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German Pages 304 Year 2000
STUDIEN ZUR DEUTSCHEN LITERATUR
Herausgegeben von Wilfried Barner, Georg Braungart, Richard Brinkmann und Conrad Wiedemann
Band 152
Thomas Neukirchen
Inscriptio Rhetorik und Poetik der Scharfsinnigen Inschrift im Zeitalter des Barock
Max Niemeyer Verlag Tübingen 1999
Gefördert vom Graduiertenkolleg Kunst im Kontext der Philipps-Universität Marburg Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG Wort
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Neukirchen, Thomas: Inscriptio : Rhetorik und Poetik der Scharfsinnigen Inschrift im Zeitalter des Barock / Thomas Neukirchen. - Tübingen : Niemeyer, 1999 (Studien zur deutschen Literatur ; Bd. 152) Zugl.: Berlin, Techn. Univ., Diss., 1997 ISBN 3-484-18152-4
ISSN 0081-7236
© Max Niemeyer Verlag GmbH, Tübingen 1999 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Satz und Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten Buchbinder: Geiger, Ammerbuch
Inhaltsverzeichnis
I.
II.
Einleitung 1. Beispiele 2. Gegenstand und Ziel der Untersuchung, Forschungsliteratur . . 3. Einführung in das Phänomen der Inscriptio arguta und des Stilus lapidarius 1. Inscriptio und Stilus lapidarius 2. Argutia und Inscriptio arguta 3. Gattungstheoretische, stilistische und typographische Aspekte der Inscriptio arguta
20
Theorie und Praxis der neulateinischen Inscriptio arguta
26
1. Auftakt der theoretischen Erörterung: Jakob Masen und Emanuele Tesauro 1. Die Inscriptio arguta als »oratio soluta« in Masens >Ars nova argutiarum< (1649) 2. Die Inscriptio arguta als Produkt der »ars lapidaria« in Tesauros >Cannocchiale Aristotelico< (1654) 3. Differenz zwischen Masen und Tesauro 2. Die Produktion gedruckter und ungedruckter Inscriptiones argutae: von Tesauro (1619) bis zu Christian Weise (1678) .. 3. Die Theorie der Inscriptio arguta seit Tesauros >Cannocchiale Aristotelico< (1654) bis zu Christian Weise (1678) 4. »The classic guide-book to the new epigraphy«: Christian Weises >De argutis inscriptionibus libri II< (1678/88) und die Inscriptio arguta als Darstellungsmöglichkeit des »Politischen« . Einleitung und Aufbau des Buchs 2. Wesen, Entwicklung und Verwendung der Inscriptio arguta 3. Herausragende argute Epigraphiker 4. Äußere Form der Inscriptio arguta 5. Rhetorische und argute Prämissen
8 12 13 13
26 26 41 50 52 70
87 90 97 109 no 114 V
III.
5- Der Stilus lapidarius in der epigraphischen Flugschrift und die Argutia als Dimension der Satire 6. Die Inscriptio arguta bis zur Mitte des r8. Jahrhunderts . . .
119 142
Die Scharfsinnige Inschrift in der deutschsprachigen Literatur . .
152
1. Die Einführung der »Kunstquellen« und der Scharfsinnigen Inschrift in die deutsche Literatur durch Georg Philipp Harsdörffer (1656) 2. Die Integration der Argutia-Theorie in die deutschsprachige Rhetorik mit Hilfe der Scharfsinnigen Inschrift: Weises >Politischer Redner< (1677) 3. Sigmund von Birken als Übersetzer des >Mausoleum< (1664) Ferenc de Nädasdys und die Integration der »Stein-Schreib-Art« in die deutschsprachige Poetik (1679) 4. Die Scharfsinnige Inschrift als textimmanente Inschrift. Nebst einer >Kurzen Geschichte der textimmanenten Bauminschrift< 5. Systematisierungsversuche: Rhetorik, Poetik und Praxis der Scharfsinnigen Inschrift bis zu Hallbauers Sammlung >Teutscher sinnreicher Inscriptionen< (1725/32)
202
IV.
Abgesang der Frühaufklärung auf die Scharfsinnige Inschrift . . .
227
V.
»Die Schrift last deine Zier / o Baum! verwelken nicht«: Die Inschrift als Präsenz der Schrift und Repräsentation des Schriftgelehrten in der Literatur des Barockzeitalters
236
Nachbemerkung
263
Literaturverzeichnis
265
1. Quellen 1. Inscriptio arguta, Stilus lapidarius u.a 2. Flugschriften im Stilus lapidarius 2. Sekundärliteratur 3. Abkürzungen und Hilfsmittel
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VI.
152
166
169 184
VII. Abbildungsverzeichnis
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Namenregister
294
VI
I. Einleitung
Uno verbo, omnia inscriptionum plena. Christian Weise Inscriptionenlehre erscheint den meisten wie eine Geheimwissenschaft. August Böckh' An Momum Loud, heap miseries upon us yet entwine our arts with laughters low! Ha he hi ho hu. Mummum. J-J-
i. Beispiele Martin Opitz zitiert am Ende seines >Buchs von der Deutschen Poeterey< einen antiken Text, der als »argumentum auctoritatis« hoffnungsfreudige Poeten von der Notwendigkeit überzeugen soll, ihr Talent erst einmal im Wettstreit mit anderen Dichtern zu erproben, bevor sie ihre Gedichte, die sie »an das liecht zue bringen vermeinen«, auch tatsächlich dem öffentlichen Druck übergeben. Dieser Text lautet: HIC - CVM · ESSET · ANNORVM · XIII - ROMAE - CERTAMINE . IOVIS - CAPITOLINI · LVSTRO · SEXTO · CLARITATE - INGENI · CORONATVS · EST INTER · POETAS - LATINOS · OMNIBVS · SENTENTIIS - IVDICIVM ·' 1
2
Aus dem >Antrag der historisch-philologischen Klasse, ein Corpus Inscriptionum zu Unternehmern (1815) von August Böckh. Zitiert nach Wilhelm Larfeld: Handbuch der griechischen Epigraphik, 2 Bände, i. Bd., Leipzig 1907, S. 69. Martin Opitz: Buch von der Deutschen Poeterey (1624). In: Ders.: Gesammelte Werke. Kritische Ausgabe. Hrsg. von George Schulz-Behrend. Bd. II: Die Werke von 1621 bis 1626. i. Teil. Stuttgart 1978 (Bibliothek des literarischen Vereins in Stuttgart, Bd. 300), S. 331—416, hier S. 4iof. Die Inschrift bezieht sich auf einen gewissen Lucius Valerius. Die Übersetzung lautet (nach M. Opitz: Buch von der Deutschen Poeterey (1624). Hrsg. v. Cornelius Sommer. Stuttgart 1986, S. 92, Anm. 245): »Dieser wurde im Alter von 13 Jahren zu Rom im 30. Wettstreit des Jupiter Capitolinus in Anerkennung seiner leuchtenden Begabung und durch einstimmiges Urteil der
Opitz dürfte diese »alte Inscription« einem Traktat Johann Wouwers oder der gängigen Inscriptiones-Sammlung von Gruter entnommen haben, die zusammen mit den Kompilationen Peutingers, Apians, Smets bzw. Lipsius' oder Pighius' den epigraphischen Neigungen des Humanismus einen Weg ins Zeitalter des Absolutismus gebahnt hat.3 Zeichnet sich die von Opitz herangezogene Inschrift noch durch klassische Typographie, Simplicitas und Puritas aus, so hat die Inschrift >Uber eine Wein= KellereyLustigen Rhetorical abdruckt, bereits anderes Format: SA he. Courage! herbey! Hier ist das Posthauß der Sorgen / die Werckstatt der Freuden und die Universität aller Künste. Wer traurig ist der komme mit mir Ich will ihn bald frölich machen / wer verliebt ist dessen Feuer kan ich mit einer nassen Hitze kühlen. Ich vertreibe das Fieber / und erhalte die Gesundheit. [...] Ich gebe denen Einfältigen Inventiones und die Verse sonderlich flüssen durch meine Hülffe / wie der Bacheracher Wein aus denen geschnittenen Römern. [...] Ich errege die Liebe und stärcke das schwache Alter. Durch mich blühen die Rosen auf denen Wangen / und die liebreiche Röte auf denen Lefftzen. In Summa ich bin der Brunnen aller Freuden / wer schöpffen will
3
4
Kampfrichter in den Kreis der römischen Dichter aufgenommen.« Zu Opitzens epigraphischem Interesse vgl. Marian Szyrocki: Martin Opitz. Berlin 1956 (Neue Beiträge zur Literaturwissenschaft, Bd. 4), S. 35, sowie Per R. Ridderstad: Konsten att sätta punkt. Anteckningar om stenstilens historia 1400-1765. Stockholm 1975, S. 124. Vgl. den Hinweis in der Edition Schulz-Behrends, S. 411, Anm. 8, demzufolge diese Inschrift sich in der Inschriften-Sammlung Gruters und in dem >Tractatus de Polymathia< von Joh. Wouwer findet. Zu den genannten Epigraphikern vgl. Archäologie der Antike. Aus den Beständen der Herzog August Bibliothek 1500—1700. Wiesbaden 1994 (Ausstellungskataloge der HAB, Nr. 71), S. 82—97; hier weiterführende Literatur. Johannes Riemer: Lustige Rhetorica. Merseburg 1681. In: Ders.: Werke. Hrsg. von Helmut Krause. Bd. 3: Rhetorik. Berlin/New York 1985, S. 370f.
Der bringe mit sich einen Vorsatz Bescheid zuthun / So dann wird er verliebt reich / tapffer und seiner eigenen Seele angenehm seyn.
Als »argumentum auctoritatis« versteht Riemer diese Inscriptio kaum. Sein überbordender satirischer Impetus war wohl nicht dazu angetan, eine wie auch immer geartete Auctoritas zu vermitteln. Dem entspricht, daß die angeführte Inschrift anders als die von Opitz zitierte antiker Typographie nicht bedarf. Ebensowenig zeichnet sie sich durch Simplicitas und Perspicuitas aus und tendiert vielmehr zu deren Gegenteil. Trotzdem wollte auch Riemer den Leser überzeugen, - zunächst natürlich davon, daß der Wein mitnichten die Sorgen vertreibe, die Traurigkeit in Freude umkehre, vom Liebesfieber befreie, das Unangenehme also ins Angenehme verwandle, sondern vielmehr das Schlechte bekräftige, das Ingenium schwäche und eher lendenlahm mache als das Liebesvermögen zu erregen. Überdies aber und vordringlich versuchte Riemer mit seiner Inschrift darauf aufmerksam zu machen, daß die rhetorischen und poetischen Künste seiner Zeit um eine Gattung bereichert worden waren, die als eine Spezialität des Barock angesehen werden muß, um die Inscriptio: Das Kapitel der >Lustigen RhetoricaVon InscriptionibusArs Apophthegmatica< (1656) einige Beispiele abdruckte. Seit dieser Veröffentlichung läßt sich eine kontinuierliche Produktion und rhetorisch-poetologische Reflexion der Scharfsinnigen Inschrift in der deutschen Literatur des Barock bis weit in die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts hinein verfolgen. Gleichwohl war Harsdörffer lediglich Rezipient einer neulateinischen Tradition, die spätestens 1619 ihren Anfang nahm und eng mit dem Namen des
3
Italieners Emanuele Tesauro verbunden ist. Tesauro muß als der eigentliche Begründer der Inscriptio arguta gelten und war der Gelehrtenrepublik des 17. Jahrhunderts als der beste und berühmteste Inscriptor bekannt. Der Italiener entwickelte und verfaßte seine Inschriften vornehmlich für höfische Feste und ließ sie schließlich in einer großen Sammlung kompilieren und publizieren. Darüber hinaus entfaltete er in seinem 1654 erschienenen >Cannocchiale Aristotelico< eine spezifische Inscriptiotheorie, für die er den Begriff »Ars lapidaria« prägte. Fünf Jahre zuvor hatte freilich schon der Kölner Jesuit Jakob Masen in seiner >Ars nova argutiarum< (1649) die Inscriptio arguta einer rhetorisch-poetologischen Erörterung unterzogen und konnte damit in der Folgezeit die entsprechende Entwicklung zumindest in der deutschsprachigen Literatur entscheidend beeinflußen. Ein Beispiel einer lateinischen Inscriptio arguta sei aus Christian Weises >Politischem Redner* (1677) zitiert: Auff die gebohrnen Teutschen / welche vor Franckreich fechten / und ungeacht aller Keyserlichen Avocarorien wider ihr Vaterland streiten. Spectate inversum mundum, Gallus Aqvilae hostis Aqvilae plumis superbit. Francia Germanis infesta Germanos fovet Rex Liliger Teutones qvos cupit exscindere, allicit; qvos optat pauperes, dicat, qvos cupit subjugum mittere, Gives facit. Ipsi verö sie vivunc, ut agnoscas Germaniae privignos Galliae spurlos; imo si Patria Mundus est, degeneres terrae filios. [...] Ipsa verö Germania haec verba loqvi secum visa est: O filii, utinam extranei; O Heroes, utinam timidi; O Milites, utinam rustici; O Germani, utinam Germani; O Galli, utinam non Galli, Vestrum igitur proesidium mea obsidio? Vestri progressus meus interims. Vestra spes mea desperatio? [...] Hei mihi qvid optem? Felices filios? sie ero infelicissima: me felicem? sie pereunt filii;
Utrinqve matri imminer luctus. Sumam arma? in viscera mea saevio: Abjiciam arma? qvis mea viscera defender? [..·]'
Die Inscriptio formuliert auf argute Art Tadel an jenen Deutschen, die statt für ihr Vaterland auf der Seite der Franzosen kämpfen. In dieser »verkehrten Welt« ködert der französische König die Deutschen, die er doch auszurotten trachtet. Diese Stiefkinder Deutschlands und Hurenkinder Frankreichs bewirken, indem sie Frankreich beistehen, sein militärisches Vorrücken vorantreiben und seine Siegeshoffnung mehren, für ihr eigentliches Vaterland Gefahr, Untergang und Verzweiflung. Als Mutter steht Germania dem scheinbaren Dilemma gegenüber, sowohl im Falle eines Siegs als auch im Falle einer Niederlage, welcher Seite auch immer, ihre deutschen Söhne zu verlieren. Doch entscheidet sie sich schließlich dafür, daß diejenigen, die ihre Mutter nicht lieben, zu bestrafen seien: Qvi Matrem laedunt, a. nemine non laedantur: Qvi Matrem non amant, nullius amorem sentiant.6
In diesem Beispiel wird Scharfsinnigkeit insbesondere durch eine antithetische Konzeption der Res und durch antithetische rhetorische Figuren bewirkt. Regeln der Gestaltung scharfsinniger Res und Verba werden seit Jakob Masens >Ars nova argutiarum< durch eine »Fontes argutiarum«-Systematik vorgegeben und bilden gewöhnlich einen integralen Bestandteil der Theorie der arguten Inschrift. Auch Weise greift auf das Schema des Kölner Jesuiten zurück. In einen ganz anderen Kontext ist eine Scharfsinnige Inschrift eingebunden, die in Daniel Casper von Lohensteins Arminius-Roman begegnet. Sie ist einer Ehrensäule eingemeißelt und bezieht sich in panegyrischer Absicht auf Hermann den Cherusker: Flieht / lasterhaffte Nacht=Eulen! ergetzet euch / tugendhaffte Adler! hier sreht eine Sonne unter menschlicher Gestalt. Doch bleibt zwischen ihr und dem unvergleichlichen Herrmann eine grössere Ungleichheit / als zwischen der Sonnen und ihrem Bild im Wasser, [...p 5
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Christian Weise: Politischer Redner, das ist kurtze und eigentliche Nachricht, wie ein sorgfältiger Hofmeister seine Untergebenen zu der Wohlredenheit anführen soll. Nachdruck der Ausg. Leipzig 1683. Kronberg Ts. 1974, S. 75ff. Ebd., S. 77. Daniel Casper von Lohenstein: Grossmüthiger Feldherr Arminius. 2 Bde. Nachdruck der Ausg. Leipzig 1689/90. Mit einer Einführung von Elida Maria Szarota. Hildesheim/New York 1973, Bd. 2, S. 1645.
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Die Hyperbel besagt nichts anderes, als daß Hermann eine so außergewöhnliche Gestalt sei, daß selbst die Sonne nicht zum Vergleich ausreiche. Es gibt deshalb eine »kleinere Gleichheit« (»grössere Ungleichheit«) zwischen Hermann und der Sonne als zwischen der Sonne und ihrem Abbild im Wasser, weil die Sonne als Abbild Hermanns aufgefaßt wird und selbst als solches den Glanz und die Herrlichkeit des Fürsten nicht angemessen wiedergeben kann. Lohenstein galt nicht umsonst als einer der scharfsinnigsten Dichter Deutschlands. Seine Inscriptio arguta unterscheidet sich von den zuvor zitierten nicht allein durch den Grad ihrer Scharfsinnigkeit, sondern auch dadurch, daß sie in einen Erzählzusammenhang gefügt ist. Einer Ehrensäule eingemeißelt, ist sie Bestandteil der erzählten »Realität« und fungiert mithin als textimmanente Inschrift. Textimmanente Inschriften sind seit der Antike bekannt und erfreuen sich v. a. im Barock großer Beliebtheit, da sie die formale Möglichkeit bereitstellen, nicht nur Inscriptiones argutae, sondern auch Gedichte aller Art in das erzählte Geschehen zu integrieren. Nur scheinbar eine Inscriptio arguta stellt der folgende Textauszug dar:
[...] Itzund / da der glorwürdigste Römische Keyser / Ferdinand der dritte / und vor Ihme / zuwider der natürlichen Sterb-Ordnung / sein Herr Sohn / Ferdinand der Vierdte / Erwählter Römi = scher König / diese Welt gesegnet haben / deren Seelen ruhen und in Frieden schlaffen! beruffet der ChurFürst zu Maintz / welcher im ChurFürsten-Raht Vorsteher und der Vorderste ist / nach Verledigung des Keys. Reichs=Throns / zur Wahlversammlung / die Wahl=Fürsten / gebührmässig / das ist: Er versammlet Sie alle / mit Bewilligung ihrer aller / an gewöhnliches Ort / zur gewöhnlichen Zeit; Ruffet alsdann an und ladet mit in den Raht GOTT/ den Stiffter und Erhalter des Rom. Reichs / und den höchsten Erwähler der Keysere; Nimmt den Eyd von ihnen Allen; Ermahnet Sie / zur freyen Wahlstimme / und von Furcht oder andrer Gemütsneigung entfernet zuseyn / als wodurch die Wahl vernichtet wird. [...]
Dieser Text ist einer historisch-politischen Flugschrift aus dem Jahr i0578 entnommen, deren Gegenstand die Wahlverhandlungen über die Nachfolge des 8
Der Text ist die deutsche Übersetzung einer lateinischen Flugschrift Johann Frisch-
1657 verstorbenen Kaisers Ferdinand III. bilden, die noch im gleichen Jahr in Frankfurt begannen. Das Zitat entstammt dem Exordium und gibt auszugsweise die Worte des Mainzer Kurfürsten wieder, mit denen dieser die Ratsversammlung eröffnet. Das Spezifische dieser Flugschrift liegt im Satz auf Mittelachse, der den gesamten Text bestimmt. Eine derartige Flugschrift kann, schon allein wegen ihres Umfangs, der sich mitunter bis zu 200 Seiten erstrecken kann, mit dem Begriff der Inscriptio arguta nicht erfaßt werden, und es sind hier lediglich der Stil und die typographische Qualität der Inscriptio arguta, die auf die Flugschrift übertragen wurden, so daß sie zur »epigraphischen« Flugschrift gerät. Nicht zufällig bezeichnet sich daher der Autor des genannten Textes, der Publizist Johann Frischmann, selbst als »Inscriptor«. Der Grad der arguten Ausdrucksweise des Zitats mag zwar auf den ersten Blick nicht sonderlich hoch erscheinen, doch wird man sehen, daß der Stilus lapidarius der epigraphischen Flugschrift von den Zeitgenossen als arguter Stil angesehen wurde und der Text der o.g. Flugschrift in seiner Gesamtheit durchaus mit der Argutia-Bewegung in Zusammenhang steht. 114 Jahre nach der Veröffentlichung der Flugschrift Frischmanns notiert Georg Christoph Lichtenberg folgende Grabinschrift in eines seiner >SudelbücherCollegium electoraleGrabschrift auf Herrn B.< schon außerhalb der ästhetischen Entwicklung der Inscriptio arguta, die um die Mitte des 18. Jahrhunderts u.a. dem »Schwülstigkeit«-Verdikt zum Opfer fällt.
2. Gegenstand und Ziel der Untersuchung, Forschungsliteratur Die bisher vorgestellten Beispiele für Inscriptiones verweisen einschließlich der nichtarguten Inschrift Opitzens auf einen »epigraphischen Kontext« 12 der gelehrten Künste des Barock. Auch wenn hier auf eine systematische Erfassung aller epigraphischen Erscheinungsformen verzichtet werden muß, kann doch festgehalten werden, daß neben der Inscriptio Arguta und dem bereits erwähnten Stilus lapidarius in Flugschriften zahlreiche andere von der Argutia unabhängige inschriftliche Phänomene in diesen epigraphischen Kontext gehören: textimmanente Inschriften, nichtargute Inschriften, die analog zur Inscriptio arguta als rhetorisch-poetologischer Gegenstand vor allem seit der Mitte des 17. Jahrhunderts eine nicht unerheblich Rolle spielten, Inschriften in Malerei und Graphik, Inschriften in der Architektur, im Garten, im Rahmen des höfischen Fests und Zeremoniells sowie die durch Numismatik und Epigraphik erfaßten antiken, mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Inschriften. Wohl in keiner Epoche vor und nach dem 17. Jahrhundert hat man sich derart intensiv 10
Wolfgang Promies: Georg Christoph Lichtenberg, Schriften und Briefe. Kommentar zu Band I und II, S. 170, Anm. 400, vermutet Heinrich Christian Boie. 1 ' Vgl. die Chronologie von Sudelbuch B bei Wolfgang Promies: Georg Christoph Lichtenberg, Schriften und Briefe. Kommentar zu Band I und II, S. 113. 12 Den Begriff verwenden Jeremy Adler u. Ulrich Ernst: Text als Figur. Visuelle Poesie von der Antike bis zur Moderne. Weinheim 1987 (Ausstellungskataloge der HAB, Nr. 56), S. 156, er bleibt bei ihnen aber lediglich auf die Schäferdichtung der frühen Neuzeit beschränkt.
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und weitläufig mit solchen epigraphischen Formen auch in rhetorischer und poetologischer Hinsicht beschäftigt. Die in diesem epochalen epigraphischen Kontext stehende Inscriptio arguta und der ihr eigentümliche Stilus lapidarius bilden den Gegenstand der vorliegenden Arbeit. Es wird nach ihren möglichen Ausprägungen und literaturgeschichtlichen Entwicklungslinien in der neulateinischen und deutschsprachigen Literatur des 17. Jahrhunderts gefragt sowie nach den Gründen für die Entstehung und das Ende der Inscriptio arguta. Dabei liegt das Hauptaugenmerk auf der Theorie, d. h. auf der rhetorisch-poetologischen Reflexion der Inscriptio arguta. Es gibt bislang keine Untersuchung, die sich explizit der Inscriptio arguta in ihren rhetorisch-poetologischen, stilistischen, epigraphischen und rezeptionsgeschichtlichen Dimensionen gewidmet hätte. Vor allem die germanistische Barockforschung im deutschsprachigen Raum hat, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, dieses Thema ignoriert, obwohl mit ihm Namen wie Masen, Harsdörffer, Birken, Weise, Riemer und Lohenstein verbunden sind. Den ersten Anstoß zur Beschäftigung mit der Scharfsinnigen Inschrift gab John Sparrow in seiner 1969 erschienenen Arbeit >Visible words. A Study of Inscriptions in and as Books and Works of ArtEntree solennelle< Ludwigs XIV. 1660 in Paris. Berlin 1983, S. ij2ff. Manfred Beetz: Rhetorische Logik. Prämissen der deutschen Lyrik im Übergang vom 17. zum 18. Jahrhundert. Tübingen 1980 (Studien zur Deutschen Literatur, Bd. 62), S. 241-242. Harold Jantz: Baroque Free Verse in New England and Pennsylvania. In: Puritan Poets and Poetics. Seventeenth-Century American Poetry in Theory and Practice. Hrsg. v. Peter White u.a. The Pennsylvania State University 1985, S. 258 — 273. Vgl. auch Dick Higgins: Pattern Poetry. Guide to an Unknown Literature. State University
Nachweise für die Theorie der Inscriptio arguta erarbeitet 23 und die Bedeutung der arguten Inschrift für die Argutia-Rezeption bei Weise und Morhof herausstellt.24 Ebenfalls unter Rückgriff auf Sparrow und Ridderstad erörtert Raija Sarasti-Wilenius die entsprechende Entwicklung in Finnland. 25 Das Ende der arguten Epigraphik behandelt kurz J. Ijsewijn. 20 Schließlich faßt liro Kajanto die meisten der genannten Arbeiten noch einmal zusammen und untersucht die Funktionen des Stilus lapidarius an Hand römischer Inschriften der frühen Neuzeit. 27 Als einziger dieser Autoren weist John Sparrow auf die Verwendung des Stilus lapidarius in der epigraphischen Flugschrift hin, 28 für deren Entwicklung er mit Recht den Publizisten Johann Frischmann verantwortlich macht.29 Die vorliegende Untersuchung widmet sich zunächst grundlegenden gattungsspezifischen Aspekten der Inscriptio arguta und legt sie in Kapitel 1.3 zusammenfassend dar. Die Kapitel II und III zeigen die jeweiligen historischen Entwicklungslinien und Differenzierungen für die neulateinische und deutschsprachige argute Inschrift auf. Kapitel IV erläutert die aus den Quellen selbst hervorgehenden Gründe für den Niedergang der Inscriptio arguta, der zeitgleich mit der beginnenden Frühaufklärung einsetzt und mit der Kritik an der Argutia-Bewegung zusammenhängt. Kapitel V schließlich strebt eine weitere, in den Quellen nicht angesprochene, sozialgeschichtlich orientierte Erklärung der Entstehung und des Endes der Inscriptio arguta an, für die der Begriff der Gelehrtenrepublik fruchtbar zu machen sein wird. Dabei wird weniger die
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25
26
of New York Press 1987, S. 173, der zwar kurz auf »lapidary inscriptions« verweist, aber nicht auf die Inscriptio arguta eingeht. Henry F. Fullenwider: Tesauro in Germany. In: Arcadia 21 (1986), H.i, S. 23—40. Henry F. Fullenwider: Die Rezeption der jesuitischen »argutia«-Bewegung bei Weise und Morhof. In: Europäische Barockrezeption. In Verbindung mit Ferdinand van Ingen, Wilhelm Kühlmann, Wolfgang Weiß hrsg. von Klaus Garber. 2 Teile. Wiesbaden 1991 (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung, Bd. 20), I.Teil, S. 229 — 238. Raija Sarasti-Wilenius: Latin Lapidary Style in Finland. In: Arctos 25 (1991), S. 121 — 132. J. Ijsewijn: Morcelli epigrafista tra erudizione umanistica ed arte neodassica. In: Atti del colloquio su Stefano Antonio Morcelli. Milano-Chiari 1987. Brescia 1990, S. 13 — 20.
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liro Kajanto: On Lapidary Style in Epigraphy and Literature in the Sixteenth and Seventeenth Centuries. In: Humanistica Lovaniensia 43 (1994), S. 137-172. Vgl. jetzt auch die kurze Bemerkung von Rüdiger Zymner: Art. >ArgutiaArs apophthegmatica< (1655/56) in der deutschsprachigen Literatur rezipiert. Im Kern entwirft die Argutia-Theorie ein durch Inventio und Elocutio zu entfaltendes regelgeleitetes Schema zur Erzeugung von Scharfsinnigkeit, die durch ungewohnte Verbindungen von Gedanken und der kühnen Verwendung rhetorischer Figuren und Tropen eine möglichst überraschende Wirkung erstrebt, welche sich beim Rezipienten in Bewunderung niederschlagen soll.41 Eine sozialgeschichtliche Deutung des scharfsinnigen Stils hat bislang allein Wilhelm Kühlmann gegeben. Ihm zufolge führten die Verfestigung der humanistischen Rhetorik und die Verbreitung gelehrter Studien zu einer Verminderung des Symbolwertes, die sie ehedem für die elitäre Gelehrtenrepublik besaßen. Statt dessen griff die Gelehrtenrepublik auf den scharfsinnigen Stil zurück und verstand ihn als ein neues »prestige-verbürgendes Unterscheidungszeichen«, das »innerhalb des allgemeinen sprachlichen Systems neben den niehtsprachlichen Zugehörigkeitsattributen (Mode, Verhalten, Etikette usw.) auf der Ebene kultureller Qualifikationen sozial herausgehobene Positionen markieren bzw. reklamieren kann.« 42 Die Hochschätzung scharfsinnigen Stils und mit ihm der Inscriptio arguta steht demnach auch im sozialen Kontext der geistigen Henry F. Fullenwider: Die Rezeption der jesuitischen »argutia«-Bewegung bei Weise und Morhof. In: Europäische Barockrezeption, Teil I, S. 229 — 238; Stefan Matuschek: Über das Staunen. Eine ideengeschichtliche Analyse. Tübingen 1991 (Studien zur deutschen Literatur, Bd. 116), S. I36ff., hier v.a. S. 149—154; Tineke ter Meer: Snel en dicht. Een Studie over de epigrammen van Constantijn Huygens. Amsterdam 1991 (Amsterdamer Publikationen zur Sprache und Literatur, Bd. 96), S. 35ff. u. passim; Volker Kapp: Artikel >Argutia-BewegungArgutiametaphysical< significance — are unimportant to him. 44
Die am Beispiel Morhofs gewonnene Einsicht scheint verallgemeinerungsfähig zu sein. Es spricht alles dafür, daß die Argutia-Theoretiker im deutschsprachigen Raum »metaphysischen«, originellen, ja, überhaupt unerhört neuen Gedanken gegenüber sich ängstlich und reserviert verhielten. Überlegungen, ob Gott oder die Tiere oder die unbelebte Natur scharfsinnig seien, wie sie etwa Tesauro anstellt, findet man bei Masen, Weise oder Morhof jedenfalls nicht.45 Die Regelhaftigkeit der Argutia-Theorie manifestiert sich in einer Systematik verschiedenartiger »Quellen« (»fontes«), aus denen Scharfsinnigkeit sich ableiten soll. Das bekannteste und für die deutschsprachige Literatur einflußreichste Schema der Fontes argutiarum konzipierte der Jesuit Jakob Masen in seiner 1649 erschienenen >Ars nova argutiarumPoetices libri septem Vgl. Kap. II.4. 25
II. Theorie und Praxis der neulateinischen Inscriptio arguta
i. Auftakt der theoretischen Erörterung: Jakob Masen und Emanuele Tesauro Die jesuitischen Gelehrten Jakob Masen und Emanuele Tesauro1 waren die ersten, die die Inscriptio arguta systematisch einer theoretischen Erörterung unterzogen haben.2 Wenn auch ihre Theoriebildung nicht eben umfangreich genannt werden kann und zudem von einer zum Teil lakonischen Diktion geprägt ist, so präfigurieren sie doch fast alle relevanten Aspekte der barocken rhetorisch-poetologischen Diskussion über die Inscriptio arguta. Zusammen mit Christian Weises >De poesi hodiernorum politicorum< müssen die theoretischen Darlegungen Masens und Tesauros als die wichtigsten und grundlegendsten Texte zur arguten Epigraphik gelten. Soweit ich sehe, gibt es im 17. und 18. Jahrhundert keine Autoren, die die Leistungen Masens, Tesauros und Weises überträfen. Die meisten der späteren arguten Epigraphiker sind selbst noch in ihrer Kritik von einem dieser drei Autoren abhängig.3 Es ist deshalb gerechtfertigt, zunächst die Texte Masens und Tesauros, später dann das Werk Weises einer ausführlichen Analyse zu unterziehen. i. Die Inscriptio arguta als »oratio soluta« in Masens >Ars nova argutiarum< (1649) Im Jahr 1649 erscheint in Köln ein Buch des jesuitischen Philologen, Dichters und Historikers Jakob Masen, das bis 1711 Neuauflagen erfährt und den Titel
' Zu beachten ist, daß Tesauro im Jahr 1634 aus dem Jesuitenorden austrat. Diese Feststellung schließe nicht aus, daß auch schon vorher über die rhetorischen und poetologischen Dimensionen der Inscriptio nachgedacht wurde. So verweist Sparrow: Visible Words, S. iO3ff., auf eine gelehrte Auseinandersetzung am Ende des 16. Jahrhunderts zwischen Francesco Pola und Battista Guarini, in deren Mittelpunkt die Qualität einer von Pola verfaßten Grabinschrift steht; und in Peregrinis Traktat >Delle acutezze< (1639) werden Eloge und Inschrift als Gattungen aufgeführt, in denen die »acutezza« Verwendung finden kann; vgl. Manfred Hinz: Rhetorische Strategien, S. 442. 3 Tesauros Theorie der Argutia und Inscriptio arguta wird im deutschen Sprachraum allerdings erst seit Morhof rezipiert; vgl. Fullenwider: Tesauro in Germany, S. 28f.
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trägt: >Ars nova argvtiarvm honestae recreationis in tres partes divisa. Continet i. argvtias epigrammaticas ex varijs fontibus deductas. ii. argvtias familiäres, iii. argvtias epigraphicas, sev Variarum InscriptionumArs nova argutiarum< Masens gehört zu denjenigen Büchern der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, die die Argutia als eigenständiges Problem unter poetologischen wie rhetorischen Gesichtspunkten diskutieren und insofern zur »ars« erheben. Als wirklich neu dürfte Masens theoretische Grundlegung des arguten Epigramm-, Sentenz- und Inschriftenstils anzusehen sein, die in seiner »fontes argutiarum«-Lehre besteht.5 Noch zu Anfang des 18. Jahrhunderts wird diese Grundlegung selbst von kritisch eingestellten Autoren anerkannt. 6 Auch der dritte Teil des Buches stellt ein Novum der Literaturgeschichte dar, denn er behandelt >Die epigraphische Scharfsinnigkeit oder die Scharfsinnigkeit verschiedener InschriftenartenMasen, JakobArs nova< und der >Palaestra styli romani< zwar auch »reale«, d.h. ungedruckte Inschriften an (Grabinschriften, Gedächtnisinschriften etc.), deren (ursprüngliche) Träger architektonischer und monumentaler Art waren, z. B. eine Inschrift auf einem Kaiser Konstantin geweihten Triumphbogen,59 und in der Tat wurden argute Inschriften in großer Zahl für höfische Feste, Architekturen und Skulpturen verfaßt, doch ist offensichtlich, daß sowohl Masens eigene Inschriften als auch viele der von ihm zitierten Autoren nie anderswo als in Büchern standen. So scheint es beispielsweise undenkbar, daß die satirischen Inschriften auf Martin Luther in irgendeinem Gebäude angebracht waren oder etwa bei einem Fest als ephemere Inschriften Verwendung fanden. Masen reflektiert diesen bemerkenswerten Medienwechsel jedoch genausowenig wie der allergrößte Teil der epigraphisch interessierten Autoren des 17. Jahrhunderts, obwohl im Laufe einer hundertjährigen Entwicklung die Inscriptio arguta immer mehr zur gedruckten Inschrift, d.h. zu einer buchgestützten Literaturgattung tendiert. 2. Die Inscriptio arguta als Produkt der »ars lapidaria« in Tesauros >Cannocchiale Aristoteliox (1654) In seiner 1654 erschienen Schrift >I1 Cannocchiale AristotelicoargutezzaDe inscriptionibus argutis< 6t> mit einer deutlichen Abgrenzung der arguten Inschriften seiner Zeit von den Inschriften der Antike, der er unmittelbar eine erste wesentliche Bestimmung der Inscriptio arguta folgen läßt: Romana antiqvitas [...] cum nee gustum, nee cognitionem bonarum artium haberet, inscriptiones componebat nuda simpliciqve gravitate sine ullo vigore & acumine. Accessit postea major styli elegantia cum aliqva teneritudine affectum: verum nee oculus nee auris periodum lapidariam ab oratoria distinxisset; cum tarnen perspicuum sit (ut saepius annotavi) lapidariam reqvirere compositionem, qvae inter oratoriam et poetieam sit media.70 66 67 68 69 70
Zit. nach Manfred Windfuhr: Die barocke Bildlichkeit, S. 269. Übersetzung nach Klaus-Peter Lange: Theoretiker, S. 24. Zu den von Tesauro verfaßten Inscriptiones argutae vgl. Kap. II.2. Vgl. Ridderstad, S. 114-118, und Kajanto, S. i54f. Tesauro: Idea, S. 593: »Die römische Antike, da sie weder Sinn für die >Schönen Künste< noch einen Begriff von ihnen besaß, verfaßte Inschriften von schmucklosem und schlichtem Ernst ohne jegliche Kraft und Scharfsinn. Später kam eine größere
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Hatte schon Masen die arguten Inschriften seiner Zeit als ingeniöser als die Inschriften der Antike bezeichnet, diesen aber immerhin noch argute Qualitäten zugestanden, so geht Tesauro einen Schritt weiter, indem er konstatiert, daß die antiken Inschriften ohne jegliche Kraft und Scharfsinn verfaßt worden seien. Im Verlauf seiner Ausführungen kommt Tesauro auf diese Feststellung nicht mehr ausdrücklich zurück, exemplifiziert aber die neue Qualität der Argutia an Hand zweier Texte von Cicero und Tacitus, die er in eine neue und seiner Meinung nach scharfsinnigere Form bringt. Darauf wird weiter unten ausführlicher eingegangen. Zunächst jedoch zu den Bemerkungen Tesauros über das Wesen der arguten Inschriften. Wenn auch in den nachantiken Zeiten, so fährt Tesauro fort, eine größere stilistische Eleganz bei den Inschriften aufgekommen sei, so hätte doch an Hand des Satzgefüges niemand eine besondere formale Eigentümlichkeit der Inschriftenkunst (»ars lapidaria«) erkennen können. Die besondere formale Eigentümlichkeit der Inscriptio arguta besteht nun darin, daß sie eine »compositio« erfordert, die zwischen rhetorischer und poetischer »compositio« die Mitte bildet. 71 Die klassische Rhetorik definiert »compositio« als die »syntaktische Gestaltung des Satzkontinuums«, und sie gilt als die »prosaische Entsprechung des poetischen Versbaues«.72 Dagegen entspricht die poetische »compositio« einer »versificatio« des Satz- bzw. Redekontinuums. Die lapidarische »compositio« der Inscriptio arguta hingegen soll eine Mittelstellung zwischen der Gestaltung einer Rede und der Gestaltung eines Gedichts einnehmen, mit anderen Worten: Die Inschriftenkunst gestaltet ihr Satz- bzw. Redekontinuum weder allein nach den für die »oratio soluta« noch allein nach den für die »oratio ligata« geltenden Regeln. Tesauro führt diese eigentümliche Mittelstellung der Inschriftenkunst noch näher aus: Unde in sententiis qvoqve vividior esse vult, qvam oratoria, minor autem qvam poesis: & in stylo non adeö numerosa ut poesis, numerosior tarnen qvam oratoria. Sie igitur utut membra non certis sint pedibus devincta, ut versus, nihilominus mensuram habent adeö concisam, ut lectoris animus saepius respiret, & consider«, qvae dicuntur, qvam in continuato periodicae orationis cursu fieri amat.73
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stilistische Eleganz zusammen mit einer gewissen Zartheit der Affekte hinzu, indessen hätte weder Auge noch Ohr das lapidarische Satzgefüge vom rednerischen unterscheiden können, obwohl doch offensichtlich ist (wie ich öfter angemerkt habe), daß die Inschriftenkunst eine Anordnung der Sätze erfordert, die zwischen der rhetorischen und poetischen Anordnung der Sätze die Mitte bildet.« Allerdings behandelt Tesauro in seinem Werk auch »Inscriptiones rotundae«. Lausberg, § 911. Tesauro: Idea, S. 593: »Daher verlangt sie [die Inschriftenkunst] auch bezüglich der Sentenzen lebhafter zu sein als die Redekunst, weniger lebhaft jedoch als die Dichtkunst. Und bezüglich des Stils verlangt sie nicht so rhythmisch zu sein wie die Dichtkunst, jedoch rhythmischer als die Redekunst. So haben also die Satzglieder, wenn sie auch nicht durch bestimmte Versfüße gebunden sind wie die Verse, nichtsdestoweniger ein so konzises [Silben-]Maß, daß der Geist des Lesers öfter zu Atem
Diese Besonderheit der »ars lapidaria« sowie ihre Überlegenheit gegenüber der antiken Inschriftenkunst sind schon in der 1645 erschienenen Schrift >Patriarchae sive Christi Servatoris Genealogia< Tesauros formuliert, in der den christlichen Erzvätern von Adam bis auf Jesus mit genealogisch ausgerichteten Scharfsinnigen Inschriften gehuldigt wird. In der Vorrede der >Patriarchae< heißt es: Lapidariam, quae inter Oratoriam ac Poesim media, vtriusque delicias Inscriptionibus immiscet; olim simplicem & emortuam, ab hac nobili Musa viuaciore stylo, Mercurij quasi virga excitatam fuisse, sciunt qui eius deinde vestigia sequuti multis retro passibus substitere. 74
Die »ars lapidaria« gestaltet demzufolge ihre Inschriften, indem sie eine Synthese bestimmter syntaktischer, rhythmisch-stilistischer und sentenzbezogener Qualitäten der Rede- und Dichtkunst bildet. Dabei unterscheidet sie sich von der Redekunst auf dreifache Weise: Für die »compositio« bildet sie kein kontinuierlich dahinfließendes Satz- bzw. Redekontinuum aus, sie verzichtet also auf den Cursus und ordnet dennoch die Silben rhythmisch in verschieden langen Zeilen an; hinsichtlich des Stils bevorzugt sie einen rhythmischeren Ausdruck, und zur Hervorbringung von Sentenzen formt sie eine lebhaftere Diktion aus. Von der Dichtkunst unterscheidet sie sich hingegen dadurch, daß sie für ihr Satz- bzw. Redekontinuuum kein poetisches Metrum verwendet, daß ihr Stil durch einen weniger rhythmischen Ausdruck geprägt ist und daß ihren Sentenzen eine weniger lebhafte Diktion zukommt. Tesauro konstituiert mit seinen kurzen Äußerungen nichts weniger als eine neue Ars der syntaktischen und stilistischen Gestaltung des Rede- bzw. Satzkontinuums, die er »lapidaria« nennt und zwischen »ars rhetorica« und »ars poetica« ansiedelt: Inscriptiones argutae sind Produkte einer eigenständigen »ars nova«!
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kommt und betrachtet, was gesagt wird, als er es beim durchgehenden Cursus einer periodische Rede zu tun liebt.« Emanuele Tesauro: Patriarchae sive Christi Servatoris Genealogia. Mediolani 1645, Vorrede >Typographus Lectori< (unp.): »Daß die Inschriftenkunst, die zwischen der Rede- und der Dichtkunst liegt und die Reize dieser beiden Künste in die Inschriften einbringt, einst eine einfache und dahinsterbende (Kunst) war, (aber) von der gegenwärtigen vortrefflichen Musenkunst durch einen lebhafteren Stil, gleichsam durch den Zauberstab Merkurs, zum Leben erweckt wurde, wissen diejenigen, die, nachdem sie von heute an die Spuren der Inschriftenkunst mit vielen Rückwärtsschritten zurückverfolgt hatten, schließlich (zur Betrachtung) innehielten.« [Gemeint sind also diejenigen, die sozusagen eine Reise in die Vergangenheit gemacht haben.] Vgl. Fullenwider: Tesauro in Germany, S. 27, ders.: Rezeption der jesuitischen argutia-Bewegung, S. 235, der dieses Zitat in allerdings recht fragmentarischer Form bringt, ohne dabei näher auf den Inhalt einzugehen. Falsch ist Fullenwiders Einschätzung der >Patriarchae< von 1651 als Erstausgabe; vgl. Fullenwider: Tesauro, S. 27, ders.: Rezeption, S. 234.
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An einem Text Ciceros, den er in eine neue, nämlich inschriftlich-argute Form überfuhrt, 75 veranschaulicht Tesauro die Differenz zwischen der Argutia seiner Zeit und der der Antike, den Unterschied zwischen Rede- und Inschriftenstil sowie die poetologisch-rhetorischen Charakteristika der Inscriptio arguta. Die Textstelle entstammt den >Philippicae< Ciceros76 und beinhaltet eine Lobrede auf die »legio martia«, deren erste Zeilen lauten: O fortunata Mors, qvae Naturae debita, pro Patria est potissimum reddita. Vos vero patriae natos judico, qvorum etiam nomen ä MÄRTE est; ut idem Deus urbem hanc gentibus vos huic urbi genuisse videatur. In fuga foeda mors est, in Victoria gloriosa. Etenim Mars ipse ex acie fortissimum qvemqve pignerari solet. Illi igitur impii, qvos cecidistis, etiam ad inferos poenas parricidii luent: Vos verö qvi extremum spiritum in Victoria effudistis, piorum estis sedem et locum consecuti.77
In dieser Eloge Ciceros nun - die einzige argute, die Tesauro bei Cicero hat finden können78 — sehe man zwar, so Tesauro, die Form der Beredsamkeit, »mit der man Papier beschriftet«, nicht aber die lapidarische Form, »die man dem Marmor einmeißelt«.79 Jeder Satz sei zwar mit arguten Sentenzen, nicht aber konzis genug konzipiert, zudem beruhten die Argutien auf nicht sehr scharfen Metaphern oder sparsamen Gegensätzen, wie überhaupt auf Grund des abgerundeten Satzbaus das Lakonische fehle.00 Tesauro empfiehlt, um diese Eloge in eine lapidarisch-scharfsinnige Form zu bringen, Verkürzungen und Zusammenfassungen,01 deren Ergebnis die folgende Inscriptio arguta ist: 75
Vgl. John Sparrow, S. H2ff., der ebenfalls diese Stelle aus Tesauros >Cannocchiale Aristotelico< kurz analysiert, ohne sich jedoch näher auf die Theorie Tesauros einzulassen. Ferner Ridderstad, S. 116. 7n Cicero: Philippicae, XIV, XII. 77 Tesauro: Idea, S. 593f. Die Übersetzung lautet: »O fortunate death, the debt to nature, best paid on behalf of country! you I verily regard as born for your country; your very name is from Mars, so that it seems the same God begot this city for the world, and you for this city. In flight death is disgraceful; in victory glorious; for Mars himself is wont to claim out of the battle-line the bravest as his own. Those impious wretches then whom you have slain will even among the shades below pay the penalty of their treason; but you who have poured out your last brath in victory have won the seats and abodes of the pious.« In: Cicero in Twenty-eight Volumes. XV: Philippics, ed. Walter C. A. Ker. Cambridge/Massachusetts/London 1969, S. 637. 7 * Tesauro: Idea, S. 593: »Unum exemplum dabo argutissimum, sed & unicum argutum, qvod in Cicerone legerim, elogium.« 79 Ebd., S. 594: »In hoc elogio pulchram qvidem eloqventiae formam cernis, qvae chartae inscribatur: lapidariae qvae marmori incidatur, non item.« Daß auch Tesauros Inschriften zum Teil wenigstens nur fürs Papier gedacht sind, wird von Tesauro nicht reflektiert. 80 Ebd., S. 594: »Est qvidem qvaelibet periodus argutis sententiis concepta, sed concisa non est, & argutia ut plurimum in Metaphora non valde acuta, aut oppositis astrictis sunt positae, ut pote qvibus laconismus deest, qvi rotunditati periodicae non congruit.« 81 Ebd.: »Qvodsi lapidariae ad instar easdem concinnare velis: amputando & contrahendo [...] sic precedes.« 46
Fortunata Mors, Naturae debita; Patriae reddita, Legio vere Martia, A Patrio Numine nomen adepta. Ut idem Armorum Deus Urbem hanc gentibus; vos huic urbi genuerit. In fuga, foeda Mors: in Victoria, gloriosa. Mars enim fortissimos pigneratur Vos victi victores, Pii impios occidistis, occisi. Itaque dum impios mulctant inferi; Vos superas inter sedes, triumphatis. 8:i Das Ergebnis dieser Umwandlung der ciceronischen Eloge besteht nicht nur in der stringenteren Formulierung der Argutien durch Verkürzungen und häufige, typographisch sichtbar gemachte Satzeinschnitte, sondern darüber hinaus in einem Wandel ihrer rezeptionsästhetischen Funktion. Denn, so Tesauro, die ursprünglich zum Vortrag und zum Hören bestimmte Eloge sei nun den Erfordernissen des Lesens angepaßt worden.83 Der Eloge Ciceros stellt Tesauro eine Eloge des Tacitus auf den Kaiser Galba84 gegenüber, die er ebenfalls in eine lapidarische Form bringt, diesmal jedoch ohne auch nur eine Silbe verändern zu müssen,85 wie Tesauro bewundernd hinzufügt. Ihr Beginn sei zitiert:86 Hüne exitum habuit Servius Galba: Tribus et septuaginta annis, qvinqve Principes emensus, Alieno imperio felicior, qvam suo. Illi vetus nobilitas, magnae opes, medium ingenium. Magis extra vitia, qvam cum virtutibus. Famae nee incuriosus: nee venditator. Pecuniae alienae non appetens, suae parcus, publicae avarus. Amicorum Libertorumqve, Ubi in bonos incidisset, sine reprehensione patiens: Ubi in malos usqve ad culpam ignarus.87 82
8i
84 8-5
86 87
Ebd., S. 596. Ebd., S. 598: »Nonne vides qvam parva mutatione elogium auscultation! comparatum, lectioni accommodatum sit. Constat enim Tullianam rationem audiru esse svaviorem, hanc lectu jucundiorem, ob freqventiora incisa & concinnitatem arctiorem, qvae periodos qvidem duriores facit, sed etiam acutiores.« Tacitus: Historiarum libri, I, 49. Tesauro: Idea, S. 596: »Longe magis me excitavit illud Taciti in Galba, qvod ne syllaba qvidem mutata per membra & versiculos digessi in hanc formam.« Vgl. Sparrow, S. ii 3 f. Tesauro: Idea, S. 596?. Das Original lautet: »hunc exitum habuit Servius Galba, tribus et septuaginta annis quinque principes prospera fortuna emensus et alieno imperio felicior quam suo. vetus in familia nobilitas, magnae opes; ipsi medium ingenium, magis extra vitia quam cum virtutibus. famae nee incuriosus nee venditator; pecuniae alienae non adpetens, suae parcus, publicae avarus; amicorum libertorumque, ubi in bonos incidisset, sine reprehensione patiens, si mali forent, usque ad culpam ignarus.«
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In einem Vergleich der tullianischen mit der taciteischen Eloge arbeitet Tesauro den Unterschied zwischen Rede- und Inschriftenstil, zwischen Rede und Inschrift heraus,88 wobei er auf Inhalt, Stoff, Verwendung der Redefiguren und Rhythmus abhebt. An Ciceros Eloge bemängelt Tesauro, daß sie nur ein einziges und zudem einfaches Thema zur Sprache bringe, wohingegen die Eloge des Tacitus in jedem Satz ein neues Thema einführe, das zugleich die Möglichkeit zu neuen Argutien eröffne.89 Der Stoff Ciceros sei eher pathetischer, affektvoller Art, der des Tacitus dagegen »politischer« Natur, die den Inschriften etwas Gewichtiges verleihe.90 Hinsichtlich der »figura oppositionis« verwende Cicero immer nur einen überkommenen Gegensatz, während Tacitus seine »oppositiones« mit Lakonismen unterstütze, die auf so weit Entlegenes anspielten, daß ein Wort bisweilen einen ganzen Kommentar erfordere.91 Und endlich sei der Rhythmus in der tullianischen Eloge geschmeidig und abgerundet, der der taciteischen jedoch hart und »zerrissen«.92 Kurz: Ciceros Diktion sei eher geeignet für die vorzutragende Rede, die des Tacitus dagegen für die Scharfsinnige Inschrift: »Unde etsi dictio Ciceronis orationes magis ornet, haec tarnen Taciti inscriptiones potius commendat«.93 Tesauro verdeutlicht diesen Unterschied zwischen der zum Hören bestimmten Rede und der zum Lesen besser
Entgegen seiner Angabe hat Tesauro also durchaus den Text, wenn auch geringfügig, verändern müssen. Die Übersetzung: »Dies war das Ende des Servius Galba, der in seinen 73 Lebensjahren die Regierungszeiten von fünf Fürsten glücklich überstanden hatte und unter fremdem Regiment besser daran war als unter dem eigenen. Seine Familie war von altem Adel, groß sein Reichtum. Seiner Art nach hielt er sich etwa in der Mitte, eher frei von Lastern als im Besitz von Tugenden. Dem Ruhm gegenüber war er nicht gleichgültig, tat aber auch nicht groß damit. Ohne Gier nach fremdem Geld war er mit seinem eigenen sparsam, mit Staatsgeldern geizig; gegenüber Freunden und Freigelassenen war er, soweit er dabei auf treffliche Männer stieß, von einer Nachsicht, die keinen Vorwurf verdiente; gegenüber schlechten Vertretern ihrer Art war er bis zur Sträflichkeit blind.« Original und Übersetzung in: Tacitus: Historien. Lateinisch-deutsch, ed. Joseph Borst unter Mitarbeit v. Helmut Hross u. Helmut Borst. München 1969, S. 68f. 88 Tesauro: Idea, S. 597: »Hoc elogium Tulliano isti conferas & multa occurent, qvae discrimen styli oratorii et lapidarii, orationum et inscriptionum tibi attente consideranti aperient.« 8J ' Ebd.: »Tullii istud est paulö inanius cum unum & simplex thema comprehendat: Hoc Taciti est plenius, cum qvaelibet periodus aliud thema constituat, ex qvo novae sublimesqve argutiae nascuntur.« 90 Ebd.: »Istius materia magis est pathetica, hujus verö politica, qvae inscriptiones reddit minus teneras, sed magis graves.« 91 Ebd.: »Illud fere semper in una oppositionis superficiariae figura ludit, hujus oppositiones laconismo sustinentur, qvo ad historias adeö remotas alluditur, ut qvaelibet vox integrum Commentarium reqvireret.« 92 Ebd.: »Illud deniqve numerum habet molliorem & rotundiorem: hoc duriorem magisqve abruptum.« ' Ebd.
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geeigneten arguten Inschrift zusätzlich an Hand des dritten Buchs der aristotelischen Rhetorik, in dem von der Stilistik einer Rede gehandelt wird. Zwischen den Reden und den Inschriften bestehe nämlich der gleiche Unterschied, qvam [...] autor noster [d. i. Aristoteles] reperit inter Oratorium stylum & historicum, ex qvibus illum vocavit concertativum, hunc exqvisitum. Hinc adeo notabis hodiernos elogiorum & inscriptionum conditores, dum phrasin aemulantur Tullianam, acumen obtundere sententiarum. 94
Tesauro rekurriert hier auf die Forderung des Aristoteles nach einem den jeweiligen Redegattungen angemessenen Stil; demzufolge ist der Stil der schriftlichen Darstellung nicht derselbe wie der, der in den Debatten gebraucht wird, 95 und »besitzt der Stil der schriftlichen Darstellung die höchste Form der artistischen Ausbildung, während der Debattenstil in höchstem Maße die Aktion des Redners unterstützt«, 96 so daß also die Stilistik der arguten Inschriften sich nicht auf die rhetorischen Erfordernisse eines Vortrags, sondern auf die des Lesens einzurichten hat. Denn, so Tesauro, wollte man argute Inschriften vortragen, qvae lectu sunt jucundissimae, aures auditorum raderes & urbanitates viderentur rusticae. 97
Nach der theoretischen Erörterung des Wesens der Scharfsinnigen Inschrift bespricht Tesauro seine Quellen der Argutheit am Beispiel einer Inscriptio.98 Wenn ein Anlaß es erfordere, könne solche Argutheit auch in noch weit größerem Maß verwendet werden: Cum enim themata ita concipiantur, ut vehementer sint admirabilia: permissum qvoqve est excedere limites praecipue in Metaphoris, hyperbolis significantibus, hypotyposibus, oppositis, et alliterationibus. yy 94
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Ebd.: »[...] den unser Autor zwischen rednerischem und historischem Stil erkennt, von welchen er jenen disputativ, diesen aber auserlesen genannt hat. Gerade von daher wirst du erkennen, daß die heutigen Verfasser von Elogen und Inschriften, insofern sie die tullianische Redeweise nachahmen, den Scharfsinn der Sätze abmildern.« Tesauro gibt folgende Marginalie: »Non enim eadem est historica locutio et concertativa Ar.3.Rh.i2.« Vgl. Aristoteles: Rhetorik. Übersetzt, mit einer Bibliographie, Erläuterungen und einem Nachwort von Franz G. Sieveke. München 1993, 3. Buch, 12. Kapitel, S. 199. Ebd. Tesauro: Idea, S. 597: »[...] die höchst angenehm zu lesen sind, verletztest du die Ohren der Zuhörer, und feinere Ausdrucksweisen erschienen ungeschliffen.« Tesauro verweist ebd. auf Aristoteles mit der folgenden Marginalie: »Cum conferuntur Historici qvidem in certaminibus angusti, oratores autem boni cum leguntur agrestes videntur.« Ebd., S. 598-602. Ebd., S. 602: »Denn wo Themata so gebildet werden, daß sie höchst staunenswert sind, ist es auch erlaubt, Grenzen zu überschreiten, besonders hinsichtlich der Metaphern, der Hyperbeln, Veranschaulichungen, Gegensätze und Alliterationen.«
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Bisweilen, so fährt Tesauro in seinem Traktat fort, erfordere ein Gegenstand jedoch ausnahmsweise auch versifizierte Inscriptiones argutae, der dann vorzugsweise in einem Distichon ausgeführt werden solle, das in dieser Hinsicht allen anderen Metren vorzuziehen sei.100 Im Falle, daß ein solches Thema umfassender angelegt sei und etwa zehn bis zwölf Verse benötige, empfiehlt Tesauro die Verwendung von Jamben, qvi qvantum ad metrum (quod antea monui) qvamproxime [...] accedunt ad familiärem sermonem, & inter versum & prosam veluti medii sunt. 101
Auch hier stützt sich Tesauro wieder auf Aristoteles, der in seiner Rhetorik für die Prosarede fordert, daß die »Beschaffenheit des sprachlichen Ausdrucks [...] weder in metrischer Bindung noch im Fehlen des Rhythmus bestehen [dürfe] [...] Daher muß die Prosarede einen Rhythmus haben, jedoch kein Metrum«. 102 Dieser Rhythmus werde am besten durch die Verwendung von Jamben hervorgerufen.103 Wie schon Masen legt also auch Tesauro Wert auf die rhythmische Qualität der Inschriften.104 Und so wie die »ars lapidaria« die Mitte zwischen »ars poetica« und »ars rhetorica« bildet, liegt die Qualität des jambischen Rhythmus zwischen der eines andersartig versifizierten und eines prosaischen Rhythmus. 105 3. Differenz zwischen Masen und Tesauro Die wesentliche Differenz zwischen den dargelegten theoretischen Erörterungen Masens und Tesauros besteht in der rhetorisch-poetologischen Einordnung der Inscriptio arguta. Während Masen die Scharfsinnige Inschrift den »orationes solutae« zuschlägt und sie durch ein spezifisches Nachahmungspostulat der 100
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Ebd., S. 607: »Sed qvoniam argumentum interdum reqviret, ut inscriptio metro illigetur, si thema adeö succinctum sit, ut disticho explicari possit, dubium nullum esr, qvin hoc perspicue arguteqve conceptual prae aliis metris placiturum sit. Versus enim Heroicus cum Lyrico mixtus scriptum reddit populäre & medii generis.« [Aber da ja ein Stoff es bisweilen erfordert, daß eine Inschrift in ein Versmaß gebunden wird, und wenn das Thema so geartet ist, daß es in einem Distichon ausgeführt werden kann, besteht kein Zweifel, daß dieses, wenn es klar und argut formuliert ist, vor allen anderen Metren Beifall finden wird.] Ebd., S. 608 mit Bezug auf Aristoteles 3.Rh.8: »[...] die, sofern sie zu einem Versmaß gehören (wie ich vorher bemerkt habe), möglichst nahe an die Alltagssprache heranrücken und gleichsam die Mitte zwischen Vers und Prosa bilden.« Aristoteles: Rhetorik, S. 183^ Aristoteles: Rhetorik, S. 184. Am Rhythmus ungebundener Inschriften erkenne man, daß derjenige der beste sei, der Jamben verwende; Tesauro: Idea, S. 608: »Qvin mensuram qvoqve & numerum inscriptionum solutarum eum esse optimum senties, qvi plurimum ex jambis trahit.« Vgl. auch ebd., S. 609: »Unde adhaesi metro jambico, sed ea Übertäte, ut narratio & subjecta animadversio poetis videretur oratio prosa & prosae scriptoribus ligata.«
Poesie annähert, konstatiert Tesauro mit größerer Konsequenz eine Mittelstellung der arguten Inschrift zwischen ungebundener Rede und Gedicht, für die weder der Begriff »oratio soluta« noch ein Nachahmungspostulat eine Rolle spielt; hervorzuheben ist insbesondere, daß der Italiener diese Mittelstellung auch für die Intensität der arguten Sentenzen und Redewendungen einfordert: diese solle zwar größer als in einem Prosatext sein, aber doch geringer als in der Poesie.106 Insofern kann er mit guten Gründen von einer (neuen) »ars lapidaria« sprechen, die er zwischen »ars rhetorica« und »ars poetica« situiert. Ein weiterer Unterschied kann bezüglich der Wirkintention der Scharfsinnigen Inschrift festgemacht werden: anders als Masen spricht Tesauro die satirische Funktion der Inschrift nicht an. Die Inscriptio arguta dient ihm zumindest in der Theorie lediglich zu panegyrischen, solennen oder vergnüglichen Zwecken. Masen vermag des weiteren mit seinem Begriff des Ornaments der Geschichte und der Zuordnung des »stylus historicorum argutus« zur arguten Inschrift ihre exempelhafte und biographisch-geschichtlich ausgerichtete Funktion klar herauszuarbeiten, ein Aspekt, der von Tesauro theoretisch gar nicht in den Blick genommen wird. Immerhin lassen seine Beispiele107 entsprechende Tendenzen erkennen. Angesichts dieser Differenzen zwischen Masen und Tesauro muß die Frage nach möglichen Abhängigkeiten und Beeinflussungen neu gestellt werden, denn von der Forschung ist ein Einfluß der Argutia-Lehre Tesauros auf Masen behauptet worden.108 Masen konnte selbstverständlich in seiner Ausgabe von 1649 auf Tesauros 1654 erschienene Ausführungen zur Argutia bzw. Inscriptio arguta noch nicht rekurrieren. Eine Abhängigkeit Masens von Tesauros Theorie ist also schon allein deshalb nicht gegeben.109 Vielmehr sind seine Erörterungen der Argutia und der Scharfsinnigen Inschrift als eigenständige Leistung zu bewerten und anzuerkennen. Daß Masen freilich die Inscriptiones argutae Tesauros kannte, geht nicht nur aus den oben erwähnten Beispielen hervor, sondern auch aus der Vorrede zur »Ars nova argutiarum< sowie der »Palaestra styli Iün
Christian Weise wird später propagieren, daß gerade wegen der freien, ungebundenen und doch in Zeilen gegliederten Form der Inscriptio arguta der Ausdruck scharfsinniger als in Poesie oder Prosa gestaltet werden könne. 107 Vgl. Kap. II.2. '°H So beispielsweise W. Kühlmann: Gelehrtenrepublik, S. 234 (»Bekanntermaßen«, ohne Beleg). Auch Barbara Bauer: Jesuitische »ars rhetorica«, S. 327, behauptet, daß Masen »Anregungen zur Reform der loci-Lehre mittels der fontes [...] von Tesauro [erhalten habe], der am Leitfaden der aristotelischen Kategorien- und Ursachenlehre die inventio von concetti, d.h. arguten Gedankenverbindungen, in ein System brachte«. Bei dieser Feststellung stützt Bauer sich auf Beetz: Rhetorische Logik, S. 217, der Masen dort aber nicht erwähnt, allerdings schreibt, daß Morhof Anregungen von Tesauro erhalten habe. 109 Die späteren Ausgaben der »Ars nova argutiarum< lassen keine wesentlichen Änderungen erkennen.
romaniDe argutis inscriptionibus< das Hauptwerk der scharfsinnigen Epigraphik schrieb.
2. Die Produktion gedruckter und ungedruckter Inscriptiones argutae: von Tesauro (1619) bis zu Christian Weise (1678) Die Traktate Masens und Tesauros von 1649 und 1654 stellen die theoretische Fixierung einer schon vorhandenen epigraphischen Praxis dar, die seit dem Jahr 1619 bezeugt ist und etwa bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts belegt werden kann. Die Produktion von Inscriptiones argutae und ihre Verbreitung in der Form von Inscriptiones-Sammlungen oder als »lapidary books« sind zum Teil bereits von Sparrow und Ridderstad beschrieben worden111 und sollen hier auf deren Grundlage, die freilich um etliche Beispiele ergänzt ist, bis zum Erscheinungsjahr von Weises >De poesi hodiernorum politicorum< (1678) nachgezeichnet werden. Bei diesem kommentierenden und auch bibliographischen Überblick sollen und können nicht alle einschlägigen Werke angeführt und nicht alle berücksichtigten Texte gewürdigt werden."2 Gleichwohl reichen die vorgestellten Beispiele als Basis für grundsätzliche Schlußfolgerungen aus. So gut wie alle besprochenen Autoren sind Katholiken respektive Jesuiten, die die herausragende Bedeutung der Societas Jesu für die Entstehung und Entwick110
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Vgl. Fullenwider: Tesauro in Germany, S. 25, Anm. 6.; ferner Fullenwider: Die Rezeption, S. 234, Anm. 12. Vgl. Sparrow, S. 103 — 132, Ridderstad, passim. Schon wegen der recht desolaten bibliographischen Situation bezüglich der Inscriptio arguta kann Vollständigkeit im folgenden nicht erwartet werden. Nicht alle angeführten Ausgaben konnten eingesehen werden.
lung der Inscriptio arguta belegen. Daß daraus nicht der Schluß gezogen werden darf, die Protestanten hätten keine oder nur wenige derartige Inschriften verfaßt, betont Christian Weise in seinem Buch >De poesi hodiernorum politicorurrx, wenn er feststellt, die Protestanten hätten lediglich versäumt, ihre Inschriften so konsequent in Büchern zu sammeln wie die »Papisten«. 113 Die prominente Stellung der Jesuiten bestreitet auch er freilich nicht." 4 Die Produktion von Scharfsinnigen Inschriften aus Anlaß eines höfischen Ereignisses oder ihre Verwendung bei einem höfischen Fest zum Zweck der Panegyrik und Prachtentfaltung, die Emanuele Tesauro 1654 im >Cannocchiale Aristoteliox unter Verweis auf eigene Texte anspricht, praktizierte er schon 35 Jahre zuvor. So wie der Hof als soziologischer Ursprung der Inscriptio arguta angesehen werden kann, so kann Emanuele Tesauro als der bedeutendste Initiator und Inventor einer auf Hof und höfisches Fest ausgerichteten arguten Epigraphik gelten. Tesauro wurde im Jahr 1592 in Turin als Sohn eines dort ansässigen Grafengeschlechtes geboren."5 1611 wurde er in das Noviziat des Jesuitenordens aufgenommen und entschloß sich kurz darauf, ganz in den Orden einzutreten. Neben rhetorischen und philosophischen Studien absolvierte er ein Studium der Theologie, das er 1624 abschloß. Tesauro trat vor allem als panegyrischer Redner" 6 und scharfsinniger Inscriptor hervor, der enge Beziehungen zum savoyischen Fürstenhaus unterhielt. Im Jahr 1634 trat Tesauro unter bislang ungeklärten Umständen aus dem Jesuitenorden aus"7 und folgte noch im gleichen Jahr dem Fürsten Tomaso außer Landes. Dessen Feldzüge in Flandern und Piemont gaben Tesauro Gelegenheit für historiographische Arbeiten, die zunächst in Auszügen, im Gesamt erst 1674 erschienen. 1654 veröffentlichte Tesauro sein bis heute berühmtestes Werk, das >Cannocchiale AristotelicoFilosofia Morales eine zusammenfassende Untersuchung der aristotelischen Ethik. 1674 wird sein Buch über die Briefkunst herausgegeben." 8 Daneben war er als Erzieher tätig, er unterrichtete die Söhne des Fürsten Tomaso sowie den späteren König von Sardinien, Vittorio Amedeo II. Als sakraler und profaner Redner erwarb er sich ebenso Ruhm wie als arguter "-' DAI, S. 3oyf.: »Etsi e praecedentibus constat, inter nostrates non deesse, qui per hoc scribendi genus inclarescere potuissent, si parergon [im Original griech.] hoc voluissent integris voluminibus excolere, quod fecerunt Pontificii [...]« "4 Zur Entwicklungsgeschichte der Scharfsinnigen Inschriften und Elogen gehören auch Flugschriften im Stilus lapidarius, sie werden in Kap. II.5 untersucht. "' Die biographischen Daten sind Klaus Peter Lange: Theoretiker, S. 158- 168, entnommen. 6 " Die Reden Tesauros in: Panegirici sacri. Turin 1659-60. 117 Vgl. dazu Klaus-Peter Lange: Theoretiker, S. löaf., und Ermanno Dervieux: Emanuele Tesauro 1592—1675. Cenni biografici e bibliografici raccolti. In: Miscellanea di Storia Italiana XXII (1933), S. 651—673. 118 Dell'Arte delle Lettere Missive. Venedig 1674.
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Epigraphiker. Emanuele Tesauro starb im Jahr 1675. Die meisten der arguten Inschriften Tesauros sind in einem Band mit dem schlichten Titel Jnscriptiones< 119 zusammengefaßt und mit Erläuterungen versehen worden. Sie werden im folgenden für die Erhellung der Kontexte der jeweiligen epigraphischen Produktionen Tesauros herangezogen. Tesauros Karriere als höfischer Epigraphiker begann schon im Jahr 1619, als er Inscriptiones argutae aus Begeisterung über die Wahl Ferdinands II. zum Kaiser konzipierte. Seit dem Erscheinen dieser Inschriften galt Tesauro als der unbestrittene Meister in diesem Fach. So nennt ihn etwa Ottavio Boldoni »Magister consummatissimus«, 120 und Tesauros Herausgeber seiner gesammelten Inschriften, Emanuel Philibertus Panealbus, bezeichnet ihn als jemanden, dessen bewundernswerte Inschriftenkunst »innumerabilem imitatorum numerum suscitavit«. 121 Den Erläuterungen der >InscriptionesEmanuel Philibertus Panealbus studioso lectoriDe argutis inscriptionibusCaesares< wahrscheinlich zum ersten Mal im Jahr 1635 veröffentlicht und erlebten mehrere Auflagen. 124 Wenn der Kommentator der >InscriptionesCaesares< nicht sonderlich geschätzt und als Jugendwerk abgetan, I2i dann wird man das wohl eher als Bescheidenheits-Topos verstehen müssen, Tesauro war sich nämlich der Besonderheit seines epigraphischen Erstlings durchaus bewußt, und wenn man seinen eigenen Angaben trauen darf, dann müssen die >Caesares< als die ersten Inscriptiones argutae überhaupt gelten! Im >Cannocchiale Aristotelico< jedenfalls berichtet er, daß ihn die Betrachtung der schon erwähnten scharfsinnigen Eloge von Cicero auf die Idee gebracht habe, dessen Scharfsinn noch deutlicher zu formulieren und herauszuarbeiten; das Ergebnis seien die >Caesares< und ihre spezifische Form gewesen: Hae considerationes mihi juveni ansam dederunt novum illud genus elogiorum Caesareorum excogitandi, qvod lapidariae magis, qvam oratoriae accommodatum est. 126
Und auch der Kommentator der >InscriptionesCaesares< omnia [...] ingenia ad novum quoddam, & vivacissimum scribendi genus vellicando expergefecit.' 27
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Dervieux: Emanuele Tesauro, verzeichnet eine Ausgabe Lyon 1635, von der mit relativ großer Wahrscheinlichkeit angenommen werden kann, daß sie die Erstausgabe darstellt. Ebenso Ridderstad, S. 76. Sommervogel und Luigi Vigliani: Emanuele Tesauro e la sua opera storiografica. In: Fonti e studi di storia fossanese. Torino 1936 (Regia Deputazione Subalpina di Storia Patria CLXIII), S. 205 — 277, können keine diesbezüglichen Angaben entnommen werden. Sparrow, S. 114, Anm. 2, merkt an: »the earliest known edition of the >Caesares< appeared under Tesauro's name at Lyons in 1635.« Kajanto, S. 153, Anm. 58, gibt 1619 als erstes Erscheinungsdatum; diese Angabe beruht jedoch sicherlich auf einem Irrtum. [Erst kurz vor der Drucklegung ist mir e. Ausg. von 1623 bekannt geworden! Vgl. Lit.-Verz.] Die zweite Ausgabe erschien 1637: Emanuele Tesauro: Caesares; Et ejusdem varia carmina: Quibus accesserunt Nobilissimorum Orientis & Occidentis Pontificum elogia, & varia opera Poetica. Editio secunda emendatior, cum auctariolo. Oxford 1637. Vgl. Sparrow, S. 114, Anm. 2, und Ridderstad, S. 76. Eine weitere Ausgabe erschien (lt. Dervieux) Eporhediae 1646. Die >Caesares< sind zudem enthalten in: Elogia omnia, in quibus habentur Patriarchae, Caesares, et Patres, una cum carminibus, nunc primum in unum collecta volumen. Venedig 1654, sowie in ders.: Patriarchae [...] Accessere Caesarum Elogia. London 1657. Inscriptiones, S. 71. Tesauro: Idea argutae, S. 596: »Diese Erwägungen gaben mir in meiner Jugendzeit Anlaß, jene neue Art der >CaesarCaesaresInscriptionesCaesares< in der Inscriptiones-Sammlung als »Literarii apparatus« für eine derartige Verwendung. Freilich ist es ebenso denkbar, daß die >Caesares< unmittelbar für eine Buchpublikation verfertigt wurden, die sich dann hinauszögerte. Kann man hier also zu keinem eindeutigen Ergebnis gelangen, so sieht die Sachlage bei einem weiteren, sehr erfolgreichen Werk Tesauros besser aus, gemeint sind die >Patriarchae seu Christi Servatoris genealogiaPatriarchaeInscriptionesPatriarchae< in der >Ars nova argutiarumElogia omnia< (s. weiter oben). Zusammen mit Elogen Giuglaris' (vgl. weiter unten die Angaben zu Giuglaris) sind die >Patriarchae< ferner enthalten in: (lt. Sommervogel) Elogia Patriarcharum et Christi Jesu dei-hominis E. Thesauri et A. Juglaris. Mainz 1665, (lt. Sommervogel) Mainz 1669, (lt. BVB) Frankfurt 1684, Köln 1711. Sparrow, S. 122, verzeichnet »a translation into hexameters«, die 1651 in Antwerpen erschienen sei. Vgl. auch Ridderstad, S. 77f. 132 Sparrow, S. 122. 56
Werk mit dem Titel >De Regnorum Exordiis< begonnen und Tesauro gebeten, eine Reihe von im Stilus lapidarius gehaltenen Elogen auf die christlichen Erzväter und Päpste beizusteuern, um sein »ingens volumen« ein wenig aufzulokkern. Da der Herzog aber 1630 starb und das historische Werk nicht vollendet werden konnte, unterbrach Tesauro seine Arbeit an den scharfsinnigen Elogen. Auf Veranlassung des Nachfolgers des Herzogs nahm Tesauro die Arbeit wieder auf, vollendete aber im Jahr i643' 33 nur die Elogen auf die Erzväter.'34 In der Inscriptiones-Sammlung werden die >Patriarchae< unter der Kapitelüberschrift >Inscriptiones Historicae< rubriziert. John Sparrow hat die Neuartigkeit und Bedeutung dieses Buches richtig erkannt, wenn er feststellt, daß »the Inscriptiones Historicae were never intended to appear anywhere except upon the pages of a printed book.«135 Tatsächlich gehören die >Patriarchae< zu den inschriftlich formatierten Texten, die nicht mehr nur mit der Absicht der Integration in ein höfisches Fest verfaßt wurden, sondern unmittelbar für eine Buchpublikation gedacht waren. Die ersten derartigen »papierenen« Inscriptiones, um einen Begriff aus der deutschsprachigen Inscriptio-Theorie um 1700 zu verwenden,' 36 stellen die >Patriarchae< jedoch nicht dar. Man wird weiter unten sehen, daß allein für den Buchdruck konzipierte Scharfsinnige Inschriften und Elogen in einzelner und serieller Form schon weitaus früher veröffentlicht wurden. Die >CaesaresPatriarchae< sowie verschiedene >Elogia patrum< wurden im Jahr 1654 in einem unautorisierten Band zusammen mit einigen Gedichten
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Die Jahreszahl ist der letzten Eloge zu entnehmen, Inscriptiones, S. 430, vgl. auch Sparrow, S. 121, und Ridderstad, S. 77: »Hie festivo celeusmace Stationen! occupans, Foliorum carbasa complico: Et pro anchora, emeritum calamum figo,
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Patriarchae, 1645: »MAGNVM illud Ingenium Magni Caroli Patris tui, qui nihil excogitauit, gessit, genuit; nisi Magnum: cum in ingenti illo volumine quod de Regnorum exordijs conscribebat, Regiam Christi Seruatoris Genealogiam necteret; Patriarcharum Stemma breuibus me lemmatis perstringere iussit, quae suo volumini adspergeret. Hüne ego laborem, quem tanti Mecoenatis obitu, et auersa tempestate conflictatus, aruperam [...]« Inscriptiones, S. 271: »CUM Magnus Carolus Emmanuel Sabaudiae Dux, non Ingenio minor quäm animo; ingens Volumen de REGNORUM EXORDIIS, ä Protoparente Adamo, ad sua usque Tempora moliretur: ut Regiam Christi Servatoris Genealogiam; ac deinde Pontificum Maximorum seriem, sequeretur: singulorum Patriarcharum, atque Pontificum Elogia, Authoris nostri Lapidario stylo lucubrata, ut Historiae compendiola, & respiramenta interserebat. Itaque, Patriarchas, cum illustribus Viris suorum temporum, quos ex authographo emendatissimos habui, repono: Pontifices expecto.« Weitere Angaben bei Sparrow, S. H9ff. Sparrow, S. 119. Vgl. Kap. III. Auch Sparrow verwendet den Begriff »paper inscription«, vgl. Sparrow, S. 123.
Anno Tuo M DC XLIII.«
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Tesauros herausgegeben.137 1666, neun Jahre vor seinem Tod, erscheint dann eine von Emanuel Philibertus Panealbus, einem Freund Tesauros und Professor für römisches Recht an der Universtät Turin, besorgte Sammlung eines Großteils der Inschriften Tesauros, die mindestens bis zum Jahr 1767 immer wieder aufgelegt wurde.' 38 In seinem Vorwort, das ein einziges Lob Tesauros und seiner Inschriften bildet, schreibt Panealbus, Tesauro habe in seinen Elogen zwei für die (argute) Inschriftenkunst wesentliche, durchaus verwandte, aber auch äußerst schwierige Aspekte verbunden, nämlich argute Spielereien (deliciae argutiarum) mit einer thematischen Ernsthaftigkeit. Dadurch sei die einst schmucklose, ja rohe »ars lapidaria« mit einem neuen und lebhaften Geist erfüllt worden.139 Auch über die Vorgehensweise bei seiner Herausgebertätigkeit gibt Panealbus Auskunft. Indem er sich auf die ephemeren Inschriften Tesauros bezieht, schreibt er, er habe die herausragende epigraphische Leistung vor der Vergänglichkeit retten wollen, der Autor habe ihm zu diesem Zweck seine Handschriften überlassen, die er dann kritisch gesichtet und in verschiedene Bereiche aufgeteilt habe. Unverständliche Stellen und Sentenzen seien durch Kommentare erläutert worden. Überdies hoffe er, daß über kurz oder lang auch die »stemma pontificum« von Tesauro beendet würden, so daß er sie in einer späteren Ausgabe aufnehmen könne.140 Panealbus hat die Scharfsinnigen Inschriften Tesauros in folgende Rubriken eingeteilt: I. II. III. IV.
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Funebres Apparatus Natalitiae Pompae Sacrae Celebritates Literarii Apparatus, id est Caesares
Elogia omnia, in quibus habentur Patriarchae, Caesares, & Patres, una cum carminibus, nunc primum in unum collecta volumen. Venedig 1654. Daß dieser Band nicht von Tesauro autorisiert war, behauptet Sparrow, S. 118 u. 122. Die bibliographische Situation hinsichtlich der >Inscriptiones< ist besonders unübersichtlich. Bei Sommervogel ist nicht einmal eine einzige Ausgabe verzeichnet. Im folgenden lasse ich die Unklarheiten der Angaben auf sich beruhen: (It. Dervieux) Inscriptiones ... editio secunda. Turin 1666 (»editio secunda« wohl deshalb, weil die >Elogia omnia< als Erstausgabe gezählt werden); Inscriptiones . . . editio tertia. Rom 1667; (lt. Dervieux) Inscriptiones ... editio quinta. Turin 1670; Inscriptiones ... editio tertia, luculentior multo. Coloniae Brandenburgicae 1671; Inscriptiones . . . editio quarta. Bononiae 1674; Inscriptiones ... editio quarta. Venedig 1679; Inscriptiones ... editio quarta. Frankfurt u. Leipzig 1688; Inscriptiones. Frankfurt u.a. 1715; (lt. Kajanto, S. 153) Inscriptiones. Rom 1767. Inscriptiones: Emanuel Philibertus Panealbus, studioso lectori, unpag. (S. 2): »[...] suis in Elogiis duas res Lapidariae maxime proprias, maximeque difficiles, Argutiarum delicias, cum Argumentorum tetricitate, conciliavit; totamque Lapidariam, olim planipedem, horridam, et emortuam, vegeto quodam spiritu implevit; cujus admiratio innumerabilem Imitatorum numerum suscitavit.« Ebd., unpag. (S. 3).
V. VI. VII. VIII. IX. X. XI.
Publicae Principum Receptiones Regiarum Aedium Ornamenta Thesium Publicarum Parerga Illustrium Virorum Elogia Rerum, Locorumque Inscriptiones, et Monimenta Inscriptiones Historicae, id est, Patriarcharum Genealogia Inscriptiones adstrictae numeris
Neben ephemeren Inschriften für Beerdigungen, Geburten, religöse Feierlichkeiten, Einzüge und als Beiwerke öffentlich vorgetragener Thesen sind hier auch Inschriften versammelt, die auf Dauer angelegt und etwa an Palästen, Kirchen, Statuen und Denkmälern angebracht waten.' 41 Eigene Bereiche bilden die >Caesares< als »Literarii apparatus« und die >Patriarchae< als »Inscriptiones Historicae«. Die Elogen »bedeutender Männer« sind für die verschiedensten Anlässe verfaßt worden. Sie beziehen sich zum Teil auf verstorbene Persönlichkeiten, waren bisweilen an Mausoleen angebracht oder fanden in entsprechenden Leichenbegängnissen Verwendung. Darüber hinaus finden sich aber auch argute Elogen, die bestimmte geschichtliche Ereignisse mit einer Person verbinden. So etwa eine Inscriptio arguta auf Jules Mazarin mit dem Titel >Mercurius sive Julii Mazzarini pro Italica pace negociaInscriptiones< sich ausschweigt. Schließlich sind hier auch einige Elogia pontificum eingeordnet. 143 Die »Inscriptiones adstrictae numeris«, die auf Grund ihrer metrischen Eigenschaften eine eigene Gruppe konstituieren, sind zwar im strengen Sinn keine Inscriptiones argutae, doch hatte Tesauro schon im >Cannocchiale Aristotelico< gebundene Inscriptiones argutae als Ausnahmen gelten lassen.'44 Diese >Inscriptiones< Tesauros stellen mit Abstand die bekannteste Sammlung von Inscriptiones argutae des 17. Jahrhunderts dar, und mit ihr erlangte Tesauro europäische Berühmtheit als arguter Inscriptor und galt fortan als Meister der scharfsinnigen Epigraphik.' 45 Morhof sagt über ihn: »Inter inscriptionum scriptores optimus sine dubio est Emanuel Thesaurus«.' 46 Diese Reputation, die noch einmal im Kapitel über die Scharfsinnige Inschrift in der 141
Vgl. Ridderstad, S. 78-80. Ferner Leonore Berghoff: Emanuele Tesauro und seine Concetti. Unter besonderer Berücksichtigung von Schloß Nymphenburg. Diss. München 1979. Weise zitiert ein Beispiel aus den >InscriptionesElogiographia< von Harsdörffer als Gewährsmann für eine Theorie der Eloge herangezogen. In dem oben angeführten Band finden sich keine einschlägigen Ausführungen, auch sonst konnte kein derartiges Buch nachgewiesen werden. Vgl. Kap. III.i, sowie Ridderstad, S. 8if. Auch Pona veröffentlichte übrigens ein Bändchen unter dem Titel >CaesaresChristus Jesus hoc est dei hominis elogiaelogia dei-hominis< sowie der großen Wertschätzung hervor, die ihm etwa Masen und Weise105 entgegenbringen, sondern auch aus seiner kleinen rhetorischen Schrift >Ariadne rhetorumInscriptionesEncomia illustrium virorum ac feminarum< 1 7 3 und 1643 seine >Encomia coelitum< veröffentlichte. 174 Die >Encomia coelitum< etwa, gleichbedeutend mit >Elogia coelitumH
Vor allem Tesauros >Inscnp:ionesArs nova< Masens. Vgl. DAI, S. 315 — 318. Wie den Vorreden der späteren Ausgaben zu entnehmen ist, waren die >Encomia coelitum< Masculos nur schwer zu erhalten. Sparrow, S. I26f.
risch-politischen Geschichte Polens verband. Der Titel seiner Schrift lautet >Lechias, ducum, principum, ac regum Poloniae, ab usq; lecho deductorum, elogia historico-politica et panegyres lyricaeCorona duodecim Caesarunrx heraus,'84 in dem 178
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Nach D. G. Morhof: De arguta dictione, S. 182, erschien der Text in Krakau 1655; ebenso nach Friedrich Andreas Hallbauer: Einleitung in Die nützlichen Übungen des Lateinischen stili. Jena 1730, S. 606; nach Heineccius: Still cultioris fundamenta. Halle a.d. Saale 1720, S. 318, in Krakau 1654. Ich beziehe mich auf die Ausgabe Frankfurt/O. 1680. Daniel Georg Morhof: De arguta dictione tractatus, S. 181: »Albertus ab Ines, ein Pole, hat Leben und Taten der polnischen Könige mit derartigen Elogen dargestellt, die gewiß genügend argut, aber — mehr, als genug ist — weitschweifig sind, wie es sein mu(3, wenn vollständige Historien in dieser Art geschrieben werden.« Vgl. dazu v.a. Kap. II.5. Leo Matina: Ducalis regum lararium sive Ser.me reipub. Veneta principum omnium icones ad serenissimum loannem Pisaurum qui nunc rerum feliciter potitur elogia. Venedig 1659. DAI, S. 321, nennt eine Ausgabe von 1665. Vgl. Ridderstad, S. 85. Ridderstad führt einen weiteren Band mit Elogen Matinas an: >Vngvis ElogiorumCorona< Friedrich IV., der 1653 in Augsburg zum Römischen König gewählt wurde, 1654 aber, nach der Veröffentlichung, verstarb und von Balbinus mit einer Trauer-Eloge bedacht wurde.186 1658 beauftragte die gleiche Universität den Jesuitendichter Nicolaus Avancini, l8? panegyrische Elogen zu schreiben; diese Elogen, jede über zweihundert Zeilen lang, beziehen sich auf die deutschen Kaiser und Könige von Karl dem Großen bis zu Leopold I.'88 In ähnlicher Weise huldigte der paduanische Professor Giuseppe M. Maraviglia den bayerischen Herrschern, indem er den noch lebenden Mitgliedern des Königshauses Zukünftiges prophezeiende Elogen im arguten Stilus lapidarius entwarf.l89 Der ungarische Graf Ferenc de Nadasdy, der 1671 wegen einer Verschwörung gegen den Absolutismus Leopolds I. auf dem Hof des Wiener Rathauses enthauptet wurde, ließ im Jahr 1664 neunundfünfzig Elogen auf die ungarischen Könige und Feldherren drucken, und zwar sowohl in lateinischer als auch in deutscher Version, die der Nürnberger Sigmund von Birken besorgte.190 Die Inscriptiones argutae, die Tesauro als »elogia patriarcharum« und »elogia pontificum« geplant hatte und aus denen dann die >Patriarchae< von 1645 entstanden waren, sollten ursprünglich einem historischen Werk zum Zweck der Auflockerung integriert werden. In diesem Sinn sind auch die scharfsinnigen Elogen Giovanni Palazzis zu verstehen. Palazzi gab von 1671 bis 1679 unter dem Titel >Monarchia occidentalis< mindestens sieben historische Werke über Leben und Taten der verschiedensten Fürsten, Könige und Kaiser des Abendlandes heraus und reicherte die voluminösen Bände mit Porträts, emblematischen Kupferstichen, Numismatika, Insignien, Epigrammen und eben scharfsinnigen Elogen an, die sich auf die jeweiligen Herrscher beziehen. 19 ' IH5 Iff6 187
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Vgl. Sparrow, S. 127. Vgl. Kap. 11.3, S. 80. Zu Avancini vgl. Jean Marie Valentin: Die Jesuitendichter Bidermann und Avancini. In: Deutsche Dichter des 17. Jahrhunderts. Ihr Leben und Werk. Hrsg. von Harald Steinhagen und Benno von Wiese. Berlin 1984, S. 385-414. Nicolaus Avancini: Imperium Romano-Germanicum, sive Quinquaginta imperarorum ac Germaniae regum elogia: augustissimo Romanorum imperatori Leopolde, Ab antiquissima ac Celeberrima universitate Viennensi oblata. Wien 1663. Valentin nennt eine Ausgabe von 1658. Vgl. Sparrow, S. 128. Den Elogen sind Oden beigegeben. Beispiele bei Weise: DAI, S. $4jff., der Inscriptiones argutae aus den >Orationes< Avancinis zitiert. Giuseppe M. Maraviglia: Vacicinia gloriae Bavaricae. Venedig 1663. Vgl. Sparrow, S. 128. Ferenc de Nadasdy: Mausoleum potentissimorum ac gloriossimorum regni apostolici regum et primorum militantis Ungariae ducum. Nürnberg 1664. Mit Kupferstichen. Vgl. Kap. III.3. Giovanni Palazzi: Monarchia occidentalis. Venedig 1671-1679. Im einzelnen sind das: Aquila inter lilia. Venedig 1671; Aquila Saxonica. Venedig 1673; Aquila sancta
Aber auch die geistliche Variante wurde weiter ausgebildet. 1669 schrieb Jacobus Ciampalantes >Sacrum triregnum, seu Singulorum summorum pontificum praeclariora gesta elogijs, poesique descriptaTheatrum funebreElogia sacra< 195 die verschiedensten Elogen und Inscriptiones versammelt. Labbe pflegte einen ganz bestimmten epigraphischen Zeilenstil, der wie schon bei Masen den Satz auf Mittelachse vermied.' 96 Die Inscriptiones argutae eroberten sich im Laufe der Zeit auch volkssprachliches Terrain. Hatte Francesco Pona schon damit begonnen, Elogen in italienischer Sprache zu verfassen (1629), so drang nun, wenn auch mehr oder weniger spärlich, die Inscriptio-Mode in die Nationalsprachen Englands (1639), I97 sive Bavarica. Venedig 1674; Aquila Franca. Venedig 1679; Aquila Sueva. Venedig 1679; Aquila vaga. Venedig 1679; Aquila Austriacae. Venedig 1679. Beispiele bei Weise: DAI, S. 329-333. 192 Venedig 1669. 19 ·* Otto Aicher: Theatrum funebre, exhibens per varias scenas epitaphia nova, antiqua, seria, jocosa, aevo, ordine, dignitate, genere, sexu, fortunä, ingenio, adeo & stylo perquam varia, cum summorum pontificum, imperatorum, et regum Galliae, succincta chronologia, eorumque symbolis ac epitaphiis. Salzburg 1673. Vgl. Ridderstad, S. 57. Drei Jahre später gab Aicher diese Inschriften-Sammlung heraus: Hortus variarum inscriptionum veterum et novarum videlicet urbium, templorum, sacellorum, altanum, reliquiarum, caemeteriorum, organorum etc. Salzburg 1676. Vgl. Ridderstad, S. 213. 194 Vgl. Kap. , S. 2if. "J5 Petrus Labbe: Elogia sacra, theologica, et philosophica, regia, eminentia, illustria, historica, poetica, miscellanea. Grenoble 1664. Weitere Ausgabe Venedig 1674. 196 Vgl. Kap. 11.3, S. 76ff. 197 Sparrow, S. 131, weist auf eine Eloge von Francis Quarles hin; vgl. Francis Quarles: Memorials upon the Death of Sir Robert Quarles. London 1639. Vgl. dazu die Anmerkungen bei Harold Jantz: Baroque Free Verse, S. 262ff., der weitere Beispiele nennt. 67
Deutschlands (1656),I98 Frankreichs1" und Schwedens ein.200 In all diesen Ländern wurden natürlich gleichzeitig lateinische Inscriptiones rezipiert und produziert. Neben dieser arguten Epigraphik entwickelte sich jedoch auch eine Inschriftenkunst, die der Argutia kritisch, ja mitunter ablehnend gegenüberstand. Zu diesen Kritikern der Argutia und der Inscriptio arguta ist Ottavio Boldoni zu zählen, der 1660 den dickleibigen Band >Epigraphica sive Elogia inscriptionesque quodvis genus pangendi ratio< vorlegte.201 Hier ist es zunächst nur wichtig festzuhalten, daß im 17. Jahrhundert Elogen und Inschriften auch in kritischer Distanz zur Argutia-Bewegung produziert wurden. Die oben chronologisch dargestellten Veröffentlichungen können in thematischer, funktionaler und publikationsbezogener Hinsicht wie folgt zusammengefaßt werden: Zunächst sind gedruckte Inschriften und Elogen in serieller Form zu nennen, die eine Reihe von Texten bilden, welche sich hauptsächlich entweder auf eine einzelne Person oder auf eine zusammenhängende Gruppe gleichartiger Personen beziehen. Leben, Taten und Verdienste bestimmter Persönlichkeiten stehen hier im Vordergrund, die seriell unter verschiedenen Aspekten dargestellt werden. Diese Aspekte können genealogische, dynastische, historisch-politische, patristische, hagiographische und biographische Bezüge haben, wobei eine genaue Trennung nicht immer möglich ist. Mitunter werden jedoch auch rein geschichtliche Ereignisse dargestellt, ohne auf bestimmte Persönlichkeiten abzuheben. Die Wirkabsichten dieser seriellen Inscriptiones argutae und Elogen manifestieren sich zuförderst in sakraler und profaner Panegyrik sowie in konfessionspolitischer Satire (Masen) oder in einer Satire, die allgemeines Fehlverhalten thematisiert. So bestehen etwa die >Patriarchae< Tesauros aus sakral panegyrischen und satirischen gedruckten Inscriptiones argutae, die genealogisch und zum Teil biographisch ausgerichtet sind. Die Inscriptiones argutae auf Luther von Jakob Masen hingegen gehören ausschließlich zur konfessionspolitischen Satire und sind biographisch konzipiert. Managettas >Corona duodecim Caesarum< wiederum präsentiert profan panegyrische Elogen mit dynastischem Bezug (Habsburger), während Giuglaris mit seinen >Elogia Patrum utriusque Ecclesiae< sakral panegyrische Elogen auf die Kirchenväter darbietet. Ines hingegen verbindet profane Panegyrik mit der DarIyti 199
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Vgl. Kap. III.i. In den >Elogia sacra< von Petrus Labbe finden sich französische Elogen. Zur Inschriftenkunst in Frankreich vgl. Ridderstad, S. 142—160. Vgl. Ridderstad, S. 163-366, v.a. 287ff. Ottavio Boldoni: Epigraphica sive elogia inscriptionesque quodvis genus pangendi ratio ubi de inscribendis tabulis, symbolis, clypeis, trophaeis, donarijs, obeliscis, aris, tumulis, musaeis, hortis, villis, fontibus, et si qua sunt alia huismodi monumenta, facili methodo dissertatur. Perugia 1660. Vom gleichen Autor der Festbericht: Theatrum temporaneum. Mailand 1636; er enthält Embleme, Epigramme, Elogen, »symbola« etc. Vgl. ferner ders.: Epigraphiae religiosae, memoriales, mortuales, encomiasticae. Rom 1670, eine Sammlung der Elogen Boldonis.
Stellung historisch-politischer Ereignisse. Daneben gibt es schließlich noch die Möglichkeit, Inscriptiones argutae und Elogen historiographischen Texten einzuverleiben. So integriert Palazzi profan panegyrische Elogen seinen Werken über Leben und Taten der abendländischen Herrscher, und Masculo verteilt in seinen >Encomia coelitum< hagiographisch ausgerichtete Elogen. Weltliche und geistliche personenbezogene Panegyrik und Satire sowie in der Regel anlaßbezogene Darstellung historisch-politischer Ereignisse in den verschiedensten Ausprägungen, das sind die wesentlichen Themenbereiche und Funktionen der gedruckten Inscriptiones argutae und scharfsinnigen Elogen in serieller Form. Etwas anders hingegen steht es um die Scharfsinnigen Inschriften und Elogen, die einzeln veröffentlicht wurden. Eine stringente Systematisierung vor allem der Publikationsformen ist hier allerdings nur schwer vorzunehmen, weil sich offenbar nicht viele von diesen nichtseriellen, einzeln gedruckten Inscriptiones erhalten haben. Zieht man aber die Beispiele heran, die Weise in >De poesi hodiernorum politicorum< versammelt hat, so lassen sich doch zumindest folgende Möglichkeiten und Formen zusammenstellen. Zunächst sind einzelne Inscriptiones argutae, einer Bestimmung Weises gemäß, grundsätzlich panegyrisch oder satirisch und in profaner oder sakraler Absicht angelegt, wobei die sakrale Satire sich nur konfessionspolitisch realisiert. Zudem sind insbesondere die panegyrischen Inscriptiones anlaßgebundene Literatur, indem sie sich auf Geburtstage, Hochzeiten, Beerdigungen, Leichenbegängnisse, Gratulationen verschiedenster Provenienz, Ehrenjubiläen u.a. beziehen. In welcher Form solche Texte verwendet wurden, bleibt jedoch auch bei Weise unklar. Man wird allerdings davon ausgehen dürfen, daß sie bei entsprechender Gelegenheit auf einigen wenigen Blättern überreicht," 202 ja, mitunter sogar vorgelesen wurden.203 Daneben konnten Inscriptiones argutae auch als Programmata, also auf Schule und Universität bezogene Einladungen, oder als Buchdedikationen Verwendung finden oder in Orationes integriert werden. Endlich wurden einzelne lapidare Elogen auch als selbständige Drucke veröffentlicht, wie die oben erwähnte Eloge Ponas beweist. Die satirischen Inscriptiones schließlich fanden 202
Dies mag auch aus folgendem Zitat hervorgehen: »So wird auch bey den äusserlichen Stücken der Inscriptionen keine allgemeine Weise beobachtet. Einige versehen sie mit Titeln, wie die Carmina [...] andere fangen ohne Titel gleich mit der Inscription an, und füllen damit alle vier Seiten des Bogens an; oder präsentieren die gantze Inscription auf den zwey innern Seiten des Bogens, und lassen die zwey äussern leer. Und dieses zu dem Ende, damit der Leser die gantze Inscription auf einmal vor Augen habe.« Das Zitat stammt von Friedrich Andreas Hallbauer: Sammlung Teutscher auserlesener sinnreicher Inscriptionen. Jena 1725, Vorrede § 52. Vgl. zu Hallbauer Kap. III.5!0 i • - So druckt etwa Weise eine scharfsinnige Eloge auf den sächsischen Kurfürsten Johann Georg ab, indem er erläutert: »[...] quod a me nuper dictum est [...]«; vgl. DAI, S. 6. 69
v. a. als Flugschriften204 Verbreitung oder wurden in Briefen oder anderen Texten zitiert. Sie können im großen und ganzen nicht zur Anlaßdichtung gezählt werden, insofern etwa eine satirische Inscriptio arguta auf die Jansenisten nicht auf eine bestimmte gesellschaftliche Gelegenheit wie Geburtstag, Hochzeit u.a. bezogen war. Was die Themen der einzeln gedruckten Inscriptiones argutae betrifft, so scheint hier die Forderung nach der Behandlung aller möglichen Dinge erfüllt zu werden. Sie leiten sich zuerst unmittelbar ab aus den jeweiligen Anlässen und sind dann vor allem personenbezogen, können darüber hinaus aber auch etwa eine Bibliothek loben, als satirisches Epitaphium auf einen Hund oder eine Katze bezogen werden oder aber die Anhänger der Praeadamiten-Lehre oder die Jansenisten verspotten. Die (ursprünglich) ungedruckten Inscriptiones für höfische und andere Anlässe sind ebenfalls nur schwer zu systematisieren, hier gibt es grundsätzlich so viele Arten, Themen und Funktionen, wie es Anlässe gibt, die nur durch detaillierte Einzelanalysen beschreibbar wären.
3. Die Theorie der Inscriptio arguta seit Tesauros >Cannocchiale Aristotelico< (1654) bis zu Christian Weise (1678) Die nun vorzustellenden Autoren und ihre Inscriptio-Theorien belegen die Reflexion der Inscriptio arguta bzw. der scharfsinnigen Eloge für den Zeitraum zwischen 1654 und 1678. Um die Mannigfaltigkeit und Verschiedenheit der Meinungen, die sich nur schwer systematisieren und auf einen Nenner bringen lassen, herauszuarbeiten und nachzuweisen, werden jedem Autor zum Teil recht detaillierte Abschnitte gewidmet. II est vray que tout le monde ne s'accommode pas de ces pointes et de cette prose coupee, qui est plus du goust des Italiens que du nostre. 205
Diese Standortbestimmung der Inscriptio arguta und ihrer Stilistik durch den französischen Jesuiten C. F. Menestrier aus dem Jahr 1683 bestätigt nicht nur die herausragende Rolle der Italiener hinsichtlich der Inscriptiones argutae, sie verdeutlicht darüber hinaus die ambivalente Einschätzung der scharfsinnigen »prose coupee« durch die Gelehrtenrepublik im Europa des 17. Jahrhunderts. Dementsprechend empfiehlt Menestrier den Interessierten die Lektüre solch gegensätzlicher Autoren wie Emanuele Tesauro und Ottavio Boldoni, die beide zwar auf Inschriften bezogene theoretische Anleitungen verfaßt haben, jedoch hinsichtlich der Beurteilung der Argutia sich wesentlich unterscheiden. 2
°4 Vgl. Kap. 11.5.
20
' C. F. Menestrier: Des decorations funebres. Paris 1683, S. 236. In diesem Buch behandelt Menestrier argute und nichtargute Inschriften in einem gesonderten Kapitel; vgl. Kap. II.6.
7°
Boldonis Buch >Epigraphica< (i66o),2°6 das vornehmlich als Anleitung, nichtargute Elogen und Inschriften zu verfassen, verstanden werden muß, ist in sechs Bücher gegliedert. Davon diskutieren die ersten fünf die erforderlichen Eigenschaften einer nichtarguten Eloge (Natura, Charakter, Brevitas, Perspicuitas, Venustas), sie enthalten zahllose Beispiele, die vor allem den Sammlungen von Apian, Smet und Gruter entnommen sind. Erst im sechsten Buch werden argute Elogen behandelt und insbesondere ihre »vitia« dargelegt. In der >Prolusio< schreibt Boldoni, daß er die arguten Elogen nur im Vorübergehen behandeln wolle, damit keiner glaube, er finde an einer Sache Gefallen, »vbi fraena nulla sint satis«.207 Man brauche inzwischen nicht so sehr Lehrer für argute Inventionen, sondern vielmehr »censores«, die das rechte Maß für solche Inventiones vorschrieben.208 Ottavio Boldoni behandelt schließlich die Argutia der scharfsinnigen Elogen doch recht ausführlich, indem er zunächst den »usus argutiarum« in allgemeiner und besonderer Hinsicht 209 bestimmt, dann >De Vitiosis Argutiis< 210 handelt und schließlich die rechten, angemessenen Umstände und Gelegenheiten zur Umsetzung und Plazierung von Argutien nennt. 211 Boldoni beurteilt die Argutia 212 und damit die »Elogiorum argutia« zwar nicht vollständig negativ, doch verurteilt er die »corruptela ingeniorum 206
Vgl. Kap. II.2. Vgl. zu Boldoni Sparrow, S. i23ff., Riddersrad, S. 118-120, sowie Kajanto, S. I55f. 207 Boldoni: Epigraphica, S. 653: »wo es nicht genug Zügel geben könne.« 208 Ebd. 209 Ebd., S. 653-729. Um wenigstens einen Eindruck von Boldonis Auseinandersetzung mit der Argutia zu vermitteln, sei die Gliederung dieses Abschnitts zitiert. Kapitel I und II (>De vsu Argutiarum generatimDe argutiarum usu speciatim & primum quae sunt primae intellectionisDe usu speciatim quae sunt secundae intellectionisDe usu argutiarum speciatim quae sunt tertiae intellectionisEpigraphica< stellte denn auch Daniel Georg Morhof etwas enttäuscht fest: Octavius Boldonius, qui vasto volumine epigraphicam artem scripsit, vel nihil, vel parum admodum habec ad argutas inscriptiones inveniendas [.. .]223
Boldonis Inschriftenkunst scheint sich damit aus anderen Quellen zu speisen und kann mit der Argutia-Theorie nicht begründet werden. 224 Seine Rolle für diese nichtargute Inschriftenkunst hat John Sparrow treffend so zusammenge220
221
222
223
224
Ebd.: »Demonstrative) Elogio subijcitur Historicum, & Didascalicum. Illud, si purum fuerit, sequetur historiae fusae conditionem, idest ieiunum erit ab argutijs: sin floridum, quo de genere est L. Florus in Epitoma, non respuet venustas perparce tarnen; & eas fere non quasi ab Elogiasta ipso cusas, sed quasi alterius Auctoris ab se citatas. In argumento autem graui sententiosas admittit, quarum est multa paucis docere. Id quod Didascalico iustiüs debetur: Huic praetereä, vbi doctrinam alienam confutat, graues iocosis, idest venustis immixtae.« Ebd.: »In Deliberatiuo genere Elogiasta serijs vtetur, qua sententiosis, qua grauibus, pro conditione argument!. Venustis aegre locum inueniet, ridiculis omnino nullum, nisi in argumento iocoso.« Ebd.: »Denique in ludiciali Graues propriam habent sedem ad motum; itemque Mixtae ex graui, & venusta ad cauillationem.« D. G. Morhof: De arguta dictione, S. 186: »Octavius Boldonius, der in einem riesigen Band die epigraphische Kunst beschrieb, trägt nichts oder nur äußerst wenig zur Inventio der Scharfsinnigen Inschriften vor.« Und weiter: »[...] pene universa Rhetorices praecepta ad inscriptiones suas accomodat, atque exemplis prolixe comprobat. Multa habet de figuris in Inscriptionibus occurrentibus, nee tarnen monstrat, quo modo figuris illis, & quando utendum sit, nee differt ejus liber a ceteris libris Rhetoricis, nisi quod loco exemplorum inscriptiones semper subministret.« Vgl. Kap. V. 73
faßt: »Boldoni's >Epigraphica< does for the conventional inscription what Tesauro's >Cannocchiale< does for the >inscriptio argutaMuseum Ad Amicum< aus dem Jahr 1663.22Museum< zur Kenntnis zu nehmen. Boeder: Museum, S. 86: »Quidam autem ex consessoribus, subito impetu effusa veluti funebri laudatione memoriam virginis in hunc fere modum honestabat.« Die Inscriptio auf den S. 86-89. Der Kontext ist auch Christian Schröter: Gründliche Anweisung zur deutschen Oratorie. Leipzig 1704, S. 588ff. zu entnehmen, wo diese Inscriptio arguta erneut abgedruckt ist. Schröter, ebd., S. 588, sagt: »Gleich da ich dieses Kapitel schliessen wollte / kam mir des berühmten Boecleri Museum in die Hände / darinnen er eine überaus schöne Inscription anführet / die wohl werth ist / hier eingerückt zu werden. Weil aber niemand dieselbe gründlich verstehen würde / der nicht von der Person ihrem Zustande / und Todes-Art Nachricht hat / will ich zugleich etwas davon melden.« Boeder: Museum, S. 90: »Ignauorum id inuentum esse, aiebat: qui cum pangere carmen desperarent, genus carminis commentitium, veluti partum aliunde mutuatum supponerent. Hinc illam luxuriem, quam genius & lex poematis coercere poterat, prono alueo ferri, neque adeo finem verborum, nee modum esse. Veterum quoque imitationem iactantius quäm verius praescribi.« Ebd., S. 9of.: »Si vastum illud inscriptionum corpus, quod Smetio, Scaligero, Grutero tantum debet, & paulo post Reinesio amplificatori & interpret! debebit, excutiatur; nullum talis licentiae exemplum repertum iri. Modestius ibi rem geri; signari rerum memoriam; adiici nonnunquam sententias negotiis vitro insitas aut familiäres; emicare in loco sapientiae lumina: nunquam animaduerti illam acuminum [...] prodigentiam.
sehen treffe man diese Ausschweifung in allzuvielen Lobreden, ja, sogar in Texten, die auf staatspolitische Ereignisse abheben, 231 sie sei aber doch nur eine Larve, die den Mangel an Redegabe verhülle. 232 Die Kritik an der Inscriptio arguta und ihren Verfassern besteht demnach in erster Linie im Vorwurf maßloser »luxuria«, übertriebener Scharfsinnigkeit und mangelnder rhetorischer und poetischer Begabung, die auf die Unfähigkeit schließen lasse, die »ars carmen pangere« zu beherrschen. Es ist nicht ganz klar, ob Boeder die kritischen Argumente von anderen Autoren übernommen hat oder sie sich seiner eigenen Analyse verdanken. Während zumindest die Kritik an der »luxuria« und der übertriebenen Scharfsinnigkeit auf Boldoni zurückgeführt werden könnte - Boeder erwähnt ihn allerdings nicht - läßt sich für den Vorwurf, die Verfasser der Inscriptio arguta wollten sich lediglich der Mühe der »ars carmen pangere« entziehen, kein Vorläufer ausmachen. 233 An diese Damnatio schließt sich nun die positive Einschätzung der Inscriptio arguta an. Der Befürworter verweist zunächst auf die Tradition, Elogen zu schreiben und auf Leichensteine und Gräber setzen zu lassen, zumal diese Tradition »in casibus & funeribus nostri saeculi« fortgesetzt werde.234 Natürlich müsse der Verfasser einer Inscriptio arguta Kenntnisse der Dichtkunst und der Rhetorik besitzen, 235 und gerade die mittlere Stellung, welche die Kunst der Inscriptio arguta zwischen Dichtkunst und Redekunst einnehme, sowie die Tatsache, daß sie wesentliche Aspekte diesen beiden Künsten entnehme, beweise, daß eine Inscriptio arguta nicht von einem beliebigen Menschen geschrieben werden könne: 236 Denique, quem scio non infeliciter poetari, aut dicendi peritum esse, cur suspectum de astu faciam, si bonam inscriptionem pangit? 2 "
Es sei durchaus statthaft, daß die vorgetragene Inscriptio arguta von den Fesseln der Gedichte (vinculi carminum) entbunden sei, da sie sich dennoch durch Imitationis eruditae decus non concludi captu vulgi: ingenio singular! & iudicio, cuius vel comes est vel proles moderatio & temperata decori finibus venustas, peropus esse.« 211 Vgl. J. G. Droysen: Zur Quellenkritik, S. 47, der diese Stelle auf die epigraphischen Flugschriften Frischmanns bezieht. Vgl. dazu Kap. II.5, S. 134. 212 Boeder: Museum, S. 91. 2Vi Weise greift diesen Vorwurf auf, münzt ihn aber positiv um, wie schon aus dem Untertitel von DAI hervorgeht: »in eorum gratiam, qui vel hodiernorum morem sectari, vel conscribendi carminis compendium quaerere cupiunt«. 234 Boeder: Museum, S. 92. J " Ebd.: »Tantum abest, vt credam, bonae inscriptionis auctorem esse posse, qui poeticae peritiam desperat.« 21 Ebd., S. 93: »Ipse locus, quem inter Poetae & Oratoris confinia occupat, medius, & aliquid de vtroque mutuata affinitas, non cuiusuis esse hominis id opus ostendunt.« 257 Ebd.: »Weiß ich schließlich, daß jemand glücklich dichtet oder der Redekunst kundig ist, weshalb sollte ich bei ihm eine List argwöhnen, wenn er eine gute Inschrift dichtet?«
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einen gewissen Rhythmus auszeichne; je weniger nach beschreibbaren Regel gedichtet werde, desto mehr müsse das Ingenium in Anschlag genommen werden.238 Die Simplicitas sei hier etwas schmuckreicher ausgebildet, die Form von Unangemessenem befreit, ein leichter Geist und Spannkraft zögen den Leser an. 239 Diese negative und positive Einschätzung der Inscriptio arguta in Boeclers Buch sollte später Eingang in Weises Konzept der Inscriptio arguta finden. 240 Zusammen mit Harsdörffers Einführung der Scharfsinnigen Inschrift in die deutschsprachige Literatur (i6^6)241 und Johann Scheffers früher Erörterung (i057) 242 stellt Boeclers diskursive Beurteilung eine der frühesten Würdigungen der Inscriptio arguta durch protestantische Gelehrte im deutschen Sprachraum dar. Auch in den schon erwähnten >Elogia sacra< (1664) Petrus Labbes243 sind einige kurze Erörterungen der Inscriptio bzw. der Eloge enthalten. Im >Liber octavus< bestimmt Labbe zunächst ganz allgemein die Inscriptio als eine »explicatio alicujus rei, vel paucis verbis per modum lemmatis; vel pluribus, sed propriis non allegoricis.«244 Ist sie in einem konzisen und scharfsinnigen Stil verfaßt, unterscheidet sie sich von der Eloge nur unwesentlich.245 Der Eloge gilt die größere Aufmerksamkeit Labbes. Es ist zu beachten, daß Labbe die Eloge nicht ausdrücklich als Inschrift beschreibt, sondern ihre Substanz im »panegyricus« verankert; allerdings können Inschriften nach Art der Elogen geschrieben werden, so daß die Analyse der Labbeschen Elogentheorie auch auf die Inscriptio arguta anwendbar ist. Genau in diesem Sinn rezipierte vierzehn Jahre später Christian Weise Labbes Erörterungen. 246 Labbe nennt die Eloge247 238
23i
Ebd., S. 92. > Ebd.
240 241 242
24
244
245 246
247
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Vgl. DAI, S. 126-132. Vgl. Kap. III.i. In dem Buch von Johann Scheffer: Gymnasium styli. Uppsala 1657, ist ein kurzes Kapitel über die Eloge bzw. Inschrift enthalten. Vgl. Ridderstad, v.a. S. 220-226 und 239—243. Ich zitiere aus folgender Ausgabe: Petrus Labbe: Elogia sacra, theologica & philosophica, regia, eminentia, illustria, historica, poetica, miscellanea [...] Praefixa est adversus hujus characteris contemptores praefatio Christiani Weisii. Leipzig 1686. Vgl. Kap. II.2. Labbe: Elogia sacra, S. 604: [...] »Erklärung irgendeiner Sache, entweder mit wenigen Worten in der Art von Lemmata; oder mit mehr Worten, aber dann mit eigentlichen, nicht bildhaft umschreibenden.« Ebd., S. 6ioff.: »Inscriptiones per modum Elogii«. Vgl. folgendes Zitat, das Mac Bride: Vom »Natürlichen« und »Ungezwungenen«, S. 106, abdruckt und aus dem ebenfalls hervorgeht, daß Weise die Elogen Labbes als Inschriften verstand: Labbe »[...] ist unvergleichlich in seinen Inscriptionibus, aber trefflich ungereimt in seinen Episteln.« Und zwar in einer »Eloge auf die Eloge«, vgl. Labbe: Elogia sacra, S. 630-631. Vgl. DAI, S. 4.
die »quinta essentia« bzw. die »optima pars« des »panegyricus«; Labbe greift damit auf einen aristotelischen Begriff zurück, der neben Erde, Wasser, Luft und Feuer den Äther als fünftes Element konstituierte. Da dieser als das vorzüglichste, feinste, alles durchdringende Element galt, bezeichnet die »fünfte Substanz« das Wesen einer Sache; die Eloge ist somit die »Quintessenz« der auf Personen oder Sachen bezogenen Lobrede. Die tadelnde Funktion fällt also anders als etwa bei Masen oder Baibin248 überraschenderweise heraus. 249 Drei Dinge sind beim Schreiben einer Eloge zu beachten: »dictum seu acumen, dictio, & dicendi modus, seu flexus«. 250 Die Eloge kann in zwei Arten unterteilt werden, deren Unterscheidungskriterien sich in der »externa forma« manifestieren: Elogiorum duo sunt quasi genera, unum singularibus lineis constat alterum periodis.2"
Das eine »genus« teilt den Text mit Hilfe einzelner Zeilen auf, die in sich abgeschlossene, selbständige Einheiten bilden sollen. Sie müssen die Sache darstellen und zugleich erklären, müssen epigrammatische Qualität besitzen und zugleich das Thema auseinandersetzen. 252 Das andere »genus« hingegen muß aus zusammenhängenden Satzgefügen konstruiert werden, die auf Sentenzen beruhen. Die einzelnen Satzglieder bestehen aus logisch miteinander verbundenen Acumina, die sich gegenseitig ergänzen und zusammen ein Satzgefüge bilden. 253 Das äußere Erscheinungsbild der Elogen Labbes vermeidet den Satz auf Mittelachse, es sei durch zwei gekürzte Zitate veranschaulicht: I. Capvt Ciceronis ADhuc eloquentiam spirat hoc caput, Lingua caret, & adhuc loquitur, Praecidit linguam Fulvia 2 ™ non eloquentiam, Adhuc vox est superstes post animam. 248
Siehe weiter unten. Vgl. DAI, S. 4f. Weise bemerkt diese fehlende satirische Funktion bei Labbe natürlich und ergänzt sie ganz einfach. 2 '° Labbe: Elogia sacra, S. 630. ·*'' Ebd., S. 631: »Es gibt gleichsam zwei Gattungen von Elogen, die eine besteht aus einzelnen Zeilen, die andere aus Perioden.« •^ Ebd.: »In primo illo genere, singulae lineae debent proponere, & concludere, debent esse res ipsa & ratio rei, debent inferre, & inferri, antecedere, & sequi; debent esse Epigramma unius carminis, discursus unius propositionis, debent esse propositio rem probans, & res ipsa probata.« J51 Ebd.: »In altero elogii genere periodus sententiis constare debet, non vacuis verbis, singula membra acumina sunt inter se connexa, & se invicem augentia, crescit secundum ex primo, augetur secundum a. tertio; ex omnibus sententiis quasi ex totidem gemmis exsurgit periodus quasi pantarba multiplex gemma, & unica.« 25-1 Ciceros unversöhnliche Feindin. 249
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Erras Fulvia dum solam linguam vocalem putas, Totum Ciceronis caput eloquens est, Et frons & oculi linguam habent, qua te accusent. [...?" II. Illustrissimi et Reverendissimi DOMINI PETRI SCARRON, Ecclesiae Gratianopolitanae, Praesulis, & Principis plusquam octogenarii. ELOGIUM AETATIS.
QValis est aetas tua, Praesul et Princeps? neque hyems est quia habet plurimum veris, neque autumnus, quia habet aliquid hyemis, aetas est multarum aetatum, & tamen unica. Antiquissimus Senatorum Parisiensium, annosissimus omnium Ptaesulum, vidisti hunc mundum juvenem, & vides senem, nee juvenis ipse, nee senex; vidisti annos antiques, & vides novos: vidisti duas aetates, & illae viderunt te, vidisti interire per panes, & integer es: vidisti eodem vultu, quali nunc vides: mutasti octoginta annos, nee illi mutarunt te. Pinxit te olim pictor, qualem nunc pingeret [.. .]25n Wie deutlich zu erkennen ist, unterscheiden sich diese beiden Beispiele schon auf der typographischen Ebene voneinander. Während der Text der ersten Eloge mit Hilfe einzelner voneinander abgesetzter Zeilen gegliedert ist, weist der Text der zweiten Eloge eine Gliederung mittels ganzer Satzgefüge auf. Diesen zwei Gliederungen korrespondieren die oben genannten Möglichkeiten, scharfsinnig zu formulieren. Im ersten Beispiel bilden alle Zeilen argute selbständige Einheiten, mit denen immer wieder die eine argute Inventio variiert wird, daß nämlich der Körper Ciceros und damit auch sein mündliches Redevermögen zwar gestorben sei, Cicero aber dennoch weiterhin durch seine Schriften lebe und zu uns spreche. Im zweiten Beispiel dagegen sind die Argutien so miteinander verbunden, daß sie zusammen nicht in kurze und lange Zeilen aufgeteilt sind, sondern quasi als »prosa perpetua« auch typographisch zusammenhängende Satzgefüge bilden, die immer wieder aufs neue die Inventio argut variieren, wonach der Gelobte zwar ein hohes Lebensalter erreicht habe, aber dennoch nicht alt zu nennen sei, weil er verschiedene Lebenszeiten in sich vereine und berge.257 Labbe wurde als arguter Stilist von Christian Weise außerordentlich geschätzt und in >De poesi hodiernorum politicorum< mit zahlreichen Beispielen vorgestellt.258 Im Jahr 1686 gab Weise die >Elogia sacra< mit einer Vorrede erneut heraus.259
255
Ebd., S. 633. ' Ebd., S. 635f. 2 " Zum Topos vgl. Ernst Robert Curtius: Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter. Tübingen/Basel 1993, S. io8ff. 26
259
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Das Buch wurde Leipzig 1706 wieder aufgelegt. Zu der Vorrede Weises vgl. Kap. 11.4.
Großen Einfluß auf die Entwicklung der Inscriptio arguta nahm der Jesuit Bohuslaus Balbinus (Bohuslav Baibin) mit seinem Buch >Verisimilia humaniorum disciplinarumDe poesi hodiernorum politicorum< zu würdigen wußte. Baibin differenziert in seinem einschlägigen Kapitel >De Elogijs et Inscriptionibus< 2nl verschiedene Arten von Inschriften. Inschriften seien ursprünglich zum Zweck der Erinnerung bestimmter und besonderer Personen ersonnen worden; da es so viele Inschriftenarten wie Anlässe gebe, wolle er nur die vier wichtigsten Arten hervorheben. Diese vier Inschriftenarten gliedern sich auf in »Inscriptiones funebres«, »Inscriptiones militates« und »Inscriptiones operum publicorum«; die vortrefflichsten Inschriften aber seien diejenigen, die »Elogia« genannt würden. 262 Die Eloge wird damit ausdrücklich als Inschriftenart gefaßt. All diese Inscriptiones aber zeichneten sich durch zwei Dinge aus, nämlich durch »Acumina« und »Sententiae«. 263 »Inscriptiones funebres« werden Baibin zufolge nach Art der Epitaphien konzipiert und unterliegen den gleichen poetologischen und rhetorischen Gesetzmäßigkeiten. In derartigen Inschriften fungiere als redendes Subjekt der Tote oder sogar der Grabhügel selbst; immer müsse beim Leser ein tiefer Eindruck hinterlassen werden, der entweder durch Argutien oder Sentenzen, die Baibin übrigens bevorzugt, hervorzurufen sei. Diese Inschriften sollten kurz sein, am Ende Beistand für den Verstorbenen erbitten und an die Vergänglichkeit des irdischen Lebens erinnern. 4 »Inscriptiones militates« zeichneten sich durch äußerste Kürze aus und seien auf Trophäen, Waffen o.a. angebracht. 5 »Inscriptiones operum publicorum« bezeichneten neben der Nützlicheit einer Sache oder eines Gebäudes den Namen des Urhebers; überdies lüden sie mitunter zum Gebrauch j(m
Bohuslav Baibin: Verisimilia humaniorum disciplinarum, seu Judicium privatum de omni litterarum (quas humaniores appellant) artiflcio. Prag 1666. Ich beziehe mich auf diese Ausgabe. Das Buch erschien nochmals Leipzig 1687 und Augsburg 1710 versehen mit einem Vorwort von Christian Weise. Zu Baibin vgl. Ludger Udolph: Graeca bei Bohuslaus Balbinus. In: Studien zum Humanismus in den Böhmischen Ländern. Hrsg. von Hans-Bernd Harder und Hans Rothe. Köln/Wien 1988, S. 341 — 365, sowie Zuzana Pokornä u. Martin Svatos: Bohuslav Baibin und die Kultur seiner Zeit in Böhmen. Beiträge einer Konferenz des Pannätnik närodniho pisemnictvi. Köln/Weimar/Wien 1993 [in tschechischer Sprache mit deutschsprachigen Zusammenfassungen]. Vgl. auch Albrecht Schöne: Emblematik und Drama im Zeitalter des Barock. München 31993, S. 24; hier eine knappe Würdigung Andrea Alciatis durch Baibin. Die Angabe Schönes, ebd., S. 239, Balbins >Verisimilia< seien das erste Mal im Jahr 1687 gedruckt worden, ist zu korrigieren. 2(11 Baibin: Verisimilia, S. 192—196. 2(12 Ebd., S. 192. ^ Ebd. 264 Ebd., S. I92f. 2( "> Ebd., S. 193.
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der inschriftlich bezeichneten Sache ein, etwa bei Quellen, Bädern und Tempeln.266 Die größte Aufmerksamkeit widmet Baibin der Eloge als einer bestimmten Art der Inschrift, und er würdigt vor allen anderen die beiden Italiener Emanuele Tesauro und Luigi Giuglaris als herausragende Verfasser solcher Inscriptiones.207 Manche Autoren von Elogen hätten allerdings, so merkt Baibin kritisch an, den Blick für das rechte Maß verloren und sich der Künstelei (affectatio) schuldig gemacht. Andere wiederum hätten die Sentenzen des Tacitus oder anderer Schriftsteller in ihren Elogen ausgeschrieben, ohne die jeweiligen Urheber beim Namen zu nennen, »quod aliquam ingrati animi speciem praefert«. 268 Baibin beschreibt die Eloge wesentlich als auf außergewöhnliche Persönlichkeiten bezogene Inschrift, die mit Acumina und Sentenzen entweder Lob oder Tadel vorbringt. Seien die Lebensumstände des zu Lobenden oder zu Tadelnden in eine angemessene Ordnung gebracht worden, solle man daran gehen, Acumina zu formulieren. Leben, Taten und andere wesentliche und unwesentliche Begleitumstände erbrächten notwendigerweise Anhaltspunkte für eine argute und sentenziöse Sprechweise.209 Gelange man nur zu kraftlosen oder nicht angemessenen Acumina, könnten Sentenzen ergänzend oder stellvertretend hinzutreten: »Acumen cüm deest, sententia locus est.« 270 Die Sentenzen müßten würdig und nicht zu gefällig, aber doch wiederum bekannt sein. Obscuritas schicke sich nicht für einen Gelehrten. Übertriebene Gelehrsamkeit oder Imitatio veterum seien zu vermeiden, denn »Elogia ingenij sunt opus«. 2?I Bei der Zeileneinteilung der Eloge müsse darauf geachtet werden, daß eine Zeile nicht zu lang werde, auch sollten nicht etwa zwei verschiedene Sentenzen in einer Zeile zusammentreffen. 272 Letztendlich besteht das Wesentliche einer Eloge in der angemessenen Formulierung von Acumina und würdigen Sentenzen. Als Beispiele führt Baibin drei »Elogia funebria« an, die er auf den Tod Ferdinands IV. geschrieben hat. 273 Der selbst bei den epigraphisch interessierten Autoren des 17. Jahrhunderts offenbar wenig bekannte Gelehrte Gaetano Felice Verani (um 1648- 1713) veröffentlichte 1670 in Messina das zweibändige Werk > Pantheon argutae elocutionisDe Lapidaria Elocu2
Ebd. Ebd. 268 Ebd. *(V) Ebd., S. 194. 270 Ebd., S. 195. 271 Ebd. 272 Ebd. 273 Baibin: Notae in verisimilia humaniorum disciplinarum (neu paginierter Anhang zu Balbins >Verisimilia>
nedikt Weite (Hg.): Kirchenlexikon oder Encyklopädie der katholischen Theologie und ihrer Hülfswissenschaften, zweite Aufl., [...] begonnen von Joseph Cardinal Hergenröther, fortgesetzt von Dr. Franz Kaulen, Bd. 12. Freiburg i.Br. 1901, Sp. 673. Keiner der in dieser Arbeit berücksichtigten zeitgenössischen Autoren nennt Verani. Kühlmann: Gelehrtenrepublik und Fürstenstaat, S. 228, Anm. 116, weist kurz auf ihn hin. Verani: Pantheon, S. 209 — 290. Das Epitaphium wird hier vernachlässigt. Ebd., S. 2i i: »[...] die Inschrift aber gibt nur kurz und treffend Bedeutung oder Tat eines berühmten Mannes wieder oder auch den Grund einer Einweihung irgendeines Werks.« Verani scheint sich hier an der Epigrammtheorie Scaligers zu orientieren. Ebd., S. 216: »Duplex est inscriptionum genus simplex unum, alterum compositum: illud versatur circa laconicam narrationem plurimum, vel etiam unius praeclare gesti, si inscriptio texatur in laudem alicujus viri Apollinea, vel Martia lauro illustris: haec inscriptio est brevis, & gravis narratio, amatque stylum nitidum, atticum & gravem absque ulla verborum redundantia, & sine fuco [...] Inscriptio composita est, quae componitur ex pluribus argutijs unä nexis, quae tarnen omnes alludant ad idem subjectum, in quod collineent.« Die Forderung von voneinander unabhängigen Argutien, die trotzdem ein harmonisches Ganzes bilden sollen, geht auch aus anderer Stelle auf S. 216 hervor: »[...] & quamvis argutiae ita inserantur, ut una ab alia non dependeat exigunt tarnen unä necti opportunis transitionibus, ut coalescat unum totum harmonicum, quod non contingeret, si partes simul beneficio transitionum non necterentur.« Zum Begriff der Klausel vgl. Lausberg, v.a. § 986-1052.
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und ohne Redundanz fließen.280 Bei derartigen Inschriften ist insbesondere Brevitas nicht hinsichtlich der ganzen Oratio, sondern hinsichtlich der Sentenzen und des Stils sowie angemessener Scharfsinn zu beachten, ohne den keine Zeile formuliert werden darf.201 Im Gegensatz zur Inscriptio ist das Elogium für Verani eine argute, konzise und lakonische Rede, die eine »Kette«, d.h. eine Reihe voneinander abhängender Argutien umfaßt, durch welche eine vortreffliche Tat eines ausgezeichneten Mannes oder auch der Ablauf eines ganzen Lebens sowie bisweilen ein ausgesuchter, unbelebter Gegenstand gepriesen werden.282 Verani faßt die wesentlichen Gattungs- und Stilmerkmale der Eloge folgendermaßen prägnant zusammen, wobei insbesondere das Verständnis der Eloge als eines »epigramma continuum« ungewöhnlich ist: Quamobrem est elogium quoddam concisae, & argutae orationis genus; seu oratio argutis referta laconismis, & dici posset libera Poesis, vel quodam epigramma continuum, ac multiplex, sed ä lege Poetica solutum; quia libertäre gaudens vinculis detrectat illigari: verüm quamvis ä lege Poetica, ejusque vinculis sit libera, videaturque oratio exlex; leges tarnen suas religiöse servat Oratorium inter, & Poeticum stylum, cujus proprietates sunt laconismus, quo vel maxime delectatur hoc orationis genus; & acumen, sine quo rara est linea. 2Hi 280
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Verani: Pantheon, S. 216: »Hoc genus inscriptionum amat clausulas concisas, & sententias interruptas, debitis cum interpunctionibus. Stylum exigit medium solutam inter orationem, & ligatam Poesin, adeo ut stylus sit solutus, affinis tarnen poetico, & qui carmen Jambicum quodammodo videatur imitari, sitque elegans, nitidus, Atticus nullis verborum redundantijs diffluens [...]« Zur Mittellage des Stils vgl. auch ebd., S. 213: »Stylum exigunt medium inter solutam orationem, & ligatam Poesim, quique vergat ad Jambici carminis sonum, salibus, tropis, allegorijs, aequivocis, oppositionibus, allusionibus, sententijs, argutijs, ac dicendi floribus, laconica comprehensis brevitate, ornetur. Respuit enim phrases oratorias, verborumque sonantium circuitus, multiplices sermonis fibulas, non enim prolixas periodorum redundantias complectitur, nee regulas, ac leges carminum servat; sed exlex stylus pede libero currit medius inter ligatam, & solutam orationem, quia sicut delectatur übertäte prosae, ita gaudet brevitate carminum.« Ebd., S. 216: »Amant inscriptiones brevitatem, non orationis, sed sententiae, & styli; acumen sine quo nulla debet linea excurrere [...]« Ebd., S. 237: Das Elogium »[...] arguta, & laconica est oratio comprehendens seriem argutiarum, quibus praeclarum aliquod gestum viri illustris, vel etiam vitae totius seriem commendamus; adeö ut elogium brevitate, & argutiarum lepore triumphet.« Ebd.: »[...] & hoc orationis genus esse solet illustris viri, vel personae laus brevis; quamvis etiam ad res inanimatas interdum transferatur.« Vgl. auch ebd., S. 210 und 211.
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Ebd., S. 237: »Deswegen ist die Eloge eine Art der konzisen und arguten Oratio oder eine Oratio, die mit arguten Lakonismen angereichert ist. Und sie könnte eine ungebundene Poesie genannt werden oder auch ein fortlaufendes und vielfaches Epigramm, das aber nicht an die poetischen Regeln gebunden ist, weil es ja, indem es die Freiheit begrüßt, sich weigert durch Fesseln gebunden zu werden. Wie sehr es indessen auch von den poetischen Regeln und ihren Fesseln entbunden ist und als an kein Gesetz gebundene Oratio erscheint, es bewahrt dennoch gewissenhaft seine [stilistischen] Regeln zwischen oratorischem und poetischem Stil. Die Eigenschaften
Ungewöhnlich ist es auch, daß Verani das Elogium zunächst in drei Arten differenziert, nämlich in die oratorische (Elogium Oratorium), historische (Elogium historicum) und lapidarische (Elogium lapidarium) Eloge,2"4 von denen die ersten zwei nicht die eigentümliche mittlere Stillage der »lapidaria elocutio« in Anspruch nehmen können. Als Beispiel für eine oratorische Eloge wählt er den von Tesauro in die »forma inscriptionum« gebrachten Text Ciceros über die »legio martia«. 285 Verani will diese inschriftlich formatierte Eloge nicht als »elogium lapidarium«, sondern lediglich als »elogium Oratorium« gelten lassen. Er übernimmt auch die ebenfalls von Tesauro epigraphisch umgestaltete Eloge auf Galba von Tacitus, und auch diese firmiert bei ihm nicht unter dem Begriff »elogium lapidarium«, sondern unter »elogium historicum«. 286 Die Begründung dafür, daß beide Texte, die Tesauro als Inscriptiones argutae bezeichnet hatte,287 nicht als Elogen im Lapidarstil gelten können, obwohl sie in Zeilen gegliederte und auf Mittelachse gesetzte, durchaus scharfsinnige Texte darstellen, resultiert für Verani im wesentlichen daraus, daß ihr Stil nicht zwischen oratorischem und poetischem Stil liegt bzw. sich entweder zu sehr dem rednerischen Stil oder zu sehr dem Stil einer Historia annähert. Verani äußert sich bezüglich der von ihm gewählten Beispiele zwar nicht derart deutlich, doch liegt der Schluß in der Logik seiner Argumentation begründet, die in einer erneuten Bestimmung des Elogium lapidarium mündet. 288 Am anmutigsten sind diejenigen [...] elogia, quae laconice argutias exprimentia styli leges inter prosam, & carmen servant inviolabiles, ac veluti in metrica tabula solutis lineolis; inaequali, sed pulchra, ac eleganti proportione acumina sua exprimunt/ 8y
2tin metrica tabula< mit ungebundenen Zeilen, durch ein wechselvolles, aber schönes und geistvolles Verhältnis darstellen.« »metrica 83
In dem letzten Kapitel >De Genere, et fine Elogiorum< ordnet Verani ganz allgemein alle Elogen dem Genus demonstrativum zu. Dementsprechend erschöpfen sich ihre Wirkabsichten nicht nur im Lob einer Person oder einer Sache, sondern ihre Leistung besteht darüber hinaus auch im Tadel. Weshalb Verani die tadelnde Funktion der Eloge erst zum Schluß ins Spiel bringt, ist aus seinen Darlegungen nicht ersichtlich. Auf jeden Fall gilt ihm die Möglichkeit einer satirischen Wirkabsicht als wesentliches Moment der Eloge. Den Ansprüchen der Redegattung gemäß formuliert Verani dann auch die spezifischen Gelegenheiten, bei denen die Elogen Verwendung finden können und die sich im großen und ganzen in den in solchen Fällen immer wieder genannten Hochzeiten, Leichenbegängnissen, Geburtstagen, Gratulationen aller Art etc. erschöpfen.290 Ita munus elogiorum est virtutum exercitia suis excipere laudibus, & commendare; & si quid vitij redolet turpitudinem vituperare, ac acuminibus pungere, quibus animos suavi quadam perfundunt delectatione, quae tarnen finis non est elogiorum, alioquin hoc institutum inane foret: legitimus elogiorum finis amor est virtutis, & honestatis, & odium turpitudinis, ac vitij; quae duo oriuntur ex commendatione virtutis, & vituperatione vitij [.. .]2yl
Man sieht, daß Verani großen Wert darauf legt, den Genuß an scharfsinnigen Redewendungen nicht zum Selbstzweck der epideiktischen Elogen werden zu lassen. Sie müssen stets als Mittel zum Zweck der Tugendliebe und der Abneigung gegen Laster untergeordnet bleiben, die beide das moralische Ziel der Eloge ausmachen. Da, wie Verani sagt, sein Zeitalter einen einfachen Lapidarstil verschmähe und statt dessen eine üppigere Elocutio bevorzuge, erörtert er abschließend die dem Lapidarstil zugehörenden »fontes acuminis inveniendi«. 292 Die diesbezüg-
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tabula« meint wohl eine Eloge, die durch ein ungebundenes Zeilenmaß gestaltet ist und mit ihrer zentrierten Form einer Inschriftentafel gleicht. Mitunter verwendet Verani auch die Bezeichnung »metrica linea«. Seine Beispiele bestehen im übrigen fast ausschließlich aus »realen«, d.h. ursprünglich ungedruckten Gelegenheits-Inscriptionen. Ebd., S. 246: »So besteht die Leistung der Eloge also darin, die Ausübungen der Tugenden durch die ihr eigenen Lobsprüche aufzunehmen und weiterzugeben und, wenn etwas nach Lasterhaftigkeit riecht, die Unsittlichkeit zu tadeln und ihr mit scharfsinnigen Bemerkungen einen Stich zu versetzen. Dadurch erfüllen sie die Herzen mit lieblicher Ergötzung, die jedoch nicht das Ziel der Elogen bildet, andernfalls dieses Beginnen nichtig wäre. Das rechte Ziel der Elogen ist die Liebe zu Tugend und Ehrbarkeit sowie der Haß auf die Unsittlichkeit und die Lasterhaftigkeit; beide entstehen aus der Empfehlung der Tugend und dem Tadel der Lasterhaftigkeit [...]« Ebd., S. 287: »QUia styli simplicitatem respuit in lapidaria elocutione aetas nostra, & quemdam elocutionis luxum, appetit, qui pascendis auribus natus illarum famen magis acuat, qüam mitiget: ideo non incongruum fore duxi hie adjicere pro coronide hujus libri, quosdam fontes acuminis inveniendi.« Der Titel dieses Kapitels, ebd., S. 287 — 290, lautet >De Acuminibus totius lapidariae Elocutionist
liehen von Verani angeführten Möglichkeiten müssen hier nicht im einzelnen dargelegt werden, und es genügt, die grundsätzliche Begriffsbestimmung des Acumen auseinanderzusetzen. Verani bestimmt das Acumen zunächst auf rein »materieller«, d.h. geometrischer Basis und überträgt diese Definition dann in den sprachlichen Bereich: Sicut materiale acumen Est duarum linearum, seu duorum laterum in unum punctum concursus: pari pacto acumen metaphoricum lapidariae elocutionis Est concursus duorum oppositorum in unum conceptum mentis argutum, seu est discors concordia, vel concors discordia subjecti, et praedicati [.. .] 2yl
Ein sprachlich realisiertes Acumen besteht also prinzipiell im Zusammentreffen zweier Gegensätze in einem scharfsinnigen Begriff, oder anders formuliert, es ist eine »discors concordia« bzw. eine »concors discordia« eines Subjekts und eines Prädikats. 294 Vor dem Hintergrund dieser Definition klassifiziert Verani die Möglichkeit, ein Acumen zu formulieren, in drei Bereiche, deren Klassifikationsmerkmale sich aus einem jeweils bestimmten Verhältnis zur »Natur« ergeben: Acumen triplex est, contra naturam, praeter naturam, juxta natura [.. .]2y5
Ein »acumen contra naturam« liegt dann vor, wenn zwei gegensätzliche Dinge zusammentreffen, die natürlicherweise und der Wahrscheinlichkeit nach nicht zu verbinden sind. So in dem folgenden Beispiel über die am Kreuz Christi weinende Magdalena, das Verani anführt: Mirum sane! divini amoris aestuans igne in lachrymarum pluvias liquescit, aqua flammam alit, flamma aquam parturit [.. .]2yrt
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* Ebd., S. 287: »Gleichwie das materielle Acumen ein Zusammentreffen zweier Linien oder zweier Seiten in einem Punkt ist, ebenso ist das in übertragener Hinsicht verstandene Acumen der lapidarischen Elocutio ein Zusammentreffen zweier Gegensätze in einem scharfsinnigen Begriff, oder es ist eine zwieträchtige Eintracht oder eine einträchtige Zwietracht eines Subjekts und eines Prädikats [...]« 294 Verani scheint seine Bestimmung des Acumen auf der Grundlage geometrischer Verhältnisse von dem polnischen Jesuiten Matthias Casimir Sarbiewski: De acuto et arguto über unicus, zu übernehmen. Sarbiewskis Definition des Acumen lautet: »Acutum est oratio continens affmitatem dissantanei et consentanei, seu dicti concors discordia vel discors concordia.« Zitiert nach Susan Gilkeson Figge: The Theory, S. 82. Sarbiewskis Text ist enthalten in: Ders.: Wyklady Poetyki. Hrsg. von S. Skimina. Breslau/Krakau 1958. Zu Sarbiewski vgl. Renate Lachmann: Die »problematische Ähnlichkeit«, S. 25ff.; Andree Thill: Sarbiewskis Höhenflug als Medium zwischen horazischer und moderner Dichtung. In: Wolfenbütteler Barock-Nachrichten 20 (1993), S. 28-33; Ders.: Matthias Casimir Sarbiewski. Eine Würdigung zur vierhundertjährigen Wiederkehr seines Geburtstags. In: Wolfenbütteler Barock-Nachrichten 22 (1995), S. i —8. 295 Verani: Pantheon, S. 287. 2< ·> Ebd.
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Hier liegt deshalb eine Acumen contra naturam vor, weil es gegen die natürliche Ordnung spricht, daß das Wasser die Flamme fördert oder die Flamme das Wasser hervorbringt. Ein »acumen praeter naturam« dagegen liegt dann vor, wenn bestimmte Dinge auf ungewohnte Weise, d.h. entgegen der natürlichen Ordnung zusammentreffen, trotzdem aber noch wahrscheinlich sind. Zur Verdeutlichung zitiert Verani folgende Sentenz: Deliciae populi, quae fuerant Domini. 297
In dieser Sentenz drückt sich ein Acumen praeter naturam aus, weil es, so Verani, ungewöhnlich sei, daß die dem Herrn zugehörenden Deliciae auf das Volk übertragen würden, dieser Vorgang aber immerhin noch als Möglichkeit wahrscheinlich ist. Schließlich gibt es noch ein »acumen juxta naturam«, das sich auch dann ergeben kann, wenn etwas mit der Natur einer Sache übereinstimmt und von Verani so illustriert wird: Virga Jesse, vel in miraculis naturam observans, datura fructum in Hyeme; florem concepit in Vere.2'-*8
Diese Begrüßungsformel des Erzengels Gabriel an die zukünftige Mutter Gottes formuliert vor dem Hintergrund der Verkündigungsgeschichte ein Acumen als Aequivocatio, doch stimmt es mit der natürlichen Ordnung insofern überein, als die eigentlichen Bedeutungen durchaus natürlich sind, nämlich daß Bäume im Frühling Blätter bekommen, im Winter und Herbst aber Früchte tragen.2" Die vorgestellten Autoren und Beispiele verdeutlichen ohne Zweifel, daß die theoretische Reflexion der Inscriptio arguta und der scharfsinnigen Eloge im Zeitraum zwischen 1654 und 1678 nicht nur die Domäne einiger weniger Spezialisten war, sondern auf relativ breite Anerkennung stieß, die sich freilich in den unterschiedlichsten Bewertungen und theoretischen Ausprägungen konkretisierte. Dabei ist zu konstatieren, daß die neulateinische Inscriptio-Theorie im wesentlichen von katholischen Autoren getragen wird, neben die nur wenige protestantische Theoretiker treten. Die meisten der vorgestellten Schriftsteller werden von Christian Weise berücksichtigt und mehr oder weniger eklektizistisch ausgewertet. Ihm muß nun die Aufmerksamkeit gelten.
2y7 2i
Ebd.
>" Ebd. 29y Ebd.: »Licet in hoc acumine lateat aequivocatio est tarnen juxta naturam, quia omnes arbores flores parturiunt verno tempore, fructus verö vel Autumnali, vel Hyemali tempore maturiunt.« Diesen drei Möglichkeiten subsumiert Verani noch zwölf verschiedene Arten von Acumina.
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4· »The classic guide-book to the new epigraphy«: Christian Weises >De argutis inscriptionibus libri II< (1678/1688) und die Inscriptio arguta als Darstellungsmöglichkeit des »Politischen« Christian Weises Buch >De Poesi hodiernorum politicorum sive De argutis inscriptionibus< erschien 1678 in Jena, eine zweite Auflage ebenda im Jahr 1688. Gegenstand und Kontext dieses Buches sind von der Forschung bislang nicht recht wahrgenommen worden. So ist etwa bei Dünnhaupt zu lesen, >De poesi hodiernorum politicorum< enthalte »wichtige« Äußerungen sowohl zur Argutia-Lehre als auch zur Epigrammtheorie.300 So richtig die erste Feststellung ist, so falsch ist die zweite, denn von einer Epigrammtheorie kann überhaupt keine Rede sein. Ein Blick auf die bisherigen einschlägigen Forschungsergebnisse mag einleitend die Notwendigkeit einer gründlichen Auseinandersetzung mit Weises Buch legitimieren. >De poesi hodiernorum politicorum< wurde bereits 1894 von Karl Borinski in seiner Abhandlung über Graciän und die höfische Literatur in Deutschland kurz untersucht. In Weises »dickleibigem Werk« 301 würden jene »sinnreichen Aufschriften« behandelt, die »als Begleiter solcher allegorischer Lebens- und Weltbilder, wie sie das >Criticon< auszeichnen«, fungierten; auch in den Titelkupfern des 17. und der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts seien sie verwendet worden.302 Zwar ist es nicht falsch, daß in den Titelkupfern der Barockzeit Inschriften verwendet werden, doch sind diese nicht mit den Inscriptiones argutae, die Weise meint, zu verwechseln. Daß die »poesis hodiernorum politicorum«, d.h. die Inscriptio arguta, und ihre Entwicklung vor allem auf das Engagement der Jesuiten, v. a. Jakob Masens,303 zurückzuführen ist, hebt Borinski richtig hervor,304 ebenso zutreffend sind seine, freilich kargen, Bestimmungen bezüglich des satirischen und panegyrischen Potentials sowie der Form der arguten Inschrift; 305 allerdings stützt Borinski sich zum größten Teil lediglich auf die Vorrede, so daß der Kontext der arguten Epigraphik gar nicht erst in den Blick gerät. Eine schöne und treffende Gesamtwürdigung hat Weises ungewöhnliches Werk 1969 durch John Sparrow erfahren.306 Sparrow ordnet 100
Dünnhaupt II, Teil VI, S. 4206. *'" Karl Borinski: Baltasar Graciän und die Hoflitteratur in Deutschland. Halle 1894, S. 128. ^ Ebd. °·* Borinski datiert Masens >Ars nova argutiarum< falsch auf 1654; vgl. Borinski: Baltasar Graciän, S. 129, Anm. i. ™ Ebd., S. 129. i05 Ebd. 3 fi ° Sparrow, S. 106-109. Vgl. Harold Jantz: Baroque Free Verse, S. 261, der lediglich Sparrow paraphrasiert.
es zunächst literarhistorisch korrekt in den Kontext der scharfsinnigen Epigraphik ein und referiert dann kurz entscheidende Stellen. Mit Recht konstatiert er, daß Weises >De argutis inscriptionibus< »the classic guide-book to the new epigraphy« sei,307 und dies gilt, wie hinzugefügt werden darf, sowohl in systematischer und theoretischer als auch in bibliographischer Hinsicht. Berücksichtigt wurde >De poesi hodiernorum politicorum< ferner in der >Barockrhetorik< Wilfried Barners, der in diesem Buch in erster Linie einen Beleg für die Bedeutung und Mode der Argutia-Bewegung des 17. Jahrhunderts sieht, die besonders den Bedürfnissen der >»Politici< aller Länder« entgegengekommen sei;308 Barner macht dabei ebenfalls auf die entscheidende Rolle jesuitischer Gelehrter aufmerksam.309 In ihrer wichtigen Dissertation über das Argutia-Phänomen im 17. Jahrhundert, die gleichwohl von der germanistischen Forschung bislang nicht angemessen zur Kenntnis genommenen wurde, hat Susan Gilkeson Figge auf die Inscriptio arguta als »Poesie der heutigen Politiker« Bezug genommen und ihre Mittelstellung zwischen gebundener und ungebundener Rede hervorgehoben. Freilich geht sie nur oberflächlich auf Weises Werk ein und zieht es im wesentlichen als Beleg für die Argutia-Bewegung heran. 310 Eine Sparrows Darlegungen sehr ähnliche Auseinandersetzung mit Weises Inscriptio-Lehre stammt von Per S. Ridderstad.311 Neben der Integrierung in den epigraphischen Kontext des Barock wird hier ein kurzer Überblick über den Aufbau des Buchs gegeben und eine Reihe relevant erscheinender Textstellen zitiert. 312 Im Zusammenhang mit der Prosakonstruktionsregel (Principium de constructione prosaica) Weises erörtert Karla Elise Mac Bride das Verhältnis von Inscriptio arguta und Poesie und greift dabei auf die »defmitio inscriptionis« aus >De poesi hodiernorum politicorum< zurück. 3 ' 3 Die Inschrift ahme »[...] in gewisser Weise die poetische Ausdrucksweise nach«, wobei es ihm um »einen Ersatz poetischer Formen« durch die Inschrift gegangen sei.3'4 Darüber hinaus habe Weise mit seiner Abhandlung eine »Schrift über die Modegattung der argutiaBewegung« verfaßt. 3 ' 5 Es ist das Verdienst dieser Arbeit, auf Weises »poeti107 108
Ebd., S. 106.
Wilfried Barner: Barockrhetorik., S. iStf. und S. 358. Ebd., S. 358. Vgl. auch Ders.: Christian Weise. In: Deutsche Dichter des 17. Jahrhunderts, S. 690-725, hier S. 705. 310 Susan Gilkeson Figge: The Theory, S. 156?. 311 Ridderstad, S. 130—136; hier S. 131 — 133 zunächst nur zum >Politischen RednerDe poesi hodiernorum politicorum< von Mercedes Blanco 323 kurz untersucht. Sie stellt die »definitio inscriptionis argutae« vor, erläutert zutreffend deren Verhältnis zur Rede- und Dichtkunst bzw. deren stilistische Eigentümlichkeiten und zitiert einige Beispiele. Davon abgesehen, daß bei Blanco der Zusammenhang mit den Inscriptio-Theorien Masens, Tesauros oder beispielsweise Balbins nicht beachtet wird, ist vor allem, wie bei allen anderen genannten Autoren und Autorinnen, der »politische« Kontext der Inscriptio arguta nicht erkannt worden. Insgesamt muß festgestellt werden, daß diese einflußreiche Schrift eines der bekanntesten Schriftsteller des 17. Jahrhunderts auf die Argutia-Theorie verkürzt und bislang noch nicht angemessen analysiert worden ist. >De poesi hodiernorum politicorum< ist die ausführlichste Abhandlung, die im 17. Jahrhundert über die scharfsinnige Epigraphik geschrieben wurde. Sie ilft
Manfred Beetz: Rhetorische Logik, S. 241-242. Ebd., S. 241. 4lH Ebd., S. 218, 224, 225, 228. 319 Henry F. Fullenwider: Tesauro in Germany, S. 23-40; Ders.: Die Rezeption der jesuitischen »argutia«-Bewegung bei Weise und Morhof, S. 229 — 238. v ° Fullenwider: Tesauro in Germany, S. 26. Zu Fullenwiders falschen Schlußfolgerungen vgl. Kap. III.i. '·*' Henry F. Fullenwider: Die Rezeption, S. 232ff. 122 Ebd., S. 232. Vgl. weiter unten. Weises Buch wird am Rande auch erwähnt bei liro Kajanto, S. 156. Vgl. auch Raija Sarasti-Wilenius: Latin Lapidary Style in Finland, S. 123. 323 Mercedes Blanco: Les Rhetoriques de la Pointe, S. 184—186. 317
faßt nicht nur die ihr vorausgegangenen Erörterungen über Ästhetik und Gebrauchsmöglichkeiten der Inscriptio arguta zusammen,324 bestimmt nicht nur, zusammen mit Tesauros und Masens Ausführungen, die nachfolgenden Diskussionen entscheidend, sondern sie eröffnet dem zeitgenössischen Verständnis der Inscriptio einen neuen, nämlich »politischen« Kontext. Mit Recht stellte zwar schon der Biograph Weises, Samuel Grosser,325 fest, daß [...] hie über selectissima argutiarum Bibliotheca portabilis [.. .]·'
angesehen werden könne, doch erschöpft sich >De poesi hodiernorum politicorum< nicht in der Argutia-Theorie. Die gesamte Anlage und Konzeption dieser Inscriptio-Lehre, die die wichtigste Quelle der vorliegenden Arbeit darstellt, müssen deshalb notwendig ins Blickfeld gerückt werden. i. Einleitung und Aufbau des Buchs Schon in dem 1675 erschienenen Buch >Der grünen Jugend nothwendige Gedanken< verweist Weise im Zusammenhang mit der Argutia auf die lateinischen Inscriptiones argutae: Sonsten ist bekandt / daß man zu guter recommendation der Verse allerhand Argutias oder nachdenckliche / sinnreiche Gedancken mit einmischen und so wol die Invention selbst / als die Elocution damit angenehmer machen kan / wie denjenigen bekand ist / welche sich in Lateinischen Inscriptionibus geübt haben. Es würde auch nicht ungereimet seyn / wenn ich versuchen wolte / ob unsere deutsche Sprache zu dergleichen Inscriptionibus geschickt wäre. Doch Weitläufftigkeit zu vermeiden / mag solches zum Anhang des Politschen Redners versparet seyn.' 27
Es ist nicht ganz eindeutig, was Weise hier mit »Anhang« meint. Zwar ist wohl nicht unbegründet dieser »Anhang« mit >De poesi hodiernorum politicorum< identifiziert worden,328 doch spricht Weise ja auch von deutschsprachigen Scharfsinnigen Inschriften, die aber in seiner lateinischen Inscriptio-Lehre keine 324
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Freilich mit Ausnahme des Traktats von Tesauro, den Weise nicht kannte. Vgl. Fullenwider: Die Rezeption, S. 233. Samuel Grosser: Vita Christian! Weisii. Leipzig 1710. Die Ausführungen zu >De poesi hodiernorum politicorum< ebd., S. 174—177. Ebd., S. 177: »[...] dieses Buch als auserlesene und (gleichsam) tragbare Bibliothek der Argutia(-Theorie) [...]«. Im Original steht »portatilis«. Christian Weise: Der Grünen Jugend Nothwendige Gedanken. Leipzig 1675, S. 431. Vgl. Karla Elise MacBride: Vom »Natürlichen« und »Ungezwungenen«, S. 104, die eben dieses Zitat bringt, freilich unter Weglassung des Hinweises auf den Anhang des Politischen RednersDe poesi hodiernorum politicorum< verwirklicht. Fullenwider beachtet hier nicht, daß Weise auch von deutschsprachigen Inscriptiones argutae spricht. Vgl. auch Ders.: Tesauro, S. 31.
Rolle spielen. Allerdings wird die Inscriptio arguta im Politischen Redner< (erschienen 1677) zusammen mit dem Argutia-Phänomen behandelt, und zwar sowohl in lateinischer als auch in deutscher Sprache, nur eben nicht in einem Anhang. Wenn es denn so gewesen sein sollte, daß Weise ursprünglich eine Ars inscriptionis in deutscher Sprache plante - und dieser Schluß ist in dem o.g. Zitat angelegt - dann wurde dieser Plan zugunsten eines lateinischen »Anhangs des Politischen Redners« fallengelassen, und dies vielleicht deshalb, weil sich die deutsche Sprache, so formuliert es Weise im Politischen Redner«, nicht »nach der Lateinischen Kürtze [...] wil zwingen lassen«. 329 Auf jeden Fall darf man feststellen, daß die Inscriptio arguta in der Zeit zwischen 1675 und 1677 für Weise an Bedeutung gewonnnen hat, ja, schließlich scheint sie ihm so wichtig geworden zu sein, daß er ihr mit >De poesi hodiernorum politicorum< ein eigenes Buch glaubte widmen zu müssen, und zwar in der Sprache des europäischen Gelehrtentums.330 Weise verschafft mit der Bezeichnung >Poesis hodiernorum politicorum< der Inscriptio arguta eine bis dahin nicht bekannte Perspektive. Aus dieser Perspektive nimmt sie sich als ein dezidiert utilitaristisches Instrument des »Politischen« aus. Durch sie ist die neue Möglichkeit gegeben, dem barocken gesellschaftlichen Bedürfnis nach scharfsinniger Kommunikation nachzukommen und Argutien zu formulieren, ohne dabei poetologische Gesetzmäßigkeiten wie Metrum und Reim beachten zu müssen. Es ist also diese Möglichkeit, Argutien durch die ungebundene Form der Inscriptio arguta »frei« und ungezwungen zu formulieren, auf die der Untertitel des Buchs anspielt, wenn er mitteilt, es sei für diejenigen geschrieben, [...] qui vel hodiernum morem sectari, vel conscribendi carminis compendium quaerere cupiunt.
Gleichwohl bleibt ein solches »conscribendi carminis compendium« immer noch Poesie. In seiner Einleitung erklärt Weise, weshalb er sein Buch >De Poesi hodiernorum politicorum< genannt habe: In Titulo Argutas Inscriptiones nominavi Poesin Politicorum, non quod velim omnes Politicos in hoc genere versari, sed quod hodiernis moribus praecipua negotiorum Politicorum judicia hoc charactere solent concipi. Parum enim curiosos fuisse oportet, quorum oculos ne unica quidem subierit Inscriptio, sive per Satyram, sive per Panegyricum, Opera Pacis ac Belli persequens. Accedit hodierni seculi indoles, quae, quo Vgl. Kap. III.2. Dort wird auf die im Politischen Redner< enthaltenen Ausführungen Weises zur Scharfsinnigen Inschrift näher eingegangen. In der Vorrede (unpag.) notiert Weise: »Quaerent aliqui, cur neglexerim reliquarum Linguarum argutias, quas jam in Oratore meo Politico docueram balbutire Germanice? Sed videbam non difficilem fore operam, siquis fundamenta inventionum in una lingua perspexisset, ut in altero idiomate similem spectaretur felicitatem.« Zu Weises erster Bekanntschaft mit der Argutia-Bewegung vgl. Barner: Barockrhetorik, S. 210, und Karla Elise MacBride: Vom »Natürlichen« und »Ungezwungenen«, S. 104.
magis ad argutam adulationem propendet, eo minus ad molestiores Poetarum leges adstringi cupit: ut proinde in libero hoc ingenii cursu, eloquentiae compendium sibi videatur amplecti. Neque Poeticum non est, quicquid fingendo efficit poema [im Orig. griech.]; si vel jnaxime absit syllabarum numerus, quern ad vestimenta potius, quäm ad ipsum Poeseos Corpus ego quidem referre semper soleo.33' Argute Inschriften gelten Weise also deshalb als Poesie der »heutigen >Weltleutepolitici< genannt, nicht etwa weil ich der Meinung wäre, daß alle >politici< sich mit dieser Gattung beschäftigen, sondern weil nach den heutigen Sitten denkwürdige Urteile der politischen Handlungen der >politici< in diesem Stil verfaßt zu werden pflegen. Denn diejenigen, denen nicht einmal eine einzige [scharfsinnige] Inschrift aufgefallen ist, sei es, daß sie als Satire, sei es, daß sie als Lobrede die Werke des Friedens und des Kriegs darstellt, müssen sehr desinteressiert gewesen sein. Hinzu kommt der Charakter des heutigen Zeitalters, welcher, je mehr er zur arguten Schmeichelei neigt, um so weniger an die beschwerlicheren Gesetze der Poeten gebunden zu werden begehrt; so daß er daher glaubt, in einem derartigen freien Fluß des Ingeniums einen kürzeren und leichteren Weg der Beredsamkeit zu bekommen. Und durchaus ist alles das poetisch, was durch künstlerische Fiktion Dichtung hervorbringt; selbst wenn im äußersten Fall der Rhythmus von Versen fehlt, den ich nämlich immer eher zur Kleidung als zum Kern selbst der Poesie zu zählen pflege.« Dieses Zitat wird auch von Sparrow, S. io6f, diskutiert. Vgl. ferner Barner: Barockrhetorik, S. 185. Vgl. Borinski, S. 129; ferner Sparrow, S. 107, und Barner: Barockrhetorik, S. 358. Bei Barner bleibt allerdings etwas unklar, ob nun die Argutia-Bewegung die Poesie der »politici« sein soll oder explizit die Inscriptio arguta. Weise hingegen spricht eindeutig von der Inscriptio arguta, auch wenn sicherlich die Argutia als allgemeines Phänomen mitangesprochen ist. Zum arguten Stil als Stil der »politici« vgl. auch Ferdinand van Ingen: Temperament und Funktionalität — Christian Weises Dichterbegriff. In: Christian Weise. Dichter - Gelehrter - Pädagoge. Beiträge zum ersten ChristianWeise-Symposion aus Anlaß des 350. Geburtstages. Zittau 1992. Hrsg. von Peter Behnke und Hans-Gert Roioff. Bern u.a. 1994 (Jb. für Intern. Germanistik, Reihe A. Kongressberichte, Bd. 37), S. 283-296. Nicht im pejorativen Sinne zu verstehen!
si vel maxime absit syllabarum numerus, quern ad vestimenta potius, quam ad ipsum Poeseos Corpus ego quidem referre semper soleo.
Damit sind drei Bestimmungen der Inscriptio arguta angesprochen, von denen die ersten zwei sich aus der Erfahrung ableiten, also nicht aus einer wie auch immer gearteten Poetologie deduziert werden: Erstens stellt Weise fest, daß die argute Inschrift gemeinhin für »politische« Zwecke in Anspruch genommen wird; zweitens konstatiert er ein allgemeines Bedürfnis nach einer »poetischen« Gattung, die dem Ingenium zum arguten Ausdruck verhilft, ohne dabei feste Regeln beachten zu müssen; drittens bestimmt er das Poetische als Resultat der Fiktion (fingendus) und nicht der äußeren Form. Alle drei Bestimmungen begründen die Bezeichnung »Poesie der heutigen >politiciDe poesi hodiernorum polidcorum< wird man deshalb nicht gerecht, wenn man es nur als lateinisches Lehrbuch »vorwiegend für den Schulgebrauch« bezeichnet; so Barner: Barockrhetorik, S. 181. 140 Sie hat auch Anlaß zu einiger Verwirrung gegeben. So schreibt Barner: Barockrhetorik, S. 86, Anm. 242: Der scharfsinnige Stil »entspricht dem Hang der Zeit zur adulatio (vgl. die Bedeutung der >flatterie< am Hof Ludwigs XIV.) und bildet als prosaische Übung eine Ergänzung zur höfischen Poesie: >hodierni seculi indoles, qvae, quo magis ad argutam adulationem propendet, eo minus ad molestiores Poetarum leges adstringi cupitDe poesi hodiernorum politicorum sive De argutis inscriptionibus< ist in zwei Bücher eingeteilt. Das erste behandelt Theorie, Entwicklung, Gebrauch und äußere Form der arguten Inschrift und stellt beispielhafte Autoren vor; das zweite hingegen expliziert das rhetorische und argutiatheoretische Gerüst zur Anfertigung einer Inscriptio arguta und ist insofern auf die Praxis bezogen. Der Aufbau des Buches stellt sich wie folgt dar: 1. Buch (Theorie) Cap. I. De natura argutarum inscriptionum Cap. II. De origine argutarum inscriptionum Cap. III. De usu argutarum inscriptionum Cap. IV. De argutarum inscriptionum praecipuis auctoribus Cap. V. De varia scribendi ratione argutarum inscriptionum 2. Buch (Praxis) Cap. I. De artificiis argutarum inscriptionum in genere Cap. II. De inventione generali Cap. III. De inventione speciali e loco repugnantium Cap. IV. De inventione speciali e loco alienatorum Cap. V. De inventione speciali e loco comparatorum Cap. VI. De inventione speciali e loco allusionum Cap. VII. De dispositione Cap. VIII. De elocutione
Im folgenden wird der Schwerpunkt der Darstellung und Analyse auf das erste Buch gelegt, da in ihm die wesentlichen literarhistorischen und theoretischen Aspekte der Scharfsinnigen Inschrift behandelt werden, während das zweite Buch deshalb etwas vernachlässigt werden darf, weil dort die gängige rhetorische Systematik und die inzwischen gleichermaßen bekannten »fontes« der Ar96
gutia ihre Anwendung auf die Inscriptio arguta finden. Die entscheidenden Inhalte sollen zunächst paraphrasiert und dann, wo es notwendig erscheint, zusammengefaßt und analysiert werden. 2. Wesen, Entwicklung und Verwendung der Inscriptio arguta Weise leitet das erste Kapitel >De natura argutarum inscriptionum< mit einer vorläufigen »inscriptionis definitio« ein, um dem Leser einen ersten Begriff des Phänomens zu vermitteln: Et vero impraesentiarum Inscriptio [arguta] est Oratio verbis solutis Poesin imitata, argutis sensibus laudem aut vituperium alicujus referens.345 Der Name der arguten Inschrift leitet sich von den antiken Inschriften ab, denn beide erregen den Blick des Betrachters, indem sie längere und kürzere Zeilen nacheinander wechselseitig anordnen.340 In einem anderen Sinn verweist die Bezeichnung »inscriptio« auf den Buch- oder Gedichttitel, für die die argute »inventio« ebenfalls eine Rolle spielt und die Scaliger in seiner Poetik behandelt hat. Diese Bedeutung des Begriffs spielt in Weises Buch jedoch keine Rolle^47 Die Jesuiten 348 nennen ihre arguten Inschriften »Elogia«. Inscriptio und Elogium bezeichnen für Weise dasselbe und sind vom aus der Antike stammenden Begriff zu unterscheiden. 349 Weise zitiert in diesem Zusammenhang die 345
MDe origine argutarum inscriptionumIcones sive Imagines virorum literis illustrium< 386 Porträts berühmter Männer mit Elogen in der Form von Inschriften. 387 Jedoch genügen auch diese Elogen noch nicht den Ansprüchen Weises an einen arguten Stil.388 Von diesen Elogen führte der Weg endlich zu satirischen Inschriften, für deren Ursprung Weise die europäischen Kriege verantwortlich macht. 389 In diesen Inschriften wurde große Sorgfalt auf die satirische Schärfe (aculeus) des Ausdrucks verwendet, trotzdem sind ihre Verfasser »in hoc argutiarum genere« nicht völlig leichtsinnig gewesen.390 Weise zeichnet nun den Gang der Ent382
DAI, S. 71: »Et vero postquam e barbaric denuo emergerent literae, atque aliquod antiquitatis esse pretium, in Italia primum Epitaphiis major concessa venustas est, ut, qui talia pangebant, non purae saltern, sed pulchrioris etiam latinitatis relinquere vellent specimen.« 383 DAI, S. 82: »Nachdem so etwas Prachtvolleres in die Epitaphien eingedrungen war, kam fernerhin die Annehmlichkeit des Druckes hinzu, so daß die Elogen berühmter Männer nicht nur auf Erz und Marmor, deren Fassungsvermögen begrenzter ist, sondern auch auf Papier, das einen umfangreicheren Redeschmuck aufnehmen konnte, zu lesen waren.« •'8/1 DAI, S. 83: »Inde circa annum 1540. Virorum Illustrium Elogia persecutus est Paulus Jovius: Postea idem egit Theodoras Beza 1580. editis Iconibus, cum Elogiis.« Vgl. Paolo Giovio: Elogia doctorum virorum. Basel 1571 und Theodore de Beze: Icones. Genf 1580. Vgl. Ridderstad, S. 63 — 65. i8 ' DAI, S. 82: »Neque tarnen ista Elogia communem Oratoris stylum excedebant, adeoque ä nostris argutiis longius erant remoti.« *Hn Neudruck der Ausgabe Straßburg 1587. Begleittext und Namensregister mit biographischen Angaben von Manfred Lemmer. Leipzig 1973. 187 DAI, S. 82f.: »Tentavit Nie. Reusner 1587. an Iconibus Elogia possit addi, in forma Inscriptionum distincta.« Die Überschrift des entsprechenden Paragraphen lautet »Elogia Inscriptionibus junxit Reusnerus.< Vgl. zu Reusner Ridderstad, 8.65 — 70, 135, der dessen Inschriften ausführlich diskutiert; ferner Kajanto, S. I5if. Barockrhetorik< auf die Bedeutung der Jesuiten für die Rhetorik und Poetik des 17. Jahrhunderts sowie insbesondere für die Argutia-Bewegung hingewiesen403 und dabei auch kurz die Bedeutung der jesuitischen Gelehrten für die Inscriptio arguta gestreift.404 In der Tat ist die Entstehung der Inscriptio arguta, dies bekräftigt der Protestant Weise nachdrücklich, ohne das Engagement der Jesuiten undenkbar. Gerade dies macht deutlich, mit welcher Be402
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DAI, S. 400: »[...] nun, wo wir der Inschrift keine Steine, sondern Papier unterlegen, ficht uns keine so große Sorge an, daß Raum übrigbleibt.« Barner: Barockrhetorik, S. 321 —368; zur Argutia-Bewegung vgl. ebd., S. 44—46 und 355-366. In jüngerer Zeit hat Barbara Bauer in ihrer Dissertation »Jesuitische >ars rhetorica< im Zeitalter der Glaubenskämpfe« die herausragende Rolle der Jesuiten für Poetik und Rhetorik des Barock erneut deutlich gemacht, indem sie v. a. herausarbeitete, daß sich die jesuitische Gelehrsamkeit nicht nur in der Funktion einer »ancilla theologiae« erschöpfte. Zum Stilus argutus bei Masen vgl. ebd., S. 419—431. Barner: Barockrhetorik, S. 358.
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wunderung man im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts den jesuitischen »inscriptores« wie etwa Emanuele Tesauro, Luigi Giuglaris oder Nikolaus Avancini begegnete. Es kann deshalb auch nicht verwundern, daß Weise im Kapitel >De Inscriptionum Praecipuis Auctoribus< besonders jesuitische Epigraphiker hervorhebt. Nicht daß Weise seinen eigenen Glaubensbrüdern die Fähigkeit, untadelige Scharfsinnige Inschriften zu verfassen, abspräche, er zitiert oft und reichlich Inscriptiones protestantischer Provenienz, jedoch besonders bedeutsam scheinen ihm offensichtlich nur die Inscriptiones der Jesuiten zu sein. Weise stellt im folgenden Kapitel (>De usu argutarum inscriptionumMuseum< 4 ° 5 zur Diskussion. Wie nicht anders zu erwarten, schließt Weise sich der positiven Bewertung der arguten Inschrift an, über die die Gelehrten Europas wie mit einer Stimme redeten. Überdies betont er, daß es nicht angehe, Inschriften nur wegen ihrer besonderen Zeilenordnung oder ihres satirischen Potentials zu schätzen und die Bemühung um arguten Ausdruck zu vernachlässigen. Ferner sei die Vorliebe für derartige Inschriften nur dann gerechtfertigt, wenn man mit ihnen nicht bloß die Mühe, ein kunstvolles Gedicht zu dichten, zu umgehen beabsichtige und wenn dem Erfordernis des Scharfsinns nicht ausgewichen werde, die Unabhängigkeit der Inschrift vom Metrum sei durch die Eleganz einer scharfen Redeweise aufzuwiegen. 406 An diese prinzipielle Zusammenfassung schließt Weise seine Erörterung des Gebrauchs und der Verwendung der Inscriptio arguta an. Dabei thematisiert er vorab die zwei grundsätzlichen Schreibhaltungen der arguten Inschrift, nämlich Satire und Panegyrik, die ja zu den wesentlichen Bestandteilen der oben vorgestellten »definitio inscriptionis« gehören.407 Satire und Panegyrik bilden für Weise die obersten Kategorien, um die Verwendungsmöglichkeiten und den Gebrauch der Inscriptio arguta systematisch zu ordnen. Als erstes wird die moralische Problematik und der pädagogische Nutzen der Satire überhaupt diskutiert. Gefragt wird, ob satirische Schriften, sofern sie denn den Regeln der Rhetorik entsprechen, mit den sittlichen und moralischen Normen zu vereinbaren seien.408 Diese Diskussion, die Weise eng mit den historisch-politischen Flugschriften verbindet, soll im 405
Vgl. Kap. 11.3, S. 7 4 ff. ° DAI, S. 132: »Sie pro nobis dixit maximus rei literariae testis, quem sequi nunquam poenituerit. Fingamus enim esse ludicros quosdam homines, e nudo linearum positu metientes inscriptionem, aut inani vocularum strepitu tinnientes; certe ex eorum ineptiis judicari se non patientur eruditissimi per Europam homines, qui communi velut suffragio in hoc dicendi genus consenserunt. Demus etiam saepe carminis pangendi compendium qaeri per inscriptiones: quid interim refert, si nihil decedat acumini, ac solutam verborum libertärem, compenset aculeorum elegantia.« 407 DAI, S. 133: »Quod si verö aliquis Inscriptionum usus est, quaeritur, quo argumento occupari soleant, quäm comodissime? vel si e definitione Capitis i jam constat, circa laudem versari & vituperium: utriusque usum non immerito examinamus.« 4üt) DAI, S. I33f. Vgl. Kap. II.j. 4 n
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Kapitel II.5 näher betrachtet werden. Die zweite grundsätzliche Schreibhaltung bezüglich der Verwendung der Inscriptio arguta, die Panegyrik, differenziert Weise in »laudes ad res divinas« und »laudes ad res humanas«. Die Lobreden seien vor allem von den Jesuiten auf heilige und göttliche Gegenstände bezogen worden.409 Die »Elogia sacrarum rerum« des jesuitischen Epigraphikers Luigi Giuglaris etwa, der sich der Verleumdung sowie des schmeichlerischen Lobs enthalten und sich auf das Lob Jesu Christi konzentriert habe,410 könnten hier als Vorbild dienen, ja, solche Inschriften seien für die Frömmigkeit von Bedeutung, und die Studierenden der Rhetorik könnten an ihnen lernen, [...] quantum ad devotionis excitabulum praestet arguta dictio.4"
Weise beklagt, übrigens anders als Johannes Riemer,412 die mangelnde Fähigkeit der Prediger, durch argute Ausdrucksweisen die Bewunderung der Zuhörer zu erregen und damit die »devotio« anzuspornen. So nachdrücklich auch immer Weise auf Elogen und Scharfsinnige Inschriften als Instrumente des Glaubens, der Andacht und der Frömmigkeit abhebt und trotz seines Verweises auf Inschriften religiösen Inhalts im Kapitel >De origine argutarum inscriptionumDe argutarum inscriptionum praecipuis auctoribus< führt Weise Beispiele der seiner Meinung nach besten arguten Epigraphiker an, wobei er fast ausschließlich katholische resp. jesuitische Autoren berücksichtigt. Diese Konzentrierung auf Inscriptiones argutae katholischer Provenienz steht nicht im Widerspruch zu Weises Versuch, die vorzügliche Qualität der protestantischen »Inscriptiones« zur Geltung zu bringen. Doch hätten die protestantischen Epigraphiker dieses »genus scribendi« eher als Parergon angesehen und versäumt, ihre Scharfsinnigen Inschriften wie die Papisten in Büchern zu sammeln und damit zu Ansehen zu bringen. 4 ' 6 Aus diesem Grund müsse nun
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bus, ea sistam, quae inter nostrates aliquo sunt numero, & quae Studiosus harum literarum inter nos imitari possit.« Gemeint sind beispielsweise Flugschriften im Stilus lapidarius, aber auch andere, umfangreichere Texte, die in diesem Stil geschrieben und auf Mittelachse gesetzt sind. DAI, S. 3oyf.: »Etsi e praecedentibus constat, inter nostrates non deesse, qui per hoc scribendi genus inclarescere potuissent, si parergon [im Orig. griech.] hoc voluissent integris voluminibus excolere, quod fecerunt Pontificii: nunc tarnen non immeritö ad istos respicimus, non eos quidem omnes, sed praecipuos, quos nimirum in hac patria licuit reperire.« 109
das Augenmerk auf die Inschriften der herausragendsten katholischen Autoren gerichtet werden. Von den italienischen Schriftstellern hätten ihm, so Weise, Tesauro, Giuglaris, Masculo, Ferrari, Matina, Boldoni und Palazzi am besten gefallen; von den deutschen hingegen Masen, Balbinus und Avancini; von den französischen jedoch allein Petrus Labbe.417 Allen genannten Autoren widmet Weise einen eigenen Abschnitt, indem er zunächst biographische und bibliographische Daten liefert und dann Beispiele ihrer Elogen bzw. Inscriptiones argutae vorstellt. Dieses Kapitel braucht hier nicht referiert zu werden, da die meisten von Weise aufgeführten Autoren schon genannt wurden.
4. Äußere Form der Inscriptio arguta Im letzten Kapitel des ersten Teils seines Buchs (>De varia scribendi ratione argutarum inscriptionumMusaeum Brackenhofferianum< von Joh. Joachim Bockenhoffer,423 in der einige Begriffe, Namen und Bezeichnungen mit roter Farbe besonders gekennzeichnet sind. Den Schluß dieses Kapitels widmet Weise der typographischen Zeilengestaltung sowie der Frage nach Inscriptiones ligatae. Die Inscriptio arguta könne entweder mit einzelnen kurzen und langen Zeilen oder aber mit Perioden gegliedert werden. Nach der ersten Art würden möglichst in jeder neuen Zeile neue Argutien formuliert; nach der zweiten Art würden miteinander verbundene Argutien über mehrere, eine Periode ausmachende Zeilen verteilt. Eine dritte Möglichkeit bestehe ferner darin, eine Inschrift wie eine »normale«, d.h. kontinuierlich dahinfließende Rede ohne jede typographische Zeilen- bzw Periodengliederung zu gestalten.424 Weise lehnt sich hier an die schon erörterten
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DAI, S. 400: »Cum olim in lapidibus exscribendae essent lineae satis amplae, vix admittebatur spatium singula vocabula distinguens; istius igitur defectum compensavit punctum, quo veniente novam vocem expectabat lector. Deinde brevissima erant omnia, ut ambiguae constructionis difficultas raro timeretur. Sed nunc ubi non Lapides sed Chartas Inscription! substernimus, tanta reliquendorum spaciorum cura nos haud afficit. Quin etiam prolixiores argutiae, quia sensum saepe suspendunt, non punctis modo, sed Colis, Commatibus, Semicolis &c. volunt distiugui [!], ne nimia puncta confusis periodis ac colis, confusum distineant Lectorem. Interim ego libentius legero Argutias punctatas, quam Ineptias sine puncto & aculeo.« «" DAI, S. 4ooff. 4Ji Weise verweist schon im Kap. >De usu argutiarum inscriptionumElogia sacra< an, die er im Zusammenhang mit dem Problem der »brevitas« an anderer Stelle ausführlich zitiert. 425 Darüber hinaus würden, so Weise weiter, nicht alle Zeilen einer Scharfsinnigen Inschrift auf die selbe Art und Weise gestaltet, zwei Typen könnten hier ausgemacht werden. Der eine lasse die Zeilen ganz so wie Gedichtverse immer wieder neu vom Anfang der Seite beginnen und orientiere sich mehr am Sinn der Rede. Der andere hingegen bestehe darin, den Inschriftentext auf Mittelachse zu setzen, »ut tantum spatii ab initio relinquatur, quantum in fine«, und sei eher auf die visuelle Wahrnehmung bezogen. Der letzte Typ werde am häufigsten angewendet.426 Beide Typen sind natürlich nur auf diejenigen Inscriptiones argutae zu beziehen, die nichtperiodisch mit einzelnen kurzen und langen Zeilen gestaltet sind. Auf die Gestaltungsmöglichkeiten der periodisch gegliederten arguten Inschriften geht Weise nicht ausdrücklich ein, doch lassen seine Beispiele sowie Labbes Ausführungen die Unterschiede deutlicher werden. Folgende drei Möglichkeiten können deshalb grundsätzlich unterschieden und graphisch dargestellt werden: i. Die Inscriptio arguta wird mit einzelnen Zeilen gegliedert, die jeweils neue Argutien formulieren; diese Gestaltung kann zudem entweder durch den Satz auf Mittelachse oder durch einen jeweiligen, mitunter eingerückten Neubeginn der Zeilen vom Anfang der Seite an erfolgen. »Inscriptio distincta per lineas: argutiarum sensus singulis lineis absolvatur« I
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sus singulis lineis absolvatur, an vicissim per multas lineas se diffundat. Illas scribi novis subinde lineis, has comprehendi Periodis fuerit optimum. Vidi tarnen, qui Labbei Elogia Periodis distincta, lineis aeque feliciter distinxerunt: adeoque plane adiaphorum est. Quin etiam infra occurrat Inscriptio continua serie orationem exhibens.« Vgl. DAI, 8.411. DAI, S. 402: »Etiam lineae eodem modo non scribuntur. Aliqui lineas subinde ab initio paginae incipiunt, ut solemus in versibus. Plerique medium observant, ut tantum spatii ab initio relinquatur, quantum in fine [...] Si dicendum quod res est; Prior modus magis illustrat sermonis sensum; posterior afficit legentis adspectum.« Weise führt diese Gestaltungsmöglichkeiten auf die Form der antiken Inschriften zurück, DAI, S. 402f.: »Cur autem Antiqui lineas diversae amplitudinis formarint, haec videtur ratio. Non enim voces distinguant nisi punctis: Quoties igitur novus inciperet sensus, ad id significandum non sufficiebat punctum, sed nova dabatur linea; Ac si prior linea omne spatium non absolvisset, in medio collocabantur ejus reliquiae.«
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2. Die Inscriptio arguta kann mit Perioden gegliedert werden, deren Satzglieder und Argutien hypotaktisch verbunden sind, wobei eine neue Periode einen neuen Absatz erfordert. »Inscriptio distincta per periodos: argutiarum sensus per multas lineas se diffundat«
3. Die Inscriptio arguta kann ohne jegliche typographische Zeilen- und Periodengliederung als »continua series« gegliedert werden. Sowohl diese als auch die unter Punkt 2 dargestellte Möglichkeit sind nur noch an Hand des Begriffs, nicht aber an Hand der äußeren Form als Inschriften zu erkennen. »Inscriptio continua serie orationem exhibens«
Die meisten dieser von Weise explizierten Möglichkeiten, eine Inscriptio arguta typographisch zu gestalten, werden in der deutschsprachigen Literatur nicht
rezipiert. Dort zeichnet sich die Scharfsinnige Inschrift allein durch die Gliederung mittels kurzer und langer Zeilen in Verbindung mit dem Satz auf Mittelachse aus. Als letzten Punkt diskutiert Weise noch die Möglichkeit, argute Inschriften mit Metrum und Reim auszustatten. Solche gebundenen Inschriften seien z.B. in den Sammlungen Tesauros, Boldonis und Matinas zu finden. Weise jedoch möchte die Verwendung von Versmaßen nicht billigen, denn ein Metrum behindere eine argute Inventio: Interim ego argutias ad servilem carminis necessitatem adstringi nolim: quo liberius enim fluit sermo, eo accuratius sese prodit Inventio.427
Am Schluß des ersten Buchs rekurriert er damit wieder auf die Einleitung, in der er festgestellt hatte, sein Zeitalter neige so sehr zur arguten Adulatio, daß es eine Gattung benötige, die die Möglichkeit zur Verfügung stellt, Argutien ohne Beachtung von poetischen Gesetzmäßigkeiten zu formulieren.
5. Rhetorische und argute Prämissen Im zweiten Buch von >De poesi hodiernorum politicorum< diskutiert Weise die rhetorischen Anforderungen und Prämissen, eine Inscriptio arguta zu verfertigen.428 Dabei werden als erstes allgemeine Fragen und Probleme behandelt (Gegensatz »ars« — »natura«, »brevitas«, »neglegentia«, »obscuritas«), um dann die rhetorische Systematik (»inventio«, »dispositio«, »elocutio«) sowie die vier »fontes argutiarum« mit Rücksicht auf die Inscriptio arguta zu entfalten. Zunächst fragt Weise, ob man durch Regeln lernen könne, eine argute Inschrift zu verfassen, denn die einen behaupteten, daß der natürlichen Begabung der Vorrang einzuräumen sei, andere hingegen, daß die Beherrschung der »ars« die notwendige Voraussetzung sei. Als Vertreter der ersten Ansicht wird Baibin, als Vertreter der zweiten werden v. a. Masen, Tesauro und Boldoni herangezogen. Weise bezieht hier in Anlehnung an Labbe eine mittlere Position: »ars«, natürliche Begabung (natura) und Erfahrung ergänzen sich gegenseitig, oder in den Worten Labbes: Saepe acumen natura suggerit, doctrina acuit, experientia perficit. 4 - y
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DAI, S. 404: »Doch will ich nicht, daß die Argutiae an den knechtischen Zwang des Gedichts gebunden werden: je freier nämlich die Rede fließt, desto schärfer tritt die Inventio hervor.« Weise, ebd., erlaubt freilich die gelegentliche Verwendung von »versiculi«: »Non dico de illis, quibus interdum venustatis gratia admiscetur unus vel alter versiculus [...]« 4iK Vgl. Sparrow, S. 109. 4: ; " DAI, S. 409: »Oft liefert die natürliche Begabung ein Acumen, die Lehre schärft es, die Erfahrung vollendet es.« Vgl. Labbe: Elogia sacra, S. 630. 114
Regeln seien zwar durchaus von Nutzen, aber nur wenn sie mit Beispielen veranschaulicht und erläutert würden. 430 Hinsichtlich der Inscriptio arguta differenziert Weise in generelle Regeln, die das Wesen der Inschrift erhellten, und in spezielle Regeln, die die thematische Ausarbeitung einer Inschrift mittels der »inventio«, »dispositio« und »elocutio« explizierten.431 Sowohl die allgemeinen als auch die speziellen Regeln dienen dazu, die Scharfsinnigkeit einer Inschrift möglichst kunst- und wirkungsvoll herauszuarbeiten. Die generellen Regeln, die bei der Verfertigung einer arguten Inschrift zu beachten sind, erschöpfen sich in der Forderung nach »admiratio«, »brevitas«, »neglegentia« und Vermeidung von »obscuritas«. Mit der Forderung, daß nichts geschrieben werden dürfe, was die »admiratio« des Lesers nicht errege,432 reiht Weise sich in eine lange Reihe von Vorgängern ein, die die rezeptionsästhetische Funktion der Argutia immer schon in der Produktion von Verwunderung sahen; die Erzeugung von »admiratio« ist der wirkungsfunktionale Kern der ArgutiaTheorie, und Weise genügt dieser einzelne und nicht weiter ausgeführte Satz, um diese Tradition aufzurufen. Alle anderen Regeln sind ausschließlich auf diese Funktion hin konzentriert und dienen zu nichts anderem als zur Perfektion bei der Erzeugung von »admiratio« mit Hilfe der Argutia. Die zweite allgemeine Regel erfordert eine angemessene Kürze, so daß der Leser mehr nachzudenken als zu lesen hat.433 Diese »brevitas« ist aber nicht etwa auf die Länge einer Inscriptio arguta, sondern auf die Argutien der einzelnen Zeilen bezogen, woraus sich die Forderung ergibt, [...] Singulas Inscriptionis lineas debere obtinere vim Epigrammatis. 454
Die »brevitas« ergibt sich also insbesondere durch eine zuspitzende und pointenhaft-verdichtende epigrammatische Qualität der je einzelnen Zeilen der Inscriptio arguta; mit wenigen Worten viel zu sagen bewirke, daß der Leser bei den je einzelnen Zeilen innehalte und sich verwundere. 435 Gleichwohl billigt Weise eine gewisse Weitläufigkeit dieser »brevitas«, bisweilen nämlich könne ein Acumen durchaus auf drei oder vier Zeilen verstreut werden, solange 43U 431
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DAI, S. 409. DAI, S. 410. DAI, S. 410: »Prima Regula est: Nihil scribi debere, nisi quod excitet Lectoris ADMIRATIONEM, sive earn provocat Jocus honestus, sive acumen serium.« Vgl. Ridderstad, S. 135, sowie Susan Gilkeson Figge: The Theory, S. 157. DAI, S. 410: »Altera Regula est: Servandam in omnibus decentern BREVITATEM, ut tibique Lector plura inveniat cogitanda quäm vidit legenda.« DAI, S. 4iof.: »[...] daß die einzelnen Zeilen der Inschrift die Kraft eines Epigramms beinhalten müssen.« Vgl. Ridderstad, S. 135. So Weise bei der Analyse eines Zitats aus Labbes >Elogia sacraPrima Cura de raro Themate.< Vgl. auch DAI, S. 423. DA], S. 422, 434. DAI, S. 438: »Unicum de Invencione Universali monere adhuc velim, noli: quis thema nimis operosum eligere, quod parricularibus argutiis resistat.« Man wird ergänzen müssen: »und der zu tadelnden . . . « . DAI, S. 434: »Interim si Personarum aut rerum laudandarum interna adjuncta parüm faciunt ad provocandam admirationem, hoc reliquum est artificium ut externae seu alienae circumstantiae defectum suppleant, praesertim unde occasio nascitur loquendi sive de Rebus divinis, sive de magnis Reip. negotiis.« DAI, S. 438f: »Harum [gemeint sind die Argutien der einzelnen Zeilen] autem Inventio duplex est: Altera VERBORUM Curam majorem debet, altera Rerum [...] VERBA lusum produnt sive in Figuris Dictionis, sive in sublimitate Phrasium; quas tarnen elegantias reservabimus illi Capiti, quod de ELOCUTIONE Regulas indagabit accuratiores.« Beetz' allgemein gehaltene These, wonach im 17. Jahrhundert für die »argutiae verbales« vor allem der »fons allusionum« zuständig sei, ist also für Weise nicht zutreffend. Vgl. Beetz: Rhetorische Logik, S. 218. Weise, DAI, 8.560, bestimmt den »fons allusionum« so: »Allusiones voco, eum ad Historiam, Fabulam, Proverbium, Sententiam, antiquum sive novum ritum, ad aliquam inter eruditos Controversiam, ad omnem denique Curiositatis partem Oratio dirigitur.« Für die »argutiae verbales« ist also bei Weise ausschließlich die »elocutio« zuständig. DAI, S. 439: »RES argutae ingenium sapiunt aut AUSTERUM & senile, aut FESTIVUM & juvenile.« So die Paragraphenüberschrift, 2. Buch, Kap. 2, § 18. Zum Begriff »festivitas« vgl. auch Wolfgang Adam: Poetische und Kritische Wälder. Untersuchungen zu Geschichte und Formen des Schreibens »bei Gelegenheit«. Heidelberg 1988 (Beihefte zum Euphorion, H.22), S. 300.
Quelle und Eigentümlichkeit der »austeritas« der scharfsinnigen Gedanken erläutert Weise folgendermaßen: AUSTERITAS seu gravitas dictionis est e SENTENTIIS, quarum tacita Majestas nunquam procedit sine pondere: quibus non immeritö junguntur judicia e sublimioribus disciplinis petha, quae sectantur acumen non festivitatis sed veritatis ac sublimitatis. Licet enim omnibus aculeis prudens aliqua sententia subesse debeat; Multum tarnen inter est, an nuda exhibeatur veritas, an cum vestibus Oratorio-Poeticis.451
Die »austeritas« einer Scharfsinnigen Inschrift, der dann ein erhabener Stil entspricht (»gravitas dictionis«), kann also demnach aus Sentenzen gewonnen werden, denen Urteile aus denjenigen theologischen Disziplinen anzufügen sind, die ein »Acumen der Wahrheit« erstreben, d.h. die den Aussagekern nicht rhetorisch und poetisch ausschmücken, sondern ihn in seiner bloßen, »nackten« Substanz darstellen. Ebenso können zur »austeritas« einer Inscriptio arguta Redensarten beitragen, die den philosophischen Disziplinen entnommen sind.452 Demgegenüber bevorzugt die »festivitas« einer Inschrift »prachtvolle« Res, denen eine »festivitas dictionis« entspricht. Genau hier und nur hier, nämlich bei der »inventio specialis« bezüglich der »res festivae«, setzt Weises Lehre von den »fontes argutiarum« an, und er stützt sie im wesentlichen, freilich unter Reduktion der »venae«, 453 auf Masens Ausführungen in der >Ars nova argutiarumNeu=Erleuchteten Politischen Redner< von der »metaphysischen Deutung des arguten Stils« abgerückt,456 dann wird man dies relativieren müssen, denn eine solche »metaphysische Deutung« hat er nie vertreten. In den späteren Rhetoriken Weises findet man nicht mehr viel über die Inscriptio arguta, was aber nicht heißt, daß er sein epigraphisches Engagement aufgegeben hätte, denn beispielsweise der Politische Redner< erlebte sieben Auflagen, deren letzte im Jahr 1696 erschien. In all diesen Auflagen ist das Kapitel >Ubung mit den Argutiis< und damit auch die Erörterung der Scharfsinnigen Inschrift enthalten. Ebenso wird man in diesem Zusammenhang auch noch die Vorrede Weises zu den von ihm herausgegebenen >Elogia sacra< von Petrus Labbe berücksichtigen müssen, die 1686 und noch einmal 1706 erschienen. Diese Vorrede trägt die Überschrift >Praefatio adversus hujus Characteris contemptores< und richtet sich gegen diejenigen, die die argute Stilistik der Inscriptio arguta deshalb ablehnen, weil sie vom Stil der Alten abweicht. Schließlich erwähnt Weise die arguten Inschriften noch einmal in seinem 1708 erschienenen Buch >Oratorische FragenMonatsgespräche< von Christian Thomasius öffentlich verbrannt. 459 Dem so Geschmähten ist dies Anlaß, in einer kleinen Schrift einige Maßregeln aufzustellen, wie man sich in solchen oder ähnw
Vgl. Kap. I, S. 16.
^ So V. Kapp: Art. >Argutia-BewegungAnimorum in Europa et vicina Asia motus Frischmann, JohannAnimorum in Europa et vicina Asia motusDe arguta dictione tractatusBuch von der deutschen Poeterey< Martin Opitzens, der beide in ein engeres Verhältnis setzt, indem er sich sowohl bei Scaliger als auch bei Owen bedient: Das Epigramma setze ich darumb zue der Satyra / weil die Satyra ein lang Epigramma / vnd das Epigramma eine kurtze Satyra ist: denn die kürtze ist seine eigenschafft / vnd die Spitzfindigkeit gleichsam seine seele vnd gestallt [.. .]539 Die kausale Konjunktion »denn« erhellt, weshalb das Epigramm eine »kurtze Satyra« ist: Das Adjektiv bezeichnet seine Eigenschaft, während die »Spitzfindigkeit«, und also die Argutia 540 des Epigramms aus der Satyra abzuleiten ist bzw. das gemeinsame Dritte bildet. Dem entspricht Opitzens Bestimmung der Satire, die mit »stachligen und spitzfindigen reden« Wirkung erziele: Ihr vornemstes aber vnd gleichsam als die seele ist / die harte Verweisung der laster vnd anmahnung zue der tugend: welches zue vollbringen sie mit allerley stachligen vnd spitzfindigen reden / wie mit scharffen pfeilen / vmb sich scheußt.54' Wenn also das Epigramm argut und zugleich eine kurze Satire ist, dann ist die Argutia eine wesentliche Dimension auch der Satire.542 Daß das Epigramm auf zunächst etwas verwirrende Weise generell zur Satire gezählt wird, liegt somit
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Vgl. Peter Hess: Epigramm, S. 33 u. S. 39. Martin Opitz: Buch von der Deutschen Poeterey, S. 366. Einem gelehrten Irrtum begegnet man bei Wilfried Barner: Vergnügen, Erkenntnis, Kritik. Zum Epigramm und seiner Tradition in der Neuzeit. In: Gymnasium 92 (1985), S. 350—371, hier S. 367: bei Scaliger stehe der Satz »Epigramma est brevis satyra; satyra est longum epigramma«, welchen Opitz in seiner Poetik wörtlich übersetzt habe. Tatsächlich kommt dieser Satz bei Scaliger nicht vor, sondern geht sehr wahrscheinlich auf Owen zurück. Offensichtlich hat Barner Opitz ins Lateinische übersetzt. Der Text von Owen, zit. n. Jutta Weisz: Das deutsche Epigramm, S. 99: »Epigramma. Satyra. Nil aliud Satyrae qvam sunt Epigrammata longa; Est praeter Satyram nil Epigramma breve, Nil Satyrae, si non sapiant Epigrammata, pingunt: Ni Satyram sapiat, nil Epigramma juvat.« Daß Opitz das Epigramm dann doch lieber in seiner nicht satirischen Variante verwendet sehen will, ist für den hier interessierenden Zusammenhang nicht relevant. Zum Epigramm Owens vgl. Jürgen Nowicki: Die Epigrammtheorie in Spanien, S. 95; Tineke ter Meer: Snel en dicht, S. 36. Es ist hier noch einmal daran zu erinnern, daß Opitz Scaligers »argutia« mit »Spitzfindigkeit« übersetzt. Opitz, S. 28. Der erste Satz eine Übersetzung einer Casaubonus-Stelle; vgl. Jürgen Brummack: Zu Begriff und Theorie der Satire, S. 300. Vgl. Stefan Trappen: Grimmeishausen, S. 98, Anm. 50, der eine Äußerung Robertellos zitiert: die Satire »bedarf eines gewandten, scharfsinnigen, kundigen, wohlgeordneten und geistreichen Gemütes.« Es dürfte kein Zufall sein, daß Robertello in seinen >Explicationes< (1548) in einem eigenen Kapitel argute Redewendungen behandelt (>De SalibusOminosa rerum series in praesentibus Imperii Comitiis gestarum< zu nennen, als deren Verfasser der kurpfälzische Rat Balthasar Venator d.J. gilt.546 In ihr werden die Streitfragen der Regensburger Reichstagsver546
Balthasar Venator d.J.: Ominosa rerum series in praesentibus imperil comitiis gestarum. Seu vera relatio de Caesare capitulationis negotio, ä tempore instauratae Westphalicae Pacis deprompta, & ad Sexennia usque comitia continuata: infelicia consultationum fata fideliter recensens. o.O. 1669. J. G. Droysen: Zur Quellenkritik, S. 54, nennt Venator als Autor, ferner eine Ausgabe von 1665. Johannes Haller: Die deutsche Publizistik in den Jahren 1668—1674, S. 16, nennt eine Ausgabe von 1671 und verweist auf Fortsetzungen bis zum Jahr 1673. Paul Wentzcke: J. Frischmann, S. 122, Anm. i, nennt eine Ausgabe von 1670. Vgl. auch Harold Jantz: Baroque Free Verse, S. 260, der kurz auf Venator eingeht. Jöcher: Allgemeines Gelehrten-Lexikon, Bd. 4, S. 1751, schreibt über B. Venator d.J.: »[...] ein churpfältzischer, wie auch hertzoglich=liegnitzischer Rath, lebte zwischen 1620 und 1674, und schrieb >ominosam rerum gestarum seriem«, ohne Nahmen, daran Ge. Bechtius soll mit gearbeitet haben.« Vgl. Georg Pasch: De variis modis moralia tradendi über. Kiel 1707, S. 3i9f. Vgl. jetzt auch Johannes Schöndorf: Balthasar Venator [d.Ä.!] und seine deutschen Satiren. In: Wolfenbütteler Barocknachrichten, Jg. 21, H. 2 (1994), S. 95-107, dessen Auf-
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Handlungen erörtert. 547 Auf polnische Verhältnisse beziehen sich mehrere kleine epigraphische Flugschriften. So etwa >Lugubre momumentum ducissae regni, capularis anusActa eruditorum< hinweist. >Praefatio adversus hujus Characteris contemptores< zu Labbes >Elogia sacraDes InscriptionsCaesares< und >PatriarchaeDe arguta dictione tractatusFundamenta stili cultiorisDe poesi hodiernorum politicorum< näher erläutern sollte87 und den auch der Nürnberger Sigmund von Birken in seiner Poetik anreißt. Dessen Poetik und sein Verständnis des Stilus lapidarius ist nun in den Blick zu nehmen.
3. Sigmund von Birken als Übersetzer des >Mausoleum< (1664) Ferenc de Nädasdys und die Integration der »Stein-Schreib-Art« in die deutschsprachige Poetik (1679) »Zu beliebter Nachfolge / angewiesen«, so hatte Harsdörffer seine Obschriften überschrieben.88 Es kann nicht verwundern, daß gerade Sigmund von Birken als einer der ersten Nachfolger den Faden wieder aufnahm. Gleichwohl entwik82 Hi
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Ebd., S. 180. Ebd., S. 181. Es gibt laut Dünnhaupt II folgende Auflagen: 1677, 1681, 1684, 1688, 1691, 1694 und 1696. Vgl. Kap. 11.4. Gemeint ist die Inscriptiones-Sammlung Tesauros. Christian Weise: Politischer Redner, S. iiof. Das Epitaphium auf S. 111 — 113. Vgl. Kap. II. 5 . Vgl. Kap. III.i. 169
kelte Birken, der ohnedies inzwischen auf mehr einschlägige Quellen zurückgreifen konnte, in seiner >Rede-bind- und Dichtkunst^ (1679) eigenständige Gedanken, indem er insbesondere den Lapidarstil zum wesentlichen Gegenstand seiner poetologischen Betrachtungen erhob, dabei jedoch die Gattungsbegriffe »Elogium«, »Inscriptio arguta« oder »Obschrift« fast gänzlich außer acht ließ. Dementsprechend ist das Hauptaugenmerk in seiner Poetik auf den »stilus lapidarius« oder, wie Birken übersetzt, auf die »Stein-Schreib-Art« gerichtet, wobei nachdrücklich der ganz außergewöhnliche Umstand hervorzuheben ist, daß Birken in diesem Zusammenhang die Scharfsinnigkeit nicht thematisiert. Birkens epigraphisches Engagement begann 1664 mit einer Übersetzung des im Stilus lapidarius verfaßten und von dem Ungarn Ferenc de Nadasdy herausgegebenen Buchs >Mausoleum potentissimorum ac gloriossimorum regni apostolici regum et primorum militantis Ungariae ducurm. Es setzte sich 1665 fort, als er mit den Möglichkeiten der Integration des Stilus lapidarius in die Prosa-Ekloge experimentierte,09 und schlug sich schließlich auch poetologisch in seiner >Rede-bind- und Dichtkunst nieder. Darüber hinaus trat der Nürnberger auch sonst als Verfasser einiger Gelegenheits-Inscriptiones hervor.90 Der einschlägige Passus in der >Rede-bind- und Dicht-KunstVon Zierde der Gebändzeilen. De Ornatu Versuum.< 95 Birken: RBDK, S. 73. 96 Vgl. die Ausführungen zur Zeilengestaltung in Kap. III.5. y7 Der ChurFürsten=Raht / von Erwählung eines Römischen Keysers. Aus dem Latein ins Teutsche übersetzt. o.O. 1657. Dies die Übersetzung von Johann Frischmann: Collegium electorate de eligendo romanorum imperatore. o.O. 1657. Vgl. Kap. II.5.
i/i
ros Buch >Patriarchae sive Christi servatoris genealogiaeüf/ ©taub! n Diese zwei Alexandriner sind typographisch so gestaltet, daß der erste nach der Zäsur in einer neuen linksbündig gesetzten Zeile fortfährt, der zweite aber in drei ungleiche untereinander zentrierte Satzglieder sich aufteilt. Die Aufteilung verfährt dabei allein nach semantischen Gesichtspunkten. Hier sind es sowohl typographische Qualität als auch die Zeilengliederung nach semantischen Kriterien, die sich auf die Stein-Schreib-Art zurückführen lassen. Gleichwohl ist dieser Text lediglich »nach Art« des Stilus lapidarius verfaßt, denn zu diesem gehört ja auch die Form der ungebundenen Rede. Eine solche ungebundene Grabschrift führt Birken abschließend an, mit den Worten, eine »Grabschrift in ungebundener Rede / fließet etwas freyer«. 106 Birken ist der erste Gelehrte, der den Stilus lapidarius in einer deutschsprachigen Poetik behandelt.107 Wie Weise für die Rhetorik schafft Birken mit diesen einschlägigen Einlassungen in seiner >RedebindKunst< die Grundlage für die theoretische Behandlung der »ars inscriptionis« und ihrer Stilistik in deutschsprachigen Poetiken. Bemerkenswert an Birkens Ausführungen zur »Stein-Schreib-Art« ist aber in erster Linie, daß er Harsdörffers Scharfsinnige Inschriften in der >Ars Apophthegmatica< ebensowenig erwähnt wie die Argutia-Theorie, und das, obwohl er eine Inscriptio arguta Tesauros anführt und als Beispiel preist. Soweit ich sehe, erwähnt er die Argutia in seiner Poetik überhaupt nur an zwei Stellen. Einmal im Zusammenhang mit den Epigrammen, deren Zier darin bestehe, »daß sie kurz und scharffsiunig [!] seyn: welches 105
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Ebd., S. 240. Ebd., S. 24of. Da es sich um eine Poetik handelt, ist man schlecht beraten, den Titel des Buches als >Teutsche Rede- Bind- und Dichtkunst anzugeben, wie das mitunter zu lesen ist (etwa bei Fullenwider: Die Rezeption, S. 235), denn das evoziert die Vorstellung, es handele sich um eine Redekunst, Bindkunst und Dichtkunst. Tatsächlich lautet der Titel aber >Teutsche Rede-bind- und DichtkunstVerzeichnis der Schriften des AutorisMausoleum< verzeichnet: »Mausoleum der Hungarischen Könige: aus dem Latein stilo lapidario, mit den Conterfäten bey Mich, und J. F. Endtern. in fol. 1665 [!].« Dünnhaupt I, Teil I, S. 347, schreibt mit Bezug auf das >MausoleumMausoleum< kann m.E. nicht auf Birken geschlossen werden. Allerdings heißt es dort: »Ideö nihil hie tibi novi promitto, nisi translatam recentioribus coloribus in novas tabellas notae imaginem antiquitatis: qua veriorem si repereris, illi etiam meo nomine subscribe«, und es mag sich deshalb hier noch eine Anspielung auf Birkens Namen verbergen. " H Georg Neumark: Der Neu-Sprossende Teutsche Palmbau. Nachdruck der Ausgabe Nürnberg 1668. München 1970 (Die Fruchtbringende Gesellschaft, Bd. 3), S. 459. Dünnhaupt I, Teil i, S. 347, weist auf Neumarks Angabe hin. "9 Magnus Daniel Omeis: Gründliche Anleitung, 8.265. Zu Omeis vgl. Kap. III.5. Weitere Belege, die Birken als Übersetzer ausweisen bei Friedrich Andreas Hallbauer: Sammlung teutscher Inscriptionen, Vorrede § 43: deutsche »sinnreiche Inschriften« seien u.a. »in Sigm. von Bircken Mausoleo der Ungarischen Herzoge und Könige« zu finden; Daniel Georg Morhof: Unterricht, S. 312: Scharfsinnige Inschriften finde man »bey dem Autore des Mausolei Regum & Ducum Hungariae, Betulio, und anderen« (Betulius ist der latinisierte Name Birkens); Zedler, Bd. 3, Sp. 1909; Goedeke, Bd. 3, S. 114; Dünnhaupt II, Teil i, S. 616. Nennungen des Buches ohne Hinweis auf Birken: Christian Weise: DAI, S. 395, beklagt, daß er dieses Buch nicht zur Hand habe: »Comitis Francisci de Nadasd Mausoleum Regni Apostoli 44. Regum, unius Gubernatoris et 14. Ducum memorias complectens, tale quidem est, ut legi mereatur: utinam nunc, dum haec scribo, fuisset ad manum.« Die genauen Angaben scheinen zu belegen, daß Weise das Buch vorgelegen hatte. Fr. Kiene: Poetische Nebenstunden, S. 266, verweist auf deutsche Inscriptiones argutae und spricht in diesem Zusammen-
zu belegen, daß die deutsche Übersetzung eine Arbeit Birkens ist.120 Schwieriger ist der Autor der lateinischen Version zu bestimmen. György Rozsa vermutet den Jesuiten Nikolaus Avancini als Verfasser, da dieser 1655 seinen Dramenband Nädasdy gewidmet und 1658 eine ähnliche Elogensammlung veröffentlicht habe.121 Dieser Frage wäre allerdings noch gründlicher nachzugehen. Das >Mausoleum< versammelt 44 Elogen auf die ungarischen Könige, eine Eloge auf einen »regius gubernator« und 14 Elogen auf ungarische Feldherren, 122 die allesamt panegyrischer Art und zudem mit Kupferporträts illustriert sind. 123 Es steht damit in der Tradition der Inscriptiones-Bücher etwa von Luigi Giuglaris, Giuseppe Maraviglia oder Leo Matina, die alle serielle panegyrische Inscriptiones argutae und Elogen auf Könige, Kaiser und Feldherren gedichtet haben. Birken gibt in der >Rede-bind und Dichtkunst grundsätzliche Anweisungen, wie eine Übersetzung ins Werk zu setzen sei.124 Übersetzungen seien erst dann als gelungen anzusehen, »wann sie der Urschrift und dem Original so gar gleich sehen / als wann sie Teutsch von ankunft / wären«. 125 Um dies zu erreichen, dürfe man sich nicht zu sehr an die sprachlichen Eigen-
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hang vom »hochberühmte[n] Autor des theuren Werckes / Mausolei Regum & Ducum Hungariae«; Morhof: De arguta dictione, S. 182, schätzt dieses Buch nicht besonders und stellt in diesem Zusammenhang fest, die deutsche Sprache eigne sich nicht für Scharfsinnige Inschriften; ähnlich Georg Pasch: De variis modis, S. 454; Heineccius: Stili cultioris fundamenta. Halle a.d. Saale 1720, S. 318; Zedler, Bd. 23, Sp. 322f. (Stichwort >NadasdiNadastiNadastiDie vier Tage einer Newen und LustiI8 7
ferdichtung des Barock näher mit den Bauminschriften befaßt. Sie deutet die antiken Bauminschriften als »Zeugnisse der Liebe«. Außerdem »ist das ein Versuch, dem Gedichteten Ewigkeit zu verleihen«.141 Oft seien aber Bauminschriften, und zwar sowohl in der Antike als auch im Barock, »nur ein Vorwand zur Anführung von Gedichten.«142 Der Ruhmgedanke der Renaissance, »der die Idee der Ewigkeit und Unsterblichkeit enthält«, werde v.a. bei den Nürnbergern »für jeden Anlaß mißbraucht«.143 Ihr Resümee schließlich: »Für die Schäferdichtung bleibt das Motiv des Rindenritzens das Mittel, lyrische Einlagen in einen epischen Teil einzuflechten.«144 Wie man sehen wird, bilden textimmanente Bauminschriften in der Antike und im Barock zwar einen wesentli-
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gen Schäfferey< von Brehme: »Als galanter Liebhaber schneidet Corimbo Verse in die Bäume« (S. 45). Ernst Günter Carnap: Das Schäferwesen in der deutschen Literatur des 17. Jahrhunderts und die Hirtendichtung Europas. Diss. Frankfurt a. M. 1939, mit Bezug auf die Nürnberger: »Auch das seit alters beliebte Schneiden von Versen in die Rinde von Bäumen wird in den pegnesischen Schäfergedichten in weitestem Umfang geübt. Ob es Absicht ist, daß vielfach die Linde als Ruh- und Schnitzort dient, läßt sich nicht ausmachen; in Martin Limburgers >Pegnesischen Hirten-Gedicht / in den Norischen Feldern< (Nürnberg 1667) sind es zum Unterschied einmal eine Tanne, ein Ahorn und ein Kirschbaum«. Außerdem weist er auf die >Jüngsterbawete Schäferey< und Neumarks >Filamon< hin (S. 26f). Auch Hedwig Jürg: Das >Pegnesische Schäfergedicht< von Strefon und Clajus. Diss. Wien 1947 (Masch.), bemerkt die antike Tradition und die Verwendung in der deutschen Schäferdichtung. Ferner befindet sie: »Bei Hfarsdörfrer] (>Trichter< 11/38, 1648) ist jedenfalls festgehalten, dasz dahinter [dem Verfassen von Bauminschriften >T. N.] keine Tatsache zu sehen (ist), sondern, wie das ganze Schäfertum, dieses Motiv den Wert eines Gesellschaftspieles hat« (S. 50f). In seiner >HerciniePhiloteus< des Laurentius von Schnüffis. Zum Typus des geistlichen Romans im 17. Jahrhundert. Meisenheim am Glan 1969, betrachtet ebenfalls das Verfassen von Bauminschriften als Schäfermanier: »In ihrem >vergoldeten Alltag< hängen (die Schäfer) [...] ihren verliebten Gedanken, Träumen und Sehnsüchten nach, verleihen ihnen Ausdruck in Liedern zur Flöte, Leier oder Laute und in Gedichten, die sie in die Rinde der Bäume ritzen« (S. 32). Marieluise Bauer: Studien zum deutschen Schäferroman. Diss. München 1979, bezeichnet in Anlehnung an Lederer die Bauminschriften als »klassisch(es) bukolisch(es) [...] Motiv«, das aber in den deutschen Schäferromanen »ziemlich bedeutungslos« geblieben sei (S. 157). Gerda Lederer: Studien zur Stoff- und Motivgeschichte der Schäferdichtung des Barockzeitakers. Diss. (Masch.) Wien 1970, S. 519. Lederer weist hin auf Stellen bei Vergil, Sannazaro, Tasso, Sidney, Opitz (>HercinieJüngst=erbaweten Schäfferey< und v. a. bei Birken (>Fortsetzung der Pegnitz=SchäfereyOstländischer LorbeerhäynPegnesische Gesprächspiel-GesellschaftDorus aus IstrienKriegs-undFriedens-GedächtnisBekränzter SilviusAitia< von Kai l i machos'40 sowie die 18. Idylle des Theokrit147 gelten. In einem Fragment des ersteren wird von der Liebe zwischen Akontios und Kydippe erzählt. Akontios, »in den sich sonst die anderen verlieben«/ 48 wird vom Pfeil des Eros getroffen, »sucht die Einsamkeit auf und redet dort mit den Bäumen, in die er nach antikem Brauch«149 ein Lob seiner Geliebten eingeschnitten hat: Aber Buchstaben mögt ihr, in euere Rinden geschnitten, Tragen so viele, als kundgeben: Kydippe ist schön.'50
Dieser »antike Brauch«, die Sehnsucht eines Liebenden durch eine Bauminschrift offenkundig zu machen, läßt sich auch bei Vergil 15 ' und Calpurnius 152 nachweisen. So singt beispielsweise bei Vergil ein Schäfer folgendes Klagelied: Fest entschlossen bin ich, im Forst bei den Höhlen der Tiere Leid zu erdulden; ich will einritzen den Namen der Liebsten jungen Bäumen: sie wachsen, und mit ihnen wächst meine Liebe.'53
Die Motivation, den Namen der Geliebten in einen Baum zu schneiden, geht wohl ursprünglich auf einen »Sympathiezauber« zurück: »In dem Maße, wie in der Rinde die eingeschnittenen Buchstaben wachsen und größer werden, soll auch die Liebe des Mädchens sich vergrößern.«' 54 Auch die 18. Idylle des 145
Die folgenden Beispiele aus Antike bzw. Spätantike gehen zurück auf die Angaben in: Hirtengedichte aus spätrömischer und karolingischer Zeit. Marcus Aurelius Olympius Nemesianus, Serverus Sanctus Endelechius, Modoinus. Hirtengedicht aus dem Codex Gaddianus. Hrsg. und übersetzt von Dietmar Korzeniewski. Darmstadt 1976, S. 112, Anm. zu 28, hier weiterführende Hinweise. 146 In: Die Dichtungen des Kallimachos. Gr. u. Dt. Übertragen, eingeleitet und erklärt von Ernst Howald und Emil Staiger. Zürich 1955, Fr. 73. 147 In: Die griechischen Bukoliker. Theokrit, Moschos, Bion. Hrsg. von Hermann Beckby. Meisenheim am Glan 1975 (Beiträge zur klassischen Philologie, Heft 49), S. 149-153. 148 Die Dichtungen des Kallimachos, S. 257 (Kommentar). 14S Ebd., S. 258. 150 Ebd., Fr. 73, S. 259. 151 Vergil: Hirtengedichte (Eklogen). Übersetzt und erläutert von Harry C. Schnur. Stuttgart 1988, S. 36-39 (10. Ekloge). ' 5J Hirtengedichte aus neronischer Zeit. Titus Calpurnius Siculus und die Einsiedler Gedichte. Hrsg. und übersetzt von Dietmar Korzeniewski. Darmstadt 1971, S. 27 — 35 (3. Ekloge). '" Vergil: Hirtengedichte, S. 38, Vers 52ff. 154 Alfred Dietzler. Die Akontios-Elegie des Kallimachos. Diss. Greifswald 1933, S. 13, Anm. 15. 189
Theokrit (>Helenas BrautliedBete zu mir! Der Baum der Helena bin ichArcadiaArcadiaArcadia< zitiert. Das Original erschien 1590 und wurde 1630 von Valentinus Theocritus von Hirschberg (Ps.) (nach einer franz. Vorlage) und 1638 von Martin Opitz ins Deutsche übersetzt. Nachdem der Schäfer Musidorus seine Geliebte Pamela entführt hat und die beiden sich ihrer gegenseitigen Liebe versichert haben, gelangen sie »in ein kleines und [...] lustiges Höltzlein«. 170 Während Musidorus ein Lager herrichtet, wandelt Pamela unter den Bäumen umher und erwählt
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Hirtengedichte aus spätrömischer und karolingischer Zeit, S. 14-25. Ebd., S. 16, Vers 27ff. Das einzige mir bekannte Beispiel aus dem Mittelalter stammt von Konrad von Würzburg. Vgl. Ders.: Der Trojanische Krieg. Hrsg. von Adelbert von Keller. Stuttgart 1858 (Bibliothek des Litterarischen Vereins in Stuttgart, Bd. 44), S. 10. Vgl. Elisabeth Lienert: Geschichte und Erzählen. Studien zu Konrads von Würzburg > Trojanerkrieg». Wiesbaden 1996 (Wissensliteratur im Mittelalter, Bd. 22), S. 40, und Ulrich Ernst: Formen der Schriftlichkeit, S. 303. 167 Jacopo Sannazaro: Arcadia & Piscatorial Ecloguess. Translated with an introduction by Ralph Nash. Detroit 1966, S. 57 und 142. lnf! Georg Philipp Harsdörffer: Diana. Nachdruck der Ausgabe Nürnberg 1646. Darmstadt 1970, 2. Teil, 4. Buch, S. i48f. 169 Philip von Sidney: Arcadia der Gräfin von Pembrock [Übersetzt von Martin Opitz]. Nachdruck der Ausgabe Frankfurt 1643. Darmstadt 1971. 170 Philip von Sidney: Arcadia, S. 766. 165
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[...] einen besondern Baum / dem sie die allerverborgneste Heimbligkeit ihrer Gedancken vertrawete / Vnnd darein folgende Verse schnitte. Ich thue Gewalt / o Hochbegrünte flehte / Mit meiner Schrift / ich thue Gewalt an dir / Daß ich in dich verzeichne mein Getichte / Daß meine Hand verwundet deine Zier / Gräbt ein das Leyd von meiner Wunden hier. Daß ich diß thue vervrsacht mein Gesichte. Vnd weil ich selbst bin grawsam gegen mir / Was wunder ists was ich an dir verrichte? Du werdest / ach! ja nimmer nicht zu nichte / Daß meine Lieb' auch mit dir wachsen kan / Vnd werde so durch dich stets kundt gethan. Ihr Götter schenckt der Liebe diß gewichte / Wie meine Trew ihm seinem Vorsatz giebt / Daß seine Trew stets meinen vorsatz hebt. 17 '
Es fällt auf, daß das als Bauminschrift gestaltete Sonett den Eindruck eines Einklangs der Schreibenden mit einer symphatetisch zuhörenden Natur vermittelt. Diese Verbundenheit mit der Natur geht so weit, daß sie als Medium fungiert, »die allerverborgneste Heimbligkeit« epigraphisch öffentlich zu machen. Dem Baum werden schließlich sogar die Herzenswunden der Liebenden in der Form von »Rindenwunden« in der Hoffnung übertragen, daß die Liebe am beständigen Wachstum des Inschriftenträgers teilhabe. Es läßt sich zeigen, daß seit 1630 in der deutschsprachigen Prosaliteratur des Barock die thematischen und formalen Möglichkeiten erheblich erweitert werden. Es war Martin Opitz, der mit seinem Text >Schäfferey von der Nimfen Hercinie< (i03o) 172 als erster die Möglichkeiten der Bauminschrift in die deutschsprachige Literatur einführte, 173 indem er zugleich die neue schäferliche Gattung der Prosaekloge schuf. In ihr gestaltete Opitz verschiedene Sonette und eine Sestine als Bauminschriften. 174 Seit der >Hercinie< ist es in der schäferlichen Literatur des Barock üblich, Bauminschriften in den verschiedensten Variationen zu verwenden. Schon in der zwei Jahre nach der >Hercinie< anonym erschienenen »Jüngst=erbaweten Schäfferey< 175 finden sich erneut Baumin-
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Ebd., S. y66f.
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Martin Opitz: Schäfferey von der Nimfen Hercinie. Brieg 1630. In: Ders.: Gesammelte Werke. Hrsg. von George Schulz-Behrend. Krit. Ausgabe, Bd. 4: Die Werke von Ende 1626 bis 1630, 2. Teil. Stuttgart 1990 (Bibliothek des Literarischen Vereins in Stuttgart, Bd. 313), S. 512—578. Soll heißen: mit einem Text, der keine Übersetzung ist bzw. sich nicht auf eine Vorlage bezieht. Ebd., S. 519 und 570 (Sonette), S. 569 (Sestine). Jüngst=erbawete Schäfferey. Leipzig 1632. In: Schäferromane des Barock. Hrsg. von Klaus Kaczerowsky. Reinbek bei Hamburg 1970 (Rowohlts Klassiker der Literatur und der Wissenschaft, Bd. 35), S. 7 — 96.
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Schriften, und sie bleiben bis zum Ende der barocken Schäferdichtung ihr fester Bestandteil. Um so erstaunlicher ist deshalb die Tatsache, daß der Nürnberger Patrizier Georg Philipp Harsdörffer im Jahr 1650 eine Sammlung von Lehrgedichten in Prosa herausgibt, in denen Bauminschriften ohne pastoralen Kontext auftreten. 176 Weitere Beispiele für die Erschließung neuer Gattungen sind Grimmeishausens >Simplicissimus< und dessen >ContinuatioSyrerinn Aramena< 177 sowie Lohensteins >Großmüthiger Feldherr ArminiusPipenburgische Rahtstelle beglückwünschet von Floridas beschäftigt sich der Schäfer Floridan [= Sigmund von Birken] mit der Ratswahl des Juristen H. Joachim Pipenburg. Als er schließlich einem Baum »darunter ich gelegen [...] für verliehenen Schatten / ein Dank-gedichtlein in dessen Rinden«' 80 hinterlassen will, stellt er fest, daß diesem Baum, einer Buche, gegenüber eine Linde und eine Erle wachsen: also daß diese drey Bäume / im dreygeecke / durch Zusammenfügung ihrer grünen Arme / ein schönes Laub-gezelt über mich hergeschlossen hatten. Als ich etwas nachgedacht / fiele mir ein / wie daß die Namen der dreyen Zugehörnise eines Ratsherrn also in Verwandschaft stünden. rHl
Dies nun ist für Floridan ein Anstoß, über die Eigenschaften »einer Staats= und Raths-Person«102 nachzudenken. Sie drücken sich vornehmlich in weisem Verhalten, das sich unter anderem mittels des Lesens einstelle, und in angemessenen Rechtskenntnissen aus, die, wenn sie »der Personen Gebühr / der Sachen und Werke Billigmäßigkeit« beachten,' 83 Ehre und unsterblichen Nachruhm 176
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Georg Philipp Harsdörffer: Nathan und Jotham. Neudruck der Ausg. Nürnberg 1659. 2 Bde. Hrsg. und eingeleitet von Guillaume van Gemert. Frankfurt a. M. 1991 (Texte der frühen Neuzeit, 4), Bd. i, S. 36 und 111. Anton Ulrich, Herzog von Braunschweig-Lüneburg: Die Durchleuchtige Syrerinn Aramena. 5 Teile. Hrsg. und mit einem Nachwort versehen von Blake Lee Spahr. Bern/Frankfurt a.M. 1975-1983. i. Teil. Nachdruck der Ausgabe 1669. Bern/Frankfurt a. M. 1975, S. 39off.; 4. Teil. Nachdruck der Ausgabe 1672. Bern/Frankfurt a.M./ Las Vegas 1978, S. 206ff. Genauere Angaben s. weiter unten. Sigmund von Birken: Pipenburgische Rahtstelle beglückwünschet von Floridan. In: Pegnesis Zweyter Theil. Nürnberg 1679, S. 205-252, hier S. 247ff. Ebd., S. 247. Ebd. Ebd. Ebd.
nach sich ziehen. Die erste Eigenschaft nun bilde die Buche vor184 (Buche Buch - Lesen - Weisheit), die zweite die Linde, weil / in Abstraffung Menschlicher Schwachheiten / die gelinde Billigkeit / dem gerichtlichen Rathschwerd seine Schärfe etwas benehmen soll.'85
Auf Ehre und unsterblichen Ruhm deute aber die Erle:186 Ich konte es nit lassen / in die Buche / Erle / und Linde / folgendes Buch / Kranz (die unverwelkliche Ehre damit zu bemerken) und Wage mit Reimen zubilden.187
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Ebd. Ebd., S. 249. Ebd., S. 248. Ebd., S. 249.
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Teutscher sinnreicher Inscriptionen< (1725/32) Es sollen zunächst drei Publikationen untersucht werden, in denen die deutschsprachige Scharfsinnige Inschrift und der Stilus lapidarius nicht mehr nur als Objekte der rhetorischen und poetologischen Reflexion, sondern vielmehr als deren Umsetzung in Erscheinung treten, um danach die theoretische Entwicklung und Rezeption der arguten Inschrift vom Ende des 17. Jahrhunderts bis zu Hallbauers >Sammlung teutscher auserlesener Inscriptionen< (1725) zusammenfassend darzulegen. Noch vor Weises Rhetorik und Birkens Poetik erschien 1675 in Königsberg unter dem Titel >Geistliches je länger je lieber< ein Buch des Historiographen Martin Kempe (1637 -i683),218 in dem zwölf sogenannte »Obschrifften« enthalten sind. 1681 veröffentlichte Christoph Friedrich Kiene seine >Poetischen NebenstundenBlaße Furcht und Grünende Hoffnung< als ein »in stylo lapidari & arguto« verfaßtes Erbauungsbuch charakterisiert,242 eine Auffassung, die aus der Vorrede zur >Blaßen Furcht< noch deutlicher hervorgeht, denn dort spricht Riemer explizit von den »argutiae« der Inschriften (s. unten). Auch wenn Riemer die Bezeichnung »Scharfsinnige Inschrift« nicht verwendet und seine diesbezügliche Terminologie schwankt, läßt sich also die Titulierung seiner Inscriptiones als Scharfsinnige Inschriften aus den genannten Gründen legitimieren. Neben der Bestimmung der Scharfsinnigen Inschrift auf der Grundlage der Weisenschen Ausführungen und dem Verweis auf die Theoretiker der Argutia
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Johannes Riemer: Lustige Rhetorica, S. 368ff.: >Die VI. Abtheilung Von InscriptionibusBlaße Furcht«] viele ungewöhnliche und poetische Redensarten, so auf der Kanzel nicht woll statthaben, befunden, ist gleichfalls von ihm eine Gastpredigt, damit man sehen mögte, ob Er davon auch lassen konnte, gefordert worden.« Zitat und Kontext nach August Friedrich Kölmel: Johannes Riemer. 1648 — 1714. Diss. Heidelberg 1914, S. 13. Vgl. auch Helmut Krause: Feder kontra Degen, S. 143. 264 Laut Dünnhaupt II, Teil V, S. 3334^, gibt es folgende Ausgaben von 1684, 1695, 1700, 1707. Vgl. neben Dünnhaupt auch A. F. Kömel: J. Riemer. 265 Hinzuweisen ist noch auf Christoph Porsch: Geistlicher Kirch=Hof / Vorstellende Sechshundert Lust- und Lehrreiche Biblische Grab=Schrifften. Danzig 1687, sowie Ders.: Biblische Inscriptiones. o.O. 1725. Beide Bücher enthalten u.a. Inscriptiones argutae, die etwa den Texten von Tesauro, Giuglaris, Labbe u.a. entnommen sind; darunter befinden sich auch einige in deutscher Sprache. 2( 6 ' Vgl. Beetz: Rhetorische Logik, S. 242. 211
das Lob absolutistischer Macht mittels gedruckter Inschriften in der deutschsprachigen Literatur keine besonders große Rolle zu spielen. Hingegen gibt es seit dem Ende des 17. Jahrhunderts eine große Präsenz der Scharfsinnigen Inschrift in den Rhetoriken und Poetiken. Zu diesen sind in erster Linie zu zählen: Christian Weidlings >Oratorischer
Hofmeister
Kurtze Fragen aus der Oratoria< (lyoi), 208 Magnus Daniel Omeisens >Gründliche Anleitung zur Teutschen accuraten Reim= und Dicht=Kunst< (lyo^.),269 Christian Schröters >Gründliche Anweisung zur deutschen Oratorie< (i7O4), 27 ° Erdmann Uhses >Wohl-informirter Redner< (1709) und >Wohl-informirter Poet< (17I9), 2 " 71 Benjamin Hederichs >Anleitung Zu den fürnehmsten Philologischen Wissenschaften< (i7i3), 2 7 2 Johann Andreas Fabricius' >Philosophische Oratorie< (i724), 273 die anonym erschie267
Die im Haupttext in Klammern angegebenen Jahreszahlen geben die jeweils erste mir nachweisbare Ausgabe an. Christian Weidling: Oratorischer Hofmeister / Welcher Angenehme Instruction schencket / Lehr=begierige Untergebene In allen Stücken politer Rede=Kunst glücklich anzuführen / in Curialien feste zu setzen / und zum raisonniren geschickt zu machen / Damit sie sich bey Occasion Durch eine nette Hof= und Bürgerliche Rede / Gelehrte Abdanckung / auch bey sehr raren Fällen / z.E. bey Entleibten / etc. klugen Brief / geschicktes Compliment und sinnreiche Inscription recommendiren können [...] Leipzig 1704, S. 1145 — 1177. 268 Johann Hübner: Kurtze Fragen aus der ORATORIA, zu Erleichterung der INFORMATION abgefasset / Und mit einem Anhange / von dem Gebrauche dieser Fragen [...] 3. Auflage. Leipzig 1704, S. 326 — 328. Vgl. Fullenwider: Tesauro in Germany, S. 32. 269 Magnus Daniel Omeis: Gründliche Anleitung zur Teutschen accuraten Reim- und Dicht=Kunst / durch richtige Lehr-Art / deutliche Reguln und reine Exempel vorgestellet: worinnen erstlich von den Zeiten der Alten und Neuen Teutschen Poesie geredet / hernach / nebst ändern Lehr-Sätzen / auch von den Symbolis Heroicis [...] Devisen; Emblematibus, Rebus de Picardie, Romanen / Schau-Spielen / der BilderKunst / Teutschen Stein-Schreib-Art u. a. curieusen Materien gehandelt wird [...] Nürnberg 1704, S. 263-274. Vgl. Fullenwider: Tesauro in Germany, S. 33. 270 Christian Schrotet: Gründliche Anweisung zur deutschen Oratorie nach dem hohen und sinnreichen Stylo der unvergleichlichen Redner unsers Vaterlandes, besonders Des vortrefflichen Herrn von Lohensteins in seinem Großmüthigen Herrmann und ändern herrlichen Schrifften. Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1704. Kronberg Ts. 1974, S. 501-594. 271 Erdmann Uhse: Wohl-informirter Redner, worinnen die Oratorischen Kunst-Griffe vom kleinsten bis zum grösten, durch Kurtze Fragen Und ausführliche Antwort vorgetragen werden. Nachdruck der Ausgabe 1709. Kronberg Ts. 1974, S. 389ff. Ders.: Wohl-informirter Poet / worinnen Die Poetischen Kunst-Griffe / vom kleinesten bis zum grösten durch Frag und Antwort vorgestellet, und alle Regeln mit Exempeln erkläret werden. Leipzig 1719, S. 9ff. Vgl. Fullenwider: Tesauro in Germany, S. 32. 272 Hederich, Benjamin: Anleitung Zu den fürnehmsten PHILOLOGIschen Wissenschaften / Nach der GRAMMATICA, RHETORICA Und POETICA, So fern solche insonderheit einem / der die Studia zu prosequiren gedencket / nützlich und nöthig. Wittenberg 1713. Zweite vermehrte Ausgabe Wittenberg und Zerbst 1746. Zu Hederich vgl. Kap. IV sowie Fullenwider: Tesauro in Germany, S. 33. 273 Johann Andreas Fabricius: Philosophische Oratorie, Das ist: Vernünftige Anleitung zur gelehrten und galanten Beredsamkeit. Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1724. 212
nene >Anleitung zur Poesie< (die sogenannte Breslauer Anleitung) Friedrich Andreas Hallbauers >Anweisung zur verbesserten Teutschen Oratorie< (i725) 275 und Johann Georg Neukirchs >Academische Anfangs·Gründe zur Teutschen Wohlredenheit, Brief»Verfassung und Poesie< (ij2c>).276 Schließlich sind als wichtigste, einschlägige monographische Publikationen zu nennen: Christian Gottfried Roses >Richtiger Unterricht, nach welchen [!] die bey Hohen und Gelehrten ietzt beliebte Teutsche Inscriptiones [...] einzurichten (1716)277 und Adam Erdmann Mirus' >Kurtze Fragen oder Lehr=Arth von denen Inscriptionibus argutis< (ryio). 2 7 8 Diese beiden Anleitungen, Scharfsinnige Inschriften zu verfassen, stellen neben Weises >De poesi hodiernorum politicorum< die umfassendsten Abhandlungen über die Scharfsinnige Inschrift im 17. und beginnenden 18. Jahrhundert dar und werden wegen ihrer Einzigartigkeit am Schluß dieses Kapitels gesondert charakterisiert. Alle anderen genannten Publikationen bringen nichts Neues. Sie sind der Versuch, die Scharfsinnige Inschrift gattungstheoretisch in die rhetorische und poetologische Systematik einzubinden. Je nachdem auf welches Vorbild sie sich dabei berufen, differieren diese Versuche zwar voneinander, doch ist ihnen allen eine gewisse Unselbständigkeit gemeinsam. Die Scharfsinnige Inschrift wird vorgestellt und integriert, aber nicht weiterentwickelt, keine neuen Aspekte werden aufgezeigt. Diese Rhetoriken und Poetiken stellen in ihren einschlägigen Kapiteln lediglich die Benutzeroberfläche dessen vor Augen, was in der neulateinischen Theorie-Diskussion angelegt ist. Zwar führen sie alle wesentlichen Aspekte (Zeilengestal-
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Kronberg Ts. 1974, S. 86ff., 315—331, 446f. Nach Johann Georg Meusel: Lexikon der vom Jahr 1750 bis 1800 verstorbenen Schriftsteller, Bd. 2. Leipzig 1803, S. 202ff., kam eine umgearbeitete Fassung Leipzig 1739 unter dem Titel Philosophische Redekunst« heraus. Anonym: Anleitung zur Poesie / Darinnen ihr Ursprung / Wachsthum / Beschaffenheit und rechter Gebrauch untersuchet und gezeiget wird. Breslau 1725, S. 124^ und 133-134· Friedrich Andreas Hallbauer: Anweisung zur verbesserten Teutschen Oratorie. Nachdruck der Ausgabe Jena 1725. Kronberg Ts. 1974, 8.669—681. Vgl. Fullenwider: Tesauro in Germany, S. 34f. Johann Georg Neukirch: Academische Anfangs-Gründe, Zur Teutschen Wohlredenheit B rief-Verfassung und Poesie, Der Stud i renden Jugend zum Besten in Deutlichen Regeln und Exempeln entworffen. Braunschweig 1729, S. 421-442 [Falsche Paginierung des Originals: S. 421 — 342]. Vgl. Fullenwider: Tesauro in Germany, S. 34. Christian Gottfried Rose: Richtiger Unterricht, Nach welchen [!] Die bey Hohen und Gelehrten ietzt beliebte Teutsche INSCRIPTIONES Wie auch der hohe und tiefsinnige Teutsche STYLUS füglich einzurichten, Alles in kurtzen Regeln und vielen Exempeln ordentlich entworfen. Saalfeld und Leipzig 1716. Vgl. Fullenwider: Tesauro in Germany, S. 34. Adam Erdmann Mirus: Kurtze Fragen oder Lehr=Arth Von denen INSCRIPTIONIBUS ARGUTIS, Welche Jn dem gemeinen Theile Deroselben Principia, Disposition und Elocution untersuchet; Jn deren sonderbahren aber Inscriptiones Von allerhand Gattungen hinzugefiiget. Budißin 1716. Vgl. Fullenwider: Tesauro in Germany, S. 34. 213
tung, ungebundene Redeform, Reimlosigkeit, Erzeugung und Formulierung der Argutien, Interpunktion etc.) mehr oder weniger ausführlich vor Augen, doch kommt das Differenzierungsvermögen der neulateinischen Theorie in ihnen nicht zum Tragen, und das, obwohl sich die meisten auf Masen, Weise oder Labbe berufen. Allerdings ist analog zur Entwicklung in den neulateinischen Rhetoriken auch hier eine zunehmend gleichberechtigte Berücksichtigung der nichtarguten Inschriften festzustellen. Die Einordnung der Scharfsinnigen Inschrift in die rhetorische und poetologische Systematik erfolgt je nach Vorbildung, Kenntnis und regionaler Zugehörigkeit der Autoren auf unterschiedliche Weise. So schlägt Johann Hübner ebenso wie Erdmann Uhse sie den »Eloquentia mixta« zu, denen Parentation, Brief, Panegyricus, Dedikation, Lebenslauf und Carmines verschiedener Art zugehören.279 Der anonyme Autor der >Anleitung zur Poesie< hingegen zählt die Scharfsinnige Inschrift zu den »Sinn=Gedichten«, die u.a. Epigramm, Sonnet, Madrigal, Emblem, Anagramm und »Cabbalistische Verse« in sich begreifen. Und der Nürnberger Magnus Daniel Omeis rechnet die Scharfsinnige Obschrift generell zur Dichtkunst. 200 Für Friedrich Andreas Hallbauer wiederum gehören Scharfsinnige Inschriften zusammen etwa mit den Programmata und Prolusiones zu »allerhand schriftlichen Übungen«. 281 Ganz gleich aber, ob sich diese Integrationsversuche auf Poetik oder Rhetorik beziehen: daß die Scharfsinnige Inschrift zu den »orationes solutae« gehört, ist eine allen gemeinsame Auffassung. Diese Auffassung wirft noch einmal die Frage nach ihrem Verhältnis zu Poesie und Prosa auf. Die laut neulateinischer Tradition in der Mitte zwischen Poesie und Prosa liegende Stellung der Scharfsinnigen Inschrift wird in den deutschsprachigen Rhetoriken und Poetiken in unterschiedlicher Weise rezipiert und aufgefaßt. Johann Hübner etwa beläßt es bei der bloßen Feststellung, die Scharfsinnige Inschrift sei eine »Gattung der Beredsamkeit«,282 ohne ihre in ungebundenen kurzen und langen Zeilen gegliederte Form weiter zu thematisieren. Omeis hingegen spricht den eigentümlichen Charakter der Scharfsinnigen Inschrift kurz an, indem er feststellt, eine gute Inscription müsse »Seele und Kern der Red= und Dicht=Kunst« enthalten. 203 Uhse formuliert ebenso knapp, aber deutlicher, daß die Scharfsinnige Inschrift »nicht nur zur Oratorie, sondern auch zur Poesie« gehöre.284 Am klarsten formuliert Johann Georg 279
Johann Hühner: Kurtze Fragen; Erdmann Uhse: Wohlinformirter Redner, S. 390. Uhse verwendet den Begriff »Orationes mixtae«, zu denen Briefe, Lebensläufe, Parentationes, Verlobungs- und Hochzeitsreden und Dedikationen gehören. 280 So ist der zweite Teil seiner >Gründlichen Anleitung< überschrieben mit >Von der Dicht-KunstBlaßen Furcht< Riemers sowie zahlreichen Rhetorik-Handbüchern. Darüber hinaus hat Hallbauer aber auch gezielt potentielle Inscriptores um eigene Beispiele gebeten und auch erhalten.353 Hallbauer galten die in seiner Vorrede ausgeführten gattungstheoretischen Erörterungen nur als Kurzfassung eines umfassenderen >Unterrichts< zur Verfertigung Sinnreicher Inschriften, den er »auf eine neue Sammlung versparen« wolle. Zwar erschien die >Sammlung teutscher sinnreicher Inscriptionen< im Jahr 1732 ein zweites Mal, doch konnte Hallbauer sein Versprechen nicht einlösen. Von wenigen, eher unwesentlichen Ausnahmen abgesehen, finden sich hier keinerlei Veränderungen. Es paßt zu der an Widersprüchen nicht gerade armen Übergangszeit vom Barock zur Aufklärung, daß Hallbauers Anthologie just in dem Augenblick erschien, da die deutschsprachige Scharfsinnige Inschrift ihren Höhepunkt schon überschritten hatte und ihr Niedergang bereits besiegelt war. Diese sich überschneidenden Entwicklungen spiegeln sich in Hallbauers Inschriftensammlung: Indem sie sowohl die vergangenen rhetorischpoetologischen Bemühungen des Barock um argute Ausdrucksformen in sich vereinigt, als auch auf den Beginn der Aufklärung verweist, gehört sie weder dem Barock noch der Frühaufklärung ganz zu.
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Einige Inscriptiones argutae aus DAI sind hier in deutscher Übersetzung eingeflossen. Ob es sich um den »deutschen Ovid« handelt, ist unklar. 352 Fr. A. Hallbauer: Sammlung, Vorrede, § 43. «» Vgl. ebd., § 58. 351
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IV. Abgesang der Frühaufklärung auf die Scharfsinnige Inschrift
Folgt man den einschlägigen zeitgenössischen Quellen, so nimmt sich die um 1700 einsetzende Kritik an der Inscriptio arguta und am arguten Stilus lapidarius als eine grundsätzliche Kritik an der Argutia aus. Demnach wäre dann die Abwendung von der Scharfsinnigen Inschrift und des arguten Lapidarstils in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts auf eine veränderte Einstellung der Frühaufklärung und Aufklärung zur Argutia zurückzuführen. Es gilt, diesen Befund zu überprüfen. Die Damnatio der barocken Argutia durch Frühaufklärung bzw. Aufklärung ist in wesentlichen Punkten von Manfred Beetz schlüssig dargelegt worden. Ihm zufolge stellt sich die entsprechende Entwicklung dar als ein Übergang von »sophistischer Argutia zur Sachlogik«.1 Um 1700 setzte eine Bewegung ein, die die paralogischen Funktionen der Scharfsinnigkeit in der Literatur zu verwerfen begann und schließlich in der Forderung einer sachlichkeitsbezogenen, wahrheitsgemäßen und »vernünftigen« Dichtung mündete.2 Von nun an sollten in der Literatur die tatsächlichen Beschaffenheiten und Zusammenhänge der darzustellenden Sachen berücksichtigt 3 und die Denkinhalte nicht mehr durch Wortspiele verfremdet werden.4 Die formale Richtigkeit von Beweisführungen in poetischen Texten hatte sich nun an logische und nicht an sophistisch-rhetorische Richtlinien zu halten. 5 Scharfsinnige Argumentationen, spitzfindige Gedankengänge und argute Wortspielereien widersprachen mehr und mehr einem Natürlichkeits- und Verständnispostulat6 in einer Literatur, die nicht nur Admiratio hervorrufen, sondern vor allem natürliche Einfalle gestalten und auf logischen Schlüssen beruhende vernünftige Einsicht bewirken wollte.7 Die Begriffe »Vernunft«, »Natürlichkeit« und »Verstand« verweisen auf eine Umwertung des Argutiabegriffs, die Beetz als eine Umorientierung ' Manfred Beetz: Rhetorische Logik, 8.209-283, hier v.a. 8.266-283. Beetz beschränkt sich zwar auf die Lyrik, doch sind seine Darlegungen hinsichtlich der Argutia zweifellos grundsätzlicher Natur und nicht nur für die Lyrik relevant. J Ebd., S. zovff. 1 Ebd., S. 209f. * Ebd., S. 282. 5 Ebd., S. 270. 6 Ebd., S. 2 7 2f. 7 Ebd., S. 272. 227
zum »Paradigma der Logik« umschrieben hat.8 »Die Schlüsselpositionen, die Sophistik und Acutezza in der Ästhetik des 17. Jahrhunderts einnahmen, besetzte in der des 18. Jahrhunderts die Logik.«9 Dies führte jedoch nicht zu einer Eliminierung des Begriffs der Scharfsinnigkeit, sondern zu einem neuen Konzept des Begriffs, das sich allmählich von der Fontes argutiarum-Systematik ablöste.10 So rät etwa Hallbauer dem Verfasser von Scharfsinnigen Inschriften: Lauffe nicht zum [!] locis topicis, figuris und ändern fontibus argutiarum, und suche die Argutien nicht erst aus denselben, sonst möchten es Narrgutien werden."
Beetz hat jedoch mit Recht darauf hingewiesen, daß die Kritik an den Fontes argutiarum sich bei nicht wenigen Autoren recht ambivalent ausnimmt: Die Stellung zwischen den Idealen arguten Sprechens des 17. Jahrhunderts und denen des geistreichen im 18. Jahrhundert tritt bei Autoren wie Hallbauer, G. P. Müller, Schatz darin zutage, daß einerseits mit allem Nachdruck dem Verstand als dem besten Lehrmeister der Argutezza die Überlegenheit vor allen >fontes< bestätigt wird, und man zum ändern doch nicht umhin kann, die hergebrachten Scharfsinnquellen auszubreiten. 12
So unentschieden sich auch manche Autoren geben mögen, das neue Verständnis von Scharfsinnigkeit war nun nicht mehr an Regeln gekoppelt, sondern an Vernunft und ein entsprechendes ludicium.' 3 Besonders prägnant drückt sich dies in einem Dictum Breitingers aus, der, vom Begriff des »guten Geschmacks« ausgehend, feststellt, »daß eine Vorstellung sinnreich ohne Spitzfündigkeit« sein könne.14 Dieser »entschärfte Scharfsinn« gerinnt schließlich zu einem Begriff, dem des Witzes,'5 der, Gottsched zufolge, das »Vermögen der Seelen anzeiget, viel an einem Dinge wahrzunehmen« 16 oder, wie Gottsched in einem Abschnitt über das Epigramm sagt, der die »Wahrnehmung eines
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Ebd., S. 267.
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Ebd., S. 209. 10 Vgl. ebd., S. 281. Vgl. ferner Paul Böckmann: Formgeschichte der deutschen Dichtung. Bd. i: Von der Sinnbildsprache zur Ausdruckssprache. Der Wandel der literarischen Formensprache vom Mittelalter zur Neuzeit. Hamburg 1949, S. 471 — 552 (5. Kap. >Das Formprinzip des Witzes in der Frühzeit der deutschen AufklärungDissertatio de argutis inscriptionibus eloquentiae noxiisAnleitung zu den fürnehmsten philologischen Wissenschaften< von Benjamin
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wollen als an der bloßen Wahrheit. Und doch ist der menschliche Geist offensichtlich nicht sowohl dazu gebildet als schon dazu geboren, sie (die Wahrheit) zu erkennen und auch sich zu eigen zu machen. Daran liegt es auch, daß die Schriften jener nur die bewundern, die die gleichen Wahnideen in sich aufgesogen haben und die, keinerlei Ordnung und keinerlei Zusammenhang in ihren Vernunftschlüssen besitzend, deshalb oft dorthin hinabsinken, wohin sie die Hitzigkeit einer verderbten Phantasie oder die blinde Begeisterung einer aufgeputzten Rhetorik fortstößt.] Ebd., S. 132: »Quod si prius luce veritatis perfusi credantur animi, tum ornata, non repugno, oratio adhibeatur; moueantur affectus, diducantur figurae; adspergatur acumen, Sed ita vt intelligant auditores, cur emoueantur; vt cognoscant cur tripudient; vt sciant cur contristentur.« Ebd., S. 132: »und die Apuleius, Gorgias, Maecenas, Prosa-Poeten, erstehen wieder in so großer Menge, daß es schwierig ist, keine Satire zu schreiben.« Vgl. Barner: Barockrhetorik, S. 168, Anm. 119. Jena 1726. Vgl. Fullenwider: Tesauro in Germany, S. 35.
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Hederich. In der Ausgabe von 1713 heißt es, die Ars epigraphica, zu denen »vulgäres« und »argutae Inscriptiones« gehören, »macht heutiges Tages einen grossen Theil der galanten Beredsamkeit aus«.40 33 Jahre später sieht sich Hederich freilich genötigt, diese Feststellung zu korrigieren. Zwar enthält seine >Anleitung< von 1746 immer noch ein umfangreiches Kapitel >zur Arte EpigraphicaInscriptionen, Aufschriften< folgendes verzeichnet ist: Waren bey den Alten Denkschriften, die auf Marmortafeln, oder auch wohl auf Metall eingegraben wurden, und sehr kurz und ungekünstelt waren. So sind theils die griechischen, theils die römischen, aus dem besten Alter beschaffen. In neuern Zeiten, als sich der Witz in Italien wieder verderbte, verfiel man auf Inscriptiones argutas, das ist scharfsinnige Aufschriften, davon Emanuel Thesaurus ein eigen Buch geschrieben, bey uns aber Wagenseil43 einen Auszug gemachet. Allein der tändelnde Witz solcher Wortspiele und andrer gezwungenen Gegensätze, hat nicht lange herrschen können. Vavassor, de dictione ludicra hat ihm einen Stoß gegeben; Bouhours, in seiner Manier in sinnreichen Werken wohl zu denken, und Furetiere, in seiner Nouvelle allegorique,
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Benjamin Hederich: Anleitung zu den fürnehmsten philologischen Wissenschaften. Wittenberg 1713, S. 611. Ders.: Anleitung. Wittenberg und Zerbst 1746, S. 613. Hervorhebung von mir. Ebd. Konnte nicht nachgewiesen werden. 233
u.a.m. haben ihn vollends ehrlos gemachet. Unsere Pegnitzschäfer des vorigen Jahrhunderts waren auch davon angestecket, wie ihre Schriften zeigen; und hatten hier und da Nachfolger gefunden. Allein itzo ist ihr ganzer Werth gefallen. Man sehe die Probe davon in Floridans Schriften, und in Rosens richtigem Unterricht, vom scharfsinnigen Stilo etc.44 Argutia-Theorie und Inscriptio arguta werden im Jahr 1760 vollständig abgelehnt, sie gelten als »verderbt« und »ehrlos«. Daß der Autor des Artikels diesbezüglich auch die Pegnitzschäfer und hier insbesondere Sigmund von Birken (= Floridan) nennt, mag zunächst überraschen, doch meint er nicht etwa die Verfasser schäferlicher Texte, sondern diejenigen Mitglieder des Blumenordens, die Scharfsinnige Inschriften verfaßt oder propagiert haben, also beispielsweise Harsdörffer in seiner >Ars apophthegmaticaMausoleum< und in der >Rede-bind- und Dichtkunst*, Martin Kempe in >Geistliches je länger je lieber< und Magnus Daniel Omeis in der >Gründlichen Anleitung zur Teutschen accuraten Reim= und Dicht=KunstDe stilo inscriptionum latinarum< von Stefano Antonio Morcelli,45 in dem der Stil der Inscriptio endgültig auf die Vorgaben der klassizistischen Latinität verpflichtet wird.46 Auch Morcelli ist sich jedoch der arguten Variante der Inschrift noch bewußt. So brandmarkt er etwa Tesauro als einen Autor, der [...] quidem nova ellogiorum exempla seu potius monstra [.. .]47 veröffentlicht habe. Aber auch noch andere bekannte Namen nennt Morcelli. Tesauro [...] equidem paene adjunxerim Masenium quoque et Morhofium, ceteros omnes, qui de arte aut disciplina argutiarum commentando, novas inscriptionum formas, nova genera invexerunt. plurimum enim ab acerrima ilia Latinorum norma semper discessisse animadverti, quicumque ingenio suo multum, veterum auctoritati parum tribu-
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Handlexicon oder Kurzgefaßtes Wörterbuch der schönen Wissenschaften und freyen Künste. Hrsg. von Johann Christoph Gottsched. Nachdruck der Ausg. Leipzig 1760. Hildesheim/New York 1970, Sp. 9i7f. Ich beziehe mich auf die Ausgabe Patavii 1819-1822. Zu Morcelli vgl. J. Ijsewijn: Morcelli epigrafista tra erudizione umanistica ed arte neoclassica. In: Atti del colloquio su Stefano Antonio Morcelli. Milano-Chiari 1987. Brescia 1990, S. 13 — 20. Morcelli: De stilo, i. Bd., S. VII. Im Index, S. 258, heißt es: »Tesaurus Emmanuel novorum ellogiorum auctor non bonus.« Ebd., i. Bd., S. VII: »[...] möchte ich allerdings beinahe auch Masen, Morhof und all diejenigen, die durch Nachdenken über die Kunst oder Lehre von der Argutia neue Formen und Arten von Inschriften eingeführt haben, an die Seite stellen. Ich habe nämlich bemerkt, daß alle die, die ihren Geist hoch-, die Autorität der Alten aber zu wenig geschätzt haben, immer sehr weit von jener eisenharten Norm der Lateiner abgewichen sind.«
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Es scheint nach dem Dargelegten also kaum einen Zweifel zu geben, daß die Damnatio argutiarum zur Abwendung von den arguten Inschriften führte. Und doch ließe sich fragen, ob dies der alleinige Grund war. Es ist zu untersuchen, ob es nicht noch eine weitere Ursache für die Eliminierung der Scharfsinnigen Inschrift aus der Literatur gibt und ob diese Ursache in einer veränderten Einstellung zu dem liegt, was allen inschriftlichen Phänomenen des epigraphischen Kontextes im Zeitalter des Barock gemeinsam ist und dem John Sparrow recht nahe kommt, wenn er Inscriptiones als »a literary work of which visual form should be an essential constituent« bezeichnet.49
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Sparrow, S. 141. 235
V. »Die Schrift last deine Zier / o Baum! verwelken nicht«: Die Inschrift als Präsenz der Schrift und Repräsentation des Schriftgelehrten in der Literatur des Barockzeitalters
Eine literaturtheoretische Entwicklung, deren Anfang, Ausprägungen und Ende so genau bestimmt und verfolgt werden können wie die der Inscriptio arguta, muß erklärbare Bedingungen und Ursachen haben. Eine solche Erklärung scheint nach dem vor allem im Kapitel IV Dargelegten auf den ersten Blick einfach: Die Inscriptio arguta steht, entwickelt sich und fällt mit der Argutia-Bewegung, d. h. mit der je positiven oder negativen gesellschaftlichen Bewertung der Scharfsinnigkeit. Die Quellen sprechen eine eindeutige Sprache sowohl, wenn die Argutia etwa von Masen, Tesauro und Weise positiv eingeschätzt wird, als auch, wenn sie von dem Anonymus, Peucer, Gottsched oder den von Beetz angeführten Autoren um 1700 negativ beurteilt wird. Gegen diesen Befund können jedoch einige Fragen geltend gemacht werden, die einsichtig machen, daß aus der Bedeutung der Argutia-Theorie eine zwar notwendige, aber keine hinreichende Erklärung für Entstehung und Ende der Inscriptio argutia abzuleiten ist. An diese Überlegungen sind einige grundsätzliche Thesen anzuschließen. Zunächst ist daran zu erinnern, daß die Frühaufklärung den Begriff der Scharfsinnigkeit umwertet, nicht aber aus der poetologisch-rhetorischen Reflexion eliminiert. Acumina, Pointen, Witz, scharfsinnige und sinnreiche Wendungen auf der Grundlage einer vernunftgeleiteten Ratio und klassizistischen Stilistik bilden auch weiterhin einen nicht geringen Teil literarischer Ausdrucksmöglichkeiten. Besonders deutlich läßt sich dies am Epigramm zeigen, dessen wesentliche Eigenschaften schon immer Kürze und Scharfsinnigkeit waren. Diese Gattung blieb insofern von der Damnatio der nach Regeln produzierten barocken Scharfsinnigkeit unberührt, als sie mühelos die Wendung hin zu einem neuen Begriff von Scharfsinnigkeit zu vollziehen vermochte. Dies lag sicherlich vor allem an der altehrwürdigen Tradition des Epigramms, so daß die ihm vom Barock implantierte »schwülstige« Scharfsinnigkeit einfach nur wieder zurückgeschraubt werden mußte, um an klassizistische Traditionen neu anzuknüpfen. Bei der Damnatio der arguten Inschrift hingegen konnte auf eine vergleichbare Tradition nicht zurückgegriffen werden, da die Scharfsinnige Inschrift erst zu Beginn des 17. Jahrhunderts sich entwickelte. Die Verwerfung ihrer barocken Scharfsinnigkeit war gleichbedeutend mit der Verwerfung und Eliminierung der Gattung selbst. Gleichwohl sind keine einsichtigen Gründe dafür auszumachen, warum die Inscriptio arguta nicht als eine im Sinne der Frühaufklärung »witzige« Gattung 236
auch weiterhin Geltung hätte beanspruchen können, zumal bereits Hallbauer zumindest in der Theorie eine argute Inschrift anbot, deren Scharfsinnigkeit eben nicht auf eine nach Regeln geleitete Produktion zurückgehen, sondern auf einem »vernünftigen« Naturell beruhen sollte. Und auch das Beispiel Georg Christoph Lichtenbergs, der eine Grabinschrift im Stilus lapidarius in eines seiner >Sudelbücher< aufgenommen hat, 1 beweist, daß die auf Mittelachse gesetzte, in lange und kurze Zeilen gegliederte und ungebundene inschriftliche Form durchaus hätte weiter verwendet werden können, und zwar ohne der barocken Argutia zu frönen. Gewiß bestand in Frühaufklärung und Aufklärung ein Interesse an Produktion und Verwendung von Inschriften, freilich nur noch an den vom Barock so genannten »vulgairen« oder »gemeinen« Inscriptiones. 2 Solche nichtarguten Inschriften fanden auch weiterhin als ungedruckte Inschriften klassizistischer Provenienz Verwendung beispielsweise beim höfischen Fest, als Gebäudeinschrift oder Grabinschrift.3 Für eine »literarische« Gattung aber, die ihre Form »realen«, d.h. ursprünglich ungedruckten Inschriften entlieh und diese Form in der Gestalt »papierener«, d.h. gedruckter Inschriften argut ausprägte, gab es offensichtlich keinen Bedarf mehr. Die Tatsache, daß sich nicht einfach nur die argute Qualität der Inscriptio arguta veränderte und sich den frühaufklärerischen Ansprüchen anpaßte, sondern die Inscriptio arguta als Gattung verschwand, legt also den Verdacht nahe, daß auch ihre äußere inschriftliche Form in der Literatur und als Literatur nicht mehr erwünscht war und einem unausgesprochenen negativen Verdikt unterlag; und es liegt deshalb ebenso nahe, eine weitere Motivation für Entwicklung und Ende der Inscriptio arguta in dem zu suchen, was allen in dieser Arbeit angesprochenen epigraphischen Phänomenen gemeinsam ist und gleichsam ihr figuratives Wesen ausmacht: in der Schriftlichkeit der In-Schrift. Es wird als These herauszuarbeiten sein, daß die Prominenz der Inscriptio arguta sich nicht nur aus der Argutia-Bewegung, sondern auch aus einem positiven Verständnis und einer positiven Bedeutsamkeit der Schrift in der barocken Gelehrtenrepublik ableitet, und daß gleichfalls das Ende der Inscriptio arguta nicht nur mit der Kritik an der Argutia-Bewe' Vgl. das letzte Beispiel in Kap. I.i. Es gibt allerdings Ausnahmen; Sparrow, S. 132, verweist auf das Werk Pierre-Sylvain Marechals: Histoire Universelle en Style Lapidaire. Paris [1800], in welchem Marechal die Geschichte der Welt mit Hilfe zentrierter Inscriptiones darstellt. Um die Geschichtsschreibung wieder auf den Punkt zurückzubringen, von dem sie ihren Ausgangspunkt genommen habe, solle der Stilus lapidarius wieder eingeführt werden (S. i ) . Marechal spielt damit auf die antike Praxis an, geschichtliche Ereignisse inschriftlich zu fixieren. Er ist sich der theoretischen Dimension des Lapidarstils noch bewußt: »Le style lapidaire tient le milieu entre la poesie et la prose« (S. 12), und er zitiert im Jahr 1800 (!) u.a. Christian Weise als Gewährsmann, wobei freilich zu beachten ist, daß der Franzose kein Vertreter der barocken Argutia-Theorie ist. ·' Vgl. Sparrow, S. i3if., Kajanto, S. 158. 2
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gung, sondern ebenso mit einer neuen frühaufklärerischen Bewertungsgrundlage der Schrift zusammenhängt.4 Die These von einer positiven Bedeutung der Schrift im 17. Jahrhundert ist keine unbedingt neue Erkenntnis, wenn sie vielleicht auch in einschlägigen Untersuchungen bislang noch nicht explizit ausgesprochen wurde.5 Diese Positivität drückt sich in einer gewissen Autonomisierung der Schrift aus, die beispielsweise von Michel Foucault bemerkt6 und von Brigitte Schlieben-Lange in einem zusammenfassenden Überblick über die Geschichte der Reflexion über Schrift und Schriftlichkeit für das Barock konstatiert worden ist.7 SchliebenLange zufolge herrschte im 17. Jahrhundert zwar weiterhin eine phonographische Orientierung, also eine Nachordnung der Schrift gegenüber dem Laut vor, andererseits jedoch erkenne man gleichzeitig die Grenzen einer solchen Orientierung.8 Es entstehe
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»Schrift« wird hier und in der folgenden Argumentation als Buchstabenschrift verstanden. 5 Es seien nur die neueren Untersuchungen genannt: Utz Maas: Lesen — Schreiben — Schrift. Die Demotisierung eines professionellen Arkanums im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit. In: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 15 (59) (1985), S. 55—81; Ders.: Schrift - Schreiben — Rechtschreiben. In: Diskussion Deutsch 16, H. 81 (1985), S. 4 — 25; Ders.: »Die Schrift ist ein Zeichen für das, was in dem Gesprochenen ist«. Zur Frühgeschichte der sprachwissenschaftlichen Schriftauffassung: das aristotelische und nacharistotelische (phonographische) Schriftverständnis. In: Kodikas/Code 9 (3/4) (1986), S. 247 — 292; Karin Müller: »Schreibe wie du sprichst!« Eine Maxime im Spannungsfeld von Mündlichkeit und Schriftlichkeit. Eine historische und systematische Untersuchung. Frankfurt a. M./Bern/New York/ Paris 1990 (Theorie und Vermittlung der Sprache, Bd. 12), hier v.a. S. 28-32; Jean Gerard Lapacherie: Der Text als ein Gefüge aus Schrift (Über die Grammatexualität). In: Bildlichkeit. Internationale Beiträge zur Poetik. Hrsg. von Volker Bohn. Frankfurt a.M. 1990, S. 69 — 88; Detlef Thiel: Schrift, Gedächtnis, Gedächtniskunst. Zur Instrumentalisierung des Graphischen bei Francis Bacon. In: Ars memorativa. Zur kulturgeschichtlichen Bedeutung der Gedächtniskunst 1400—1750. Hrsg. von Jörg Jochen Berns und Wolfgang Neuber. Tübingen 1993 (Frühe Neuzeit, Bd. 15), S. 170 — 205; Brigitte Schlieben-Lange: Geschichte der Reflexion über Schrift und Schriftlichkeit. In: Schrift und Schriftlichkeit. Writing and Its Use. Ein interdisziplinäres Handbuch internationaler Forschung. Hrsg. von Hartmut Günther und Otto Ludwig, i. Halbband. Berlin/New York 1994, S. 102 — 121 (In diesem Band ist den Inschriften übrigens kein Kapitel gewidmet); Jörg Jochen Berns: Mobile und monumentale Poesie im Absolutismus. Folgen der Gutenbergschen Erfindung für die Verwendung von Schrift und Schriftartigem im höfischen Fest der Frühen Neuzeit [Unveröffentlichtes Manuskript]. 6 Michel Foucault: Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften. Frankfurt a.M. 1991, S. 70. 7 Brigitte Schlieben-Lange: Geschichte der Reflexion über Schrift und Schriftlichkeit, S. 111-113. * Ebd., S. i n .
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im 17. Jahrhundert ein ganz neues Interesse an der Schrift [. . .] als eigenständigem Medium, das nicht vollständig in der isomorphen Abbildung der Lautsprache aufgeht
und das darüber hinaus in seiner materiellen Visualität wahrgenommen wird. Dies läßt sich nicht nur an den »entfalteten Taxonomien und ihre[r] Visualisierung in den Wissenschaften« sowie an der »linearholistischen Doppelkodierung geschriebener Texte in der Barocklyrik« 10 erkennen, sondern eben auch an den Inscriptiones in der Literatur des 17. Jahrhunderts. Daß die Schrift im Barock nicht nur als isomorphe Abbildung verstanden, oder, mit Derrida zu reden, als neutrale Transparenz zur mündlichen Rede vorgestellt, sondern ihr auch eine gewisse Autonomie zugebilligt wird, das hat freilich schon Walter Benjamin in seinem Trauerspielbuch vorformuliert: Dennoch hat Schrift nichts Dienendes an sich, fällt beim Lesen nicht ab wie Schlacke. Ins Gelesene geht sie ein als dessen >FigurDe prima scribendi origine< 15 zahlreiche Aspekte der Schrift abhan-
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Bereichs der textimmanenten Inschriften. Zu betonen ist, daß keiner der hier behandelten Autoren der Scharfsinnigen Inschrift sich theoretisch oder praktisch für Verfahren der Verbildlichung mittels der Schrift bzw. der Inschrift interessiert. Zu Möglichkeiten der Verbildlichung der Schrift vgl. Wolfgang Harms: In Buchstabenkörpern die Chiffren der Welt lesen. Zur Inszenierung von Wörtern durch figurale oder verdinglichte Buchstaben. In: »Aufführung« und »Schrift« in Mittelalter und Früher Neuzeit. Hrsg. von Jan-Dirk Müller. Stuttgart/Weimar 1996 (Germanistische-Symposien-Berichtsbände, 17), S. 575 — 595. Herman Hugo: De prima scribendi origine et universa rei litterariae antiquitate. Antwerpen 1617. Zu Hugos Werk und Leben vgl. Mark Carter Leach: The Literary and Emblematic Activity of Herman Hugo S. J. (1588-1629). Diss. (Masch.) Delaware 1979. Ann Arbor 1987. Bekannter als >De origine scribendu sind die Embleme Hugos: Pia desideria libri III. [Nachdruck der Ausgabe Antwerpen 1632.] Mit einer Einführung von Ernst Benz. Hildesheim/New York 1971 (Emblematisches Cabinet, Bd. i). Vgl. dazu Gabriele Dorothea Rödter: Via piae animae. Grundlagenuntersuchung zur emblematischen Verknüpfung von Bild und Wort in den >Pia desideria< (1624) des Herman Hugo S. J. (1588-1629). Frankfurt a.M. u.a. 1992 (Mikrokos-
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delt. Hier soll nur die grundsätzliche Bestimmung der Schrift bzw. des Schreibens durch Hugo interessieren.16 Scribere, est vocem aut vocis panes ob oculos ponere per literas. 17
Hugo läßt an keiner Stelle seines Buches erkennen, daß diese eindeutig phonographisch orientierte Bestimmung des Schreibens bzw. der Schrift negativ zu verstehen wäre. Im Gegenteil, sein Buch ist eine einzige Laus scripturae. In der Praefatio ad lectorem18 zitiert der Jesuit zahlreiche Schriftsteller von der Antike bis zu seiner Gegenwart, die sich positiv über die Schrift äußern. Allerdings geht Hugo auch auf Gegenstimmen ein, die Negatives über die Schrift verlaut-
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mos, Bd. 32), hier auf S. 22ff. einige kurze Angaben zu Hugos Leben und Werk mit weiterführender Literatur. Vgl. auch Michael Schilling: »Der rechte Teutsche Hugo.« Deutschsprachige Übersetzungen und Bearbeitungen der >Pia Desideria< Hermann Hugos SJ. In: GRM 70 (1989), S. 283-300. Kurze Inhaltsangabe bei Leach, S. 59 — 62. Hugos Buch dürfte zu den wichtigsten Zeugnissen der Schrifttheorie des Barock gehören, vgl. Leach, S. 03f. Noch Giovanni Battista Vico rekurriert auf ihn; vgl. G. B. Vico: Prinzipien einer neuen Wissenschaft über die gemeinsame Natur der Völker. Übersetzt von Vittorio Hösle und Christoph Jermann. 2 Teilbände. Hamburg 1990, i. Bd., S. 205. Es ist vielleicht ganz nützlich, hier das Inhaltsverzeichnis anzugeben, um die hohen Differenzierungsleistungen hinsichtlich der zeitgenössischen Erörterung der Schrift zu verdeutlichen: Cap. I. Quid scribere? vnde dictum? variae item eiusdem vocabuli significationes, & voces nonnullae contrarium significantes. Cap. II. Quid literae? & vnde dictae? Cap. III. Quae literae, ä quibus, & quando scriptio inuenta? Cap. IV. De numero literarium. Cap. V. De ordine literarum. Cap. VI. De figuris literarum. Cap. VII. De nominibus literarum, & eorum significatione & caussis. Cap. VIII. De quadruplici scribendi modo: Hebraeo vetere, Hebraeo nouo, seu Graeco & Latino vetere; Communi nostro, Syriaco, Indico, Sinico, Aethiopico. Cap. IX. Quibus instrumentis scriptum. Cap. X. In quä materiä antiquissime scriptum. Cap. XI. De primo vsu chartae eiusque variis generibus & appellatione. Cap. XII. Ex quä materiä scriptae literae. Cap. XIII. De epistolis & earum variis generibus. Cap. XIV. Oeconomia cursus publici, seu ratio mittendarum epistolarum. Cap. XV. De occultä literarum missione. Cap. XVI. De inuisibili literarum scriptione. Cap. XVII. De occultandä scriptione per transpositionem literarum. Cap. XVIII. De occultä scriptione per Notas. Cap. XIX. Quae alia Notarum genera? ac primo, de seruilibus. Cap. XX. De notis pecudum. Cap. XXI. De notis lureconsultorum. Cap. XXII. De notis ludiciariis. Cap. XXIII. De notis Censoriis. Cap. XXIV. De notis Suffragatoriis. Cap. XXV. De notis Tesserariis. Cap. XXVI. De notis Sortiariis. Cap. XXVII. De notis Grammaticis. Cap. XXVIII. De notis Arithmeticis. Cap. XXIX. An literis, notis, numeris arcana aliqua insit vis. Cap. XXX. De vi obligandi quam habent literae. Cap. XXXI. Varia scripturarum nomina. Cap. XXXII. De scribis & variis eorum generibus. Cap. XXXIII. De rarioribus quibusdam inscriptionibus. Cap. XXXIV. De inuentione Typographiae. Cap. XXXV. De ornatu librorum. Herman Hugo: De prima scribendi origine, S. 29: »Schreiben bedeutet, das Gesprochene oder Teile des Gesprochenen durch Buchstaben vor die Augen zu stellen.« Ebd., S. 15-28. 24I
baren lassen und von denen insbesondere Platon gewürdigt und diskutiert wird.19 Gleichwohl kommt Hugo zu dem Schluß: Scriptioni ergo illud debemus (quo vno Deum proxime imicamur) immortalitatem.20 »De summa scribendi vtilitate admirabilitateque« dürfe keineswegs gezweifelt werden. 21 Das Verhältnis von Schrift und mündlicher Rede legt Georg Philipp Harsdörffer in seinen Vorreden zum >Teutschen Secretarius< aus den Jahren 1655 und 1659 dar.22 Anders als Hugo geht es ihm nicht um eine selbständige, allumfassende Systematik der Schrift und ihre verschiedenartigen Ausprägungen und Formen, vielmehr dienen seine »praefationes« einem vorgängigen, funktional gebundenen Lob der Schreibkunst als des wesentlichen Mediums für die am Hof, in der Kanzlei und im Handelsgeschäft Tätigen. Schon an dem den Vorreden vorangestellten Motto, das Harsdörffer Francis Bacon entnahm, mag die Tendenz seines Schriftbegriffes deutlich werden: EPistolae plus nativi sensus habent quam Orationes, plus etiam maturitatis, quam colloquia subita. 23 Liest man »epistolae« als Schrift, 24 so ist mit diesem Motto eine Hierarchie begründet, die der Schrift eine vorrangige Stellung gegenüber der mündlich vorgetragenen Rede einräumt. Diesen behaupteten Vorrang des Geschriebenen 19 20
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Ebd., S. 23ff. Ebd., S. 27: »Der Schrift also verdanken wir jenes, wodurch allein wir Gott am nächsten kommen: die Unsterblichkeit.« Ebd., S. 28. Dies die Erscheinungsdaten der Erstausgaben (i. und 2. Teil). Ich ziehe folgende Ausgaben heran; Georg Philipp Harsdörffer: Teutscher Secretarius. Das ist: Allen Cantzleyen / Studir- und Schreibstuben nutzliches / fast nothwendiges / und zum drittenmal vermehrtes Titular- und Formularbuch I. Nachdruck der Ausgabe Nürnberg 1656. Hildesheim/New York 1971. Ders.: Der Teutsche Secretarius Zweyter Theil. Oder Allen Cantzleyen / Studir- und Schreibstuben dienliches Titular- und Formularbuch II. Nachdruck der Ausgabe Nürnberg 1659. Hildesheim/New York 1971. Harsdörffer: Teutscher Secretarius, i. Teil: »Briefe enthalten mehr von dem ursprünglichen Sinn als die [mündlichen] Reden, auch mehr Reife als ein sich plörzlich ergebendes Gespräch.« Das Zitat bei Bacon: Verulam. de Augment. Scient. f. io8.c.i2. Zu Bacons Sch rift beg riff vgl. Detlef Thiel: Schrift, Gedächtnis, Gedächtniskunst, S. 170 — 205. Zum Paganismus bei Harsdörffer und den Pegnitzschäfern im Zusammenhang mit Francis Bacon vgl. Jörg Jochen Berns: Gott und Götter. Harsdörffers Mythenkritik und der Pan-Theismus der Pegnitzschäfer unter dem Einfluß Francis Bacons. In: Georg Philipp Harsdöffer. Ein deutscher Dichter und europäischer Gelehrter. Hrsg. von Italo Michele Battafatano. Bern u.a. 1991 (Forschungen zur europäischen Kultur, Bd. i), S. 23 — 81. Dies ist nicht nur deshalb gerechtfertigt, weil die schriftliche Form das grundsätzlichste Merkmal des Briefes darstellt, sondern auch weil Harsdörffer selbst in seinen Vorreden hauptsächlich vom Schreiben und der Schrift handelt und nur ganz am Rande vom Brief. Die Verbindung von Brief und Schrift erhellt auch S. 74.
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übernimmt Harsdörffer in seinen Vorreden so nicht, vielmehr weiß er das Verhältnis von Rede und Schrift dialektisch abzuwägen, ohne eine Hierarchie zu formulieren. Trotzdem trifft das Baconsche Motto auch den Kern von Harsdörffers Schriftbegriff, insofern der Nürnberger die positive Bedeutung der Schrift hervorhebt. In einer Zuschrift 25 spricht Harsdörffer zunächst von der »angeborenen« Schuldigkeit der Menschen gegenüber dem Vaterland, die »auch den Gelehrten die Feder in die Hand gegeben«20 habe, um die Geheimnisse der Natur zu ergründen, Sitten und Tugenden zu befördern und so den allgemeinen Nutzen zu mehren. Mit einem Lob der deutschen Sprache leitet Harsdörffer anschließend zu der Vorrede »Von der Schreib=Kunst insgemein< 27 über. Schon die ersten zwei Sätze dieser Vorrede enthalten ihre Essenz: Der sinnreiche Spanier Antonio Perez, nennet die Feder sehr nachdencklich / der Abwesenden Zunge / und die Schrift derselben Sprache / welche nicht nur verstanden wird / von den Lebendigen / die von uns entfernet sind / sondern auch von den Verstorbnen und noch nicht Gebornen / mit welchem diese Zunge ihre gleichsam unvergängliche Sprache zu reden pfleget [...] und ist unter dem geschriebenen und geredten Wort zwar ein zufälliger Unterscheid: wann aber die Daurung eine Sache schätzbar machet / so ist das geschriebene Wort beständiger / und deßwegen wehrter zu achten / als die in leichter Lufft verlohrne und bald vergessne Rede.28
Den Unterschied zwischen Schrift und mündlicher Rede bezeichnet Harsdörffer im Grundsatz als unwesentlich (»zufälliger Unterscheid« 29 ), wenn man jedoch die Dauer als beurteilendes Kriterium zugrunde legen wolle, so sei die Schrift als »gleichsam unvergängliche Sprache« vorzuziehen und höher zu schätzen als die vergängliche mündliche Rede. Memoria entpuppt sich als grundlegendes Beurteilungskriterium der Schrift und zieht sich als roter Faden durch die Vorreden des Nürnbergers. 30 Die historische Geltung der Bewahrung »hinfälliger Sachen« durch die Schrift sowie deren »Würdigkeit« 3 ' belegt Harsdörffer, indem er Entstehung und Entwicklung der Schrift vom »Anfang der Welt« bis in seine Gegenwart verfolgt. Dabei beachtet er in technischer Hinsicht vor allem die Vielfalt der Schriftträger und der je erforderlichen Schreibgeräte (Stein, Metall, Holz, Tierhäute, Baumblätter, Wachstafel, Papyrus, Papier, gedrucktes Buch) sowie die Entstehung der Buchstaben.32 Die Bedeutung der Schrift erhellt er überdies durch zahlreiche Belege aus der Heiligen Schrift und indem er die Relevanz der geschriebenen Sprache für Regenten und Unterge2
' Harsdörffer: Teutscher Secretarius, S. 1 — 5 : >Zuschrifft. Dem von allen löblichen und tugendeiferigen Gemütern hochgeliebten und hochgelobten gemeinen Nutzen.< ^ Ebd., S. 2. 27 Ebd., S. 6-2i. 2H Ebd., S. 6. Jy So auch i. Teil, S. 166. •'° Vgl. i. Teil, S. 6, S. 15, 2. Teil, § 7, § 8, § 10, § 28, § 29. ·" Ebd., Vorrede i.Teil, S. 6. ^ Ebd., 8.6-13. 2
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bene hervorhebt; dies allerdings mit dem deutlichen Hinweis und unter Berufung auf Richter 5,14, daß die Herrschenden in gewisser Weise von den Schreibkundigen abhängig sind: »Von Sebulon sind Regierer worden durch die Schreibfeder [.. .]«.33 Überhaupt legt Harsdörffer großen Wert auf die Feststellung, daß Nutzen und Bedeutsamkeit der Schreibkunst auf den Schriftkenntnissen der Hofschreiber, Kanzleibeamten und überhaupt der Gelehrten beruhe. So seien im Hebräischen alle Rechtsgelehrte Schreiber genannt worden,34 in der Heiligen Schrift werde der königlichen Schreiber »rühmlich gedacht«,35 Kaiser Ferdinand I. habe den Ausspruch getan: »Die Schreiber und Gelehrten sind mir nothwendiger als andere«,36 und überhaupt könne das Schreiben eine »gelehrtere künfftige Welt«37 befördern. Daß der Nürnberger Patrizier aber auch die mündlich vorgetragene Rede zu schätzen weiß, geht besonders aus der Vorrede zum zweiten Teil des >Secretarius< hervor, in der er sie der Schrift vergleichend gegenüberstellt.38 An dieser Stelle formuliert Harsdörffer analog zur »laus scripturae« ein Lob der mündlichen Rede,39 deren Bedeutsamkeit sich beispielsweise in der Person des Orpheus manifestiere, »der die wilden Thiere durch die Liedlichkeit [!] seines Gesangs bezämt« habe,40 so daß »das lebendige Wort / den todten Buchstaben weit überlegen« zu sein scheint.41 In diesem Kontext werden auch einige Nachteile der Schrift angesprochen. Die mündliche Rede könne von »etlich Tausend« gleichzeitig wahrgenommen werden, nicht aber die Schrift.42 Das Schreiben sei für jeden erlernbar, die Wohlredenheit jedoch erfordere »natürliche Gaben / die nicht gemein sind«, und so gebe es zwar viele Schreiber, aber nur wenige gute Redner; das ausschlaggebende Kriterium zur positiven Beurteilung der mündlichen Rede besteht also in ihren exklusiven Voraussetzungen.43 Positiv verbucht Harsdörffer für das Schreiben, daß es mehr Überlegung und Bedachtsamkeit bedürfe als die münd33
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Ebd., S. 12. Ebd., Vorrede I.Teil, S. 12. Ebd., S. 13. Ebd. Ebd., Zuschrifft 2. Teil. Der einschlägige Abschnitt ist überschrieben mit >Ob der / welcher wol schreibe / auch wol redePolyhistorDe Linguis & Scriptura< die »Scripturae Praestantia ac Necessitas« und stellt fest, daß durch die geschriebene Sprache die Gedanken besser ausgedrückt werden könnten als durch die gesprochene: Longe vero illustrior est, aptiorqve sua cogitata aliis communicandi modus, per scripturam, qvam sermonis imaginem esse symbolumqve res ipsa clamat. Sane enim, si praesentes sermone humano maxime affici & edoceri qvam aptissime solent; est tarnen, ubi scriptura vim loqvelae exsuperat, acqve vivo sermoni sermo pictus praefertur. Scriptura nempe ad absentes loqvimur, & remotos longa locorum temporumqve intercapedine, aeqve ac si nobiscum viverent, compellamus: hac historias temporum consignamus, qvae, si per oralem solum traditionem propagentur, incredidile [!] dictu, qvantum fabularum pro veris breve tempus attrahat, & renitentibus frustra posteris obtrudat: imo evanescit prorsus rerum, licet egregie gestarum memoria, ni literae & scriptura in subsidium advocentur. Ita cum scientiis qvoqve comparatum. Non hodie de tot magnorum olim virorum nominibus, nedum dogmatibus superesset qvicqvam, si scripturae beneficio careremus, qvod unum tot illustres antiqvorum labores excolendis uberius animis nostris datos servavit. Purere profecto magis, qvam humano more loqvi censentur merito, qvi scripturam & literas rei humanae pestem vocant, e nostro sodalitio exterminandam. Qvanto sanius viri sapientes summis illam in coelum laudibus extulerunt, & originem ejus investigantes DIs acceptum tantum beneficium referebant. 5y 56 57 58
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So auch ebd., Vorrede i. Teil, S. 15., im Zusammenhang mit dem Buchdruck. Ebd., Vorrede 2. Teil, § 28. Ebd., § 6. Daniel Georg Morhof: Polyhistor. Editio tertia. Lübeck 1732, Tom. L, Lib. IV, Cap. L, § 8, S. Jiyf.: »Aber weitaus wertvoller und angemessener, seine Gedanken anderen mitzuteilen, ist die Art und Weise der Schrift, die, wie die Sache selbst deutlich zeigt, ein Bild und Symbol der gesprochenen Rede ist. Gewiß, wenn auch die Anwesenden durch die menschliche Rede am ehesten und noch am angemessensten unterrichtet und angesprochen zu werden pflegen, gibt es doch zuweilen Fälle, wo die Schrift das Vermögen der gesprochenen Rede übertrifft und das abgebildete Gespräch dem lebendigen Gespräch vorgezogen wird. Denn durch die Schrift sprechen wir doch zu den Abwesenden und rufen diejenigen an, die durch lange örtliche und zeitliche Unterbrechungen von uns entfernt sind, gleich als ob sie bei uns leben würden. Durch sie zeichnen wir die Geschichte der Zeitumstände auf. Wenn diese Geschichte der Zeitumstände allein durch mündliche Überlieferung verbreitet würde, nicht auszudenken, wie viele Fabelgeschichten schon eine kurze Zeitspanne anstelle 247
In diesem Zitat sprechen sich wesentlich vier Aspekte aus: i. die Schrift ist eindeutig phonographisch gefaßt und gilt als Bild, Abbild oder Symbol (imago, pictus sermo, symbolum) der mündlichen Rede, insofern ist sie in der Tat ein Signifikant eines Signifikanten; 2. die Schrift bietet die Möglichkeit, mit Abwesenden und Verstorbenen zu kommunizieren; 3. die Schrift ist ein Medium der Erinnerung bzw. des Gedächtnisses00 und speichert die geschichtlichen Ereignisse auf wahrhaftigere Art als die auf mündlicher Überlieferung basierenden »Fabeln«; 4. macht dieses Zitat ebenso wie die entsprechenden Äußerungen Herman Hugos und Harsdörffers erneut deutlich, daß es im 17. Jahrhundert ein Bewußtsein von einem negativen Verständnis der Schrift gab. Um zusammenzufassen: Alle drei Texte stimmen in einer antiplatonischen61 Zielsetzung überein. Die Schrift dient der Aufbewahrung der Gedanken und des gesprochenen Wortes, und sie wird deshalb, obwohl sie mindestens bei Hugo und Morhof phonographisch gefaßt ist, als ein positives Medium gewertet. Ein Befund, der sich in einigen Punkten, vor allem hinsichtlich einer »nichtplatonischen Theorie des Graphischen«, mit dem von Detlef Thiel herausgearbeiteten Schriftbegriff Bacons deckt.62
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der Wahrheit heranzöge und den sich vergeblich Widersetzenden aufdrängte. Ja, die Erinnerung an die Ereignisse und Taten, mögen sie auch rühmlich sein, verschwindet sogar gänzlich, wenn nicht Buchstaben und Schrift zu Hilfe gerufen würden. So verhält es sich auch bei einem Vergleich mit den Wissenschaften. Es wäre heute nichts mehr vorhanden über so viele Namen einst großer Männer, geschweige denn irgend etwas über ihre Lehren, wenn uns die Wohltat der Schrift fehlen würde, die allein so viele herausragende Werke der Antike, die hervorgebracht wurden, um unsere Seelen fruchtbarer zu vervollkommnen, erhalten hat. Mit Recht sicherlich werden diejenigen, die die Schrift und Buchstaben eine Pest der menschlichen Verhältnisse nennen, die aus unserer Mitte verbannt werden müsse, eher für Rasende als für nach menschlichen Sitten Redende gehalten. Mit wieviel mehr Vernunft haben Philosophen die Schrift mit höchsten Lobsprüchen in den Himmel gehoben; und sie erklärten auch, als sie ihren Ursprung erforschten, von den Göttern habe man die so große Wohltat erhalten.« Das Zitat bis »in subsidium advocentur« auch abgedruckt bei Marie Kern: Daniel Georg Morhof. Diss. Landau-Pfalz 1928, S. 35; hier sind allerdings einige kleine Abweichungen bzw. Fehler zu beachten, die vielleicht einer anderen Ausgabe zu schulden sind, der Sinn des Zitats wird davon nicht berührt. So auch Harsdörffer: Teutscher Secretatius, I.Teil, S. 15: »Denn wann alle Kündigung in dem mündlichen Unterricht von Anfang der Welt bestanden wäre / solte / besorglich / so wenig als nichts / von der alten nutzlichen und nöthigen Beobachtungen / auff und geerbet seyn / und wir von vielen Wissenschaften nicht mehr wissen / als von der Barder Heidenlieder.« Vgl. auch ebd., 2. Teil, § 7. Zu Platons negativem Schriftbegriff vgl. Christian Stetter: Schrift und Sprache. Frankfurt a. M. 1997, S. 3O5ff. mit weiterführender Literatur. Zwar ist Stetter zuzustimmen, daß Plato die Schrift relativiere, nicht aber schon verachte, doch hat das Barock Plato durchaus als Schriftverächter wahrgenommen; vgl. weiter oben die Stelle zu Hugo. Detlef Thiel: Schrift, Gedächtnis, Gedächtniskunst, S. 170 — 205.
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Das dargelegte positive Verständnis der Schrift hat schließlich auch Eingang in die Dichtung gefunden. In einer Prosaekloge Sigmund von Birkens03 wird geschildert, wie der Schäfer Floridan (= Sigmund von Birken) durch die pastorale Natur64 wandelt, plötzlich eine von dem Schäfer Strefon (= Georg Philipp Harsdörffer) verfaßte Bauminschrift entdeckt und sich dadurch veranlaßt sieht, selbst ein Gedicht in einen Baum zu ritzen: und ergezte ihn sonderlich die wolneigung des Edlen Strefons; deme zu Ehren / er diese Reimen in die nächste Linde grübe / als er die von demselben mit einer schönen Reimschrift begabt ersehen. Ihr Schatten=Stämmer hier / ihr Kleebereichte Brachen / du bunter Blumen-Pfad / erwünschte Augenweid! du schlankes Wasserrad / begrünter Auen Freud / die ihr oft Strefon höre ein kluges Lied hermachen! du Linde kanst nun wol in deinen Zweigen lachen; du / klares NymfenBad / der nachbar-FelderKleid! du buntliches Gestad / der Schatten Wälder neid! wer spürt nicht / daß bey dir gelehrte winde wachen. Die Schrift last deine Zier / o Baum! verwelken nicht. Der Zahn der frevel-zeit / wird dich wol nie berühren, die zweige werden dich bis an die Wolken [fü6']hren. Die Rinde wird nicht faul / worein man Reimen sticht.66
Das Gedicht beginnt mit einer Apostrophierung der Natur bzw. der Nürnberger Pegnitzlandschaft, die keinen Zweifel daran aufkommen läßt, daß die Annehmlichkeit und Schönheit der Umgebung auch auf die Person des »edlen« Patriziers Georg Philipp Harsdörffer zurückzuführen ist. Dieser vermag allein durch seine klugen und gelehrten Lieder - metaphorisch gefaßt als »gelehrte winde« - eine erblühende Landschaft hervorzubringen. Daß die Lieder Strefons freilich in eine (in)schriftliche Fixierung überführt sind, macht nicht nur der Eingang des Zitats deutlich (Floridan bemerkt eine Linde, die mit einer Bauminschrift Strefons versehen ist), sondern wird insbesondere durch den viertletzten Vers hervorgehoben: Die Schrift last deine Zier / o Baum! verwelken nicht.
In der Form der Inschrift vermag die Schrift den Schriftträger vor der Vergänglichkeit zu bewahren. Normalerweise wird das Verhältnis von Inschrift und Baum als Inschriftenträger in der erzählenden Literatur genau anders herum beschrieben, indem der Baum als Bewahrer und Beschützer der Inschrift fungiert. In beiden Fällen jedoch ist der Schrift als Inschrift eine herausragende 63
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Sigmund von Birken: Der Pegnitz-Schäfere Gesellschaft-Weide und Frülings-Freude. In: Pegnesis. Nürnberg 1673, S. 57-120, hier S. 79. Es ist die Nürnberger Pegnitz-Umgebung. In der mir vorliegenden Ausgabe unleserlich. Sigmund von Birken: Gesellschaft-Weide und Frülings-Freude, S. 79. 249
und positive Position zugewiesen. Im letzten Fall stellt sie etwas Bewahrenswertes dar, im zuerst genannten Fall etwas Bewahrendes. Vor diesem Hintergrund ist nun der Schriftwert und die Bedeutung der Schrift für die Inscriptio arguta zu prüfen, deren materielle Schriftdominanz schon allein durch ihre typographische Dispositio sinnlich in die Augen fällt. Die wesentliche Schwierigkeit, eine Verbindung zwischen Inschrift und Schrifttheorie herzustellen, besteht darin, daß die Theoretiker der Inscriptio arguta, der scharfsinnigen Eloge und auch der nichtarguten Inscriptio offensichtlich kein Bedürfnis hatten, diese epigraphischen Phänomene schrifttheoretisch zu reflektieren. Dies ist um so erstaunlicher, als schrifttheoretische Überlegungen ja durchaus auch bei den Scharfsinnigen Inschriften zugeneigten Theoretikern nachgewiesen werden können und die Nähe der In-Schrift zur Schrift überhaupt evident ist; zumal beispielsweise Harsdörffer sich mit scharfsinnigen Obschriften, nichtarguten Inschriften klassizistischer Provenienz,6"7 nichtarguten textimmanenten Inschriften und Schrifttheorie beschäftigt hat und auch Morhof sowohl antike nichtargute und argute Inschriften als auch die Schrift berücksichtigt, ebenso wie sich etwa bei Birken ein bestimmbarer Schriftbegriff und die Beschäftigung mit dem Stilus lapidarius, den Inscriptiones argutae Tesauros und nichtarguten teximmanenten Inschriften nachweisen lassen. Gleichwohl ist die voneinander unabhängige Koexistenz von Inscriptiotheorie und Schrifttheorie evident. Die Absicht, das Movens der Inscriptio arguta nicht allein aus der Argutia-Bewegung, sondern überdies aus dem Schriftinteresse und der positiven Bedeutung der Schrift im 17. Jahrhundert abzuleiten, und dementsprechend das Demovens nicht nur am Niedergang der Argutia-Bewegung, sondern auch an einem veränderten Schriftverständnis festzumachen, kann demnach nur analytisch verwirklicht werden. Zunächst wird man generell voraussetzen können, daß die Inschrift eine bestimmte Art der Schrift sei und daß diese Evidenz für die Gelehrten des 17. Jahrhunderts eine geläufige Vorstellung darstellte, die zweifellos dem eben angesprochenen gleichzeitigen Nebeneinander von Schrifttheorie und Inscriptiotheorie bei verschiedenen Autoren immanent war. Ein deutlicherer Hinweis auf die Relevanz des Schriftlichen für die Inscriptio arguta ist allerdings der Umstand, daß manche Theoretiker nicht nur die argute Qualität der Scharfsinnigen Inschrift regeln und untersuchen, nicht nur deren Ursprünge, geschichtliche Enwicklung und Verwendung darlegen, sondern darüber hinaus die Buchstabenform diskutieren, Fragen der Interpunktion und Abkürzung behandeln 67
Vgl. Georg Philipp Harsdörffer: Specimen philologiae germanicae. Nürnberg 1646. Dazu vgl. Leonard Forster: Zu Harsdörffers >Specimen philologiae germanicaeAbriß einer allgemeinen Historic der Gelehrsamkeit^ 3 ist der 24. Paragraph überschrieben mit >Von der ältesten Sprache, der Erfindung des Schreibens und der BuchstabenKurzen Begriff einer Historic der Gelahrtheit< von Johann Albertinus,75 in der >Medicina mentis< von Joachim Lange7*5 sowie im >Versuch einer Einleitung in die historiam literariam antediluvianam< von Jakob Friedrich Reimmann 77 zu Tage. Reimmann stellt kurz und bündig fest, daß die Schreibkunst für die Menschen 71
Zu den Hodegetiken und Gelehrtengeschichren vgl. Conrad Wiedemann: Polyhistors Glück und Ende. Von Daniel Georg Morhof zum jungen Lessing. In: Festschrift Gottfried Weber. Hrsg. von Heinz Otto Burger und Klaus von See. Bad Homburg 1967, S. 215 — 235; Gunter E. Grimm: Literatur und Gelehrtentum in Deutschland. Untersuchungen zum Wandel ihres Verhältnisses vom Humanismus bis zur Frühaufklärung. Tübingen 1983 (Studien zur deutschen Literatur, Bd. 75), v.a. S. 426-491, sowie Siegfried Seifert: »Hiscoria literaria« an der Wende zur Aufklärung. Barocktradition und Neuansatz in Morhofs >PolyhistorHistorie der Gelahrtheit< die Ars scribendi ausführlich, indem er auf mehreren hundert Seiten alle Aspekte der Schrift von ihrer Entstehung bis zum Zeitalter des Buchdrucks darstellt.89 Etwas skeptischer hinsichtlich der begrifflichen Ableitung gibt sich Karl Friedrich Romanus in seiner >Dissertatio de republica litterariaDie Gelehrte Republik< von Diego de Saavedra Fajardo.93 In diesem Buch beschreibt der Erzähler, wie er 8S
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Ebd., S. 29: »Da die Studia litteraria ihren Namen von den Buchstaben tragen, mit deren Hilfe jene fortgepflanzt und erweitert werden, erfassen wir mit Recht die Ursprünge der Historia licteraria in der Geschichte der Buchstaben und der Schreibkunst.« Vgl. auch Johann Christian Lange: Protheoria eruditionis humanae universae: Oder Fragen von der Gelehrsamkeit der Menschen insgemein. Gießen 1706, S. lof. Nikolaus Hieronymus Gundling: Historie der Gelahrtheit. 5 Bde. Frankfurt und Leipzig 1734-1736, Bd. i, S. 237-595. Johann Georg Pritz (praes.): Dissertatio Academica De Republica litteraria. Karl Friedrich Romanus (resp.). Leipzig 1698. Ebd., S. 8. Ebd., S. 10: »Ferner bezeichnen sie, neben anderem, all das, was zur Gelehrsamkeit gehört.« 1655 u.d.T. >Juicio de artes y scienciasüberständische GelehrtenrepublikIrdisches Vergnügen in Gott Cicero: Cicero in Twenty-eight Volumes. XV: Philippics, ed. Walter C. A. Ker. Cambridge, Massachusetts/London 1969. Didot, Pierre: *Fastes. Paris 1804. - INSCRIPTIONES MORALES; ou RECUEIL DE QUATRAINS MORAUX DEDIES A LA JEUNESSE Par P. DIDOT L'AINE. Paris 1806. (12: L.eleg.m.248) Droste-Hülshoff, Annette von: Die Judenbuche. Ein Sittengemälde aus dem gebirgigten Westphalen. In: Dies.: Historisch-kritische Ausgabe. Hrsg. von Winfried Woesler. Bd. V,i: Prosa. Text. Bearbeitet von Walter Huge. Tübingen 1978. Emblemata. Handbuch zur Sinnbildkunst des 16. und 17. Jahrhunderts. Hrsg. von Arthur Henkel und Albrecht Schöne. Stuttgart 1967. *Faber, Johann: Disputatio de Inscriptionibus earumque variis modis. o.O. 1657. Fabricius, Johann Andreas: Philosophische Oratorie, Das ist: Vernünftige Anleitung zur gelehrten und galanten Beredsamkeit. Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1724. Kronberg Ts. 1974. — Abriß einer allgemeinen Historic der Gelehrsamkeit. 3 Bde. Leipzig 1752—1754. (4: XX C 9) Ferrari, Ottavio: Variarum Inscriptionum Atque Elogiorum LIBER VNVS. Padua 1647. (23: Lh 2726) - Prolusiones Vigintifex. EPISTOLAE ET FORMVLAE AD CAPIENDA DOCTORIS Insignia. ITEM VARIAE INSCRIPTIONES. Editio altera auctior et emendatior. Padua 1668. (23: Li 2458) - ELECTORVM LIBRI DVO. Accesserunt Epistolae & Inscriptiones. Padua 1679. (23: Li 2 457) — OPERA VARIA Prolusiones, Epistolas, Formulas ad capienda Doctoris insignia, & varias Inscriptiones complectentia. Omnia illa ex diversis auctoris libris collegit, in ordinem redegit, et singulari studio emendavit IOANNES FABRICIVS D. & Prof. emeritus, Sereniss. Dvcis Brunsvic. ac Luneb. Consiliarius consistor. & ecclesiast. Abbas Regiae Luterae, Scholarumque per Ducatum brunsvic. Inspector generalis [2 Bde]. Wolfenbüttel 1709. (23: Li 2456) Giuglaris, Luigi (= Aloysius Juglaris): CHRISTVS IESVS HOC EST DEI HOMINIS ELOGIA. Genuae 1641. (19: 4 P.lat.rec.22o) - CHRISTVS IESVS HOC EST DEI HOMINIS ELOGIA. Lyon 1642. (19: 4 P.lat.rec.2i9> - LVDOVICI IVSTI GALLIAE, ET NAVARRAE Regis Inuictissimi VITA, ET VIRTVTES 268
QVADRAGINTA ELOGIIS explicate, Occasione Funeris eidem decreti A SORORE AMANTISSIMA, CHRISTIANA, SABAVDIAE DVCE, CYPRI REGINA, Anno Domini M.DC.XLIII. Lyon 1644. (23: Gk 968) - INSCRIPTIONS, EPITAPHIA, ET ELOGIA. Lyon 1645. (12: 4 L.eleg.m.i ) - ARIADNE RHETORVM Manuducens ad eloquentiam Adolescentes, Ex ijs eruta ohservationibus, quas circa praxim oratoriae facultatis Excepit olim in Collegio Taurin. Societ. IESV ANTONIVS BRITIVS Theologus, et Sacerdos Braidensis. München 1658. (19: 8 Rhet.no) - CHRISTVS IESVS, Hoc est ELOGIORVM Pars Prima, DIVINA CONTINENS. Venedig 1672. (12: P.o.lat-758 m) — Elogiorvm Pars Secunda. Humana Continens Genethliaca, Fvnebria, Evcharistica Panegirica, Dedicationes, Inscriptiones. Venedig 1672. (12: P.O.131.758 m) Gottsched, Johann Christoph (Hg.): Handlexicon oder Kurzgefaßtes Wörterbuch der schönen Wissenschaften und freyen Künste. Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1760. Hildesheim/New York 1970. Grimmeishausen, Hans Jakob Christoffel von: Der Abentheurliche Simplicissimus Teutsch und Continuatio des abentheurlichen Simplicissimi. Hrsg. von Rolf Tarot. Abdruck der beiden Erstausgaben (1669). Tübingen 1984. Grosser, Samuel: VITA CHRISTIANI WEISII, GYMNASII ZITTAVIENSIS, RECTORIS, VIRI CLARISSIMI, Et de literis politioribus meritissimi, In gratae erga Praeceptorem optimum recordationis tesseram recensita, & Commentariolo de Scriptis ejusdem aucta ä M. SAMUELE GROSSERO, Gorlic. Gymnasii Rectore. Leipzig 1710. (21: Kg 377) Gundling, Nikolaus Hieronymus: Historie der Gelahrtheit. 5 Bde. Frankfurt/Leipzig 1734-1736. (23: Ea 274) Hallbauer, Friedrich Andreas: Anweisung zur verbesserten Teutschen Oratorie. Nachdruck der Ausgabe Jena 1725. Kronberg Ts. 1974. - Sammlung Teutscher auserlesener sinnreicher Inscriptionen nebst einer Vorrede darinne von den teutschen Inscriptionen überhaupt eine historische Nachricht ertheilet wird. Jena 1725. (23: Lo 2513) — Sammlung Teutscher auserlesener sinnreicher Inscriptionen Nebst einer Vorrede darinne von den Teutschen Inscriptionen überhaupt eine historische Nachricht ertheilet wird. Jena 1732. (4: VII n c 1744 c #) — Einleitung in Die nützlichen Übungen des Lateinischen STILI Nebst einer Vorrede von den Mitteln zur wahren Beredsamkeit, Andere Auflage. Jena 1730. (23: Kg 201) — Anleitung Zur Politischen Beredsamkeit Wie solche Bey weltlichen Händeln Jn Lateinisch- und Teutscher Sprache üblich. Nachdruck der Ausgabe Jena und Leipzig 1736. Kronberg Ts. 1974. *Hamilton, Jac. C.: Die leichteste Art der deutschen Redekunst. Leipzig 1712. Harsdörffer, Georg Philipp: Diana. Nachdruck der Ausgabe Nürnberg 1646. Darmstadt 1970. — Poetischer Trichter. Nürnberg 1647: Teil i; 1648: Teil 2; 1653: Teil 3. Reprint Darmstadt 1969. — Ars Apophthegmatica. Das ist: Kunstquellen Denckwürdiger Lehrsprüche und Ergötzlicher Hofreden. 2 Bände. Neudruck der Ausgaben Nürnberg 1655 und 1656 [Fortgeleite Kunstquellen denckwürdiger Lehrsprüche und erfreulicher Hofreden]. Herausgegeben und eingeleitet von Georg Braungart. Frankfurt a. M. 1990 (Texte der frühen Neuzeit, 2). — Artis Apophthegmatica Continuatio. Fortgeleite Kunstquellen / Denckwürdiger Lehrsprüche und Erfreulicher Hofreden; Wie solche sinnreich zu untersuchen / behaglich zu erfinden / anständig zu ergründen und schicklichst zu beantworten: in Drey Tausend Exempeln angewiesen / und mit einer Zugabe XX. besondrer neuer Obschrifften 269
gleichartiger Vorstellung / vermehret durch QUIRINUM PEGEUM. Nürnberg 1656. (12: L.eleg.m.59ia) — Teutscher Secretarius. Das ist: Allen Cantzleyen / Studir- und Schreibstuben nutzliches / fast nothwendiges / und zum drittenmal vermehrtes Titular- und Formularbuch I. Nachdruck der Ausgabe Nürnberg 1656. Hildesheim/New York 1971. - Der Teutsche Secretarius Zweyter Theil. Oder Allen Cantzleyen / Studir- und Schreibstuben dienliches Titular- und Formularbuch II. Nachdruck der Ausgabe Nürnberg 1659. Hildesheim/New York 1971. — Nathan und Jotham. Neudruck der Ausg. Nürnberg 1659. 2 Bde. Hrsg. und eingeleitet von Guillaume van Gemert. Frankfurt a. M. 1991 (Texte der frühen Neuzeit, 4). Hederich, Benjamin: Anleitung Zu den fürnehmsten PHILOLOGIschen Wissenschaften / Nach der GRAMMATICA, RHETORICA Und POETICA, So fern solche insonderheit einem / der die Studia zu prosequiren gedencket / nützlich und nöthig. Wittenberg 1713. (19: 8 Philol.i205) — Anleitung Zu den fürnehmsten PHILOLOGIschen Wissenschaften, nach der GRAMMATICA, RHETORICA und POETICA, und mithin insonderheit Zu der Lateinischen, Teutschen und Griechischen Orthographie, der Lateinischen und Griechischen Pronunciatio, der Lat. Lexica und Phrasiologia; Zu der Inventiva, Amplificativa und Tactica oratoria, dem Lat. Stilo und der Arte epigraphica und epistolica; Zu der Lat. und Gr. Arte metrica, den üblichsten Arten der Lat. und Gr. Carminum, und der Teutschen Poesie, So fern solche Dinge insonderheit einem, der die Studia fortzusetzen gedencket, nöthig und nützlich sind. Andere und durchaus so wohl verbesserte, als vermehrte Auflage. Wittenberg und Zerbst 1746. (19: 8 Philol.i2o6) Heineccius, Jo. Gottl.: STILI CVLTIORIS FVNDAMENTA. Halle a.d. Saale 1720. (23: P 1237.8 Heimst.) - STILI CVLTIORIS FVNDAMENTA. Frankfurt und Leipzig 1730. (4: IV b C 602) - FVNDAMENTA STILI CVLTIORIS. Leipzig 1761. (4: IV b C 602 b) - FVNDAMENTA STILI CVLTIORIS OMNIBVS IO. MATTHIAE GESNERI ANIMADVERSIONIBVS, EMENDATIONIBVS, ADDITAMENTIS, ET PRAEFATIONE LOCVPLETATA ACCVRAVIT, DIGESSIT, SVAS QVOQVE OBSERVATIONES HAC EDITIONE AVCTAS ADIECIT IO. NICOLAVS NICLAS. Leipzig 1766. (23: Kc 43) Helwig, Johann: Die Nymphe Noris. Nürnberg 1650. (12: Res.4 P.o.germ.153) Heumann, Christoph August: CONSPECTVS REIPVBLICAE SIVE VIA AD HISTORIAM LITERARIAM [...] EDITIO SEXTA EADEMQVE VLTIMA. Hannover 1753. (4: XX C ii) Hirtengedichte aus neronischer Zeit. Titus Calpurnius Siculus und die Einsiedler Gedichte. Hrsg. und übersetzt von Dietmar Korzeniewski. Darmstadt 1971. Hirtengedichte aus spätrömischer und karolingischer Zeit. Marcus Aurelius Olympius Nemesianus, Serverus Sanctus Endelechius, Modoinus. Hrsg. und übersetzt von Dietmar Korzeniewski. Darmstadt 1976. Holz, Arno: Phantasus. Verkleinerter Faksimiledruck der Erstfassung. Hrsg. von Gerhard Schulz. Stuttgart 1984. Hübner, August Nathanael: Gründliche Anweisung zum Deutschen STILO, Wie man denselben Durch gewisse Regeln gründlich erlernen, manierlich brauchen, geschickt verändern, und so dann der besten und berühmtesten Autorum Schrifften glücklich imitiren könne. Nebst einer Vorrede Von Verbesserung der Methoden, und in wie weit diese gegenwärtige Anweisung dazu nützlich kan gebrauchet werden; Zum besten der studirenden Jugend dem öffentlichen Druck übergeben. Hannover 1720. (12: L.germ.i28) Hübner, Johann: Kurtze Fragen aus der ORATORIA, zu Erleichterung der INFORMATION abgefasset / Und mit einem Anhange / von dem Gebrauche dieser Fragen [...] 3. Auflage. Leipzig 1704. (12: L. eleg.g.i99)
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Hugo, Herman: DE PRIMA SCRIBENDI ORIGINE ET VNIVERSA REI LITERARIAE ANTIQVITATE, Ad Reuerendum Patrem CAROLVM SCRIBANI SOC. IESV PRAEPOS. PROVING, in Provincia Flandro-Belgica. Antwerpen 1616. (4: XX C 140) Himold, Chr. Fr. [= Menantes]: Die Allerneueste Art Zur Reinen und Galanten Poesie zu gelangen. Allen Edlen und dieser Wissenschaft geneigten Gemühtern / Zum Vollkommenen Unterricht / Mit überaus deutlichen Regeln / und angenehmen Exempeln ans Licht gestellet. Hamburg 1707. (23: Um 55) Ines, Albert: LECHIAS, DUCUM, PRINCIPUM, AC REGUM POLONIAE, Ab usq; LECHO deductorum, ELOGIA HISTORICO-POLITICA ET PANEGYRES LYRICAE, In Quibus, Compendiosa totius Historiae Polonae EPITOME exhibetur: Nee non Singularia Christiano-Politicae Institutionis Arcana, Politicis, Ethicis ac Polemicis Axiomatibus illustrantur. Frankfurt/O. 1680. (23: Xb 312) Kallimachos: Die Dichtungen des Kallimachos. Gr. u. Dt. Übertragen, eingeleitet und erklärt von Ernst Howald und Emil Staiger. Zürich 1955. Kempe, Martin: Poetischer Lust=Gedancken Erster Theil / In Madrigalen und Einem anmuhtigen Spatziergang / Nebst der Beylage Von dem Träumenden Schäfer / Verfasset / Und zu belieblicher Ergetzung und Beehrung der reinen Teutschen Heiden» Sprach hervor gegeben. Itzo wieder neu aufgeleget / übersehen / und um die Helffte vermehret. Jena 1665. (12: P.o.germ.379) — Geistliches Je länger je lieber / Oder Mancherley Nützliche Betrachtungen / in Zwölff gebundenen Reden und so viel Obschrifften / Zu Unterhaltung Gottseeliger Andacht / abgefasset und an das Licht gesetzet von M. Martino Kempio, Kurfl. Brandenb. Historiographo, im Durchleucht. Palmen- Orden dem Erkohrnen. Königsberg 1675. (23: Th 1424) Kiene, Christoph Friedrich: Poetische Nebenstunden / Heroischen Geistern zu sonderbahrer Belustigung verfertiget. Frankfurt/Leipzig 1681. (FdF: No. 1387 v.2 thru, No. 1391, Reel 436) Knauth, Johann Christian: PYTHAGORAE CARMEN AVREVM, Graece & Latine, Cum Analysi Critica & Ethica, Imitationibus item Graeco-Latinis. II, Casp. Barlaei Orationes II Patheticae, una Elegiaca, altera Epica, Cum Analysi Rhetorica, Paraphrasi, Tropologia, & Formulis loqvendi selectis. III, MISCELLA QVAEDAM, Carmina, Inscriptiones, Epistolas, Testimonia &c. complexa. Cum Indice in Pythag. gemino. Straßburg 1720. (12: A.gr.a.i992) Konrad von Würzburg: Der Trojanische Krieg. Hrsg. von Adelbert von Keller. Stuttgart 1858 (Bibliothek des Litterarischen Vereins in Stuttgart, Bd. 44). Labbe, Petrus: ELOGIA SACRA. Grenoble 1664. (23: 64.1 Qu.2 (2)) - ELOGIA SACRA. THEOLOGICA, ET PHILOSOPHICA. REGIA. EMINENTIA. ILLVSTRIA. HISTORICA. POETICA. MISCELLANEA, accessere STEPHANI PETIOT Panegyrici duo Alter de RVPELLA expugnata, Alter de DELPHINO. Venedig 1674. (12: P.o.lat.792) — ELOGIA SACRA [...] Praefixa est Adversus hujus Characteris contemptores Praefatio Christiani Weisii. Leipzig 1686. (23: P 1499.8 Heimst.) — ELOGIA SACRA [...] Praefixa est Christiani Weisii Praefatio adversus hujus Characteris contemptores. Leipzig 1706. (FdF: No.i632b thru No.1634, Reel 584) Labbe, Philippe: THESAURUS EPITAPHIORUM VETERUM AC RECENTIUM SELECTORUM Ex Antiquis Inscriptionibus, omnique Scriptorum genere. Paris 1686. (12: L.eleg. m.469) Lange, Joachim: INSTITVTIONES STILI LATINI, quibus non solum de NATVRA, ADIVMENTIS, DIVERSITATE, VARIISQVE STILI GENERIBVS AC REGVLIS, presse agitur; sed etiam INTERPVNGENDI MODVS ostenditur; nee non notabiliores BARBARISMI AC SOLOECISMI; subiuncto iudicio de Latinae Linguae AETATIBVS ET AVCTORIBVS, strictim exhibentur. Accedit Schediasma de ELOQVENTIA SCHOLASTICA, una cum 2/1
Tabula Rhetorica, nee non APPENDIX DE PRAECIPVIS LATINI SERMONIS ADAGIIS. Editio tertia. Berlin 1713. (23: Kg 74) — MEDICINA MENTIS [...] Editio quarta, prioribus emendatior. Halae/Magdeburgicae 1718. (23: Li 4745) Lichtenberg, Georg Christoph: Schriften und Briefe [6 Bände]. Hrsg. von Wolfgang Promies. Bd. i: Sudelbücher I. München 1968. Lohenstein, Daniel Casper von: Grossmüthiger Feldherr Arminius. 2 Bände. Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1689 (i. Bd.) und 1690 (2. Bd.). Mit einer Einführung von Elida Maria Szarota. Hildesheim/New York 1973. Mannagetta, Johann Wilhelm: CORONA DUODECIM CAESARUM EX Augustissimä Domo Austriacä, OVAM Ferdinandus tertius, Caesar Decimus Tertius, Ferdinande quarto, Romanorum Regi Decimo Quarto, SEPTEM VIRORUM SAC: ROM: IMPERII UNANIMI CONSENSU IMPOSUIT, CELEBRATA ELOGIIS Latinis, Graecis, Hebraeicis, solutis, ligatis, ET Adaugendam publicam orbis laetitiam, EIDEM AVGVSTO REGI Ferdinande qvarto, D. D. A QVATVOR FACULTATIBUS Vniversitatis Austriacae. Wien 1654. (384: O2/IV. 14.2.42) Maraviglia, Giuseppe M.: VATICINIA GLORIAE BAVARICAE A NOMINIBVS INDITIS SERENISSIMO INFANTI BAVARORVM PRINCIPI DICATA SERENISSIMIS EIVSDEM PARENTIBVS FERDINANDO MARIAE VTIVSQVE BAVARIAE PRINCIPI Sacri Romani Imperij Electori HENRIETAE ADELAIDAE Ex Regijs Allobrogum Principibus Electoral! Celsitudine Praesignitae. A IOSEPHO MARIA MARAVIGLIA CLERICO REGVLARI In Gymnasio Patauino publico Moralis Philosophiae Professore. ADDITA PRINCIPIS INSTRVCTIONE Ad felices prouocandos rerum Euntus ex Vaticinijs Praesignatos. Venedig 1663. (12: 2 Bavar.502a) Marechal, Sylvain: Histoire Universelle en Style Lapidaire. Paris [1800]. (6: i D 2804) Masculo, Johannes Baptista: *Encomiorum Tomus alter continens Encomia illustrium virorum ac feminarum. Neapel 1641. - ENCOMIORVM TOMVS PRIMVS continens ENCOMIA COELITVM digesta per singulos anni dies, vna cum Veterum Fastis recensentibus victorias, triumphos, sacrificia, ceterasque res insignes Romanorum in primis, atque Graecos [!] quibus Christianae religionis praeponuntur Fasti EDITIO SECVNDA AVCTA encomijs Christi, eiusque magnae Matris V. ac nonnullorum aliorum Coelitum. Neapoli 1643. (12: 4 V. S. S.C.iji m) — ENCOMIA COELITVM Digesta per singulos anni dies, Vnä cum veterum Fastis, recensentibus victorias, triumphos, sacrificia, caeterasque res insignes, Romanorum in primis, atque Graecorum quibus Christianae religionis praeponuntur Fasti. Cum Encomijs Christi, eiusque magnae Matris Virginis, ac nonnullorum aliorum Coelitum [...] TOMVS PRIMVS. Venedig 1669. (12: V.SS. C.I52) - ENCOMIA COELITVM, DIGESTA PER SINGVLOS ANNI DIES, Una cum veterum fastis, recensentibus victorias, triumphos, sacrificia, ceterasque re insignes, Romanorum imprimis atque Graecorum, quibus Christianae religionis praeponuntur fasti. [4 Bde]. Wien und Augsburg 1753—1755 [1763]. (12: Res.V.SS. C.I53) Masen, Jakob: ARS NOVA ARGVTIARVM HONESTAE RECREATIONIS IN TRES PARTES DIVISA. CONTINET I. ARGVTIAS EPIGRAMMATICAS ex varijs Fontibus deductas. II. ARGVTIAS FAMILIÄRES. III. ARGVTIAS EPIGRAPHICAS, SEV Variarum Inscriptionum. Köln 1649. (12: L.eleg.m.525) - ARS NOVA ARGVTIARVM Eruditae & honestae RECREATIONIS. In duas partes divisa. Prima Est EPIGRAMMATUM: altera INSCRIPTIONUM argutarum. Köln 1660. (12: L.eleg.m-526) - ARS NOVA ARGVTIARVM. Köln 1687. (4: XVI C a 125) - ARS NOVA ARGVTIARVM. Köln 1711. (12: L.eleg.m.53O b (2)) - PALAESTRA STYLI ROMANI QVAE Artem et praesidia Latine ornateq; quovis styli
genere scribendi complectitur, CVM BREVI Graecarum et Romanarum antiquitatum compendio, ET PRAECEPTIS Ad Dialogos, Epistolas, et Historias scribendas legendasque necessariis. Köln 1659. (4: IV b C 603) - FAMILIARIVM ARGVTIARVM Fontes [...] Editio altera locupletior. Köln 1660. (12: L.eleg.m.520) Matina, Leo: DVCALIS REGVM LARARIVM Sive SER.ME REIPV. VENETA PRINCIPVM OMNIUM ICONES Vsque AD SERENISSIMVM IOANNEM PISAVRVM Qui Nunc Rerum Feliciter Potitur P. D. LEONIS MATINAE Neapolitan! Monachi Casinatis. Venedig 1659.(17: 31 A 1094) - DIVVM HEROVMQVE MVSAEVM. SCILICET Sanctorum, Maximorum Pontificum, Cardinalium, Caesarum, Regum, Principum, Heroumque ELOGIA. Padua 1674. (12: Res. 2.1tal.io3 t2]) Menestrier, C. F.: DES DECORATIONS FUNEBRES. OV IL EST AMPLEMENT TRAITE des Tentures, des Lumiers, des Mausolees, catafalques, Inscriptions et autres Ornemens funebres; Avec tont ce qui s'est fait de plus considerable depuis plus d'un siecle, pour les Papes, Empereurs, Rois, Reines, Cardinaux, Princes, Prelates, Scavans ec Personne Illustres en Naissance, Vertu et Dignite, etc. Paris 1683. (23: HI 119) Mentzer, Felix Christoph: POTIORES HERCULIS CHRISTIANI, Divi MARTINI LUTHERI LABORES Qualicunque lapidariae orationes penicillo opera subcisiva et subsecundaria delineati a [...] Leipzig 1696. (23: Li 5649) Mirus, Adam Erdmann: Kurtze Fragen oder Lehr=Arth Von denen INSCRIPTIONIBUS ARGUTIS, Welche Jn dem gemeinen Theile Deroselben Principia, Disposition und Elocution untersuchet; Jn deren sonderbahren aber Inscriptiones Von allerhand Gattungen hinzugefüget. Budißin 1716. (824: 2O/EC 6098 ^1676.716) Monteiro, Manuel: JOANNES PORTUGALLIAE REGES AD VIVUM EXPRESSI CALAMO A P. EMMANUELE MONTEYRO. Lissabon 1742. (12: 2 Port.18) Morcelli, Stefano Antonio: De stilo inscriptionum latinarum. 3 Bde. Padua 1819—1822. (23: Lh 4 245) Morhof, Daniel Georg: COMMENTATIO DE DISCIPLINA ARGUTIARUM. o.O. 1693. [473: 48/GH 7861 mr 1202) - Unterricht von der Teutschen Sprache und Poesie. Nachdruck der Ausg. Lübeck und Frankfurt 1700. Hrsg. von Henning Boetius. Bad Homburg v. d. H./Berlin/Zürich 1969 (Ars poetica, Texte, Bd. i). — De ARGUTA DICTIONE Tractatus, quo artis argute dicendi Scriptores tarn veteres, quam recentiores cum censura exhibentur, & de Argutiarum principiis, subsidiis atque objectis, inspersis ubique exemplis, agitur, cum Indicibus Necessariis. Editio secunda priori longe auctior. Lübeck 1705. (4: XVI C 128) - POLYHISTOR, LITERARIUS PHILOSOPHICUS ET PRACTICUS. EDITIO TERTIA. Lübeck 1732. Nädasdy, Ferenc de (Hg.) [Übers.: Sigmund von Birken]: MAUSOLEUM POTENTISSIMORUM ac GLORIOSISSIMORUM REGNI APOSTOLICI REGUM et PRIMORUM MILITANTIS UNGARIAE DUCUM Vindicatis e mortuali pulvere RELIQUIS ad gratam apud posteros memoriam, a plo et IVsto patrlae DoLore ereCtVM Cum versione Operis Germanica. Nürnberg 1664. (12: Res. 2° L.eleg.m.72) — Mausoleum potentissimorum ac gloriosissimorum regni apostolici regum et primorum militantis Ungariae ducum. Mausoleum für die mächtigsten und glorreichsten Könige des apostolischen Königtums und für die ersten streitbaren Fürsten Ungarns. Nachdruck der Ausg. Nürnberg 1664. Mit einer Studie von György Rozsa [>Das Nädasdy-MausoleumI1 Cannochiale AristotelicoPegnesische Schäfergedicht< von Strefon und Clajus. Diss. (Masch) Wien 1947. Kajanto, liro: On Lapidary Style in Epigraphy and Literature in the Sixteenth and Seventeenth Centuries. In: Humanistica Lovaniensia 43 (1994), S. 137-172. Kapp, Volker: Artikel >Argutia-BewegungNadasti< [= Ferenc de Nädasdy]. In: Biographie universelle ancienne et moderne. Bd. 30. Graz 1968, S. 6f. Montano, R.: Metaphysical and Verbal Arguzia and the Essence of the Baroque. In: Colloquia Germanica (1967), S. 49ff. Möseneder, Karl: Zeremoniell und monumentale Poesie. Die »Entree solennelle« Ludwigs XIV. 1660 in Paris. Berlin 1983. Müller, Karin: »Schreibe wie du sprichst!« Eine Maxime im Spannungsfeld von Mündlichkeit und Schriftlichkeit. Eine historische und systematische Untersuchung. Frankfurt a. M./Bern/New York/Paris 1990 (Theorie und Vermittlung der Sprache, Bd. 12). Müller, Reinhard: Art. >Masen, Jakob