuchs/WpHG, Vor §§ 38 – 40b Rn. 100. 462

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Kap. 2: Grundzüge des US-amerikanischen Insiderrechts und MMRL

noch die Notwendigkeit, die Sanktionen drastisch, nämlich um das zehnfache, zu erhöhen. Folglich betrugen die Höchstwerte für ein Bußgeld nun 100 Mio. Euro für juristische Personen und 15 Mio. Euro für natürliche Personen, Art. L. 621-15-III Code monétaire et financier. Anders als die Aufsicht im Vereinigten Königreich machte die commission des sanctions der AMF von ihrer Befugnis, Bußgelder zu erlassen, auch in der Praxis regelmäßig gebrauch. Zwar waren Bußgelder im sechsstelligen Bereich auch schon vor der Finanzmarktkrise keine Seltenheit, jedoch schöpfte die AMF ihren immensen Bußgeldrahmen nicht einmal ansatzweise aus. Neben den Bußgeldern wurden auf der Internetseite der AMF sowohl die Verstöße als auch die daraus resultierenden Sanktionen veröffentlicht.467 Auch die BaFin machte von ihrem recht weiten Bußgeldrahmen nicht vollumfänglich Gebrauch.468 Bezogen auf das Insiderrecht sanktionierte sie hauptsächlich Verstöße gegen die Ad-hoc-Publizitätspflicht nach § 15 WpHG a.F.469 Dabei verhängte die BaFin zwar durchaus auch sechsstellige Strafbeträge, an den für Verletzungen von § 15 WpHG a.F. möglichen Bußgeldspitzenbetrag von 1 Mio. EUR reichten ihre Sanktionen aber auch nicht heran470 – 2013 war der höchste Sanktionsbetrag 97.500 EUR,471 2014 125.000 EUR472 und 2015 215.000 EUR.473 Eine Grundlage die Sanktionen zu veröffentlichen, gab es für die BaFin hingegen nicht. 2. Vereinigtes Königreich Für die Kapitalmarktaufsicht im Vereinigten Königreich war zunächst die FSA zuständig. Durch die globale Finanzkrise kamen jedoch Zweifel auf, ob die FSA als alleinige Aufsichtsbehörde den vielfältigen Aufsichtsaufgaben noch gewachsen ist. Nach dem Regierungswechsel 2010 entschied die neue Regierung, die Aufsicht im Vereinigten Königreich auf zwei Behörden aufzuteilen (twin peak approach).474 Seit dem 1. April 2013 obliegt daher die nationale Aufsicht der FCA und der Prudential Regulation Authority (PRA). Letztere ist dabei für die Aufsicht von Banken und Versicherungen zuständig und soll so die finanzielle Stabilität sicherstellen.475 Die 467 Siehe www.amf-france.org Rubrik „Sanctions & transactions/Décisions de la Commission des sanctions“. 468 Zur Sanktionspraxis der BaFin siehe Hammes/Becker, in: BaFin Journal, März 2013, S. 22 ff. 469 Vgl. Waßmer, in: Fuchs/WpHG, Vor §§ 38 – 40b Rn. 65. 470 Wobei zu berücksichtigen ist, dass die Höchstbeträge nur die denkbar schwersten Fälle erfassen sollten, vgl. Canzler/Hammermaier, AG 2014, 57, 68. 471 BaFin, Jahresbericht 2013, S. 189. 472 BaFin, Jahresbericht 2014, S. 239 f. 473 BaFin, Jahresbericht 2015, S. 256 ff. 474 Allgemein zur Entwicklung der Aufsicht im Vereinigten Königreich hin zum twin peak approach und Kritik hieran Ferran, The Break-up of the Financial Services Authority, 31 Oxford J. Leg. St. 455 (2011). 475 Zu den Aufgaben der PRA siehe Sections 2B – 2D Financial Services Act 2012.

B. Vergleichende Betrachtung der Insiderregime

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FCA übernimmt alle verbleibenden Aufsichtsaufgaben, zum Beispiel Verbraucherschutz, Schutz der Marktintegrität und Börsenzulassungen.476 Die Befugnisse zu aufsichtsrechtlichen Sanktionen befanden sich hauptsächlich in Sec. 123 FSMA, konkretisiert durch den Abschnitt Decision Procedure and Penalties Manual (DEPP) des FCA Handbook. Hiernach konnten, anders als in Deutschland und Frankreich, Bußgelder in unbegrenzter Höhe erhoben (Sec. 123(1) FSMA) oder der jeweilige Marktmissbrauch veröffentlicht werden (Sec. 123(3) FSMA). Zudem war es möglich, die durch Insiderhandel rechtswidrig erlangten Gewinne abzuschöpfen, Sec. 383 f. FSMA. Durch die Möglichkeit aufsichtsrechtlicher Sanktionierung nicht nur bei Verstößen gegen die Insiderverbote nach Sec. 118(2) und 118(3) FSMA, sondern auch bei Verletzung der principles, war das Insiderrecht des Vereinigten Königreichs grundsätzlich strenger ausgestaltet als von der MMRL vorgegeben.477 In der Praxis zeigte sich jedoch lange ein anderes Bild. Die Aufsicht im Vereinigten Königreich war eher für ihr laxes Durchgreifen bekannt, was ihr einiges an Kritik einbrachte.478 Zudem wurde ein sog. risk-based approach479 verfolgt.480 Danach wurde von der Aufsicht nicht jeder Verstoß sanktioniert, sondern nur solche Verstöße, bei denen es im Hinblick auf die aufsichtsrechtlichen Ziele und eine optimale Ressourcennutzung als erforderlich erschien.481 Erst in Folge der Finanzmarktkrise wurde die Rechtsdurchsetzung und Sanktionierung von der Aufsicht mit größerem Nachdruck verfolgt.482 Hierzu stellte die FSA im Jahr 2010 einen new penalty framework vor, der

476

Zu den Aufgaben der FCA siehe Sections 1B – 1E Financial Services Act 2012. Siehe zu den Vorgaben Art. 14 Abs. 1 S. 1 MMRL. 478 Coffee, Law and the Market: The Impact of Enforcement, 156 U. Pa. L. Rev. 229, 310 (2007): „Arguably, the FSA’s evident preference for gentle guidance over tough enforcement may work adequately with law-compliant public corporations and investment banks, but such an approach seems futile in the case of more predatory misbehavior, such as insider trading […].“ 479 Zum Begriff Black, The Emergence of Risk-Based Regulation and the New Public Risk Management in the United Kingdom, P.L. 512, 514 (2005). 480 Enforcement Guide des FCA Handbooks, Ziff. 2.9 und 7.10; siehe auch Black, The Emergence of Risk-Based Regulation and the New Public Risk Management in the United Kingdom, P.L. 512, 522 (2005); Ford, New Governance, Compliance and Principles-Based Securities Regulation, 45 Am. Bus. L.J. 1, 15 (2008). 481 Vgl. Enforcement Guide des FCA Handbook, Ziff. 2.9: „The combination of the priority given to certain types of misconduct over others and the FCA’s risk-based approach to enforcement means that certain cases will be subject to enforcement action and others not, even where they may be similar in nature or impact. The FCA’s choice as to the use of the enforcement tool is therefore a question of how the FCA uses its resources effectively and efficiently and how it ensures that it is an effective regulator.“ 482 Siehe Alexander, Principles v Rules in Financial Regulation: Re-assessing the Balance in the Credit Crisis Symposium at Cambridge University, 10 EBOR 169 (2009); aus dem deutschen Schrifttum Veil/Wundenberg, Englisches Kapitalmarktrecht, S. 47; Veil, in: Veil/EurKapR, § 13 Rn. 131. 477

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Kap. 2: Grundzüge des US-amerikanischen Insiderrechts und MMRL

unter anderem zu höheren Bußgeldern führte483 und dessen Festlegung anhand eines Fünf-Schritte-Verfahrens484 vorsah – weiterhin ohne die Behörden dabei an einen festen Bußgeldrahmen zu binden.

IV. Fazit Die vergleichende Betrachtung in den drei Bereichen des Insiderrechts veranschaulicht und spezifiziert, welche Aspekte zu der divergierenden Rechtslage unter den Vorgaben der MMRL geführt haben. Sprachliche Abweichungen vom Richtlinientext, die es teilweise gab, spielten dabei keine große Rolle, da sie zu keinen inhaltlichen Unterschieden geführt haben. Vielmehr war die Verwendung von unbestimmten Rechtsbegriffen, wie etwa dem des verständigen Anlegers, für eine einheitliche Rechtslage problematisch. Diese boten den nationalen Gerichten und Aufsichtsbehörden Interpretationsspielräume, die teilweise sehr unterschiedlich wahrgenommen wurden. So prägte die Massey-Entscheidung des Upper Tribunal lange Zeit ein extensives Verständnis des reasonable investor test im Vereinigten Königreich, was dazu führte, dass es trotz inhaltlich gleicher Umsetzung mit Deutschland und Frankreich in der Praxis zu unterschiedlichen Ergebnissen bezüglich der Frage kam, wann eine Insiderinformation vorlag. Da an das Vorliegen einer solchen Insiderinformation grundsätzlich die Pflicht anknüpfte, die Insiderinformation unverzüglich zu veröffentlichen, divergierten die dargestellten Länder auch in dieser Hinsicht. Am Beispiel der Ad-hoc-Publizitätspflicht in Frankreich lässt sich zudem eine weitere Ursache beobachten, die einer einheitlichen Rechtslage entgegenstand – die Ausgestaltung der einzelnen Regeln. Die MMRL machte, wie grundsätzlich alle Richtlinien dieser Zeit, nur Mindestvorgaben was den Regelungsrahmen betraf. Die genaue Ausgestaltung wurde den nationalen Gesetzgebern überlassen. In Frankreich entschied man sich dafür an die zu veröffentlichende Insiderinformation noch zusätzliche Anforderungen zu stellen (gold-plating).485 Im Ergebnis wurde mithin die Veröffentlichungspflicht vor allem bei längeren Entscheidungsprozessen nach hinten verlagert, mit der Konsequenz, dass es in den drei dargestellten Ländern – zumindest zeitweise – jeweils einen anderen Zeitpunkt gab, an dem die Ad-hoc-Publizitätspflicht ausgelöst wurde: Am frühesten im Vereinigten Königreich (zumindest unter 483 2007 verhängte die FSA insgesamt nur ein Bußgeld in Höhe von 5,341,500 Pfund. Im Jahr 2009 waren es allein in den 12 Verfahren wegen Insiderhandel und Marktmissbrauch schon 8,505,000 Pfund, siehe FSA, Annual Report 2009/2010, S. 38 f. 2011 wurden in 13 Verfahren wegen Insiderhandel und Marktmissbrauch Geldbußen in Höhe von insgesamt 15,600,000 Pfund verhängt, siehe FSA, Annual Report 2011/2012, S. 45. 484 DEPP 6.5.3 ff. FCA Handbook. 485 Zum Begriff Burmeister/Staebe, EuR 2009, 444 ff.; auch Lehne/Freudenberg, ZRP 2013, 58, 60, worin Lehne die These vertritt, dass das gold plating der Mitgliedsstaaten der Hauptgrund für den Wechsel von der Richtlinie zur Verordnung sei.

B. Vergleichende Betrachtung der Insiderregime

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Geltung des weiten Verständnisses in Massey), dann in Deutschland und zuletzt in Frankreich (aufgrund der zusätzlichen Voraussetzungen in Art. 223-1 RG AMF).486 Einen weiteren Grund offenbart der Blick auf die aufsichtsrechtlichen Sanktionen. Auch hier waren teilweise deutliche Differenzen in der Ausgestaltung zu erkennen. Einerseits fester Bußgeldrahmen mit stark divergierenden Bußgeldhöchstbeträgen in Deutschland und Frankreich. Andererseits bestand im Vereinigten Königreich die Möglichkeit grundsätzlich Bußgelder in unbegrenzter Höhe zu erlassen. Ein Problem war aber die unterschiedliche Handhabung und Durchsetzung der vorhandenen aufsichtsrechtlichen Sanktionen. So wurden etwa im Vereinigten Königreich nicht alle, sondern nur ausgewählte Verstöße sanktioniert. Eine Praxis, die mit dem in Deutschland geltenden Gleichheitsgebot und Bestimmtheitsgrundsatz kaum in Einklang zu bringen gewesen wäre.487 Zwar wurde die Sanktionspraxis nach der Finanzmarktkrise 2008 in den Mitgliedsstaaten, vor allem im Vereinigten Königreich, verschärft. Die vorhandene Heterogenität war dem europäischen Gesetzgeber jedoch letztendlich zu groß. Seiner Meinung nach war die MMRL mit ihren Gestaltungsspielräumen für die Mitgliedsstaaten nicht mehr geeignet, um für „einheitliche Regeln, die Klarheit zentraler Begriffe und ein einheitliches Regelwerk […] zu sorgen.“488 Diese Homogenität soll mithin durch die MMVO erreicht werden – ob diese tatsächlich das geeignete Instrument dafür ist, soll in den folgenden Kapiteln analysiert werden.

486 487 488

Anschaulich hierzu Krause/Brellochs, AG 2013, 309, 334. Vgl. Veil/Wundenberg, Englisches Kapitalmarktrecht, S. 47. So ausdrücklich Erwägungsgrund 3 MMVO.

Kapitel 3

Europarechtlicher Hintergrund der MMVO Wie schon bei der MMRL, handelt es sich auch bei der MMVO um einen europäischen Rechtsakt. Die Vorschriften der MMRL bedurften dabei noch der Umsetzung in nationales Recht, womit die Vorschriften im WpHG zwar europarechtlich determiniert waren, es sich aber letztlich um die Anwendung von nationalem Recht handelte. Die MMVO erlangte in ihren wesentlichen Teilen jedoch unmittelbare Geltung in den Mitgliedsstaaten, womit es die Praxis seit Einführung der MMVO folglich mit europarechtlichen Vorschriften zu tun hat. Eine kritische Betrachtung der Reform des Insiderrechts durch die MMVO kann daher nicht ohne eine nähere Beleuchtung ihres europarechtlichen Hintergrunds auskommen.

A. Allgemeines zur europäischen Rechtsetzung I. Die Rechtsetzungsinstrumente nach Art. 288 AEUV Den EU-Organen stehen gemäß Art. 288 Abs. 1 AEUV zur Rechtsetzung grundsätzlich fünf Rechtsakte/Handlungsformen489 zur Verfügung – Verordnungen, Richtlinien, Beschlüsse, Empfehlungen und Stellungnahmen. Dabei sind Verordnungen, Richtlinien und Beschlüsse verbindlich, entfalten also eine rechtliche Bindungswirkung,490 wohingegen Empfehlungen und Stellungnahmen einen unverbindlichen Charakter haben.491 Die verbindlichen Rechtsakte können sowohl als Gesetzgebungsakte (Art. 289 AEUV) als auch als Rechtsakte ohne Gesetzescharakter erlassen werden.492 Art. 289 Abs. 3 AEUV stellt klar, dass nur solche Rechtsakte Gesetzgebungsakte sind, die in einem ordentlichen (Art. 289 Abs. 1 AEUV) oder in einem besonderen (Art. 289 Abs. 2 AEUV) Gesetzgebungsverfahren 489 Schroeder, in: Streinz-EUV/AEUV, Art. 288 AEUV Rn. 1 und Biervert, in: Schwarze/ EUK, Art. 288 AEUV Rn. 4 sprechen von „Handlungsformen“; Geismann, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Vor Art. 288 – 299 AEUV Rn. 3 spricht von „Rechtsakten“; so auch Art. 289 Abs. 3 AEUV. Nachfolgend wird der Begriff „Rechtsakte“ verwendet. 490 Art. 288 Abs. 2 – 4 AEUV; Geismann, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Vor Art. 288 – 299 AEUV Rn. 3. 491 Art. 288 Abs. 5 AEUV; Biervert, in: Schwarze/EUK, Art. 288 AEUV Rn. 37; Geismann, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Vor Art. 288 – 299 AEUV Rn. 3. 492 Schmidt, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Art. 289 AEUV Rn. 5; vgl. auch Ruffert, in: Calliess/Ruffert-EUV/AEUV, Art. 289 AEUV Rn. 8.

A. Allgemeines zur europäischen Rechtsetzung

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erlassen wurden. Daraus folgt zum einen, dass unter anderem delegierte Rechtsakte (i.S.v. Art. 290 AEUV) und Durchführungsrechtsakte (i.S.v. Art. 291 AEUV) ungeachtet ihrer Verbindlichkeit keine Gesetzgebungsakte sind.493 Zum anderen wird klar, dass die Unterscheidung zwischen Rechtsakten mit und ohne Gesetzgebungscharakter nicht mit der Wahl des Rechtsakts zusammenhängt, sondern rein formal der Entstehung des Rechtsakts folgt494 und daher vorrangig „verfahrenstechnische Bedeutung“ hat.495

II. Richtlinie und Verordnung – die beiden wichtigsten Rechtsakte Die beiden mit Abstand wichtigsten Rechtsakte bezüglich der Gesetzgebung stellen die Richtlinie und die Verordnung dar. Richtlinien sind dabei gemäß Art. 288 Abs. 3 AEUV für jeden Mitgliedsstaat, an den sie gerichtet werden, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, überlassen jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und Mittel. Verordnungen hingegen haben nach Art. 288 Abs. 2 AEUV allgemeine Geltung, sind in allen ihren Teilen verbindlich und gelten unmittelbar in jedem Mitgliedsstaat. Sie enthalten abstrakt-generelle Regelungen496 und entgegenstehendes nationales Recht ist nicht mehr anwendbar, allerdings nicht nichtig.497

III. Die Wahl des Rechtsakts nach Art. 296 Abs. 1 AEUV Solange die Rechtsgrundlage dem EU-Gesetzgeber nicht die Art des Rechtsakts vorschreibt, hat dieser die Wahl zwischen Richtlinie und Verordnung.498 Bei seiner Entscheidung muss der Gesetzgeber jedoch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit berücksichtigen (Art. 296 Abs. 1 AEUV i.V.m. Art. 5 Abs. 4 EUV). Dabei lässt sich aus dem engen systematischen Zusammenhang zwischen dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in Art. 5 Abs. 4 EUV und dem in Abs. 3 desselben Artikels geregelten Subsidiaritätsprinzip ableiten, dass der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz neben den 493 Gellermann, in: Streinz-EUV/AEUV, Art. 289 AEUV Rn. 1; Geismann, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Vor Art. 288 – 299 AEUV Rn. 5. 494 Gellermann, in: Streinz-EUV/AEUV, Art. 289 AEUV Rn. 16; Ruffert, in: Calliess/ Ruffert-EUV/AEUV, Art. 289 AEUV Rn. 1. 495 So ausdrücklich Schmidt, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Art. 289 AEUV Rn. 5. 496 Hetmeier, in: Lenz/Borchardt, Art. 288 AEUV Rn. 7. 497 So die herrschende Lehre vom Anwendungsvorrang; anders die Lehre vom Geltungsvorrang, wonach entgegenstehendes nationales Recht nichtig ist; zur Diskussion Streinz, Europarecht, Rn. 221 f. 498 Vgl. Wunderlich/Pickartz, EuR 2014, 659.

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Kap. 3: Europarechtlicher Hintergrund der MMVO

Bürgern vor allem auch die Mitgliedsstaaten schützt.499 Daraus folgt, dass stets die die Mitgliedsstaaten am wenigsten belastende Maßnahme zu wählen ist, wobei aber auch die Geeignetheit in Bezug auf das verfolgte Regelungsziel mit in die Abwägung einbezogen werden muss.500 Konsequenz ist, dass ein Rechtsakt verhältnismäßig sein kann, der zwar den Mitgliedsstaaten keinen Handlungsspielraum einräumt, aber zur Zielerreichung des Gesetzgebungsvorschlags besser geeignet ist. Gleichzeitig ist zu berücksichtigen, dass dem Gesetzgeber grundsätzlich ein weiter Ermessensspielraum bei seiner Rechtsaktwahl zugestanden wird.501

IV. Regel-Vorrang der Richtlinie als grundsätzlich schonendere Maßnahme Zur Frage, ob es im Rahmen der sich am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu orientierenden Entscheidung ein etwaiges Rangverhältnis zwischen Richtlinie und Verordnung gibt, hat sich der Europäische Gerichtshof bisher nicht ausdrücklich geäußert.502 Die Richtlinie nimmt grundsätzlich mehr Rücksicht auf die Belange der Mitgliedsstaaten,503 indem sie lediglich das Ziel vorgibt, aber Form und Mittel den Mitgliedsstaaten überlässt. Dadurch lässt sie den einzelnen Staaten Platz für eine systemgerechte Anpassung ihrer nationalen Rechtsordnungen und ist damit grundsätzlich schonender für die Mitgliedsstaaten, die gleichzeitig selbstbestimmter bleiben.504 Aus diesen Gründen der Richtlinie bei der Entscheidung hinsichtlich des Rechtsakts einen Per-se-Vorrang einzuräumen, ist jedoch abzulehnen. Dagegen spricht schon der Wortlaut von Art. 296 Abs. 1 AEUV, der eine Entscheidung „von Fall zu Fall“ fordert und damit klarstellt, dass es keine starre Reihenfolge bei der Entscheidungsfindung gibt.505 Im Schrifttum ist allerdings die Präferenz zu erkennen, der Richtlinie einen Regel-Vorrang dergestalt einzuräumen, dass die Richtlinie

499 Saurer, JZ 2014, 281; Streinz, in: Streinz-EUV/AEUV, Art. 5 EUV Rn. 41; Wunderlich/ Pickartz, EuR 2014, 659, 661. 500 Wunderlich/Pickartz, EuR 2014, 659, 662. 501 EuGH Urt. v. 08. 06. 2010 – Rs. C-58/08, Slg. 2010, I-4999, Rn. 52 (Vodafone); Streinz, in: Streinz-EUV/AEUV, Art. 5 EUV Rn. 48. 502 Wunderlich/Pickartz, EuR 2014, 659, 662. 503 Vgl. Veil, in: Veil/EurKapR, § 3 Rn. 15. 504 Vgl. von Danwitz, in: Dauses/Ludwigs, Kap. B. II. Rn. 105; Calliess, in: Calliess/ Ruffert-EUV/AEUV, Art. 5 EUV Rn. 54; Wunderlich/Pickartz, EuR 2014, 659, 663; kritisch allerdings Bast, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 5 EUV Rn. 72 „nicht per se das autonomieschonendere Mittel“. 505 So auch Wunderlich/Pickartz, EuR 2014, 659, 662; vgl. auch Gellermann, in: StreinzEUV/AEUV, Art. 296 AEUV Rn. 3; Calliess, in: Calliess/Ruffert-EUV/AEUV, Art. 296 AEUV Rn. 6.

B. Paradigmenwechsel in der kapitalmarktrechtlichen Gesetzgebung

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unter Verhältnismäßigkeitsaspekten in der Regel das bevorzugte Rechtsetzungsinstrument darstellt.506

B. Paradigmenwechsel in der kapitalmarktrechtlichen Gesetzgebung I. Entwicklung der Kapitalmarktregulierung 1. Mindest- und Vollharmonisierung im Kapitalmarktrecht Mit der Wahl des Rechtsakts eng verknüpft, ist die Frage nach dessen Harmonisierungsgrad. Die europäische Gesetzgebung unterscheidet dabei grundsätzlich zwischen zwei Arten der Harmonisierung: der Vollharmonisierung und der Mindestharmonisierung. Vollharmonisierung meint dabei die abschließende, europaweite Regelung einer Rechtsmaterie, ohne dass es den Mitgliedsstaaten im Anwendungsbereich der unionalen Regelung erlaubt ist, hiervon abweichende (strengere) Vorschriften zu erlassen.507 Anders hingegen bei der Mindestharmonisierung, wo das Unionsrecht lediglich zu übernehmende Mindeststandards vorschreibt, es den Mitgliedsstaaten aber offensteht strengere Vorschriften zu erlassen.508 Die beiden dargestellten Harmonisierungsniveaus lassen sich sowohl mit einer Richtlinie als auch mit einer Verordnung umsetzen, womit allein aus der Wahl des Rechtsakts nicht zwingend auf den Harmonisierungsgrad geschlossen werden kann.509 Allerdings streben Verordnungen in der Regel eine Vollharmonisierung an, womit deren Wahl zumindest eine gewisse indizielle Bedeutung für eine Vollharmonisierung entnommen werden kann.510 In letzter Konsequenz muss die Frage, ob ein Rechtsakt voll- oder nur mindestharmonisierenden Charakter aufweist aber durch

506

Von Danwitz, in: Dauses/Ludwigs, Kap. B. II. Rn. 105; Calliess, in: Calliess/RuffertEUV/AEUV, Art. 296 AEUV Rn. 6; Gellermann, in: Streinz-EUV/AEUV, Art. 296 AEUV Rn. 3; Wunderlich/Pickartz, EuR 2014, 659, 663; a.A. Ladenburger, ZEuS 2011, 389, 398; Veil, ZGR 2015, 544, 551 Fn. 35: „Seit dem Vertrag von Lissabon hat sich die „Maxime vom Vorrang der Richtlinie vor der Verordnung überholt“. 507 Tietje, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 114 AEUV Rn. 38; Walla, in: Veil/EurKapR, § 4 Rn. 29. 508 Tietje, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 114 AEUV Rn. 41; Herrnfeld, in: Schwarze/ EUK, Art. 114 AEUV Rn. 59. 509 Walla, in: Veil/EurKapR, § 4 Rn. 30; Veil, ZGR 2014, 544, 569. 510 So auch Tietje, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 114 AEUV Rn. 38; Veil, ZBB 2014, 85, 87.

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Kap. 3: Europarechtlicher Hintergrund der MMVO

Auslegung des Rechtsakts und dessen einzelnen Regelungsbereichen beantwortet werden.511 2. Von der mindestharmonisierenden Richtlinie zur Verordnung In der europäischen Gesetzgebung ist seit einiger Zeit die Tendenz zu erkennen, dass der europäische Gesetzgeber vermehrt auf den Rechtsakt der Verordnung anstelle der Richtlinie setzt, wenn ihm die Kompetenznorm die Wahl überlässt.512 Gerade in Bereichen, die bislang durch Richtlinien reguliert waren, werden immer öfter Vorschläge für Verordnungen vorgelegt.513 Dieser Paradigmenwechsel hat auch das Kapitalmarktrecht erreicht, wo lange Zeit die Rechtsetzung durch Richtlinien vorherrschend war.514 In diesen Jahrzehnten der Richtliniengesetzgebung wurde stetig das Konzept der Mindestharmonisierung verfolgt.515 Seit 2009 ist jedoch das Instrument der Verordnung für die Regulierung des Kapitalmarkts in den Vordergrund gerückt,516 womit der eindeutige Trend zu einer möglichst einheitlichen Rechtslage innerhalb des Kapitalmarktrechts der Europäischen Union zu erkennen ist.517 Dieser Entwicklung folgend, wurde nun auch im Marktmissbrauchsrecht die MMRL von der MMVO abgelöst.

II. Das Lamfalussy-Verfahren Die unionale Kapitalmarktgesetzgebung erfolgt seit 2002 nach dem sog. Lamfalussy-Verfahren. Dementsprechend wurde auch die MMVO nach diesem vierstufigen Rechtsetzungsprozess erlassen. Dabei handelt es sich um ein spezielles Komitologieverfahren, bei dem mitgliedsstaatliche Experten in die Gesetzgebung involviert sind.518 Das zunächst auf die kapitalmarktrechtliche Rechtsetzung beschränkte Verfahren wurde im Laufe der Zeit auf die komplette Finanzmarktregu511 Walla, in: Veil/EurKapR, § 4 Rn. 31 f.; Veil, ZBB 2014, 85, 87; zur MMRL Klöhn, WM 2010, 1869, 1879 f. 512 Wunderlich/Pickartz, EuR 2014, 659 f. 513 Beispiele bei Wunderlich/Pickartz, EuR 2014, 659 f.; siehe auch Calliess, in: Calliess/ Ruffert-EUV/AEUV, Art. 296 AEUV Rn. 6. 514 Veil, in: Veil/EurKapR, § 3 Rn. 14; siehe oben Fn. 8. 515 Veil, ZGR 2014, 544, 549. 516 Siehe Verordnung über Ratingagenturen (CRA-I) von 2009 und Verordnung über Leerverkäufe von 2012; hierzu Veil, in: Veil/EurKapR, § 1 Rn. 38, 44, § 3 Rn. 14. 517 Veil, ZGR 2014, 544, 549, der darauf hinweist, dass die wenigen noch bestehenden Richtlinien im Kapitalmarktrecht grundsätzlich eine Vollharmonisierung verfolgen und nur noch in sehr wenigen Bereichen Mindestharmonisierung anzutreffen ist. 518 Walla, in: Veil/EurKapR, § 4 Rn. 4; Lutter/Bayer/J. Schmidt, Rn. 14.49 f.; Rötting/Lang, EuZW 2012, 8; Ruffert, in: Calliess/Ruffert-EUV/AEUV, Art. 290 AEUV Rn. 16.

B. Paradigmenwechsel in der kapitalmarktrechtlichen Gesetzgebung

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lierung ausgedehnt.519 Die MMRL von 2003 war dabei die erste Richtlinie, bei der dieses Verfahren angewendet wurde.520 1. Ursprung und Ziele des Lamfalussy-Verfahrens Das Lamfalussy-Verfahren hat seinen Ursprung im Aktionsplan für Finanzdienstleistungen der Europäischen Kommission (Financial Services Action Plan – FSAP) von 1999.521 Darin wurde das bisherige Mitentscheidungsverfahren (Art. 294 AEUV) als zu langsam und mühselig angesehen, um eine fristgerechte Durchführung des FSAP zu gewährleisten.522 Daraufhin setzte der Rat der Wirtschafts- und Finanzminister der EU bereits im Jahr 2000 einen Ausschuss ein, der unter anderem ein neues Rechtsetzungsverfahren für die Kapitalmarktregulierung entwickeln sollte.523 Dieser Ausschuss unter dem Vorsitz des Barons Alexandre Lamfalussy524 legte am 15. 02. 2001 seinen Abschlussbericht vor (Lamfalussy-Bericht).525 Darin wurden die folgenden Mängel als Hauptprobleme des damaligen Rechtsetzungssystems identifiziert: Das Mitentscheidungsverfahren sei zu langwierig, zu unflexibel, es produziere Zweideutigkeiten und es unterscheide nicht zwischen wesentlichen, bleibenden Grundsätzen und praktischen Vorschriften für die tägliche Anwendung.526 Zur Behebung dieser Defizite empfahl der Ausschuss eben jenes vierstufige Lamfalussy-Verfahren, dessen Ablauf sogleich näher beleuchtet wird.527 Der Ausschuss versprach sich davon zum einen eine Beschleunigung des Gesetzgebungsverfahrens, da nur noch die wesentlichen politischen Grundentscheidungen im Mitentschei519 Beschluss 2004/5/EG der Kommission vom 05. 11. 2003 zur Einsetzung des Ausschusses der europäischen Bankaufsichtsbehörden, ABl. EG Nr. L 3 v. 07. 01. 2004, S. 28 f., Erwägungsgrund 2; Beschluss 2004/6/EG der Kommission vom 05. 11. 2003 zur Einsetzung des Ausschusses der Europäischen Aufsichtsbehörden für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung, ABl. EG Nr. L 3 v. 07. 01. 2004, S. 30 f., Erwägungsgrund 2; siehe auch Weber-Rey/Baltzer, in: Hopt/Wohlmannstetter, S. 439 f.; im Folgenden geht es jedoch ausschließlich um das kapitalmarktrechtliche Verfahren. 520 Lutter/Bayer/J. Schmidt, Rn. 35.2. 521 Kommission, Finanzdienstleistungen: Umsetzung des Finanzmarktrahmens: Aktionsplan, Mitteilung der Kommission, KOM(1999) 232 v. 11. 05. 1999. 522 Kommission, Finanzdienstleistungen: Umsetzung des Finanzmarktrahmens: Aktionsplan, Mitteilung der Kommission, KOM(1999) 232 v. 11. 05. 1999, S. 16; siehe auch Walla, in: Veil/EurKapR, § 4 Rn. 5; Möllers, ZEuP 2008, 480, 483. 523 Veil, in: Veil/EurKapR, § 1 Rn. 16; Lutter/Bayer/J. Schmidt, Rn. 14.43. 524 Die weiteren Mitglieder waren C. Herkströter, L. A. Rojo, B. Ryden, L. Spaventa, N. Walter und N. Wicks. 525 Schlussbericht des Ausschusses der Weisen über die Regulierung der europäischen Wertpapiermärkte, Brüssel 15. Februar 2001, (deutsche Fassung). 526 Schlussbericht des Ausschusses der Weisen über die Regulierung der europäischen Wertpapiermärkte, Brüssel 15. Februar 2001, (deutsche Fassung), S. 21. 527 Schlussbericht des Ausschusses der Weisen über die Regulierung der europäischen Wertpapiermärkte, Brüssel 15. Februar 2001, (deutsche Fassung), S. 26 ff.; siehe auch Möllers, ZEuP 2008, 480, 483 f.

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Kap. 3: Europarechtlicher Hintergrund der MMVO

dungsverfahren erlassen werden sollten. Zum anderen sollte durch die Verlagerung der technischen Durchführungsdetails auf die zweite Stufe und der damit einhergehenden Einbindung von mitgliedsstaatlichem Sachverstand auch eine Entlastung der „regulären“ Gesetzgebung von der hohen Technizität des Finanzmarktrechts erreicht werden.528 Durch den Vertrag von Lissabon529 und die Errichtung530 der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (European Securities and Markets Authority – ESMA)531 hat das ursprüngliche Lamfalussy-Verfahren532 Änderungen erfahren. Zentrale Neuerung war die von nun an starke Rolle der ESMA im Rahmen des Rechtsetzungsprozesses im Kapitalmarktrecht.533 Weitere kleinere Neuerungen folgten durch die Komitologieverordnung aus dem Jahre 2011.534 Aufgrund dieser Veränderungen wird der Rechtsetzungsprozess nun auch vereinzelt als Lamfalussy II-Verfahren bezeichnet.535 2. Ablauf a) Level 1: Rahmenrechtsakte Auf der ersten Stufe des Lamfalussy-Verfahrens entsteht der jeweilige Rahmenrechtsakt, der in Form einer Richtlinie oder einer Verordnung erlassen werden 528 Vgl. Schlussbericht des Ausschusses der Weisen über die Regulierung der europäischen Wertpapiermärkte, Brüssel 15. Februar 2001, (deutsche Fassung), S. 31 f.; Schmolke, EuR 2006, 432, 436. 529 Vertrag von Lissabon zur Änderung des Vertrages über die Europäische Union und des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, ABl. EU Nr. C 306/1 v. 17. 12. 2007, S. 1. 530 Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. 11. 2010 zur Errichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Wertpapierund Marktaufsichtsbehörde), zur Änderung des Beschlusses Nr. 716/2009/EG und zur Aufhebung des Beschlusses 2009/77/EG der Kommission, ABl. EU Nr. L 331 v. 15. 12. 2010, S. 84; im Folgenden ESMA-VO. 531 Nachfolgerin des Ausschusses der Europäischen Aufsichtsbehörden für das Wertpapierwesen (Committee of European Securities Regulators – CESR); im Folgenden wird die englischsprachige Abkürzung ESMA verwendet; näher zur ESMA Walla, in: Veil/EurKapR, § 11 Rn. 40 ff. 532 Hier und nachfolgend bezeichnet der Begriff „ursprüngliches Lamfalussy-Verfahren“ das Verfahren vor dem Vertrag von Lissabon und der Begriff „Lamfalussy-Verfahren“ das Verfahren nach dem Vertrag von Lissabon. 533 Siehe sogleich unter 2.b). 534 Verordnung (EU) Nr. 182/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. 02. 2011 zur Festlegung der allgemeinen Regeln und Grundsätze, nach denen die Mitgliedsstaaten die Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse durch die Kommission kontrollieren, ABl. EG Nr. L 55 v. 28. 02. 2011, S. 13. 535 So Lutter/Bayer/J. Schmidt, Rn. 14.45; Walla, in: Veil/EurKapR, § 4 Rn. 6; nachfolgend wird dieser Begriff aber nicht verwendet, siehe hierzu Fn. 532.

B. Paradigmenwechsel in der kapitalmarktrechtlichen Gesetzgebung

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kann.536 Der Europäische Rat und das Europäische Parlament beschließen auf Vorschlag der Europäischen Kommission im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren (Mitentscheidungsverfahren, Art. 294 AEUV) dabei lediglich die wesentlichen politischen Grundentscheidungen des geplanten Rechtsakts.537 Grundidee ist, dass der Rahmenrechtsakt teilweise unbestimmt bleibt oder sich auf generalklauselartige Regelungen beschränkt und erst auf Stufe 2 eine subsumtions- und praxistaugliche Konkretisierung erfolgt.538 Gleichzeitig werden auf der ersten Stufe sowohl Art und Umfang der auf Stufe 2 zu erlassenden technischen Durchführungsbestimmungen festgelegt als auch innerhalb welcher Grenzen diese Durchführungsbestimmungen geändert und aktualisiert werden können.539 b) Level 2: Delegierte Rechtsakte und Durchführungsrechtsakte Auf der zweiten Stufe geht es um die nähere Ausgestaltung und Präzisierung des auf Level 1 erlassenen Rahmenrechtsakts. Nach dem ursprünglichen LamfalussyVerfahren hat die Kommission die auf Level 1 delegierten Durchführungsbestimmungen entworfen und erlassen.540 Dabei wurde sie vom EU-Wertpapierausschuss (European Securities Committee – ESC) und vom Ausschuss der EU-Wertpapierregulierungsbehörden (CESR) beraten.541 Beide Ausschüsse, die mit hochrangigen Experten der Mitgliedsstaaten besetzt waren, wurden extra für das LamfalussyVerfahren eingerichtet.542 Durch den Vertrag von Lissabon und die Errichtung der ESMA hat sich die Rechtsetzung auf der zweiten Stufe jedoch grundlegend verändert. So wird fortan zwischen delegierten Rechtsakten nach Art. 290 AEUV und Durchführungsrechtsakten nach Art. 291 AEUV unterschieden.543

536 Walla, in: Veil/EurKapR, § 4 Rn. 8; Rötting/Lang, EuZW 2012, 8; Schmolke, EuR 2006, 432, 433. 537 Möllers, ZEuP 2008, 480, 483; Rötting/Lang, EuZW 2012, 8; Schmolke, EuR 2006, 432, 433. 538 Lutter/Bayer/J. Schmidt, Rn. 14.47 f.; Walla, in: Veil/EurKapR, § 4 Rn. 9; Rötting/Lang, EuZW 2012, 8. 539 Schlussbericht des Ausschusses der Weisen über die Regulierung der europäischen Wertpapiermärkte, Brüssel 15. Februar 2001, (deutsche Fassung), S. 30; Schmolke, EuR 2006, 432, 433. 540 Walla, in: Veil/EurKapR, § 4 Rn. 10; Schmolke, EuR 2006, 432, 433. 541 Zur genauen Rolle von ESC und CESR siehe Schmolke, EuR 2006, 432, 433 ff. 542 Schlussbericht des Ausschusses der Weisen über die Regulierung der europäischen Wertpapiermärkte, Brüssel 15. Februar 2001, (deutsche Fassung), S. 35; Weber-Rey/Baltzer, in: Hopt/Wohlmannstetter, S. 440. 543 Walla, in: Veil/EurKapR, § 4 Rn. 12.

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Kap. 3: Europarechtlicher Hintergrund der MMVO

aa) Delegierte Rechtsakte (Art. 290 AEUV) Art. 290 Abs. 1 AEUV statuiert, dass der Kommission durch einen Gesetzgebungsakt (Art. 289 Abs. 3 AEUV) die Befugnis übertragen werden kann, Rechtsakte ohne Gesetzescharakter mit allgemeiner Geltung zur Ergänzung oder Änderung bestimmter nicht wesentlicher Vorschriften des betreffenden Gesetzgebungsakts zu erlassen. Ergänzung meint dabei die Konkretisierung und Ausfüllung des Gesetzgebungsakts, wohingegen die Kommission bei der Änderung die Gelegenheit hat den bisherigen Regelungsgehalt des Gesetzgebungsakts zu aktualisieren und an veränderte Bedingungen anzupassen, ohne dass es dazu eines neuerlichen ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens bedarf.544 Innerhalb dieser delegierten Rechtsakte ist zwischen den Rechtsakten zu unterscheiden, die die Kommission mit Unterstützung der ESMA und der Expert Group of the European Securities Committee (EGESC)545 erlässt und den von der ESMA nach Art. 10 ESMA-VO entworfenen technischen Regulierungsstandards, die jedoch einer Bestätigung durch die Kommission bedürfen, um rechtsverbindlich zu werden.546 Allerdings sollen die Entwürfe aufgrund der Expertise der ESMA und ihrer Nähe zu den Finanzmärkten nur unter außergewöhnlichen Umständen547 durch die Kommission geändert werden dürfen.548 Gemäß Art. 10 Abs. 1 UAbs. 2 ESMA-VO sollen die technischen Regulierungsstandards keine politischen oder strategischen Entscheidungen beinhalten, sondern rein technischer Art sein. bb) Durchführungsrechtsakte (Art. 291 AEUV) Nach Art. 291 Abs. 2 AEUV können der Kommission – in Ausnahmefällen auch dem Rat – im Rahmenrechtsakt nach Level 1 zur Herstellung einheitlicher Bedingungen für die Durchführung dieses Rahmenrechtsakts Durchführungsbefugnisse übertragen werden. Die daraufhin von der Kommission erlassenen Durchführungsrechtsakte (Art. 291 Abs. 4 AEUV) haben die Aufgabe, den Rahmenrechtsakt zu konkretisieren und dadurch für die Mitgliedsstaaten anwendbar zu machen.549 Da die Durchführung der unionalen Rechtsakte grundsätzlich den Mitgliedsstaaten obliegt (Art. 291 Abs. 1 AEUV), kontrollieren diese nach im Voraus von Europäischem Parlament und Rat festgelegten allgemeinen Regeln und Grundsätzen die 544 Gellermann, in: Streinz-EUV/AEUV, Art. 290 AEUV Rn. 6; Ruffert, in: Calliess/Ruffert-EUV/AEUV, Art. 290 AEUV Rn. 5 ff. 545 Nachfolgegremium des ESC nach dem ursprünglichen Lamfalussy-Verfahren; zum ESC Möllers, ZEuP 2008, 480, 483 ff. 546 Weber-Rey/Baltzer, in: Hopt/Wohlmannstetter, S. 441; Walla, in: Veil/EurKapR, § 4 Rn. 13. 547 Dazu zählen Unvereinbarkeit mit Unionsrecht, Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz oder grundlegende Prinzipien des Binnenmarkts. 548 Erwägungsgrund 23 ESMA-VO. 549 Möllers/von Achenbach, EuR 2011, 39, 42; Walla, in: Veil/EurKapR, § 4 Rn. 14.

B. Paradigmenwechsel in der kapitalmarktrechtlichen Gesetzgebung

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Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse durch die Kommission (Art. 291 Abs. 3 AEUV).550 Auch bei den Durchführungsrechtsakten ist zwischen den von der Kommission mit Unterstützung der ESMA und der EGESC erlassenen Rechtsakten und den von der ESMA nach Art. 15 ESMA-VO ausgearbeiteten und von der Kommission zu bestätigenden technischen Durchführungsstandards zu differenzieren.551 Anders als bei den technischen Regulierungsstandards, sieht die ESMAVO für die technischen Durchführungsstandards keine strenge Bindung der Kommission an die ESMA-Entwürfe vor.552 Allerdings sollen auch die technischen Durchführungsstandards rein technischer Art sein, Art. 15 Abs. 1 ESMA-VO. c) Level 3: Leitlinien und Empfehlungen Gemäß Art. 16 Abs. 1 ESMA-VO ist es Aufgabe der ESMA, in den nicht von technischen Regulierungs- und Durchführungsstandards abgedeckten Bereichen, Leitlinien und Empfehlungen für die zuständigen Behörden und die Finanzmarktteilnehmer herauszugeben. Damit wird das Ziel verfolgt, einerseits kohärente, effiziente und wirksame Aufsichtspraktiken zu schaffen und andererseits eine gemeinsame, einheitliche und kohärente Anwendung des Unionsrechts sicherzustellen. Die hierfür auf Level 3 von der ESMA erarbeiteten Leitlinien und Empfehlungen haben keine rechtliche Verbindlichkeit; sie dienen lediglich als Auslegungshilfe.553 Allerdings sollen von den zuständigen Behörden und Finanzmarktteilnehmern „alle erforderlichen Anstrengungen [unternommen werden], um diesen Leitlinien und Empfehlungen nachzukommen“.554 Zudem haben die Behörden der ESMA innerhalb von zwei Monaten nach Herausgabe der Leitlinien und Empfehlungen mitzuteilen, ob sie diese befolgen oder andernfalls unter Angabe von Gründen zu erklären, warum sie diesen nicht nachkommen (comply or explain-Prinzip).555 Die ESMA ist nach Art. 16 Abs. 3 UAbs. 3 ESMA-VO verpflichtet die Nichtbefolgung zu veröffentlichen und kann ferner im Einzelfall entscheiden, ob sie auch die dafür angeführten Gründe der nationalen Behörde kundmacht.

550

Siehe hierzu die Komitologieverordnung Fn. 534. Walla, in: Veil/EurKapR, § 4 Rn. 14; Weber-Rey/Baltzer, in: Hopt/Wohlmannstetter, S. 441. 552 Walla, in: Veil/EurKapR, § 11 Rn. 67; vgl. auch Lehmann/Manger-Nestler, ZBB 2011, 2, 11. 553 Möllers, ZEuP 2008, 480, 484, 491; Walla, in: Veil/EurKapR, § 4 Rn. 21. 554 Art. 16 Abs. 3 ESMA-VO. 555 Art. 16 Abs. 3 UAbs. 2 ESMA-VO; siehe auch Walla, in: Veil/EurKapR, § 11 Rn. 61; Rötting/Lang, EuZW 2012, 8, 10. 551

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Kap. 3: Europarechtlicher Hintergrund der MMVO

d) Level 4: Kontrolle der Rechtsumsetzung in den Mitgliedsstaaten Auf der letzten Stufe des Lamfalussy-Verfahrens überprüft die ESMA (Art. 17 ESMA-VO) zusammen mit der Kommission als „Hüterin der Verträge“556 die mitgliedsstaatliche Rechtsumsetzung. Der ESMA steht dabei zur Behebung von Verstößen – Nichtanwendung oder Verletzung des Unionsrechts – ein Drei-StufenMechanismus557 zur Verfügung: Die ESMA ist zunächst – von Amts wegen oder auf Ersuchen – befugt, Nachforschungen bezüglich etwaiger Verstöße gegen das Unionsrecht anzustellen. Innerhalb von zwei Monaten nach Beginn der Nachforschungen kann die ESMA Empfehlungen an die zuständige Behörde richten, die Maßnahmen enthalten, die die Einhaltung des Unionsrechts sicherstellen (Stufe 1).558 Hält die zuständige Behörde das Unionsrecht auch binnen eines Monats nach der Empfehlung nicht ein, kann die Kommission nach Unterrichtung durch die ESMA oder von Amts wegen eine förmliche Stellungnahme abgeben, in welcher die zuständige Behörde aufgefordert wird, Maßnahmen zur Einhaltung des Unionsrechts zu ergreifen (Stufe 2).559 Kommt die zuständige Behörde den in der förmlichen Stellungnahme genannten Maßnahmen nicht fristgemäß nach, hat die ESMA, unbeschadet der Möglichkeit der Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren (Art. 258 AEUV) einzuleiten, die Befugnis, einen der förmlichen Stellungnahme entsprechenden Beschluss gegenüber einem Marktteilnehmer zu erlassen, der diesen verpflichtet Maßnahmen zu ergreifen, um seine Pflichten im Rahmen des Unionsrechts zu erfüllen (Stufe 3).560 Diese Befugnis setzt jedoch voraus, dass der Beschluss erforderlich ist, um den Verstoß gegen Unionsrecht rechtzeitig zu beenden, neutrale Wettbewerbsbedingungen auf dem Markt aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen und das ordnungsgemäße Funktionieren und die Integrität des Finanzsystems zu gewährleisten.561 3. Bewertung und Frage nach hinreichender demokratischer Legitimation a) Bewertung des Lamfalussy-Verfahrens Vor dem Hintergrund der mit dem Lamfalussy-Verfahren verfolgten Ziele, ist es durchaus legitim der Meinung zu sein, dass das Verfahren die Erwartungen erfüllt hat. Der Rechtsetzungsprozess ist seit Einführung des Lamfalussy-Verfahrens

556 Auch „Hüterin des Unionsrechts“; die Wendung folgt aus Art. 17 Abs. 1 S. 2 EUV; vgl. Streinz, Europarecht, Rn. 399. 557 Lutter/Bayer/J. Schmidt, Rn. 31.14; Lehmann/Manger-Nestler, EuZW 2010, 87, 90. 558 Art. 17 Abs. 2 und 3 ESMA-VO; Walla, in: Veil/EurKapR, § 11 Rn. 48. 559 Art. 17 Abs. 4 ESMA-VO; Lehmann/Manger-Nestler, ZBB 2011, 2, 13. 560 Art. 17 Abs. 6 ESMA-VO; Walla, in: Veil/EurKapR, § 11 Rn. 48. 561 Art. 17 Abs. 6 ESMA-VO.

B. Paradigmenwechsel in der kapitalmarktrechtlichen Gesetzgebung

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nachweislich schneller und flexibler geworden.562 Dazu beigetragen hat vor allem die Verlagerung der Regulierung der technischen Standards auf die Kommission, die diese mit Hilfe der ESMA ausarbeitet. Nicht nur wurde dadurch die „reguläre“ Gesetzgebung von der hohen Technizität des Finanzmarktrechts entlastet, sondern die Fruchtbarmachung von Fach- und Expertenwissen für die Gesetzgebung stellt in einem so komplexen und wandelbaren Rechtsgebiet wie dem Kapitalmarktrecht eine unabdingbare Voraussetzung für eine angemessene Gesetzgebung dar. Gleichzeitig birgt ein solches mehrstufiges Gesetzgebungsverfahren aber auch Gefahren. So müssen die einzelnen Regelungsebenen exakt aufeinander abgestimmt sein, damit am Ende ein einheitliches Regelwerk entstehen kann. Ist das nicht der Fall, kann dies schnell zu Widersprüchen und mangelnder Rechtsklarheit führen. Auch für den Rechtsanwender ist die Navigation durch mehrere Regelungsebenen tendenziell anspruchsvoller, als wenn alles in einem Rechtsakt geregelt ist. Die Rechtsakte der einzelnen Regelungsebenen sollten daher so übersichtlich gestaltet sein, dass sie der Praxis eine schnelle Orientierung ermöglichen. Entsteht jedoch ein Regelungsdschungel, durch den sich der Rechtsanwender erst mühsam durchkämpfen muss, kann bereits der bloße Umfang an Regelungsebenen zu Unübersichtlichkeiten führen oder sogar eine abschreckende Wirkung haben.563 Durch das Lamfalussy-Verfahren wurde die Gesetzgebung im Kapitalmarktrecht an die Herausforderungen der Finanzwelt angepasst. Seine Mehrstufigkeit birgt jedoch auch Risiken, die gerade für den Rechtsanwender zum Problem werden können. Entscheidend für einen langfristigen Erfolg des Lamfalussy-Verfahrens wird daher sein, dass bei aller Orientierung an den Geschehnissen auf den Finanzmärkten, der Rechtsanwender nicht aus den Augen verloren wird. b) Demokratische Legitimation delegierter Kommissionsrechtsetzung aa) Keine Legitimation aus dem europäischen Demokratieprinzip Eine weitere „Kehrseite dieser Medaille“564 ist, dass die auf Level 1 des Lamfalussy-Verfahrens erfolgende Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen an die Kommission die Übertragung von legislativen Befugnissen auf die Exekutive darstellt. Damit stellt sich unweigerlich die Frage nach einer hinreichenden Legitimation dieser exekutiven Rechtsetzung, insbesondere, da auch die ESMA und mithin mitgliedsstaatliche Experten in diese Rechtsetzung involviert sind. Zwar ergibt sich die Zulässigkeit der delegierten Kommissionsrechtsetzung unmittelbar aus dem Primärrecht (Art. 290 Abs. 1 AEUV) und der EuGH hat die Mitwirkung 562

Siehe etwa Lutter/Bayer/J. Schmidt, Rn. 35.2; der ganze Legislativprozess der MMRL dauerte nur knapp 18 Monate. 563 Vgl. Seibt, in: Bankrechtstag 2017, S. 81, 118; ausführlich hierzu mit Blick auf die MMVO unten Kapitel 4, C.II.1. 564 So ausdrücklich Walla, in: Veil/EurKapR, § 4 Rn. 26.

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Kap. 3: Europarechtlicher Hintergrund der MMVO

von Experten an der Kommissionsrechtsetzung grundsätzlich gebilligt.565 Allerdings ist damit noch nichts über eine etwaige Legitimation dieser Rechtsetzung gesagt.566 Nach dem allgemeinen unionsrechtlichen Demokratieprinzip, das in Art. 10 Abs. 1 und 2 EUV verankert ist, gründet die demokratische Legitimation innerhalb der EU auf einer dualen Struktur.567 Danach vermitteln sowohl das Europäische Parlament als unmittelbare Vertretung der Bürgerinnen und Bürger als auch der Europäische Rat und der Rat über die sie konstituierenden Staats- oder Regierungschefs oder mitgliedsstaatlichen Regierungen, die ihrerseits in demokratischer Weise gegenüber ihren nationalen Parlamenten oder gegenüber ihren Bürgerinnen und Bürgern verantwortlich sind, demokratische Legitimation.568 Dieses Demokratieverständnis folgt dem klassischen demokratischen Prinzip, wonach „die Völker durch eine Versammlung ihrer Vertreter an der Ausübung hoheitlicher Gewalt beteiligt sind“.569 Man spricht insoweit auch von der Inputlegitimation hoheitlichen Handelns, also dem „Regieren durch das Volk“.570 Daraus folgt, dass europäische Rechtsakte nur dann unmittelbar demokratisch legitimiert sind, wenn Europäisches Parlament oder Rat unmittelbar an der Gesetzgebung beteiligt sind. Vor diesem Hintergrund stellt die Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen an die Kommission einen Verzicht auf die demokratische Legitimationsleistung der legislativen Gesetzgebung dar, womit die Rechtsakte der Kommission nicht unmittelbar demokratisch legitimiert sind.571 bb) Gesetzgeberische Kontrolle als Legitimationsressource Demokratische Legitimation kann jedoch nicht nur durch legislative Gesetzgebung erreicht werden. Eine weitere Legitimationsressource, gerade in Fällen delegierter Rechtsetzung, ist die gesetzgeberische Kontrolle dieser Rechtsetzung.572 Die Rückbindung an den Willen des Unionsgesetzgebers ist eine Form der Legitimati-

565 Siehe etwa EuGH Urt. v. 17. 12. 1970 – Rs. 25/70, Slg. 1970, 1161, Rn. 6 (Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide und Futtermittel/Köster); EuGH Urt. v. 18. 06. 1996 – Rs. C-303/94, Slg. 1996, I-2943, Rn. 23 (Parlament/Rat). 566 Vgl. Möllers/von Achenbach, EuR 2011, 39, 60. 567 Möllers/von Achenbach, EuR 2011, 39, 47; Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 10 EUV Rn. 65 ff. 568 Art. 10 Abs. 2 EUV. 569 EuGH Urt. v. 29. 10. 1980 – Rs. 138/79, Slg. 1980, 3333, Rn. 33 (Isoglucose I); Langenbucher, ZEuP 2002, 265, 275. 570 Scheel, ZEuS 2006, 521, 539. 571 Vgl. Möllers/von Achenbach, EuR 2011, 39, 47 f.; Vedder, in: Vedder/Heintschel von Heinegg, Art. I-36 Rn. 2. 572 Möllers/von Achenbach, EuR 2011, 39, 50; vgl. auch Böckenförde, in: Handbuch des Staatsrechts II, § 24 Rn. 21 f.; Schmidt-Aßmann/Dagron, ZaöRV 67 (2007), 395, 449 ff.

B. Paradigmenwechsel in der kapitalmarktrechtlichen Gesetzgebung

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onskompensation,573 wodurch der Kommissionsrechtsetzung zwar keine unmittelbare, aber eine mittelbare demokratische Legitimation vermittelt wird.574 Im Rahmen des Art. 290 AEUVerfolgt diese Kontrolle auf zwei Ebenen.575 Zum einen ex ante über die Festlegung von Umfang und Grenzen der Delegation. Das Primärrecht gibt vor, dass wesentliche Aspekte der Gesetzgebung einem Delegationsverbot unterliegen und dass der Gesetzgeber, im Fall der Delegationsmöglichkeit bei nicht wesentlichen Vorschriften, im betreffenden Gesetzgebungsakt Ziele, Inhalt, Geltungsbereich und Dauer der Befugnisübertragung ausdrücklich festlegen muss (Art. 290 Abs. 1 UAbs. 2 AEUV). Damit nimmt der Gesetzgeber, auch wenn er nicht direkt an der Gesetzgebung beteiligt ist, steuernden Einfluss auf die Kommissionsrechtsetzung und weist der Willensbildung der Kommission die Richtung. Zum anderen ex post in Form eines Widerrufsrechts der Ermächtigung (Evokationsrecht) und eines fristgebundenen Einspruchsrechts (Art. 290 Abs. 2 AEUV). Dem Wortlaut „werden […] festgelegt“ ist dabei zu entnehmen, dass zumindest eine dieser Möglichkeiten in den Gesetzgebungsakt aufgenommen werden muss.576 cc) Funktionales Prinzip als zusätzliche Legitimationsressource Aus dem bisher dargelegten lässt sich konstatieren, dass das allgemeine europäische Demokratieprinzip nicht hinter der abgeleiteten Kommissionsrechtsetzung steht, da dieses nur das Europäische Parlament und den Rat als Quellen demokratischer Legitimation anerkennt.577 Zumindest mittelbare demokratische Legitimation wird der Kommissionsrechtsetzung allerdings durch die gesetzgeberische Kontrolle vermittelt. Unter Berücksichtigung der Funktion des Lamfalussy-Verfahrens – Beschleunigung der Gesetzgebung, Entlastung des Gesetzgebers und Einbringung von Experten- und Fachwissen – ist die Ausgestaltung dieser Kontrolle in Form eines zweistufigen Mechanismus (ex ante- und ex post-Kontrolle) erforderlich aber auch ausreichend, um eine hinreichende Legitimation zu gewährleisten.578 Denn eine legitimationsstiftende Einbindung des Gesetzgebers in die delegierte Rechtsetzung

573

Hierzu Voßkuhle, Das Kompensationsprinzip, S. 38 ff. Gellermann, in: Streinz-EUV/AEUV, Art. 290 AEUV Rn. 7; Vedder, in: Vedder/ Heintschel von Heinegg, Art. I-36 Rn. 2; vgl. auch Kotzur, in: Geiger/Khan/Kotzur-EUV/ AEUV, Art. 290 AEUV Rn. 6. 575 Vgl. Möllers/von Achenbach, EuR 2011, 39, 52; Vedder, in: Vedder/Heintschel von Heinegg, Art. I-36 Rn. 2. 576 So auch Gellermann, in: Streinz-EUV/AEUV, Art. 290 AEUV Rn. 9; Vedder, in: Vedder/Heintschel von Heinegg, Art. I-36 Rn. 5; Kotzur, in: Geiger/Khan/Kotzur-EUV/AEUV, Art. 290 AEUV Rn. 6. 577 Möllers/von Achenbach, EuR 2011, 39, 55. 578 Zur Frage der Ausgestaltung der parlamentarischen Kontrolle für eine hinreichende Legitimation vgl. Trute, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, § 6 Rn. 68. 574

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Kap. 3: Europarechtlicher Hintergrund der MMVO

wäre letztlich nichts anderes als eine Duplikation des Mitentscheidungsverfahrens, womit die Funktion des Lamfalussy-Verfahrens konterkariert würde.579 Vor diesem Hintergrund und trotz der bereits festgestellten hinreichenden Legitimation mittels gesetzgeberischer Kontrolle soll nicht unerwähnt bleiben, dass einige in der Funktion der delegierten Rechtsetzung gar eine eigene Legitimationsressource sehen. Danach leite sich Legitimation hoheitlichen Handelns nicht nur aus dem demokratischen, sondern auch aus dem funktionalen Prinzip ab.580 Gemeint ist damit, dass es in einer sich schnell verändernden, hoch komplexen und technischen Materie wie der Finanzwelt einer funktionierenden, effektiven und in gewisser Weise „besseren“ Gesetzgebung entspricht, wenn der Gesetzgeber nur die wesentlichen Aspekte selbst regelt und die Lösung komplexer technischer Probleme dem überlegenen Fachwissen und der Handlungsschnelligkeit der Exekutive und ihren Experten überlässt.581 Angesprochen wird damit die Outputlegitimation, das „Regieren für das Volk“.582 Voraussetzung hierfür ist natürlich, dass eine klare Aufgabenzuordnung besteht. Im Rahmen des Lamfalussy-Verfahrens ist ausdrücklich festgelegt, dass die politischen Grundentscheidungen im Mitentscheidungsverfahren getroffen werden, wohingegen Gegenstand der delegierten Rechtsetzung nur Maßnahmen technischer Art sein sollen, womit der Gedanke der Legitimation hoheitlichen Handelns auch über das funktionale Prinzip hier durchaus auf fruchtbaren Boden trifft.583

C. Das Regulierungskonzept der MMVO Mit der Empfehlung zur Verordnungsgesetzgebung hat die De-Larosière-Gruppe einen klaren Weg vorgegeben, der seither vom europäischen Gesetzgeber konsequent beschritten wird. Eine wirkliche kritische Auseinandersetzung über die Notwendigkeit einer solchen Verordnungsgesetzgebung hat es jedoch, soweit ersichtlich, weder in der wissenschaftlichen Diskussion noch von Seiten der Mitgliedsstaaten gegeben.584 Eine solche kritische Betrachtung soll daher im Folgenden am Beispiel der MMVO vorgenommen und dabei untersucht werden, ob es tatsächlich zwingende Gründe für eine Verordnungsgesetzgebung im Kapitalmarktrecht gibt. Zuvor soll jedoch in einem ersten Schritt der Harmonisierungsgrad der MMVO bestimmt werden, um anschließend prüfen zu können, ob das Regulierungskonzept der MMVO überhaupt mit dem europäischen Primärrecht vereinbar ist. 579 580 581 582 583 584

So Möllers/von Achenbach, EuR 2011, 39, 56. Schmolke, EuR 2006, 432, 443 ff. Vgl. Schmolke, EuR 2006, 432, 444. Scheel, ZEuS 2006, 521, 539 f. Vgl. Schmolke, EuR 2006, 432, 445. Vgl. hierzu Veil, ZGR 2014, 544, 550 f.

C. Das Regulierungskonzept der MMVO

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I. Harmonisierungsgrad der MMVO 1. Grundsätzlich vollharmonisierende Verordnung Die MMVO enthält keine ausdrückliche Regelung zu dem mit ihr verfolgten Harmonisierungsniveau. Die Tatsache, dass es sich um Verordnungsrecht handelt, stellt zwar nach dem oben Gesagten ein Indiz für eine Vollharmonisierung dar, jedoch ist der tatsächliche Wille des Gesetzgebers durch Auslegung zu ermitteln.585 Hierbei sind die Erwägungsgründe des Rechtsakts von herausragender Bedeutung.586 Dabei ist zu beachten, dass die Frage nach dem Harmonisierungsgrad des Rechtsakts grundsätzlich nicht pauschal beantwortet werden kann, sondern jeder Regelungsbereich für sich betrachtet werden muss.587 Allerdings ergibt sich oftmals gerade aus den Erwägungsgründen doch eine gewisse Tendenz im Hinblick auf das Harmonisierungsniveau des gesamten Rechtsakts.588 Bezogen auf die MMVO sprechen die Erwägungsgründe 3 bis 5 eine deutliche Sprache. Hierin ist von „einheitlichen Regeln“, einheitliche[m] Regelwerk“, „einheitliche[m] Rahmen“ und „einheitliche[n] Bedingungen“ die Rede. Aus dem Wortlaut der Erwägungsgründe ergibt sich eindeutig, dass der Gesetzgeber mit der gesamten MMVO grundsätzlich eine Vollharmonisierung anstrebt, da sich die Erwägungsgründe 3 bis 5 auf den ganzen Rechtsakt beziehen. Explizit ausgenommen von dieser Vollharmonisierung sind aber etwa die verwaltungsrechtlichen Sanktionen (Art. 30 Abs. 2 MMVO) bei Verstößen gegen die Vorschriften der MMVO. Erwägungsgrund 71 MMVO stellt in seinem Satz 5 ausdrücklich klar, dass „diese Verordnung [nicht] die Fähigkeiten der Mitgliedsstaaten ein[schränkt], strengere verwaltungsrechtliche Sanktionen oder andere verwaltungsrechtliche Maßnahmen festzusetzten“.589 Damit lässt sich festhalten, dass die MMVO grundsätzlich vollharmonisierend, in den Bereichen, die explizit ausgenommen werden jedoch nur mindestharmonisierend ist.590 2. Abweichungsmöglichkeiten des nationalen Gesetzgebers Aus diesem grundsätzlich vollharmonisierenden Charakter der MMVO ergeben sich einige Konsequenzen für ein etwaiges Handeln des nationalen Gesetzgebers. 585

Walla, in: Veil/EurKapR, § 4 Rn. 31. Walla, in: Veil/EurKapR, § 4 Rn. 31; vgl. auch Seibt/Wollenschläger, AG 2014, 593, 595; Klöhn, AG 2016, 423, 425. 587 Ein Rechtsakt kann durchaus mit einigen Regelungsbereichen eine Vollharmonisierung, mit anderen Regelungsbereichen jedoch nur eine Mindestharmonisierung anstreben. 588 Walla, in: Veil/EurKapR, § 4 Rn. 32; Veil, ZBB 2014, 85, 87. 589 Weitere Vorschriften mit Umsetzungsspielräumen sind in Art. 39 Abs. 3 MMVO aufgezählt. 590 Klöhn, AG 2016, 423, 425; Poelzig, NZG 2016, 528, 529; Seibt/Wollenschläger, AG 2014, 593, 595; Veil, ZBB 2014, 85, 87. 586

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Kap. 3: Europarechtlicher Hintergrund der MMVO

Dabei ist zwischen drei Regelungsbereichen zu unterscheiden. So darf im Fall von Regelungslücken im Anwendungsbereich des vollharmonisierenden Teils der MMVO nicht der nationale Gesetzgeber tätig werden, sondern diese Lücken müssen im Rahmen der Auslegung, also aus der MMVO selbst, geschlossen werden. Außerhalb ihres Anwendungsbereichs entfaltet die MMVO jedoch keinerlei normative Wirkung mehr, womit der nationale Gesetzgeber außerhalb des Anwendungsbereichs durchaus Gestaltungsmöglichkeiten besitzt. Wie weit der Anwendungsbereich der MMVO reicht, ist in ihrem Art. 2 geregelt. Darüber hinaus ist auch Art. 1 MMVO von Bedeutung. Dieser besagt, dass mit der MMVO ein gemeinsamer Rechtsrahmen für Insidergeschäfte, die unrechtmäßige Offenlegung von Insiderinformationen und Marktmanipulation (Marktmissbrauch) sowie für Maßnahmen zur Verhinderung von Marktmissbrauch geschaffen wird. Mit dieser Aufzählung der geregelten Bereiche wird der Gegenstand der MMVO abgesteckt. Bezüglich des Gegenstands verbleibt den Mitgliedsstaaten grundsätzlich keine Gesetzgebungsbefugnis.591 Der Gegenstand ist allerdings sehr allgemein gehalten – wenngleich konkreter als der erste Entwurf der Kommission, der lediglich einen gemeinsamen Rahmen für Marktmissbrauch statuieren wollte592 –, was zur Folge hat, dass etwaige Gesetzgebungskompetenzen der Mitgliedsstaaten nur unter Berücksichtigung der jeweiligen Verordnungsnorm und ihrer Reichweite beurteilt werden können.593 Vor diesem Hintergrund ist problematisch, ob der nationale Gesetzgeber flankierende Regelungen zur MMVO erlassen darf. Ein prominentes Beispiel ist die in § 26 Abs. 1 WpHG geregelte Vorabmitteilung. Danach wird ein Inlandsemittent, ein MTF-Emittent594 oder ein OTF-Emittent595 dem es unter anderem nach Art. 17 Abs. 1 MMVO obliegt, Insiderinformationen zu veröffentlichen, verpflichtet, die Insiderinformationen vor ihrer Veröffentlichung der BaFin und den Geschäftsführungen der Handelsplätze, an denen die Finanzinstrumente zum Handel zugelassen oder in den Handel einbezogen sind, mitzuteilen. Eine gleichlautende Vorschrift befand sich bereits in § 15 Abs. 4 WpHG a.F., war dort jedoch unproblematisch möglich, da die MMRL nur mindestharmonisierend war und es den Mitgliedsstaaten somit generell offenstand, strengere oder weiterführende Vorschriften zu erlassen. Aufgrund des prinzipiell vollharmonisierenden Charakters der MMVO und damit auch von Art. 17 MMVO ist klar, dass die Vorabmitteilung keine von der in Art. 17 Abs. 1 MMVO statuierten Ad-hoc-Publizitätspflicht abweichenden oder strengeren 591

Veil, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 3 Rn. 4; Veil, ZBB 2014, 85, 87. Veil, ZBB 2014, 85, 87. 593 Veil, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 3 Rn. 4. 594 Multilaterale Handelssysteme (Multilateral Trading Facilities – MTF); zum Begriff Art. 3 Abs. 1 Nr. 7 MMVO i.V.m. Art. 4 Abs. 1 Nr. 22 MiFID II. 595 Organisierte Handelssysteme (Organised Trading Facilities – OTF); zum Begriff Art. 3 Abs. 1 Nr. 8 MMVO i.V.m. Art. 4 Abs. 1 Nr. 23 MiFID II. 592

C. Das Regulierungskonzept der MMVO

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Regelungen vorsehen darf.596 Bezüglich des Verpflichteten597 und ihres Inhalts598 orientiert sich die Vorabmitteilung gemäß § 26 Abs. 1 WpHG an den Vorgaben der MMVO und stellt insoweit gerade keine abweichende oder strengere nationale Regelung dar. Art. 17 Abs. 1 MMVO verpflichtet den Emittenten, eine ihn unmittelbar betreffende Insiderinformation so bald wie möglich zu veröffentlichen. Für den Zeitraum vor dieser Veröffentlichung machen weder Art. 17 MMVO noch die Erwägungsgründe Vorgaben und genau hier setzt die Pflicht zur Vorabmitteilung an. Macht das Europarecht oder ein europäischer Rechtsakt keine Vorgaben, so ergibt sich aus dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung (Art. 5 Abs. 2 EUV) und dem Subsidiaritätsgrundsatz (Art. 5 Abs. 3 AEUV), dass die Kompetenz für weitergehende oder flankierende Maßnahmen grundsätzlich bei den Mitgliedsstaaten verbleibt.599 Ergo ist der generell gehaltene Gegenstand in Art. 1 MMVO eher eng auszulegen. Hinzu kommt, dass die Vorabmitteilungspflicht in § 26 Abs. 1 WpHG ihrerseits selbst europarechtlich determiniert ist.600 Ihr Sinn und Zweck ist es der BaFin die Möglichkeit zu geben die ordnungsgemäße Erfüllung der Ad-hoc-Publizitätspflicht zu überwachen, um so eine Irreführung der Anleger und des Kapitalmarkts, etwa durch unzulässige Mitteilungen (vgl. Art. 17 Abs. 1 UAbs. 2 MMVO), zu verhindern.601 Die Vorabmitteilungspflicht dient also der Verwirklichung der Ziele der Adhoc-Publizitätspflicht602 und passt sich daher problemlos in die Publizitätssystematik der MMVO ein. Die Vorabmitteilungspflicht in ihrer Ausgestaltung gemäß § 26 Abs. 1 WpHG konnte folglich vom nationalen Gesetzgeber als flankierende Maßnahme zur MMVO erlassen werden.603

596

Vgl. Veil/Brüggemeier, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 10 Rn. 4. Vgl. Begr RegE 2. FiMaNoG, BT-Drs. 18/10936, S. 230. 598 § 26 Abs. 1 WpHG i.V.m. § 8 Abs. 1 Nr. 1 WpAV. 599 Vgl. Merkt, RabelsZ 61 (1997), 647, 677; vgl. Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 17 Rn. 504. 600 Die Vorabmitteilungspflicht basiert auf der Umsetzung von Art. 19 Abs. 1 der Richtlinie 2004/109/EG (Transparenzrichtlinie), siehe Begr RegE 2. FiMaNoG, BT-Drs. 18/10936, S. 230; Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 17 Rn. 503. 601 Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 17 Rn. 505, 513. 602 Zum Ziel der Ad-hoc-Publizität einer Irreführung vorzubeugen, siehe Erwägungsgrund 49 MMVO. 603 So im Ergebnis (wohl) auch Veil/Brüggemeier, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 10 Rn. 7 ff.; Stüber, in: Wachter/Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts, § 27 Rn. 82; Klöhn, in: Klöhn/ MMVO, Art. 17 Rn. 504 ff.; Kumpan, in: Baumbach/Hopt-HGB, § 26 WpHG Rn. 1, ohne dass jedoch jeweils näher auf die Zulässigkeit der Vorabmitteilungspflicht neben der MMVO eingegangen wird. 597

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Kap. 3: Europarechtlicher Hintergrund der MMVO

II. Primärrechtliche Vereinbarkeit der MMVO 1. Art. 114 AEUV als Ermächtigungsgrundlage Ein europäischer Rechtsakt bedarf aufgrund des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung (Art. 5 Abs. 2 EUV) stets einer primärrechtlichen Ermächtigungsgrundlage.604 Ausweislich Erwägungsgrund 4 MMVO stützt sich die MMVO auf Art. 114 AEUV.605 Hiernach ist es dem Europäischen Parlament und dem Rat gestattet, gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren Maßnahmen zu erlassen, welche die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts – ein Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gewährleistet ist (Art. 26 Abs. 2 AEUV) – zum Gegenstand haben. Dabei kann sich die Rechtsangleichung grundsätzlich auf jede Sachmaterie beziehen.606 Jedoch gibt Art. 114 AEUV dem EU-Gesetzgeber keine allgemeine Kompetenz zur Regelung des Binnenmarkts – vielmehr darf Art. 114 AEUV nur herangezogen werden, wenn der Rechtsakt zum einen die Bedingungen für die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts verbessern soll und zum anderen auch tatsächlich den Zweck hat, die Voraussetzungen des Binnenmarkts zu verbessern.607 Eine wirkliche Auseinandersetzung mit diesen Voraussetzungen findet in der Literatur allerdings nicht statt. Hier wird (wohl) stillschweigend davon ausgegangen, dass diese gegeben sind. Das Beispiel der Tabakwerberichtlinie608 zeigt jedoch, dass eine genauere Prüfung der Voraussetzungen – gerade im Rahmen dieser Arbeit – durchaus angebracht sein kann. a) Verordnungs- und Vollharmonisierungskompetenz Vor der Prüfung der Voraussetzungen ist aber zunächst zu klären, ob der Erlass von vollharmonisierenden Verordnungen überhaupt von Wortlaut und Telos des Art. 114 Abs. 1 AEUV gedeckt ist. Denn Art. 114 Abs. 1 AEUV spricht von Maßnahmen zur Rechtsangleichung. Das Instrument zur Rechtsangleichung ist aber grundsätzlich die Richtlinie,609 wohingegen die Verordnung auf Rechtsvereinheit604

Rn. 9.

Möllers, ZEuP 2016, 325, 355; Calliess, in: Calliess/Ruffert-EUV/AEUV, Art. 5 EUV

605 Art. 114 AEUV ist die Grundlage aller jüngeren Reformakte des EU-Gesetzgebers, vgl. Veil, in: Veil/EurKapR, § 3 Rn. 10. 606 Fischer, in: Lenz/Borchardt, Art. 114 AEUV Rn. 9; Veil, in: Veil/EurKapR, § 3 Rn. 9. 607 Ständige Rechtsprechung des EuGH; erstmals EuGH Urt. v. 05. 10. 2000 – Rs. C-376/98, Slg. 2000, I-8419 Rn. 83 f. (Tabakwerbung); bestätigt durch EuGH Urt. v. 08. 06. 2010 – Rs. C58/08, Slg 2010, I-4999 Rn. 32 (Vodafone). 608 Richtlinie 98/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli 1998 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedsstaaten über Werbung und Sponsoring zugunsten von Tabakerzeugnissen (Tabakwerberichtlinie), ABl. EG L 213, v. 30. 7. 1998, S. 9. 609 von Danwitz, in: Dauses/Ludwigs, Kap. B. II. Rn. 105.

C. Das Regulierungskonzept der MMVO

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lichung zielt.610 Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat allerdings den Erlass von Verordnungen auf Grundlage von Art. 114 AEUV schon mehrmals für zulässig erklärt, womit anerkannt ist, dass auch Verordnungen Maßnahmen zur Rechtsangleichung im Sinne von Art. 114 Abs. 1 AEUV sein können.611 Zudem lässt sich aus dem Kontrollverfahren nach Art. 114 Abs. 4 bis 9 AEUV ableiten, dass die Kompetenz nach Art. 114 Abs. 1 AEUV gerade als Vollharmonisierungskompetenz ausgestaltet ist.612 Somit steht Art. 114 AEUV dem Erlass von grundsätzlich vollharmonisierenden Verordnungen wie der MMVO seinem Wortlaut und Telos nach nicht entgegen. b) Subjektive Binnenmarktfinalität Auf subjektiver Seite setzt Art. 114 Abs. 1 AEUV voraus, dass es dem europäischen Gesetzgeber gerade darauf ankam, einen Rechtsakt zu erlassen, der auf die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts abzielt (subjektive Binnenmarktfinalität).613 Maßgeblich für die Bestimmung der subjektiven Absichten des Gesetzgebers sind die Erwägungsgründe des Rechtsakts.614 Darin muss der Gesetzgeber jedoch nicht sämtliche Gesichtspunkte darlegen, sondern es reicht, wenn das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel in seinen wesentlichen Zügen erkennbar ist.615 Machen allerdings bereits die Erwägungsgründe deutlich, dass es dem Gesetzgeber nicht um die Verwirklichung des Binnenmarkts ging, kann der Rechtsakt nicht auf Art. 114 Abs. 1 AEUV gestützt werden.616 Was die subjektive Zielrichtung der MMVO angeht, heißt es in Erwägungsgrund 4 MMVO, dass sie darauf abzielt, „einen entscheidenden Beitrag zum reibungslosen Funktionieren des Binnenmarkts zu leisten […]“. Konkretisiert wird diese Zielsetzung durch die Ausführungen in Erwägungsgrund 5 MMVO, wonach die MMVO 610

Veil, in: Veil/EurKapR, § 3 Rn. 15. EuGH Urt. v. 06. 12. 2005 – Rs. C-66/04, Slg. 2005, I-10533, Rn. 41 ff. (Raucharomen); EuGH Urt. v. 02. 05. 2006 – Rs. C-217/04, Slg. 2006, I-3771, Rn. 42 ff. (ENISA); siehe auch Wunderlich/Pickartz, EuR 2014, 659, 662. 612 Fleischer/Schmolke, NZG 2010, 1241, 1244; Roth, in: Gsell/Herresthal, S. 13, 22. 613 Tietje, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 114 AEUV Rn. 95; Schröder, in: Streinz-EUV/ AEUV, Art. 114 AEUV Rn. 34; Rossi, in: Vedder/Heintschel von Heinegg-Europäisches Unionsrecht, Art. 114 AEUV Rn. 7. 614 Classen, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Art. 114 AEUV Rn. 69; Tietje, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 114 AEUV Rn. 95; Schröder, in: Streinz-EUV/AEUV, Art. 114 AEUV Rn. 34; vgl. auch EuGH Urt. v. 05. 10. 2000 – Rs. C-376/98, Slg. 2000, I-8419 Rn. 90 ff. (Tabakwerbung). 615 EuGH Urt. v. 10. 12. 2002 – Rs. C-491/01, Slg. 2002, I-11453 Rn. 165 f. (British American Tobacco (Investments) and Imperial Tobacco); EuGH Urt. v. 14. 12. 2004 – Rs. C434/02, Slg. 2004, I-11825 Rn. 61 f. (Arnold André); Schröder, in: Streinz-EUV/AEUV, Art. 114 AEUV Rn. 34; Koenig/Kühling, EWS 2002, 12, 17. 616 Tietje, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 114 AEUV Rn. 95; Schröder, in: Streinz-EUV/ AEUV, Art. 114 AEUV Rn. 34. 611

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Kap. 3: Europarechtlicher Hintergrund der MMVO

erforderlich sei, um noch bestehende Handelshemmnisse und erhebliche Wettbewerbsverzerrungen zu beseitigen oder deren Entstehen vorzubeugen. Hieraus ist klar ersichtlich, dass es dem europäischen Gesetzgeber bei Erlass der MMVO gerade um die Verwirklichung des Binnenmarkts ging. Die subjektive Binnenmarktfinalität ist folglich gegeben. c) Objektive Binnenmarktfinalität Darüber hinaus fordert Art. 114 Abs. 1 AEUV, dass der Rechtsakt tatsächlich das Ziel hat, den Binnenmarkt zu verbessern (objektive Binnenmarktfinalität). Dabei ist anerkannt, dass eine Verbesserung dann vorliegt, wenn bestehende Handelshemmnisse und/oder617 spürbare Wettbewerbsverzerrungen beseitig oder deren Entstehung verhindert wird.618 Hierfür ist eine zweistufige Prüfung vorzunehmen: Auf der ersten Stufe ist das Vorliegen von Handelshemmnissen oder spürbaren Wettbewerbsverzerrungen zu untersuchen. Anschließend ist auf der zweiten Stufe zu prüfen, ob der Rechtsakt tatsächlich deren Beseitigung bezweckt.619 aa) Handelshemmnisse und spürbare Wettbewerbsverzerrungen unter Geltung der MMRL Erwägungsgrund 5 MMVO stellt fest, dass aufgrund der unterschiedlichen Rechtslagen in den Mitgliedsstaaten, Handelshemmnisse und erhebliche Wettbewerbsverzerrungen bestanden, die durch die MMVO abgebaut oder verhindert werden, ohne jedoch näher darzulegen, worin diese Handelshemmnisse und Wettbewerbsverzerrungen bestanden. Der bloß pauschale Verweis auf unterschiedliche Rechtslagen in den Mitgliedsstaaten und sich daraus eventuell ergebender abstrakter Gefahren für den Binnenmarkt reicht jedoch für einen Rückgriff auf Art. 114 AEUV nicht aus.620 Vielmehr müssen die unterschiedlichen Rechtslagen tatsächlich geeignet sein, den Binnenmarkt zu beeinträchtigen.621 Allerdings sind unterschiedliche

617 Die beiden legitimen Ziele stehen dabei in einem Alternativverhältnis, siehe Classen, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Art. 114 AEUV Rn. 40; Korte, in: Calliess/Ruffert-EUV/ AEUV, Art. 114 AEUV Rn. 45. 618 EuGH Urt. v. 10. 12. 2002 – Rs. C-491/01, Slg. 2002, I-11453 Rn. 60 (British American Tobacco (Investments) and Imperial Tobacco); Schröder, in: Streinz-EUV/AEUV, Art. 114 AEUV Rn. 35; Korte, in: Calliess/Ruffert-EUV/AEUV, Art. 114 AEUV Rn. 38 ff.; Herrnfeld, in: SBHS-EUK Art. 114 AEUV Rn. 12 f. 619 Tietje, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 114 AEUV Rn. 96; Koenig/Kühling, EWS 2002, 12, 17. 620 EuGH Urt. v. 05. 10. 2000 – Rs. C-376/98, Slg. 2000, I-8419 Rn. 84 (Tabakwerbung); EuGH Urt. v. 08. 06. 2010 – Rs. C-58/08, Slg. 2010, I-4999, Rn. 32 (Vodafone); Herrnfeld, in: SBHS-EUK Art. 114 AEUV Rn. 11; Roth, in: Gsell/Herresthal, S. 13, 35. 621 EuGH Urt. v. 14. 12. 2004 – Rs. C-434/02, Slg. 2004, I-11825 Rn. 30 (Arnold André); EuGH Urt. v. 14. 12. 2004 – Rs. C-210/03, Slg. 2004, I-11893 Rn. 29 (Swedish Match); EuGH

C. Das Regulierungskonzept der MMVO

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Rechtslagen in den Mitgliedsstaaten durchaus ein Indiz für bestehende Handelshemmnisse.622 (1) Handelshemmnisse Das europäische Recht kennt vier Grundfreiheiten,623 die den Binnenmarkt konstituieren.624 Ihr Zweck und ihr Ziel ist es in ihren Bereichen grenzüberschreitenden Handel ungehindert zu ermöglichen. Damit ist es selbsterklärend, dass die Beseitigung von Handelshemmnissen ein legitimes Ziel der Binnenmarktkompetenz des Art. 114 AEUV ist. Wie aufgezeigt, waren die Marktmissbrauchsregime unter der MMRL in den Mitgliedsstaaten unterschiedlich ausgeprägt.625 Bei grenzüberschreitenden Transaktionen war für die Beteiligten somit immer mindestens eine fremde Rechtsordnung involviert. Die Auseinandersetzung mit vom eigenen nationalen Recht abweichenden Regelungen bringt dabei stets das Risiko mit sich, einen Rechtsverstoß zu begehen, der zu finanziellen oder anderweitigen Sanktionen führt. Um dieses Risiko zu minimieren, entstanden bei grenzüberschreitenden Transaktionen für die Beteiligten folglich hohe Rechtsberatungs- und ComplianceKosten.626 Diese Risiken und Kosten können jedoch auch dazu führen, dass Betroffene gänzlich Abstand von grenzüberschreitenden Aktivitäten nehmen.627 Natürlich ist fraglich – und kann im Rahmen dieser Arbeit auch nicht abschließend geklärt werden –, ob die divergierenden Rechtslagen unter der MMRL tatsächlich zur Hemmung von Binnenmarkttransaktionen geführt haben. Dies ist jedoch auch nicht erforderlich, denn tatsächlich geeignet Binnenmarkttransaktionen zu beeinträchtigen, waren sie allemal, was für einen Rückgriff auf Art. 114 AEUV ausreicht. (2) Spürbare Wettbewerbsverzerrungen Das zweite legitime Ziel der Binnenmarktkompetenz des Art. 114 AEUV ist die Beseitigung von spürbaren Wettbewerbsverzerrungen. Bei dem dabei vom EuGH eingeführten Kriterium der „Spürbarkeit“, handelt es sich wohl um ein qualitatives Merkmal, das die Gefahr einer unbeschränkten Rechtsangleichungskompetenz, die dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung zuwiderlaufen würde, eindämmen

Urt. v. 12. 07. 2005 – verb. Rs. C-154/04 und C-155/04, Slg. 2005, I-6451 Rn. 28 (Alliance for Natural Health). 622 Tietje, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 114 AEUV Rn. 97. 623 Warenverkehrsfreiheit (Art. 28 AEUV), freier Personenverkehr (Art. 21 AEUV), Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEUV) und Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV). 624 Sedlaczek/Züger, in: Streinz-EUV/AEUV, Art. 63 AEUV Rn. 1. 625 Siehe oben Kapitel 2, B. 626 Vgl. Fleischer/Schmolke, NZG 2010, 1241, 1245; Vogenauer/Weatherill, JZ 2005, 870, 876. 627 Vgl. Fleischer/Schmolke, NZG 2010, 1241, 1245; Vogenauer/Weatherill, JZ 2005, 870, 876.

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Kap. 3: Europarechtlicher Hintergrund der MMVO

soll.628 Dass ein Rechtsakt auf die Behauptung gestützt wird, dass divergierende nationale Rechtsordnungen zu Wettbewerbsverzerrungen führen, ist nichts Neues in der Harmonisierungspraxis des europäischen Gesetzgebers.629 Allerdings ist der Gesetzgeber bei diesen Rechtsakten stets den Nachweis schuldig geblieben, dass unterschiedliche nationale Regelungen tatsächlich zu spürbaren Wettbewerbsverzerrungen führen (können)630 – so auch bei der MMVO. Ähnlich wie bei der Frage nach Handelshemmnissen, kann auch hier nicht abschließend geklärt werden, ob die unterschiedlichen Rechtslagen in den Mitgliedsstaaten unter der MMRL tatsächlich zu spürbaren Wettbewerbsverzerrungen geführt haben. Allerdings waren die unterschiedlichen Rechtslagen auch hinsichtlich spürbarer Wettbewerbsverzerrungen aus verschiedenen Gesichtspunkten durchaus geeignet, den Binnenmarkt zu beeinträchtigen. Ein Aspekt ist die im Rahmen der MMRL etwa von Deutschland praktizierte überschießende Richtlinienumsetzung (gold plating) und ihr Spannungsverhältnis zur lediglich an den Mindeststandards der Richtlinie ausgerichteten Umsetzung. Gold plating wird dabei von den Mitgliedsstaaten nicht selten dazu verwendet, ihren nationalen Akteuren einen Vorteil gegenüber internationalen Wettbewerbern zu verschaffen.631 Andererseits können gerade weniger regulierte Märkte für Anleger und Investoren sehr attraktiv sein. Folge kann eine Verlagerung des Handels an diese Märkte (Regulierungsarbitrage)632 und mithin eine Verschiebung der Liquidität sein, womit Wettbewerber an stärker regulierten Märkten weniger Kapital generieren können als Wettbewerber an schwächer regulierten Märkten. Folglich hat das Spannungsverhältnis zwischen gold plating und einer lediglich an den Mindeststandards der Richtlinie orientierten Umsetzung zumindest das Potential, spürbare Wettbewerbsverzerrungen herbeizuführen. Darüber hinaus bietet auch eine differierende Aufsichtspraxis die Möglichkeit zu Wettbewerbsverzerrungen. Als Beispiel, in welchem das Insiderrecht eine Rolle spielt, sei ein Bieterverfahren genannt. In einem solchen ist es von Vorteil, die Insiderinformation, dass man sich in einem Bieterverfahren befindet, möglichst lange zurückzuhalten. In die Möglichkeit, dies über das Instrument der Selbstbefreiung zu tun, waren unter der MMRL die nationalen Aufsichten involviert. Ergo hatte derjenige Bieter einen Wettbewerbsvorteil, dessen nationale Aufsicht die Vorschriften zur Selbstbefreiung am weitesten auslegte, wohingegen der Bieter, der einer strengeren nationalen Aufsicht unterlag, einen Nachteil hatte.

628

Tietje, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 114 AEUV Rn. 103 f.; Roth, in: Gsell/Herresthal, S. 13, 33. 629 Siehe die Beispiele bei Roth, in: Gsell/Herresthal, S. 13, 33. 630 Roth, in: Gsell/Herresthal, S. 13, 33. 631 Vgl. für den Bereich der Beteiligungstransparenz Fleischer/Schmolke, NZG 2010, 1241, 1244. 632 Siehe hierzu etwa Veil, ZBB 2014, 85, 87.

C. Das Regulierungskonzept der MMVO

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Gleichzeitig können auch unterschiedlich strenge nationale Aufsichtsregime zu einer Verlagerung des Handels mit den bereits zur Regulierungsarbitrage dargestellten Folgen führen. Diese Aufsichtsarbitrage wird von der MMVO ausdrücklich als potentielle Gefahr uneinheitlicher Rechtslagen genannt.633 bb) Beseitigung der Binnenmarkthindernisse als tatsächliches Ziel der MMVO Auch auf der zweiten Stufe bedarf es für einen Rückgriff auf Art. 114 AEUV mehr als den lediglich pauschalen Verweis auf die Entfernung von Handelshemmnissen und Wettbewerbsverzerrungen, wie das Beispiel der Tabakwerberichtlinie zeigt.634 Zu deren Begründung wurde auch auf unterschiedliche Rechts- und Verwaltungsvorschriften in den Mitgliedsstaaten und daraus resultierende Hemmnisse für den freien Warenverkehr und Wettbewerbsverzerrungen verwiesen, zu deren Beseitigung die Richtlinie beitragen sollte.635 Der Prüfung des EuGH, ob die Richtlinie tatsächlich bezweckt den Binnenmarkt zu fördern, hielt sie jedoch nicht stand und wurde für nichtig erklärt.636 Zudem stützt auch die Tatsache, dass eine grundsätzlich vollharmonisierende Verordnung, wie die MMVO, für das Ziel der Schaffung eines europäischen Binnenmarkts am besten geeignet ist,637 nicht den Rückgriff auf Art. 114 AEUV. Denn damit ist noch nicht gesagt, dass die MMVO auch zur Förderung des Binnenmarkts beiträgt, da hierzu die unmittelbare Geltung und die daraus resultierende Vereinheitlichung der Rechtslage nicht per se führen. Vielmehr kommt es darauf an, dass die MMVO gerade darauf abzielt, die (potentiellen) Binnenmarkthindernisse aus der Zeit der MMRL zu beseitigen. In der Theorie zielt die MMVO auf die Beseitigung dieser Binnenmarkthindernisse ab. Aufgrund der mit ihr einhergehenden Vereinheitlichung der Rechtslage, gelten in jedem Mitgliedsstaat und damit an jedem Markt grundsätzlich die gleichen Regelungen hinsichtlich Marktmissbrauchs. Somit ist bei grenzüberschreitenden Transaktionen nur noch ein Marktmissbrauchsregime involviert, das allen Betroffenen bekannt ist. Konsequenz dieser Rechtsvereinheitlichung ist, dass nicht nur die Risiken eines Rechtsverstoßes, sondern auch ein Großteil der Rechtsberatungs- und Compliance-Kosten638 entfallen, damit (potentielle) Handelshemmnisse abgebaut werden und der grenzüberschreitende Handel gefördert wird.639 633

Vgl. Erwägungsgrund 4 MMVO. Die Richtlinie wurde auf Art. 100a EGV gestützt, was eine Vorgängernorm von Art. 114 AEUV ist – inhaltlich sind beide Vorschriften daher identisch. 635 Erwägungsgründe 1 und 2 Tabakwerberichtlinie. 636 EuGH Urt. v. 05. 10. 2000 – Rs. C-376/98, Slg. 2000, I-8419 Rn. 95 ff. (Tabakwerbung). 637 So auch Veil, ZGR 2014, 544, 566. 638 Ausdrücklich zur Senkung der Complience-Kosten Erwägungsgrund 5 MMVO. 639 Vgl. Fleischer/Schmolke, NZG 2010, 1241, 1245. 634

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Kap. 3: Europarechtlicher Hintergrund der MMVO

Gleichzeitig schafft die MMVO für den Binnenmarkt gleiche und faire Wettbewerbsbedingungen für alle Wettbewerber (level playing field) im Bereich des Marktmissbrauchsrechts, womit etwaige dort bestehende Wettbewerbsverzerrungen beseitigt und gleichzeitig ihre Entstehung verhindert wird. Durch dieses level playing field begegnen sich die Märkte auf Augenhöhe, was für den freien Kapitalverkehr essentiell ist und es allen Akteuren erleichtert auch grenzüberschreitend Kapital zu generieren. In der Praxis stellt sich die Sache jedoch ein wenig anders dar. Ein level playing field entsteht und Rechtsberatungs- und Compliance-Kosten entfallen nämlich nur dann, wenn nicht nur überall die gleichen Vorschriften gelten, sondern diese auch einheitlich angewendet und ausgelegt werden. Ist dem nicht so, bestehen für die Betroffenen die gleichen Gefahren und Unsicherheiten wie unter dem alten Marktmissbrauchsrecht. Einige Level 2-Rechtsakte enthalten zwar einheitliche Meldevorlagen, die zur Vereinheitlichung und Kostensenkung beitragen können. An wesentlich wichtigeren Stellen, wie etwa der Auslegung des verständigen Anlegers,640 gibt der Gesetzgeber aber keinerlei Hilfestellung für ein einheitliches Verständnis. Somit ist die Auslegung nach wie vor den nationalen Aufsichten und Gerichten überlassen, was schon unter Geltung der MMRL zu keinem einheitlichen Verständnis geführt hat641 und folglich auch weiterhin bei grenzüberschreitenden Transaktionen Rechtsberatungs- und Compliance-Kosten hervorrufen wird. Hinzu kommt, dass die Praxis angibt, dass mit der MMVO zum einen in zentralen Bereichen, wie etwa der Ad-hoc-Publizität, die Rechtsklarheit gesunken und zum anderen aber die Dokumentationspflichten und damit der Verwaltungsaufwand deutlich gestiegen ist.642 Beides führt aber nicht zu einer Senkung, sondern im Gegenteil zu einer Steigung der Rechtskosten.643 Es besteht folglich ein Spannungsfeld zwischen Theorie und Praxis. Während in der Theorie die MMVO zu einem level playing field und zur Senkung von Rechtsberatungs- und Compliance-Kosten führt, ist in der Praxis eher das Gegenteil spürbar. Fraglich ist insoweit, worauf es für einen Rückgriff auf Art. 114 AEUV ankommt. Ob ein auf Art. 114 AEUV gestützter Rechtsakt tatsächlich den Zweck hat den Binnenmarkt zu fördern, ist anhand objektiver, gerichtlich nachprüfbarer Umstände zu ermitteln.644 Dabei ist insbesondere auf Ziel und Inhalt des fraglichen Rechtsakts 640

Ausführlich zur Auslegung unten Kapitel 5, A.II.4.b) und c). Siehe oben Kapitel 2, B.I. 642 Deutsches Aktieninstitut/Hengeler Mueller, Zwei Jahre EU-Marktmissbrauchsverordnung, S. 4 ff. Die Studie ist abrufbar unter https://www.dai.de/files/dai_usercontent/dokumente/ studien/181212 Studie 2 Jahre Marktmissbrauchsverordnung Web.pdf (zuletzt abgerufen am 11. 07. 2019); näher hierzu Kapitel 4, C.II.2.b) und 3. 643 Vgl. Deutsches Aktieninstitut/Hengeler Mueller (Fn. 642), S. 6. 644 Tietje, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 114 AEUV Rn. 96; Herrnfeld, in: SBHS-EUK Art. 114 AEUV Rn. 10; Classen, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Art. 114 AEUV Rn. 68. 641

C. Das Regulierungskonzept der MMVO

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abzustellen.645 Hieraus wird deutlich, dass im Rahmen der Prüfung der objektiven Binnenmarktfinalität keine allzu strengen Maßstäbe anzulegen sind. Denn es kommt gerade nicht auf Anwendung und Auslegung des Rechtsakts – also die praktische Seite – an, sondern nur darauf, welche Ziele der Rechtsakt verfolgt und welchen Inhalt er hat. Zudem wird dem Gesetzgeber ein Einschätzungsspielraum bei der Beurteilung zugestanden, ob der von ihm erlassene Rechtsakt den Binnenmarkt tatsächlich fördert.646 Daraus folgt, dass es für einen Rückgriff auf Art. 114 AEUV auf eine theoretische Sichtweise ankommt. Sowohl Ziel als auch Inhalt der MMVO lassen dabei erkennen, dass der Rechtsakt tatsächlich den Zweck hat, den Binnenmarkt zu fördern. Dass sich das in der Praxis (noch) anders darstellt, muss im Rahmen des Art. 114 AEUV hingegen außer Betracht bleiben. Folglich ist die MMVO zurecht auf Art. 114 Abs. 1 AEUV gestützt. 2. Verhältnismäßigkeits- und Subsidiaritätsgrundsatz a) Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Allerdings reicht für die MMVO eine wirksame Ermächtigungsgrundlage allein noch nicht aus, um mit dem Primärrecht in Einklang zu stehen. Vielmehr muss, wie bereits oben erwähnt, der Gesetzgeber bei seiner Rechtsaktwahl stets auch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Art. 296 Abs. 1 AEUV i.V.m. Art. 5 Abs. 4 EUV) berücksichtigen. Dem Gesetzgeber ging es bei der Neuregelung des Marktmissbrauchsrechts grundsätzlich um eine Vereinheitlichung der Rechtslage und um das übergeordneten Ziel der Schaffung einer Kapitalmarktunion.647 Zur Realisierung beider Ziele ist eine grundsätzlich vollharmonisierende Verordnung mit ihrer unmittelbaren Geltung in den Mitgliedsstaaten definitiv geeignet.648 Eine Richtlinie kann zwar durchaus derart präzise und detaillierte Vorgaben enthalten, dass den Mitgliedsstaaten bei der Umsetzung keinerlei Handlungsspielraum mehr verbleibt; auch ist ein Trend zur zunehmenden Detailgenauigkeit von in Richtlinien enthaltenen Regelungen zu erkennen.649 Allerdings nähert sich die Richtlinie dadurch stark der Verordnung an, was problematisch ist, denn durch diese „subkutane Wesensveränderung“650 verliert die Richtlinie ihre dogmatische Identität und ihre Vorteile gegenüber der Verordnung werden nahezu vollständig konterkariert. Es ist daher auch unter rechtsdogmatischen Gesichtspunkten zu begrüßen, dass zur Vereinheit-

645 Tietje, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 114 AEUV Rn. 96; Herrnfeld, in: SBHS-EUK Art. 114 AEUV Rn. 10; Classen, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Art. 114 AEUV Rn. 68. 646 Schröder, in: Streinz-EUV/AEUV, Art. 114 AEUV Rn. 20, 33; Korte, in: Calliess/ Ruffert-EUV/AEUV, Art. 114 AEUV Rn. 47. 647 Erwägungsgründe 1, 3, 4 und 5 MMVO. 648 Vgl. Veil, ZGR 2014, 544, 566. 649 von Danwitz, in: Dauses/Ludwigs, Kap. B. II. Rn. 106. 650 So ausdrücklich von Danwitz, in: Dauses/Ludwigs, Kap. B. II. Rn. 106.

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Kap. 3: Europarechtlicher Hintergrund der MMVO

lichung eines Rechtsbereichs auf den Rechtsakt der Verordnung zurückgegriffen und nicht eine Richtlinie zweckentfremdet wurde. Jedoch stellt ein auf Vollharmonisierung ausgelegter Rechtsakt grundsätzlich einen starken Eingriff in die Souveränität der Mitgliedsstaaten dar, da ohne Rücksicht auf nationale Besonderheiten allen Mitgliedsstaaten das gleiche Regelwerk auferlegt wird. Das gilt umso mehr, wenn sich die Verordnung auf Rechtsmaterien bezieht, die im nationalen Recht der Mitgliedsstaaten schon lange etabliert oder historisch gewachsen sind.651 In Bezug auf die MMVO stellt sich der Eingriff in die Souveränität der Mitgliedsstaaten jedoch als sehr gering dar. Denn das Marktmissbrauchsrecht ist in vielen Mitgliedsstaaten, wie etwa Deutschland, von je her durch einen europäischen Rechtsakt geprägt. In vielen Mitgliedsstaaten gab es vor Erlass der Insiderrichtlinie von 1989 keinerlei nationale Vorschriften in diesem Bereich. Von einer historisch national gewachsenen Rechtsmaterie kann somit in Bezug auf das Marktmissbrauchsrecht der Mitgliedsstaaten keine Rede sein. Gleichzeitig wurden zahlreiche Vorschriften der MMRL in die MMVO übernommen,652 womit die MMVO auch insoweit keinen Fremdkörper für die nationalen Rechtsordnungen darstellt. Insgesamt ist aufgrund der geringen Eingriffsintensität in die Souveränität der Mitgliedsstaaten und der Geeignetheit für die verfolgten Ziele nicht ersichtlich, warum an der Verhältnismäßigkeit der MMVO gezweifelt werden sollte. b) Subsidiaritätsgrundsatz Was die darüber hinausgehende erforderliche Vereinbarkeit mit dem Subsidiaritätsgrundsatz (Art. 5 Abs. 3 AEUV) angeht, ist für Rechtsakte, die auf die Binnenmarktkompetenz des Art. 114 AEUV gestützt werden, einhellig anerkannt, dass mit Bejahung des Tatbestands von Art. 114 AEUV in aller Regel auch die Anforderungen des Subsidiaritätsgrundsatzes erfüllt sind.653 Gerade für Rechtsmaterien wie das Marktmissbrauchsrecht, die schon zuvor durch einen europäischen Rechtsakt reguliert waren, der auf die Binnenmarktkompetenz gestützt wurde, kann nichts anderes gelten. Die MMVO wird somit auch dem Subsidiaritätsgrundsatz gerecht.

651

Ladenburger, ZEuS 2011, 389, 398; Wunderlich/Pickartz, EuR 2014, 659, 664. Ausführlich hierzu Kapitel 5. 653 Korte, in: Calliess/Ruffert-EUV/AEUV, Art. 114 AEUV Rn. 63; Leible/Schröder, in: Streinz-EUV/AEUV, Art. 114 AEUV Rn. 67; Tietje, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 114 AEUV Rn. 58 f. 652

C. Das Regulierungskonzept der MMVO

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III. Notwendigkeit einer grundsätzlich vollharmonisierenden Verordnung im Marktmissbrauchsrecht 1. Keine Notwendigkeit aus den Erwägungsgründen der MMVO Nachdem die Vereinbarkeit der MMVO mit dem europäischen Primärrecht geklärt wurde, kann sich nun der Frage zugewandt werden, ob es, wie von der DeLarosière-Gruppe suggeriert, tatsächlich zwingende Gründe für eine Verordnungsgesetzgebung im Bereich des Marktmissbrauchsrechts gibt. Klar dürfte insoweit sein, dass der von der De-Larosière-Gruppe verfasste Abschlussbericht den Paradigmenwechsel in der Gesetzgebung nicht alleine legitimieren kann,654 vor allem, da die von der Gruppe dargelegten „Beispiele für Inkohärenzen“ lediglich einige Teilbereiche abdecken.655 Vielmehr kommt es auf die zum jeweiligen Rechtsakt gemachten Erwägungen an und ob diese überzeugende Gründe für eine Verordnungsgesetzgebung liefern.656 Ein Aspekt, der in den Erwägungsgründen der MMVO für eine Verordnung genannt wird, ist, dass die Vorschriften einer Verordnung unmittelbar anwendbar sind und dadurch eine einheitliche Rechtslage mit einheitlichen Regeln geschaffen wird.657 Diesen oft als allgemeine Vorteile einer vollharmonisierenden Verordnungsgesetzgebung bezeichneten Attributen, lassen sich schon die Nachteile einer Verordnungsgesetzgebung658 – Verhinderung eines Systemwettbewerbs, Einpassungsschwierigkeiten in die nationalen Rechtsordnungen – entgegenhalten. Allerdings kommen diese Nachteile im Bereich des Marktmissbrauchsrechts, wie bereits angesprochen, so gut wie nicht zum Tragen. Deutlich schwerer wiegt jedoch, dass mit diesen „allgemeinen Vorteilen“ letztlich keine Begründung für eine Verordnungsgesetzgebung geliefert, sondern lediglich die Wirkung einer Verordnung beschrieben wird. Ein überzeugendes Argument für eine Verordnungsgesetzgebung kann daraus gerade nicht gewonnen werden.659 Des Weiteren wird angeführt, dass durch eine Verordnung ein stärkerer Rahmen geschaffen wird, um Marktintegrität zu wahren und potentielle Aufsichts- und Regulierungsarbitrage zu verhindern und dieser vorzubeugen.660 Auf den ersten Blick stellen beide Ziele nachvollziehbare Gründe für eine Verordnungsgesetzgebung dar. Problematisch an dieser Argumentation ist jedoch, dass es weder Belege für eine durch unterschiedliche Regelungen hervorgerufene schädliche Aufsichts- oder Regulierungsarbitrage gibt, noch dafür, dass diese divergierenden Regelungen in einer 654

So überzeugend Veil, ZGR 2014, 544, 564. The High Level Group of Financial Supervision in the EU, Chaired by Jacques de Larosière, Report, Brussels 25 February 2009, (deutsche Fassung), S. 31 Rn. 105. 656 Veil, ZGR 2014, 544, 565; siehe auch Fleischer/Schmolke, NZG 2010, 1241, 1248. 657 Erwägungsgründe 3 und 5 MMVO. 658 Zu den Nachteilen Fleischer/Schmolke, NZG 2010, 1241, 1245 f. 659 Vgl. Veil, ZGR 2014, 544, 565. 660 Vgl. Erwägungsgrund 4 MMVO. 655

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Kap. 3: Europarechtlicher Hintergrund der MMVO

die Marktintegrität gefährdenden Weise ausgenutzt wurden.661 Von zwingenden Gründen für eine Verordnungsgesetzgebung kann folglich auch hier nicht gesprochen werden. Ferner wird argumentiert, dass durch die erheblichen Veränderungen in der Finanzwelt auch eine Veränderung hinsichtlich des Rechtsakts für das Marktmissbrauchsrecht erforderlich war.662 Im Hinblick auf das Marktmissbrauchsrecht beziehen sich diese Veränderungen hauptsächlich auf die Verlagerung des Handels mit Finanzinstrumenten. Zu Zeiten der MMRL spielte sich der Handel mit Finanzinstrumenten hauptsächlich an den geregelten Märkten ab, was sich daran zeigt, dass sich der Anwendungsbereich der MMRL ausschließlich auf den Handel mit Finanzinstrumenten auf einem geregelten Markt konzentrierte.663 Seither ging die Entwicklung an den Finanzmärkten jedoch dahin, dass Finanzinstrumente zunehmend auf multilateralen oder organisierten Handelssystemen gehandelt werden.664 Zwar galten etwa in Deutschland einige Regelungen des Marktmissbrauchsrechts aufgrund überschießender Umsetzung auch schon zur Zeit der MMRL im Freiverkehr,665 jedoch bestand europaweit gesehen eine Regelungslücke bezogen auf diese Handelssysteme, die der Gesetzgeber mit der MMVO schließen wollte. Die Regulierung bisher deregulierter Märkte stellt jedoch auch keinen zwingenden Grund für eine Verordnungsgesetzgebung dar, da sich diese Lücke auch mit einer Richtlinie mit erweitertem Anwendungsbereich hätte schließen lassen. Zuletzt werden in der MMVO für eine Verordnungsgesetzgebung noch die Vorteile für die Kapitalmarktakteure aufgezählt. Dazu zählen mehr Rechtssicherheit, unkompliziertere Vorschriften sowie Verringerung der rechtlichen Komplexität und die daraus resultierende Senkung der Rechtskosten, insbesondere bei grenzüberschreitend tätigen Unternehmen.666 Zu bedenken ist aber, dass diese genannten Vorteile für die Kapitalmarktakteure nicht automatisch mit dem Rechtsakt der Verordnung eintreten. Entscheidend ist hierfür vielmehr die Ausgestaltung und einheitliche Anwendung und Auslegung der im Rechtsakt statuierten Vorschriften. Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, bringt eine Verordnungsgesetzgebung auch nicht die erhofften Vorteile. Folglich stellen die in den Erwägungsgründen genannten Vorteile für die Kapitalmarktakteure zwar durchaus erstrebenswerte Ziele für eine Verordnungsgesetzgebung dar, wirklich zwingend für eine Verordnungsgesetzgebung an sich sind indes auch sie nicht.

661 662 663 664 665 666

Veil, ZGR 2014, 544, 565. Erwägungsgrund 3 MMVO. Art. 9 Abs. 1 MMRL; siehe auch Art. 1 Nr. 3 MMRL. Erwägungsgrund 8 MMVO. Vgl. etwa § 12 S. 1 Nr. 1 WpHG a.F. Erwägungsgründe 4 und 5 MMVO.

C. Das Regulierungskonzept der MMVO

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Es lässt sich damit festhalten, dass, anders als von der De-Larosière-Gruppe allgemein unterstellt, in den Erwägungsgründen der MMVO keine zwingenden Gründe für eine Verordnungsgesetzgebung im Marktmissbrauchsrecht zu finden sind. 2. Schaffung einer europäischen Kapitalmarktunion als zwingender Grund Einen weiteren Ansatz für die Notwenigkeit einer Verordnungsgesetzgebung liefert das übergeordnete Ziel der Schaffung einer europäischen Kapitalmarktunion @ eines echten Binnenmarkts für Kapital. Für die Realisierung eines solchen Binnenmarkts ist der Rechtsakt der Verordnung am besten geeignet.667 Aus diesem Zusammenhang lässt sich die These aufstellen, dass sich aus der Notwendigkeit einer europäischen Kapitalmarktunion ein zwingender Grund für eine Verordnungsgesetzgebung ableiten lässt. a) Notwendigkeit einer europäischen Kapitalmarktunion Das Ziel der Schaffung einer europäischen Kapitalmarktunion wird größtenteils positiv aufgenommen.668 Für die Befürworter ergibt sich deren Notwendigkeit aus der schwachen Rolle, die die Kapitalmärkte bei der Finanzierung der europäischen Wirtschaft spielen, wo nach wie vor die Banken die Hauptfinanzierungsquelle darstellen.669 Während etwa in den USA nur 27 % Bankfinanzierung besteht, sind es in Europa 76 %.670 Gleichzeitig ist die Kapitalisierung der Aktienmärkte in den USA deutlich höher als in der EU,671 bei gleicher Wirtschaftsgröße.672 Diese Abhängigkeit vom Bankensektor wirke sich insbesondere bei krisenbedingten Einschränkungen der Kreditvergabe erheblich auf die europäische Wirtschaft aus.673 Die hauptsächlich Leidtragenden seien dabei die kleinen und mittleren 667

Siehe hierzu Fn. 637. Siehe etwa Hopt, EuZW 2015, 289 f.; Kumpan, ZGR 2016, 2, 8, 11; Heuer/Schütt, BKR 2016, 45, 46 m.w.N. 669 Europäische Kommission, Aktionsplan zur Schaffung einer Kapitalmarktunion, COM(2015) 468 final v. 30. 9. 2015, S. 3 ff.; Hopt, EuZW 2015, 289. 670 Deutsche Börse, Grundprinzipien für eine europäische Kapitalmarktunion – Stärkung der Kapitalmärkte zur Förderung von Wachstum, S. 8. Das Dokument ist abrufbar unter https:// deutsche-boerse.com/blob/2534552/b3c4e6ebbca2f342c8745f49fbc8715d/data/principles-fora-european-capital-markets-union_de.pdf (zuletzt abgerufen am 19. 12. 2018). 671 Siehe etwa European Commission, Commission Staff Working Document – Initial reflections on the obstacles to the development of deep and integrated EU capital markets, SWD(2015) 13 final v. 18. 02. 2015, S. 11; Hopt, EuZW 2015, 289. 672 So Europäische Kommission, Aktionsplan zur Schaffung einer Kapitalmarktunion, COM(2015) 468 final v. 30. 09. 2015, S. 3. 673 Heuer/Schütt, BKR 2016, 45, 46; Kumpan, ZGR 2016, 2, 7. 668

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Kap. 3: Europarechtlicher Hintergrund der MMVO

Unternehmen (KMU), die sich vorwiegend aus Bankkrediten finanzieren.674 Die Tragweite dieser Problematik werde besonders augenscheinlich, wenn man sich die Bedeutung der KMU für die europäische Wirtschaft verdeutlicht: Im Jahr 2017 waren 99,8 % aller europäischen Unternehmen KMU, diese erwirtschafteten 56,8 % der Wertschöpfung europäischer Unternehmen und hatten einen Beschäftigungsanteil von 66,4 %.675 Sie bilden das „Rückgrat der Realwirtschaft“ und hegen das größte Wachstumspotenzial.676 Die Kapitalmarktunion soll die Integration der immer noch fragmentierten und national geprägten Kapitalmärkte weiter forcieren, den Zugang zu Finanzierungsquellen aller Akteure, aber vor allem der KMUs vergrößern, vereinfachen und verbilligen und so für Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze sorgen.677 Gleichzeitig sollen stärker integrierte Finanzmärkte ein höheres Investitionsniveau schaffen und eine effiziente Kapitalallokation gewährleisten. Darüber hinaus wird sich von der Kapitalmarktunion und der damit einhergehenden Verringerung der Abhängigkeit von der Bankenfinanzierung eine Steigerung der Stabilität des Finanzsystems versprochen, da die Finanzierungslast auf mehrere Quellen verteilt wird und so die Auswirkungen von Schocks und Krisen besser aufgefangen werden können.678 b) Kritik an der Kapitalmarktunion Es gibt jedoch auch kritische Stimmen gegenüber einer europäischen Kapitalmarktunion. So wird angeführt, dass stärker integrierte Finanzmärkte nicht zu einer höheren Stabilität, sondern im Gegenteil zu einer schnelleren und weiteren Verbreitung von Schocks und Krisen im Finanzsektor führen – was die Finanzkrise gezeigt hätte.679 Gerade die geplante Förderung der europäischen Verbriefungsmärkte wird als problematisch angesehen, weil damit zum einen der Schattenbankensektor gefördert werde und zum anderen die Verbriefung von Hypothekendarlehen hauptverantwortlich für die Finanzkrise in den USA gewesen ist.680 Die Kri674 Die Außenfinanzierung der europäischen KMU besteht zu über 75 % aus Bankkrediten, Europäische Kommission, Aktionsplan zur Schaffung einer Kapitalmarktunion, COM(2015) 468 final v. 30. 09. 2015, S. 7. 675 European Commission, Annual Report on European SMEs 2017/2018, S. 14. 676 So ausdrücklich Deutsche Bank Research, Mittelstandsfinanzierung im Euroraum, S. 3. 677 Europäische Kommission, Aktionsplan zur Schaffung einer Kapitalmarktunion, COM(2015) 468 final v. 30. 09. 2015, S. 3 ff. 678 Europäische Kommission, Aktionsplan zur Schaffung einer Kapitalmarktunion, COM(2015) 468 final v. 30. 09. 2015, S. 3, 29 f.; Kumpan, ZGR 2016, 2, 7 f.; Hopt, EuZW 2015, 289. 679 Stockhammer/Reissl, Europäische Kapitalmarktunion – ein Schritt in die falsche Richtung, abrufbar unter http://blog.arbeit-wirtschaft.at/kapitalmarktunion-falsche-richtung/ (zuletzt abgerufen am 11. 07. 2019); vgl. auch Gabrisch, Zur Kritik der Kapitalmarktunion, S. 5 ff., abrufbar unter http://blog.zeit.de/herdentrieb/files/2016/12/wirtschaftsdienst_12_2016_ Gabrisch_Kapitalmarktunion.pdf (zuletzt abgerufen am 11. 07. 2019). 680 Stockhammer/Reissl (Fn. 679).

C. Das Regulierungskonzept der MMVO

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tiker sehen in der Kapitalmarktunion eine Rückkehr zu genau jenen Praktiken, die zur Finanzkrise geführt haben, anstatt, wie von ihnen gefordert, insbesondere den Schattenbankensektor endlich stärker zu regulieren.681 Ferner richtet sich die Kritik gegen die von der Kommission aufgestellte Gleichung, dass stärkere Kapitalmärkte zu einem Wachstum der europäischen Wirtschaft führen. Starke Kapitalmärkte könnten zwar zu einer Förderung der Zusammenführung von Kapitalangebot und Kapitalnachfrage in Europa führen, eine statische Wirtschaft ließe sich allerdings mittel- und langfristig nur durch die Bereitstellung von guten Investitionsbedingungen wieder in Schwung bringen.682 Dafür bräuchte es jedoch unter anderem wirksame Strukturreformen683 und eine europäische Fiskalpolitik,684 wofür die Kapitalmarktunion kein Ersatz sei und wozu sie dementsprechend nichts beitragen könne.685 Darüber hinaus wird die Problematik der Abhängigkeit von den Banken als zu einseitig angeprangert, da gerade für den Mittelstand eine Finanzierung über Bankkredite essentiell sei.686 Die Banken könnten von den Finanzmärkten – auch nach den geplanten Änderungen der Kommission – bei der Finanzierung des Mittelstands nicht ersetzt werden.687 Insgesamt sehe die Schaffung einer europäischen Kapitalmarktunion nicht die richtigen und notwendigen Maßnahmen für Wachstum und Stabilität vor und sei daher „ein Schritt in die falsche Richtung“.688 c) Bewertung Der Begriff der „Kapitalmarktunion“ führt auf den ersten Blick unweigerlich zu – wohl von der Kommission gewollten689 – Assoziationen mit der Bankenunion. Bei näherer Betrachtung stellt man jedoch schnell große Unterschiede zwischen beiden „Unionen“ fest. Die Kapitalmarktunion ist bereits von ihrem Anwendungsbereich weiter und erstreckt sich auf alle europäischen Mitgliedsstaaten. Zudem ging es bei der Bankenunion hauptsächlich um Rechts-, Regulierungs- und Aufsichtsaufgaben,690 während bei der Kapitalmarktunion durch eine Vielzahl verschiedenster Maßnahmen ein europäischer Kapitalmarkt erst voll entwickelt werden soll.691 681

Stockhammer/Reissl (Fn. 679); Gabrisch (Fn. 679), S. 8 f. Genossenschaftsverband Bayern, Kritik an Kapitalmarktunion – Mittelständische Unternehmen bevorzugen Bankkredite, abrufbar unter https://www.gv-bayern.de/standard/artikel/ kritik-an-kapitalmarktunion-4485 (zuletzt abgerufen am 11. 07. 2019). 683 Genossenschaftsverband Bayern (Fn. 682); Heuer/Schütt, BKR 2016, 45, 50. 684 Stockhammer/Reissl (Fn. 679). 685 Genossenschaftsverband Bayern (Fn. 682). 686 Genossenschaftsverband Bayern (Fn. 682). 687 Genossenschaftsverband Bayern (Fn. 682). 688 So ausdrücklich Stockhammer/Reissl (Fn. 679). 689 Vgl. Hopt, EuZW 2015, 289. 690 Kumpan, ZGR 2016, 2, 6; Hopt, EuZW 2015, 289, 290. 682

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Kap. 3: Europarechtlicher Hintergrund der MMVO

Das Ziel der Kommission die Finanzmärkte zu stärken und weiter zu integrieren ist dabei grundsätzlich sehr zu begrüßen. Für die Unternehmen – insbesondere die KMU – entsteht so eine größere Auswahl an Finanzierungsmitteln und Geldgebern, was die Risiken eines etwa krisenbedingten Ausfalls einzelner Finanzierungsquellen reduziert und so das Finanzsystem insgesamt stabiler und sicherer macht. Kritisiert wird jedoch, dass die Kommission im Aktionsplan hierfür Maßnahmen vorsieht, die zu einer weiteren Liberalisierung der Finanzmärkte beitragen. Der Kritik ist zuzugeben, dass Verbriefungen und der Schattenbankensektor untrennbar mit der Finanzkrise und mithin negativen Erfahrungen verbunden sind. Dennoch ist der Ruf nach umfassenden Regulierungen nicht die Lösung. Es ist Augenmaß gefragt. Die Maßnahmen der Kommission sollten so gewählt werden, dass zum einen wirkliche systematische Bedrohungen für die Finanzstabilität von nicht beaufsichtigten Finanzunternehmen und Aktivitäten gebannt werden, auf der anderen Seite aber auch das Potential, etwa von hochwertigen Verbriefungen, für die Wirtschaft effektiv und effizient genutzt werden kann.692 Die Kapitalmarktunion darf ferner keinesfalls als Aufgabe der bankbasierten Finanzierung verstanden werden. Gerade für die Hauptakteure des Aktionsplans, die KMU, wird die bankbasierte Finanzierung auch in Zukunft die Hauptfinanzierungsquelle sein. Ein Wandel zu US-amerikanischen Verhältnissen, wo sich auch mittelständische Unternehmen hauptsächlich über die Kapitalmärkte finanzieren, ist aus strukturellen, kulturellen und historischen Unterschieden zwischen Europa und den USA – Europa ist zum Beispiel allgemein bankenorientierter und die Bedeutung von KMU ist hier wesentlich größer693 – nicht denkbar. Dementsprechend sieht auch der Aktionsplan die Banken in der Kapitalmarktunion in einer zentralen Rolle und plant unter anderem ihre Kreditvergabekapazitäten zu erhöhen.694 Letztlich kommt es darauf an, Maßnahmen zu erlassen, die dazu führen, dass die bankbasierte Finanzierung durch eine kapitalmarktbasierte Finanzierung gewinnbringend ergänzt wird. Was die Wachstumsprognose durch eine europäische Kapitalmarktunion betrifft, ist im Vergleich zum Aktionsplan der Kommission sicherlich etwas mehr Zurückhaltung geboten. Eindeutige empirische Beweise für eine Gesetzmäßigkeit zwischen 691 Europäische Kommission, Aktionsplan zur Schaffung einer Kapitalmarktunion, COM(2015) 468 final v. 30. 09. 2015, S. 7. 692 In diese Richtung auch Europäische Kommission, Aktionsplan zur Schaffung einer Kapitalmarktunion, COM(2015) 468 final v. 30. 09. 2015, S. 18: „Der EU-Rechtsrahmen muss die richtige Balance zwischen Risikominderung und Wachstumsförderung herstellen […].“ und S. 24: „Daher prüft die Kommission parallel zu den Arbeiten an der Kapitalmarktunion die Regulierung der Banken, um ein optimales Gleichgewicht zwischen Risikomanagement und Wachstumsförderung zu gewährleisten.“ 693 Zum Vergleich mit dem US-amerikanischen Kapitalmarkt Heuer/Schütt, BKR 2016, 45, 47. 694 Europäische Kommission, Aktionsplan zur Schaffung einer Kapitalmarktunion, COM(2015) 468 final v. 30. 09. 2015, S. 6.

C. Das Regulierungskonzept der MMVO

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starken, integrierten Kapitalmärkten und Wirtschaftswachstum konnten bisher nicht erbracht werden.695 Sicher ist indes, dass starke, integrierte Kapitalmärkte nicht das alleinige Wundermittel für Wirtschaftswachstum sein können. Die Kritiker weisen zu Recht darauf hin, dass die Kapitalmarktunion unter anderem kein Ersatz für attraktive Rahmenbedingungen ist, die den Investoren rentable Investitionsmöglichkeiten bieten. Allerdings schließt die Kapitalmarktunion etwaige erforderliche Strukturreformen auch keinesfalls aus. Vielmehr sind zur Schaffung der Kapitalmarktunion auch viele (rechts)politische Maßnahmen unabdingbar, die so gewählt werden sollten, dass sie zu attraktiven Rahmenbedingungen führen, in denen die starken, integrierten Kapitalmärkte ihren größtmöglichen Beitrag zu Wirtschaftswachstum und zur Schaffung von Arbeitsplätzen leisten können. Die Mitgliedsstaaten haben in Art. 26 AEUV das Ziel eines Binnenmarkts statuiert. Kapitalmärkte sind dabei mit ihren grundsätzlichen Funktionen – Investitionsplattform und Fremdfinanzierungsquelle – für einen Kapitalbinnenmarkt gemacht. Je mehr Investoren und Liquidität vorhanden sind, umso besser können die Märkte ihr Potential ausschöpfen und ihre Funktionen erfüllen. Oberste Priorität muss bei all dem jedoch stets die Stabilität des Finanzsystems haben. Dass durch die Schaffung der Kapitalmarktunion und dem damit einhergehenden, allmählichen Abbau von nationalen Beschränkungen neue Risiken für die Finanzstabilität entstehen könnten, wurde von der Kommission erkannt und soll dementsprechend überwacht werden.696 Entscheidend ist letztlich – wie bereits aus den vorherigen Absätzen deutlich wird – die Ausgestaltung der einzelnen Maßnahmen, die zur Schaffung der Kapitalmarktunion führen sollen. Es wird noch eine Vielzahl an vor allem weitsichtigen, intelligenten und gebietsübergreifenden Maßnahmen nötig sein, bis die europäische Kapitalmarktunion nicht nur realisiert, sondern auch so realisiert ist, dass sie die von der Kommission beschworenen positiven Effekte mit sich bringt. Die im Aktionsplan enthaltenen Maßnahmen gehen dafür in die richtige Richtung, auch wenn sicherlich über einzelne Maßnahmen diskutiert werden kann und sich viele erforderliche Maßnahmen auch erst mit der Zeit zeigen werden. Insgesamt ist die Schaffung einer europäischen Kapitalmarktunion aber der richtige Schritt. Um es mit den Worten von Hopt zu sagen: „Die Schaffung einer Kapitalmarktunion in Europa [ist] langwierig und schwierig, aber notwendig.“697 Somit schließt sich auch der Kreis zur oben aufgeworfenen These. Aus der Notwendigkeit einer europäischen Kapitalmarktunion kann folglich, wenn die sonstigen, insbesondere die primärrechtlichen Voraussetzungen für eine Verordnungsgesetzgebung erfüllt sind, ein zwingender Grund 695 Dies gesteht die Kommission selbst ein, European Commission, Commission Staff Working Document – Economic Analysis, SWD(2015) 183 final v. 30. 09. 2015, S. 18: „Available research fails to provide a general rule determining which financial structures are optimal with respect to their contribution to economic growth.“ 696 Europäische Kommission, Aktionsplan zur Schaffung einer Kapitalmarktunion, COM(2015) 468 final v. 30. 09. 2015, S. 4 f. 697 Hopt, EuZW 2015, 289.

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Kap. 3: Europarechtlicher Hintergrund der MMVO

für eine Verordnungsgesetzgebung abgeleitet werden. Bei der MMVO sind all diese Voraussetzungen erfüllt, womit die Notwendigkeit der Schaffung einer europäischen Kapitalmarktunion einen, aber auch den einzigen zwingenden Grund für die MMVO darstellt.

Kapitel 4

Konzeption, Anwendungsbereich und einzelnormübergreifende Probleme der MMVO A. Konzeption der MMVO I. Allgemeine Struktur der MMVO Die MMVO enthält insgesamt 39 Artikel. Wie bei jedem europäischen Rechtsakt, sind auch bei der MMVO die Erwägungsgründe vorangestellt. Auf sie folgen in Kapitel eins die allgemeinen Bestimmungen, wie zum Beispiel Gegenstand und Anwendungsbereich der MMVO oder die Definitionen der wichtigsten Begriffe. Das anschließende Kapitel befasst sich mit den Verbotstatbeständen, deren zentralen Begriffen und Ausnahmen hierzu. Kapitel drei statuiert die Offenlegungsvorschriften, etwa die Ad-hoc-Publizitätspflicht oder die Erstellung von Insiderlisten. Gegenstand des vierten Kapitels sind die Rechte und Pflichten der jeweiligen nationalen Behörde, mithin der BaFin in Deutschland. In Kapitel fünf finden sich die verwaltungsrechtlichen Maßnahmen und Sanktionen bei Verstößen gegen die Vorschriften der MMVO. Die Kapitel sechs und sieben enthalten Ausübungs- und Schlussbestimmungen. Den Abschluss der MMVO bildet ein Anhang. Die MMVO ist damit nach dem gleichen Muster aufgebaut, wie alle neueren Verordnungen.698

II. Erwägungsgründe Bei einem genaueren Blick auf die Erwägungsgründe der MMVO ist festzustellen, dass sich diese im Vergleich zur MMRL mehr als verdoppelt haben699 – 89 Erwägungsgründe bei der MMVO gegenüber 44 bei der MMRL. Neben diesem numerischen Anstieg sind die einzelnen Erwägungsgründe, verglichen mit der MMRL, aber auch oftmals deutlich umfangreicher und detailierter geworden. Es liegt zwar auf der Hand, dass mit einem Anstieg der Normenfülle eine größere Anzahl an Erwägungsgründen einhergeht. Die „geradezu kommentarartige Brei698

Veil, ZGR 2014, 544, 581. Die steigende Anzahl an Erwägungsgründen ist bei allen neueren europäischen Rechtsakten zu erkennen, vgl. Veil, ZGR 2014, 544, 581. 699

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Kap. 4: Konzeption, Anwendungsbereich und Probleme der MMVO

te“700 der Erwägungsgründe lässt sich damit jedoch nicht alleine erklären. Vielmehr ist das auch auf eine Reihe von verschiedenen – durchaus kritisch zu betrachtenden701 – Verwendungen der Erwägungsgründe zurückzuführen. So enthalten einige Erwägungsgründe mitunter wörtliche Wiederholungen des Verordnungsrechts.702 Darüber hinaus, wohl um einzelne Aspekte detaillierter darstellen zu können, fand vereinzelt eine Aufspaltung von Erwägungsgründen der MMRL statt. Beispielsweise wurde der Inhalt von Erwägungsgrund 18 MMRL in der MMVO auf die Erwägungsgründe 24, 25, 26 und 30 MMVO verteilt. Ferner werden wesentliche Aussagen der für das Insiderrecht bedeutenden EuGH-Urteile Geltl703 und Spector Photo Group704 in den Erwägungsgründen wiedergegeben.705 Zudem sind in einigen Erwägungsgründen Ausnahmen – teilweise auch wieder Rückausnahmen – vom Verordnungsrecht enthalten. Das wohl meistdiskutierteste Beispiel ist Erwägungsgrund 28 MMVO, der eine Ausnahme vom Begriff der Insiderinformation statuiert.706 Außerdem finden sich in manchen Fällen Vorschriften des alten Marktmissbrauchsrechts in den Erwägungsgründen wieder; so zum Beispiel die in Erwägungsgrund 50 MMVO genannten Fallbeispiele, die vorher in Art. 3 Abs. 1 Durchführungsrichtlinie-MMRL geregelt waren.

III. Rahmenrechtsakt und Level 2-Rechtsakte Den Erwägungsgründen folgen die Vorschriften der MMVO. Mit seinen 39 Artikeln weist der Rahmenrechtsakt der MMVO 17 Artikel mehr auf als noch der Rahmenrechtsakt der MMRL. Der größere Regelungsumfang der MMVO lässt sich, neben den Neuregelungen, damit erklären, dass es sich bei der MMVO um eine grundsätzlich vollharmonisierende Verordnung handelt, die schon per se einen größeren Regelungsumfang haben muss, als eine lediglich mindestharmonisierende Richtlinie, die den Mitgliedsstaaten noch Umsetzungs- und Regelungsfreiräume belässt. Daneben ist allerdings auffallend, dass sich die MMVO im Vergleich zur MMRL nicht mehr nur auf die wesentlichen Grundentscheidungen beschränkt, sondern bereits durchaus Detailregelungen enthält, die bei der MMRL noch in der auf Level 2 verabschiedeten Durchführungsrichtlinie-MMRL zu finden waren. Als Beispiel 700

So ausdrücklich Köndgen, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 6 Rn. 48. Hierzu sogleich unter C.III.3. 702 Als Beispiele seien genannt: Art. 7 Abs. 3 MMVO und Erwägungsgrund 16 S. 4 MMVO sowie Art. 11 Abs. 1 MMVO und Erwägungsgrund 32 S. 1 MMVO. 703 EuGH Urt. v. 28. 06. 2012 – Rs C-19/11 = ZIP 2012, 1282 Rn. 38, 40 (Geltl). 704 EuGH Urt. v. 23. 12. 2009 – Rs. C-45/08, Slg. 2009, I-2073 Rn. 47, 48, 62 (Spector Photo Group). 705 Bezüglich Geltl siehe Erwägungsgrund 16 MMVO und bezüglich Spector Photo Group siehe Erwägungsgründe 23 und 24 MMVO. 706 Siehe hierzu C.III.2.; ausführlich zu dieser Problematik Klöhn, WM 2016, 1665. 701

B. Der Anwendungsbereich der MMVO

129

kann hier vor allem die Konkretisierung des Begriffs der Insiderinformation in Art. 7 Abs. 1 lit. a) MMVO genannt werden. Die Durchführungsrichtlinie-MMRL definierte in Art. 1 Abs. 1 und 2 die Begriffe der „präzisen Information“ und der „Kurserheblichkeit“. Beide Definitionen befinden sich nun bereits im Rahmenrechtsakt, nämlich in Art. 7 Abs. 2 (präzise Information) und Abs. 4 (Kurserheblichkeit) MMVO. Diese Zunahme der Detailregelungen auf Level 1 widerspricht grundsätzlich der Idee des Lamfalussy-Verfahrens, bei dem auf Level 1 lediglich die wesentlichen Grundentscheidungen getroffen werden und die Details und Konkretisierungen erst auf Level 2 folgen sollen. Bei dieser Beurteilung ist jedoch zu berücksichtigen, dass es sich bei der Insiderinformation um den zentralen Terminus des Insiderrechts handelt, dessen unionsweit einheitliches Verständnis die Voraussetzung für ein unionsweit einheitliches Insiderrecht ist. Gerade bei solchen zentralen Begriffen können auch Detailfragen rechtspolitisch brisant sein.707 Das wird dadurch verdeutlicht, dass unter Geltung der MMRL der Begriff der Insiderinformation unionsweit nicht immer einheitlich verstanden wurde.708 Es ist daher nachvollziehbar, dass der europäische Gesetzgeber nicht nur den Begriff der Insiderinformation, sondern auch seine Konkretisierungen als „wesentliche Grundentscheidungen“ eingestuft und auf Level 1 geregelt hat. Die Rechtssetzung auf Level 2 ist allerdings trotz dieser teilweisen Verschiebungen zwischen Level 1 und 2 keinesfalls überflüssig, sondern sogar ebenfalls umfangreicher geworden. Die MMVO enthält insgesamt sieben Befugnisübertragungen an die Kommission zum Erlass von Rechtsakten und beauftragt in 15 Fällen die ESMA zur Ausarbeitung von Standards, die von der Kommission erlassen werden. Überraschend ist diese Zunahme an Level 2-Maßnahmen dabei nicht, sollen doch durch die MMVO nicht nur die zentralen Begriffe einheitlich verstanden, sondern auch möglichst alle wichtigen Anwendungsfragen europaweit einheitlich geklärt werden.709

B. Der Anwendungsbereich der MMVO I. Erweiterung des Anwendungsbereichs im Vergleich zur MMRL Der Anwendungsbereich der MMVO ist in Art. 2 MMVO geregelt. Nach Art. 2 Abs. 1 lit. a) MMVO gilt die Verordnung, wie bisher die MMRL,710 für Finanzinstrumente, die zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind oder für die 707 708 709 710

Vgl. Veil, ZGR 2014, 544, 578. Siehe oben Kapitel 2, B.I. Vgl. Erwägungsgründe 3 und 5 MMVO; Veil, ZGR 2014, 544, 578. Siehe u. a. Art. 9 MMRL; § 12 S. 1 und 2, § 20a S. 2 WpHG a.F.

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Kap. 4: Konzeption, Anwendungsbereich und Probleme der MMVO

ein Antrag auf Zulassung zum Handel auf einem geregelten Markt gestellt wurde. Neu ist allerdings, dass der Anwendungsbereich der MMVO auch die multilateralen (MTF) und organisierten Handelssysteme (OTF) umfasst, Art. 2 Abs. 1 lit. b) und c) MMVO.711 Ebenfalls neu ist die Einbeziehung von Finanzinstrumenten, deren Kurs oder Wert von dem Kurs oder Wert eines der in Art. 2 Abs. 1 lit. a), b) oder c) MMVO genannten Finanzinstrumente abhängt oder sich darauf auswirkt @ also von Derivaten, wovon Art. 2 Abs. 1 lit. d) MMVO beispielhaft Kreditausfall-Swaps und Differenzkontrakte nennt. Ferner ist die Gültigkeit der Verordnung nicht vom Tätigwerden auf einem Handelsplatz712 abhängig.713 Vielmehr soll ausweislich Erwägungsgrund 8 MMVO auch der nur außerbörsliche Handel (OTC-Handel) von Finanzinstrumenten nach Art. 2 Abs. 1 und 2 MMVO vom Anwendungsbereich umfasst sein. Art. 2 Abs. 4 MMVO stellt schließlich klar, dass es für eine Geltung der Verbote und Anforderungen der MMVO nicht darauf ankommt, wo die marktmissbräuchliche Handlung oder Unterlassung stattfindet (Auswirkungsprinzip).714 Folglich werden auch Handlungen und Unterlassungen in Drittländern den Regelungen der MMVO unterworfen. Ob in dem jeweiligen Drittland ein vergleichbares Insiderrecht besteht, ist dabei gleichgültig.715

II. Vollständige Erfassung des Freiverkehrs 1. Grundsatz Folge dieser Erweiterung des Anwendungsbereichs auf multilaterale Handelssysteme ist insbesondere, dass der deutsche Freiverkehr damit vollständig vom Marktmissbrauchsrecht erfasst wird. Freiverkehrsemittenten unterliegen mithin durch die MMVO, neben den bereits bisher bestehenden Verboten von Insiderhandel und Marktmanipulation,716 auch der Pflicht zur Ad-hoc-Publizität (Art. 17 MMVO), zur Mitteilung von Eigengeschäften von Führungskräften (Directors’ Dealings oder Managers’ Transactions, Art. 19 MMVO) und zur Führung von Insiderlisten (Art. 18 MMVO).717 711

Zur Begründung für die Erstreckung des Anwendungsbereichs siehe Erwägungsgrund 8 MMVO. 712 Zum Begriff Art. 3 Abs. 1 Nr. 10 MMVO i.V.m. Art. 4 Abs. 1 Nr. 24 MiFID II. 713 Art. 2 Abs. 3 MMVO. 714 Zum Begriff Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, § 107 Rn. 32. 715 Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, § 107 Rn. 32. 716 Vgl. § 12 S. 1 Nr. 1, S. 2 WpHG a.F.; § 20a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 WpHG a.F. 717 Bisher bestanden Publizitätspflichten höchstens aufgrund privater Regelwerke der Marktplatzbetreiber, z. B. Allgemeine Gescha¨ ftsbedingungen der Deutsche Bo¨ rse AG fu¨ r den Freiverkehr an der Frankfurter Wertpapierbo¨ rse (AGB-Freiverkehr).

B. Der Anwendungsbereich der MMVO

131

Die Erstreckung des Anwendungsbereichs auf multilaterale Handelssysteme ist grundsätzlich berechtigt und sinnvoll.718 Zum einen unterscheiden sie sich im Hinblick auf die von ihnen erbrachten Dienstleistungen kaum von den geregelten Märkten.719 Zum anderen stiegen die Handelsvolumina an den multilateralen Handelssystemen in den letzten Jahren stetig an, was gleichzeitig zu einer (problematischen) Liquiditätssenkung an den geregelten Märkten führte.720 2. Ausnahme Diese Pflichten gelten allerdings nicht ausnahmslos. Sie kommen dann nicht zur Anwendung, wenn die Einbeziehung der Finanzinstrumente in den Freiverkehr ausschließlich auf Betreiben Dritter erfolgte.721 Da der Emittent in diesen Fällen oftmals gar keine Kenntnis von der Einbeziehung haben kann, wäre es unbillig und auch mit der Privatautonomie unvereinbar,722 ihm dann aber die Mitteilungs- und Dokumentationspflichten aufzuerlegen. Dieses Ergebnis deckt sich auch mit der Ansicht der BaFin. Danach ist ein Freiverkehrsemittent nur publizitätspflichtig, wenn die Finanzinstrumente mit seiner Zustimmung zum Handel zugelassen oder in den Handel einbezogen sind.723 Der BaFin kommt es ausdrücklich auf eine aktive Beteiligung des Emittenten bei der Notierung seiner Finanzinstrumente an.724 Hinsichtlich der erforderlichen Zustimmung hält die BaFin drei Konstellationen für denkbar:725 (i)

718

Emittenten, die selbst einen Antrag auf Zulassung/Einbeziehung zum Handel im Freiverkehr gestellt haben;

Zu daraus entstehenden Problemen für KMU sogleich unter C.II.3. Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, § 107 Rn. 25. 720 Vgl. Erwägungsgrund 8 S. 2 MMVO, Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 2 Rn. 5. 721 Seibt/Wollenschläger, AG 2014, 593, 595; Kiesewetter/Parmentier, BB 2013, 2371, 2375; Graßl, DB 2015, 2066, 2067; als Beispiel kann die Einbeziehung in das Quotation Board des Frankfurter Freiverkehrs genannt werden, die gemäß § 10 Abs. 1 AGB-Freiverkehr (Stand: 01. 12. 2018) nur von einem Teilnehmer und geraden nicht vom Emittenten beantrag werden kann. 722 Die Einbeziehung würde sonst einen Vertrag zu Lasten Dritter darstellen, vgl. Hopt/ Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, § 107 Rn. 25 Fn. 10. 723 BaFin, Art. 17 MAR – Veröffentlichung von Insiderinformationen (FAQs), Stand: 29. 05. 2019, II.1. 724 BaFin, FAQ zu Insiderlisten nach Art. 18 der Marktmissbrauchsverordnung (EU) Nr. 596/2014, Stand: 13. 01. 2017 und BaFin, FAQ zu Eigengeschäften von Führungskräften nach Art. 19 der Marktmissbrauchsverordnung (EU) Nr. 596/2014, Stand: 23. 11. 2018, jeweils II.1. 725 BaFin, Art. 17 MAR – Veröffentlichung von Insiderinformationen (FAQs), Stand: 29. 05. 2019; BaFin, FAQ zu Insiderlisten nach Art. 18 der Marktmissbrauchsverordnung (EU) Nr. 596/2014, Stand: 13. 01. 2017 und BaFin, FAQ zu Eigengeschäften von Führungskräften nach Art. 19 der Marktmissbrauchsverordnung (EU) Nr. 596/2014, Stand: 23. 11. 2018, jeweils II.1. 719

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Kap. 4: Konzeption, Anwendungsbereich und Probleme der MMVO

(ii) Emittenten, die einen Dritten beauftrag haben, einen Antrag auf Zulassung/Einbeziehung zum Handel im Freiverkehr zu stellen; (iii) Emittenten, die die Zulassung/Einbeziehung ihrer Finanzinstrumente zum Handel im Freiverkehr durch einen Dritten genehmigt haben.726 Die Genehmigung geht dabei über ein bloßes zur Kenntnisnehmen hinaus und verlangt eine wissentliche und willentliche Zustimmung zum Handel im Freiverkehr, wobei unerheblich ist, ob der Emittent den damit einhergehenden Folgepflichten der MMVO auch zustimmen wollte oder will.727

III. Generelle Ausnahmen vom Anwendungsbereich Nach Art. 6 MMVO sind Aktionen im Rahmen der Geld- und Wechselpolitik, der Staatsschuldenverwaltung und der Klimapolitik vollständig vom Anwendungsbereich der MMVO ausgenommen; vorausgesetzt sie werden von den in Art. 6 MMVO jeweils näher bezeichneten europäischen oder mitgliedsstaatlichen Stellen getätigt.728 Als unglücklich stellt sich die Regelung in Art. 6 Abs. 2 UAbs. 2 MMVO dar. Ihrem Wortlaut nach erfasst sie, anders als die anderen Absätze dieses Artikels, sämtliche Geschäfte, Aufträge und Handlungen der anschließend genannten Institutionen, steht systematisch aber hinter der Ausnahmeregelung für Maßnahmen der Kommission im Rahmen der Staatsschuldenverwaltung. Dem Rechtsanwender ist somit auf den ersten Blick nicht klar, ob Art. 6 Abs. 2 UAbs. 2 MMVO tatsächlich alle Maßnahmen erfasst (Wortlaut) oder ob nur Maßnahmen im Rahmen der Staatsschuldenverwaltung (Systematik) erfasst sind. Für Letzteres spricht mit der Überschrift von Art. 6 MMVO ein weiteres systematisches Argument, da diese explizit nur die oben genannten Bereiche für die Ausnahmen nennt. Auch die teleologischen Erwägungen des Gesetzgebers in Erwägungsgrund 13 MMVO gehen eindeutig in diese Richtung,729 womit Art. 6 Abs. 2 UAbs. 2 MMVO im Ergebnis so auszulegen ist, dass nicht sämtliche Maßnahmen der dort genannten Institutionen ausgenommen sind, sondern nur solche im Rahmen der Staatsschuldenverwaltung.730 Art. 6 Abs. 4 MMVO nimmt noch Tätigkeiten der dort genannten Stellen, die zur Umsetzung der Gemeinsamen Agrarpolitik oder der Gemeinsamen Fischereipolitik

726

Siehe hierzu auch Erwägungsgrund 49 S. 5 MMVO. BaFin, Art. 17 MAR – Veröffentlichung von Insiderinformationen (FAQs), Stand: 29. 05. 2019, II.1. 728 Geld- und Wechselpolitik (Art. 6 Abs. 1 MMVO), Staatsverschuldensverwaltung (Art. 6 Abs. 2 MMVO) und Klimapolitik (Art. 6 Abs. 3 MMVO). 729 Erwägungsgrund 13 MMVO besagt, dass die in Art. 6 Abs. 2 UAbs. 2 MMVO genannten Institutionen nicht darin eingeschränkt sein sollten, Geschäfte, Aufträge oder Handlungen zu tätigen, „die dazu dienen, finanzielle Mittel zu mobilisieren […]“. 730 Vgl. Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, § 107 Rn. 36. 727

B. Der Anwendungsbereich der MMVO

133

der Union731 im Einklang mit angenommenen Rechtsakten oder gemäß dem AEUV geschlossenen internationalen Übereinkünften ausgeführt werden, vom Anwendungsbereich der MMVO aus. Zudem hat die Kommission von den ihr in Art. 6 Abs. 5 UAbs. 1 MMVO übertragenen Befugnissen Gebrauch gemacht und die Ausnahmen nach Art. 6 Abs. 1 MMVO auf die in Art. 3 i.V.m. Anhang I Delegierte Verordnung 2016/522732 genannten öffentlichen Stellen und Zentralbanken von Drittstaaten ausgeweitet.

IV. Allgemeine Ausnahmen vom Verbot von Insidergeschäften Neben diesen Ausnahmen vom Anwendungsbereich der MMVO in toto, regelt Art. 5 MMVO noch einige partielle Ausnahmen. Danach gilt das in Art. 14 MMVO normierte Verbot von Insidergeschäften (ebenso wie das in Art. 15 MMVO statuierte Verbot der Marktmanipulation) nicht für Rückkaufprogramme733 und Kursstabilisierungsmaßnahmen,734 wenn die in den jeweiligen Absätzen genannten Voraussetzungen, die durch die Delegierte Verordnung (EU) 2016/1052735 präzisiert werden, erfüllt sind. Fraglich ist in diesem Zusammenhang, wie das durch Insiderwissen veranlasste Stoppen eines Rückkaufprogramms zu bewerten ist. Nach altem Recht stellte der insiderwissensbedingte Verzicht auf den Rückkauf keinen Insiderverstoß dar, da es an einem rechtsgeschäftlichen Vorgang mangelte.736 Diese Argumentation kann allerdings nicht mehr aufrechterhalten werden, da Art. 8 Abs. 1 S. 2 i.V.m. Art. 14 lit. a) MMVO ausdrücklich regeln, dass auch die Nutzung einer Insiderinformation in Form der Stornierung eines Auftrags ein verbotenes Insidergeschäft darstellt. Aus den Erwägungen zu Art. 5 MMVO wird deutlich, dass es dem Gesetzgeber explizit darum ging, die Ausnahmen für Rückkaufprogramme dann zuzulassen, wenn eine hinreichende Transparenz der durchgeführten Maßnahmen vorliegt. Legt man dies zugrunde, so erscheint es sachgerecht, das Stoppen eines Rückkaufprogramms zu731

Art. 38 ff. AEUV. Delegierte Verordnung (EU) 2016/522 der Kommission vom 17. Dezember 2015 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates im Hinblick auf eine Ausnahme für bestimmte öffentliche Stellen und Zentralbanken von Drittstaaten, die Indikatoren für Marktmanipulation, die Schwellenwerte für die Offenlegung, die zuständige Behörde, der ein Aufschub zu melden ist, die Erlaubnis zum Handel während eines geschlossenen Zeitraums und die Arten meldepflichtiger Eigengeschäfte von Führungskräften, ABl. EU Nr. L 88 v. 05. 04. 2016, S. 1. 733 Zum Begriff Art. 3 Abs. 1 Nr. 17 MMVO i.V.m. Art. 21 – 27 der Richtlinie 2012/30/EU. 734 Zum Begriff Art. 3 Abs. 2 lit. d) MMVO. 735 Delegierte Verordnung (EU) 2016/1052 der Kommission vom 8. März 2016 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates durch technische Regulierungsstandards für die auf Rückkaufprogramme und Stabilisierungsmaßnahmen anwendbaren Bedingungen, ABl. EU Nr. L 173 v. 30. 06. 2016, S. 34. 736 BaFin, Emittentenleitfaden 2013, S. 40. 732

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Kap. 4: Konzeption, Anwendungsbereich und Probleme der MMVO

mindest dann ebenfalls der Ausnahme nach Art. 5 MMVO zu unterstellen, wenn sich die Gründe für das Stoppen eindeutig aus den „vollständig offengelegten“ Einzelheiten des Programms ableiten lassen.737

C. Einzelnormübergreifende Probleme der MMVO I. Die Auslegung der MMVO 1. Allgemeines zur Auslegung der MMVO Die MMVO stellt ihre Rechtsanwender bei Auslegungsfragen vor neue Herausforderungen. Die Vorschriften der MMRL hatten keine unmittelbare Geltung, sondern bedurften der Umsetzung in das nationale Recht. Folglich handelte es sich beim alten Marktmissbrauchsrecht, das im WpHG umgesetzt war, um nationales Recht. Dementsprechend wurde es auch nach den nationalen Auslegungsgrundsätzen738 ausgelegt.739 Die Vorschriften der MMVO sind nun aber unmittelbar anwendbar, womit es sich um Unionsrecht und gerade nicht mehr um nationales Recht handelt. Konsequenz ist, dass zur Auslegung der MMVO nicht die bekannten nationalen Grundsätze herangezogen werden können, sondern eine autonome Auslegung der Vorschriften anhand der vom EuGH entwickelten Auslegungsgrundsätze zu erfolgen hat.740 2. Die Auslegungsgrundsätze des EuGH Die vom EuGH entwickelten Auslegungsgrundsätze für das Unionsrecht entsprechen im Grundsatz den aus dem nationalen Recht bekannten Kriterien, nämlich Wortlaut, Historie, Systematik und Telos.741 Allerdings werden diese Auslegungskriterien vom EuGH gemäß den Besonderheiten des europäischen Rechts interpretiert und so zu unionsspezifischen Auslegungsgrundsätzen geformt.742 Die Urteile des EuGH lassen dabei zwar kein bestimmtes Rangverhältnis zwischen den verschiedenen Auslegungsgrundsätzen erkennen,743 allerdings ist stets die Auslegung 737

Vgl. Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, § 107 Rn. 41. Diese sind Wortlaut, Historie, Systematik und Telos. 739 Hinzu kam in Zweifelsfällen die unionsrechtskonforme Auslegung, wobei es sich um eine an den Vorgaben der Richtlinie orientierte Auslegung des nationalen Rechts handelt, siehe Borchardt, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach, § 15 Rn. 2. 740 Borchardt, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach, § 15 Rn. 32; Veil, ZBB 2014, 85, 88. 741 Veil, in: Veil/EurKapR, § 5 Rn. 40. 742 Borchardt, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach, § 15 Rn. 31; Veil, in: Veil/EurKapR, § 5 Rn. 40. 743 Veil, in: Veil/EurKapR, § 5 Rn. 40. 738

C. Einzelnormübergreifende Probleme der MMVO

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vorzugswürdig, die die Gültigkeit der fraglichen Unionsvorschrift nicht infrage stellt744 und deren praktische Wirksamkeit „zu wahren geeignet ist“.745 a) Wörtliche Auslegung Die Auslegung nach dem Wortlaut der fraglichen Vorschrift ist auch im Unionsrecht der Ausgangspunkt einer jeden Auslegung.746 Allerdings beginnen hier auch schon die Schwierigkeiten, gibt es doch von der MMVO eine Fassung in jeder der 24 Amtssprachen der EU. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH sind dabei alle Sprachfassungen grundsätzlich gleichwertig, wobei vor allem die Größe der Bevölkerung der Mitgliedsstaaten, mithin die Verbreitung einer Sprache innerhalb der EU, keine Unterschiede machen kann.747 Daher genügt es für die wörtliche Auslegung nach dem EuGH nicht, nur eine Textfassung heranzuziehen, sondern aus dem Grundsatz der einheitlichen Auslegung folgt, dass auch die anderen Sprachfassungen bei der Auslegung berücksichtigt werden müssen.748 Dazu überprüft der EuGH das aus dem Wortlaut einer Sprachfassung gewonnene, fragliche Auslegungsergebnis anhand der anderen Sprachfassungen.749 Bei sich widersprechenden Ergebnissen wendet der Gerichtshof – getreu dem Grundsatz der einheitlichen Auslegung – jedoch kein Mehrheitsprinzip an und gibt nicht automatisch derjenigen Auslegung mit der weitesten Verbreitung in den Mitgliedsstaaten den Vorrang.750 Vielmehr ist in 744 EuGH Urt. v. 04. 10. 2001 – Rs. C-403/99, Slg. 2001, I-6883 Rn. 37 (Italien/Kommission); EuGH Urt. v. 19. 11. 2009 – Rs. C-402/07, Slg. 2009, I-10923 Rn. 47 (Sturgeon). 745 So ausdrücklich die ständige Rechtsprechung des EuGH, siehe etwa EuGH Urt. v. 22. 09. 1988 – Rs. 187/87, Slg. 1988, 5013 Rn. 19 (Saarland u. a.); EuGH Urt. v. 24. 02. 2000 – Rs. C434/97, Slg. 2000, I-1129 Rn. 21 (Kommission/Frankreich); EuGH Urt. v. 19. 11. 2009 – Rs. C402/07, Slg. 2009, I-10923 Rn. 47 (Sturgeon). 746 Borchardt, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach, § 15 Rn. 34; Veil, in: Veil/EurKapR, § 5 Rn. 41. 747 EuGH Urt. v. 02. 04. 1998 – Rs. C-296/95, Slg. 1998, I-1605 Rn. 36 (EMU Tabac u. a.); EuGH Urt. v. 09. 01. 2003 – Rs. C-257/00, Slg. 2003, I-345 Rn. 36 (Givane); EuGH Urt. v. 20. 11. 2003 – Rs. C-152/01, Slg. 2003, I-13821 Rn. 32 (Kyocera). 748 EuGH Urt. v. 12. 07. 1979 – Rs. 9/79, Slg. 1979, 2717 Rn. 6 (Koschniske); EuGH Urt. v. 02. 04. 1998 – Rs. C-296/95, Slg. 1998, I-1605 Rn. 36 (EMU Tabac u. a.); EuGH Urt. v. 09. 03. 2006 – Rs. C-174/05, Slg. 2006, I-2443 Rn. 20 (Zuid-Hollandse Milieufederatie und Natuur en Milieu). 749 EuGH Urt. v. 07. 02. 1985 – Rs. 135/83, Slg. 1985, 469 Rn. 11 (H.B.M. Abels); EuGH Urt. v. 09. 01. 2003 – Rs. C-257/00, Slg. 2003, I-345 Rn. 35 (Givane); EuGH Urt. v. 01. 04. 2004 – Rs. C-1/02, Slg. 2004, I-3219 Rn. 23 und 24 (Borgmann); Borchardt, in: Schulze/Zuleeg/ Kadelbach, § 15 Rn. 36 und Veil, in: Veil/EurKapR, § 5 Rn. 41 wollen in Einzelfällen eine Überprüfung anhand einer „repräsentativen Anzahl“ anderer Sprachfassungen genügen lassen. Dieser Ansatz fördert zwar die Praktikabilität der Wortlautauslegung des Unionsrechts, eine Stütze in der Rechtsprechung des EuGH findet er indes nicht. 750 EuGH Urt. v. 01. 04. 2004 – Rs. C-1/02, Slg. 2004, I-3219 Rn. 23 und 24 (Borgmann), wo ein anhand der „meisten Sprachfassungen“ gewonnenes Auslegungsergebnis gegenüber drei anderslautenden Sprachfassungen nicht ausreichte; siehe auch EuGH Urt. v. 29. 06. 1988 – Rs. 300/86, Slg. 1988, 3443 Rn. 18 (Van Landschoot).

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Kap. 4: Konzeption, Anwendungsbereich und Probleme der MMVO

einem solchen Fall die genaue Bedeutung der Vorschrift anhand der anderen Auslegungsmethoden, insbesondere der systematischen und teleologischen Auslegung, zu ermitteln.751 Dieses Postulat des Gerichtshofs steht in einem gewissen Spannungsverhältnis mit der Entstehungsgeschichte der MMVO. Die Gesetzgebungsverhandlungen zur MMVO erfolgten ausschließlich zur englischen Fassung, die dementsprechend dann auch die Grundlage für die Übersetzungen in die anderen Amtssprachen der EU war.752 Daraus kann sicherlich kein Vorrang der englischen Sprachfassung vor den anderen abgeleitet werden,753 aber dem Rechtsanwender ist zu raten, dass er diese Präferenz der englischen Sprache bei der Entstehung der MMVO bei der Wortlautauslegung berücksichtigt und diese mit der englischen Sprachfassung beginnt.754 Insgesamt sind der Wortlautauslegung von Unionsrechtsakten durch diese „Sprachbarrieren“ aber doch deutliche Grenzen gesetzt und ein eindeutiges Auslegungsergebnis ist oftmals nicht zu erreichen.755 b) Historische Auslegung Für die historische Auslegung einer Unionsrechtsvorschrift gibt es zwei Ansatzpunkte: die subjektiv-historische und die objektiv-historische Auslegungsmethode.756 Die subjektiv-historische Auslegungsmethode soll den wahren Willen des Gesetzgebers offenbaren, wohingegen mit der objektiv-historischen Auslegungsmethode die ursprüngliche inhaltliche Bestimmung der Vorschrift zum Zeitpunkt ihres Erlasses ermittelt werden soll.757 Beide Auslegungsmethoden sind allerdings bei der Auslegung von Unionsrechtsakten @ zumindest bisher758 @ von geringer Bedeutung.759 So rekurriert der EuGH bei nicht eindeutiger Wortlautauslegung

751 EuGH Urt. v. 27. 10. 1977 – Rs. 30/77, Slg. 1977, 1999 Rn. 13/14 (Bouchereau); EuGH Urt. v. 09. 03. 2000 – Rs. C-437/97, Slg. 2000, I-1157 Rn. 42 (EKW und Wein & Co.); EuGH Urt. v. 13. 04. 2000 – Rs. C-420/98, Slg. 2000, I-2847 Rn. 21 (W.N.); EuGH Urt. v. 01. 04. 2004 – Rs. C-1/02, Slg. 2004, I-3219 Rn. 25 (Borgmann). 752 Veil, ZBB 2014, 85, 88, der aufgrund der rein in Englisch geführten Gesetzgebungsverhandlungen zur MMVO die Position des EuGH, wonach alle Sprachfassungen gleichwertig sind, als „lebensfremd“ bezeichnet. 753 Darauf zu Recht hinweisend Simons, AG 2016, 651, 652. 754 Klöhn, AG 2016, 423, 424; wohl auch Veil, ZBB 2014, 85, 88. 755 Vgl. Veil, in: Veil/EurKapR, § 5 Rn. 41; Borchardt, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach, § 15 Rn. 37. 756 Vgl. Pechstein/Drechsler, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 7 Rn. 33. 757 Pechstein/Drechsler, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 7 Rn. 33. 758 Bezüglich einer möglicherweise zukünftig stärkeren Rolle der historischen Auslegung Pechstein/Drechsler, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 7 Rn. 35. 759 Pechstein/Drechsler, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 7 Rn. 33 ff.; vgl. auch Borchardt, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach, § 15 Rn. 40 ff.; a.A. Leisner, EuR 2007, 689, 702, 706, der der subjektiv-historischen Auslegungsmethode „erhebliches Gewicht“ zuspricht.

C. Einzelnormübergreifende Probleme der MMVO

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hauptsächlich auf die systematische und teleologische Auslegung.760 Zudem können nach dem EuGH subjektive Vorstellungen des Gesetzgebers nur dann Teil der Auslegung sein, wenn sie durch einen Niederschlag in der fraglichen Vorschrift rechtliche Relevanz erhalten haben.761 c) Systematische Auslegung Bei der systematischen Auslegung geht es um die Feststellung des Bedeutungsgehalts einer Norm anhand ihrer Stellung im jeweiligen Unionsrechtsakt.762 Dabei sind die Überschrift unter der die fragliche Vorschrift gefasst ist, ihr Zusammenhang mit anderen Normen oder dem gesamten Gesetzestext und ihre eigene Bedeutung für den Rechtsakt zu berücksichtigen.763 Die systematische Auslegung hat ihren Ursprung in der Annahme, dass alle Vorschriften eines Rechtsakts untereinander in Beziehung stehen.764 Dies trifft vor allem dann zu, wenn möglichst wenige Personen am Gesetzgebungsverfahren beteiligt sind und dadurch die Einflussnahme auf den Normtext gering gehalten wird. Für die Gesetzgebung bei der MMVO gilt jedoch genau das Gegenteil: In ihr Verfahren war eine Vielzahl verschiedenster Beteiligter involviert, die alle Einfluss auf den Normtext genommen haben.765 Dementsprechend finden sich auch einige systematische Inkohärenzen in der MMVO. Als Beispiel sei Erwägungsgrund 54 MMVO genannt. Dieser passt inhaltlich zu den Erwägungsgründen über die Insiderhandelsverbote, befindet sich aber inmitten der Erwägungsgründe über die Offenlegung von Insiderinformationen. Noch gravierender ist jedoch, dass Erwägungsgrund 54 S. 3 MMVO besagt, dass „Informationen über die eigenen Handelspläne und -strategien des Marktteilnehmers […] nicht als Insiderinformation betrachtet werden [sollen]“. Sowohl Art. 9 Abs. 5 MMVO als auch Erwägungsgrund 31 S. 2 MMVO gehen dagegen davon aus, dass es sich dabei um eine Insiderinformation handeln kann, der Handel im Wissen der eigenen Handelsabsicht an sich aber noch keine Nutzung einer Insiderinformation darstellt. Auch wenn es sich bei Erwägungsgrund 54 S. 3 MMVO wohl letztlich nur um ein redaktionelles Versehen handelt,766 zeigt sich doch, dass die MMVO kein in sich völlig stimmiger und abgerundeter Rechtsakt ist und dementsprechend an eine systematische Auslegung nicht allzu hohe Erwar760

Siehe Nachweise bei Fn. 751. EuGH Urt. v. 26. 02. 1991 – Rs. C-292/89, Slg. 1991, I-745 Rn. 18 (Antonissen); EuGH Urt. v. 19. 03. 1996 – Rs. C-25/94, Slg. 1996, I-1469 Rn. 38 (Kommission/Rat). 762 Veil, in: Veil/EurKapR, § 5 Rn. 42. 763 Pechstein/Drechsler, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 7 Rn. 22; Veil, in: Veil/EurKapR, § 5 Rn. 42. 764 Pechstein/Drechsler, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 7 Rn. 22. 765 Veil, ZBB 2014, 85, 88; Klöhn, AG 2016, 423, 425. 766 Ausführlich hierzu Klöhn, Beilage zu ZIP 22/2016, 44, 46. 761

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Kap. 4: Konzeption, Anwendungsbereich und Probleme der MMVO

tungen geknüpft werden sollten.767 Bedeutungslos ist sie indes auch nicht. Mit dem Ziel die Hauptrechtsquellen im Kapitalmarktrecht in einem single rulebook zusammenzuführen, hat ein Systemdenken im Kapitalmarktrecht begonnen, wobei das Ziel verfolgt wird, die neuerlassenen Rechtsakte zumindest teilweise miteinander zu verknüpfen und mithin zu erwarten ist, dass die systematische Auslegung in Zukunft an Bedeutung gewinnen wird.768 d) Teleologische Auslegung Aufgrund der begrenzten Möglichkeiten der anderen Auslegungsmethoden kommt der teleologischen Auslegung sowohl bei der Interpretation einer primären als auch sekundären Unionsvorschrift eine zentrale Rolle zu.769 Nach der teleologischen Auslegungsmethode ergibt sich das Verständnis einer fraglichen Norm aus ihrem Sinn und Zweck.770 Bei der teleologischen Auslegung von primärrechtlichen Normen zielt der EuGH daher stets auf die Verwirklichung der Vertragsziele der Union ab.771 Dabei beachtet der EuGH neben dem Grundsatz der einheitlichen Auslegung vor allem den Grundsatz des effet utile, wonach die Vorschrift, wenn möglich, so auszulegen ist, dass sie im Hinblick auf die Vertragsziele der Union die größtmögliche Wirksamkeit entfaltet.772 Im Sekundärrecht verschiebt sich der Ansatzpunkt für die teleologische Auslegung im Vergleich zum Primärrecht.773 Es geht nicht mehr primär um die Vertragsziele der Union, sondern die Ziele des betroffenen Rechtsakts. Dementsprechend sind bei der teleologischen Auslegung von sekundärem Unionsrecht die Erwägungsgründe des jeweiligen Rechtsakts von besonderer Bedeutung.774 Ferner

767

Vgl. Klöhn, AG 2016, 423, 425; Veil, ZBB 2014, 85, 88. Vgl. Veil, in: Veil/EurKapR, § 5 Rn. 43 ff.; Riesenhuber, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 10 Rn. 23 f. 769 Pechstein/Drechsler, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 7 Rn. 27; Veil, in: Veil/EurKapR, § 5 Rn. 52. 770 Borchardt, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach, § 15 Rn. 45; Veil, in: Veil/EurKapR, § 5 Rn. 52. 771 EuGH Urt. v. 06. 10. 1982 – Rs. 283/81, Slg. 1982, 3415 Rn. 20 (C.I.L.F.I.T.); Pechstein/ Drechsler, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 7 Rn. 27. 772 Borchardt, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach, § 15 Rn. 46 f.; Veil, in: Veil/EurKapR, § 5 Rn. 57, der darauf verweist, dass der EuGH den effet utile-Grundsatz bei seinen Entscheidungen zu kapitalmarktrechtlichen Fragen bisher noch nicht ausdrücklich herangezogen hat. 773 Pechstein/Drechsler, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 7 Rn. 32. 774 Beispiele aus der Rechtsprechung: EuGH Urt. v. 22. 04. 1999 – Rs. C-423/97, Slg. 1999, I-2195 Rn. 42 (Travel Vac); EuGH Urt. v. 04. 12. 1997 – Rs. C-97/96, Slg. 1997, I-6843 Rn. 22 (Daihatsu); siehe auch Riesenhuber, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 10 Rn. 41; Veil, in: Veil/EurKapR, § 5 Rn. 52; Pechstein/Drechsler, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 7 Rn. 32. 768

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kann auch die vom Gesetzgeber gewählte Kompetenzgrundlage Hinweise auf die mit dem Rechtsakt verfolgten Ziele geben.775

II. Mangelhafte Ausgestaltung der Vorschriften 1. Unübersichtlichkeit aufgrund zahlreicher Regelungsebenen Das Marktmissbrauchsrecht der MMVO basiert auf einem komplexen Konstrukt aus europäischen und nationalen Rechtsquellen.776 Die aus der schieren Menge an verschiedenen Regelungsebenen erwachsende Unübersichtlichkeit macht es dem ungeübten Rechtsanwender nahezu unmöglich sich zurechtzufinden.777 Aber auch die geübte Praxis hat große Probleme dieses Konstrukt zu durchschauen.778 a) Europäische Ebene Auf europäischer Ebene beginnt die Regulierung mit dem auf Level 1 des Lamfalussy-Verfahrens erlassenen Rahmenrechtsakt der MMVO, der bereits für zahlreiche Begriffsbestimmungen auf andere Rahmenrechtsakte, insbesondere die MiFID II, verweist.779 Dem Rahmenrechtsakt der MMVO folgen 14 Level 2Rechtsakte der Kommission und drei ESMA-Leitlinien auf Level 3.780 Zudem gibt die ESMA Q&As zum Marktmissbrauchsrecht heraus.781 Diese beziehen sich auf Fragen, die die Öffentlichkeit, Marktteilnehmer und die nationalen Aufsichten der ESMA hinsichtlich der Anwendung des europäischen Marktmissbrauchsrechts gestellt haben.782 Die Q&As werden dabei regelmäßig von der ESMA aktualisiert.783 Stand 29. März 2019 hat die ESMA zu 36 Fragen Antworten herausgegeben. Den Zweck der Q&As sieht die ESMA darin, eine gemeinsame, einheitliche und konsistente Aufsichtspraxis und Anwendung der MMVO voranzutreiben.784 775

Darauf hinweisend EuGH Urt. v. 25. 10. 2005 – Rs. C-350/03, Slg. 2005, I-9215 Rn. 61 (Schulte); Riesenhuber, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 10 Rn. 41. 776 Vgl. Veil, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 3 Rn. 1. 777 Vgl. Seibt, in: Bankrechtstag 2017, S. 81, 118. 778 Vgl. Schneider, AG 2012, 823, 825 der aufgrund der zahlreichen Regelungsebenen davon spricht, dass eine „Lawine auf die Praxis zurollt“. 779 Art. 3 Abs. 1 Nr. 1, 2, 5, 6, 7, 8, 10, 11, 18, 19, 30 und 33 MMVO. 780 Übersicht bei Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Einl. Rn. 52 f. 781 ESMA, Questions and Answers on the Market Abuse Regulation (MAR) v. 29. 03. 2019, ESMA70-145-111, Version 14. 782 ESMA, Questions and Answers on the Market Abuse Regulation (MAR) v. 29. 03. 2019, ESMA70-145-111, Version 14, S. 3. 783 ESMA, Questions and Answers on the Market Abuse Regulation (MAR) v. 29. 03. 2019, ESMA70-145-111, Version 14, S. 3. 784 ESMA, Questions and Answers on the Market Abuse Regulation (MAR) v. 29. 03. 2019, ESMA70-145-111, Version 14, S. 3.

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Kap. 4: Konzeption, Anwendungsbereich und Probleme der MMVO

Problematisch ist jedoch die bislang ungeklärte Rechtsnatur von Q&As.785 Diese werden oft als „soft law“ bezeichnet,786 ohne dass sich jedoch daraus etwas Weiterführendes hinsichtlich ihrer Rechtsnatur ergibt.787 Die Frage, die sich stellt, ist, ob die Q&As ebenso wie die Level 3-Maßnahmen der ESMA eine Berücksichtigungspflicht der nationalen Aufsichten und Marktteilnehmer nach sich ziehen. Anders als für die Leitlinien und Empfehlungen (Art. 16 ESMA-VO), gibt es hinsichtlich der Q&As allerdings keine sekundärrechtliche Ausgestaltung – gleichzeitig findet bezüglich der Q&As auch keine formelle, öffentliche Konsultation statt.788 Eine Berücksichtigungspflicht i.S.v. Art. 16 ESMA-VO ist damit grundsätzlich abzulehnen.789 Somit kann es zu der Situation kommen, dass sich einzelne nationale Aufsichten an den Q&As orientieren, wohingegen andere Aufsichten ihre eigene Auslegung praktizieren. Mit dieser Möglichkeit wird jedoch gerade kein einheitliches und klares Marktmissbrauchsrecht, sondern Rechtsunsicherheit und -unklarheit gefördert. Trotz allem ist in der Praxis wohl davon auszugehen, dass sich an den Q&As der ESMA orientiert wird. Denn auch bei den nationalen Aufsichten herrscht Unsicherheit hinsichtlich der Auslegung und Anwendung der Vorschriften der MMVO. Folglich sind auch sie für jede Hilfe dankbar, die ihnen dahingehend zuteilwird.790 b) Nationale Ebene Auf nationaler Ebene treten ferner die umsetzungsbedürftigen Vorschriften des europäischen Marktmissbrauchsrechts hinzu, die der deutsche Gesetzgeber durch das Erste791 und das Zweite Finanzmarktnovellierungsgesetz792 (FiMaNoG) im WpHG umgesetzt hat. Ergänzend gibt es Rechtsverordnungen des Bundesministeriums der Finanzen (BMF), zum Beispiel die Wertpapierhandelsanzeigeverordnung (WpAV),793 die etwa Regelungen über die Veröffentlichung von Insiderinforma785

Veil, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 2 Rn. 21; vgl. Seibt, in: Bankrechtstag 2017, S. 81, 118. Seibt, in: Bankrechtstag 2017, S. 81, 118. 787 Veil, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 2 Rn. 21. 788 Veil, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 2 Rn. 20 f. 789 Veil, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 2 Rn. 21. 790 Siehe etwa BaFin, FAQ zu Eigengeschäften von Führungskräften nach Art. 19 der Marktmissbrauchsverordnung (EU) Nr. 596/2014, Stand: 23. 11. 2018, II.9., II.10., II.12., III.1., III.4., IV.8. und IV.11., bei denen die BaFin jeweils auf die ESMA Q&As verweist. 791 Erstes Gesetz zur Novellierung von Finanzmarktvorschriften auf Grund europäischer Rechtsakte (Erstes Finanzmarktnovellierungsgesetz – 1. FiMaNoG) v. 30. 06. 2016, BGBl. I 2016, S. 1514. 792 Zweites Gesetz zur Novellierung von Finanzmarktvorschriften auf Grund europäischer Rechtsakte (Zweites Finanzmarktnovellierungsgesetz – 2. FiMaNoG) v. 23. 06. 2017, BGBl. I 2017, S. 1693. 793 Ursprünglich Wertpapierhandelsanzeige- und Insiderverzeichnisverordnung – WpAIV v. 13. 12. 2004, BGBl. I 2004, S. 3376, zuletzt geändert durch Artikel 1 der Dritten Verordnung 786

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tionen enthält und sich auf § 26 Abs. 4 WpHG stützt. Dazu kommen noch die Maßnahmen der BaFin – allen voran ihr Emittentenleitfaden, aber auch ihre FAQs zur Veröffentlichung von Insiderinformationen (Art. 17 MMVO),794 zu Insiderlisten (Art. 18 MMVO)795 und zu Eigengeschäften von Führungskräften (Art. 19 MMVO)796 sowie ihre WpHG-Bußgeldleitlinien II,797 die die Sanktionspraxis der BaFin erläutern. 2. Hohe Komplexität, fehlende Rechtsklarheit und hieraus resultierende Rechtsunsicherheit a) In Widerspruch stehende Zielsetzungen der MMVO Zu den zahlreichen Regelungsebenen und der damit einhergehenden Unübersichtlichkeit kommt hinzu, dass insbesondere die Vorschriften auf europäischer Ebene sehr detailliert und umfangreich gestaltet sind.798 Das ist auf der einen Seite logisch, erhebt die MMVO doch den Anspruch, eine einheitliche Rechtslage in allen Mitgliedsstaaten zu schaffen.799 Dieses Ziel kann jedoch nur dann erreicht werden, wenn Pflichten und Verbote soweit konkretisiert und für Auslegungsfragen hinreichende Standards festgelegt worden sind, dass eine einheitliche Anwendung des Rechts in allen Mitgliedsstaaten sichergestellt ist.800 Auf der anderen Seite führt diese Regelungstechnik jedoch zu einer hohen Komplexität der Vorschriften.801 Das Ziel der MMVO, den Marktteilnehmern „unkompliziertere Vorschriften“ zu bieten,802 steht folglich in Widerspruch zu einem ihrer anderen Ziele, nämlich eine einheitliche Rechtslage in den Mitgliedsstaaten zu erreichen. Beides kann nicht gleichzeitig verwirklicht werden.803 Veil bezeichnet die hohe Komplexität der Vorschriften in-

zur Änderung der Wertpapierhandelsanzeige- und Insiderverzeichnisverordnung v. 02. 11. 2017, BGBl. I 2017, S. 3727. 794 BaFin, Art. 17 MAR – Veröffentlichung von Insiderinformationen (FAQs), Stand: 29. 05. 2019. 795 BaFin, FAQ zu Insiderlisten nach Art. 18 der Marktmissbrauchsverordnung (EU) Nr. 596/2014, Stand: 13. 01. 2017. 796 BaFin, FAQ zu Eigengeschäften von Führungskräften nach Art. 19 der Marktmissbrauchsverordnung (EU) Nr. 596/2014, Stand: 23. 11. 2018. 797 BaFin, WpHG-Bußgeldleitlinien II, Leitlinien zur Festsetzung von Geldbußen im Bereich des Wertpapierhandelsgesetzes (WpHG), Stand: Februar 2017. 798 Assmann, in: Assmann/Schneider/Mülbert, Vor Art. 7 MMVO Rn. 13. 799 Erwägungsgründe 3 bis 5 MMVO. 800 Veil, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 1 Rn. 22. 801 Vgl. Assmann, in: Assmann/Schneider/Mülbert, Vor Art. 7 MMVO Rn. 13. 802 Erwägungsgrund 4 MMVO. 803 Veil, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 1 Rn. 22 spricht davon, dass es vor dem Hintergrund des Ziels einer einheitlichen Rechtslage „von vornherein illusorisch“ war, das Ziel „unkompliziertere Vorschriften“ zu erreichen.

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soweit treffend als den „Preis“ für eine einheitliche Rechtslage in den Mitgliedsstaaten.804 Erscheint dieser Preis (wohl) noch angemessen, so kommt hinsichtlich der MMVO erschwerend hinzu, dass trotz Umfang und Komplexität der Vorschriften zahlreiche wesentliche Anwendungs- und Auslegungsfragen weiterhin ungeklärt sind.805 Die für eine einheitliche Rechtslage erforderlichen Konkretisierungen und Standards wurden vielfach gerade nicht getroffen. b) Praxis vermisst Rechtsklarheit in zentralen Bereichen des Insiderrechts Das Deutsche Aktieninstitut hat zusammen mit der deutschen Wirtschaftskanzlei Hengeler Mueller von Ende Juni bis Anfang August 2018 eine Umfrage zum Thema „Zwei Jahre Marktmissbrauchsverordnung – Erfahrungen der Emittenten“ durchgeführt.806 Dabei wurden insgesamt rund 250 Unternehmen kontaktiert, darunter etwa alle DAX-Unternehmen. Von diesen antworteten 60 % (18 von 30 Unternehmen) auf die Umfrage, was den besten Rücklauf der angeschriebenen Emittenten darstellt. In toto lag die Rücklaufquote der Umfrage bei – für Umfragen dieser Art – guten rund 25 %, womit die Umfrageergebnisse auch aussagekräftig sind.807 Bei der Umfrage geben zwar bis zu 30 % der Emittenten an, dass die MMVO in den Bereichen Rückkauf eigener Aktien, Marktsondierung, Insiderlisten und Managers‘ Transactions zu mehr Rechtssicherheit geführt hat.808 In den wesentlichen Bereichen der Insiderregulierung zeigt sich allerdings ein anderes Bild. So ist für 54 % der Emittenten die Rechtsklarheit bezüglich der Ad-hoc-Publizität durch die MMVO gesunken, wobei sie für 18 % sogar stark gesunken ist.809 Auch hinsichtlich Insiderhandels- und Marktmanipulationsverbote geben 31 % der Emittenten an, dass die Rechtssicherheit durch die MMVO gesunken ist.810 Es überrascht daher keinesfalls, dass sich 90 % der teilnehmenden Emittenten mehr Rechtsklarheit durch eine Präzisierung hinsichtlich der Ad-hoc-Publizität wünschen, wobei für die Mehrheit von 56 % eine Präzisierung sogar absolut wünschenswert wäre.811 Das Ergebnis resultiert daraus, dass es der MMVO an zentralen Stellen an den erforderlichen Konkretisierungen mangelt. So sollte sich für 81 % der Emittenten, die eine Präzisierung für wünschenswert oder absolut wünschenswert halten, die Präzisierung auf den Zeitpunkt des Entstehens von Insiderinformationen 804 805 806 807 808 809 810 811

Veil, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 1 Rn. 22. Vgl. Seibt, in: Bankrechtstag 2017, S. 81, 118. Deutsches Aktieninstitut/Hengeler Mueller (Fn. 642), S. 1 ff. Deutsches Aktieninstitut/Hengeler Mueller (Fn. 642), S. 11. Deutsches Aktieninstitut/Hengeler Mueller (Fn. 642), S. 4. Deutsches Aktieninstitut/Hengeler Mueller (Fn. 642), S. 4. Deutsches Aktieninstitut/Hengeler Mueller (Fn. 642), S. 4. Deutsches Aktieninstitut/Hengeler Mueller (Fn. 642), S. 8.

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vor allem in gestreckten Sachverhalten beziehen.812 73 % sehen Konkretisierungsbedarf hinsichtlich des Merkmals der Eignung zur erheblichen Kursbeeinflussung und 48 % wünschen sich eine Klarstellung zum Begriff der „präzisen Information“.813 Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass es den Vorschriften der MMVO in den zentralen Bereichen der Insiderregulierung (Insiderverbote und Ad-hoc-Publizität) nicht nur an Rechtsklarheit mangelt, sondern diese sich im Vergleich zur alten Rechtslage unter der MMRL sogar verschlechtert hat.814 c) Große Verantwortung für die Aufsichtspraxis Dem entgegenwirken, könnte die Aufsichtspraxis. Diese kann die Vorschriften der MMVO selbstverständlich nicht ändern, aber immerhin im Rahmen der Auslegung konkretisieren und so für mehr Rechtsklarheit sorgen.815 Im besten Fall natürlich durch eine einheitliche Auslegung in allen Mitgliedsstaaten. Jedoch stellt sich auch das als problematisch dar. So hat die ESMA für zentrale Auslegungsfragen oftmals kein Mandat zum Erlass von konkretisierenden Leitlinien und Empfehlungen erhalten – zum Beispiel für den Rechtsbegriff des „verständigen Anlegers“,816 der gemäß Art. 7 Abs. 4 MMVO der Konkretisierung des Merkmals der Kursrelevanz dient. Somit verbleibt ihr nur die Möglichkeit sich im Rahmen ihrer Q&As dazu zu äußern. Deren bisher ungeklärte Rechtsnatur steht dabei jedoch stellvertretend für das insgesamt noch optimierungsfähige Zusammenspiel zwischen der ESMA und den nationalen Aufsichtsbehörden hinsichtlich der MMVO. Die nationalen Aufsichtsbehörden könnten zumindest für ihre Mitgliedsstaaten zur Rechtsklarheit beitragen. Das Verhalten der BaFin hat jedoch den Anschein, als wäre sie selbst oftmals nicht sicher, wie sie mit den Vorschriften der MMVO umgehen soll. So hat sie trotz gleichlautender Vorschriften im Vergleich zur MMRL zumindest angedeutet, ihre bisherige Verwaltungspraxis zu ändern und zu verschärfen.817 Beispiele hierfür sind die Aufnahme von spekulativen Gesichtspunkten im Rahmen der Kursrelevanzprüfung818 und die Voraussetzung für die Kursrelevanz eines Zwischenschritts, dass der Eintritt des zukünftigen Endergebnisses lediglich

812

Deutsches Aktieninstitut/Hengeler Mueller (Fn. 642), S. 8. Deutsches Aktieninstitut/Hengeler Mueller (Fn. 642), S. 8. 814 So auch Seibt, in: Bankrechtstag 2017, S. 81, 118: „drastische Abnahme der Rechtsklarheit“. 815 Vgl. Berger/Groß, Unsicherheit in der Ad-hoc-Publizität, Börsen-Zeitung, Ausgabe 178 v. 15. 09. 2018, S. 9 f. 816 Poelzig, NZG 2016, 528, 532. 817 Vgl. Seibt, in: Bankrechtstag 2017, S. 81, 119. 818 BaFin, Art. 17 MAR – Veröffentlichung von Insiderinformationen (FAQs), Stand: 29. 05. 2019, III.4.b). 813

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nicht völlig ausgeschlossen sein darf.819 Die bisherige Verwaltungspraxis war hier zurückhaltender.820 Durch die zahlreichen ungeklärten Fragen, die die MMVO mit sich bringt, hat sich die Bedeutung der Aufsichtsbehörden im Vergleich zur MMRL verändert. Ihnen kommt eine deutlich größere Verantwortung hinsichtlich der Rechtsanwendung und -auslegung zu.821 Um dieser Verantwortung gerecht zu werden, bedarf es weiterer Verbesserungen im Zusammenspiel zwischen ESMA und den nationalen Aufsichten. Das Deutsche Aktieninstitut tritt dabei als Vermittler auf und regt immer wieder zum Dialog zwischen den Beteiligten an, mit dem Ziel, praxistaugliche Lösungen für die offenen Fragen zu finden.822 Mit den ESMA Q&As und den BaFin FAQs wurden dabei erste Erfolge erzielt. Hoffnungen setzt die deutsche Praxis auch in den Emittentenleitfaden der BaFin, der unter anderem im Hinblick auf die Änderungen durch die MMVO überarbeitet wird. Vor dem Hintergrund der bisher von der BaFin angedeuteten Verwaltungspraxis unter der MMVO, besteht jedoch auch Skepsis, ob der überarbeitete Emittentenleitfaden tatsächlich die erhofften Klarstellungen und Konkretisierungen enthält. Darüber hinaus ist bisher auch noch fraglich, wie Aussagen der BaFin im europäischen Kontext zu werten sind, vor allem im Verhältnis zur ESMA. Für die Praxis wünschenswert wäre sicherlich, dass den Aussagen der BaFin ein verbindlicher Charakter zukommt und sich die Praxis tatsächlich auf diese Aussagen verlassen kann.823 All diese ungelösten Fragen und Probleme führen zu einer sehr großen Rechtsunsicherheit, vor allem in der Praxis.824 Die MMVO macht an vielen Stellen den Anschein als seien die Regelungsansätze nicht konsequent und vollumfänglich zu Ende gedacht worden.825 Diese Rechtsunsicherheit ist dabei besonders dramatisch, da mit der MMVO gleichzeitig die Sanktionen für Verstöße gegen die Vorschriften der MMVO drastisch erhöht wurden. Für die Praxis bedeutet das gewissermaßen eine „lose-lose-Situation“. Sie kann sich aufgrund der Unübersichtlichkeit und Unklarheiten nur schwerlich auf die Pflichten und Verbote der MMVO einstellen und zudem drohen im Falle von Verstößen horrende Bußgelder.

819

BaFin, Art. 17 MAR – Veröffentlichung von Insiderinformationen (FAQs), Stand: 29. 05. 2019, III.5. 820 Vgl. BaFin, Emittentenleitfaden 2013, S. 33. 821 Bortenlänger/Fey, BOARD 2016, 216, 217. 822 Vgl. Bortenlänger/Fey, BOARD 2016, 216, 217. 823 Seibt, in: Bankrechtstag 2017, S. 81, 119 schlägt eine Regelung in Anlehnung an die „verbindliche Auskunft“ im Steuerrecht (§ 89 Abs. 2 AO) vor. 824 Zur Rechtsunsicherheit durch die MMVO, Seibt, in: Bankrechtstag 2017, S. 81, 119; Bortenlänger/Fey, BOARD 2016, 216, 217, die sogar davon sprechen, dass „[k]aum ein anderes regulatorisches Projekt der Vergangenheit […] zu derart viel Rechtsunsicherheit geführt [hat]“.; BaFin, Jahresbericht 2016, S. 182; Deutsches Aktieninstitut/Hengeler Mueller (Fn. 642), S. 1 f. 825 Vgl. Bortenlänger/Fey, BOARD 2016, 216, 217.

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3. Größerer Verwaltungsaufwand und höhere Compliance-Kosten Wo sich die umfangreichen und detaillierten Vorschriften der MMVO allerdings bemerkbar machen, ist bei den Mitteilungs- und Dokumentationspflichten. Diese sind im Vergleich zur MMRL stark angestiegen. Dieser Anstieg rührt zum einen daher, dass durch den Erlass neuer Vorschriften (z. B. Marktsondierungen, Art. 11 MMVO) zusätzlicher Verwaltungsaufwand entstanden und zum anderen bereits bestehende Pflichten ausgebaut worden sind. So attestierte die große Mehrheit der Emittenten in der Studie des Deutschen Aktieninstituts und Hengeler Mueller der MMVO in jedem der abgefragten Bereiche einen (deutlichen) Anstieg des bürokratischen Aufwands – insbesondere für Insiderlisten (90 %), Ad-hoc-Publizität (88 %) und Managers‘ Transactions (87 %).826 Gerade für KMU und KMU-Wachstumsmärkte zielt die MMVO jedoch ausdrücklich auf eine Reduzierung des Verwaltungsaufwands ab.827 Durch die Erstreckung des Anwendungsbereichs auf multilaterale Handelssysteme gelten nun jedoch auch im deutschen Freiverkehr – und damit an KMU-Wachstumsmärkten828 – die Adhoc-Publizitätspflicht, die Pflicht zur Führung von Insiderlisten und die Pflicht zur Meldung von Eigengeschäften von Führungskräften. Wie diese Entwicklung zu einer Reduzierung des Verwaltungsaufwands für KMU führen sollte, bleibt das Geheimnis des Gesetzgebers. Näherliegend ist vielmehr das genaue Gegenteil, nämlich dass sich auch für KMU und Emittenten an KMU-Wachstumsmärkten der Verwaltungsaufwand ebenfalls deutlich erhöht.829 Der größere Verwaltungsaufwand durch die MMVO ist gleichzeitig auch ein Kostenfaktor für die betroffenen Emittenten. Gepaart mit der dargestellten Rechtsunsicherheit führt die MMVO zu höheren Compliance-Kosten.830 Das spiegelt sich auch in der Umfrage des Deutschen Aktieninstituts und Hengeler Mueller wider. Dort gaben die befragten Emittenten an, dass sie im Vergleich zur Rechtslage unter der MMRL häufiger externen Rechtsrat nutzen.831 Vor allem in den zentralen Bereichen Ad-hoc-Publizität (62 %) und Insiderhandelsverbote (31 %) suchen die Emittenten häufiger externen Rechtsrat auf als früher.832 Diese Entwicklung führt folglich zu einem Anstieg der Rechtsberatungskosten für die Unternehmen. Gerade

826

Deutsches Aktieninstitut/Hengeler Mueller (Fn. 642), S. 5. Erwägungsgrund 6 MMVO. 828 Zur Definition von KMU-Wachstumsmärkten siehe Art. 3 Abs. 1 Nr. 11 MMVO i.V.m. Art. 4 Abs. 1 Nr. 12 und Art. 33 MiFID II, deren Vorgaben in § 48a BörsG umgesetzt wurden. 829 Vgl. Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Einl. Rn. 76; Veil, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 1 Rn. 23. 830 Vgl. Bortenlänger/Fey, BOARD 2016, 216; Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Einl. Rn. 76; Veil, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 3 Rn. 5. 831 Deutsches Aktieninstitut/Hengeler Mueller (Fn. 642), S. 6. 832 Deutsches Aktieninstitut/Hengeler Mueller (Fn. 642), S. 6. 827

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Kap. 4: Konzeption, Anwendungsbereich und Probleme der MMVO

finanzschwächeren KMU wird damit der Weg an die Kapitalmärkte erschwert, anstatt wie beabsichtigt vereinfacht.833

III. Überbordende Erwägungsgründe 1. Die Bedeutung der Erwägungsgründe im Unionsrecht Das Erfordernis von Erwägungsgründen ergibt sich unmittelbar aus dem Primärrecht. Art. 296 Abs. 2 AEUV statuiert, dass alle Rechtsakte mit einer Begründung834 zu versehen sind. Der Wortlaut „alle Rechtsakte“ suggeriert dabei, dass alle in Art. 288 AEUV genannten Rechtsakte einer Begründungspflicht unterliegen, mithin auch die unverbindlichen Empfehlungen und Stellungnahmen. Da dem Rechtsstaatsprinzip835 jedoch keine solche Begründungspflicht für nichtverbindliche Rechtsakte zu entnehmen ist, ist allgemein anerkannt, dass Art. 296 Abs. 2 AEUV nur den verbindlichen Rechtsakten eine Begründungspflicht auferlegt.836 Die Hauptfunktion der Begründungspflicht liegt in der Förderung der Transparenz der Gesetzgebung, in dem der Gesetzgeber verpflichtet wird Gründe und Ziele der Maßnahmen darzulegen.837 Dadurch soll die Akzeptanz des jeweiligen Rechtsakts bei den Betroffenen erhöht werden.838 Zudem wird die Inanspruchnahme und Gewährung gerichtlichen Rechtsschutzes erleichtert, denn erst durch die Erwägungsgründe können die Erfolgsaussichten eines Rechtsschutzbegehrens zutreffend eingeschätzt werden und erst mit Kenntnis der Erwägungsgründe kann der Richter die Rechtmäßigkeit eines Rechtsakts angemessen überprüfen.839 Gleichzeitig dient die Begründungspflicht aber auch der Selbstkontrolle, da der Gesetzgeber sich der

833 Zum Ziel den Marktzugang für KMU zu vereinfachen, Europäische Kommission, Aktionsplan zur Schaffung einer Kapitalmarktunion, COM(2015) 468 final v. 30. 9. 2015. 834 Daher wird teilweise auch der Terminus „Begründungserwägungen“ verwendet. 835 Nach Art. 2 EUV ist die „Rechtsstaatlichkeit“ ein Wert auf den sich die Union gründet, näher hierzu Calliess, in: Calliess/Ruffert-EUV/AEUV, Art. 2 EUV Rn. 25 f. 836 Calliess, in: Calliess/Ruffert-EUV/AEUV, Art. 296 AEUV Rn. 8; Gellermann, in: Streinz-EUV/AEUV, Art. 296 AEUV Rn. 4; Vedder, in: Vedder/Heintschel von Heinegg-Europäisches Unionsrecht, Art. 296 AEUV Rn. 6. 837 Gellermann, in: Streinz-EUV/AEUV, Art. 296 AEUV Rn. 5; Calliess, in: Calliess/ Ruffert-EUV/AEUV, Art. 296 AEUV Rn. 11; Geismann, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Art. 296 AEUV Rn. 8. 838 Gellermann, in: Streinz-EUV/AEUV, Art. 296 AEUV Rn. 5. 839 Vgl. EuGH Urt. v. 20. 03. 1959 – Rs. 18/57, Slg. 1958/59, 89, 114 (Nold/Hohe Behörden); EuGH Urt. v. 22. 04. 2008 – Rs. C-408/04 P, Slg. 2008, I-2767 Rn. 56 (Kommission/ Salzgitter); EuGH Urt. v. 01. 02. 2007 – Rs. C- 266/05 P, Slg. 2007, I-1233 Rn. 80 (Sison); siehe auch Gellermann, in: Streinz-EUV/AEUV, Art. 296 AEUV Rn. 5.

C. Einzelnormübergreifende Probleme der MMVO

147

Gründe für sein Handeln bewusst werden muss und so überprüfen kann, ob Erwägung und rechtliche Ausformung zusammenpassen.840 2. Rechtsnatur von Erwägungsgründen Was die Rechtsnatur der Erwägungsgründe angeht, so ist zunächst festzustellen, dass die Erwägungsgründe keine selbstständige Rechtsquelle sind.841 Folglich können aus ihnen auch keine Rechte Einzelner hergeleitet werden842 – hierfür bedarf es einer Niederschrift im verfügenden Teil des Rechtsakts.843 Allerdings sind sie mehr als nur einfache Gesetzesmaterialien, die lediglich Auslegungshilfen sind.844 Ihre besondere Bedeutung für die Auslegung unterstreicht der EuGH mit folgenden Worten: „Der verfügende Teil eines Gemeinschaftsrechtsakts ist […] untrennbar mit seiner Begründung verbunden und erforderlichenfalls unter Berücksichtigung der Gründe auszulegen, die zu seinem Erlass geführt haben.“845 Köndgen nennt sie die „Richtschnur für jede teleologische Interpretation“.846 Fraglich ist jedoch, was diese Einordnung für Erwägungsgründe bedeutet, die, wie Erwägungsgrund 28 MMVO, nicht nur die Ziele und Motive des Gesetzgebers wiedergeben, sondern den Normtext einschränken. a) Keine zwingende Einschränkung durch Erwägungsgründe Es wird vertreten, dass Erwägungsgründe den Anwendungsbereich einer Vorschrift zumindest nicht zwingend einschränken können.847 Bei Konflikten mit dem Verordnungstext sei diesem der Vorzug zu geben.848 Erwägungsgründe dienen lediglich als Anhaltspunkte für die Auslegung,849 insbesondere der teleologischen, die sich aber stets im Rahmen des noch möglichen Wortlauts der Vorschrift halten muss.850 Verbindlichkeit würden die Einschränkungen nur erlangen, wenn sie auch 840 Calliess, in: Calliess/Ruffert-EUV/AEUV, Art. 296 AEUV Rn. 14; Geismann, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Art. 296 AEUV Rn. 9. 841 Köndgen, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 6 Rn. 49; Klöhn, WM 2016, 1665, 1667. 842 Riesenhuber, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 10 Rn. 38; Köndgen, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 6 Rn. 49. 843 Riesenhuber, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 10 Rn. 38. 844 Köndgen, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 6 Rn. 49. 845 Ausdrücklich EuGH Urt. v. 19. 11. 2009 – Rs. C-402/07, Slg. 2009, I-10923 Rn. 43 (Sturgeon). 846 Köndgen, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 6 Rn. 51. 847 Vgl. Armbrüster, ZIP 2006, 406, 413. 848 Vgl. Moss/Fletcher/Isaacs, The EC Regulation on Insolvency Proceedings, Rn. 2.26. 849 Armbrüster, ZIP 2006, 406, 413. 850 Moss/Fletcher/Isaacs, The EC Regulation on Insolvency Proceedings, Rn. 2.25.

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Kap. 4: Konzeption, Anwendungsbereich und Probleme der MMVO

im verfügenden Teil des Rechtakts einen Niederschlag gefunden hätten.851 Insofern wären die Relativierungen in Erwägungsgrund 28 MMVO nicht (zwingend) zu berücksichtigen. b) Normative Wirkung der Erwägungsgründe Nach der Gegenansicht müssen die Erwägungsgründe bei der Auslegung des Rechtsakts und der jeweiligen Vorschrift berücksichtigt werden, womit sie insofern normative Wirkung entfalten.852 Es wird argumentiert, dass es eine rein technische Frage sei, ob der Anwendungsbereich einer Vorschrift vollständig im Normtext enthalten ist oder sich Ausnahmen hierzu auch in den Erwägungsgründen finden.853 Diese daraus resultierenden rein technischen Unterschiede sollten nicht zu einem unterschiedlichen Auslegungsergebnis führen.854 Hiernach müsste Erwägungsgrund 28 MMVO bei der Auslegung des Begriffs der Insiderinformation gem. Art. 7 Abs. 1 lit. a) MMVO zwingend berücksichtigt werden. c) Stellungnahme Nach § 13 Abs. 2 WpHG a.F. war die Rechtslage klar. Danach war „eine Bewertung, die ausschließlich auf Grund öffentlich bekannter Umstände erstellt wird, […] keine Insiderinformation […]“. Dass es eine solche Regelung im verfügenden Teil der MMVO nicht mehr gibt, ist bedauerlich, denn sie hätte für Klarheit und Rechtssicherheit gesorgt. Das Fehlen einer entsprechenden Regelung und der unklar formulierte Erwägungsgrund 28 MMVO passen aber zur eben näher beleuchteten mangelhaften Ausgestaltung der MMVO. Aus normenhierarchischer Sicht erscheint es durchaus etwas befremdlich, dass Erwägungsgründe, die selbst keine Rechtsnormen sind, den Normtext einzuschränken vermögen sollen. Andererseits spricht die Existenz der Erwägungsgründe dafür, diese auch zu berücksichtigen, da sie ansonsten sinnlos und überflüssig wären. Erwägungen des Gesetzgebers völlig außer Acht zu lassen, würde zudem die Begründungspflicht zur reinen Förmelei verkommen lassen. In diesem Zusammenhang hat der EuGH entschieden, dass die Erwägungsgründe eines Unionsrechtsakts zwar dessen Inhalt präzisieren können,855 es aber nicht erlauben, von den Regelungen des Rechtsakts abzuweichen.856 Hieraus folgt, dass die Erwägungsgründe so lange zu 851

Vgl. Riesenhuber, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 10 Rn. 38. Klöhn, WM 2016, 1665, 1667. 853 Vgl. Drygala, ZIP 1997, 968, 970. 854 Drygala, ZIP 1997, 968, 970. 855 EuGH Urt. v. 10. 01. 2006 – Rs. C-344/04, Slg. 2006, I-403 Rn. 76 (IATA u. ELFAA). 856 EuGH Urt. v. 10. 01. 2006 – Rs. C-344/04, Slg. 2006, I-403 Rn. 76 (IATA u. ELFAA); EuGH Urt. v. 24. 11. 2005 – Rs. C-136/04, Slg. 2005, I-10095 Rn. 32 (Deutsches MilchKontor). 852

C. Einzelnormübergreifende Probleme der MMVO

149

berücksichtigen sind, wie nicht der eindeutige Wortlaut der Vorschrift entgegensteht. In diesen Grenzen entfalten die Erwägungsgründe mithin normative Wirkung. Hinsichtlich des Inhalts von Erwägungsgrund 28 MMVO enthält der Verordnungstext der MMVO eine Regelungslücke, die durch Auslegung zu schließen ist und in deren Rahmen Erwägungsgrund 28 MMVO zu berücksichtigen ist, da er den Inhalt der Vorschrift in Bezug auf die Regelungslücke präzisiert.857 3. Bewertung der Erwägungsgründe der MMVO Die Problematik rund um Erwägungsgrund 28 MMVO gibt Anlass, die Ausgestaltung der Erwägungsgründe der MMVO insgesamt kritisch zu betrachten. Wie bereits dargestellt, sind die Erwägungsgründe der MMVO im Vergleich zu denen der MMRL nicht nur numerisch angestiegen, sondern weisen auch oftmals einen deutlich größeren Umfang und höheren Detailgrad auf. Wie umfangreich und detailliert die Erwägungsgründe grundsätzlich auszufallen haben, um der Pflicht nach Art. 296 Abs. 2 AEUV Genüge zu tun, hängt vom konkreten Einzelfall ab.858 Bei Rechtsakten besteht nach dem EuGH jedoch insoweit ein Grundkonsens, dass die Erwägungsgründe klar und eindeutig sein859 und dem Rechtsanwender zumindest die wesentlichen Gründe und Ziele anzeigen müssen.860 Daraus folgt, dass Erwägungsgründe keinesfalls, weder in sich noch im Verhältnis zum Normtext, Widersprüche aufweisen sollten.861 Hier beginnt jedoch bereits die Mängelliste der Erwägungsgründe der MMVO, wenn man an die gegensätzlichen Aussagen von Erwägungsgrund 54 S. 3 MMVO auf der einen und Art. 9 Abs. 5 MMVO und Erwägungsgrund 31 S. 2 MMVO auf der anderen Seite denkt.862 Gleichzeitig sind viele Erwägungsgründe der MMVO derart umfangreich und detailliert, dass das für ihre Klarheit und Verständlichkeit eher hinderlich als förderlich ist, was den vom EuGH aufgestellten Grundsätzen entgegensteht. Ein Problem, das der Gesetzgeber in vielen Fällen leicht hätte vermeiden können. So haben etwa – teilweise sogar wörtliche – Wiederholungen des Verordnungstextes in den Erwägungsgründen keinerlei Mehrwert. Weder fördern sie die Klarheit und Verständlichkeit der Erwägung noch legen sie die wesentlichen Gründe und Ziele der 857

Vgl. Klöhn, WM 2016, 1665, 1667 f. EuGH Urt. v. 10. 07. 2008 – Rs. C-413/06 P, Slg. 2008, I-4951 Rn. 166 (Bertelsmann und Sony Corporation of America/Impala); EuGH Urt. v. 15. 04. 2008 – Rs. C-390/06, Slg. 2008, I-2577 Rn. 79 (Nuova Agricast). 859 EuGH Urt. v. 02. 12. 2009 – Rs. C-89/08, Slg. 2009, I-11245 Rn. 77 (Kommission/Irland u. a.); EuGH Urt. v. 10. 07. 2008 – Rs. C-413/06 P, Slg. 2008, I-4951 Rn. 166 (Bertelsmann und Sony Corporation of America/Impala). 860 EuGH Urt. v. 21. 07. 2011 – Rs. C-14/10, Slg. 2011, I-6609 Rn. 99 (Nickel Institute); EuGH Urt. v. 09. 09. 2003 – Rs. C-361/01 P, Slg. 2003, I-8283 Rn. 102 (Kik/HABM). 861 Vgl. EuGH Urt. v. 07. 07. 1981 – Rs. 158/80, Slg. 1981, 1805 Rn. 26 (Rewe/Hauptzollamt Kiel). 862 Oben C.I.2.c). 858

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Kap. 4: Konzeption, Anwendungsbereich und Probleme der MMVO

entsprechenden Vorschrift dar. Der Gesetzgeber sollte daher auf solche Redundanzen in den Erwägungsgründen verzichten. Gleiches gilt für in Erwägungsgründen enthaltene Konkretisierungen des Normtextes, wie zum Beispiel die in Erwägungsgrund 50 MMVO genannten Fallbeispiele. Die Konkretisierung des Rahmenrechtsakts ist Sache der Level 2- und Level 3-Maßnahmen und nicht der Erwägungsgründe.863 So wurde auch die ESMA in Art. 17 Abs. 11 MMVO ausdrücklich vom Gesetzgeber aufgefordert Fallbeispiele für berechtigte Interessen zu erstellen, was die ESMA auch getan hat und womit Erwägungsgrund 50 MMVO insoweit überflüssig ist, da die Leitlinien der ESMA genau die gleichen Fallbeispiele enthalten.864 Darüber hinaus sollte es der Gesetzgeber ebenfalls vermeiden, Einschränkungen des Normtextes ausschließlich in den Erwägungsgründen zu statuieren. Zum einen, weil der Gesetzgeber hierbei nicht einheitlich handelt, sondern teilweise Ausnahmen auch direkt im Verordnungstext enthalten sind (zum Beispiel Art. 9 MMVO), zum anderen, weil der Gesetzgeber so künstlich Regelungslücken im Normtext schafft, die dann durch Auslegung zu schließen sind. Im Rahmen dieser Auslegung – sozusagen mit Verspätung – ist dann der entsprechende Erwägungsgrund zu berücksichtigen, womit es sich bei ihm faktisch um eine Rechtsnorm handelt, die der Rechtsanwender an dieser Stelle aber nicht erwartet. Regelungsabsichten des Gesetzgebers sollten daher stets ihren Niederschlag im verfügenden Teil des Rechtsakts finden, um Klarheit zu schaffen und Kontroversen zu verhindern. Trotz dieser Kritik sollte nicht vergessen werden, dass die Erwägungsgründe gerade für die Auslegung und das Verständnis eines Rechtsakts grundsätzlich von übergeordneter Bedeutung und daher auch in Zukunft unabdingbar sind. Allerdings nimmt die Ausgestaltung der Erwägungsgründe überbordende Ausmaße an, was hauptsächlich an einer zweckfremden Verwendung der Erwägungsgründe liegt. Bei der MMVO hat es zudem den Anschein, dass die Erwägungsgründe teilweise als eine Art Auffangbecken genutzt wurden, um nicht in den Normtext übernommene Vorschläge und Überlegungen doch noch im Rechtsakt unterzubringen. Auch diese Funktion ist den Erwägungsgründen aber grundsätzlich nicht zugedacht. Vielmehr sind sie dazu da, dem Rechtsanwender die wesentlichen Regelungsvorstellungen und -ziele klar und verständlich aufzuzeigen. Auf diesen ursprünglichen Zweck sollte sich der Gesetzgeber bei der Gestaltung der Erwägungsgründe unbedingt zurückbesinnen.

863

Vgl. Veil, ZBB 2014, 85, 93. ESMA, MAR-Leitlinien Aufschub der Offenlegung von Insiderinformationen, ESMA/ 2016/1478 DE v. 20. 10. 2016, S. 4 f. 864

Kapitel 5

Das Insiderrecht der MMVO Das „Kern“-Insiderrecht der MMVO ist in Kapitel 2 in den Art. 7 bis 11 und Art. 14 MMVO geregelt. Die dazugehörigen Offenlegungspflichten finden sich in Kapitel 3 der MMVO in den Art. 17 bis 19 MMVO. Die Vorgaben für die verwaltungsrechtlichen Sanktionen machen die Art. 30 bis 34 MMVO in deren Kapitel 5. Der Fokus dieses Kapitels liegt auf einer problemorientierten kritischen Betrachtung der Einzelnormen des Insiderrechts der MMVO, die unter anderem herausarbeiten möchte, was auf Einzelnormebene zu den in Kapitel 4 dargelegten empirischen Praxisbefunden führt.

A. Der Begriff der Insiderinformationen (Art. 7 MMVO) I. Keine Ergänzung um eine „Insiderinformation light“ Im Entstehungsprozess der MMVO sah der Verordnungsvorschlag der Kommission865 eine Ergänzung des Begriffs der „Insiderinformationen“ um eine sog. „Insiderinformation light“866 vor.867 Diese sollte Informationen umfassen, die einen oder mehrere Emittenten von Finanzinstrumenten oder ein oder mehrere Finanzinstrumente betreffen und der Öffentlichkeit in der Regel nicht verfügbar sind, die jedoch, wenn sie einem verständigen Investor verfügbar wären, der regelmäßig an diesem Markt und mit dem betreffenden Finanzinstrument oder einem damit verbundenen Waren-Spot-Kontrakt handelt, von diesem als relevant bei der Entscheidung über die Bedingungen betrachtet würden, zu denen Geschäfte mit dem Finanzinstrument oder einem zugehörigen Waren-Spot-Kontrakt abgeschlossen werden sollten. Gleichzeitig sollte die „Insiderinformation light“ aber keine Ad-hocPublizitätspflicht auslösen, Art. 12 Abs. 3 MMVO-KomE. Die Einführung dieser Kategorie der Insiderinformation hätte folglich die Abkehr vom bisherigen tatbe865

Europäische Kommission, Vorschlag für Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauch), KOM(2011) 651 endgültig, v. 20. 10. 2011 (MMVO-KomE). 866 Zum Begriff etwa Teigelack, BB 2012, 1361, 1362; Seibt, ZHR 177 (2013), 388, 412. 867 Art. 6 Abs. 1 lit. e) MMVO-KomE.

152

Kap. 5: Das Insiderrecht der MMVO

standlichen Gleichlauf von Insiderhandelsverboten und Ad-hoc-Publizität bedeutet.868 Der Vorschlag der Kommission war damit dem aus dem Vereinigten Königreich bekannten RINGA-Konzept nachempfunden.869 Die Kommission verzichtete bewusst auf das Erfordernis einer „präzisen Information“, um so das Eingreifen der Insiderhandelsverbote zeitlich nach vorne zu verlagern.870 Die Notwendigkeit hierfür sah die Kommission darin, dass „Insider-Informationen […] missbraucht werden [können], bevor ein Emittent zu deren Offenlegung verpflichtet ist“.871 Konkret dachte die Kommission dabei etwa an den Stand von Vertragsverhandlungen und vorläufig in Vertragsverhandlungen vereinbarte Bedingungen872 – folglich an die Behandlung von Zwischenschritten in einem gestreckten Geschehensablauf.873 Zudem stand der Vorschlag wohl auch im Zeichen der noch offenen Entscheidung in der Rechtssache Geltl874 und der Befürchtung, dass der EuGH seine Entscheidung zu stark vor dem Hintergrund der Ad-hoc-Publizität trifft, mithin den Begriff der Insiderinformation restriktiv interpretiert und damit das Eingreifen und die Wirksamkeit der Insiderhandelsverbote einschränken könnte.875 Der Kommissionsvorschlag wurde kontrovers diskutiert. Zwar begrüßten einige die Intention hinter dem Vorschlag – kein tatbestandlicher Gleichlauf von Insiderhandelsverboten und Ad-hoc-Publizität mehr876 – jedoch wurde mehrheitlich der zu unbestimmte und abstrakte Charakter des Begriffs kritisiert.877 Folge seien Rechtsunsicherheit und höhere Compliance-Kosten.878 Einen Anteil an der letztendlichen Entscheidung gegen die „Insiderinformation light“ hatte dann auch der EuGH mit seiner Entscheidung in der Sache Geltl. Dort entschied der EuGH, dass auch die Zwischenschritte bei einem zeitlich gestreckten 868

Koch, BB 2012, 1365, 1366; Viciano-Gofferje/Cascante, NZG 2012, 968, 972. Ausführlich zum RINGA-Konzept oben Kapitel 2, B.I.2. 870 Teigelack, BB 2012, 1361, 1363; Viciano-Gofferje/Cascante, NZG 2012, 968, 971; Seibt, ZHR 177 (2013), 388, 412 f. 871 Europäische Kommission, Vorschlag für Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauch), KOM(2011) 651 endgültig, v. 20. 10. 2011, S. 10. 872 Erwägungsgrund 14 MMVO-KomE. 873 Vgl. Merkner/Sustmann, AG 2012, 315, 320; Seibt, ZHR 177 (2013), 388, 413; Teigelack, BB 2012, 1361, 1363. 874 EuGH Urt. v. 28. 06. 2012 – Rs C-19/11 = ZIP 2012, 1282 (Geltl). 875 So Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 7 Rn. 13. 876 Merkner/Sustmann, AG 2012, 315, 321 f.; Viciano-Gofferje/Cascante, NZG 2012, 968, 972. 877 Viciano-Gofferje/Cascante, NZG 2012, 968, 970 ff.; Krause, CCZ 2014, 248, 250; Kiesewetter/Parmentier, BB 2013, 2371, 2372; siehe auch Merkner/Sustmann, AG 2012, 315, 320: „[…] in ihrer Abstraktion kaum fassbare Neuregelung.“ 878 Krause, CCZ 2014, 248, 250; Seibt, ZHR 177 (2013), 388, 417; Veil, ZBB 2014, 85, 89; Seibt/Wollenschläger, AG 2014, 593, 596. 869

A. Der Begriff der Insiderinformationen (Art. 7 MMVO)

153

Vorgang präzise Informationen im Sinne von Art. 1 Abs. 1 DurchführungsrichtlinieMMRL sein können.879 Dies galt dabei sowohl für bereits eingetretene als auch für zukünftige Zwischenschritte.880 Diese Entscheidung stand dabei nicht nur in gewissem Widerspruch zum Vorschlag der Kommission, der Zwischenschritte gerade nicht als „präzise Informationen“ einstufte,881 sondern wurde auch von dem Gedanken getragen, die Wirksamkeit der Insiderhandelsverbote sicherzustellen,882 womit eine Abkopplung der Insiderhandelsverbote von der Ad-hoc-Publizität als weniger dringlich angesehen wurde.883 Die „Insiderinformation light“ wurde folglich nicht in den Verordnungstext der MMVO aufgenommen, stattdessen kam es zu einer Kodifizierung der eben genannten Aussage aus der Geltl-Entscheidung in Art. 7 Abs. 2 S. 2 MMVO.

II. Die Insiderinformationen nach Art. 7 Abs. 1 lit. a) MMVO Durch die Absage an eine „Insiderinformation light“, knüpfen Insiderhandelsverbote und Ad-hoc-Publizität in der MMVO, wie schon unter Geltung der MMRL, an den gleichen Begriff der Insiderinformation an. Dieser steht an der Spitze der insiderrechtlichen Vorschriften und wird von Seibt und Wollenschläger dementsprechend als „Kernstück des neuen Marktmissbrauchsrechts“ bezeichnet.884 Nach der Legaldefinition gem. Art. 7 Abs. 1 lit. a) MMVO885 sind Insiderinformationen nicht öffentlich bekannte präzise Informationen, die direkt oder indirekt einen oder mehrere Emittenten oder ein oder mehrere Finanzinstrumente betreffen und die, wenn sie öffentlich bekannt würden, geeignet wären, den Kurs dieser Finanzinstrumente oder den Kurs damit verbundener derivativer Finanzinstrumente erheblich zu beeinflussen. Diese Definition entspricht der aus Art. 1 Nr. 1 MMRL. 1. Präzise Informationen Die Definition stellt zunächst auf das Vorliegen von „präzisen Informationen“ ab. Die Verwendung des Plurals „Informationen“ soll dabei verdeutlichen, dass es auf die gesamte Informationslage ankommt, die aus mehreren Informationen bestehen 879

EuGH Urt. v. 28. 06. 2012 – Rs C-19/11 = ZIP 2012, 1282 Rn. 38 (Geltl). EuGH Urt. v. 28. 06. 2012 – Rs C-19/11 = ZIP 2012, 1282 Rn. 38 (Geltl). 881 Vgl. Teigelack, BB 2012, 1361, 1363. 882 Vgl. Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 7 Rn. 14; Veil, ZBB 2014, 85, 89; Koch, BB 2012, 1365, 1367. 883 Veil, ZBB 2014, 85, 89; Krause, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 6 Rn. 16; vgl. auch Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 7 Rn. 14. 884 Seibt/Wollenschläger, AG 2014, 593, 596. 885 Die Insiderinformationen gemäß Art. 7 Abs. 1 lit. b), c) und d) MMVO werden im Rahmen dieser Arbeit nicht behandelt. 880

154

Kap. 5: Das Insiderrecht der MMVO

kann und nicht um einzelne isolierte Informationsgegenstände geht.886 Die Konkretisierung dieses Merkmals findet sich nun, anders als bei der MMRL, ebenfalls direkt im Rahmenrechtsakt (Level 1), ohne dass sich daraus jedoch Änderungen zur früheren Rechtslage ergeben würden.887 Als „präzise“ gelten die Informationen dabei dann, wenn damit eine Reihe von Umständen gemeint ist, die bereits gegeben sind oder bei denen man vernünftigerweise erwarten kann, dass sie in Zukunft gegeben sein werden, oder ein Ereignis, das bereits eingetreten ist oder von dem man vernünftigerweise erwarten kann, dass es in Zukunft eintreten wird, und wenn diese Informationen darüber hinaus spezifisch genug sind, um einen Schluss auf die mögliche Auswirkung dieser Reihe von Umständen oder dieses Ereignisses auf die Kurse der Finanzinstrumente oder des damit verbundenen derivativen Finanzinstruments […] zuzulassen, Art. 7 Abs. 2 S. 1 MMVO. Auch diese Konkretisierung befand sich, mit Ausnahme einer kleinen sprachlichen Änderung,888 welche jedoch keine Auswirkungen hat, in identischer Form bereits in Art. 1 Abs. 1 Durchführungsrichtlinie-MMRL. a) Gegebene Umstände und eingetretene Ereignisse Art. 7 Abs. 2 S. 1 MMVO stellt zunächst klar, dass gegebene Umstände und eingetretene Ereignisse – also Umstände und Ereignisse mit Gegenwarts- oder Vergangenheitsbezug – grundsätzlich „präzise Informationen“ sind, da die Norm für diese keine besonderen Voraussetzungen aufstellt.889 Mit „Umstände“ und „Ereignisse“ sind in erster Linie Tatsachen gemeint, worunter alle der äußeren Wahrnehmung zugänglichen Geschehnisse oder Zustände der Außenwelt und des menschlichen Innenlebens der Vergangenheit oder Gegenwart, die dem Beweis zugänglich sind, zu verstehen sind.890 Darüber hinaus können jedoch auch Werturteile, Einschätzungen, Absichten, Rechtsauffassungen, Prognosen und Gerüchte vom Tatbestand der Insiderinformation umfasst sein.891 Neu unter Geltung der MMVO ist, dass auch selbst geschaffene innere Tatsachen eine Insiderinformation darstellen können. Der nach bisheriger Rechtsprechung des BGH erforderliche „Drittbezug“ der Insiderinformation kann nicht mehr gefordert

886 Näher hierzu Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 7 Rn. 50; Hopt/Kumpan, in: Schimansky/ Bunte/Lwowski, § 107 Rn. 43; Krause, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 6 Rn. 22. 887 Vgl hierzu oben Kapitel 4, A.III. 888 Die Durchführungsrichtlinie-MMRL sprach von „hinreichender Wahrscheinlichkeit“, wohingegen die MMVO den Begriff „vernünftigerweise“ benutzt. 889 Zur allgemeinen Voraussetzung der Kursspezifität sogleich. 890 Krause, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 6 Rn. 32; Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/ Lwowski, § 107 Rn. 44. 891 Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 7 Rn. 54 ff.; Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/ Lwowski, § 107 Rn. 44.

A. Der Begriff der Insiderinformationen (Art. 7 MMVO)

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werden.892 Dies folgt aus einem Umkehrschluss von Art. 9 Abs. 5 MMVO, der eine Ausnahme hinsichtlich der Nutzung von bestimmten inneren Tatsachen statuiert und folglich davon ausgeht, dass diese eine Insiderinformation sein können, denn ansonsten wäre die Vorschrift überflüssig.893 An diesem Ergebnis ändert auch die gegenteilige Aussage in Erwägungsgrund 54 S. 3 MMVO nichts („Informationen über die eigenen Handelspläne und -strategien des Marktteilnehmers sollten nicht als Insiderinformation betrachtet werden“), da es sich dabei um ein Redaktionsversehen handeln muss.894 b) Zukünftige Umstände und Ereignisse Nach Art. 7 Abs. 2 S. 1 MMVO können darüber hinaus auch zukünftige Umstände und Ereignisse „präzise Informationen“ sein. Dies setzt allerdings voraus, dass ihr Gegebensein oder Eintreten vernünftigerweise erwartet werden kann. Leider hat der europäische Gesetzgeber versäumt zu konkretisieren, ab welcher Eintrittswahrscheinlichkeit man den zukünftigen Umstand oder das zukünftige Ereignis vernünftigerweise erwarten kann und damit für mehr Klarheit zu sorgen. Die Frage war bereits unter der alten Rechtslage umstritten. Dabei wurden sowohl „starre“ (hohe Wahrscheinlichkeit, überwiegende Wahrscheinlichkeit) als auch „flexible“ (Anwendung der probability-magnitude-Formel895) Konzepte vertreten. In seiner Geltl-Entscheidung äußerte sich dann der EuGH zu dieser Problematik. Er stellte dabei zunächst klar, dass eine hohe Wahrscheinlichkeit nicht erforderlich ist.896 Vielmehr kam es auf künftige Umstände und Ereignisse an, bei denen eine umfassende Würdigung der bereits verfügbaren Anhaltspunkte ergab, dass tatsächlich erwartet werden konnte, dass sie in Zukunft existieren oder eintreten würden.897 Zugleich erteilte er dem Verständnis als flexible Größe und damit der Bestimmung der hinreichenden Wahrscheinlichkeit durch die probability-magnitude-Formel eine klare Absage.898 892 BGH, NJW 2004, 302, 303; der EuGH hatte jedoch bereits im Jahr 2007 entschieden, dass auch innere Tatsachen eine Insiderinformation darstellen können, siehe EuGH Urt. v. 10. 5. 2007 – Rs. C-391/04, Slg. 2007, I-3741, Rn. 35 (Georgakis). 893 Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 7 Rn. 26. 894 Siehe hierzu bereits oben Kapitel 4, C.I.2.c); Krause, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 6 Rn. 24; Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 7 Rn. 26. 895 Die probability-magnitude-Formel stammt ursprünglich aus dem US-amerikanischen Recht und wurde in Securities and Exchange Commission v. Texas Gulf Sulphur Co., 401 F.2d 833, 849 (2d Cir. 1968) begründet: „[M]aterial facts include […] also those facts which affect the probable future of the company […]. [W]hether facts are material […] will depend at any given time upon a balancing of both the indicated probability that the event will occur and the anticipated magnitude of the event in light of the totality of the company activity.“; das Konzept wurde dann in Basic Inc. v. Levinson, 485 US 224, 238 (1988) bestätigt. 896 EuGH Urt. v. 28. 06. 2012 – Rs C-19/11, ZIP 2012, 1282 Rn. 46 (Geltl). 897 EuGH Urt. v. 28. 06. 2012 – Rs C-19/11, ZIP 2012, 1282 Rn. 49 (Geltl). 898 EuGH Urt. v. 28. 06. 2012 – Rs C-19/11, ZIP 2012, 1282 Rn. 50 (Geltl).

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Kap. 5: Das Insiderrecht der MMVO

Nähere Ausführungen zu der in der Urteilsbegründung verwendeten Formel des „tatsächlichen Erwartens“899 machte der EuGH jedoch nicht, womit insoweit immer noch keine Klarheit herrscht. Da der EuGH aber sowohl eine hohe Wahrscheinlichkeit also auch die probability-magnitude-Formel ausgeschlossen hatte, gelangte die Literatur im Ausschlussverfahren zu dem Ergebnis, dass der EuGH zukünftige Umstände oder Ereignisse nur dann als präzise einstuft, wenn sie überwiegend wahrscheinlich (50 % plus x) sind.900 Es wäre dem MMVO-Gesetzgeber folglich ein Leichtes gewesen, diese Konkretisierung in die MMVO zu übernehmen und für Klarheit zu sorgen. Stattdessen wird lediglich deutlich, dass bei der Frage, ob zukünftige Umstände oder Ereignisse vernünftigerweise erwartet werden können, nicht die probability-magnitude-Formel zur Anwendung kommt.901 Dennoch ist davon auszugehen, dass der Maßstab der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (50 % plus x) auch für Art. 7 Abs. 2 S. 1 MMVO gilt.902 Unglücklicherweise hat es der MMVO-Gesetzgeber in dem die Geltl-Entscheidung aufgreifenden Erwägungsgrund 16 MMVO903 auch nicht geschafft, wenigstens die Formulierung der Geltl-Entscheidung zu übernehmen („tatsächlich erwartet werden kann“). Vielmehr wird eine „realistische Wahrscheinlichkeit“ gefordert und damit in diese unklare Konzeption bezüglich zukünftiger Umstände oder Ereignisse ein weiterer unbestimmter Rechtsbegriff eingeführt,904 womit es nicht verwundert, dass sich viele Emittenten unter anderem eine Präzisierung hinsichtlich des Begriffs der „präzisen Information“ wünschen.905 c) Zeitlich gestreckte Vorgänge Neu in der MMVO ist die ausdrückliche Regelung in Bezug auf zeitlich gestreckte Vorgänge. In Kodifizierung einer weiteren Kernaussage der Geltl-Rechtsprechung des EuGH kann auch jeder Zwischenschritt in einem zeitlich gestreckten Vorgang eine „präzise Information“ darstellen, Art. 7 Abs. 2 S. 2 MMVO. Art. 7 Abs. 3 MMVO statuiert darüber hinaus die eigentlich logische Folge, dass ein Zwischen899

So Schall, ZIP 2012, 1286, 1287. Siehe etwa Schall, ZIP 2012, 1286, 1288; Bingel, AG 2012, 685, 689; Krause/Brellochs, AG 2013, 309, 313 m.w.N. 901 Vgl. Erwägungsgrund 16 S. 3 MMVO; BaFin, Art. 17 MAR – Veröffentlichung von Insiderinformationen (FAQs), Stand: 29. 05. 2019, III.4.a); Krause, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 6 Rn. 64; Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 7 Rn. 94; Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/ Lwowski, § 107 Rn. 46. 902 BaFin, Art. 17 MAR – Veröffentlichung von Insiderinformationen (FAQs), Stand: 29. 05. 2019, III.4.a); Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 7 Rn. 97; Krause, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 6 Rn. 60 ff.; Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, § 107 Rn. 45; Apfelbacher, in: Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2017, S. 57, 62; Poelzig, NZG 2016, 528, 532. 903 Krause, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 6 Rn. 60. 904 Vgl. Seibt/Danwerth, NZG 2019, 121, 123: „hinreichend unbestimmte Formulierung in der MAR“. 905 Deutsches Aktieninstitut/Hengeler Mueller (Fn. 642), S. 8. 900

A. Der Begriff der Insiderinformationen (Art. 7 MMVO)

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schritt in einem zeitlich gestreckten Vorgang auch eine Insiderinformation darstellen kann, wenn er für sich genommen die Kriterien der Insiderinformation gem. Art. 7 Abs. 1 lit. a) MMVO erfüllt. Beispiele für mögliche Zwischenschritte in einem zeitlich gestreckten Vorgang werden in Erwägungsgrund 17 MMVO genannt, zum Beispiel der Stand von Vertragsverhandlungen oder vorläufig in Vertragsverhandlungen vereinbarte Bedingungen.906 Bei der Auseinandersetzung mit zeitlich gestreckten Vorgängen ist zu bedenken, dass es sich dabei keinesfalls um eine Ausnahmekonstellation handelt, sondern, ganz im Gegenteil, um die Fälle, in denen in der Praxis mit Abstand am häufigsten Insiderinformationen auftreten und die daher am schwierigsten zu beurteilen und zu handhaben sind.907 aa) Keine Sperrwirkung auf Konkurrenzebene Bei einem zeitlich gestreckten Vorgang kann sowohl der zukünftige Umstand oder das zukünftige Ereignis (also das Endergebnis des Vorgangs) als auch jeder Zwischenschritt eine „präzise Information“ und mithin eine Insiderinformation sein. Aus der eigenständigen Statuierung in Art. 7 Abs. 2 S. 2 MMVO folgt, dass es bei der Prüfung, ob ein Zwischenschritt eine „präzise Information“ ist, nicht darauf ankommt, ob das zukünftige Endergebnis vernünftigerweise erwartet werden kann – eine „Sperrwirkung“ dergestalt, dass ein noch „unpräzises“ zukünftiges Endergebnis i.S.v. Art. 7 Abs. 2 S. 1 MMVO der Einstufung eines Zwischenschritts als „präzise Information“ entgegensteht, sieht die MMVO gerade nicht vor.908 Vielmehr stehen die beiden Tatbestände eigenständig nebeneinander. bb) Die Rolle des Merkmals „vernünftigerweise erwarten kann“ bei der Ermittlung der Kursrelevanz von Zwischenschritten Eine andere Frage ist, inwieweit das zukünftige Endergebnis bei der Ermittlung der Kursrelevanz eines gegenwärtigen Zwischenschritts zu berücksichtigen ist. Hierbei ist zunächst zu differenzieren. So können Zwischenschritte schon aus sich selbst heraus, also ohne Berücksichtigung des möglichen Endergebnisses, kursrelevant und damit eine Insiderinformation sein.909 Der weitaus häufigere Fall ist jedoch der, dass der gegenwärtige Zwischenschritt nur in Verbindung mit dem zu-

906 Die Aufzählung in Erwägungsgrund 17 MMVO entspricht der Aufzählung aus Erwägungsgrund 14 MMVO-KomE. 907 Vgl. Vetter/Engel/Lauterbach, AG 2019, 160, 161. 908 Krause, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 6 Rn. 69 ff.; Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 7 Rn. 105 f.; Poelzig, NZG 2016, 528, 532. 909 Das folgt bereits aus Art. 7 Abs. 3 MMVO; Kocher/Widder, BB 2012, 2837, 2840; Krause/Brellochs, AG 2013, 309, 314; Vetter/Engel/Lauterbach, AG 2019, 160, 164 f.

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Kap. 5: Das Insiderrecht der MMVO

künftigen Endergebnis Kursrelevanz erlangt.910 In dieser Konstellation stellt sich die Frage, welche Voraussetzungen an das mögliche Endergebnis zu stellen sind. (1) Kursrelevanz des Zwischenschritts, wenn das zukünftige Endergebnis vernünftigerweise erwartet werden kann Eine Ansicht stellt darauf ab, dass der Zwischenschritt nur dann Kursrelevanz hat, wenn das mögliche Endergebnis vernünftigerweise erwartet werden kann i.S.v. Art. 7 Abs. 2 S. 1 MMVO – also eine überwiegende Eintrittswahrscheinlichkeit (50 % plus x) vorliegt.911 Sie argumentiert vor allem damit, dass in einem zeitlich gestreckten Vorgang immer ein Zwischenschritt gefunden werden könne, der bereits eingetreten ist. Da für einen bereits eingetretenen Umstand oder für ein bereits eingetretenes Ereignis die Voraussetzung „vernünftigerweise erwartet werden kann“ nicht gilt,912 sei der vorgeschlagene Weg die einzige Möglichkeit, das Tatbestandsmerkmal nicht obsolet werden zu lassen.913 (2) Keine Sperrwirkung auf Kursrelevanzebene Die Gegenansicht verneint hingegen eine derartige Sperrwirkung von Art. 7 Abs. 2 S. 1 MMVO auf Kursrelevanzebene.914 Danach kann ein Zwischenschritt, der seine Kursrelevanz vom zukünftigen Endergebnis ableitet auch dann kursrelevant sein, wenn das zukünftige Endergebnis nicht vernünftigerweise erwartet werden kann. Die Befürworter führen an, dass durch eine Einführung des Merkmals „vernünftigerweise erwartet werden kann“ im Rahmen der Kursrelevanzprüfung die Wertung des Art. 7 Abs. 2 S. 2 MMVO unterlaufen würde, da so durch die „Hintertüre“ letztlich doch eine Sperrwirkung auf Konkurrenzebene eingeführt würde.915 Zudem befürchten sie, dass Insider ansonsten ihren Wissensvorsprung bezüglich Zwischenschritten zu lange ausnutzen könnten (nämlich so lange wie das zukünftige Endergebnis nicht vernünftigerweise erwartet werden kann) und dadurch die Wirksamkeit und Ziele der Insiderhandelsverbote gefährdet würden.916

910 Kocher/Widder, BB 2012, 2837, 2840; Krause, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 6 Rn. 74; Vetter/Engel/Lauterbach, AG 2019, 160, 164 f. 911 Kocher/Widder, BB 2012, 2837, 2840; Kocher/Widder, BB 2012, 1820, 1821; Bachmann, DB 2012, 2206, 2209 f.; Krause/Brellochs, AG 2013, 309, 314; Vetter/Engel/Lauterbach, AG 2019, 160, 165 ff., die aber eine entsprechende Lösung bereits auf Ebene der präzisen Information präferieren; differenzierend, aber im Ergebnis wohl auch Krause, in: Meyer/Veil/ Rönnau, § 6 Rn. 74. 912 Vgl. Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 7 Rn. 111. 913 Kocher/Widder, BB 2012, 2837, 2840; Vetter/Engel/Lauterbach, AG 2019, 160, 165 f. 914 Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 7 Rn. 107 ff.; Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/ Lwowski, § 107 Rn. 46 Fn. 1. 915 So Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 7 Rn. 108. 916 Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 7 Rn. 109.

A. Der Begriff der Insiderinformationen (Art. 7 MMVO)

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(3) Stellungnahme (a) Begrüßenswerte Maximierung der Wirksamkeit der Insiderhandelsverbote In einem zeitlich gestreckten Vorgang, also etwa einer M&A-Transaktion, gibt es unzählige Zwischenschritte, bei denen für jeden einzelnen gem. Art. 7 Abs. 2 S. 2 und Art. 7 Abs. 3 MMVO zu prüfen ist, ob er bereits für sich eine Insiderinformation darstellt. Ist ein solcher Zwischenschritt dabei nicht schon aus sich selbst heraus kursrelevant, sondern leitet dieser seine Kursrelevanz aus dem zukünftigen Endergebnis ab und stellt man an dieses Endergebnis kein Erfordernis einer Eintrittswahrscheinlichkeit von 50 % plus x, sondern lässt es im Gegenteil wie unter anderem (wohl) die BaFin genügen, dass das Endergebnis nur nicht völlig ausgeschlossen sein darf917 (was praktisch nie der Fall sein wird), so hat das zur Folge, dass in einem zeitlich gestreckten Vorgang schon in einem sehr frühen Stadium eine Insiderinformation vorliegen kann.918 Diese Konsequenz ist aus Gesichtspunkten der Insiderhandelsprävention zu begrüßen, dient dieses Verständnis doch einer größtmöglichen Wirksamkeit der Insiderhandelsverbote und entspricht damit dem tragenden Prinzip der informationellen Chancengleichheit. Verdeutlicht wird das durch ein Beispiel von Klöhn:919 Angenommen, in einem zeitlich gestreckten Vorgang ist ein Zwischenschritt eingetreten, der nicht bereits aus sich selbst heraus kursrelevant ist, und es sind vier zukünftige Endergebnisse möglich (Eintrittswahrscheinlichkeit je 25 %), wovon aber nur eines eintreten kann. Geht man nun davon aus, dass sich bei drei der vier möglichen zukünftigen Endergebnisse der Kurs verdoppelt und bei der vierten Möglichkeit unverändert bleibt, würde das bei Forderung einer Mindesteintrittswahrscheinlichkeit von 50 % plus x an das zukünftige Endergebnis dazu führen, dass der Insider die Information über den Zwischenschritt ausnutzen könnte, obwohl sich der Kurs mit einer Wahrscheinlichkeit von 75 % verdoppelt. Dieses Ergebnis widerspricht klar dem Prinzip der informationellen Chancengleichheit. Jedoch wird auch erkannt, dass mit der Absage an eine Mindesteintrittswahrscheinlichkeit des zukünftigen Endergebnisses die Gefahr einer ausufernden Adhoc-Publizität einhergeht.920 Diese sei in der Praxis jedoch aufgrund der Möglichkeit der Selbstbefreiung (Art. 17 Abs. 4 MMVO) nicht gegeben. Zudem hätten in einem frühen Stadium eines zeitlich gestreckten Vorgangs veröffentlichte Ad-hoc-Mitteilungen auch keinen unpräzisen oder irreführenden Inhalt, da publizitätspflichtig nur der gegenwärtige (also präzise) Zwischenschritt sei und gerade nicht das noch unsichere zukünftige Endergebnis.921 917 BaFin, Art. 17 MAR – Veröffentlichung von Insiderinformationen (FAQs), Stand: 29. 05. 2019, III.5. 918 Vgl. Vetter/Engel/Lauterbach, AG 2019, 160, 161 f. 919 Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 7 Rn. 109. 920 Dies anerkennend Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 7 Rn. 111; ebenfalls auf die Problematik bei der Ad-hoc-Publizität hinweisend Kocher/Widder, BB 2012, 2837, 2839; Bachmann, DB 2012, 2206, 2210. 921 Vgl. Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 7 Rn. 110 f.

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Kap. 5: Das Insiderrecht der MMVO

(b) Problematische Folgen für die Ad-hoc-Publizität und die Praxis Beide Argumente können aus praktischer Sicht jedoch nicht überzeugen. So ist zwar richtig, dass grundsätzlich nur der gegenwärtige Zwischenschritt publizitätspflichtig ist. Doch soll eine Ad-hoc-Mitteilung ausweislich Erwägungsgrund 49 MMVO auch der Irreführung von Anlegern vorbeugen. Vor diesem Hintergrund ist es bereits sehr fraglich, ob eine Ad-hoc-Mitteilung über einen Zwischenschritt inhaltlich überhaupt in einer nicht irreführenden Weise veröffentlicht werden kann, ohne auf das mögliche zukünftige Endergebnis oder dessen Eintrittswahrscheinlichkeit zum Zeitpunkt des Zwischenschritts einzugehen. Der Zwischenschritt als solcher wird für viele Anleger nicht ausreichen, um den Stand des zeitlich gestreckten Vorgangs richtig einzuordnen. Vielmehr besteht die Gefahr, dass sie die Mitteilung überbewerten, was sich dann negativ auf die Preisbildung am Markt auswirkt. Allerdings ist auch die Einbeziehung des zukünftigen Endergebnisses in die Ad-hoc-Mitteilung bezüglich eines Zwischenschritts problematisch. Denn in einem laufenden Transaktionsprozess ist es schlicht nicht möglich genau zu beziffern, wie wahrscheinlich der Erfolg der Transaktion zum Zeitpunkt eines bestimmten Zwischenschritts ist.922 Um zumindest ein hinreichendes Bild des gegenwärtigen Transaktionsstands zeichnen zu können, bedürfte es auführlicher Erläuterungen, die jedoch im Rahmen einer grundsätzlich einseitigen Ad-hoc-Mitteilung ebenfalls nicht möglich sind.923 Folglich bergen auch Ad-hoc-Mitteilungen diesen Inhalts ein großes Irreführungspotential. Der Verweis auf die Selbstbefreiung ist ebenfalls keine befriedigende Lösung. Unabhängig von der Frage, ob der jeweilige Zwischenschritt überhaupt die Voraussetzungen der Selbstbefreiung (Art. 17 Abs. 4 lit a) bis c) MMVO) erfüllt,924 ist die Selbstbefreiung vom europäischen Gesetzgeber als Instrument gedacht, mit dem der Emittent sein Geheimhaltungsinteresse in Fällen schützen kann, in denen seine berechtigten Interessen durch eine frühzeitige Veröffentlichung der Insiderinformation Schaden nehmen könnten.925 Die Selbstbefreiung soll folglich eine Hilfe und ein Schutz für den Emittenten sein. Macht man jedoch die Selbstbefreiung zum Mittel, um verfrühte oder irreführende Ad-hoc-Mitteilungen zu verhindern, dient die Selbstbefreiung nicht nur dem Schutz der Emittenten, sondern auch dem Schutz des Kapitalmarkts und ist darüber hinaus nicht Hilfe, sondern Belastung für die Emittenten.926 Denn bei einem zeitlich gestreckten Vorgang mit unzähligen Zwischenschritten, kann der Emittent gezwungen sein, die Selbstbefreiung langfristig927 und auch mehrmals zur gleichen Zeit (aufgrund verschiedener Zwischenschritte, deren Vorliegen sich jedoch überschneidet) in Anspruch zu nehmen. Die Problematik dabei 922 923 924 925 926 927

Vgl. Vetter/Engel/Lauterbach, AG 2019, 160, 166 f. Vgl. Vetter/Engel/Lauterbach, AG 2019, 160, 167. Darauf hinweisend Bachmann, DB 2012, 2206, 2210. Merkner/Sustmann, AG 2012, 315, 321; Vetter/Engel/Lauterbach, AG 2019, 160, 168. Vgl. Merkner/Sustmann, AG 2012, 315, 321 f. Vgl. Teigelack, BB 2012, 1361, 1363; Merkner/Sustmann, AG 2012, 315, 322.

A. Der Begriff der Insiderinformationen (Art. 7 MMVO)

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ist, dass der Handlungsspielraum eines Emittenten in der Selbstbefreiung stark eingeschränkt wird, etwa im Hinblick auf Aktionen am Kapitalmarkt,928 aber auch was Finanzierungsfragen angeht, da Kreditverträge durchaus eine Klausel enthalten können, die die Auszahlung des Kredits davon abhängig macht, dass der kreditnehmende Emittent sich nicht in der Selbstbefreiung befindet. (c) Zielkonflikt zwischen Insiderhandelsverboten und Ad-hoc-Publizität Es besteht folglich ein Zielkonflikt zwischen Insiderhandelsverboten und Adhoc-Publizität.929 Die Ziele der Insiderhandelsverbote (allen voran die informationelle Chancengleichheit) sprechen gegen die Voraussetzung einer Mindesteintrittswahrscheinlichkeit für das zukünftige Endergebnis und mithin für die Möglichkeit des Vorliegens einer Insiderinformation bereits in einem frühen Stadium eines zeitlich gestreckten Vorgangs. Dieser Ansatz stellt die umfassende Wirksamkeit der Insiderhandelsverbote sicher, läuft aber gleichzeitig Gefahr, den Markt mit verfrühten und irreführenden Ad-hoc-Mitteilungen zu überfluten und für die Praxis eine erhebliche Belastung darzustellen. Gesichtspunkte der Ad-hoc-Publizität (zutreffende und vor allem keine irreführende Informationspolitik am Markt, die an der Effizienz des Markts orientiert ist) und der Praxis (Rechts- und Transaktionssicherheit) streiten hingegen für eine Mindesteintrittswahrscheinlichkeit des zukünftigen Endergebnisses. Kehrseite ist jedoch, dass dann die Insiderhandelsverbote nicht ihre volle Wirksamkeit entfalten und Insider ihren Informationsvorsprung hinsichtlich der Zwischenschritte grundsätzlich länger ausnutzen können. Beide Szenarien führen zu am Kapitalmarkt unerwünschten Ergebnissen. Jedoch lässt sich dieser Zielkonflikt unter Geltung der MMVO nicht vollständig auflösen. Denn die dahinterstehende Grundproblematik ist, dass Insiderhandelsverbote und Ad-hoc-Publizität an den gleichen Begriff der Insiderinformation anknüpfen. Legt man diesen weiter aus, fördert man die Wirksamkeit der Insiderhandelsverbote. Legt man ihn hingegen restriktiver aus, kommt die Ad-hoc-Publizitätspflicht und ihr Informationsauftrag für den Markt besser zur Geltung. Eine Möglichkeit diesen Zielkonflikt zu vermeiden, wäre folglich das Ende des tatbestandlichen Gleichlaufs von Insiderhandelsverboten und Ad-hoc-Publizität gewesen.930 (d) Lösungsvorschläge de lege lata Nach geltendem Recht kann somit nur versucht werden, die widerstreitenden Interessen des Zielkonflikts in einen möglichst schonenden Ausgleich zu bringen, der beiden Zielen größtmögliche Wirksamkeit zukommen lässt.

928 929 930

Vetter/Engel/Lauterbach, AG 2019, 160, 168. Vgl. Bachmann, DB 2012, 2206, 2209 f. Hierzu ausführlich unten A.III.

162

Kap. 5: Das Insiderrecht der MMVO

Aus theoretischer Sicht gibt es mit der Selbstbefreiung ein – wenn auch ursprünglich dafür nicht vorgesehenes – Instrument, das dafür sorgen kann, dass der Markt trotz frühzeitiger Bejahung einer Insiderinformation in einem zeitlich gestreckten Vorgang vor einer ausufernden Ad-hoc-Publizität geschützt wird. Auf der anderen Seite sieht die MMVO kein Instrument vor, das auf vergleichbare Weise die umfassende Wirksamkeit der Insiderhandelsverbote sicherstellt, wenn man für das Vorliegen der Kursrelevanz des Zwischenschritts eine überwiegende Eintrittswahrscheinlichkeit des zukünftigen Endergebnisses fordert. Aus dem Blickwinkel der Theorie ist es daher vorzugswürdig, das Augenmerk auf die umfassende Wirksamkeit der Insiderhandelsverbote zu legen und dementsprechend die Kursrelevanz eines Zwischenschritts unabhängig von einer Mindesteintrittswahrscheinlichkeit des zukünftigen Endergebnisses zu beurteilen. In der Praxis besteht hingegen die Möglichkeit, über interne Compliance-Regelungen vorzusehen, dass, sobald eine Transaktion im Raum steht, der Handel mit den diesbezüglichen Aktien zu unterbleiben hat, wovon durchaus auch Gebrauch gemacht wird. Zudem geht auch die Rechtsberatungspraxis dahin, in einem zeitlich gestreckten Vorgang dem Emittenten bereits frühzeitig von einem Handel mit betroffenen Aktien abzuraten. Dadurch wird die Gefahr, dass Insider ihr Wissen über Zwischenschritte zu lange ausnutzen könnten, faktisch eingeschränkt. Allerdings besteht für den Emittenten ein Dilemma hinsichtlich der Ad-hoc-Publizitätspflicht. Denn entweder muss er sich in einen „Selbstbefreiungs-Marathon“ begeben, um frühzeitige, transaktionshindernde Veröffentlichungen zu vermeiden, oder er läuft Gefahr, unpräzise oder irreführende Ad-hoc-Mitteilungen zu veröffentlichen. Diese Situation ist für die Praxis mehr als unbefriedigend. Dementsprechend erscheint aus praktischer Sicht die Ansicht, wonach ein Zwischenschritt, der seine Kursrelevanz von dem zukünftigen Endergebnis ableitet, nur dann Kursrelevanz besitzt, wenn dieses Endergebnis vernünftigerweise erwartet werden kann, also eine überwiegende Eintrittswahrscheinlichkeit (50 % plus x) aufweist, vorzugswürdig.931 Die Verwaltungspraxis der BaFin geht jedoch wohl eher in die theoretische Richtung. In ihren bisherigen Ausführungen bezüglich der MMVO hat sie stets betont, dass es für die Kurserheblichkeit eines Zwischenschritts ausreicht, wenn der Eintritt des zukünftigen Endergebnisses nur nicht völlig ausgeschlossen ist.932 Zwar wird erst der überarbeitete Emittentenleitfaden der BaFin endgültigen Aufschluss über ihre Verwaltungspraxis geben, doch kann sich die Praxis wohl schon darauf einstellen, dass sie es bei zeitglich gestreckten Vorgängen in Zukunft häufiger und längerfristiger mit dem Instrument der Selbstbefreiung zu tun hat.

931

Vgl. Vetter/Engel/Lauterbach, AG 2019, 160, 168. BaFin, Art. 17 MAR – Veröffentlichung von Insiderinformationen (FAQs), Stand: 29. 05. 2019, III.5. 932

A. Der Begriff der Insiderinformationen (Art. 7 MMVO)

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d) Kursspezifität Als allgemeine Voraussetzung für alle Informationen, unabhängig, ob sie sich auf vergangene, gegenwärtige oder zukünftige Umstände oder Ereignisse beziehen, sieht Art. 7 Abs. 2 S. 1 MMVO die Kursspezifität vor. Danach muss die Information spezifisch genug sein, um eine Aussage über den zukünftigen Kurs eines Finanzinstruments treffen zu können. Die Kursspezifität fordert mithin eine Aussage über die Kursrelevanz der Information. Damit wird klar, dass die Kursspezifität bereits im Tatbestandsmerkmal der „Eignung zur erheblichen Kursbeeinflussung“ enthalten ist.933 Denn es gibt keine kursrelevante Information, die nicht auch spezifisch genug ist, um einen Schluss auf die Kursrelevanz der Information zuzulassen.934 Die Bejahung der Kursrelevanz einer Information führt damit automatisch auch zum Vorliegen ihrer Kursspezifität.935 Folglich entfaltet die Kursspezifität keine eigenständige Abgrenzungswirkung.936 Das Merkmal der „Präzision“ ist insoweit nicht mehr als eine Vorkontrolle zur Kursrelevanzprüfung, mit der frühzeitig offensichtlich irrelevante Informationen ausgeschlossen werden sollen, ohne eine vollständige Kursrelevanzprüfung durchführen zu müssen.937 In der Rechtssache Lafonta legte der französische Kassationshof (Cour de Cassation) dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vor, ob eine Information nur dann als „präzise“ eingestuft werden kann, wenn aus ihr mit einem hinreichenden Maß an Wahrscheinlichkeit abgeleitet werden kann in welche Richtung – Steigen oder Fallen – sich der Kurs eines Finanzinstruments bewegen wird.938 In seinem Lafonta-Urteil entschied der EuGH,939 dass es für die Einstufung als „präzise Information“ unerheblich ist, ob absehbar ist in welche Richtung die Kursbewegung stattfinden wird.940 Ausreichend ist vielmehr, dass die Information den Schluss zulässt, dass es überhaupt zu einer Kursbewegung kommen wird.941 Ausgeschlossen hat der EuGH nur solche Informationen, die derart vage oder allgemein sind, dass sie keine Schlussfolgerung bezüglich ihrer möglichen Auswirkung auf den Kurs eines Finanzinstruments erlauben.942

933

Krause, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 6 Rn. 28; Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 7 Rn. 82. Krause, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 6 Rn. 28; Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 7 Rn. 82. 935 Vgl. Krause, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 6 Rn. 28. 936 Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 7 Rn. 82. 937 Vgl. Krause, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 6 Rn. 28; Apfelbacher, in: Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2017, S. 57, 61; Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, § 107 Rn. 43 Fn. 3; Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 7 Rn. 82, 84. 938 EuGH Urt. v. 11. 3. 2015 – Rs C-628/13 = NZG 2015, 432 Rn. 20 (Lafonta). 939 Ausführlich zum Urteil Spatz, Die Insiderinformation bei Unvorhersehbarkeit der Richtung der Kursauswirkung, S. 134 ff. 940 EuGH Urt. v. 11. 3. 2015 – Rs C-628/13 = NZG 2015, 432 Rn. 34 (Lafonta). 941 Krause, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 6 Rn. 29. 942 EuGH Urt. v. 11. 3. 2015 – Rs C-628/13 = NZG 2015, 432 Rn. 31 (Lafonta). 934

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Kap. 5: Das Insiderrecht der MMVO

2. Nicht öffentlich bekannt Darüber hinaus darf die Information nicht öffentlich bekannt sein, um als Insiderinformation eingestuft zu werden. Dahinter steht die Überlegung, dass sich an informationseffizienten Märkten öffentlich bekannte Informationen bereits im Preis widerspiegeln, womit der Insider seinen zu missbilligenden Vorteil hinsichtlich der Information verloren hat.943 Der wichtigste Aspekt hinsichtlich des Zeitpunkts, ab dem eine Information öffentlich bekannt ist, ist die Frage, welcher Zielgruppe die Information hierfür bekannt sein muss. Hierbei lassen sich grundsätzlich zwei Ansätze unterscheiden: das Konzept der Bereichsöffentlichkeit und das Konzept der Kapitalmarktöffentlichkeit. a) Konzept der Bereichsöffentlichkeit Nach altem Insiderrecht richtete sich die Frage, wann eine Information öffentlich bekannt ist, nach dem Konzept der Bereichsöffentlichkeit, das in der Begründung des RegE. 2. FFG statuiert war.944 Danach war eine Information dann öffentlich bekannt, wenn eine unbestimmte Zahl von (professionellen) Marktteilnehmern von dieser Information Kenntnis nehmen und davon ausgegangen werden konnte, dass sich diese Information bereits im Preis widerspiegelte.945 Auf eine tatsächliche Kenntnisnahme der Information oder eine tatsächliche Einpreisung in den Kurs kam es hingegen nicht an.946 b) Konzept der Kapitalmarktöffentlichkeit Das Konzept der Kapitalmarktöffentlichkeit unterscheidet sich vom Konzept der Bereichsöffentlichkeit dadurch, dass es nicht nur professionelle, sondern auch nicht professionelle Anleger (das breite Anlegerpublikum) umfasst. Während die Begründung des RegE. 2. FFG ausdrücklich festlegte, dass es auf das breite Anlegerpublikum gerade nicht ankam,947 erklärte die BaFin in ihrem Emittentenleitfaden, dass eine Information dann öffentlich bekannt ist, „wenn sie einem breiten Anlegerpublikum und damit einer unbestimmten Zahl von Personen zugänglich gemacht wurde.“948 Allerdings verhielt sich die BaFin insoweit widersprüchlich, als sie „jeden

943

Vgl. Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 7 Rn. 122. Siehe Begründung RegE 2. FFG, BT-Drucks. 12/6679, S. 46. 945 Vgl. Begründung RegE 2. FFG, BT-Drucks. 12/6679, S. 46; Krause, in: Meyer/Veil/ Rönnau, § 6 Rn. 76; Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 7 Rn. 124. 946 Krause, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 6 Rn. 76. 947 Begründung RegE 2. FFG, BT-Drucks. 12/6679, S. 46. 948 BaFin, Emittentenleitfaden 2013, S. 34. 944

A. Der Begriff der Insiderinformationen (Art. 7 MMVO)

165

interessierten Marktteilnehmer“ und damit das breite Anlegerpublikum mit der Bereichsöffentlichkeit gleichsetzte.949 c) Keine Definition in der MMVO Auch hier wäre es dem MMVO-Gesetzgeber sehr leicht möglich gewesen, durch die Aufnahme eines der beiden Konzepte in die MMVO für mehr Klarheit zu sorgen, wie er es in den Erwägungsgründen angekündigt hat. Jedoch hat er auch diese Möglichkeit ungenutzt verstreichen lassen und auf eine Klarstellung, wann eine Information öffentlich bekannt ist, verzichtet. Die Antwort kann daher nur im Wege einer europarechtskonformen Auslegung gefunden werden. aa) Wortlaut Während die deutsche Sprachfassung eine „nicht öffentlich bekannte“ Information fordert, sprechen etwa950 die englische („has not been made public“) und die französische („n’a pas été rendue publique“) Sprachfassung von einer „nicht öffentlich bekannt gemachten“ Information. Ein Mehrwert für die Frage, welcher Zielgruppe die Information öffentlich bekannt (gemacht) sein muss, lässt sich aus dieser Unterscheidung jedoch nicht gewinnen. Vielmehr sind beide sowohl mit dem Konzept der Bereichsöffentlichkeit als auch mit dem Konzept der Kapitalmarktöffentlichkeit vereinbar. Selbst wenn man hier aus der weiterverbreiteten Formulierung „nicht öffentlich bekannt gemacht“ eine Antwort ableiten könnte, würde es der Rechtsprechung des EuGH widersprechen, dieser den Vorrang allein aufgrund der Wortlautauslegung einzuräumen, da der EuGH bei unterschiedlichen Sprachfassungen nicht nach dem Mehrheitsprinzip entscheidet, sondern die anderen Auslegungsmethoden zur endgültigen Entscheidungsfindung heranzieht.951 Die Wortlautauslegung hilft hier mithin nicht weiter.

949 BaFin, Emittentenleitfaden 2013, S. 34: „Jeder interessierte Marktteilnehmer hat so die Möglichkeit, von der Insiderinformation Kenntnis zu nehmen (Bereichsöffentlichkeit), so dass die informationelle Chancengleichheit nicht beeinträchtigt wird.“ 950 Ebenso von „nicht öffentlich bekannt gemacht“ sprechen die italienische („non è stata resa pubblica“), spanische („no se haya hecho pública“) und portugiesische („não tenha sido tornada pública“) Sprachfassung. 951 Hierzu Kapitel 4, C.I.2.a).

166

Kap. 5: Das Insiderrecht der MMVO

bb) Historische Auslegung Die Befürworter des Konzepts der Kapitalmarktöffentlichkeit berufen sich darauf, dass dieses Konzept der „Tradition des europäischen Insiderrechts“ entsprechen würde.952 Abgestellt wird dabei auf Art. 4 Abs. 2 i.V.m. Schema C Nr. 5 A und Schema D Nr. 4 A Börsenzulassungs-Richtlinie 1979.953 Darin war vorgesehen, dass Voraussetzung für die Ad-hoc-Publizitätspflicht eine der breiten Öffentlichkeit nicht bekannte Tatsache oder Information ist. Diese Ausführungen lassen sich zwar eindeutig dem weiten Konzept der Kapitalmarktöffentlichkeit und nicht dem engeren Konzept der Bereichsöffentlichkeit zuordnen.954 Allerdings fehlt in anderen Sprachfassungen der Börsenzulassungs-RL eine derartige Klarstellung hinsichtlich des Begriffs der „Öffentlichkeit“,955 womit bereits daran gezweifelt werden kann, ob der Börsenzulassungs-RL überhaupt ein einheitliches Konzept der Kapitalmarktöffentlichkeit zugrunde lag. Zudem befindet sich in keinem der nachfolgenden insiderrechtlichen Rechtsakte eine vergleichbare Formulierung für das Konzept der Kapitalmarktöffentlichkeit hinsichtlich der Frage, wann eine Information öffentlich bekannt ist. Sowohl die Insiderrichtlinie 1989 als auch die MMRL stellten bereits, wie jetzt die MMVO, nur auf eine „nicht öffentlich bekannte“ Information ab, ohne näher darauf einzugehen, was damit gemeint ist. Um trotz der Veränderungen eine Verbindung zur Börsenzulassungs-RL herstellen zu können, wird darauf verwiesen, dass das Konzept der Kapitalmarktöffentlichkeit die Insiderrichtlinie 1989 und die MMRL unverändert überstanden und nun in der MMVO wieder ausdrücklich seinen Niederschlag gefunden hätte.956 Bezug genommen wird dabei auf Art. 2 Abs. 1 lit. a) Durchführungsverordnung (EU) 2016/1055957,958 der besagt, dass Emittenten Insiderinformationen mithilfe technischer Mittel derart bekannt geben, dass unter anderem gewährleistet ist, dass die Insiderinformation an eine möglichst breite Öffentlichkeit 952

So ausdrücklich Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 7 Rn. 128. Richtlinie 79/279/EWG des Rates vom 5. März 1979 zur Koordinierung der Bedingungen für die Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Notierung an einer Wertpapierbörse, Amtsblatt Nr. L 066 vom 16/03/1979, S. 21; im Folgenden Börsenzulassungs-RL. 954 Vgl. Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 7 Rn. 128. 955 Siehe etwa in der englischen Sprachfassung: „The company must inform the public as soon as possible of any major new developments in its sphere of activity which are not public knowledge […].“; oder in der französischen Sprachfassung: „L’Entreprise doit informer le public, dans les meilleurs délais, des faits nouveaux importants survenus dans sa sphère d’activité qui ne sont pas du domaine public […].“ 956 Krause, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 6 Rn. 80; Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 7 Rn. 128. 957 Durchführungsverordnung (EU) 2016/1055 der Kommission vom 29. 06. 2016 zur Festlegung technischer Durchführungsstandards hinsichtlich der technischen Mittel für die angemessene Bekanntgabe von Insiderinformationen und für den Aufschub der Bekanntgabe von Insiderinformationen gemäß Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates, ABl. EU Nr. L 173 v. 30. 06. 2016, S. 47. 958 Vgl. Krause, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 6 Rn. 78; Kumpan, DB 2016, 2039, 2042, Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 7 Rn. 127 f. 953

A. Der Begriff der Insiderinformationen (Art. 7 MMVO)

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verbreitet wird. Da es dabei jedoch nicht um den Begriff der Insiderinformation (wie im Ausgangspunkt), sondern um Ausführungen zur Ad-hoc-Mitteilung geht, können daraus im Rahmen einer historischen Auslegung keine weiterführenden Erkenntnisse gewonnen werden. cc) Systematische Auslegung Aus systematischer Sicht ist das Verständnis von „öffentlich bekannt“ im Rahmen der Ad-hoc-Publizität durchaus interessant. Denn zwischen dem Begriff der Insiderinformation und der Ad-hoc-Publizität besteht unzweifelhaft ein systematischer Zusammenhang. Dieser wird besonders deutlich durch die etwa in der englischen und französischen Sprachfassung gewählte Formulierung „nicht öffentlich bekannt gemachte Information“, da das primäre Instrument zur Bekanntmachung von Insiderinformationen die Ad-hoc-Mitteilung ist.959 Für die Ad-hoc-Mitteilung ist eindeutig, dass diese an die breite Kapitalmarktöffentlichkeit gerichtet sein muss.960 Art. 17 Abs. 1 UAbs. 2 MMVO nennt die „Öffentlichkeit“ als Adressat von Ad-hocMitteilungen, was dann durch den bereits genannten Art. 2 Abs. 1 lit. a) Durchführungsverordnung (EU) 2016/1055 auf eine „möglichst breite Öffentlichkeit“ konkretisiert wird. Insoweit bestehen keine Zweifel. Allerdings gibt es einen Unterschied zwischen der Regelung in Art. 17 Abs. 1 UAbs. 2 MMVO und dem Begriff der Insiderinformation in Art. 7 Abs. 1 lit. a) MMVO. Während es bei Art. 17 Abs. 1 UAbs. 2 MMVO und dem dazugehörigen Art. 2 Abs. 1 lit. a) Durchführungsverordnung (EU) 2016/1055 darum geht, an wen eine Ad-hoc-Mitteilung zu richten ist, kommt es für Art. 7 Abs. 1 lit. a) MMVO darauf an, ab wann eine Information als öffentlich bekannt gilt.961 Und da eine Information jedenfalls nicht nur dann öffentlich bekannt sein kann, wenn sie ad-hoc veröffentlicht wurde,962 besteht folglich eine Divergenz zwischen beiden Vorschriften hinsichtlich der Anknüpfung an „öffentlich bekannt“. Sicher ist insofern also nur, dass eine Information jedenfalls dann öffentlich bekannt ist i.S.v. Art. 7 Abs. 1 lit. a) MMVO, wenn sie ad-hoc und damit an die Kapitalmarktöffentlichkeit veröffentlicht wurde. Eine weitergehende systematische Interpretation dahingehend, dass eine Information, um öffentlich bekannt zu sein, adhoc oder in vergleichbarer Art und Weise an die breite Öffentlichkeit veröffentlicht werden muss,963 erscheint, insbesondere vor dem Hintergrund, wie viele verschie959

Vgl. Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 7 Rn. 121. Kumpan, DB 2016, 2039, 2042; Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, § 107 Rn. 52; Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 7 Rn. 127; Krause, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 6 Rn. 78. 961 Vgl. Steinrück, Das Interesse des Kapitalmarkts am Aufschub der Ad-hoc-Publizität, S. 37. 962 Ausdrücklich BaFin, Art. 17 MAR – Veröffentlichung von Insiderinformationen (FAQs), Stand: 29. 05. 2019, III.4.c); ebenso Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 7 Rn. 130. 963 Dies wohl aus systematischen Zusammenhängen ableitend Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 7 Rn. 130. 960

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Kap. 5: Das Insiderrecht der MMVO

dene Einflüsse es bei der MMVO-Gesetzgebung auf den Verordnungstext gab und wie schwierig daher grundsätzlich eine systematische Auslegung der MMVO ist,964 zumindest zweifelhaft. Hinzu kommt, dass für Art. 7 Abs. 1 lit. a) MMVO auch ein indirekter Emittentenbezug ausreicht, wohingegen die Ad-hoc-Publizitätspflicht nur bei einem unmittelbaren Emittentenbezug ausgelöst wird. Ein unterschiedliches Verständnis ihrer Merkmale ist, trotz einer systematischen Verbindung der beiden Vorschriften, also durchaus möglich. Auch die systematische Auslegung kommt mithin nicht zu einem eindeutigen Ergebnis. dd) Teleologische Auslegung Die Antwort ist damit im Rahmen der teleologischen Auslegung zu finden. Die Vorschrift ist danach so auszulegen, dass die Ziele der MMVO die größtmögliche Wirksamkeit entfalten können. Aus juristischer Sicht ist dabei die informationelle Chancengleichheit aller Marktteilnehmer („equal access-Ansatz“) das oberste Prinzip einer Insiderregulierung.965 Allen Marktteilnehmern muss der gleiche Zugang zu Informationen gewährleistet werden, damit sie zumindest im Ausgangspunkt alle die gleichen Chancen haben. Diesem Prinzip widerspricht jedoch das Konzept der Bereichsöffentlichkeit. Denn dadurch wird es professionellen Marktteilnehmern ermöglicht Informationen auszunutzen, die gerade nicht allen Marktteilnehmern zur Verfügung stehen.966 Zwar wird es in der Praxis (fast) immer so sein, dass professionelle Anleger neue Informationen in den Kurs einpreisen, womit das Konzept der Bereichsöffentlichkeit den tatsächlichen Gegebenheiten an den Märkten entspricht.967 Jedoch ändert diese Tatsache nichts daran, dass zumindest im Ausgangspunkt allen Marktteilnehmern die gleichen Chancen eingeräumt werden müssen.968 Zu einem anderen Ergebnis kommt man auch nicht, wenn man, wie die Ökonomen, die Markteffizienz als Hauptziel einer Insiderregulierung ansieht. Zwar mag es zutreffend sein, dass Informationshändler unter Geltung des Konzepts der Kapitalmarktöffentlichkeit zunächst prüfen müssen (was negativ für die relative Effizienz und damit in der Folge für Informations- und Fundamentalwerteffizienz sei), ob sie die Information verwerten können oder ob sie nur der Bereichsöffentlichkeit

964

Siehe oben Kapitel 4, C.I.2.c). Hierzu oben Kapitel 1, B.II.1.a). 966 Vgl. Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 7 Rn. 129; Schäfer, in: Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, Rn. 14.17. 967 Vgl. bereits Begründung RegE 2. FFG, BT-Drucks. 12/6679, S. 46, die zwar auf den Funktionsschutz der Märkte als Regelungsziel abstellte, ohne jedoch das Prinzip der informationellen Chancengleichheit zu berücksichtigen. 968 So im Ergebnis auch BaFin, Art. 17 MAR – Veröffentlichung von Insiderinformationen (FAQs), Stand: 29. 05. 2019, III.4.c): „Ausreichend, aber auch erforderlich ist, dass die Insiderinformation einem breiten Anlegerpublikum zeitgleich zugänglich ist.“ 965

A. Der Begriff der Insiderinformationen (Art. 7 MMVO)

169

zugänglich ist, womit bei Verwertung strafbarer Insiderhandel vorliegen würde.969 Allerdings dürften Informationshändler, aufgrund der Strafandrohung von Insiderhandel, ohnehin stets prüfen, ob es ihnen erlaubt ist, eine ihnen vorliegende Information zu verwerten. Das Konzept der Kapitalmarktöffentlichkeit hat damit zumindest keinen nennenswerten negativen Einfluss auf die relative Effizienz und folglich die Informations- und Fundamentalwerteffizienz der Märkte. Abgesehen davon können Informationen auch einem kleineren Kreis als der Bereichsöffentlichkeit zugänglich gemacht werden, womit Informationshändler auch unter Geltung dieses Konzepts stets prüfen müssten, ob sie die Information bereits verwerten dürfen. ee) Zwischenergebnis Eine Information ist folglich dann „öffentlich bekannt“ i.S.v. Art. 7 Abs. 1 lit. a) MMVO, wenn sie dem breiten Anlegerpublikum (professionelle und nicht professionelle Anleger) zugänglich ist (Konzept der Kapitalmarktöffentlichkeit).970 Das im deutschen Recht zur alten Rechtslage präferierte Konzept der Bereichsöffentlichkeit ist mit einer europarechtskonformen Auslegung des Begriffs „öffentlich bekannt“ nicht vereinbar. Nach dem Konzept der Kapitalmarktöffentlichkeit kommt es grundsätzlich auf das breite Anlegerpublikum in dem Mitgliedsstaat oder den Mitgliedsstaaten an, indem das Finanzinstrument zum Handel zugelassen ist.971 Ein Zugang des breiten Anlegerpublikums im gesamten Geltungsbereich der MMVO ist ebenso wenig erforderlich wie ein Zugang der allgemeinen breiten Öffentlichkeit (außerhalb des breiten Anlegerpublikums).972 Zudem kommt es auch nach dem Konzept der Kapitalmarktöffentlichkeit nicht auf eine tatsächliche Kenntnisnahme an.973

969

S. 38.

So Steinrück, Das Interesse des Kapitalmarkts am Aufschub der Ad-hoc-Publizität,

970 So die ganz h.M.: Krause, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 6 Rn. 81; Kumpan, DB 2016, 2039, 2042; Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, § 107 Rn. 52; Klöhn, in: Klöhn/ MMVO, Art. 7 Rn. 126 ff.; Schäfer, in: Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, Rn. 14.17; Apfelbacher, in: Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2017, S. 57, 61; Thelen, ZHR 182 (2018), 62, 80; Lutter/Bayer/J. Schmidt, Rn. 35.23; a.A. (Geltung des Konzepts der Bereichsöffentlichkeit) Steinrück, Das Interesse des Kapitalmarkts am Aufschub der Ad-hocPublizität, S. 38. 971 Krause, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 6 Rn. 83; Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 7 Rn. 148 ff.; Schäfer, in: Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, Rn. 14.18. 972 Schäfer, in: Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, Rn. 14.17 f.; Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 7 Rn. 132, 148. 973 Krause, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 6 Rn. 81.

170

Kap. 5: Das Insiderrecht der MMVO

Die fehlende Klarstellung hinsichtlich des Begriffs „öffentlich bekannt“ durch den MMVO-Gesetzgeber macht eine Konkretisierung durch die BaFin wünschenswert. Die bisherigen Äußerungen der BaFin sind, wie bereits zum alten Insiderrecht, allerdings widersprüchlich, da sie weiterhin die Begriffe „breites Anlegerpublikum“ und „Bereichsöffentlichkeit“ miteinander vermischt.974 Eine endgültige Antwort wird auch hier erst der überarbeitete Emittentenleitfaden liefern, wobei zu hoffen ist, dass die BaFin ihre bisherigen Ausführungen schärft und eindeutig auf das Konzept der Kapitalmarktöffentlichkeit abstellt. 3. Emittenten- oder Finanzinstrumentenbezug Ferner muss die Information direkt oder indirekt einen oder mehrere Emittenten oder ein oder mehrere Finanzinstrumente betreffen. Zum alten Recht ging die herrschende Meinung in der Literatur davon aus, dass dem Merkmal des Emittentenund Insiderpapierbezugs (§ 13 Abs. 1 S. 1 WpHG a.F.) keine eigenständige Bedeutung beizumessen war, da es speziell gegenüber dem Merkmal der Eignung zur erheblichen Kursbeeinflussung keinen Mehrwert für die Auswahl von insiderrechtlich relevanten und insiderrechtlich irrelevanten Informationen brachte.975 Hieran hat sich auch unter Geltung der MMVO nichts geändert.976 Dadurch, dass eine mittelbare Betroffenheit von einem oder mehreren Emittenten oder Finanzinstrument(en) ausreicht, müssten für eine eigenständige Bedeutung des Merkmals solche Informationen ausgeschlossen werden, die weder Emittenten noch Finanzinstrumente betreffen, aber trotzdem den Kurs eines Insiderpapiers beeinflussen können.977 Hierbei kann es sich nur um Informationen handeln, die den gesamten Markt betreffen (allgemeine Marktinformationen oder allgemeine Marktdaten), wie gesamtwirtschaftliche Vorgänge (etwa Zinsbeschlüsse von Notenbanken) und politische Ereignisse (zum Beispiel Regierungsumbildungen, Gesetzesvorhaben oder -änderungen).978

974 BaFin, Art. 17 MAR – Veröffentlichung von Insiderinformationen (FAQs), Stand: 29. 05. 2019, III.4.c). 975 Für die h.M. etwa: Schwark/Kruse, in: Schwark/Zimmer, § 13 WpHG Rn. 41; Assmann, in: Assmann/Uwe H. Schneider-WpHG, § 13 Rn. 46; Claussen/Florian, AG 2005, 745, 750; Schäfer, in: Schäfer/Hamann, § 13 WpHG Rn. 45; zurückhaltend: Mennicke/Jakovou, in: Fuchs/WpHG, § 13 Rn. 107; Lösler, in: Hand. d. KapI, § 2 Rn. 53; a.A. Pawlik, in: KK1/ WpHG, § 13 Rn. 38. 976 Krause, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 6 Rn. 94; Schäfer, in: Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, Rn. 14.21; Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 7 Rn. 116. 977 Vgl. Krause, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 6 Rn. 94; zum alten Recht Schwark/Kruse, in: Schwark/Zimmer, § 13 WpHG Rn. 41. 978 Vgl. BaFin, Emittentenleitfaden 2013, S. 34; Schäfer, in: Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, Rn. 14.21.

A. Der Begriff der Insiderinformationen (Art. 7 MMVO)

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Vom Wortlaut der Vorschrift wäre ein Ausschluss solcher allgemeinen Marktinformationen noch gedeckt, da dieser ausdrücklich von der Betroffenheit eines oder mehrerer Emittenten oder Finanzinstrumente und nicht des gesamten Markts spricht.979 Allerdings war bereits zur gleichlautenden Vorgängervorschrift in Art. 1 Abs. 1 MMRL anerkannt, dass auch allgemeine Marktinformationen (zum Beispiel Devisenkurse, Rohstoffpreise oder branchenspezifische statistische Daten) Insiderinformationen sein können.980 Auch das vereinzelt vorgebrachte Argument, das Merkmal müsste aufgrund seiner systematischen Stellung eine eigenständige Bedeutung haben, kann nicht überzeugen.981 Zum einen ist es durchaus möglich, dass eine Begriffsbestimmung wie Art. 7 Abs. 1 lit. a) MMVO nicht nur die den Begriff konstituierenden Merkmale, sondern auch redundante und klarstellende Elemente enthält.982 Zum anderen wirken alle bisherigen Versuche dem Merkmal eine eigenständige Bedeutung zu geben gekünstelt und schaffen es nicht, ihm Kontur zu verleihen.983 Vielmehr bedürfte es stets einer Abgrenzung zwischen marktfernen und emittenten- und finanzinstrumentbezogenen Informationen, die allerdings mangels klarer Abgrenzungskriterien zu erheblicher Rechtsunsicherheit führen würde,984 was die MMVO jedoch gerade vermeiden möchte. Zudem wäre es aus teleologischer Sicht mit dem Prinzip der informationellen Chancengleichheit nur schwer vereinbar, wenn einzelne Marktteilnehmer nicht öffentlich bekannte, kursrelevante Informationen nutzen könnten, nur weil es diesen an einem hinreichenden Bezug zu Emittenten oder Finanzinstrumenten fehlen würde.985 Vielmehr ist es überzeugend, die Frage, ob eine Marktinformation eine insiderrechtlich relevante Information ist, im Rahmen des Merkmals der Eignung zur er979

Vgl. für diesen Ansatz zum alten Recht Tippach, WM 1993, 1269; auch Pananis, Insidertatsache und Primärinsider, S. 89 ff.; Schwark/Kruse, in: Schwark/Zimmer, § 13 WpHG Rn. 41. 980 BaFin, Emittentenleitfaden 2013, S. 34. 981 So zum alten Recht Mennicke/Jakovou, in: Fuchs/WpHG, § 13 Rn. 107; aus strafrechtlicher Sicht Pananis, Insidertatsache und Primärinsider, S. 91, wonach dem gesetzlich normierten Tatbestand eine Begrenzungsfunktion zukomme und folglich die Prüfung eines Tatbestandsmerkmals nicht einfach entfallen könne; dagegen jedoch Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 7 Rn. 119 unter Verweis, dass es selbst Strafrechtsnormen gibt, bei denen nicht alle im Tatbestand genannten Merkmale auch tatsächlich zum Tatbestand gehören, z. B. „rechtswidrig“ in den §§ 123 und 303 StGB. 982 Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 7 Rn. 117; Krause, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 6 Rn. 94. 983 Zum altern Recht etwa Pananis, Insidertatsache und Primärinsider, S. 92, wonach Marktinformationen dann umfasst seien, wenn sie sich auf einen fest umrissenen Kreis von Emittenten beziehen oder aber ein spezifischer Insiderpapierbezug gegeben sei, der sich nicht in der bloßen Kursrelevanz der Tatsache erschöpfe; allgemein zu den Versuchen Mennicke/Jakovou, in: Fuchs/WpHG, § 13 Rn. 117 ff. 984 Krause, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 6 Rn. 94; zum alten Recht Schwark/Kruse, in: Schwark/Zimmer, § 13 WpHG Rn. 41; Mennicke/Jakovou, in: Fuchs/WpHG, § 13 Rn. 120. 985 Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 7 Rn. 117; Krause, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 6 Rn. 94.

172

Kap. 5: Das Insiderrecht der MMVO

heblichen Kursbeeinflussung zu beantworten. Denn es gibt keine kursrelevante Information, die nicht zumindest indirekt einen oder mehrere Emittenten oder ein oder mehrere Finanzinstrumente betreffen würde.986 In der Praxis spielt das Merkmal der Betroffenheit von Emittenten oder Finanzinstrumenten so gut wie keine Rolle, da kaum Sachverhalte vorstellbar sind, in denen es ausschließlich um allgemeine Marktinformationen geht, womit zumindest eine indirekte Betroffenheit in der Regel stets zu bejahen ist. Letztlich handelt es sich bei dem Merkmal um eine nicht notwendige Klarstellung, dass eine Insiderinformation nach Art. 7 Abs. 1 lit. a) MMVO, im Gegensatz zur ad-hoc-pflichtigen Insiderinformation nach Art. 17 Abs. 1 MMVO, schon bei indirekter Betroffenheit vorliegen kann. 4. Eignung zur erheblichen Kursbeeinflussung Darüber hinaus sind Insiderinformationen nur solche Informationen, die geeignet sind, wenn sie öffentlich bekannt werden, den Kurs von Finanzinstrumenten oder den Kurs damit verbundener derivativer Finanzinstrumente erheblich zu beeinflussen. Darunter sind Informationen zu verstehen, die ein verständiger Anleger wahrscheinlich als Teil der Grundlage seiner Anlageentscheidung nutzen würde, Art. 7 Abs. 4 MMVO (reasonable investor test). Auch diese Konkretisierung fand sich wortlautgetreu bereits in Art. 1 Abs. 2 Durchführungsrichtlinie-MMRL. Dass dabei Art. 7 Abs. 4 MMVO, im Gegensatz zu Art. 7 Abs. 1 lit. a) MMVO, nicht von „erheblich“, sondern „spürbar“ spricht, ist lediglich ein terminologischer Unterschied, der auf einer Übersetzungsungenauigkeit beruht – eine inhaltliche Divergenz ergibt sich daraus nicht.987 Durch die Voraussetzung der Eignung zur erheblichen Kursbeeinflussung hat das Merkmal eine gewisse Selektionswirkung.988 Durch die Erheblichkeitsschwelle sollen von vornherein solche Bagatellfälle ausgeschlossen werden, bei denen der potentielle wirtschaftliche Vorteil durch die Verwertung der Information so gering ist, dass er die erwarteten Handelskosten nicht deckt.989 Folglich nutzt ein verständiger Anleger Informationen grundsätzlich nur dann als Grundlage seiner Anlageentscheidung, wenn ein Kauf- oder Verkaufsanreiz besteht und ihm das Geschäft 986 Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 7 Rn. 116; Krause, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 6 Rn. 94; vgl. auch Schäfer, in: Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, Rn. 14.21. 987 Vergleiche dazu die anderen Sprachfassungen, in denen jeweils ein einheitlicher Begriff in Art. 7 Abs. 1 lit. a) MMVO und Art. 7 Abs. 4 MMVO verwendet wird, etwa „significant“ in der englischen oder „de façon sensible“ in der französischen Sprachfassung. 988 Vgl. BaFin, Art. 17 MAR – Veröffentlichung von Insiderinformationen (FAQs), Stand: 29. 05. 2019, III.4.b). 989 Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, § 107 Rn. 54; Apfelbacher, in: Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2017, S. 57, 62; Thelen, ZHR 182 (2018), 62, 78; Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 7 Rn. 214.

A. Der Begriff der Insiderinformationen (Art. 7 MMVO)

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lohnend erscheint990 – also ein Handelsanreiz besteht.991 Wie schon zum alten Recht, ist dies nach einer auf den Zeitpunkt des Insiderhandels abzustellenden ex-antePrognose zu ermitteln.992 Hierbei ist neben den verfügbaren Informationen (ex-anteInformationen) auch auf die voraussichtlichen Auswirkungen der Information abzustellen, insbesondere unter Berücksichtigung der Gesamttätigkeit des Emittenten, der Verlässlichkeit der Informationsquelle und sonstiger Marktvariablen.993 Nicht erforderlich ist hingegen, dass der verständige Anleger die Information selbst für kursrelevant hält oder dass die öffentliche Bekanntgabe der Information tatsächlich zu einer Kursreaktion führt.994 Letzteres kann jedoch als Indiz herangezogen werden, dass eine ex-ante-Information kurserheblich war, sollte jedoch nicht dazu verwendet werden, um zwar anderslautende, aber nach ex-ante-Informationslage vernünftige Schlussfolgerungen zu pönalisieren.995 a) Allgemeines zum verständigen Anleger Der Maßstab für die Bestimmung der Kursrelevanz ist der verständige Anleger, seine Anlageentscheidung ist der Bezugspunkt hierfür.996 Aus seiner Sicht ist zu beurteilen, ob eine präzise, nicht öffentliche Information als Insiderinformation i.S.v. Art. 7 Abs. 1 lit. a) MMVO zu qualifizieren ist. Davon ist wiederum abhängig, ob die Insiderhandelsverbote (Art. 14 MMVO) und die Ad-hoc-Publizitätspflicht (Art. 17 MMVO) zur Anwendung kommen. Es ist deshalb keinesfalls übertrieben, den verständigen Anleger als den Schlüsselbegriff des europäischen Insiderrechts zu bezeichnen.997 Aufgrund dieser zentralen Bedeutung des verständigen Anlegers ist es umso überraschender und irritierender, dass trotz aller Ankündigungen in den Erwägungsgründen, nicht einmal dieser Begriff eine auch nur irgendwie geartete Kon-

990 BaFin, Art. 17 MAR – Veröffentlichung von Insiderinformationen (FAQs), Stand: 29. 05. 2019, III.4.b); Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, § 107 Rn. 54; Apfelbacher, in: Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2017, S. 57, 62; zum alten Recht Lösler, in: Hand. d. KapI, § 2 Rn. 60; Assmann, in: Assmann/Uwe H. Schneider-WpHG, § 13 Rn. 64. 991 Dazu, dass der EuGH in seiner Lafonta-Entscheidung nicht auf das Merkmal des Handelsanreizes verzichtet hat Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 7 Rn. 213. 992 Bereits zum alten Recht etwa Schwark/Kruse, in: Schwark/Zimmer, § 13 WpHG Rn. 44; Claussen/Florian, AG 2005, 745, 750. 993 Erwägungsgrund 14 MMVO. 994 Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, § 107 Rn. 54. 995 Erwägungsgrund 15 MMVO, der damit auf die Gefahr eines Rückschaufehlers (hindsight bias) hinweist, wonach nach Eintreten eines Ereignisses, dessen Vorhersehbarkeit überschätzt wird. 996 Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 7 Rn. 168. 997 Vgl. Klöhn, ZHR 177 (2013), 349, 366.

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Kap. 5: Das Insiderrecht der MMVO

kretisierung erfahren hat, obwohl bereits zur alten Rechtslage der Präzisierungsbedarf angemahnt wurde.998 aa) Der US-amerikanische materiality-Standard als Ursprung des reasonable investor test Der reasonable investor test ist kein Kind des europäischen Insiderrechts. Er hat seinen Ursprung im US-amerikanischen Kapitalmarktrecht. Die dort aus den grundlegenden Insiderfällen erwachsenen Voraussetzungen für das Eingreifen der insiderrelevanten Vorschriften sind seit dem Jahr 2000 in SEC Rule 10b5 – 1 zusammengefasst. Danach ist „the purchase or sale of a security of any issuer, on the basis of material nonpublic information about that security or issuer, in breach of a duty of trust or confidence […]“ verboten. Der zentrale Begriff dabei ist der der wesentlichen Information (material information). Nicht jegliche Informationen, sondern nur wesentliche Informationen können zu einem Insiderhandelsverbot oder einer Haftung wegen Insiderhandel führen. Dieser unbestimmte Rechtsbegriff der material information wurde in der Entscheidung TSC Industries Inc. v. Northway Inc.999 (TSC) – einem Fall aus dem Bereich der Stimmrechtsvollmachten nach § 14(a) SEA und der dazugehörigen SEC Rule 14a-9 – erstmals zu einem materiality-Standard ausgebaut, der in dieser Form bis heute Gültigkeit besitzt: „An omitted fact is material if there is a substantial likelihood that a reasonable shareholder would consider it important in deciding how to vote. […] Put another way, there must be a substantial likelihood that the disclosure of the omitted fact would have been viewed by the reasonable investor as having significantly altered the ,total mix‘ of information made available.“1000

Für die Bestimmung der „Wesentlichkeit“ kommt es folglich auf den objektiven Maßstab eines verständigen Anlegers an.1001 Dabei ist ausreichend, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, dass die fehlende Information für die Entscheidung des verständigen Anlegers von Bedeutung gewesen wäre – eine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass der verständige Anleger seine Stimme geändert hätte, hätte er von der fehlenden Information gewusst, ist nicht erforderlich.1002 Darüber hinaus hob das Gericht ausdrücklich die Bedeutung eines nicht zu niedrigen materiality-Standards hervor, um die Investoren nicht „unter

998 Fleischer, ZBB 2008, 137, 141; Veil, ZBB 2006, 162, 163, 167; vgl. auch Gellings, Der gestreckte Geschehensablauf im Insiderrecht, S. 108. 999 TSC Industries Inc. v. Northway Inc., 426 US 438 (1976). 1000 TSC Industries Inc. v. Northway Inc., 426 US 438, 449 (1976). 1001 TSC Industries Inc. v. Northway Inc., 426 US 438, 445 (1976). 1002 TSC Industries Inc. v. Northway Inc., 426 US 438, 449 (1976).

A. Der Begriff der Insiderinformationen (Art. 7 MMVO)

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einer Lawine unerheblicher Informationen zu begraben“.1003 Konsequent lehnte das Gericht daher auch den in Mills v. Electric Auto-Lite Company begründeten weiteren „might-Standard“1004 ab und entschied sich für den engeren „would-Standard“.1005 Der in TSC geprägte materiality-Standard wurde in Basic Inc. v. Levinson1006 (Basic) ausdrücklich auf die für die Behandlung von Insiderfällen relevanten § 10(b) SEA und SEC Rule 10b-5 erstreckt.1007 Diese Entscheidung wurde im Jahr 2011 in Matrixx Initiatives Inc. v. Siracusano bestätigt.1008 Der reasonable investor test des europäischen Insiderrechts ist unverkennbar an den in TSC begründeten materiality-Standard angelehnt.1009 Art. 1 Abs. 2 Durchführungsrichtlinie-MMRL lautete in der englischen Sprachfassung: „information which, if it were made public, would be likely to have a significant effect on the prices […] shall mean information a reasonable investor would be likely to use as part of the basis of his investment decision.“ Diese sich in identischer Form in Art. 7 Abs. 4 MMVO befindlichen Ausführungen sind teilweise nahezu wortlautgetreu dem TSC materiality-Standard entnommen. Aufgrund dieser Verbindung zwischen europäischem und US-amerikanischem Insiderrecht können grundsätzlich auch aus dem US-amerikanischen Recht gewonnene Erkenntnisse bei der Auslegung des Begriffs des „verständigen Anlegers“ im Sinne von Art. 7 Abs. 4 MMVO fruchtbar gemacht werden. bb) Keine veränderte Rolle aufgrund Versetzung in den Rahmenrechtsakt Der Begriff des „verständigen Anlegers“ hat in der MMVO keine Konkretisierung erfahren. Eine Neuerung im Vergleich zur MMRL gibt es aber dennoch. Die Regelung bezüglich des verständigen Anlegers befindet sich nun direkt im Rahmenrechtsakt (Level 1) und nicht mehr wie bisher auf Level 2 (Art. 1 Abs. 2 Durchführungsrichtlinie-MMRL). Daraus eine veränderte Rolle des reasonable investor test dahingehend abzuleiten, dass dieser nicht mehr Konkretisierung des Merkmals „Eignung zur erheblichen Kursbeeinflussung“ ist, sondern dieses unter Geltung der

1003 TSC Industries Inc. v. Northway Inc., 426 US 438, 448 (1976) („to not bury the shareholders in an avalanche of trivial information“). 1004 Mills v. Electric Auto-Lite Company, 396 US 375, 384 (1970): „Where the misstatement or omission in a proxy statement has been shown to be ,material,‘ as it was found to be here, that determination itself indubitably embodies a conclusion that the defect was of such a character that it might have been considered important by a reasonable shareholder […].“ 1005 TSC Industries Inc. v. Northway Inc., 426 US 438, 449 (1976). 1006 Basic Inc. v. Levinson, 485 US 224 (1988). 1007 Basic Inc. v. Levinson, 485 US 224, 232 (1988): „We now expressly adopt the TSC Industries standard of materiality for the 10(b) and Rule 10b-5 context.“ 1008 Matrixx Initiatives Inc. v. Siracusano, 131 SCt 1309, 1318 (2011). 1009 Krause, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 6 Rn. 116; Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/ Lwowski, § 107 Rn. 55.

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Kap. 5: Das Insiderrecht der MMVO

MMVO ersetzt hat, geht jedoch zu weit.1010 Zwar ist nachvollziehbar, dass aufgrund der zahlreichen Ankündigungen des MMVO-Gesetzgebers nach Neuerungen hinsichtlich des verständigen Anlegers gesucht wird. Allerdings machen die wortlautgetreue Übernahme sowohl der Definition der Insiderinformation als auch des reasonable investor test von der MMRL in die MMVO deutlich, dass der Gesetzgeber an diesem Konzept keine grundsätzlichen Änderungen vornehmen wollte. Zudem finden sich in der MMVO auch keine ausdrücklichen Hinweise auf eine derartige Veränderung und es ist kaum vorstellbar, dass der Gesetzgeber eine solch bedeutende Änderung hinsichtlich des Begriffs der Insiderinformation nur implizit (durch Versetzung des reasonable investor test) vollziehen würde. Vielmehr trägt die Aufnahme des reasonable investor test in den Rahmenrechtsakt nur dessen besonderer Bedeutung für das Insiderrecht Rechnung, ohne jedoch etwas an seiner Konkretisierungsfunktion zu ändern.1011 cc) Der verständige Anleger als normativer und funktionaler Begriff Der verständige Anleger ist ein Rechtsbegriff.1012 Er verkörpert einen normativen Maßstab, dessen Inhalt durch Auslegung und nicht durch Tatsachenerhebung zu bestimmen ist.1013 Dem widerspricht von vornherein die Ansicht, die dem verständigen Anleger einen an der empirischen Kapitalmarktforschung orientierten verbindlichen Tatsachenkatalog an die Hand geben will, der typischerweise kursrelevante Informationen enthält.1014 Ein derartiger Ansatz erleichtert zwar die Rechtsanwendung und ist für die Rechtssicherheit förderlich,1015 ist aber mit dem normativen Konzept des verständigen Anlegers nicht vereinbar. Gleichwohl kann ein solcher Tatsachenkatalog als Orientierungshilfe bei der ex-ante-Prognose herangezogen werden, ohne jedoch die erforderliche Einzelfallprüfung zu ersetzen.1016 Den Maßstab für die Auslegung des Begriffs des „verständigen Anlegers“ bilden die Regelungsziele des Rechtsakts. Denn der verständige Anleger wird nicht um 1010 So aber Panasar/Silverman/Flow/Dalvi/Martin, Market Abuse Regulation: Impact on U.S. Public Companies – Part III, 134 Banking L.J. 138, 146 (2017): „[…] the ,reasonable investor‘ test has now been made the very definition of likely significant impact on price in MAR itself.“ 1011 Hierzu bereits Kapitel 4, A.III. 1012 Schwark/Kruse, in: Schwark/Zimmer, § 13 WpHG Rn. 47; Klöhn, ZHR 177 (2013), 349, 367; Vetter/Engel/Lauterbach, AG 2019, 160, 167. 1013 Klöhn, ZHR 177 (2013), 349, 367, 380; Vetter/Engel/Lauterbach, AG 2019, 160, 167; vgl. Langenbucher, AG 2016, 417, 419. 1014 Tippach, Das Insider-Handelsverbot, S. 148; Haouache, Börsenaufsicht durch Strafrecht, S. 103; vgl. auch Langenbucher, AG 2016, 417, 420. 1015 Vgl. Mennicke/Jakovou, in: Fuchs/WpHG, § 13 WpHG Rn. 134. 1016 Zur Orientierungshilfe bereits CESR, Market Abuse Directive: Level 3 – second set of CESR guidance and information on the common operation of the Directive to the market, July 2007, Rn. 1.14: „usueful indicators“; Mennicke/Jakovou, in: Fuchs/WpHG, § 13 Rn. 134; vgl. auch Bachmann, ZHR 172 (2008), 597, 603 f.

A. Der Begriff der Insiderinformationen (Art. 7 MMVO)

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seiner selbst willen geschützt, sondern weil er zur Verwirklichung der Regelungsziele des Rechtsakts beitragen soll (funktionaler Begriff).1017 Es ist seine Funktion, den Kreis der Insiderinformationen so zu bestimmen, dass die Insiderhandelsverbote und die Ad-hoc-Publizität in Einklang mit den Regelungszielen zur Anwendung kommen.1018 Aufgrund der fehlenden Ausgestaltung des verständigen Anlegers hat sich in Rechtsprechung und Schrifttum ein breites Meinungsspektrum gebildet, wie der Begriff im Wege der Auslegung mit Leben gefüllt werden kann. Geprägt ist dieses Meinungsspektrum von dem Bemühen, den unbestimmten Rechtsbegriff des „verständigen Anlegers“ mit individuellen Eigenschaften aufzuladen. Insbesondere werden dabei zwei Charakteristika intensiv diskutiert. Zum einen der Grad an Professionalität. Während eine Gruppe auf den „durchschnittlich verständigen Anleger“ im Sinne des Klein- und Privatanlegers abstellt,1019 sehen andere in ihm einen Angehörigen der Bereichsöffentlichkeit.1020 Die überwiegende Meinung versteht unter „verständig“ einen mit den Marktgegebenheiten vertrauten, börsenkundigen Anleger, der in Kenntnis der verfügbaren Informationen handelt – dieser Ansicht schloss sich auch der BGH in seiner IKB-Entscheidung an.1021 Zum anderen geht es um die Rationalität des verständigen Anlegers. Das OLG Stuttgart hat in seinem DaimlerChrysler II-Beschluss ausgeführt, dass ein verständiger Anleger rational handelt und seine Entscheidung auf verlässlicher tatsächlicher Informationsgrundlage trifft, was ihn vom spekulativen Anleger unterscheidet.1022 Hingegen hat sich der BGH in seiner IKB-Entscheidung auf den Standpunkt gestellt, dass ein verständiger Anleger, insbesondere an einem hochsensiblen Markt, auch irrationale Reaktionen andere Marktteilnehmer zu berücksichtigen hat.1023 b) Der verständige Anleger im Lichte der Regelungsziele der MMVO und ihres Insiderrechts Die Konkretisierung des normativen und funktionalen Begriffs des „verständigen Anlegers“ gem. Art. 7 Abs. 4 MMVO kann folglich nur durch Auslegung anhand der Regelungsziele der MMVO und ihrem Insiderrecht erfolgen. Dabei ist primär auf die kapitalmarktspezifischen Ziele des Funktions- und Anlegerschutzes 1017

Krause/Brellochs, AG 2013, 309, 313 f.; Klöhn, ZHR 177 (2013), 349, 383. Langenbucher, AG 2016, 417, 419. 1019 Caspari, ZGR 1994, 530, 540; Pananis, Insidertatsache und Primärinsider, S. 112 ff. 1020 Schäfer, in: Schäfer/Hamann, § 13 WpHG Rn. 50. 1021 BGH, NZG 2012, 1800 Rn. 41; OLG Stuttgart, NZG 2009, 624, 628; BaFin, Emittentenleitfaden 2013, S. 35; Mennicke/Jakovou, in: Fuchs/WpHG, § 13 Rn. 141; Schwark/ Kruse, in: Schwark/Zimmer, § 13 WpHG Rn. 47; Assmann, in: Assmann/Schneider/Mülbert, Art. 7 MMVO Rn. 84.; Rothenhöfer, in: Kümpel/Wittig, Rn. 3.500. 1022 OLG Stuttgart, NZG 2009, 624, 628. 1023 BGH, NZG 2012, 1800 Rn. 44; darin jedoch ebenfalls rationales Handeln sehend Bachmann, ZHR 172 (2008), 597, 603. 1018

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abzustellen, unterstützend sind aber auch die binnenmarktspezifischen Ziele zu berücksichtigen. aa) Funktionsschutz und ökonomische Theorie – Der verständige Anleger als Personifikation der halbstrengen Variante der ECMH Ausgehend vom Funktionsschutzziel als primärem Regelungsziel der MMVO und deren Insiderrecht, verstehen einige den verständigen Anleger als Einfallstor für ökonomische Theorie, nämlich der ECMH. Der verständige Anleger wird als entscheidende Figur zur Herstellung von Markteffizienz gesehen.1024 Da sich die Bestimmung eines effizienten Markts nach der ECMH richtet, könne der verständige Anleger nur die Personifikation der halbstrengen Variante der ECMH sein.1025 Diese von Klöhn für das deutsche Recht geprägte Ansicht ist dabei das einzige klare Konzept hinsichtlich des verständigen Anlegers, welches sich ersichtlich an den Regelungszielen des Rechtsakts ausrichtet. Die Ansicht geht davon aus, dass sich der verständige Anleger exakt so verhält, wie ein effizienter Markt im Sinne der halbstrengen Variante der ECMH. Folglich werden dem verständigen Anleger diejenigen Attribute attestiert, die einen solchen Markt charakterisieren. Er kennt also alle öffentlich bekannten Informationen und beurteilt diese Informationen rational anhand ihrer Fundamentalwertrelevanz.1026 Kursrelevant sind damit nur solche Informationen, die in einem so verstandenen effizienten Markt Kurse erheblich beeinflussen.1027 Da nach der halbstrengen Variante der ECMH die Märkte sowohl informations- als auch fundamentalwerteffizient sind, können das nur solche Informationen sein, die die vorhandene Informationslage so ändern, dass eine andere Beurteilung des Fundamentalwerts des Finanzinstruments angezeigt ist.1028 (1) Das Konzept des Fundamentalwerts und Ausnahme für handelsbezogene Informationen Grundlegend für diese Ansicht ist das Verständnis vom Konzept des Fundamentalwerts. Der Fundamentalwert eines Finanzinstruments ist der Gegenwartswert (net present value) der erwarteten zukünftigen Zahlungsströme (cash flows) dieses

1024

Klöhn, ZHR 177 (2013), 349, 383. So Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 7 Rn. 271, 274; Klöhn, ZHR 177 (2013), 349, 377; Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, § 107 Rn. 55; Krause, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 6 Rn. 115 f.; vgl. auch Weißhaupt, NZG 2019, 175. 1026 Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 7 Rn. 271; Klöhn, ZHR 177 (2013), 349, 370 f.; Krause, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 6 Rn. 116. 1027 Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 7 Rn. 271; Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/ Lwowski, § 107 Rn. 55; Klöhn, ZHR 177 (2013), 349, 377. 1028 Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 7 Rn. 271; Klöhn, ZHR 177 (2013), 349, 377. 1025

A. Der Begriff der Insiderinformationen (Art. 7 MMVO)

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Finanzinstruments.1029 Errechnet wird dieser Gegenwartswert indem man die erwarteten zukünftigen Zahlungsströme (zum Beispiel Dividenden und Zinszahlungen) addiert und mit einem Risikozinssatz auf die Gegenwart diskontiert (abzinst).1030 Zu einer Veränderung des Fundamentalwerts kann es mithin entweder durch eine Änderung der erwarteten zukünftigen Zahlungsströme oder einen veränderten Risikozinssatz kommen.1031 Die Auswirkungen einer Information auf den Kurs eines Finanzinstruments sind dabei jedoch fast immer unsicher, da sie einen Blick in die Zukunft erfordern.1032 Zusätzlich hängen die Auswirkungen einer Information von den Markterwartungen ab, die ebenfalls nicht mit Sicherheit vorhergesagt werden können.1033 Folglich führt eine Information zu vielen möglichen Auswirkungen auf den Kurs mit unterschiedlichen Eintrittswahrscheinlichkeiten – der Fundamentalwert ist also ein Erwartungswert.1034 Trotz dieser zahlreichen möglichen Kursauswirkungen lässt sich die erwartete zukünftige Kursauswirkung und damit die erwartete zukünftige Rendite präzise berechnen: Dafür muss man nur jede mögliche Kursauswirkung mit ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit multiplizieren und die Ergebnisse addieren.1035 Es zeigt sich mithin, dass zur Bestimmung eines Erwartungswerts die probability-magnitudeFormel zur Anwendung kommt: Die mögliche Kursauswirkung (magnitude) wird mit ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit (probability) multipliziert.1036 Daraus ergibt sich Folgendes: Wenn sich der Fundamentalwert anhand der probability-magnitudeFormel bestimmen lässt und der verständige Anleger, verstanden als Personifikation der halbstrengen Variante der ECMH, nur solche Informationen berücksichtigt, die zu einer anderen Bewertung des Fundamentalwerts führen, ist es selbstverständlich, dass diese Ansicht zur Bestimmung der Kursrelevanz von jeglichen Informationen ausschließlich die probability-magnitude-Formel anwendet.1037 Die Durchführung dieser „Rechenaufgabe“1038 wird dem verständigen Anleger zugeschrieben, womit ein klares und aufgrund feststehender objektiver Kriterien gut subsumierbares 1029

Shleifer, Inefficient Markets: An Introduction to Behavioral Finance, S. 2. Krause, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 6 Rn. 106; Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 7 Rn. 192. 1031 Krause, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 6 Rn. 106; Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 7 Rn. 192. 1032 Klöhn, NZG 2015, 809, 811; vgl. auch Brealey/Myers/Allen, Principles of Corporate Finance, S. 107; Bodie/Kane/Marcus, Investments, S. 128. 1033 Klöhn, NZG 2015, 809, 811. 1034 Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 7 Rn. 192; Klöhn, NZG 2015, 809, 811; hierzu mit dem anschaulichen Beispiel eines Münzwurfspiels Brealey/Myers/Allen, Principles of Corporate Finance, S. 170 ff. 1035 Brealey/Myers/Allen, Principles of Corporate Finance, S. 171; Berk/DeMarzo, Corporate Finance, S. 316 f.; Bodie/Kane/Marcus, Investments, S. 128 f. 1036 Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 7 Rn. 198; Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/ Lwowski, § 107 Rn. 55. 1037 Konsequent insoweit Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 7 Rn. 198 ff. 1038 Darauf hinweisend, dass hierbei keine „mathematische Präzision“ erreicht werden kann, da es sich stets um einen Erwartungswert handelt Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 7 Rn. 207. 1030

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Kap. 5: Das Insiderrecht der MMVO

Konzept hinsichtlich der Bestimmung der Kursrelevanz vorliegt1039 – das US-amerikanische Recht spricht hinsichtlich eines solchen Konzepts von einer bright-line rule. Dass ein klares und feststehendes Konzept nicht nur Vorteile bringt, sondern auch problematisch sein kann, wird bereits daran deutlich, dass die Befürworter ihr ausschließlich fundamentalwertorientiertes Konzept des verständigen Anlegers selbst nicht konsequent durchhalten. Eine Ausnahme wird für handelsbezogenen Informationen, also Informationen über die Orderlage, die Marktliquidität und andere Handelsbedingungen, gemacht.1040 Bei handelsbezogenen Informationen ergibt sich die Arbitragemöglichkeit nicht aus einer besseren Einschätzung des Fundamentalwerts eines Finanzinstruments, sondern aus einer besseren Kenntnis der Handelsbedingungen.1041 Ein Beispiel hierfür ist front running. Dabei kauft ein Broker, etwa in Kenntnis einer großen Kauforder, zuerst die entsprechenden Finanzinstrumente für sein eigenes Aktiendepot, um dann vom Preisanstieg der anschließenden Kauforder zu profitieren. Generell gesprochen, geht es beim Ausbeuten von handelsbezogenen Informationen um das Antizipieren von Ordern (order anticipating), um auf diese Weise vom Verhalten anderer Marktteilnehmer zu profitieren (parasitärer Handel).1042 Um diese Informationen erfassen zu können, wird die Bestimmung der Kursrelevanz dahingehend modifiziert, dass ein verständiger Anleger handelsbezogene Informationen immer dann berücksichtigt, wenn sie ihm Kenntnis einer Arbitragemöglichkeit verschaffen und ihm deren Ausnutzung lohnend erscheint.1043 (2) Möglichkeit der ökonomischen Analyse des Rechts Bevor eine kritische Auseinandersetzung mit den Argumenten dieser ökonomischen Ansicht erfolgen kann, ist vorrangig zu klären, ob es überhaupt zulässig ist, einen Rechtsbegriff, wie den verständigen Anleger, im Lichte ökonomischer Theorie (der ECMH) auszulegen. Bekannt ist diese Problematik als ökonomische Analyse des Rechts.1044 Während einige diese Möglichkeit ausschließlich dem Gesetzgeber zugestehen, halten andere eine solche Auslegung auch von Seiten der Rechtsprechung und der Rechtsanwender für zulässig.1045

1039 Vgl. Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 7 Rn. 278; Krause, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 6 Rn. 116. 1040 Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 7 Rn. 291. 1041 Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 7 Rn. 301. 1042 Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 7 Rn. 291. 1043 Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 7 Rn. 302. 1044 Hierzu etwa Posner, The Law and Economics Movement, 77 Am. Econ. Rev. 1 ff. (1987). 1045 Möllers, AcP 208 (2008), 1, 6; allgemein Grundmann, RabelsZ 61 (1997), 423, 430 ff.

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Bei allen Streitigkeiten ist jedoch anerkannt, dass ökonomische Theorie jedenfalls dann zur Auslegung von Rechtsbegriffen herangezogen werden kann, wenn ökonomische Aspekte, wie zum Beispiel Effizienz, ausdrücklich als Regelungsziele vom Gesetzgeber statuiert wurden.1046 Ausweislich Erwägungsgrund 2 MMVO zielt die MMVO ausdrücklich auch auf die Sicherstellung und Förderung eines effizienten Markts. Dementsprechend ist es zulässig, dass die ECMH herangezogen wird, um den Rechtsbegriff des „verständigen Anlegers“ auszufüllen. Selbstverständlich können weiterhin auch andere Maßstäbe herangezogen werden und zwar auch solche, die mit den Ergebnissen der ökonomischen Theorie konfligieren.1047 (3) Ursprung und Erwägungsgründe 14 und 15 MMVO als vorgebrachte Stützen der ökonomischen Ansicht Um ihr Verständnis des verständigen Anlegers zu untermauern, beruft sich die ökonomische Ansicht hauptsächlich auf zwei Argumentationsstränge: Zum einen den historischen Ursprung des reasonable investor test im US-amerikanischen Kapitalmarktrecht und zum anderen auf die Erwägungsgründe zum verständigen Anleger in der MMVO. So würden die US-amerikanischen Gerichte den verständigen Anleger im Rahmen des materiality-Standards als Personifikation der halbstrengen Variante der ECMH verstehen. Und da der reasonable investor test im europäischen Insiderrecht vom in TSC geprägten materiality-Standard abstammt, könne dieses Verständnis übertragen werden.1048 Ferner würden die Erwägungsgründe 14 (kennt alle öffentlich bekannten Informationen) und 15 (handelt rational) MMVO dem verständigen Anleger genau die beiden Attribute zuschreiben, die auch einen effizienten Markt im Sinne der halbstrengen Variante der ECMH charakterisieren.1049 Dementsprechend könne der verständige Anleger gar keine Einzelperson mit individuellen Eigenschaften sein, sondern nur die Personifikation der halbstrengen Variante der ECMH.1050

1046

Grundmann, RabelsZ 61 (1997), 423, 434; Möllers, AcP 208 (2008), 1, 6. Taupitz, AcP 196 (1996), 114, 136. 1048 Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 7 Rn. 275; Krause, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 6 Rn. 116; Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, § 107 Rn. 55. 1049 Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 7 Rn. 273 f.; Krause, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 6 Rn. 116; Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, § 107 Rn. 55. 1050 Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 7 Rn. 276 ff.; Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/ Lwowski, § 107 Rn. 55. 1047

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Kap. 5: Das Insiderrecht der MMVO

(a) Der verständige Anleger in der US-amerikanischen Rechtsprechung (aa) Lediglich vereinzeltes Verständnis des verständigen Anlegers als Personifikation der halbstrengen Variante der ECMH Die Verbindung zwischen dem reasonable investor test im europäischen Insiderrecht und dem in TSC geprägten materiality-Standard ist unverkennbar. Der ökonomischen Ansicht ist damit insoweit zuzustimmen, dass aus dem US-amerikanischen Recht gewonnene Erkenntnisse aufgrund dieser Verbindung grundsätzlich auf das europäische Insiderrecht übertragbar sind. Bemerkenswert ist jedoch bereits, dass hinsichtlich der These, die US-amerikanischen Gerichte würden den verständigen Anleger als Personifikation der halbstrengen Variante der ECMH verstehen, im Grundsatz lediglich auf je ein Urteil eines Circuit und District Courts verwiesen wird. In einer in Bezug genommenen Stelle der Entscheidung Shaw v. Digital Equipment Corp.1051 führt der First Circuit aus, dass „[i]n a fraud-on-the-market case the hypothetical ,reasonable investor,‘ by whom materiality is gauged, must be ,the market‘ itself, because it is the market, not any single investor, that determines the price of a publicly traded security“.1052 Um dieses Ergebnis zu bestätigen, zitiert der First Circuit eine Stelle aus In re VeriFone Sec. Litig.:1053 „The fraud-on-the-market theory […] shifts the inquiry from whether an individual investor was fooled to whether the market as a whole was fooled.“1054 Schon aufgrund der Wortwahl des Gerichts „in a fraud-on-the-market-case“ erscheint es zweifelhaft, dass das Gericht mit seiner Ausführung eine allgemein anerkannte Auslegung des verständigen Anlegers behandelt. Klarer wird das, wenn man sich das beiden Entscheidungen zugrundeliegende Konzept der fraud-on-themarket-Theorie näher anschaut.1055 Die Theorie basiert auf der Grundannahme der halbstrengen Variante der ECMH, wonach alle öffentlich bekannten Informationen bereits in den Kurs eingepreist sind und der Vermutung, dass die Anleger auf die Integrität des Kurses vertrauen, wenn sie investieren.1056 Dementsprechend hat der Supreme Court eine widerlegbare Vermutung (die fraud-on-the-market-Theorie) für das reliance-Kriterium in einem Anspruch nach SEC Rule 10b-5 statuiert.1057 Das legt nahe, dass der First Circuit sich mit seiner Ausführung nicht generell auf den verständigen Anleger bezogen hat, sondern nur auf den verständigen Anleger in dem Anspruch nach SEC Rule 10b-5.

1051

Shaw v. Digital Equipment Corp., 82 F.3d 1194 (1st Cir. 1996). Shaw v. Digital Equipment Corp., 82 F.3d 1194, 1218 (1st Cir. 1996). 1053 In re VeriFone Securities Litigation, 784 F.Supp 1471 (ND Cal 1992). 1054 In re VeriFone Securities Litigation, 784 F.Supp 1471, 1479 (ND Cal 1992). 1055 Die fraud-on-the-market-Theorie wurde in Basic begründet und in Halliburton Co. v. Erica P. John Fund Inc., 134 SCt 2398 (2014) bestätigt. 1056 Basic Inc. v. Levinson, 485 US 224, 247 (1988). 1057 Basic Inc. v. Levinson, 485 US 224, 247 (1988). 1052

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Bestätigung findet diese Schlussfolgerung, wenn man sich die Entscheidung in In re VeriFone Sec. Litig. genauer anschaut. Dort führt das Gericht im Anschluss an die eben zitierte Stelle aus: „Hence, the theory not so much eliminates the reliance requirement as subsumes in the fraud-on-the-market analysis. In the same way, the theory also subsumes the inquiry into materiality, causation and damages.“1058 Daraus wird Folgendes deutlich: Wenn man mit der fraud-on-the-market-Theorie beim reliance-Kriterium auf den Markt abstellt, dann ist es nur konsequent und logisch, dass man auch die anderen Kriterien des Anspruchs nach SEC Rule 10b-5 – und damit auch den materiality-Standard – im Lichte der Theorie versteht und auf den Markt abstellt.1059 Das Eingangszitat des First Circuit besagt damit lediglich, dass in einem Anspruch nach SEC Rule 10b-5 in dem die widerlegbare Vermutung der fraud-on-the-market-Theorie zur Anwendung kommt, aber eben auch nur da, der verständige Anleger, aus dessen Sicht die materiality beurteilt wird, der Markt sein muss. Für dieses restriktive Verständnis des Urteils lassen sich auch noch zwei systematische Aspekte anführen. Zum einen befindet sich die zitierte Stelle in dem Abschnitt des Urteils, der mit „The Section 10(b) Claims“ überschrieben ist. Auch hieraus wird deutlich, dass das Gericht mit den anschließenden Ausführungen zum verständigen Anleger kein allgemeines Verständnis dargelegt, sondern sich lediglich auf die den Fall betreffende Konstellation in einem SEC Rule 10b-5 Anspruch bezogen hat. Zum anderen würde ein solch generelles Verständnis der Ausführungen zum verständigen Anleger auch zu einem Widerspruch innerhalb des Urteils führen. Denn vor der zitierten Stelle finden sich Aussagen des Gerichts, in denen es ausdrücklich die Einführung einer brigth-line rule hinsichtlich des materiality-Standards ablehnt.1060 Der verständige Anleger verstanden als Personifikation der halbstrengen Variante der ECMH ist aber, wie gezeigt, letztlich nichts anderes als ein solch, objektiver anhand feststehender Kriterien zu beurteilender Maßstab. Die zweite Gerichtsentscheidung, auf die die ökonomische Theorie verweist, ist Chock Full O’Nuts Corp. v. Finkelstein.1061 Im Kontext von Publizitätserwägungen äußerte der District Court, dass „we continue to assume rationality and that all participants approach the situation thinking as Economic Man, within Adam Smith’s definition, seeking to follow the lead of Smith’s ,Invisible Hand‘“.1062 Der „Economic Man“ wird im Urteil als rational handelnde Person beschrieben, die ihre Anlageentscheidung auf öffentliche Informationen stützt und nach der bestmöglichen Rendite strebt, ohne dabei die Risikoaspekte einer Anlage aus den Augen zu ver-

1058

In re VeriFone Securities Litigation, 784 F.Supp 1471, 1479 (ND Cal 1992). Vgl. Spatz, Die Insiderinformation bei Unvorhersehbarkeit der Richtung der Kursauswirkung, S. 111. 1060 Shaw v. Digital Equipment Corp., 82 F.3d 1194, 1208 (1st Cir. 1996). 1061 Chock Full O’Nuts Corp. v. Finkelstein, 548 FSupp 212 (SDNY 1982). 1062 Chock Full O’Nuts Corp. v. Finkelstein, 548 FSupp 212, 219 (SDNY 1982). 1059

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Kap. 5: Das Insiderrecht der MMVO

lieren.1063 Diese Beschreibung weist sicherlich Parallelen zu den Attributen auf, die einen effizienten Markt im Sinne der halbstrengen Variante der ECMH ausmachen. Allerdings ist auch hier zu beachten, dass das Gericht keine allgemeingültige Aussage getroffen, sondern sich nur auf Publizitätserwägungen bezogen hat. Ferner setzt das Gericht den „Economic Man“ mit keinem Wort mit dem verständigen Anleger in Verbindung. Die plakativen Ausführungen des Gerichts an dieser Stelle können zwar in diese Richtung verstanden werden, zwingend ist ein solches Verständnis allerdings nicht. Ein allgemeines Verständnis, dass die US-amerikanischen Gerichte den verständigen Anleger als Personifikation der halbstrengen Variante der ECMH verstehen, wie es die Vertreter der ökonomischen Ansicht darstellen, lässt sich damit weder der Entscheidung des First Circuit noch der Entscheidung des District Court entnehmen. (bb) Stetige Ablehnung einer bright-line rule vom Supreme Court Können bereits die beiden in Bezug genommenen Urteile des First Circuit und des District Court das unterstellte allgemeine Verständnis des verständigen Anlegers als Personifikation der halbstrengen Variante der ECMH nicht stützen, so kommt erschwerend hinzu, dass bisher auch der Supreme Court ein solches Verständnis nicht bestätigt hat. Im Gegenteil, in seiner Basic-Entscheidung hat der Supreme Court ausdrücklich eine bright-line rule hinsichtlich der Bestimmung der materiality mit der Begründung abgelehnt,1064 dass „[a]ny approach that designates a single fact or occurrence as always determinative of an inherently-fact-specific finding such as materiality, must necessarily be overinclusive or underinclusive“.1065 Vielmehr komme es für die Bestimmung der materiality auf alle Umstände des Einzelfalls an.1066 Die ausdrückliche Ablehnung einer bright-line rule bezüglich des materialityStandards hat der Supreme Court in Matrixx Initiatives Inc. v. Siracusano bestätigt.1067 Der Supreme Court hat sich damit nicht nur nicht dem Verständnis der ökonomischen Theorie angeschlossen, sondern vertritt einen gänzlich anderen Ansatz. Nicht einzelne Aspekte, wie etwa Auswirkungen und Eintrittswahrscheinlichkeit, seien heranzuziehen, sondern es komme stets auf alle Umstände des jeweiligen Einzelfalls an.

1063

Chock Full O’Nuts Corp. v. Finkelstein, 548 FSupp 212, 218 (SDNY 1982). In Basic Inc. v. Levinson, 485 US 224, 237 (1988) lehnte der Supreme Court den „agreement-in-principle“-Test zur Bestimmung der materiality ab. 1065 Basic Inc. v. Levinson, 485 US 224, 236 (1988). 1066 Basic Inc. v. Levinson, 485 US 224, 236 (1988). 1067 Matrixx Initiatives Inc. v. Siracusano, 131 SCt 1309, 1318 ff. (2011). 1064

A. Der Begriff der Insiderinformationen (Art. 7 MMVO)

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(cc) Versuche der Charakterisierung des verständigen Anlegers Abgesehen von der Diskussion, ob die US-amerikanischen Gerichte den verständigen Anleger als Personifikation der halbstrengen Variante der ECMH sehen, gibt es allen voran Entscheidungen von Circuit Courts, die sich, vergleichbar mit dem BGH, an einer Charakterisierung des verständigen Anlegers versucht haben. So habe der verständige Anleger Kenntnis von den allgemeinen wirtschaftlichen Bedingungen1068 und davon, dass Geld einen Zeitwert hat.1069 Darüber hinaus kenne er sich zumindest in Grundzügen mit Diversifizierung aus und könne selbstständig beurteilen, wie viel Risiko er eingehen möchte.1070 Zudem verstehe er das Wesen eines Margen-/Einschusskontos1071 und die Vergütungsstruktur in der Wertpapierbranche.1072 Der Supreme Court hat bisher nicht viel zu dieser Charakterisierung beigetragen. In einer viel zitierten Passage der Basic-Entscheidung, in der der Supreme Court ausführt, dass der materiality-Standard keinesfalls zu niedrig sein darf, merkt das Gericht lediglich etwas plakativ an, dass Anleger weder Dummköpfe („nitwits“) sind noch eine kindliche Naivität („childlike simplicity“) aufweisen. Diese Erkenntnis kann zwar als Ausgangspunkt genommen werden, für eine weiterführende Charakterisierung des verständigen Anlegers ist sie aber nur wenig hilfreich. Vergleicht man die Charakterisierungen der US-amerikanischen und deutschen Gerichte, so lassen sich durchaus Gemeinsamkeiten feststellen. So gehen etwa beide davon aus, dass der verständige Anleger die Marktbedingungen kennt und mit diesen vertraut – also börsenkundig ist. Andererseits ist auffallend, dass die US-amerikanischen Gerichte mehr ökonomische Aspekte (Diversifizierung, Zeitwert von Geld) einbeziehen, als das die deutschen Gerichte tun. Insgesamt lässt sich festhalten, dass es nicht ein Verständnis (Personifikation der halbstrengen Variante der ECMH) der US-amerikanischen Gerichte hinsichtlich des verständigen Anlegers gibt, sondern sich die Urteile vielmehr ebenfalls durch ein breites Meinungsspektrum auszeichnen.

1068

In re Donald Trump Casino Securities Litigation, 7 F.3d 357, 377 (3d Cir. 1993). Levitin v. PaineWebber Inc., 159 F.3d 698, 702 (2d Cir. 1998). 1070 Dodds v. Cigna Securities Inc., 12 F.3d 346, 351 (2d Cir. 1993). 1071 Zerman v. Ball, 735 F.2d 15, 21 (2d Cir. 1984); bei einem Margen-/Einschusskonto geht es vereinfacht darum, dass man sich Geld von seinem Broker für den Erwerb von Wertpapieren leiht. 1072 Platsis v. E.F. Hutton & Co. Inc., 946 F.2d 38, 41 (6th Cir. 1991). 1069

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Kap. 5: Das Insiderrecht der MMVO

(b) Der verständige Anleger in den Erwägungsgründen der MMVO (aa) Keine klaren Aussagen zum verständigen Anleger in den Erwägungsgründen 14 und 15 MMVO Neben dem US-amerikanischen Recht berufen sich die Anhänger der ökonomischen Ansicht auf die Erwägungsgründe 14 und 15 der MMVO. In ihnen sollen dem verständigen Anleger genau jene zwei Attribute zugeschrieben werden, die auch einen effizienten Markt im Sinne der halbstrengen Variante der ECMH charakterisieren – er kennt alle öffentlich verfügbaren Informationen (Erwägungsgrund 14 MMVO) und handelt rational (Erwägungsgrund 15 MMVO).1073 Erwägungsgrund 14 MMVO besagt, dass verständige Anleger ihre Anlageentscheidung auf die ihnen bekannten ex-ante-Informationen stützen und folglich die Frage, ob ein verständiger Anleger eine bestimmte Information bei seiner Anlageentscheidung wohl berücksichtigen würde, anhand der ex-ante-Informationen beurteilt werden sollte. Da Art. 7 Abs. 1 lit. a) MMVO für die Insiderinformation fordert, dass die Information nicht öffentlich bekannt ist, kann es sich bei den in Erwägungsgrund 14 MMVO genannten ex-ante-Informationen nur um öffentlich bekannte Informationen handeln.1074 Dass damit aus Erwägungsgrund 14 MMVO folgt, dass der verständige Anleger alle öffentlich bekannten Informationen kennt, ist hingegen nicht selbstverständlich. Sicherlich kann man die dargelegten Ausführungen so verstehen, wenn man das möchte. Zusätzlich kann man auch Erwägungsgrund 14 S. 3 MMVO heranziehen, in dem gesagt wird, dass für die Prüfung, ob ein verständiger Anleger eine Information bei seiner Anlageentscheidung berücksichtigen würde, unter anderem auch die voraussichtlichen Auswirkungen der Information und die Verlässlichkeit der Informationsquelle berücksichtigt werden sollen, und so deuten, dass hiermit die Anwendung der probability-magnitudeFormel für die MMVO anerkannt wird, was dann wiederum für das Verständnis des verständigen Anlegers im Sinne der ökonomischen Ansicht spricht.1075 Zwingend ist das jedoch nicht. Denn Erwägungsgrund 14 S. 3 MMVO erwähnt mit keinem Wort, dass voraussichtliche Auswirkung und Eintrittswahrscheinlichkeit ins Verhältnis zu setzen oder gar zu multiplizieren sind, um damit ein Minus beim einen durch ein Plus beim anderen zu kompensieren.1076 Vielmehr nennt der Er1073

Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 7 Rn. 273 f.; Krause, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 6 Rn. 116; vgl. Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, § 107 Rn. 55. 1074 Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, § 107 Rn. 55. 1075 Die Anwendung der probability-magnitude-Formel unter Geltung der MMVO mit Verweis auf Erwägungsgrund 14 S. 3 MMVO bejahend Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 7 Rn. 204 ff.; i.E. ebenfalls Teigelack, BB 2016, 1604, 1606; Hopt/Kumpan, in: Schimansky/ Bunte/Lwowski, § 107 Rn. 55. 1076 So auch schon gegen eine Anerkennung der probability-magnitude-Formel in den Passagen der Entscheidungen EuGH Urt. v. 28. 06. 2012 – Rs C-19/11 = ZIP 2012, 1282 Rn. 55 (Geltl) und BGH, ZIP 2013, 1165 Rn. 31 (Geltl), Mennicke, ZBB 2013, 244, 248; Brellochs, ZIP 2013, 1170, 1172; Ihrig/Kranz, AG 2013, 515, 516 f.

A. Der Begriff der Insiderinformationen (Art. 7 MMVO)

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wägungsgrund noch andere Faktoren (Gesamttätigkeit des Emittenten, sonstige Marktvariablen), die ebenfalls in Betracht gezogen werden sollten, was gegen eine ausschließliche Anwendung der probability-magnitude-Formel spricht. Ferner spricht Satz 1 des Erwägungsgrunds ausdrücklich von ex-ante-Informationen, „die ihnen vorab zur Verfügung stehen“. Das Wort „ihnen“ kann hier durchaus auch als individuelle Komponente dahingehend verstanden werden, dass verständige Anleger ihre Anlageentscheidung auf die ihnen persönlich zur Verfügung stehenden Informationen stützen und gerade nicht auf alle öffentlich bekannten Informationen, wie von der ökonomischen Ansicht unterstellt.1077 Gleichfalls lässt sich auch aus Erwägungsgrund 15 MMVO nicht zwingend ableiten, dass der verständige Anleger rational handelt. Dort ist lediglich von „vernünftigen Schlussfolgerungen“ die Rede. Schon rein sprachlich ist „vernünftig“ keinesfalls zwangsläufig gleichbedeutend mit „rational“. Hierbei handelt es sich auch nicht etwa um eine Übersetzungsungenauigkeit, denn auch die englische (reasonable) und die französische (raisonnable) Sprachfassung sprechen nicht von „rational“. Darüber hinaus geht es in Erwägungsgrund 15 MMVO gar nicht primär um den verständigen Anleger als solchen, sondern um die Rolle und die Folgen von ex-post-Informationen. Das legt den Schluss nahe, dass der Gesetzgeber vor allem mit Erwägungsgrund 14 MMVO zwar auch etwas zum verständigen Anleger an sich sagen wollte, es ihm jedoch primär darum ging, den ex-ante-Maßstab für dessen Prognoseentscheidung zu erläutern und das Verhältnis zu ex-post-Informationen klarzustellen.1078 (bb) Allgemeine Erwägungsgründe sprechen gegen ökonomische Ansicht Mögen die Aussagen in den Erwägungsgründen 14 und 15 MMVO hinsichtlich des verständigen Anlegers unklar und mehrdeutig sein, so sprechen die allgemeinen Erwägungsgründe der MMVO eine klarere Sprache. Die MMVO will mehr Rechtssicherheit und insbesondere für „die Klarheit zentraler Begriffe“ sorgen.1079 Hinsichtlich des Schlüsselbegriffs des „verständigen Anlegers“ ist insoweit allerdings nichts geschehen. Nun sind jedoch die Erwägungsgründe 14 und 15 MMVO nahezu identisch mit den Erwägungsgründen 1 und 2 der DurchführungsverordnungMMRL. Bereits aus ihnen hatte Klöhn die Anerkennung der ökonomischen Ansicht unter Geltung der MMRL abgeleitet.1080 Sollte dies tatsächlich der Fall sein, hätte der europäische Gesetzgeber nicht nur nichts Neues zur Konkretisierung des verständigen Anlegers beigetragen, sondern sogar ein bereits vorhandenes unklares Konzept

1077

So bereits Spatz, Die Insiderinformation bei Unvorhersehbarkeit der Richtung der Kursauswirkung, S. 84. 1078 Vgl. Spatz, Die Insiderinformation bei Unvorhersehbarkeit der Richtung der Kursauswirkung, S. 84. 1079 Erwägungsgründe 3 und 4 MMVO. 1080 Klöhn, ZHR 177 (2013), 349, 371.

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Kap. 5: Das Insiderrecht der MMVO

in den Erwägungsgründen beibehalten. Das ist vor dem Hintergrund der Ziele in den allgemeinen Erwägungsgründen der MMVO jedoch nur sehr schwer vorstellbar. (4) Zwischenergebnis Weder dem US-amerikanischen Recht noch den Erwägungsgründen der MMVO lässt sich entnehmen, dass der verständige Anleger nur die Personifikation der halbstrengen Variante der ECMH sein kann. Vielmehr sprechen die besseren Argumente sogar gegen ein solches Verständnis und für die Einbeziehung aller Umstände des Einzelfalls. Selbst wenn man die beiden angeführten Urteile des Circuit und District Court als alleinigen Maßstab anerkennen würde, ergäben sich aus deren regelungstechnischem Hintergrund, der fraud-on-the-market-Theorie, Probleme hinsichtlich einer Übertragbarkeit des Maßstabs in das europäische Kapitalmarktrecht. Denn der EuGH hat die Theorie bisher nicht anerkannt und andere europäische Gerichte, wie etwa der BGH, haben sich teilweise sogar ausdrücklich gegen eine Anwendung der Theorie ausgesprochen.1081 Auch bei Anerkennung des Maßstabs könnte er also, aufgrund dogmatischer Unterschiede, jedenfalls nicht undifferenziert in das europäische Kapitalmarktrecht übertragen werden.1082 Ferner wenden sich auch die bisherigen Ausführungen der BaFin gegen das Verständnis der ökonomischen Ansicht. So hat die BaFin ausdrücklich erklärt, dass ein verständiger Anleger auch spekulative Gesichtspunkte berücksichtige.1083 Ein so verstandener verständiger Anleger ist jedoch unvereinbar mit einer Personifikation der halbstrengen Variante der ECMH, die sich ausschließlich am Fundamentalwert orientiert und gerade nicht spekuliert.1084 Dennoch weist das Verständnis des verständigen Anlegers als Personifikation der halbstrengen Variante der ECMH einige Vorteile vor allem für die Praxis auf. So bietet es ein klares und aufgrund objektiv feststehender Kriterien subsumierbares Konzept hinsichtlich des verständigen Anlegers, das am Funktionsschutzziel orientiert ist. Ein solches Konzept führt zu Rechtssicherheit und ist am ehesten geeignet für eine einheitliche Auslegung in allen Mitgliedsstaaten zu sorgen.1085 Die dem verständigen Anleger von der ökonomischen Ansicht attestierten Attribute (handelt rational und am Fundamentalwert orientiert) können daher nicht außer Betracht gelassen werden, wenn es um die Auslegung des verständigen Anlegers im Sinne von

1081 So der BGH in seinen ComROAD-Entscheidungen, siehe etwa BGH, ZIP 2007, 681 Rn. 11 (ComROAD I); BGH ZIP 2007, 1560 Rn. 16 (ComROAD IV). 1082 Ausführlich hierzu Spatz, Die Insiderinformation bei Unvorhersehbarkeit der Richtung der Kursauswirkung, S. 128 ff. 1083 BaFin, Art. 17 MAR – Veröffentlichung von Insiderinformationen (FAQs), Stand: 29. 05. 2019, III.4.b). 1084 Vgl. Apfelbacher, in: Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2017, S. 57, 63. 1085 Vgl. Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 7 Rn. 267, 278; Krause, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 6 Rn. 116.

A. Der Begriff der Insiderinformationen (Art. 7 MMVO)

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Art. 7 Abs. 4 MMVO geht. Im Unterschied zur ökonomischen Ansicht allerdings nicht als ausschließliche Kriterien. bb) Der verständige Anleger und Anlegerschutz Inwieweit ausschließlich funktionsschutzorientierte Erwägungen bei der Auslegung des funktionalen Begriffs des „verständigen Anlegers“ zu berücksichtigen sind, hängt auch entscheidend von der Frage ab, inwiefern Anlegerschutzgesichtspunkte bei der Insiderregulierung eine Rolle spielen. Geht man wie die ökonomische Ansicht davon aus, dass Finanzmarktregulierung im Allgemeinen und Insiderregulierung im Besonderen primär dem Funktionsschutz der Märkte dienen und der Anlegerschutz, verstanden als Anlegerkollektivschutz, lediglich ein davon abgeleiteter Rechtsreflex ist,1086 müssen individuelle Anlegerschutzaspekte außer Betracht bleiben. Ob diese zum alten Recht mehrheitlich vertretene Ansicht auch unter Geltung der MMVO aufrechterhalten werden kann, ist jedoch fraglich. Die MMVO weist eine erheblich stärkere Akzentuierung hinsichtlich des Anlegerschutzziels auf, sodass eine anlegerschützende Wirkung der MMVO jedenfalls nicht von vornherein geleugnet werden kann. Vielmehr ist zu untersuchen, ob die Insiderhandelsverbote und die Ad-hoc-Publizität, für deren Anwendung das Verständnis des verständigen Anlegers entscheidend ist, einen über einen bloßen Anlegerkollektivschutz hinausgehenden individuellen Anlegerschutz bezwecken.1087 (1) Insiderhandelsverbote Mit Blick auf Erwägungsgrund 23 MMVO wird vertreten, dass hinsichtlich der Insiderhandelsverbote sogar der individuelle Anlegerschutz das primäre Regelungsziel sei, der dann zu einem lediglich reflexartigen Marktschutz führe.1088 Abgeleitet wird dieses Verständnis aus der Formulierung in Erwägungsgrund 23 S. 1 MMVO, wonach das wesentliche Merkmal von Insidergeschäften ein ungerechtfertigter Vorteil ist, der zum Nachteil Dritter erzielt wird und erst „infolgedessen“ in der Untergrabung der Integrität der Finanzmärkte und des Vertrauens der Investoren.1089 Dieses Verständnis mag im Ergebnis ein wenig zu weit gehen, hat jedoch einen wahren Kern. Denn was Erwägungsgrund 23 S. 1 MMVO sagt, ist, dass bevor es zu einer Stärkung des Vertrauens der Anleger – als Kollektiv – durch die Insiderhan1086 So Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 14 Rn. 9 ff., Art. 17 Rn. 38 ff.; Veil, in: Meyer/Veil/ Rönnau, § 7 Rn. 4, 102 f.; Veil/Brüggemeier, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 10 Rn. 1; Assmann, in: Assmann/Schneider/Mülbert, Art. 14 MMVO Rn. 12. 1087 Davon zu unterscheiden, ist die Frage, der hier nicht weiter nachgegangen werden soll, ob die Vorschriften auch Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB sind, siehe Hopt/ Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, § 107 Rn. 4. 1088 Beneke/Thelen, BKR 2017, 12, 14. 1089 Beneke/Thelen, BKR 2017, 12, 14.

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Kap. 5: Das Insiderrecht der MMVO

delsverbote kommen kann, muss erst einmal jeder Anleger individuell vor Insiderhandel geschützt werden. Anders gewendet, nur wenn individueller Anlegerschutz vor Insiderhandel besteht, kann sich ein kollektives Anlegervertrauen bilden. Individueller Anlegerschutz ist also gewissermaßen notwendige Voraussetzung für kollektives Anlegervertrauen.1090 Dafür, dass diesem individuellen Anlegerschutz dabei eigenständige Bedeutung zukommt, kann der Gedanke der Europäischen Kommission bezüglich ihres Vorschlags für die Einführung einer „Insiderinformation light“ herangezogen werden.1091 Eine Information kann nämlich nach dem Prinzip der informationellen Chancengleichheit bereits einen zu missbilligenden Informationsvorsprung darstellen, bevor die Information zu veröffentlichen ist oder sich ein effizienter Kapitalmarkt für diese Information interessiert. Diese Idee durchzieht auch die Ansicht, die sich im Rahmen der Kursrelevanzprüfung eines Zwischenschritts, der nicht bereits aus sich heraus kursrelevant ist, gegen eine Mindesteintrittswahrscheinlichkeit des zukünftigen Endergebnisses ausspricht und zur Vermeidung einer ausufernden Ad-hoc-Publizität auf das Instrument der Selbstbefreiung verweist.1092 Gleichfalls kann hier das Handelsverbot in Art. 19 Abs. 11 MMVO genannt werden.1093 Danach ist es Führungspersonen in dem genannten Zeitraum grundsätzlich gänzlich verboten mit Finanzinstrumenten ihres Emittenten zu handeln. Das bedeutet, dass es ihnen in diesem Zeitraum sogar untersagt ist, einen Informationsvorsprung, der nicht auf einer Insiderinformation beruht, auszunutzen (was ihnen sonst nach Art. 19 Abs. 1 MMVO grundsätzlich erlaubt ist).1094 Der Gesetzgeber macht hier also einen zu misbilligenden Informationsvorsprung bereits unterhalb der Schwelle der Insiderinformation aus, jedoch ohne, dass gleichzeitig eine Veröffentlichungspflicht besteht. Der individuelle Anleger ist mithin durch die Insiderhandelsverbote grundsätzlich vor jedem zu missbilligenden Informationsvorsprung zu schützen und zwar unabhängig davon, ob die Information für einen effizienten Kapitalmarkt bereits von Interesse ist. Nur so kann das tragenden Prinzip der informationellen Chancengleichheit aller Marktteilnehmer zur vollen Entfaltung kommen.1095 Auf die allgemeine Zivilrechtsdogmatik umgemünzt, stellen die Insiderhandelsverbote mithin das Äquivalent zum allgemeinen Arglistverbot dar.1096 Da am anonymen Kapitalmarkt jedoch zivilrechtliche Kernprinzipien, wie etwa Aufklärungspflichten, nicht zur Anwendung kommen, entstehen für den individuellen Anleger Schutzlücken, die durch die Insiderhandelsverbote geschlossen werden und die folglich zur Ver1090 1091 1092 1093 1094 1095 1096

Vgl. Einsele, ZHR 180 (2016), 233, 241. Oben A.I. So etwa Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 7 Rn. 111. Ausführlich hierzu unten E.II. Vgl. Veil, ZBB 2014, 85, 95. Vgl. Veil, ZBB 2014, 85, 95. Schall, JZ 2010, 392, 396.

A. Der Begriff der Insiderinformationen (Art. 7 MMVO)

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tragsparität am Kapitalmarkt beitragen.1097 Dementsprechend haben die Insiderhandelsverbote einen eigenständigen Regelungsbereich neben den Funktionsschutzund Effizienzerwägungen und bezwecken mithin auch individuellen Anlegerschutz.1098 (2) Ad-hoc-Publizität Die Ad-hoc-Publizität erfüllt als wesentliches Merkmal des Funktionsschutzes grundsätzlich eine Doppelfunktion. Zum einen wird sie als Mittel zur Insiderprävention angesehen, indem sie die Insiderinformation öffentlich zugänglich macht und dem Insider damit seinen Wissensvorsprung nimmt.1099 Aus dieser Funktion als flankierendem Schutz – zu den Insiderhandelsverboten – vor Insiderhandel,1100 wird auch die tatbestandliche Anknüpfung von Insiderhandelsverboten und Ad-hoc-Publizität an den gleichen Begriff der Insiderinformation gerechtfertigt.1101 Zum anderen ist die Ad-hoc-Publizität ein Publizitätsinstrument.1102 Sie ergänzt die Regelpublizität und sorgt für ein hinreichendes und zutreffendes Informationsniveau am Markt.1103 Durch den sichergestellten Informationsfluss in den Markt stärkt sie dessen Informations- und Fundamentalwerteffizienz.1104 Die so geschaffene Transparenz am Markt ist Grundbedingung dafür, dass sich ein Anlegervertrauen in die Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts bilden kann.1105 Versteht man die Funktion der Ad-hoc-Publizität richtigerweise primär vor diesem transparenzrechtlichen Hintergrund,1106 ist auch ein Gleichlauf von Insiderhandelsverboten und 1097

Schall, JZ 2010, 392, 396 f.; siehe auch EuGH Urt. v. 23. 12. 2009 – Rs. C-45/08, Slg. 2009, I-12073 Rn. 48 (Spector Photo Group) und EuGH Urt. v. 10. 5. 2007 – Rs. C-391/04, Slg. 2007 I-3741 Rn. 38 (Georgakis), wonach das Verbot von Insidergeschäften das Ziel verfolgt, die Gleichheit der Vertragspartner bei einem Börsengeschäft zu gewährleisten. 1098 Schall, JZ 2010, 392, 397; i.E. auch Poelzig, NZG 2016, 492, 501; Beneke/Thelen, BKR 2017, 12, 14; Grundmann, in: HGB-Großkomm., Band 11/1 Rn. 489; wohl auch Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, § 107 Rn. 4; vgl. auch Mülbert, ZHR 177 (2013), 160, 177; a.A. etwa Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 14 Rn. 9 ff. m.w.N. 1099 Koch, in: Veil/EurKapR, § 19 Rn. 1 f.; Veil/Brüggemeier, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 10 Rn. 1. 1100 Erwägungsgrund 49 S. 1 MMVO; Veil/Brüggemeier, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 10 Rn. 1. 1101 Veil/Brüggemeier, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 10 Rn. 1; Koch, in: Veil/EurKapR, § 19 Rn. 2; Tollkühn, ZIP 2004, 2215. 1102 Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Vor Art. 17 Rn. 2, Art. 17 Rn. 1; Koch, in: Veil/EurKapR, § 19 Rn. 1; Veil/Brüggemeier, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 10 Rn. 11. 1103 Seibt, ZHR 177 (2013), 388, 392 ff.; Koch, in: Veil/EurKapR, § 19 Rn. 1. 1104 Veil/Brüggemeier, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 10 Rn. 1; Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Vor Art. 17 Rn. 51 1105 Siehe oben Kapitel 1, B.I.1.a)cc). 1106 Hierfür spricht die Historie der Ad-hoc-Publizität, die ursprünglich als originäre Publizitätspflicht in Schema C Ziff. 5 lit. A) Börsenzulassungs-RL geregelt war und erst durch die Integration in die MMRL ihre Präventivfunktion unmittelbar betont wurde, hierzu Lutter/

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Kap. 5: Das Insiderrecht der MMVO

Ad-hoc-Publizität nicht zwingend angezeigt.1107 Denn wie eben ausgeführt, können Informationen bereits einen zu missbilligenden Informationsvorsprung bieten, bevor sie für einen effizienten Kapitalmarkt interessant werden. Ein darüberhinausgehender individueller Anlegerschutz besteht nicht. Daran ändert auch Erwägungsgrund 49 S. 1 MMVO nichts, der unter anderem besagt, dass die öffentliche Bekanntgabe von Insiderinformationen von wesentlicher Bedeutung ist, um der Irreführung von Anlegern vorzubeugen.1108 Denn mit der öffentlichen Bekanntgabe der Information ist diese an einem effizienten Markt im Sinne der halbstrengen Variante der ECMH bereits eingepreist, womit die Anleger aufgrund der Markteffizienz „preisgeschützt“ sind.1109 Im Rahmen der Ad-hoc-Publizität geht der Anlegerschutz damit nicht über einen Anlegerkollektivschutz hinaus.1110 (3) Zwischenfazit Insiderhandelsverbote und Ad-hoc-Publizität fördern beide das Funktionsschutzziel. Während sich die Ad-hoc-Publizität dabei auf einen Anlegerkollektivschutz beschränkt, bezwecken die Insiderhandelsverbote einen darüber hinausgehenden Anlegerindividualschutz. Für die Auslegung des verständigen Anlegers bedeutet das, dass er vor dem Hintergrund der Insiderhandelsverbote nicht ausschließlich mit am Funktionsschutz orientierten Attributen ausgestaltet werden kann, sondern auch individuelle Eigenschaften eine Rolle spielen müssen, die der Funktion des verständigen Anlegers für den Anlegerindividualschutz gerecht werden. cc) Der verständige Anleger vor dem Hintergrund binnenmarktspezifischer Ziele (1) Der verständige Anleger als Mittel zur Einheitlichkeit Aufgrund der Funktionalität des Begriffs des „verständigen Anlegers“ sind neben den kapitalmarktspezifischen auch die binnenmarktspezifischen Ziele der MMVO

Bayer/J. Schmidt, Rn. 35.54; Grundmann, Europäisches Gesellschaftsrecht, Rn. 739 ff.; Fürhoff, AG 2003, 80, 83; und aus systematischen Gesichtspunkten der Verweis auf die Transparenzrichtlinie in Art. 17 Abs. 1 UAbs. 2 MMVO; ebenfalls das transparenzrechtliche Verständnis bevorzugend Koch, BB 2012, 1365, 1367; Veil/Koch, WM 2011, 2297, 2302; Hopt/ Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, § 107 Rn. 133 f. 1107 Koch, in: Veil/EurKapR, § 19 Rn. 3. 1108 So aber Seibt/Wollenschläger, AG 2014, 593, 607. 1109 Vgl. Easterbrook/Fischel, Mandatory Disclosure and the Protection of Investors’, 70 Va. L. Rev. 669, 693 ff. (1984); Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 17 Rn. 37; Begriff bei Klöhn, ZHR 177 (2013), 349, 358. 1110 Assmann, in: Assmann/Schneider/Mülbert, Art. 17 MMVO Rn. 11; Klöhn, in: Klöhn/ MMVO, Art. 17 Rn. 5; Ihrig, ZHR 181 (2017), 381, 390.

A. Der Begriff der Insiderinformationen (Art. 7 MMVO)

193

ergänzend heranzuziehen, wenn es um das Verständnis des verständigen Anlegers gemäß Art. 7 Abs. 4 MMVO geht. Die Kapitalverkehrsfreiheit ist eine der Grundfreiheiten der Europäischen Union.1111 Nach dem Aktionsplan der Europäischen Kommission zur Schaffung einer Kapitalmarktunion sind die europäischen Kapitalmärkte aber nach wie vor verhältnismäßig unterentwickelt und fragmentiert.1112 Insbesondere aus unterschiedlichen mitgliedsstaatlichen Rechtsordnungen erwachsen dabei Hindernisse für grenzüberschreitende Investitionen.1113 Die Schaffung einer Kapitalmarktunion zielt darauf ab, diese nationalen Hindernisse zu beseitigen und die Kapitalverkehrsfreiheit zu fördern.1114 Die Kapitalmarktunion steht folglich für Rechtsvereinheitlichung und eine einheitliche Anwendung der kapitalmarktrechtlichen Vorschriften. Dadurch wird nicht nur die Rechtssicherheit gestärkt, sondern es werden auch grenzüberschreitende Investitionen begünstigt.1115 Allerdings will die Europäische Kommission die Kapitalmarktunion und damit eine Rechtsvereinheitlichung nicht um jeden Preis. Der Aktionsplan sieht ausdrücklich vor, dass er bezweckt, nur ungerechtfertigte nationale Barrieren für die Kapitalverkehrsfreiheit zu beseitigen.1116 Somit sollen den Mitgliedsstaaten auch in einer Kapitalmarktunion noch Räume für nationale und individuelle Besonderheiten verbleiben. Für das Verständnis des verständigen Anlegers bedeutet das Folgendes: Das binnenmarktspezifische Ziel der Schaffung einer Kapitalmarktunion streitet grundsätzlich für eine Auslegung des verständigen Anlegers, die zu einer einheitlichen Rechtslage in allen Mitgliedsstaaten führt. Gleichzeitig ist das Ziel jedoch auch offen für die Etablierung gewisser individueller Merkmale, um so den Besonderheiten von Einzelfällen Rechnung tragen zu können. Die Merkmale des verständigen Anlegers müssen letztlich so gewählt werden, dass im Ausgangspunkt ein einheitliches Verständnis in allen Mitgliedsstaaten zumindest möglich ist. (2) Der verständige Anleger als Mittel zur Rechtssicherheit Darüber hinaus muss auch das insbesondere vor dem Schlüsselbegriff des „verständigen Anlegers“ zu sehende und die Zielsetzung der Rechtsvereinheitlichung 1111

Art. 63 AEUV. Europäische Kommission, Aktionsplan COM(2015) 468 final v. 30. 09. 2015, S. 3. 1113 Europäische Kommission, Aktionsplan COM(2015) 468 final v. 30. 09. 2015, S. 23 ff. 1114 Europäische Kommission, Aktionsplan COM(2015) 468 final v. 30. 09. 2015, S. 23 f. 1115 Europäische Kommission, Aktionsplan COM(2015) 468 final v. 30. 09. 2015, S. 23 f. 1116 Europäische Kommission, Aktionsplan COM(2015) 468 final v. 30. 09. 2015, S. 24. 1112

zur Schaffung einer Kapitalmarktunion, zur Schaffung einer Kapitalmarktunion, zur Schaffung einer Kapitalmarktunion, zur Schaffung einer Kapitalmarktunion, zur Schaffung einer Kapitalmarktunion,

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Kap. 5: Das Insiderrecht der MMVO

konkretisierende Ziel der Schaffung von Klarheit hinsichtlich zentraler Begriffe herangezogen werden.1117 Damit wird vor allem auch die Praxis angesprochen, die regelmäßig in Kontakt mit der MMVO kommt. Gerade für sie ist es entscheidend, dass durch mehr Klarheit für größere Rechtssicherheit gesorgt wird.1118 Gleichzeitig verringert sich dadurch auch die rechtliche Komplexität, was wiederum die Compliance-Kosten senkt.1119 Daher muss es der Praxis möglich sein, die ihr obliegende Ad-hoc-Publizitätspflicht (Art. 17 Abs. 1 MMVO) und das Eingreifen der Insiderhandelsverbote (Art. 14 MMVO) richtig einschätzen zu können. Vor diesem Hintergrund muss der verständige Anleger ein subsumierbarer und hinreichend präziser Begriff sein,1120 der Rechtssicherheit fördert und rechtliche Komplexität abbaut. c) Der verständige Anleger gem. Art. 7 Abs. 4 MMVO Die vorstehende Untersuchung hat gezeigt, dass die Mehrheit der Regelungsziele der MMVO und ihrer Insiderregulierung für einen Begriff des „verständigen Anlegers“ streitet, der anhand klarer, subsumierbarer Kriterien, die am Funktionsschutzziel orientiert sind, bestimmbar ist und so für Vereinheitlichung und Rechtssicherheit sorgt. Gerade den Insiderhandelsverboten kommt jedoch auch ein individueller Anlegerschutz zu, womit dem verständigen Anleger aufgrund seiner Funktionalität für das Eingreifen der Insiderhandelsverbote auch eine individuelle Komponente zukommen muss. aa) Funktionsschutzorientierte Basis Da somit bei der Ausgestaltung des verständigen Anlegers sowohl Funktionsschutz- also auch Individualanlegerschutzerwägungen eine Rolle spielen, stellt sich zunächst die Frage nach einem etwaigen Rangverhältnis der beiden Regelungsziele. Die Antwort hierfür ist ausnahmsweise einmal direkt in der MMVO verortet. In Erwägungsgrund 24 S. 3 MMVO heißt es, dass der Zweck der MMVO darin besteht, „die Integrität des Finanzmarkts zu schützen und das Vertrauen der Investoren zu stärken, das wiederum auf der Gewissheit beruht, dass Investoren gleichbehandelt und vor der missbräuchlichen Verwendung von Insiderinformationen geschützt werden“. Daraus folgt die bereits angedeutete Kette, wonach der individuelle Anlegerschutz Voraussetzung für das Anlegervertrauen (Anlegerkollektivschutz) ist, was dann wiederum zur Integrität der Finanzmärkte und damit ihrer Funktionsfähigkeit führt. Das reibungslose Funktionieren der Märkte ist dann nach Erwägungsgrund 2 MMVO Voraussetzung für Wirtschaftswachstum und Wohlstand. Es 1117 1118 1119 1120

Erwägungsgrund 3 MMVO. Zur Rechtssicherheit siehe Erwägungsgründe 4 und 18 MMVO. Erwägungsgrund 5 MMVO. Vgl. Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 7 Rn. 267.

A. Der Begriff der Insiderinformationen (Art. 7 MMVO)

195

besteht folglich ein Rangverhältnis der Regulierungsziele dahingehend, dass der individuelle Anlegerschutz (im Rahmen der Insiderhandelsverbote) zwar eine eigenständige Bedeutung hat, aber letztlich dem Funktionsschutzziel untergeordnet ist. Für den Begriff des „verständigen Anlegers“ bedeutet das, dass er im Ausgangspunkt mit funktionsschutzorientierten Attributen auszugestalten ist. Es handelt sich bei ihm grundsätzlich um einen rationalen, auf verlässlicher tatsächlicher Informationsgrundlage handelnden, fundamentalwertorientierten Anleger, der das Marktgeschehen kennt und mithin börsenkundig ist. Fraglich ist allerdings, wie die ergänzende individuelle Komponente auszusehen hat, um der Bedeutung des verständigen Anlegers für den individuellen Anlegerschutz im Rahmen der Insiderhandelsverbote Rechnung zu tragen. bb) Berücksichtigung irrationalen Verhaltens anderer Marktteilnehmer Hinsichtlich des Grades an Rationalität liegt es nahe, auf die Erkenntnisse der Behavioral Finance zurückzugreifen.1121 Diese hat eine Vielzahl an Verhaltensanomalien feststellen können, die dem Leitbild des vollständig rationalen und rational handelnden Anlegers entgegenstehen.1122 Daher scheint es in Einklang mit dem BGH in seiner IKB-Entscheidung angebracht, den verständigen Anleger, zumindest teilweise, auch irrationales Verhalten anderer Marktteilnehmer berücksichtigen zu lassen. Dem widerspricht jedoch Klöhn unter Verweis darauf, dass eine Berücksichtigung irrationalen Verhaltens dem Zweck des europäischen Insiderrechts zuwiderlaufen würde.1123 Zur Verdeutlichung seiner Position wählt er ein Beispiel aus der „Dotcom-Manie“, in welcher Emittenten ihren Börsenwert alleine dadurch steigern konnten, dass sie in ihre Firma den Zusatz „.com“ aufnahmen.1124 Eine solche Firmenänderung sei jedoch nicht fundamentalwertrelevant und daher auch von einem verständigen Anleger nicht zu berücksichtigen.1125 Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus dem Zweck der Insiderhandelsverbote, denn die Informationshändler würden zwar den Kursanstieg aufgrund des Handels der Insider in Kenntnis der Firmenänderung als noise wahrnehmen und Aktien an die Insider verkaufen. Da es sich jedoch tatsächlich auch um noise handele (aufgrund fehlender Fundamentalwertrelevanz der Firmenänderung), würden die Informationshändler gerade kein Geld an die Insider verlieren, sondern sogar Gewinn machen und mithin sei ein Eingreifen der Insiderhandelsverbote nicht angezeigt.1126 1121 Black, Behavioral Economics and Investor Protection: Reasonable Investors, Efficient Markets, 44 Loy. U. Chi. L.J. 1493 (2013); Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Vor Art. 7 Rn. 83. 1122 Siehe oben Kapitel 1, B.II.2.b)aa). 1123 Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 7 Rn. 284; Klöhn, ZHR 177 (2013), 349, 380. 1124 Siehe etwa Cooper/Dimitrov/Rau, A Rose.com by Any Other Name, 56 J. Fin. 2371 (2001). 1125 Vgl. Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 7 Rn. 285; Klöhn, ZHR 177 (2013), 349, 381. 1126 Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 7 Rn. 287; Klöhn, ZHR 177 (2013), 349, 381 f.

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Kap. 5: Das Insiderrecht der MMVO

Was Klöhn damit meint, ist Folgendes: Angenommen der Kurs einer Aktie ist bei zehn Euro. Durch die Firmenänderung und den Aktienkauf der Insider steigt der Kurs zwischenzeitlich bis auf zwanzig Euro. In dieser Zeit verkaufen auch die Informationshändler ihre Aktien an die Insider, da sie den Kursanstieg für noise halten. In der Folgezeit realisiert dann der Markt, dass sich der Fundamentalwert der Aktie allein aufgrund der Firmenänderung nicht verändert hat und pendelt sich wieder bei zehn Euro ein. Betrachtet man den ganzen Prozess bis der Kurs wieder bei zehn Euro angekommen ist, treffen Klöhns Aussagen zu. Verkaufen die Informationshändler die Aktie etwa für zwölf Euro an den Insider, verlieren sie gerade kein Geld, sondern erzielen einen Gewinn von zwei Euro, da der wahre Wert bei zehn Euro liegt. Spiegelbildlich erzielen die Insider gerade keinen Gewinn, da sie für eine Aktie, die jetzt wieder zehn Euro wert ist, zwölf Euro gezahlt haben, sondern erleiden gar einen Verlust von zwei Euro. Es ist jedoch keinesfalls so, dass die Insider die Aktie so lange halten müssen bis sie wieder bei zehn Euro ist. Vielmehr können sie die Aktie, die sie etwa für zwölf Euro erworben haben, auch für zwanzig Euro wieder verkaufen und damit einen Gewinn von acht Euro realisieren. Betrachtet man also den Prozess unter Einbeziehung dieses realistischen Szenarios, zeigt sich, dass Insider in diesen Fällen sehr wohl einen zu missbilligenden Vorteil erlangen können, der letztlich auf Kosten aller Outsider geht, die in dem Zeitraum in dem die Aktie nicht bei ihrem Fundamentalwert lag an den Insider verkauft oder vom Insider gekauft haben. Gerade vor der Möglichkeit der Ausnutzung solcher zu missbilligender Informationsvorsprünge sollen jedoch die Insiderhandelsverbote die Anleger schützen. Es zeigt sich mithin, dass es durchaus angebracht sein kann, den verständigen Anleger auch irrationales Verhalten anderer Marktteilnehmer berücksichtigen zu lassen. cc) De lege lata keine grundsätzliche Abkehr vom Maßstab des verständigen Anlegers möglich Ein weiterer Ansatz für eine Berücksichtigung des Individualanlegerschutzziels findet sich in der US-amerikanischen Literatur. Dort sprechen sich zahlreiche Stimmen für eine Abkehr vom einheitlichen Maßstab des reasonable investor aus.1127 Dieser sei unrealistisch und entspreche in keiner Weise dem heterogenen Anlegerpublikum an realen Kapitalmärkten.1128 Besser sei es, den reasonable investor nur als 1127 Aus verschiedenen Perspektiven: Lin, Reasonable Investor(s), 95 B.U.L. Rev. 461 (2015); Black, Behavioral Economics and Investor Protection: Reasonable Investors, Efficient Markets, 44 Loy. U. Chi. L.J. 1493 (2013); Rapp, Rewiring the DNA of Securities Fraud Litigation: Amgen’s Missed Opportunity, 44 Loy. U. Chi. L.J. 1475 (2013); Sachs, Materiality and Social Change: The Case for Replacing the Reasonable Investor with the Least Sophisticated Investor in Inefficient Markets, 81 Tul. L. Rev. 473 (2006). 1128 Lin, Reasonable Investor(s), 95 B.U.L. Rev. 461, 462 ff. (2015); Black, Behavioral Economics and Investor Protection: Reasonable Investors, Efficient Markets, 44 Loy. U. Chi. L.J. 1493, 1504 (2013); vgl. auch Rapp, Rewiring the DNA of Securities Fraud Litigation: Amgen’s Missed Opportunity, 44 Loy. U. Chi. L.J. 1475, 1481 f. (2013).

A. Der Begriff der Insiderinformationen (Art. 7 MMVO)

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einen möglichen Maßstab zu sehen und durch weitere, etwa den irrational investor, den active investor oder den sophisticated investor, zu ergänzen.1129 Damit würde gleichzeitig ein besserer Anlegerschutz für alle Investoren geschaffen.1130 Gegen die Übertragbarkeit eines solchen Ansatzes auf das europäische Insiderrecht sprechen jedoch zwei gewichtige Gründe. Zum einen ist das US-amerikanische Insiderrecht durch seine dogmatische Ausgestaltung als Betrug primär auf den Anlegerschutz fokussiert,1131 wohingegen im europäischen Insiderrecht, wie gezeigt, der Funktionsschutz primär adressiert wird. Eine wie dargestellte generelle Priorisierung individueller Anlegertypen wäre damit kaum vereinbar. Zum anderen spricht bereits der Wortlaut von Art. 7 Abs. 4 MMVO klar dagegen. Denn der europäische Gesetzgeber hat sich ausdrücklich für den singulären Maßstab des verständigen Anlegers ausgesprochen. Eine grundsätzliche Abkehr hiervon ist de lege lata folglich nicht möglich. dd) Fundamentales Problem der lediglich teilidentischen Regelungsziele Der Ausgangspunkt für die Bestimmung der am individuellen Anlegerschutz ausgerichteten Attribute des verständigen Anlegers muss letztlich dessen Funktionalität für das Eingreifen der Insiderhandelsverbote sein. Der verständige Anleger muss, um dem individuellen Anlegerschutz gerecht zu werden, so ausgestaltet sein, dass die Insiderhandelsverbote größtmögliche Wirksamkeit entfalten können. Das gelingt, wenn man etwa wie die BaFin davon ausgeht, dass es im Rahmen der Kursrelevanzprüfung eines Zwischenschritts nicht auf eine Mindesteintrittswahrscheinlichkeit des zukünftigen Endergebnisses ankommt, sondern dieses lediglich nicht völlig ausgeschlossen sein darf und den verständigen Anleger zudem auch spekulative Gesichtspunkte berücksichtigen lässt – also allgemein gesprochen für ein möglichst frühzeitiges Vorliegen einer Insiderinformation sorgt.1132 Die Kehrseite ist, dass Informationen damit grundsätzlich früher und auch insgesamt mehr Informationen ad-hoc veröffentlicht werden müssen. Neben den bereits dargelegten negativen Folgen1133 haben die Erkenntnisse der Behavioral Finance gezeigt, dass mehr Informationen nicht grundsätzlich besser sind, sondern Anleger nur eine begrenzte Aufnahme- und Verarbeitungsfähigkeit hinsichtlich neuer Informationen haben und sich zu viele Informationen ab einem gewissen

1129

Lin, Reasonable Investor(s), 95 B.U.L. Rev. 461, 466 ff. (2015). Lin, Reasonable Investor(s), 95 B.U.L. Rev. 461, 462, 476 ff. (2015). 1131 Hierzu oben Kapitel 2, A.III.2. 1132 BaFin, Art. 17 MAR – Veröffentlichung von Insiderinformationen (FAQs), Stand: 29. 05. 2019, III.4.b), III.5. 1133 Siehe oben A.II.1.c)bb)(3)(b). 1130

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Kap. 5: Das Insiderrecht der MMVO

Punkt sogar negativ auf die Effizienz des Markts auswirken (information overload).1134 Das fundamentale Problem, das dabei sichtbar wird, ist, dass Insiderhandelsverbote und Ad-hoc-Publizität hinsichtlich ihrer Ziele nur teilidentisch sind.1135 Während die Insiderhandelsverbote aufgrund ihres auch bezweckten individuellen Anlegerschutzes und dem damit verfolgten Ziel der informationellen Chancengleichheit ein möglichst frühzeitiges Vorliegen einer Insiderinformation fordern, sind für die Ad-hoc-Publizität, die ausschließlich dem Funktionsschutzziel dient und dabei primär für Transparenz sorgen soll, nur solche Informationen relevant, die für einen effizienten Markt von Bedeutung sind.1136 Dieser Konflikt macht die Ausgestaltung des funktionalen Begriffs des „verständigen Anlegers“ extrem schwierig1137 und letztlich auch nicht zufriedenstellend lösbar im Hinblick auf beide Regelungsziele, da eine Priorisierung des einen Ziels grundsätzlich nur auf Kosten des anderen Ziels möglich ist.1138 Damit wird auch deutlich, dass sich der in der Umfrage von der großen Mehrheit der Emittenten geäußerte Wunsch nach einer Konkretisierung hinsichtlich des Vorliegens einer Insiderinformation in einem zeitlich gestreckten Vorgang und des Begriffs des „verständigen Anlegers“ nur sehr schwer realisieren lässt. Es zeigt sich mithin, dass eine Anknüpfung von Insiderhandelsverboten und Adhoc-Publizität an den gleichen Begriff der Insiderinformation – zumindest nach der Ausgestaltung in der MMVO – weder zwingend (aufgrund der primär transparenzrechtlichen Funktion der Ad-hoc-Publizität)1139 noch zielführend ist.1140 Das ändert jedoch nichts daran, dass sich der Rechtsanwender de lege lata mit dieser Konstellation auseinandersetzen muss, wenn es darum geht, wann der verständige Anleger eine Information wahrscheinlich als Teil seiner Anlageentscheidung berücksichtigen würde. Dabei erscheint es anhand der Auslegung der Regelungsziele der MMVO als sachgerechte und wohl auch von der Verwaltungspraxis präferierte Lösung, dass der verständige Anleger, insbesondere bei der Bewertung von Zwischenschritten, im Ausgangspunkt eine „probability-magnitude-Überle1134 Ausführlich hierzu Paredes, Blinded by the Light: Information Overload and Its Consequences for Securities Regulation, 81 Wash. U. L. Q. 417 ff. (2003); vgl. auch Eidenmüller, JZ 2005, 216, 218. 1135 Seibt, ZHR 177 (2013), 388, 392; vgl. Gunßer, NZG 2008, 855, 857; siehe auch Gellings, Der gestreckte Geschehensablauf im Insiderrecht, S. 195 f. 1136 Vgl. Gunßer, NZG 2008, 855, 857 zur identischen Problematik auf Ebene der Ad-hocPublizität, wo deren Präventivfunktion für eine möglichst frühzeitige und ihre Kapitalmarktinformationsfunktion für eine eher spätere Veröffentlichung streitet. 1137 Vgl. Gellings, Der gestreckte Geschehensablauf im Insiderrecht, S. 120 f. 1138 Vgl. Merkner/Sustmann, AG 2012, 315, 321; Gunßer, NZG 2008, 855, 857. 1139 Hierzu oben A.II.4.b)bb)(2). 1140 So i.E. Merkner/Sustmann, AG 2012, 315, 321; vgl. auch Koch, BB 2012, 1365, 1367; Seibt, ZHR 177 (2013), 388, 392; Veil/Koch, WM 2011, 2297, 2302; Vetter/Engel/Lauterbach, AG 2019, 160, 168.

A. Der Begriff der Insiderinformationen (Art. 7 MMVO)

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gung“ anstellt,1141 wobei es ausreicht, wenn ein zukünftiges Endergebnis lediglich nicht ausgeschlossen ist. Darüber hinaus bezieht er jedoch auch alle weiteren Umstände des Einzelfalls mit ein, wonach auch irrationale – und nach der BaFin sogar spekulative – Gesichtspunkte zu berücksichtigen sein können.

III. Doppelt verpasster Reformbedarf Der MMVO-Gesetzgeber gibt hinsichtlich des Begriffs der Insiderinformation keine gute Figur ab. Trotz zahlreicher Ankündigungen in den Erwägungsgründen hat der Begriff keine tatbestandliche Schärfung erfahren. Der Gesetzgeber hat lediglich die Geltl-Rechtsprechung bezüglich Zwischenschritten kodifiziert und die Definitionen von „präzise“ und „kurserheblich“ von Level 2 direkt in den Rahmenrechtsakt verlegt. Nicht einmal zu einfachsten Klarstellungen, etwa wann ist eine Information „öffentlich bekannt“ (Art. 7 Abs. 1 lit. a) MMVO) oder wann man einen Umstand oder ein Ereignis „vernünftigerweise erwarten kann“ (Art. 7 Abs. 2 S. 1 MMVO), konnte sich der Gesetzgeber durchringen, trotz bekannten Auslegungsschwierigkeiten bereits zum alten Recht. Vor diesem Hintergrund mutet insbesondere Erwägungsgrund 18 MMVO geradezu absurd an, der davon spricht, dass die Rechtssicherheit der Marktteilnehmer durch eine genauere Bestimmung der Merkmale „präzise“ und „kurserheblich“ erhöht werden sollte. Es fällt schwer zu glauben, dass der Gesetzgeber davon ausgegangen ist, dass lediglich durch eine Verschiebung der selbst noch konkretisierungsbedürftigen Definitionen der beiden Merkmale eine genauere Bestimmung beider vorliegt. Letztlich muss man aber davon ausgehen, da der Gesetzgeber keine weiteren Bemühungen unternommen hat für mehr Klarheit zu sorgen. Der Hauptleittragende dieser unglücklichen Rechtsetzung ist die Praxis, für die sich die Rechtssicherheit gerade im Hinblick auf das Vorliegen einer Insiderinformation bei gestreckten Sachverhalten seit Einführung der MMVO nicht erhöht, sondern im Gegenteil sogar verringert hat.1142 Insbesondere das Schweigen hinsichtlich des Schlüsselbegriffs des „verständigen Anlegers“ ist bedauernswert und legt den Schluss nahe, dass der europäische Gesetzgeber selbst nicht genau weiß, wie er den Begriff verstehen soll. Denn trotz bereits zum alten Recht angemerkten Konkretisierungsbedarf, hat er den Begriff eins zu eins in die MMVO übernommen und die Präzisierung erneut den nationalen Aufsichten und Gerichten zugeschoben. Diese Konstellation hat jedoch schon zum alten Recht zu unterschiedlichen Ergebnissen in den Mitgliedsstaaten geführt,1143 womit der erneute Gang dieses Weges, gerade im Lichte, dass die MMVO hauptsächlich auf Rechtsvereinheitlichung zielt, nicht nachvollziehbar ist. Insbesondere, 1141 1142 1143

Vgl. zum Begriff Bingel, AG 2012, 685, 690. Hierzu oben Kapitel 4, C.II.2.b). Siehe oben Kapitel 2, B.I.

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Kap. 5: Das Insiderrecht der MMVO

da es Möglichkeiten gegeben hätte, den Begriff der Insiderinformation und seine Tatbestandsmerkmale so zu reformieren, dass er für Rechtssicherheit und Rechtsklarheit gesorgt und den Regelungszielen der Insiderhandelsverbote und der Ad-hocPublizität hinreichend Rechnung getragen hätte. 1. Beibehaltung des einstufigen Modells unter Klarstellung der Ad-hoc-Publizität Durch die weiterhin bestehende Anknüpfung von Insiderhandelsverboten und Ad-hoc-Publizität an den gleichen Begriff der Insiderinformation hat sich der Gesetzgeber für das Fortbestehen eines einstufigen Modells entschieden. Dieses Modell, gestaltet wie in der MMVO, führt jedoch zu einem Zielkonflikt, da die Insiderprävention durch die Insiderhandelsverbote für einen weiteren, die Kapitalmarktinformationsfunktion der Ad-hoc-Publizität hingegen für einen engeren Begriff der Insiderinformation streitet.1144 Dieser Konflikt hätte sich jedoch auch in einem grundsätzlich einstufigen Modell (größtenteils) verhindern lassen. Besonders problematisch ist in diesem Zusammenhang die Beurteilung von Zwischenschritten in einem zeitlich gestreckten Vorgang, die nicht bereits aus sich heraus eine Insiderinformation sind, sondern vor allem ihre Kursrelevanz von einem zukünftigen Endergebnis ableiten. Hier hätte man im Rahmen der Ad-hoc-Publizität, etwa als Art. 17 Abs. 1 S. 2 MMVO, einfügen können: „Im Falle eines zeitlich gestreckten Vorgangs ist jeder Zwischenschritt, der nicht bereits aus sich heraus, sondern nur in Verbindung mit einem zukünftigen Endergebnis eine Insiderinformation darstellt, erst dann der Öffentlichkeit bekannt zu geben, wenn man das zukünftige Endergebnis vernünftigerweise erwarten kann“ (verstanden als überwiegende Wahrscheinlichkeit, 50 % plus x).1145 1144

Merkner/Sustmann, AG 2012, 315, 321; vgl. Bachmann, DB 2012, 2206, 2209 f.; auch Tollkühn, ZIP 2004, 2215 und Fürhoff, AG 2003, 80, 83, die insoweit von einem „Spannungsverhältnis“ sprechen. 1145 Ähnlich, aber undifferenziert auf alle Zwischenschritte bezogen, war der Vorschlag in Council of the European Union, Proposal for a Regulation of the European Parliament and the Council on insider dealing and market manipulation (market abuse) – Presidency compromise, 2011/0295 (COD), Doc. 13313/12 v. 3. 9. 2012 (Presidency Compromise), Art. 12 Abs. 1 S. 2: „In case of a process which occurs in stages, the insider information relating to this process only has to be made public once the end stage meets the criteria set forth in this Regulation for inside information.“; siehe auch den einzelfallbezogenen Ansatz bei Gellings, Der gestreckte Geschehensablauf im Insiderrecht, S. 196 ff., der für bestimmte Kapitalmarktereignisse, die typischerweise einen zeitlich gestreckten Vorgang darstellen, einzelfallbezogenen Ausnahmen dahingehend normieren möchte, dass in diesen Fällen die Ad-hoc-Publizitätspflicht erst mit dem Eintritt des Endergebnisses besteht. Zwischenschritte wären in diesen Konstellationen grundsätzlich nicht zu veröffentlichen, es sei denn der Zwischenschritt würde bereits für sich genommen eine Insiderinformation darstellen. Dieser Ansatz bietet zwar große Rechtssicherheit, problematisch ist jedoch, dass es sich um eine bright-line rule handelt, die generell Gefahr läuft overinclusive oder underinclusive zu sein (vgl. Basic Inc. v. Levinson, 485 US 224, 236 (1988)), gerade in stark einzelfallabhängigen Konstellationen wie zeitlich gestreckten

A. Der Begriff der Insiderinformationen (Art. 7 MMVO)

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Diese Klarstellung hätte sichergestellt, dass keine frühzeitigen und damit unklaren oder irreführenden Ad-hoc-Mitteilungen über Zwischenschritte veröffentlicht werden müssen1146 und die Ad-hoc-Publizität an ihrer primär transparenzrechtlichen Funktion ausgerichtet wird. Gleichzeitig wäre auch die Praxis davor bewahrt worden, sich in zeitlich gestreckten Vorgängen frühzeitig und langwierig mit dem Instrument der Selbstbefreiung auseinandersetzen zu müssen. Selbstverständlich hätte es weiterhin der Möglichkeit der Selbstbefreiung bedurft, da in einem einstufigen Modell stets das Interesse bestehen kann, die Ad-hoc-Publizität zeitlich nach hinten zu verlagern.1147 Auf den Begriff der Insiderinformation hätte diese Klarstellung im Rahmen der Ad-hoc-Publizität ebenfalls positive Auswirkungen gehabt. So wäre im Rahmen des Merkmals der Kursrelevanz die Diskussion um eine etwaige Sperrwirkung des zukünftigen Endergebnisses1148 hinfällig, da die negativen Folgen für den Emittenten und den Kapitalmarkt nicht mehr bestünden. Ein verständiger Anleger hätte mithin relevante Zwischenschritte unabhängig von einer Mindesteintrittswahrscheinlichkeit des zukünftigen Endergebnisses berücksichtigt. Das damit einhergehende (mögliche) frühzeitige Vorliegen einer Insiderinformation und mithin das frühzeitige Eingreifen der Insiderhandelsverbote wäre sachgerecht und zielführend gewesen und hätte dem Prinzip der informationellen Chancengleichheit entsprochen, da es in der dargestellten Konstellation die hauptsächliche Funktion des verständigen Anlegers gewesen wäre, Insiderhandel durch größtmögliche Wirksamkeit der Insiderhandelsverbote zu verhindern.1149 Für die Praxis hätte dieser Ansatz ein deutliches Plus an Rechtssicherheit und Rechtsklarheit gebracht, verglichen mit der bestehenden Rechtslage unter der MMVO. Zudem hätte er, anders als der Presidency Compromise, auch dem Umstand Rechnung getragen, dass ein Zwischenschritt sehr wohl bereits aus sich heraus – also ohne Verbindung zu einem zukünftigen Endergebnis – eine veröffentlichungspflichtige und unter Berücksichtigung der Markteffizienz auch veröffentlichungsbedürftige Insiderinformation sein kann. Zudem wären für die Marktteilnehmer durch den nicht mehr permanenten Gleichlauf von Insiderhandelsverboten und Adhoc-Publizität auch keine Schutzlücken entstanden, da in einem zeitlich gestreckten Vorgang frühzeitig vorliegende Insiderinformationen vom Insiderhandelsverbot Vorgängen, bei denen es bereits schwerfallen dürfte „typische Konstellationen“ zu bennenen, da jede Transaktion für sich genommen Besonderheiten aufweist. 1146 Krause/Brellochs, AG 2013, 309, 335; Bachmann, DB 2012, 2206, 2211. 1147 Krause/Brellochs, AG 2013, 309, 335. 1148 Zur Diskussion oben A.II.1.c)bb). 1149 Vgl. Bachmann, DB 2012, 2206, 2211; dieses Verständnis (Insiderhandel durch größtmögliche Wirksamkeit der Insiderhandelsverbote zu verhindern) leitet die BaFin unter geltendem Recht wohl insbesondere aus der nun kodifizierten Geltl-Rechtsprechung bezüglich Zwischenschritten ab, wenn sie ausführt: „Auch die BaFin misst der Entstehung von Insiderinformationen in Form von Zwischenschritten eine herausragende Bedeutung bei der Begleitung und Begutachtung von gestreckten Sachverhalten zu.“

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Kap. 5: Das Insiderrecht der MMVO

umfasst gewesen wären und es keine Notwendigkeit gibt, diese Insiderinformationen auch noch mit der Ad-hoc-Publizität zu bekämpfen, insbesondere, wenn die Insiderhandelsverbote, wie im Fall der MMVO, von abschreckenden Sanktionen flankiert werden,1150 die insoweit eine Kompensation für die Präventivfunktion der Adhoc-Publizität bieten.1151 Zuzugeben ist, dass der Ansatz eventuell zu Publizitätslücken dergestalt geführt hätte, dass nicht alle Zwischenschritte, die für einen effizienten Markt von Interesse sind, auch tatsächlich direkt in den Markt gelangt wären. So besteht zum einen (theoretisch) die Möglichkeit, dass ein Zwischenschritt zwar nicht bereits aus sich heraus eine Insiderinformation ist, aber dennoch so bedeutend ist, dass eine Veröffentlichung angezeigt wäre, bevor man das zukünftige Endergebnis vernünftigerweise erwarten kann.1152 Solche Zwischenschritte wären erst einmal durch das Raster gefallen, was negative Auswirkungen auf die Markteffizienz hätte haben können. Zum anderen kann es zu Abgrenzungsproblemen hinsichtlich des „richtigen“ zukünftigen Endergebnisses kommen. Verlegt man dieses in einem zeitlich gestreckten Vorgang zu weit nach hinten, werden dem Markt Informationen länger als nötig vorenthalten, was ebenfalls auf Kosten der Effizienz des Markts geht.1153 Ein weiteres Argument gegen den Vorschlag ergibt sich vor dem Hintergrund „guter Gesetzgebung“. Denn gesetzgebungstechnisch ist der Ansatz nicht die eleganteste Lösung, da im Ausgangspunkt ein einstufiges Modell verfolgt wird, dessen unerwünschte Folgen für den Markt im Rahmen der Ad-hoc-Publizität dann zu korrigieren versucht werden, womit es sich in der Anwendung eher wie ein zweistufiges Modell darstellt.1154 Insbesondere um den primär transparenzrechtlichen Aspekt der Ad-hoc-Publizität hervorzuheben, hätte es sich angeboten, von vornherein auf ein zweistufiges Modell zu setzen.1155 2. Einführung eines zweistufigen Modells Ein zweistufiges Modell zeichnet sich dadurch aus, dass die Insiderhandelsverbote an einen weit verstandenen Begriff der Insiderinformation gekoppelt werden

1150

Vgl. Deutsches Aktieninstitut/Hengeler Mueller (Fn. 642), S. 9, wonach 84 % der befragten Unternehmen das etablierte Strafmaß als zu hoch oder sogar deutlich zu hoch empfinden; ausführlich hierzu unten unter F. 1151 Gellings, Der gestreckte Geschehensablauf im Insiderrecht, S. 199 ff.; vgl. auch Veil/ Koch, WM 2011, 2297, 2302; Koch, BB 2012, 1365, 1367. 1152 Vgl. zu dieser Konstellation hinsichtlich der Kursrelevanz Bingel, AG 2012, 685, 691. 1153 Vgl. Bachmann, DB 2012, 2206, 2211. 1154 Gewisse Parallelen ergeben sich dabei zur Handhabung der Ad-hoc-Publizitätspflicht im französischen Recht unter Geltung der MMRL nach Art. 223-1 RG AMF, siehe oben Kapitel 2, B.II.2. 1155 Krause/Brellochs, AG 2013, 309, 336.

A. Der Begriff der Insiderinformationen (Art. 7 MMVO)

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und dadurch deren Eingreifen nach vorne verlagert wird.1156 Eine gleichzeitige Adhoc-Publizitätspflicht wird damit jedoch nicht ausgelöst, weil diese an einen separaten Begriff der ad-hoc-pflichtigen Tatsache anknüpft.1157 Beispiele für eine solche Insiderinformation, die zwar die Insiderhandelsverbote aber keine Ad-hoc-Publizitätspflicht auslöst, ist das RINGA-Konzept aus dem Insiderrecht des Vereinigten Königreichs. Der Vorschlag, eine neue Kategorie der Insiderinformation in die MMVO aufzunehmen, die den tatbestandlichen Gleichlauf von Insiderhandelsverboten und Adhoc-Publizität auflöst, zeigt, dass die Kommission erkannt hatte, dass es problematisch ist, Insiderhandelsverbote und Ad-hoc-Publizität an den gleichen Begriff der Insiderinformation zu binden. Leider wurden jedoch in Folge der Geltl-Rechtsprechung nicht konsequent die richtigen Schlussfolgerungen hinsichtlich des Begriffs der Insiderinformation bei der Entstehung der MMVO gezogen. Durch die „Insiderinformation light“ sollte den Insiderhandelsverboten zu größtmöglicher Wirksamkeit verholfen werden, da man befürchtete, der EuGH würde im Sinne einer restriktiven Interpretation des Begriffs der Insiderinformation entscheiden. Mit der Entscheidung des EuGH pro Insiderprävention war eine solche „Hilfestellung“ für die Insiderhandelsverbote grundsätzlich nicht mehr nötig. Allerdings hat die Geltl-Entscheidung die Frage nach einer zusätzlichen Kategorie der Insiderinformation nicht abschließend beantwortet, sondern nur auf die Ebene der Adhoc-Publizität verschoben. Denn durch das nun mögliche frühzeitige Vorliegen einer Insiderinformation stellt sich die Frage, wie damit im Rahmen der Ad-hoc-Publizität umgegangen werden soll. Das hier Handlungsbedarf besteht, hatte auch der Rat mit seinem Vorschlag in Art. 12 Abs. 1 S. 2 Presidency Compromise erkannt. Letztlich sah man es aber als ausreichend an, ein hinreichendes und zutreffendes Informationsniveau durch eine (klarstellende) Aufnahme einer Selbstbefreiungsmöglichkeit auch bei Zwischenschritten sicherzustellen.1158 Das kann im Ergebnis aber nicht überzeugen, denn zum einen wird es der primär transparenzrechtlichen Funktion der Ad-hoc-Publizität nicht gerecht und zum anderen ist es keine zufriedenstellende Lösung für die Praxis. Vielmehr wäre es überzeugend gewesen, an der grundsätzlichen Einführung einer neuen Kategorie der Insiderinformation festzuhalten, um durch die tatbestandliche Entkopplung – in umgekehrten Vorzeichen zur ursprünglichen Idee – die Bedeutung der Ad-hoc-Publizität für die Markttransparenz und -effizienz hervorzuheben. Die neue Kategorie der Insiderinformation, die ausschließlich für das Eingreifen der Insiderhandelsverbote relevant gewesen wäre, hätte dabei selbstverständlich – anders als der Vorschlag in Art. 6 Abs. 1 lit. e) MMVO-KomE – hinreichend präzise und subsumierbar sein müssen. 1156 Krause/Brellochs, AG 2013, 309, 335; vgl. auch Krause, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 6 Rn. 15 f. 1157 Krause/Brellochs, AG 2013, 309, 335; vgl. auch Krause, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 6 Rn. 15 f. 1158 Art. 17 Abs. 4 UAbs. 2 MMVO; Seibt, ZHR 177 (2013), 388, 416; Klöhn, in: Klöhn/ MMVO, Art. 7 Rn. 15.

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Kap. 5: Das Insiderrecht der MMVO

Anwendungstechnisch wäre diese neue Kategorie der Insiderinformation vor allem für zeitlich gestreckte Vorgänge relevant gewesen, da dies zum einen die praktisch bedeutendsten Fälle bezüglich des Entstehens von Insiderinformationen sind und zum anderen auch die Konstellationen, in denen man durch einen weiteren oder engeren Begriff der Insiderinformation steuern kann, ab welchem Zeitpunkt eine solche vorliegt. Da eine wirksame Insiderprävention ein umfassendes Eingreifen der Insiderhandelsverbote erfordert, hätte sich für den Insiderinformationsbegriff folgende Gestaltung angeboten: So hätte man sich an den vorhandenen Kriterien des Insiderinformationsbegriffs in Art. 7 lit. a) MMVO orientieren, jedoch in Anlehnung an die Massey-Entscheidung und in Übereinstimmung mit den bisherigen Ausführungen der BaFin in ihren FAQs1159 einen sehr weiten Maßstab (etwa eines durchschnittlichen Marktteilnehmers) dahingehend festlegen können, dass – im Hinblick auf die bedeutende Einstufung von Zwischenschritten als kursrelevant – ein durchschnittlicher Marktteilnehmer zwar weiterhin alle Umstände des Einzelfalls, aber grundsätzlich auch jede Information in einem zeitlich gestreckten Vorgang für seine Anlagentscheidung berücksichtigt, solange das zukünftige Endergebnis nur nicht völlig ausgeschlossen ist. Damit hätte in einem zeitlich gestreckten Vorgang schon sehr frühzeitig eine Insiderinformation vorliegen können, was aber im Sinne der Insiderhandelsverbote gewesen wäre, die das Prinzip der informationellen Chancengleichheit fördern und daher auf die Verhinderung der Ausnutzung von Informationsvorsprüngen abzielen. Gleichzeitig wäre dieser Insiderinformationsbegriff auch konsistent mit der Unternehmens- und Rechtsberatungspraxis gewesen, wo schon jetzt vielfach intern angeordnet und beraten wird, in einem zeitlich gestreckten Vorgang frühzeitig nicht mehr mit den betroffenen Finanzinstrumenten zu handeln. Die Ad-hoc-Publizitätspflicht wäre demgegenüber erst bei Vorliegen einer Insiderinformation im Sinne des Art. 7 Abs. 1 lit. a) MMVO ausgelöst worden. Abgesehen von den vorgenannten sprachlichen Präzisierungen, hätte der Begriff dabei so bestehen bleiben können, wie er sich auch jetzt in der MMVO findet. Die Funktion wäre freilich eine andere gewesen, da es ausschließlich um die Sicherstellung des Funktionsschutzziels gegangen wäre, also um die Herstellung von Markttransparenz und -effizienz. Das würde sich natürlich auch auf den funktionalen Begriff des „verständigen Anlegers“ auswirken, der in diesem Lichte auszugestalten gewesen wäre. Hierbei hätte man nun auf den von Klöhn geprägten ökonomischen Ansatz zurückgreifen und den verständigen Anleger als Personifikation der halbstrengen Variante der ECMH verstehen können.1160 Folge wäre zum einen eine rein fundamentalwertorientierte Publizität gewesen und zum anderen ein verständige Anleger, der ein klares, anhand objektiver Kriterien zu bestimmendes (probability-magnitude1159 BaFin, Art. 17 MAR – Veröffentlichung von Insiderinformationen (FAQs), Stand: 29. 05. 2019, III.5. 1160 Ausführlich hierzu oben A.II.4.b)aa).

A. Der Begriff der Insiderinformationen (Art. 7 MMVO)

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Formel), gut subsumierbares Konzept dargestellt hätte, das für Rechtssicherheit gesorgt hätte. Hätte man den verständigen Anleger – etwa aufgrund der Kritik der Behavioral Finance – hingegen nicht vollständig im Lichte ökonomischer Theorie verstehen wollen, hätte man etwa für die Bestimmung der Kursrelevanz von Zwischenschritten, die nicht schon selbst die Voraussetzungen einer ad-hoc-pflichtigen Insiderinformation erfüllt hätten, ein von Bingel vorgeschlagenes Regel-Ausnahme-Verhältnis fruchtbar machen können.1161 Danach berücksichtigt ein verständiger Anleger grundsätzlich nur solche Zwischenschritte, bei denen man das zukünftige Endergebnis vernünftigerweise erwarten kann (50 % plus x). Davon gibt es zwei Ausnahmen: Zum einen, wenn das zukünftige Endergebnis von herausragender Bedeutung ist.1162 Dann kann der Zwischenschritt auch schon kurserheblich sein, wenn man das zukünftige Endergebnis noch nicht vernünftigerweise erwarten kann. Zum anderen, wenn der Zwischenschritt ein stark gegenwartsbezogenes Element aufweist und seine Bedeutung nur partiell von dem zukünftigen Endergebnis ableitet. Auch dann kann der Zwischenschritt kurserheblich sein bevor man das zukünftige Endergebnis vernünftigerweise erwarten kann. In einem solchen zweistufigen Modell ist die Bedeutung der Möglichkeit der Selbstbefreiung grundsätzlich weniger groß, da mit Vorliegen der ad-hoc-pflichtigen Tatsache gemeinhin auch eine Veröffentlichung angezeigt sein wird.1163 Gleichfalls ist sie nicht obsolet. Gerade wenn man die Anwendung der probability-magnitudeFormel präferiert, kann es bei einer außerordentlich bedeutsamen Transaktion (erwartete Auswirkungen sind extrem groß) in einem sehr frühen Zeitpunkt (sehr geringe Eintrittswahrscheinlichkeit) zu einer veröffentlichungspflichtigen Insiderinformation kommen. In diesem frühen Stadium hat der Emittent jedoch ein großes Geheimhaltungsinteresse, um die Transaktion nicht zu gefährden, womit es hier in seinem Interesse geboten ist, auch in einem zweistufigen Modell grundsätzlich die Möglichkeit zur Selbstbefreiung zu haben. Es zeigt sich mithin, dass in einem zweistufigen Modell aufgrund der unterschiedlichen tatbestandlichen Anknüpfung Insiderhandelsverbote und Ad-hoc-Publizität grundsätzlich voll und ganz an ihren Regelungszielen ausgerichtet werden können. Insbesondere trägt das Abstellen auf eine eigenständige ad-hoc-pflichtige Insiderinformation der primären Funktion der Ad-hoc-Publizität als transparenzrechtlichem Instrument Rechnung.

1161

Bingel, AG 2012, 685, 690 f. Beispielhaft nennt Bingel, AG 2012, 685, 691 hierfür öffentliche Übernahmen, bei denen der Anleger einen erheblichen Aufschlag (15 – 20 %) auf den aktuellen Börsenkurs erwartet. Solche Übernahmen können aus Sicht der Zielgesellschaft und ihrer Aktionäre ein solches Endergebnis von herausragender Bedeutung sein. 1163 Krause/Brellochs, AG 2013, 309, 336. 1162

206

Kap. 5: Das Insiderrecht der MMVO

Dem generell gegen das zweistufige Modell vorgebrachten Vorbehalt, dass eine zusätzliche Kategorie der Insiderinformation zu mehr Rechtsunsicherheit führen würde und ein einstufiges Modell leichter zu handhaben wäre,1164 kann in dieser Pauschalität nicht zugestimmt werden. Auf der einen Seite zeigt gerade die MMVO eindrucksvoll, dass auch ein einstufiges Modell zu starken Rechtsunsicherheiten und folglich höheren Compliance-Kosten führen kann. Auf der anderen Seite ist Rechtssicherheit letztlich keine Frage eines bestimmten Modells, sondern der Ausgestaltung der vorhandenen Regelungen. Nach all dem wäre es wünschenswert gewesen, wenn der europäische Gesetzgeber den Mut gehabt hätte, der Grundidee des Kommissionsvorschlags nach einem zweistufigen Modell zu folgen und ein solches nach dem hier unterbreiteten Vorschlag in die MMVO aufgenommen hätte. 3. Fazit Die vorstehende Analyse verdeutlicht, dass der europäische Gesetzgeber durchaus Möglichkeiten hatte, den Begriff der Insiderinformation und seine Folgen (Insiderhandelsverbote und Ad-hoc-Publizität) klarer, rechtssicherer und zweckorientierter auszugestalten und von diesen Möglichkeiten auch wusste. Letztlich hat er sich aber gegen diese Möglichkeiten entschieden und dadurch sinnvolle und aus praktischer Sicht auch wünschenswerte Reformen verpasst. Die Folge ist eine große Rechtsunsicherheit und es bleibt abzuwarten inwieweit die Verwaltungspraxis, namentlich die BaFin mit ihrem dann überarbeiteten Emittentenleitfaden, dem mit ihren beschränkten Möglichkeiten (lediglich interpretatorische, keine gestaltende Tätigkeit) entgegenwirken kann. Gerade aus Praxissicht sollte man sich aber zumindest nach den bisher in den FAQs der BaFin zu findenden Aussagen keine allzu großen Hoffnungen auf Besserung, etwa bezüglich der Selbstbefreiungsproblematik, machen.

1164

Vgl. Krause/Brellochs, AG 2013, 309, 336.

B. Insiderhandelsverbote (Art. 14 MMVO i.V.m. Art. 8 u. Art. 10 MMVO)

207

B. Die Insiderhandelsverbote (Art. 14 MMVO i.V.m. Art. 8 und Art. 10 MMVO) I. Der Begriff des Insiders (Art. 8 Abs. 4 MMVO) Die Insiderhandelsverbote gelten in personeller Hinsicht für jede in Art. 8 Abs. 4 MMVO genannte Person (Insider).1165 Mit „jede Person“ meint die Vorschrift damit sowohl natürliche als auch juristische Personen.1166 1. Primärinsider (Art. 8 Abs. 4 lit. a) bis d) MMVO) Nach Art. 8 Abs. 4 lit. a) bis d) MMVO unterfallen die dort genannten Personen den Insiderhandelsverboten, ohne dass sie weitere Voraussetzungen erfüllen müssen. Diese Personen werden als Primärinsider bezeichnet.1167 Zu diesen gehören etwa die Organmitglieder des Emittenten (lit. a)), die Anteilseigner des Emittenten (lit. b)), sog. Berufsinsider, die aufgrund der Ausübung einer Arbeit oder eines Berufs oder der Erfüllung von Aufgaben Zugang zu Insiderinformationen haben (lit. c)) und Personen, die über Insiderinformationen verfügen, weil sie an kriminellen Handlungen beteiligt sind (lit. d)).1168 Unterliegt eine Person einer der vorgenannten Fallgruppen, so gelten für sie als Primärinsider die Insiderhandelsverbote. Ein Einwand dahingehend, dass er die Insiderqualität der Information weder kannte noch hätte kennen müssen, steht einem Primärinsider nicht zu.1169 Das folgt aus dem klaren Wortlaut, der Systematik und dem Telos von Art. 8 Abs. 4 MMVO, der die Primärinsidereigenschaft ausschließlich an die Möglichkeit des besonderen Zugangs zu Insiderinformationen geknüpft hat, da diese Personen regelmäßig mit Insiderinformationen zu tun haben und daher ihre Befolgung der Insiderhandelsverbote erwartet werden kann.1170 Für Personen außerhalb dieses Kreises, die dementsprechend auch grundsätzlich seltener mit Insiderinformationen in Berührung kommen, ist es hingegen sachgerecht, die Einstufung als Insider an eine zusätzliche subjektive Voraussetzung zu koppeln.

1165 Für das Verbot der unrechtmäßigen Offenlegung von Insiderinformationen (Art. 14 lit. c) MMVO) ergibt sich das aus dem Verweis in Art. 10 Abs. 1 UAbs. 2 MMVO auf Art. 8 Abs. 4 MMVO. 1166 Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 8 Rn. 11. 1167 Veil, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 7 Rn. 16; Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 8 Rn. 15; Grundmann, in: HGB-Großkomm., Band 11/1 Rn. 370. 1168 Grundmann, in: HGB-Großkomm., Band 11/1 Rn. 370 ff.; Veil, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 7 Rn. 17 ff.; Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 8 Rn. 19 ff. 1169 Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, § 107 Rn. 68; Klöhn, in: Klöhn/ MMVO, Art. 8 Rn. 30; Veil, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 7 Rn. 15, 22; a.A. wohl Grundmann, in: HGB-Großkomm., Band 11/1 Rn. 376. 1170 Vgl. Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 8 Rn. 30.

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Kap. 5: Das Insiderrecht der MMVO

2. Sekundärinsider (Art. 8 Abs. 4 UAbs. 2 MMVO) Die damit angesprochenen Personen, die keinen besonderen Zugang zu Insiderinformationen haben, werden gemeinhin als Sekundärinsider bezeichnet.1171 Für Sekundärinsider spielt es keine Rolle, wie sie die Insiderinformation erhalten haben, insbesondere muss keine Weitergabe eines Primärinsiders vorliegen.1172 Allerdings muss der Sekundärinsider wissen oder hätte wissen müssen, dass es sich bei der Information um eine Insiderinformation handelt, um den Insiderhandelsverboten zu unterliegen. Wissen ist dabei im Sinne des dolus directus zweiten Grades als sicheres Wissen zu verstehen. Der Sekundärinsider muss also positive Kenntnis davon haben, dass die ihm vorliegende Information die Voraussetzungen von Art. 7 Abs. 1 lit. a) MMVO erfüllt und folglich als Insiderinformation zu qualifizieren ist. Strittig ist, ab wann von einem Wissenmüssen auszugehen ist. Während einige dafür bereits einfache Fahrlässigkeit ausreichen lassen wollen,1173 plädieren andere für einen strengeren Maßstab, um die Freiheit des Wertpapierhandels außerhalb der Primärinsider nicht zu stark einzuschränken.1174 Überzeugend ist das erstgenannte Verständnis, da es in Einklang mit dem Telos der MMVO und ihrem Insiderrecht steht. Eine umfassende und frühzeitige Insiderprävention setzt die Wirksamkeit der Insiderhandelsverbote voraus, die es wiederum erfordert, dass Sekundärinsider eine Information auch bei lediglich einfach fahrlässiger Verkennung von deren Insiderqualität nicht nutzen dürfen.1175 Darüber hinaus entspricht es auch dem Prinzip der informationellen Chancengleichheit für ein möglichst frühzeitiges Eingreifen der Insiderhandelsverbote zu sorgen.

II. Verbotstatbestände des Art. 14 MMVO Wie schon die Vorgängerregelung des § 14 WpHG a.F., enthält auch Art. 14 MMVO drei Verbotstatbestände: das Tätigungsverbot (Art. 14 lit. a) MMVO), das Empfehlungs- und Verleitungsverbot (Art. 14 lit. b) MMVO) und das Offenlegungsverbot (Art. 14 lit. c) MMVO).

1171 Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 8 Rn. 15; Veil, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 7 Rn 21; Grundmann, in: HGB-Großkomm., Band 11/1 Rn. 376. 1172 So schon der Wortlaut von Art. 8 Abs. 4 UAbs. 2 MMVO „unter anderen Umständen als nach Unterabsatz 1“; Grundmann, in: HGB-Großkomm., Band 11/1 Rn. 376; Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, § 107 Rn. 132. 1173 Veil, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 7 Rn. 22; Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 8 Rn. 34. 1174 Grundmann, in: HGB-Großkomm., Band 11/1 Rn. 376. 1175 Vgl. Veil, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 7 Rn. 22.

B. Insiderhandelsverbote (Art. 14 MMVO i.V.m. Art. 8 u. Art. 10 MMVO)

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1. Das Verbot von Insidergeschäften (Art. 14 lit. a) und b) MMVO i.V.m. Art. 8 MMVO) a) Das Tätigungsverbot (Art. 14 lit. a) MMVO i.V.m. Art. 8 Abs. 1 MMVO) Art. 14 lit. a) MMVO verbietet das Tätigen von Insidergeschäften und den Versuch hierzu. Was dabei unter einem „Insidergeschäft“ zu verstehen ist, definiert Art. 8 Abs. 1 MMVO. Nach Satz 1 liegt ein Insidergeschäft vor, wenn eine Person über Insiderinformationen verfügt und unter Nutzung derselben für eigene oder fremde Rechnung direkt oder indirekt Finanzinstrumente, auf die sich die Informationen beziehen, erwirbt oder veräußert. Diese Definition entspricht Art. 2 Abs. 1 MMRL. Ein verbotenes Insidergeschäft zeichnet sich mithin durch zwei Merkmale aus. Zum einen muss eine tatbestandliche Handlung vorliegen (Erwerb oder Veräußerung) und zum anderen die Nutzung der Insiderinformation. aa) Tatbestandliche Handlungen (1) Erwerb oder Veräußerung Nach Art. 8 Abs. 1 S. 1 MMVO muss die Person Finanzinstrumente erwerben oder veräußern. Was unter „Erwerb“ und „Veräußerung“ zu verstehen ist, war zum alten Recht umstritten. Eine Ansicht vertrat – dem deutschen Abstraktionsprinzip folgend – die Meinung, dass es auf das dingliche Rechtsgeschäft ankomme, der Abschluss des schuldrechtlichen Rechtsgeschäfts mithin nicht reiche, da erst damit das Eigentum an den Wertpapieren übergehen würde.1176 Die herrschende Meinung ließ hingegen bereits den Abschluss des schuldrechtlichen Rechtsgeschäfts ausreichen, wenn dieses bindend und damit sichergestellt war, dass der Insider den erwarteten Gewinn auch realisieren konnte.1177 Gestützt wurde dieses Verständnis vor allem auf eine richtlinienkonforme Auslegung von § 14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG a.F., da die meisten Mitgliedsstaaten kein Abstraktionsprinzip kennen und mithin konsequenterweise auch die dingliche Rechtsänderung nicht konstitutiv sein konnte.1178 Diese Auslegung muss unter Geltung von Art. 8 Abs. 1 S. 1 MMVO erst recht gelten, da es sich hierbei um eine originär europarechtliche Vorschrift handelt, die eine Auslegung anhand der vom EuGH entwickelten unionsspezifischen Auslegungsgrundsätzen erfordert.1179 Hiernach kann es nicht auf das dingliche Rechtsgeschäft ankommen, da ansonsten eine einheitliche Auslegung in allen Mit1176

Schäfer, in: Schäfer/Hamann, § 14 WpHG Rn. 5; Casper, WM 1999, 363, 364 f. OLG Karlsruhe Urt. v. 04. 02. 2004 – 3 Ws 195/03 = NZG 2004, 377 ff.; Ritz, in: Just/ Voß/Ritz/Becker-WpHG, § 14 Rn. 11; Assmann, in: Assmann/Uwe H. Schneider-WpHG, § 14 Rn. 12; Sethe, in: Assmann/Schütze, § 8 Rn. 75; Lösler, in: Hand. d. KapI, § 2 Rn. 68. 1178 Sethe, in: Assmann/Schütze, § 8 Rn. 75; Klöhn, in: KK/WpHG, § 14 Rn. 89 mit jeweils noch weiteren Argumenten. 1179 Zur Auslegung oben Kapitel 4, C.I.2. 1177

210

Kap. 5: Das Insiderrecht der MMVO

gliedsstaaten nicht möglich wäre.1180 Überzeugend ist es daher, den Abschluss des schuldrechtlichen Rechtsgeschäfts als ausreichend zu erachten, wenn daraus ein gesicherter (nicht zur Disposition der Gegenpartei stehender) Anspruch auf Erlangung der Inhaberschaft an dem jeweiligen Finanzinstrument erlangt (Erwerb) oder eingeräumt wird (Veräußerung), denn bereits dabei nutzt der Insider sein Insiderwissen aus.1181 Selbstverständlich ist ein Erwerb oder eine Veräußerung auch in der Erlangung und Abgabe der Inhaberschaft an einem Finanzinstrument selbst zu sehen. Fraglich ist, ob auch unentgeltliche Rechtsgeschäfte (zum Beispiel eine Schenkung) einen „Erwerb“ oder eine „Veräußerung“ im Sinne von Art. 8 Abs. 1 S. 1 darstellen können, oder ob davon nur entgeltliche Vorgänge umfasst sind. Dem Wortlaut der Vorschrift lässt sich ein Entgeltlichkeitserfordernis nicht entnehmen.1182 Hinsichtlich des Telos ist zu fragen, ob auch bei einem unentgeltlichen Rechtsgeschäft ein ungerechtfertigter Vorteil mittels Insiderinformation zum Nachteil Dritter erzielt werden kann.1183 Das ist zu bejahen, insbesondere, wenn man den Zweck der Insiderhandelsverbote auch in der Herstellung von Vertragsparität und damit dem individuellen Anlegerschutz sieht.1184 Damit können grundsätzlich auch unentgeltliche Rechtsgeschäfte vom Verbot umfasst sein.1185 Allerdings setzen ein „Erwerb“ und eine „Veräußerung“ eine entsprechende Entscheidung der Person voraus, die erwirbt oder veräußert.1186 Gerade in den wohl bedeutendsten Fällen der unentgeltlichen Rechtsgeschäfte (Schenkung und Vererbung) wird es aber in aller Regel an einem solchen eigenen Entschluss des Insiders (im Falle des Bekommens) fehlen.1187 Grundsätzlich spricht jedoch nichts dagegen, auch unentgeltliche Rechtsgeschäfte als von Art. 8 Abs. 1 S. 1 MMVO umfasst anzusehen, wenn ein entsprechender Entschluss des Insiders vorliegt.1188

1180

Veil, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 7 Rn. 27; Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 8 Rn. 49. Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, § 107 Rn. 63; Veil, in: Meyer/Veil/ Rönnau, § 7 Rn. 27; Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 8 Rn. 52. 1182 Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, § 107 Rn. 65; Veil, in: Meyer/Veil/ Rönnau, § 7 Rn. 29. 1183 Vgl. Erwägungsgrund 23 S. 1 MMVO. 1184 A.A. Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 8 Rn. 57, der unter „zum Nachteil Dritter“ im Sinne von Erwägungsgrund 23 S. 1 MMVO nur Informationshändler versteht. 1185 Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, § 107 Rn. 65; Veil, in: Meyer/Veil/ Rönnau, § 7 Rn. 29. 1186 Erwägungsgrund 31 S. 1 MMVO. 1187 Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, § 107 Rn. 67. 1188 Veil, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 7 Rn. 29; Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/ Lwowski, § 107 Rn. 65. 1181

B. Insiderhandelsverbote (Art. 14 MMVO i.V.m. Art. 8 u. Art. 10 MMVO)

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(2) Stornierung oder Änderung Neu ist die Regelung in Art. 8 Abs. 1 S. 2 MMVO, wonach nun auch die Nutzung von Insiderinformationen in Form der Stornierung oder Änderung eines Auftrags in Bezug auf ein Finanzinstrument, auf das sich die Informationen beziehen, verboten ist, wenn der Auftrag vor Erlangen der Insiderinformation erteilt wurde. Dies bedeutet eine klare Änderung und Verschärfung zur bisherigen Rechtslage unter der MMRL, wonach Stornierungen aufgrund von Insiderinformationen straflos waren.1189 Die Aufnahme in den Verordnungstext der MMVO ist vor allem vor dem Hintergrund einer umfassenden Insiderprävention zu begrüßen.1190 Denn auch in diesen Fällen nutzt der Insider seine (nachträglich erlangte) Insiderkenntnis gegenüber den anderen Marktteilnehmern aus.1191 Das generell für eine sanktionslose „InsiderAbstinenz“ angeführte Argument, dass sich eine Abstinenz im Gegensatz zu einem aktiven Tun nicht immer nach außen manifestiere,1192 gilt für die in die MMVO aufgenommene Konstellation des Stornierens eines Auftrags aufgrund von nachträglich erlangtem Insiderwissen somit gerade nicht.1193 bb) Nutzung der Insiderinformation (1) Verfügen über eine Insiderinformation Darüber hinaus muss die Person über eine Insiderinformation verfügt haben und unter Nutzung derselben gehandelt haben. Wann eine Person über eine Insiderinformation verfügt, wird weder in der MMVO noch in einem Level 2-Rechtsakt näher erläutert. Als Synonym spricht die deutsche Sprachfassung von „besitzen“ (Art. 8 Abs. 4 UAbs. 2 MMVO) und „im Besitz“ (Art. 9 Abs. 1 MMVO). Die englische Sprachfassung greift durchgängig auf diesen Begriff zurück („possesses“ oder „in possession“), wohingegen die französische Sprachfassung ebenfalls zwischen „verfügen“ („détient“, Art. 8 Abs. 1 S. 1 MMVO) und „besitzen“ („possède“, Art. 8 Abs. 4 MMVO) oder „im Besitz“ („en possession“, Art. 9 Abs. 1 MMVO) wechselt.

1189

Mennicke, in: Fuchs/WpHG, § 14 Rn. 35; Assmann, in: Assmann/Uwe H. SchneiderWpHG, § 14 Rn. 17. 1190 Giering, CZZ 2016, 214, 215; vgl. auch Buck-Heeb, Rn. 345; Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, § 107 Rn. 63; kritisch Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 8 Rn. 74 ff., der sich jedoch eher generell mit dem gesamten „Prinzip der Sanktionslosigkeit der Insider-Abstinenz“ – wovon er die Regelung in Art. 8 Abs. 1 S. 2 MMVO als „punktuelle Ausnahme“ sieht – auseinandersetzt. 1191 Buck-Heeb, Rn. 345; Giering, CZZ 2016, 214, 215. 1192 Begriff und Argument bei Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 8 Rn. 74 ff. 1193 Vgl. Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, § 107 Rn. 63.

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Kap. 5: Das Insiderrecht der MMVO

Richtigerweise kann damit nur die Kenntnis der Insiderinformation gemeint sein.1194 Das Verbot von Insidergeschäften sollte dann gelten, wenn eine Person im Besitz einer Insiderinformation ist und dadurch einen ungerechtfertigten Vorteil „aus dem mit Hilfe dieser Information“ erzielten Nutzen zieht.1195 Eine solche „Hilfe“ ist jedoch überhaupt nur möglich, wenn der Insider die Information kennt, denn andernfalls ist sie von vornherein kein Bestandteil des Entscheidungsprozesses des Insiders.1196 Für dieses Verständnis spricht ferner das Prinzip der informationellen Chancengleichheit, das gerade nicht verletzt ist, wenn der Insider seinen grundsätzlich zu missbilligenden Informationsvorsprung überhaupt nicht kennt.1197 Solche Geschäfte sind nicht geeignet, das Anlegervertrauen zu erschüttern und müssen folglich auch nicht verboten oder unter Strafe gestellt werden. (2) Maßgeblicher Zeitpunkt für die Nutzung Ob eine Person eine Insiderinformation nutzt, hängt jedoch nicht nur generell davon ab, ob sie Kenntnis von der Information hatte, sondern speziell davon, zu welchem Zeitpunkt diese Kenntnis vorlag.1198 Hierbei war schon zum alten Recht anerkannt1199 und gilt auch weiterhin, dass es auf den Zeitpunkt der Auftragserteilung oder den Zeitpunkt der letzten Entscheidung, die zum Erwerb oder zur Veräußerung geführt hat, ankommt.1200 Das folgt letztlich schon aus einem Umkehrschluss aus Art. 8 Abs. 1 S. 2 MMVO, der die nachtägliche Kenntniserlangung einer Insiderinformation nur insoweit verbietet, als dadurch der ursprüngliche Auftrag nicht aufrechterhalten wird (Stornierung oder Änderung).1201 Ergo ist die nachträgliche Kenntniserlangung einer bestätigenden Insiderinformation, die die bereits zuvor in Unkenntnis der Insiderinformation getätigte Auftragserteilung bestärkt und zu deren Aufrechterhaltung führt, unschädlich.1202 Gleichfalls verletzt eine solche nachträgliche, bestätigende Insiderinformation auch nicht das Prinzip der informationellen Chancengleichheit, da der Insider den zu missbilligenden Informationsvorsprung gerade nicht aktiv ausnutzt, sondern lediglich passiv zur Kenntnis nimmt. 1194 Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, § 107 Rn. 68; Grundmann, in: HGBGroßkomm., Band 11/1 Rn. 383; Veil, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 7 Rn. 42; Klöhn, in: Klöhn/ MMVO, Art. 8 Rn. 96 ff.; zum alten Recht BaFin, Emittentenleitfaden 2013, S. 37. 1195 Erwägungsgrund 23 S. 2 MMVO. 1196 Vgl. EuGH Urt. v. 23. 12. 2009 – Rs. C-45/08, Slg. 2009, I-12073 Rn. 36 (Spector Photo Group); Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 8 Rn. 98. 1197 Vgl. Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 8 Rn. 98. 1198 Veil, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 7 Rn. 42. 1199 BaFin, Emittentenleitfaden 2013, S. 37. 1200 Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, § 107 Rn. 71; Klöhn, in: Klöhn/ MMVO, Art. 8 Rn. 99; Veil, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 7 Rn. 42. 1201 Vgl. auch Erwägungsgrund 25 S. 2 MMVO („alle nachfolgenden Änderungen“). 1202 Vgl. Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 8 Rn. 100; zum alten Recht bereits BaFin, Emittentenleitfaden 2013, S. 37.

B. Insiderhandelsverbote (Art. 14 MMVO i.V.m. Art. 8 u. Art. 10 MMVO)

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(3) Spector-Entscheidung des EuGH Wann die „Nutzung“ einer Insiderinformation vorliegt, war unter Geltung der MMRL umstritten,1203 wurde aber von der herrschenden Meinung im Schrifttum so aufgefasst, dass ein Ursachenzusammenhang zwischen der Kenntnis und dem Handeln des Insiders erforderlich war.1204 Im Spector-Urteil,1205 das das erste Urteil des EuGH zur MMRL war, hat der EuGH dann entschieden, dass der Erwerb oder die Veräußerung von Insiderpapieren in Kenntnis einer Insiderinformation eine „Nutzung“ vermuten lässt. Gleichzeitig stellt der EuGH jedoch klar, dass es sich dabei um eine widerlegbare Vermutung handelt. In Gefolgschaft der herrschenden Meinung vor dem Urteil, wurde die Entscheidung des EuGH größtenteils1206 als Vermutung für die Kausalität zwischen Kenntnis der Insiderinformation und dem Handeln des Insiders interpretiert.1207 Aufgrund der vom EuGH hervorgehobenen Widerlegbarkeit der Vermutung stellte sich ferner die Frage, wann eine solche Ausnahme gegeben war. In seinem Urteil führte der EuGH dazu aus, dass diese Frage im Lichte der Zielsetzung der MMRL zu beurteilen sei, welche darin bestand, „die Integrität der Finanzmärkte zu schützen und das Vertrauen der Investoren zu stärken, das insbesondere auf der Gewissheit beruht, dass sie einander gleichgestellt und gegen die unrechtmäßige Verwendung einer Insider-Information geschützt sind“.1208 Ein verbotenes Insidergeschäft stellte folglich nur eine dieser Zielsetzung widersprechende Nutzung dar.1209 Wann konkret eine der Zielsetzung widersprechende Nutzung vorlag, erläuterte der EuGH hingegen nicht, sondern beschränkte sich auf die Aufzählung einzelner Erwägungsgründe der MMRL, die etwas zum Thema „Nutzung einer Insider-Information“ enthielten.1210 Als Konsequenz dieser Unklarheit hatte sich eine fallgruppenspezifische Betrachtungsweise gebildet.1211 Der europäische Gesetzgeber hat diese wesentlichen Aussagen des Spector-Urteils in die MMVO übernommen – zum Teil in den Erwägungsgründen, zum Teil auch kodifiziert im Verordnungstext. 1203

Zum Streit Klöhn, in: KK/WpHG, § 14 Rn. 119. Zur h.M. siehe Sethe, in: Assmann/Schütze, § 8 Rn. 95; Assmann, in: Assmann/Uwe H. Schneider-WpHG, § 14 Rn. 25; Lösler, in: Hand. d. KapI, § 2 Rn. 73; Cascante/Bingel, NZG 2010, 161, 162. 1205 EuGH Urt. v. 23. 12. 2009 – Rs. C-45/08, Slg. 2009, I-12073 (Spector Photo Group). 1206 Zum Streit ausführlich Klöhn, in: KK/WpHG, § 14 Rn. 130 ff. 1207 Ritz, in: Just/Voß/Ritz/Becker-WpHG, § 14 Rn. 31, 34; Klöhn, in: KK/WpHG, § 14 Rn. 131 ff.; Cascante/Bingel, NZG 2010, 161, 162. 1208 EuGH Urt. v. 23. 12. 2009 – Rs. C-45/08, Slg. 2009, I-12073 Rn. 61 (Spector Photo Group). 1209 EuGH Urt. v. 23. 12. 2009 – Rs. C-45/08, Slg. 2009, I-12073 Rn. 61 (Spector Photo Group). 1210 EuGH Urt. v. 23. 12. 2009 – Rs. C-45/08, Slg. 2009, I-12073 Rn. 56 ff. (Spector Photo Group). 1211 Ausführlich zu den Fallgruppen Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 8 Rn. 138 ff. 1204

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Kap. 5: Das Insiderrecht der MMVO

Erwägungsgrund 24 S. 1 MMVO enthält die Vermutung, wonach bei Handeln in Kenntnis der Insiderinformation eine Nutzung derselben unterstellt werden sollte. Auch unter Geltung der MMVO handelt es sich dabei um eine Vermutung für die Kausalität zwischen Kenntnis der Insiderinformation und dem Handeln des Insiders.1212 Gleichzeitig stellt Satz 2 klar, dass es sich um eine widerlegbare Vermutung handelt („lässt die Verteidigungsrechte unberührt“). Die generalklauselartige Ausnahme des Spector-Urteils für die dort aufgestellte Vermutung wurde in Satz 3 übernommen, der besagt, dass die Frage, ob eine Person gegen das Verbot von Insidergeschäften verstoßen hat „im Hinblick auf den Zweck dieser Verordnung untersucht werden [sollte], der darin besteht, die Integrität des Finanzmarkts zu schützen und das Vertrauen der Investoren zu stärken, das wiederum auf der Gewissheit beruht, dass die Investoren gleichbehandelt und vor der missbräuchlichen Verwendung von Insiderinformationen geschützt werden“. In Anlehnung an die fallgruppenspezifische Betrachtungsweise nach dem Spector-Urteil hat der europäische Gesetzgeber einige spezifische Ausnahmen von der Vermutungsregel ausdrücklich als „legitime Handlungen“ in Art. 9 MMVO statuiert. Aufgrund des generalklauselartigen Charakters von Erwägungsgrund 24 S. 3 MMVO sind die in Art. 9 MMVO festgehaltenen Ausnahmen jedoch keinesfalls als abschließend zu betrachten.1213 Finaler Maßstab muss stets der Zweck der MMVO sein, was auch sinnvoll ist, da die Ausnahmen stets nach dem Einzelfall zu beurteilen sind und eine von vornherein festgelegte Anzahl an Ausnahmen die große Gefahr birgt overinclusive oder underinclusive zu sein.1214 b) Das Empfehlungs- und Verleitungsverbot (Art. 14 lit. b) MMVO i.V.m. Art. 8 Abs. 2 MMVO) aa) Sprachliche Klarstellungen Gemäß Art. 14 lit. b) MMVO ist nicht nur das aktive Tätigen von Insidergeschäften und der Versuch hierzu verboten, sondern auch einem Dritten zu empfehlen, Insidergeschäfte zu tätigen oder Dritte dazu zu verleiten, Insidergeschäfte zu tätigen. In der ursprünglichen Fassung der MMVO war nicht von „verleiten“, sondern von „anstiften“ die Rede. Diese Wortwahl basierte auf einem Übersetzungsfehler des in der englischen Sprachfassung verwendeten Wortes „induce“. Schon in der englischen Sprachfassung der MMRL befand sich der Begriff „induce“, der damals 1212 Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, § 107 Rn. 69; Buck-Heeb, Rn. 347; Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 8 Rn. 126; siehe auch Art. 9 Abs. 1 MMVO („dass sie diese Information genutzt und daher auf der Grundlage eines Erwerbs oder einer Veräußerung Insidergeschäfte getätigt hat“). 1213 Assmann, in: Assmann/Schneider/Mülbert, Art. 9 MMVO Rn. 3; Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, § 107 Rn. 78; Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 9 Rn. 3; Poelzig, NZG 2016, 528, 533; Giering, CCZ 2016, 214, 216. 1214 So schon Basic. Inc. v. Levinson, 485 US 224, 236 (1988).

B. Insiderhandelsverbote (Art. 14 MMVO i.V.m. Art. 8 u. Art. 10 MMVO)

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richtigerweise mit „verleiten“ in § 14 Abs. 1 Nr. 3 WpHG a.F. überführt wurde. An dieser Wortwahl wollte der MMVO-Gesetzgeber ersichtlich nichts ändern, womit sich die Übersetzung mit „anstiften“ Kritik ausgesetzt sah, insbesondere aufgrund der damit vorhandenen sprachlichen Nähe zu § 26 StGB.1215 Dieser Fehler wurde mit der ersten Berichtigung zur MMVO korrigiert, womit es jetzt, wie zum alten Recht, um ein „verleiten“ geht.1216 Was unter einer Empfehlung zum Tätigwerden von Insidergeschäften oder der Verleitung1217 Dritter hierzu zu verstehen ist, normiert Art. 8 Abs. 2 MMVO. Neu ist, dass in Einklang mit Art. 8 Abs. 1 S. 2 MMVO auch die Empfehlung, einen Antrag zu stornieren oder zu ändern und die Verleitung eine solche Stornierung oder Änderung vorzunehmen, verboten sind, Art. 8 Abs. 2 lit. b) MMVO. bb) Anwendbarkeit der Vermutungsregel aus der Spector-Entscheidung des EuGH Die empfehlende oder verleitende Person muss, wie bei Art. 8 Abs. 4 MMVO, über „Insiderinformationen verfügen“, also Kenntnis über Insiderinformationen haben, wobei freilich die Kenntnis über eine Insiderinformation ausreicht.1218 Durch das Anknüpfen an die Kenntnis der Insiderinformation stellt sich die Frage, ob auch hier die in der Spector-Entscheidung aufgestellte Vermutung gilt, mithin dass aus der Kenntnis vermutet wird, dass die Empfehlung oder das Verleiten auf Grundlage der Insiderinformation geschehen ist. Auf den ersten Blick gegen eine solche Übertragbarkeit spricht der Wortlaut von Art. 8 Abs. 2 MMVO. Denn während es in der Spector-Entscheidung ausdrücklich um die Bedeutung des Begriffs der „Nutzung einer Insiderinformation“ ging,1219 der sich dementsprechend auch in Art. 8 Abs. 1 MMVO wiederfindet, nennt Art. 8 Abs. 2 MMVO die Empfehlung oder Verleitung „auf der Grundlage“ einer Insiderinformation.1220 Allerdings wird in Art. 9 Abs. 1 MMVO der Begriff „auf der Grundlage“ zur Konkretisierung des Begriffs „nutzen“ herangezogen, was dahingehend verstanden werden könnte, dass der Gesetzgeber die beiden Begriffe als

1215

Zur Kritik Klöhn, AG 2016, 423, 424 f. Berichtigung der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung) und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinien 2003/124/EG, 2003/125/EG und 2004/72/EG der Kommission, ABl. EU Nr. L 287 v. 21. 10. 2016, S. 320, 322. 1217 Auch in Art. 8 MMVO wurde durch die Berichtigung der MMVO v. 21. 10. 2016 „anstiften“ durch „verleiten“ ersetzt. 1218 Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 8 Rn. 230. 1219 Etwa EuGH Urt. v. 23. 12. 2009 – Rs. C-45/08, Slg. 2009, I-12073 Rn. 30, 34 (Spector Photo Group). 1220 Schelm, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 9 Rn. 11. 1216

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Kap. 5: Das Insiderrecht der MMVO

synonym versteht.1221 Klarer gegen eine Anwendung der Vermutung im Rahmen des Empfehlungs- und Verleitungsverbots spricht Erwägungsgrund 24 S. 1 MMVO.1222 Dieser eindeutig vor dem Hintergrund der Spector-Entscheidung zu sehende Erwägungsgrund nennt die Vermutungsregel ausdrücklich nur in Zusammenhang mit Insidergeschäften gem. Art. 8 Abs. 1 MMVO. Allerdings sind bei der Auslegung stets alle Auslegungsgrundsätze zu berücksichtigen, insbesondere der Telos der in Frage stehenden Vorschrift. Art. 14 lit. b) MMVO i.V.m. Art. 8 Abs. 2 MMVO soll im Zusammenspiel mit Art. 14 lit. a) MMVO i.V.m. Art. 8 Abs. 1 MMVO für ein umfassendes Verbot von Insidergeschäften sorgen. Dafür, dass die beiden Vorschriften als Einheit zu verstehen sind, spricht bereits, dass die Neuregelung bezüglich Stornierung und Änderung in beide Vorschriften aufgenommen wurde, damit diese sich weiterhin optimal ergänzen. Würde man nun aber im Rahmen des Empfehlungs- und Verleitungsverbots die Vermutungsregel nicht zur Anwendung kommen lassen und stattdessen den vollen Nachweis der Kausalität zwischen Kenntnis und Empfehlung oder Verleitung verlangen, würde das in der Praxis zu erheblichen Beweisschwierigkeiten führen.1223 Folge wäre eine erhebliche Einschränkung der Wirksamkeit des Empfehlungs- und Verleitungsverbots, womit in der Konsequenz kein umfassendes und auch kein gleichlaufendes Verbot von Insidergeschäften mehr bestünde. Der Insider könnte – zumindest theoretisch – durch eine Empfehlung oder Verleitung statt einer eigenen Nutzung die Vermutungsregel umgehen und sich hinter dem nur schwer zu führenden Kausalitätsbeweis „verstecken“, was, ebenfalls theoretisch, neue Anreize für Insiderhandel durch mehrgliedrige, verschleiernde Konstruktionen schafft. Dementsprechend ist es im Sinne von wirksamen Insiderhandelsverboten, dass die in der Spector-Entscheidung aufgestellte Vermutung auch im Rahmen des Empfehlungsund Verleitungsverbots zur Anwendung kommt.1224 Selbstverständlich geht mit der Vermutung auch die Möglichkeit einher, diese zu widerlegen. Insoweit gelten die gleichen Voraussetzungen wie für das Tätigungsverbot – eine Empfehlung oder Verleitung ist letztlich dann nicht verboten oder strafbar, wenn sie dem Zweck der MMVO nicht zuwiderläuft.1225

1221

So Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 8 Rn. 237. So auch Schelm, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 9 Rn. 11; a.A. Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 8 Rn. 237. 1223 Schelm, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 9 Rn. 13; Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 8 Rn. 237; zum alten Recht bereits Cahn, ZHR 162 (1998), 1, 42 f.; Rothenhöfer, in: Kümpel/Wittig, Rn. 3.573; Mennicke, in: Fuchs/WpHG, § 14 Rn. 375. 1224 I. E. ebenfalls Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, § 107 Rn. 76; Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 8 Rn. 237; Schelm, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 9 Rn. 13, der zwar nicht von einer Vermutung, aber von einem „Erfahrungssatz“ ausgehen will. 1225 Vgl. Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 8 Rn. 238. 1222

B. Insiderhandelsverbote (Art. 14 MMVO i.V.m. Art. 8 u. Art. 10 MMVO)

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cc) Art. 8 Abs. 3 MMVO: Erfassung von Tippempfängern Eine wichtige Ergänzung zum Empfehlungs- und Verleitungsverbot ist die Regelung in Art. 8 Abs. 3 MMVO, wonach auch die Nutzung von Empfehlungen oder Verleitungen ein verbotenes Insidergeschäft nach Art. 14 lit. a) MMVO darstellt, wenn der Empfänger der Empfehlung oder Verleitung weiß oder wissen müsste,1226 dass diese auf Insiderinformationen beruht. Die Regelung erinnert an die tippeeHaftung aus dem US-amerikanischen Insiderrecht, ist jedoch deutlich strenger ausgestaltet, da es lediglich darauf ankommt, ob der Tippempfänger weiß oder wissen müsste, dass die Empfehlung oder Verleitung auf einer Insiderinformation beruht und es nicht etwa noch auf einen persönlichen Nutzen des Tippgebers ankommt.1227 Dass auch das Handeln des Tippempfängers in Unkenntnis der Insiderinformation ein verbotenes Insidergeschäft darstellen kann, entspricht dem Prinzip der informationellen Chancengleichheit, da auch ein Tippempfänger, der weiß oder wissen müsste, dass die Empfehlung oder Verleitung auf einer Insiderinformation beruht, einen zu missbilligenden Informationsvorsprung gegenüber den restlichen Marktteilnehmern hat, bei deren Nutzung diesen Wissensvorsprung verwertet und sich mithin wie ein Insider verhält.1228 (1) Eigenständiger personeller Anwendungsbereich Was den personellen Anwendungsbereich von Art. 8 Abs. 3 MMVO angeht, legt die Systematik von Art. 8 MMVO nahe, dass sich auch dieser nach Art. 8 Abs. 4 MMVO richtet. Das kann allerdings im Ergebnis nicht zutreffen. Denn Art. 8 Abs. 4 MMVO knüpft an Personen an, die Kenntnis von Insiderinformationen haben, wohingegen es für Art. 8 Abs. 3 MMVO gerade nicht auf die Kenntnis der Insiderinformation an sich ankommt, sondern auf die Kenntnis der Empfehlung oder Verleitung, die auf einer Insiderinformation beruht. Würde man nun also die Voraussetzungen von Art. 8 Abs. 4 MMVO auch für Art. 8 Abs. 3 MMVO fordern, würde die Regelung nur Tippempfänger erfassen, die auch Kenntnis von der Insiderinformation haben. Damit würde das Verbot des Art. 8 Abs. 3 MMVO jedoch praktisch leerlaufen und die bezweckte Ausdehnung der Insiderhandelsverbote auf Nutzungen, die nicht in Kenntnis einer Insiderinformation stattfinden, aber sich im Ergebnis wie solche darstellen, würde gerade nicht erreicht werden.1229 Daher ist anzunehmen, dass es sich hierbei um ein systematisches Versehen innerhalb des Art. 8 MMVO handelt und Art. 8 Abs. 3 MMVO seinen personellen Anwendungsbereich selbst bestimmt. Erfasst sind also Personen, die wissen oder 1226 Das Gesetz spricht an dieser Stelle von „wissen sollte“, womit aber nichts anderes als „wissen müssen“ (vgl. Art. 8 Abs. 4 UAbs. 2 MMVO) gemeint ist, wie auch ein Vergleich mit der englischen Sprachfassung zeigt, die stets den Begriff „ought to know“ verwendet. 1227 Ausführlich zur tippee-Haftung im US-amerikanischen Insiderrecht oben Kapitel 2, A.II.5. 1228 Vgl. Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 8 Rn. 242. 1229 Vgl. Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 8 Rn. 245 f.

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Kap. 5: Das Insiderrecht der MMVO

wissen müssten, dass die Empfehlung oder Verleitung, der sie folgen, auf einer Insiderinformation beruht. Dafür spricht auch der systematische Vergleich mit Art. 10 MMVO, der in seinem Abs. 2 ebenfalls den Tippempfänger adressiert, den Verweis auf den Anwendungsbereich des Art. 8 Abs. 4 MMVO aber lediglich für das Verbot der unrechtmäßigen Offenlegung von Insiderinformationen nach Abs. 1 vorsieht.1230 (2) Keine Anwendbarkeit der Vermutungsregel aus der Spector-Entscheidung des EuGH Da Art. 8 Abs. 3 MMVO an eine „Nutzung“ anknüpft, stellt sich auch hier die Frage nach der Anwendbarkeit der in der Spector-Entscheidung aufgestellten Vermutungsregel. Im Rahmen des Art. 8 Abs. 3 MMVO würde das bedeuten, dass von der Kenntnis der Empfehlung oder Verleitung auf eine Nutzung dieser geschlossen würde. Dafür könnte man anführen, dass es im Sinne der Einheitlichkeit der Insiderhandelsverbote ist, wenn die Vermutungsregel auch bei Art. 8 Abs. 3 MMVO zur Anwendung kommt. Allerdings erging die Spector-Entscheidung ausdrücklich zur „Nutzung von Insiderinformationen“, wohingegen es hier um die Nutzung von Empfehlungen oder Verleitungen geht, die auf einer Insiderinformation beruhen. Der Anknüpfungspunkt für eine Übertragbarkeit ist folglich das Wissen um die Insiderinformation. Der EuGH hat die Vermutung darauf gestützt, dass eine Person, die eine Insiderinformation kennt, diese stets zum wesentlichen Bestandteil ihres Entscheidungsprozesses macht, womit eine Vermutungsregel angebracht sei.1231 Im Rahmen von Empfehlungen oder Verleitungen weiß die Person jedoch maximal, dass diese auf einer Insiderinformation beruhen, jedoch nicht deren Inhalt. Im Fall des Wissenmüssens ist nicht einmal dieses Bewusstsein vorhanden. Folglich ist in diesen Konstellationen das Wissen um die Insiderinformation nicht derart stark ausgeprägt, dass man davon ausgehen könnte, dass auch hier die Insiderinformation stets wesentlicher Bestandteil des Entscheidungsprozesses ist.1232 Die Anwendbarkeit der Vermutungsregel der Spector-Entscheidung im Rahmen von Art. 8 Abs. 3 MMVO ist folglich zu verneinen.1233 Für eine „Nutzung“ im Rahmen des Art. 8 Abs. 3 MMVO muss mithin ein Ursachenzusammenhang zwischen der Empfehlung oder Verleitung und der Handlung des Tippempfängers bestehen, der vollständig nachzuweisen ist.1234

1230

Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 8 Rn. 245 f. EuGH Urt. v. 23. 12. 2009 – Rs. C-45/08, Slg. 2009, I-12073 Rn. 36 (Spector Photo Group). 1232 Vgl. Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 8 Rn. 253. 1233 So auch Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 8 Rn. 253. 1234 Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 8 Rn. 254. 1231

B. Insiderhandelsverbote (Art. 14 MMVO i.V.m. Art. 8 u. Art. 10 MMVO)

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Hinsichtlich des Wissens- und Wissenmüssenskriteriums gilt das zu Art. 8 Abs. 4 UAbs. 2 MMVO Gesagte, insbesondere genügt auch hier einfache Fahrlässigkeit.1235 c) Legitime Handlungen (Art. 9 MMVO) aa) Tatbestandsausschließende Wirkung In Anlehnung an die Spector-Rechtsprechung hat der europäische Gesetzgeber eine – nicht abschließende – Anzahl an „legitimen Handlungen“ normiert, bei deren Vorliegen die Vermutung für die „Nutzung der Insiderinformation“ im Rahmen der verbotenen Insidergeschäfte widerlegt ist.1236 Nicht ausdrücklich verhält sich die MMVO dazu, ob Art. 9 MMVO lediglich eine Rückausnahme zur Vermutungsregel ist oder generell tatbestandsausschließende Wirkung hat. Die Überschrift von Art. 9 MMVO spricht für letztgenanntes Verständnis, da „legitime Handlungen“ begriffslogisch keinen Verbotstatbestand erfüllen können. Dass dieses Ergebnis zutreffend ist, bestätigt die Ausnahmeregelung in Art. 9 Abs. 6 MMVO. Danach können die in Art. 9 Abs. 1 bis 5 MMVO genannten legitimen Handlungen doch „als Verstoß gegen das Verbot von Insidergeschäften“ betrachtet werden. Es wird also gerade nicht gesagt, dass doch eine Nutzung der Insiderinformation vorliegen kann, sondern mit „Verbot von Insidergeschäften“ nimmt die Ausnahme den ganzen Tatbestand in Bezug, was im Umkehrschluss bedeutet, dass die legitimen Handlungen im ersten Schritt auch den Tatbestand entfallen lassen müssen. Den Fallgruppen des Art. 9 Abs. 1 bis 5 MMVO kommt folglich – mit Ausnahme des Vorliegens der Voraussetzungen in Art. 9 Abs. 6 MMVO – tatbestandsausschließende Wirkung zu.1237 bb) Berücksichtigung weiterer Fallgruppen außerhalb von Art. 9 MMVO Die sich in Folge der Spector-Entscheidung gebildeten Fallgruppen, wann Ausnahmen von verbotenen Insidergeschäften anzunehmen sind, wurden nicht vollständig in die MMVO übernommen. Dass die normierten Ausnahmen für juristische Personen bei hinreichenden organisationsrechtlichen Vorkehrungen (chinese walls) (Abs. 1), Market-Maker und zugelassenen Gegenparteien (z. B. Broker) (Abs. 2), die Erfüllung von Verpflichtungen (Abs. 3), öffentliche Übernahmeangebote (Abs. 4) und die Umsetzung eigener Entschlüsse (Abs. 5) nicht abschließend sind, ist aner1235

Ausführlich Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 8 Rn. 256 ff. Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, § 107 Rn. 78; Veil, in: Meyer/Veil/ Rönnau, § 7 Rn. 48; Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 9 Rn. 1. 1237 I.E ebenfalls Veil, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 7 Rn. 48; Hopt/Kumpan, in: Schimansky/ Bunte/Lwowski, § 107 Rn. 78; Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 9 Rn. 1; Assmann, in: Assmann/ Schneider/Mülbert, Art. 9 MMVO Rn. 2, 5; Horcher, in: Drinhausen/Eckstein, § 22 Rn. 23; Szesny, DB 2016, 1420, 1424; Veil, ZBB 2014, 85, 91; Poelzig, NZG 2016, 528, 532; a.A. Schäfer, in: Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, Rn. 14.49. 1236

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Kap. 5: Das Insiderrecht der MMVO

kannt.1238 Fraglich ist allerdings, unter welchen Voraussetzungen nicht normierte, aber zum alten Recht anerkannte Fallgruppen, z. B. face-to-face-Geschäfte oder Masterpläne, als „legitime Handlungen“ zu werten sind. Namentlich Veil spricht sich dafür aus, dass zusätzliche legitime Handlungen nur auf Grundlage einer Analogie zu Art. 9 MMVO anerkannt werden könnten.1239 Durch die konkretisierenden Vorgaben an die Voraussetzungen einer legitimen Handlung in Art. 9 MMVO wolle der Gesetzgeber eine Umgehung der Insiderhandelsverbote verhindern.1240 Dementsprechend könnten etwa face-to-face-Geschäfte oder Geschäfte aufgrund eines vorher festgelegten Masterplans, bei denen es an der Kausalität zwischen Insiderinformation und Handeln fehle, nur dann als legitime Handlungen analog Art. 9 Abs. 3 MMVO eingestuft werden, wenn zusätzlich die in Art. 9 Abs. 3 MMVO genannten Voraussetzungen erfüllt sind, wonach die Person in gutem Glauben und nicht zur Umgehung des Verbots von Insidergeschäften gehandelt haben darf.1241 Die analoge Anwendung von Rechtsnormen setzt grundsätzlich eine planwidrige Regelungslücke und eine vergleichbare Interessenlage voraus.1242 Die vergleichbare Interessenlage ließe sich hier durchaus bejahen. So ist nicht von der Hand zu weisen, dass etwa die Situation, wonach Geschäfte in Ausführung eines Masterplans, der vor Erlangung der Insiderinformation gefasst wurde, gewisse Ähnlichkeit mit der in Art. 9 Abs. 3 lit. a) MMVO normierten Konstellation hat.1243 Schwieriger sieht es jedoch hinsichtlich der planwidrigen Regelungslücke aus. Erwägungsgrund 29 MMVO besagt, dass es erforderlich ist „bestimmte legitime Handlungen anzuerkennen“. Diese Formulierung legt zumindest nahe, dass es eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers war, einige Fallgruppen zu normieren und andere nicht. Zudem zeigt Art. 9 Abs. 4 UAbs. 2 MMVO, der mit dem Beteiligungsaufbau im Rahmen von öffentlichen Übernahmen einen Anwendungsbereich der MasterplanAusnahme1244 ausdrücklich als legitime Handlung ausschließt, dass dem europäischen Gesetzgeber weitere Fallgruppen durchaus präsent waren, was ebenfalls dafür spricht, dass die fehlende ganzheitliche Normierung der Masterplan-Ausnahme auf einer bewussten Entscheidung des Gesetzgebers beruht. Vor diesem Hintergrund erscheint es zweifelhaft im Hinblick auf nicht normierte Fallgruppen von zum alten 1238 Siehe Nachweise bei Fn. 1213; ausführlich zu den normierten „legitimen Handlungen“ etwa Veil, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 7 Rn. 52 ff.; Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/ Lwowski, § 107 Rn. 80 ff.; Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 9 Rn. 6 ff.; Assmann, in: Assmann/ Schneider/Mülbert, Art. 9 MMVO Rn. 5 ff. 1239 Veil, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 7 Rn. 92. 1240 Veil, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 7 Rn. 92. 1241 Veil, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 7 Rn. 46, 92. 1242 Zu den Voraussetzungen der Analogie Honsell, in: Staudinger/BGB, Einl. zum BGB Rn. 156; Grüneberg, in: Palandt/BGB, Einl. Rn. 48. 1243 Vgl. Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, § 107 Rn. 98. 1244 Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, § 107 Rn. 98.

B. Insiderhandelsverbote (Art. 14 MMVO i.V.m. Art. 8 u. Art. 10 MMVO)

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Recht anerkannten legitimen Handlungen von einer planwidrigen Regelungslücke auszugehen. Daher sollten jegliche Geschäfte, die nicht unter Art. 9 MMVO fallen, besser über den generellen Maßstab aller Insidergeschäfte gelöst werden, namentlich den Zweck der MMVO, der darin besteht, die Integrität des Finanzmarkts zu schützen und das Vertrauen der Anleger zu stärken, das wiederum auf der Gewissheit beruht, dass die Investoren gleichbehandelt und vor der missbräuchlichen Verwendung von Insiderinformationen geschützt werden (Erwägungsgrund 24 S. 3 MMVO).1245 Dabei bietet es sich an, sich – zumindest gedanklich – von den nicht in der MMVO normierten Fallgruppen zu lösen und jedes Geschäft individuell am Maßstab von Erwägungsgrund 24 S. 3 MMVO zu messen. So ist zum Beispiel die unveränderte Durchführung eines Geschäfts, das in Ausführung eines Masterplans getätigt wird, der vor Erlangung der Insiderinformation gefasst wurde deshalb kein verbotenes Insidergeschäft, weil hier keine missbräuchliche Verwendung einer Insiderinformation vorliegt. Denn zum Zeitpunkt der letzten Entscheidung, die zum Erwerb oder zur Veräußerung geführt hat, lag keine Kenntnis der Insiderinformation vor. Es fehlt letztlich an der Kausalität zwischen Kenntnis von der Insiderinformation und der Handlung. Zur Bestätigung, dass in Fällen fehlender Kausalität die Vermutungsregel nicht gilt und kein verbotenes Insidergeschäft vorliegt, kann dann zusätzlich auf Art. 9 Abs. 3 MMVO verwiesen werden, der einen Fall der fehlenden Kausalität ausdrücklich als legitime Handlung anerkennt.1246 Auch face-to-face-Geschäfte, bei denen beide Vertragspartner die Insiderinformation kennen, sind hiernach keine verbotenen Insidergeschäfte, da beide Parteien den gleichen Kenntnisstand haben und somit die informationelle Chancengleichheit nicht berührt ist und kein Anlegervertrauen verloren geht.1247 Eine andere, durch Veils Vorschlag implizierte Frage ist, ob es nicht sachgerechter gewesen wäre, auch noch weitere Fallgruppen ausdrücklich zu normieren und gegebenenfalls mit weiteren Voraussetzungen zu versehen. Für den Rechtsanwender wäre eine größere Zahl an normierten legitimen Handlungen sicherlich hilfreich gewesen, würden sie doch für (noch) mehr Klarheit und Rechtssicherheit sorgen. Auf der anderen Seite hätte aufgrund der Vielzahl an diskutierten Fällen nie eine abschließende Normierung der legitimen Handlungen stattfinden können,1248 sodass immer auf den Maßstab in Erwägungsgrund 24 S. 3 MMVO hätte rekurriert werden müssen.

1245

So auch Poelzig, NZG 2016, 528, 533. Vgl. Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 8 Rn. 140. 1247 Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, § 107 Rn. 96; Poelzig, NZG 2016, 528, 533; Seibt/Wollenschläger, AG 2014, 593, 598. 1248 Vgl. Veil, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 7 Rn. 97. 1246

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Kap. 5: Das Insiderrecht der MMVO

Dass darüber nun auch zum alten Recht als Fallgruppe anerkannte Konstellationen zu lösen sind, ist im Ergebnis unproblematisch, da sachgerechte und zweckorientierte Ergebnisse erzielt werden. Insbesondere bedarf es keiner zusätzlichen Voraussetzungen, um eine Umgehung der Insiderhandelsverbote zu verhindern,1249 denn der Maßstab des Verbotszwecks selbst, ist hierfür absolut hinreichend. 2. Das Offenlegungsverbot (Art. 14 lit. c) MMVO i.V.m. Art. 10 MMVO) a) Unrechtmäßige Offenlegung Komplettiert werden die Insiderhandelsverbote durch das Verbot der unrechtmäßigen Offenlegung von Insiderinformationen, Art. 14 lit. c) MMVO. Was unter einer unrechtmäßigen Offenlegung zu verstehen ist, definiert Art. 10 Abs. 1 Hs. 1 MMVO. Danach liegt eine solche vor, wenn eine Person, die über Insiderinformationen verfügt diese Information gegenüber einer anderen Person offenlegt. Da es im Rahmen des Offenlegungsverbots wiederum darauf ankommt, dass die Person über Insiderinformationen „verfügt“, ist es folgerichtig, dass für den personellen Anwendungsbereich der Norm auf Art. 8 Abs. 4 verwiesen wird (Art. 10 Abs. 1 UAbs. 2 MMVO). Als sinnvolle Ergänzung zu Abs. 1 und in Erweiterung der Erfassung von Tippempfängern (tippees) gemäß Art. 8 Abs. 3 MMVO statuiert Art. 10 Abs. 2 MMVO, dass auch die Weitergabe von Empfehlungen oder das Verleiten anderer, nachdem man selbst verleitet wurde, gemäß Art. 8 Abs. 2 MMVO als unrechtmäßige Offenlegung von Insiderinformationen gilt, wenn die Person, die die Empfehlung weitergibt oder andere verleitet, nachdem sie selbst verleitet wurde, weiß oder wissen müsste,1250 dass die Empfehlung oder Verleitung auf Insiderinformationen beruht. Richtigerweise bestimmt sich der personelle Anwendungsbereich von Art. 10 Abs. 2 MMVO nicht nach Art. 8 Abs. 4 MMVO, da hier gerade nicht an die Kenntnis einer Insiderinformation angeknüpft wird. Im Rahmen von Art. 10 MMVO wird das auch durch die systematische Stellung des Verweises in Art. 10 Abs. 1 UAbs. 2 MMVO deutlich. Wie auch Art. 8 Abs. 3 MMVO, bestimmt Art. 10 Abs. 2 MMVO seinen Anwendungsbereich selbst, nämlich indem er auf Personen verweist, die die Empfehlung weitergeben oder andere verleiten, nachdem sie selbst verleitet wurden und wissen oder wissen müssten, dass die Empfehlung oder Verleitung auf Insiderinformationen beruht.1251

1249 1250 1251

So aber Veil, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 7 Rn. 92. Siehe Fn. 1226. Vgl. Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 10 Rn. 243.

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b) Ausnahmen vom Offenlegungsverbot aa) Allgemeine Ausnahme nach Art. 10 Abs. 1 Hs. 2 MMVO (1) Strittiger Maßstab für eine befugte Weitergabe im alten Recht Eine Offenlegung ist dann nicht als unrechtmäßig anzusehen, wenn sie im Zuge der normalen Ausübung einer Beschäftigung oder eines Berufs oder der normalen Erfüllung von Aufgaben geschieht, Art. 10 Abs. 1 Hs. 2 MMVO.1252 Diese Ausnahme fand sich in identischer Form bereits in Art. 3 lit. a) Insiderrichtlinie und MMRL. Trotz seit jeher bestehender Uneinigkeit darüber, wann genau die Voraussetzungen dieser Ausnahme erfüllt sind, hat der MMVO-Gesetzgeber auch hier nicht für wünschenswerte Klarheit gesorgt, sondern lediglich den alten Normtext übernommen und diesen in Erwägungsgrund 35 S. 1 MMVO wiederholt. Zu Art. 3 lit. a) Insiderrichtlinie wurde vereinzelt vertreten, dass eine Insiderinformationsweitergabe „zwingend erforderlich“ sein müsste, um als befugte Weitergabe zu gelten.1253 Der überwiegenden Ansicht war dieser Maßstab jedoch zu streng, da er das durch die Ausnahme anerkannte berechtigte Interesse des Offenlegenden zu stark einschränken würde.1254 Ihr zufolge war es für eine befugte Weitergabe ausreichend, wenn diese „erforderlich“ war.1255 Die Erforderlichkeit selbst wurde dabei anhand der zu lösenden Aufgaben im Rahmen der Betriebsorganisation bestimmt.1256 (2) Die Grøngaard und Bang-Entscheidung des EuGH In der bisher einzigen Entscheidung zum Offenlegungsverbot vom 22. 11. 2005 (Grøngaard und Bang)1257 entschied der EuGH, dass die Insiderinformationsweitergabe nur befugt ist, wenn zwischen der Weitergabe und der Ausübung der Arbeit, des Berufs oder der Erfüllung von Aufgaben ein enger Zusammenhang besteht und die Weitergabe für diese Tätigkeiten unerlässlich ist sowie den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet.1258 Als tragende Erwägungen seiner Entscheidung hat der EuGH darauf verwiesen, dass die Regelung in Art. 3 lit. a) Insiderrichtlinie eine „eng 1252 Wie die systematische Stellung schon zeigt, gilt die Ausnahme nicht für Art. 10 Abs. 2 MMVO, vgl. Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 10 Rn. 242. 1253 Assmann, AG 1994, 237, 247. 1254 Zum berechtigten Interesse Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, § 107 Rn. 104; Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 10 Rn. 36. 1255 Schwark/Kruse, in: Schwark/Zimmer, § 14 WpHG Rn. 47; Assmann, in: Assmann/Uwe H. Schneider-WpHG, § 14 Rn. 74; Sethe, in: Assmann/Schütze, § 8 Rn. 126 f.; Klöhn, in: KK/ WpHG, § 14 Rn. 318 f. 1256 Sethe, in: Assmann/Schütze, § 8 Rn. 127; Assmann, in: Assmann/Schneider/Mülbert, Art. 10 MMVO Rn. 19. 1257 EuGH Urt. v. 22. 11. 2005 – Rs. C-384/02, Slg. 2005, I-9939 (Grøngaard und Bang). 1258 EuGH Urt. v. 22. 11. 2005 – Rs. C-384/02, Slg. 2005, I-9939 Rn. 34, 48 (Grøngaard und Bang).

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auszulegende Ausnahme darstellt“ und man zudem der Tatsache Rechnung tragen müsse, dass „jede zusätzliche Weitergabe die Gefahr vergrößern kann, dass diese Informationen mit einem der Insiderrichtlinie zuwiderlaufenden Ziel ausgenutzt werden“.1259 Vom EuGH angesprochen werden damit die Ziele, die sich auch in Erwägungsgrund 24 S. 3 MMVO wiederfinden. Im Anschluss an das Urteil wurde kontrovers diskutiert, ob die Entscheidung aufgrund der Wortwahl „unerlässlich“ als Verschärfung des bisher vorherrschenden Erforderlichkeitsmaßstabes zu verstehen ist.1260 An dieser Kontroverse war der EuGH nicht unschuldig, da er in seiner Entscheidung an anderer Stelle auch nur von der „Erforderlichkeit einer Weitergabe“ sprach.1261 (3) Anwendbarkeit der Grøngaard und Bang-Entscheidung unter Geltung der MMVO Für die Ausnahme in Art. 10 Abs. 1 Hs. 2 MMVO bedeutet das, dass zunächst zu klären ist, ob die Grøngaard und Bang-Rechtsprechung unter Geltung der MMVO überhaupt Anwendung findet. Anders als wesentliche Passagen anderer bedeutender Urteile zum Insiderrecht (Geltl und Spector Photo Group), hat die Grøngaard und Bang-Rechtsprechung keine Kodifizierung in der MMVO oder in deren Erwägungsgründen erfahren. Einige Autoren leiten hieraus ab, dass der MMVO-Gesetzgeber damit dem Unerlässlichkeitskriterium eine Absage erteilt habe, insbesondere, da Erwägungsgrund 35 S. 1 MMVO keine Klarstellung enthalte, was unter „normal“ zu verstehen sei.1262 Dieses Argument überzeugt nicht. Aus dem Schweigen des Gesetzgebers zum Unerlässlichkeitsmaßstab in Erwägungsgrund 35 S. 1 MMVO kann nicht auf dessen Ablehnung geschlossen werden.1263 Denn wie bereits mehrfach festgestellt, sind ausdrücklichen Äußerungen in den Erwägungsgründen keine Änderungen gefolgt, womit eine solche durch bloßes Schweigen des Gesetzgebers erst recht nicht angenommen werden kann. Vielmehr spricht der Wortlaut von Art. 10 Abs. 1 Hs. 2 MMVO und Erwägungsgrund 35 S. 1 MMVO, der identisch ist, mit dem Wortlaut von Art. 3 lit. a) Insiderrichtlinie, zu welchem die Grøngaard und Bang-Rechtsprechung erging, dafür, dass das Verständnis der Ausnahmeregelung in Art. 10 Abs. 1 Hs. 2 MMVO durch Auslegung anhand der

1259

Bang). 1260 1261

Bang). 1262 1263

EuGH Urt. v. 22. 11. 2005 – Rs. C-384/02, Slg. 2005, I-9939 Rn. 34, 36 (Grøngaard und Zum Streit Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 10 Rn. 70 ff. EuGH Urt. v. 22. 11. 2005 – Rs. C-384/02, Slg. 2005, I-9939 Rn. 36 (Grøngaard und Sethe, in: Assmann/Schütze, § 8 Rn. 128; Zetzsche, NZG 2015, 817, 820. Veil, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 8 Rn. 12.

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Ziele der MMVO unter Berücksichtigung der Grøngaard und Bang-Rechtsprechung zu ermitteln ist.1264 Einen gänzlich anderen Ansatz vertritt Zetzsche. Für ihn kommt es weder auf die Unerlässlichkeit noch auf die Erforderlichkeit der Maßnahme an.1265 Zwar sei das Prinzip der informationellen Chancengleichheit weiterhin tragend, doch könne ihm kein pauschaler Vorzug zukommen.1266 Vielmehr leitet er aus der nun in der MMVO ausdrücklich geregelten Möglichkeit der Marktsondierung (Art. 11 MMVO) und der Tatsache, dass eine Marktsondierung gemäß Art. 11 Abs. 4 MMVO grundsätzlich eine befugte Weitergabe ist, ab, dass die Transaktionssicherheit als konkurrierender Schutzzweck in einem Umfang neben dem Markt- und Anlegerschutz stehe, der Einschränkungen bei der informationellen Chancengleichheit rechtfertige.1267 Folglich sei Art. 10 Abs. 1 Hs. 2 MMVO so zu verstehen, dass jede die Transaktionssicherheit erhöhende Weitergabe „normal“ und damit befugt sei.1268 Zuzugeben ist, dass die Regelungen zur Marktsondierung für ein Mehr an Transaktionssicherheit sorgen.1269 Problematisch ist jedoch die Pauschalität („jede“) des Ansatzes, da damit eine Weitergabe als befugt gelten würde, auch wenn die Transaktionssicherheit nur eine Nebenfolge wäre. Dieses Ergebnis ist mit dem Grundsatz der informationellen Chancengleichheit nur schwer vereinbar, insbesondere, weil Umgehungsmöglichkeiten geschaffen werden, da sich eine Erhöhung der Transaktionssicherheit oftmals irgendwie begründen lassen dürfte. Der Ansatz von Zetzsche überstrapaziert ferner die Bedeutung von Art. 11 MMVO. So erscheint es bereits vor dem Hintergrund von Art. 1 MMVO gewagt, das Ziel der Transaktionssicherheit derart auf eine Stufe mit den von jeher anerkannten Zielen von Funktions- und Anlegerschutz zu stellen, dass die Transaktionssicherheit eine Einschränkung des auch vom EuGH stets betonten Prinzips der informationellen Chancengleichheit zulasse. Auch an anderen Stellen, wenn es um den Zweck der MMVO geht, wird die Transaktionssicherheit mit keinem Wort erwähnt. Es liegt somit nahe, Art. 11 MMVO, wie auch Art. 9 MMVO, als speziellen Ausnahmetat-

1264 Ebenfalls für die Fortgeltung der Grøngaard und Bang-Rechtsprechung Assmann, in: Assmann/Schneider/Mülbert, Art. 10 MMVO Rn. 21; Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/ Lwowski, § 107 Rn. 105; Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 10 Rn. 72; Poelzig, NZG 2016, 528, 534; Veil, ZBB 2014, 85, 91. 1265 Zetzsche, NZG 2015, 817, 824. 1266 Zetzsche, NZG 2015, 817, 820. 1267 Zetzsche, NZG 2015, 817, 820. 1268 Zetzsche, NZG 2015, 817, 819 ff. 1269 Brellochs, in: Klöhn/MMVO, Art. 11 Rn. 1 „[…] Marktsondierungen machen es in vielen Fällen erst möglich, eine Kapitalmarkttransaktion so zu strukturieren, dass sie vom Markt aufgenommen und reibungslos umgesetzt werden kann […].“; vgl. auch Erwägungsgrund 32 MMVO.

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bestand zu begreifen,1270 der keine „generelle Botschaft“ enthält,1271 sondern nur im Rahmen umfangreicher und detaillierter Dokumentations- und Aufklärungspflichten zur Anwendung kommt.1272 Folglich findet die Grøngaard und Bang-Rechtsprechung auch unter Geltung der MMVO grundsätzlich Anwendung. (4) Modifizierung der Grøngaard und Bang-Entscheidung im Lichte der MMVO Damit ist zu untersuchen, welchen Maßstab der EuGH in der Grøngaard und Bang-Entscheidung angelegt hat. Nicht überzeugen kann dabei der Versuch, die Lösung auf sprachlicher Ebene des Urteils zu suchen.1273 Vielmehr ist der Hintergrund der Entscheidung zu beleuchten. Der EuGH führte explizit aus, dass es sich bei Art. 3 lit. a) Insiderrichtlinie um eine „eng auszulegende Ausnahme“ handelt, da jede zusätzliche Weitergabe mit der Vergrößerung der Gefahr einhergeht, dass gegen die Ziele der Insiderrichtlinie verstoßen wird.1274 Diese Haltung des Gerichts ist im Lichte der Insiderrichtlinie zu sehen, deren Insiderhandelsverbote lediglich Primärinsider umfassten.1275 Damit entstand mit jeder Weitergabe eine erhebliche Missbrauchsgefahr der Insiderinformation, welcher der EuGH durch eine „eng auszulegende Ausnahme“ entgegenwirken wollte. Es ist folglich davon auszugehen, dass der EuGH in der Grøngaard und Bang-Entscheidung tatsächlich einen strengeren Maßstab als das damals vorherrschende Erforderlichkeitskriterium einführen wollte, nämlich den der Unerlässlichkeit.1276 Dieser Maßstab gilt damit aufgrund des identischen Wortlauts von Art. 3 lit. a) Insiderrichtlinie und Art. 10 Abs. 1 Hs. 2 MMVO grundsätzlich auch unter Geltung der MMVO. Wie schon die Insiderrichtlinie beruht auch die MMVO auf dem Prinzip der informationellen Chancengleichheit aller Anleger, die grundsätzlich durch jede Weitergabe von Insiderinformationen gefährdet wird und sich folglich negativ auf das Vertrauen der Anleger auswirkt. Da die Grøngaard und Bang-Entscheidung vor 1270

Vgl. Veil, ZBB 2014, 85, 92 („Sonderregeln“); Schäfer, in: Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, Rn. 14.48 („Sonderfall“); Horcher, in: Drinhausen/Eckstein, § 22 Rn. 30 („Ausnahmefall“). 1271 So aber Zetzsche, NZG 2015, 817, 820. 1272 Art. 11 Abs. 3 und 5 MMVO sowie Erwägungsgrund 35 S. 2 ff.; dazu sogleich unter bb)(3). 1273 So jedoch Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 10 Rn. 73 f., der u. a. daraus, dass es bei der Verbindung von „streng“ mit „notwendig“ (so etwa die englische Sprachfassung des Urteils „strictly necessary“) „sprachlogisch“ zu keiner Verschärfung des Maßstabs komme, einen strengeren Maßstab durch die Grøngaard und Bang-Entscheidung ablehnt.; kritisch hierzu auch Assmann, in: Assmann/Schneider/Mülbert, Art. 10 MMVO Rn. 20 Fn. 6. 1274 EuGH Urt. v. 22. 11. 2005 – Rs. C-384/02, Slg. 2005, I-9939 Rn. 34, 36 (Grøngaard und Bang). 1275 Art. 2 Abs. 1 Insiderrichtlinie. 1276 Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, § 107 Rn. 105; Veil, in: Meyer/Veil/ Rönnau, § 8 Rn. 11; Bachmann, ZHR 172 (2008), 597, 624; Schwintek, EWiR 2006, 155, 156.

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diesem teleologischen Hintergrund ergangen ist, ist danach zu fragen, ob die MMVO diese Ziele dergestalt sicherstellt, dass, würde die Grøngaard und Bang-Entscheidung zur MMVO nochmal ergehen, der EuGH zu einer anderen Beurteilung kommen würde. In der MMVO streiten sowohl Funktionsschutz als auch Anlegerindividualschutz für eine umfassende Wirksamkeit der Insiderhandelsverbote. Es muss sich folglich auch bei der Regelung in Art. 10 Abs. 1 Hs. 2 MMVO um eine „eng auszulegende Ausnahme“ handeln. Anders als zu Zeiten der Insiderrichtlinie gelten die Insiderhandelsverbote gemäß Art. 14 MMVO mittlerweile jedoch auch für Sekundärinsider (Art. 8 Abs. 4 UAbs. 2 MMVO), also Personen, die auf sonstigem Wege Kenntnis von Insiderinformationen erlangt haben und wissen oder wissen müssten, dass es sich um Insiderinformationen handelt. Durch den damit einhergehenden größeren personellen Anwendungsbereich der Insiderhandelsverbote, besteht die vom EuGH befürchtete Missbrauchsgefahr bei der Weitergabe von Insiderinformationen nicht mehr im selben Maße als noch zu Zeiten der Insiderrichtlinie.1277 Damit erscheint es naheliegend, dass es unter Geltung der MMVO keines strengeren Unerlässlichkeitsmaßstabes mehr bedarf, sondern den Zielen der MMVO auch mit dem Erforderlichkeitsmaßstab Genüge getan wird.1278 Dafür spricht auch Art. 11 Abs. 2 MMVO, der im Rahmen öffentlicher Übernahmen von einer Marktsondierung ausgeht, wenn die Informationsweitergabe „erforderlich“ ist.1279 Gleichzeitig wird das Kriterium „erforderlich“ auch den berechtigten Interessen der Praxis nach einem funktionierenden Informationsfluss gerecht, die durch einen streng verstandenen Maßstab der Unerlässlichkeit nicht unerheblich eingeschränkt werden. bb) Marktsondierungen (Art. 11 MMVO) (1) Marktsondierungen als wichtiges Instrument für das Funktionieren der Finanzmärkte Eine Neuerung in der MMVO ist die ausdrückliche Regelung zu Marktsondierungen (market soundings)1280 in Art. 11 MMVO.1281 Danach besteht eine Marktsondierung in der Übermittlung von Informationen vor der Ankündigung eines Geschäfts an einen oder mehrere potenzielle Anleger, um das Interesse von potenziellen Anlegern an einem möglichen Geschäft und dessen Bedingungen wie seinem 1277

Vgl. Zetzsche, NZG 2015, 817, 820. I. E. ebenfalls Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 10 Rn. 73 ff., der allerdings nie von einem anderen Maßstab als der „Erforderlichkeit“ ausging; Horcher, in: Drinhausen/Eckstein, § 22 Rn. 27; für die Fortgeltung des Kriteriums der „Unerlässlichkeit“ hingegen Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, § 107 Rn. 105; Veil, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 8 Rn. 12. 1279 Siehe Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 10 Rn. 75. 1280 Auch „pilot-fishing“, „pre-sounding“, „soft-sounding“, oder „pre-pre-marketing“ genannt, siehe Fleischer/Bedkowski, DB 2009, 2195. 1281 Ausführlich hierzu Kubesch, Marktsondierung nach dem neuen Marktmissbrauchsrecht, S. 168 ff. 1278

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Umfang und seiner preislichen Gestaltung abzuschätzen, Art. 11 Abs. 1 MMVO. In der Praxis ist dieses Vorgehen etwa bei der Ermittlung des Erstausgabekurses von Aktien bei einem Börsengang eine absolut gängige Technik (bookbuilding-Verfahren). Nach bisher geltendem Recht war bei diesem Vorgehen vor allem in Bezug auf das Insiderrecht jedoch Vorsicht geboten.1282 Abhilfe schufen wall crossings,1283 bei denen (mögliche) Insiderinformationen gegenüber bestimmten Marktteilnehmern offengelegt werden, jedoch nur unter der Voraussetzung, dass diese vorher eine Vertraulichkeits- und Nichthandelsvereinbarung unterzeichnet haben.1284 Wie die Praxis zeigt, sind Marktsondierungen ein „ausgesprochen wertvolles Instrument“ und „wichtig für das ordnungsgemäße Funktionieren der Finanzmärkte“, weshalb Marktsondierungen nicht als Marktmissbrauch gelten sollten.1285 Dem folgend, wird eine Offenlegung von Insiderinformationen, die im Verlauf einer Marktsondierung vorgenommen wurde, so betrachtet, als ob sie im Zuge der normalen Ausübung der Beschäftigung oder des Berufs oder der normalen Erfüllung der Aufgaben einer Person vorgenommen wurde, Art. 11 Abs. 4 MMVO. Die Marktsondierung stellt damit eine spezielle Ausprägung der gerechtfertigten Offenlegung von Insiderinformationen dar.1286 (2) Keine Anwendbarkeit der Grundsätze aus der Grøngaard und Bang-Entscheidung Damit stellt sich jedoch die Frage, ob auch im Rahmen von Marktsondierungen die Grundsätze der Grøngaard und Bang-Entscheidung zu beachten sind. Dafür wird argumentiert, dass es sich bei Art. 11 Abs. 4 MMVO, genau wie bei Art. 10 Abs. 1 Hs. 2 MMVO, um eine eng auszulegende Ausnahmereglung handele und es damit im Lichte der Regelungsziele geboten sei, auch Art. 11 Abs. 4 MMVO anhand der in der Grøngaard und Bang-Entscheidung entwickelten Kriterien einzuschränken.1287 Der Wortlaut von Art. 11 Abs. 4 MMVO spricht jedoch gegen eine Übertragbarkeit der Grøngaard und Bang-Rechtsprechung. Denn Abs. 4 spricht ausdrücklich davon, dass die Marktsondierung so betrachtet wird, als ob „sie im Zuge der normalen Ausübung der Beschäftigung oder des Berufs oder der normalen Erfüllung der Aufgaben einer Person vorgenommen wurde“. In der Grøngaard und Bang-Entscheidung ging es hingegen gerade um das Verständnis dieses Tatbestandsmerkmals. 1282 Fleischer/Bedkowski, DB 2009, 2195, 2198 f.; Schäfer/Ernst, in: Hand. d. KapI, § 14 Rn. 10 ff. 1283 Zum Begriff Fuhrmann, WM 2018, 593, 596; Grundmann, in: HGB-Großkomm., Band 11/1 Rn. 425; Fleischer/Bedkowski, DB 2009, 2195. 1284 Schäfer/Ernst, in: Hand. d. KapI, § 14 Rn. 12; Seibt/Wollenschläger, AG 2014, 593, 599; Fuhrmann, WM 2018, 593, 596. 1285 So ausdrücklich Erwägungsgrund 32 S. 3 MMVO. 1286 Krause, CCZ 2014, 248, 253. 1287 Poelzig, NZG 2016, 528, 535; Veil, ZBB 2014, 85, 92.

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Art. 11 Abs. 4 MMVO statuiert folglich, dass eine Marktsondierung so betrachtet wird, als ob dieses Merkmal bereits erfüllt ist – Abs. 4 damit letztlich die Rechtsfolge betrifft, nämlich dass in diesen Fällen eine befugte Offenlegung vorliegt.1288 Eine Übertragung würde mithin die Unterscheidung von Tatbestand und Rechtsfolge missachten. Ferner spricht auch der Telos von Art. 11 MMVO gegen eine Übertragbarkeit der Grundsätze. Dieser besteht darin, dass Marktsondierungen wichtig für das ordnungsgemäße Funktionieren der Finanzmärkte sind und daher unter bestimmten Voraussetzungen zulässig sein sollten.1289 Da Marktsondierungen jedoch in der Regel nicht unerlässlich sind,1290 würde eine Anwendung der Grøngaard und Bang-Kriterien dazu führen, dass Marktsondierungen, trotz ausdrücklicher und umfassender Normierung in Art. 11 MMVO, nahezu unmöglich wären.1291 Das widerspricht aber nicht nur dem Telos, sondern würde obendrein dazu führen, dass Art. 11 MMVO (fast) keinen Anwendungsbereich hätte,1292 was offensichtlich nicht das Ergebnis sein kann. Dementsprechend ist die Grøngaard und Bang-Rechtsprechung im Rahmen von Art. 11 MMVO nicht zu berücksichtigen.1293 (3) Art. 11 Abs. 4 MMVO als safe harbour unter den dort genannten Voraussetzungen Vielmehr ist Art. 11 Abs. 4 MMVO, wie auch die Regelungen in Art. 9 Abs. 1 bis 5 MMVO, als speziell geregelte Ausnahme zu betrachten, die bei Vorliegen der dort statuierten Voraussetzungen zu einer rechtmäßigen Offenlegung von Insiderinformationen führt, mithin eine safe harbour-Regelung darstellt.1294

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Zetzsche, AG 2016, 610, 613. Erwägungsgrund 32 S. 3 MMVO. 1290 Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, § 107 Rn. 113; Zetzsche, AG 2016, 610, 613. 1291 Tissen, NZG 2015, 1254, 1255; Krause, CCZ 2014, 248, 254. 1292 Zetzsche, AG 2016, 610, 613; vgl. Krause, CCZ 2014, 248, 254. 1293 Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, § 107 Rn. 113; Zetzsche, AG 2016, 610, 613 f.; Tissen, NZG 2015, 1254, 1256; Brellochs, in: Klöhn/MMVO, Art. 11 Rn. 17; wohl auch Kubesch, Marktsondierung nach dem neuen Marktmissbrauchsrecht, S. 199 ff.; differenzierend Assmann, in: Assmann/Schneider/Mülbert, Art. 11 MMVO Rn. 7. 1294 Brellochs, in: Klöhn/MMVO, Art. 11 Rn. 15; Assmann, in: Assmann/Schneider/Mülbert, Art. 11 MMVO Rn. 7; Zetzsche, AG 2016, 610, 613; Kiesewetter/Parmentier, BB 2013, 2371, 2374; Krause, CZZ 2014, 248, 254; Tissen, NZG 2015, 1254, 1256; a.A. Meyer, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 8 Rn. 88; i.E. auch Kubesch, Marktsondierung nach dem neuen Marktmissbrauchsrecht, S. 264. 1289

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Kap. 5: Das Insiderrecht der MMVO

Unklarheit besteht jedoch darüber, welche Voraussetzungen genau vorliegen müssen, damit die safe harbour-Regelung des Art. 11 Abs. 4 MMVO eingreift. Während Art. 11 Abs. 4 MMVO lediglich die Einhaltung der in Abs. 3 und Abs. 5 statuierten Aufklärungs- und Dokumentationspflichten als Voraussetzungen nennt, sollte der offenlegende Marktteilnehmer nach Erwägungsgrund 35 S. 3 MMVO auch die Aufzeichnungspflichten in den technischen Regulierungsstandards berücksichtigen. Noch strenger sind die Anforderungen, die Erwägungsgrund 5 der Delegierten Verordnung (EU) 2016/960 aufstellt.1295 Hiernach „sollte nur insoweit davon ausgegangen werden, dass der offenlegende Marktteilnehmer im Zuge der normalen Ausübung seiner Arbeit oder seines Berufes oder der normalen Erfüllung seiner Aufgaben handelt, wie er alle in Art. 11 MMVO und in dieser Verordnung festgelegten Anforderungen einhält, was auch die Führung schriftlicher Aufzeichnungen einschließt“. Dass dabei Erwägungsgrund 5 der Delegierten Verordnung (EU) 2016/960 nicht der richtige Maßstab sein kann, zeigt schon ein Blick in Art. 11 Abs. 6 bis 8 MMVO, die laut den Ausführungen ebenfalls Voraussetzungen für ein Eingreifen von Art. 11 Abs. 4 MMVO sein sollen. Besonders offensichtlich wird das bei Abs. 7, der eine Regelung für den Empfänger der Marktsondierung enthält. Deren Einhaltung kann jedoch niemals Voraussetzung dafür sein, ob für den offenlegenden Marktteilnehmer die safe harbour-Regelung des Art. 11 Abs. 4 MMVO eingreift.1296 Auch die Absätze 6 und 8 sind offensichtlich keine Voraussetzungen für die rechtmäßige Offenlegung, sondern Folgepflichten bei denen es widersinnig wäre, wenn sie eine zunächst rechtmäßige Offenlegung nachträglich unzulässig machen würden.1297 Zudem wurde der Kommission in Art. 11 Abs. 9 UAbs. 3 MMVO lediglich die Befugnis übertragen technische Regulierungsstandards zu erlassen. Nach Art. 290 Abs. 1 AEUV kann der Kommission die Befugnis übertragen werden, Rechtsakte ohne Gesetzescharakter mit allgemeiner Geltung zur Ergänzung oder Änderung bestimmter nicht wesentlicher Vorschriften des betreffenden Gesetzgebungsaktes zu erlassen.1298 Die grundsätzliche Zulässigkeit von delegierter Rechtsetzung beruht also gerade darauf, dass die Kommission keine wesentlichen politischen Grundentscheidungen trifft oder ändert, sondern lediglich technische Standards erlassen kann. Bei einer safe harbour-Regelung wie Art. 11 Abs. 4 MMVO, die eine explizite Ausnahme von den Insiderhandelsverboten normiert, handelt es sich aber zweifellos 1295 Delegierte Verordnung (EU) 2016/960 der Kommission vom 17. Mai 2016 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates durch technische Regulierungsstandards für angemessene Regelungen, Systeme und Verfahren für offenlegende Marktteilnehmer bei der Durchführung von Marktsondierungen, ABl. EU Nr. L 160 v. 17. 6. 2016, S. 29. 1296 Grundmann, in: HGB-Großkomm., Band 11/1 Rn. 430 Fn. 1095; Brellochs, in: Klöhn/ MMVO, Art. 11 Rn. 145. 1297 Grundmann, in: HGB-Großkomm., Band 11/1 Rn. 430 Fn. 1095; vgl. auch Brellochs, in: Klöhn/MMVO, Art. 11 Rn. 145. 1298 Vgl. oben Kapitel 3, B.II.2.b)aa).

B. Insiderhandelsverbote (Art. 14 MMVO i.V.m. Art. 8 u. Art. 10 MMVO)

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um eine wesentliche politische Grundentscheidung, die zwingend vom Gesetzgeber getroffen werden muss. Folglich hatte die Kommission keine Kompetenz, um Art. 11 Abs. 4 MMVO hinsichtlich seiner Voraussetzungen zu ändern.1299 Hinzu kommt, dass es sich lediglich um einen Erwägungsgrund der Delegierten Verordnung (EU) 2016/960 handelt, dessen normativer Charakter zwar umstritten ist,1300 der aber keinesfalls gesetzesübergreifend wesentliche politische Grundentscheidungen des Rahmenrechtsakts ändern oder verschärfen kann. Den Ausführungen in Erwägungsgrund 5 der Delegierten Verordnung (EU) 2016/960 kommt daher im Hinblick auf die Voraussetzungen für ein Eingreifen von Art. 11 Abs. 4 MMVO, insbesondere aus europarechtlichen Kompetenzerwägungen, keine Bedeutung zu.1301 Auch ein Verstoß gegen die Aufzeichnungspflichten nach den technischen Regulierungsstandards ist im Ergebnis für ein Eingreifen der safe harbour-Regelung des Art. 11 Abs. 4 MMVO unschädlich.1302 Denn Erwägungsgründe können zwar den Inhalt einer Norm präzisieren, dürfen aber nicht von den Regelungen des Rechtsakts abweichen – der Wortlaut ist insoweit die Grenze.1303 In Art. 11 Abs. 4 MMVO ist ausdrücklich geregelt, an welche Voraussetzungen das Eingreifen der safe harbour-Regelung gebunden ist, die durch eine Berücksichtigung von Erwägungsgrund 35 S. 3 MMVO jedoch nicht nur präzisiert, sondern auch erweitert werden würden. Eine solche normative Wirkung kommt Erwägungsgründen aber nicht zu. Folglich hängt ein Eingreifen der safe harbour-Regelung des Art. 11 Abs. 4 MMVO ausschließlich von den in diesem Absatz genannten Voraussetzungen ab, namentlich der Erfüllung der Verpflichtungen gemäß den Absätzen 3 und 5 dieses Artikels.1304 Damit bleibt zu klären, was gilt, wenn die umfangreichen Aufklärungsund Dokumentationspflichten in Art. 11 Abs. 3 und 5 MMVO nicht eingehalten werden. Die Antwort hierfür liefert Erwägungsgrund 35 S. 4 MMVO, der besagt, dass von Marktteilnehmern, die bei der Durchführung einer Marktsondierung die Vorschriften dieser Verordnung nicht einhalten, nicht angenommen werden sollte, dass sie die Insiderinformation unrechtmäßig offengelegt haben, sie können jedoch nicht in den Genuss der Ausnahme kommen, die denjenigen gewährt wird, die diese Bestimmungen eingehalten haben. Art. 11 Abs. 4 ist folglich nicht abschließend. Liegen dessen Voraussetzungen nicht vor, liegt weder zwangsläufig ein Verstoß gegen das Offenlegungsverbot (Art. 14 lit. c) MMVO i.V.m. Art. 10 Abs. 1 MMVO) vor noch wird ein solcher vermutet.1305 Vielmehr ist die Konsequenz, dass der 1299

Vgl. Brellochs, in: Klöhn/MMVO, Art. 11 Rn. 146. Hierzu oben Kapitel 4, C.III.2. 1301 So i.E. auch Brellochs, in: Klöhn/MMVO, Art. 11 Rn. 146. 1302 Brellochs, in: Klöhn/MMVO, Art. 11 Rn. 146. 1303 Siehe oben Kapitel 4, C.III.2.c). 1304 Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, § 107 Rn. 114; Brellochs, in: Klöhn/ MMVO, Art. 11 Rn. 146; Grundmann, in: HGB-Großkomm., Band 11/1 Rn. 425. 1305 Vgl. Erwägungsgrund 35 S. 4 MMVO. 1300

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Kap. 5: Das Insiderrecht der MMVO

Marktteilnehmer nicht in den „Genuss“ der safe harbour-Regelung kommt, womit die Grundregel des Art. 10 Abs. 1 MMVO gilt und der offenlegende Marktteilnehmer für eine rechtmäßige Offenlegung nachweisen muss, dass die Voraussetzungen der Ausnahme des Art. 10 Abs. 1 Hs. 2 MMVO erfüllt sind.1306

III. Fazit Das Tätigungsverbot und das Empfehlungs- und Verleitungsverbot sind im Vergleich zum alten Recht grundsätzlich unverändert in die MMVO übernommen und durch einige sinnvolle Regelungen ergänzt worden (insbesondere Art. 8 Abs. 3 MMVO). Bis auf einzelne sprachliche und systematische Ungenauigkeiten, die aber zumindest was das Sprachliche angeht, korrigiert wurden, sind die Vorschriften daher als gelungen anzusehen. Auch die Normierung ausgewählter legitimer Handlungen ist grundsätzlich zu begrüßen, da sie durch ihre detaillierte Ausgestaltung für mehr Rechtssicherheit sorgen.1307 Allerdings wird diese Rechtssicherheit durch die Rückausnahme in Art. 9 Abs. 6 MMVO wieder verwässert, vor allem, weil die Regelung selbst unpräzise und sprachlich misslungen ist.1308 Da Art. 9 MMVO die legitimen Handlungen nicht abschließend regelt, kann es weitere Ausnahmen vom Verbot von Insidergeschäften geben, die dabei stets am Maßstab von Erwägungsgrund 24 S. 3 MMVO zu messen sind. Bei der Verwendung eines Masterplans empfiehlt es sich sowohl den Masterplan im Voraus als auch die spätere Umsetzung im Einklang mit dem Plan ausführlich zu dokumentieren, um so möglichen Beweisschwierigkeiten in einem Prozess entgegenzuwirken.1309 Das Offenlegungsverbot hat ebenfalls keine großen Änderungen erfahren. Die Neuregelung in Art. 10 Abs. 2 MMVO ist eine logische Ergänzung zu Art. 8 Abs. 3 MMVO zur Erweiterung der Insiderhandelsverbote auf Tippempfänger. Kritisch zu sehen ist allerdings das Schweigen des MMVO-Gesetzgebers hinsichtlich der Ausnahme in Art. 10 Abs. 1 Hs. 2 MMVO. Trotz unterschiedlichster Deutungen der Grøngaard und Bang-Rechtsprechung hat der Gesetzgeber nicht für Klarheit gesorgt, sondern lediglich den Verordnungstext in den Erwägungsgründen wiederholt. Zwar konnte gezeigt werden, dass es unter Geltung der MMVO keines strengen Unerlässlichkeitsmaßstabes mehr bedarf, sondern dass den Interessen am besten mit dem Kriterium der „Erforderlichkeit“ entsprochen wird. Für die Praxis steht das strenge Unerlässlichkeitskriterium jedoch nach wie vor im Raum. Bis zur weiteren Klarstellung des Begriffs durch den EuGH ist dem Rechtsanwender daher 1306 Erwägungsgrund 35 S. 4 und 5 MMVO; Brellochs, in: Klöhn/MMVO, Art. 11 Rn. 148; Meyer, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 8 Rn. 128. 1307 Veil, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 7 Rn. 49. 1308 Ausführlich hierzu Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 9 Rn. 135 ff. 1309 Veil, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 7 Rn. 94; vgl. BaFin, Emittentenleitfaden 2013, S. 39.

C. Ad-hoc-Publizität (Art. 17 MMVO)

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zu raten, sich an diesem strengen Kriterium zu orientieren und – zumindest im Ausgangspunkt – davon auszugehen, dass eine Insiderinformationsweitergabe nur dann unerlässlich und verhältnismäßig ist, wenn andernfalls die Ausübung einer Beschäftigung oder eines Berufs oder die Erfüllung von Aufgaben schlechterdings nicht möglich ist.1310 Die erstmalige europaweite Regelung bezüglich Marktsondierungen ist zu begrüßen. Damit wurde eine gerade hinsichtlich Kapitalmarkttransaktionen wichtige Marktpraxis ausdrücklich normiert und zu einer safe harbour-Regelung ausgestaltet. Diese greift jedoch nur, wenn umfangreiche und formalisierte Aufklärungs- und Dokumentationspflichten eingehalten werden, was der Regelung für die Praxis an Attraktivität nimmt und sie auch schwieriger handhabbar macht. Es verwundert daher nicht, dass bei der Umfrage des Deutschen Aktieninstituts und der Wirtschaftskanzlei Hengeler Mueller 25 % der Teilnehmer dafür votierten, dass die Rechtssicherheit hinsichtlich Marktsondierungen gestiegen ist, wohingegen 22 % den Regelungen zu Marktsondierungen weniger Rechtssicherheit bescheinigten.1311 Noch weniger überraschend ist vor diesem Hintergrund, dass fast die Hälfte der Teilnehmer (49 %) angab, dass durch die Regelungen zu Marktsondierungen in der MMVO der bürokratische Aufwand gestiegen sei.1312

C. Ad-hoc-Publizität (Art. 17 MMVO) Die Ad-hoc-Publizität ist die bedeutendste Offenlegungsvorschrift des Insiderrechts der MMVO. Neben ihrer primär transparenzrechtlichen Funktion, die für einen hinreichenden und zutreffenden Informationsstand am Markt sorgen und damit Informations- und Fundamentalwerteffizienz fördern soll, kommt ihr auch eine Präventivfunktion dahingehend zu, dass sie durch die Veröffentlichung der Insiderinformation dem Insider den Wissensvorsprung und damit die Möglichkeit zum Insiderhandel nimmt.1313

1310 Vgl. Assmann, in: Assmann/Schneider/Mülbert, Art. 10 MMVO Rn. 20 und Rn. 20 Fn. 9 a.E. 1311 Deutsches Aktieninstitut/Hengeler Mueller (Fn. 642), S. 4. 1312 Deutsches Aktieninstitut/Hengeler Mueller (Fn. 642), S. 5. 1313 Zur Doppelfunktion oben A.II.4.b)bb)(2).

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Kap. 5: Das Insiderrecht der MMVO

I. Die allgemeine Ad-hoc-Publizitätspflicht (Art. 17 Abs. 1 MMVO) 1. Voraussetzungen Nach Art. 17 Abs. 1 MMVO muss ein Emittent Insiderinformationen, die diesen Emittenten unmittelbar betreffen, unverzüglich bekannt geben.1314 Dies entspricht Art. 6 Abs. 1 MMRL. Allerdings gehen die Veröffentlichungspflichten der MMVO über die der MMRL hinaus, da gemäß Art. 17 Abs. 1 UAbs. 3 MMVO die Veröffentlichungspflichten nun auch an multilateralen und organisierten Handelssystemen und damit auch im Freiverkehr gelten, wenn der Emittent hierfür eine Zulassung erhalten oder beantragt hat. Bisher waren nach deutschem Recht im Freiverkehr zwar Insiderhandel und Marktmanipulation verboten, es bestanden jedoch keine insiderrechtlichen Veröffentlichungspflichten.1315 Tatbestandlich knüpft Art. 17 Abs. 1 MMVO wie die Insiderhandelsverbote (Art. 14 MMVO) an den Begriff der Insiderinformation in Art. 7 Abs. 1 lit. a) MMVO an, ist jedoch insoweit enger, als nur eine unmittelbar den Emittenten betreffende Insiderinformation die Ad-hoc-Publizitätspflicht auslöst. Anders als § 15 Abs. 1 S. 3 WpHG a.F. (insbesondere Umstände, die „im Tätigkeitsbereich des Emittenten“ eingetreten sind) enthält die MMVO keine nähere Bestimmung des Unmittelbarkeitskriteriums. Trotzdem kann in Anlehnung an § 15 Abs. 1 S. 3 WpHG a.F. weiterhin davon ausgegangen werden, dass eine unmittelbare Betroffenheit des Emittenten insbesondere dann vorliegt, wenn die Insiderinformation im Tätigkeitsbereich des Emittenten selbst eingetreten ist.1316 Jedoch kann das nicht den alleinigen Maßstab bilden, denn auch Informationen, die nicht aus dem Tätigkeitsbereich des Emittenten selbst, sondern von außen stammen, können unmittelbaren Emittentenbezug aufweisen und somit zu veröffentlichen sein.1317 Zur Bestimmung, ob eine Insiderinformation den Emittenten unmittelbar betrifft, bedarf es letztlich immer einer Prüfung des Einzelfalls, wobei bis zur Veröffentlichung des überarbeiteten Emittentenleitfadens die zum alten Recht ergangenen, nicht ab-

1314

In der ursprünglichen Sprachfassung der MMVO war noch von „so bald wie möglich“ anstatt von „unverzüglich“ die Rede. Das wurde mit der Berichtigung der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung) und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinien 2003/124/EG, 2003/125/EG und 2004/72/EG der Kommission, ABl. EU Nr. L 348 v. 21. 12. 2016, S. 83, 84 f. geändert. 1315 Hierzu oben Kapitel 4, B.II.1. 1316 Veil/Brüggemeier, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 10 Rn. 49; Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, § 107 Rn. 140; Grundmann, in: HGB-Großkomm., Band 11/1 Rn. 498. 1317 Veil/Brüggemeier, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 10 Rn. 49; Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, § 107 Rn. 140.

C. Ad-hoc-Publizität (Art. 17 MMVO)

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schließenden Beispiele in den CESR-Leitlinien1318 und im Emittentenleitfaden der BaFin1319 als Indikatoren herangezogen werden können.1320 2. Grundsätzliche Berichtigungs-, aber keine Aktualisierungspflicht Ebenfalls enthält Art. 17 MMVO nicht mehr ausdrücklich die Pflicht unwahre Ad-hoc-Mitteilungen zu berichtigen (so aber noch § 15 Abs. 2 S. 2 WpHG a.F.). Lässt sich die Tatsache der unwahren Ad-hoc-Mitteilung selbst unter Art. 17 Abs. 1 subsumieren, ergibt sich daraus bereits eine Berichtigungspflicht.1321 Das ist regelmäßig der Fall, wenn die Ad-hoc-Mitteilung hinsichtlich eines kursrelevanten Teils unwahr ist.1322 Fraglich ist aber, ob auch darüber hinaus eine Berichtigungspflicht besteht. Nach altem Recht bestand eine solche Pflicht auch dann, wenn die Voraussetzungen der allgemeinen Ad-hoc-Publizitätspflicht (§ 15 Abs. 1 WpHG a.F., jetzt Art. 17 Abs. 1 MMVO) nicht vorlagen.1323 Die Frage ist durch Auslegung zu klären. Nach Erwägungsgrund 49 S. 1 MMVO ist die öffentliche Bekanntgabe von Insiderinformationen von wesentlicher Bedeutung, um der Irreführung von Anlegern vorzubeugen. Das funktioniert jedoch nur, wenn die Insiderinformationen so veröffentlicht werden, dass die Öffentlichkeit sie vollständig und vor allem korrekt bewerten kann.1324 Nur unter diesen Voraussetzungen ist ein hinreichender und zutreffender Informationsfluss sichergestellt, der sich positiv auf die Markteffizienz auswirkt. Dementsprechend lässt sich aus dem Sinn und Zweck der Ad-hoc-Publizität ableiten, dass eine unwahre Ad-hoc-Mitteilung immer dann zu berichtigen ist, wenn ansonsten eine vollständige und korrekte Bewertung der Information durch die Anleger nicht möglich ist und zwar auch dann, wenn die Voraussetzungen von Art. 17 Abs. 1 MMVO nicht gegeben sind.1325 Gleichzeitig muss die vollständige und korrekte Bewertungsmöglichkeit der Ad-hoc-Mitteilung jedoch auch die Grenze der Berichtigungspflicht darstellen, womit eine solche dann nicht besteht, wenn der Mangel

1318

CESR, Market Abuse Directive, Level 3 – second set of CESR guidance and information on the common operation of the Directive to the market, July 2007, S. 6 ff. 1319 BaFin, Emittentenleitfaden 2013, S. 51 f. 1320 Veil/Brüggemeier, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 10 Rn. 51 ff. 1321 Veil/Brüggemeier, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 10 Rn. 181; Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, § 107 Rn. 140; Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 17 Rn. 555. 1322 Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 17 Rn. 555; Veil/Brüggemeier, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 10 Rn. 181. 1323 Assmann, in: Assmann/Uwe H. Schneider-WpHG, § 15 Rn. 187; Zimmer/Kruse, in: Schwark/Zimmer, § 15 WpHG Rn. 121. 1324 Vgl. Art. 17 Abs. 1 UAbs. 2 MMVO. 1325 Veil/Brüggemeier, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 10 Rn. 182; Grundmann, in: HGBGroßkomm., Band 11/1 Rn. 523; a.A. Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 17 Rn. 555 ff.

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Kap. 5: Das Insiderrecht der MMVO

der Ad-hoc-Mitteilung keinen Einfluss auf die Bewertung hat, wie etwa bei rein formalen Fehlern.1326 Dieses Verständnis der Berichtigungspflicht ist dabei auch in Einklang mit ihrem US-amerikanischen Pendant, der duty to correct, die sich aus SEC Rule 10b-5 ableitet.1327 Danach ist eine Gesellschaft, sobald sie von dem Umstand Kenntnis erlangt, dass eine von ihr getätigte Aussage von Beginn an falsch, unvollständig oder irreführend war, verpflichtet, diese Aussage zu berichtigen.1328 Auch hier bedarf es folglich keiner Berichtigung bei Mängeln, die keine Auswirkung auf die Verständlichkeit des Inhalts haben. Richtigerweise trifft den Emittenten hingegen keine Aktualisierungspflicht hinsichtlich Ad-hoc-Mitteilungen, es sei denn, die neuen Umstände erfüllen ihrerseits die Voraussetzungen des Art. 17 Abs. 1 MMVO.1329 Eine fortlaufende Aktualisierungspflicht unterhalb dieser Schwelle würde dazu führen, dass unzählige nicht kursrelevante Informationen veröffentlicht werden müssten, die jedoch keinen Mehrwert für die Anleger hätten (dafür aber Mehrkosten für die Emittenten), sondern im Gegenteil eher irreführend wären und sich negativ auf die Effizienz am Markt auswirken würden (information overload).1330 Auch hierfür findet sich eine Stütze im US-amerikanischen Recht. Neben der duty to correct wird aus SEC Rule 10b-5 auch eine duty to update gefolgert.1331 Die Gesellschaft trifft danach die Pflicht eine ursprünglich zutreffende Aussage, die aufgrund nachträglicher Entwicklungen falsch oder irreführend geworden ist, zu aktualisieren1332 – also Umstände, die auch nach Art. 17 Abs. 1 MMVO regelmäßig eine erneute Veröffentlichung nach sich ziehen würden. Zwar ist die duty to update

1326 Veil/Brüggemeier, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 10 Rn. 182; ebenfalls gegen eine Berichtigungspflicht bei rein formalen Fehlern Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 17 Rn. 558; a.A. Grundmann, in: HGB-Großkomm., Band 11/1 Rn. 523 (Berichtigungspflicht für jegliche Fehler aufgrund Garantenstellung des Emittenten aus Ingerenz). 1327 Rosenblum, An Issuer’s Duty under Rule 10b-5 to Correct and Update Materially Misleading Statements, 40 Cath. U. L. Rev. 289 (1991); Brill, Status of the Duty to Update, 7 Cornell J.L. & Pub. Pol’y 605, 617 (1998). 1328 Backman v. Polaroid Corporation, 910 F.2d 10, 16 f. (1st Cir. 1990); Stransky v. Cummins Engine Company, Inc., 51 F.3d 1329, 1331 (7th Cir. 1995); Brill, Status of the Duty to Update, 7 Cornell J.L. & Pub. Pol’y 605, 617 (1998). 1329 Grundmann, in: HGB-Großkomm., Band 11/1 Rn. 523; Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 17 Rn. 560; Veil/Brüggemeier, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 10 Rn. 179. 1330 Vgl. Veil/Brüggemeier, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 10 Rn. 179. 1331 Rosenblum, An Issuer’s Duty under Rule 10b-5 to Correct and Update Materially Misleading Statements, 40 Cath. U. L. Rev. 289 (1991); Brill, Status of the Duty to Update, 7 Cornell J.L. & Pub. Pol’y 605, 620 (1998). 1332 Greenfield v. Heublein, Inc., 742 F.2d 751, 758 (3rd Cir. 1984); In re Burlington Coat Factory Securities Litigation, 114 F.3d 1410, 1431 (3d Cir. 1997); Brill, Status of the Duty to Update, 7 Cornell J.L. & Pub. Pol’y 605, 620 (1998).

C. Ad-hoc-Publizität (Art. 17 MMVO)

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durchaus umstritten,1333 doch steht sie auch insoweit in Einklang mit dem vorgenannten Verständnis, dass auch im US-amerikanischen Recht auf die negativen Folgen einer zu umfassenden Aktualisierungspflicht verwiesen wird.1334 3. Deutlicher Anstieg der Ad-hoc-Mitteilungen seit Wirksamwerden der MMVO In der Praxis der allgemeinen Ad-hoc-Publizitätspflicht nach Art. 17 Abs. 1 MMVO ist ein deutlicher Anstieg der Anzahl an Ad-hoc-Mitteilungen im Vergleich zur alten Rechtslage zu erkennen: Waren es 2015 1434 Ad-hoc-Mitteilungen, stieg diese Zahl bereits 2016 – insbesondere im zweiten Halbjahr 2016 nach Wirksamwerden der MMVO – auf 1755 und erneut 2017 auf 2197 Ad-hoc-Mitteilungen an.1335 Dieser Anstieg ist natürlich zum einen darauf zurückzuführen, dass unter Geltung der MMVO die Ad-hoc-Publizitätspflicht auch für MTF- und OTF-Emittenten gilt. Auf der anderen Seite finden sich jedoch auch Ad-hoc-Mitteilungen, die es so inhaltlich zum alten Recht nicht gegeben hätte. Das ist die Folge der großen Rechtsunsicherheit, die gerade bei zeitlich gestreckten Vorgängen hinsichtlich des Zeitpunkts des Vorliegens einer Insiderinformation besteht. Kombiniert mit den gestiegenen Sanktionen im Falle einer verspäteten Ad-hoc-Mitteilung, tendiert die Praxis dazu – abgesehen von der Möglichkeit der Selbstbefreiung1336 – Ad-hocMitteilungen lieber früher zu veröffentlichen. Auch damit ist der kontinuierliche Anstieg der Ad-hoc-Mitteilungen seit Wirksamwerden der MMVO zu erklären.

II. Die spezielle Ad-hoc-Publizitätspflicht bei Offenlegung der Insiderinformation (Art. 17 Abs. 8 MMVO) Eine spezielle Ad-hoc-Publizitätspflicht regelt Art. 17 Abs. 8 MMVO. Danach muss auch eine Insiderinformation, die gegenüber einem Dritten gemäß Art. 10 Abs. 1 MMVO offengelegt wurde, vollständig und wirksam veröffentlicht werden und zwar zeitgleich bei absichtlicher und unverzüglich bei nicht absichtlicher Offenlegung, Art. 17 Abs. 8 S. 1 MMVO. Eine Ausnahme besteht jedoch dann, wenn der Informationsempfänger zur Verschwiegenheit verpflichtet ist, wobei jede Ver1333 Die duty to update ablehnend etwa Stransky v. Cummins Engine Company, Inc., 51 F.3d 1329, 1332 (7th Cir. 1995); Higginbotham v. Baxter International Inc., 495 F.3d 753, 760 (7th Cir. 2007). 1334 Oesterle, The Inexorable March toward a Continuous Disclosure Requirement for Publicly Traded Corporations: Are We There Yet?, 20 Cardozo L. Rev. 135, 148 (1998): „Broadly applied, the duty to update could overshadow all other basic disclosure obligations.“ 1335 BaFin, Jahresbericht 2017, S. 138: „Damit setzte sich der deutliche Anstieg fort, der sich bereits im zweiten Halbjahr 2016 – bedingt durch das Wirksamwerden der Marktmissbrauchsverordnung – abgezeichnet hatte.“ 1336 Sogleich unter III.

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Kap. 5: Das Insiderrecht der MMVO

pflichtung aus Rechts- oder Verwaltungsvorschriften, einer Satzung oder einem Vertrag ausreicht, Art. 17 Abs. 8 S. 2 MMVO.1337 Teleologischer Hintergrund dieser speziellen Ad-hoc-Publizitätspflicht ist das Prinzip der informationellen Chancengleichheit aller Marktteilnehmer, dem eine selektive Insiderinformationsweitergabe grundsätzlich widerspricht, es sei denn, der Empfänger ist zur Vertraulichkeit verpflichtet.1338 Art. 17 Abs. 8 MMVO ist vom Anwendungsbereich grundsätzlich weiter als Art. 17 Abs. 1 MMVO, da zum einen nicht nur Emittenten erfasst sind, sondern auch Personen, die in ihrem Auftrag oder auf ihre Rechnung handeln und zum anderen auch Insiderinformationen umfasst sind, die den Emittenten nicht unmittelbar betreffen. Dennoch ist die Zahl der Anwendungsfälle der speziellen Ad-hoc-Publizitätspflicht relativ gering, da sie nur in Betracht kommt, wenn Art. 17 Abs. 1 MMVO – insbesondere aufgrund fehlender unmittelbarer Betroffenheit des Emittenten – nicht eingreift1339 oder die Veröffentlichung gemäß Art. 17 Abs. 4 oder 5 MMVO aufgeschoben wurde.1340 Wie schon zum alten Recht, umfasst die Norm ihrem Wortlaut nach nur die befugte Weitergabe von Insiderinformationen. Die ganz herrschende Meinung zu § 15 Abs. 1 S. 4 und 5 WpHG a.F. vertrat deshalb auch die Ansicht, dass die unbefugte Weitergabe keine spezielle Ad-hoc-Publizitätspflicht auslöst.1341 Folge davon ist, dass eine unbefugt weitergegebene Insiderinformation nur der allgemeinen Ad-hoc-Publizitätspflicht unterfällt und damit nicht veröffentlichungspflichtig ist, wenn sie den Emittenten nur mittelbar betrifft. Dieses Ergebnis – Besserstellung der unbefugten gegenüber der befugten Weitergabe – erscheint nicht sachgerecht. Es liegt daher nahe, mit einem Erst-recht-Schluss auch die unbefugte Weitergabe von Insiderinformationen als von Art. 17 Abs. 8 MMVO umfasst anzusehen.1342 Die selektive Weitergabe von Insiderinformationen widerspricht dem Prinzip der informationellen Chancengleichheit unabhängig davon, ob die Weitergabe befugt oder unbefugt war. In letzterem Fall liegt jedoch noch nicht einmal ein berechtigtes Offenlegungsinteresse vor, womit die unbefugte Weitergabe die informationelle Chancengleichheit sogar in noch größerem Maße verletzt als die befugte Weitergabe.1343 Wenn also schon die befugte Weitergabe einer Insiderinformation der 1337

Veil/Brüggemeier, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 10 Rn. 192 ff.; die Regelung in Art. 17 Abs. 8 MMVO entspricht § 15 Abs. 1 S. 4 und 5 WpHG a.F. 1338 Veil/Brüggemeier, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 10 Rn. 183; Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 17 Rn. 447. 1339 Die Pflichten nach Art. 17 Abs. 1 und Abs. 8 MMVO können auch gleichzeitig vorliegen, Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 17 Rn. 454 f. 1340 Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 17 Rn. 451 ff.; Veil/Brüggemeier, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 10 Rn. 184. 1341 Assmann, in: Assmann/Uwe H. Schneider-WpHG, § 15 Rn. 116; Zimmer/Kruse, in: Schwark/Zimmer, § 15 WpHG Rn. 87; Leuering, NZG 2005, 12, 15. 1342 Zetzsche, NZG 2015, 817, 822; Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 17 Rn. 480. 1343 Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 17 Rn. 480.

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speziellen Ad-hoc-Publizitätspflicht unterfällt, dann muss das folglich erst recht für die unbefugte Weitergabe von Insiderinformationen gelten. Dieser Erst-recht-Schluss findet auch bei einem rechtsvergleichenden Blick in das US-amerikanische Insiderrecht seine Bestätigung. Dort hat die SEC im Jahre 2000 die Regulation Fair Disclosure (Regulation FD) erlassen.1344 Diese basiert, anders als die Insiderhandelsverbote seit Chiarella, nicht auf dem Gedanken einer Treuepflichtverletzung (fiduciary duty), sondern, wie auch das europäische Insiderrecht, auf dem Grundsatz der informationellen Chancengleichheit (equal access).1345 Nach Rule 100(a) Regulation FD ist bei einer selektiven Offenlegung von Insiderinformationen durch den Emittenten oder eine in seinem Auftrag handelnde Person an eine der in Rule 100(b)(1) Regulation FD näher beschriebenen Personen die Insiderinformation zu veröffentlichen und zwar gleichzeitig bei absichtlicher und unverzüglich bei nicht absichtlicher Offenlegung. Wie auch im europäischen Insiderrecht gilt diese Regelung aber etwa dann nicht, wenn der Empfänger der Offenlegung sich zur Verschwiegenheit verpflichtet, Rule 100(b)(2)(ii) Regulation FD. Eine Differenzierung zwischen befugter und unbefugter Offenlegung sieht Rule 100(a) Regulation FD aber nicht vor. Da die Regulation FD gerade vor dem Hintergrund des equal access-Gedankens zu sehen ist, zeigt sich mithin, dass es dem Prinzip der informationellen Chancengleichheit entspricht, die selektive Offenlegung von Insiderinformationen unabhängig von der Befugnis der Offenlegung der speziellen Ad-hoc-Publizitätspflicht zu unterwerfen. Dafür spricht auch Erwägungsgrund 49 S. 1 MMVO, wonach die öffentliche Bekanntgabe von Insiderinformationen auch deshalb von wesentlicher Bedeutung ist, weil sie Insidergeschäften vorbeugt. Eine angemessene Insiderprävention durch die Ad-hoc-Publizitätspflicht kann es im Ergebnis allerdings nur geben, wenn auch die unbefugte Weitergabe von Insiderinformationen von Art. 17 Abs. 8 MMVO umfasst ist. Die spezielle Ad-hoc-Publizitätspflicht ist damit auch auf die unbefugte Weitergabe anwendbar.1346

1344 Ausführlich hierzu etwa Drygala, WM 2001, 1282 ff. (Teil I); Drygala, WM 2001, 1313 ff. (Teil II). 1345 SEC, Final Rule: Selective Disclosure and Insider Trading, Releases Nos. 33 7881, 3443154, 15 August 2000, II.A.: „We believe that the practice of selective disclosure leads to a loss of investor confidence in the integrity of our capital markets. Investors who see a security’s price change dramatically and only later are given access to the information responsible for that move rightly question whether they are on a level playing field with market insiders.“; Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 17 Rn. 461. 1346 So auch Zetzsche, NZG 2015, 817, 822; Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 17 Rn. 480.

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III. Möglichkeit der Selbstbefreiung (Art. 17 Abs. 4 MMVO) 1. Emittenten- und Marktschutz Wie auch nach bisher geltendem Recht1347 können die Emittenten die Veröffentlichung von Insiderinformationen aufschieben, wenn (i) die Veröffentlichung geeignet wäre, die berechtigten Interessen des Emittenten zu beeinträchtigen, (ii) der Aufschub nicht geeignet wäre, die Öffentlichkeit irrezuführen und (iii) der Emittent die Geheimhaltung der Information sicherstellen kann, Art. 17 Abs. 4 lit. a) bis c) MMVO. Die Selbstbefreiung ist dabei das zentrale Instrument zum Schutz der berechtigten Emittenteninteressen vor einer frühzeitigen Veröffentlichung von Insiderinformationen. Diese Interessen spielen insbesondere bei zeitlich gestreckten Vorgängen eine entscheidende Rolle, wo eine frühzeitige Veröffentlichung oftmals die Transaktion entweder erschweren oder sogar gänzlich verhindern würde. Dementsprechend stellt Art. 17 Abs. 4 UAbs. 2 MMVO jetzt ausdrücklich klar,1348 dass die Veröffentlichung von Insiderinformationen in einem zeitlich gestreckten Vorgang aufgeschoben werden kann, wenn die Voraussetzungen von Art. 17 Abs. 4 lit. a) bis c) MMVO vorliegen. Von dieser rein emittentenschützenden Funktion hat sich die Selbstbefreiung allerdings verabschiedet. Aufgrund der Anknüpfung an den gleichen Begriff der Insiderinformation besteht die Gefahr, dass es durch die Möglichkeit des frühzeitigen Vorliegens einer Insiderinformation gerade in einem zeitlich gestreckten Vorgang eine Vielzahl an Ad-hoc-Mitteilungen gibt, die nicht unbedingt die Effizienz des Markts fördern, sondern eher irreführend sind.1349 Diese Problematik wurde im Gesetzgebungsprozess gesehen und letztlich entschieden, dass die Selbstbefreiungsmöglichkeit hierfür das Korrektiv sein soll. Diese Lösung kann zwar weder überzeugen, noch ist sie zufriedenstellend für die Praxis,1350 zeigt aber, dass die Selbstbefreiung mittlerweile auch als Instrument für den Schutz des Markts angesehen und eingesetzt wird.1351 Auch vor diesem Hintergrund ist die klarstellende Regelung in Art. 17 Abs. 4 UAbs. 2 MMVO zu sehen. Aufgrund der großen Bedeutung, die der Möglichkeit zur Selbstbefreiung damit im einstufigen Modell der MMVO zukommt, verbunden mit der großen Rechtsunsicherheit, die die MMVO gebracht hat,1352 verwundert es keinesfalls, dass nicht nur 1347

§ 15 Abs. 3 WpHG a.F. Zur Klarstellungsfunktion von Art. 17 Abs. 4 UAbs. 2 MMVO Assmann, in: Assmann/ Schneider/Mülbert, Art. 17 MMVO Rn. 130. 1349 Vgl. Weißhaupt, NZG 2019, 175, 176. 1350 Siehe oben A.III. 1351 Vgl. hierzu Merkner/Sustmann, AG 2012, 315, 321 f.; siehe in diesem Zusammenhang auch Art. 17 Abs. 5 MMVO, der hier nicht näher behandelt wird, jedoch die Möglichkeit der Selbstbefreiung für den Fall der Wahrung der Stabilität des Finanzsystems vorsieht und damit auf Marktschutz abzielt. 1352 Vgl. Weißhaupt, NZG 2019, 175, 176. 1348

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die Zahl der Ad-hoc-Mitteilungen, sondern auch die Anzahl der Selbstbefreiungen deutlich nach oben gegangen ist: Gab es 2015 insgesamt 324 Selbstbefreiungen, ist diese Zahl im Jahr 2016 auf 403 und im Jahr 2017 auf 484 Selbstbefreiungen angestiegen.1353 2. Voraussetzungen der Selbstbefreiung Die herausragende Rolle, die das Instrument der Selbstbefreiung im Insiderrecht der MMVO spielt, macht es erforderlich, dass sie an klare Voraussetzungen anknüpft, deren Vorliegen der Emittent unproblematisch feststellen kann.1354 a) Berechtigte Interessen des Emittenten (Art. 17 Abs. 4 lit. a) MMVO) aa) Keine Interessenabwägung erforderlich Art. 17 Abs. 4 lit. a) MMVO fordert für die Selbstbefreiung, dass die unverzügliche Offenlegung geeignet wäre, die berechtigten Interessen des Emittenten zu beeinträchtigen. Nach § 6 S. 1 WpAIV a.F. war in diesem Zusammenhang eine Interessenabwägung notwendig und ein Aufschub dann berechtigt, wenn die Interessen des Emittenten an der Geheimhaltung die Interessen des Kapitalmarkts an der Information überwogen. Diese Regelung findet sich mittlerweile in § 6 S. 1 WpAV. Im Unterschied hierzu lässt sich dem Wortlaut von Art. 17 Abs. 4 MMVO gerade keine derartige Interessenabwägung entnehmen. Aufgrund des vollharmonisierenden Charakters von Art. 17 Abs. 4 MMVO darf der nationale Gesetzgeber keine strengeren Regeln in dessen Geltungsbereich vorsehen. Die Regelung in § 6 S. 1 WpAV ist jedoch eine solche strengere Regelung, da es hiernach nicht nur auf ein berechtigtes Interesse des Emittenten ankommt, sondern dieses Interesse zusätzlich noch das Interesse des Kapitalmarkts an der Information überwiegen muss. Dementsprechend kann nicht von § 6 S. 1 WpAV auf den Inhalt von Art. 17 Abs. 4 lit. a) MMVO geschlossen werden.1355 Einige wollen aus der Formulierung „berechtigte Interessen“ ableiten, dass es auch unter Geltung der MMVO einer Interessenabwägung bedarf.1356 Neben dem Wortlaut spricht jedoch auch die Systematik gegen ein solches Verständnis. Art. 17 Abs. 4 lit. b) und c) MMVO normieren letztlich nichts anderes als zwei Marktinteressen. Würde man jedoch schon im Rahmen von Art. 17 Abs. 4 lit. a) MMVO eine Interessenabwägung vornehmen, wären die beiden nachfolgenden Kriterien ohne 1353

BaFin, Jahresbericht 2017, S. 138. Krause/Brellochs, AG 2013, 309, 335. 1355 Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 17 Rn. 169; a.A. Assmann, in: Assmann/Schneider/ Mülbert, Art. 17 MMVO Rn. 105. 1356 Veil/Brüggemeier, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 10 Rn. 97; i.E. auch für eine Interessenabwägung Assmann, in: Assmann/Schneider/Mülbert, Art. 17 MMVO Rn. 105. 1354

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Bedeutung, da sie bereits Teil der Interessenabwägung wären.1357 Zudem ist eine Abwägung mit den Interessen des Kapitalmarkts eine sehr schwierige und sehr vage Angelegenheit, womit in der Praxis (weitere) Rechtsunsicherheiten entstehen würden, die aber sowohl den Zielen der MMVO als auch dem Bedürfnis nach klaren Kriterien hinsichtlich der Selbstbefreiung widersprechen würden.1358 Überzeugend ist es daher, „berechtigt“ im Sinne von „rechtmäßig“ zu verstehen.1359 Es sind im Rahmen von Art. 17 Abs. 4 lit. a) MMVO nur solche Interessen zu berücksichtigen, die dazu führen, dass der Aufschub der Veröffentlichungspflicht rechtmäßigen Zielen dient und keinen Rechtsmissbrauch darstellt.1360 bb) Unabgestimmte Präzisierungen der berechtigten Interessen Die ESMA wurde in Art. 17 Abs. 11 MMVO beauftragt, „Leitlinien für die Erstellung einer nicht abschließenden indikativen Liste“ mit berechtigten Interessen des Emittenten auszuarbeiten. Was mit dieser sprachlich misslungenen Beauftragung gemeint ist,1361 zeigt ein Blick auf das Endprodukt der ESMA.1362 Es handelt sich nicht, wie der Wortlaut vermuten lässt, um Leitlinien an die nationalen Aufsichten, die dann eine entsprechende Liste erstellen sollen, sondern um Level 3-Leitlinien über nicht erschöpfende Umstände, in denen ein berechtigtes Interesse des Emittenten bestehen kann.1363 Zudem enthält Erwägungsgrund 50 MMVO eine nicht abschließende Aufzählung an Fallbeispielen, in denen berechtigte Interessen vorliegen können. Diese Regelungstechnik ist aus zwei Gründen zu kritisieren. Zum einen sind Erwägungsgründe nicht das geeignete Mittel zur Konkretisierung des Verordnungstextes, sondern Level 2 und 3-Maßnahmen. Erwägungsgründe sollen lediglich die Beweggründe des Gesetzgebers zu den Vorschriften darlegen.1364 Darüber hinaus wurde die ESMA ausdrücklich beauftragt Leitlinien hinsichtlich des Vorliegens des berechtigten Interesses zu entwerfen. Damit gab es auch keinen Grund, derartige Fallbeispiele in die Erwägungsgründe aufzunehmen, zumal sich die dort genannten Beispiele alle auch in den Leitlinien der ESMA wiederfinden. Erwägungsgrund 50 ist damit obsolet.1365 1357 Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 17 Rn. 171; vgl. auch Schäfer, in: Marsch-Barner/ Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, Rn. 15.34. 1358 Erwägungsgründe 3 bis 5 MMVO; Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 17 Rn. 171. 1359 Vgl. Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 17 Rn. 175, der das Kriterium so versteht, dass es erlaubt Fälle der „nützlichen Pflichtverletzung“ auszuschließen. 1360 Vgl. Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 17 Rn. 175. 1361 Siehe zur Kritik Veil, ZBB 2014, 85, 93. 1362 ESMA, MAR-Leitlinien – Aufschub der Offenlegung von Insiderinformationen, 20. 10. 2016, ESMA/2016/1478 DE. 1363 ESMA, MAR-Leitlinien – Aufschub der Offenlegung von Insiderinformationen, 20. 10. 2016, ESMA/2016/1478 DE, S. 4 f. 1364 Siehe Nachweise bei Fn. 837. 1365 Hierzu bereits oben Kapitel 4, C.III.3.

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Die Voraussetzung in Art. 17 Abs. 4 lit. a) MMVO richtet sich ausschließlich am berechtigten Interesse des Emittenten aus. Das entspricht zwar dem ursprünglichen Zweck der Selbstbefreiung (Schutz des Emittenteninteresses an der Geheimhaltung der Information), erscheint aber vor dem Hintergrund, dass die Selbstbefreiung nun auch als Instrument für den Schutz des Markts vor einer überbordenden Anzahl an Ad-hoc-Mitteilungen angesehen wird, nicht konsequent. Es wäre sachgerecht, dem Emittenten die Möglichkeit zu geben, sein berechtigtes Interesse zumindest mit dem – natürlich zu begründenden – Argument unterstützen zu können, dass die zurückgehaltene Information nicht unbedingt die Effizienz fördert, sondern auch Irreführungspotential birgt. b) Keine Irreführung der Öffentlichkeit (Art. 17 Abs. 4 lit. b) MMVO) Die Möglichkeit der Selbstbefreiung setzt darüber hinaus voraus, dass der Aufschub der Veröffentlichung nicht geeignet ist, die Öffentlichkeit irrezuführen. Dieses Kriterium soll den Markt davor schützen, dass durch den Aufschub Fehlvorstellungen entstehen, die sich negativ auf die Markteffizienz auswirken.1366 Auch hier wurde die ESMA in Art. 17 Abs. 11 MMVO beauftragt Leitlinien für die Erstellung einer nicht abschließenden indikativen Liste herauszugeben. Die ausgearbeiteten Level 3-Leitlinien umfassen drei Beispiele für Umstände, in denen der Aufschub geeignet ist, die Öffentlichkeit irrezuführen.1367 Ausweislich des Final Reports der ESMA sind die genannten Beispiele jedoch nicht indikativ, sondern ihr Vorliegen verpflichtet zu unverzüglicher und angemessener Veröffentlichung der Insiderinformation.1368 Als gemeinsamer Nenner der genannten Beispiele lässt sich eine vorangegangene Kommunikation des Emittenten ausmachen, aufgrund dessen die Markterwartung nun von der wahren Informationslage abweicht.1369 Befindet sich der Emittent in der Selbstbefreiung, ist ihm für diesen Zeitraum dringend zu einer no-comment-policy zu raten, wenn es um Äußerungen bezüglich der zurückgehaltenen Insiderinformation geht.1370 1366 Vgl. Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 17 Rn. 247; Veil/Brüggemeier, in: Meyer/Veil/ Rönnau, § 10 Rn. 123. 1367 ESMA, MAR-Leitlinien – Aufschub der Offenlegung von Insiderinformationen, 20. 10. 2016, ESMA/2016/1478 DE, S. 5 f. 1368 ESMA, Final Report – Guidelines on the Market Abuse Regulation – market soundings and delay of disclosure of inside information, 13 July 2016, ESMA/2016/1130, Rn. 85. 1369 Siehe ESMA, Final Report – Guidelines on the Market Abuse Regulation – market soundings and delay of disclosure of inside information, 13 July 2016, ESMA/2016/1130, Rn. 84. 1370 Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, § 107 Rn. 156; Veil/Brüggemeier, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 10 Rn. 129; Frowein, in: Hand. d. KapI, § 10 Rn. 111; Klöhn, in: Klöhn/ MMVO, Art. 17 Rn. 257; Retsch, NZG 2016, 1201, 1204; zum Fall des Vorliegens ausreichend präziser Gerüchte sogleich unter c)bb).

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Kap. 5: Das Insiderrecht der MMVO

c) Sicherstellung der Geheimhaltung (Art. 17 Abs. 4 lit. c) MMVO) aa) Anforderungen an den Emittenten zur Sicherstellung der Geheimhaltung Zuletzt ist für eine Selbstbefreiung erforderlich, dass der Emittent die Geheimhaltung der Insiderinformation sicherstellen kann. Ist das nicht mehr der Fall, so muss er die Öffentlichkeit unverzüglich über die Insiderinformation informieren (Art. 17 Abs. 7 UAbs. 1 MMVO). Bei Art. 17 Abs. 4 lit. c) MMVO handelt es sich um Verhaltenspflichten des Emittenten dergestalt, dass er so organisiert sein muss, dass eine Geheimhaltung der Insiderinformation sichergestellt ist.1371 Anders als zum alten Recht (Art. 3 Abs. 2 Durchführungsrichtlinie-MMRL, umgesetzt in § 7 WpAIV a.F.) gibt es unter Geltung der MMVO keinerlei nähere Bestimmungen hinsichtlich der organisatorischen Pflichten des Emittenten. Auch die ESMA wurde in Art. 17 Abs. 11 MMVO lediglich beauftragt Leitlinien bezüglich der Kriterien in Art. 17 Abs. 4 lit. a) und b) MMVO zu erstellen. Gänzlich auf sich alleine gestellt ist der Emittent jedoch nicht, denn so lassen sich wenigstens den Dokumentationspflichten (Art. 4 Abs. 1 Durchführungsverordnung (EU) 2016/1055), denen der Emittent während des Selbstbefreiungszeitraums unterliegt, einige Anforderungen entnehmen. Danach bedarf es intern und gegenüber Dritten bestehenden Informationsbarrieren, um den Zugang zu Insiderinformationen durch andere Personen als denjenigen zu verhindern, denen gegenüber die Insiderinformation gemäß Art. 10 Abs. 1 MMVO offengelegt werden darf (Art. 4 Abs. 1 lit. c) i) Durchführungsverordnung (EU) 2016/1055). Die Personen, denen hiernach Insiderinformationen offengelegt werden, müssen ferner über die insiderrechtlichen Pflichten und die bei Verstößen drohenden Sanktionen unterrichtet werden.1372 Das ergibt sich zwar direkt weder aus der MMVO noch aus der Durchführungsverordnung (EU) 2016/1055, folgt aber aus der allgemeinen Pflicht zur Belehrung von Insidern bei deren Aufnahme in eine Insiderliste (Art. 18 Abs. 2 MMVO),1373 die spätestens zeitgleich mit jeder Selbstbefreiungsentscheidung anzulegen ist.1374 Zudem müssen Vorkehrungen getroffen werden, die die schnellstmögliche Bekanntgabe der einschlägigen Insiderinformationen sicherstellen, wenn die Vertraulichkeit nicht mehr gewährleistet ist (Art. 17 Abs. 7 UAbs. 1 MMVO, Art. 4 Abs. 1 1371

Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, § 107 Rn. 157; Klöhn, in: Klöhn/ MMVO, Art. 17 Rn. 268; Horcher, in: Drinhausen/Eckstein, § 22 Rn. 49; Retsch, NZG 2016, 1201, 1204. 1372 Veil/Brüggemeier, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 10 Rn. 130; Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 17 Rn. 278; Horcher, in: Drinhausen/Eckstein, § 22 Rn. 49; Retsch, NZG 2016, 1201, 1204. 1373 Veil/Brüggemeier, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 10 Rn. 130; Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 17 Rn. 278; Retsch, NZG 2016, 1201, 1204. 1374 Retsch, NZG 2016, 1201, 1204; zu Insiderlisten sogleich unter D.

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lit. c) ii) Durchführungsverordnung (EU) 2016/1055).1375 Die BaFin nennt hierfür etwa den Entwurf eines Textes, der gemäß dem jeweiligen Stand zügig angepasst und zum Veröffentlichungszeitpunkt schnell freigegeben und veröffentlicht werden kann (Notfall-Ad-hoc-Mitteilung).1376 Letztlich ist es eine Frage des jeweiligen Einzelfalls, welche organisatorischen Vorkehrungen angemessen sind.1377 Damit lassen sich der MMVO und ihren Level 2-Rechtsakten letztlich die gleichen Anforderungen entnehmen (wenn auch deutlich versteckter), die bereits in Art. 3 Abs. 2 Durchführungsrichtlinie-MMRL geregelt waren. bb) Unwiderlegbare Vermutung bei ausreichend präzisen Gerüchten (Art. 17 Abs. 7 UAbs. 2 MMVO) Zu einer Verschärfung der Rechtslage führt Art. 17 Abs. 7 UAbs. 2 MMVO, wonach der Emittent auch dann die Insiderinformation unverzüglich veröffentlichen muss, wenn ein ausreichend präzises Gerücht hinsichtlich der zurückgehaltenen Insiderinformation besteht, so dass zu vermuten ist, dass die Vertraulichkeit dieser Information (i.S.v. Art. 17 Abs. 4 lit. c) MMVO) nicht mehr gewährleistet ist. Das galt zwar grundsätzlich schon zum alten Recht, jedoch stand dem Emittenten die Möglichkeit offen, sich mit dem Einwand zu verteidigen, dass das Gerücht nicht auf einer seiner Sphäre zurechenbaren Vertraulichkeitslücke basiert.1378 Dieser Einwand greift unter Geltung der MMVO jedoch nicht mehr durch.1379 Der Emittent ist vielmehr zur unverzüglichen Veröffentlichung der Insiderinformation gezwungen, unabhängig davon aus wessen Sphäre das ausreichend präzise Gerücht entstanden ist.1380 Art. 17 Abs. 7 UAbs. 2 MMVO spricht dementsprechend auch nur davon, dass die Vertraulichkeit „nicht mehr gewährleistet ist“ und nicht etwa davon, dass der Emittent die Vertraulichkeit „nicht mehr gewährleisten kann“.1381 Folglich 1375 Siehe auch BaFin, Art. 17 MAR – Veröffentlichung von Insiderinformationen (FAQs), Stand: 29. 05. 2019, IV.10. 1376 BaFin, Art. 17 MAR – Veröffentlichung von Insiderinformationen (FAQs), Stand: 29. 05. 2019, IV.10., eine solche muss bei Übermittlung des Befreiungsbeschlusses (Art. 17 Abs. 4 UAbs. 3 MMVO) jedoch nicht beigefügt werden. 1377 Retsch, NZG 2016, 1201, 1205; Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 17 Rn. 281. 1378 BaFin, Emittentenleitfaden 2013, S. 61. 1379 BaFin, Art. 17 MAR – Veröffentlichung von Insiderinformationen (FAQs), Stand: 29. 05. 2019, III.2. 1380 ESMA, Final Report – Draft technical standards on the Market Abuse Regulation, 28 September 2015, ESMA/2015/1455 Rn. 242: „Would the confidentiality be no longer maintained, including due to rumours that are sufficiently accurate to indicate that a leak of information has occurred, and irrespective from where the breach of confidentiality originates, the issuer must publicly disclose this inside information.“; Hopt/Kumpan, in: Schimansky/ Bunte/Lwowski, § 107 Rn. 157; Veil/Brüggemeier, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 10 Rn. 131; Kumpan, DB 2016, 2039, 2044; Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 17 Rn. 284; Assmann, in: Assmann/Schneider/Mülbert, Art. 17 MMVO Rn. 137. 1381 Vgl. Assmann, in: Assmann/Schneider/Mülbert, Art. 17 MMVO Rn. 137.

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steht dem Emittenten nicht der Einwand offen, er habe alle erforderlichen organisatorischen Vorkehrungen zur Sicherstellung der Vertraulichkeit getroffen, sondern es wird unwiderleglich vermutet, dass dem gerade nicht so war.1382 Dieser veränderte und verschärfte Maßstab (nicht mehr der Ursprung des Gerüchts ist entscheidend, sondern nur dessen Inhalt) wird damit begründet, dass es unter Umständen ein langwieriger Prozess sein kann bis die Vertraulichkeitslücke gefunden ist, womit man bei einer anschließend zu erfolgenden Veröffentlichung (wenn das „Leck“ aus der Sphäre des Emittenten kommt) nicht mehr von einer unverzüglichen Veröffentlichung sprechen könnte, was Art. 17 Abs. 7 MMVO jedoch voraussetzt.1383 Für die Praxis stellt dieser neue Maßstab eine schwerwiegende Veränderung dar. Es kann eine Verpflichtung zur Veröffentlichung von Insiderinformationen bestehen, obwohl noch ein großes Geheimhaltungsinteresse besteht und alle erforderlichen organisatorischen Vorkehrungen getroffen wurden. Entscheidende Bedeutung kommt folglich der Frage zu, ab wann ein Gerücht „ausreichend präzise“ im Sinne von Art. 17 Abs. 2 UAbs. 2 MMVO ist, damit es zu dieser Folge kommt. Auch hierbei gibt es jedoch keinerlei Hilfestellung vom Gesetzgeber und auch die ESMA bietet keine Konkretisierungen an.1384 Aufgrund der Härte, die die Regelung für Emittenten haben kann, darf der Maßstab jedenfalls nicht zu gering sein. In diese Richtung geht auch die BaFin, wenn sie ausführt, dass ein „willkürliches Streuen diffuser Informationen, die einem verbreiten von falschen oder irreführenden Informationen gleichkommt in der Absicht, dem Emittenten richtig stellende Informationen zu entlocken“ nicht als „ausreichend präzises“ Gerücht gelten kann.1385 Damit wird verhindert, dass der Emittent aufgrund von Aussagen „ins Blaue hinein“ zu einer Veröffentlichung gezwungen wird.1386 Die BaFin sieht ein Gerücht dann als „ausreichend präzise“ an, wenn die aus dem Gerücht abzuleitende Information darauf schließen lässt, dass ein Informationsleck entstanden ist.1387

1382 Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 17 Rn. 284, 290; siehe auch ESMA, Final Report – Draft technical standards on the Market Abuse Regulation, 28 September 2015, ESMA/2015/1455 Rn. 243; Kumpan, DB 2016, 2039, 2044; Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, § 107 Rn. 157; Assmann, in: Assmann/Schneider/Mülbert, Art. 17 MMVO Rn. 139. 1383 ESMA, Final Report – Draft technical standards on the Market Abuse Regulation, 28 September 2015, ESMA/2015/1455 Rn. 243. 1384 ESMA, Final Report – Draft technical standards on the Market Abuse Regulation, 28 September 2015, ESMA/2015/1455 Rn. 244: „ESMA cannot provide more details and explanation on what is meant by the MAR Level 1 in relation to rumour.“ 1385 BaFin, Art. 17 MAR – Veröffentlichung von Insiderinformationen (FAQs), Stand: 29. 05. 2019, III.3. 1386 Vgl. Retsch, NZG 2016, 1201, 1205. 1387 BaFin, Art. 17 MAR – Veröffentlichung von Insiderinformationen (FAQs), Stand: 29. 05. 2019, III.3.

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Diese Formel ist jedoch selbst präzisierungsbedürftig.1388 Auch wenn es für Art. 17 Abs. 7 UAbs. 2 MMVO unerheblich ist, aus wessen Sphäre das Gerücht kommt, ist es für die Bestimmung des Merkmals „ausreichend präzise“ sachgerecht, auf den vergleichenden Maßstab eines Informationslecks beim sich in der Selbstbefreiung befindlichen Emittenten abzustellen, da diesen auch die Folgen treffen.1389 Zudem lässt sich hier der Maßstab hinsichtlich des Merkmals „präzise“ gemäß Art. 7 Abs. 2 S. 1 MMVO fruchtbar machen, wonach eine Information über zukünftige Ereignisse dann präzise ist, wenn man deren Eintritt vernünftigerweise erwarten kann (verstanden als überwiegende Wahrscheinlichkeit, 50 % plus x). Aus dem Vorgenannten lässt sich folgender Maßstab entwickeln: Ein Gerücht ist „ausreichend präzise“ i.S.v. Art. 17 Abs. 7 UAbs. 2 MMVO, wenn es seiner Informationsgenauigkeit und seinem Informationsgehalt nach so ausgestaltet ist, dass man vernünftigerweise davon ausgehen kann oder es überwiegend wahrscheinlich ist, dass das Gerücht auf ein Informationsleck aus der Sphäre des Emittenten zurückgeht.1390 d) Befreiungsbeschluss des Emittenten Liegen die Voraussetzungen von Art. 17 Abs. 4 lit. a) bis c) MMVO vor, stellt sich die Frage, ob die Selbstbefreiung automatisch eintritt oder ob es zusätzlich eines Befreiungsbeschlusses des Emittenten bedarf. Unter Geltung von § 15 Abs. 3 S. 1 WpHG a.F. war dies umstritten, jedoch ging insbesondere die BaFin davon aus, dass es für die Selbstbefreiung eines gesonderten Beschlusses bedurfte, wobei unklar blieb, ob das geschäftsführende Organ als Ganzes den Beschluss herbeizuführen hatte oder ob es ausreichend war, wenn mindestens ein ordentliches Vorstandsmitglied an der Beschlussfassung mitwirkte.1391 Anders wurde das etwa von den na1388

Vgl. Veil/Brüggemeier, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 10 Rn. 131; Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, § 107 Rn. 157 Fn. 4. 1389 Vgl. Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 17 Rn. 289: „Es müssen Informationen kursieren, über die typischerweise nur der Emittent verfügen kann.“ 1390 Im Schrifttum werden größtenteils ähnliche, jedoch im Detail unterschiedliche Ansichten vertreten: Für Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, § 107 Rn. 157 und Kumpan, DB 2016, 2039, 2044 ist ein Gerücht dann „ausreichend präzise“, wenn es bereits wesentliche Umstände der in Frage stehenden Insiderinformation enthält, die auch in einer Adhoc-Mitteilung zu veröffentlichen wären; ähnlich Assmann, in: Assmann/Schneider/Mülbert, Art. 17 MMVO Rn. 138 wonach das Gerücht jedenfalls auch Informationen enthalten muss, die sich weitgehend mit den nicht veröffentlichten Insiderinformationen decken; ebenfalls auf wesentliche Teile einer möglichen Veröffentlichung abstellend, aber wie Retsch, NZG 2016, 1201, 1205 auch auf einen „hohen Grad an Genauigkeit und Substanz“ verweisend Veil/ Brüggemeier, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 10 Rn. 131; einen etwas anderen, da normativen Maßstab vertritt Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 17 Rn. 289, wonach ein Gerücht „ausreichend präzise“ ist, wenn es den Schluss rechtfertigt, der Emittent habe seine Pflicht gemäß Art. 17 Abs. 4 lit. c) MMVO verletzt. 1391 Unklar insoweit BaFin, Emittentenleitfaden 2013, S. 59; hierzu Ihrig/Kranz, BB 2013, 451, 454 f.

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Kap. 5: Das Insiderrecht der MMVO

tionalen Aufsichten in Frankreich und im Vereinigten Königreich gesehen, wonach die Selbstbefreiung automatisch bei Vorliegen ihrer Voraussetzungen eintrat.1392 Die MMVO enthält zwar auch keine unmittelbare Aussage dahingehend, dass es eines Befreiungsbeschlusses des Emittenten bedarf, doch sprechen der Wortlaut von Art. 17 Abs. 4 UAbs. 1 MMVO („Ein Emittent […] kann auf eigene Verantwortung die Offenlegung […] aufschieben […].“) und vor allem von Art. 4 Abs. 1 lit. a) ii) und lit. b) i) Durchführungsverordnung (EU) 2016/1055 – danach müssen sowohl Datum und Uhrzeit der Entscheidung über den Aufschub der Offenlegung von Insiderinformationen als auch die Identität der Personen beim Emittenten mit Zuständigkeit für die Entscheidung über den Aufschub dokumentiert werden – eindeutig für ein solches Erfordernis.1393 Auch die Ausführungen der ESMA1394 und der BaFin gehen klar in diese Richtung. Die BaFin hat dabei auch ihre widersprüchliche Formulierung korrigiert und fordert nur noch, dass mindestens ein Vorstandsmitglied an der Entscheidung über die Selbstbefreiung beteiligt ist.1395 In der Praxis haben die Emittenten oftmals ein spezielles Ad-hoc-Komitee,1396 das sich mit den Fragen rund um die Ad-hoc-Publizität und damit auch der Möglichkeit der Selbstbefreiung beschäftigt. In der Studie des Deutschen Aktieninstituts und der Wirtschaftskanzlei Hengeler Mueller gaben 90 % der Teilnehmer an, ein solches Adhoc-Komitee zu haben.1397 Interessanterweise haben davon jedoch mehr als die Hälfte (55 %) keine vollumfängliche Entscheidungskompetenz, sondern nur eine Entscheidungsvorbereitungskompetenz.1398 Teil eines solchen Komitees sind sehr häufig Mitglieder der Rechtsabteilung und der Investor Relations sowie oftmals auch Finanzvorstände und Mitarbeiter aus der Unternehmenskommunikation.1399

1392

Siehe oben Kapitel 2, B.II. Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, § 107 Rn. 151; Veil/Brüggemeier, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 10 Rn. 133; Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 17 Rn. 182; Retsch, NZG 2016, 1201, 1205; Veil, ZBB 2014, 85, 92 f.; a.A. Assmann, in: Assmann/Schneider/Mülbert, Art. 17 MMVO Rn. 89 ff., der aber den Emittenten aus Gründen der Rechtssicherheit empfiehlt Art. 17 Abs. 4 UAbs. 1 MMVO so zu deuten, als ob er eine Befreiungsentscheidung verlange (Rn. 90). 1394 ESMA, Final Report – Draft technical standards on the Market Abuse Regulation, 28 September 2015, ESMA/2015/1455 Rn. 239. 1395 BaFin, Art. 17 MAR – Veröffentlichung von Insiderinformationen (FAQs), Stand: 29. 05. 2019, III.1. 1396 Siehe zum gesellschaftsrechtlichen Hintergrund Retsch, NZG 2016, 1201, 1205 f. 1397 Deutsches Aktieninstitut/Hengeler Mueller (Fn. 642), S. 9 f. 1398 Deutsches Aktieninstitut/Hengeler Mueller (Fn. 642), S. 9 f. 1399 Deutsches Aktieninstitut/Hengeler Mueller (Fn. 642), S. 10. 1393

C. Ad-hoc-Publizität (Art. 17 MMVO)

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e) Keine Selbstbefreiung bei fehlendem Beschluss des Emittenten Ebenfalls keine ausdrückliche Regelung enthält die MMVO hinsichtlich der Rechtsfolge, wenn es an einem Befreiungsbeschluss des Emittenten fehlt. Dabei ist vor allem an die Situation zu denken, dass die Voraussetzungen der Ad-hoc-Publizität vorliegen, der Emittent aber nach Prüfung der Sach- und Rechtslage in gutem Glauben davon ausgeht, dass keine Insiderinformation vorliegt, dementsprechend keinen Bedarf für eine Selbstbefreiung und einen dazugehörigen Beschluss sieht, die Voraussetzungen dafür aber ebenfalls vorgelegen hätten.1400 Es ist zuzugeben, dass in dieser Situation eine gewisse Sympathie dafür entsteht, den Emittenten auch ohne Befreiungsbeschluss in die Selbstbefreiung und damit die Sanktionslosigkeit zu entlassen. Allerdings ist dieses Ergebnis nicht in der MMVO angelegt.1401 Würde man den Beschluss lediglich als Obliegenheit ansehen, dessen Nichtvorliegen nicht zum Wegfall des Selbstbefreiungsprivilegs führt,1402 wäre kaum nachvollziehbar, warum der Wortlaut des Gesetzes in Art. 17 Abs. 4 UAbs. 1 MMVO und in Art. 4 Abs. 1 lit. a) ii) und lit. b) i) Durchführungsverordnung (EU) 2016/1055 eindeutig davon ausgeht, dass der Emittent einen derartigen Beschluss fasst und ihm zudem noch umfangreiche Dokumentationspflichten diesbezüglich auferlegt. Zudem lassen sich Konstellationen, bei denen es aus unterschiedlichen Gründen am Befreiungsbeschluss fehlt, sachgerechter auf Rechtsfolgenseite bei der Bemessung einer eventuellen Geldbuße berücksichtigen.1403 Würde man keinen Beschluss für das Eingreifen des Selbstbefreiungsprivilegs fordern, würde bei Vorliegen der Voraussetzungen in Art. 17 Abs. 4 lit. a) bis c) MMVO sowohl derjenige, der nach umfangreicher Prüfung der Sach- und Rechtslage gutgläubig die Insiderinformation verkennt als auch derjenige, dem das aus reiner Nachlässigkeit passiert, davon profitieren. Letzteres wird selbst von Gegnern des Befreiungsbeschlusses nicht befürwortet.1404 Auf Rechtsfolgenseite ist hingegen keine pauschale Betrachtung erforderlich, sondern es kann den Spezifika des Einzelfalls Rechnung getragen werden.1405 1400 Siehe zu diesem Beispiel Assmann, in: Assmann/Schneider/Mülbert, Art. 17 MMVO Rn. 91, der dieses Beispiel als Hauptgrund nennt, warum es keines Befreiungsbeschlusses bedarf. 1401 Retsch, NZG 2016, 1201, 1205 („lässt keinen Raum für eine andere Auslegung“); vgl. auch Veil/Brüggemeier, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 10 Rn. 134. 1402 So Klöhn, in: Klöhn/MMVO, Art. 17 Rn. 183 ff., wonach Rechtsfolge des fehlenden Beschlusses nur der Fortfall des Beurteilungsspielraums bei der Einschätzung der Frage, ob der Publizitätsaufschub im Emittenteninteresse liegt, ist und nicht der automatische Wegfall des Selbstbefreiungsprivilegs. 1403 Vgl. Veil/Brüggemeier, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 10 Rn. 134. 1404 Assmann, in: Assmann/Schneider/Mülbert, Art. 17 MMVO Rn. 91. 1405 Siehe BaFin, WpHG-Bußgeldleitlinien II – Leitlinien zur Festsetzung von Geldbußen im Bereich des Wertpapierhandelsgesetzes (WpHG), Stand: Februar 2017.

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Kap. 5: Das Insiderrecht der MMVO

Fehlt es mithin an einem Befreiungsbeschluss des Emittenten, ist dieser auch dann nicht in der Selbstbefreiung, wenn die Voraussetzungen des Art. 17 Abs. 4 lit. a) bis c) MMVO erfüllt sind.

IV. Fazit Die allgemeine (Art. 17 Abs. 1 MMVO) und die spezielle Ad-hoc-Publizitätspflicht (Art. 17 Abs. 8 MMVO) wurden inhaltlich nahezu unverändert in die MMVO übernommen. Die größte Neuerung ergibt sich hinsichtlich des erweiterten Anwendungsbereichs (Art. 17 Abs. 1 UAbs. 3 MMVO), die aufgrund der immer größer werdenden Bedeutung von multilateralen und organisierten Handelssystemen sinnvoll ist und dazu beiträgt, den Funktions- und Anlegerschutz auch außerhalb des geregelten Markts zu gewährleisten und zu verbessern.1406 Durch die – zu kritisierende – Beibehaltung eines einstufigen Modells in der MMVO, kommt für Emittenten, aber auch für den Markt, dem Instrument der Selbstbefreiung große Bedeutung gerade bei zeitlich gestreckten Vorgängen zu, was auch durch die Klarstellung in Art. 17 Abs. 4 UAbs. 2 MMVO deutlich wird. Leider entspricht die Qualität der Gesetzgebung jedoch nicht dieser Bedeutung. Anstatt klarer und allgemeiner Kriterien zur Bestimmung, wann die berechtigten Interessen des Emittenten im jeweiligen Einzelfall durch eine Veröffentlichung beeinträchtigt werden oder wann die Aufschiebung geeignet ist, die Öffentlichkeit irrezuführen, finden sich in den ESMA-Leitlinien lediglich nicht abschließende Fallbeispiele, die zwar einige praktisch relevante Fälle enthalten, dem Emittenten aber keine wirkliche Hilfestellung geben, was die Beurteilung von Konstellationen außerhalb der Aufzählungen betrifft. Unverständlich ist auch, warum eine Art. 3 Abs. 2 DurchführungsrichtlinieMMRL entsprechende Konkretisierung der Organisationspflichten hinsichtlich der Sicherstellung der Vertraulichkeit der Insiderinformation (Art. 17 Abs. 4 lit. c) MMVO) nicht übernommen wurde. Zum einen, da für diese Voraussetzung auch der ESMA kein Mandat erteilt wurde Leitlinien zu erstellen und zum anderen, da man nach einigem Suchen im Regulierungsdschungel der MMVO doch wieder genau auf die Kriterien stößt, die auch Art. 3 Abs. 2 Durchführungsrichtlinie-MMRL enthielt – der Gesetzgeber sie also augenscheinlich beibehalten wollte. Zu kämpfen hat die Praxis auch mit der Neuerung hinsichtlich „ausreichend präziser“ Gerüchte, wonach der Emittent zur Veröffentlichung verpflichtet ist, unabhängig davon, ob er alle erforderlichen organisatorischen Pflichten zur Gewährleistung der Vertraulichkeit eingehalten hat und unabhängig davon, aus wessen Sphäre das Gerücht stammt. Erschwerend kommt hinzu, dass der MMVO-Gesetzgeber mit dem Merkmal „ausreichend präzise“ einen neuen unbestimmten Rechtsbegriff eingeführt hat, es aber nicht für notwendig erachtet hat, diesen auch nur 1406

Vgl. Erwägungsgrund 8 MMVO.

D. Insiderlisten (Art. 18 MMVO)

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ansatzweise zu präzisieren. Eine gewisse Hilfe bieten hier immerhin die FAQs der BaFin. Das alles trägt nicht dazu bei, dass in der Praxis Klarheit und Rechtssicherheit herrschen. Bei der Umfrage des Deutschen Aktieninstituts und Hengeler Mueller gaben zwei von drei Unternehmen an, dass sie die Regeln zur Selbstbefreiung nicht eindeutig finden.1407 Gleichzeitig sind aber auch im Rahmen der Ad-hoc-Publizität die Dokumentations- und Organisationspflichten und mithin auch die ComplianceKosten deutlich angestiegen.1408 Die MMVO ist mit dem Ziel gestartet, Klarheit und Rechtssicherheit zu fördern und Kosten zu senken. Auch im Rahmen der Ad-hoc-Publizität zeigt sich jedoch, dass sie bisher eher jeweils das Gegenteil bewirkt hat.

D. Insiderlisten (Art. 18 MMVO) I. Zielsetzungen und erweiterter Anwendungsbereich Nach Art. 18 MMVO sind Emittenten oder alle in ihrem Auftrag oder für ihre Rechnung handelnden Personen zur Aufstellung und Aktualisierung von Insiderlisten (entspricht den Insiderverzeichnissen nach § 15b WpHG a.F.) verpflichtet und müssen der BaFin auf deren Ersuchen hin die Liste unverzüglich zur Verfügung stellen. Übergeordnetes Ziel dieser Regelung ist, wie auch bei der Ad-hoc-Publizität, der Funktionsschutz des Markts.1409 Darüber hinaus wird der Zweck der Regelung darin gesehen, es dem Emittenten zu ermöglichen, den Fluss von Insiderinformationen zu überwachen, womit die Insiderlisten dazu beitragen können, dass den Geheimhaltungspflichten Genüge getan wird. Zudem wird es den zuständigen Behörden erleichtert zu ermitteln, welche Personen und wann sie Zugang zu Insiderinformationen hatten (Erwägungsgrund 57 MMVO). Da es sich auch bei Art. 18 MMVO um eine Offenlegungsvorschrift handelt,1410 ist es konsequent, dass in Einklang mit der Ad-hoc-Publizität auch der Anwendungsbereich von Art. 18 MMVO auf multilaterale und organisierte Handelssysteme erstreckt wurde, wenn die Emittenten dort eine Zulassung zum Handel erhalten oder beantragt haben, Art. 18 Abs. 7 MMVO.

1407 1408 1409 1410

Deutsches Aktieninstitut/Hengeler Mueller (Fn. 642), S. 9. Deutsches Aktieninstitut/Hengeler Mueller (Fn. 642), S. 5 f. Erwägungsgrund 57 MMVO. Siehe Überschrift Kapitel 3 MMVO.

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Kap. 5: Das Insiderrecht der MMVO

II. Wortlautproblematiken Dem Wortlaut von Art. 18 Abs. 1 MMVO ist zu entnehmen, dass Emittenten oder alle in ihrem Auftrag oder für ihre Rechnung handelnden Personen verpflichtet sind, Insiderlisten aufzustellen. Dem Wortlaut zufolge („oder“) würde ein Emittent also von seiner Pflicht befreit, wenn eine andere dort genannte Person eine Insiderliste führt. Das kann jedoch offensichtlich nicht gemeint sein. § 15b WpHG a.F. enthielt die Formulierung „Emittenten und Dienstleister“ und es finden sich sonst keinerlei Anhaltspunkte, dass der MMVO-Gesetzgeber daran etwas ändern wollte. Es kann sich bei der Formulierung „oder“ daher nur um ein Redaktionsversehen handeln und alle genannten Personen sind nebeneinander zur Führung von Insiderlisten verpflichtet.1411 Nur so lassen sich auch die mit der Regelung verfolgten Ziele vollumfänglich erfüllen. Ebenfalls unglücklich ist der Wortlaut von Art. 18 Abs. 1 lit. a) MMVO. Danach ist eine Liste aller Personen aufzustellen, die „Zugang zu Insiderinformationen haben“. Nimmt man diese Aussage wörtlich, müsste bereits eine Liste erstellt werden, wenn den Personen nur irgendeine Insiderinformation bekannt wäre. Auch das entspricht jedoch nicht dem Sinn von Art. 18 MMVO. Was damit tatsächlich gemeint ist, ergibt sich aus einer Zusammenschau mit Erwägungsgrund 57 MMVO, nämlich dass nur über Personen, „die Zugang zu Insiderinformationen mit direktem oder indirektem Bezug zum Emittenten haben“, eine Liste aufzustellen ist.1412

III. Veränderungen für die Praxis Um ein einheitliches Format der Insiderlisten festzulegen, enthält die Durchführungsverordnung (EU) 2016/3471413 Vorlagen für Insiderlisten.1414 Daraus ergeben sich für die Praxis insbesondere zwei gewichtige Veränderungen.

1411 Göttler, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 11 Rn. 5; Simons, CCZ 2017, 182; siehe auch BaFin, FAQ zu Insiderlisten nach Art. 18 der Marktmissbrauchsverordnung (EU) Nr. 596/2014, Stand: 13. 01. 2017, II.2. 1412 Siehe auch Göttler, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 11 Rn. 5; Semrau, in: Klöhn/MMVO, Art. 18 Rn. 26. 1413 Durchführungsverordnung (EU) 2016/347 der Kommission vom 10. März 2016 zur Festlegung technischer Durchführungsstandards im Hinblick auf das genaue Format der Insiderlisten und für die Aktualisierung von Insiderlisten gemäß der Verordnung (EU) Nr. 596/ 2014 des Europäischen Parlaments und des Rates, ABl. EU Nr. L 65 v. 11. 03. 2016, S. 49. 1414 Anhang I und II Durchführungsverordnung (EU) 2016/347.

D. Insiderlisten (Art. 18 MMVO)

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1. Wegfall des Funktionsinsiders und geringe Bedeutung des „permanenten Insiders“ Zum alten Recht wurde in der Regel zwischen „Funktions-„ und „Projektinsidern“ unterschieden.1415 Funktionsinsider waren dabei Personen, die aufgrund ihrer Funktion beim Emittenten (etwa Organmitglieder) regelmäßig mit entsprechenden Insiderinformationen in Berührung kommen konnten.1416 Projektinsider waren demgegenüber Personen, die nur in Einzelfällen mit Insiderinformationen zu tun hatten.1417 Unter Geltung der MMVO gibt es jedoch nur noch eine Insiderliste, die in separate Abschnitte gegliedert ist, die sich auf unterschiedliche Insiderinformationen beziehen. Dabei soll jeder Abschnitt nur Angaben zu den Einzelpersonen enthalten, die Zugang zu der für diesen Abschnitt relevanten Insiderinformation haben (Art. 2 Abs. 1 UAbs. 1 S. 1, UAbs. 2 Durchführungsverordnung (EU) 2016/347). Diese Regelung entspricht dem aus dem alten Recht bekannten Projektinsider.1418 Mit diesen Vorgaben nicht mehr vereinbar ist hingegen die Aufnahme eines Funktionsinsiders.1419 Dass es jedoch ein Bedürfnis dafür geben kann, bestimmte Personen nicht jedes Mal wieder aufs Neue in eine insiderinformationsbezogene Insiderliste aufzunehmen, wird auch im neuen Recht erkannt. So ist es nach Art. 2 Abs. 2 Durchführungsverordnung (EU) 2016/347 möglich, einen ergänzenden Abschnitt für „permanente Insider“ in die Insiderliste einzufügen. Dieser „permanente Insider“ entspricht jedoch nicht dem alten Funktionsinsider, sondern geht über diesen hinaus, da darunter nur Personen zu verstehen sind, die jederzeit zu allen Insiderinformationen Zugang haben.1420 Zwar ist die Intention hinter dieser Regelung zu begrüßen, doch ist deren Gestaltung kritisch zu sehen. Zum einen ist in der Unternehmenspraxis, selbst bei Vorständen (insbesondere aufgrund ihrer verschiedenen Ressorts), kaum davon auszugehen, dass es eine Person gibt, die von der Entstehung an zu allen Insiderinformationen Zugang hat.1421 Zum anderen geht mit der Aufnahme in die Liste der permanenten Insider aber gerade eine dementsprechende Vermutung einher,1422 die 1415 BaFin, Emittentenleitfaden 2013, S. 98 f.; Simons, CCZ 2016, 221, 222 f.; Semrau, in: Klöhn/MMVO, Art. 18 Rn. 38. 1416 BaFin, Emittentenleitfaden 2013, S. 99; Simons, CCZ 2016, 221, 223. 1417 BaFin, Emittentenleitfaden 2013, S. 98 f.; Simons, CCZ 2016, 221, 223. 1418 Vgl. Simons, CCZ 2016, 221, 223; Göttler, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 11 Rn. 32. 1419 Siehe ESMA, Final Report – Draft technical standards on the Market Abuse Regulation, 28 September 2015, ESMA/2015/1455 Rn. 284; Semrau, in: Klöhn/MMVO, Art. 18 Rn. 38; Simons, CCZ 2016, 221, 223. 1420 Art. 2 Abs. 2 Durchführungsverordnung (EU) 2016/347; Simons, CCZ 2016, 221, 223; Semrau, in: Klöhn/MMVO, Art. 18 Rn. 40. 1421 Simons, CCZ 2016, 221, 223; Semrau, in: Klöhn/MMVO, Art. 18 Rn. 40; Göttler, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 11 Rn. 33. 1422 ESMA, Final Report – Draft technical standards on the Market Abuse Regulation, 28 September 2015, ESMA/2015/1455 Rn. 285: „Insiders that are included on the permanent

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Kap. 5: Das Insiderrecht der MMVO

bei Verdacht eines Insiderverstoßes von der Person nur sehr schwer widerlegbar sein dürfte.1423 In der Praxis wird daher nur in Ausnahmefällen zur Aufstellung eines Abschnitts für permanente Insider geraten und wenn, dann auch nur für einzelne Personen. Aufgrund der geringen praktischen Bedeutung des permanenten Insiders führt dessen Einführung nicht zu dem wohl erhofften geringeren Verwaltungsaufwand, sondern erhöht diesen vielmehr, da die große Mehrheit der Personen als Projektinsider für jede neue Insiderinformation wieder in die Insiderliste aufgenommen werden müssen. Gerade aus Gesichtspunkten der Vewaltungseffizienz wäre es daher sinnvoller gewesen, den Funktionsinsider beizubehalten.1424 2. Deutlich erhöhter Verwaltungsaufwand Generell hat sich mit der Einführung von Art. 18 MMVO der Verwaltungsaufwand deutlich erhöht. Die in die Vorlage einer insiderinformationsbezogenen Insiderliste aufzunehmenden Informationen gehen über die bisher in § 14 WpAIV a.F. geregelten Vorgaben hinaus.1425 So ist jetzt neben den privaten Telefonnummern (Festnetz- und Mobiltelefon) auch die vollständige Privatanschrift aufzunehmen, was nach der BaFin auch einen vorhandenen Zweitwohnsitz umfasst.1426 Zudem sind umfangreiche Datums- und Uhrzeitdokumentationen erforderlich, nämlich sowohl bezüglich der Einrichtung des entsprechenden Abschnitts der Insiderliste als auch hinsichtlich Erlangung und Ende des Zugangs zu der entsprechenden Insiderinformation.1427 Fehlt es der MMVO an wesentlich wichtigeren Stellen oftmals sogar gänzlich an Konkretisierungen, weist die Vorlage bezüglich Insiderlisten einen fast schon absurd hohen Detailgrad aus, da selbst das Format vorgegeben wird, in welchem Datum und Uhrzeit aufzunehmen sind.1428 Ein solcher Konkretisierungsdrang des Gesetzgebers wäre an zahlreichen anderen Stellen der MMVO deutlich sinnvoller und wünschenswerter gewesen. Zu diesen umfangreichen Dokumentationspflichten bei der Aufstellung der Insiderliste gesellen sich eine ebenfalls umfassende Aktualisierungspflicht (Art. 18 Abs. 1 lit. b) und Abs. 4 lit. a) bis c) MMVO) und eine Aufklärungspflicht1429 der insider section are considered to have access to all inside information within the issuer […] and to be insiders during the entire duration of the period of existence of the inside information.“; Simons, CCZ 2016, 221, 223. 1423 Vgl. Simons, CCZ 2016, 221, 223. 1424 Vgl. Simons, CCZ 2016, 221, 223. 1425 Göttler, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 11 Rn. 47. 1426 BaFin, FAQ zu Insiderlisten nach Art. 18 der Marktmissbrauchsverordnung (EU) Nr. 596/2014, Stand: 13. 01. 2017, VI.6. 1427 Vgl. Vorlage in Anhang I Durchführungsverordnung (EU) 2016/347. 1428 Datums- und Uhrzeitformat jeweils nach ISO 8601. 1429 Nach BaFin, FAQ zu Insiderlisten nach Art. 18 der Marktmissbrauchsverordnung (EU) Nr. 596/2014, Stand: 13. 01. 2017, III.3. bedarf es keiner Aufklärung bei erneuter Aufnahme in die Insiderliste, sondern es gilt der Grundsatz „einmal belehrt, immer belehrt“.

E. Managers’ Transactions (Art. 19 MMVO)

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erfassten Personen hinsichtlich der Pflichten und möglichen Sanktionen, die sich aus dem Zugang zu Insiderinformationen ergeben. Deren Kenntnisnahme hat die erfasste Person grundsätzlich schriftlich anzuerkennen (Art. 18 Abs. 2 MMVO).1430

IV. Fazit In Erwägungsgrund 56 MMVO erläutert der Gesetzgeber, warum er es für erforderlich ansieht, dass es ein einheitliches Format für die Insiderliste nach Art. 18 MMVO gibt. Dadurch soll der Verwaltungsaufwand reduziert und in der Folge Kosten gesenkt werden. Das Erreichen dieser Ziele ist jedoch bereits im Ausgangspunkt fraglich, wenn man, wie bei Art. 18 MMVO, gleichzeitig den Umfang und den Detailgrad der Daten erhöht, die in eine, wenn dann auch einheitliche, Insiderliste aufgenommen werden sollen. Dass dieses Ziele – zumindest bisher – gänzlich nicht erreicht wurden, zeigt die Umfrage des Deutschen Aktieninstituts und Hengeler Mueller. Für 90 % der befragten Unternehmen ist der Verwaltungsaufwand bezüglich Insiderlisten gestiegen, wobei davon die Hälfte (45 %) angab, dass der Aufwand sogar „stark gestiegen“ ist.1431 Für die restlichen zehn Prozent hat sich nichts verändert.1432 Zudem gab fast ein Drittel (32 %) der Unternehmen an, dass sie hinsichtlich Insiderlisten häufiger externen Rechtsrat einholen als noch zum alten Recht. Bei lediglich 3 % ist das unter Geltung der MMVO seltener; die überwiegende Mehrheit (66 %) stellt keine Veränderungen fest.1433 Auch hinsichtlich der Neuregelung von Insiderlisten in der MMVO muss man damit das Fazit ziehen, dass sich der Gesetzgeber viel vorgenommen hat, die Realität in der Praxis jedoch ein anderes Bild vermittelt.

E. Managers’ Transactions (Art. 19 MMVO) Art. 19 MMVO regelt die Meldepflichten bei Eigengeschäften von Führungskräften und enthält zudem ein explizites Handelsverbot für diese. Dass es hierbei Veränderungen zum alten Recht gibt, wird schon auf sprachlicher Ebene eingeleitet. Denn war bei § 15a WpHG a.F. noch von Directors’ Dealings die Rede, so firmieren die Regelungen jetzt unter Managers’ Transactions.1434 1430 BaFin, FAQ zu Insiderlisten nach Art. 18 der Marktmissbrauchsverordnung (EU) Nr. 596/2014, Stand: 13. 01. 2017, III.2. lässt auch eine Bestätigung in elektronischer Form genügen, sofern bei Nutzung der elektronischen Form auch zu einem späteren Zeitpunkt diese Kenntnisnahme nachgewiesen werden kann. 1431 Deutsches Aktieninstitut/Hengeler Mueller (Fn. 642), S. 5. 1432 Deutsches Aktieninstitut/Hengeler Mueller (Fn. 642), S. 5. 1433 Deutsches Aktieninstitut/Hengeler Mueller (Fn. 642), S. 6. 1434 Siehe Überschrift von Artikel 19 MMVO in der englischen Sprachfassung; Hitzer/ Wasmann, DB 2016, 1483.

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Kap. 5: Das Insiderrecht der MMVO

I. Meldepflichten (Art. 19 Abs. 1 MMVO) 1. Vielschichtige Regelungszwecke und erweiterter Anwendungsbereich Der Regelungszweck der Meldepflichten ist vielschichtig. Zum einen sollen sie die Markttransparenz fördern und damit sowohl die Effizienz des Markts als auch das Anlegervertrauen steigern.1435 Gleichzeitig dienen die Meldungen über Managers’ Transactions aber auch als Indikator für eine informierte Anlegerentscheidung, denn Führungskräfte haben in der Regel besseres Wissen über ihr Unternehmen, womit sich aus ihren Geschäften auf die Unternehmensentwicklung schließen lässt.1436 Ferner wird in den Meldepflichten auch ein Mittel zur Prävention gegen Insiderhandel gesehen, da durch die geschaffene Transparenz den Behörden eine zusätzliche Möglichkeit zur Überwachung zusteht.1437 Dass dies auch in der Praxis umgesetzt wird, zeigt der Fall Kengeter. Die vom damaligen Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Börse getätigten und unter Insiderhandelsverdacht stehenden Geschäfte wurden den Vorschriften entsprechend gemeldet.1438 Das rief zunächst die BaFin auf den Plan, die die Sache dann an die Staatsanwaltschaft weiterreichte.1439 Mittlerweile ist Kengeter vom Posten des Vorstandsvorsitzenden zurückgetreten.1440 In Einklang mit den vorgenannten Publizitätsvorschriften der MMVO wurde auch der Anwendungsbereich von Art. 19 MMVO auf multilaterale und organisierte Handelssysteme erstreckt, wenn die Emittenten dafür eine Zulassung erhalten oder beantragt haben, Art. 19 Abs. 4 MMVO. Das ist, wie auch schon bei der Ad-hocPublizität, ein Grund dafür, dass seit Wirksamwerden der MMVO die Anzahl an Managers’ Transactions-Meldungen erheblich zugenommen hat, von 1809 Meldungen 2015 auf 2879 Meldungen 2016 und minimal rückläufigen 2789 Meldungen 2017.1441 2. Kritisch zu sehende Erstreckung auf rein passive Geschäfte Meldepflichtig sind Geschäfte von Personen, die Führungsaufgaben wahrnehmen (Art. 3 Abs. 1 Nr. 25 MMVO), sowie in enger Beziehung zu ihnen stehende Personen (Art. 3 Abs. 1 Nr. 26 MMVO). Eine umfassende, aber nicht abschließende Liste meldepflichtiger Geschäfte enthält Art. 10 Abs. 2 Delegierte Verordnung (EU) 2016/ 522. Dieser konkretisiert zum Teil die bereits in Art. 19 Abs. 7 MMVO exemplarisch 1435 Erwägungsgrund 58 MMVO; Hitzer/Wasmann, DB 2016, 1483, 1484; Sethe/Hellgardt, in: Assmann/Schneider/Mülbert, Art. 19 MMVO Rn. 9. 1436 Erwägungsgrund 59 MMVO; Sethe/Hellgardt, in: Assmann/Schneider/Mülbert, Art. 19 MMVO Rn. 10; Maume/Kellner, ZGR 2017, 273, 277 f. 1437 Erwägungsgründe 58 und 59 MMVO. 1438 Börsen-Zeitung, Ausgabe 23 v. 02. 02. 2017, S. 1. 1439 Börsen-Zeitung, Ausgabe 23 v. 02. 02. 2017, S. 1. 1440 Börsen-Zeitung, Ausgabe 207 v. 27. 10. 2017, S. 1. 1441 BaFin, Jahresbericht 2017, S. 139.

E. Managers’ Transactions (Art. 19 MMVO)

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genannten Geschäfte und geht ansonsten weit über die alte Rechtslage hinaus, was ein weiterer Grund für die Zunahme der Meldungen unter Geltung der MMVO ist.1442 Insbesondere die Aufnahme von Schenkungen, Spenden und Erbschaften ist eine Neuerung zum alten Recht. Lässt sich beim Tätigen einer Schenkung oder Spende noch argumentieren, dass auch hier ein Wissensvorsprung ausgenutzt werden kann, zeigt die Aufnahme auch der jeweils passiven Form – Erhalt einer Schenkung oder Spende, Entgegennahme einer Erbschaft –, dass es dem Gesetzgeber in erster Linie um eine umfassende Herstellung von Transparenz geht. Im gleichen Lichte ist auch die Erfassung von Vergütungsprogrammen zu sehen, die selbst dann meldepflichtig sind, wenn die berechtigte Person keinen Handlungsspielraum bei der Zuteilung hat.1443 Die Aufnahme dieser passiven Geschäfte ist jedoch nicht unproblematisch. Da ihnen keine aktive Entscheidung der Führungskraft oder der mit ihr eng verbundenen Person zu Grunde liegt, ist fraglich, welchen Nutzen die Meldung für die Marktteilnehmer hat, da hier gerade kein Wissensvorsprung vorliegt und der Meldung damit auch keine Indikatorwirkung entnommen werden kann. Es besteht sogar die Gefahr, dass durch die Meldung gerade falsche Signale in den Markt gesendet werden und die Marktteilnehmer die Meldung über- oder fehlinterpretieren.1444 Folge wäre nicht wie erhofft, dass Effizienz und Anlegervertrauen gefördert werden, sondern gerade das Gegenteil.1445 Diese Gegenüberstellung von Nutzen und Risiken solcher Meldungen legt den Schluss nahe, dass es sinnvoller und zielorientierter gewesen wäre, die Transparenzschraube nicht ganz so weit zu drehen und rein passive Geschäfte nicht der Meldepflicht des Art. 19 Abs. 1 MMVO zu unterwerfen. 3. Verkürzte Meldefrist und Schwellenwert a) Angemessenheit der Beibehaltung einer „post-trading-disclosure“ unter Verkürzung der Meldefrist Zu einer Verschärfung der Rechtslage führt die MMVO in Bezug auf die Meldefristen der Geschäfte. Während § 15a Abs. 1 S. 1 WpHG a.F. eine Meldefrist von fünf Werktagen vorsah, beträgt diese nach Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 und Abs. 2 UAbs. 2 MMVO nur noch drei Tage. Unglücklich ist hier jedoch die Wortwahl, denn Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 MMVO spricht von „drei Geschäftstagen“ und Art. 19 Abs. 2 UAbs. 2 MMVO von „drei Arbeitstagen“. Die BaFin hat jedoch klargestellt, dass

1442

Sethe/Hellgardt, in: Assmann/Schneider/Mülbert, Art. 19 MMVO Rn. 17. ESMA, Questions and Answers on the Market Absuse Regulation (MAR), ESMA70145-111 vom 29. März 2019, Q7.5; BaFin, FAQ zu Eigengeschäften von Führungskräften nach Art. 19 der Marktmissbrauchsverordnung (EU) Nr. 596/2014, Stand: 23. 11. 2018, II.12. 1444 Vgl. Stegmaier, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 19 Rn. 8. 1445 Stegmaier, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 19 Rn. 8. 1443

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Kap. 5: Das Insiderrecht der MMVO

sich daraus keine Unterschiede ergeben, sondern darunter jeweils alle Tage zu verstehen sind, die kein Samstag, Sonntag oder Feiertag sind.1446 Die Verkürzung der Meldefrist ist im Lichte der Ziele von Art. 19 MMVO zu sehen. Transparenz und Anlegervertrauen werden gefördert, je eher der Markt über solche Geschäfte informiert wird. Am bedeutendsten ist eine frühere Meldung aber für die Indikatorwirkung, denn je länger der Zeitraum zwischen Geschäft und Meldung ist, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass sich der zum Zeitpunkt der Geschäftstätigung vorhandene Wissensvorsprung nivelliert oder gänzlich überholt hat.1447 Selbstverständlich werden diese Probleme mit einer Dreitage-Meldefrist nicht gelöst, womit sich die Frage stellt, ob der Gesetzgeber, statt weiterhin auf eine „post-trading-disclosure“, nicht besser auf eine „pre-trading-disclosure“ gesetzt hätte.1448 Wenn man davon ausgeht, dass es dem Gesetzgeber bei Art. 19 MMVO hauptsächlich um eine umfassende Transparenz geht, spricht einiges dafür. Denn nur bei einer Veröffentlichungspflicht von beabsichtigten (und nicht erst von bereits ausgeführten) Managers’ Transactions ist sichergestellt, dass die Anleger rechtzeitig informiert werden und die verpflichtete Person ihren Wissensvorsprung nicht alleine ausnutzen kann.1449 Auf diesem Weg wird die informationelle Chancengleichheit gefördert, was dann wiederum das Vertrauen der Anleger in die Integrität des Markts stärkt.1450 Allerdings ist zu bedenken, dass meldepflichtige Personen, die ihre beabsichtigten Managers’ Transactions offenlegen müssten, nicht verpflichtet wären, diese Geschäfte auch tatsächlich durchzuführen.1451 Damit würde den Geschäften keine Indikatorwirkung mehr zukommen, sondern die Ankündigung hätte vielmehr das Potential – gerade bei anschließender Nichtdurchführung – die Anleger irrezuführen.1452 Gleichzeitig besteht auch die Gefahr bewusst falscher Ankündigungen, um so den Markt zu den eigenen Gunsten zu manipulieren.1453 Zudem kann es auch von 1446

BaFin, FAQ zu Eigengeschäften von Führungskräften nach Art. 19 der Marktmissbrauchsverordnung (EU) Nr. 596/2014, Stand: 23. 11. 2018, IV.4. 1447 Sethe/Hellgardt, in: Assmann/Schneider/Mülbert, Art. 19 MMVO Rn. 11; Veil, ZBB 2014, 85, 94. 1448 Vgl. Veil, ZBB 2014, 85, 94 und Maume/Kellmer, ZGR 2017, 273, 300, die darauf hinweisen, dass dieses Thema im Gesetzgebungsprozess nicht erwogen wurde. 1449 Maume/Kellner, ZGR 2017, 273, 282; vgl. dazu schon Stellungnahme des Bundesrats, BT-Drucks. 14/8017, S. 165. 1450 Stellungnahme des Bundesrats, BT-Drucks. 14/8017, S. 165; vgl. Maume/Kellner, ZGR 2017, 273, 282. 1451 Sethe/Hellgardt, in: Assmann/Schneider/Mülbert, Art. 19 MMVO Rn. 16; Pfüller, in: Fuchs/WpHG, §15a Rn. 26a. 1452 Vgl. Sethe/Hellgardt, in: Assmann/Schneider/Mülbert, Art. 19 MMVO Rn. 16; Schuster, ZHR 167 (2003), 193, 210. 1453 Maume/Kellner, ZGR 2017, 273, 282 weisen zurecht darauf hin, dass diese Praktik grundsätzlich unter das Verbot der Marktmanipulation fällt. Das beseitigt aber nicht die Gefahr,

E. Managers’ Transactions (Art. 19 MMVO)

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Emittentenseite durchaus erwünscht sein, dass Führungskräfte größere Aktienbeteiligungen am Unternehmen halten, etwa um ihre Identifikation mit dem Unternehmen zu vergrößern.1454 Müssten Führungskräfte Aktienzukäufe nun aber vorher offenlegen, ist damit zu rechnen, dass entsprechende Kursausschläge erfolgen, die das Geschäft teurer und damit unattraktiver machen.1455 Die Vorbildregelung zu Art. 19 MMVO findet sich in § 16(a) SEA.1456 Danach müssen directors, officers und Inhaber von mindestens zehn Prozent der Anteile jede Transaktion der SEC melden, die eine Veränderung ihrer Anteile an der Gesellschaft mit sich bringt. Auch im US-amerikanischen Recht wurde darüber diskutiert, ob es nicht sinnvoller wäre eine „pre-trading-disclosure“ einzuführen.1457 Der Gesetzgeber ist aber auch hier bei einer „post-trading-disclosure“ geblieben, die nach § 16(a)(2)(C) SEA zwei Geschäftstage beträgt. Letztlich wird man konstatieren müssen, dass vor dem Hintergrund einer umfassenden Transparenz, die mit Art. 19 MMVO gefördert werden soll und dem auch ansonsten in der MMVO zu findenden Gedanken einer weitreichenden Insiderhandelsprävention, die Einführung einer „pre-trading-disclosure“ die stringentere Lösung gewesen wäre. Dennoch war deren Einführung keinesfalls zwingend, was vor allem an den berechtigten Emittenteninteressen an einer Beteiligung der Führungskräfte am Unternehmen deutlich wird. Im rechtsvergleichenden Blick zeigt sich, dass eine „post-trading-disclosure“ mit einer Meldefrist von drei Geschäftstagen durchaus eine angemessene Lösung ist. b) Unglücklicher Fristengleichlauf von Meldepflichtigem und Emittenten Weniger glücklich ist der Gleichlauf der Fristen für Meldepflichtige und den Emittenten. Nach Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 MMVO muss die meldepflichtige Person dem Emittenten spätestens drei Geschäftstage nach dem Datum des Geschäfts Meldung erstatten. Bisher galt für den Emittenten, dass sein Fristablauf erst mit dieser Meldung des Meldepflichtigen begann (§ 15a Abs. 4 S. 1 WpHG a.F. „unverzüglich“ nach Meldung). Art. 19 Abs. 3 MMVO sieht nun aber für den Emittenten ebenfalls eine Frist von maximal drei Geschäftstagen nach dem Geschäft vor. Dadurch kann es zu der Situation kommen, dass der Meldepflichtige erst kurz vor Fristablauf das Geschäft dem Emittenten meldet, der dann jedoch nicht mehr genügend Zeit hat, seine eigene Frist einzuhalten. Aufgrund dieser missglückten Redass faktisch trotzdem so gehandelt wird, siehe hierzu Sethe/Hellgardt, in: Assmann/Schneider/ Mülbert, Art. 19 MMVO Rn. 16 Fn. 4. 1454 So bereits Begründung RegE 4. FFG, BT-Drucks. 14/8017, S. 87 f. 1455 Pfüller, in: Fuchs/WpHG, §15a Rn. 26a; Sethe/Hellgardt, in: Assmann/Schneider/ Mülbert, Art. 19 MMVO Rn. 16; Schuster, ZHR 167 (2003), 193, 210. 1456 So Maume/Kellner, ZGR 2017, 273, 280. 1457 Fried, Reducing the Profitability of Corporate Insider Trading through Pretrading Disclosure, 71 S. Cal. L. Rev. 303 (1998).

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Kap. 5: Das Insiderrecht der MMVO

gelung ist der Emittent auf interne Regelungen angewiesen, die eine kürzere Meldepflicht für Eigengeschäfte vorsieht, sodass dem Emittenten selbst noch genügend Zeit verbleibt.1458 Hier hätte es ausgereicht, vom Emittenten weiterhin eine „unverzügliche“ Veröffentlichung nach Meldung durch den Meldepflichtigen zu fordern, da auch damit eine schnelle Veröffentlichung sichergestellt worden wäre. c) Sinnvolle Einzelbetrachtung hinsichtlich Schwellenwerterreichung Gemäß Art. 19 Abs. 8 MMVO besteht die Meldepflicht jedoch nur, nachdem innerhalb eines Kalenderjahres ein Gesamtvolumen von 5.000 Euro erreicht worden ist. Die BaFin hat klargestellt, dass das Geschäft zu melden ist, mit dem der Schwellenwert überschritten wird und alle nachfolgenden Geschäfte.1459 Zudem sind, anders als nach § 15a Abs. 1 S. 5 WpHG a.F., ESMA und BaFin der Auffassung, dass für die Ermittlung des jeweiligen Schwellenwerts die Geschäfte von Führungspersonen und mit ihnen eng verbundenen Personen getrennt zu betrachten sind.1460 Diese Trennung ist auch sinnvoll, denn die MMVO statuiert gerade keine Meldepflicht der eng verbundenen Person an die Führungsperson. Folglich fehlt es an einer rechtlichen Handhabe der Führungsperson, stets auf dem aktuellen Stand der Transaktionen der eng verbundenen Person zu sein. Das begründet die Gefahr einer unwissentlichen Überschreitung des Schwellenwerts und mithin einer nicht angemessenen Erfüllung der Meldepflicht.1461 Dieser Rechtsunsicherheit wird durch eine Einzelbetrachtung entgegengewirkt.1462 4. Zweifelhafte Handlungsmöglichkeiten für die Mitgliedsstaaten Allerdings steht es den Mitgliedsstaaten frei, den Schwellenwert auf 20.000 Euro anzuheben, Art. 19 Abs. 9 MMVO. Die BaFin hat davon (bisher) keinen Gebrauch gemacht. Neben der Möglichkeit in Art. 19 Abs. 9 MMVO, wird den Mitgliedsstaaten auch in Art. 19 Abs. 2 MMVO das Recht eingeräumt, strengere Meldepflichten festzulegen. Beide Regelungen sind zu kritisieren. Sie widersprechen dem ausdrücklichen Ziel der MMVO, für eine einheitliche Rechtslage in allen Mitgliedsstaaten zu sorgen, zumal es sich bei Meldepflichten und Schwellenwert auch noch um zentrale Aspekte in der Regulierung von Managers’ Transactions handelt. Der De-Larosière-Bericht, 1458

Vgl. Stüber, DStR 2016, 1221, 1224. BaFin, FAQ zu Eigengeschäften von Führungskräften nach Art. 19 der Marktmissbrauchsverordnung (EU) Nr. 596/2014, Stand: 23. 11. 2018, III.2. 1460 ESMA, Questions and Answers on the Market Absuse Regulation (MAR), ESMA70145-111 vom 29. März 2019, Q7.3 (mit Beispiel); BaFin, FAQ zu Eigengeschäften von Führungskräften nach Art. 19 der Marktmissbrauchsverordnung (EU) Nr. 596/2014, Stand: 23. 11. 2018, III.1. 1461 Kumpan, AG 2016, 446, 455; vgl. auch Semrau, in: Klöhn/MMVO, Art. 19 Rn. 56. 1462 A.A. (gegen eine Einzelbetrachtung) Maume/Kellner, ZGR 2017, 273, 289 f. 1459

E. Managers’ Transactions (Art. 19 MMVO)

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auf den die MMVO ausdrücklich Bezug nimmt, hat die Hauptursache von divergierenden nationalen Rechtslagen darin gesehen, dass den Mitgliedsstaaten zu viele Handlungsspielräume verblieben, über den Rechtsakt hinausgehende Regelungen zu treffen. Insbesondere mit der Möglichkeit strengere Meldepflichten vorzusehen, wurde diesem gold plating ohne ersichtlichen Grund jedoch wieder die Türe geöffnet. Das ist inkonsequent und vor dem Hintergrund sowie der klaren Zielsetzung der MMVO nicht nachvollziehbar.1463 5. Empirie: Größerer Verwaltungsaufwand und höhere Kosten Wie auch bei den anderen Offenlegungsvorschriften der MMVO, hat sich auch im Rahmen der Managers’ Transactions der Verwaltungsaufwand deutlich erhöht – 87 % der teilnehmenden Unternehmen an der Studie des Deutschen Aktieninstituts und Hengeler Mueller gaben an, dass der Verwaltungsaufwand gestiegen ist, 27 % davon sogar, dass er stark gestiegen ist.1464 Grund dafür ist, dass Art. 19 Abs. 5 S. 1 MMVO jetzt auch für Managers’ Transactions eine Art. 18 Abs. 2 MMVO entsprechende Belehrungspflicht vorsieht. Gleichzeitig besteht auch eine Belehrungspflicht der Führungspersonen gegenüber den mit ihnen eng verbundenen Personen, Art. 19 Abs. 5 UAbs. 2 MMVO. Hinzu kommt, dass der Emittent nun auch eine Liste aller Führungspersonen und mit diesen eng verbundenen Personen erstellen muss (Art. 19 Abs. 5 S. 2 MMVO) und diese auch auf dem aktuellen Stand zu halten ist.1465 Ein zwingend zu verwendendes (siehe Art. 19 Abs. 15 MMVO) Muster für die Meldung findet sich im Anhang der Durchführungsverordnung (EU) 2016/523.1466 Mit dem größeren Verwaltungsaufwand steigen jedoch nicht nur die internen Compliance-Kosten. Auch hinsichtlich der Managers’ Transactions gaben 26 % der teilnehmenden Unternehmen an, häufiger externen Rechtsrat zu nutzen als zur alten Rechtslage, wohingegen dies nur bei 5 % der befragten Unternehmen nun seltener vorkommt als früher.1467

II. Handelsverbot (Art. 19 Abs. 11 MMVO) Mit Einführung der MMVO neu hinzugekommen ist Art. 19 Abs. 11 MMVO, wonach für Personen, die bei einem Emittenten Führungsaufgaben wahrnehmen, 1463

Kritisch auch Veil, ZBB 2014, 85, 94. Deutsches Aktieninstitut/Hengeler Mueller (Fn. 642), S. 5. 1465 Stüber, DStR 2016, 1221, 1224; Kiesewetter/Parmentier, BB 2013, 2371, 2377. 1466 Durchführungsverordnung (EU) 2016/523 der Kommission vom 10. März 2016 zur Festlegung technischer Durchführungsstandards im Hinblick auf das Format und die Vorlage für die Meldung und öffentliche Bekanntgabe der Eigengeschäfte von Führungskräften gemäß Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates, ABl. EU Nr. L 88 v. 05. 04. 2016, S. 19. 1467 Deutsches Aktieninstitut/Hengeler Mueller (Fn. 642), S. 6. 1464

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Kap. 5: Das Insiderrecht der MMVO

während eines geschlossenen Zeitraums von 30 Kalendertagen vor Ankündigung eines Zwischenberichts oder eines Jahresabschlussberichts, zu deren Veröffentlichung der Emittent verpflichtet ist, ein generelles Handelsverbot besteht (closed periods). 1. Mehr informationelle Chancengleichheit auf Kosten von Transparenz Das periodische Handelsverbot tritt neben die Insiderhandelsverbote („unbeschadet Artikel 14“). Die Idee dahinter ist, dass in den umfassten Zeiträumen der Anreiz, einen mit der anstehenden Veröffentlichung eines Berichts verbundenen Informationsvorsprung auszunutzen, besonders groß ist.1468 Da Art. 19 Abs. 11 MMVO dabei schon an Informationsvorsprünge unterhalb des Vorliegens einer Insiderinformation anknüpft, sorgt die Regelung für eine stärkere Verwirklichung der informationellen Chancengleichheit.1469 Gleichzeitig nimmt durch ein periodisches Handelsverbot jedoch die Transparenz und damit die Markteffizienz ab, da in dieser Phase keine Geschäfte mehr getätigt werden dürfen, was ihre Indikatorfunktion beeinträchtigt und dafür sorgt, dass der Markt in dieser Zeit nicht mit Unternehmensinformationen unterhalb der Schwelle der Ad-hoc-Publizität versorgt wird.1470 Aufgrund der nicht transparenzrechtlichen Funktion von Art. 19 Abs. 11 MMVO wirkt die Vorschrift ein wenig wie ein Fremdkörper im sonst stark auf Transparenz ausgelegten Art. 19 MMVO.1471 2. Unklarer zeitlicher und sachlicher Anwendungsbereich a) Veröffentlichung statt Ankündigung als Maßstab Nach Art. 19 Abs. 11 MMVO soll das Handelsverbot 30 Kalendertage vor „Ankündigung“ eines Zwischen- oder Jahresabschlussberichts beginnen. Die „Ankündigung“ eines solchen Berichts findet sich jedoch in der Regel bereits im Unternehmenskalender, den Emittenten etwa nach § 54 Börsenordnung der Frankfurter Wertpapierbörse (BörsenO FWB)1472 zu Beginn jedes Geschäftsjahres zu erstellen verpflichtet sind – mithin sehr lange vor der tatsächlichen Veröffentlichung des jeweiligen Berichts. Der vielfach gegen dieses Verständnis vorgebrachte Verweis auf die englische Sprachfassung („announcement“), die nahelegen soll, dass es nicht auf 1468 Sethe/Hellgardt, in: Assmann/Schneider/Mülbert, Art. 19 MMVO Rn. 153; Kumpan, AG 2016, 446, 456; Stegmaier, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 20 Rn. 5. 1469 Kumpan, AG 2016, 446, 456; Veil, ZBB 2014, 85, 95; Sethe/Hellgardt, in: Assmann/ Schneider/Mülbert, Art. 19 MMVO Rn. 153; Fleischer, ZIP 2002, 1217, 1228. 1470 Fleischer, ZIP 2002, 1217, 1228; Sethe/Hellgardt, in: Assmann/Schneider/Mülbert, Art. 19 MMVO Rn. 153; Kumpan, AG 2016, 446, 456. 1471 Siehe Veil, ZBB 2014, 85, 95 f., wonach das Handelsverbot deshalb auch besser bei den Insiderhandelsverboten als bei den Transparenzregeln aufgehoben wäre. 1472 Börsenordnung für die Frankfurter Wertpapierbörse, Stand: 17. 09. 2018.

E. Managers’ Transactions (Art. 19 MMVO)

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die „Ankündigung“, sondern die „Veröffentlichung“ des Berichts ankommt,1473 kann nicht überzeugen, da auch „announcement“ eher in Richtung „Ankündigung“ zu verstehen ist. Auch die französische Sprachfassung („l’annonce“) ist in diesem Sinne zu verstehen.1474 Dass es dennoch auf die Veröffentlichung und nicht die Ankündigung ankommen muss, ergibt sich vielmehr aus dem Telos der Vorschrift. Der Gesetzgeber wollte gerade die Zeiträume mit einem Handelsverbot belegen, in denen es aufgrund der Zeitnähe zu einem Zwischen- oder Jahresabschlussbericht besonders wahrscheinlich ist, dass Informationsvorsprünge ausgenutzt werden. Diese Gefahr ist jedoch erst dann wirklich virulent, wenn es auf die Veröffentlichung zugeht und nicht bereits mit deren Ankündigung Monate zuvor. Zudem würde eine Anknüpfung an die Ankündigung des Berichts auch den Transparenzzweck von Art. 19 MMVO nahezu vollständig konterkarieren, da ein derart frühzeitig eingreifendes Handelsverbot dazu führen würde, dass Führungskräften der Handel mit Anteilen des eigenen Unternehmens faktisch kaum mehr möglich wäre.1475 Damit käme auch die Indikatorwirkung der Geschäfte und die Versorgung des Markts mit Unternehmensinformationen unterhalb der Schwelle der Ad-hoc-Publizität nahezu vollständig zum Erliegen. Daher beginnt die closed period grundsätzlich 30 Kalendertage vor Veröffentlichung des jeweiligen Berichts1476 und endet mit dem Tag der Veröffentlichung.1477 Für die ESMA stellt allerdings auch die Veröffentlichung der vorläufigen Finanzergebnisse eine solche Veröffentlichung dar, wenn sie bereits die wesentlichen Zahlen enthalten, die auch im Jahresabschluss erwartet werden.1478 Dieses Verständnis ist im Lichte des Sinn und Zwecks von Art. 19 Abs. 11 MMVO absolut zu begrüßen, denn gerade wenn die wesentlichen Zahlen bereits feststehen, ergibt sich für die Führungskräfte ein Informationsvorsprung gegenüber den restlichen 1473

So etwa Hitzer/Wasmann, DB 2016, 1483, 1487; Stüber, DStR 2016, 1221, 1226 Fn. 48. Allgemein zur Problematik der verschiedenen Sprachfassungen in diesem Zusammenhang, Simons, AG 2016, 651, 652; Poelzig, NZG 2016, 761, 770. 1475 Simons, AG 2016, 651, 652. 1476 ESMA, Final Report – ESMA’s technical advice on possible delegated acts concerning the Market Abuse Regulation, 3 February 2015, ESMA/2015/224 Rn. 137: „[…] it should be noted that the relevant date for the computation of the closed period is the date of publication of such interim and year-end reports.“; so i.E. auch Stegmaier, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 20 Rn. 14; Kumpan, AG 2016, 446, 456; Sethe/Hellgardt, in: Assmann/Schneider/Mülbert, Art. 19 MMVO Rn. 161; Semrau, in: Klöhn/MMVO, Art. 19 Rn. 83. 1477 ESMA, Questions and Answers on the Market Absuse Regulation (MAR), ESMA70145-111 vom 29. März 2019, Q7.2; Sethe/Hellgardt, in: Assmann/Schneider/Mülbert, Art. 19 MMVO Rn. 167; a.A. Semrau, in: Klöhn/MMVO, Art. 19 Rn. 91 (erst ab dem nächsten Handelstag). 1478 ESMA, Questions and Answers on the Market Absuse Regulation (MAR), ESMA70145-111 vom 29. März 2019, Q7.2; darauf verweisend BaFin, FAQ zu Eigengeschäften von Führungskräften nach Art. 19 der Marktmissbrauchsverordnung (EU) Nr. 596/2014, Stand: 23. 11. 2018, VI. 2. 1474

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Kap. 5: Das Insiderrecht der MMVO

Marktteilnehmern, dessen Ausnutzung dem Prinzip der informationellen Chancengleichheit widerspricht.1479 b) Umfasste Berichte – Problematik bei verpflichtenden Quartalsmitteilungen Sachlich begrenzt wird das Handelsverbot dadurch, dass nur Zwischenberichte und Jahresabschlussberichte umfasst sind, zu deren Veröffentlichung der Emittent verpflichtet ist. Darunter fallen etwa Jahresfinanzberichte nach § 114 WpHG (evtl. i.V.m. § 117 WpHG), nach § 51 BörsenO FWB (der auf § 114 WpHG verweist) und nach § 21 Abs. 1 lit. a) der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Deutschen Börse AG für den Freiverkehr an der Frankfurter Wertpapierbörse (AGB-Freiverkehr)1480.1481 Zu den verpflichtenden Zwischenberichten zählen Halbjahresfinanzberichte nach § 115 WpHG (evtl. i.V.m. § 117 WpHG), nach § 52 BörsenO FWB (der auf § 115 WpHG verweist) und nach § 21 Abs. 1 lit. b) AGB-Freiverkehr.1482 Kein Handelsverbot löst hingegen der Quartalsfinanzbericht nach § 53 Abs. 6 BörsenO FWB aus, da dieser nicht verpflichtend ist, sondern lediglich ein Wahlrecht einräumt.1483 Schwieriger zu beurteilen ist die Frage bei Quartalsmitteilungen nach § 53 Abs. 1 BörsenO FWB. Aus dem Wortlaut von Abs. 1 („muss…erstellen“) folgt, dass der Emittent zu deren Erstellung verpflichtet ist. Dennoch ist die BaFin der Auffassung, dass „verpflichtende Quartalsmitteilungen mit inhaltlichen Anforderungen wie nach § 53 der Börsenordnung der Frankfurter Wertpapierbörse“ keine Zwischenberichte im Sinne von Art. 19 Abs. 11 sind.1484 Entscheidendes Kriterium sind für die BaFin mithin die „inhaltlichen Anforderungen“ an die verpflichtenden Quartalsmitteilungen, worauf sie aber nicht näher eingeht.1485 Was damit gemeint ist, zeigt ein vergleichender Blick auf die genannten 1479

Vgl. Simons, AG 2016, 651, 652; i.E. auch Semrau, in: Klöhn/MMVO, Art. 19 Rn. 88, der jedoch ein solches Verständnis kaum mehr vom Wortlaut des Art. 19 Abs. 11 MMVO gedeckt sieht; kein Problem mit dem Wortlaut sehen hingegen Sethe/Hellgardt, in: Assmann/ Schneider/Mülbert, Art. 19 MMVO Rn. 161 Fn. 3. 1480 Allgemeine Geschäftsbedingungen der Deutschen Börse AG für den Freiverkehr an der Frankfurter Wertpapierbörse, Stand: 03. 01. 2018. 1481 Vgl. Stegmaier, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 20 Rn. 16. 1482 Vgl. Stegmaier, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 20 Rn. 16; zu letzterem auch BaFin, FAQ zu Eigengeschäften von Führungskräften nach Art. 19 der Marktmissbrauchsverordnung (EU) Nr. 596/2014, Stand: 23. 11. 2018, VI. 5. 1483 BaFin, FAQ zu Eigengeschäften von Führungskräften nach Art. 19 der Marktmissbrauchsverordnung (EU) Nr. 596/2014, Stand: 23. 11. 2018, VI. 4. 1484 BaFin, FAQ zu Eigengeschäften von Führungskräften nach Art. 19 der Marktmissbrauchsverordnung (EU) Nr. 596/2014, Stand: 23. 11. 2018, VI. 3. 1485 BaFin, FAQ zu Eigengeschäften von Führungskräften nach Art. 19 der Marktmissbrauchsverordnung (EU) Nr. 596/2014, Stand: 23. 11. 2018, VI. 3; vgl. auch Stegmaier, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 20 Rn. 18.

E. Managers’ Transactions (Art. 19 MMVO)

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umfassten Berichte. Diesen ist gemein, dass sie eine Finanzberichterstattung im Sinne einer (verkürzten) Bilanz oder (verkürzten) Gewinn- und Verlustrechnung erfordern, wohingegen für Quartalsmitteilungen eine rein informative, beschreibende Darstellung ausreicht.1486 Voraussetzung für die BaFin, dass eine verpflichtende Quartalsmitteilung von Art. 19 Abs. 11 MMVO erfasst ist, ist mithin, dass diese eine mit gesetzlichen Vorgaben vergleichbare Finanzberichterstattung aufweist.1487 Dieses Verständnis überzeugt jedoch nicht. Art. 19 Abs. 11 MMVO spricht allgemein von Zwischenberichten, zu deren Veröffentlichung der Emittent verpflichtet ist. Eine Restriktion auf Zwischenberichte, die eine Bilanz oder eine Gewinn- und Verlustrechnung aufweisen, lässt sich Art. 19 Abs. 11 MMVO nicht entnehmen. Ferner spricht auch der Telos dagegen. Dieser liegt in der Verhinderung des Ausnutzens von Informationsvorsprüngen und folglich einer Förderung der informationellen Chancengleichheit der Anleger. Ein solcher Informationsvorsprung kann jedoch ohne Weiteres auch im Vorlauf einer Quartalsmitteilung entstehen (vgl. etwa § 53 Abs. 3 BörsenO FWB), womit eine Nichtberücksichtigung der Quartalsmitteilungen einer Anlegergleichbehandlung zuwiderläuft.1488 3. Umstrittene Zuständigkeit des Emittenten für die Befreiungsmöglichkeit Der Emittent kann der Führungsperson jedoch erlauben, auch in einem geschlossenen Zeitraum Eigengeschäfte zu tätigen, wenn eine der in Art. 19 Abs. 12 lit. a) oder b) MMVO genannten Ausnahmen vorliegt. Das Handelsverbot gilt also nicht absolut.1489 Eine Befreiung kann im Einzelfall aufgrund außergewöhnlicher Umstände (Art. 19 Abs. 12 lit. a) MMVO) oder wenn die Geschäfte bestimmte Merkmale aufweisen (Art. 19 Abs. 12 lit. b) MMVO), erfolgen. Näher bestimmt werden die Ausnahmen durch Art. 8 und 9 Delegierte Verordnung (EU) 2016/522. Ungewöhnlich erscheint, dass die Zuständigkeit für die Befreiung vom Handelsverbot beim Emittenten der Führungskraft liegt. Gab es in Zeiten vor der MMVO solche Handelsverbote, die entweder unternehmensintern oder von Börsenbetreibern gefordert wurden, so trat die Befreiung entweder ex lege ein oder die Börse war ermächtigt, der Führungskraft das Geschäft zu erlauben.1490 An der Zuständigkeit des Emittenten wird insbesondere kritisiert, dass das Handelsverbot die Anleger1486 Stegmaier, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 20 Rn. 18; Sethe/Hellgardt, in: Assmann/ Schneider/Mülbert, Art. 19 MMVO Rn. 164. 1487 Stegmaier, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 20 Rn. 18. 1488 I. E. ebenfalls für eine Umfassung Maume/Kellner, ZGR 2017, 273, 293 f.; a.A. Sethe/ Hellgardt, in: Assmann/Schneider/Mülbert, Art. 19 MMVO Rn. 164; Hitzer/Wasmann, DB 2016, 1483, 1487 f. 1489 Stegmaier, in: Meyer/Veil/Rönnau, § 20 Rn. 24; Sethe/Hellgardt, in: Assmann/ Schneider/Mülbert, Art. 19 MMVO Rn. 169. 1490 Siehe Veil, ZBB 2014, 85, 95, der insoweit von einem „systemfremden Ansatz“ spricht.

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Kap. 5: Das Insiderrecht der MMVO

gleichbehandlung und die Marktfairness und damit kein privates Rechtsgut, sondern ein Rechtsgut der Allgemeinheit betreffe, was folglich nicht der Dispositionsbefugnis des einzelnen Emittenten unterstehe.1491 Ferner wird vorgebracht, dass es aufgrund der Nähe zwischen Emittent und Führungsperson unweigerlich zu Interessenkonflikten komme und es somit insgesamt sachgerechter gewesen wäre, die Börsen- oder Marktbetreiber über die Befreiung entscheiden zu lassen.1492 Diesen Argumenten ist eine gewisse Plausibilität nicht abzusprechen. Allerdings findet sich mit der Möglichkeit der Selbstbefreiung in Art. 17 Abs. 4 MMVO noch an anderer Stelle in der MMVO eine Vorschrift, in der in vergleichbarer Weise eine Befreiungsentscheidung dem Emittenten überlassen wird.1493 Ähnlich wie in Art. 17 Abs. 4 MMVO, liegt auch im Rahmen von Art. 19 Abs. 12 MMVO die Entscheidung nicht etwa im freien Ermessen des Emittenten, sondern ist an umfassende und konkrete Voraussetzungen geknüpft.1494 Zudem geschieht die Befreiung unbeschadet der Insiderhandelsverbote gemäß Art. 14 MMVO (Art. 19 Abs. 12 MMVO). Folglich darf eine Führungsperson nur handeln, wenn das Geschäft nicht auf Grundlage einer Insiderinformation stattfindet, womit nach der Befreiung letztlich eine Managers’ Transaction vorliegt, die Art. 19 Abs. 1 MMVO grundsätzlich für zulässig erklärt. Darüber hinaus bleibt auch die Meldepflicht von einer Befreiung unberührt,1495 die neben der Förderung von Transparenz und Anlegervertrauen gerade auch als Indikator für eine informierte Anlegerentscheidung dient und somit auch zur informationellen Chancengleichheit beiträgt. Aufgrund der engen Grenzen in der eine Befreiung durch den Emittenten erfolgen kann und den letztlich geringen Auswirkungen auf die Regelungszwecke von Art. 19 MMVO erscheint es durchaus angemessen, dass die Befreiungsmöglichkeit dem Emittenten übertragen wurde.1496 Für diese Lösung sprechen auch Praktikabilitätserwägungen. Den jeweiligen Börsen- oder Marktbetreibern sämtliche Befreiungsentscheidungen zu überlassen, erscheint auch aufgrund des Kosten- und Zeitfaktors der Entscheidung wenig praktikabel.1497 Der Emittent ist dafür, gerade auch aufgrund seiner Nähe zur Führungskraft, die bessere Wahl.

1491 1492

296.

Maume/Kellner, ZGR 2017, 273, 296. Kumpan, AG 2016, 446, 457; Veil, ZBB 2014, 85, 95; Maume/Kellner, ZGR 2017, 273,

1493 Sethe/Hellgardt, in: Assmann/Schneider/Mülbert, Art. 19 MMVO Rn. 171; Kumpan, AG 2016, 446, 457; Seibt/Wollenschläger, AG 2014, 593, 602. 1494 Art. 19 Abs. 12 MMVO konkretisiert durch Art. 8 und 9 Delegierte Verordnung (EU) 2016/522; Sethe/Hellgardt, in: Assmann/Schneider/Mülbert, Art. 19 MMVO Rn. 171. 1495 Sethe/Hellgardt, in: Assmann/Schneider/Mülbert, Art. 19 MMVO Rn. 184. 1496 So auch Sethe/Hellgardt, in: Assmann/Schneider/Mülbert, Art. 19 MMVO Rn. 171; Seibt/Wollenschläger, AG 2014, 593, 602. 1497 Vgl. Sethe/Hellgardt, in: Assmann/Schneider/Mülbert, Art. 19 MMVO Rn. 171; Seibt/ Wollenschläger, AG 2014, 593, 602.

F. Verwaltungsrechtliche Sanktionen (Art. 30 ff. MMVO)

267

III. Fazit Dem größere Verwaltungsaufwand und den gestiegenen Kosten für die Emittenten muss ein Nutzen für die Anleger und den Markt gegenüberstehen, da sich beides ansonsten kaum rechtfertigen lässt.1498 Damit aber wirklich eine umfassende Transparenz entsteht, die das Anlegervertrauen stärkt, bedarf es auch einer wirksamen Aufsichtspraxis, die die Einhaltung der Pflichten kontrolliert, bei Ungereimtheiten Ermittlungen einleitet und Verstöße konsequent ahndet. Hier besteht sicherlich noch Verbesserungspotential, gab es doch etwa 2016 nur ein neueröffnetes Verfahren und nicht ein verhängtes Bußgeld hinsichtlich Managers’ Transactions.1499 Allerdings ist die MMVO-Praxis immer noch am Anfang und auch die BaFin muss sich erst einmal mit den Neuregelungen zurechtfinden. Der Fall Kengeter lässt jedoch durchaus erkennen, dass die BaFin gewillt ist, für eine Einhaltung der Regelungen zu sorgen und bei (möglichen) Verstößen dagegen vorzugehen. Mit der Einführung eines periodischen Handelsverbots wird – nicht unumstrittenes – regulatorisches Neuland betreten. Gänzlich unbekannt waren solche Handelsverbote freilich nicht, wurden sie doch schon früher von Börsenordnungen gefordert oder waren in unternehmensinternen Compliance-Regelungen enthalten. Schärft man den ungenauen Wortlaut von Art. 19 Abs. 11 anhand seines Sinn und Zwecks, ergibt sich jedoch eine durchaus sinnvolle Regelung, die dabei von dem auch an anderen Stellen in der MMVO zu findenden Gedanken getragen wird, eine möglichst umfassende informationelle Chancengleichheit zu gewährleisten. Durch die Möglichkeit der Befreiung, die beim Emittenten in guten Händen ist, gilt das Handelsverbot nicht absolut, sondern bekommt auch die notwendige Flexibilität, um auf besondere Umstände reagieren zu können.

F. Verwaltungsrechtliche Sanktionen (Art. 30 ff. MMVO) Einer der Hauptkritikpunkte an der alten Rechtslage im De-Larosière-Bericht war, dass die nationalen Aufsichtsbehörden nicht über gleichwertige, starke und abschreckende Sanktionen verfügten und dass die vorhandenen Sanktionen zudem weder einheitlich noch konsequent durchgesetzt wurden.1500

1498

Vgl. Maume/Kellner, ZGR 2017, 273, 301. BaFin, Jahresbericht 2016, S. 198; auch in den Jahren davor war vor allem die Anzahl der verhängten Bußgelder und deren Höhe sehr niedrig, siehe Aufstellung bei Sethe/Hellgardt, in: Assmann/Schneider/Mülbert, Art. 19 MMVO Rn. 17. 1500 Erwägungsgrund 70 MMVO. 1499

268

Kap. 5: Das Insiderrecht der MMVO

I. Bußgelder (Art. 30 MMVO) 1. Deutliche Verschärfung zum früheren Standard Der MMVO-Gesetzgeber verweist sowohl in den allgemeinen Erwägungsgründen als auch in den Erwägungsgründen zu den Sanktionen ausdrücklich auf den De-Larosière-Bericht.1501 Wie bereits beim Vorschlag einer Verordnungsgesetzgebung, ist der Gesetzgeber auch bezüglich der Sanktionen den Vorschlägen der DeLarosière-Gruppe gefolgt und hat sein Hauptaugenmerk darauf gerichtet, abschreckende Sanktionen sicherzustellen.1502 Das Ergebnis sind Bußgeldhöhen, die weit über das hinausgehen, was die meisten Mitgliedsstaaten zum alten Recht vorsahen.1503 So kann für Verstöße gegen die Insiderhandelsverbote (Art. 14 MMVO) gegen natürliche Personen ein Bußgeld von bis zu fünf Millionen Euro (Art. 30 Abs. 2 lit. i) i) MMVO) verhängt werden. Für juristische Personen beträgt das Bußgeld in solchen Fällen bis zu 15 Millionen Euro oder 15 % des jährlichen Gesamtumsatzes (Art. 30 Abs. 2 lit. j) i) MMVO). Verstöße gegen die Ad-hoc-Publizitätspflicht (Art. 17 MMVO) sehen für natürliche Personen Bußgelder von bis zu einer Millionen Euro (Art. 30 Abs. 2 lit. i) ii) MMVO) vor. Juristische Personen erwartet bei einem solchen Verstoß ein Bußgeld von bis zu zweieinhalb Millionen Euro oder 2 % des jährlichen Gesamtumsatzes (Art. 30 Abs. 2 lit. j) ii) MMVO). Verstößt eine natürliche Person gegen die Vorschriften über Insiderlisten (Art. 18 MMVO) oder Managers’ Transactions (Art. 19 MMVO), so kann sie mit einem Bußgeld von bis zu 500.000 Euro belegt werden. Bei juristischen Personen beträgt das Bußgeld bis zu einer Millionen Euro. In allen Fällen können alternativ auch Bußgelder von bis zum Dreifachen des aus dem Verstoß gezogenen wirtschaftlichen Vorteils auferlegt werden (Art. 30 Abs. 2 lit. h) MMVO) und zwar auch dann, wenn das Bußgeld dann über die vorgenannten Beträge hinausgeht. Hintergrund ist, dass dem zu Sanktionierenden kein wirtschaftlicher Vorteil aus seinem Verstoß verbleiben soll.1504 2. Umsetzung der Mindeststandards ins deutsche Recht Auf den ersten Blick ist überraschend, dass der MMVO-Gesetzgeber das Sanktionsregime der MMVO nur als Mindeststandard ausgestaltet hat, obwohl der De1501

Erwägungsgründe 3 und 70 MMVO. Erwägungsgrund 70 MMVO; siehe auch Poelzig, NZG 2016, 492, 497. 1503 Seibt/Wollenschläger, AG 2014, 593, 603 sprechen von „drakonisch“; eine Ausnahme ist Frankreich, die auch schon zum alten Recht extrem hohe Bußgeldhöchstbeträge hatten, siehe oben Kapitel 2, B.III.1. 1504 Seibt/Wollenschläger, AG 2014, 593, 603 f. 1502

F. Verwaltungsrechtliche Sanktionen (Art. 30 ff. MMVO)

269

Larosière-Bericht sich für abschreckende und gleichwertige Sanktionen ausgesprochen hatte und der Gesetzgeber diese Aussage sogar in Erwägungsgrund 70 MMVO übernommen hat.1505 Den Hintergrund zu dieser Entscheidung liefert Erwägungsgrund 66 MMVO, wonach die zuständige Behörde die Befugnisse nach der MMVO im Rahmen eines Gesamtsystems nationaler Rechtsvorschriften ausüben sollte. Der Gesetzgeber wollte also vermeiden, dass durch festgelegte Befugnisse in einem sensiblen Bereich wie Sanktionen „Fremdkörper“ in die nationalen Rechtsordnungen aufgenommen werden müssten. Vielmehr sollen die Mitgliedsstaaten die Möglichkeit haben, die Befugnisse ihrem bestehenden Rechtsschutzsystem anzupassen, um damit auch die Einhaltung der Grundrechte zu garantieren.1506 Im gleichen Lichte ist Erwägungsgrund 72 MMVO zu sehen, der besagt, dass Mitgliedsstaaten, in Übereinstimmung mit dem nationalen Recht, nicht verpflichtet sind, für ein und dasselbe Vergehen sowohl verwaltungsrechtliche als auch strafrechtliche Sanktionen zu verhängen. Das steht ihnen jedoch frei, wenn dies nach ihrem jeweiligen nationalen Recht zulässig ist. Auch hiermit wird sichergestellt, dass die Sanktionsvorgaben der MMVO nicht in Konflikt mit dem nationalen Recht treten. Der deutsche Gesetzgeber hat die Vorgaben der MMVO hinsichtlich der verwaltungsrechtlichen Sanktionen eins zu eins durch das 2. FiMaNoG in § 120 Abs. 14 und 15 i.V.m. § 120 Abs. 18 WpHG umgesetzt. Abgesehen von nationalen Besonderheiten, gibt es auch nicht wirklich einen Grund von den Vorgaben der MMVO abzuweichen, denn diese enthalten ein ausdifferenziertes und gut durchdachtes Sanktionsregime (zum Beispiel mit der Möglichkeit Bußgelder auch am erzielten wirtschaftlichen Vorteil auszurichten oder bei juristischen Personen auch auf den jährlichen Gesamtumsatz abzustellen), das durch die vorgegebenen Bußgeldhöchstbeträge auch die gewünschte abschreckende Wirkung entfaltet.1507

II. Naming and shaming (Art. 34 MMVO) Nach Art. 34 Abs. 1 UAbs. 1 MMVO veröffentlicht die zuständige Behörde jede Entscheidung über die Verhängung einer verwaltungsrechtlichen Sanktion wegen eines Verstoßes gegen die Vorschriften der MMVO auf ihrer Internetseite und zwar unverzüglich nachdem die sanktionierte Person darüber informiert wurde (naming and shaming). Die Veröffentlichung umfasst dabei mindestens Art und Charakter des Verstoßes sowie die Identität der verantwortlichen Person (Art. 34 Abs. 1 UAbs. 1 MMVO) und ist für mindestens fünf Jahre auf der Internetseite zugänglich (Art. 34 1505

Erwägungsgrund 71 MMVO a.E.; Art. 30 Abs. 2 UAbs. 1 MMVO („mindestens die folgenden verwaltungsrechtlichen Sanktionen verhängen“); Art. 30 Abs. 2 lit. i) und j) MMVO („Sanktionen von mindestens“). 1506 Vgl. Erwägungsgrund 66 MMVO. 1507 Vgl. Deutsches Aktieninstitut/Hengeler Mueller (Fn. 642), S. 9.

270

Kap. 5: Das Insiderrecht der MMVO

Abs. 3 MMVO). Allerdings sehen Art. 34 Abs. 1 UAbs. 2 und 3 MMVO Ausnahmen vor, bei deren Vorliegen die zuständige Behörde die Veröffentlichung aufschieben, anonymisieren oder ganz unterlassen kann. Den Zweck der Veröffentlichung sieht der Gesetzgeber ebenfalls primär in der abschreckenden Wirkung, die damit einhergeht.1508 Gleichzeitig wird die Veröffentlichung auch als wichtiges Instrument angesehen, um die Marktteilnehmer darüber zu informieren, welche Verhaltensweisen einen Verstoß gegen die Vorschriften der MMVO darstellen sowie zur Förderung eines regelkonformen Verhaltens der Marktteilnehmer.1509 Diese Regelung ist neu auf europäischer Ebene. Allerdings sahen bereits zum alten Recht einige nationale Rechtsordnungen eine solche Veröffentlichungsmöglichkeit vor – etwa Frankreich, nicht aber Deutschland.1510 Somit war die Umsetzung dieser Regelung auch für den deutschen Gesetzgeber Neuland und er hat, wie bei den finanziellen Sanktionen, auch diese Vorgaben nahezu identisch durch das 2. FiMaNoG in § 125 WpHG übernommen. Einziger Unterschied ist, dass die vom europäischen Gesetzgeber vorgegebene Mindestveröffentlichungsdauer der Sanktionen auf der Internetseite der zuständigen Behörde von fünf Jahren vom deutschen Gesetzgeber aufgrund des Spannungsverhältnisses zum Datenschutz1511 zu einer Höchstdauer von fünf Jahren gemacht wurde (§ 125 Abs. 5 WpHG).

III. Fazit Mit den Vorgaben in Art. 30 MMVO hat der europäische Gesetzgeber sein Ziel, den nationalen Aufsichtsbehörden abschreckende Sanktionen an die Hand zu geben, definitiv erreicht. In der Praxis herrscht große Nervosität aufgrund des hohen Bußgeldrahmens. Erschwerend hinzu kommt die seit Einführung der MMVO bestehende große Rechtsunsicherheit, die es der Praxis nicht erlaubt, ihre Rechte und Pflichten klar und eindeutig einzuschätzen. Das ist eine unbefriedigende Situation, denn insbesondere eine Verschärfung der Sanktionen sollte damit einhergehen, dass der Rechtsanwender seine Rechte und Pflichten zutreffend beurteilen und sein Verhalten dementsprechend ausrichten kann.1512 Auch die drohende Veröffentlichung einer verwaltungsrechtlichen Sanktionsentscheidung (naming and shaming) wird in der Praxis sehr ernst genommen, da der

1508 1509 1510 1511 1512

Erwägungsgrund 73 S. 1 MMVO. Erwägungsgrund 73 S. 2 MMVO. Siehe oben Kapitel 2, B.III.1. Vgl. Spoerr, in: Assmann/Schneider/Mülbert, Art. 34 MMVO Rn. 20. Vgl. Deutsches Aktieninstitut/Hengeler Mueller (Fn. 642), S. 9.

F. Verwaltungsrechtliche Sanktionen (Art. 30 ff. MMVO)

271

Verstoß für jeden öffentlich zugänglich ist und damit ein langfristiger und umfassender Reputationsverlust droht.1513 Die bisherige Sanktionspraxis der BaFin bei Bußgeldern gestaltete sich so, dass Emittenten aufgrund der oftmals geringen Bußgeldhöhe lieber gezahlt haben, anstatt ein langes und kostenintensives Verfahren anzustrengen. Dies dürfte sich in Zukunft ändern und es sind mehr Prozesse zu erwarten. Voraussetzung dafür ist natürlich, dass die BaFin den ihr zur Verfügung stehenden Bußgeldrahmen auch umfassend ausschöpft und Bußgelder erlässt, die die finanzielle Schmerzgrenze der betroffenen Emittenten übersteigen. Bisher fehlt es hierzu noch an Beispielsfällen, doch die Herangehensweise und Aussagen der BaFin im Fall Kengeter lassen erwarten, dass die BaFin in Zukunft deutlich höhere Bußgelder verhängt, gerade wenn es um die Abschöpfung des aus dem Verstoß gezogenen wirtschaftlichen Vorteils geht.1514 Vergleicht man die Zielsetzungen des europäischen Gesetzgebers mit den Ausgestaltungen der insiderrechtlichen Vorschriften in der MMVO, lässt sich konstatieren, dass die Vorschriften zu den verwaltungsrechtlichen Sanktionen bei Verstößen gegen das Insiderrecht die Vorschriften sind, bei denen sich die Ausgestaltung am konsequentesten an dem damit verfolgten Regelungsziel orientiert.

1513

Vgl. Deutsches Aktieninstitut/Hengeler Mueller (Fn. 642), S. 3. Das Amtsgericht Frankfurt hatte zu entscheiden, ob die Staatsanwaltschaft Frankfurt das Verfahren gegen Kengeter nach Zahlung von 500.000 Euro einstellen darf. Dagegen intervenierte die BaFin u. a. mit der Begründung, dass die vereinbarte Summe nicht einmal ansatzweise den wirtschaftlichen Vorteil des Geschäfts (in Millionenhöhe) abschöpfen würde. Aufgrund der Stellungnahem der BaFin lehnte die Staatsanwaltschaft Frankfurt den Vergleichsvorschlag ab, siehe WirtschaftsWoche, BaFin fordert Anklage gegen Kengeter, 4. Januar 2018, abrufbar unter https://www.wiwo.de/finanzen/steuern-recht/ex-deutsche-boerse-chefbafin-fordert-anklage-gegen-kengeter/20811618.html (zuletzt abgerufen am 11. 07. 2019); vgl. auch Deutsches Aktieninstitut/Hengeler Mueller (Fn. 642), S. 9. 1514

Schlussbetrachtung Seit Einführung der MMVO wird das Insiderrecht erstmals unmittelbar durch einen europäischen Rechtsakt geregelt. Die MMVO ist damit Teil eines in der kapitalmarktrechtlichen Gesetzgebung festzustellenden Paradigmenwechsels. Ausgehend von den Empfehlungen des De-Larosière-Berichts, ist nicht mehr die mindestharmonisierende Richtlinie, sondern die grundsätzlich auf Vollharmonisierung ausgerichtete Verordnung der bevorzugte Rechtsakt des europäischen Gesetzgebers. Diese auf Vereinheitlichung angelegte Rechtsetzung muss dabei auch vor dem Hintergrund des von der Europäischen Kommission verfolgten übergeordneten Ziels der Schaffung einer Europäischen Kapitalmarktunion – also eines echten Binnenmarkts für Kapital – gesehen werden. Dieses begrüßenswerte und auch notwendige Ziel erfordert eine Rechtsvereinheitlichung, wozu der Rechtsakt der Verordnung am besten geeignet und es mithin konsequent ist, dass nun auch die Regulierung des Marktmissbrauchsrechts auf diese Weise erfolgt. Daneben verfolgt der europäische Gesetzgeber mit der MMVO aber auch zahlreiche Ziele, die dem Rechtsanwender zugutekommen sollen. So erhebt die MMVO den Anspruch, „für die Klarheit zentraler Begriffe“ zu sorgen,1515 „mehr Rechtssicherheit und unkompliziertere Vorschriften zu bieten“1516 und die „rechtliche Komplexität“ zu reduzieren.1517 Diese zwar gut klingenden und ambitionierten Ziele stehen jedoch in Widerspruch zur Rechtslage, wie sie sich tatsächlich unter Geltung der MMVO darstellt. Die zahlreichen Regelungsebenen und die daraus resultierende Unübersichtlichkeit sind dabei eine Kehrseite der Ausgestaltung des LamfalussyVerfahrens als Mehrebenen-Gesetzgebung. Durch die unmittelbare Anwendung der MMVO in den Mitgliedsstaaten wird die Praxis im Rahmen des Marktmissbrauchsrechts erstmals direkt mit den verschiedenen Leveln des Lamfalussy-Verfahrens konfrontiert. Daher ist es nicht ungewöhnlich, dass die Praxis einer gewissen Eingewöhnungszeit bedarf. Sicherlich wird sie sich mit der Zeit besser mit dieser Regelungstechnik zurechtfinden. Für den unerfahrenen Rechtsanwender wird die MMVO jedoch ein Regelungsdschungel bleiben, durch welchen er sich – wenn überhaupt – nur schwerlich durchkämpfen kann. Die gesunkene Rechtsklarheit und die mangelnde Rechtssicherheit sind hingegen dem Gesetzgeber anzulasten. Dieser hat es schlicht versäumt, an zahlreichen wesentlichen Stellen für mehr Klarheit und Sicherheit zu sorgen. Mit dieser Aufgabe 1515 1516 1517

Erwägungsgrund 3 MMVO. Erwägungsgrund 4 MMVO. Erwägungsgrund 5 MMVO.

Schlussbetrachtung

273

sehen sich nun hauptsächlich die Aufsichtsbehörden konfrontiert, die jedoch nicht nur mit eigener Unsicherheit zu kämpfen haben, sondern gegenüber dem Gesetzgeber auch nur über begrenzte Möglichkeiten hinsichtlich der Rechtsgestaltung verfügen (nur Konkretisierungen, keine Änderungen). Vor allem im Hinblick auf eine einheitliche Auslegung und Anwendung der MMVO in allen Mitgliedsstaaten ist diese Herangehensweise mehr als fraglich. Hierfür hätte es vielmehr einer klareren Ausgestaltung zahlreicher Vorschriften durch den Gesetzgeber bedurft, die dann lediglich in Einzelfällen von den Aufsichten anhand von festgelegten Standards ausgelegt und konkretisiert worden wären. Der Anstieg der Mitteilungs- und Dokumentationspflichten, mithin des Verwaltungsaufwands, ist – zumindest teilweise – sicherlich förderlich für die Schaffung von Transparenz sowie die Verhinderung und Aufdeckung von Insiderdelikten. Vor dem Hintergrund dieses größeren Verwaltungsaufwands und den anderen vorgenannten Problemen erscheint es jedoch schon etwas paradox, dass der Gesetzgeber als weiteres Ziel der MMVO ausgibt, die Compliance-Kosten reduzieren zu wollen.1518 In der Praxis führen diese Probleme nämlich genau zum gegenteiligen Ergebnis. Damit muss – etwas ernüchternd – festgestellt werden, dass die MMVO zahlreiche ihrer selbstauferlegten Ziele aufgrund einer mangelhaften Ausgestaltung ihrer Vorschriften (bisher) kaum oder gar nicht erreicht hat. Eine Ausnahme stellen insoweit lediglich die verwaltungsrechtlichen Sanktionen dar, die der europäische Gesetzgeber als „abschreckend“ ankündigt und die auch in der finalen Ausgestaltung dieses Attribut tatsächlich verdient haben. Das grundlegende Problem des insiderrechtlichen Regelungsregimes der MMVO ist die Beibehaltung eines einstufigen Modells – also die tatbestandliche Anknüpfung von Insiderhandelsverboten und Ad-hoc-Publizität an den gleichen Begriff der Insiderinformation –, obwohl beide Vorschriften nur teilidentische Regelungsziele haben. Gerade im bedeutendsten Fall eines zeitlich gestreckten Vorgangs streitet eine umfassende Wirksamkeit der Insiderhandelsverbote für ein möglichst frühzeitiges Vorliegen einer Insiderinformation, wohingegen es aus Markteffizienzgesichtspunkten geboten sein kann, die Ad-hoc-Publizität erst später eingreifen zu lassen. Die Arbeit hat gezeigt, dass ein einstufiges Modell, wie es die MMVO vorsieht, weder zwingend noch zielführend ist und außerdem dazu führt, dass etwa die Auslegung des funktionalen Schlüsselbegriffs des „verständigen Anlegers“ erheblich erschwert wird. Diese Problematik wurde im Gesetzgebungsverfahren durchaus gesehen und es wurden auch verschiedene Lösungsvorschläge präsentiert. Leider konnte sich letztlich keiner dieser Vorschläge durchsetzen und der Gesetzgeber entschied sich für die Beibehaltung eines einstufigen Modells, in welchem die Selbstbefreiungsmöglichkeit als Korrektiv für eine drohende frühzeitige und übermäßige Ad-hoc-Pu1518

Erwägungsgrund 5 MMVO.

274

Schlussbetrachtung

blizitätspflicht dient. Diese Lösung ist jedoch insbesondere für die Praxis unbefriedigend und problematisch, da Emittenten entweder gezwungen sind frühzeitig inhaltlich schwer zu gestaltende Ad-hoc-Mitteilungen zu veröffentlichen, die dadurch Irreführungspotential bergen oder – unter Umständen langfristig – in die Selbstbefreiung zu gehen, was mit Einschränkungen der Handlungsmöglichkeiten einhergeht. Die Arbeit hat vorzugswürdige Alternativen zum Modell in der MMVO dargelegt. Es wäre wünschenswert gewesen, wenn der MMVO-Gesetzgeber den Mut gehabt hätte, eine derartige Reform durchzuführen, die es ermöglicht hätte sowohl die Insiderhandelsverbote als auch die Ad-hoc-Publizität umfassend an ihren jeweiligen Regelungszielen auszurichten. Für die Zukunft ruhen die nationalen Hoffnungen auf mehr Klarheit und Rechtssicherheit vor allem auf dem dann überarbeiteten Emittentenleitfaden der BaFin, auch wenn dieser an der vorstehenden Grundproblematik nichts ändern kann. Insgesamt kommt den Aufsichtsbehörden im neuen Insiderrecht aufgrund der mangelhaften Ausgestaltung der MMVO durch den Gesetzgeber eine große Verantwortung zu. Sowohl im Zusammenspiel mit der ESMA als auch der nationalen Aufsichtsbehörden untereinander sollte dabei stets versucht werden, eine abgesprochene und einheitliche Lösung zu finden, da andernfalls das Ziel eines homogenen Insiderrechts in allen Mitgliedsstaaten nicht zu erreichen ist. Auf europäischer Ebene ist es der EuGH, der insbesondere für Auslegungsfragen Licht ins Dunkel bringen kann. Dazu muss es jedoch zunächst überhaupt zu einem Verfahren kommen, in dessen Rahmen der EuGH sich dann äußern kann. Sollte der EuGH dabei in Zukunft die Möglichkeit haben, zu wesentlichen Auslegungsfragen der MMVO, etwa dem Begriff des „verständigen Anlegers“, Stellung zu beziehen, ist zu hoffen, dass er, anders als in seinen bisherigen Entscheidungen zum Insiderrecht, klare und eindeutige Aussagen trifft und dem Rechtsanwender zumindest Leitlinien an die Hand gibt, die die Anwendung des Insiderrechts der MMVO einfacher und sicherer machen.

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Stichwortverzeichnis Ad-hoc-Publizität 85 ff., 116, 142 f., 145, 160 ff., 191 f., 233 ff., 268 agency theory 65 f. Anlegerschutz 40 f., 189 ff. Anlegervertrauen 47 f., 190 f., 212, 221 Anwendungsbereich 108, 120, 129 ff., 217 f., 222 Behavioral Finance 59 ff., 195, 197 f. blue sky laws 70 f. bright-line rule 180, 184 closed period 262 f. comply or explain-Prinzip

101

De-Larosière-Bericht 260, 267 f. De-Larosière-Gruppe 36 f., 106, 119 ff., 268 Directors‘ Dealings siehe Managers‘ Transactions disclose or abstain rule 73 f., 76 duty to correct 236 duty to update 236 Efficient Capital Market Hypothesis (ECMH) 50 ff., 178 ff., 192 Eigengeschäfte von Führungskräften siehe Managers’ Transactions einstufiges Modell 80 f., 86, 200 ff., 206 equal access-Ansatz siehe informationelle Chancengleichheit equal access-Theorie 74, 81 Erwägungsgründe 107, 111, 119 ff., 127 f., 138, 146 ff., 186 ff. fiduciary duty-Theorie 74 f., 78, 81 fraud-on-the-market-Theorie 182 f., 188 Freiverkehr 130 ff., 145, 234 Fundamentalwerteffizienz 52 ff., 191, 233 Funktionsschutz 38 ff., 178, 188, 194 f.

Gerüchte 154, 245 ff. gold plating 90, 114, 261 Harmonisierungsgrad 95, 106 f. Homo Oeconomicus 54, 60 information overload 50, 198, 236 informationelle Chancengleichheit 44 ff., 159 ff., 168, 171, 190, 198, 201, 208, 212, 217, 221, 225 f., 238 f., 258, 262, 265 ff. Informationseffizienz 51 f., 54 f., 57, 164 Insiderhandelsverbote 82 ff., 142 f., 145, 159 ff., 189 ff., 207 ff., 268 Insiderinformation light 151 ff., 190, 203 Insiderlisten 142, 145, 244, 251 ff., 268 Kapitalmarkteffizienzhypothese siehe ECMH Kapitalmarktunion 41 ff., 121 ff., 193 KMU 43, 122 ff., 145 f. Lamfalussy-Verfahren 96 ff., 129, 139 level playing field 116 Managers’ Transactions 142, 145, 255 ff., 268 Marktsondierungen 142, 145, 225, 227 ff. material information 74, 174 materiality-Standard 174 f., 181 ff. misappropriation-Theorie 78 naming and shaming 269 f. noise trader 56, 61 f. post-trading-disclosure 257 ff. pre-trading disclosure 258 f. probability-magnitude-Formel 155 f., 179, 186 f., 205 probability-magnitude-Überlegung 198

292

Stichwortverzeichnis

reasonable investor 83 f., 174 reasonable investor test 83 f., 172, 174 ff., 181 f. relative Effizienz 51, 168 f. RINGA-Konzept 84 f., 152, 203 safe harbour-Regelung 229 ff. Segré-Bericht 29 Selbstbefreiung 159 ff., 201, 205, 240 ff., 266 Selbstregulierung 29 ff. single rulebook 42, 138 Subsidiaritätsgrundsatz 93, 109, 118

tippee siehe Tippempfänger Tippempfänger 76 f., 80, 217 f., 222 Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 93 f., 117 f., 223 Verständiger Anleger 116, 173 ff., 177 ff., 194 ff., 199, 204 f. Vorabmitteilung 108 f. Zielkonflikt 161 f., 200 zweistufiges Modell 86 f., 202 ff. Zwischenschritt 156 ff., 197 f., 200 ff.