In causis vero dissentiamus: Exegese eines folgenreichen Julian-Fragments (D. 41,1,36). Zugleich ein Plädoyer gegen die Lehre von der solutio als causa 3161593588, 9783161593581

Hans-Michael Empell untersucht ein Fragment des klassischen römischen Juristen Julian (zweites Jahrhundert n. Chr.), das

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German Pages 356 [357] Year 2020

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Titel
Vorwort
Inhalt
Einführung
1. Thema der Untersuchung
2. Bedeutung des Themas
3. Begründung der Themenwahl
4. Ein neuer Ansatz zur Deutung der Antinomie
5. Methodologische Grundsätze
6. Gang der Untersuchung
Erster Abschnitt. D. 41,1,36: das Fragment und seine Struktur; zur Echtheit des Textes
1. Text und Übersetzung
2. Die Struktur des Textes
3. Sind die beiden ersten Teile des Fragments echt?
Zweiter Abschnitt. Der erste Teil des Fragments: in corpus (…) consentiamus – traditio
1. Text und Paraphrase
2. Corpus
3. Der Konsens in corpore – eine dingliche Einigung?
4. Der Konsens in corpore – die eigene Auffassung
5. Zum Begriff der traditio
6. Die Funktion des Konsenses in corpore (die Auffassung Ulpians)
7. Die Funktion des Konsenses in corpore (die Auffassung Julians)
8. Zu quod traditur
9. Ist ein Konsens in corpore bei Gattungssachen notwendig?
10. Ergebnisse und Schlussfolgerungen
Dritter Abschnitt. Der erste Teil des Fragments (Fortsetzung): in causis vero dissentiamus – traditio
1. Text und Paraphrase
2. Zum Begriff der iusta causa traditionis
3. Zur solutio als causa
4. Mögliche Konsequenzen aus dem herkömmlichen causa-Begriff
5. Ausnahme vom Kausalitätsprinzip bei einem Dissens in causis?
6. Preisgabe des Kausalitätsprinzips?
7. Die Position Vaccas und Corteses
8. Hat D. 41,1,36 ein responsum zum Inhalt (Krampe)?
9. Eine eigene Interpretation von Teil 1 des Fragments
Vierter Abschnitt. Der zweite Teil des Fragments: veluti si ego – deberi
1. Text und Paraphrase
2. Der zweite Teil des Fragments – ein Beispiel wofür?
3. Stellungnahme zu bisher vertretenen Interpretationen
4. Die eigene Auslegung und ihre Konsequenz für den causa-Begriff
Fünfter Abschnitt. Exkurs: Wird die solutio als causa qualifiziert?
1. Einführung
2. Zum Begriff der solutio als causa
3. Fragen und Zweifel
4. Zum Argument aus D. 12,6,1
5. Weitere Fragmente in D. 12,6 (condictio als Rechtsbehelf)
6. Die rei vindicatio in D. 12,6
7. Repetitio / repetere in D. 12,6
8. Die historische Herleitung der causa solvendi
9. Das Schweigen der Digesten
10. Die Stipulation als causa bei Julian (D. 24,1,39)
11. Die causa bei Paulus (D. 41,1,31 pr.)
12. Der causa-Begriff in D. 12,6,66
13. Die causa bei Ulpian in D. 12,7,1
14. Der causa-Begriff in D. 12,7,2
15. Die causa possessionis bei der usucapio
16. Zur Kontrolle: zwei Gaius-Stellen
17. Die Ergebnisse der Kritik an der Lehre von der causa solvendi
Sechster Abschnitt. Der erste und zweite Teil des Fragments (Fortsetzung): Konsequenzen aus der Ablehnung der Lehre von der solutio als causa
1. Welche Fallgruppe behandelt Julian?
2. Schwierigkeiten mit der Wendung in causis
3. Zur Echtheit der Wendung in causis
4. Zur Deutung von in causis (die Position Harkes)
5. Die eigene Auffassung
6. Der Eigentumsübergang: bisher vertretene Auffassungen
7. Der Eigentumsübergang (Fortsetzung): die eigene Auffassung
8. Zur praktischen Bedeutung der von Julian entschiedenen Fälle
9. Ergebnisse
Siebter Abschnitt. Der dritte Teil des Fragments: nam et si – dissenserimus
1. Text und Paraphrase
2. Zur Echtheit des Textes
3. Zur Diskussion über den Grund für den Eigentumswechsel
4. Zur Diskussion über den Grund für den Eigentumswechsel (Fortsetzung)
5. Patronage und amicitia
6. Der Sachverhalt
7. Der Konflikt
8. Die Entscheidung
9. Ein spiegelbildlicher Fall (D. 46,3,34,7)
10. Die Rechtsauffasssung im Darlehens-Schenkungs-Fall als Begründung der Regel
Achter Abschnitt. Die Antinomie
1. Der Widerspruch Ulpians (D. 12,1,18 pr.)
2. Die Grenze zwischen den Darlegungen Julians und Ulpians
3. Die Auffassung Julians zum Eigentumsübergang
4. Der Grund für den Unterschied zwischen Julian und Ulpian
Neunter Abschnitt. D. 41,1,36 als Teil eines literarischen Werkes
1. Zum literarischen Charakter des Julian-Textes
2. Zur Werkgattung der Digesten Julians
Zehnter Abschnitt. Zur Arbeit der Kompilatoren und zum justinianischen Recht
1. Gründe für die Aufnahme des Julian-Exzerpts in die Digesten
2. Der Kontext von D. 41,1,36 innerhalb der Digesten Julians
3. D. 41,1,36 und der Widerspruch zu Ulpian
4. Zur Inskription
5. Tendenz zum Abstraktionsprinzip im justinianischen Recht?
Zusammenfassung
1. Zur Lehre von der solutio als causa
2. Der Konsens in corpore
3. Der Dissens in causis
4. Der Beispielsfall
5. Der Grund für den Eigentumsübergang
6. Amicitia als Voraussetzung des Darlehens-Schenkungs-Falles
7. Die Antinomie
8. Zum literarischen Charakter des Textes und zur Arbeit der Kompilatoren
Sintesi della ricerca
Literaturverzeichnis
Sachregister
Quellenregister
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In causis vero dissentiamus: Exegese eines folgenreichen Julian-Fragments (D. 41,1,36). Zugleich ein Plädoyer gegen die Lehre von der solutio als causa
 3161593588, 9783161593581

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Ius Romanum Beiträge zu Methode und Geschichte des römischen Rechts herausgegeben von

Martin Avenarius, Christian Baldus, Richard Böhr, Wojciech Dajczak, Massimo Miglietta und José-Domingo Rodríguez Martín

8

Hans-Michael Empell

In causis vero dissentiamus Exegese eines folgenreichen Julian-Fragments (D. 41,1,36) Zugleich ein Plädoyer gegen die Lehre von der solutio als causa

Mohr Siebeck

Hans-Michael Empell, geboren 1943; Ausbildung zum Diplom-Bibliothekar für den Dienst an wissenschaftlichen Bibliotheken (Göttingen); 1966–71 Studium der Rechtswissenschaften (Universität Göttingen); 1987 Promotion; Tätigkeit als Bibliothekar und Völkerrechtler an der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (Heidelberg); seit 2008 im Ruhestand.

ISBN 978-3-16-159358-1 / eISBN 978-3-16-159359-8 DOI 10.1628/978-3-16-159359-8 ISSN 2197-8573 / eISSN 2569-409X (Ius Romanum) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­ bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2020 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen aus der Times gesetzt, auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und gebunden. Printed in Germany.

Vorwort Diese Untersuchung wäre nicht entstanden, wenn ich nicht vor etwa einem halben Jahrhundert während meiner Göttinger Studienzeit die Vorlesungen Franz Wieackers gehört hätte. Seine Begeisterung für das römische Recht wirkte ansteckend. Obwohl ich mich später einem anderen Rechtsgebiet, dem Völkerrecht, insbesondere dem Recht der Menschenrechte und dem humanitären Völkerrecht, zugewandt habe, hat der dadurch empfangene starke Eindruck fortgewirkt. So ist mein Interesse am römischen Recht wach geblieben. Nachdem ich meine Arbeit als Bibliothekar und Völkerrechtler an der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft e.V. (Heidelberg) beendet habe und in den Ruhestand getreten bin, habe ich begonnen, mich erneut dem römischen Recht zu widmen. Ein erstes Ergebnis dieser Bemühungen wurde in den „Studia et Documenta Historiae et Iuris“ 79 (2013), S. 103 ff. unter dem Titel „Durchgangseigentum bei Celsus“ veröffentlicht. Hiermit lege ich nun eine weitere, umfangreichere Publikation vor, die allerdings nur zustande kommen konnte, weil mehrere Personen und Institutionen mir dabei geholfen haben. An erster Stelle ist Herr Professor Dr. Christian Baldus (Universität Heidelberg) zu nennen. Bedanken möchte ich mich bei ihm sehr herzlich für die ausdauernde Unterstützung, die er mir überaus freundlich gewährt hat. Trotz starker Arbeitsbelastung war er bereit, sich immer wieder die erforderliche Zeit zu nehmen, mich während der Arbeit in vielfältiger Weise zu beraten und insbesondere mein Manuskript mit Anmerkungen zu versehen, die stets anregend und weiterführend waren. Ich habe sehr viel von ihm gelernt. Durch seine große Freundlichkeit und unermüdliche Hilfsbereitschaft hat er meine Arbeit insgesamt sehr gefördert. Zu danken habe ich ferner Herrn Professor Martin Avenarius (Universität Köln) für seine wertvollen Anmerkungen zum Manuskript. Allen Herausgebern sowie dem Verlag schulde ich Dank für die Aufnahme der Untersuchung in die Reihe „Ius Romanum“. Herrn Dr. Tommaso Beggio (Università di Trento) danke ich sehr herzlich für seine geduldige Hilfe bei der Übersetzung der Zusammenfassung meiner Untersuchungsergebnisse ins Italienische.

VI

Vorwort

Frau Oberstudienrätin i. R. Gudrun Kaleschke (Heidelberg) danke ich ebenfalls sehr herzlich. Wenn ich mit meinem Latein am Ende war und auch die Lektüre einer Grammatik nicht weiterhalf, zumindest nicht zu einem sicheren Ergebnis führte, war es gut zu wissen, dass ich mich immer an sie wenden konnte. Prompt, zuverlässig und freundlich hat sie mir die benötigte Auskunft erteilt. Dank schulde ich ebenfalls Herrn Martin Hauber (Heilbronn), der sich zur Lektüre des Manuskripts bereit erklärt und mich mit wertvollen Hinweisen unterstützt hat. Sehr herzlich möchte ich mich bei der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft e.V. (Heidelberg) für einen Druckkostenzuschuss bedan­ ken. Schließlich dürfen mehrere Institutionen nicht unerwähnt bleiben, die es mir dankenswerterweise ermöglicht haben, die umfangreiche Literatur zu meinem Thema einzusehen, nämlich die Bibliothek des Instituts für Geschichtliche Rechtswissenschaft, die Bibliothek des Juristischen Seminars und die Bereichsbibliothek Altertumswissenschaften der Universität Heidelberg und schließlich, nicht zu vergessen, die Universitätsbibliothek Heidelberg. Heidelberg, im Januar 2020

Hans-Michael Empell

Inhalt Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1

1. Thema der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 2. Bedeutung des Themas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 3. Begründung der Themenwahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 4. Ein neuer Ansatz zur Deutung der Antinomie . . . . . . . . . . . . 8 5. Methodologische Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 6. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10

Erster Abschnitt. D. 41,1,36: das Fragment und seine Struktur; zur Echtheit des Textes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 1. Text und Übersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 2. Die Struktur des Textes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 3. Sind die beiden ersten Teile des Fragments echt? . . . . . . . . . . 17

Zweiter Abschnitt. Der erste Teil des Fragments: in corpus (…) consentiamus – traditio . . . . . . . . . . . . . . 23 1. Text und Paraphrase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 2. Corpus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 3. Der Konsens in corpore – eine dingliche Einigung? . . . . . . . . 25 4. Der Konsens in corpore – die eigene Auffassung . . . . . . . . . . 27 5. Zum Begriff der traditio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 6. Die Funktion des Konsenses in corpore (die Auffassung Ulpians) . 36 7. Die Funktion des Konsenses in corpore (die Auffassung Julians) . 41 8. Zu quod traditur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 9. Ist ein Konsens in corpore bei Gattungssachen notwendig? . . . . 45 10. Ergebnisse und Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 51

VIII

Inhalt

Dritter Abschnitt. Der erste Teil des Fragments (Fortsetzung): in causis vero dissentiamus – traditio . . . . . . . . . . . . . . 53

1. Text und Paraphrase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 2. Zum Begriff der iusta causa traditionis . . . . . . . . . . . . . . . 54 3. Zur solutio als causa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 4. Mögliche Konsequenzen aus dem herkömmlichen causa-Begriff . . 58 5. Ausnahme vom Kausalitätsprinzip bei einem Dissens in causis? . . 61 6. Preisgabe des Kausalitätsprinzips? . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 7. Die Position Vaccas und Corteses . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 8. Hat D. 41,1,36 ein responsum zum Inhalt (Krampe)? . . . . . . . . 67 9. Eine eigene Interpretation von Teil 1 des Fragments . . . . . . . . 70

Vierter Abschnitt. Der zweite Teil des Fragments: veluti si ego – deberi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71

1. Text und Paraphrase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 2. Der zweite Teil des Fragments – ein Beispiel wofür? . . . . . . . . 72 3. Stellungnahme zu bisher vertretenen Interpretationen . . . . . . . 72 4. Die eigene Auslegung und ihre Konsequenz für den causa-Begriff 75

Fünfter Abschnitt. Exkurs: Wird die solutio als causa qualifiziert? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 2. Zum Begriff der solutio als causa . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 3. Fragen und Zweifel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 4. Zum Argument aus D. 12,6,1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 5. Weitere Fragmente in D. 12,6 (condictio als Rechtsbehelf) . . . . . 93 6. Die rei vindicatio in D. 12,6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 7. Repetitio / repetere in D. 12,6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 8. Die historische Herleitung der causa solvendi . . . . . . . . . . . 113 9. Das Schweigen der Digesten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 10. Die Stipulation als causa bei Julian (D. 24,1,39) . . . . . . . . . . 117 11. Die causa bei Paulus (D. 41,1,31 pr.) . . . . . . . . . . . . . . . . 127 12. Der causa-Begriff in D. 12,6,66 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 13. Die causa bei Ulpian in D. 12,7,1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 14. Der causa-Begriff in D. 12,7,2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 15. Die causa possessionis bei der usucapio . . . . . . . . . . . . . . 146

Inhalt

IX

16. Zur Kontrolle: zwei Gaius-Stellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 17. Die Ergebnisse der Kritik an der Lehre von der causa solvendi . . 166

Sechster Abschnitt. Der erste und zweite Teil des Fragments (Fortsetzung): Konsequenzen aus der Ablehnung der Lehre von der solutio als causa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169

1. Welche Fallgruppe behandelt Julian? . . . . . . . . . . . . . . . . 169 2. Schwierigkeiten mit der Wendung in causis . . . . . . . . . . . . . 170 3. Zur Echtheit der Wendung in causis . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 4. Zur Deutung von in causis (die Position Harkes) . . . . . . . . . . 173 5. Die eigene Auffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 6. Der Eigentumsübergang: bisher vertretene Auffassungen . . . . . . 179 7. Der Eigentumsübergang (Fortsetzung): die eigene Auffassung . . . 186 8. Zur praktischen Bedeutung der von Julian entschiedenen Fälle . . 189 9. Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192

Siebter Abschnitt. Der dritte Teil des Fragments: nam et si – dissenserimus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 1. Text und Paraphrase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 2. Zur Echtheit des Textes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 3. Zur Diskussion über den Grund für den Eigentumswechsel . . . . 195 4. Zur Diskussion über den Grund für den Eigentumswechsel (Fortsetzung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 5. Patronage und amicitia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 6. Der Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 7. Der Konflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 8. Die Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 9. Ein spiegelbildlicher Fall (D. 46,3,34,7) . . . . . . . . . . . . . . 236 10. Die Rechtsauffasssung im Darlehens-Schenkungs-Fall als Begründung der Regel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239

Achter Abschnitt. Die Antinomie . . . . . . . . . . . . . . . . . 243

1. Der Widerspruch Ulpians (D. 12,1,18 pr.) . . . . . . . . . . . . . . 243 2. Die Grenze zwischen den Darlegungen Julians und Ulpians . . . . 245 3. Die Auffassung Julians zum Eigentumsübergang . . . . . . . . . . 249 4. Der Grund für den Unterschied zwischen Julian und Ulpian . . . . 250

X

Inhalt

Neunter Abschnitt. D. 41,1,36 als Teil eines literarischen Werkes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 1. Zum literarischen Charakter des Julian-Textes . . . . . . . . . . . 261 2. Zur Werkgattung der Digesten Julians . . . . . . . . . . . . . . . . 264

Zehnter Abschnitt. Zur Arbeit der Kompilatoren und zum justinianischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267

1. Gründe für die Aufnahme des Julian-Exzerpts in die Digesten . . . 267 2. Der Kontext von D. 41,1,36 innerhalb der Digesten Julians . . . . 270 3. D. 41,1,36 und der Widerspruch zu Ulpian . . . . . . . . . . . . . 272 4. Zur Inskription . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 5. Tendenz zum Abstraktionsprinzip im justinianischen Recht? . . . . 279

Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 1. Zur Lehre von der solutio als causa . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 2. Der Konsens in corpore . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 3. Der Dissens in causis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 4. Der Beispielsfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 5. Der Grund für den Eigentumsübergang . . . . . . . . . . . . . . . 294 6. Amicitia als Voraussetzung des Darlehens-Schenkungs-Falles . . . 295 7. Die Antinomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 8. Zum literarischen Charakter des Textes und zur Arbeit der Kompilatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297

Sintesi della ricerca . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 Quellenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341

Einführung 1. Thema der Untersuchung a) Nachdem Dante das Inferno und das Purgatorio durchschritten hatte und ins Paradiso erhoben worden war, sah er wohl mehr als tausend Lichter auf sich zukommen, von denen eines, zunächst nur anonym und als „heilige Gestalt“ (figura santa) wahrnehmbar, zu ihm sprach und sich als der frühere Kaiser Justinian zu erkennen gab.1 Dieser berichtete von seinem Erdendasein und erwähnte dabei auch die von ihm geschaffene Gesetzessammlung. „Gemäß dem Willen der ersten Liebe“ (per voler del primo amor) habe er aus den Gesetzen (leggi) alles entfernt, „was zu viel und unnütz war“ (il troppo e ‘l vano).2 Mit dem Wort leggi bezog sich Justinian auf Auszüge aus den Schriften der klassischen römischen Juristen. Zu seinen Lebzeiten hatte er sie leges genannt;3 so werden sie noch heute bezeichnet. Diese Textstellen bilden den Inhalt der Digesten, die den zentralen Bestandteil des später so genannten Corpus Iuris Civilis ausmachen.4 Der frühere Kaiser konnte sich offenbar noch gut an die Gesetze erinnern, die er den Digesten vorangestellt hatte. Darin hatte er sich in ähnlicher Weise auf den Willen Gottes berufen5 und betont, seine erste Sorge sei es gewesen, die Gesetze zu verbessern, damit sie „von allen überflüssigen Wiederholungen und den über-

Dante Alighieri / Flasch (2011), S.  299 ff. Aus Canto 6 von Dantes Commedia: „Cesare fui e son Iustinïano / che, per voler del primo amor ch’i’ sento, / d’entro le leggi trassi il troppo e ‘l vano.“ Dante Alighieri / Marchesi (2011), S.  62. Die Übersetzung von Flasch lautet: „Kaiser war ich und bin Justinian. Ich entfernte nach dem Willen der ersten Liebe, den ich spürte, von den Gesetzen alles, was zu viel und unnütz war.“ Dante Alighieri / Flasch (2011), S.  301. 3  Vgl. z. B. const. Tanta pr., §§  5, 10. Der Kaiser bezog sich damit auf die von den klassischen Juristen selbst vertretenen oder mitgeteilten Rechtsauffassungen und Rechtssätze (pr.: leges antiquas). 4  Der Titel Corpus Iuris Civilis wurde erstmals in der von Dionysius Gothofredus (Denis Godefroy) veranstalteten, gedruckten Ausgabe (Genf, 1583) verwendet; vgl. Waldstein / Rainer (2014), S.  275 = Rn.  14; Kaser / Knütel / Lohsse (2017), S.  7 = Rn.  20. 5 Vgl. const. Dedoken pr.; const. Deo auctore pr.; const. Tanta pr. 1  2 

2

Einführung

aus schädlichen Widersprüchen befreit, durch ihre Vollkommenheit allen Menschen raschen Schutz gewähren“.6 Ob es Justinian und den Juristen, die auf seinen Befehl hin und unter seiner Aufsicht die Gesetzessammlung hergestellt haben, gelungen war, Wiederholungen, Widersprüche und andere Unvollkommenheiten ganz zu vermeiden, muss freilich bezweifelt werden. Denn seit dem Mittelalter sind die Rechtsgelehrten gezwungen, sich einer Reihe von leges besonders intensiv zu widmen, die nicht oder nur schwer miteinander vereinbar sind. Immerhin war der Kaiser so klug gewesen, auf mögliche Unvollkommenheiten selbst hinzuweisen und sie mit der Schwäche der menschlichen Natur zu entschuldigen. In allen Stücken fehlerfrei zu sein, sei Sache allein göttlicher, nicht menschlicher Kraft.7 b) So ist es dazu gekommen, dass die berühmte Antinomie zwischen Julian und Ulpian, die sich in den beiden Fragmenten Iul 13 dig D. 41,1,36 und Ulp 7 disp D. 12,1,18 pr. manifestiert, in die Digesten geraten ist. Dieser Widerspruch bildet das Thema der vorliegenden Untersuchung. In der Hauptsache geht es um die Julian-Stelle; aber auch der Ulpian-Text wird angemessen gewürdigt. Die Konzentration auf das Julian-Exzerpt ist gerechtfertigt; handelt es sich doch um einen besonders schwer zu entschlüsselnden Text, der in der romanistischen Literatur zu den unterschiedlichsten Deutungen geführt hat, die zum Teil sogar weitreichende praktische Auswirkungen gehabt haben. c) Es mag ungewöhnlich erscheinen, einem einzigen Quellentext ein ganzes Buch zu widmen. Die vorliegende Publikation umfasst jedoch eigentlich zwei Abhandlungen – nicht allein die Exegese des genannten Julian-Textes, sondern auch eine Auseinandersetzung mit dem Begriff der iusta causa traditionis, genauer gesagt: mit der in der Rechtsromanistik allgemein vertretenen Lehre, wonach die solutio eine causa bildet. Nur wenn diese Lehre revidiert wird, so die These der vorliegenden Untersuchung, kann Julian recht verstanden werden.

Const. Deo auctore §  1: (…) quatenus (…) omni supervacua similitudine et iniquissima discordia absolutae universis hominibus promptum suae sinceritatis praebeant praesidium. Ähnlich const. Deo auctore §§  4, 8, 12; const. Dedoken pr., §§  1, 10, 15; const. Tanta pr., §§  10, 15. Die Übersetzung der im Text zitierten Stelle und aller weiteren, in der Untersuchung folgenden Stellen aus dem Corpus Iuris Civilis beruht auf der Übersetzung von Otto / ­ Schilling / Sintenis (1830–1833) sowie auf der von Behrends / Knütel / Kupisch / Seiler / Rüfner herausgegebenen Übersetzung (1990 ff.). Die hier mitgeteilten Übersetzungen folgen ganz überwiegend dem zuletzt genannten Übersetzungswerk, soweit es bereits vorliegt. Zur Bedeutung der Konstitutionen Justinians im Prozess der Kodifikation vgl. die knappe Darstellung bei Meder (2017), S.  110 ff. 7 Vgl. const. Dedoken §  13; const. Tanta §  13 (14). 6 

2. Bedeutung des Themas

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2. Bedeutung des Themas a) In der romanistischen Literatur sind bereits zahlreiche Publikationen zum Thema erschienen.8 In seinem 1952 erschienenen Werk über die „Iusta causa traditionis in der Romanistischen Wissenschaft“ hat Johannes Georg Fuchs die Interpretationsgeschichte zum Julian- und Ulpian-Fragment ausführlich, wenn auch keineswegs vollständig, nachgezeichnet. Seine Darstellung, die mit den byzantinischen Juristen beginnt, führt über das Mittelalter und die frühe Neuzeit bis zu den Dreißigerjahren des 20. Jahrhunderts. Allein in den letzten Jahren sind zahlreiche weitere Deutungen hinzugekommen. Erwähnt seien die Stellungnahmen von Schanbacher,9 Harke10, Laborenz11 und Krampe12 sowie die Darlegungen in den Neuauflagen mehrerer römischrechtlicher Lehr- und Übungsbücher.13 Wenn es einen Quellentext gibt, auf den die in der Romanistik häufig und geradezu formelhaft gebrauchte Wendung zutrifft, die Literatur dazu sei kaum noch überschaubar, dann ist es die hier zu untersuchende Stelle. Das ist nicht weiter erstaunlich – aus mehreren Gründen. b) Das Fragment behandelt nicht irgendein mehr oder weniger bedeutsames Spezialproblem des klassischen römischen Rechts,14 sondern ist – zumindest 8  Eine historische Darstellung der Diskussion zur Antinomie zwischen Julian und Ulpian findet sich bei Fuchs (1952), S.  14 ff.; ältere Literatur über die Antinomie bei Glück (1796), S.  155 f. Anm.  2; Hofmann (1873), S.  91 f.; Chlamtacz (1897), S.  93 f. Anm.  1. Zur Aus­ einandersetzung der byzantinischen Juristen mit der Antinomie: Brandsma (2011), S.  684 ff. Die Technik der Glossatoren illustriert Hähnchen (2016), S.  178 ff. = Rn.  380 f., indem sie D. 12,1,18 pr. und die entsprechende Stelle der Glosse des Accursius wiedergibt, übersetzt und kommentiert. Pikkemaat (2001), S.  61 ff. untersucht eine Abhandlung des holländischen Juristen Viglius van Aytta (1507–1577) zu D. 12,1,18; vgl. auch Pikkemaat (2009), S.  30 ff. Ein Überblick über die Diskussion seit Savigny findet sich bei Rebro (1968), S.  195 ff.; umfangreiche Literaturangaben zur Antinomie auch bei Saccoccio (2002), S.  335 ff.; Laborenz (2014), S.  35 Anm.  79; vgl. auch die knappe Darstellung der Kontroverse zwischen Julian und Ulpian sowie der Stellungnahmen einiger mittelalterlicher Juristen dazu bei Becker (2017), S.  191 ff. 9 Vgl. Schanbacher (1992a), S.  15 f.; ders. (1992b), S.  622 Anm.  12. 10 Vgl. Harke (2005a), S.  104 ff.; ders. (2012b), S.  124 ff. 11 Vgl. Laborenz (2012), S.  141 ff.; ders. (2014), S.  35 ff. Zur Monographie von Laborenz (2014) vgl. die Rezensionen von Empell (2014); Spengler (2016), S.  200 ff.; Schermaier (2018), S.  786 ff. 12 Vgl. Krampe (2013), S.  185 ff.; ders. (2014), S.  489 ff. 13 Vgl. Liebs (2004), S.  167 f.; Benke / Meissel (2012), S.  88; Harke (2016), S.  241 f. = Rn.  17 f.; Manthe (2019), S.  98; Kaser / Knütel / Lohsse (2017), S.  147 f. = Rn.  12; vgl. auch Pichler / Kossarz (2014), S.  25 ff.; dies. (2018), S.  99 ff. 14  Der Begriff des klassischen römischen Rechts wird hier und im Folgenden wertfrei gebraucht, nämlich zur Bezeichnung der römischen Jurisprudenz in den ersten zweieinhalb Jahrhunderten n.Chr., genauer: von der frühen Kaiserzeit ab 27 v.Chr. bis 235 n.Chr., dem Ende der severischen Militärmonarchie; vgl. Domisch (2015), S.  17. Was die Unterscheidung zwischen

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nach Auffassung nahezu aller Interpreten – von fundamentaler Bedeutung.15 Es geht, wie es heißt, um die elementare Frage, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit die Übereignung einer res nec mancipi durch traditio wirksam ist. Eine wirksame Übereignung setzt bekanntlich nicht nur die Verfügungsbefugnis des Veräußerers16 und die Übergabe, das heißt die Besitzverschaffung (traditio), voraus, sondern auch eine iusta causa traditionis.17 Maßgeblich ist der Grundsatz der kausalen Übereignung (Kausalitätsprinzip, auch Kausalprinzip genannt18). Einer in der Romanistik verbreiteten Auffassung zufolge hat das Julian-Fragment die Preisgabe dieses Grundsatzes zur Voraussetzung und beruht damit, um es modern auszudrücken, auf dem Abstraktionsprinzip.19 Wegen seines für das gesamte Zivilrecht grundlegenden Charakters, so heißt es weiter, Früh-, Hoch- und Spätklassik betrifft, so setzt die Frühklassik mit dem Beginn des Prinzipats (27 v.Chr.) ein und erstreckt sich über das erste Jahrhundert n.Chr. Die Hochklassik umgreift fast das gesamte zweite Jahrhundert. Die Spätklassik fällt in die Regierungszeit der Severer (193–235 n.Chr.). Diese Einteilung ist fast nur in der deutschen Romanistik üblich; vgl. Baldus (2012b), S.  11; Gokel (2014), S.  26 Anm.  23; Überlegungen zur rechtsromanistischen Periodenbildung bei Baldus (2015b), S.  129 ff. 15  Hoenig (1913), S.  17 ff.; Evans-Jones / MacCormack (1989), S.  103 f. sind anderer Auffassung. Danach bezieht sich Julian auf das legatum debiti: Sechster Abschnitt, 5. e). 16  Um das Erfordernis der Verfügungsbefugnis des Veräußerers zu belegen, wird in der romanistischen Literatur häufig auf Ulp 46 ed D. 50,17,54 Bezug genommen: Nemo plus iuris ad alium transferre potest, quam ipse haberet. („Niemand kann mehr Recht auf einen anderen übertragen, als er selbst hat.“) Die Übersetzung von haberet (Imperfekt Konjunktiv) mit „hat“ scheint dem Sinn der Aussage am besten zu entsprechen. Bei Kaser / Knütel / Lohsse (2017), S.  144 f. = Rn.  3 wird das Fragment nicht korrekt zitiert: „habet“ statt „haberet“. Zu den in der romanistischen Literatur verwendeten, sprachlichen Varianten der Sentenz vgl. Longchamps de Bérier (2015), S.  67 f. Der Unterschied zwischen haberet und habet wird von diesem Autor mit einer Interpolation der Kompilatoren erklärt. In seinem ursprünglichen Zusammenhang habe sich der Satz auf die in iure cessio hereditatis bezogen. Bei Ulpian habe es wohl geheißen: Heres non plus iuris ad alium transferre potest quam ipse haberet si hereditatem adisset. (Der Autor übersetzt S.  71: „An heir may not transfer greater rights to someone else than he would himself have if he had accepted the inheritance.“) Die Kompilatoren hätten den Satz verallgemeinert, das heißt: nemo (statt heres) geschrieben, si hereditatem adisset weggelassen, jedoch vergessen, haberet durch habet zu ersetzen. 17 Vgl. Kaser (1971), S.  412 ff.; Kaser / Knütel / Lohsse (2017), S.  146 ff. = Rn.  10 ff. Besonders deutlich werden diese Voraussetzungen von Gaius (Inst 2,19 f.) formuliert. Umstritten ist, ob nach klassischem römischem Recht auch eine Einigung zwischen Veräußerer und Erwerber über den Eigentumsübergang vorliegen muss; vgl. Klinck (2004), S.  28 mit weiteren Nachweisen Anm.  4; Wacke (2018), S.  357 ff. 18  Vgl. z. B. Laborenz (2014), S.  16 u.ö. 19  Mit dem Begriff der „äußerlichen Abstraktion“ wird der Grundsatz bezeichnet, wonach die Wirksamkeit der Verfügung unabhängig davon ist, ob der causa Wirksamkeit zukommt. „Inhaltliche Abstraktion“ bedeutet, dass die dingliche Einigung keiner „kausalen Zweckbestimmung“ bedarf; vgl. Pietrek (2015), S.  31 mit weiteren Nachweisen Anm.  208. Wenn im Text vom „Abstraktionsprinzip“ gesprochen wird, geht es um die „äußerliche Abstraktion“.

2. Bedeutung des Themas

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sei der Widerspruch zwischen Julian und Ulpian „eine der berühmtesten dogmatischen Streitfragen der europäischen Privatrechtsgeschichte“,20 er bilde „seit dem Anfang der europäischen Rechtswissenschaft immer ein Kernstück der europäischen Juristenausbildung“, ja sogar „ein Kernstück des Privatrechts schlechthin“.21 c) Die im ius commune geführten, auf die Julian-Stelle und weitere römischrechtliche Quellen bezogenen Diskussionen22 über den Begriff und die Notwendigkeit einer causa traditionis haben dazu beigetragen, dass sich die europäischen Privatrechtsordnungen in diesem wichtigen Punkt unterscheiden. Während man in fast allen Zivilrechtsgesetzbüchern am Kausalitätsprinzip festgehalten hat,23 haben die Verfasser des Bürgerlichen Gesetzbuches einen Sonderweg beschritten24 und sind Friedrich Carl von Savigny (1779–1861) und seiner Lehre vom dinglichen Vertrag gefolgt.25 Savigny hatte sich zwar in erster Linie auf Gaius und die justinianischen Institutionen berufen, im gleichen Zusammenhang aber auch Julian genannt.26 Im Anschluss an Savigny haben die Verfasser Ehmann (2003), S.  17. Pikkemaat (2001), S.  67. 22  Die Debatten beziehen sich auch auf Äußerungen Ulpians (7 disp D. 12,1,18 pr.), Paulus’ (31 ed D. 41,1,31 pr.) und Gaius’ (2 rer cott D. 41,1,9,3) sowie auf die Institutionen Justinians: Inst 2,1,40 f.; vgl. Fuchs (1952), S.  14 f. 23  Die dem Kausalitätsprinzip folgenden Zivilrechtsordnungen unterscheiden sich im Detail erheblich voneinander, insbesondere in der Frage, ob ein Konsens für die Übereignung genügt (Konsensprinzip) oder ob auch eine Übergabe erforderlich ist (Traditionsprinzip); zu den Einzelheiten vgl. Stadler (1996), S.  24 ff. Eine knappe Einführung in das Thema bietet Honsell (2005), S.  349 ff.; ausführlich (die Formen der Eigentumsübertragung in Brasilien, Deutschland und Portugal vergleichend): Pietrek (2015), S.  48 ff. 24 In den meisten anderen europäischen Zivilrechtsgesetzbüchern ist das Prinzip der kausalen Übereignung festgeschrieben; das Abstraktionsprinzip ist „weltweit so gut wie isoliert“; Krampe (2014), S.  498. Nach Pietrek (2015), S.  47, 215 gilt dem deutschen Abstraktionsprinzip Vergleichbares nur im griechischen Mobiliarsachenrecht sowie im estnischen und schottischen Recht. Avenarius (2009), S.  264 f. Anm.  58 weist darauf hin, dass die griechische Regelung (Art.  1034 Astikos Kodix) §  929 BGB entsprechend formuliert ist. 25  Zur Lehre Savignys vom dinglichen Vertrag vgl. Felgentraeger (1927); Fuchs (1952), S.  82 ff.; Stadler (1996), S.  49 ff.; Ranieri (2009), S.  1056 ff.; Laborenz (2014), S.  22 f.; Becker (2017), S.  213 ff.; Sorge (2017), S.  68 ff. Kurz angesprochen wird der dingliche Vertrag von Savigny auch in seinen Vorlesungen, vgl. Savigny (2008), S.  321 v = 223. 26 Zunächst hatte Savigny (1841 / 1973), S.  157 ff. im „System des heutigen römischen Rechts“ (Band 4) die hier untersuchte Julian-Stelle (in Verbindung mit dem Ulpian-Fragment D. 12,1,18 pr.) behandelt, jedoch nicht im Hinblick auf die traditio, sondern um die Vertragsnatur der Schenkung zu verdeutlichen. Dabei hatte er (ebd., S.  160) festgestellt: „Julian also betrachtet als entscheidend den Willen, dass Eigenthum übergehe, woneben ihm der Grund dieses Willens so sehr in den Hintergrund tritt, dass die Verschiedenheit der vorausgesetzten Gründe den Übergang nicht hindern soll.“ Damit hatte Savigny angenommen, zumindest Julian lasse eine dingliche Einigung genügen. Allerdings hatte er zugleich auch konstatiert, die Frage 20  21 

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des Bürgerlichen Gesetzbuchs das Abstraktionsprinzip eingeführt und sich dabei ebenfalls auf Julian als ihren römischrechtlichen Gewährsmann bezogen.27 Insbesondere der Redaktor für das Sachenrecht, der preußische Obertribunalrat Johow, ist ausdrücklich, wenn auch nur in einer knappen Anmerkung, Julian gefolgt.28 Das hier untersuchte Fragment ist somit nicht nur für das antike römische Recht von Bedeutung, sondern wirkt bis in das heute geltende Recht nach.29 d) Das starke Interesse der Romanistik an dem hier zu untersuchenden Julian-Fragment ist schließlich auch in dem Widerspruch zu dem bereits erwähnten Ulpian-Text (D. 12,1,18 pr.) begründet. Solange die Digesten als Grundlage des geltenden Rechts anerkannt wurden, in Teilen des Deutschen Reiches also bis zum Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs (1.1.1900), standen die Interpreten vor der Aufgabe, den Widerspruch zu bewältigen. Häufig versuchten sie, die Widerspruchsfreiheit des damals geltenden Rechts nachzuweisen, indem sie den Widerspruch als nur scheinbar darstellten. Da es heute nur darum gehen kann, die römischrechtlichen Quellen rein historisch zu deuten, besteht diese Notwendigkeit nicht mehr. Der Gegensatz zwischen Julian und Ulpian wird nun als ius controversum und damit als Ausdruck der Lebendigkeit der Diskussion unter den römischen Juristen gewürdigt.30 Auch aus diesem Grund ist sie Gegenstand besonderer Aufmerksamkeit. könne letztlich nur im Zusammenhang mit der Tradition geklärt werden (ebd., S.  160 Anm. d). Im zweiten Band seines „Obligationenrechts“ (1853) ging Savigny auf das Verhältnis von causa und traditio ein und stellte fest, das Eigentum gehe durch übereinstimmenden Willen beider Parteien über. An dieser Stelle berief er sich nicht auf Julian, sondern auf Gaius (2 rer cott D. 41,1,9,3) und die justinianischen Institutionen (Inst 2,1,40); vgl. Savigny (1853 / 1973), S.  257. 27 Vgl. Motive (1888), S.  7 Anm.  1; Schubert (1982), S.  760 Anm.  1; vgl. auch Kaser /  Knütel / Lohsse (2017), S.  148 = Rn.  12. 28 Vgl. Schubert (1982), S.  636 Anm.  2. Johow bezog sich auf die Antinomie zwischen Julian und Ulpian. Er folgte Julian mit der Begründung, dessen Ansicht habe die Rechtskonsequenz für sich; vgl. auch Hausmaninger / Selb (2001), S.  153; Krampe (2014), S.  498. 29  Huber (2007), S.  487 betont allerdings, die Antinomie zwischen Julian und Ulpian sei für die „Begründung der Lehre vom abstrakten dinglichen Verrag (…) jedenfalls nicht von tragender Bedeutung“. 30 Zum ius controversum im klassischen römischen Recht grundlegend: Schwarz (1951), S.  201 ff.; zu Schwarz’ Untersuchungen: Cantarone (2007), S.  406 ff.; zum ius controversum allgemein ferner: Bretone (2009), S.  753 ff.; Gokel (2014), S.  56 mit weiteren Nachweisen Anm.  167. Babusiaux (2016), S.  185 zufolge ist die Kennzeichnung des römischen Rechts als ius controversum anfechtbar; die römischen Juristen hätten das Recht als einen Prozess ständiger Entwicklung begriffen mit dem Ziel, einen Konsens zu erreichen. Diese Feststellung zeigt, dass der Terminus ius controversum in der aktuellen Diskussion nicht nur verwendet wird, um gegensätzliche Entscheidungen zu bezeichnen, sondern auch, um das römische Recht insgesamt zu charakterisieren.

3. Begründung der Themenwahl

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3. Begründung der Themenwahl a) Schon Leopold August Warnkönig (1794–1866), ein Schüler von Anton Friedrich Justus Thibaut (1772–1840), hat im Hinblick auf die Antinomie festgestellt: „Wie viele Ausleger hierüber verzweifelt sind, ist bekannt.“31 In neuerer Zeit wird Behrends von Saccoccio mit dem Satz zitiert, die Antinomie sei „forse la più discussa delle Pandette“.32 Saccoccio fügt hinzu: „che ancora oggi, nonostante gli sforzi di generazioni di studiosi, risulta lontana dall’essere risolta in maniera definitivamente convincente“33. Gordon stellt sogar fest: „The conflict (…) appears to be an insoluble problem.“34 b) Angesichts derartiger Äußerungen drängt sich die Frage auf, ob es überhaupt sinnvoll ist, der langen Liste von Untersuchungen und Stellungnahmen noch eine weitere hinzuzufügen. Ist nicht gerade in diesem Fall die humorvolle Wendung von der „ausgepressten Pandektenzitrone“35 einschlägig, die Otto Gradenwitz im Jahre 1929 geprägt hat? Fritz Schwarz schrieb denn auch in Bezug auf die Antinomie, es scheine ihm „nicht angebracht zu sein, die Zahl der Hypothesen (…) zu vermehren“.36 Die Schwierigkeit der Deutung des JulianFragments und der Antinomie kann aber auch als Ansporn verstanden werden. Gerade weil es bisher nicht gelungen ist, einen allgemeinen Konsens unter den Romanisten im Hinblick auf das Verständnis der beiden Texte zu erreichen, ist eine erneute Untersuchung angebracht, will man nicht resignieren und sich daWarnkönig (1823), S.  116. Behrends (1998), S.  57; vgl. auch ders. (1997 / 1998), S.  154. 33  Saccoccio (2002), S.  334. 34  Gordon (1989), S.  123. 35  Gradenwitz (1929), S.  31. Gradenwitz bezog sich nicht auf eine einzelne Digestenstelle, sondern die Digesten insgesamt. Als bald nach der Gründung des Deutschen Reiches (1871) mit der Ausarbeitung eines Bürgerlichen Gesetzbuchs begonnen wurde, war klar, dass das gemeine Recht seine Geltung in Deutschland in naher Zukunft verlieren und damit auch die Pandektenwissenschaft ihre Bedeutung einbüßen würde. Gradenwitz rühmte Mitteis für sein 1891 erschienenes Werk „Reichsrecht und Volksrecht“, durch welches er der Romanistik „frisch eine neue Frucht, eine Lotosblume dargereicht“ habe, „während wir anderen uns bemühten, aus der ausgepressten Pandektenzitrone (…) noch einige Tropfen herauszupressen“; vgl. auch Backhaus (2018), S.  63 ff. Wieacker (1983), S.  121 verglich die in den Digesten überlieferten Texte in der ihm eigenen bildhaften Sprache mit einer schmalen Zone kostbaren Fruchtlandes; nicht eine Krume Erde gebe es, die nicht unablässig umgewendet worden sei; darüber sei der Boden ausgelaugt. Zu empfehlen sei, dem Fruchtland Erholung zu gönnen und sich anderen Provinzen des Rechts zuzuwenden; vgl. auch Zimmermann (2003), S.  30 = Rn.  36. 36  Schwarz (1952), S.  112 Anm.  9. Die zitierte Äußerung steht nicht im Kontext einer Erörterung der Übereignung von res nec mancipi, sondern im Zusammenhang mit der Kondiktion; der Julian-Stelle kommt bei Schwarz nur marginale Bedeutung zu. Ähnlich äußerte sich Hupka (1932), S.  30: Der „uralte Streit über die ‚berühmte Antinomie‘ [könne] endlich begraben werden“. Ähnlich resignativ äußert sich auch Romeo (2010), S.  350. 31  32 

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rauf beschränken, altbekannte Hypothesen zu wiederholen oder allenfalls ein wenig zu modifizieren. Die große Zahl unterschiedlicher Interpretationen ist ein starkes Indiz dafür, dass die bisher vertretenen Auslegungen grundsätzlich infrage zu stellen sind, sodass es erforderlich ist, einen neuen Ansatz zu unternehmen.

4. Ein neuer Ansatz zur Deutung der Antinomie a) Die Interpretation der Antinomie ist nur erfolgversprechend, wenn zuvor eine Frage geklärt wird, die in ihrer Bedeutung weit über die Texte Julians und Ulpians hinausreicht: Es geht um den Begriff der iusta causa traditionis, und das heißt hier: um die in der Romanistik allgemein vertretene Lehre, wonach nicht der Verpflichtungsgrund, sondern die solutio als causa qualifiziert wird. Diese Lehre wird einer Revision unterzogen. So lässt sich die Deutung des Julian-Textes auf eine neue Grundlage stellen. b) Weiterführend und ebenfalls neu ist die Einbeziehung der sozialen Umstände, die Julian und Ulpian bei ihren Rechtsauffassungen im Auge hatten. Die Kenntnis dieser Umstände dient nicht nur dazu, die behandelten Sachverhalte in ihren jeweiligen sozialen Kontext einzubetten und dadurch anschaulich zu machen, sie ermöglicht es vor allem auch, die Antinomie in ihrer rechtlichen Bedeutung zu erfassen. Untersucht wird, ob der Fall, der den Gegenstand der Antinomie bildet, im Rahmen eines Patronage- oder Freundschaftsverhältnisses zu verstehen ist. Es wird sich zeigen, dass der Widerspruch zwischen Julian und Ulpian in unterschiedlichen Auffassungen darüber begründet ist, ob und wie weit im Rahmen von Freundschaftsverhältnissen nicht nur ethische Prinzipien maßgeblich sind, sondern auch das Recht von Bedeutung ist. Der hier vertretene, neue Ansatz zur Deutung der Antinomie ist somit auch methodologischer Natur.

5. Methodologische Grundsätze a) Was die Frage der Interpolationen angeht, so brauchen die Geschichte der Interpolationenforschung, die damit verbundenen Auswüchse und die methodologische Krise, zu der sie geführt haben, hier nicht ein weiteres Mal rekapituliert zu werden.37 Die vorliegende Untersuchung richtet sich nach der zunächst vor 37 Vgl. Wieacker (1960), S.  9 ff.; aus neuerer Zeit: Miglietta / Santucci (2011); Avenarius / Baldus / Lamberti / Varvaro (2018); Liebs (2018), S.  404 ff.

5. Methodologische Grundsätze

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allem von Kaser verfochtenen und heute weit verbreiteten Auffassung, wonach die in den Digesten überlieferten Quellen als echt gelten können, sofern nicht Indizien vorliegen, die deutlich in eine andere Richtung weisen.38 Erst wenn die Ausschöpfung des Wortlauts nicht zu einem sinnvollen Ergebnis führt, ist die Authentizität des überlieferten Textes zu bezweifeln.39 Diese Position sollte freilich nicht dazu verleiten, von einem Extrem ins andere zu fallen und Interpolationsvermutungen von vornherein außer Acht zu lassen. Wird ein plausibler Interpolationsverdacht geäußert, sollte dem, mehr oder weniger ausführlich, nachgegangen werden; letzte Sicherheit kann freilich nicht erreicht werden. b) Die folgenden Überlegungen zu den Grundsätzen der Interpretation haben sich bei der Untersuchung des Julian-Fragments als nützlich erwiesen. Wie jeder Text bildet auch die zu untersuchende Stelle ein Ganzes (wenn man von ihrem fragmentarischen Charakter einmal absieht), das aus mehreren Teilen zusammengesetzt ist. Die Interpretation hat deshalb zweierlei ins Auge zu fassen: die einzelnen Worte und Wendungen sowie die Stelle insgesamt. Eine von Knütel formulierte Feststellung wird in der vorliegenden Untersuchung als Richtschnur genommen: „Denn jedes kleine Detail eines Textes kann – zumal angesichts der geradezu typischen brevitas der römischen Juristen – von entscheidender Bedeutung sein, um Fall oder Lösung von anderen Situationen oder Entscheidungen abzugrenzen.“40 Diese Feststellung besagt für 38  Die Untersuchung folgt damit der von Kaser (1972), S.  108 formulierten „Erfahrungsregel, dass überall dort, wo nicht handfeste Gründe für eine Interpolation nachweisbar sind, die historische Wahrscheinlichkeit für die Authentizität der Textaussage (…) spricht“. Zur Entwicklung der methodologischen Positionen Kasers vgl. Knütel (1998), S.  33 ff.; Ziegler (2011), S.  61 ff. Zur methodologischen Diskussion über die Krise der Interpolationenforschung und die Wege zu ihrer Überwindung vgl. Wieacker (1960), S.  9 ff.; Kaser (1972); Wieacker (1983), S.  103 ff., S.  122 ff.; ders. (1988), S.  180 ff. Watson (1994), S.  113 ff. ist der Auffassung, die Zahl der sachlichen Änderungen durch die Kompilatoren sei nur sehr gering. Justinian habe ihnen nicht freie Hand gegeben, die Texte der Klassiker inhaltlich zu verändern. In die gleiche Richtung gehen die Überlegungen Lokins (1995), S.  261 ff., der argumentiert, Justinian habe sich selbst als die höchste und einzige Autorität in allen Rechtsfragen verstanden, was die Freiheit der Kompilatoren, neues Recht zu schaffen, ausgeschlossen habe. Zum aktuellen Stand der romanistischen Diskussion über Textkritik vgl. Miglietta / Santucci (2011). 39  Es muss sich erst noch erweisen, ob die auf D. 41,1,36 bezogene, von Thomas (1998), S.  655 formulierte Klage zutrifft: „It is a sad truth that no analysis of the justa causa question can be found which does not rely heavily on drastic adaptions within the texts.“ 40  Knütel (1998), S.  53. Die herausragende Bedeutung des Wortlauts für die Exegese betont auch Baldus (2010), S.  20 f., 26. Baldus (2009), S.  634 geht auf die von Knütel angesprochene „brevitas der römischen Juristen“ ein, indem er die Digestenstellen als „hochverdichtete, oft leitsatzförmige Aussagen“ kennzeichnet. Baldus (2010), S.  21 vergleicht diese Texte humorvoll mit einem „Brühwürfel“, den wir „in heißes Wasser werfen“ müssen, „so gut wir denn auf antikes Wasser zugreifen und es hinreichend erhitzen können“.

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sich genommen nichts Neues, sie mag sogar als trivial erscheinen. Dennoch ist sie für das Verständnis des Julian-Textes, wie sich erweisen wird, von überragender Bedeutung. c) Darüber hinaus ist die Stelle als ganze in den Blick zu nehmen und zu fragen, welche Struktur sie aufweist und in welcher Beziehung die einzelnen Elemente dieser Struktur zueinander stehen.41 Insofern geht es um systematische Auslegung.42 Auch dieses Vorgehen ist nicht neu. Gleichwohl sollte betont werden, wie wichtig es ist, die Struktur des Julian-Fragments für das Verständnis des Textes zu begreifen und auszuwerten. Häufig konzentrieren oder beschränken sich die Interpreten auf denjenigen Teil der Stelle, der im Widerspruch zu der bereits erwähnten Äußerung Ulpians steht. Zur Zeit der Geltung des ius commune war ein solches Vorgehen verständlich, wahrscheinlich sogar notwendig, weil es dem Ziel diente, einen Widerspruch in den Digesten zu bewältigen. Die Notwendigkeit einer Konzentration auf den dritten Teil des Textes ist jedoch längst entfallen. Es hat keinen Sinn, eine Stelle, die ohnehin nur als Fragment überliefert ist, noch weiter zu fragmentieren.

6. Gang der Untersuchung Um den Gang der Untersuchung zu verstehen, ist vorauszuschicken, dass die zu analysierende Julian-Stelle drei Teile umfasst: Im ersten Teil wird eine Art Regel formuliert. Im zweiten Teil ist ein Beispiel enthalten. Der dritte Teil hat eine Begründung der Regel zum Inhalt. Aus dieser Struktur ergibt sich der Aufbau der Untersuchung.43 Der erste Abschnitt bezieht sich auf das Julian-Fragment insgesamt. Es werden der Text und eine Übersetzung wiedergegeben. Die Struktur des Fragments wird erläutert. Der zweite Abschnitt hat die Regel im ersten Teil der Stelle zum Gegenstand. Es wird vor allem der Begriff des Konsenses in corpore analysiert. Dies führt zu der Frage, ob es im Julian-Fragment, wie ganz überwiegend angenommen wird, 41  Die Vorstellung vom Ganzen und seiner Ordnung bildet sich freilich nur durch Wahrnehmung einzelner Details, wie auch die Wahrnehmung der Details immer schon ein Bild vom Ganzen voraussetzt – der bekannte „hermeneutische Zirkel“; vgl. Nünning (2004), S.  90 f. 42  Der Begriff des Systems wird hier nicht auf das römische Recht insgesamt, sondern allein auf die Julian-Stelle bezogen. Den Ausgangspunkt der Überlegungen bildet das „äußere“ System der Stelle, das heißt: die Anordnung des Rechtsstoffs, die Reihenfolge der des Fragments – deutlich wird. Zum Begriff des (inneren und äußeren) Systems und seiner Fragwürdigkeit im Hinblick auf das römische Recht vgl. Gokel (2014), S.  43 ff.; Wegmann Stockebrand (2017), S.  16 ff.; Boente (2013), S.  2 f.; Repnow / Stumpf (2020) zu Anm.  1. 43  Ausführlich zum Aufbau der Stelle: Erster Abschnitt, 2. a) und b).

6. Gang der Untersuchung

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um Übereignungen von res nec mancipi durch traditio allgemein geht oder ob die Stelle einen engeren, spezifischen Anwendungsbereich hat. Es zeigt sich, dass der erste Teil des Fragments auf die Übereignung von Speziessachen beschränkt ist. Der dritte Abschnitt bezieht sich ebenfalls noch auf die Regel (erster Teil des Fragments). Untersucht wird die Wendung in causis und hier vor allem der Begriff der iusta causa traditionis. Auf dieser Grundlage wird der Begriff des Dissenses in causis behandelt. Dabei erweist sich, dass der von der herrschenden Meinung vertretene causa-Begriff problematisch ist. Im vierten Abschnitt wird der zweite Teil des Fragments analysiert, der ein Beispiel für einen Dissens in causis zum Inhalt hat. Ein weiteres Mal wird die Notwendigkeit deutlich, den allgemein vertretenen causa-Begriff zu überprüfen. Erkennbar wird, worin die Problematik des Begriffs besteht. Es drängt sich die Frage auf, ob die klassischen Juristen, wie heute allgemein angenommen, die solutio als causa anerkennen. Dieser Frage wird in einem längeren Exkurs nachgegangen, der den fünften Abschnitt der Untersuchung bildet. Zunächst werden Zweifel an der heute allgemein in der Romanistik vertretenen Lehre von der solutio als causa formuliert. Sodann werden die Begründungen überprüft, die in der romanistischen Literatur vorgetragen werden, um diese Lehre zu stützen. In diesem Zusammenhang werden Argumente entwickelt, aus denen sich ergibt, dass die solutio von den klassischen Juristen nicht als causa anerkannt wird, sondern dass der Verpflichtungsgrund die causa bildet. Im sechsten Abschnitt der Arbeit wird untersucht, welche Konsequenzen sich für das Verständnis der beiden ersten Teile des Fragments daraus ergeben, dass der Verpflichtungsgrund als causa qualifiziert wird. Es wird sich zeigen, dass Julian den concursus causarum voraussetzt. Der siebte Abschnitt bezieht sich auf den dritten und letzten Teil des Fragments, der eine Begründung für die im ersten Teil enthaltene, allgemeine Aussage zum Inhalt hat. Untersucht werden insbesondere die sozialen Umstände, unter denen der im dritten Teil entschiedene Fall auftreten kann. Julian setzt ein Freundschaftsverhältnis innerhalb der römischen Oberschicht voraus. Im achten Abschnitt, der sich ebenfalls auf den dritten Teil bezieht, wird die Antinomie zwischen Julian und Ulpian behandelt. Im neunten Abschnitt geht es um den literarischen Charakter des Julian-Textes. Ferner wird der Frage nachgegangen, welcher Werkgattung die Digesten Julians zugeordnet werden können. Der zehnte Abschnitt betrifft in der Hauptsache die Arbeit der Kompilatoren: Behandelt wird die Frage, aus welchen Gründen die Kompilatoren den JulianText in die Digesten aufgenommen haben. Untersucht wird zudem, welches der

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ursprüngliche Kontext der Stelle in den Digesten Julians gewesen sein mag. Es folgen Überlegungen zur Inskription. Geprüft wird, ob das Fragment, wie in der Inskription mitgeteilt, aus dem 13. Buch der Digesten Julians stammt. Es wird sich zeigen, dass die Inskription wahrscheinlich falsch ist. Der Julian-Text stammt wohl aus dem 33. Buch der Digesten Julians. Schließlich wird die in der Romanistik vertretene These infrage gestellt, wonach sich im justinianischen Recht eine Tendenz nachweisen lässt, das Abstraktionsprinzip anzuwenden. Zum Abschluss der Arbeit werden die Ergebnisse zusammengefasst.

Erster Abschnitt

D. 41,1,36: das Fragment und seine Struktur; zur Echtheit des Textes 1. Text und Übersetzung Das hier zu untersuchende Fragment stammt von Julian,1 den Kaiser Justinian mit den Worten charakterisierte: Iulianus legum et edicti perpetui suptilissimus conditor.2 Das Exzerpt ist Julians 90 Büchern umfassenden digesta3 entnommen, einer Schrift, die „das Hauptwerk der hochklassischen Rechtsliteratur schlechthin“4 bildet. In den justinianischen Digesten sind die digesta Julians mit 372 Fragmenten vertreten.5 Die zu analysierende Stelle entstammt der Inskription zufolge dem 13. Buch:6 1  Julian wurde wohl um 107 n.Chr. in Hadrumetum, Africa, geboren. Der vollständige Name lautet: Lucius Octavius Cornelius Publius Salvius Iulianus Aemilianus. Zu seinem Leben und Werk: Buhl (1886); Kunkel (1967 / 2001), S.  157 ff.; Bund (1976), S.  408 ff.; Liebs (1997), S.  101 ff.; Wieacker (2006), S.  100 ff.; knappe Darstellung bei Giaro (1999), Sp.  8 f.; Liebs (2004), S.  56 f.; Waldstein / Rainer (2014), S.  229 = Rn.  15. 2  Const. Tanta §  18. „Julian, der überaus scharfsinnige Rechtsschöpfer und Begründer des Ständigen Edikts.“ Ähnlich const. Dedoken §  18. 3 Die digesta Julians sind „aus der eigenen Respondierpraxis, dem Unterricht und der Fachtradition“ hervorgegangen; Liebs (1997), S.  104. Die Digesten werden zu den Ediktskommentaren gerechnet; vgl. Avenarius (2005a), S.  120. Ihre Entstehungs- und Publikationszeit sind umstritten; vgl. Bund (1976), S.  432 ff. Einige Anhaltspunkte sprechen dafür, dass die Digesten unter Antoninus Pius (138–161 n.Chr.) veröffentlicht wurden; vgl. Bund (1976), S.  434, vielleicht zwischen 153 und 160, als Julian kein Staatsamt bekleidete; vgl. Liebs (1997), S.  104. Mommsen (1905), S.  7 stellt fest, die Digesten Julians seien ein Werk, das „wie kaum ein anderes für die spätere Jurisprudenz maßgebend gewesen“ sei. Nach Liebs (1997), S.  105 wurden die Digesten Julians nach ihrem Erscheinen von juristischen Fachgenossen, nicht nur von seinen Schülern, häufig zitiert. Auch die Kompilatoren haben die Digesten Julians hochgeschätzt und ihnen am Anfang des Index Florentinus einen herausgehobenen Platz zugewiesen. 4  Wieacker (2006), S.  101. 5 Vgl. Buhl (1886), S.  86; Bund (1976), S.  431. 6  Hier und im Folgenden werden die Digestenstellen nach der Ausgabe von Mommsen und Krüger zitiert; Mommsen / Krüger (1973). Die Hinweise auf die justinianischen Institutionen beziehen sich auf die Ausgabe von Knütel / Kupisch / Lohsse / Rüfner (2013).

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Erster Abschnitt: D. 41,1,36: das Fragment und seine Struktur

Iul 13 dig D. 41,1,36 Cum in corpus quidem quod traditur consentiamus, in causis vero dissentiamus, non animadverto, cur inefficax sit traditio, veluti si ego credam me ex testamento tibi obligatum esse, ut fundum tradam, tu existimes ex stipulatu tibi eum deberi. nam et si pecuniam numeratam tibi tradam donandi gratia, tu eam quasi creditam accipias, constat proprietatem ad te transire nec impedimento esse, quod circa causam dandi atque accipiendi dissenserimus.

Die deutsche Übersetzung lautet: Wenn wir im Hinblick auf den körperlichen Gegenstand, der übergeben wird, zwar übereinstimmen, in Bezug auf die Rechtsgründe aber verschiedener Meinung sind, sehe ich nicht, warum die Übereignung unwirksam sein sollte. Etwa wenn ich glaube, ich sei dir aufgrund eines Testaments verpflichtet, ein Grundstück zu übereignen, du jedoch glaubst, dass es dir aufgrund einer Stipulation geschuldet werde. Denn auch, wenn ich dir Geld in Schenkungsabsicht übergebe, du es aber wie ein Darlehen annimmst, steht fest, dass das Eigentum übergeht und kein Hindernis darin besteht, dass wir über den Grund des Gebens und Nehmens uneins gewesen sind.

2. Die Struktur des Textes a) Der Text umfasst drei Teile.7 Der erste Teil hat eine allgemeine Aussage zum Inhalt, die in der Art einer Regel formuliert ist. Das Wort „Regel“ bezeichnet hier weder die – in ihrer Bedeutung und Funktion unter den Romanisten umstrittene – regula iuris8 noch eine Spruchregel9, sondern eine allgemeine, abstrakt formulierte Rechtsaussage, die im Gegensatz zur Entscheidung eines konkreten Falles steht. Hier wird von „einer Art Regel“ gesprochen, weil Julian im Hinblick auf die Rechtsfolge subjektiv formuliert: non animadverto. Der Jurist gibt nicht eine bereits anerkannte Regel wieder, sondern er selbst formuliert eine Regel. Die Regel setzt sich aus einem Tatbestand und einer Rechtsfolge zusammen. Der Van Warmelo (1982), S.  647 f. gliedert das Fragment ebenfalls deutlich in drei Teile, gelangt jedoch im Übrigen zu anderen Ergebnissen, als sie hier vertreten werden, weil er den Text für weitgehend interpoliert hält. 8 Diskutiert wird vor allem, ob und wie weit regulae außer der deskriptiven auch eine normative Funktion (als Richtlinie, Orientierungshilfe) zukommt; vgl. Bretone (1992), S.  205 ff.; Böhr (2002), S.  49 ff.; Eichler (2010), S.  7 ff.; Gokel (2014), S.  59 f.; Finkenauer (2015), S.  16. Die Kompilatoren haben regulae in D. 50,17 (De diversis regulis iuris antiqui) zusammengestellt und dabei mit einer Regel über die Regel begonnen: Paul 16 Plaut D. 50,17,1. 9  Schmidlin (1970), S.  108 f. zufolge sind Spruchregeln als „vereinfachende, handliche Sprüche“ formuliert und erfüllen damit eine praktische, mnemotechnische Aufgabe. Sie verweisen auf allgemeine und anerkannte Rechtslösungen, „die der kasuistischen Fallbearbeitung als Leitlinie und Haltepunkte dienen“. Eingeleitet werden sie häufig durch Wendungen wie sciendum est, traditum est, generaliter dicitur. Zur mnemotechnischen Funktion von regulae iuris vgl. Finkenauer (2015), S.  15 ff. 7 

2. Die Struktur des Textes

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Tatbestand beschreibt in abstrakter Form einen Sachverhalt: Ein Konsens in corpore10 und ein Dissens in causis liegen vor. Die Rechtsfolge ist, dass das Eigentum übergeht. Der zweite Teil hat ein konkretes Beispiel zum Inhalt (veluti si), das sich auf die Regel bezieht:11 Jemand glaubt, aufgrund eines Testaments verpflichtet zu sein, ein Grundstück zu übereignen; der Empfänger ist der Ansicht, es werde ihm aufgrund einer Stipulation geschuldet. Der Konsens in corpore (Teil 1) wird in Teil 2 nicht erwähnt. Auch die Übergabe (quod traditur) und die Rechtsfolge (traditio), werden nicht angesprochen. Teil 2 des Fragments hat nicht ein Beispiel für die Regel insgesamt (Teil 1) zum Inhalt, sondern bezieht sich auf ein einziges Element der Regel, den Dissens in causis. Dem Dissens muss also eine besondere Bedeutung zukommen. Im dritten Teil des Fragments wird nicht, wie häufig angenommen,12 ein weiteres Beispiel für die Regel gegeben, sondern, wie sich aus der einleitenden 10 Nach consentire in oder consensus in steht bei den römischen Juristen manchmal der Akkusativ, manchmal der Ablativ. Im hier untersuchten Julian-Text wird der Akkusativ gebraucht, in der romanistischen Literatur zu dieser Stelle ist der Ablativ üblich; vgl. auch Zweiter Abschnitt, 1 Anm.  2. 11  Krampe (2013), S.  189; ders. (2014), S.  490 konstatiert, das in Teil 2 enthaltene Beispiel diene der Begründung. Diese Auffassung ist insofern zutreffend, als Beispiele (exempla) auch als Argumente eingesetzt werden können, die der Bestätigung einer Regel dienen; vgl. Nörr (2009), S.  1 ff., insbesondere S.  50 ff. Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Die von Julian gebrauchte Wendung veluti si hat die Aufgabe, den in Teil 1 enthaltenen Begriff des Dissenses in causis zu verdeutlichen. 12  Schon in den Basiliken (50,1,35) wurde der Darlehens-Schenkungs-Fall als ein Beispiel aufgefasst; vgl. Scheltema / van der Wal (1969), S.  2325, Zeile 20; vgl. auch Heimbach (1850), S.  42. Auch Cuiacius (1614), Sp.  1956, 1958 hielt den Darlehens-Schenkungs-Fall für ein (weiteres) Beispiel. Regenbrecht (1820), S.  48; Warnkönig (1823), S.  116; Dernburg (1857), S.  11; Chlamtacz (1897), S.  96; Hoenig (1913), S.  20 waren der Auffassung, Teil 3 des Fragments habe ein zweites Beispiel zum Inhalt. Auch Savigny 4 (1841 / 1973), S.  159 übersah den Unterschied zwischen den Teilen 2 und 3; er behandelte beide Fälle als Beispiele dafür, dass der Eigentumsübertragungswille für die Übereignung durch traditio ausreicht. Pflüger (1923), S.  43 f. und Voci (1952), S.  144 f. behandeln beide Fälle als Beispiele für einen Dissens über die causa; ähnlich sagt van Oven (1952), S.  443: „zwei Fälle von dissensus in causa“. Saccoccio (2002), S.  357 spricht von „due esempi“; ähnlich Gordon (1989), S.  127: von „two cases“. Meissel (2008), S.  74 bezieht sich zunächst auf „die beiden (…) entschiedenen Fälle“ und betrachtet S.  75 den in Teil 3 behandelten Fall als weiteren Beispielsfall. Borkowski (1997), S.  199 und Hähnchen (2016), S.  180 = Rn.  381 verstehen den Darlehens-Schenkungs-Fall ebenfalls als Beispiel für die im ersten Teil aufgestellte Regel; ähnlich wohl auch Schermaier (1998b), S.  255, der von einem ersten Beispiel (Teil 2 des Fragments) und einem zweiten Fall (Teil 3) spricht. Auch Brandsma (2009), S.  128 spricht pauschal von zwei Fällen und ebnet damit den prinzipiellen Unterschied zwischen einem Beispielsfall und einem der Begründung dienenden Vergleichsfall ein.

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Erster Abschnitt: D. 41,1,36: das Fragment und seine Struktur

Wendung nam et si ergibt,13 eine Begründung dafür. Die Begründung bezieht sich nicht auf die Regel insgesamt (von einem Konsens in corpore wird in der Begründung nicht gesprochen), sondern darauf, dass das Eigentum trotz eines Dissenses über die causa übergeht. Julian führt einen Vergleichsfall zur Begründung an:14 Wenn jemand Geld zahlt, um es zu verschenken, der Empfänger jedoch glaubt, ein Darlehen zu erhalten, geht das Eigentum gleichwohl über; das steht fest (constat). b) Der Unterschied zwischen einem Beispielsfall und einem der Begründung dienenden Vergleichsfall ist nicht unwichtig: In einem Beispielsfall müssen sämtliche Elemente des Sachverhalts, die im Tatbestand der Regel abstrakt bezeichnet werden, als konkrete Sachverhaltselemente erscheinen, sodass der Sachverhalt des Beispielsfalles unter den Tatbestand der Regel subsumiert werden kann. Dagegen müssen der Beispielsfall und der Vergleichsfall im Hinblick auf die jeweils zu entscheidenden Sachverhalte nur ähnlich sein. In manchen Punkten haben sie übereinzustimmen (sonst würde die Vergleichbarkeit fehlen); in anderer Hinsicht müssen sie sich unterscheiden, sodass vielleicht nur entfernte Ähnlichkeit vorliegt. Wird dieser Unterschied nicht beachtet und der Vergleichsfall als (zweites) Beispiel eingestuft, kann dies leicht dazu führen, den Inhalt der Regel, ja des gesamten Fragments, zu verkennen. Angenommen wird dann, dass Julian nur ein einziges Problem behandelt, den Dissens in causis, während er tatsächlich auf zwei verschiedene Fragen eingeht, den Dissens in causis und den DarlehensSchenkungs-Fall, wobei allerdings ein enger Zusammenhang zwischen den beiden Fragen besteht. c) Die im ersten Teil enthaltene allgemeine Aussage bildet das Zentrum des Fragments. Die beiden folgenden Teile enthalten ein Beispiel (zweiter Teil) und eine Begründung (dritter Teil). Deshalb haben sie keine eigenständige Bedeutung, sondern beziehen sich auf den ersten Teil und sind diesem unter13 Vgl. Eisele (1885), S.  8; Bund (1965), S.  190. Anders Flume (1990), S.  55 Anm.  7, der feststellt, die Entscheidung des ersten Falls bedürfe einer Argumentationshilfe nicht. 14  Von einer „Analogie“ zu sprechen, wäre fragwürdig, weil dieser Begriff (nach der im deutschen Rechtskreis herrschenden Auffassung) voraussetzt, dass systematisch geordnetes Gesetzesrecht eine Lücke aufweist, die durch Rechtsfortbildung (Analogie) geschlossen werden kann. Diese Voraussetzungen treffen auf das römische Recht nicht zu, weil es in der Hauptsache Fallrecht und nicht durch ein formales System geordnet ist. Außerdem werden die voneinander abgegrenzten Begriffe der Analogie und der Auslegung im deutschen Recht nicht im gleichen Sinne verwendet wie in anderen europäischen Rechtsordnungen, die z. B. von „interprétation par analogie“ sprechen; vgl. Baldus (2015a), S.  24 = Rn.  5; S.  29 = Rn.  25. Versteht man unter „Analogie“ dagegen einfach die Heranziehung von Vergleichsfällen zur Lösung eines Rechtsproblems, kann durchaus von einer Analogie gesprochen werden; vgl. Gokel (2014), S.  39.

3. Sind die beiden ersten Teile des Fragments echt?

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geordnet. Das ist nicht so selbstverständlich, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. Die in der romanistischen Literatur geführte Diskussion über das Fragment konzentriert sich meistens auf die Antinomie zwischen Julian und Ulpian (7 disp D. 12,1,18 pr.) und damit auf den dritten Teil der Julian-Stelle, wenn sie sich nicht sogar darauf beschränkt.15 In der Epoche des ius commune war dies verständlich, war man doch bestrebt, die Antinomie durch Harmonisierung juristisch zu bewältigen. Heutzutage ist es jedoch nicht mehr erforderlich, die Quellentexte zu harmonisieren, sodass auch kein Grund mehr besteht, den dritten Teil des Fragments ins Zentrum der Auslegung zu stellen. Die Interpreten stehen aber wohl auch noch heute im Banne des ius commune, riskieren damit allerdings, den Inhalt des gesamten Fragments nur verkürzt wahrzunehmen, wichtige Inhalte außer Acht zu lassen und vielleicht sogar die Antinomie selbst nicht recht zu erfassen. Zunächst ist jedoch zu untersuchen, ob der überlieferte Julian-Text echt ist und damit eine sichere Grundlage für die Exegese bildet. Fraglich ist, genauer gesagt, ob die beiden ersten Teile der Stelle authentisch sind.

3. Sind die beiden ersten Teile des Fragments echt? a) Die in der Überschrift gestellte Frage drängt sich aus zwei Gründen auf: erstens wegen der Inskription; zweitens, weil der Beispielsfall einen fundus und damit (zumindest dem ersten Anschein nach) eine res mancipi betrifft, obwohl es im überlieferten Text (Teil 1) nicht um die mancipatio, sondern die traditio geht. Zunächst zur Inskription: Danach entstammt der Text dem 13. Buch der Digesten Julians, in dem das depositum und die fiducia behandelt werden.16 Das depositum kommt, so heißt es in der romanistischen Literatur, als unmittelbarer Kontext nicht in Betracht. Lenel und andere Autoren nehmen deshalb an, dass das Fragment im Zusammenhang mit der fiducia stand. Da die fiducia durch mancipatio oder in iure cessio zu erfüllen ist,17 wird vermutet, dass Julian sich 15  Die Nivellierung des Unterschieds zwischen dem Beispiel und der Begründung – vgl. Erster Abschnitt, 2. a) und b) – lässt sich möglicherweise damit erklären, dass der DarlehensSchenkungs-Fall ins Zentrum der Auslegung gestellt und die Regel (Teil 1) als Verallge­ meinerung dieses Falles betrachtet wird, sodass die Teile 2 und 3 als Beispiele für die Regel erscheinen. 16 Vgl. Lenel 1 (1889 / 1960), Sp.  352 ff. 17 Das pactum fiduciae ist eine Treuabrede, die, falls sie zum Zweck der Sicherungsübereignung abgeschlossen wurde, den Gläubiger (Fiduziar) verpflichtet, die jeweilige Sache durch mancipatio oder in iure cessio dem Sicherheitsgeber (Fiduziant, meist: Schuldner) zurückzu-

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Erster Abschnitt: D. 41,1,36: das Fragment und seine Struktur

auf die mancipatio bezogen hat. Die Kompilatoren hätten alle Hinweise auf die mancipatio bei den Klassikern getilgt, weil diese Form der Übereignung obsolet gewesen sei. Eine solche Interpolation erscheint Lenel als „gar nicht unwahrscheinlich“; er versteht sie jedoch „nur als Hypothese“.18 Zahlreiche Autoren sind der von Lenel vertretenen Position19 gefolgt,20 haben sich jedoch zum Teil mit größerer Entschiedenheit als dieser geäußert.21 Im Hinblick auf den fundus im Beispielsfall (Teil 2 des Fragments) wird geltend gemacht, als res mancipi könne das Grundstück nicht durch traditio, sondern nur durch mancipatio übereignet werden. Die Stelle müsse sich also ursprünglich auf die Manzipation bezogen haben. Hätten Lenel und die ihm folgenden Autoren recht, lauteten die beiden ersten Teile des Textes in der authentischen Fassung nach der Rekonstruktion Cannatas folgendermaßen:22 Cum in corpus quidem quod mancipio datur consentiamus, in causis vero dissentiamus, non animadverto, cur inefficax sit mancipatio, veluti si ego credam me ex testamento tibi obligatum esse, ut fundum dem, tu existimes ex stipulatu tibi eum deberi.23

b) Was den ursprünglichen Kontext des Fragments angeht, so folgt aus dem möglichen Zusammenhang mit der fiducia nicht notwendig oder auch nur mit einiger Wahrscheinlichkeit, dass sich der Text auf die Manzipation bezogen hat. Da die Digesten Julians nicht vollständig überliefert sind, ist der Aufbau des Werkes unbekannt. Bekannt ist zwar, dass die Digesten Julians im Großen und Ganzen nach dem Ediktssystem aufgebaut waren.24 Unklar ist aber, ob die weitere übereignen, wenn die gesicherte Forderung erloschen oder der Sicherungszweck sonstwie weggefallen ist; vgl. Kaser (1971), S.  460 ff.; Kaser / Knütel / Lohsse (2017), S.  54 = Rn.  10. 18  Lenel (1882), S.  179. 19  Vgl. ebd.; ders. 1 (1889 / 1960), Sp.  355. 20 Vgl. de Zulueta (1922), S.  32 Anm.  36; Ehrhardt (1930), S.  138; Voci (1949), S.  149; ders. (1952), S.  145; van Oven (1952), S.  445 f.; Rebro (1968), S.  217 ff.; Kerber (1970), S.  72 f.; Cannata (1992), S.  70 f.; Behrends (1997 / 1998), S.  155 ff.; ders. (1998), S.  58 f. Anm.  40; Lambertini (2010), S.  31. Lange (1930), S.  64 Anm.  1 konstatiert, Lenel behaupte nicht, die Stelle stehe in unmittelbarem Zusammenhang mit der fiducia, sondern im Anschluss an die Besprechung der fiducia, weil das Dissensproblem dadurch nahegelegt worden sei. Van Oven (1952), S.  445 Anm.  5 stellt fest, seit Lenel werde kaum mehr bezweifelt, dass das Fragment aus dem Kontext der fiducia stamme; ähnlich Wolf (1961), S.  101 Anm.  46. Dagegen ausführlich Laborenz (2012), 143 ff., 147 ff. 21 Vgl. van Oven (1952), S.  445 f. 22  Cannata (1992), S.  71. 23  „Wenn wir im Hinblick auf den körperlichen Gegenstand, der durch Manzipation übertragen wird, zwar übereinstimmen, in Bezug auf die Rechtsgründe aber verschiedener Meinung sind, sehe ich nicht, warum die Manzipation unwirksam sein sollte. Etwa wenn ich glaube, ich sei dir aufgrund eines Testaments verpflichtet, ein Grundstück zu geben, du jedoch glaubst, dass es dir aufgrund einer Stipulation geschuldet werde.“ 24 Vgl. Nörr (1976), S.  431; Wieacker (2006), S.  101: Der erste Teil der Digesten Julians

3. Sind die beiden ersten Teile des Fragments echt?

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Gliederung einer strengen Systematik folgte oder ob sich Einschübe und Abschweifungen darin befanden und wie weit diese eventuell gingen. Deshalb ist nicht ausgeschlossen, dass ein, wenn auch nur lockerer Zusammenhang mit der fiducia oder vielleicht sogar mit dem depositum bestand. Es ist durchaus möglich, dass Julian im 13. Buch eine Fallgruppe behandelt hat, die sich auf die traditio bezog. Wenn Julian ein italisches Grundstück ansprechen sollte, wäre seine Feststellung, die traditio sei nicht unwirksam, korrekt:25 Der Empfänger erwirbt immerhin bonitarisches Eigentum.26 Es könnte aber auch ein fundus provincialis gemeint sein.27 Da die römischen Juristen sich meistens kurz und knapp ausdrücken, hat Julian das Attribut provincialis vielleicht weggelassen. Einem zeitgenössischen Leser, und das heißt einem juristischen Fachgenossen, war klar, dass ein derartiges Grundstück gemeint sein musste. Eine solche Annahme war auch realistisch: Die wohlhabenden Einwohner Roms waren nicht nur Eigentümer von in Italien gelegenen Grundstücken, sondern auch von Anwesen in den Provinzen,28 zumal italische Grundstücke in guter Lage knapp waren.29 Der Empfänger eines in der Provinz gelegenen Grundstücks konnte zwar nicht quiritisches oder bonitarisches Eigentum erwerben, wohl aber ein eigentums­ ähnliches Besitz- und Nutzungsrecht, das sich als „Quasi-Eigentum“ bezeichnen (Buch 1–58) folgt dem Ediktssystem. Zum Begriff des Ediktssystems vgl. Gokel (2014), S.  52 Anm.  144; Liebs (2017), S.  411; Repnow / Stumpf (2020) zu Anm.  11. Schriften, in denen das Recht in seiner ganzen Breite dargestellt wurde (häufig mit dem Titel digesta), waren nach dem Digestensystem geordnet, das sich aus zwei Teilen zusammensetzte: Ungefähr die ersten zwei Drittel waren nach dem Ediktssystem geordnet; das letzte Drittel enthielt Rechtsgebiete, die im ersten Teil nicht erfasst waren; vgl. Liebs (2017), S.  410 f. 25  Im Folgenden wird (vorläufig) unterstellt, dass mit dem Wort traditio im ersten Teil des Julian-Fragments nicht die Besitzübertragung, sondern die Übereignung bezeichnet wird; vgl. Zweiter Abschnitt, 5. 26 Vgl. Hoenig (1913), S.  14; Laborenz (2014), S.  41. 27  Vgl. z. B. Hoenig (1913), S.  15; Laborenz (2014), S.  41 f. Vielleicht haben die Kompilatoren provincialis gestrichen, um den darin enthaltenen, indirekten Hinweis auf mancipatio und in iure cessio zu tilgen, weil diese Institute zur Zeit der Kodifikation obsolet geworden waren; zu dieser letzten Möglichkeit vgl. Laborenz (2012), S.  149. Die im Text vertretene Deutung, dass Julian von einem fundus gesprochen und einen fundus provincialis gemeint oder vielleicht auch beide Arten von Grundstücken angesprochen hat, ist vorzuziehen, weil sie ohne Interpolationsannahme (die Weglassung von provincialis) auskommt. 28  Shatzman (1975), S.  31 unterrichtet über den nicht unerheblichen Anteil von Provinzialgrundstücken am Immobilienbesitz verschiedener Gruppen römischer Senatoren. 29 Vgl. Wolkenhauer (2014), S.  192, der sich mit dieser Feststellung auf die Zeit der späten Republik und des Prinzipats bezieht. Nach Shatzman (1975), S.  31 befanden sich die in Italien gelegenen Grundstücke römischer Senatoren vor allem in Latium, Kampanien und Etrurien. Zum Immobilienbesitz der römischen Oberschicht vgl. auch Rollinger (2019), S.  427.

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Erster Abschnitt: D. 41,1,36: das Fragment und seine Struktur

lässt.30 Mit dem Wortlaut von Teil 1 des Fragments ist dies gut zu vereinbaren. Denn es heißt darin nicht, ein Dissens in causis stehe einem Eigentumsübergang nicht im Wege. Es wird lediglich davon gesprochen, die traditio sei nicht wirkungslos.31 Der Wortlaut erfasst somit auch den Erwerb eines derartigen „Quasi-Eigentums“. Der Einfachheit halber soll im Folgenden im Hinblick auf einen solchen Fall zumeist von „Eigentum“ gesprochen werden. Die Feststellung Julians, bei einem Dissens in causis sei die traditio nicht unwirksam, lässt in ihrer negativen Formulierung also mehrere Möglichkeiten zu: Nicht nur der Erwerb quiritischen, sondern auch bonitarischen Eigentums wird davon erfasst; und darüber hinaus der Erwerb von „Eigentum“ an Provinzialgrundstücken. Vielleicht hat Julian eine neutrale Formulierung gewählt, weil er sich auf Grundstücke ohne Rücksicht darauf beziehen wollte, wo sie gelegen waren. Weitere Überlegungen sprechen gegen eine Interpolation: Wenn Julian die mancipatio behandelt haben sollte, wären die beiden ersten Teile des Fragments trivial und damit überflüssig. Denn die mancipatio ist abstrakt, sodass ein Dissens über die causa den Eigentumsübergang nicht beeinflusst.32 Überflüssig wäre auch der Beispielsfall (Teil 2 des Fragments). Eingewendet wird freilich, dass die abstrakte Natur der Manzipation keineswegs sicher sei; im Gegenteil: Den überlieferten Manzipationsurkunden lasse sich entnehmen, welche causa jeweils vorausgesetzt werde. Die Manzipation sei also kausal gewesen.33 Die meisten – wenn auch keineswegs alle – überlieferten Manzipationsurkunden nennen tatsächlich den Rechtsgrund der Übereignung. Daraus folgt jedoch nur, dass eine

30 Provinzland stand im Eigentum des Kaisers oder des populus Romanus, sodass der Einzelne nur ein Besitz- und Nutzungsrecht daran haben konnte. Dieses Recht wurde wie Eigentum durch traditio ex iusta causa übertragen und nach dem Vorbild des römischen Eigentums geschützt (Gai Inst 2,19 und 21); vgl. Kaser (1971), S.  402, 416; Kaser / Knütel / Lohsse (2017), S.  135 = Rn.  10; Schanbacher (2007), S.  30 f. 31  Der Einwand van Warmelos (1982), S.  649, an einem Provinzialgrundstück habe kein quiritisches Eigentum bestanden, als Beispiel für die Regel (Teil 1 des Fragments) sei der Fall ungeeignet, ist daher nicht stichhaltig. 32 Vgl. Hoenig (1913), S.  15 f.; Wolf (1961), S.  101 Anm.  46; Harke (2005a), S.  112, Laborenz (2014), S.  37 ff. Auch Lenel (1882), S.  179 führt dieses Argument an und macht es als möglichen Einwand gegen seine eigene Vermutung geltend. 33 Vgl. Hazewinkel-Suringa (1931), S.  114 ff.; weitere Nachweise zu dieser Auffassung bei Laborenz (2014), S.  40 Anm.  93; zu ergänzen ist: Romeo (2010), S 243 ff., 361 ff. Van Oven (1952), S.  446 vertritt die Auffassung, die abstrakte Natur der Manzipation habe nicht festgestanden. Sturm (2007), S.  523 lehnt das Argument ab, Teil 1 sei trivial, sollte er sich auf die Manzipation beziehen; dies sei eine petitio principii. Ursprünglich habe dieses Rechtsgeschäft keine dingliche Wirkung erzeugt, noch bei Gaius seien deutliche Spuren seiner Doppelnatur zu finden. Zu der von Cannata (1992), S.  67 ff. vertretenen Argumentation vgl. die zutreffende Kritik von Laborenz (2014), S.  37 ff.

3. Sind die beiden ersten Teile des Fragments echt?

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solche Angabe üblich, nicht aber, dass sie rechtlich notwendig war.34 Auch im Manzipationsritual und der Formel finden sich keine Anzeichen dafür, dass eine causa verlangt wurde.35 Der Vorteil der mancipatio gegenüber der kausalen traditio bestand gerade in ihrer abstrakten Natur und der damit verbundenen Rechtssicherheit.36 Schließlich sollte der dritte Teil des Fragments beachtet werden, der zur Begründung der im ersten Teil formulierten Regel dient. Wenn dieser Teil auch erst an späterer Stelle untersucht wird,37 ist doch von vornherein klar, dass er sich auf die traditio bezieht: pecuniam numeratam tibi tradam. Deshalb dürfte Teil 1 ebenfalls die traditio betreffen.38 Zusammenfassend lässt sich daher feststellen: Julian behandelt möglicherweise die Übereignung eines fundus provincialis durch traditio.39 Eher plausibel ist jedoch, dass er sich auf einen fundus ganz allgemein bezieht. Wie dem auch sei: Für eine Interpolationsannahme besteht jedenfalls kein hinreichender Grund.

34 

Vgl. ebd., S.  41. Vgl. Gai Inst 1,113 sowie 119–122; vgl. auch Laborenz (2014), S.  41. 36  Vgl. ebd. 37  Siebter Abschnitt. 38 Vgl. van Vliet (2003), S.  345. 39 Vgl. Pflüger (1937), S.  18; Wolf (1961), S.  101 Anm.  46; van Vliet (2003), S.  345; Harke (2005a), S.  112 f. 35 

Zweiter Abschnitt

Der erste Teil des Fragments: in corpus (…) consentiamus – traditio 1. Text und Paraphrase Cum in corpus quidem quod traditur consentiamus (…), non animadverto, cur inefficax sit traditio (…). 1

Falls ein Konsens in corpore vorliegt,2 ist die traditio wirksam. Um die zitierten Sätze zu verstehen, sind drei Ausdrücke von zentraler Bedeutung: in corpus consentiamus, ferner quod traditur und schließlich traditio. Der Konsens in corpore steht im Gegensatz zum Dissens in causis; dies wird durch die Wendung quidem – sed zum Ausdruck gebracht: Es besteht „zwar“ ein Konsens über das corpus, zugleich „aber“ ein Dissens in causis. Angedeutet wird damit, dass einem solchen Dissens in der hier untersuchten Stelle die größere Bedeutung zukommt. Im Folgenden wird untersucht, wie die drei genannten Ausdrücke zu verstehen sind. 1 „Wenn

wir im Hinblick auf den körperlichen Gegenstand, der übergeben wird, zwar übereinstimmen, (…) sehe ich nicht, warum die Übereignung unwirksam sein sollte.“ 2 Nach consentire in oder consensus in steht bei den römischen Juristen manchmal der Akkusativ, manchmal der Ablativ. Im hier untersuchten Julian-Text wird der Akkusativ gebraucht, in der romanistischen Literatur zu dieser Stelle ist der Ablativ üblich. Ein weiteres Beispiel für den Akkusativ: quia in corpus consensum est (Ulp 40 Sab D. 13,7,1,2), ein Beispiel für den Ablativ: in corpore consenserimus (Ulp 7 disp D. 41,2,34 pr.). Menge (2000), S.  273 f. = §  203 stellt fest, in mit dem Akkusativ gebe in seiner räumlichen Bedeutung eine Antwort auf die Frage: wohin?; in mit dem Ablativ auf die Frage: wo? Mit einem Substantiv im Akkusativ werde das Wort auch im übertragenen Sinne gebraucht und bezeichne dann eine Gesinnung oder Handlung gegenüber jemand, ferner den Zweck oder die Folge sowie eine Beziehung („hinsichtlich, bezüglich“). Angewendet auf consentire / consensus in könnte dies bedeuten, dass damit ein zielgerichteter Prozess bezeichnet wird („sich einigen auf“), während ein damit verbundenes Substantiv im Ablativ das erzielte Ergebnis („man stimmt überein“) anspricht. Wann in römischen Rechtstexten consentire / consensus in mit Akkusativ oder mit Ablativ verwendet wird, welche inhaltliche Bedeutung dem Unterschied möglicherweise zukommt und welche Konsequenzen sich daraus für den römischrechtlichen Konsensbegriff ergeben könnten, kann hier nicht untersucht werden. Im hier behandelten Fragment ist mit dem Akkusativ wohl keine spezifische Bedeutung verbunden. Zur Verwendung von consentire in mit Akkusativ in D. 41,1,36 vgl. auch Schönbauer (1932), S.  167 Anm.  22.

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Zweiter Abschnitt: Der erste Teil des Fragments

2. Corpus a) Das Wort corpus hat mehrere Bedeutungen.3 Es bezeichnet sowohl den körperlichen Gegenstand, die körperliche Substanz einer Sache4 als auch deren Form oder Gestalt. Auch eine Sachgesamtheit kann gemeint sein.5 Im Zusammenhang mit Geld verstehen Ulpian und Papinian unter corpus das einzelne Geldstück.6 Ein corpus nummorum ist eine ganz bestimmte, abgegrenzte Geldmenge, wie sie sich etwa in einem Geldbeutel (sacculus) befindet.7 Überhaupt kann dem Wort corpus die Bedeutung: „ein Ganzes aus Vielem“, „das Ganze gegenüber seinen Teilen“ zukommen, weshalb corpus auch eine Vereinigung von Personen, eine Körperschaft bezeichnet.8 b) Welche Bedeutung dem Ausdruck corpus in dem hier untersuchten Fragment zukommt, wird im Zusammenhang mit der Wendung in corpus consentiamus zu untersuchen sein. Als „Münze“ oder „Geldmenge“ kann das Wort jedenfalls nicht verstanden werden; zumindest kann es nicht darauf beschränkt sein. Der dritte Teil des Fragments bezieht sich zwar auf Geld; dieser Teil bildet aber kein Beispiel für die im ersten Teil formulierte Regel.9 Das einzige Beispiel ist im zweiten Teil der Stelle enthalten, in dem die Übereignung eines Grundstücks behandelt wird.

3  Über die im Folgenden angeführten Bedeutungen hinaus bezeichnet corpus auch den Körper eines lebenden Wesens, insbesondere eines Menschen, sowie den Leichnam, ferner die körperliche Handlung; vgl. Vocabularium Iurisprudentiae Romanae 1 (1903), Sp.  1034 ff.; Thesaurus Linguae Latinae 4 (1909), Sp.  999; Heumann / Seckel (1914), S.  109 f. s.v. corpus; Schermaier (1992), S.  139. 4 Vgl. Heumann / Seckel (1914), S.  109 s.v. corpus 3): „körperliche Substanz einer Sache“, auch: „körperliche Sache“; vgl. auch Schermaier (1992), S.  139. Gaius unterscheidet zwischen res corporales und incorporales: Gai Inst 2,12–14; Gai 2 inst D. 1,8,1,1; vgl. Baldus (2011), S.  17 ff. 5 Vgl. Heumann / Seckel (1914), S.  110 s.v. corpus 4). Zu den Begriffen der Sache, der Sachgesamtheit und der Mehrheit von Sachen vgl. Baldus (1994), S.  56 ff. Zu einer spezifischen Bedeutung von corpus vgl. Wieacker (1960), S.  122 f.: ein Ensemble von Buchrollen, das ein literarisches Werk bildet; später, nach Umschrift der Werke auf Codices, meint corpus den (Pergament-)Codex. 6 Vgl. Heumann / Seckel (1914), S.  109 s.v. corpus 3). Fuchs (1952), S.  195 f. führt als Belege z. B. an: Ulp 26 ed D. 12,1,13,2; Pap 8 quaest D. 46,3,94,1. 7 Vgl. Hasler (1980), S.  47; Wacke (1976), S.  103 ff.: Eine solche Geldmenge kann Gegenstand einer Vindikation sein. 8 Vgl. Groten (2015), S.  34 ff., 44 ff., 73 ff., 153 ff.; vgl. auch Wieacker (1960), S.  122, insbesondere Anm.  13; Meder (2015), S.  33 ff. 9  Erster Abschnitt, 2. a) und b).

3. Der Konsens in corpore – eine dingliche Einigung?

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3. Der Konsens in corpore – eine dingliche Einigung? a) Im Folgenden wird die von Laborenz vertretene Auffassung zum Konsens in corpore erörtert.10 Diese Auffassung steht in einem untrennbaren Zusammenhang mit der vom gleichen Autor vertretenen Position zu der Frage, ob Julian den Grundsatz der kausalen Übereignung anwendet. Nach Ansicht dieses Autors setzt Julian, kurz gesagt, das Abstraktionsprinzip voraus; der Konsens in corpore ist demnach als dingliche Einigung zu verstehen. Um seine These zu begründen, stützt sich Laborenz nicht auf die Regel (1. Teil des Fragments), sondern auf den Darlehens-Schenkungs-Fall (3. Teil): Die „Schnittmenge aus einem Schenkungsangebot und einer Darlehensannahme besteht lediglich im Konsens hinsichtlich des Eigentumsübergangs“.11 Eine dingliche Einigung genügt demnach; ein „kausaler Tatbestand“12 ist rechtlich nicht erforderlich. Was für den Darlehens-Schenkungs-Fall gilt, ist Laborenz zufolge auch im Hinblick auf die Regel maßgeblich. Die Darlegungen Laborenz‘ (und anderer Autoren) zur Preisgabe des Kausalitätsprinzips können an dieser Stelle der Untersuchung noch nicht überprüft werden; darauf wird erst im Rahmen einer Erörterung des dritten Teils der Julian-Stelle einzugehen sein.13 Hier ist allein die von Laborenz vertretene Position zum Konsens in corpore zu erörtern. Seiner Auffassung nach wird damit eine Einigung darüber bezeichnet, dass das Eigentum übergeht (dingliche Einigung).14 Eine Übereinstimmung hinsichtlich der Sache als solcher (in corpore) sei zwar noch kein Konsens, der die Übereignung betreffe.15 Das Wort consentiamus beziehe sich aber nicht allein auf das corpus, sondern auch auf die Wendung quod traditur. Da die traditio (am Ende des gleichen Satzes) die Eigentumsübertragung meine,16 bezeichne quod traditur wohl ebenfalls die Übereignung. Ein Konsens in corpore sei also ein Konsens darüber, dass das Eigentum an der Sache übergehe. Laborenz fasst diesen Gedankengang im Begriff des consensus in corpore quod traditur zusammen.17 b) Die These, wonach sich der Konsens nicht allein auf das corpus bezieht, sondern auch auf quod traditur, ist fragwürdig. Die Worte consentire / consensus Laborenz (2014), S.  35 ff., insbesondere S.  49 ff. Ebd., S.  50. 12  Ebd., S.  51. 13  Siebter Abschnitt, 3. b). 14 Vgl. Laborenz (2014), S.  50 f.; vgl. auch ders. (2012), S.  150 Anm.  33, 158 ff. Bereits bei Cortese (2013a), S.  113 heißt es: „accordo (consentiamus) a trasferire (quod traditur).“ 15 Vgl. Laborenz (2014), S.  51. 16  Vgl. ebd. 17  Vgl. ebd., S.  49 u.ö. 10 Vgl. 11 

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Zweiter Abschnitt: Der erste Teil des Fragments

und dissentire / dissensus werden in den Quellen sonst immer nur auf Substantive bezogen, nicht auch auf einen das jeweilige Substantiv ergänzenden Zusatz. So ist zum Beispiel von einem Konsens oder Dissens in materia, in substantia, in corpore die Rede.18 Die Einbeziehung von quod traditur in den Konsens würde einen unüblichen Sprachgebrauch bilden. Fragwürdig ist auch die Auffassung, die Wendung quod traditur beziehe sich auf die Übereignung. Sollte in corpus (…) quod traditur consentiamus die dingliche Einigung bezeichnen, würde die Hauptsache, nämlich der Eigentumsübergang, in einem Nebensatz (quod traditur) erwähnt. Dies wäre sprachlich ungeschickt. Wenn Julian einen auf die Eigentumsübertragung bezogenen Konsens hätte bezeichnen wollen, hätte er dies einfacher und klarer sagen können. Sollte sich die Wendung quod traditur auf die Übereignung beziehen, läge zudem eine logische Unstimmigkeit vor: Zunächst würde konstatiert, eine Sache werde übereignet (quod traditur), danach würde es heißen, einer Übereignung (traditio) stehe nichts im Wege. Die zuletzt getroffene Feststellung impliziert die Möglichkeit, dass die Übereignung scheitert. Durch quod traditur würde das am Ende festgestellte Ergebnis, der Eigentumsübergang, vorweggenommen. Hier ließe sich einwenden, durch quod traditur werde zunächst konstatiert, dass die Sache übereignet werden solle, dass also die Absicht zur Übereignung bestehe; später heiße es, der Eigentumsübergang komme wirksam zustande. So ließe sich eine Unstimmigkeit vermeiden. Kaser / Knütel / Lohsse übersetzen denn auch: „die Sache, die übereignet werden soll“.19 Diese Übersetzung ist jedoch aus sprachlichen Gründen abzulehnen: Das Wort traditur steht im Indikativ Präsens. Wenn gemeint wäre: „übereignet werden soll“, müsste der Konjunktiv oder das Gerundivum verwendet werden. Ungeschickt und missverständlich wäre zudem, dass sich consentiamus auf eine zweifache Übereinstimmung beziehen würde: einen Konsens im Hinblick auf die Sache als solche und eine Übereinstimmung darüber, dass das Eigentum übergeht. Julian hätte dann besser sprachlich unterschieden und den zweifachen Inhalt der Übereinstimmung ausdrücklich hervorgehoben, zumal ein Konsens über die Sache selbst nicht notwendig mit einem Konsens über den Eigentumsübergang verbunden ist. Ein Konsens über die Sache als solche könnte auch allein mit der Besitzübertragung in Verbindung stehen. Zwangloser erscheint die Annahme, dass Julian zweierlei feststellt: Erstens muss ein Konsens in corpore vorliegen, damit die traditio wirksam ist. Zweitens wird das corpus tradiert. Der Konsens bezieht sich allein auf das corpus, nicht auch auf quod traditur. Diese Wendung ist eine Erläuterung zum corpus und 18 

So z. B. in Ulp 28 Sab D. 18,1,9; Zweiter Abschnitt, 4. c). Kaser / Knütel / Lohsse (2017), S.  147 = Rn.  12. Bei Kaser / Knütel (2014), S.  141 = Rn.  12 hieß es noch: „die übergeben wird“. 19 

4. Der Konsens in corpore – die eigene Auffassung

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bringt nicht nur zum Ausdruck, dass die Sache tradiert wird, sondern auch, dass die Tradition und der Konsens gleichzeitig vorliegen. Der Ausdruck „Konsens in corpore“ und die Wendung quod traditur werden im Folgenden getrennt voneinander untersucht. Zunächst wird auf den Konsens in corpore eingegangen, wobei auch wird geprüft wird, aus welchem Grund ein solcher Konsens rechtlich notwendig ist. Anschließend wird gefragt, was die Worte quod traditur bedeuten.20

4. Der Konsens in corpore – die eigene Auffassung a) Das Verb consentire bedeutet „übereinstimmen, einwilligen, zustimmen“.21 Wenn im hier untersuchten Text consentiamus verwendet wird, dürfte dies bedeuten, dass die Beteiligten im Hinblick auf das corpus, das heißt die Sache selbst, ihre Identität, übereinstimmen.22 Ein Dissens in corpore liegt also wohl vor, falls sich die Beteiligten verschiedene Sachen vorstellen. b) Um diese Vermutung zu überprüfen, wird im Folgenden untersucht, in welchem Sinne spätklassische Juristen wie Ulpian und Paulus von einem Konsens in corpore sprechen.23 Anschließend wird auf den Konsens in corpore in der hier untersuchten Julian-Stelle eingegangen. In der romanistischen Literatur wird die Frage nach dem Verhältnis der Ausdrücke „Konsens“ und „Dissens“ im Hinblick auf den Kauf und andere Konsensualverträge behandelt, genauer gesagt: kontrovers diskutiert. Die unterschiedlichen Positionen können hier nicht eingehend dargestellt24 und gewürdigt 20 

Zweiter Abschnitt, 8. a). Heumann / Seckel (1914), S.  95: „übereinstimmen, einstimmig sein, einwilligen, seine Zustimmung geben, beistimmen, einräumen“. 22  So auch Becker (2017), S.  191. Bereits Cuiacius (1614), Sp.  1956 stellte im Hinblick auf die hier untersuchte Julian-Stelle fest: si vterque consentiat in rem ipsam. 23  Cascione (2003), S.  39 ff. bietet einen umfassenden Überblick darüber, an welchen Stellen des römischen Rechts consentire / consensus verwendet wird. Zur Herkunft des Konsensbegriffes im römischen Recht vertritt Cascione (2003), S.  47 ff. die These, der Begriff entstamme der politischen Sphäre aus der Zeit der Republik und des frühen Prinzipats. 24 Nach der sogenannten Dissenstheorie erfordert ein gültiger Konsensualvertrag eine Einigung im Willen; vgl. Kaser (1971), S.  237 ff.; Nelson / Manthe (1999), S.  232 ff. (zu den Konsensualkontrakten bei Gai Inst 3,136); Baldus (2008), S.  176; vgl. auch Schermaier (1992), S.  123 ff. Nach Wolf ist es dagegen erforderlich, dass die Merkmale des jeweiligen Vertragstyps im Einzelfall objektiv erfüllt sind, damit ein Vertrag zustande kommt (sogenannte Identifikationstheorie); vgl. Wolf (1961), S.  46 ff. (zum error in corpore), S.  166 ff. Dagegen vertritt Harke die Position, Voraussetzung für die Wirksamkeit eines Vertrages sei, dass sich ein objektiver Geschäftsinhalt ermitteln lasse. Dissens bzw. Irrtum seien die Abweichung des Willens einer Partei vom objektiven Geschäftsinhalt; vgl. Harke (2005a), S.  22 ff.; ders. (2016), S.  52 ff. 21 

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Zweiter Abschnitt: Der erste Teil des Fragments

werden.25 Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung soll der (auf Konsensualverträge bezogenen) Auffassung gefolgt werden, wonach ein Dissens vorliegt, wenn eine inhaltliche Übereinstimmung zwischen zwei (oder mehr) Willen und den damit verbundenen Vorstellungen fehlt.26 c) Zunächst zum Konsens in corpore beim Kauf. Einschlägig ist die folgende Ulpian-Stelle:27 Ulp 28 Sab D. 18,1,9 In venditionibus et emptionibus consensum debere intercedere palam est: ceterum sive in ipsa emptione dissentient sive in pretio sive in quo alio, emptio imperfecta est. si igitur ego me fundum emere putarem Cornelianum, tu mihi te vendere Sempronianum putasti, quia in corpore dissensimus, emptio nulla est. idem est, si ego me Stichum, tu Pamphilum absentem vendere putasti: nam cum in corpore dissentiatur, apparet nullam esse emptionem. 1. Plane si in nomine dissentiamus, verum de corpore constet, nulla dubitatio est, quin valeat emptio et venditio: nihil enim facit error nominis, cum de corpore constat. 2. Inde quaeritur, si in ipso corpore non erratur, sed in substantia error sit, ut puta si acetum pro vino veneat, aes pro auro vel plumbum pro argento vel quid aliud argento simile, an emptio et venditio sit. Marcellus scripsit libro sexto digestorum emptionem esse et venditionem, quia in corpus consensum est, etsi in materia sit erratum. ego in vino quidem consentio, quia eadem prope οὐσία est, si modo vinum acuit: ceterum si vinum non acuit, sed ab initio acetum fuit, ut embamma, aliud pro alio venisse videtur. in ceteris autem nullam esse venditionem puto, quotiens in materia erratur.28 25  So viel sei angemerkt: Die Übereinstimmung zwischen einem konkreten Vertrag und dem jeweiligen Vertragstyp (Wolf) oder zwischen einer Parteivorstellung und dem objektiven Geschäftsinhalt (Harke) kann schlecht mit den Worten consentiamus / consensus bezeichnet werden, wie sie in den römischen Quellen erscheinen; kritisch zu Harkes Position auch: Schermaier (2008), S.  826 ff. Ders. (1992), S.  126 sieht in der zweifachen Verwendung von putare in D. 18,1,9 pr. einen „klaren Beleg für die Dissenstheorie“. Zu den Positionen Wolfs und Harkes vgl. auch Kaser / Knütel / Lohsse (2017), S.  67 = Rn.  21. 26  Im Hinblick auf den Kauf und andere Konsensualverträge wird in der romanistischen Literatur überwiegend die Auffassung vertreten, dass die Juristen unter einem Konsens zwei (oder mehr) Willen verstehen. Der Abschluss eines Konsensualvertrages setzt sich demnach aus zwei Handlungen zusammen. Schermaier ist dagegen der Ansicht, der Konsens sei als eine einzige, gemeinschaftliche Handlung zu begreifen; vgl. Schermaier (1998a), S.  68 ff.; ders. (2009), S.  73 ff.; ders. (2014a), S.  111 u.ö., besonders deutlich S.  124; ders. (2014b), S.  149; ders. (2018), S.  793. Schermaier ist der Auffassung, die herrschende Meinung zum Konsensbegriff (beim Konsensualvertrag) sei allzu stark vom modernen Rechtsdenken geprägt. 27 Bereits Regenbrecht (1820), S.  44 hat im Hinblick auf den Konsens in corpore (D. 41,1,36) diesen Ulpian-Text herangezogen. 28  „Es liegt auf der Hand, dass es beim Kauf und Verkauf zu einem Konsens kommen muss. Falls die Beteiligten sich über den Kauf selbst oder über den Preis oder über irgendeinen anderen Punkt uneinig sind, ist der Kauf nicht vollendet. Wenn ich also das cornelianische Grundstück zu kaufen glaubte, du mir aber das sempronianische zu verkaufen gedachtest, liegt kein Kauf vor, weil wir über den Gegenstand uneins gewesen sind. Dasselbe gilt, wenn ich den Stichus zu kaufen, du mir aber den abwesenden Pamphilus zu verkaufen glaubtest; denn da wir über den Gegenstand uneins sind, ist klar, dass der Kauf nichtig ist. 1. Wenn wir freilich im

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Ulpian spricht (pr.) vom Fehlen eines Konsenses in corpore anhand von zwei Beispielen: Wenn jemand das cornelianische Grundstück zu kaufen meint, während das sempronianische verkauft werden soll, kommt ein Kauf nicht zustande. Das Gleiche gilt, falls der Käufer den Stichus erwerben, der Verkäufer dagegen den Pamphilus verkaufen möchte. In beiden Fällen fehlt ein Konsens in corpore. Harke ist der Auffassung, gemeint sei eine „Fehlvorstellung (…) über die Gestalt einer zum Geschäftsgegenstand gemachten Sache“.29 Die meisten Autoren sind der Ansicht, es bestehe ein Dissens im Hinblick auf den Kaufgegenstand selbst.30 Zutreffend an der von Harke vertretenen Auslegung ist, dass corpus auch die Form oder Gestalt einer Sache bezeichnen kann.31 Gegen diese Deutung der Ulpian-Stelle spricht jedoch Folgendes:32 Der Jurist beginnt seine Darlegungen zu Dissens und Irrtum beim Kauf mit einigen elementaren Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, damit ein solcher Vertrag zustande kommt. So ist erforderlich, dass man sich im Hinblick auf den Kaufgegenstand selbst einig ist. Wenn nicht klar ist, was überhaupt verkauft und gekauft werden soll, kann ein Vertrag nicht zustande kommen. Ulpian fügt hinzu: Falls Käufer und Verkäufer im Hinblick auf die Bezeichnung, den Namen des Gegenstandes nicht übereinstimmen, wohl aber in Bezug auf den Gegenstand selbst (de corpore), ist dies ohne Belang

Hinblick auf die Bezeichnung nicht übereinstimmen, aber über den Gegenstand einig sind, unterliegt es keinem Zweifel, dass der Kauf gültig ist. Denn der Irrtum über die Bezeichnung ist belanglos, sofern der Gegenstand feststeht. 2. Nun ist die Frage, ob der Kauf gültig ist, wenn über den Gegenstand nicht geirrt wird, aber im Hinblick auf die Substanz ein Irrtum besteht, zum Beispiel wenn man Essig als Wein, Kupfer als Gold, Blei oder etwas anderes dem Silber Ähnliches als Silber verkauft. Marcellus schreibt im sechsten Buch der Digesten, es liege ein Kauf vor, weil Konsens über den Gegenstand besteht, obgleich man über den Stoff geirrt habe. Ich bin zwar hinsichtlich des Weines völlig derselben Meinung, weil es fast derselbe Stoff, οὐσία, ist, sobald der Wein bloß sauer geworden ist; wenn aber der Wein nicht sauer geworden, sondern es von Anfang an Essig war, wie im Fall von Essigtunke, ist anzunehmen, dass etwas anderes als das Gemeinte verkauft worden ist. In den übrigen Fällen aber halte ich für richtig, dass kein Kauf vorliegt, sofern man sich über den Stoff geirrt hat.“ 29  Harke (2016), S.  54 = Rn.  4; vgl. auch ders. (2004), S.  133. 30 Bei Otto / Schilling / Sintenis 2 (1831), S.  343 zu Ulp 28 Sab D. 18,1,9 pr. und 1 heißt es: „Gegenstand“; ebenso bei Sustmann (2000), S.  5. Behrends / Knütel / Kupisch / Seiler 3 (1999), S.  443 f.; Schermaier (2009), S.  85 und Schanbacher (2011), S.  527 f. übersetzen: „Kaufgegenstand“. 31  Zu den unterschiedlichen Bedeutungen von corpus: Zweiter Abschnitt, 2. a). 32 Kritik an der Auffassung Harkes auch bei Schermaier (2008), S.  830: Hätten die römischen Juristen die äußere Gestalt einer Sache gemeint, so hätten sie von forma oder species gesprochen.

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Zweiter Abschnitt: Der erste Teil des Fragments

(D. 18,1,9,1).33 Der Kauf kommt zustande. Auch hier bezeichnet das Wort corpus den Kaufgegenstand.34 Im Folgenden (D. 18,1,9,2) behandelt Ulpian den consensus in substantia35 bzw. in materia.36 Als Beispiel für einen Dissens hinsichtlich der Substanz (Materie)37 nennt er die Fälle, dass Essig für Wein oder Erz für Gold verkauft wird. Bei einem Dissens in substantia hält Ulpian den Kauf – mit einer Ausnahme38 – für nichtig, während Marcellus, auf den Ulpian sich bezieht, den Vertrag als gültig ansieht, sofern ein Konsens in corpore voliegt. Der Unterschied zwischen Marcellus und Ulpian erklärt sich aus unterschiedlichen philosophischen Anschauungen über die Identität einer Sache. Marcellus folgt einer Lehre, wonach die Gestalt, das corpus, das entscheidende Kriterium ist, nicht nur im Hinblick auf zusammengesetzte Sachen, corpora ex contingentibus (zum Beispiel: ein Schiff, ein Haus oder einen Schrank) und Sachgesamtheiten, corpora ex distantibus (zum Beispiel eine Herde, eine Bibliothek), sondern auch bei einheitlichen Sachen, corpora continua.39 Ein Irrtum über die stoffliche Be33  Weitere Beispiele zum Kaufvertrag: Ulp 28 Sab D. 18,1,9,l: nihil enim facit error nominis, cum de corpore constat („Der Irrtum in der Bezeichnung macht nämlich nichts aus, wenn der Gegenstand feststeht“). 34  Im Hinblick auf die Konsensualverträge ist in der romanistischen Literatur umstritten, ob das Fehlen eines Konsenses in corpore notwendig voraussetzt, dass die Sache bei Vertragsschluss nicht präsent ist. Fasst man den Konsens bei Konsensualverträgen ins Auge, ist nach der sogenannten Dissenstheorie das Fehlen eines Konsenses bei Sachpräsenz möglich. Dagegen ist dies nach Wolf ausgeschlossen: Liegt die Sache vor, ist sie objektiv bestimmt; der Vertrag bezieht sich eindeutig auf diese Sache; ein Konsens kommt notwendig zustande; vgl. Wolf (1961), S.  47, 167. Auch Harke (2005a), S.  27 f. schließt aufgrund des von ihm vertretenen Konsensbegriffs das Fehlen eines Konsenses in corpore aus: „Ein in Anwesenheit der Kaufsache abgeschlossener Vertrag kann nicht wegen dissensus in corpore nichtig sein. (…) kann die Entscheidung zwischen consensus und dissensus nicht allein von den inneren Parteivorstellungen über den Vertragsgegenstand abhängen. Das objektive Erscheinungsbild eines Vertrages ist (…) geeignet, trotz abweichender Parteiansichten die Berufung auf einen dissensus auszuschließen.“ 35  Schermaier (1992), S.  147: substantia: Stoff, Material; S.  154: stoffliche Beschaffenheit. 36  Die Wendung in materia findet sich bei Marcellus, auf den Ulpian sich bezieht. Nach Schermaier (1992), S.  147 bedeutet materia Stoff, Material. Zum philosophischen Hintergrund des Materiebegriffs vgl. Schermaier (1992), S.  55 ff. 37  Ulpian führt als Beispiel für einen Dissens einen Irrtumsfall an; insofern setzt er die Begriffe dissensus und error gleich; vgl. Schermaier (2009), S.  55 ff. 38  Eine Ausnahme macht Ulpian für den Fall, dass sauer gewordener Wein als trinkbarer Wein verkauft wird, weil es fast dieselbe Substanz sei; anders, wenn zubereiteter Essig als Wein verkauft wird. Zu den Hintergründen des Unterschiedes zwischen Ulpian und Marcellus vgl. Harke (2016), S.  55 f. = Rn.  6. 39  Zu den drei Kategorien von Sachen vgl. Kaser / Knütel / Lohsse (2017), S.  119 = Rn.  14; Dajczak (2005), S.  119 ff.; Groten (2015), S.  89 ff. (zum Körperbegriff der stoischen Philosophie), 132 ff. (zur skeptischen Akademie und ihrem Körperbegriff); S.  147 ff. (zur Rezeption des stoischen Körperbegriffs in der juristischen Literatur); Meder (2015), S.  39 f. Der philo-

4. Der Konsens in corpore – die eigene Auffassung

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schaffenheit ist dann unbeachtlich. Anders Ulpian, der voraussetzt, dass die Identität einer Sache durch ihre stoffliche Beschaffenheit festgelegt wird, sodass ein Irrtum über den Stoff dazu führt, dass ein Kaufvertrag nicht zustande kommt. Da Ulpian corpus und substantia (materia) gegenüberzustellen scheint, bezeichnet corpus an dieser Stelle vielleicht die äußere Gestalt oder Form einer Sache.40 Die Begriffe corpus und substantia werden hier jedoch nicht entgegengesetzt.41 Ulpian beschreibt vielmehr ein Stufenverhältnis: Der Kaufgegenstand selbst (corpus) ist festgelegt, darauf hat man sich geeinigt. Es besteht jedoch ein Irrtum im Hinblick auf seine stoffliche Beschaffenheit (substantia, materia). Das Wort corpus wird hier in der gleichen Bedeutung verwendet wie in D. 18,1,9 pr. und 1, nämlich zur Bezeichnung des Kaufgegenstandes.42 d) Ebenfalls den Kauf behandelt ein Auszug aus dem 33. Buch des von Paulus verfassten Kommentars zum Edikt: D. 19,1,21,2 Quamvis supra diximus, cum in corpore consentiamus, de qualitate autem dissentiamus, emptionem esse, tamen venditor teneri debet, quanti interest non esse deceptum, etsi venditor quoque nesciet: veluti si mensas quasi citreas emat, quae non sunt.43 sophische Hintergrund der Lehre zur Identität von einheitlichen Sachen (corpora continua) tritt in einer Äußerung Alfens (6 dig D. 5,1,76) zutage. Der Jurist bezieht sich auf die Atomlehre Demokrits, die von späteren Philosophen diskutiert und auch von Cicero behandelt wurde. Alfen stellt fest, dass wir aus unendlich kleinen Teilen bestehen, die täglich unseren Körper verlassen und durch andere ersetzt werden, und dass wir trotzdem die Gleichen bleiben. Entscheidend für die Identität einer Sache oder eines Menschen ist demnach die (gleichableibende) Gestalt: quapropter cuius rei species eadem consisteret, rem quoque eandem esse existimari (D. 5,1,76 am Ende). „Wenn daher die Gestalt einer Sache als dieselbe bestehen bleibt, muss sie auch als dieselbe Sache angesehen werden.“ 40 Vgl. Harke (2016), S.  54 = Rn.  4. 41  In Ulpians Referat der Position des Marcellus heißt es: quia in corpus consensum est, etsi in materia sit erratum. Marcellus meint ebenfalls den Kaufgegenstand, den er zwar anders definiert als Ulpian, nicht durch den Stoff, sondern durch die Form, was aber nichts daran ändert, dass Marcellus mit corpus den Kaufgegenstand bezeichnet. 42  In der Übersetzung von Otto / Schilling / Sintenis 2 (1831), S.  343 heißt es zu Ulp 28 Sab D. 18,1,9,2: „Gegenstand“; ähnlich bei Behrends / Knütel / Kupisch / Seiler 3 (1999), S.  443 f.: „Kaufgegenstand“. Bei Monier (1930), S.  221 heißt es: „l’accord sur l’objet de la tradition“; Sustmann (2000), S.  5 spricht davon, „dass der Käufer genau den Gegenstand kaufen will, den sein Vertragspartner zu verkaufen beabsichtigt“. Schermaier (2009), S.  89 stellt fest, die Parteien hätten sich über den „Kaufgegenstand“ nicht geeinigt. 43 „Obwohl wir oben gesagt haben, dass, wenn wir im Hinblick auf den Gegenstand übereinstimmen, in Bezug auf die Beschaffenheit aber verschiedener Auffassung sind, ein Kauf zustande kommt, so muss der Verkäufer dennoch auf das Interesse haften, das der Käufer daran hat, nicht [in seiner Erwartung] getäuscht zu sein, selbst wenn der Verkäufer den Mangel auch nicht kannte, zum Beispiel wenn er Holztische als Tische aus Tujenholz kauft, die sie in Wahrheit nicht sind.“

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Zweiter Abschnitt: Der erste Teil des Fragments

Zunächst wird eine vorangehende Äußerung angesprochen (supra diximus), wonach ein Dissens über die qualitas44 nicht verhindert, dass ein Kaufvertrag zustande kommt, sofern nur ein Konsens in corpore vorliegt. Eine entsprechende, von Paulus stammende Äußerung ist nicht überliefert.45 Weiter heißt es, dennoch hafte der Verkäufer auf das Interesse des Käufers daran, nicht getäuscht zu sein, selbst wenn der Verkäufer unwissend sei. Als Beispiel dient der Fall, dass Tische gekauft werden, die nicht, wie angenommen, aus Tujenholz sind.46 Tische dieser Art waren Luxusgüter. Plinius der Ältere berichtet in seiner Naturalis Historia (13,92), Cicero habe einen solchen Tisch im Werte von 500 000 Sesterzen besessen.47 Die Stelle wurde schon häufig analysiert, wobei Interpolationsvermutungen geäußert wurden.48 Diskutiert wird, ob Paulus im Widerspruch zu Ulpian steht, der die Auffassung vertritt, ein Dissens in substantia führe dazu, dass ein Kaufvertrag nicht zustande komme (Ulp 28 Sab D. 18,1,9,2).49 Darauf braucht hier nicht eingegangen zu werden. In der vorliegenden Untersuchung geht es allein um den Konsens in corpore. Unstreitig ist, dass Paulus damit die Übereinstimmung über die Kaufsache als solche bezeichnet.50 e) Ferner ist Ulp 40 Sab D. 13,7,1,2 anzuführen, wo der Konsens in corpore bei der Bestellung eines Besitzpfandrechts behandelt wird: Si quis tamen, cum aes pignori daret, adfirmavit hoc aurum esse et ita pignori dederit, videndum erit, an aes pignori obligaverit et numquid, quia in corpus consensum est, pignori esse videatur: quod magis est. tenebitur tamen pigneraticia contraria actione qui dedit, praeter stellionatum quem fecit.51

44 Das Wort qualitas bezeichnet Eigenschaften einer Sache; vgl. Kaser / Knütel / Lohsse (2017), S.  67 = Rn.  20. 45 Vgl. Apathy (1994), S.  135. In der Übersetzung von Behrends et al. wird auf zwei UlpianStellen verwiesen: 28 Sab D. 18,1,9,2; 28 Sab D. 18,1,14; vgl. Behrends / Knütel / Kupisch / Sei­ ler 3 (1999), S.  537. 46  Die Holztische wurden nicht als Tische aus Zitronenholz gekauft. Citrus tuia war vielmehr ein zypressenähnlicher Baum, der in Nordafrika wuchs. Sein Holz hatte eine besonders schöne Maserung; vgl. Honsell (1969), S.  101 Anm.  178; Schermaier (1998b), S.  249 Anm.  63. 47 Vgl. Plinius der Ältere (1977), S.  152 f.; vgl. auch Rollinger (2014), S.  176 f. 48 Vgl. Harke (2005a), S.  82 ff. mit weiteren Nachweisen. 49  Vgl. z. B. Stein (1958), S.  46 f.; Harke (2005a), S.  84; zur Ulpian-Stelle: Zweiter Abschnitt, 4. c). 50  Vgl. z. B. Apathy (1994), S.  135: „Konsens über den Gegenstand“. 51  „Wenn jedoch jemand, als er Kupfer zum Pfand gab, versichert hat, es sei Gold, und es so zum Pfand gegeben haben sollte, ist zu untersuchen, ob er das Kupfer verpfändet hat und dieses, weil man sich über den Gegenstand geeinigt hat, zum Pfand geworden ist; dies ist richtiger. Der Verpfänder haftet jedoch mit der Pfandgegenklage, unabhängig von dem Straftatbestand der Gaunerei, den er erfüllt hat.“

4. Der Konsens in corpore – die eigene Auffassung

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Der Verpfänder versichert, die Sache sei aus Gold, während sie in Wirklichkeit aus Kupfer besteht. Ulpian ist der Auffassung, ein Pfandrecht sei gleichwohl wirksam bestellt, weil im Hinblick auf das corpus Übereinstimmung herrsche.52 Eine Besonderheit des Falles besteht darin, dass der Konsens in corpore zugleich mit der Übergabe vorliegt. Während der Übergabe ist die Sache präsent. Dies führt zu der Frage, ob in einem solchen Fall überhaupt ein Konsens in corpore fehlen kann,53 denn man ist sich darüber einig, dass das Pfandrecht an der gerade übergebenen Sache bestellt werden soll. Wenn ein Konsens in corpore immer und notwendig vorläge, wäre das Konsenserfordernis überflüssig, falls die Sache präsent ist. Die Frage ist jedoch zu bejahen: Ein Dissens in corpore ist durchaus möglich. Er kommt zustande, falls einer der Beteiligten die übergebene Sache mit einer bestimmten anderen Sache verwechselt.54 Im vorliegenden Fall liegt eine Verwechslung mit einer bestimmten anderen (aus Gold bestehenden) Sache nicht vor. Es besteht ein Konsens in corpore (zugleich ein Dissens in materia), und das heißt ein Konsens über die Sache selbst. f) Ein Ulpian-Fragment aus dem 16. Buch des Kommentars zum Edikt betrifft die dingliche Klage: D. 6,1,5,4 Cum in rem agatur, si de corpore conveniat, error autem sit in vocabulo, recte actum esse videtur.55

Wenn die Sache, um die es im Prozess geht, in der Formel falsch bezeichnet wird,56 ist der Streitgegenstand mithilfe des übereinstimmenden Parteiwillens zu ermitteln.57 Der Konsens in corpore meint also den Konsens über die Sache selbst.58 Im Hinblick auf den Konsens in corpore ist nicht von Bedeutung, dass hier, anders als in den vorangegangenen Beispielen, kein („materiellrechtlicher“)

52  Harke (2005a), S.  132 ff. geht auf zahlreiche Interpolationsvermutungen ein, die sich auf die Erwähnung des consensus in corpore beziehen, hält den überlieferten Text jedoch für echt (vgl. ebd., S.  135 f.). 53  In der Romanistik ist umstritten, ob es bei Konsensualverträgen überhaupt möglich ist, dass ein Konsens in corpore fehlt, falls die Sache präsent ist: Zweiter Abschnitt, 4. c), Anm.  34. 54  Zum Verhältnis von error und consensus: Zweiter Abschnitt, 6. b). 55  „Wenn die Parteien sich bei Erhebung einer dinglichen Klage über die Sache selbst einig sind, aber ein Irrtum in der Bezeichnung vorliegt, ist anzunehmen, dass der Prozess rechtswirksam begründet ist.“ 56  Jahr (1960), S.  150 bringt ein Beispiel: Wenn die Parteien um den Sklaven Eros streiten, aber irrig von Stichus geredet haben, geht der Prozess um Eros. 57 Vgl. Babusiaux (2006), S.  13 f. 58 Vgl. Pringsheim (1961), S.  46; Jahr (1960), S.  150.

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Zweiter Abschnitt: Der erste Teil des Fragments

Vertrag behandelt wird, sondern ein prozessualer Konsens zwischen den Parteien, der in der litis contestatio zum Ausdruck kommt.59 Die Untersuchung zum Konsens in corpore bei Paulus und Ulpian hat zu dem Ergebnis geführt, dass darunter immer – in welchem juristischen Kontext dieser Ausdruck auch verwendet wird (Kaufvertrag, Pfandbestellung, dingliche Klage) – die Übereinstimmung im Hinblick auf die Sache selbst verstanden wird. g) Um zum Julian-Text zurückzukehren: Die Worte consentiamus / dissentiamus beziehen sich bei Julian zwar nicht auf einen Konsensualvertrag, die Bestellung eines Besitzpfandrechts oder die dingliche Klage, sondern auf die traditio.60 Es gibt aber keinen Grund für die Annahme, dass der „Konsens in corpore“ hier etwas anderes meint als bei Ulpian und Paulus, zumal diese Juristen den gleichen Ausdruck in ganz verschiedenen Zusammenhängen übereinstimmend als Konsens im Hinblick auf die Sache selbst verstehen. Als Ergebnis kann daher festgestellt werden, dass ein Konsens in corpore im hier untersuchten Julian-Text die Übereinstimmung in den Vorstellungen der Beteiligten im Hinblick auf die Sache selbst bezeichnet.

5. Zum Begriff der traditio a) Julian zufolge muss ein Konsens in corpore vorliegen, damit die traditio nicht unwirksam (inefficax) ist.61 Die Frage, warum ein Konsens in corpore notwendig Kaser / Hackl (1996), S.  289 ff. Daraus, dass ein Konsens in corpore zwischen den Parteien vorliegen muss, folgt allerdings nicht, dass die litis contestatio einen Vertrag bildet; vgl. Jahr (1960), S.  148 ff., insbesondere S.  150; vgl. auch Kaser / Hackl (1996), S.  292 Anm.  40. Zu den unterschiedlichen Auffassungen über die Rechtsnatur und die Form der litis contestatio: Wolf (1968); Kaser / Hackl (1996), S.  290 ff. 60  Schermaier (2014a), S.  111 zeigt, dass das Aufkommen des Konsensbegriffes eng mit der Herausbildung eines allgemeinen Vertragskonzeptes verbunden ist, stellt (S.  116 f.) aber auch fest, dass consensus über das Vertragsrecht hinaus im Hinblick auf die traditio gebraucht wird. Dabei bezieht sich Schermaier nicht auf die hier untersuchte Julian-Stelle, sondern auf Ulp 7 disp D. 41,2,34 pr.; zu diesem Fragment vgl. Zweiter Abschnitt, 6. a). 61 Vgl. Hellmann (1914), S.  80 ff. Staffhorst (2006), S.  16 ff. betont, dass die römischen Juristen keinen einheitlichen Begriff der Unwirksamkeit (Nichtigkeit) von Rechtsgeschäften und daher auch keine einheitliche Terminologie entwickelt, sondern eine Vielzahl unterschiedlicher Termini verwendet haben, darunter inefficax (S.  17). Hellmann (1914), S.  1, 7 f. stell fest, dass die römischrechtliche Terminologie zur Unwirksamkeit nicht allein die Rechtsgeschäfte betrifft, sondern auch solche Handlungen, die keine Rechtsgeschäfte bilden. Der Autor konstatiert, dass die Römer lediglich „von dem Begriffe der Wirksamkeit und der Unwirksamkeit von Tatbeständen ausgingen“ (ebd., S.  8). Damit wendet sich Hellmann gegen Mitteis (1908), S.  237, der die These vertritt, die Terminologie der römischen Juristen zur Unwirksamkeit sei unzulänglich und ungeordnet, weil sie „eine Theorie der Rechtsgeschäfte“ nicht ent59 Vgl.

5. Zum Begriff der traditio

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ist, lässt sich nur beantworten, wenn zuvor geklärt wird, welche Bedeutung dem Wort traditio hier zukommt. Drei Deutungsmöglichkeiten kommen in Betracht. Das Wort traditio könnte die Besitzverschaffung bezeichnen. Fehlt ein Konsens in corpore, würde der Besitz nicht übergehen; die Besitzübertragung wäre unwirksam (inefficax).62 Gegen diese Deutung spricht Folgendes: Im dritten Teil des Fragments wird die im ersten Teil enthaltene Entscheidung begründet. Auf die Begründung wird in der vorliegenden Untersuchung zwar erst an späterer Stelle eingegangen.63 Es ist aber ohne Weiteres ersichtlich, dass sich die Begründung auf den Eigentumsübergang bezieht: constat proprietatem ad te transire. Deshalb dürfte sich auch der erste Teil, einschließlich der traditio, auf die Übereignung beziehen.64 Eine zweite Möglichkeit besteht darin, dass das Wort traditio die Besitzübertragung bezeichnet, die mit der Absicht der Übereignung vorgenommen wird. Fehlt ein Konsens in corpore, tritt die mit der Besitzübertragung beabsichtigte Wirkung, der Eigentumsübergang, nicht ein; insofern ist die Besitzübertragung wirkungslos (inefficax).65 Die traditio könnte also die zum Zweck der Übereignung vorgenommene Besitzübertragung sein. In den Übersetzungen der Stelle ins Deutsche wird denn auch häufig von einer „Übergabe“ gesprochen.66 Diese Interpretationsmöglichkeit setzt voraus, dass der Eigentumsübergang nur zustande kommt, wenn die Übergabe von der Übereignungsabsicht des Tradenten begleitet ist und der Empfänger eine entsprechende Absicht hegt. Die Frage, ob nach klassischem römischem Recht eine Einigung zwischen dem Ver-

wickelt hätten. Mitteis setzt voraus, dass sich die römischrechtlichen Ausdrücke für die Wirksamkeit oder Unwirksamkeit allein auf Rechtsgeschäfte beziehen. Zu inefficax im hier untersuchten Julian-Fragment vgl. Laborenz (2014), S.  51 Anm.  158. 62 Diese Auffassung wurde z. B. von Chlamtacz (1897), S.  95 f. vertreten: „Die älteren Juristen haben den Besitz in Verbindung mit der Besitzerwerbs-Causa behandelt, und der Satz, welcher die Unabhängigkeit des Besitzerwerbs von der Causa ausspricht, ist eben auf die Auktorität Julians zurückzuführen.“ 63  Siebter Abschnitt. 64 In diesem Sinne heißt es bei Kaser / Knütel / Lohsse (2017), S.  147 = Rn.  12 „Übereignung“, während es bei Kaser / Knütel (2014), S.  141 = Rn.  12 noch „Übergabe“ heißt. Diese Übersetzung findet sich seit der 17. Auflage, vgl. Kaser / Knütel (2003), S.  152 = Rn.  12. 65 Vgl. Heumann / Seckel 1914), S.  165 s.v. efficax 1): „von Wirkung, von Erfolg, wirksam“. 66 Vgl. Otto / Schilling / Sintenis 4 (1832), S.  264; Harke (2016), S.  242 = Rn.  18; Meissel (2008), S.  65; Kaser / Knütel (2014), S.  141 = Rn.  12. Ferner: Behrends (1980a), S.  68 Anm.  102; ders. (1983), S.  237 Anm 27. Chlamtacz (1897), S.  95 f. war der Auffassung, Julian behandele „vielleicht“ die Besitzübertragung. Ebd., S.  96 heißt es: „Trotz des Dissenses über die Causa wird der Besitz durch Sachübergabe erworden.“ Klinck (2004), S.  22 ist der Auffassung, traditio bedeute in den Quellen stets die Übergabe als Realakt, nicht die Übereignung.

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Zweiter Abschnitt: Der erste Teil des Fragments

äußerer und dem Erwerber über den Eigentumsübergang vorliegen muss, damit das Eigentum übergeht, ist in der romanistischen Literatur umstritten.67 Eng damit verwandt ist eine dritte Interpretationsmöglichkeit. Danach bezieht sich das Wort inefficax auf die Übereignung selbst. Wenn ein Konsens in corpore fehlt, ist die Übereignung als solche unwirksam, sodass der Eigentumsübergang scheitert. Das Wort traditio bezeichnet dann die Übereignung durch Übergabe. Um diese Deutungsmöglichkeit einschätzen zu können, ist ein Vorgriff auf ein weiteres Element des ersten Teils der Stelle erforderlich, den Dissens in causis: Julian konstatiert, trotz eines Dissenses in causis sei die traditio nicht inefficax. Die Wendung in causis bezieht sich auf die iusta causa traditionis.68 Im Zusammenhang mit dem Dissens in causis geht es also um die Übereignung. Das Wort traditio bezeichnet, genauer gesagt, die Übereignung durch Übergabe. Im Hinblick auf den Konsens in corpore muss dem Wort traditio die gleiche Bedeutung zukommen. Als Zwischenergebnis lässt sich festhalten, dass ein Konsens in corpore notwendig ist, damit die Eigentumsübertragung (traditio) gelingt. b) Die weitere, sich aufdrängende Frage, welche Funktion dem Konsens in corpore bei der Übereignung zukommt, kann unterschiedlich beantwortet werden: Zum einen könnte ein solcher Konsens notwendig sein, damit der Besitz – und als unmittelbare Folge davon auch das Eigentum – übergeht. Zum anderen bildet der Konsens in corpore eventuell ein eigenständiges Merkmal. Eine wirksame Übereignung würde dann nicht nur die Übergabe, eine causa traditionis und die Verfügungsbefugnis des Veräußerers erfordern, sondern eben auch einen Konsens in corpore. Das Julian-Fragment gibt auf diese Frage keine Antwort. Um eine Klärung zu erreichen, ist ein Umweg erforderlich, der zunächst zu Ulpian und dann zurück zu Julian führt.

6. Die Funktion des Konsenses in corpore (die Auffassung Ulpians) a) Aufschlussreich ist möglicherweise der folgende, von Ulpian behandelte Fall, in dem ein Konsens in corpore fehlt: 7 disp D. 41,2,34 pr. Si me in vacuam possessionem fundi Corneliani miseris, ego putarem me in fundum Sempronianum missum et in Cornelianum iero, non adquiram possessionem, nisi forte in nomine tantum erraverimus, in corpore consenserimus. quoniam autem in corpore consenserimus, an a te tamen recedet possessio, quia animo deponere et mutare nos possessionem posse et Klinck (2004), S.  28 mit weiteren Nachweisen Anm.  4; Wacke (2018), S.  357 ff. Dritter Abschnitt, 1. a).

67 Vgl. 68 

6. Die Funktion des Konsenses in corpore (die Auffassung Ulpians)

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Celsus et Marcellus scribunt, dubitari potest: et si animo adquiri possessio potest, numquid etiam adquisita est? sed non puto errantem adquirere: ergo nec amittet possessionem, qui quodammodo sub condicione recessit de possessione.69

Tu weist Ego in die vacua possessio des cornelianischen70 Grundstücks ein.71 Das Grundstück wurde also leergeräumt; eventuell bestehende Zugangshindernisse wurden aus dem Weg geschafft. Die Einweisung führt dazu, dass Ego Besitz erwerben kann; er muss das Grundstück nur noch tatsächlich in Beschlag nehmen.72 Im vorliegenden Fall liegt jedoch eine Besonderheit vor: Ego glaubt in das sempronianische Grundstück eingewiesen zu sein. Selbst wenn er zum cornelianischen Grundstück geht und es besetzt, erwirbt er keinen Besitz, falls nicht bloß ein error in nomine vorliegt.73 Scheitert der Erwerb, scheitert auch die Ohne die Ergänzung durch non ergibt der Satz keinen Sinn; vgl. Harke (2005a), S.  107 f. Übersetzung: „Wenn du mich in den Besitz des cornelianischen Grundstücks eingewiesen hast, ich aber glaube, in das sempronianische Grundstück eingewiesen zu sein, und auf das cornelianische Grundstück gehe, erlange ich den Besitz nur dann, wenn wir uns bloß über den Namen geirrt haben, über die Sache selbst aber einig gewesen sind. Ob du aber, wenn wir über die Sache [nicht] einig gewesen sind, den Besitz verlierst, weil Celsus und Marcellus sagen, wir können den Besitz durch den Willen aufgeben und verändern, darf bezweifelt werden. Und wenn der Besitz durch den Willen erworben werden kann, ist er hier auch erworben? Ich glaube aber nicht, dass der Irrende erwirbt; deshalb wird auch den Besitz nicht verlieren, wer daraus gewissermaßen unter einer Bedingung gewichen ist.“ 70  Grundstücke wurden dauerhaft nach ihrem ersten Eigentümer benannt; vgl. Steinwenter (1942), S.  11. Üblich war es, den Namen eines Landguts aus dem Gentilnamen des ersten Eigentümers und dem Suffix -anus zu bilden; vgl. Wolf (2007b), S.  33 Anm.  123. 71 Zum Folgenden vgl. MacCormack (1969), S.  136 ff.; Benöhr (1973), S.  11 ff.; Raap (1992), S.  50 ff.; Harke (2005a), S.  107 ff. Den folgenden Sachverhalt setzen Hausmaninger / Gamauf (2012a), S.  70 f. voraus: Tu will den fundus Sempronianus veräußern, Ego diesen erwerben. Tu schickt Ego irrtümlich auf den Cornelianus. Ego betritt den Cornelianus in der Meinung, es sei der Sempronianus; zu dieser Auffassung vgl. bereits Benöhr (1973), S.  12, der in Anm.  13 Nachweise dazu anführt. Gegen diese Deutung ist einzuwenden, dass Ulpian nichts von einem Irrtum des Tu sagt. Vergleichbar ist ein Fragment Ulpians: 5 Sab D. 30,4 pr. Es geht darin um zwei Grundstücke, das cornelianische und das sempronianische, in einem Legat wird das cornelianische Grundstück benannt. Liegt bloß ein Irrtum über die Bezeichung vor, ist das wirklich Gemeinte geschuldet; bei einem error in corpore wird nichts geschuldet. 72 Allgemein zu vacuam possessionem tradere: Seckel / Levy (1927), S.  226 ff.; Benöhr (1973), S.  11 Anm.  12. Kaser / Knütel / Lohsse (2017), S.  126 = Rn.  2 stellen fest, der Besitz werde solo animo erworben. Anders Kaser (1955), S.  331; ders. (1971), S.  391, wonach der Besitz erst erworben wird, wenn der Erwerber das Grundstück in Beschlag nimmt. Die Wendung et in Cornelianum iero spricht dafür, dass der Besitz übergeht, wenn der Erwerber das Grundstück besetzt. Geltend machen lässt sich zudem, dass man dadurch in geringerem Maß von dem üblichen Schema abweicht, wonach zur Besitzergreifung auch gehört, dass die Sache körperlich in Beschlag genommen wird. 73  Der Irrtum des potenziellen Erwerbers kommt vielleicht dadurch zustande, dass er beide Grundstücke schon einmal gesehen hat, und nun zwar das cornelianische Grundstück betritt, 69 

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Zweiter Abschnitt: Der erste Teil des Fragments

Aufgabe des Besitzes. Die Besitzlage insgesamt bleibt unverändert. Der Grund ist: Der bisherige Besitzer will seinen Besitz nur aufgeben, falls der potenzielle Erwerber ihn auch tatsächlich erwirbt. Die Aufgabe und der Erwerb des Besitzes sind durch eine Art Bedingungszusammenhang miteinander verknüpft.74 Die Frage, warum ein Konsens in corpore Ulpian zufolge erforderlich ist, lässt sich nun folgendermaßen beantworten: Ein Konsens ist notwendig, damit der Besitz übergeht. Die sich anschließende Frage, aus welchem Grund Ulpian einen Konsens in corpore verlangt, wird in der romanistischen Literatur unterschiedlich beantwortet. b) Die Auffassung wird vertreten, die Besitzübertragung bilde eine rechtliche Einheit, nämlich die praktische Umsetzung eines Konsenses, wonach der Besitz übergehen soll. Ein derartiger Konsens müsse sich auch auf das corpus beziehen.75 Stellen sich die Beteiligten verschiedene Sachen vor, gehe der Besitz nicht über. Zu beachten ist jedoch, dass die Besitzübertragung römischen Juristen zufolge aus zwei rechtlich voneinander unabhängigen Akten besteht, der Aufgabe und dem Erwerb des Besitzes.76 Wie verbreitet diese Auffassung unter den Juristen ist, mag hier dahingestellt bleiben. Ulpian folgt ihr jedenfalls: Am Ende des Fragments wird deutlich zwischen der Aufgabe und dem Erwerb des Besitzes unterschieden. Um zu verstehen, warum ein Konsens in corpore Ulpian zufolge erforderlich ist, soll die Besitzübertragung genauer betrachtet werden. Wie bereits erwähnt, besteht sie aus zwei Akten, der Aufgabe und dem Erwerb des Besitzes. Die Akte werden jeweils durch ein subjektives und ein objektives Element gekennzeichnet. Mit dem subjektiven Element sind die Vorstellung und der Wille gemeint, die sich auf eine bestimmte Sache beziehen (animus). Das objektive Element besteht in der faktischen Sachherrschaft, die durch ein physisches Näheverhältnis ermöglicht wird (corpus).77 Zur Besitzaufgabe gehört demnach zweierlei, erstens die Vorstellung von der zu übergebenden Sache, verbunden mit dem Willen, die dabei aber das Bild des (vielleicht ähnlichen, benachbarten) sempronianischen im Kopf hat und glaubt, dieses zu betreten. 74  Der Begriff der Bedingung passt nicht ohne Weiteres auf den animus, der ein tatsächliches Verhältnis, nicht ein Recht bezeichnet. Deshalb sagt Ulpian: quodammodo. Es handelt sich „gewissermaßen“ um eine Bedingung; vgl. Raap (1992), S.  503 mit weiteren Nachweisen. 75  Zur Ansicht, Ulpian begründe das Scheitern der Besitzübertragung mit dem Fehlen einer Willenseinigung, vgl. Raap (1992), S.  501 Anm.  2 mit weiteren Nachweisen. 76 Vgl. Wieacker (1962), S.  15 f.; Raap (1992), S.  101 f. 77  Die häufig gebrauchte Formel, der Besitz werde corpore et animo erworben, stammt von Paulus (54 ed D. 41,2,3,1). Die heute verbreitete Feststellung, nach den klassischen Juristen gehe der Besitz corpore et animo über, geht auf Savigny zurück; vgl. Klinck (2004), S.  51 mit weiteren Nachweisen Anm.  13 f.; Baldus (2016), S.  545 f. Zur Frage, ob die von Paulus ge-

6. Die Funktion des Konsenses in corpore (die Auffassung Ulpians)

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Sachherrschaft aufzugeben, und zweitens die tatsächliche Aufgabe der Sachherrschaft. Entsprechendes gilt für den Besitzerwerb. Entscheidend ist, dass sich animus und corpus auf die gleiche Sache beziehen. Falls sich animus und corpus nicht decken, liegt ein error in corpore vor, das heißt ein Irrtum über die Identität der Sache.78 Im Folgenden wird untersucht, warum Ulpian zufolge ein Konsens in corpore erforderlich ist, damit der Besitz übergeht. Der Jurist spricht sowohl vom Irrtum als auch vom Konsens in corpore. Wie verhalten sich beide Ausdrücke zueinander? Es heißt: nisi forte in nomine tantum erraverimus, in corpore consenserimus. Ulpian bezeichnet damit einen Gegensatz zwischen einem Irrtum und einem Konsens über das Grundstück selbst. Ein Irrtum in corpore führt dazu, dass ein Konsens in corpore fehlt. Aufschlussreich ist auch der Satz: sed non puto errantem adquirere. Der Irrende ist der potenzielle Erwerber, der einem Irrtum über das Grundstück unterliegt. Im gleichen Fragment heißt es weiter oben (im zweiten Satz): quoniam autem in corpore consenserimus. Auch hier zeigt sich: Ein error in corpore schließt den Konsens in corpore aus. Die Frage, warum Ulpian einen Konsens in corpore für erforderlich hält, lässt sich nun – im Hinblick auf den von Ulpian behandelten Fall des Besitzerwerbs – folgendermaßen beantworten: Der Erwerber muss genau die Sache in Besitz nehmen wollen (animus), die er tatsächlich ergreift oder auf andere Weise in Beschlag nimmt (corpus). Diese Voraussetzung ist in dem hier entschiedenen Fall nicht erfüllt: Der potenzielle Empfänger nimmt das Grundstück zwar praktisch in Beschlag (corpus), stellt sich dabei aber ein anderes Grundstück vor (animus). Da sich corpus und animus nicht decken, unterliegt der potenzielle Erwerber einem Irrtum über die Identität des Grundstücks (error in corpore), sodass ein Konsens in corpore nicht zustande kommt79 und der Besitzerwerb scheitert. c) Ulpian setzt voraus, dass Aufgabe und Erwerb des Besitzes durch eine Art Bedingungszusammenhang miteinander verknüpft sind: Wenn der Besitz nicht erworben wird, geht der Besitz auf seiten des bisherigen Besitzers nicht verloren. Die dabei zugrunde gelegte Konstruktion ist freilich umstritten, wie sich dem folgenden Celsus-Text entnehmen lässt:

brauchte Formel corpore et animo die allgemeine klassische Rechtsauffassung beschreibt, vgl. Domisch (2015), S.  154 Anm.  645 mit weiteren Nachweisen; Ferretti (2019). 78  Das Wort corpus wird im vorliegenden Zusammenhang in zweifacher Bedeutung verwendet: um die Sachherrschaft als das objektive Merkmal des Besitzes zu benennen, und – im Begriff des error in corpore – um die Sache als solche, ihre Identität zu bezeichnen. 79  Benöhr (1973), S.  15 ist ebenfalls der Auffassung, Ulpian begründe die Entscheidung mit einem error in corpore aufseiten des Empfängers; weitere Nachweise ebd., S.  15 Anm.  30. Die gleiche Auffassung vertritt auch Raap (1992), S.  503 mit weiteren Nachweisen Anm.  13.

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Zweiter Abschnitt: Der erste Teil des Fragments

23 dig D. 41,2,18,1 Si furioso, quem suae mentis esse existimas, eo quod forte in conspectu inumbratae quietis fuit constitutus, rem tradideris, licet ille non erit adeptus possessionem, tu possidere desinis: sufficit quippe dimittere possessionem, etiamsi non transferas. illud enim ridiculum est dicere, quod non aliter vult quis dimittere, quam si transferat: immo vult dimittere, quia existimat se trans­ ferre.80

Celsus behandelt den Fall eines unerkannt Geisteskranken: Eine Sache soll ihm übergeben werden. Der Jurist entscheidet, dass der bisherige Besitzer zwar den Besitz verliert, der Empfänger aber nicht Besitz erlangt. Als geradezu lächerlich lehnt er die Auffassung ab, auch die Besitzaufgabe scheitere, weil der Besitzer den Besitz nur aufgeben wolle, falls der Empfänger Besitz erlange. Celsus argumentiert: Da der bisherige Besitzer glaube, dass der Besitz übergehe, wolle er den Besitz auch aufgeben.81 Celsus wendet sich ausdrücklich gegen die Ansicht, der bisherige Besitzer wolle den Besitz nur unter der Voraussetzung verlieren, dass der Empfänger der Sache Besitz erwirbt. Celsus scheint damit eine seinerzeit tatsächlich vertretene Position anzusprechen. Andernfalls wäre schwer verständlich, warum er auf diese Position überhaupt eingeht. Hinzu kommt, dass er sich polemisch äußert und die von ihm abgelehnte Auffassung geradezu als lächerlich (ridiculum) hinstellt.82 Auch das von Celsus gebrauchte Wort dicere (in der Wendung ridiculum est dicere) weist darauf hin, dass er sich gegen eine von anderen Juristen bereits formulierte Position wendet. d) Die Auslegung des Ulpian-Textes hat zu den folgenden Ergebnissen geführt: – Wenn sich animus und corpus nicht auf die gleiche Sache beziehen, liegt ein Irrtum in corpore vor, das heißt ein Irrtum über die Identität der Sache.83

80  „Wenn

du einem Wahnsinnigen, den du für verstandesmächtig hältst, etwa deswegen, weil er das äußere Bild ungetrübter Seelenruhe bot, eine Sache übergeben hast, so hörst du auf, zu besitzen, wenngleich jener den Besitz nicht erlangt hat. Denn es genügt, den Besitz aufzulassen, auch wenn du ihn nicht überträgst. Es wäre lächerlich, zu sagen, dass man den Besitz nur dann auflassen wolle, wenn man ihn überträgt. Im Gegenteil: Er will ihn auflassen, weil er ihn zu übertragen glaubt.“ 81  Zur Celsus-Stelle vgl. Wieacker (1962), S.  15 f.; Harke (1999), S.  77 f.; ders. (2005a), S.  109 f.; ders. (2012b), S.  55. 82  Die später von Ulpian vertretene Gegenposition findet sich dann auch bei Papinian (26 quaest D. 43,16,18 pr.). 83  In dem von Ulpian entschiedenen Fall D. 41,2,34 pr. bezieht sich der Irrtum auf ein Grundstück. Denkbar ist auch ein Irrtum, der eine bewegliche Sache betrifft; dann liegt ein Fehlgriff vor. Savigny, Thibaut und Glück waren im Hinblick auf D. 41,1,35 der Meinung, der darin entschiedene Fall setze einen solchen error in corpore voraus; diese Meinung wird jedoch

7. Die Funktion des Konsenses in corpore (die Auffassung Julians)

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– Falls sich der Erwerber über die Identität der Sache irrt, fehlt ein Konsens in corpore. – Ein solcher Konsens ist erforderlich, damit der Besitz übergeht. – Anders als Celsus ist Ulpian der Ansicht, dass die Aufgabe des Besitzes unwirksam ist, falls der Besitzerwerb scheitert. Die Schlussfolgerung aus alledem lautet: Wenn ein Konsens in corpore vorliegt und der Besitz übertragen wird, geht auch das Eigentum über, sofern die weiteren Voraussetzungen für eine Eigentumsübertragung vorliegen, nämlich die Verfügungsbefugnis des Veräußerers und eine iusta causa traditionis.

7. Die Funktion des Konsenses in corpore (die Auffassung Julians) a) Nach diesem Umweg über Ulpian wird im Folgenden wieder das Julian-Fragment D. 41,1,36 untersucht: Wenn Julian konstatiert, bei einem Konsens in corpore werde das Eigentum übertragen, dürfte das Gleiche gelten wie bei Ulpian: Ein Konsens ist notwendig, damit der Besitz und in der Folge davon auch das Eigentum übergehen können. b) Was die weitere Frage betrifft, unter welchen Voraussetzungen Julian zufolge ein Konsens in corpore fehlt, so teilt Ulpian mit, Julian habe konstatiert: cum non consentiant qui errent (2 omn trib D. 2,1,15).84 Liegt ein Irrtum vor, fehlt auch ein Konsens. Die zitierte Äußerung stammt zwar aus einem anderen sachlichen Zusammenhang und kann möglicherweise nicht verallgemeinert werden.85 Aber auch für das hier untersuchte Julian-Fragment wird gelten, dass der Irrtum eines Beteiligten über die Sache selbst den Konsens in corpore und damit den Besitzübergang ausschließt. Fragt man weiter, wie es nach Julian zu einem error und damit zum Fehlen eines Konsenses in corpore kommt, so lassen sich drei Fälle unterscheiden. Der erste Fall ist der gleiche wie bei Ulpian (D. 41,2,34 pr.): Der potenzielle Erwerber unterliegt einem error in corpore. Der Besitzerwerb kommt nicht zustande.86 Unklar ist, ob Julian, ebenso wie Ulpian, eine Art Bedingungszusammenhang zwischen der Aufgabe und dem Erwerb des Besitzes voraussetzt. Wäre dies der seit Langem allgemein abgelehnt; vgl. Zeller (1899), S.  17 f.; Wacke (2018), S.  373 Anm.  54. Zu D. 41,1,35: Zehnter Abschnitt, 1. a). 84  „weil diejenigen, die sich irren, nicht einig sind.“ Ähnlich Julian bei Ulp 3 ed D. 5,1,2 pr. 85 Vgl. Wacke (1994), S.  285; vgl. auch Harke (2005a), S.  157 f. 86  Zweiter Abschnitt, 6. a) und b).

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Zweiter Abschnitt: Der erste Teil des Fragments

Fall, würde der bisherige Besitzer den Besitz behalten. Julian behandelt die bedingte Besitzübertragung im 44. Buch seiner Digesten: D. 41,2,38,1 Si quis possessionem fundi ita tradiderit, ut ita demum cedere ea dicat, si ipsius fundus esset, non videtur possessio tradita, si fundus alienus sit. hoc amplius existimandum est possessiones sub condicione tradi posse, sicut res sub condicione traduntur neque aliter accipientis fiunt, quam condicio exstiterit.87

Ein Grundstück wird unter der ausdrücklichen Bedingung übergeben, dass der Tradent Eigentümer ist. Sollte dies nicht der Fall sein, scheitert die Besitzübertragung. Darüber hinaus kann jede Übergabe mit einer Bedingung verbunden werden. Da Julian im ersten Fall von einer ausdrücklichen Bedingung spricht, dürfte dies auch für den zweiten Fall gelten. Der Jurist stellt also fest, prinzipiell könne eine Besitzübertragung an eine ausdrückliche Bedingung geknüpft werden. Die hier interessierende Frage, ob Julian in jedem Fall einer Übergabe eine stillschweigende Bedingung voraussetzt, wonach der Besitz nur aufgegeben wird, falls der Empfänger der Sache Besitz erwirbt, ist damit freilich noch nicht beantwortet.88 Unklar ist deshalb auch, welche Folge gemäß Julian eintritt, falls der potenzielle Erwerber einem error in corpore unterliegt – ob die Besitzlage unverändert bleibt oder ob die Sache besitzerlos wird. Im zweiten Fall eines error in corpore ist es der bisherige Besitzer, der sich über die Identität der Sache irrt. Die Aufgabe des Besitzes an der eigentlich gemeinten Sache scheitert; der bisherige Besitzer behält den Besitz. Er bleibt aber auch Besitzer der faktisch übergebenen Sache, da sein animus auf eine andere Sache gerichtet ist als das corpus. Der dritte Fall: Die beiden Beteiligten unterliegen einem gemeinsamen Irrtum über die Identität der Sache. Ein Konsens kommt nicht zustande.89 Die Besitzaufgabe scheitert; der bisherige Besitzer behält den Besitz. 87  „Wenn jemand den Besitz eines Landgutes übergeben hat, und zwar so, dass er sagt, er wolle nur dann daraus weichen, wenn ihm das Landgut gehöre, so scheint der Besitz nicht übergeben zu sein, falls das Landgut einem anderen gehört. Hiernach ist umso mehr anzunehmen, dass der Besitz unter einer Bedingung übergeben werden kann, gleichwie Sachen unter einer Bedingung übergeben und nicht anders dem Empfänger zueigen werden, als wenn die Bedingung eingetreten ist.“ 88  Vielleicht ist der Gegenschluss erlaubt: Ein Bedingungszusammenhang besteht nur, falls eine ausdrückliche Bedingung vorliegt. 89  Sollten sich der bisherige Besitzer und der potenzielle Erwerber irrtümlich die gleiche Sache vorstellen, wäre zu fragen, wie es sein kann, dass trotz tatsächlicher Übereinstimmung ein Konsens fehlt. Schanbacher (2011), S.  532 f. vertritt (in Bezug auf den Kaufvertrag) die Auffassung, „dass der Konsens der Beteiligten einen zutreffenden äußeren Bezug auf die Wirk-

8. Zu quod traditur

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c) Im Hinblick auf das Julian-Fragment lassen sich die folgenden Resultate festhalten: – Die Aufgabe und der Erwerb des Besitzes gelingen jeweils nur, wenn die Beteiligten nicht einem error in corpore unterliegen. – Handeln die Beteiligten frei von einem error, besteht ein Konsens in corpore. – Ein solcher Konsens ist notwendig, um den Besitz zu übertragen. – Unklar ist, ob auch Julian der später von Ulpian vertretenen Auffassung ist, wonach zwischen der Aufgabe und dem Erwerb des Besitzes eine Art Bedingungszusammenhang besteht. – Geht der Besitz über, wird auch das Eigentum übertragen (sofern die weiteren Voraussetzungen für die Übereignung vorliegen: Verfügungsbefugnis des Veräußerers und iusta causa traditionis). d) Was folgt aus alledem für die von Laborenz vertretene Auffassung, wonach sich Julian auf die dingliche Einigung bezieht?90 Unproblematisch ist zunächst, dass der Konsens in corpore eine Übereinstimmung hinsichtlich der Sache selbst bezeichnet; dies setzt auch Laborenz voraus.91 Der Konsens in corpore betrifft jedoch, anders als Laborenz annimmt, nicht unmittelbar die Übereignung, sondern die Besitzübertragung. Zu klären bleibt, welche Bedeutung quod traditur zukommt.

8. Zu quod traditur a) In Auseinandersetzung mit der von Laborenz vertretenen Position wurde bereits gezeigt, dass sich die Wendung quod traditur nicht auf die Übereignung bezieht.92 Es muss also wohl die Besitzverschaffung gemeint sein. Im Folgenden wird dies näher begründet. Im römischen Recht besteht ein enger Zusammenhang zwischen den Worten corpus einerseits und possessio bzw. traditio (im Sinne der Besitzübertragung) andererseits. Besitz93 ist körperliche Herrschaft über einen körperlichen Gegenlichkeit erfordert (wirklichkeitsabhängiger Konsensbegriff)“. Schermaier (2014b), S.  155 ff. ist ebenfalls der Ansicht, der gemeinsame Irrtum verhindere einen Konsens: „Auch wenn beide Parteien gleicherweise irren, treffen sie sich nicht an dem Punkt, an dem sie zusammenkommen wollen.“ Ebd., S.  156. Nach Kaser / Knütel / Lohsse (2017), S.  68 = Rn.  22 kann ein Wille mit einer derartigen Fehlvorstellung verbunden sein, dass ein Konsens nicht zustande kommt. Diese Feststellungen lassen sich möglicherweise auf den Konsens in corpore bei der traditio übertragen. 90  Zweiter Abschnitt, 3. a). 91 Vgl. Laborenz (2014), S.  51. 92  Zweiter Abschnitt, 3. b). 93  Die Gleichstellung der Begriffe „possessio“ und „Besitz“ ist ungenau, weil das römische

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Zweiter Abschnitt: Der erste Teil des Fragments

stand; corpore possidere lautet eine vielfach gebrauchte Wendung.94 Das objektive Element des Besitzes, nämlich die tatsächliche Innehabung der Sache, wird auch corporalis possessio genannt.95 Überhaupt werden corpus / corporalis und possessio häufig zusammen verwendet.96 So heißt es bei Paulus: Paul 54 ed D. 41,2,3 pr. Possideri autem possunt, quae sunt corporalia.97

In ähnlicher Weise betont Gaius (Inst 2,18–19) den Zusammenhang von corpus /  corporalis und possessio / traditio: 18. Magna autem differentia est inter mancipi res et nec mancipi. 19. Nam res nec mancipi ipsa traditione pleno iure alterius fiunt, si modo corporales sunt et ob id recipiunt traditionem.98

Gaius setzt voraus, dass zwischen corpus / corporalis und traditio (Besitzübertragung) ein enger Zusammenhang besteht: Der Besitz bezieht sich auf körperliche Gegenstände. Aus der engen Verbindung zwischen corpus und possessio bzw. traditio ist zu schließen, dass ein solcher Zusammenhang auch im Julian-Fragment vorliegt. Die Wendung in corpus (…) quod traditur muss sich auf die Übertragung des

Recht, wie Baldus (2016), S.  538 betont, keinen einheitlichen Besitzbegriff kennt. Es lassen sich vielmehr drei Grundfunktionen ausmachen, die in unterschiedlichen prozessualen Situationen von Bedeutung sind, nämlich der Interdiktenbesitz, die zur Ersitzung erforderliche possessio und die rechtliche Stellung des beklagten Besitzers im Vindikationsprozess; vgl. auch Baldus (2006), S.  772. 94 Vgl. Baldus (2011), S.  13; vgl. auch die Nachweise bei Lambrini (2015), S.  578 Anm.  67. 95 Vgl. Domisch (2015), S.  156. Nachweise aus den Quellen bei Riccobono (1910), S.  325 Anm.  1. 96 Vgl. Baldus (2011), S.  13 ff. Danach „erscheint corpus / corporalis als Systembegriff, der die Anwendung namentlich besitzrechtlicher Regeln steuert“ (S.  16). Die enge Verbindung zwischen corpus und possessio wird auch daran deutlich, dass Gaius (Gai Inst 2,12) die res corporales als Gegenstände definiert, quae tangi possunt; und die Besitzergreifung, jedenfalls in den elementaren Formen, ebenfalls durch Berühren, Anfassen erfolgt; vgl. z. B. Cels 23 dig D. 41,2,18,2: quamquam id nemo dum attigerit. Zum Zusammenhang von Besitzergreifung und Berührung vgl. Empell (2013), S.  135 Anm.  138 mit weiteren Nachweisen. 97  „Besessen werden kann aber, was körperlich ist.“ Die Übersetzung beruht auf der von Manthe (2010) publizierten Übersetzung (S.  118). Dies gilt auch für alle im Folgenden wiedergegebenen Übersetzungen aus den gaianischen Institutionen. Die Ausgabe der Übersetzung von 2015 ist ein unveränderter Nachdruck der hier benutzten Auflage von 2010. 98  „18. Zwischen res mancipi und res nec mancipi besteht aber ein großer Unterschied. 19. Denn die res nec mancipi gehen allein durch Besitzübertragung in das unbeschränkte Eigentum eines anderen über, sofern sie nur körperlich sind und deshalb ihr Besitz überhaupt übertragen werden kann.“

9. Ist ein Konsens in corpore bei Gattungssachen notwendig?

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Besitzes beziehen. In den deutschen Übersetzungen des Textes heißt es denn auch durchgehend „übergeben wird“, nicht „übereignet wird“.99 b) Die Resultate der Überlegungen zum Konsens in corpore, zu quod traditur und zur traditio lassen sich nun folgendermaßen zusammenfassen: Der Konsens in corpore bezeichnet die Übereinstimmung im Hinblick auf die Identität der Sache. Eine solcher Konsens ist notwendig, damit der Besitz übergeht. Die Wendung quod traditur betrifft ebenfalls die Besitzverschaffung. Fehlt ein Konsens in corpore, kommt ein Besitzübergang nicht zustande, sodass auch die Übereignung (traditio) scheitert. Die Schwierigkeiten im Verständnis der Wendung quod traditur und des Wortes traditio haben zwei Gründe: Zum einen wird praktisch das gleiche Wort (traditur, traditio) im Rahmen des gleichen Satzes in unterschiedlicher Bedeutung verwendet. Zum anderen sind der Konsens in corpore und der Dissens in causis auf verschiedenen juristischen Ebenen angesiedelt. Fehlt ein Konsens in corpore, kommt der Besitzübergang nicht zustande; als direkte Folge davon scheitert die Übereignung. Der Konsens in corpore bezieht sich also unmittelbar auf die Besitzübertragung, mittelbar auf die Übereignung. Der Dissens in causis betrifft dagegen direkt den Eigentumsübergang.

9. Ist ein Konsens in corpore bei Gattungssachen notwendig? a) Im römischen Recht wird danach unterschieden, ob sich das der Übereignung zugrunde liegende Rechtsgeschäft oder der (sonstige) Verpflichtungsgrund100 auf die Leistung einer bestimmten Sache (species,101 Speziessache) bezieht oder auf Sachen einer bestimmten Gattung (genus), die nach Zahl, Maß oder Gewicht festgelegt sind – ea quae pondere numero mensura continentur (Gattungssachen).102 Bei Gattungssachen ist die Identität der einzelnen Stücke für das der 99 Vgl. Liebs (2004), S.  167; Meissel (2008), S.  65; Harke (2016), S.  242 = Rn.  18. Auch bei Otto / Schilling / Sintenis 4 (1832), S.  264 ist vom „Gegenstand der Uebergabe“ die Rede. 100  Die Übergabe kann auf einem Vertrag, einem einseitigen Rechtsgeschäft oder auf einer gesetzlichen Pflicht beruhen. Im Folgenden wird der Einfachheit halber nur von einem Rechtsgeschäft gesprochen. 101 Vgl. Heumann / Seckel (1914), S.  549 s.v. species 4): „einzelne (individuell bestimmte) Sache, einzelnes Stück eines genus.“ 102  Ulp 19 Sab D. 30,30 pr. („das, was nach Gewicht, Zahl und Maß bestimmt wird“); vgl. Kaser / Knütel / Lohsse (2017), S.  119 = Rn.  12; weitere Quellenbelege bei Rüfner (2000), S.  25. Betont werden sollte, dass die Kennzeichnung als Gattungs- oder Speziessache nicht die Sache als solche betrifft, sondern vom Inhalt der Pflicht abhängig ist, die sich auf die Sache bezieht. Die Unterscheidung sollte auch nicht mit der Unterscheidung zwischen vertretbaren und nicht vertretbaren Sachen verwechselt werden. Bei diesen Begriffen ist entscheidend, ob die Sachen

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Zweiter Abschnitt: Der erste Teil des Fragments

Übergabe zugrunde liegende Rechtsgeschäft ohne Bedeutung. Julian behandelt zwar nicht ein solches Rechtsgeschäft, sondern die Übergabe. Gleichwohl ist die Frage nicht von der Hand zu weisen, ob ein Konsens in corpore auch bei der Übergabe von Gattungssachen verlangt wird, damit Besitz und Eigentum übertragen werden. Nach dem geltenden deutschen Zivilrecht sind Besitz, Eigentum und andere dingliche Rechte nur an einzelnen, objektiv bestimmten Sachen (nicht etwa an Sachgesamtheiten) möglich (Spezialitätsprinzip).103 Der Spezialitätsgrundsatz wird von den römischen Juristen zwar nicht ausdrücklich formuliert, liegt ihren Entscheidungen und sonstigen Darlegungen aber stillschweigend zugrunde. Gaius stellt zum Beispiel im Hinblick auf res nec mancipi fest, wenn der Besitz eines Kleidungsstücks übertragen werde, aufgrund eines Verkaufs oder aus irgendeinem anderen Grund, gehe die Sache sofort in das Eigentum des Empfängers über: statim tua fit ea res (Inst 2,20).104 Gaius setzt voraus, dass sich Besitz und Eigentum jeweils auf eine einzelne, bestimmte Sache (ea res) beziehen. Deutlicher noch als bei Gaius wird der Spezialitätsgrundsatz im pseudoulpianischen liber singularis regularum zum Ausdruck gebracht, wo es (19,2) heißt: singularum rerum dominia.105 Auch im römischen Recht ist somit der Spezialitätsgrundsatz maßgeblich.106 Damit ist allerdings nur gesagt, dass sich Besitz und Eigentum auf eine objektiv bestimmte Sache beziehen müssen. Die im Verkehr üblicherweise der Gattung nach bestimmt werden, während die Unterscheidung zwischen species und Gattungssache von der darauf bezogenen Pflicht abhängt. In der Regel sind vertretbare Sachen zwar Gegenstand einer Pflicht, die sich auf Sachen einer bestimmten Gattung bezieht, während nicht vertretbare Sachen Objekte von Pflichten sind, die ganz bestimmte Sachen betreffen; notwendig ist dieser Zusammenhang aber nicht. Zu beachten ist noch, dass die Begriffe der Gattungssache und der vertretbaren Sache modern sind; vgl. Rüfner (2000), S.  32 ff., 70: Die römischen Juristen (wie Ulpian, D. 30,30 pr.) sagen: ea quae pondere numero mensura continentur (oder ähnlich) und verwenden diesen Ausdruck manchmal im objektiven Sinne (vertretbare Sache), manchmal subjektiv (Gattungssache). 103 Die übergebene Sache muss objektiv bestimmt sein, sodass „(…) jeder, der die Beziehungen der Beteiligten kennt, (…) feststellen kann, welche individuellen Sachen übereignet“ werden sollen; Westermann (2011), S.  309. 104  „so geht die Sache sofort in dein Eigentum über.“ 105  „Das Eigentum an einzelnen Gegenständen“; vgl. Avenarius (2005b), S.  38. Der Text, als dessen Autor zunächst Ulpian angesehen wurde, stammt nicht von Ulpian, bildet jedoch „ein wichtiges Dokument der spezifisch klassischen Tradition des römischen Rechts“. Ebd., S.  8. Folgt man Avenarius (2005a), S.  76 ff., so wurde er zu Beginn der Regierungszeit des Kaisers Commodus, also 180 n.Chr., oder wenig später niedergeschrieben. Diese Datierung ist freilich umstritten; vgl. Sirks (2008), S.  325 Anm.  3. Kaiser (2010), S.  590 kommt zu dem Ergebnis, der liber singularis regularum sei nicht vor der Alleinregierung des Commodus entstanden; es handele sich auch nicht um ein nachklassisches Werk, sodass als terminus post quem non die Mitte des dritten Jahrhunderts in Betracht komme. 106  Zu Ausnahmen von diesem Grundsatz vgl. Baldus (1994), S.  64 f., 68.

9. Ist ein Konsens in corpore bei Gattungssachen notwendig?

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hier entscheidende Frage, ob bei jeder traditio ein Konsens über die Identität der Stücke verlangt wird, ist noch nicht beantwortet. Um eine Antwort zu finden, ist es zweckmäßig, in zwei Schritten vorzugehen. Zunächst wird gefragt, ob ein Konsens in corpore bei der Übergabe von Gattungssachen überhaupt fehlen kann. Sollte dies der Fall sein, wird geprüft, welche rechtliche Bedeutung einem Dissens zukommt. b) Wenn eine Pflicht zur Lieferung von Gattungssachen (etwa durch Stipulation) begründet wird, dürfte der Schuldner die Stücke meistens noch nicht ausgesondert haben. Der Gläubiger macht sich in der Regel kein Bild von den versprochenen, einzelnen Stücken. Werden die Sachen später übergeben, kann ein Konsens oder Dissens in corporibus nicht auftreten. Es ließe sich zwar einwenden, ein Konsens liege sehr wohl vor, nämlich im Hinblick auf die gerade ausgehändigten Sachen. Zu entgegnen wäre aber: Der Erwerber macht sich kein Bild von den Stücken in ihrer jeweiligen „Individualität“. In aller Regel nimmt er die Sachen nur als Stücke der von ihm gewünschten Gattung wahr. Vielleicht sind die Stücke in einem Behältnis verpackt und nicht alle sichtbar, sodass der Empfänger noch nicht einmal ihre Zahl kennt. So kann ein Konsens in corporibus nicht entstehen. Hinzu kommt Folgendes: Sollte unter dem Konsens in corporibus die Übereinstimmung im Hinblick auf die gerade übergebenen Sachen zu verstehen sein, könnte ein Dissens niemals auftreten; der Konsens in corporibus hätte keine Bedeutung. In Ausnahmefällen mag der Erwerber die übergebenen Stücke einzeln mustern und damit in ihrer Identität erfassen. Dann besteht die Möglichkeit eines Dissenses. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn jemand sich die Übergabe von Stücken einer bestimmten Sorte und in einer festgelegten Anzahl hat versprechen lassen. Er sieht, wie der Lieferant die Stücke aussondert und zurücklegt, und macht sich ein, wenn auch vielleicht nur ungenaues Bild von den einzelnen Stücken. Bevor er die Stücke abholt, tauscht der Lieferant die bereitgestellten Stücke gegen eine gleiche Zahl von Stücken der gleichen Sorte (oder gegen Stücke gleichen Gewichts) aus. Der Erwerber nimmt diese Stücke in dem Glauben entgegen, es handele sich um die gleichen, die er früher gesehen hat. Damit unterliegt er einem Irrtum über die Identität der Stücke; ein Dissens in corporibus besteht. c) Nun zum zweiten Schritt der Überlegungen, der Frage also, ob die Besitzübertragung im Falle eines Dissenses scheitert: Nach dem der Übergabe zugrunde liegenden Rechtsgeschäft kommt es den Beteiligten allein darauf an, dass die Sachen der vereinbarten Gattung entsprechen und in der versprochenen Menge vorliegen. Durch Aussonderung von einzelnen Stücken einer bestimmten Gattung (Konkretisierung, Konzentration) wandelt sich die Gattungsschuld nicht in eine Speziesschuld. Nach römischrechtlicher Vorstellung behält die Gattungs-

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Zweiter Abschnitt: Der erste Teil des Fragments

schuld ihren Charakter vielmehr bis zur Erfüllung.107 Werden Gattungssachen übergeben, hat also ein Konsens darüber zu bestehen, dass die ausgehändigten Sachen der jeweils bestimmten Gattung angehören und in der festgelegten Menge vorliegen. Auch muss der Spezialitätsgrundsatz gewahrt sein: Die Übergabe hat sich auf objektiv eindeutig bestimmte Sachen zu beziehen. Diese Voraussetzung ist auch erfüllt, wenn ein Konsens über die Identität der einzelnen Stücke fehlt. Denn die Besitzverschaffung bezieht sich objektiv unzweideutig auf die Sachen, die gerade ausgehändigt oder sonstwie übergeben werden. Konsens und Dissens in corporibus sind rechtlich ohne Bedeutung.108 Die Schlussfolgerung lautet: Wenn Julian einen Konsens in corpore verlangt, bezieht er sich allein auf die Übergabe einer species. d) Dieses Resultat wird dadurch bestätigt, dass die klassischen Juristen die Worte corpus und species häufig synonym verwenden.109 In dem bereits erwähnten Fall des cornelianischen Grundstücks (D. 41,2,34 pr.) spricht Ulpian zweimal von einem Konsens in corpore: (…) in corpore consenserimus. quoniam autem in corpore [non] consenserimus.110 Das Wort corpus bezeichnet hier ein Grundstück und damit eine Speziessache. Das Wort corpus im Sinne einer species ist vor allem auch im Hinblick auf den Kaufvertrag nachweisbar. Eine Paulus-Stelle aus dem 33. Buch des Kommentars zum Edikt, die bereits untersucht wurde,111 lautet in dem hier relevanten Teil: D. 19,1,21,2 Quamvis supra diximus, cum in corpore consentiamus, de qualitate autem dissentiamus, emptionem esse, tamen venditor teneri debet (…).112

Ernst (1997b), S.  52 f. Was das geltende deutsche Zivilrecht angeht, so stellt Grigoleit (1999), S.  394 fest, das Verfügungsgeschäft, z. B. die Übereignung nach §  929 Satz  1 BGB, könne nach §  119 Abs.  1 BGB angefochten werden, „wenn irrtümlich eine andere als die im Verpflichtungsgeschäft korrekt bezeichnete Sache oder eine andere als die vereinbarte Menge übereignet wird.“ Grigoleit scheint danach zu unterscheiden, ob sich das der Übereignung zugrunde liegende Rechtsgeschäft auf Spezies- oder auf Gattungssachen bezieht. Während im ersten Fall genau die vertraglich vereinbarte Sache übereignet werden muss, kommt es im zweiten Fall nur auf die vereinbarte Menge an. Ein Konsens in corpore ist demnach nur bei Übereignung von Speziessachen erforderlich; fehlt ein solcher Konsens, ist die Verfügung anfechtbar. 109 Vgl. Vocabularium Iurisprudentiae Romanae 1 (1903), Sp.  1036, s.v. corpus III; vgl. auch Pfeil (1998), S.  19. 110 Vgl. Harke (2005a), S.  107 f.: Der quoniam-Halbsatz wird häufig als interpoliert verdächtigt; Nachweise bei Harke (2005a), S.  108 Anm.  99. 111  Zweiter Abschnitt, 4. d). 112 „Obwohl wir oben gesagt haben, dass, wenn wir im Hinblick auf den Gegenstand übereinstimmen, in Bezug auf die Beschaffenheit aber verschiedener Auffassung sind, ein Kauf 107 Vgl. 108 

9. Ist ein Konsens in corpore bei Gattungssachen notwendig?

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Ein weiterer, einschlägiger Paulus-Text entstammt dem 5. Buch des SabinusKommentars: D. 18,1,15 pr. Et si consensum fuerit in corpus, id tamen in rerum natura ante venditionem esse desierit, nulla emptio est.113

Da der Gattungskauf im römischen Recht mithilfe der emptio venditio nicht zu bewerkstelligen ist,114 muss das Wort corpus eine species bezeichnen.115 Erwähnt wurde bereits die Ähnlichkeit zwischen dem zuerst zitierten Fragment D. 19,1,21,2: Cum in corpore consentiamus, de qualitate autem dissentiamus und Teil 1 der hier untersuchten Julian-Stelle: Cum in corpus quidem quod traditur consentiamus, in causis vero dissentiamus.116 Diese Ähnlichkeit spricht dafür, dass Paulus das Wort corpus in der gleichen Bedeutung verwendet wie Julian, dieser sich also ebenfalls auf eine species bezieht.117 Im gleichen Sinne wird das Wort corpus auch von Ulpian gebraucht, der ebenfalls den Konsens in corpore beim Kauf behandelt (28 Sab D. 18,1,9,2).118 Dabei unterscheidet er zwischen consensus in corpore und consensus in substantia bzw. in materia. Das Wort corpus bezeichnet den Kaufgegenstand als solchen, und das heißt wiederum eine species. Schließlich verwendet Ulpian das Wort corpus auch im Hinblick auf Damnationslegate, in denen festgelegt ist, dass Vermögensgegenstände in drei Jahresraten übereignet werden sollen (Ulp 19 Sab D. 30,30 pr.). Der Jurist stellt fest, ein solches Legat könne nur ea quae pondere numero mensura continentur betreffen, nicht corpora.119 Mit diesem Wort werden hier allein Speziessachen zustande kommt, so muss der Verkäufer dennoch auf das Interesse haften (…).“ Zu älteren Interpolationsvermutungen vgl. Schermaier (1998b), S.  249 ff; Harke (2005a), S.  82 f. 113  „Wenn auch über den Gegenstand Einigkeit bestanden hat, dieser jedoch vor Vertragsschluss untergegangen ist, ist der Kauf nichtig.“ 114 Vgl. Kaser (1971), S.  548; Ernst (1997a), S.  276; Forschner (2014), S.  203 ff.; Kaser / Knütel / Lohsse (2017), S.  253 = Rn.  8. 115 Vgl. Schermaier (1992), S.  147 stellt zu D. 19,1,21,2 fest, corpus bezeichne hier den „ganzen Kaufgegenstand“. 116  Zweiter Abschnitt, 4. d). 117  In 9 Sab D. 45,1,22 sagt Paulus: in corpore consenserimus (im Hinblick auf eine Stipulation) und bezieht sich dabei auf eine species. 118  Zweiter Abschnitt, 4. c). 119 Vgl. Rüfner (2000), S.  62 ff. Ein weiteres Beispiel für den Gegensatz zwischen Gattungssachen und corpora findet sich bei Ulp 21 Sab D. 30,34,1,3–5; dazu Rüfner (2000), S.  64 f. Auch in Paul 14 resp D. 31,87 pr. und Pap 8 quaest D. 46,3,94,1 wird ein Gegensatz zwischen corpus und quantitas hergestellt; corpus bezeichnet hier eine individuell bestimmte Sache; vgl. Pfeil (1998), S.  19.

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Zweiter Abschnitt: Der erste Teil des Fragments

bezeichnet.120 Ulpian scheint sich auf einen bereits eingeführten, festen Sprachgebrauch zu beziehen. Auch dies zeigt, dass sich der von Julian verlangte Konsens in corpore auf die Übergabe einer species bezieht. Eine Bestätigung dieses Resultats ist schließlich darin zu sehen, dass sich Teil 2 der Julian-Stelle auf einen fundus und damit auf eine species bezieht. Savigny stellte hinsichtlich des „Irrthums über die Sache, oder den Gegenstand des Rechtsverhältnisses“ fest: „Das Rechtsverhältnis hat eine individuell bestimmte Sache zum Gegenstand, und dabey wird ein Individuum mit dem andern verwechselt: error oder dissensus in corpore. Daß hier niemals ein Rechtsgeschäft vorhanden ist, kann nicht bezweifelt werden.“121

Auch Savigny zufolge ist also der Begriff des Dissenses in corpore auf Speziessachen beschränkt. Dies gilt nicht nur im Hinblick auf ein Rechtsverhältnis, das durch Vertrag oder einseitiges Rechtsgeschäft entsteht, sondern auch bezüglich der Übergabe. Als Ergebnis lässt sich feststellen: Ein Konsens in corpore ist nur bei Übergabe einer Speziessache erforderlich.122 e) Zu klären bleibt, ob Julian eine Fallgruppe behandelt, die sich notwendigerweise allein auf Speziessachen bezieht, oder einen Sachverhalt, der nur zufällig eine species betrifft. Im zweiten Fall müsste Julian in dem Abschnitt, der dem überlieferten Exzerpt (D. 41,1,36) unmittelbar vorausging, einen Sachverhalt geschildert haben, der sich zufällig auf eine species bezogen hätte. Diese Möglichkeit ist jedoch nicht plausibel: Nicht verständlich wäre, warum der Jurist im zweiten Teil des Fragments einen Beispielsfall darstellt, durch den der Begriff des Dissenses in causis erläutert wird. Die Erläuterung wäre überflüssig, wenn unmittelbar vor dem überlieferten Text ein konkreter Fall dargestellt worden wäre, der sich auf einen Konsens in corpore, einen Dissens in causis und eine species bezogen hätte. Die von Julian vorausgesetzte Fallgruppe ist somit notwendig auf Speziessachen beschränkt. Für dieses Ergebnis spricht auch, dass Julian im ersten Teil des Fragments eine Art Regel formuliert, in der festgestellt wird, unter welchen Voraussetzungen ein Eigentumsübergang wirksam ist. Die abstrakte, regelhafte Formulierung ist nur sinnvoll, weil Julian nicht einen konkreten Sachverhalt be120 Vgl. Rüfner (2000), S.  63. Eine Bestätigung ergibt sich aus Ulp 19 Sab D. 30,30,6: quotiens species legetur cessare diximus („weil sie [die Klausel], wie oben gesagt, nicht anzuwenden ist, wenn bestimmte Stücke vermacht sind“). Diese Feststellung bezieht sich auf Ulp 19 Sab D. 30,30 pr. 121  Savigny (1840 / 1973), S.  272. 122  Anderer Auffassung war Cuiacius (1614), Sp.  1956, der zur Julian-Stelle im Hinblick auf pecuniam certam ausführte: cuius in corporibus singulis optime consentiamus.

10. Ergebnisse und Schlussfolgerungen

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handelt, in dem es zufällig auch um eine species geht, sondern eine Fallgruppe, die sich notwendig auf eine Speziessache bezieht und darauf beschränkt ist. Dieses Resultat bildet eine Weichenstellung im Hinblick auf die hier vertretene Interpretation der Julian-Stelle insgesamt: Der erste Teil des Fragments betrifft nicht, wie in der romanistischen Literatur allgemein angenommen, die Übereignung einer res nec mancipi durch traditio schlechthin, sondern eine Fallgruppe, die sich allein auf die Übereignung von Speziessachen bezieht.

10. Ergebnisse und Schlussfolgerungen Ein Konsens in corpore ist erforderlich, um den Besitz an einer res nec mancipi durch traditio zu übertragen. Die Beteiligten müssen im Hinblick auf die Identität der Sache übereinstimmen. Ein solcher Konsens fehlt, wenn mindestens einer der Beteiligten einem error in corpore unterliegt, das heißt wenn sich animus und corpus auf verschiedene Sachen beziehen. Bei der Übergabe von Gattungssachen wird ein Konsens in corpore nicht verlangt. Der erste Teil des Julian-Fragments bezieht sich nicht auf die Übertragung des Besitzes von res nec mancipi durch traditio im Allgemeinen, sondern allein auf die Übergabe von Speziessachen. Wenn eine res nec mancipi übergeben wird, ein Konsens in corpore vorliegt und auf diese Weise der Besitz an einer species übergeht, steht einem Eigentumserwerb nichts im Wege. Julian sagt: non animadverto, cur inefficax sit traditio. Damit wird zwar zum Ausdruck gebracht, dass die traditio einer species nur wirksam ist, falls ein Konsens in corpore vorliegt. Die Formulierung passt aber eigentlich nicht auf einen derartigen Konsens: Die darin vorausgesetzte Möglichkeit, dass die traditio im Falle eines Konsenses in corpore unwirksam sein könnte, kommt nicht ernsthaft in Betracht. Die Worte non animadverto sind auf den zweiten Bestandteil des ersten Teils zugeschnitten, die Feststellung nämlich, dass ein Dissens in causis den Eigentumsübergang nicht verhindert – ein Zeichen dafür, dass Julian diesem Bestandteil größere Bedeutung beimisst.

Dritter Abschnitt

Der erste Teil des Fragments (Fortsetzung): in causis vero dissentiamus – traditio 1. Text und Paraphrase a) Zum Dissens in causis stellt Julian fest: Cum (…) in causis vero dissentiamus, non animadverto, cur inefficax sit traditio (…).1

Auch wenn sich die Beteiligten in causis nicht einig sind, geht das Eigentum über. Was bedeutet hier das Wort causa? Mehrere Bedeutungen kommen in Betracht: Grund, Ursache, Motiv, Zweck, Geschäft, Wesen, Rechtsstreit.2 Im JulianText besteht ein enger Zusammenhang zwischen der Wendung quod traditur (Besitzübertragung)3 und dem Wort traditio (Übereignung):4 Das von Julian behandelte Thema ist die Übereignung einer res nec mancipi, genauer: einer species,5 durch traditio.6 Der in den Worten in causis enthaltene causa-Begriff muss sich auf die iusta causa traditionis beziehen, einen Begriff, auf den sogleich näher eingegangen wird.

1  „Wenn wir (…) in Bezug auf die Rechtsgründe aber verschiedener Meinung sind, sehe ich nicht, warum die Übereignung unwirksam sein sollte.“ 2 Vgl. Heumann / Seckel (1914), S.  59 ff.; Söllner (1960), S.  189; Honsell (1975), S.  328; Honsell / Mayer-Maly / Selb (1987), S.  157; Hähnchen (2003), S.  16 mit weiteren Nachweisen Anm.  11; Knütel (2013), S.  219 ff. Zu den Bedeutungen von causa über den juristischen Sprachgebrauch hinaus vgl. Thesaurus Linguae Latinae 3 (1906–12), Sp.  659 ff. 3  Zweiter Abschnitt, 3. b) und 8. 4  Zweiter Abschnitt, 5. 5  Zweiter Abschnitt, 9. c) und d). 6 Während das Substantiv nach consentiamus in im Akkusativ steht (in corpus) – vgl. Zweiter Abschnitt, 1 –, ist dissentiamus mit dem Ablativ verbunden: in causis. In den juristischen Quellen steht nach dissentire in immer der Ablativ; vgl. Vocabularium Iurispru­ dentiae Romanae 2 (1933), Sp.  278. Sollte der Akkusativ nach consentire in einen zielgerichteten Prozess bezeichnen („sich einigen auf“), der Ablativ das Ergebnis („man stimmt überein“), lässt sich der Ablativ nach dissentire in damit erklären, dass ein Dissens nicht das Ergebnis eines zielgerichteten Prozesses ist, sondern einfach vorliegt.

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Dritter Abschnitt: Der erste Teil des Fragments (Fortsetzung)

b) Die Wendung non animadverto findet sich in den Schriften der römischen Juristen allein bei Julian.7 In zwei weiteren Exzerpten macht der Jurist davon Gebrauch, nämlich in 61 dig D. 35,2,87,1 und – von Paulus überliefert – in 9 ed D. 3,3,45,2. Das Wort animadvertere hat zwar auch eine strafrechtliche Konnotation.8 In den beiden genannten Texten bedeutet non animadverto aber: non intellego.9 Auch in dem hier untersuchten Fragment teilt Julian mit, er sehe nicht, wie nach geltendem Recht anders zu entscheiden sei.10

2. Zum Begriff der iusta causa traditionis a) In den überlieferten Texten der römischen Juristen wird der Begriff der iusta causa traditionis nicht definiert; in der Romanistik ist die Definition umstritten.11 Zwei Ansätze lassen sich unterscheiden: Die causa kann als das der Übereignung zugrunde liegende Rechtsgeschäft oder der sonstige Verpflichtungsgrund12 verstanden werden. Das Rechtsgeschäft oder der Verpflichtungsgrund muss tatsächlich vorliegen und zudem rechtlich wirksam sein, damit der Eigentumsübergang zustande kommt. Dieser causa-Begriff lässt sich als „objektiv“ bezeichnen.13 Vocabularium Iurisprudentiae Romanae 1 (1903), Sp.  444 s.v. animadverto, A 4. Unklar ist, warum Julian als einziger Jurist non animadverto gebraucht. 8  Animadvertere in aliquem bedeutet allgemein „gegen jemanden einschreiten“, speziell „jemanden hinrichten“; vgl. Vocabularium Iurisprudentiae Romanae 1 (1903), Sp.  444 s.v. animadverto, D. Diesen Ausdruck rechnet Kalb (1912), S.  25 zu den in der lateinischen Sprache (auch der römischen Juristen) enthaltenen Euphemismen. 9  Vocabularium Iurisprudentiae Romanae 1 (1903), Sp.  444 s.v. animadverto, A 4. 10 Um non animadverto zu übersetzen, sind zwei, um eine Nuance unterschiedliche Möglichkeiten zu verzeichnen: Entweder besagt die Wendung, dass der Jurist etwas anderes nicht sieht, das heißt: dass seiner Auffassung nach objektiv (von Rechts wegen) nur eine einzige Möglichkeit besteht, oder dass er etwas nicht einsieht, das heißt: dass zwar eine andere Möglichkeit gegeben ist, diese Möglichkeit ihm aber nicht sinnvoll, legitim, zweckmäßig erscheint. In der zuerst genannten Bedeutung findet sich non animadverto auch in Paul 9 ed D. 3,3,45,2 und Iul 61 dig D. 35,2,87,1. Die Übersetzungen von non animadverto in D. 41,1,36 ins Deutsche lauten unterschiedlich. So heißt es z. B. bei Meissel (2008), S.  65: „sehe ich nicht ein“, bei Harke (2016), S.  242 = Rn.  18: „sehe ich nicht“. 11  Vgl. die überblicksartigen Darstellungen bei Zwalve / Sirks (2012), S.  273 ff.; Laborenz (2014), S.  19 ff. 12  Der Verpflichtungsgrund muss nicht ein Rechtsgeschäft sein, sondern kann auch eine gesetzliche Grundlage haben, wie dies z. B. bei einer gesetzlichen Pflicht zur Leistung von Schadensersatz der Fall ist. 13  Zur Unterscheidung zwischen einem „objektiven“ und einem „subjektiven“ causa-Begriff vgl. Zwalve / Sirks (2012), S.  274 ff.; ähnlich bereits Hupka (1932), S.  1. 7 Vgl.

2. Zum Begriff der iusta causa traditionis

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Eine andere Möglichkeit besteht darin, den causa-Begriff „subjektiv“ zu fassen. Die causa ist dann, um einen Begriff aus dem modernen deutschen Zivilrecht zu verwenden, eine Leistungszweckvereinbarung.14 Eine Variante bildet die sogenannte Theorie der kausalen dinglichen Einigung: Die causa ist danach der während der Übergabe bestehende Konsens über den Eigentumsübergang (dingliche Einigung), verbunden mit der Übereinstimmung darüber, dass die Sache aufgrund eines bestimmten Rechtsgeschäfts oder eines bestimmten sonstigen Verpflichtungsgrundes übergeben wird, wobei das Rechtsgeschäft oder der Verpflichtungsgrund auch unwirksam sein kann; denn ein darauf bezogener Konsens liegt immerhin vor.15 b) Eine weitere Variante des „subjektiven“ causa-Begriffs wird neuerdings von Laborenz vertreten. Die causa besteht demnach im Konsens darüber, dass aufgrund eines Schuldverhältnisses zum Zweck der Übereignung tradiert wird; der Bezug auf ein konkretes Rechtsgeschäft oder einen konkreten (sonstigen) Verpflichtungsgrund ist nicht erforderlich.16 Die causa traditionis ist „ein consensus über den Tilgungscharakter der Leistung, wobei aus der jeweils zugrunde gelegten Obligation die Übereignungsabsicht erkennbar sein musste.“17 Ein „gültiges Rechtsverhältnis als Übereignungserfordernis“ wird Laborenz zufolge im römischen Recht nicht verlangt.18 14 Die Begriffe der „Zweckvereinbarung“ und „Zweckbestimmung“ gehen auf Ehmann (1968), S.  549 ff. zurück. Vgl. auch ders. (2003), S.  1 ff.; Gernhuber (1994), S.  112 ff.; Schanbacher (1992a), S.  1. 15  In diesem Sinne: Schulz (1932), S.  535 ff.; Meincke (2017), S.  66 f. Weitere Nachweise und Stellungnahmen zur Theorie der kausalen dinglichen Einigung: Kaser (1955), S.  351; ders. (1961a), S.  67 ff.; Jahr (1963), S.  163; Wesel (1968), S.  101; Klinck (2010), S.  19 Anm.  10. Mit der Theorie der kausalen dinglichen Einigung war die Auffassung Savignys verwandt, der die Ansicht vertrat, entscheidend für den Eigentumsübergang durch traditio sei die übereinstimmende Absicht beider Parteien, das Eigentum zu übertragen. Die causa sei das vor der Übergabe oder gleichzeitig damit vorzunehmende Rechtsgeschäft; sie bilde ein Indiz für die Absicht der Eigentumsübertragung; vgl. Savigny (1853 / 1973), S.  257 ff. Zu Savignys Position vgl. Felgentraeger (1927); Fuchs (1952), S.  82 ff.; Stadler (1996), S.  49 ff. Eine ähnliche Auffassung vertritt Jakobs (2002), S.  305 ff.: Für die traditio bedarf es „eines Geschäfts, mit dem die Beteiligten Eigentum übertragen wollen, eines diesen Willen ergebenden Indizes – eines präzedierenden Kaufs oder einer alia iusta (d. h. Eigentumsübertragung intendierenden) causa“ (S.  306). Die Frage, ob auch ein unwirksames Geschäft zur Eigentumsübertragung führt, beantwortet Jakobs differenziert – nach Art der causa. 16 Vgl. Laborenz (2014), S.  228, 294; vgl. auch Schermaier (2018), S.  297 f. Darüber hinaus erwähnt Laborenz den Unterschied zwischen einem „abstrakten, völlig von der zu erfüllenden Obligation losgelösten“ Solutionskonsens, der sich auch auf eine Schuld zur bloßen Gebrauchsüberlassung beziehen könne, und einem Konsens, wonach „die zu erfüllende Obligation auf Eigentumsübertragung gerichtet ist“ (S.  227 f.). 17  Laborenz (2014), S.  294. 18 Ebd. Schermaier (2018), S.  797 legt dar, wie sich der von Laborenz vertretene causa-Be-

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Dritter Abschnitt: Der erste Teil des Fragments (Fortsetzung)

Der von Laborenz vertretene causa-Begriff ist auf Rechtsverhältnisse beschränkt, in denen eine Pflicht besteht, nämlich eine Pflicht zur Übereignung; hinzu kommt der Kauf mit der Pflicht des Verkäufers, dem Käufer ungestörten Besitz der Sache zu verschaffen. Nicht davon erfasst werden Rechtsverhältnisse, in denen eine Pflicht fehlt: donatio, mutuum und dos-Bestellung. Ein solcher causa-Begriff ist ungenügend, weil er sich nicht auf alle Fälle einer Übereignung durch traditio bezieht. Im Kern bekräftigt Laborenz lediglich die Lehre von der solutio als causa, wobei er die Auffassung vertritt, dass sich der Konsens nicht auf den Verpflichtungsgrund beziehen muss. Diese Lehre wird zu überprüfen sein.19 c) Im Übrigen ist es nicht erforderlich, die verschiedenen causa-Begriffe hier im Einzelnen darzulegen und zu erörtern. Um den Julian-Text zu verstehen, genügt es, (vorläufig) den causa-Begriff der herrschenden Meinung zugrunde zu legen.20 Bei Kaser / Knütel / Lohsse heißt es dazu: „Das Erfordernis der iusta causa bedeutet, dass die traditio ‚kausales‘ Übereignungsgeschäft ist, d. h. ein gültiges Kausalverhältnis voraussetzt: Kauf, Schenkung, Mitgiftbestellung, Darlehenshingabe usw. (h. M.). Aber auch die solutio, also die Leistung zur Erfüllung einer Schuld, ist eine taugliche causa, und zwar unabhängig davon, ob die zu tilgende Schuld wirklich bestanden hat. Um das Eigentum zu übertragen, muss die Übergabe sodann selbstredend auf die causa bezogen sein; doch haben die römischen Juristen eine Zweckbestimmung nicht als eigenen, isolierbaren Bestandteil des Geschäfts herausgearbeitet.“21

Andere Autoren äußern sich ähnlich: Die causa traditionis ist entweder ein gültiges Rechtsgeschäft oder die solutio.22 Das ältere römische Recht verlangt für den Eigentumsübergang beim Kauf auch die Zahlung des Kaufpreises. Bei

griff zu der (von Kaser formulierten) herrschenden Meinung und zur Lehre von der abstrakten Tradition verhält. Ersichtlich sei, dass Laborenz „einen Kompromiß zwischen der herrschenden Kausallehre und denjenigen Romanisten finden will, die für das klassische Recht das Modell der dinglichen Einigung verwirklicht sehen“. 19  Fünfter Abschnitt. 20 Die weitere Untersuchung wird ergeben, dass der causa-Begriff der herrschenden Meinung in einem wichtigen Punkt zu revidieren ist: Nicht die solutio bildet die causa, sondern der Verpflichtungsgrund; Fünfter Abschnitt, 4 ff. Dies ist für das Verständnis des Julian-Textes entscheidend. 21  Kaser / Knütel / Lohsse (2017), S.  147 = Rn.  11; Hervorhebungen im Original. 22  Hausmaninger / Selb (2001), S.  152: „Rechtsverhältnisse, die als Eigentumserwerbstitel anerkannt werden, sind etwa Kauf, Schenkung, Dosbestellung (…).“ Harke (2016), S.  241 = Rn.  17: „Als solche [das heißt: als eine die causa bildende „gültige Vereinbarung“; d.Verf.] kommen vor allem ein Kauf- oder ein Darlehensvertrag, eine Schenkung, die Einigung über eine Mitgift (…) oder eine Tilgungsabrede (…) in Betracht. Ist die Vereinbarung unwirksam, bleibt auch die Übergabe der Sache wirkungslos.“

3. Zur solutio als causa

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den klassischen Juristen wird dieses Erfordernis zwar noch häufig erwähnt, aber abgeschwächt; der Zahlung wird die Kreditierung gleichgestellt.23 Der causa-Begriff der herrschenden Meinung ist demnach „objektiver“ Natur – mit einer wichtigen Ausnahme: der solutio. Dass die solutio als causa qualifiziert wird, entspricht allgemeiner Auffassung unter den Romanisten.24 Weil dieser Lehre im Rahmen der vorliegenden Untersuchung besondere Bedeutung zukommt, wird im Folgenden näher darauf eingegangen.

3. Zur solutio als causa a) Um mit den Worten solvere / solutio zu beginnen:25 Das Verb solvere hat zwei Bedeutungen: „lösen, befreien“ (jede Befreiung des Schuldners von einer Verbindlichkeit, in welcher Art und Weise auch immer; liberatio26) und „leisten“ (und zwar mit der Absicht der Pflichterfüllung, wenn auch unabhängig von einer befreienden Wirkung). Im klassischen römischen Recht wird das Wort überwiegend in der zuletzt genannten Bedeutung gebraucht.27 b) Nun zum Begriff der solutio als causa: Überwiegend wird damit ein während der Übergabe bestehender Konsens darüber bezeichnet, dass zwecks Erfüllung einer Pflicht zur Übereignung geleistet wird (Solutionskonsens).28 Nicht der Verpflichtungsgrund ist demnach die causa, sondern die während der 23 Vgl. Kaser (1971), S.  418; Liebs (2004), S.  169 f.; Kaser / Knütel / Lohsse (2017), S.  148 = Rn.  13. 24  Aus der neueren Literatur vgl. Kaser (1955), S.  351; ders. (1961a), S.  69 ff.; Wolf (1961), S.  110; ders. (1970), S.  34 f. Anm.  3; Mayer-Maly (1962), S.  93 f.; Jahr (1963), S.  144; Kupisch (1985), S.  2372 f.; ders. (1987), S.  7 ff.; ders. (1997), S.  184 f.; Honsell / Mayer-Maly / Selb (1987), S.  158; Liebs (1986), S.  177; Flume (1990), S.  53, 57; Sustmann (2000), S.  119; Hausmaninger / Selb (2001), S.  152; Harke (2003), S.  52; ders. (2016), S.  189 = Rn.  23; S.  241 = Rn.  17; Huber (2007), S.  484 f.; Lambertini (2010), S.  30 f.; Cortese (2013b), S.  78; Honsell (2015), S.  60; Kaser / Knütel / Lohsse (2017), S.  147 = Rn.  11. Zur Diskussion über die rechtliche Natur der causa solvendi im gemeinen Recht: Klein (1903), S.  18 ff. mit weiteren Nachweisen; Apathy / Klingenberg / Pennitz (2012), S.  116 f. Nachweise aus der älteren Literatur auch bei Laborenz (2014), S.  90 Anm.  5. 25  Zur Bedeutung der solutio im archaischen Recht vgl. Cruz (1962), S.  17 ff.; zu den unterschiedlichen Bedeutungsvarianten des Wortes solutio im klassischen Recht vgl. ebd., S.  66 ff. 26  Eine Definition der Bedeutung als Lösung, Befreiung gibt Ulpian: 45 Sab D. 50,16,176: ‚Solutionis‘ verbo satisfactionem quoque omnem accipiendam placet. ‚solvere‘ dicimus eum, qui fecit quod facere promisit („Man nimmt an, dass unter ‚solutio‘ auch jede Befriedigung zu verstehen sei; denn von dem sagen wir, dass er leiste (solvere), der das tut, was er zu tun versprochen hat“). 27 Vgl. Emunds (2007), S.  42 ff. mit Nachweisen S.  50 Anm.  2; Laborenz (2014), S.  92, 98 f. 28  Der Terminus „Solutionskonsens“ wird hier von Laborenz (2014), S.  210, 214, 225 ff. u.ö. übernommen.

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Dritter Abschnitt: Der erste Teil des Fragments (Fortsetzung)

traditio bestehende Übereinstimmung darüber, dass eine Pflicht zur Übereignung erfüllt wird. Eine causa liegt selbst dann vor, wenn die Pflicht nicht besteht, weil der zugrunde liegende Verpflichtungsgrund unwirksam ist oder tatsächlich überhaupt nicht vorliegt.29 Die Beteiligten müssen sich einen wirksamen Verpflichtungsgrund bloß vorstellen; ein entsprechender Konsens ist erforderlich. Eine Pflicht zur Übereignung kann durch Stipulation und Damnationslegat entstehen, ferner aus mutuum (Rückzahlung eines Darlehens) und aus Kauf (Zahlung des Kaufpreises),30 aber auch eine gesetzliche Pflicht, etwa zur Leistung von Schadensersatz, kommt in Betracht; überhaupt jeder Verpflichtungsgrund.31 In der romanistischen Literatur ist umstritten, ob sich der Konsens auch auf den konkreten Verpflichtungsgrund beziehen muss (konkreter Solutionskonsens), oder ob ein Konsens darüber genügt, dass überhaupt eine Pflicht zur Übereignung erfüllt wird (abstrakter Solutionskonsens), wie dies zum Beispiel von Laborenz vertreten wird.32 Um die solutio als causa traditionis zu bezeichnen, verwenden einige Autoren in der romanistischen Literatur den Ausdruck causa solutionis,33 der in den Quellen allerdings nur dreimal vorkommt.34 Meistens wird in der Literatur jedoch von einer causa solvendi gesprochen.35 Dieser Ausdruck wird auch hier gebraucht.

4. Mögliche Konsequenzen aus dem herkömmlichen causa-Begriff a) Im Folgenden wird der Frage nachgegangen, welche möglichen Konsequenzen sich aus dem causa-Begriff der heute herrschenden Meinung für den von Julian 29 

Das heißt: Wenn die Pflicht nicht besteht (entweder nicht begründet worden oder untergegangen ist) oder wenn der Leistende nicht der wirkliche Schuldner ist oder wenn eine dauernde Einrede (exceptio perpetua) besteht, sodass die Pflicht nicht durchgesetzt werden kann (sogenannte prätorische Nichtschuld); vgl. Wegmann Stockebrand (2017), S.  147. 30  Wenn jemand durch Kaufvertrag verpflichtet ist, eine res nec mancipi zu übergeben, stellt die Leistung keine solutio dar, weil der Verkäufer nicht zur Übereignung verpflichtet ist; er schuldet habere licere; vgl. Kaser (1961a), S.  78; Peters (1979), S.  173 ff.; Harke (2015), S.  11 = Rn.  8; S.  17 = Rn.  21; ders. (2016), S.  119 = Rn.  1; Kaser / Knütel / Lohsse (2017), S.  256 = Rn.  17; anderer Auffassung: Cristaldi (2007); hierzu: Rainer (2010), S.  299 ff. Die causa venditionis besteht daher in einem gültigen Kauf. 31 Vgl. Kaser (1961a), S.  77. Folgt man Lange (1930), S.  42 ff., führt nur die Erfüllung einer Stipulation oder eines Damnationslegats zum Eigentumsübergang; dagegen: Kaser (1961a), S.  77 Anm.  62. 32 Vgl. Laborenz (2014), S.  226 ff. mit weiteren Nachweisen Anm.  27 f. 33 Vgl. Laborenz (2014), S.  99 Anm.  53 mit weiteren Nachweisen. 34  Vgl. ebd., S.  99 mit Anm.  54. 35  Vgl. ebd., S.  99 mit Anm.  51.

4. Mögliche Konsequenzen aus dem herkömmlichen causa-Begriff

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behandelten Fall ergeben, dass ein Dissens in causis vorliegt. Beachtet werden sollte, dass die hier relevanten Vorgänge im Zeitpunkt der Übergabe zusammentreffen: – Die causa ist nach herrschender Meinung unter den Romanisten ein Konsens, der meistens zugleich mit der Übergabe besteht.36 – Auch der Konsens in corpore liegt zugleich mit der Übergabe vor, wie sich aus quod traditur ergibt.37 – Die Worte consentiamus und dissentiamus stehen beide im Präsens, Konsens (in corpore) und Dissens (in causis) liegen also ebenfalls gleichzeitig vor. Die Schlussfolgerung aus alledem lautet: Der Dissens in causis besteht während der Übergabe. Aus dem zeitlichen Zusammentreffen von causa und Dissens in causis schließt die herrschende Meinung unter den Romanisten, dass eine causa nicht zustande kommt, falls ein Dissens über die causa vorliegt. Das Eigentum geht demzufolge über, obwohl eine causa fehlt. Wäre dieser Schluss zutreffend, hätte Julian vom Erfordernis einer causa abgesehen – entweder prinzipiell oder für den Fall eines Dissenses in causis. b) Bevor diese Schlussfolgerung überprüft wird, ist auf eine weitere mögliche Konsequenz einzugehen, die weniger radikal ist. Im Hinblick auf Teil 2 des Julian-Textes lässt sich argumentieren, das Eigentum gehe über, weil die solutio die causa bilde. Ein Dissens über den Verpflichtungsgrund stehe dem Eigentumsübergang nicht entgegen; denn eine causa, der Solutionskonsens, sei ja vorhanden. Auch Teil 1 beschränke sich daher auf Fälle, in denen der Solutionskonsens als causa fungiere; ein Dissens sei auch hier unschädlich. Zutreffend ist: Da sich der zweite Teil des Fragments auf das Legat und die Stipulation als Verpflichtungsgründe bezieht, bildet hier (auf der Basis der herrschenden Meinung unter den Romanisten) die solutio die causa. Teil 2 hat ein konkretes Beispiel für den im ersten Teil abstrakt behandelten Dissens in causis zum Inhalt; deshalb muss auch im ersten Teil die solutio als causa von Bedeutung sein. Daraus folgt aber nicht zwingend, dass Teil 1 auf Fälle dieser Art beschränkt ist. Nichts im Wortlaut deutet darauf hin, dass im ersten Teil ausschließlich Fälle behandelt werden, in denen die solutio die causa bildet. Bevor weitere Einwände formuliert werden, ist Folgendes vorauszuschicken: In der Romanistik ist, wie bereits erwähnt,38 umstritten, ob der Solutionskonsens sich auf die konkrete Pflicht zur Übereignung beziehen muss, die erfüllt werden 36  Eine Ausnahme bildet der Konsensualkauf, bei dem die causa (im Hinblick auf die Übereignung der Ware) der Übergabe zeitlich vorausgeht. Die causa kann der traditio auch zeitlich folgen, z. B. wenn sie in einem bezweckten Erfolg besteht; vgl. Kaser (1961a), S. l85. 37  Zweiter Abschnitt, 3. b). 38  Dritter Abschnitt, 3. b).

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Dritter Abschnitt: Der erste Teil des Fragments (Fortsetzung)

soll (konkreter Solutionskonsens), oder ob ein Konsens darüber genügt, dass überhaupt eine Pflicht zur Übereignung erfüllt wird (abstrakter Solutions­ konsens).39 Dieser Frage braucht hier nicht weiter nachgegangen zu werden.40 Im Hinblick auf den Julian-Text werden im Folgenden beide Möglichkeiten geprüft. Unter der Voraussetzung, dass ein abstrakter Solutionskonsens genügt,41 geht das Eigentum im Beispielsfall (Teil 2 des Fragments) aufgrund eines Konsenses über, der die causa bildet, und dies auch dann, wenn sich die Beteiligten unterschiedliche Verpflichtungsgründe vorstellen. Ein solcher Fall wäre unproblematisch: Ein Dissens über die causa läge nicht vor, der Eigentumsübergang wäre selbstverständlich, eine Begründung (Teil 3) überflüssig. Das Gleiche muss auch für den ersten Teil des Fragments gelten. Falls Julian dagegen einen konkreten Solutionskonsens als causa voraussetzen sollte, würden die Beteiligten im Hinblick auf den Verpflichtungsgrund und damit auch bezüglich der causa nicht übereinstimmen. Wenn das Eigentum gleichwohl übergeht, könnte dies darin begründet sein, dass ein abstrakter Solutionskonsens ausnahmsweise genügt.42 Falls ein Konsens über den Verpflichtungsgrund grundsätzlich notwendig wäre, müsste sich dieses Erfordernis gerade dann bewähren, wenn ein Dissens besteht: Eine causa dürfte nicht zustande kommen. Wenn eine causa gleichwohl wirksam entstünde, wäre unverständlich, warum Julian einen abstrakten Konsens nicht in allen Fällen für ausreichend hielte. Hinzu kommt, dass Teil 1 des Fragments auf Speziessachen beschränkt ist.43 Sollte Julian feststellen, ein Dissens

Laborenz (2014), S.  226 ff. mit weiteren Nachweisen Anm.  27 f. Laborenz (2012), S.  149; ders. (2014), S.  226 ff. 41  Benke / Meissel (2012), S.  88: Julian meint, „für die Übereignung genüge der übereinstimmende Wille, dass der Gegenstand zum Zweck der Schulderfüllung geleistet wird.“ 42  Kaser / Knütel / Lohsse (2017), S.  147 = Rn.  12 stellen fest, es bestehe ein „Dissens über den Verpflichtungsgrund“, der dem Eigentumserwerb nicht im Wege stehe, „weil die Übergabe jedenfalls zum Zweck der Erfüllung, solvendi causa, erfolgt – und im Hinblick auf diese causa stimmen die Parteien überein“. Diese Feststellung ist problematisch: Einerseits besteht den Autoren zufolge ein Dissens in causis, der als Dissens „über den Verpflichtungsgrund“ verstanden wird. Die causa ist danach entweder der Verpflichtungsgrund selbst oder der darauf bezogene (konkrete) Solutionskonsens. Andererseits stimmen die Parteien im Hinblick auf „diese causa“ überein, also darin, dass „jedenfalls zum Zweck der Erfüllung“ geleistet wird, womit nur ein abstrakter Solutionskonsens gemeint sein kann. Der causa-Begriff wird hier in unterschiedlichen Bedeutungen verwendet. Da die Autoren an anderer Stelle explizit nicht den Verpflichtungsgrund, sondern die solutio als causa qualifizieren (S.  147 = Rn.  11), beziehen sie sich zugleich auf einen abstrakten und einen konkreten Solutionskonsens. Vielleicht ist gemeint, dass zwar prinzipiell ein konkreter Solutionskonsens erforderlich ist, bei einem Dissens in causis aber ausnahmsweise ein abstrakter Konsens genügt. 43  Zweiter Abschnitt, 9. c) und d). 39 Vgl. 40 Vgl.

5. Ausnahme vom Kausalitätsprinzip bei einem Dissens in causis?

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über die causa sei unschädlich, weil ein abstrakter Konsens ausnahmsweise genüge, hätte diese Beschränkung keinen Sinn. Als Ergebnis kann daher festgestellt werden, dass Teil 1 des Fragments nicht auf den (abstrakten oder konkreten) Solutionskonsens als causa beschränkt ist. Die Schlussfolgerung lautet: Auf der Basis des zumeist vertretenen causa-Begriffs setzt Julian voraus, dass die traditio immer abstrakt ist, oder er gibt das causa-Erfordernis allein für den Fall preis, dass ein Dissens über die causa vorliegt. Im Folgenden soll zunächst der zweiten, weniger einschneidenden Möglichkeit nachgegangen werden.

5. Ausnahme vom Kausalitätsprinzip bei einem Dissens in causis? Gegen die Möglichkeit, dass Julian den Kausalitätsgrundsatz für den Fall eines Dissenses über die causa preisgibt, sind Bedenken zu erheben: Indem Julian die Wendung in causis gebraucht, setzt er voraus, dass der Tatbestand, der üblicherweise als causa traditionis qualifiziert wird, auch im vorliegenden Fall eine causa bildet. Andernfalls hätte er den Terminus causa besser vermieden.44 Das Erfordernis einer causa wird von Julian nicht preisgegeben, sondern vorausgesetzt. Aufschlussreich ist ferner die Wendung non animadverto, cur inefficax sit traditio. Sollte Julian den Kausalitätsgrundsatz ausnahmsweise durchbrechen, hätte er sich zur Begründung wohl mehr Mühe geben müssen als nur festzustellen, er sehe keinen Grund, warum der Eigentumsübergang scheitern sollte.45 Zeitgenössische Leser hätten eingewendet, es gebe sehr wohl einen Grund, nämlich das Fehlen einer causa. Geltend zu machen ist auch: Ein Dissens über die causa wäre nach dem Kausalitätsprinzip geradezu ein Musterbeispiel dafür, dass die Übereignung misslingt. Sollte Julian in einem solchen Fall entscheiden, das Eigentum gehe gleichwohl über, hätte er sich vom Kausalitätsprinzip gleich ganz verabschieden können. Hinzu kommt, dass Teil 1 nicht die Übereignung von res nec mancipi allgemein betrifft, sondern nur die Übereignung von Speziessachen.46 Es hätte keinen Sinn, den Grundsatz der kausalen Übereignung bei einem Dissens in causis allein für den Fall der Übereignung von Speziessachen zu durchbrechen. Eingeräumt werden muss freilich, dass der Terminus causa angemessen sein könnte, weil Julian das Kausalitätsprinzip nicht vollständig preisgibt, sondern nur für den Fall eines Dissenses in causis. Die Notwendigkeit einer causa bleibt dann prinzipiell erhalten, sodass auch der Terminus causa verwendet werden kann. 45  Zu der im dritten Teil des Fragments formulierten Begründung: Siebter Abschnitt. 46  Zweiter Abschnitt, 9. c) und d). 44 

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Dritter Abschnitt: Der erste Teil des Fragments (Fortsetzung)

6. Preisgabe des Kausalitätsprinzips? a) Sollte Julian den Kausalitätsgrundsatz preisgeben und damit das Abstraktionsprinzip anwenden,47 würde er der herrschenden Auffassung unter den römischen Juristen widersprechen, wonach dem Kausalitätsgrundsatz zu folgen ist (vgl. die Paulus-Stelle D. 41,1,31 pr.). Ein solcher Widerspruch wirft einige Fragen auf. So ist unklar, ob widersprüchliche Positionen zwischen den römischen Juristen im Hinblick auf ein derart elementares Prinzip wie den Kausalitätsgrundsatz unterstellt werden dürfen. Giaro ist der Auffassung, der Kernbereich des römischen Rechts sei nicht kontrovers.48 b) Es fällt tatsächlich schwer zu glauben, dass im Hinblick auf das Kausalitätsprinzip keine Einigkeit bestanden hat. In einer derartigen, für die Praxis besonders wichtigen Frage muss um der Rechtssicherheit willen Klarheit geherrscht haben. Allerdings ist auch nicht erwiesen, dass elementare Prinzipien von Kontroversen ausgenommen waren. Dieser Punkt bedarf einer eingehenden Untersuchung, die hier nicht geleistet werden kann. Auffällig ist ferner, dass eine enge Nachbarschaft zwischen dem hier untersuchten Julian-Fragment D. 41,1,36 und der Paulus-Stelle D. 41,1,31 pr. besteht, in der das Kausalitätsprinzip in aller Deutlichkeit anerkannt wird.49 Erstaunlich wäre es, wenn D. 41,1,36 nun auf einmal das Abstraktionsprinzip voraussetzen würde, hatte Justinian die Kompilatoren doch beauftragt, widersprüchliche 47  In diesem Sinne Voci (1949), S.  149 ff.; ders. (1952), S.  144 ff.: Das sei die Haltung der Klassiker gewesen; dagegen Kaser (1961a), S.  66 f. Brandsma (2011), S.  683, 684 führt als Interpretationsmöglichkeit an, dass Julian dem Abstraktionsprinzip folgt; S.  687 stellt er fest, nach Julians Auffassung reiche der Übereignungswille. Wolf (1961), S.  108 f. vertritt dagegen die Auffassung, die Julian-Stelle sei interpoliert, das Abstraktionsprinzip entspreche der Position der Kompilatoren. Mayer-Maly (1962), S.  33 zufolge wird die Kausalbindung des Eigentumserwerbs von Julian infrage gestellt. Wacke (1996), S.  329 f. meint, D. 41,1,36 führe vom Prinzip der kausalen Tradition weg in Richtung zur Abstraktion; das Eigentum gehe über, „sofern nur die beiderseits vorgestellten causae je für sich genommen zur Übereignung genügen.“ Schermaier (1998b), S.  255 und Hähnchen (2016), S.  180 = Rn.  381 konstatieren, Julian lasse die Einigung über die Übereignung an sich genügen. Thomas (1998), S.  654 f. erwähnt „the problem of the causal versus the abstract system of passing the ownership“ und bemerkt, D. 41,1,36 sei zu entnehmen, dass „the abstract causa suffices“. Der Ausdruck „the abstract causa“ bezieht sich wohl auf das Abstraktionsprinzip. Thomas fügt allerdings hinzu, das Problem dürfte nicht ohne „drastic adaptions within the texts“ zu bewältigen sein. Meincke (2017), S.  68 ist der Ansicht, Julian setze eine abstrakte traditio voraus. 48  Giaro (1988), S.  260 Anm.  297 stellt fest, die Bedeutung von Kontroversen dürfe nicht überschätzt werden: „Eine Überbetonung von Kontroversen zieht die Gefahr nach sich, dass das, was sich bloß am offenen Rande des Juristenrechts abspielt, in seinen Kern versetzt wird.“ Giaro (1994), S.  75 betont, dass es einen „festen Kern stark dogmatisierter Regeln und Prinzipien“ gibt, die der Diskussion entzogen sind; vgl. auch Giaro (2007), S.  213 f. 49  Ausführlich: Fünfter Abschnitt, 11.

6. Preisgabe des Kausalitätsprinzips?

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Regelungen in den Digesten zu vermeiden.50 Ist die Annahme realistisch, dass die Kompilatoren einen Widerspruch zwischen den beiden Fragmenten übersehen haben? Die Frage stellt sich nicht nur, weil die Texte eng benachbart sind, sondern auch, weil es die gleiche Kommission war, die sie in die Digesten eingefügt hat: die Sabinus-Kommission.51 Sollte die Frage zu verneinen sein, würde dies dafür sprechen, dass Julian dem Kausalitätsprinzip folgt. Beachtet werden sollte allerdings auch, dass die Kompilatoren nachweislich zahlreiche Widersprüche in die Digesten aufgenommen und damit gegen Justinians Auftrag verstoßen haben. Bei der Zusammenstellung des 41. Buches näherten sie sich bereits dem Ende ihrer Arbeit und haben den Widerspruch zwischen den beiden Exzerpten in der Eile vielleicht übersehen. Laborenz macht zwar zu Recht geltend, gerade aufgrund der gebotenen Eile habe der zuständige Redaktor die beiden Stellen kurz nacheinander behandeln müssen; dies mache es unwahrscheinlich, dass ihm der Widerspruch entgangen sei.52 Sicherheit ist hier aber nicht zu erreichen (und wird von Laborenz auch nicht behauptet). c) Die Frage, ob Julian den Abstraktionsgrundsatz anwendet, lässt sich nur mithilfe des Julian-Textes selbst beantworten. Sollte Julian dieses Prinzip zugrunde legen, wären drei Möglichkeiten zu unterscheiden: Der Jurist macht in D. 41,1,36 zum ersten Mal von diesem Grundsatz Gebrauch. Möglich ist ferner, dass Julian bereits früher, in einem nicht überlieferten Text, das Prinzip eingeführt hat, oder dass andere Juristen den Abstraktionsgrundsatz eingeführt haben und Julian ihnen folgt. Für die Möglichkeit, dass Julian das Abstraktionsprinzip in dem hier untersuchten Fragment zum ersten Mal anwendet, spricht die Formulierung non animadverto. Indem der Jurist die erste Person Singular verwendet, bringt er zum Ausdruck, dass der Eigentumsübergang keine gefestigte, anerkannte Rechtsfolge bildet, sondern dass eine rechtliche Neuerung vorliegt. In die gleiche Richtung weist die Begründung (Teil 3 des Fragments): Die Rechtsauffassung in dem darin enthaltenen Vergleichsfall steht fest (constat).53 Julian geht von einer festen Position als dem sicheren Boden aus (Teil 3), um von dort aus Neuland zu betreten (Teil 1). Nicht einzusehen ist jedoch, warum sich der Jurist dann nicht prinzipiell äußert und etwa feststellt, eine causa traditionis sei für die Übereignung von res nec 50  Vgl. const. Dedoken pr., §§  1, 7, 10, 15; const. Deo auctore §§  1, 4, 8; const. Tanta pr., §§  1, 10, 15. 51 Vgl. Bluhme (1820 / 1960), S.  384 (diese und die noch folgenden, in weiteren Anmerkungen enthaltenen Seitenangaben beziehen sich auf den Abdruck von Bluhmes Aufsatz in Labeo [1960]); Honoré (2010), S.  152. 52 Vgl. Laborenz (2014), S.  39. 53  Siebter Abschnitt, 8. h).

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Dritter Abschnitt: Der erste Teil des Fragments (Fortsetzung)

mancipi durch traditio nicht erforderlich. Es wäre nicht plausibel, wenn Julian eine grundlegende Neuerung im Rahmen eines sehr spezifischen Falles einführen würde – eines Falles, der sich auf den Dissens in causis beschränkt und zudem allein Speziessachen betrifft.54 Ein zeitgenössischer Leser hätte Julians Absicht nicht verstanden, zumal auch die in Teil 3 des Fragments enthaltene Begründung nicht explizit prinzipieller Natur ist.55 Aufschlussreich ist die Wendung in causis: Sollte Julian eine causa traditionis grundsätzlich nicht für erforderlich halten und damit den Begriff der causa traditionis preisgeben, müsste er auf den Terminus causa (im Sinne einer causa traditionis) ganz verzichten. Auffallend sind ferner die Worte non animadverto, cur inefficax sit traditio, die besagen: „Ich sehe nicht, was gegen den Eigentumsübergang spricht.“ Wenn Julian die Absicht gehabt haben sollte, das Abstraktionsprinzip einzuführen, hätte ein zeitgenössischer Leser eingewendet, ein anderes Ergebnis komme sehr wohl in Betracht, nämlich das Scheitern des Eigentumsübergangs mangels causa. Die Wendung non animadverto ist nicht geeignet, die Preisgabe eines derart elementaren Grundsatzes zu rechtfertigen. Auch wenn Julian schon zu seinen Lebzeiten hochgeschätzt und zudem als kühner Neuerer bekannt war,56 konnte er nicht derart diktatorisch-willkürlich auftreten und das Kausalitätsprinzip einfach für obsolet erklären, war er doch auf die Zustimmung seiner Fachkollegen angewiesen, wenn er seine Auffassung durchsetzen und als geltendes Recht anerkannt sehen wollte. d) Die zweite Möglicheit besteht darin, dass Julian an einer anderen, nicht überlieferten Stelle das Abstraktionsprinzip eingeführt und in dem hier untersuchten Exzerpt für den Fall eines Dissenses in causis die Konsequenz daraus gezogen hat. Gegen diese Deutung spricht Teil 3 des Fragments, der eine Begründung für die in Teil 1 mitgeteilte Rechtsansicht zum Inhalt hat. Hätte Julian das Abstraktionsprinzip bereits früher eingeführt, wäre es unnötig gewesen, die spätere Entscheidung mithilfe eines Vergleichsfalles zu begründen. Die Entscheidung wäre eine selbstverständliche Konsequenz aus dem Abstraktionsprinzip gewesen. Julian hätte sich darauf beschränken können, den Grundsatz selbst anzuführen. e) Auch die dritte Möglichkeit, dass Julian einer von anderen Juristen eingeführten Neuerung folgt, ist nicht plausibel. Bezeichnend ist die Formulierung non animadverto. Indem Julian die erste Person Singular verwendet, bringt er zum Ausdruck, dass der Eigentumsübergang keine von anderen Juristen an54 

Zweiter Abschnitt, 9. c) und d). Siebter Abschnitt, 1. a). 56  Wieacker (2006), S.  100 konstatiert, Julian habe „durch neue Vorschläge von unauffälliger Kühnheit die Diskussion für die Zukunft eröffnet“. 55 

7. Die Position Vaccas und Corteses

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erkannte Rechtsfolge bildet. Im dritten Teil der Stelle äußert sich Julian autoritativ (constat). Dies ist die sichere Grundlage, von der er ausgeht, um sich einer neuen Frage zu widmen und die Rechtauffassung (Teil 1) zu begründen. Julian folgt also nicht einfach nur der Auffassung anderer Juristen, sondern entscheidet und begründet selbst. f) Als Ergebnis lässt sich nun feststellen, dass Julian nicht einer bereits eingeführten Auffassung gefolgt ist, wonach der Abstraktionsgrundsatz maßgeblich ist. Auch hatte er weder die Absicht, das Abstraktionsprinzip in D. 41,1,36 einzuführen, noch gab es eine andere, nicht überlieferte Stelle, in der sich der Jurist grundsätzlich für die Preisgabe des Kausalitätsprinzips ausgesprochen hat. Dies entspricht dem Bild, das in der romanistischen Literatur von Julian gezeichnet wird. Es heißt, Julian habe zwar im Detail zahlreiche Neuerungen eingeführt, an den hergebrachten Prinzipien des römischen Rechts aber festgehalten.57

7. Die Position Vaccas und Corteses a) Vacca und ihr folgend Cortese sind der Auffassung, D. 41,1,36 liege das Abstraktionsprinzip zugrunde. Die Autorinnen gehen der Frage nach, wie sich das Julian-Fragment mit dem Prinzip der kausalen Übereignung vereinbaren lässt, das in der Paulus-Stelle D. 41,1,31 pr. deutlich formuliert wird.58 Um einen Widerspruch zwischen Julian und Paulus zu vermeiden, unterscheiden sie zwischen einer „causa dell’attribuzione“ und einer „causa di giustificazione“.59 Die „causa dell’attribuzione“ sei ein Konsens darüber, dass das Eigentum übertragen werden soll. Die Autorinnen verstehen darunter, um einen Begriff aus dem modernen deutschen Zivilrecht zu verwenden, eine abstrakte, dingliche Einigung. Ein derartiger Konsens sei ausreichend dafür, dass das Eigentum übergeht. Im Falle eines Dissenses in causis sei eine solche causa gegeben, sodass Julian konstatieren könne, dem Eigentumsübergang stehe nichts im Wege. Die „causa di giustificazione“ sei dagegen das der Eigentumsübertragung zugrunde liegende Rechtsgeschäft. Wenn eine solche causa zusätzlich vorhanden sei, gehe nicht nur das Eigentum über, sondern der Empfänger dürfe die Sache auch behalten. Andernfalls stehe dem Tradenten die condictio indebiti zur Verfügung.60 Die Bund (1976), S.  444; Liebs (2004), S.  56 f.; Winkler (2015), S.  293. Zu D. 41,1,31 pr.: Fünfter Abschnitt, 11. 59 Vgl. Vacca (1984), S.  1993 ff.; dies. (1997), S.  134; dies. (2005), S.  35; dies. (2006), S.  173 Anm.  10, S.  175 ff.; Cortese (2013a), S.  113 f. Die gleiche Auffassung wurde schon im gemeinen Recht vertreten; vgl. Dernburg (1857), S.  8, der Donellus, Vinnius und Pothier anführt. 60 Vgl. Vacca (2006), S.  176. 57 Vgl. 58 

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Dritter Abschnitt: Der erste Teil des Fragments (Fortsetzung)

Juristen behandelten unterschiedliche Aspekte der Übereignung: Während Julian sich auf die Übereignung als solche beziehe („causa dell’attribuzione“), fasse Paulus die Frage ins Auge, ob die Übereignung abgeschlossen sei und der Empfänger die Sache endgültig behalten dürfe („causa di giustificazione“). Ein Widerspruch zwischen Julian und Paulus bestehe nicht. b) Die Unterscheidung zwischen einer „causa dell’attribuzione“ und einer „causa di giustificazione“ ermöglicht zwar eine schlüssige Deutung des Verhältnisses zwischen dem Julian- und dem Paulus-Fragment, sofern man unterstellt, dass Julian dem Abstraktionsprinzip folgt. Gleichwohl sind gravierende Einwände dagegen zu erheben. Wenn es bei Paulus heißt: Numquam nuda traditio transfert dominium, so zeigt dies, dass der Jurist nicht die Frage behandelt, unter welchen Voraussetzungen eine Übereignung abgeschlossen, der Eigentumserwerb also endgültig und sicher ist. Ihm geht es lediglich darum, unter welchen Voraussetzungen das Eigentum übergeht, und damit um die gleiche Frage, die auch der Julian-Stelle nach Ansicht der Autorinnen zugrunde liegt. Nichts in den Texten deutet darauf hin, dass dem Wort causa in den beiden Fragmenten unterschiedliche Bedeutung zukommt. Die hier kritisierte Deutung entspricht dem scholastischen Denken:61 Die mittelalterlichen Juristen, die das Corpus Iuris als geltendes Recht anerkannten und geradezu als ratio scripta verehrten, waren bestrebt, die Quellen zu harmonisieren, das heißt so zu interpretieren, dass Widersprüche vermieden wurden.62 Die Harmonisierung der Digestentexte diente nicht bloß dem Zweck, geltendes Recht als konsistent darzustellen und damit praktisch anwendbar zu machen. Den Interpreten ging es auch darum, die juristische Vernunft und Wahrheit in den Texten zu finden. Harmonie galt ihnen als Zeichen der Wahrheit. Ein Mittel, um die juristische Wahrheit zu finden, war die Distinktion, das heißt die genaue Unterscheidung von Begriffen, die in ein hierarchisches Verhältnis zueinander gesetzt wurden, sodass eine harmonische Ordnung sichtbar wurde. Auch wurden verschiedene Sachverhaltsvarianten unterstellt.63 Lagen widersprüch61 Dies gilt auch für die von Monier (1930), S.  223 vertretene Ansicht, wonach Julian zwischen der causa remota, das heißt hier dem Verpflichtungsgrund, und der causa proxima unterscheidet, nämlich der causa traditionis: „la volonté d’exécuter une obligation préexistante.“ Julian bezieht sich demnach mit in causis auf die causa remota. 62 Zum Folgenden vgl. Dedek (2010), S.  63 ff.; Martens (2017), S.  44 ff., 50 ff. Falcone (2014), S.  341 ff. konstatiert, bereits Justinian habe die Schönheit und Harmonie seines Gesetzgebungswerkes betont, um zu verdeutlichen, dass ihm seine Gesetzgebungsmacht von Gott verliehen worden sei, mehr noch: dass die Ausübung der kaiserlichen Herrschaft und damit auch die Gesetzgebung eine imitatio Dei bilde. 63  Seckel (1911 / 1956), S.  281 stellt im Hinblick auf die Distinktionen der Glossatoren fest, distinctiones seien literarische Erzeugnisse, die mit Unterscheidungen innerhalb eines quellenmäßigen Oberbegriffs operierten. Der Oberbegriff werde in seine, soweit möglich, quellen-

8. Hat D. 41,1,36 ein responsum zum Inhalt (Krampe)?

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liche Rechtsansichten vor, bildete die Distinktion eine spezifische Auslegungsmethode. So ließen sich Widersprüche als nur scheinbare darstellen. Da die Aufgabe der gegenwärtigen Romanistik ausschließlich darin besteht, die Quellen historisch zu deuten, ist diese Methode heute obsolet geworden. Sie führt zwar nicht notwendig zu einem Ergebnis, das dem klassischen römischen Recht fremd ist. Bei ihrem Gebrauch ist aber große Vorsicht geboten. Meistens bildet sie nur eine Notlösung, um einen Text mit einer vorgefassten Interpretation in Übereinstimmung zu bringen. Im vorliegenden Fall führt sie nicht zu einem den Quellen entsprechenden Resultat.

8. Hat D. 41,1,36 ein responsum zum Inhalt (Krampe)? a) Die bisher untersuchten Deutungen setzen übereinstimmend voraus, dass der erste Teil des Julian-Fragments eine allgemeine Aussage, eine Art Regel, zum Inhalt hat. Eine grundsätzlich abweichende Position vertritt Krampe.64 Den Ausgangspunkt seiner Interpretation bildet die Beobachtung, dass Julian eine auffällige Wendung gebraucht: non animadverto, cur inefficax sit traditio. Krampe schreibt, damit stelle Julian nicht einfach eine von ihm für richtig gehaltene Rechtsfolge fest, sondern reagiere auf eine ihm gestellte Frage.65 Der Text gebe eine gutachtliche Stellungnahme Julians wieder, sei es als Antwort auf eine ihm vorgelegte allgemeine Problemstellung, sei es zu einer Anfrage im Rahmen eines konkreten Rechtsstreits,66 die ihm vor Prozessbeginn oder während des Verfahrens in iure vorgelegt worden sei. Ein solcher Rechtsstreit müsse sich auf den Fall beziehen, dass ein Beteiligter Bargeld (oder andere Darlehensgegenstände, wie Gold oder Silber) gegeben habe und die condictio geltend mache mit der Begründung, das Geld sei als Darlehen gewährt worden. Die andere Partei behaupte, das Geld als Geschenk empfangen zu haben.67 mäßigen Unterbegriffe zerlegt. Die zu spaltenden Oberbegriffe seien dem Gebiet der Tatbestände, der Rechtsregeln oder der Rechtsbeziehungen entnommen. Genzmer (1934), S.  398 zufolge besteht der Zweck der Distinktion darin, die jeweils behandelte Materie systematisch und damit zusammenfassend, erschöpfend und übersichtlich darzustellen. Distinctio bezeichnet aber auch eine literarische Gattung. Distinktionen können z. B. in Glossen enthalten sein, aber auch in eigenen Distinktionensammlungen, die Distinctiones genannt werden; vgl. Seckel, (1911 / 1956), S.  283; Genzmer (1934), S.  398. Zur Distinktion als einem Mittel harmonisierender Auslegung vgl. auch die knappen Anmerkungen bei Wieacker (1967), S.  53, 58 f.; Stein (1996), S.  83; Meissel (2008), S.  68 f.; Brandsma (2009), S.  132 f. 64 Vgl. Krampe (2013), S.  189 ff.; ders. (2014), S.  489 ff. 65  Vgl. ebd., S.  492. 66  Als Beleg nennt Krampe (2014), S.  492 Anm.  11: Lange (1930), S.  70 Anm.  3. 67  Dies leitet Krampe aus Teil 3 des Fragments ab, in dem festgestellt wird, wenn jemand

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Dritter Abschnitt: Der erste Teil des Fragments (Fortsetzung)

Krampe stellt fest, das Präsens des ersten Satzes beziehe sich auf eine aktuelle, sachverhaltsbezogene, entweder vorprozessuale oder schon prozessuale Fragestellung: consentiamus … dissentiamus. Weiter heißt es: „Deshalb sieht Julian im Dissens in causis hier kein Hindernis für eine wirksame traditio. Denn sowohl nach dem Tatsachenvortrag des Klägers ist eine iusta causa traditionis gegeben als auch nach dem Vorbringen des Beklagten. Julian bejaht also die Eigentumsfrage in einem Rechtsgutachten, äußert sich aber nicht zu der streitigen, aber für die Eigentumslage unerheblichen Sachverhaltsfrage, ob das Geld als Darlehen oder schenkungshalber übergeben worden ist.“68 Folgt man Krampe, so hat während der Übergabe entweder ein Schenkungs- oder ein Darlehenskonsens bestanden. Der Dissens in causis ist demnach nicht zum Zeitpunkt der Übergabe, sondern erst später aufgetreten. b) Zutreffend an den Darlegungen Krampes erscheint die Beobachtung, dass Julian eine auffällige, in der ersten Person Singular formulierte Wendung gebraucht: non animadverto.69 Nicht vollständig einleuchtend ist der daraus gezogene Schluss, Julian müsse auf eine ihm vorgelegte Frage geantwortet haben.70 Möglich ist auch, dass der Jurist auf eine von ihm selbst aufgeworfene Frage eingegangen ist. Problematisch erscheint die von Krampe gezogene Schlussfolgerung, Julian habe auf die Anfrage in einem konkreten Rechtsstreit reagiert. Argumentiert werden könnte, wenn ein responsum mitgeteilt werde, ließe sich eine aus drei Teilen bestehende Gliederung erkennen: narratio – quaestio – responsum.71 Die Anfragen würden in der Regel mit quaero oder quaesitum est eingeleitet; die Antworten des Juristen mit respondit oder respondi. Ein solches Argument wäre jedoch fragwürdig. Manche Juristen folgen zwar diesem Schema, zum Beispiel Scaevola; bei anderen ist eine derartige Gliederung aber nicht mehr zu erkennen, weil ihre Responsen literarisch überarbeitet wurden, etwa bei Papinian.72 Was Julian betrifft, so ist das in seinen Schriften verwertete Material ebenfalls bearbeitet.73 Allenfalls kommt die Möglichkeit in Betracht, dass der überlieferte Julian-Text auf ein überarbeitetes responsum zurückgeht. schenken wolle, der Empfänger das Geld jedoch als Darlehen in Empfang nehme, gehe das Eigentum gleichwohl über; zur Interpretation von Teil 3: Siebter Abschnitt. 68  Krampe (2014), S.  495. 69  Wendungen in der ersten Person Singular finden sich mehrfach in den Digesten Julians, nicht nur im Rahmen von Responsen, sondern auch in Antworten auf Anfragen theoretischer Natur; vgl. Buhl (1886), S.  90. Zur Wendung non animadverto: Dritter Abschnitt, 1. b). 70  Karlowa (1885), S.  708: „Julian liebt es, seine Erörterung in die Form von Frage und Antwort einzukleiden.“ 71 Zu den responsa römischer Juristen allgemein vgl. Avenarius (2017), S.  13 ff.; zum Responsenschema: S.  48 ff. 72 Vgl. Gokel (2014), S.  83 mit weiteren Nachweisen. 73 Vgl. Bund (1976), S.  431.

8. Hat D. 41,1,36 ein responsum zum Inhalt (Krampe)?

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Die folgenden Überlegungen sprechen jedoch gegen diese Möglichkeit: Der erste Teil des Fragments ist von allgemeiner Bedeutung, wie eine Regel gefasst: Nicht von Darlehen, Schenkung und Bargeld ist darin die Rede, vielmehr heißt es ganz allgemein corpus, in causis und traditio. Der Satz ist einprägsam, ähnlich wie eine Sentenz formuliert.74 Nicht erstaunlich ist, dass Paulus sich später daran angelehnt und eine ähnliche Formulierung gebraucht hat (D. 19,1,21,2).75 Der sentenzenhafte Charakter des Satzes spricht dafür, dass es um eine allgemeine Aussage geht. Auch kann sich der erste Teil der Stelle nicht auf pecunia numerata oder andere Darlehensgegenstände beziehen, weil er auf Speziessachen beschränkt ist.76 Nicht erlaubt ist es, aus einem der Begründung dienenden Vergleichsfall (Teil 3) und seinen Elementen (Geld, Darlehen, Schenkung) zu schließen, die gleichen Elemente müssten auch im Tatbestand der Regel (Teil 1) enthalten sein. Denn Teil 3 hat nicht ein (weiteres) Beispiel für die Regel zum Inhalt, sondern einen Vergleichsfall, der sich vom Tatbestand der Regel erheblich unterscheiden kann.77 Dass der erste Teil des Textes nicht einen konkreten Fall betrifft, folgt auch aus dem zweiten Teil, der ein Beispiel enthält, das dazu dient, die im ersten Teil formulierte allgemeine Aussage zu illustrieren. Der zweite Teil wäre überflüssig, wenn schon der erste Teil einen (nicht überlieferten) konkreten Fall voraussetzen würde. Schließlich spricht die Verwendung der ersten Person Plural (im ersten und dritten Teil der Stelle) gegen ein responsum. Bei einem Gutachten wäre die zweite Person Singular oder Plural zu erwarten.78 Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass der hier untersuchte JulianText weder ein responsum bildet noch durch literarische Bearbeitung aus einem solchen hervorgegangen ist. Julian behandelt nicht einen konkreten, streitigen Fall, sondern eine abstrakte Rechtsfrage (quaestio iuris). Ebenfalls zu widersprechen ist der These, der Dissens in causis bestehe nicht während der Übergabe, sondern zu einem späteren Zeitpunkt: Im ersten Teil des Fragments heißt es quod traditur. Damit wird der Zeitpunkt der Übergabe angesprochen. Die beiden anderen Verben stehen ebenfalls im Präsens: consen-

74  Buhl (1886), S.  108: Julian habe eine Vorliebe für „das sentenziöse Formulieren allgemeiner Sätze“. 75  Zweiter Abschnitt, 4. d); Neunter Abschnitt, 1. a). 76  Zweiter Abschnitt, 9. c) und d). Die Auffassung, Julian setze pecunia numerata voraus, wird auch von Benedek (1959), S.  45 geteilt, der die Ansicht vertritt, das Eigentum geht durch commixtio über. 77  Erster Abschnitt, 2. a) und b). 78 Vgl. Domisch (2015), S.  23, wenn auch in einem ganz anderen sachlichen Zusammenhang (Iav 1 epist D. 41,2,23 pr.).

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Dritter Abschnitt: Der erste Teil des Fragments (Fortsetzung)

tiamus, dissentiamus. Der Konsens in corpore und der Dissens in causis bestehen während der Übergabe und liegen somit gleichzeitig vor.79

9. Eine eigene Interpretation von Teil 1 des Fragments Möglicherweise bezieht sich Julian auf einen Sachverhalt, der sich aus zwei Phasen zusammensetzt. Zunächst kommt ein Verpflichtungsgrund als causa zustande,80 danach wird die Sache übergeben. Der Jurist spricht allein die zweite Phase an (quod traditur) und stellt fest, ein Dissens über die causa hindere den Eigentumsübergang nicht. Die erste Phase setzt Julian stillschweigend voraus, weil sie unproblematisch ist. Unproblematisch ist sie aus zwei Gründen: erstens, weil die causa in den von Julian behandelten Fällen der traditio zeitlich vorausgeht,81 und zweitens, weil die causa wirksam ist. Sollte diese Deutung zutreffend sein, würde Julian feststellen: Eine Übereignung ist auch dann wirksam, wenn während der Übergabe ein Dissens über den Leistungszweck und damit über die causa besteht, sofern zuvor ein gültiger Verpflichtungsgrund als causa zustande gekommen ist. Eine solche Interpretation lässt sich nur begründen, wenn der in der Romanistik allgemein vertretene causa-Begriff überprüft und revidiert wird.82 Entscheidend ist die Frage, ob der Verpflichtungsgrund oder die solutio die causa bildet. Der causa-Begriff wird in Verbindung mit der nun folgenden Auslegung von Teil 2 des Julian-Fragments erneut zu behandeln sein.

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Zweiter Abschnitt, 3. b); Dritter Abschnitt, 4. a). Diese Feststellung ist zu ergänzen: Der Kaufvertrag bildet im Hinblick auf die Übereignung der Ware zwar keinen Verpflichtungsgrund, weil der Verkäufer nicht zur Übereignung verpflichtet ist (Dritter Abschnitt, 3. b) Anm.  30), wohl aber eine causa traditionis. In der ersten Phase könnte es also auch zum Abschluss eines Kaufvertrages kommen (ohne dass ein Verpflichtungsgrund vorliegt). 81  Und dies nicht nur, wie es der heute herrschenden Meinung in der Romanistik entspricht, im Falle des Konsensualkaufs. 82  Nicht die Rede ist hier und im Folgenden von den Fällen, in denen eine Sache übereignet wird, um einen bezweckten Erfolg zu erreichen (ob rem, ob causam datum). Die causa besteht dann in der auf einen künftigen Erfolg gerichteten Zweckbestimmung, die während der Übergabe vorliegt. Auch in solchen Fällen liegen causa und traditio gleichzeitig vor; vgl. Kaser (1961a), S.  85. 80 

Vierter Abschnitt

Der zweite Teil des Fragments: veluti si ego – deberi 1. Text und Paraphrase Der zweite Teil des Fragments D. 41,1,36 lautet: veluti si ego credam me ex testamento tibi obligatum esse, ut fundum tradam, tu existimes ex stipulatu tibi eum deberi.1

Ego glaubt, aufgrund eines Damnationslegats zur Übereignung des Grundstücks verpflichtet zu sein,2 während Tu an eine Pflicht aus Stipulation denkt. Das Wort fundus ist nicht ganz eindeutig. Es bezeichnet das Grundstück im Allgemeinen, üblicherweise jedoch ein Landgut,3 bestehend aus einem Stück Land (ager) und Wirtschaftsgebäuden (villa rustica).4 Auch im vorliegenden Fall könnte ein Landgut gemeint sein, zumal der fundus Gegenstand eines Legats ist und damit wohl einem Versorgungszweck dient, wozu ein Landgut besonders gut geeignet ist. Es ist Gegenstand eines (wirksamen oder wirksam geglaubten) Damnationslegats oder einer (wirksamen oder für wirksam gehaltenen) Stipulation.5 Es geht jedenfalls um die Übereignung eines Grundstücks, wie sich 1  „Etwa wenn ich glaube, ich sei dir aufgrund eines Testaments verpflichtet, ein Grundstück zu übereignen, du jedoch glaubst, dass es dir aufgrund einer Stipulation geschuldet werde.“ 2  Dass ein Damnationslegat gemeint ist, ergibt sich aus der Wendung obligatum esse. 3  Smith / Wayle / Marindin (1890), S.  884 s.v. fundus; Vocabularium Iurisprudentiae Romanae 2 (1933), Sp.  953; Steinwenter (1942), S.  10 f.; Shatzman (1975), S.  24 f. Das Vermächtnis eines fundus bezieht sich nicht ohne Weiteres auch auf das instrumentum, z. B. die Sklaven, das Vieh und die Gerätschaften, kurz „alles, was auf den Erhalt und den wirtschaftlichen Nutzen des Landguts gerichtet war“; Gokel (2014), S.  190. Deshalb muss das instrumentum ausdrücklich mitvermacht sein; vgl. ebd., S.  189 Anm.  858. 4 Vgl. Frier (1979), S.  213 f.; Jakab (2002), S.  183; vgl. auch Gokel (2014), S.  183 Anm.  838. Vgl. auch die Definition des fundus bei Florentinus: 8 inst D. 50,16,211. 5  Der Text enthält zwei Grundbegriffe des römischen Rechts: obligatum esse und deberi. Obligatio, der ältere Begriff, bezeichnet ein Rechtsverhältnis, aufgrund dessen der Schuldner dem Gläubiger zu einer Leistung verpflichtet ist, sodass diesem eine actio in personam zur Verfügung steht, falls der Schuldner nicht ordnungsgemäß leistet; vgl. Kaser (1971), S.  479 ff.; Kaser / Knütel / Lohsse (2017), S.  191 = Rn.  1. Während obligatio sich im klassischen Recht meistens auf eine im ius civile verankerte Schuldverpflichtung bezieht, bezeichnet der Begriff des debitum jede Art der Schuldverpflichtung, also auch eine Pflicht, die honorarrechtlich oder

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Vierter Abschnitt: Der zweite Teil des Fragments: veluti si ego – deberi

aus ut fundum tradam ergibt. Durch das Wort tradam wird die traditio des ersten Teils der Stelle aufgegriffen, die sich auf die Übereignung bezieht.6

2. Der zweite Teil des Fragments – ein Beispiel wofür? Der zweite Teil der hier untersuchten Quelle hat ein Beispiel zum Inhalt,7 wie dem einleitenden Wort veluti zu entnehmen ist.8 Erläutert wird nicht die Regel insgesamt: Der Konsens in corpore, die Übergabe (quod traditur) und der Eigentumsübergang selbst (traditio) werden nicht angesprochen.9 Es ist lediglich davon die Rede, dass eine Pflicht zur Übereignung angenommen wird (credam … obligatum esse, ut fundum tradam). Teil 2 hat somit ein Beispiel für einen Dissens in causis zum Inhalt – ein Indiz dafür, dass nicht der Konsens in corpore, sondern der Dissens in causis das Hauptthema des Fragments bildet.

3. Stellungnahme zu bisher vertretenen Interpretationen a) Nach Ansicht zahlreicher Autoren geht das Eigentum am Grundstück über, weil der Veräußerer solvendi causa leistet.10 Da eine solutio gemäß einer in der romanistischen Literatur allgemein vertretenen Auffassung selbst dann wirksam im Kaiserrecht begründet ist. Baldus und Stepan zufolge verwenden Scaevola und Tryphonin den Begriff des debitum daneben auch in einem engeren Sinne, nämlich zur Bezeichnung einer unter Lebenden begründeten Schuld im Gegensatz zu einer erbrechtlichen Schuld; vgl. Baldus (2012b), S.  13 ff.; Stepan (2018), S.  109 ff., 115, 141 ff., 149. Auch Julian bezieht deberi auf eine Pflicht aus einer Stipulation und damit auf eine unter Lebenden entstandene Pflicht, während er die Pflicht aus einem Legat mit obligatum esse bezeichnet, sodass es den Anschein hat, der Jurist trete insofern als Vorläufer Scaevolas und Tryphonins auf. Dies ist jedoch nicht der Fall. Bei Julian findet sich zum Beispiel auch die Wendung ex testamento (…) debebatur (54 dig D. 44,7,18); überhaupt wird debere von diesem Juristen mehrfach auf erbrechtliche Pflichten bezogen. 6  Zweiter Abschnitt, 5. Vgl. auch Kaser / Knütel / Lohsse (2017), S.  147 = Rn.  12: „(…) verpflichtet bin, ein Grundstück zu übereignen“. 7  Erster Abschnitt, 2. a). Buhl (1886), S.  106 stellt mit Blick auf Julian fest, dass es „bei ihm auch nie an aufhellenden Beispielen“ fehlt. 8 Vgl. Heumann / Seckel 1914, S.  616 s.v. velut 3: „zum Beispiel“. Wegmann Stockebrand (2017), S.  8, 125, 133 f., 151 f. hat (im Hinblick auf Gai Inst 3,90) gezeigt, dass velut in seltenen Fällen „nämlich“ bzw. „und zwar“ bedeuten kann. Im hier untersuchten Julian-Fragment geht es jedoch eindeutig um ein Beispiel. Die abstrakt formulierte Regel des ersten Teils (in causis vero dissentiamus) wird durch einen konkreten Fall erläutert. 9  Erster Abschnitt, 2. a). 10  Vgl. z. B. Savigny (1841 / 1973), S.  159; Flume (1990), S.  54; Ernst (1994), S.  556 Anm.  24; Schermaier (1998b), S.  255 Anm.  90; Behrends (1980b), S.  475; ders. (2001), S.  37

3. Stellungnahme zu bisher vertretenen Interpretationen

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vorliegt, wenn das Verpflichtungsgeschäft ungültig ist,11 wird in der Literatur gefragt, ob Julian voraussetzt, dass nur eines der beiden vorgestellten Geschäfte wirksam ist oder ob vielleicht sogar beide unwirksam sind.12 Flume,13 Wolf,14 Schanbacher15 und Harke16 sind der Ansicht, es bestehe überhaupt keine Verpflichtung.17 Schindler zufolge ist es denkbar, dass entweder eine Pflicht aufgrund Stipulation oder Testament bestehe, oder aber, dass gar keine Pflicht zu erfüllen sei.18 b) Um die Auffassung zu überprüfen, das Eigentum gehe solvendi causa über, soll im Folgenden danach unterschieden werden, ob der Begriff der causa solvendi einen Konsens bezeichnet, der den konkreten Entstehungsgrund der Pflicht zur Übereignung umfasst (konkreter Solutionskonsens) oder sich nur darauf bezieht, dass überhaupt eine Pflicht zur Übereignung erfüllt wird (abstrakter Solutionskonsens).19 Unter der Voraussetzung, dass ein abstrakter Solutionskonsens zur Übereignung genügt,20 liegt ein Dissens über die causa überhaupt nicht vor. Das Eigentum würde im Beispielsfall (Teil 2) nicht trotz eines Dissenses in causis übergehen, sondern aufgrund eines abstrakten Solutionskonsenses, der die causa bildete.21 Dies würde im Widerspruch zu der im ersten Teil enthaltenen Regel stehen, die einen Dissens über die causa voraussetzt. Sollte dagegen ein konkreter Solutionskonsens erforderlich sein, enthielte Teil 2 tatsächlich ein Beispiel für einen Dissens über die causa. Der Eigentumsübergang käme gleichwohl zustande, vielleicht weil sich die Beteiligten darin einig Anm.  52; S.  40 Anm.  63; ders. (2008a), S.  263 Anm.  138; Meissel (2008), S.  74; Brandsma (2009), S.  128; Laborenz (2014), S.  143 Anm.  243 und S.  227 f. 11  Dritter Abschnitt, 3. b). 12  Regenbrecht (1820), S.  46 war der Ansicht, einer der beiden Verpflichtungsgründe müsse wirksam sein. 13 Vgl. Flume (1990), S.  55. 14 Vgl. Wolf (1961), S.  109 Anm.  76. 15 Vgl. Schanbacher (1992a), S.  15. 16 Vgl. Harke (2005a), S.  114. 17  Schindler (1997), S.  1036 konstatiert, wir wüssten nicht, ob eine wirksame causa zugrunde liegt; offenbar setzt Schindler voraus, dass nicht die solutio, sondern das Verpflichtungsgeschäft die causa bildet. 18  Auch nach Benke / Meissel (2012), S.  88 bezieht sich Teil 2 auf die causa solvendi; unproblematisch sei es, wenn eine der beiden Verpflichtungen wirksam sei; nicht klar sei jedoch, ob Julian vielleicht an den Fall denkt, dass überhaupt keine Pflicht zustande gekommen ist. 19  Dritter Abschnitt, 3. b). 20  Behrends (1978), S.  209 Anm.  52 ist der Auffassung, für den Eigentumsübergang reiche die „materiale oder generelle Zweckbestimmung (jedenfalls Erfüllungszweck, wenn auch entweder ex testamento oder ex stipulatu)“. 21 Vgl. Harke (2005a), S.  114.

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Vierter Abschnitt: Der zweite Teil des Fragments: veluti si ego – deberi

sind, dass überhaupt eine Pflicht zur Übertragung des Eigentums erfüllt wird.22 Julian würde dann zwar grundsätzlich einen konkreten Solutionskonsens verlangen, im Falle eines Dissenses in causis aber ausnahmsweise einen abstrakten Konsens genügen lassen. Diese Deutung ist jedoch abzulehnen: Teil 2 hat ein Beispiel für die in Teil 1 formulierte Regel zum Inhalt, genauer: ein Beispiel für einen Dissens in causis.23 Das Ergebnis der Überlegungen zu Teil 1 lautet: Julian entscheidet nicht, dass grundsätzlich ein konkreter Solutionskonsens als causa erforderlich ist, bei einem Dissens über den konkreten Verpflichtungsgrund jedoch ein abstrakter Konsens genügt.24 Auch der Beispielsfall kann deshalb nicht in diesem Sinne gedeutet werden. c) Harke deutet Teil 2 des Fragments folgendermaßen:25 Wer aufgrund eines unwirksamen Damnationslegats leistet, kann die Leistung, anders als bei einer unwirksamen Stipulation, nicht mit der condictio zurückverlangen.26 Die Erfüllung einer vermeintlichen Pflicht aus einem Damnationslegat bildet ein minus im Verhältnis zur Erfüllung einer vermeintlichen Pflicht aus Stipulation, „weil der Empfänger eine geringere Begünstigung annimmt, als ihm der Leistende zuteil werden lassen will. Die Parteiansichten über die causa solutionis sind insoweit deckungsgleich, als die Rechtswirkungen der vom Empfänger angenommenen causa hinter denen zurückbleiben, die von der causa ausgehen, welche der Leistende unterstellt. Diese enthält die vom Empfänger vorgestellte causa als minus.“27 Deshalb gehe das Eigentum über. Problematisch ist die Auffassung, Teil 2 setze voraus, dass die darin angesprochenen Pflichten nicht bestehen. Die Regel und das Beispiel beziehen sich auf die Vorstellungen der Parteien: consentiamus, dissentiamus, credam, existimes. Wie anders sollte ein Konsens oder Dissens sprachlich zum Ausdruck gebracht werden als durch die von Julian benutzten Verben, und dies auch, falls die zugrunde liegenden Verpflichtungen bestehen? Der Wortlaut von Teil 1 und 2 lässt nicht erkennen, dass die Rechtsgeschäfte unwirksam sind, wobei einzuräumen ist, dass sich diese Möglichkeit nicht ganz ausschließen lässt. Harkes Deutung des Falles (Teil 2) ist auf diesen einen Fall zugeschnitten. Julian teilt den Fall jedoch nicht um seiner selbst willen mit, sondern als ein Beispiel für 22 Vgl. Kriegsmann (1905), S.  36 f.; Wolf (1961), S.  110 Anm.  79; Laborenz (2012), S.  149 f.;

ders. (2014), S.  143 Anm.  243; S.  227 f. 23  Erster Abschnitt, 2. a); Vierter Abschnitt, 2. 24  Dritter Abschnitt, 4. b). 25 Vgl. Harke (2005a), S.  104 ff., insbesondere S.  113 f.; ders. (2012b), S.  125 f.; ders. (2016), S.  241 f. = Rn.  17 f. 26  In Inst 3,27,7 heißt es dazu, der Kondiktionsausschluss gehe auf die veteres zurück. 27  Harke (2005a), S.  114.

4. Die eigene Auslegung und ihre Konsequenz für den causa-Begriff

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die Regel, genauer: für den in Teil 1 behandelten Dissens in causis. Zu fragen ist daher, wie die Regel lautet und welche Fälle sonst noch davon erfasst sein könnten, wenn man Harkes Interpretation folgt. Harke kennzeichnet das Beispiel als einen „Fall divergierender Vorstellungen über die causa solutionis“.28 Die Regel müsste sich demzufolge ebenfalls auf alle Fälle „divergierender Vorstellungen über die causa solutionis“ erstrecken. Nichts im Wortlaut der Regel deutet jedoch darauf hin, dass sie auf Fälle einer causa solutionis beschränkt ist.29 Zudem ist nicht ersichtlich, welche weiteren Fälle von der Regel erfasst sein könnten, wenn man Harkes Deutung folgt. Auch Harke führt solche Fälle nicht an.30

4. Die eigene Auslegung und ihre Konsequenz für den causa-Begriff a) Folgt man der hier für möglich gehaltenen Interpretation des ersten Teils, so stellt Julian fest, dass das Eigentum auch dann übergeht, wenn während der traditio zwischen den Beteiligten ein Dissens in causis, das heißt über den Leistungszweck, besteht – dies jedoch nur, falls eine wirksame causa bereits früher zustande gekommen ist (und ein Konsens in corpore besteht).31 Diese Deutung entspricht dem Wortlaut der Teile 1 und 2 und vermeidet eine Unstimmigkeit zwischen ihnen. Vorausgesetzt wird, dass das Damnationslegat und die Stipulation jeweils als (mögliche) causa qualifiziert werden. Eine solche Interpretation widerspricht der allgemeinen Auffassung, wonach die solutio als causa qualifiziert wird. Deshalb ist es erforderlich, diese Auffassung zu überprüfen. b) Eine Deutung, die mit einer relativ geringfügigen Modifikation des herkömmlichen causa-Begriffs verbunden wäre, könnte folgendermaßen lauten: Die solutio, genauer: der konkrete Solutionskonsens, wird als causa anerkannt. Kommt es zu einem Dissens über den Verpflichtungsgrund, ist die solutio als causa unwirksam. In einem solchen Fall betrachtet Julian das Verpflichtungsgeschäft als causa. Voraussetzung ist, dass im Beispielsfall (Teil 2) entweder das Damnationslegat oder die Stipulation gültig ist, sodass eines der beiden Rechtsgeschäfte eine wirksame causa bildet und der Eigentumsübergang zustande kommt. Die subjektiv formulierte Wendung non animadverto zeigt, dass Julian eine neue Frage behandelt, zu der noch keine gefestigte Position vertreten wird. Sollte 28 

Ebd., S.  115. Dritter Abschnitt, 4. b). 30  Vgl. auch die (anders als hier begründete) Kritik an Harkes Position bei Laborenz (2012), S.  163 ff. 31  Dritter Abschnitt, 9. 29 

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Vierter Abschnitt: Der zweite Teil des Fragments: veluti si ego – deberi

Julian für den Fall eines Dissenses über den Verpflichtungsgrund von dem Erfordernis einer solutio als causa abweichen und ein Verpflichtungsgeschäft als causa anerkennen, müsste er dies explizit feststellen und begründen. Zeitgenössische Leser hätten ihn sonst nicht verstanden. Die im dritten Teil des Fragments enthaltene Begründung würde nicht weiterhelfen. Diese Begründung wird zwar erst später untersucht;32 deutlich ist aber schon auf den ersten Blick, dass die solutio als causa darin keine Bedeutung hat. Nicht plausibel ist zudem, dass die solutio im Regelfall die causa bilden und das Verpflichtungsgeschäft nur ausnahmsweise als causa dienen soll. Der Grund, der letztlich hinter der Übereignung steht, ist das Verpflichtungsgeschäft; um dieses Geschäfts willen wird übereignet. Einleuchtender wäre es, auf die solutio als causa ganz zu verzichten und das Verpflichtungsgeschäft immer als causa anzuerkennen, oder zumindest das Verpflichtungsgeschäft im Regelfall als causa zu betrachten und nur ausnahmsweise (bei Unwirksamkeit des Geschäfts) die solutio als causa genügen zu lassen – ähnlich wie die Juristen des Mittelalters eine causa putativa für ausreichend erklärt haben, falls die causa vera unwirksam war.33 Den konkreten Solutionskonsens in der Regel als causa zu qualifizieren und auf das Verpflichtungsgeschäft nur im Ausnahmefall zurückzugreifen, wirkt dagegen gekünstelt. c) So bleibt wohl nur noch die Möglichkeit, dass Julian nicht eine causa solvendi voraussetzt, sondern (im Beispiel des Teils 2) das Legat und die Stipulation, allgemein: den Verpflichtungsgrund (Teil 1), als causa qualifiziert. Diese Vermutung widerspricht zwar der Lehre von der solutio als causa, sollte aber nicht von vornherein zurückgewiesen werden. Sie scheint dem Wortlaut der beiden ersten Teile des Fragments gut zu entsprechen: Im ersten Teil ist von einem Dissens die Rede: dissentiamus. Im zweiten Teil heißt es entsprechend: ego credam und tu existimes. Im ersten Teil wird allgemein festgestellt, worauf sich der Dissens bezieht: in causis. Im zweiten Teil wird konkret von einer Pflicht aus einem Testament (ex testamento) und einer Pflicht aus einer Stipulation (ex stipulatu) gesprochen. Da im Beispiel (Teil 2) alle Merkmale, die im Tatbestand der Regel abstrakt bezeichnet werden (Teil 1), als konkrete Sachverhalts-Elemente erscheinen, drängt sich der Eindruck auf, dass Legat und Stipulation genau die konkreten causae sind, die mit der Wendung in causis abstrakt bezeichnet werden. Vermuten lässt sich daher: Entweder Julian und vielleicht noch weitere Juristen erkennen die causa solvendi nicht an und stellen sich damit in Gegensatz zur Auffassung anderer römischer Juristen, oder eine causa solvendi ist allen klassischen Juristen unbekannt. Im Folgenden wird diese Vermutung überprüft. 32 

33 

Siebter Abschnitt. Fünfter Abschnitt, 3. e).

Fünfter Abschnitt

Exkurs: Wird die solutio als causa qualifiziert? 1. Einführung a) Um die Lehre von der solutio als causa zu begründen, werden in der romanistischen Literatur meistens Stellen angeführt, die sich auf die solutio indebiti beziehen. Die Texte finden sich hauptsächlich in D. 12,6 (De condictione indebiti) und bei Gaius (Inst 3, 91; 3 aur D. 44,7,5,3).1 Es heißt, als Rechtsfolge der Leistung von etwas Nichtgeschuldetem2 werde nicht die rei vindicatio, sondern allein die condictio genannt. Es fehle jeder Beleg dafür, dass im Fall von Geld die nummi extantes zu vindizieren, die consumpti zu kondizieren seien.3 Da die Kondiktion den Eigentumserwerb des Empfängers voraussetze,4 sei der Schluss unumgänglich, dass die solutio indebiti zum Eigentumsübergang führt. Es müsse also eine wirksame causa vorliegen. Daraus folge, wie zum Beispiel Kaser feststellt, „zwingend“, dass die solutio die causa bilde.5 Jakobs fügt hinzu, an der Lehre von der solutio als causa „zweifelt selbst unter unseren neueren Romanisten niemand.“6 Es sind jedoch durchaus zweifelnde Stimmen zu vernehmen. So bezeichnen Evans-Jones und MacCormack die Lehre als „highly Kaser (1961a), S.  70. Als Parallelstellen aus den justinianischen Institutionen führt Kaser an: Inst 3,14,1 und 3,27,6. Zur Interpretation von Gai Inst 3,91 und D. 44,7,5,3: Fünfter Abschnitt, 16. 2  Mehrere Fallgruppen lassen sich unterscheiden: Die angenommene Schuld ist nicht zustande gekommen oder wieder untergegangen oder wegen einer Einrede dauerhaft nicht durchsetzbar (Ulp 26 ed D. 12,6,26,3) oder eine Schuld besteht zwar, der Zahlende ist aber nicht der wirkliche Schuldner; vgl. Harke (2016), S.  188 = Rn.  22; Wegmann Stockebrand (2017), S.  147. 3 Vgl. Kaser (1961a), S.  71. 4  Sofern die Leistung in der Übereignung einer Sache besteht; eine Ausnahme bildet die condictio ex causa furtiva. 5  Kaser (1961a), S.  70; ähnlich Kupisch (2007), S.  2714. Kaser / Knütel / Lohsse (2017), S.  148 = Rn.  12 stellen lediglich fest, dass es für den Eigentumserwerb auf das Bestehen einer Verbindlichkeit nicht ankam, sei „immerhin deshalb zu vermuten“, weil die römischen Juristen bei solutio indebiti die Möglichkeit der Rückforderung durch Kondiktion angenommen hätten; sollte das Eigentum nicht übergegangen sein, wäre die Vindikation einschlägig gewesen. 6  Jakobs (2002), S.  307. 1 Vgl.

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Fünfter Abschnitt: Exkurs: Wird die solutio als causa qualifiziert?

speculative“.7 Andere Autoren äußern sich ebenfalls skeptisch bis ablehnend,8 freilich ohne ihre Haltung näher zu begründen. b) Im Folgenden wird die Lehre von der solutio als causa untersucht. Vorgegangen wird in drei Schritten. In einem ersten Schritt wird auf den Begriff der solutio als causa eingegangen. In einem zweiten Schritt werden sodann darauf bezogene Unklarheiten, Fragen und Zweifel dargelegt. Deutlich wird, dass es sinnvoll, ja geradezu notwendig ist, die Lehre gründlich zu überprüfen. In einem dritten und entscheidenden Schritt wird die Überprüfung durchgeführt. Darin besteht der Hauptteil der Untersuchung über die solutio als causa.

2. Zum Begriff der solutio als causa a) Die Frage, wie der Begriff der solutio als causa zu definieren ist, wird in der romanistischen Literatur meist nicht erörtert.9 Unterschiedliche Definitionen werden zugrunde gelegt: Manchmal wird als causa die Leistung als solche, insbesondere die Zahlung, verstanden.10 In einer zweiten Gruppe von Meinungen wird die zum Zweck der Erfüllung erbrachte Leistung als causa qualifiziert.11 Evans-Jones / MacCormack (1989), S.  101 Anm.  12. Wubbe (1990), S.  114 Anm.  2 hält die Lehre von der Solutionskausa für „artificiosa e in contrasto con il sistema“. Ablehnend äußert sich auch Pool (1995), S.  112 ff. Meissel (2008), S.  74 f. Anm.  39 konstatiert, ungeklärt sei, ob eine causa solvendi vorliege, wenn keine Pflicht bestand; eindeutig belegt sei der Putativtitel lediglich als iusta causa usucapionis. Meissel äußert damit Zweifel an der herrschenden Lehre, wonach eine causa solvendi auch dann vorliegt, wenn der Verpflichtungsgrund unwirksam ist, jedoch als wirksam vorgestellt wird. Fu (2010), S.  10, 19 hält es für fraglich, ob es bei den Klassikern schon ein derart abstraktes Tatbestandsmerkmal wie die „Zweckerreichung“ gegeben hat. Die römischen Juristen seien in ihrem Denken weniger systematisch und stärker topisch bestimmt. Pichler / Kossarz (2018), S.  101 Anm.  8 sind der Auffassung, es gebe keine quellenmäßigen Zeugnisse dafür, dass auch ein Putativtitel einen Rechtsgrund abgibt; solche Zeugnisse fänden sich nur bei der originären Erwerbsart der Ersitzung. Damit folgen die beiden Autoren Meissel (2008), S.  74 f. Anm.  39. 9  Eine Ausnahme bildet Laborenz (2014), S.  99, der feststellt: „Die vorherrschende Ansicht stellt hierbei auf die mit der Übergabe einhergehende Zweckvereinbarung über den schuldbefreienden Charakter der Übereignung ab.“ Der gleiche Autor äußert sich ebd., S.  216 ff. weiter zur „Rechtsnatur der causa solvendi“, z. B. zur Frage, ob die solutio ein Konsens sei oder ob der animus solvendi aufseiten des Veräußerers oder des Erwerbers genügt. Das Ergebnis seiner Überlegungen lautet: Ein Konsens ist erforderlich (S.  223 f.). Laborenz geht auch der Frage nach, ob sich der Konsens auf den konkreten Verpflichtungsgrund beziehen muss (S.  226 ff.). 10  Pichonnaz (2008), S.  262: „Pour les Romains, la cause était le paiement lui-même.“ 11  Kaser / Knütel / Lohsse (2017), S.  147 = Rn.  11: „(…) die solutio, also die Leistung zur Erfüllung einer Schuld, ist eine taugliche causa (…)“. Spengler (2016), S.  201 spricht vom Willen des Veräußerers, eine Verpflichtung zu erfüllen. Flume (1990), S.  55 führt dagegen aus: 7 Vgl. 8 

2. Zum Begriff der solutio als causa

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Maßgeblich ist danach nicht die Leistung als solche; hinzukommen muss eine Zweckbestimmung des Leistenden, nämlich eine Erfüllungsabsicht. Eine dritte Auffassung geht dahin, als causa sei ein die Übergabe begleitender Konsens der Beteiligten über den Erfüllungszweck der Leistung zu begreifen.12 Es wird auch von einer Tilgungsabrede gesprochen.13 Die causa ist danach ein mit der Leistung verbundener Konsens über den Erfüllungszweck. In der romanistischen Literatur ist, wie bereits erwähnt,14 umstritten, ob sich der Konsens auf den Verpflichtungsgrund beziehen muss (konkreter Solutionskonsens) oder ob es genügt, wenn sich die Beteiligten darüber einig sind, dass überhaupt eine Pflicht zur Übereignung erfüllt wird (abstrakter Solutionskonsens). Nicht ganz deutlich ist, in welcher Form der Solutionskonsens geäußert werden muss. Die meisten Autoren nehmen dazu nicht Stellung. Sie scheinen eine stillschweigende Übereinstimmung genügen zu lassen, die ja in aller Regel auch tatsächlich vorliegen wird. Harke spricht davon, „dass die Zuwendung mit besonderer Vereinbarung ihres Erfüllungszwecks (solutionis causa) (…) geschieht“.15 Falls mit der „besonderen Vereinbarung“ ein ausdrücklicher Konsens gemeint ist, wäre weiter zu fragen, welche Rechtsfolge eintritt, falls die Überein„Stimmen Tradent und Empfänger also darin überein, dass die traditio solvendi causa erfolgt, so ist die traditio eine solche iusta causa und bewirkt, dass der Empfänger Eigentümer wird.“ Auffällig ist, dass Flume nicht die Zweckvereinbarung, sondern die traditio als causa qualifiziert. 12  Harke (2016), S.  189 = Rn.  23: „(…) dass die Zuwendung mit besonderer Vereinbarung ihres Erfüllungszwecks (solutionis causa) und damit unabhängig vom Bestand der zu tilgenden Forderung geschieht.“ Laborenz (2014), S.  99: „Die vorherrschende Ansicht stellt hierbei auf die mit der Übergabe einhergehende Zweckvereinbarung über den schuldbefreienden Charakter der Übereignung ab und bezeichnet diese überwiegend mit dem Begriff der causa solvendi.“ 13  Erxleben (1850), S.  26: „Beide Seiten dieses Vorgangs stehen aber nach der Absicht des Handelnden in innigster Verbindung, und insofern in einem unauflöslichen Zusammenhange, als sie in ihrer Vereinigung gerade das Geschäft der Zahlung bilden: die bestehende Obligation aufzulösen, leistet der Schuldner etwas (…). Sein Wille, etwas in das Vermögen des Anderen zu übertragen, ist nur durch diesen Zweck bestimmt; dieser Zweck bildet ursachlich also zugleich den Grund, die Causa seiner Leistung.“ Pernice (1892 / 1963), S.  244 f. hält im Hinblick auf die solutio indebiti zweierlei für erforderlich: einen Konsens darüber, dass zwecks Tilgung einer Schuld geleistet wird, und die beiderseitige irrtümliche Annahme, dass ein „zu lösendes obligatorisches Rechtsverhältnis“ als causa besteht. Wolf (1961), S.  110 sagt: „Einigung über den schuldbefreienden Charakter der Leistung“, Laborenz (2014), S.  294: „ein consensus über den Tilgungscharakter der Leistung“. Auch Harke (2016), S.  241 = Rn.  17 spricht von einer „Tilgungsabrede“. 14  Dritter Abschnitt, 3. b). 15  Harke (2016), S.  189 = Rn.  23. Ebd., S.  241 = Rn.  17 heißt es „Tilgungsabrede“. Ähnlich bei Harke (2003), S.  52: „die bloße Abrede über den Erfüllungszweck“. Das Wort „Abrede“ könnte ebenfalls dafür sprechen, dass Harke eine ausdrückliche Vereinbarung für erforderlich hält.

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Fünfter Abschnitt: Exkurs: Wird die solutio als causa qualifiziert?

stimmung nur stillschweigend erfolgt. Konsequenterweise müsste die Übereignung scheitern. b) Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung ist es nicht erforderlich, auf die verschiedenen Varianten des Begriffs näher einzugehen. So muss nicht erörtert werden, ob zum Begriff der causa solvendi über den Erfüllungskonsens hinaus auch die Leistung selbst gehört,16 oder ob die causa solvendi als Tilgungsabrede zu verstehen ist.17 Die Darstellung der unterschiedlichen Varianten des Begriffs zeigt jedenfalls, dass hier Unklarheiten bestehen, die, wie bereits erwähnt,18 in der romanistischen Literatur kaum diskutiert werden. Im Folgenden wird der causa-Begriff der herrschenden Meinung unter den Romanisten zugrunde gelegt. Geprüft wird also, ob die römischen Juristen den während der Übergabe bestehenden Konsens über den Erfüllungszweck der Leistung als causa qualifizieren. Nicht die solutio als solche kommt somit als causa in Betracht, sondern ein Solutionskonsens.19

3. Fragen und Zweifel a) Nach der in der Romanistik überwiegend vertretenen Meinung ist als causa traditionis ein wirksames Rechtsgeschäft zu verstehen; der causa-Begriff wird „objektiv“ definiert.20 Dagegen wird der Begriff der causa solvendi – ebenfalls nach herrschender Meinung – als bloßer Konsens über den Erfüllungszweck einer Leistung und damit „subjektiv“ verstanden. Im Verhältnis zu anderen Kausalverhältnissen stellt die causa solvendi eine Anomalie dar.21 Die An16  Würde vorausgesetzt, dass die Leistung zum Begriff der causa solvendi gehört, änderte sich im Rahmen der vorliegenden Untersuchung nichts, deshalb kann hier auf eine Klärung verzichtet werden. 17  Die Auffassung, die causa sei eine mit der Leistung verbundene Tilgungsvereinbarung, setzt einen anderen Akzent als die Ansicht, die causa sei ein Konsens über den Erfüllungszweck: Die unmittelbare Wirkung der Erfüllung, nämlich die Tilgung der Pflicht und damit die Befreiung des Schuldners, wird in den Konsens einbezogen. Diese Auffassung beruht wohl auf der These, die causa solvendi sei das Relikt einer in archaischen Zeiten zugleich mit der Leistung getroffenen Vergleichsvereinbarung, wodurch die vertraglichen Pflichten erlöschen sollten. Auffällig ist jedenfalls, dass die meisten Autoren, von denen die causa als Tilgungsvereinbarung begriffen wird, dieser historischen These folgen; vgl. Wolf (1961), S.  110; Kaser (1961a), S.  74 f.; Honsell / Mayer-Maly / Selb (1987), S.  158; Kupisch (1985), S.  2372; Haus­ maninger / Selb (2001), S.  152. Zur historischen These: Fünfter Abschnitt, 8. 18  Fünfter Abschnitt, 2. a). 19  Gleichwohl wird in der vorliegenden Untersuchung aus stilistischen Gründen gelegentlich von der solutio als causa gesprochen; gemeint ist immer der Solutionskonsens. 20  Dritter Abschnitt, 2. a). 21 Vgl. Fuchs (1952), S.  158; Wubbe (1990), S.  114.

3. Fragen und Zweifel

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erkennung einer solchen causa führt zu einer Aufspaltung des causa-Begriffs. Einzuräumen ist freilich, dass das Wort causa sowohl den Grund als auch den Zweck bezeichnen kann.22 Möglicherweise haben die Römer den Unterschied zwischen einem Grund und einem Zweck als nicht so gravierend empfunden, wie es dem heutigen Sprachgefühl entspricht. b) Bestehen Übergabe und causa gleichzeitig, zum Beispiel bei Schenkung (donatio) und Darlehen (mutuum), ist die causa das Rechtsgeschäft, das letztlich den Grund für die Übereignung bildet. Bei einem zeitlichen Nacheinander, das heißt wenn ein zur Übereignung verpflichtender Tatbestand gegeben ist, hätte konsequenterweise das Gleiche zu gelten: Die causa müsste das wirksame Rechtsgeschäft oder eine bestehende gesetzliche Pflicht sein, aufgrund deren die Sache übergeben und übereignet wird. Nicht der Solutionskonsens ist der Grund dafür, dass eine Sache übergeben und übereignet wird, sondern der Verpflichtungsgrund. Wenn man die solutio als causa betrachtet, wird der eigentliche Grund für die Übereignung vom causa-Begriff nicht erfasst. Im Ergebnis läuft dies darauf hinaus, den Grundsatz der kausalen Übereignung preiszugeben und das Abstraktionsprinzip anzuerkennen.23 Laborenz zieht daraus den Schluss, dem Abstraktionsgrundsatz komme im römischen Recht eine weit größere Bedeutung zu als bisher angenommen.24 Kaser / Knütel / Lohsse stellen fest: „Bei Lichte besehen, ist damit in der Klassik die traditio in dieser Fallgruppe (gemeint ist die solutio indebiti, Verf.) zu einem abstrakten Übereignungsgeschäft geworden.“25 Dies steht jedoch im Widerspruch zu der klaren, von Paulus getroffenen Feststellung, wonach das Eigentum an res nec mancipi ohne causa niemals übertragen wird (D. 41,1,31 pr.).26 c) Unlogisch wirkt es, dass eine gültige Erfüllung selbst dann gegeben sein soll, wenn eine zu erfüllende Pflicht gar nicht besteht.27 Wollte man einwenden, es gehe hier nicht um eine wirkliche solutio im Sinne der Erfüllung einer bestehenden Pflicht, sondern bloß um einen Konsens, der auch vorliegen kann, wenn eine Pflicht nicht bestehe, wäre ein solcher Einwand fragwürdig. In einem derartigen Fall liegt ein gemeinsamer Irrtum der beiden Beteiligten vor. Im

Heumann / Seckel (1914), S.  59 f. s.v. causa 1) und 2). Jakobs (2002), S.  307; Harke (2012a), S.  293 Anm.  7. 24 Vgl. Laborenz (2012), S.  141 ff.; ders. (2014). 25  Kaser / Knütel / Lohsse (2017), S.  147 = Rn.  11. 26  Fünfter Abschnitt, 11. 27  Jakobs (2002), S.  307 ff. unterscheidet daher: Bestehe eine Pflicht nicht, gehe das Eigentum zwar über, „als ein besonderes Geschäft“ sei die solutio aber nur wirksam, wenn die Forderung bestehe, nur eine gültige Schuld könne getilgt werden. 22 Vgl. 23 Vgl.

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Fünfter Abschnitt: Exkurs: Wird die solutio als causa qualifiziert?

römischen Recht finden sich Darlegungen, wonach ein Konsens nichtig sein kann, wenn er auf dem Irrtum (mindestens) eines der Beteiligten beruht.28 Mit dieser Feststellung wird nicht der Satz errantis voluntas nulla est angesprochen.29 Dieser Satz ist trotz seiner allgemeinen Formulierung auf den besonderen Fall der Zustimmung zugeschnitten30 und kann nicht verallgemeinert werden.31 Im vorliegenden Zusammenhang geht es nicht um eine auf Irrtum beruhende Zustimmung, sondern um Einigkeit, die einen gemeinsamen Irrtum zur Grundlage hat. So heißt es im Hinblick auf den Fall, dass ein Prätor irrtümlich statt eines anderen angerufen wurde, bei Ulpian: nec enim ferendus est qui dicat consensisse eos in praesidem, cum, ut Iulianus scribit, non consentiant qui errent (2 omn trib D. 2,1,15).32 Harke ist der Auffassung, der consensus in praeside entspreche dem consensus in corpore des Vertragsrechts.33 Dass ein Irrtum den Konsens ausschließen kann, gilt demnach nicht nur für Konsensualverträge, sondern auch außerhalb des eigentlichen Vertragsrechts.34 Was die solutio indebiti angeht, so führt der gemeinsame Irrtum der Beteiligten über die Wirksamkeit des Verpflichtungsgeschäfts möglicherweise dazu, dass ein Konsens fehlt, sodass auch ein Solutionskonsens als causa nicht in Betracht kommt.35 Folgt man dagegen der Lehre vom Solutionskonsens, wird ein auf einem doppelten Irrtum beruhender Konsens als causa anerkannt. d) Eine besondere Schwierigkeit bringt die Lehre von der causa solvendi beim Kauf mit sich: Die Übereignung durch den Verkäufer ist keine solutio, weil dieser nicht Eigentum schuldet, sondern ungestörten Besitz und Genuss der Sache (habere licere).36 Die causa für die Leistung des Verkäufers ist unstreitig Wacke (1994), S.  267 ff.; Harke (2005a), S.  146 ff. In dieser Formulierung kommt die Regel in den Digesten nur einmal vor: Pomp 14 QM D. 39,3,19; vgl. Wolf (1961), S.  4. Aus der älteren Literatur zu dieser Regel vgl. Wolf (1961), S.  1 ff. mit weiteren Nachweisen. 30  Ein Beispiel für eine unwirksame Zustimmung liegt vor, wenn jemand es duldet, dass sein Nachbar eine Anlage errichtet, die den Lauf des Regenwassers zum Nachteil des Nachbargrundstücks verändert, die Duldung jedoch auf dem Irrtum oder der Unwissenheit über den Lauf des Regenwassers beruht. Dem beeinträchtigten Nachbarn steht dann die actio aquae pluviae arcendae zu: Pomp 14 QM D. 39,3,19; Pomp 34 Sab D. 39,3,20; vgl. auch Harke (2005a), S.  148 f. 31 Vgl. Harke (2005a), S.  146 ff., 159. 32  „Kein Gehör ist dem zu geben, der behauptet, man habe sich über den Gerichtsherrn geeinigt, weil, wie Julian schreibt, diejenigen, die irren, nicht übereinstimmen.“ 33 Vgl. Harke (2005a), S.  157. 34  Vgl. ebd., S.  159. 35  Die Frage, welche rechtlichen Folgen ein gemeinsamer Irrtum im Hinblick auf einen Konsens hat, kann hier nicht erschöpfend behandelt werden. In diesem Zusammehang wäre auch das Problem des Putativtitels bei der usucapio zu erörtern. 36  Dritter Abschnitt, 3. b) Anm.  30. 28 Vgl. 29 

3. Fragen und Zweifel

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der Kaufvertrag; dieser muss gültig sein, damit das Eigentum an der Ware übergeht.37 Was die Zahlung des Kaufpreises betrifft, wird dagegen die solutio als causa unterstellt, sodass das Eigentum am Geld auch übertragen wird, falls der Kaufvertrag unwirksam ist.38 Schwer verständlich ist, warum der Kaufvertrag nicht einheitlich als causa begriffen wird. e) Der Solutionskonsens wird als causa qualifiziert, weil man eine Notlage zu bewältigen hat: Das Prinzip der kausalen Übereignung (D. 41,1,31 pr.) einerseits und die Entscheidungen zur solutio indebiti (vor allem in D. 12,6) andererseits müssen irgendwie in Übereinstimmung gebracht werden. So plausibel das Argument aus D. 12,6 auf den ersten Blick auch wirken mag – die causa solvendi erscheint als eine romanistische Zweckkonstruktion, der etwas Willkürliches anhaftet. Verstärkt wird dieser Eindruck noch dadurch, dass die Glossatoren (ca. 1100 bis 1250 n.Chr.) ebenfalls versuchten, das Verhältnis zwischen dem Prinzip der kausalen Übereignung und D. 12,6 zu harmonisieren, wenn auch auf andere Art und Weise: Sie unterschieden zwischen einer causa vera und einer causa putativa und erklärten eine causa putativa für ausreichend.39 Als causa betrachteten sie den – wirksamen oder auch nur wirksam geglaubten – Verpflichtungsgrund. Außer der Lehre von der Solutionskausa gibt es also noch einen weiteren Versuch, das Kausalitätsprinzip und D. 12,6 in Übereinstimmung zu bringen. Was immer vom Begriff einer causa putativa auch zu halten sein mag: Die Lehre von der causa solvendi ist jedenfalls nicht die einzige Konsequenz, die aus D. 12,6 gezogen werden kann. Die These, die Annahme einer Solutionskausa sei „zwingend“,40 wird dadurch infrage gestellt. Unklar ist, warum man nicht auch heute noch der Lehre von der causa putativa folgen sollte.41 f) Im Hinblick auf das Verhältnis zwischen dem Grundsatz der kausalen Übereignung einerseits und D. 12,6 andererseits sowie die damit verbundene Frage, ob die römischen Juristen eine causa solvendi anerkennen, stellt Wubbe fest, „che tutta questa materia resta enigmatica per i romanisti moderni, non meno di 37 Vgl. Kaser (1961a), S.  77 f.; Kaser / Knütel / Lohsse (2017), S.  147 = Rn.  12. Laborenz (2014), S.  263 ff., 277 hält diese Auffassung nicht für überzeugend; insbesondere Jav 2 Plaut D. 12,6,45 spreche dagegen. 38 Vgl. Fuchs (1952), S.  158 f., 169 ff.; Kaser (1961a), S.  77; ders. (1961b), S.  218 ff. 39 Vgl. Fuchs (1952), S.  15 ff., 41 ff.; Kupisch (2007), S.  2707; Meissel (2008), S.  69; Zwalve / Sirks (2012), S.  277 ff.; Laborenz (2014), S.  61 f. 40  Kaser (1961a), S.  70; ähnlich Kupisch (2007), S.  2714. 41  Zu untersuchen bleibt, wann und mit welcher Begründung die Lehre von der solutio als causa eingeführt wurde; Ansätze dazu bei Laborenz (2014), S.  62 ff.; 69 ff. Jansen (2017), S.  173 f. Anm.  47 konstatiert zwar, nach gemeinrechtlicher Lehre habe eine causa putativa bzw. erronea genügt, erläutert aber nicht, wie lange diese Lehre maßgeblich war und wann die These von der solutio als causa eingeführt wurde.

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Fünfter Abschnitt: Exkurs: Wird die solutio als causa qualifiziert?

come lo era per i dottori di Bologna“.42 Angesichts der dargestellten Fragen und Zweifel ist es notwendig, die von der herrschenden Meinung vorgetragenen Argumente im Einzelnen zu überprüfen. So besteht die Aussicht, das Rätsel zu lösen, zumindest aber, um es vorsichtiger zu formulieren, einer Lösung näherzubringen.

4. Zum Argument aus D. 12,6,1 a) Im Folgenden wird die von Kaser und anderen Autoren formulierte These überprüft, wonach sich aus D. 12,6 zwingend ergibt, dass eine causa solvendi anerkannt wird, weil in den Entscheidungen zur solutio indebiti nicht die Vindikation, sondern allein die Kondiktion als Rechtsbehelf genannt wird.43 Die Untersuchung bezieht sich zunächst exemplarisch auf eine Äußerung Ulpians, die dem 26. Buch seines Kommentars zum Edikt entnommen und in D. 12,6,1 überliefert ist. Anschließend wird der Titel D. 12,6 insgesamt betrachtet. Um die grundlegende Bedeutung der zu analysierenden Stelle für die condictio indebiti zu betonen, haben die Kompilatoren sie an den Anfang von D. 12,6 gestellt44 – in Abweichung vom ordo librorum (Bluhme / Krüger), wie er für die Reihenfolge der Fragmente innerhalb einer Schriftenmasse von den Kompilatoren vorgesehen war.45 Ulpian-Fragmente wurden besonders häufig an den Anfang eines Titels gestellt.46 Durch solche Versetzungen wurden die unter einen Titel gestellten leges ansatzweise systematisch geordnet. Der Text lautet: Wubbe (1990), S.  114 f. Kaser (1961a), S.  70; Kupisch (2007), S.  2714; vgl. auch Laborenz (2014), S.  100 ff. mit weiteren Nachweisen. 44  Schwarz (1952), S.  18 zufolge haben die Kompilatoren das Fragment für besonders geeignet gehalten, den Titel D. 12,6 einzuleiten; vgl. auch Honoré (2010), S.  174. Allgemein zu Fragmenten, die an den Anfang eines Titels versetzt wurden, weil sie „den ganzen Gegenstand kurz und erschöpfend darstellen“: Bluhme (1820 / 1960), S.  66, 87; vgl. auch Mantovani (1987), S.  14; Honoré (2010), S.  100 ff. Die Feststellung, die Kompilatoren hätten das Fragment an den Anfang des Titels versetzt, beruht auf der Voraussetzung, dass die von Bluhme vertretene Massentheorie zutreffend ist. Obwohl diese Theorie der herrschenden Meinung entspricht, ist sie doch nicht vollständig gesichert; vgl. dazu neuerdings einige Beiträge in der Zeitschrift Interpretatio Prudentium 2 (2017), Heft 1. Im Übrigen haben nicht nur die Kompilatoren, sondern auch die römischen Juristen selbst dem Anfang eines Werkes große Bedeutung beigemessen; vgl. Spengler (2002), S.  737 Anm.  14. 45 Das Exzerpt stammt aus dem 26. Buch des von Ulpian verfassten Kommentars zum Edikt. Es gehört zur Sabinus-Masse, wurde also innerhalb dieser Masse versetzt; vgl. Bluhme (1820 / 1960), S.  371, 376; Honoré (2010), S.  152. 46  Spengler (2002), S.  737 teilt mit, dass die Kompilatoren insgesamt 260 Ulpian-Texte an den Anfang versetzt haben; Paulus-Exzerpte dagegen nur in 53 Fällen. Dies könne seinen 42 

43 Vgl.

4. Zum Argument aus D. 12,6,1

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Ulp 26 ed D. 12,6,1 Nunc videndum de indebito soluto. 1. Et quidem si quis indebitum ignorans solvit, per hanc actionem condicere potest: sed si sciens se non debere solvit, cessat repetitio.47

Wer etwas Nichtgeschuldetes geleistet hat, ohne zu wissen, dass die Schuld nicht bestand, kann nach §  1 die Kondiktion geltend machen.48 Ulpian fügt hinzu, falls der Leistende gewusst habe, dass er nicht verpflichtet war, könne er nichts zurückfordern (cessat repetitio).49 Damit wird die Feststellung wiederholt, wonach der Leistende nur kondizieren kann, wenn er den Mangel einer Pflicht nicht gekannt hat (wobei der Unterschied zwischen den Worten condicere und repetitio hier zunächst einmal außer Betracht bleiben soll).50 Nach allgemeiner Auffassung unter den Romanisten ist D. 12,6,1 zweierlei zu entnehmen: Zum einen geht das Eigentum solvendi causa über. Zum anderen steht nur ein einziger Rechtsbehelf zur Verfügung, nämlich die Kondiktion. Die Vindikation ist also ausgeschlossen. Im Folgenden werden die beiden Thesen überprüft. b) Als Erstes erscheint eine Bemerkung zum Vorverständnis angebracht: Die modernen Zivilrechtskodifikationen haben Normen zum Inhalt, das heißt Regelungen, die sich aus einem Tatbestand und einer Rechtsfolge zusammensetzen, wobei der Tatbestand die Voraussetzungen abstrakt beschreibt, die erfüllt sein müssen, damit die Rechtsfolge eintritt. Moderne Interpreten des klassischen römischen Rechts neigen manchmal dazu, die Darlegungen der römischen Juristen wie moderne Normen aufzufassen – insbesondere dann, wenn sich die Darlegungen nicht auf konkrete Fälle beziehen, sondern abstrakt formuliert sind, Grund darin haben, dass Ulpian-Texte besonders eingängig formuliert seien. Im Hinblick auf D. 12,6 erscheint dieses vermutete Motiv plausibel. 47  „Nunmehr ist die Leistung von Nichtgeschuldetem zu untersuchen. 1. Wenn nämlich jemand irrtümlich etwas Nichtgeschuldetes geleistet hat, kann er es mit dieser Klage kondizieren. Wenn er jedoch geleistet hat, obwohl er wusste, dass er nicht schuldet, scheidet die Rückforderung aus.“ 48  Schwarz (1952), S.  19 f. untersucht ältere Interpolationsvermutungen, die er alle zurückweist – mit einer Ausnahme: per hanc actionem hält er für einen Zusatz der Kompilatoren, durch den auf das Titelrubrum (De condictione indebiti) hingewiesen werden sollte. Für die Klassiker sei die condictio indebiti keine Spezialklage gewesen. Dieser Interpolationsbehauptung kann nicht zugestimmt werden; zu haec condictio in D. 12,6,66: Fünfter Abschnitt, 12. e). 49  Der Fall, dass ein indebitum geleistet wird, obwohl der Leistende Zweifel am Bestand der Pflicht hat, wird von Justinian am 1.10.530 entschieden (C. 4,5,11,1): Der Leistende kann das Geleistete zurückverlangen – es sei denn, der Empfänger weist nach, dass die Leistung aufgrund eines Vergleichs (transactio) erfolgt ist; vgl. Willems (2017), S.  262 ff. 50  Zum Begriff der repetitio allgemein: Fünfter Abschnitt, 7; zur Wendung cessat repetitio (D. 12,6,1,1): Fünfter Abschnitt, 7. h).

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Fünfter Abschnitt: Exkurs: Wird die solutio als causa qualifiziert?

wie dies bei D. 12,6,1 der Fall ist. Verführerisch ist auch, dass die Kompilatoren den Text an den Beginn von D. 12,6 gestellt haben: Der Leser erwartet eine regelhaft formulierte Aussage zur solutio indebiti, zumal es in D. 12,6,1 pr. heißt: Nunc videndum de indebito soluto.51 Die Frage nach den Voraussetzungen und Wirkungen einer solutio indebiti ist selbstverständlich legitim; das Verständnis der antiken Quellentexte als moderne Normen aber nicht. Der Normbegriff kann den Quellen nicht einfach unterstellt werden. Ob eine römischrechtliche Äußerung einer Norm vergleichbar ist, hängt vom jeweiligen Text ab. c) Im Folgenden wird D. 12,6,1,1 analysiert und dabei unterstellt, es handele sich um eine Bestimmung, in der die solutio indebiti samt Rechtsfolge, ähnlich wie in einer modernen Norm, geregelt ist. Unter dieser Voraussetzung ist festzustellen, dass ein Solutionskonsens in D. 12,6,1,1 nicht eindeutig als solcher bezeichnet wird. Dies wäre der Fall, wenn Ulpian etwa feststellen würde, dass eine nicht geschuldete Leistung solvendi causa erbracht wird und daher die Kondiktion zur Verfügung steht. Der Grund für diesen Mangel ist vielleicht darin zu sehen, dass die Kompilatoren die causa solvendi nicht mehr verstanden und alle entsprechenden Erwähnungen in den Texten getilgt haben, wie dies – wenn auch nicht speziell im Hinblick auf D. 12,6,1,1 – von denjenigen Romanisten behauptet wird, die annehmen, der Solutionskonsens werde als causa qualifiziert. Eingeräumt werden muss zwar, dass Interpolationen gerade in Form von Weglassungen relativ häufig in den Digesten vorkommen.52 Zu entgegnen ist aber, dass die solutio als causa in den Digesten zwar nicht ausdrücklich erscheint, die Wendung solvendi causa aber sehr wohl gebraucht wird.53 Wenn die Kompilatoren diese Worte in anderen Exzerpten nicht gestrichen haben, bestand kein Grund, sie in D. 12,6,1,1 wegzulassen.54 Ferner ist zu entgegnen, dass Interpolationen nur angenommen werden sollten, wenn im jeweiligen Text deutliche Hinweise darauf auszumachen sind oder ein Text sonst nicht sinnvoll gedeutet werden kann.55 Ob Letzteres hier der Fall ist, kann an dieser Stelle der Untersuchung noch nicht festgestellt werden. 51  Schwarz (1952), S.  7, 17 ff. verwendet bezüglich der solutio indebiti allgemein (nicht nur im Hinblick auf D. 12,6,1) zum Beispiel die folgenden Wendungen: „Der Kondiktionstatbestand ‚indebitum solutum‘“; „‚Solvere‘ als tatbestandsmäßige Voraussetzung der condictio wegen Leistung einer Nichtschuld“. 52  Siebter Abschnitt, 10. c). 53  Zum Beispiel in Paul 19 ed D. 6,2,4; weitere Nachweise bei Lange (1930), S.  42 Anm.  7. 54 Die Wendung solvendi causa bezeichnet möglicherweise nicht die solutio als causa, sondern ist eine zusammenfassende Bezeichnung dafür, dass zwecks Erfüllung geleistet wird, wobei der Verpflichtungsgrund die causa bildet. 55  Einführung, 5. a).

4. Zum Argument aus D. 12,6,1

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Dass der Solutionskonsens in D. 12,6,1,1 nicht ausdrücklich erwähnt wird, ist auf der Basis der Lehre von der solutio als causa erstaunlich.56 Denn nach herrschender Meinung unter den Romanisten wurde ein Solutionskonsens im klassischen Recht allgemein als causa anerkannt, sodass die solutio als causa einen festen Begriff bildete. Es hätte nahegelegen, dass Ulpian einen entsprechenden Terminus verwendet und ausdrücklich von einer causa solvendi gesprochen hätte. Nimmt man mit Pernice an, dass Ulpians Kommentar zum Edikt, dem D. 12,6,1,1 entstammt, ein Werk für die Praxis war und man „die Durchschnittsfähigkeit der Richter nicht eben hoch ansetzen durfte“,57 wäre es auch aus diesem Grunde zweckmäßig gewesen, sich möglichst deutlich auszudrücken, und das heißt den Solutionskonsens eindeutig als causa zu bezeichnen. Da ein Solutionskonsens in D. 12,6,1,1 nicht explizit angesprochen wird, muss geschlossen werden, dass darin keine einer Norm vergleichbare Regelung der solutio indebiti formuliert wird, genauer gesagt keine Norm, die im Sinne der herrschenden Meinung unter den Romanisten voraussetzt, dass die solutio eine causa bildet. Es wird vielmehr betont, dass der Leistende den Mangel einer Pflicht nicht kennen darf. Die Botschaft Ulpians lautet: „Nur wer irrtümlich auf eine Nichtschuld leistet, kann das Geleistete kondizieren.“58 Damit ist freilich nicht ausgeschlossen, dass sich der Stelle entnehmen lässt, worin eine solutio indebiti eigentlich besteht, und das heißt: ob ein Solutionskonsens als causa vorausgesetzt wird. Ein derartiger Konsens müsste sich aus zwei Elementen zusammensetzen: der Erfüllungsabsicht des Leistenden und der Absicht des Empfängers, die Leistung als Erfüllung anzunehmen. Im Folgenden wird untersucht, ob sich diese beiden Elemente in D. 12,6,1 nachweisen lassen. d) Zunächst zur Erfüllungsabsicht des Leistenden: Eine Erfüllungsabsicht lässt sich vielleicht dem Wort solvit in dem Satz Et quidem si quis indebitum ignorans solvit (§  1) entnehmen. Das Wort solvit könnte die Leistung in Erfüllungsabsicht bezeichnen.59 Denn wer nicht weiß (ignorans), dass er zur Leistung nicht verpflichtet ist, und gleichwohl leistet, wird in aller Regel mit Erfüllungsabsicht handeln. Zwingend ist dies freilich nicht; möglicherweise bezieht sich solvit einfach auf die Leistung als solche, unabhängig von der damit verbundenen Absicht. Dafür spricht, dass das gleiche Wort in sed si sciens se non debere solvit, cessat repetitio (§  1) nicht die Leistung mit Erfüllungsabsicht bezeichnen kann. Wenn das gleiche Wort (solvit) in §  1 zweimal verwendet wird, 56  Sofern man unterstellt, dass D. 12,6,1,1 eine Regelung der solutio indebiti enthält, die einer modernen Norm vergleichbar ist. 57  Pernice (1885 / 1962), S.  353. 58  Schermaier (2018), S.  793. 59 Vgl. Emunds (2007), S.  42, 50 ff.

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Fünfter Abschnitt: Exkurs: Wird die solutio als causa qualifiziert?

dürfte es jeweils die gleiche Bedeutung haben. Das Wort solvit im Satz Et quidem si quis indebitum ignorans solvit bezieht sich also nur auf die Leistung als solche, unabhängig von einer damit verbundenen Absicht. Die Erfüllungsabsicht des Leistenden kann vielleicht aus dem Wort ignorans und dem Satz sed si sciens se non debere solvit, cessat repetitio (§  1) abgeleitet werden.60 Falls der Leistende von der Unwirksamkeit des Verpflichtungsgrundes keine Kenntnis hat (ignorans), bedeutet dies jedoch nicht ohne Weiteres, dass ein animus solvendi und damit ein Element eines Solutionskonsenses vorliegt.61 Denn der Leistende kann die Leistung zu einem anderen Zweck erbringen, etwa donandi causa.62 Laborenz konstatiert, wenn die Juristen eine Leistung im Glauben an eine Schuld beschreiben und keine Anhaltspunkte dafür geben, dass eine abweichende Zweckbestimmung vorliegt, gebe es zum animus solvendi keine sinnvolle Alternative.63 Diese Überlegung ist zutreffend, erklärt jedoch nicht, warum Ulpian nicht explizit von einem animus solvendi spricht. e) Nun zur Absicht des Empfängers, die Leistung als Erfüllung anzunehmen: Wenn Ulpian einen Solutionskonsens voraussetzen würde, müsste er feststellen, dass der Empfänger an das Bestehen einer Pflicht irrtümlich glaubt. Eine solche Feststellung fehlt jedoch. Während Ulpian den Irrtum des Leistenden zweimal betont, wird der Irrtum des Empfängers nicht einmal erwähnt. Dies spricht dafür, dass ein Solutionskonsens nicht vorausgesetzt wird. Das Fazit lautet: Im Text wird weder die Erfüllungsabsicht des Leistenden noch eine Absicht des Empfängers, die Leistung als Erfüllung anzunehmen, klar bezeichnet. Derartige Absichten lassen sich auch nicht zweifelsfrei aus dem Text ableiten. Ein entsprechender Konsens ist zwar nicht auszuschließen, lässt sich aber dem Text (wenn überhaupt) nur mit Mühe entnehmen. f) Setzt man voraus, dass der Erfüllungskonsens nicht die causa bildet, ergibt sich ein anderes Bild. Die Unwissenheit des Leistenden und des Empfängers sind dann nicht Indizien für einen Solutionskonsens, sondern quasi eigenständige Tatbestandsmerkmale. Dies wird im Folgenden zu belegen versucht. Zunächst zur Unwissenheit des Leistenden: Dieses Merkmal ist notwendig, damit eine Kondiktion zur Verfügung stehen kann. Denn der Fall, in dem der Leistende weiß, dass eine Pflicht nicht besteht, kommt einer Schenkung gleich, sodass die Kondiktion nicht gegeben ist.64 Schwarz (1952), S.  17 f., 21. Laborenz (2014), S.  225. 62  Vgl. ebd. 63  Vgl. ebd. 64  Eine Ausnahme bilden nach Schwarz (1952), S.  111 die Fälle, in denen die Leistung mit Rücksicht auf eine sittliche Pflicht oder den Anstand vorgenommen wird. Hier passt der Gedanke der Schenkung nicht. 60 Vgl. 61 Vgl.

4. Zum Argument aus D. 12,6,1

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Laborenz ist zwar der Ansicht, eine Schenkung könne nicht vorausgesetzt werden, weil der Empfänger die Leistung mit animus solvendi annehme, sodass ein Schenkungskonsens nicht entstehe.65 Zu erwidern ist aber, dass es in den Quellentexten nicht heißt, eine Schenkung liege vor,66 sondern festgestellt wird, die wissentliche Leistung einer Nichtschuld gelte als Schenkung, werde von Rechts wegen als Schenkung angesehen.67 So heißt es zum Beispiel bei Papinian: Pap 12 resp D. 39,5,29 pr. Donari videtur, quod nullo iure cogente conceditur.68

Falls der Leistende das Nicht-Bestehen der Schuld kennt, liegt eine causa donationis vor. Im Hinblick auf D. 12,6,1,1 heißt dies: Die Kondiktion ist ausgeschlossen (cessat repetitio).69 Denn es wäre sinnlos, dem Leistenden ein Rückforderungsrecht zu geben, wenn er sich von der geleisteten Sache endgültig trennen möchte.70 Einige weitere Überlegungen sprechen dafür, dass die Unwissenheit des Leistenden ein eigenständiges Tatbestandsmerkmal bildet. Die römischen Juristen setzen mehrfach explizit voraus, dass eine Kondiktion nur zur Verfügung steht, wenn der Leistende einem error unterliegt,71 und dass eine Rückforderung ausgeschlossen ist, falls der Leistende vom Nicht-Bestehen der Schuld Kenntnis hat.72 So stellt Gaius an zwei Stellen zur solutio indebiti fest, dass per errorem geleistet werde (Gai Inst 3,91; 3 aur D. 44,7,5,3). Nicht ausgeschlossen ist zwar, dass Gaius jedes Mal beabsichtigt, einen Solutionskonsens anzudeuten. Plausibler erscheint aber die Annahme, dass der Irrtum eine eigenständige Voraussetzung bildet, die erfüllt sein muss, damit die Kondiktion zur Verfügung steht. So erklärt sich am einfachsten, dass der Irrtum sowohl von Gaius als auch von Ulpian explizit angeführt wird.73 Das Gleiche gilt im Hinblick auf den Rückforderungsausschluss, falls der Leistende vom Nicht-Bestehen der Schuld Kenntnis hat. Laborenz (2014), S.  222 Anm.  18. Schwarz (1952), S.  115: „Kein Klassiker behauptet, dass wissentliche Leistung einer Nichtschuld Schenkung ‚sei‘.“ 67  Vgl. ebd., S.  113, wonach die „wissentliche ‚Erfüllung‘ einer Nichtschuld als Schenkung zu behandeln ist“. 68  „Was ohne rechtliche Verbindlichkeit zugestanden wird, ist als Schenkung anzusehen.“ Der gleiche Satz findet sich auch in Pap 9 resp D. 50,17,82; ähnlich Paul 42 ed D. 50,17,53, vgl. Schwarz (1952), S.  113. Zu weiteren einschlägigen Quellentexten vgl. ebd., S.  111 ff. 69  Zur Wendung cessat repetitio auch: Fünfter Abschnitt, 7. h). 70 Vgl. Schwarz (1952), S.  112. 71  Zum Beispiel von Papinian: Pap 2 quaest D. 12,6,54; weitere Nachweise bei Laborenz (2014), S.  223 Anm.  20. 72  Vgl. ebd. 73  Nachweise: ebd. 65 Vgl. 66 

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Fünfter Abschnitt: Exkurs: Wird die solutio als causa qualifiziert?

Die Unwissenheit des Leistenden ist demnach kein Element eines Solutionskonsenses, sondern ein eigenständiges Tatbestandsmerkmal, das von Ulpian ausdrücklich erwähnt werden muss und auch tatsächlich erwähnt wird. Falls nicht der Leistende, wohl aber der Empfänger vom Fehlen einer Pflicht Kenntnis hat, stehen die condictio ex causa furtiva und weitere Rechtsbehelfe zur Verfügung. Ulpian braucht die Unwissenheit des Empfängers im Zusammenhang mit der condictio indebiti nicht eigens zu erwähnen, sondern kann dieses Merkmal als selbstverständlich voraussetzen. Aus alledem ist zu schließen, dass der Irrtum bzw. das Nicht-Wissen des Leistenden und des Empfängers eigenständige Bedeutung haben – was impliziert, dass der Solutionskonsens nicht als causa qualifiziert wird. Die in D. 12,6,1,1 formulierte Voraussetzung, wonach dem Leistenden die Kondiktion nur zusteht, falls er keine Kenntnis vom Fehlen einer Pflicht hat, bildet gewissermaßen das Material, aus dem die romanistischen Interpreten den Solutionskonsens als causa zu formen versuchen. Es hat sich gezeigt, dass dieses Material nicht ausreicht, um das angestrebte Ziel zu erreichen. Plausibler als die Annahme, Ulpian habe einen Text verfasst, aus dem ein Solutionskonsens nur mühsam (wenn überhaupt) erschlossen werden kann, ist der Verdacht, dass es die Interpreten sind, die einen solchen Konsens unterstellen. Der Wortlaut von D. 12,6,1,1 ist leichter und zwangloser zu verstehen, wenn man voraussetzt, dass Ulpian eine causa solvendi nicht zugrunde legt. Damit ist die Frage beantwortet, ob sich aus D. 12,6,1,1 ableiten lässt, dass ein Solutionskonsens vorausgesetzt wird. Die Antwort fällt negativ aus. Nun zur weiteren Frage, ob sich dem Text entnehmen lässt, dass die Kondiktion der einzige Rechtsbehelf ist, der dem Leistenden zusteht. g) Im Hinblick auf die These, wonach die Kondiktion als einziger Rechtsbehelf in Betracht kommt, weil allein dieser Rechtsbehelf ausdrücklich angeführt wird, sind einige Zweifel anzumelden. Erstens: Die Juristen der klassischen Zeit drücken sich gewöhnlich kurz und knapp aus. Was den zeitgenössischen Lesern – und das heißt meistens den Fachgenossen – nach Ansicht der Juristen als selbstverständlich erscheinen muss, wird häufig weggelassen.74 Es werden daher auch nicht immer alle in Betracht kommenden Rechtsbehelfe angeführt. So wird in den unter D. 13,1 (De condictione furtiva) zusammengestellten Exzerpten allein die Kondiktion genannt, obwohl daneben noch mehrere weitere Rechtsbehelfe zur Verfügung stehen.75 Ähnlich könnte es sich bei D. 12,6,1,1 verhalten.76 Wieacker (2006), S.  45; Baldus (2009), S.  634; ähnlich ders. (2010), S.  21. Pika (1988), S.  108 ff.; Kaser / Knütel / Lohsse (2017), S.  311 f. = Rn.  3 ff. 76  Als ein weiteres Beispiel für die unvollständige Anführung von Rechtsbehelfen kann Jav 4 Plaut D. 12,6,46 genannt werden; vgl. Wacke (1976), 85 Anm.  147: Die rei vindicatio wird 74 Vgl. 75 Vgl.

4. Zum Argument aus D. 12,6,1

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Zweitens: In D. 12,6,1,1 geht es um Leistungen aller Art, darunter solche, für die eine rei vindicatio von vornherein nicht in Betracht kommt.77 Dies betrifft zwei Fallgruppen: Leistungen, die keine Übereignung bilden, zum Beispiel Dienstleistungen oder die Begründung einer Forderung, ferner Übereignungen von res mancipi durch mancipatio sowie von res mancipi und res nec mancipi durch in iure cessio. Diese Arten der Übereignung wirken abstrakt.78 Nur bei einer dritten Fallgruppe kommt die rei vindicatio überhaupt infrage, nämlich bei Übereignungen von res nec mancipi durch traditio. Vielleicht hat Ulpian die Vindikation nicht eigens angeführt, weil sie nur einen Teil der von ihm angesprochenen Fälle betrifft, ohne dass er diesen Rechtsbehelf ausschließen wollte. Drittens (und dies ist wohl das plausibelste Argument): Die meisten Entscheidungen der Juristen zur solutio indebiti beziehen sich auf Leistungen aller Art und damit auch auf Geldzahlungen, denen bei einer solutio indebiti besondere Bedeutung zukommt. In den überlieferten Fällen zur solutio indebiti führen die Juristen regelmäßig keinen konkreten Gegenstand an, der geleistet wurde; wenn sie sich jedoch ausnahmsweise auf ein konkretes Objekt beziehen, handelt es sich meist um Geld.79 Die Fälle zur solutio indebiti betreffen daher häufig (ausdrücklich oder stillschweigend) Geldzahlungen.80 Das Wort solutio wird geradezu als ein Synonym für die Zahlung gebraucht.81 Bei einer Geldzahlung wird der Leistende das Eigentum an den Geldmünzen in der Regel sehr bald nach der Zahlung durch commixtio82 oder consumptio83 verlieren, sodass die ausdrücklich angeführt. Zu ergänzen ist, dass nach Konsumtion die condictio zur Verfügung steht. Weitere Beispiele finden sich in: Iul 10 dig D. 12,1,19,1; vgl. Fuchs (1952), S.  229 f.; ferner in: Proc 7 epist D. 12,6,53; Ulp 26 ed D. 12,6,26,9; Ulp 30 Sab D. 46,3,14,8. 77  Die von Cruz (1962), S.  65 ff., 132 ff., 227 ff. vertretene These, im klassischen Recht bezeichne solutio nur die Erfüllung einer auf pecuniam oder certum dare gerichteten Schuld, wird in der Literatur abgelehnt; vgl. Kaser (1971), S.  636 Anm.  6; Emunds (2007), S.  296. 78  Dies ist freilich nicht ganz unstreitig; Erster Abschnitt, 3. b). 79  Ein deutliches Beispiel bildet Gai Inst 3,91; die unmittelbare Nachbarschaft zum mutuum (Inst 3,90) zeigt, dass die solutio indebiti in erster Linie ebenfalls die Geldzahlung betrifft; zu Gai Inst 3,90 f.: Fünfter Abschnitt, 16. a); vgl. auch Laborenz (2014), S.  280 mit weiteren Nachweisen aus den Quellen in Anm.  166; Wegmann Stockebrand (2017), S.  148. 80 Vgl. Liebs (1986), S.  177; Emunds (2007), S.  44, 296 f.; Wegmann Stockebrand (2017), S.  148, insbesondere auch Anm.  179, ferner S.  151. 81 Vgl. Heumann / Seckel (1914), S.  546 s.v. solutio 2); S.  547 s.v. solvere 5); Steiner (1914), S.  34. 82  Das Eigentum an Geldmünzen geht verloren, wenn der Empfänger fremde Münzen mit eigenen Münzen derart vermengt, dass sie nicht mehr unterscheidbar und damit auch nicht mehr identifizierbar sind (commixtio); der Empfänger wird dann Eigentümer (Jav 11 ex Cass D. 46,3,78); vgl. Kaser (1961b), S.  183 ff.; Wacke (1976), S.  113 ff.; Hasler (1980), S.  37 ff.; Bauer (1988), S.  153 f.; Gamauf (1997 / 98), S.  154 ff.; ders. (2001), S.  149 ff., 195; Kaser / Knütel /  Lohsse (2017), S.  161 = Rn.  16. 83 Unter consumptio ist das Ausgeben von Geld zu verstehen, durch das der Empfänger das

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Fünfter Abschnitt: Exkurs: Wird die solutio als causa qualifiziert?

Vindikation nicht mehr zur Verfügung steht. Kaser war zwar der Auffassung, die Römer hätten Geldmünzen oft noch längere Zeit nach Empfang separat und damit identifizierbar aufbewahrt.84 Diese Auffassung wird heute aber überwiegend abgelehnt.85 Nur im Ausnahmefall wurden Münzen für längere Zeit gesondert aufbewahrt.86 Bei Geldzahlungen hätte die Vindikation also nur geringe praktische Bedeutung. Auch dies könnte ein Grund dafür sein, dass Ulpian diesen Rechtsbehelf nicht eigens erwähnt, ohne ihn damit auszuschließen. h) Aufschlussreich ist der palingenetische Kontext von D. 12,6,1.87 Das Fragment findet sich in dem Teil von Ulpians Kommentar zum Edikt, der sich auf die condictio bezieht. Lenel hat diesen Abschnitt mit der Überschrift [De condictione] versehen. Ulpian behandelt darin verschiedene Fallgruppen zur Kondiktion. Eingeführt werden sie mit Wendungen wie: Si ob rem non inhonestam data sit pecunia (D. 12,4,1)88 oder: Idem si ob stuprum datum sit (D. 12,5,4).89 Es folgen jeweils Darlegungen, in denen Ulpian auf die entsprechende Fallgruppe näher eingeht. Ähnlich verhält es sich mit den in D. 12,6,1 überlieferten Ausführungen zur condictio indebiti. Zur Einführung schreibt Ulpian: Nunc videndum de indebiti soluto (D. 12,6,1 pr.). Anschließend stellt er fest: Et quidem si quis indebitum ignorans solvit, per hanc actionem condicere postest (D. 12,6,1,1). Damit bringt er zum Ausdruck, dass die condictio auch bei solutio indebiti zur Verfügung steht, wobei er besonders betont, dass der Leistende den Mangel der Pflicht nicht kennen darf. Dies ist die Grundlage, auf der im Folgenden Einzelfälle zur solutio indebiti behandelt werden. Geld im Geldverkehr so aufgehen lässt, dass die Münzen für den bisherigen Eigentümer nicht länger individualisierbar sind. Dieser verliert die Vindikationsmöglichkeit und damit das Eigentum; vgl. Bauer (1988), S.  156. Gamauf (1997 / 98), S.  158 ff. zufolge umfasst die consumptio mehrere Fälle: Die Münzen werden ununterscheidbar vermengt. Sie werden ausgegeben oder das corpus nummorum wird auf andere Weise aufgelöst, z. B. durch Entnahme in der Absicht späterer Weitergabe; vgl. auch Gamauf (2001), S.  197 ff., 232. Auch nach Hasler (1980), S.  41 ff., insbesondere S.  45, bildet die commixtio einen Sonderfall der consumptio. 84 Vgl. Kaser (1961b), S.  177 ff. 85 Vgl. Wacke (1976), S.  95 ff.; Hasler (1980), S.  48 ff.; vgl. auch bereits Fuchs (1952), S.  235 f.; ders. (1963), S.  129. 86 Vgl. Fuchs (1952), S.  209 ff.; Wacke (1976), S.  128 ff. Schanbacher (1992a), S.  14 stellt fest, die separate Aufbewahrung sei „in der Antike durchaus üblich, wenn auch nicht die Regel“ gewesen. 87 Vgl. Lenel 2 (1889 / 1960), Sp.  569 ff. = Nr.  766 ff.; D. 12,6,1 findet sich Sp.  572 unter Nr.  774. 88  „Wenn um eines nicht sittenwidrigen Erfolges willen Geld gegeben worden ist.“ Lenel 2 (1889 / 1960), Sp.  570 = Nr.  772. 89  „Dasselbe gilt, wenn etwas wegen Unzucht gegeben worden ist.“ Lenel 2 (1889 / 1960), Sp.  572 = Nr.  773.

5. Weitere Fragmente in D. 12,6 (condictio als Rechtsbehelf)

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Das Fragment steht in einem Kontext, dessen Thema nicht die solutio indebiti bildet, und dies, obwohl es in D. 12,6,1 pr. heißt: Nunc videndum de indebiti soluto. Das Thema des überlieferten Abschnitts, dem die hier untersuchte Stelle entstammt, ist vielmehr die condictio. Ginge es in der Hauptsache um die solutio indebiti, könnte eher erwartet werden, dass die zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfe vollständig angeführt werden.90 Da jedoch die condictio behandelt wird, nennt Ulpian allein diesen Rechtsbehelf, ohne damit weitere Rechtsbehelfe notwendigerweise auszuschließen. Der ursprüngliche Kontext von D. 12,6,1 ist ein deutliches Beispiel dafür, dass, wie schon häufig festgestellt wurde,91 der Prozess, genauer gesagt: die actio,92 im Zentrum des Rechtsdenkens der römischen Juristen steht. Wenn sich die Juristen mit einem bestimmten Rechtsbehelf befassen und auf die Voraussetzungen eingehen, unter denen der Rechtsbehelf zur Verfügung steht, beschränken sie sich möglicherweise darauf, im Hinblick auf eine bestimmte Fallgruppe allein diesen einen Rechtsbehelf anzusprechen. Weitere Rechtsbehelfe sind vielleicht nicht ausgeschlossen. Als Ergebnis der Interpretation von D. 12,6,1 kann nun Folgendes festgestellt werden: Der Text gibt nicht zwingend oder auch nur plausibel zu erkennen, dass ein Solutionskonsens die causa traditionis bildet. Näher liegt die Annahme, dass das Verpflichtungsgeschäft als causa qualifiziert wird.

5. Weitere Fragmente in D. 12,6 (condictio als Rechtsbehelf) Ähnliche Überlegungen wie zu D. 12,6,1 sind im Hinblick auf weitere Stellen aus dem gleichen Titel zutreffend, in denen allein die Kondiktion als Rechtsbehelf angeführt wird. Mehrere Gruppen von Fragmenten lassen sich unterscheiden. In einer ersten Gruppe sind Stellen enthalten, die sich auf Leistungen aller Art beziehen.93 Das Fehlen der rei vindicatio kann hier, wie bei D. 12,6,1,94 damit erklärt werden, dass die Juristen der Kürze halber darauf verzichten, nach der Art

90  Die Kompilatoren dürften dies ähnlich gesehen haben: Sie haben nicht einen Titel De solutione indebiti gebildet, sondern De condictione indebiti, und damit die (auf die solutio indebiti bezogene) Kondiktion in den Mittelpunkt gestellt. 91 Vgl. Pennitz (2000), S.  48 ff.; Gamauf (2001), S.  17 f.; Ernst (2004), S.  371 ff.; Baldus (2012b), S.  4; Boente (2013), S.  15 ff.; Kaser / Knütel / Lohsse (2017), S.  45 = Rn.  7; Wegmann Stockebrand (2017), S.  17 f. 92  Dies betont Schulz (1934 / 1954), S.  28 f. 93  Vgl. z. B. Ulp 26 ed D. 12,6,26,11. 94  Fünfter Abschnitt, 4.

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Fünfter Abschnitt: Exkurs: Wird die solutio als causa qualifiziert?

der Leistung zu differenzieren und die rei vindicatio eigens anzuführen, falls die Leistung in der Übereignung einer res nec mancipi durch traditio besteht. In einer zweiten Gruppe finden sich Aussagen, die inhaltlich von vornherein auf die condictio beschränkt sind, sodass eine Erwähnung der rei vindicatio nicht erwartet werden kann. So lautet der Anfang von D. 12,6,15 pr.: Indebiti soluti condictio naturalis est.95 Die Feststellung, dass die condictio indebiti einem Gebot der natürlichen Gerechtigkeit entspricht, steht für sich; die rei vindicatio müsste nicht ausdrücklich angeführt werden, falls sie zur Verfügung stehen sollte.96 Eine dritte Gruppe von Fragmenten behandelt explizit Geldzahlungen.97 Der Zahlende verliert das Eigentum an den Münzen in aller Regel bald nach der Zahlung durch commixtio oder consumptio, sodass nur noch die condictio in Betracht kommt, was der Grund dafür sein könnte, dass allein dieser Rechtsbehelf angeführt wird. Schließlich werden in einer vierten Gruppe Leistungen behandelt, die ausdrücklich nicht in einer Übereignung durch traditio bestehen, sondern zum Beispiel in einer Dienstleistung. In solchen Fällen kommt die rei vindicatio von vornherein nicht in Betracht.98 Möglich ist demnach, dass die rei vindicatio in D. 12,6 stillschweigend vorausgesetzt wird – sofern die Leistung in der Übereignung einer res nec mancipi durch traditio besteht oder bestehen kann. Es drängt sich allerdings die Frage auf, warum die Juristen nicht auch einmal die Vindikation als Rechtsbehelf explizit anführen. Schließlich waren sie nicht gezwungen, sich knapp und zum Teil auch verkürzt auszudrücken. Enthält D. 12,6 wirklich kein Fragment, in dem dieser Rechtsbehelf als Folge einer solutio indebiti angeführt oder zumindest angedeutet wird?

6. Die rei vindicatio in D. 12,6 a) An einigen Stellen in D. 12,6 wird die Vindikation als Rechtsbehelf genannt, zum Teil in Verbindung mit der Kondiktion. Als Erstes ist ein Ulpian-Text zu zitieren; im zweiten Buch der Disputationen heißt es: 95  „Die

Kondiktion der nicht geschuldeten Leistung entspricht der natürlichen Gerechtigkeit.“ 96  Paul 10 Sab D. 12,6,15 pr.; weitere Beispiele: Pap 8 quaest D. 12,6,56; Paul 17 Plaut D. 12,6,65,3; Pap 8 quaest D. 12,6,66. 97  Ulp 26 ed D. 12,6,26,2 und 4; Iul 10 dig D. 12,6,32,1; Iul 40 dig D. 12,6,34; Mod 3 reg D. 12,6,49; Pap 3 resp D. 12,6,57; Paul 17 Plaut D. 12,6,65,7; Scaev 5 dig D. 12,6,67,4. 98  Paul 7 Sab D. 12,6,12; Paul 10 Sab D. 12,6,15,1; Pomp 22 Sab D. 12,6,22,1; Ulp 26 ed D. 12,6,26,7 und 12; Ulp 1 op D. 12,6,31.

6. Die rei vindicatio in D. 12,6

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D. 12,6,29 Interdum persona locum facit repetitioni, ut puta si pupillus sine tutoris auctoritate vel furiosus vel is cui bonis interdictum est solverit: nam in his personis generaliter repetitioni locum esse non ambigitur. et si quidem exstant nummi, vindicabuntur, consumptis vero condictio locum habebit.99

Manchmal steht eine repetitio zur Verfügung, die in der Person des Zahlenden begründet ist.100 Dies ist der Fall, wenn jemand zahlt, der zwar Eigentümer, nicht aber geschäftsfähig ist, weil er zum Beispiel unmündig oder wegen Geisteskrankheit entmündigt ist oder weil ihm die Verfügung über sein Vermögen untersagt ist. Die Zahlung erfolgt ohne Zustimmung des Vormunds. Wurden Münzen gezahlt, die noch identifizierbar vorhanden sind, ist die rei vindicatio gegeben; sind sie gutgläubig konsumiert, die condictio. Dem Wort solverit ist zu entnehmen, dass Ulpian nicht die bloße Zahlung, zum Beispiel eines mutuum, voraussetzt, sondern eine Zahlung, die der Erfüllung einer Pflicht dient.101 Ob die Pflicht wirksam ist, gibt der Text nicht deutlich zu erkennen. Im Folgenden werden deshalb zwei mögliche Fallgruppen unterschieden. Erstens: Der Verpflichtungsgrund ist unwirksam.102 Eine solutio indebiti liegt vor. In diesem Fall ist eine causa nach herrschender Meinung vorhanden, näm99 

„Bisweilen ergibt sich aus der Person [des Zahlenden], dass eine Rückforderung eingreift, etwa wenn ein Mündel ohne Zustimmung des Vormunds gezahlt hat oder ein Geisteskranker oder jemand, dem die Verfügung über sein Vermögen untersagt worden ist. Bei diesen Personen besteht nämlich kein Zweifel daran, dass eine Rückforderung grundsätzlich stattfindet. Und wenn die Münzen noch vorhanden sind, werden sie vindiziert; sind sie aber bereits verbraucht worden, greift die Kondiktion ein.“ 100  Nicht ganz klar ist, worauf sich Interdum bezieht. Zwei Möglichkeiten kommen in Betracht: Entweder hat Ulpian mehrere Fallgruppen im Auge und widmet sich im Folgenden allein den Fällen, in denen sich aus der Person des Zahlenden ergibt, dass eine repetitio zur Verfügung steht (falls die Person nicht geschäftsfähig ist). Oder Ulpian stellt fest: Falls eine Person nicht geschäftsfähig ist, steht „manchmal“ die repetitio zur Verfügung. Es gibt dann auch Fälle von nicht geschäftsfähigen Personen, in denen eine repetitio ausgeschlossen ist. Da Ulpian Interdum voranstellt und es unmittelbar danach heißt: persona locum facit repetitioni, dürfte die erste Möglichkeit eher zutreffen. 101 Vgl. Emunds (2007), S.  50: Danach meint solvere „fast ausschließlich solche Leistungen (…), durch die eine Obligation zum Erlöschen gebracht werden soll.“ Sollte jemand, der nicht geschäftsfähig ist, ein Darlehen zahlen, steht ihm die Vindikation zur Verfügung. Umstritten ist, ob auch die Kondiktion gegeben ist. Gai Inst 2,82 stellt fest, bei Zahlung eines Darlehens durch einen pupillus sei unklar, ob dieser – außer der Vindikation – irgendeinen Rechtsbehelf hat; vgl. Fuchs (1952), S.  230 ff. 102 Einen derartigen Fall entscheidet Neraz in 6 membr D. 12,6,41: Ein Mündel kann zurückverlangen, was es ohne Zustimmung des Vormunds durch Stipulation versprochen und geleistet hat. Die Frage, welche Rechtsbehelfe zur Verfügung stehen, wird nicht klar be-

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Fünfter Abschnitt: Exkurs: Wird die solutio als causa qualifiziert?

lich der Solutionskonsens, sofern man voraussetzt, dass ein derartiger Konsens selbst dann wirksam ist, wenn einer der Beteiligten nicht geschäftsfähig ist.103 Die Übereignung ist jedoch unwirksam, weil die Verfügungsbefugnis fehlt. Folgt man dagegen der hier geäußerten Vermutung, wonach der Verpflichtungsgrund die causa bildet, fehlt eine causa; der Eigentumsübergang scheitert. Die Verfügungsbefugnis liegt ebenfalls nicht vor; auch aus diesem Grund misslingt die Übereignung. Dem Zahlenden steht die Vindikation, danach (eventuell) die Kondiktion zur Verfügung. Unklar ist jedoch, ob die dargestellte Fallgruppe von D. 12,6,29 überhaupt erfasst wird. Die Kompilatoren haben das Exzerpt zwar in den Titel D. 12,6 (De condictione indebiti) aufgenommen. Im Text wird aber nicht ausdrücklich festgestellt, das Verpflichtungsgeschäft sei unwirksam. Wenn es heißt: persona locum facit repetitioni und anschließend konstatiert wird, dass jemand, der nicht verfügungsbefugt ist, ohne Zustimmung des tutor zahlt, folgt daraus eher, dass die Übereigung am bloßen Mangel der Verfügungsbefugnis scheitert. Nur in derartigen Fällen ist die repetitio allein in der Person des Zahlenden begründet. Die erste Fallgruppe wird also wohl nicht von D. 12,6,29 erfasst.104 Zweitens: Der Verpflichtungsgrund ist wirksam.105 In diesem Fall ist die Übereignung unwirksam, weil die Verfügungsbefugnis fehlt. Ulpian zufolge stehen dem Tradenten die Vindikation und (eventuell) die Kondiktion zur Verfügung. Damit scheint ein Widerspruch zu einer anderen Ulpian-Stelle vorzuliegen: Ulp 30 Sab D. 46,3,14,8 Pupillum sine tutoris auctoritate nec solvere posse palam est: sed si dederit nummos, non fient accipientis vindicarique poterunt. plane si fuerint consumpti, liberabitur.106

antwortet. Es heißt nur: repetitio est; vgl. Schwarz (1952), S.  17, 110 Anm.  18; Laborenz (2014), S.  241. Zum Begriff der repetitio allgemein: Fünfter Abschnitt, 7. 103 Nach Laborenz (2014), S.  230 f. wird in den römischrechtlichen Quellen nicht danach gefragt, ob der Solutionskonsens rechtsgeschäftliche Qualität hat, ob also ein pupillus an einem Solutionskonsens mitwirken kann, der als causa wirksam ist. 104  Zwingend ist dieser Schluss allerdings nicht. Nach dem Wortlaut von D. 12,6,29 ist nicht ganz ausgeschlossen, dass es auf die Wirksamkeit der Pflicht nicht ankommt, sodass sich der Text auf beide Fallgruppen zugleich bezieht. 105  Fuchs (1952), S.  228 zufolge setzt die Stelle „eine zu Recht bestehende Schuld“ voraus; indirekt ergibt sich auch aus S.  228 Anm.  37, dass Fuchs von der Wirksamkeit der Schuld in D. 12,6,29 ausgeht. In der Übersetzung von Behrends / Knütel / Kupisch / Seiler 3 (1999), S.  120 heißt es: „Bisweilen ergibt sich aus der Person des Verpflichteten (…)“. Vorausgesetzt wird also ebenfalls, dass ein wirksamer Verpflichtungsgrund vorliegt. Anders übersetzen Otto / Schilling /  Sintenis 2 (1831), S.  66, nämlich „die Person [des Zahlenden]“. 106  „Allgemein bekannt ist, dass ein Mündel ohne Ermächtigung durch den Vormund nicht zahlen kann. Vielmehr werden die Gelder, die es gegeben haben wird, nicht Eigentum des

6. Die rei vindicatio in D. 12,6

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Auch in diesem Fall ist der Verpflichtungsgrund wirksam (liberabitur). Dem Leistenden steht zwar die Vindikation, nicht aber die Kondiktion zu. Im gleichen Sinne entscheidet Gaius (12 ed prov D. 26,8,9,2).107 Es liegt ein Widerspruch zwischen D. 12,6,29 und D. 46,3,14,8 vor. Fuchs zufolge dürfte D. 12,6,29 „als generelle Entscheidung unklassisch sein“.108 Dieser Frage braucht hier nicht weiter nachgegangen zu werden. Im vorliegenden Zusammenhang ist entscheidend, ob sich aus D. 12,6,29 ableiten lässt, dass im Hinblick auf die Fälle einfacher solutio indebiti (bei vorhandener Verfügungsbefugnis) die Vindikation ausgeschlossen ist, weil sie in den einschlägigen Texten nicht ausdrücklich erwähnt wird. Die Frage kann verneint werden. Sieht man einmal vom Problem der Echtheit von D. 12,6,29 ab, sind die Fallgruppen zu unterschiedlich, als dass von der einen auf die andere geschlossen werden könnte. b) Aufschlussreich ist vielleicht eine Entscheidung Javolens, in der eine solutio indebiti vorausgesetzt wird. Im vierten Buch aus Plautius stellt er fest: D. 12,6,46 Qui heredis nomine legata non debita ex nummis ipsius heredis solvit, ipse quidem repetere non potest: sed si ignorante herede nummos eius tradidit, dominus, ait, eos recte vindicabit. eadem causa rerum corporalium est.109

Wenn jemand, etwa als Erbschaftsbesitzer oder Nachlassliquidator,110 für den Erben ohne dessen Kenntnis ein nicht geschuldetes Damnationslegat mit Erbschaftsgeldern erfüllt, kann der Erbe das Geld vindizieren. Vorausgesetzt wird, dass der Erbschaftsbesitzer redlich ist, das heißt, dass er glaubt, der Erbe sei zur Zahlung verpflichtet. Die Besonderheit des Falles ist darin zu sehen, dass nicht nur eine solutio indebiti vorliegt, sondern auch die Verfügungsbefugnis des Zahlenden fehlt. Ist das Geld konsumiert, steht dem Erben die condictio zur Verfügung. Dieser Rechtsbehelf wird von Javolen nicht explizit genannt, jedoch stillschweigend vorausgesetzt.111 Empfängers werden, und vindiziert werden können. Freilich, wenn sie verbraucht sein werden, wird es [das Mündel] befreit werden.“ 107  Zu beiden Stellen vgl. Fuchs (1952), S.  228 f.; zu D. 46,3,14,8 vgl. auch Schwarz (1952), S.  17. 108  Fuchs (1952), S.  229; vgl. auch Siber (1925), 50; Ehrhardt (1930), S.  60; Schwarz (1952), S.  243 Anm.  47 mit weiteren Nachweisen. 109  „Wer im Namen des Erben und mit dessen Münzen nicht geschuldete Vermächtnisse erfüllt hat, kann selbst nichts zurückverlangen. Doch wenn er ohne Wissen des Erben dessen Münzen übergeben hat, kann dieser sie als Eigentümer zu Recht vindizieren. Dies gilt für körperliche Sachen allgemein.“ 110 Vgl. Wacke (1976), S.  85 Anm.  147; zu D. 12,6,46 vgl. auch Fuchs (1952), S.  168. 111 Vgl. Wacke (1976), S.  85 Anm.  147. Falls der Erbe dagegen von der Zahlung weiß oder sogar eingewilligt hat, liegt die Verfügungsbefugnis vor. Die Frage, ob das Eigentum übergeht,

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Fünfter Abschnitt: Exkurs: Wird die solutio als causa qualifiziert?

Fuchs stellt fest, dem Eigentumsübergang stehe die fehlende Verfügungsmacht entgegen, während bei Zahlung einer Nichtschuld (und vorhandener Verfügungsbefugnis) die Solutionseinigung translative Wirkung besitze.112 Wäre diese Auffassung zutreffend, ließe sich erklären, warum in den Fällen der solutio indebiti die Vindikation nicht angeführt wird; das Eigentum wäre solvendi causa übergegangen. Dieser Schluss ist jedoch nicht zwingend. Wenn man der hier geäußerten Vermutung folgt, wonach der Verpflichtungsgrund die causa bildet, wird die Vindikation bei solutio indebiti (und vorhandener Verfügungsbefugnis) möglicherweise als selbstverständlich vorausgesetzt und deshalb nicht eigens erwähnt, während in D. 12,6,46 kein derart einfacher Fall vorliegt: Nicht nur die causa, sondern auch die Verfügungsbefugnis fehlt. In diesem Fall wird die Vindikation als der zunächst zustehende Rechtsbehelf ausdrücklich genannt. Im Hinblick auf die Frage, welche Rechtsbehelfe im Falle einfacher solutio indebiti gegeben sind, ist das Fragment nicht aussagekräftig. c) Schließlich ist noch Ulp 26 ed D. 12,6,26,9 zu beachten:113 Filius familias contra Macedonianum mutuatus si solverit et patri suo heres effectus velit vindicare nummos, exceptione summovebitur a vindicatione nummorum.114

Ein Haussohn hat einen Kredit empfangen und zurückgezahlt, obwohl das Senatusconsultum Macedonianum Gelddarlehen an Haussöhne verbietet.115 Der Kreditvertrag ist nicht unwirksam; das Verbot ist keine lex perfecta.116 Dem Haussohn wird gegenüber der Rückzahlungsforderung des Kreditgebers jedoch eine Einrede gewährt. Falls der Haussohn, wie hier, gleichwohl zurückzahlt, ist die Zahlung unwirksam, weil die Verfügungsbefugnis fehlt. Der Vater kann das hängt davon ab, ob man der herrschenden Lehre von der solutio als causa folgt. Wird die Lehre, wie hier, in Zweifel gezogen, geht das Eigentum möglicherweise mangels causa nicht über. Die Vindikation steht zur Verfügung. Die Kondiktion ist jedoch ausgeschlossen, weil dieser Rechtsbehelf bei irrtümlicher Leistung auf ein unwirksames Damnationslegat nicht gegeben ist (Gai Inst 2,283). Laborenz (2014), S.  251 f. ergänzt, seit der Hochklassik werde ein Rückforderungsrecht allmählich anerkannt. 112 Vgl. Fuchs (1952), S.  168. 113  Zum Folgenden vgl. Laborenz (2014), S.  256. 114  „Wenn ein Haussohn gegen das Verbot des Senatusconsultum Macedonianum ein Darlehen aufgenommen und zurückgezahlt hat und, nachdem er seinen Vater beerbt hat, die Münzen vindizieren will, wird er mit einer Einrede an der Vindikation der Münzen gehindert.“ 115  Zur Motivation des Verbots: Willems (2017), S.  87 ff. 116 Eine lex perfecta ist ein Verbotsgesetz, in dem vorgesehen ist, dass ein verbotswidriges Rechtsgeschäft nichtig ist. In einer lex imperfecta ist eine Sanktion nicht ausdrücklich vorgesehen. Durch eine lex minus quam perfecta wird das verbotene Verhalten mit Strafe bedroht; vgl. Kaser (1977), S.  7; Wacke (1995), S.  294. Wacke ebd., S.  295 kennzeichnet den Senatsbeschluss als eine atypische lex perfecta – „atypisch wegen ihrer von der typischen Nichtigkeit abweichenden Sanktion bloßer Klageverweigerung“. Vgl. auch Kaser (1977), S.  31.

6. Die rei vindicatio in D. 12,6

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Geld vindizieren.117 Wenn dieser stirbt, der Sohn Erbe wird und die Vindikation geltend macht, steht seiner Forderung jedoch die Einrede der Arglist gegenüber. Fragt man, warum Ulpian allein die Vindikation und nicht auch die Kondiktion anführt, so lautet die Antwort: Die Kondiktion steht dem Vater (nach Vermischung oder Verbrauch des Geldes durch den Gläubiger) nur zur Verfügung, falls der Gläubiger bewusst gegen das Verbot verstoßen hat.118 In D. 12,6,26,9 beschränkt sich Ulpian darauf, den Rechtsbehelf zu nennen, der in allen, vom Sachverhalt erfassten Fällen gegeben ist; dies ist die Vindikation. Die auf einen Spezialfall bezogene Kondiktion behandelt er in seinem Ediktskommentar erst an späteren Stellen, die sich im 29. Buch finden.119 In D. 12,6,26,9 geht es nicht um eine solutio indebiti. Denn das mutuum ist wirksam; die Zahlung dient auch nicht dazu, eine Pflicht zu erfüllen. Das Fragment wurde von den Kompilatoren falsch eingeordnet.120 Die Sachverhalte der solutio indebiti und des von Ulpian behandelten Falles sind zu unterschiedlich, als dass von der Ulpian-Stelle geschlossen werden könnte, in Fällen der solutio indebiti sei die Vindikation ausgeschlossen, weil sie nicht ausdrücklich erwähnt werde. d) Um die Ergebnisse zusammenzufassen: In D. 12,6 sind Entscheidungen enthalten, in denen die Vindikation als Rechtsbehelf ausdrücklich angeführt wird. Die Besonderheit dieser Fragmente besteht darin, dass die Verfügungsbefugnis des Leistenden fehlt. Die Texte erlauben nicht den Gegenschluss, bei solutio indebiti sei die Vindikation ausgeschlossen. Zur Beantwortung der Frage, ob bei solutio indebiti (und vorhandener Verfügungsbefugnis) die Vindikation zur Verfügung steht, sind die Stellen nicht aufschlussreich.121 117 

Vgl. Ulp 29 ed D. 12,1,14 Satz  1. Wacke (1995), S.  305, der Ulp 29 ed D. 14,6,9,1 als Beleg anführt. Marcellus vertritt eine abweichende Auffassung: Ulp 29 ed D. 12,1,14; zu den Details vgl. Wacke (1995), S.  305 Anm.  192. 119  Vgl. Ulp 29 ed D. 12,1,14; Ulp 29 ed D. 14,6,9,1. 120  Die falsche Einordnung ist verständlich: Das Exzerpt bildet nur einen kleinen Teil eines größeren, in die Digesten aufgenommenen Abschnitts aus Ulpians Kommentar zum Edikt; in anderen Teilen des gleichen Abschnitts werden Fälle der solutio indebiti behandelt. 121  Außerhalb von D. 12,6 finden sich Stellen, die den eben besprochenen Fragmenten ähneln: Es besteht eine Zahlungspflicht, die Verfügungsbefugnis des Leistenden fehlt, etwa weil er nicht Eigentümer oder weil er geschäftsunfähig ist. In solchen Fällen steht die Vindikation zur Verfügung. Diesen Entscheidungen wird ein Argument zugunsten der Lehre von der Solutionskausa entnommen: Es heißt, bei solutio indebitae pecuniae werde die vindicatio nummorum nicht genannt, während bei Zahlung durch einen Nicht-Verfügungsbefugten die Vindikation entweder stillschweigend vorausgesetzt oder explizit angesprochen werde. Im Umkehrschluss bedeute dies, dass bei solutio indebitae pecuniae nicht vindiziert werden könne, weil eine causa vorliege, nämlich die solutio; vgl. Fuchs (1952), S.  166 ff.; Laborenz (2014), S.  135 ff. Diese Schlussfolgerung ist jedoch nicht zwingend: In den an118 Vgl.

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Fünfter Abschnitt: Exkurs: Wird die solutio als causa qualifiziert?

7. Repetitio / repetere in D. 12,6 a) Die Überschrift des Titels D. 12,6 lautet De condictione indebiti. Wie nach dieser Überschrift nicht anders zu erwarten, werden in den einzelnen leges die Worte condictio / condicere verwendet, um den Rechtsbehelf zu bezeichnen, der bei solutio indebiti zur Verfügung steht. In zahlreichen Fällen heißt es jedoch: repetitio / repetere. Auffällig ist, in welcher Häufigkeit die Termini jeweils gebraucht werden: Condictio / condicere erscheint in nur etwa einem Viertel der Fälle, in ungefähr drei Vierteln findet sich repetitio / repetere.122 Dieser Befund legt es nahe, die Bedeutung von repetitio / repetere genauer zu untersuchen. Klar ist, dass das Wort repetitio hier nicht die Wiederholung,123 sondern die Rückforderung124 bezeichnet. Auch ist die repetitio im Unterschied zur condictio kein Rechtsbehelf. Alles andere ist unklar; eine Untersuchung des Gebrauchs von repetitio ist somit erforderlich. Daraus könnte sich ergeben, dass mit dem Wort repetitio nicht allein die Kondiktion, sondern auch die Vindikation als der zunächst gegebene Rechtsbehelf bezeichnet wird. b) In D. 50, 16 (De verborum significatione) wird repetitio nicht definiert – anders als die actio und die restitutio.125 Dies spricht freilich nicht zwingend gegen die Möglichkeit, dass die klassischen Juristen repetitio definiert haben. Der negative Befund könnte auf einem Überlieferungszufall beruhen. Möglicherweise haben die Juristen aber auf eine Definition bewusst verzichtet. Um die Bedeutung von repetitio zu klären, wird in mehreren Schritten vorgegangen. Zunächst wird geprüft, welche Rechtsbehelfe in den Quellen repetitio genannt werden. c) Bei Heumann und Seckel heißt es unter repetere: „etwas zurückfordern (…), insbes. mittels einer condictio.“126 Die repetitio ist jedoch nicht bei der gesprochenen Fällen steht dem Eigentümer zwar die vindicatio nummorum zur Verfügung. Ist das Geld vom Empfänger gutgläubig verbraucht worden, bedeutet dies aber nicht ohne Weiteres, dass auch kondiziert werden kann. Die Frage ist zwischen den klassischen Juristen umstritten; vgl. Fuchs (1952), S.  166 ff., 218 ff. Daher wird die Vindikation als der sichere Rechtsbehelf direkt angesprochen oder zumindest vorausgesetzt; anschließend wird auf die Frage eingegangen, ob consumptis nummis die Kondiktion gegeben ist. Anders bei solutio indebitae pecuniae: Wenn allein die condictio genannt wird, besteht die Möglichkeit, dass die Juristen die Vindikation stillschweigend als selbstverständlich voraussetzen. 122  Dieser Befund widerspricht der Ansicht Bluhmes, repetitio werde im Hinblick auf die condictio indebiti nur sehr selten gebraucht; vgl. Bluhme (1820 / 1960), S.  71. 123 Vgl. Heumann / Seckel (1914), S.  508 s.v. repetere 2). 124  Vgl. ebd., 1). 125 Zu actio: Paul 3 ed D. 50,16,8; Paul 24 ed D. 50,16,34; zu restitutio: Gai 4 ed prov D. 50,16,22; Paul 17 ed D. 50,16,35; Paul 50 ed D. 50,16,75; Paul 10 Plaut D. 50,16,81; Pomp 16 epist D. 50,16,246. 126  Heumann / Seckel (1914), S.  508 s.v. repetere 1).

7. Repetitio / repetere in D. 12,6

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Kondiktion schlechthin von Bedeutung, sondern nur bei einigen Fallgruppen, in denen die Kondiktion einschlägig ist, nämlich bei der condictio indebiti sowie der condictio ob rem und ob causam. Ein Blick in die entsprechenden Digestentitel zeigt Folgendes: In D. 12,4 (De condictione causa data causa non secuta) werden an insgesamt etwa 60 Stellen condictio und repetitio verwendet, und zwar jeweils ungefähr zu gleichen Anteilen; das Verhältnis von condictio zu repetitio ist, genauer gesagt, 30 zu 33. In D. 12,5 (De condictione ob turpem vel iniustam causam) beträgt das Verhältnis von condictio zu repetitio 6 zu 12. Im Titel über die condictio indebiti (D. 12,6) wird in drei Vierteln der insgesamt ca. 160 Fälle repetitio verwendet; das Verhältnis von condictio zu repetitio beträgt 41 zu 122. Im Zusammenhang mit der solutio indebiti wird repetitio somit deutlich häufiger gebraucht als im Hinblick auf andere Fallgruppen, in denen die Kondiktion zur Verfügung steht. Auffällig ist, dass repetitio in manchen Zusammenhängen nicht verwendet wird. Ein Beispiel ist die condictio ex causa furtiva: In D. 13,1 lässt sich repetitio nicht nachweisen, hier findet sich allein condictio. Auch im Titel D. 47,2 (De furtis) wird repetitio nicht gebraucht, von einer einzigen Ausnahme abgesehen.127 Überhaupt ist festzustellen, dass repetitio in den Fällen einer Nichtleistungs­ kondiktion (um einen modernen Ausdruck zu verwenden) vermieden wird.128 Der Terminus repetitio ist somit auf den Bereich der Leistungskondiktion beschränkt. Auch in D. 6,1 (De rei vindicatione) wird repetitio nicht gebraucht. Hier heißt es außer vindicatio / vindicare häufig petitio / petere129 oder restitutio /  restituere. Das Wort repetitio bezeichnet demnach die Rückforderung einer Sache,130 die zuvor freiwillig hingegeben worden ist. Bei der Nichtleistungskondiktion ist diese Voraussetzung nicht erfüllt, bei der Vindikation nicht notwendigerweise. Daher wird das Wort repetitio in diesen beiden Fällen vermieden. Im Hinblick auf die condictio indebiti sei noch erwähnt: Repetitio bedeutet, dass entweder das

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Celsus 12 dig D. 47,2,68,5. Vgl. die bei Harke (2003), S.  68 ff. und Heine (2006), S.  56 ff. beispielhaft angeführten Stellen. 129  Eine Ausnahme bildet Paul 27 ed D. 6,1,43: repetitio. Zur petitio vgl. Kaser / Hackl (1996), S.  236 Anm.  32 mit weiteren Nachweisen. 130  Bei der condictio indebiti gibt es auch Fälle einer repetitio, in denen eine Hingabe der Sache nicht vorausgesetzt wird, sondern z. B. eine Dienstleistung oder die Überlassung einer Sache (Wohnung) zum Gebrauch. Zum ersten Fall: Marc 3 reg D. 19,5,25 (handwerkliche und künstlerische Dienstleistungen); zum zweiten Fall: Paul 17 Plaut D. 12,6,65,7 (habitatione data). In §  7 heißt es zwar condicam. Der Fall wird aber als ein Beispiel für die repetitio angeführt, wie sich aus pr. ergibt, wonach im Folgenden die repetitio behandelt werden soll. Zur Interpretation von D. 12,6,65: Fünfter Abschnitt, 7. f). 128 

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Fünfter Abschnitt: Exkurs: Wird die solutio als causa qualifiziert?

Geleistete selbst zurückverlangt werden kann oder ebenso viel in der gleichen Gattung (Pomp 9 Sab D. 12,6,7).131 Die repetitio bezieht sich nicht allein auf die condictio, sondern wird auch im Hinblick auf die actio rei uxoriae verwendet, mit der eine Ehefrau nach Beendigung der Ehe von ihrem ehemaligen Mann oder seinen Erben die Mitgift zurückverlangt.132 Auch die actio commodati und die actio depositi werden repetitio genannt.133 Für die Rückgabe der dos und die Rückforderung eines versehentlich erfüllten Vermächtnisses wird ebenfalls das Wort repetitio gebraucht.134 Auch bei der actio de repetundis erscheint der Terminus repetere.135 Im Übrigen wird repetere noch in weiteren Zusammenhängen als den hier dargestellten verwendet,136 zum Beispiel im Völkerrecht,137 wie insbesondere bei Rande sei vermerkt, dass von repetitio im Zusammenhang mit der solutio indebiti auch gesprochen wird, falls drei Personen beteiligt sind. In Ulp 16 Sab D. 12,6,5 heißt es: nec novum, ut quod alius solverit alius repetat. Fargnoli (2001), S.  6 unterscheidet zwei Fallgruppen: Fälle der delegatio sowie Zahlungsvorgänge, an denen ein procurator, tutor oder fideiussor beteiligt ist; vgl. auch Klingenberg (2003), S.  277. 132 Vgl. Vocabularium Iurisprudentiae Romanae 5 (1939) s.v. repetitio, Sp.  88 und 90 f. Ein Beispiel: Paul 5 Plaut D. 24,3,55. 133  Leihe: Paul 29 ed D. 13,6,17,3; Leihe und Verwahrung: Ulp 43 Sab D. 27,3,5. 134 Im pseudo-ulpianischen liber singularis regularum heißt es (6,6): Divortio facto, si quidem sui iuris sit, mulier ipsa habet actionem, id est dotis repetitionem. („Nach der Scheidung hat die Frau, sofern sie gewaltfrei ist, selbst eine Klage, nämlich die repetitio dotis.“) Avenarius (2005b), S.  20 f. Und unter 24,33: Legatorum perperam solutorum repetitio non est. („Wegen versehentlich erfüllter Vermächtnisse besteht kein Rückforderungsrecht.“) Avenarius (2005b), S.  58 f. 135 Das crimen repetundarum ist das Verbrechen der Annahme zurückzuverlangender Sachen und Gelder. Das Repetundenverfahren wurde im zweiten Jahrhundert v.Chr. eingeführt, um die Untertanen der römischen Provinzen vor erpresserischen Statthaltern zu schützen. Das Ziel eines solchen Verfahrens bestand darin, rechtswidrig konfisziertes Vermögen zurückzuerlangen. Vgl. Simon (2001), Sp.  923 f. 136  Repetere erscheint häufig auch im Zusammenhang mit Patronage- und Freundschaftsverhältnissen. Wer eine Gabe (beneficium) erbringt, hat einen moralischen Anspruch auf eine Gegengabe und kann eine solche Leistung unter Umständen auch fordern (repetere). Zahlreiche Beispiele für diesen Sprachgebrauch finden sich in Senecas De beneficiis, vgl. nur 5,20,6 und 7 sowie 5,21,2; vgl. Seneca (1989), S.  430 und 432. Zu Patronage- und Freundschaftsverhältnissen: Siebter Abschnitt, 5. a). 137  Wenn ein Volk dem römischen Volk gegenüber Unrecht begangen hatte, begaben sich Fetialen (eine Gruppe von Priestern) zu diesem Volk und verlangten Genugtuung, Wiedergutmachung (res repetere). Es konnte Bedenkzeit bis zu einer Frist von 30 Tagen gewährt werden; war die Frist verflossen, ohne dass Genugtuung erfolgt war, wurde am 33. Tage Protest erhoben. Erklärt wurde zudem, das Weitere werde vom römischen Volk beschlossen. Der König, später der Konsul, brachte die Sache sodann vor den Senat, und zwar mit einer Formel, in der das Vorbringen des res repetere vor dem Gegner mit condixit bezeichnet wird; es bestand also eine enge Verbindung zwischen res repetere und condicere; vgl. Marquardt (1878), S.  398 ff.; von Lübtow (1952), S.  109 f.; Kaser (1993), S.  29 f.; Zack (2001), S.  19, 32 ff., 51, 71; Grotkamp 131  Am

7. Repetitio / repetere in D. 12,6

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Livius zu erfahren ist.138 So weit diese kurze Bestandsaufnahme des Gebrauchs von repetitio.139 Allein schon diese Übersicht zeigt: Das Wort repetitio ist vornehmlich dadurch gekennzeichnet, dass nicht allein die Kondiktion, sondern weitere Rechtsbehelfe damit bezeichnet werden. Die repetitio ist somit ein Sammelbegriff, der verschiedene actiones erfasst, mit deren Hilfe eine freiwillig erbrachte Leistung zurückgefordert werden kann. d) Im Folgenden wird die Bedeutung untersucht, die repetitio unabhängig von der Art des Rechtsbehelfs zukommt. Drei Aspekte lassen sich unterscheiden: Erstens bezieht sich repetitio auf einen der Rückforderung dienenden Rechtsbehelf, nämlich die condictio oder eine andere actio. Dem Wort kommt somit prozessuale Bedeutung zu. Zweitens bezeichnet repetitio das Rückforderungsrecht.140 Das Wort bezieht sich auf das, was inhaltlich, der Sache nach mithilfe einer actio geltend gemacht wird, eben eine Rückforderung. Insofern hat repetitio sozusagen eine materiellrechtliche Bedeutung.141 Drittens bezieht sich repetitio nicht nur auf ein (materiellrechtliches und prozessuales) Recht, sondern auch auf die praktische Geltungmachung des Rechts, eine Tätigkeit. (2009), S.  54; 147 ff. Das res repetere ging auch in die christliche Theologie ein, genauer: in die Definition des Begriffs des gerechten Krieges, und zwar über die Definition bei Cicero in De officiis 1,36: „Ex quo intellegi potest nullum bellum esse iustum, nisi quod aut rebus repetitis geratur aut denuntiatum ante sit et indictum.“ („Daraus lässt sich ersehen, dass kein Krieg gerecht ist außer dem, der entweder geführt wird, nachdem man Genugtuung gefordert hat, oder der vorher angekündigt und angesagt worden ist.“) Cicero (1964), S.  33. Stumpf (2001), S.  23 f. führt aus, bei Isidor von Sevilla heiße es: Iustum est bellum, quod ex edicto geritur de rebus repetendis, aut propulsandorum hominum causa. („Ein Krieg ist gerecht, der aufgrund eines Edikts entweder zu fordernde Güter zurückführt oder aber einen Gegner zurückschlägt.“) Diese Definition, so führt Stumpf weiter aus, habe in das Decretum Gratiani (Causa 23, quaestio 2) und damit in das Corpus Iuris Canonici Eingang gefunden (in Kraft bis 1917). 138  Livius 1,32,5–14; vgl. Livius (1991), S.  88 ff. Die Wendung res repetere wird hier mehrfach verwendet und einmal (1,32,6) auch konkretisiert: homines illasque res dedier mihi exposco („dass diese Menschen und diese Sachen mir ausgeliefert werden“). 139  Beachtet werden sollte, dass alle hier getroffenen Feststellungen zur Verwendung von repetitio immer auch Ausnahmen zulassen. 140 Vgl. Schwarz (1952), S.  46. So wird es zum Teil auch übersetzt; vgl. z. B. die Übersetzung von Ulp 43 Sab D. 12,6,23,3 bei Behrends / Knütel / Kupisch / Seiler 3 (1999), S.  113. 141  Die moderne Unterscheidung zwischen materiellem Recht und Prozessrecht geht im deutschen Recht auf Bernhard Windscheids 1856 erschienenes Werk: „Die actio des römischen Civilrechts, vom Standpunkte des heutigen Rechts“ zurück; vgl. Windscheid (1856 / 1984); vgl. auch Schlinker / Ludyga / Bergmann (2019), S.  57 f. = Rn.  1. Zu Leben und Werk Windscheids (1817–1892) vgl. Wieacker (1967), S.  446 f.; Rainer (2012), S.  332 ff., zu Windscheids Einfluss auf das Bürgerliche Gesetzbuch: Geibel (2013), S.  161 ff.

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Fünfter Abschnitt: Exkurs: Wird die solutio als causa qualifiziert?

Das Wort repetitio weist demnach drei Aspekte auf. Insofern ähnelt es anderen Begriffen des römischen Rechts, nämlich der actio und der petitio. Auch diese Termini bezeichnen sowohl den Rechtsbehelf, den jeweils zugrunde liegenden Anspruch und deren praktische Geltendmachung, im Fall der petitio einen – zumeist: dinglichen – Anspruch142 und den entsprechenden Rechtsbehelf.143 e) Einige Beobachtungen zum Gebrauch von repetitio sind geeignet, die Bedeutung des repetitio-Begriffs weiter klären zu helfen. Die Worte condictio und repetitio treten manchmal sprachlich miteinander kombiniert auf, zum Beispiel im ersten Satz von Paul 17 Plaut D. 12,6,65,3: Sed agere per condictionem propter condicionem legati vel hereditatis, sive non sit mihi legatum sive ademptum legatum, possum, ut repetam quod dedi, quoniam non contrahendi animo dederim, quia causa, propter quam dedi, non est secuta.144

Paulus bezeichnet die Kondiktion als Mittel: per condictionem agere, die repetitio als Zweck: ut repetam quod dedi. Ähnlich heißt es bei Paulus im sechsten Buch seiner Schrift ad legem Iuliam et Papiam (D. 39,6,35,3): condictione repeti possit. Weitere Beispiele ließen sich anführen.145 Die Kombination von condictio und repetitio zeigt möglicherweise, dass die condictio das prozessuale Mittel ist, während die repetitio den eigentlichen Zweck der Klage, nämlich die Rückforderung, bezeichnet. In solchen Wendungen könnte sprachlich eine Unterscheidung zwischen dem materiellrechtlichen und dem prozessualen Aspekt getroffen werden, wobei dem Wort repetitio der materiellrechtliche Aspekt zugewiesen würde. Sicher ist diese Deutung freilich nicht. Die Zahl der Belege ist recht gering. Die zitierten Formulierungen könnten auch nur stilistisch begründet sein. Ein deutlicherer Beleg dafür, dass repetitio den materiellrechtlichen Aspekt der Kondiktion betrifft, ergibt sich daraus, dass repetitio besonders häufig ver-

142  Kaser / Hackl (1996), S.  236 zufolge wird petitio für actiones in personam und in rem gebraucht. Zu beachten ist noch die hereditatis petitio, die Klage des Erben gegen den Erbschaftsbesitzer – ein Rechtsbehelf, der in mancher Hinsicht der Vindikation vergleichbar ist; vgl. Kaser / Knütel / Lohsse (2017), S.  425 ff. = Rn.  1 ff. 143 Vgl. Heumann / Seckel (1914), S.  428 s.v. petere 1b). 144  „Mit der Kondiktion wegen einer Bedingung kann ich aber bei einem Vermächtnis oder einer Erbschaft klagen, um zurückzuverlangen, was ich gegeben habe, sei es, dass das Vermächtnis mir nicht ausgesetzt oder dass es mir entzogen worden ist, weil ich nicht in der Absicht gegeben habe, einen Vertrag zu schließen, und weil der Erfolg, dessentwegen ich geleistet habe, nicht eingetreten ist.“ 145  Außerhalb von D. 12,6 findet sich diese Kombination z. B. auch bei Paulus im sechsten Buch seiner Schrift ad legem Iuliam et Papiam (D. 39,6,35,3): condictione repeti possit; ferner in 5 quaest D. 19,5,5,2 sowie in seinem liber singularis de iuris et facti ignorantia: D. 22,6,9,6.

7. Repetitio / repetere in D. 12,6

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wendet wird, wenn eine Rückforderung ausgeschlossen ist.146 Fasst man allein D. 12,6 ins Auge, so heißt es in den negativen Entscheidungen auffallend oft repetitio, nur einige Male condictio.147 Auch außerhalb von D. 12,6 wird repetitio in negativen Entscheidungen häufiger gebraucht als condictio. Durch den Ausschluss einer repetitio wird betont, dass jemandem nichts zusteht, dass er leer ausgeht. Die Betonung liegt hier nicht auf dem (fehlenden) Rechtsbehelf, sondern darauf, dass jemand in der Sache nichts verlangen kann, mit welchem Rechtsbehelf auch immer. Auf diese Weise wird der materiellrechtliche Aspekt des Fehlens von Rechtsbehelfen hervorgehoben. So lässt sich schließlich auch erklären, warum repetitio mehrere Rechtsbehelfe – wenn auch in erster Linie die Kondiktion – bezeichnet: Betont wird der materielle Zweck, der mithilfe unterschiedlicher Rechtsbehelfe verfolgt werden kann. f) Genauer als in den bisher untersuchten Stellen wird in einem Paulus-Text auf die repetitio eingegangen. Es handelt sich um eine längere Passage, die in 17 Plaut D. 12,6,65 pr.–8 überliefert ist:148 In summa, ut generaliter de repetitione tractemus, sciendum est dari aut ob transactionem aut ob causam aut propter condicionem aut ob rem aut indebitum: in quibus omnibus quaeritur de repetitione. 1. Et quidem quod transactionis nomine datur, licet res nulla media fuerit, non repetitur: nam si lis fuit, hoc ipsum, quod a lite disceditur, causa videtur esse. sin autem evidens calumnia detegitur et transactio imperfecta est, repetitio dabitur. 2. Id quoque, quod ob causam datur, puta quod negotia mea adiuta ab eo putavi, licet non sit factum, quia donari volui, quamvis falso mihi persuaserim, repeti non posse. 3. Sed agere per condictionem propter condicionem legati vel hereditatis, sive non sit mihi legatum sive ademptum legatum, possum, ut repetam quod dedi, quoniam non contrahendi animo dederim, quia causa, propter quam dedi, non est secuta. idem et si hereditatem adire nolui vel non potui. non idem potest dici, si servus meus sub condicione heres institutus sit et ego dedero, deinde manumissus adierit: nam hoc casu secuta res est. 4. Quod ob rem datur, ex bono et aequo habet repetitionem: veluti si dem tibi, ut aliquid facias, nec feceris. 5. Ei, qui indebitum repetit, et fructus et partus restitui debet deducta impensa. 6. In frumento indebito soluto et bonitas est et, si consumpsit frumentum, pretium repetet. 7. Sic habitatione data pecuniam condicam, non quidem quanti locari potuit, sed quanti tu conducturus fuisses. 8. Si servum indebitum tibi dedi eumque manumisisti, si sciens hoc fecisti, teneberis ad pretium eius, si nesciens, non teneberis, sed propter operas eius liberti et ut hereditatem eius restituas.149 146  Was nicht daran liegt, dass die klassischen Juristen eine repetitio häufiger verweigern als zusprechen. Die repetitio wird in D. 12,6 zwar in drei Vierteln der Fälle angeführt. Das Verhältnis innerhalb der negativen Entscheidungen ist aber noch deutlicher zugunsten der repetitio, nämlich 38 mal repetitio, 9 mal condictio. 147  Vgl. z. B. Ulp 46 Sab D. 12,6,24; Ulp 26 ed D. 12,6,26,8; Ulp 10 disp D. 12,6,30; Iul 39 dig D. 12,6,33 (zweimal); Proc 7 epist D. 12,6,53. 148  Zu D. 12,6,65 vgl. Pellecchi (1998), S.  69 ff., der allerdings nicht auf die Bedeutung von repetitio eingeht; ferner: Harke (2003), S.  55 ff. 149  „Damit wir das Rückforderungsrecht allgemein erörtern können, müssen wir im Überblick wissen, dass wegen eines Vergleichs, wegen eines Grundes, wegen einer Bedingung,

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Fünfter Abschnitt: Exkurs: Wird die solutio als causa qualifiziert?

Zunächst bezeichnet Paulus das Thema (ut generaliter de repetitione tractemus), sodann gibt er einen Überblick über die Fallgruppen, in denen die repetitio von Bedeutung ist, wobei er mehrere Arten der datio unterscheidet: aut ob transactionem aut ob causam aut propter condicionem aut ob rem aut indebitum. Die repetitio wird – zumindest vom Anspruch her – vollständig erörtert. Dies ergibt sich aus dem fünfmal verwendeten aut.150 Es werden allerdings nur die wichtigsten typenbildenden Fallgruppen behandelt, die mortis causa donatio fehlt.151 Schließlich geht Paulus in den folgenden §§  1–8 auf die Fallgruppen im Einzelnen ein. Die Stelle ist somit systematisch aufgebaut.152 wegen eines Erfolges geleistet wird oder etwas Nichtgeschuldetes: In allen diesen Fällen stellt sich die Frage des Rückforderungsrechts. 1. Und was aufgrund eines Vergleichs geleistet worden ist, kann nicht zurückgefordert werden, selbst wenn zwischen den Parteien kein Rechtsverhältnis bestand; denn wenn es Streit gab, ist allein der Umstand, dass der Streit beendet wird, als ausreichender Rechtsgrund anzusehen. Wenn jedoch eine offensichtliche Schikane aufgedeckt wird und der Vergleich unwirksam ist, wird die Rückforderung gewährt. 2. Auch wenn wegen eines Grundes geleistet wird, etwa weil ich annahm, dass von jemandem meine Geschäfte gefördert worden sind, obwohl dies nicht geschehen ist, kann nicht zurückverlangt werden, weil ich schenken wollte, auch wenn ich dabei eine falsche Vorstellung hatte. 3. Mit der Kondiktion wegen einer Bedingung kann ich aber bei einem Vermächtnis oder einer Erbschaft klagen, um das zurückzuverlangen, was ich gegeben habe, sei es, dass das Vermächtnis mir nicht ausgesetzt oder dass es mir entzogen worden ist, weil ich nicht in der Absicht gegeben habe, einen Vertrag zu schließen, und weil der Erfolg, dessentwegen ich geleistet habe, nicht eingetreten ist. Dasselbe gilt auch, wenn ich die Erbschaft nicht antreten wollte oder konnte. Dasselbe kann jedoch nicht gesagt werden, wenn mein Sklave unter einer Bedingung zum Erben eingesetzt war, ich geleistet habe und er daraufhin als Freigelassener die Erbschaft antritt. Denn in diesem Fall ist der Erfolg eingetreten. 4. Was wegen eines Erfolges geleistet wird, kann nach dem Grundsatz von Recht und Billigkeit zurückverlangt werden, zum Beispiel wenn ich dir etwas gegeben habe, damit du etwas tust, und du es nicht getan hast. 5. Demjenigen, der Nichtgeschuldetes zurückverlangt, müssen unter Abzug der Aufwendungen auch Früchte und Sklavenkinder herausgegeben werden. 6. Wurde nicht geschuldetes Getreide geleistet, ist auch die Qualität zu berücksichtigen, und wenn der Empfänger das Getreide verbraucht hat, kann der Wert verlangt werden. 7. Wurde eine Wohnung überlassen, kondiziere ich Geld, und zwar nicht den Betrag, um den ich hätte vermieten können, sondern den Betrag, um den du gemietet hättest. 8. Wenn ich dir einen nicht geschuldeten Sklaven übereignet habe und du ihn freigelassen hast, haftest du auf seinen Wert, wenn du es wissentlich getan hast. Hast du es nicht wissentlich getan, haftest du nicht auf den Wert, sondern nur auf die Dienste dieses Freigelassenen und darauf, dass du seinen Nachlass herausgibst.“ 150  Die Vollständigkeit unterstellende Wendung aut … aut … aut zeigt den systematischen Charakter der Darlegungen; zu der vergleichbaren Wendung nec … nec bei Scaevola vgl. Gokel (2014), S.  127 ff. 151 Vgl. Schwarz (1952), S.  136, 190. 152  Eine ähnliche Systematisierung findet sich bei Pomp 27 QM D. 12,6,52; vgl. Heine (2006), S.  148 Anm.  140. Hier wird zweimal repetitio verwendet, jedoch nicht als zentraler Begriff wie in D. 12,6,65.

7. Repetitio / repetere in D. 12,6

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Obwohl Paulus der repetitio einen besonderen Abschnitt seiner Schrift ad Plautium widmet, fehlt eine ausdrückliche Definition des Begriffs.153 Der Jurist beschränkt sich auf Kondiktionsfälle. Dies erklärt sich wohl daraus, dass er in dem Abschnitt aus dem 12. Buch ad Plautium, dem D. 12,6,65 entstammt, allein die Kondiktion behandelt, wie sich schon aus der von Lenel eingefügten Überschrift [De condictionibus] ergibt.154 Paulus gebraucht das Wort repetitio nicht einfach nur als Synonym für die Kondiktion. Andernfalls würde er sich juristisch präzise ausdrücken und sich darauf beschränken, diesen Rechtsbehelf zu nennen und allenfalls aus stilistischen Gründen ausnahmsweise auch einmal das Wort repetitio verwenden. Indem er jedoch zwischen repetitio und condictio unterscheidet und die repetitio ins Zentrum seiner Darlegungen stellt, verwendet er repetitio als einen eigenständigen Begriff. Dadurch wird der materiellrechtliche Aspekt der Kondiktion hervorgehoben: Der Zweck ist die Rückforderung einer Leistung; die Kondiktion ist das prozessuale Mittel. Besonders deutlich zeigt sich dieser Zusammenhang in §  3: agere per condictionem und repetam werden synonym gebraucht. Was bedeutet all dies für die hier letztlich allein interessierende Frage, welche Rechtsbehelfe bei solutio indebiti zur Verfügung stehen? Der materiellrechtliche Charakter der repetitio erlaubt eine Deutung, wonach (bei Geldleistungen) zunächst die Vindikation und (anschließend eventuell) die Kondiktion zur Verfügung steht. Um dieser Interpretationsmöglichkeit nachzugehen, soll im Folgenden §  1 untersucht werden. Darin wird zwar nicht die solutio indebiti, sondern die Leistung aufgrund eines Vergleichs (transactio) behandelt.155 Aus §  1 könnte sich aber ergeben, wie der Begriff der repetitio generell, auch im Zusammenhang mit der solutio indebiti, zu verstehen ist. Wird eine Leistung aufgrund eines Vergleichs erbracht, besteht selbst dann kein Rückforderungsrecht, wenn der geltend gemachte Anspruch nicht bestand. Falls der Vergleich jedoch durch offensichtliche Schikane (evidens calumnia) 153 Eine Weglassung durch die Kompilatoren ist sehr unwahrscheinlich: Eine Lücke im überlieferten Text lässt sich nicht erkennen. Den Kompilatoren war an allgemeinen Darlegungen, insbesondere an Definitionen, sehr gelegen (vgl. D. 50,16). Sie haben den überlieferten Text gerade wegen seiner Allgemeinheit in die Digesten aufgenommen und hätten eine Definition nicht gestrichen oder weggelassen. Zur Bedeutung allgemein gehaltener Darlegungen für die Kompilatoren: Zehnter Abschnitt, 1. b). 154 Vgl. Lenel 1 (1889 / 1960), Sp.  1173 ff.; D. 12,6,65 findet sich Sp.  1174 = Nr.  1234. 155 Zu D. 12,6,65,1 vgl. auch Oertmann (1895), S.  244 f.; Schwarz (1952), S.  180 f.; Pellecchi (1998), S.  82; Harke (2003), S.  56 f. Zum Begriff der transactio vgl. Schwarz (1952), S.  160; Kaser (1971), S.  642; Kaser / Knütel / Lohsse (2017), S.  325 = Rn.  22: Ein Vergleich ist eine formlose Abrede, um den Streit oder die Ungewissheit über den Bestand oder die Höhe einer Forderung durch gegenseitiges Nachgeben zu beenden, wobei der angebliche Schuldner meist eine Gegenleistung erbringt oder verspricht.

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Fünfter Abschnitt: Exkurs: Wird die solutio als causa qualifiziert?

zustande gekommen ist, das heißt durch einen bloß scheinbaren Gläubiger, der wider besseres Wissen eine Forderung geltend gemacht und vielleicht sogar bereits Klage erhoben hat, ist der Vergleich unwirksam (imperfecta156). Ein Vergleich liegt, genau genommen, gar nicht vor.157 Die repetitio ist erlaubt.158 Sturm konstatiert vorsichtig, eigentlich sei die Vindikation als Rechtsbehelf zu erwarten; vielleicht genüge jedoch die bloße Absicht der Parteien, sich zu vergleichen, als causa traditionis, sodass die Kondiktion zur Verfügung stehe.159 Ähnlich stellt Laborenz fest, zur Übereignung reiche aus, dass die Sache transactionis nomine übergeben werde, die Parteien sich also darüber einig seien, dass mit der traditio eine Pflicht aus einem Vergleich erfüllt werde.160 Die Übereignung ist demnach wirksam; die Kondiktion steht zur Verfügung. Dieser Auffassung muss widersprochen werden: Da der scheinbare Gläubiger weiß, dass ein wirklicher Vergleich nicht vorliegt, fehlt ein Konsens darüber, dass eine Pflicht aufgrund einer transactio erfüllt wird. Selbst wenn ein Solutionskonsens prinzipiell als causa qualifiziert werden würde, könnte das Eigentum im vorliegenden Fall nicht übergehen. Der Sachverhalt ähnelt dem Fall, dass der Empfänger einer Leistung bei solutio indebiti vom Nicht-Bestehen der Pflicht Kenntnis hat. Auch in diesem Fall scheitert die Übereignung. Dem scheinbaren Schuldner, der geleistet hat, steht die Vindikation zur Verfügung, eventuell (bei der Geldzahlung nach Vermischung oder Verbrauch) die Kondiktion.161 Möglicherweise sind weitere Rechtsbehelfe gegeben; das braucht

imperfectus vgl. die Quellenbelege bei Hellmann (1903), S.  66 ff., wo D. 12,6,65,1 allerdings nicht angeführt wird. Nachweise zu imperfectus in dem hier behandelten Fragment: Sturm (1983), S.  644 f. Anm.  37. 157  Schwarz (1952), S.  180 stellt fest, „dass weniger eine nichtige transactio als eine Nichttransactio abgeschlossen ist.“ 158  Sturm (1983), S.  644 Anm.  37 geht auf Interpolationsbehauptungen zu §  1 ein, die in der älteren Literatur zu finden sind; der Autor weist sie zurück. 159  Vgl. ebd., S.  645. 160 Vgl. Laborenz (2014), S.  255. Auch Schwarz (1952), S.  180 f.; Harke (2003), S.  56 f. Anm.  21 stellen fest, es stehe die Kondiktion zur Verfügung; die Vindikation wird von den Autoren nicht erwähnt. Bei Kaser (1961a), S.  86 heißt es, „dass etwas auf Grund (…) einer transactio geleistet wird“. Unklar ist, ob Kaser die transactio als causa anspricht oder einen Konsens, wonach aufgrund einer transactio übereignet werden soll. Da Kaser im Hinblick auf die solutio indebiti der Lehre vom Solutionskonsens folgt (vgl. ebd., S.  69 ff.), ist die zuletzt genannte Möglichkeit wahrscheinlich. 161  Eisele (1897), S.  19 stellt fest, nicht die Kondiktion, sondern die actio doli stehe zur Verfügung; dagegen Sturm (1983), S.  644 Anm.  37, demzufolge die actio doli subsidiär ist. 156 Zu

7. Repetitio / repetere in D. 12,6

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hier nicht untersucht zu werden.162 Das Wort repetitio bezeichnet in §  1 die Vindikation und die (möglicherweise folgende) Kondiktion.163 Weiteren Aufschluss bietet vielleicht §  6, der die solutio indebiti betrifft. Der Text sei an dieser Stelle wiederholt: In frumento indebito soluto et bonitas est et, si consumpsit frumentum, pretium repetet.164

Einmal abgesehen davon, dass der Text – wahrscheinlich aufgrund einer Interpolation – sprachlich verunstaltet ist,165 wird bei der rechtsgrundlosen Leistung von Getreide danach unterschieden, ob das Getreide verbraucht ist oder nicht. Nach der Konsumtion steht die Kondiktion zur Verfügung, wobei sich das Wort pretium hier nicht auf den Preis, sondern den Wert bezieht.166 Unklar ist, welcher Rechtsbehelf vor dem Verbrauch gegeben ist. Gemäß der herrschenden Meinung unter den Romanisten liegt ein Solutions­ konsens als causa vor, das Eigentum geht über. Es steht die Kondiktion des Getreides zur Verfügung, die sich auf die gleiche Menge entsprechender Qualität bezieht (Pomp 9 Sab D. 12,6,7). Nach dem Verbrauch ist die Kondiktion des Wertes gegeben. In diesem Sinne heißt es bei von Lübtow, auf die Rückgewähr in specie, die zunächst infrage komme, könne sich der Satz nicht beziehen; er betreffe nur die Rückforderung des Getreides in genere sowie – nach dem Verbrauch – den Anspruch auf den Wert.167 Folgt man der hier vertretenen Hypothese, wonach der Solutionskonsens nicht als causa qualifiziert wird, scheitert der Eigentumsübergang. Die Vindikation steht zur Verfügung. Dieser Rechtsbehelf wird zwar nicht ausdrücklich erwähnt; angesichts der Unzuverlässigkeit des Textes ist daraus aber kein Gegenargument

162  Schwarz (1952), S.  180 f. zufolge war im Edikt eine Strafklage vorgesehen (Ulp 10 ed D. 3,6,1 pr.), die mit der Kondiktion konkurrierte. 163  Zwingend ist dieser Schluss nicht: Vielleicht bezieht sich repetitio hier allein auf die Kondiktion. Die Vindikation wird stillschweigend vorausgesetzt. Es wird jedoch allein die Kondiktion (repetitio) angesprochen, weil die Stelle insgesamt auf die Kondiktion beschränkt ist. 164  „Wurde nicht geschuldetes Getreide geleistet, ist auch die Qualität zu berücksichtigen, und wenn der Empfänger das Getreide verbraucht hat, kann der Wert verlangt werden.“ 165  Der Text wirkt verkürzt; auffällig ist zudem der harte Subjektwechsel; vgl. Kaser (1935), S.  116; von Lübtow (1952), S.  79. Zur Frage der Echtheit von D. 12,6,65 insgesamt vgl. Pringsheim (1932), S.  151; Schwarz (1952), S.  136; Hähnchen (2003), S.  91. 166 Vgl. von Lübtow (1952), S.  79; Laborenz (2014), S.  139. Allgemein zu pretium: Heumann / Seckel (1914), S.  457 s.v. pretium: a) der Geldwert einer Sache; b) insbesondere der Kaufpreis. 167 Vgl. von Lübtow (1952), S.  79.

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Fünfter Abschnitt: Exkurs: Wird die solutio als causa qualifiziert?

abzuleiten. Nach dem Verbrauch ist die Kondiktion gegeben.168 Was die Bedeutung des Wortes repetitio angeht, so heißt es: pretium repetet. Die Worte condictio und repetitio werden hier synonym gebraucht. Die (möglicherweise zur Verfügung stehende) Vindikation wird von repetet nicht erfasst. Die beiden dargestellten Interpretationsmöglichkeiten sind mit dem überlieferten Wortlaut von §  6 vereinbar. Im Hinblick auf die Frage, ob bei solutio indebiti zunächst die Vindikation zur Verfügung steht, führt §  6 also nicht weiter. Die Ergebnisse der Auslegung von D. 12,6,65 lassen sich nun folgendermaßen zusammenfassen: – Das Wort repetitio bezeichnet (materiellrechtlich) die Rückforderung. – Gemeint ist die Rückforderung einer freiwillig erbrachten Leistung.169 – Der in Betracht kommende Rechtsbehelf ist die Kondiktion.170 – Im Fall der Rückforderung nach §  1 (evidens calumnia) umfasst der Begriff der repetitio auch die Vindikation. Es ist demnach nicht ausgeschlossen, dass das Wort repetitio bei solutio indebiti ebenfalls die Vindikation umfasst. g) Im Folgenden werden weitere Überlegungen mitgeteilt, um die Hypothese zu stützen, wonach sich das Wort repetitio bei solutio indebiti auch auf die Vindikation bezieht. Angewendet wird ein Ausschlussverfahren. Die Begriffe condictio und repetitio werden vielleicht ausschließlich oder überwiegend synonym verwendet.171 Diese Möglichkeit wäre allerdings nur plausibel, wenn die Juristen in der Regel den juristisch präzisen Begriff condictio verwenden und repetitio nur ausnahmsweise gebrauchen würden. Da jedoch in D. 12,6 ganz überwiegend von repetitio gesprochen wird, ist diese Möglichkeit eher unwahrscheinlich, denn es kann nicht angenommen werden, dass sich die Juristen in der großen Mehrzahl der Fälle ungenau ausdrücken. Vor allem aber wäre unklar, warum repetitio auffallend häufig im Zusammenhang mit der 168  Der Satz et bonitas est bezieht sich dann auf die Kondiktion als einen Rechtsbehelf, der nach dem Verbrauch zur Verfügung steht. 169  Ausnahmen finden sich in §  5. 170  In diesem Sinne betont Schwarz (1952), S.  291, condictio sei ein prozessualer terminus technicus, während die condictio materiell eine Rückforderungsklage gewesen sei, und spricht auch von einem „materiell-rechtlichen Rückforderungsanspruch“. Allerdings verbindet Schwarz den „Rückforderungsanspruch“ nicht mit dem Terminus repetitio, sondern bezieht sich auf Savigny (1841 / 1973), S.  567, der zunächst feststellt: „(…) denn dieses Zurückfordern des aus unsrem Vermögen Ausgegangenen ist eben der wahre Grund aller regelmäßigen Condictionen“, und sodann (S.  567 Anm. a) Belege anführt, in denen recipere verwendet wird. 171  Heumann / Seckel (1914), S.  508 s.v. repetere 1): „Rückforderung, insbes. mittels einer condictio“. Für Synonymität mit condictio: Schwarz (1952), S.  39; Fuchs (1952), S.  228 Anm.  36.

7. Repetitio / repetere in D. 12,6

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condictio indebiti (im Unterschied zu anderen Fallgruppen der Kondiktion) gebraucht wird. Schließlich ist auch kein Grund dafür ersichtlich, dass die Juristen zumeist repetitio anstelle von condictio hätten verwenden sollen; repetitio ist weder kürzer als condictio noch erscheint das Wort aus einem anderen Grunde als vorzugswürdig. Die weitere Möglichkeit, dass repetitio und rei vindicatio im gleichen Sinne gebraucht werden, kann ebenfalls ausgeschlossen werden. Die Vindikation allein wird, wie bereits festgestellt,172 in den meisten Fällen nicht repetitio genannt. Auch ist nicht anzunehmen, dass repetitio an einigen Stellen die Kondiktion, an anderen Stellen die Vindikation bezeichnet. Die Vindikation wird nicht repetitio genannt. Damit ist ein Sprachgebrauch ausgeschlossen oder doch zumindest unwahrscheinlich, in dem repetitio manchmal die Vindikation, manchmal die Kondiktion bezeichnet. Zudem könnte damit nicht erklärt werden, dass bei der condictio indebiti (im Unterschied zu anderen Kondiktionsarten) in der Mehrzahl der Fälle von repetitio gesprochen wird. So erscheint die Möglichkeit plausibel, dass repetitio sich auf eine Rechtslage bezieht, in der zunächst die Vindikation, danach eventuell (bei Geld: im Fall von Vermischung oder Verbrauch) die Kondiktion zur Verfügung steht; dies unter der Voraussetzung, dass die Leistung in der Übereignung einer res nec mancipi durch traditio besteht. In den anderen Fällen würde allein die Kondiktion gegeben sein. Die römischen Juristen wollten sich vielleicht kurz und knapp ausdrücken und verwendeten repetitio, um eine Rechtslage kenntlich zu machen, die sich auf andere Weise nur ausführlich und etwas umständlich hätte beschreiben lassen. Ein Gegenargument könnte lauten: Wenn repetitio nicht synonym mit der Vindikation gebraucht wird, kann das Wort auch nicht die Vindikation als einen ersten (möglichen) Rechtsbehelf (vor der Kondiktion) bezeichnen. Dieses Argument wäre jedoch nicht plausibel: Es ist ein erheblicher Unterschied, ob repetitio als Synonym für die Vindikation ausgeschlossen ist oder ob repetitio die Vindikation als einen von zwei Rechtsbehelfen umfasst, zumal in vielen Fällen die repetitio praktisch auf eine Kondiktion hinauslaufen würde, vor allem bei Geldzahlungen, bei denen das Eigentum durch Vermischung oder Verbrauch vom Leistenden rasch auf eine andere Person übergehen würde, sodass die Vindikation keine oder nur geringe praktische Bedeutung hätte. Wäre die hier für möglich gehaltene Bedeutung von repetitio zutreffend, dürfte das Wort nicht gebraucht werden, falls die rei vindicatio ausgeschlossen ist, weil die Leistung nicht in der Übereignung einer res nec mancipi durch traditio besteht. Es müsste dann immer condictio / condicere heißen.

172 

Fünfter Abschnitt, 7. c).

112

Fünfter Abschnitt: Exkurs: Wird die solutio als causa qualifiziert?

Ein Blick in D. 12,6 zeigt Folgendes: In Pomp 22 Sab D. 12,6,22 wird die Kondiktion geltend gemacht mit dem Ziel, ein Durchgangsrecht eingeräumt zu bekommen: condicam. Ulp 26 ed D. 12,6,26,12 behandelt die Kondiktion von Dienstleistungen. Es heißt condicere.173 Ähnlich verhält es sich in Ulp 26 ed D. 12,6,26,13. Ein Sicherheitsversprechen als Leistung wird in Ulp 1 op D. 12,6,31 behandelt: condictionem.174 In Iul 39 dig D. 12,6,33 wird der Bau auf einem fremden Grundstück untersucht: keine condictio. Paulus spricht in 17 Plaut D. 12,6,65,7 von der Überlassung einer Wohnung: condicam. Durch den in D. 12,6 nachzuweisenden Sprachgebrauch wird somit die Vermutung erhärtet, dass repetitio die Vindikation einschließt. h) So lässt sich auch die Wendung cessat repetitio in D. 12,6,1,1 gut erklären: Wenn der Leistende das Nicht-Bestehen der Pflicht kennt, liegt eine (teilweise fingierte) Schenkung als causa vor.175 Das Eigentum ist endgültig übergegangen. Eine Vindikation und eine (anschließende) Kondiktion stehen nicht zur Verfügung. Die beiden Rechtsbehelfe werden im Begriff der repetitio zusammengefasst, sind jedoch im konkreten Fall ausgeschlossen176 – ein weiteres Beispiel dafür, dass der Terminus repetitio häufig in verneinenden Aussagen gebraucht wird.177 i) Die Untersuchung zum Gebrauch des Wortes repetitio im klassischen römischen Recht hat zu den folgenden Ergebnissen geführt: Die repetitio ist ein Sammelbegriff, der mehrere Rechtsbehelfe umfasst, in erster Linie die Kondiktion, genauer gesagt die Leistungskondiktion, wobei der materiellrechtliche Aspekt der Rechtsbehelfe betont wird. Das Wort repetitio bezeichnet zwar nicht die Vindikation, wenn sie als einziger Rechtsbehelf in Betracht kommt. Wohl aber wird dieses Wort verwendet, falls zunächst die Vindikation, später jedoch eventuell (nach Verbrauch oder Vermischung von Geld) die Kondiktion zur Verfügung steht.178 Schwarz (1952), S.  68, 73, 77 f., 97. Vgl. ebd., S.  48, 205 Anm.  41. 175  Fünfter Abschnitt, 4. f). 176  Schermaier (2018), S.  793 spricht im Hinblick auf die Wendung cessat repetitio (D. 12,6,1,1) von einem „Versagen jeglicher Klage, also auch der rei vindicatio“. Zur Wendung cessat repetitio vgl. auch Laborenz (2014), S.  220 ff. 177  Fünfter Abschnitt, 7. e). 178 In diesem Sinne stellte Ehrhardt (1930), S.  47 fest, dass repetitio / repetere auch gebraucht wird, wenn rei vindicatio und condictio zur Wahl stehen, je nachdem, ob eine gezahlte Geldsumme noch vorhanden oder schon verbraucht ist. Den Darlegungen Ehrhardts ging eine Diskussion voraus, die mit Pernice (1892 / 1963), S.  213 begonnen hatte, der die Auffassung vertreten hatte, repetitio / repetere sei ein „Kunstausdruck für die Kondiktionenforderung“. Dem widersprach von Mayr (1900), S.  98 ff. mit der Begründung, auch im Hinblick auf andere Rückforderungsklagen werde repetere gebraucht. Repetere komme keine andere Bedeutung zu 173 Vgl. 174 

8. Die historische Herleitung der causa solvendi

113

Die abschließende Frage, ob repetitio von vornherein einen juristischen Fachbegriff bildete oder von den klassischen Juristen aufgrund ihres Sprachgefühls verwendet wurde, lässt sich nicht eindeutig beantworten. Vielleicht haben die klassischen Juristen repetitio zunächst eher intuitiv gebraucht,179 denn gelegentlich sind Ausnahmen von einem spezifischen Sprachgebrauch festzustellen.180 Ein weiteres Indiz dafür besteht darin, dass – folgt man den überlieferten Texten – erst Paulus repetitio als einen eigenständigen Begriff betrachtet hat (D. 12,6,65).181 Noch Justinian hat diesen Begriff im Zusammenhang mit der solutio indebiti verwendet. Am 1.10.530 n.Chr. hat er entschieden, falls der Leistende gezahlt habe und sich dabei unsicher gewesen sei, ob eine Pflicht bestehe, stehe ihm grundsätzlich die repetitio zu (C. 4,5,11,1). Von einer Kondiktion ist nicht die Rede.182 Das Wort repetitio meint hier die Vindikation und die anschließend zur Verfügung stehende Kondiktion.

8. Die historische Herleitung der causa solvendi a) Rabel hat vermutet, dass sich die causa solutionis historisch begründen lässt: Ein „Problem ist es nur, dass der Titel pro soluto so abstrakt aufgefasst wird; dies als dem deutschen „zurückfordern“, allerdings bezeichne es niemals die Vindikation. Siber (1925), S.  50 vertrat dagegen die Ansicht, es sei nicht außergewöhnlich, dass repetitio die vindicatio meine. Diese Diskussion und die dabei ausgetauschten Argumente sind heute nur noch bedingt brauchbar, weil die Autoren zum Teil von Interpolationsannahmen geleitet waren, die heute methodologisch nicht mehr vertretbar sind. 179 Der im Kriegsrecht bestehende enge Zusammenhang zwischen res repetere und condictio – Fünfter Abschnitt, 7. c) Anm.  137 – spricht allerdings dafür, dass repetitio auch im Zivilrecht von vornherein eine spezifisch juristische Bedeutung hatte, wenn man voraussetzt, dass die Kondiktion und damit auch die repetitio aus dem Kriegsrecht ins Zivilrecht Eingang gefunden haben. 180  Ein Beispiel: Fünfter Abschnitt, 7. c) Anm.  129. 181  Um die Bedeutung der repetitio zu klären, sind weitere Untersuchungen erforderlich. Die früheste Verwendung von repetere und condictio ist im Völkerrecht nachweisbar; hier bezeichnete repetere die Rückforderung von widerrechtlich angeeigneten Gegenständen, allgemein: die Forderung nach Genugtuung. Die Frage, ob diese Termini aus dem Kriegsrecht ins Zivilrecht übernommen wurden, wann dies eventuell geschah und welches die „Ur-Kondiktion“ war, ist noch zu klären; vgl. Liebs (1986), S.  164 ff.; Pika (1988), S.  22 f.; Hähnchen (2003), S.  37 ff. In Gai Inst 4,19 heißt es, die Kondiktion sei durch die lex Silia und die lex Calpurnia eingeführt worden. Die Datierung dieser Gesetze ist umstritten ist (3. oder 2. Jahrhundert v. Chr.?); vgl. Hähnchen (2003), S.  39. Der Terminus repetere wird in der Gaius-Stelle nicht verwendet. Nur im Zusammenhang mit einer Erörterung all dieser Fragen ließe sich klären, wann und in welchem Sinne das Wort repetere ins Zivilrecht Eingang gefunden hat. 182 Vgl. Willems (2017), S.  262 ff.

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Fünfter Abschnitt: Exkurs: Wird die solutio als causa qualifiziert?

muss mit der Geschichte der Haftungslösungen zusammenhängen“183. Kaser zufolge hat Rabel die „richtige Erklärung (…) gefühlt“.184 Nach Auffassung Kasers sind mehrere Entwicklungsstufen des römischen Rechts zu unterscheiden.185 Im altrömischen Recht sei die solutio, das heißt die Lösung von einer bestehenden Haftung, durch einen Vergleich (transactio) möglich gewesen, durch den beide Seiten von der Verfolgung Abstand genommen hätten. Als Beispiel führt Kaser das Zwölftafelgesetz an, in dem bestimmt wurde: Si membrum rupsit, ni cum eo pacit, talio esto (8,2).186 Die Talionsfolge habe durch eine vereinbarte Abstandssumme abgewendet werden können. Kaser schließt daraus, das Sich-Vergleichen habe ein beiderseitiges Absehen von der Verfolgung bedeutet: Der Gläubiger habe darauf verzichtet, gegen den Haftenden aus der obligatio vorzugehen; er habe dafür die Abstandssumme empfangen, aus der sich die schuldrechtliche Erfüllung entwickelt habe. Der Geber habe darauf verzichtet, die mögliche Unwirksamkeit der Pflicht geltend zu machen. Die solutio habe das Eigentum verschafft, auch wenn die obligatio nicht bestanden habe. Später habe man solche Vergleichsverträge zwar nicht mehr geschlossen. Seitdem habe die solutio aber als causa fungiert. Eine Rückforderung des Geleisteten sei dadurch ausgeschlossen worden. Auch als später die condictio eingeführt wurde, sei es, was die Wirkung der solutio betrifft, beim Alten geblieben: Die Hingabe zu dem Zweck, eine Schuld zu tilgen, lasse das Eigentum übergehen; causa traditionis sei die solutio. Der Empfänger habe jedoch kein Recht, die Sache zu behalten, die Rückforderung mit der condictio stehe offen. Rabel (1955), S.  68; zur Vermutung Rabels, die dieser bereits in der ersten Auflage seiner „Grundzüge“ (1915), S.  441 geäußert hatte, vgl. auch Ehrhardt (1930), S.  49, 128; Lange (1930), S.  76; Fuchs (1952), S.  242. 184  Kaser (1961a), S.  72. Die Position Kasers hat zahlreiche Anhänger gefunden: Wolf (1961), S.  110 Anm.  77; Mayer-Maly (1962), S.  93 f.; Wesel (1968), S.  102; Honsell / MayerMaly / Selb (1987), S.  158; Wimmer (2007), S.  40; Harke (2012a), S.  293 Anm.  7. Auf Kaser stützt sich auch Kupisch (1987), S.  19 Anm.  29; zur Position Kupischs: ders. (1985), S.  2372 f.; ders. (1987), S.  19 f.; ders. (1991), S.  447 f.; ders. (1997), S.  185; Darstellung und Kritik dieser Position bei Laborenz (2014), S.  288 ff. 185  Kaser (1955), S.  351 gibt noch keine Begründung für den außergewöhnlichen Charakter der Solutionskausa. Eine elaborierte historische Argumentation findet sich erst bei Kaser (1961a), S.  74 f. Darauf bezieht sich die Darstellung im Text. In einer Kurzfassung der Begründung stellt Kaser (1971), S.  417 fest: „Das [die solutio als causa; Verf.] wird sich daraus erklären, dass die solutio ursprünglich als beiderseitiges Abstandsgeschäft aufgefasst wurde. War die solutio einmal angenommen, dann konnte einerseits der Empfänger nicht mehr aus der alten obligatio vorgehen. Andererseits stand aber, weil das Eigentum überging, auch dem Geber, wenn das Geleistete nicht geschuldet war, nicht die vindicatio, sondern nur die condictio offen.“ 186  „Wenn jemand [einem anderen] ein Glied verletzt hat und sich nicht mit ihm einigt, soll Gleiches mit Gleichem vergolten werden.“ 183 

8. Die historische Herleitung der causa solvendi

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Schließlich führt Kaser noch eine Stelle an, die „vielleicht mit unserer Lösung in Zusammenhang gebracht werden darf“187, eine Äußerung Ulpians aus dem 16. Buch seines Ediktkommentars: D. 6,2,5 vel ex causa noxae deditionis, sive vera causa sit sive falsa.188

Diese Äußerung bezieht sich auf die actio Publiciana (D. 6,2: De Publiciana in rem actione). Ulpian erläutert die Wendung ex iusta causa des Edikts,189 indem er mehrere Beispiele für eine causa aufzählt, darunter die in D. 6,2,5 genannte noxae deditio. Der Sklave, der ausgeliefert und besessen wurde, konnte Ulpian zufolge auch dann usukapiert werden, wenn die Noxalhaftung gar nicht bestand. Die noxae deditio sei wohl ein Akt der Haftungslösung gewesen, mit dessen Vollzug die Frage der Haftung abschließend bereinigt werden sollte. Mit der traditio sei zunächst das Eigentum übergegangen; man habe dann aber wohl die condictio zugelassen. b) Die von Rabel, Kaser und anderen Autoren vertretene Argumentation ist fragwürdig:190 Die Belege aus dem Zwölftafelgesetz zeigen zwar, dass eine Talion durch eine Abstandszahlung ersetzt werden konnte. Derartige Vereinbarungen kamen aber nur bei Delikten in Betracht. Nicht einleuchtend ist, warum die Regelungen aus dem Zwölftafelgesetz die Basis für eine Entwicklung gebildet haben sollten, in der schließlich jede solutio, also auch die Erfüllung rechtsgeschäftlich begründeter Pflichten, als causa diente. Dies spricht auch gegen Kasers Vermutung, D. 6,2,5 könne vielleicht als Beleg der historischen These dienen. Wenn die causa solutionis auf Vergleichsverträge zurückzuführen sein sollte, würde dies voraussetzen, dass die Pflichterfüllung auf einer früheren Entwicklungsstufe des römischen Rechts immer oder zumindest in der Regel mit Kaser (1961a), S.  75 f. „oder zu dem Zweck der Übereignung wegen einer Schadenstat, mag diese wirklich gegeben sein oder nicht.“ 189  Vermuteter Text bei Kaser (1961a), S.  76. 190  Schulz (1932), S.  546 kritisiert Rabel aufgrund der Ansicht, dass eine „Einigung über den Eigentumsübergang“ für die Wirksamkeit der traditio erforderlich sei, und zwar „als Einigung über die Übereignung venditionis, donationis, fiduciae, dotis, solutionis causa“, unabhängig davon, ob das Kausalgeschäft gültig ist, sofern Veräußerer und Erwerber das Geschäft für gültig halten (Theorie der kausalen dinglichen Einigung); Dritter Abschnitt, 2. a). Im Hinblick auf Rabels historische These heißt es: „Ich sehe nicht ein, wieso man damit mehr hat, als wenn ich sage: es ist Einigung über den Eigentumsübergang solvendi causa erforderlich.“ Die historische Begründung der causa solutionis wird auch von Flume (1990), S.  58 abgelehnt: Den Klassikern sei die archaische Vorstellung von der solutio als Enthaftungsakt nicht zuzurechnen; die traditio bewirke vielmehr mit Selbstverständlichkeit den Eigentumsübergang. 187  188 

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Fünfter Abschnitt: Exkurs: Wird die solutio als causa qualifiziert?

einem Vergleich verbunden war. Dies wäre jedoch nicht sinnvoll gewesen. So ist unklar, warum zum Beispiel jede Erfüllung einer durch Stipulation begründeten Pflicht oder jede Zahlung eines Kaufpreises (sofern kein Barkauf vorlag) mit einem Vergleich verbunden worden sein sollte.191 Es mag sein, dass Vertragsparteien bei rechtlich komplizierten und wirtschaftlich bedeutsamen Verträgen, denen vielleicht lange und schwierige Verhandlungen vorausgegangen waren, die Erfüllung mit einer Art Vergleich verknüpft haben, in dem sie auf mögliche Ansprüche für den Fall verzichteten, dass der Vertrag unwirksam gewesen sein sollte. Auf diese Weise konnten sie sicherstellen, dass die Sache mit der solutio endgültig erledigt war. Unrealistisch jedoch ist die Annahme, die Erfüllung einer jeden Pflicht zur Übereignung oder auch nur der meisten Pflichten sei mit einem Vergleichsvertrag verknüpft worden. Deshalb kann die causa solvendi nicht als Überbleibsel derartiger Verträge gedeutet werden. Das von Kaser entwickelte historische Argument lässt sich nicht aus den Quellen belegen. Es ist Ausdruck einer „archaistischen Tendenz der älteren Romanistik“.192 Danach besteht die Stärke des klassischen römischen Rechts darin, dass es die Verbindung zu seinen archaischen Ursprüngen stets bewahrt hat.193 Eine solche Tendenz lässt sich auch bei Kaser nachweisen,194 der die historische These in ihrer heute häufig vertretenen Form ausgearbeitet und formuliert hat.

9. Das Schweigen der Digesten a) Einige Digestenstellen sind überliefert, in denen die Voraussetzungen für die wirksame Übereignung einer res nec mancipi durch traditio bezeichnet werden. Dabei werden auch Beispiele für Kausalgeschäfte genannt, ohne dass die solutio erwähnt wird.195 Überhaupt gibt es kein Fragment, in dem die solutio ausdrücklich als causa traditionis qualifiziert wird. Dieses Schweigen ist umso auffälliger, als die causa solvendi sich von anderen Kausalverhältnissen darin unterscheidet, dass die rechtliche Beziehung, die den eigentlichen Grund für die Übereignung bildet, unwirksam sein kann. Eine solche Anomalie würde erwarten lassen, dass die causa solvendi als ein juristisch auffälliges und zudem praktisch wichtiges Beispiel auch einmal explizit angeführt wird. Die in den Digesten gebrauchte argumentiert Jahr (1963), S.  173 Anm.  81; vgl. auch Jakobs (2002), S.  307 f. Anm.  102; Laborenz (2014), S.  286 f. 192  Stagl (2009), S.  1203. 193  Vgl. ebd., S.  1201 ff. 194  Vgl. ebd., S.  1204; vgl. auch Kaser / Knütel / Lohsse (2017), S.  144 = Rn.  2. 195  Vgl. z. B. Paul 31 ed D. 41,1,31 pr.; Gai Inst 2,19–20. 191  Ähnlich

10. Die Stipulation als causa bei Julian (D. 24,1,39)

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Wendung causa solvendi196 könnte zwar die solutio als causa bezeichnen; möglich ist aber auch, dass es sich dabei nur um eine abkürzende Bezeichnung des Zwecks handelt, die jeweilige Pflicht zu erfüllen, wobei nicht die solutio, sondern der Verpflichtungsgrund die causa bildet. b) Kaser versucht, das Schweigen der Digesten mithilfe der These zu erklären, die Kompilatoren hätten die Erwähnung der causa solvendi aus den Quellen getilgt, weil sie die historische Bedeutung dieser causa (als Überbleibsel von Vergleichsverträgen im altrömischen Recht) nicht mehr verstanden hätten.197 Dieses Argument ist fragwürdig, weil nach der von Kaser selbst verfochtenen, heute weithin anerkannten und auch hier vertretenen methodologischen Auffassung Interpolationsvermutungen erst aufgestellt werden sollten, wenn sich ein Fragment auf andere Weise nicht sinnvoll erklären lässt.198 Es besteht jedoch durchaus die Möglichkeit, dass die solutio nicht als causa fungiert. Wäre dies zutreffend, würde sich zwanglos erklären lassen, warum eine Solutionskausa in den Digesten nicht erwähnt wird. Hinzu kommt Folgendes: In den überlieferten Quellen findet sich die Wendung causa solvendi.199 Wenn man der herrschenden Meinung unter den Romanisten folgt und die solutio als causa betrachtet, wird damit auf die Solutionskausa Bezug genommen. Sollte es zutreffen, dass die Kompilatoren die solutio als causa nicht mehr verstanden haben, wäre unerklärlich, warum sie einerseits die Erwähnung der solutio als Beispiel für eine causa traditionis getilgt, andererseits die Wendung causa solvendi übernommen haben. Konsequenterweise hätten sie auch diese Wendung beseitigen oder vermeiden müssen. Das Schweigen der Digesten im Hinblick auf die solutio als causa macht deutlich, dass sich die These vom zwingenden Charakter der Solutionskausa nicht aufrechterhalten lässt.

10. Die Stipulation als causa bei Julian (D. 24,1,39) a) Besonders aufschlussreich ist eine Äußerung Julians aus dem fünften Buch seines Kommentars zu Minicius: D. 24,1,39 Vir uxori pecuniam cum donare vellet, permisit ei, ut a debitore suo stipuletur: illa cum id fecisset, priusquam pecuniam auferret, divortium fecit: quaero, utrum vir eam summam petere Zum Beispiel in Paul 19 ed D. 6,2,4; weitere Nachweise bei Lange (1930), S.  42 Anm.  7. Kaser (1961a), S.  97. 198  Einführung, 5. a). 199  Vgl. die Nachweise bei Laborenz (2014), S.  99 Anm.  52. 196 

197 Vgl.

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Fünfter Abschnitt: Exkurs: Wird die solutio als causa qualifiziert?

debeat an ea promissione propter donationis causam actio nulla esset. respondi inanem fuisse eam stipulationem. sed si promissor mulieri ignorans solvisset, si quidem pecunia exstat, vindicare eam debitor potest: sed si actiones suas marito praestare paratus est, doli mali exceptione se tuebitur ideoque maritus hanc pecuniam debitoris nomine vindicando consequetur. sed si pecunia non exstat et mulier locupletior facta est, maritus eam petet: intellegitur enim ex re mariti locupletior facta esse mulier, quoniam debitor doli mali exceptione se tueri potest.200

Die Stelle behandelt das von klassischen Juristen auf mos maiorum zurückgeführte Verbot der Schenkung unter Ehegatten.201 Entschieden wird der Fall einer mittelbaren Schenkung: Der Ehemann gibt der Ehefrau das Geld nicht direkt, sondern will es ihr dadurch zukommen lassen, dass sein Schuldner ihr die geschuldete Summe zahlt. Das Exzerpt besteht aus zwei Teilen.202 Der erste Teil entstammt einem Werk des Minicius.203 Es geht um ein responsum, das die Darstellung des Sachverhalts, die Anfrage und den Bescheid des Juristen umfasst: respondi inanem fuisse eam stipulationem. Finkenauer konstatiert, es handele sich um die „von Julian beschiedene Frage“;204 damit scheint er vorauszusetzen, der zitierte Satz sei diesem Juristen zuzuschreiben. Der Satz gehört aber noch zu den Darlegungen des Minicius. Sie umfassen narratio, quaestio und responsum; der Satz enthält das 200  „Ein

Ehemann, der seiner Frau Geld schenken wollte, gestattete ihr, sich von seinem Schuldner [das ihm Geschuldete] durch Stipulation versprechen zu lassen. Nachdem sie dies getan hatte, doch bevor sie das Geld davontrug, ließ sie sich scheiden. Ich frage, ob der Mann diese Summe fordern solle oder ob im Hinblick auf dieses Versprechen, wegen der causa der Schenkung, die actio nichtig gewesen sei. Ich gab den Bescheid, diese Stipulation sei unwirksam gewesen. Aber wenn der Versprechende der Frau unwissentlich gezahlt hatte, kann, wenn das Geld noch vorhanden ist, der Schuldner es vindizieren. Aber wenn er bereit ist, seine Klagen dem Mann abzutreten, wird er sich mit einer exceptio doli mali schützen; und deshalb wird der Ehemann dieses Geld anstelle des Schuldners durch Vindikation verfolgen. Aber wenn das Geld nicht vorhanden und die Frau bereichert ist, wird der Ehemann es fordern. Die Frau wird nämlich als aus dem Vermögen des Ehemannes bereichert angesehen, weil der Schuldner sich durch die exceptio doli mali schützen kann.“ 201 Vgl. Kaser (1971), S.  331 f.; Schlei (1993), S.  4 ff.; Kaser / Knütel / Lohsse (2017), S.  357 f. = Rn.  4 ff. Zur Auffassung, das Verbot sei auf die augusteische Ehegesetzgebung zurückzuführen, vgl. Stagl (2016), S.  449; ders. (2017), S.  143 f. mit weiteren Nachweisen. 202  Zum Folgenden vgl. auch Laborenz (2014), S.  242 ff. 203  Es kann nicht einfach angenommen werden, dass Julian aus dem Werk des Minicius zitiert. Der antiken Praxis entspricht es, dass die zitierenden Autoren sich nicht wörtlich an den vorliegenden Text hielten, sondern kleine sprachliche Änderungen, auch Kürzungen, vornahmen; die wörtliche Übernahme eines fremden Textes erschien ihnen als mit dem Anspruch eigener literarischer Leistung unvereinbar; vgl. Wolf (2007a), S.  444, 448, 454 mit weiteren Nachweisen S.  444 Anm.  49. 204  Finkenauer (2009), S.  320. Klinck (2004), S.  339 stellt einerseits fest, mit respondi inanem fuisse eam stipulationem entscheide Julian über die Wirksamkeit der Stipulation, fügt aber andererseits hinzu, es lasse sich vermuten, dass Julian bis hierher den Sachverhalt und die Entscheidung des Minicius wiedergibt.

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responsum dieses Juristen. Der erste Teil des Fragments ist sprachlich dadurch gekennzeichnet, dass die Frage und die Antwort jeweils in der Ich-Form abgefasst sind; im zweiten Teil erscheint diese Form nicht mehr. Die Grenze zwischen den beiden Teilen wird durch das erste sed (unmittelbar nach stipulationem) markiert. Im Folgenden erscheint noch zweimal ein durch sed eingeleiteter Satz. Durch das dreimalige sed werden die Ausführungen Julians zu einer sprachlichen Einheit verbunden. Dieser zweite Teil enthält einen Kommentar Julians zur Rechtsauffassung des Minicius. b) Der Minicius vorgelegte Sachverhalt lautet: Ein Ehemann will seiner Frau Geld schenken, indem er ihr gestattet, sich das Geld von seinem Schuldner durch Stipulation versprechen zu lassen.205 Sie erhält ein solches Versprechen. Zu ergänzen ist: Der Schuldner gibt das Versprechen auf Weisung des Mannes ab.206 Nach dem Versprechen lässt sich die Frau scheiden. Der Darstellung des Sachverhalts ist nicht klar zu entnehmen, ob der Schuldner ihr nach der Scheidung das Geld tatsächlich zahlt. Darauf wird sogleich eingegangen. Die Frage an Minicius impliziert zwei Alternativen: Entweder kann der Mann klagen (wobei nicht ausdrücklich gesagt wird, gegen wen sich die Klage richten müsste – den Schuldner oder die Frau) oder die actio ist unwirksam, steht also nicht zur Verfügung, weil das Versprechen vom (rechtswidrigen) Schenkungszweck erfasst wird. Minicius hält die zweite Alternative für zutreffend.207 Julian kommentiert die Rechtsauffassung des Minicius: Unter der Voraus­ setzung, dass der Schuldner der Frau das Geld ohne Kenntnis davon gezahlt hat, dass eine indirekte Schenkung des Mannes an die Frau vorlag, steht ihm die Vindikation gegen die Frau zur Verfügung, sofern das Geld noch nicht verbraucht ist. Sollte der Schuldner bereit sein, seine actiones dem Mann abzutreten, steht dem Schuldner gegenüber dem Mann die exceptio doli mali zu. Dieser hat die Vindikation gegen die Frau, solange die Münzen noch identifizierbar sind. c) Zunächst zu dem von Minicius mitgeteilten Sachverhalt im Einzelnen: Was die Frage betrifft, ob die Frau nach der Scheidung das Geld vom Schuldner des Mannes erhalten hat, so lassen die Worte priusquam pecuniam auferret, divortium fecit, isoliert betrachtet, beide Möglichkeiten gleichermaßen zu. Für die Auszahlung des Geldes durch den Schuldner an die Frau spricht: utrum vir eam summam petere debeat. Das Wort summa bezieht sich auf pecuniam in dem vorangehenden priusqum pecuniam auferret. Gefragt wird, so lässt sich argumentieren, ob der Mann das Geld, das zuvor der Frau gegeben worden war, 205  Finkenauer (2009), S.  320 stellt fest, dass die Stipulation wahrscheinlich nicht kausal, ein ausdrücklicher Hinweis auf den Schenkungszweck darin also nicht enthalten ist. 206 Vgl. Misera (1974), S.  32 Anm.  24. 207  Im gleichen Sinne entscheidet Ulpian in 32 Sab D. 24,1,5,3.

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(von der Frau) fordern könne.208 Dieses Argument ist jedoch nicht zwingend. Das Wort summa bezeichnet hier vielleicht nicht gezahltes Geld, sondern den entsprechenden Geldwert, den der Mann möglicherweise auch verlangen kann, wenn der Schuldner das versprochene Geld nicht gezahlt hat. Fasst man die Darstellung des Sachverhalts insgesamt ins Auge, so deutet Einiges darauf hin, dass die Frau das Geld nicht erhalten hat: Im ersten Satz ist eine Reihe von Verben enthalten, die jeweils eine Absicht (vellet) oder eine Handlung (permisit, stipuletur, fecisset, auferret, fecit) bezeichnen. Der sprachlichen Reihenfolge entspricht eine chronologische Reihenfolge von Handlungen, die auch tatsächlich vorgenommen werden. Misera nennt dies anschaulich einen „Film“,209 dessen Ablauf dargestellt werde. Falls die Schilderung des Sachverhalts diesem filmischen Ablauf durchgehend folgt, bezeichnet auferret eine Handlung, die aus dem Ablauf herausfällt. Dies spricht dafür, dass es zur Auszahlung des Geldes nach der Scheidung nicht gekommen ist. Auffällig ist zudem, dass der erste Satz gewissermaßen einem Höhepunkt zustrebt: divortium fecit. Damit endet die Darlegung des Sachverhalts, die Fragestellung beginnt (quaero). So entsteht der Eindruck, dass nach divortium fecit „nichts mehr kommt“: Das Geld wurde nicht gezahlt.210 Schanbacher argumentiert dagegen, die Erwähnung der Scheidung wäre bedeutungslos, wenn das Geld danach nicht gezahlt worden wäre.211 Zutreffend daran ist: Unter der Voraussetzung, dass die Zahlung nicht erfolgt ist, wäre die Feststellung ausreichend gewesen, das versprochene Geld sei nicht gezahlt worden. Durch die Erwähnung der Scheidung wird jedoch plausibel, warum das Geld nicht gezahlt wurde: Nach der Scheidung wollte der Mann verhindern, dass die Frau das Geld erhält, und wies seinen Schuldner an, das Geld nicht zu zahlen.212 Die Erwähnung der Scheidung könnte zudem darin begründet sein, dass der Sachverhalt einem responsum entnommen ist. Vielleicht hat Minicius einfach übernommen, was in der Anfrage beschrieben worden war. Dass es gerade die Frau war, die sich scheiden ließ, ist rechtlich von Bedeutung: Eine Schenkung unter Eheleuten war zulässig, wenn die Schenkung im Hinblick auf eine unmittelbar bevorstehende Ehescheidung gemacht und erst mit

Klinck (2004), S.  338. Misera (1974), S.  34; Misera bezieht auch den Kommentar Julians in den Ablauf dieses Films ein. 210  Im Ergebnis wie hier: Sturm (1962), S.  111; Laborenz (2014), S.  246 f.; weitere Nachweise bei Schanbacher (1992a), S.  10 Anm.  44. Dagegen ist Schanbacher selbst der Auffassung, die Frau habe das Geld nach der Scheidung erhalten; vgl. ebd., S.  10. 211 Vgl. Schanbacher (1992a), S.  11. 212 Vgl. Misera (1974), S.  34. 208 Vgl. 209 

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der Scheidung wirksam werden sollte (donatio divortii causa facta).213 Der Darstellung des Sachverhalts ist zu entnehmen, dass die Frau sich erst nach der Stipulation zur Scheidung entschlossen hat. Eine donatio divortii causa facta vonseiten des Mannes lag also nicht vor. d) Die an Minicius gestellte Frage umfasst zwei alternative Möglichkeiten. Die erste Alternative wird mit den Worten quaero, utrum vir eam summam petere debeat beschrieben. Die Frage, gegen wen der Mann eventuell klagen können soll, die Frau oder den Schuldner,214 lässt sich folgendermaßen beantworten: Da unmittelbar zuvor die Frau mehrfach angesprochen (illa cum id fecisset, priusquam pecuniam auferret, divortium fecit), der Schuldner dagegen nur einmal kurz erwähnt wird (a debitore suo), dürfte die Frau gemeint sein.215 Dafür spricht auch, dass mit eam summam auf das vorangehende pecuniam hingewiesen wird, das der Frau versprochen wurde. Vorausgesetzt wird, dass die Frau bereichert ist, und das heißt: dass sie (da sie das Geld nicht erhalten hat) einen Anspruch gegen den Schuldner aus der Stipulation erlangt hat. Dies wiederum setzt voraus, dass die Stipulation wirksam ist. Der Mann kann den Anspruch, das heißt seinen Wert,216 von der Frau kondizieren. Die zweite Alternative wird mit den Worten an ea promissione propter donationis causam actio nulla esset bezeichnet. Da die erste Alternative voraussetzt, dass die Stipulation wirksam ist, muss die zweite Alternative zur Grundlage haben, dass die Stipulation unwirksam ist. Nicht klar ist die Bedeutung von actio. Ist damit die Stipulation oder ein Rechtsbehelf des Mannes gegen die Frau gemeint? Die zitierte Formulierung spricht eher gegen die Möglichkeit, dass die Stipulation angesprochen wird: Gefragt wird nach den Klagerechten. Im Rahmen der ersten Alternative heißt es dazu petere debeat, in der zweiten Alternative actio nulla esset. Die Worte petere und actio entsprechen sich; beide Ausdrücke bezeichnen Klagerechte. Durch diese Interpretation wird vermieden, dass die Stipulation kurz nacheinander unterschiedlich bezeichnet wird: promissione und actio.217 Man könnte zwar einSchlei (1993), S.  78 f. In der von Behrends et al. herausgegebenen Übersetzung der Digesten heißt es dagegen: „Ich frage, ob der Ehemann diese Summe [vom Schuldner] einklagen muss“; Knütel / Kupisch /  Seiler / Behrends 4 (2005), S.  258. Nachweise zu dieser Deutung bei Klinck (2004), S.  338 Anm.  46. Finkenauer (2009), S.  319 stellt fest, es sei unklar, wer gegen wen klagt. 215 Vgl. Klinck (2004), S.  338 mit weiteren Nachweisen Anm.  46. 216 Vgl. Laborenz (2014), S.  244: Die Natur einer solchen Klage bleibe fraglich; ein Sonderfall der condictio (von Tribonian mit sine causa tituliert) sei wahrscheinlich. 217  Vgl. ebd., S.  243 Anm.  15. Schanbacher (1992a), S.  12 übersetzt actio mit „Absicht“, worunter er die Leistungszweckbestimmung versteht; zu Schanbachers Lehre von der Leistungszweckbestimmung als einer Voraussetzung dafür, dass eine res nec mancipi wirksam übereignet wird: Sechster Abschnitt, 6. b) sowie Empell (2013), S.  127 ff. (ablehnend). 213 Vgl. 214 

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wenden, in dem Bescheid des Minicius heiße es: respondi inanem fuisse eam stipulationem; die Worte inanem (…) stipulationem und actio nulla seien synonym, actio bezeichne daher die Stipulation. Zu entgegnen wäre aber: Im Kommentar Julians ist mit actio ein Klagerecht gemeint. Es wäre ungeschickt, wenn Julian das Wort actio im gleichen Kontext in unterschiedlicher Bedeutung verwenden würde – auch wenn man berücksichtigt, dass die zuerst genannte actio aus einem responsum des Minicius stammt. Nach der zweiten Alternative hat der Mann somit kein Klagerecht gegen die Frau. Zu ergänzen ist: Er muss sich an den Schuldner wenden. Minicius gibt den Bescheid, die Stipulation sei unwirksam gewesen: inanem fuisse. Die Folge ist: Der Mann muss gegen seinen Schuldner klagen. Die in diesem Fall entscheidenden Fragen lauten: Ist das Schenkungsverbot auch bei einer indirekten Schenkung wie der vorliegenden maßgeblich? Sollte die Frage zu bejahen sein: Wird die Stipulation vom rechtswidrigen Schenkungszweck erfasst, ist sie also unwirksam? Was die erste Frage betrifft, so setzt Minicius stillschweigend voraus, dass das Schenkungsverbot greift. Dies erscheint unmittelbar einleuchtend, andernfalls wäre es ein Leichtes, das Verbot zu umgehen. Nun zur zweiten Frage: Minicius hält die Stipulation für unwirksam. Diese Antwort ist nicht selbstverständlich. Minicius hatte zu klären, ob der gesamte Vorgang rechtlich eine Einheit bildet oder ob er in zwei eigenständige Akte zerfällt, nämlich die Schenkung zwischen den Ehegatten und die Stipulation. Im zweiten Fall ließe sich geltend machen, dass an der Stipulation zwei Personen beteiligt sind, die nicht gegen das Verbot verstoßen,218 sodass der Vertrag wirksam ist. Minicius hat jedoch entschieden, dass der gesamte Vorgang eine rechtliche Einheit bildet: Die Stipulation wird vom rechtswidrigen Schenkungszweck erfasst und ist damit unwirksam. Eine zweifache Begründung für diese Rechtsauffassung lässt sich dem Werk Ulpians entnehmen: Das Eingehen einer Stipulation steht einer Schenkung gleich; die Stipulation ist unwirksam (Ulp 32 Sab D. 24,1,3,10). Zudem macht es keinen Unterschied, ob eine Schenkung direkt oder durch Einschaltung eines Dritten vorgenommen wird; auch in diesem Fall ist die Schenkung, das heißt hier die Stipulation, unwirksam (Ulp 32 Sab D. 24,1,3,9).219 Die Frage der Nichtigkeit der Stipulation muss zur Zeit des Minicius noch offen gewesen sein. Andernfalls wären die Anfrage und die Mitteilung der Rechtsansicht nicht sinnvoll gewesen.220 Finkenauer (2009), S.  320. Laborenz (2014), S.  245. 220  Schanbacher (1992a), S.  11 f. Anm.  60 stellt fest, die Frage der Nichtigkeit der Stipulation sei wohl bis Julian noch nicht eindeutig geklärt gewesen. Zur Zeit des Minicius sei die Frage noch offen gewesen, dies zeige gerade die quaestio in D. 24,1,39. Anderer Auf218 Vgl. 219 Vgl.

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e) Bevor auf den Kommentar Julians im Einzelnen eingegangen wird, ist es zweckmäßig, sich den Aufbau der Stelle vor Augen zu führen. Auf den ersten Blick scheint Julian danach zu unterscheiden, ob pecunia exstat oder non exstat.221 Bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass eine grundlegende Unterscheidung zwischen der rechtlichen Position des Schuldners gegenüber der Frau und der Position des Mannes gegenüber der Frau getroffen wird. In dem mit Sed si promissor beginnenden ersten Satz behandelt Julian die rechtliche Position des Schuldners gegenüber der Frau. In den beiden folgenden Sätzen geht es um die Position des Mannes gegenüber der Frau, nachdem er sich die actiones des Schuldners gegenüber der Frau hat abtreten lassen. Weiter wird, quasi in einer Untergliederung, danach unterschieden, ob die gezahlten Münzen noch identifizierbar sind (in dem durch sed si actiones suas eingeleiteten Satz) oder nicht (beginnend mit Sed si pecunia non exstat). Die dargestellte Gliederung ist wichtig im Hinblick auf die Frage, welche Bedeutung den actiones zukommt. Nun zum Kommentar Julians im Einzelnen: Der von Minicius mitgeteilte Sachverhalt wird abgewandelt: sed si promissor mulieri ignorans solvisset, si quidem pecunia exstat, vindicare eam debitor potest. Anders als Minicius setzt Julian voraus, dass der Schuldner das Geld der Frau zahlt, und zwar nach der Scheidung.222 Die Frage, welche Bedeutung ignorans zukommt,223 lässt sich mithilfe der Überlegung beantworten, dass Julian die Auffassung des Minicius teilt, wonach die Stipulation unwirksam ist. Die Zahlung des Schuldners an die Frau ist Julian zufolge eine solutio indebiti. Weiter ist zu beachten, dass die Rückforderung in einem solchen Fall nur zur Verfügung steht, wenn der Leistende die Unwirksamkeit des Verpflichtungsgeschäfts nicht kennt. Üblicherweise werden die Termini ignorantia und error verwendet,224 falls der Leistende von der Unwirksamkeit eines Verpflichtungsgrundes keine Kenntnis hat, wie zum Beispiel D. 12,6,1,1 zeigt: si quis indebitum ignorans solvit.225 In D. 24,1,39 bezieht sich ignorans auf zwei Fälle: Entweder liegt der Grund für die Unkenntnis des Schuldners darin, dass er von der Schenkungsabsicht des Mannes nichts weiß, oder er kennt diese Absicht zwar, weiß aber nicht, dass die Stipulation unwirksam ist. fassung Haymann (1948), S.  420: Für Minicius sei dies schon keine Frage mehr gewesen. Weitere Nachweise zur Diskussion bei Schanbacher (1992a), S.  12 Anm.  60. 221  In diesem Sinne wohl Laborenz (2014), S.  243. 222 Vgl. Laborenz (2014), S.  247. 223 Vgl. Schanbacher (1992a), S.  13. Worauf sich die Unkenntnis genau bezieht, ist umstritten; vgl. Sturm (1962), S.  119 f.; Misera (1974), S.  35; Thielmann (1983), S.  246; Schanbacher (1992a), S.  13 Anm.  67; Klinck (2004), S.  340 Anm.  53. 224 Vgl. Schwarz (1952), S.  17 ff. 225  Zur Interpretation von D. 12,6,1: Fünfter Abschnitt, 4.

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Fünfter Abschnitt: Exkurs: Wird die solutio als causa qualifiziert?

Julian konstatiert, bei ignorantia des Schuldners stehe diesem die Vindikation zu – si quidem pecunia exstat. Der Eigentumsübergang ist also gescheitert. Das Ergebnis ist erstaunlich. Setzt man mit der herrschenden Meinung unter den Romanisten voraus, dass die solutio eine causa bildet, ist die Stipulation aufgrund des Schenkungsverbots zwar unwirksam, die solutio aber wirksam, weil sie in die Zeit nach der Scheidung fällt, in der das Verbot nicht mehr greift. Eine causa liegt demnach vor, das Eigentum geht über. Was bringt Julian dazu, die Übereignung dennoch scheitern zu lassen? Die Frage wird in der romanistischen Literatur unterschiedlich beantwortet. Laborenz zufolge „liegt eine (…) Erklärung zum Greifen nahe“:226 Als sich die Frau vom Schuldner ihres Mannes die Geldzahlung versprechen ließ, wusste sie, dass eine rechtswidrige Schenkung unter Ehegatten vollzogen worden war, die unwirksam sein musste. Wenn sie von der Unwirksamkeit der Stipulation wusste, beging sie ein furtum, sodass das Eigentum nicht übergehen konnte.227 Diese Deutung lässt sich nicht aufrechterhalten: Zu unterscheiden ist zwischen der Frage, ob das Schenkungsverbot zur Unwirksamkeit einer Schenkung führt, und der weiteren Frage, ob die Stipulation unwirksam ist. Was die erste Frage betrifft, so wusste die Frau zwar, dass Schenkungen unter Ehegatten unwirksam waren; dies war allgemein bekannt. War ihr aber auch die Unwirksamkeit der Stipulation bekannt? In dieser Frage gab es zur Zeit des Minicius keinen Konsens. Sonst wäre die Anfrage an ihn nicht gerichtet worden und er hätte sie erst recht nicht beantwortet. Auch Julian kann nicht vorausgesetzt haben, dass eine allgemein anerkannte Auffassung unter den Juristen in dieser Frage bestand. Andernfalls hätte er das responsum des Minicius wohl nicht für mitteilenswert gehalten. Für den vorliegenden Fall bedeutet dies: Die Frau wusste nicht, dass die Stipulation unwirksam war. Der Kern der Anfrage bestand gerade darin zu klären, ob die Stipulation vom rechtswidrigen Schenkungszweck erfasst wird oder nicht. Man kann der Frau nicht ein juristisches Wissen unterstellen, das erst durch das Gutachten des Minicius vermittelt werden sollte. Unverständlich wäre zudem, dass Minicius die Anfrage ernsthaft beantwortet hat. Noch weniger verständlich wäre, dass Minicius und Julian die Anfrage und die Antwort einer Veröffentlichung gewürdigt haben. Wäre jedem und damit auch der Frau klar gewesen, dass eine solche Stipulation unwirksam war, wäre die Anfrage an Minicius

Laborenz (2014), S.  249. Vgl. ebd., S.  249 f. Auch Thielmann (1983), S.  246 Anm.  46 stellt fest, Julian habe wohl auch an die condictio ex causa furtiva gedacht und fügt hinzu: „Die Frau hat (stets?) wissentlich ein indebitum angenommen.“ Vgl. auch Kaser (1961b), S.  203 Anm.  113. 226  227 

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nicht gestellt worden und Julian hätte die Antwort nicht mitgeteilt. Die Frau hat also kein furtum begangen. Schanbacher ist der Auffassung, grundsätzlich qualifiziere Julian nicht das verpflichtende Rechtsverhältnis als causa, sondern die solutio. Hier werde jedoch die Stipulation als causa eingestuft, was bei Julian eine Ausnahme bilde.228 Zu fragen ist dann jedoch, warum Julian, und zwar gerade auch im Hinblick auf die Stipulation, eine Ausnahme hätte machen sollen; ein Grund dafür ist nicht ersichtlich. Die Antwort muss vielmehr lauten: Julian qualifiziert die solutio niemals als causa, sondern immer den Verpflichtungsgrund, hier die Stipulation. Das Scheitern des Eigentumsübergangs ist darin begründet, dass eine causa traditionis fehlt.229 Sollte das Eigentum durch Vermischung oder Verbrauch auf die Frau oder einen Dritten übergegangen sein, steht dem Schuldner die condictio indebiti zur Verfügung. Dies wird von Julian zwar nicht ausdrücklich festgestellt, folgt aber daraus, dass die Stipulation unwirksam ist und wird durch si quidem pecunia exstat angedeutet.230 f) Weiter führt Julian aus: sed si actiones suas marito praestare paratus est, doli mali exceptione se tuebitur ideoque maritus hanc pecuniam debitoris nomine vindicando consequetur. Wenn der Schuldner bereit ist, seine actiones dem Mann abzutreten, kann dieser anstelle des Schuldners mit der Vindikation gegen die Frau vorgehen; der Schuldner ist durch die exceptio doli mali gegenüber dem Mann geschützt. Auffällig ist der Plural actiones,231 wodurch mindestens zwei Rechtsbehelfe bezeichnet werden. Am Ende des Satzes wird dagegen nur von Schanbacher (1992a), S.  15. setzt hier nicht die Auffassung des Celsus voraus, wonach bei Zahlung auf Anweisung das Eigentum nicht direkt vom Angewiesenen zum Empfänger geht, sondern indirekt, auf dem Weg über den Anweisenden, dieser also Durchgangseigentum erlangt (Ulp 32 Sab D. 24,1,3,12). Das ist auffällig, weil Julian an anderer Stelle Celsus folgt (Ulp 32 Sab D. 24,1,3,13); vgl. Weyand (1989), S.  120 ff. Zur Ulpian-Stelle D. 24,1,3,12 vgl. Empell (2013), S.  103 ff. Der Grund besteht darin, dass Julian, ebenso wie Minicius, die Stipulation für unwirksam hält. Das Eigentum kann daher weder vom Schuldner direkt zur Frau noch indirekt vom Schuldner über den Mann zur Frau gelangen (und auch nicht wegen des Schenkungsverbots beim Mann bleiben). Eine andere Begründung dafür, dass Julian die Konstruktion des Durchgangseigentums hier vermeidet, findet sich bei Misera (1974), S.  34 f. 230  Laborenz (2014), S.  249 macht gegen die Annahme, Julian spreche hier die condictio nach consumptio nummorum an, dass „diese Alternative von Julian an diesem Punkt der Falldarstellung noch gar nicht genannt wurde“. Hier zeigt sich die Bedeutung, die dem Aufbau des Kommentars Julians zukommt: Unter der Vorausetzung, dass Julian grundlegend danach unterscheidet, ob pecunia exstat oder nicht, wird die Kondiktion an dieser Stelle tatsächlich noch nicht behandelt. Nach zutreffender Auffassung geht es jedoch um die rechtliche Position des Schuldners gegenüber der Frau. Dass diesem auch die Kondiktion zur Verfügung steht, wird durch si (…) pecunia exstat angedeutet. 231  Nachweise bei Schanbacher (1992a), S.  14 Anm.  72. 228 Vgl.

229  Julian

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Fünfter Abschnitt: Exkurs: Wird die solutio als causa qualifiziert?

einem einzigen Rechtsbehelf gesprochen, der Vindikation. Welches ist die zweite actio?232 Misera und Laborenz sind der Auffassung, gemeint sei die condictio furtiva.233 Diese Ansicht ist abzulehnen: Die Frau hat, wie bereits erwähnt,234 mit der Annahme des Geldes kein furtum begangen. Das Wort actiones kann nur diejenigen Rechtsbehelfe betreffen, die unmitttelbar zuvor angesprochen wurden. Ausdrücklich genannt wurde zwar allein die Vindikation, durch si quidem pecunia exstat wurde aber auch die condictio indebiti angedeutet. Dies ist der zweite Rechtsbehelf, den der Schuldner abtreten kann.235 Die Kondiktion steht dem Schuldner zur Verfügung, wenn er sein Eigentum durch commixtio oder consumptio verloren hat. g) Schließlich heißt es bei Julian: sed si pecunia non exstat et mulier locupletior facta est, maritus eam petet: intellegitur enim ex re mariti locupletior facta esse mulier, quoniam debitor doli mali exceptione se tueri potest. Wenn das Geld nicht mehr beim Schuldner vorhanden und die Frau bereichert ist, wird der Mann gegen sie klagen. Die Frau wird als aus dem Vermögen des Mannes bereichert angesehen, weil der Schuldner sich durch die exceptio doli mali schützen kann.236 Zusammenfassend lässt sich feststellen: Julian setzt voraus, dass nicht die solutio, sondern der Verpflichtungsgrund, hier die Stipulation, die causa bildet. Das Ergebnis ist von besonderer Bedeutung, weil diese Position gerade von Julian und damit vom Autor desjenigen Fragments vertreten wird, das im Zentrum der vorliegenden Untersuchung steht (D. 41,1,36). Die Frage, warum der Julian-Text die einzige (in dieser Abhandlung bisher untersuchte) Stelle ist, in der eine Stipulation (oder ein anderer Verpflichtungsgrund) als causa erscheint, so ist vermutlich zu antworten, dass Julian die Abtretung von Klagerechten (actiones) behandelt. Der Jurist kann nicht einfach pauschal von repetitio sprechen (wie überwiegend in D. 12,6), weil eine repetitio nicht abgetreten werden kann, sondern er muss die actiones einzeln ansprechen, als Vindikation und Kondiktion. Durch ausdrückliche Anführung der Vindikation Klinck (2004), S.  340 Anm.  55 lässt die Frage offen (mit der Begründung, sie sei für die Zwecke seiner Untersuchung belanglos). 233 Vgl. Misera (1974), S.  36 mit weiteren Nachweisen Anm.  44; Laborenz (2014), S.  250: nennt die condictio furtiva und die actio furti; vgl. auch Kaser (1961b), S.  224 Anm.  186. 234  Fünfter Abschnitt, 10. e). 235 Vgl. Schanbacher (1992a), S.  11 ff. 236  Sturm (1962), S.  136 und Misera (1974), S.  36 f. sind der Auffassung, dem Mann stehe die Kondiktion nicht deshalb zur Verfügung, weil der Schuldner ihm das Klagerecht abgetreten habe, sondern aus eigenem Recht. Misera (1974), S.  37 ist der Ansicht, das Merkmal locupletior sei erfüllt, wenn die Frau sich von dem erlangten Geld einen anderen Vermögensgegenstand beschafft, etwa eine Sache gekauft habe. Die Kondiktion sei auf das Surrogat gerichtet. 232 

11. Die causa bei Paulus (D. 41,1,31 pr.)

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wird deutlich, dass die Übereignung gescheitert ist, weil eine wirksame Stipulation als causa fehlt.

11. Die causa bei Paulus (D. 41,1,31 pr.) a) Im Hinblick auf die Klärung des causa-Begriffs ist eine berühmte, häufig zitierte Paulus-Stelle aus dem 31. Buch seines Kommentars zum Edikt besonders aufschlussreich: D. 41,1,31 pr. Numquam nuda traditio transfert dominium, sed ita, si venditio aut aliqua iusta causa praecesserit, propter quam traditio sequeretur.237

Das Eigentum wird durch traditio nur übertragen, falls eine iusta causa vorliegt, aufgrund derer die Übergabe erfolgt.238 Im Hinblick auf die Frage, ob Paulus die solutio als causa qualifiziert, sind die Worte praecesserit und sequeretur entscheidend. Würde praecesserit im zeitlichen Sinne zu verstehen sein, sodass die causa der Übergabe zeitlich vorausgeht, wäre nicht die solutio, sondern der Verpflichtungsgrund die causa. b) Umstritten ist, ob Paulus praecesserit oder nicht vielmehr processerit geschrieben hat. In diesem Fall stellt er lediglich fest, dass überhaupt eine causa zustande kommen muss;239 sequeretur bezeichnet dann nicht einen zeitlich folgenden Vorgang, sondern könnte mit „erfolgen würde“ übersetzt werden.240 Einige Autoren halten die Stelle insofern für interpoliert.241 Ein Interpolationsverdacht sollte nur ausgesprochen werden, wenn deutliche Indizien dafür vorliegen oder ein Text anders nicht sinnvoll gedeutet werden kann.242 Ein solches Indiz kann nicht darin gesehen werden, dass die solutio als causa nicht in Betracht kommt, falls praecesserit in einem zeitlichen Sinne verstanden wird. Es ist gerade die Frage, ob die römischen Juristen eine Solutionskausa anerkennen. Dass sich D. 41,1,31 pr. nicht sinnvoll interpretieren lässt, wenn man praecesserit liest, ist noch nicht ausgemacht. 237  „Niemals wird das Eigentum durch bloße Übergabe übertragen, dieses wird dann übertragen, wenn ein Verkauf oder irgendein anderer rechtlich anerkannter Erwerbsgrund vorausgegangen ist, aufgrund dessen die Übergabe erfolgte.“ 238 Ausführliche Darstellung der verschiedenen Deutungen dieser Stelle bei Laborenz (2014), S.  25 ff. 239 Vgl. Heumann / Seckel (1914), S.  461 s.v. procedere 6): entstehen. 240  Vgl ebd., S.  536 s.v. sequi h): erfolgen. 241 Vgl. Ehrhardt (1930), S.  134 f.; vgl. auch Miquel (1963), S.  237. 242  Einführung, 5. a).

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Fünfter Abschnitt: Exkurs: Wird die solutio als causa qualifiziert?

Miquel nimmt an, die Kompilatoren hätten noch processerit geschrieben; späteren Schreibern sei jedoch ein Fehler unterlaufen.243 Häufig habe man in Handschriften nämlich procedere und praecedere244 miteinander verwechselt.245 Miquel betrachtet processerit – sequeretur als lectio difficilior, die vorzuziehen sei;246 praecesserit – sequeretur sei „glatt, aber falsch“, processerit – sequeretur dagegen „hart, aber richtig“.247 Die Argumente Miquels sind fragwürdig: Wenn in Handschriften häufig praecedere und procedere verwechselt wurden, muss dies nicht auch hier geschehen sein.248 Miquel spricht von unterschiedlichen Lesarten, processerit ist jedoch gar nicht überliefert.249 Die lectio-difficilior-Regel kann zwar auch auf bloß vermutete Lesarten angewendet werden,250 durch den Mangel einer Überlieferung wird die Argumentation Miquels aber geschwächt, zumal der Grundsatz, wonach eine lectio difficilior eher authentisch ist, nur vorsichtig angewendet werden sollte.251 Miquels Argument läuft darauf hinaus, eine inhaltlich einleuchtende Lesart (praecesserit – sequeretur) mit der Begründung zu verwerfen, sie sei allzu glatt und widerspreche der lectio-difficilior-Regel. So wird eine Lesart gerade deshalb negativ bewertet, weil sie inhaltlich plausibel ist. Dies hat etwas Willkürliches. Andere Autoren meinen, im Original heiße es praecesserit; die causa gehe der Übergabe voraus, jedoch nicht zeitlich, sondern logisch252 oder ontologisch.253 Miquel (1963), S.  237 f.; ders. (2007), S.  3639; vgl. bereits Lange (1930), S.  18; zur Position Miquels vgl. auch Labruna (2012), S.  454 f. 244  Der antiken und der humanistischen Schreibweise entspricht prae-, im Mittelalter wurde dagegen pre- geschrieben. 245 Vgl. Miquel (1963), S.  237. 246  Angenommen wird, dass die schwierigere Lesart die ältere und bessere ist. Diese Annahme geht auf die Beobachtung zurück, dass eine bei einer Abschrift vorgenommene Änderung des Textes meistens zu einer Vereinfachung führt. 247  Miquel (1963), S.  238; ders. (2007), S.  3639. 248 Vgl. Jakobs (2002), S.  325 Anm.  145. Klinck (2004), S.  20 Anm.  28 stellt im Hinblick auf Miquels Aufsatz allgemein fest, mechanische Fehler in der Überlieferung sollten nur angenommen werden, wenn man sie beweisen kann. 249 Vgl. Liebs (2002), S.  69 Anm.  30; vgl. allerdings Jakobs (2002), S.  325 Anm.  145: Die Häufigkeit, mit der in den Handschriften ein pre oder pro benutzt werde, entkräfte den Einwand; zu D. 41,1,31 pr. sei pro nicht überliefert. 250 Vgl. Kantorowicz (1921), S.  29; anderer Auffassung Liebs (2002), S.  68 Anm.  30. 251 Vgl. Albrektson (1981), S.  13. 252 Vgl. Schwarz (1952), S.  223 f. Anm.  27. Kaser (1961a), S.  66 Anm.  20 stellt fest: „Das praecedere und sequi muss nicht zeitlich, sondern kann logisch verstanden werden.“ 253 Vgl. Schanbacher (1992a), S.  3: Iusta causa und traditio müssen in einer Grund-FolgeBeziehung stehen. Schanbacher bezieht sich auf Jacques Cujas (Iacobus Cuiacius), der von einem intellectu praecedere der causa (stipulationis) spricht; vgl. auch die Darstellung der unterschiedlichen Auslegungen bei Laborenz (2014), S.  26 ff. 243 Vgl.

11. Die causa bei Paulus (D. 41,1,31 pr.)

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Liebs ist der Ansicht, praecesserit sei im Verein mit sequeretur „im Sinn einer juristischen oder logischen Sekunde gemeint“254. Diese Deutungen werden im Folgenden erörtert; zugleich wird die eigene Auffassung entwickelt. c) Die ursprüngliche, häufig verwendete und daher auch im Hinblick auf die Paulus-Stelle nächstliegende Bedeutung von praecedere ist „vorhergehen, vorangehen“,255 und zwar im räumlichen und zeitlichen Sinne. Hier kommt nicht die räumliche, sondern allein die zeitliche Bedeutung infrage. In der romanistischen Literatur heißt es, in den Quellen werde praecedere meist in einem zeitlichen Sinne gebraucht.256 Betrachtet man die im Vocabularium Iurisprudentiae Romanae zusammengestellten Nachweise von praecedere,257 bestätigt sich, dass das Verb in den meisten Fällen in zeitlicher Bedeutung verwendet wird, manchmal auch (vor allem im Familien- und Erbrecht) im Sinne einer Rangfolge und eines dadurch bedingten Vorrangs. Es findet sich jedoch kein Beleg dafür, dass praecedere gebraucht wird, um einen logischen Vorrang zu kennzeichnen, wie er bei einem Grund-Folge-Verhältnis auftritt.258 Ähnliches gilt für sequi. Es bedeutet in erster Linie „auf etwas oder auf jemanden folgen“259. Die Worte praecedere – sequeretur passen gut zusammen: Die causa geht zeitlich voraus, die traditio folgt der causa. Im Vocabularium Iurisprudentiae Romanae sind Belege dafür verzeichnet, dass praecedere und sequi manchmal zusammen verwendet werden, wie dies in D. 41,1,31 pr. der Fall ist. Die beiden Verben werden jeweils nicht im Sinne einer logischen Voraussetzung und Folge gebraucht.260 Will man nicht annehmen, dass ein singulärer Sprachgebrauch vorliegt, muss geschlossen werden, dass Paulus feststellt, die causa gehe der traditio zeitlich voraus.261 Liebs (2002), S.  69. Heumann / Seckel (1914), S.  445 s.v. praecedere verzeichnen allein die Bedeutung „vorhergehen, vorangehen, im Gegens. von sequi“. 256  Lange (1930), S.  19 betont, die „römischen Juristen verwenden praecedere meist nur in zeitlicher Bedeutung“ und führt in Anm.  3 zahlreiche Nachweise für diese These an. Schanbacher (1992a), S.  3 konstatiert zwar, praecesserit – sequeretur bezeichne keine zeitliche, sondern eine Grund-Folge-Beziehung, räumt in Anm.  14 aber ein, praecedere werde „überaus häufig“ in zeitlichem Sinne verwendet; so auch Laborenz (2014), S.  26. 257 Vgl. Vocabularium Iurisprudentiae Romanae 4,1 (1985), Sp.  1012 f. 258  Pflüger (1937), S.  3 f. spricht zunächst (S.  3) von einer „vorhergegange[n] Einigung“, fügt jedoch S.  4 hinzu, fasse man das durch die Präposition ex angedeutete Verhältnis als ein solches des Teiles zum Ganzen, so könne unter der venditionis, donationis, quaevis alia causa nur das durch Übergabe vollendete Kauf-, Schenkungs- oder andere Geschäft verstanden werden. Pflüger lässt die Frage letztlich offen (S.  4). 259  Heumann / Seckel (1914), S.  536 s.v. sequi a). 260 Vgl. Vocabularium Iurisprudentiae Romanae 4,1 (1985), Sp.  1012 f.: Ulp 24 Sab D. 30,50,3; Pap 13 quaest D. 38,2,42,2. 261  In diesem Sinne übersetzt Watson 4 (2009), S.  9: „Bare delivery of itself never transfers 254 Vgl. 255 

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Fünfter Abschnitt: Exkurs: Wird die solutio als causa qualifiziert?

Es ließe sich zwar einwenden, die strikte Formulierung des ersten Satzes (Numquam …) setze voraus, dass nach der hier vertretenen Interpretation ein zeitliches Nacheinander von causa und traditio bei ausnahmslos allen causae gegeben sein müsse, was nicht der Fall sei, nämlich bei mutuum, donatio262 und dos-Bestellung. Dieser Einwand wäre jedoch nicht stichhaltig: Paulus betont, die Übergabe allein (nuda traditio) führe niemals zur Übereignung. Es muss also immer eine causa vorliegen. Ob diese der Übergabe zeitlich vorausgeht, ist dagegen eine Frage, die vom strikten Charakter der Aussage nicht notwendig erfasst wird. In der Regel liegt zwar ein zeitliches Nacheinander vor, ausnahmsweise kann aber auch Gleichzeitigkeit gegeben sein.263 Das mögliche Gegenargument, die Solutionskausa bilde vielleicht eine weitere Ausnahme, ist nicht stichhaltig: Würde die solutio eine causa bilden, wäre die Ausnahme zur Regel geworden. Was lässt sich dem von Paulus angeführten Beispiel, der venditio,264 entnehmen? Beim Kauf folgt die Übergabe dem Abschluss des Kaufvertrages, auch wenn tatsächlich nur ein sehr geringer zeitlicher Abstand vorliegen kann. Fragt man, warum Paulus gerade die venditio als Beispiel anführt, so könnte die Antwort lauten, es handele sich um ein beliebiges Beispiel oder der Grund sei darin zu sehen, dass der Kauf eine in der Praxis besonders häufige causa bilde. Versteht man die venditio dagegen als ein für das zeitliche Verhältnis von causa und traditio repräsentatives Beispiel, spricht dies dafür, dass die causa der Übergabe in der Regel vorausgeht. Eine klare Aussage kann dem Beispiel jedoch nicht entnommen werden. d) Laborenz setzt voraus, dass praecedere in einem zeitlichen Sinne zu verstehen ist, macht jedoch geltend, der Kontext zeige, dass D. 41,1,31 pr. – trotz des strikten Numquam – vielleicht keine allgemeine Regel zum Inhalt habe, sodass auch einem zeitlich verstandenen praecesserit keine allgemeine, das heißt ownership, but only when there is a prior sale or other ground on account of which the delivery follows.“ (Hervorhebungen vom Verfasser dieser Untersuchung). 262  Liebs (2002), S.  69 meint freilich, auch bei einer Handschenkung verständige man sich über die Unentgeltlichkeit der Zuwendung kurz vor der Übergabe (im Sinne einer juristischen Sekunde); dagegen Jakobs (2002), S.  306 Anm.  98. 263  So auch Lange (1930), S.  19; dagegen Miquel (1963), S.  237: Die Stellung von Numquam verbiete diese Auslegung. Einzuwenden ist: Numquam bezieht sich allein auf die Feststellung, dass eine bloße Übergabe nicht ausreicht, um das Eigentum zu übertragen. 264  Zu den unterschiedlichen Deutungen der venditio in diesem Zusammenhang: Laborenz (2014), S.  29 f. Laborenz (2014), S.  25 Anm.  28 weist darauf hin, dass die wörtliche Übersetzung von aut aliqua nahezulegen scheint, Paulus habe die venditio als eigenständigen Erwerbsgrund neben die eigentlichen iustae causae traditionis stellen wollen, nicht als ein Beispiel für dieselben. Dagegen spreche aber Gai Inst 2,20, wo die venditio eindeutig in den Kreis der causae gestellt werde.

11. Die causa bei Paulus (D. 41,1,31 pr.)

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für alle Übereignungen durch traditio maßgebliche Bedeutung zukomme.265 Im Zusammenhang mit der überlieferten Stelle habe Paulus wohl die Möglichkeit des Eigentumserwerbs an einer hinterlegten Sache erörtert. In §  1 heiße es nämlich: thensaurus est vetus quaedam depositio pecuniae. Die Hinterlegung gehe dem fraglichen Eigentumserwerb zeitlich voraus, das depositum stelle jedoch keine iusta causa traditionis dar. Um zu einem Eigentumsübergang zu kommen, hätte im konkreten Fall kein depositum, sondern eine venditio oder eine andere iusta causa vorausgehen müssen. Als Paulus praecesserit schrieb, habe er möglicherweise die Absicht gehabt, den Gegensatz zum vorausgehenden depositum deutlich zu machen und den Sachverhalt im Übrigen unverändert zu lassen, nicht jedoch eine allgemeine Regel aufzustellen, wonach die iusta causa immer zeitlich vorausgehen müsse. Die von Laborenz vertretene These, das Paulus-Fragment stehe im Zusammenhang mit dem depositum, wird noch dadurch gestützt, dass die Stelle dem 31. Buch von Paulus’ Kommentar zum Edikt entstammt, in dem das depositum behandelt wird.266 Unter der Voraussetzung, dass das Fragment im Kontext des depositum zu verstehen ist, könnte angenommen werden, es gehe wahrscheinlich um ein depositum beim Sequester oder das depositum einer Geldsumme.267 Im 31. Buch geht es freilich auch um die fiducia, sodass die Stelle sich möglicherweise auch auf dieses Rechtsgeschäft beziehen könnte.268 Um das Argument, der Kontext spreche gegen die Generalisierbarkeit von praecesserit, überprüfen zu können, soll zunächst einmal D. 41,1,31,1 zitiert werden: Thensaurus est vetus quaedam depositio pecuniae, cuius non exstat memoria, ut iam dominum non habeat: sic enim fit eius qui invenerit, quod non alterius sit. alioquin si quis aliquid vel lucri causa vel metus vel custodiae condiderit sub terra, non est thensaurus: cuius etiam furtum fit.269 265 Vgl. Laborenz (2014), S.  27 f.; auch Hupka (1932), S.  3 ist der Auffassung, dass die Stelle „wahrscheinlich mit einer Erörterung über die traditio ex causa depositi zusammenhing“. 266 Vgl. Lenel (1881), S.  178 Anm.  41; Lange (1930), S.  17 Anm.  5; Schanbacher (1992a), S.  2 Anm.  9. 267 Vgl. Lenel (1881), S.  178 Anm.  41; ähnlich Hupka (1932), S.  3. 268  Lenel hat seine Meinung, die Stelle beziehe sich auf das depositum, später geändert und sie der fiducia zugewiesen; vgl. Lenel (1882), S.  114; vgl. auch Lange (1930), S.  17 Anm.  5. 269  „Ein Schatz ist die vor alten, unvordenklichen Zeiten erfolgte Niederlegung eines Vermögensgegenstandes, sodass er keinen Eigentümer mehr hat: So wird er Eigentum des Finders, weil er keinem anderen gehört. Wenn sonst jemand etwas in der Erde verborgen hat, des Gewinnes halber, aus Furcht oder zwecks Aufbewahrung, ist es kein Schatz. Daran kann auch ein Diebstahl begangen werden.“ Das Wort pecunia bezeichnet hier wohl nicht nur das Geld, sondern jeden Vermögensgegenstand im Sinne einer jeden beweglichen Wertsache; vgl. MayerMaly (1985), S.  283.

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Fünfter Abschnitt: Exkurs: Wird die solutio als causa qualifiziert?

Das Wort depositio bezieht sich nicht notwendig auf die Hinterlegung zum Zweck der Verwahrung, sondern kann auch einfach die Ablage einer Sache bezeichnen.270 Es geht hier um eine Sache, die in alten Zeiten abgelegt wurde und später gefunden wird, also um den Schatzfund. Paulus definiert den Begriff des Schatzes271 und stellt fest, dass der Finder Eigentum erlangt.272 Wenn jemand den Gegenstand aus Gewinnsucht, aus Furcht oder zwecks sicherer Aufbewahrung verborgen habe, so heißt es weiter, liege kein Schatz vor. Paulus behandelt in D. 41,1,31 pr. und 1 den Eigentumserwerb – im principium den Erwerb durch traditio, in §  1 den Erwerb beim Schatzfund. Die beiden Formen des Eigentumserwerbs werden in prinzipieller Art und Weise angesprochen. In §  1 wird dies dadurch unterstrichen, dass der Begriff des Schatzes definiert wird. Paulus formuliert somit allgemeine Regeln. Und selbst wenn Paulus seine Darlegungen im Rahmen der Erörterung eines konkreten, etwa auf das depositum oder die fiducia bezogenen Falles vorgetragen haben sollte, änderte dies nichts daran, dass er allgemeine Regeln formuliert hat. Iacobus Cuiacius (Jacques Cujas) stellte deshalb im Hinblick auf D. 41,1,31 pr., genauer auf den durch Numquam eingeleiteten Satz, fest, quod est principium iuris.273 Das Wort praecesserit besagt, dass die causa der traditio zeitlich vorausgeht. Als Ergebnis der Interpretation von D. 41,1,31 pr. lässt sich nun feststellen: Paulus zufolge geht die causa in der Regel der traditio voraus, er betrachtet das Verpflichtungsgeschäft als causa.

12. Der causa-Begriff in D. 12,6,66 a) Auch mithilfe einiger Fragmente aus D. 12,6 und 7 lässt sich zeigen, in welchem Sinne die klassischen Juristen den causa-Begriff verwenden. Als Erstes

270 Vgl. Thesaurus Linguae Latinae 5 (1910), Sp.  576 s.v. depono: I strictiore sensu: i.q. deorsum ponere; Heumann / Seckel (1914), S.  136 s.v. deponere 1); Vocabularium Iurisprudentiae Romanae 2 (1933), Sp.  175 s.v. deponere III. 271 Vgl. Mayer-Maly (1985), S.  284. 272 Auffällig ist die Feststellung des Paulus, dass der Vermögensgegenstand niemandem gehört. Nach Mayer-Maly (1985), S.  283 f. handelt es sich dabei wahrscheinlich um eine Sondermeinung. Im Allgemeinen hätten die Juristen vorausgesetzt, dass Eigentum an der Sache besteht, der Eigentümer sich jedoch nicht mehr ermitteln lasse. Beachtet werden solle ferner, dass Paulus dem Finder alleiniges Eigentum zuspricht und damit die auf Kaiser Hadrian zurückgehende Teilung zwischen dem Finder und dem Grundstückseigentümer übergeht; vgl. Inst 2,1,39. Mayer-Maly (1985), S.  284 zufolge hat Paulus nur den Schatzfund auf eigenem Grund vor Augen. 273  Cuiacius (1614), Sp.  1227.

12. Der causa-Begriff in D. 12,6,66

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soll eine Äußerung Papinians aus dem achten Buch seiner Quästionen untersucht werden: D. 12,6,66 Haec condictio ex bono et aequo introducta, quod alterius apud alterum sine causa deprehenditur, revocare consuevit.274

Papinian stellt in einem historischen Rückblick fest, „diese Kondiktion“ (Haec condictio) sei aus Gründen der Billigkeit eingeführt worden und habe sich eingebürgert, um das zurückfordern zu können, was sich ohne rechtlichen Grund bei einem anderen befindet. Die Wendung ex bono et aequo275 ist eine Paarformel,276 die Celsus als erster und bis zu den Spätklassikern auch als einziger Jurist verwendet hat.277 b) Im Folgenden wird der hier letztlich allein interessierenden Frage nachgegangen, welche Bedeutung dem causa-Begriff in D. 12,6,66 zukommt. Aufschlussreich ist möglicherweise der Satz quod alterius apud alterum sine causa deprehenditur.

274  „Diese

Kondiktion, die gemäß den Grundsätzen von Recht und Billigkeit eingeführt worden ist, ist der übliche Rechtsbehelf geworden, um zurückzufordern, was von dem Vermögen des einen sich ohne Rechtsgrund bei einem anderen befindet.“ Der gesamte Text wurde früher häufig als unecht verdächtigt; vgl. z. B. Pringsheim (1932), S.  152 ff. mit zahlreichen weiteren Nachweisen. Heute wird er meistens als authentisch angesehen; vgl. Hähnchen (2003), S.  62 mit weiteren Nachweisen Anm.  238 f.; Saccoccio (2002), S.  523 f. 275  Zur Verwendung von bonum et aequum zunächst in der nichtjuristischen Literatur, dann auch bei den Juristen vgl. Pringsheim (1932), S.  78 ff. Im Hinblick auf Papinian konstatiert Babusiaux (2011), S.  226, der bei ihm häufig zu findende Appell an die aequitas stelle den Versuch dar, die Glaubwürdigkeit seiner Position zu stärken, und das heiße, die sachliche Argumentation durch Amplifikation im Sinne der rhetorischen Affektlehre zu steigern. Im Hinblick auf D. 12,6,66 und einige andere Fragmente ergänzt die Autorin, oftmals meine aequitas einfach die Verteilungsgerechtigkeit (ebd., S.  226 Anm.  1095). Wolf (2013), S.  633 ff. untersucht „außerjuristische Wertungen in der Argumentation Papinians“, und zwar die Berufung auf pietas, affectio, humanitas und verecundia als Elemente der Argumentation Papinians, die dem Zweck der Rechtsfortbildung dient. Wolf kommt S.  643 zu dem Ergebnis, außerjuristische Wertungen seien erst nach dem Vorbild von Papinian von anderen Juristen, z. B. Paulus und Tryphonin, „regelrecht und dauerhaft rezipiert worden“. Manthe (2005), S.  145, 164, 166 stellt fest, dass Papinian ethische Argumente einsetzt, um gegen das strenge Recht zu entscheiden. Auf die Wendung ex bono et aequo geht der Autor nicht ein. 276  Es liegt, genauer gesagt, ein Hendiadyoin vor, das heißt eine Paarformel, in der die beiden Glieder (nahezu) gleichbedeutend sind; vgl. Gröschner (2016), S.  11. 277 Vgl. Hausmaninger (1976), S.  402. Das berühmteste Beispiel ist die von Ulpian überlieferte Definition des Celsus: ius est ars boni et aequi (Ulp 1 inst D. 1,1,1 pr.). Krampe (2012), S.  112 stellt dazu fest, die von Celsus gebrauchte Formel sei von der griechischen Philosophie beeinflusst; sie entspreche der Kennzeichnung des díkaion bei Aristoteles.

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Fünfter Abschnitt: Exkurs: Wird die solutio als causa qualifiziert?

Zunächst zur Wendung quod alterius: Es könnte ein genitivus possessivus vorliegen.278 Ein solcher Genitiv bringt zum Ausdruck, dass eine Sache jemandem gehört, dass sie in seinem Eigentum steht. So heißt es in Paul 21 ed D. 50,16,25 pr.: cuius non potest ulla pars dici alterius esse.279 Weitere Beispiele für einen genitivus possessivus, durch den der Eigentümer bezeichnet wird, finden sich bei Gaius (Inst 2,66 ff.).280 Wenn dieses Wort im Papinian-Fragment die gleiche Bedeutung hätte, stünde die Sache nicht im Eigentum dessen, in dessen Vermögen sie sich befindet,281 sondern sie gehörte noch dem, der sie übergeben hat.282 Zu schließen wäre, dass die vorangegangene Übereignung gescheitert wäre, was voraussetzen würde, dass eine causa traditionis fehlte. Die Wendung sine causa würde sich auf den Verpflichtungsgrund beziehen. Nicht die solutio wäre die causa, sondern der Verpflichtungsgrund. Denkbar wäre zudem, dass alterius sich zwar auf das Eigentum des anderen bezieht, aber früheres Eigentum meint: „aus früherem Eigentum stammend“. Nun ist die Sache im Eigentum dessen, bei dem sie sich befindet. Das Wort alterius könnte aber auch bedeuten, dass die Sache zwar demjenigen gehört, bei dem sie sich befindet, sie aber von Rechts wegen einem anderen zusteht, der einen Anspruch auf Übereignung hat. Für diese Interpretationsmöglichkeit lässt sich ein vergleichbarer Sprachgebrauch in Bezug auf alienus anführen: Ulp 1 reg D. 50,16,213,1: ‚Aes alienum‘ est, quod nos aliis debemus: ‚aes suum‘ est, quod alii nobis debent.283

Als alienus wird Geld bezeichnet, das einem anderen geschuldet wird. Es befindet sich zwar im Eigentum des Besitzers, steht aber eigentlich einem anderen

genitivus dominii genannt; vgl. Kalb (1912), S.  38; ders. (1971), S.  209. Otto / Schilling / Sintenis 4 (1832), S.  1218: „wovon man nicht sagen kann, dass irgendein Theil einem Anderen gehöre.“ Ähnlich übersetzen Heumann / Seckel (1914), S.  29 s.v. alter 3): „einem Anderen gehöre“. 280  Weitere Beispiele bei Gaius: Gai 2 rer cott D. 41,1,9,3; Gai Inst 2,19. 281  Vorausgesetzt wird hier und in den folgenden Darlegungen zu D. 12,6,66, dass der Vermögensgegenstand eine Sache, genauer eine res nec mancipi, ist, die durch traditio in das Vermögen des Empfängers gelangt ist. 282  In diesem Sinne wird D. 12,6,66 manchmal übersetzt: Otto / Schilling / Sintenis 2 (1831), S.  77: „dem einen gehörig“; Scott 9 (2001), S.  157: „This suit, based on justice and equity, is ordinarily employed for the recovery of property which belongs to one party and is found in the possession of another without any right to the same.“ (Hervorhebung im Original) Ähnlich bei Watson 1 (2009), S.  388: „belonging to one“. Spruit 3 (1996), S.  126: „wat aan de één toebehoort en bij de ander zonder rechtsgrond aangetroffen wordt.“ 283 „Aes alienum heißt das Geld, das wir anderen schulden; aes suum heißt das Geld, das andere uns schulden.“ 278 Auch

279 

12. Der causa-Begriff in D. 12,6,66

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zu.284 Ähnlich könnte alterius bedeuten, dass eine Sache zwar im Eigentum dessen ist, bei dem sie sich befindet, aber einem anderen rechtlich gebührt. Dies würde bedeuten, dass das Eigentum an der Sache übergegangen ist, obwohl eine Pflicht nicht bestand, sodass sie rechtlich dem ursprünglichen Eigentümer gebührt. Als causa käme die solutio in Betracht. Eine dritte Deutungsmöglichkeit ergibt sich aus der Wendung apud alterum (…) deprehenditur. Diese Worte beziehen sich unmittelbar auf einen Ort, an dem sich etwas befindet, hier jedoch vielleicht im übertragenen Sinne auf das Vermögen eines anderen. Ähnlich könnte alterius eine quasi-lokale Bedeutung haben und besagen, dass etwas von einem anderen herkommt, und das heißt: aus seinem Vermögen stammt.285 Folgt man dieser Interpretation, sind rechtlich zwei Möglichkeiten gegeben: Die tradierte Sache befindet sich noch im Eigentum des Tradenten oder der Empfänger ist Eigentümer geworden. Die Auslegung des Satzes quod alterius apud alterum (…) deprehenditur führt somit nicht zu einem klaren Ergebnis. c) Um die Frage zu beantworten, welchen Begriff der causa traditionis Papinian in D. 12,6,66 voraussetzt, ist möglicherweise die Wendung sine causa aufschlussreich. Nach in der Romanistik herrschender Auffassung bezieht sich sine causa nicht auf die causa traditionis. Eine solche causa, so heißt es, sei ja vorhanden, nämlich die solutio. Kaser, Knütel und Lohsse stellen ganz allgemein fest: „Die causa, deren Fehlen die condictio rechtfertigt, ist von der causa traditionis bei der Übereignung streng zu trennen.“286 Bei der condictio indebiti gibt es nach herrschender Meinung zwar eine causa im Sinne eines rechtlichen Grundes für die Übereignung, also eine causa traditionis, nämlich die solutio. Weil aber der Verpflichtungsgrund unwirksam sei, habe der Empfänger keinen rechtlichen Grund, die Sache zu behalten; eine causa retinendi287 fehle.288 Das 284 Vgl. Harke (2003), S.  31. Auch Heumann / Seckel (1914), S.  27 s.v. alienus 1) führen zwei Bedeutungen an: „fremd, auf einen anderen sich beziehend, ihm angehörend“ und „im Eigentum eines anderen befindlich“. Der zuerst genannten Bedeutung entspricht im vorliegenden Zusammenhang „einem anderen zustehend, ihm gebührend“. 285 Vgl. Pringsheim (1932), S.  152: „Diese (welche?) condictio (…) pflegt zurückzurufen, was als aus dem Vermögen des einen kommend beim anderen entdeckt wird.“ 286  Kaser / Knütel / Lohsse (2017), S.  299 = Rn.  13; ähnlich Kaser (1971), S.  596; Söllner (1960), S.  189; Schanbacher (1992a), S.  3. 287  Was die Terminologie angeht, so wird meistens zwischen einer causa traditionis oder einer causa dandi / dationis einerseits und einer causa retinendi andererseits unterschieden; vgl. Schwarz (1952), S.  219 ff.; Wolf (1970), S.  34 f. Anm.  3; Hähnchen (2003), S.  16 f., 35 f., 99 ff. Bei Kupisch (1987), S.  21 heißt es „causa traditionis“ und „causa der Kausalbeziehung“. 288  Beachtet werden sollte, dass die Unterscheidung zwischen einer causa traditionis und einer causa retinendi nur bei der Übereignung einer res nec mancipi durch traditio von Bedeutung sein kann. In D. 12,6,66 behandelt Papinian nicht ausdrücklich die Übereignung durch traditio, sondern spricht allgemein davon, dass sich etwas (quod) im Vermögen einer Person

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Fünfter Abschnitt: Exkurs: Wird die solutio als causa qualifiziert?

Fehlen eines solchen Grundes wird auch causa condictionis genannt. Die römischen Juristen verwenden im Zusammenhang mit der condictio indebiti demnach zwei causa-Begriffe.289 Um die Unterscheidung zwischen einer causa traditionis und einer causa retinendi zu begründen, kann geltend gemacht werden, dass sich die beiden Begriffe auf unterschiedliche Zeitpunkte beziehen. Die causa traditionis betrifft den Zeitpunkt der Übergabe, während die causa retinendi voraussetzt, dass die Sache bereits in das Vermögen des Empfängers gelangt ist.290 Denn ein Recht zur Zurückbehaltung kann nur bestehen, wenn die Sache schon beim Empfänger ist. Wenn es heißt quod alterius apud alterum sine causa deprehenditur, wird die Zeit nach dem Empfang der Sache angesprochen. Die Unterscheidung zwischen den beiden causa-Begriffen lässt sich also vielleicht damit begründen, dass verschiedene Zeitpunkte in den Blick genommen werden, und das heißt hier, dass Papinian sich auf die causa retinendi bezieht. Zwingend ist diese Überlegung allerdings nicht: Obwohl die causa traditionis während der Übergabe vorhanden sein muss, besteht die Möglichkeit, dass der Bestand oder das Fehlen einer derartigen causa auch noch zu einem späteren Zeitpunkt rechtlich von Bedeutung ist. Die folgenden Gründe sprechen dafür, dass die Unterscheidung zwischen einer causa traditionis und einer causa retinendi fragwürdig ist: Die Unterscheidung ist methodisch anfechtbar. Es handelt sich um eine Distinktion im Sinne des scholastischen Denkens. Die mittelalterlichen Juristen haben das Corpus Iuris als geltendes Recht anerkannt und geradezu als ratio scripta verehrt. Deshalb waren sie bestrebt, wirkliche oder vermeintliche Widersprüche aus den Quellen zu tilgen, das heißt: als bloß scheinbare Widersprüche darzustellen. Ein Mittel dazu bildete die Distinktion.291 In ähnlicher Weise dient die Unterscheidung zwischen einer causa traditionis und einer causa retinendi befindet. Papinian unterscheidet also möglicherweise für den Fall einer traditio sehr wohl zwischen zwei causa-Begriffen, ohne dies ausdrücklich klarzustellen. Dagegen spricht allerdings, dass die Übereignung durch traditio, insbesondere von Geld, den Hauptfall der Leistungen sine causa bildet. 289  Mittelalterliche Juristen unterschieden anders, indem sie den Verpflichtungsgrund als causa traditionis betrachteten, jedoch eine causa putativa genügen ließen. Für den Zeitpunkt der Übergabe verlangten sie einen animus dominii transferendi. Diesen animus bezeichneten sie als causa proxima, die causa putativa dagegen als causa remota; vgl. Laborenz (2014), S.  66 ff. Die Unterscheidung geht auf die Vierursachenlehre des Aristoteles zurück. Zu dieser Lehre vgl. Klappstein (2017), S.  87 ff. Mittelalterliche Juristen haben die Vierursachenlehre genutzt, um das in den Digesten niedergelegte juristische Wissen zu ordnen; vgl. Martens (2017), S.  50 ff. 290  Beim Handgeschäft liegt die causa retinendi zugleich mit dem Eigentumserwerb vor; bei der ob rem datio folgt sie dem Eigentumserwerb; vgl. Schwarz (1952), S.  223 f. 291  Zum Folgenden: Dritter Abschnitt, 7. b).

12. Der causa-Begriff in D. 12,6,66

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dem Zweck, einen Widerspruch zwischen der Lehre von der solutio als causa einerseits und D. 12,6,66 (sine causa)292 andererseits zu vermeiden. Diese Lehre hat ihrerseits die Aufgabe, das Prinzip der kausalen Übereignung (D. 41,1,31 pr.) mit den Entscheidungen der römischen Juristen zur solutio indebiti (D. 12,6) in Einklang zu bringen. Die Unterscheidung zwischen den beiden causa-Begriffen wirkt künstlich,293 wie eine Notlösung. Da es heute allein darum gehen kann, die überlieferten Fragmente historisch zu deuten, ist die Methode der Distinktion fragwürdig geworden. Was die Unterscheidung zwischen einer causa traditionis und einer causa retinendi angeht, so liegt es näher, die Lehre von der solutio als causa infrage zu stellen, als eine problematische Interpretationsmethode anzuwenden.294 Aus weiteren Gründen ist der Begriff der causa retinendi zweifelhaft: Wenn sich sine causa auf eine causa retinendi bezieht, läuft dies auf einen Zirkelschluss hinaus: Jemand hat ein Rückforderungsrecht gegenüber einem anderen, weil dieser das Erlangte nicht behalten darf.295 In den Quellen wird die Unterscheidung nirgendwo erläutert oder auch nur erwähnt (was auf einem Überlieferungszufall beruhen kann). Sie ist auch unökonomisch: Zunächst wird die solutio als causa traditionis unterstellt, dann wird eine causa retinendi verneint. Einfacher wäre es, einen einzigen causa-Begriff zu verwenden, die causa traditionis, und bei solutio indebiti anzunehmen, dass eine causa fehlt. Weitere Klärung ergibt sich, wenn man die von D. 12,6,66 erfassten Fallgruppen betrachtet. Harke hat gezeigt, dass römische Juristen (Javolen, Julian, Afrikan, Ulpian, Papinian) im Hinblick auf die Kondiktionen danach unterscheiden, ob eine Leistung sine causa erbracht wird oder ob sich etwas im Vermögen einer Person ex iniusta causa befindet, sodass ein Eingriff in fremdes Eigentum vorliegt.296 Modern gesprochen wird damit zwischen Leistungs- und Eingriffskondiktion unterschieden. Da Papinian in D. 12,6,66 die Wendung sine causa gebraucht, geht es ihm allein um die Leistungskondiktion.297 Der entsprechende Tatbestand umfasst drei Fallgruppen: 292  Und allen anderen Quellentexten, in denen sine causa erscheint; vgl. die Beispiele bei Harke (2003), S.  65 ff. 293 Vgl. Kupisch (1987), S.  9, 12, 17 f.; Harke (2003), S.  52. 294  Abgelehnt wird die Lehre von der causa retinendi auch von Wunner (1970), S.  477 ff.; Harke (2003), S.  63 Anm.  32; Hähnchen (2003), S.  99 ff. 295 Vgl. Wunner (1970), S.  479, Hähnchen (2003), S.  109; Fu (2010), S.  16. 296 Vgl. Harke (2016), S.  188 = Rn.  22, der als Beleg dafür, dass römische Juristen den einheitlichen Tatbestand der Leistungskondiktion anerkennen, auch D. 12,6,66 anführt. 297  Wollschläger (1985), S.  82 ff. bezieht dagegen haec condictio nicht nur auf die condictio indebiti, sondern auch auf die condictio furtiva und die condictio ex iniusta causa.

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Fünfter Abschnitt: Exkurs: Wird die solutio als causa qualifiziert?

Erste Fallgruppe: die Leistung eines indebitum. Unklar ist hier, ob sine causa sich auf die causa traditionis bezieht. Zweite Fallgruppe: Eine Sache befindet sich sine causa im Vermögen einer Person, weil sie im Blick auf eine spätere, mögliche causa übergeben wurde: Zunächst ist die Wirksamkeit der Übereignung in der Schwebe, solange der künftige Umstand, der die mögliche causa traditionis bildet, nicht eingetreten ist.298 Falls der Umstand nicht eintritt, fehlt eine causa; die Eigentumsübertragung ist gescheitert. Dem Leistenden steht die Vindikation, danach eventuell (bei Vermischung oder Verbrauch von Geld) die Kondiktion zur Verfügung.299 Dritte Fallgruppe: Eine Sache befindet sich sine causa bei jemandem, der sie durch eine verbotene Schenkung erlangt hat. Eine causa traditionis fehlt.300 Unstreitig ist, dass sich die Wendung sine causa im Hinblick auf die beiden zuletzt genannten Fallgruppen auf die causa traditionis bezieht. Die Worte sine causa dürften jedoch für alle Fallgruppen die gleiche Bedeutung haben. Nichts im Wortlaut von D. 12,6,66 lässt erkennen, dass die Wendung in ihrer Bedeutung nach der jeweiligen Fallgruppe variiert. Im Hinblick auf die solutio indebiti muss sich sine causa daher ebenfalls auf die causa traditionis beziehen. Die Unterscheidung zwischen einer causa traditionis und einer causa retinendi entspricht somit nicht dem römischen Recht. Harke stellt fest: „Die causa, deren Fehlen zur Rückgewähr der Leistung verpflichtet, ist dieselbe causa, die bei der traditio den Eigentumsübergang trägt.“301 Die Konsequenz lautet: Der Verpflichtungsgrund bildet die causa.302 d) Zu klären bleibt noch, warum Papinian nicht die Vindikation, sondern allein die Kondiktion als Rechtsbehelf nennt. Im Zusammenhang mit D. 12,6,1 wurde bereits festgestellt, dass die klassischen Juristen die Vindikation möglicherweise deshalb nicht ausdrücklich anführen, weil sie meistens voraussetzen, dass Geld geleistet wird und dass das Eigentum daran bald nach dem Empfang durch commixtio oder consumptio auf den Empfänger oder einen Dritten übergeht,

Harke (2016), S.  188 = Rn.  22. Paulus konstatiert in 17 Plaut D. 12,6,65,4, dass bei einer datio ob rem die repetitio zur Verfügung steht, falls der erwartete Erfolg nicht eintritt, z. B. wenn der Empfänger der Leistung die versprochene Handlung nicht vorgenommen hat. Zur Begründung heißt es auch hier: ex bono et aequo. 300 Vgl. Harke (2003), S.  63 ff. Ders. (2016), S.  188 f. = Rn.  22 f. geht auf derartige Fälle als Beispiele für Leistungen sine causa ein. 301  Harke (2003), S.  83. 302  Diese Konsequenz wird von Harke nicht gezogen, vgl. Harke (2003), S.  52, wo die solutio als causa genannt wird („Zahlung solvendi causa“, „bloße Abrede über den Erfüllungszweck“ als causa); vgl. auch ders. (2016), S.  189 = Rn.  23; S.  241 = Rn.  17. 298 Vgl. 299 

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sodass die Vindikation nicht mehr in Betracht kommt. Dass die Vindikation nicht genannt wird, lässt nicht den Schluss zu, sie sei ausgeschlossen.303 Für diese Vermutung spricht ein Beispiel, das sich nicht auf die solutio indebiti, sondern auf die Schenkung unter Ehegatten bezieht. Die solutio indebiti und die Schenkung unter Ehegatten gehören jedoch zu den Leistungen sine causa, die in D. 12,6,66 behandelt werden. Die beiden Stellen, auf die im Folgenden einzugehen ist, stehen in den Digesten unmittelbar nacheinander: Ulp 32 Sab D. 24,1,5,18 In donationibus autem iure civili impeditis hactenus revocatur donum ab eo ab eave cui donatum est, ut, si quidem exstet res, vindicetur, si consumpta sit, condicatur hactenus, quatenus locupletior quis eorum factus est:304

Gai 11 ed prov D. 24,1,6 quia quod ex non concessa donatione retinetur, id aut sine causa aut ex iniusta causa retineri intellegitur: ex quibus causis condictio nasci solet.305

Da das Eigentum an einer geschenkten Sache nicht übergeht, stellt Ulpian fest, dass der Ehegatte, von dem die Schenkung stammt, vindizieren kann, wenn die Sache noch beim beschenkten Ehegatten ist; andernfalls kann er kondizieren, sofern dieser bereichert ist.306 Bei Gaius heißt es: Wer einen Vermögensgegenstand durch eine verbotene Schenkung erlangt hat, wird als jemand betrachtet, der etwas ohne rechtlichen Grund (sine causa) oder aus unrechtmäßigem Grund (ex iniusta causa) erworben hat. Weiter wird festgestellt: ex quibus causis condictio nasci solet. Gaius erwähnt nicht die Vindikation, sondern stellt lediglich fest, aus einer Leistung sine causa oder ex iniusta causa pflege die Kondiktion zu entstehen.307 Schwarz ist der Auffassung, die Stelle könne nicht von Gaius geschrieben worden sein.308 Sollte sich das Fragment wirklich auf die verbotene Schenkung 303 

Fünfter Abschnitt, 4. g). „Man fordert aber bei den Schenkungen, die durch das bürgerliche Recht verboten sind, von dem oder von der, dem oder der es geschenkt worden ist, so zurück, dass man, wenn die Sache noch vorhanden ist, sie vindiziert, wenn sie verbraucht ist, insoweit kondiziert, als einer von ihnen bereichert ist.“ 305  „weil das, was aus einer unerlaubten Schenkung zurückbehalten wird, entweder als ohne Rechtsgrund oder als aus einem unrechtmäßigen Grund zurückbehalten angesehen wird; aus solchen Gründen pflegt die Kondiktion zu entstehen.“ 306  Vgl. z. B. auch Paul 36 ed D. 24,1,36; weitere Belege bei Schlei (1993), S.  59. 307  Harke (2003), S.  68 ff.: Die Schenkung ist eine Leistung sine causa. Wird das Geld verbraucht, liegt eine unrechtmäßige Eingriffshandlung vor. Einschlägig ist dann die Kondiktion ex iniusta causa. 308 Vgl. Schwarz (1952), S.  274 f. 304 

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Fünfter Abschnitt: Exkurs: Wird die solutio als causa qualifiziert?

zwischen Ehegatten beziehen, hätte erwähnt werden müssen, dass die Kondiktion erst pecunia consumpta zulässig sei, da der beschenkte Ehegatte Eigentum nicht erworben habe. Aus diesem Grund müsse auch der Schlusssatz unecht sein: ex quibus causis condictio nasci solet. Andere Autoren sind der Ansicht, Gaius setze die Vindikation stillschweigend voraus.309 Dieser Auffassung ist zuzustimmen: Der Ulpian-Text zeigt, dass bei rechtswidriger Schenkung zuächst die Vindikation zur Verfügung steht. Das Gleiche muss auch für die Gaius-Stelle gelten. D. 12,6,66 wiederum bezieht sich auf die gleiche Fallgruppe wie Ulpian und Gaius, und darüber hinaus auf weitere Fallgruppen, in denen sich eine Sache ebenfalls sine causa bei einem anderen befindet, darunter die solutio indebiti. Auch in D. 12,6,66 wird die Vindikation zwar nicht explizit angeführt, ist aber nicht ausgeschlossen, sondern wird stillschweigend vorausgesetzt. e) Exkurs: In der romanistischen Literatur wird häufig die These vertreten, die D. 12,6,66 einleitende Wendung haec condictio stamme von den Kompilatoren.310 Obwohl die Kondiktion zur Zeit der klassischen Juristen einen einheitlichen Rechtsbehelf bildete, der nicht nach Arten unterteilt werden konnte, scheint sich haec condictio auf eine spezifische Kondiktionsart zu beziehen. Vermutet wird daher, dass die Wendung von den Kompilatoren stammt, die anders als die klassischen Juristen nach Kondiktionsarten unterschieden und diese auch mit eigenen Bezeichnungen versahen.311 Sie hatten die Absicht, so heißt es weiter, mithilfe von haec condictio an das vorangestellte Fragment D. 12,6,65 anzuschließen, in dem die condictio indebiti behandelt werde. Auch D. 12,6,66 beziehe sich auf die condictio indebiti.312 Laborenz ist der Ansicht, die Kompilatoren hätten mit haec condictio an Paul 17 Plaut D. 12,6,65,5–8 angeknüpft, wo die Kondiktion von Früchten bzw. des Wertes einer geleisteten Sache behandelt werde.313 Papinian beziehe sich wohl auf nicht überlieferte Ausnahmefälle zur condictio indebiti, in denen, wie bei der 309 Vgl. Wunner (1970), S.  475 f.; Harke (2003), S.  68; Hähnchen (2004), S.  387. Schlei (1993), S.  60 ist wohl der gleichen Auffassung: Die Autorin leitet den Abschnitt, in dem sie die Kondiktion als Rechtsbehelf behandelt, mit den Worten ein: „Sofern bei nichtiger Schenkung unter Ehegatten für die rei vindicatio kein Raum war, kam zur Rückforderung des Geschenks die condictio in Betracht.“ Als Beleg führt sie die Gaius-Stelle an. Die Kondiktion ist, folgt man Schlei, laut Gaius erst gegeben, wenn die Vindikation nicht mehr in Betracht kommt. 310  Zahlreiche Nachweise bei Laborenz (2014), S.  138 Anm.  218. 311  Die Bezeichnungen finden sich in den Überschriften zu den Digestentiteln D. 12,4–7 und D. 13,1–3: De condictione causa data causa non secuta; de condictione ob turpem vel iniustam causam; de condictione indebiti; de condictione sine causa; de condictione furtiva; de condictione ex lege; de condictione triticiaria. 312  Zahlreiche Nachweise bei Laborenz (2014), S.  138 Anm.  219. 313  Vgl. ebd., S.  138 ff.

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Kondiktion von Früchten, eine condictio sine datione gewährt werde. Diese Auffassung ist fragwürdig. Sollte haec condictio von den Kompilatoren stammen, hätten sie nicht unmittelbar an die §§  5–8 angeknüpft, sondern an §  9. Darin wird der Fall behandelt, dass ein Schuldner einem anderen als dem Gläubiger leistet, sowie der umgekehrte Fall, dass ein anderer als der Schuldner dem Gläubiger leistet. In beiden Fällen geht es um die solutio indebiti. Beachtet werden sollte zudem der Kontext, in dem die §§  5–9 stehen: Paulus behandelt in D. 12,6,65 den Begriff der repetitio.314 Zunächst (pr.) führt er aus, welche Rückforderungsfälle es gibt, zum Beispiel ob transactionem aut ob causam, wobei an letzter Stelle die Leistung eines indebitum genannt wird. Sodann erläutert er (§§  1 ff.) die einzelnen Rückforderungsgründe, zuletzt (§§  5–9) die Rückforderung eines indebitum mittels Kondiktion. In der Hauptsache geht es dabei nicht um die angeführten Spezialfälle als solche, sondern darum, die Rückforderung eines indebitum mithilfe von konkreten Beispielen zu erläutern. Sollten die Kompilatoren durch haec condictio auf das vorangestellte Fragment haben verweisen wollen, hätten sie sich auf die condictio indebiti allgemein bezogen. Es ist jedoch fraglich, ob haec condictio von den Kompilatoren stammt. Als Erstes ist festzuhalten, dass die Wendung nicht, wie allgemein angenommen, nur die condictio indebiti betrifft,315 sondern jede Kondiktion, die auf einer Leistung sine causa beruht.316 Die Annahme, mit haec condictio werde eine (den Klassikern fremde) Kondiktionsart bezeichnet, ist nicht zwingend. Möglicherweise bezieht Papinian die (als rechtliche Einheit aufgefasste) Kondiktion lediglich auf eine bestimmte Fallgruppe. Ein solcher Sprachgebrauch lässt sich bei Ulpian nachweisen. In 43 Sab D. 12,7,1 pr. heißt es: Est et haec species condictionis.317 Die Wendung betrifft die Kondiktion eines rechtsgrundlosen Leistungsversprechens und die condictio indebiti.318 Daher könnte mit haec condictio ebenfalls eine spezifische Fallgruppe zur Kondiktion angesprochen werden. Die Wendung haec condictio wird also echt sein.

314 

Fünfter Abschnitt, 7. f). Schwarz (1952), S.  217, 302, 304 f.; Kupisch (1987), S.  19 f.; Harke (2003), S.  52 Anm.  10, S.  65; Hähnchen (2003), S.  63, 108; zweifelnd Kaser / Knütel / Lohsse (2017), S.  297 = Rn.  3, wo es heißt, „dass ‚diese‘ condictio (indebiti?) nach den Grundsätzen von Recht und Billigkeit (ex bono et aequo) eingeführt worden sei“. 316  Fünfter Abschnitt, 12. c). 317  „Auch dies ist eine besondere Kondiktionsart.“ 318  Zu D. 12,7,1: Fünfter Abschnitt, 13. Gelegentlich wird auch die Wendung haec actio gebraucht: Ulp 23 ed D. 9,3,5,5; Ulp 25 ed D. 11,7,14,6, worauf Pringsheim (1932), S.  154 hinweist. 315 Vgl.

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Fünfter Abschnitt: Exkurs: Wird die solutio als causa qualifiziert?

Nach diesem Exkurs zur Echtheit von haec condictio werden im Folgenden weitere Quellentexte untersucht, in denen die Wendung sine causa gebraucht wird.

13. Die causa bei Ulpian in D. 12,7,1 a) Die Wendung sine causa ist auch in Darlegungen Ulpians enthalten, die sich im 43. Buch seines Kommentars zu Sabinus finden: D. 12,7,1 Est et haec species condictionis, si quis sine causa promiserit vel si solverit quis indebitum. qui autem promisit sine causa, condicere quantitatem non potest quam non dedit, sed ipsam obligationem. 1. Sed et si ob causam promisit, causa tamen secuta non est, dicendum est condictionem locum habere. 2. Sive ab initio sine causa promissum est, sive fuit causa promittendi quae finita est vel secuta non est, dicendum est condictioni locum fore. 3. Constat id demum posse condici alicui, quod vel non ex iusta causa ad eum pervenit vel redit ad non iustam causam.319

Die einleitende Wendung est et haec species condictionis weist darauf hin, dass die Stelle einem Kontext entnommen ist, in dem die Kondiktion umfassend, zumindest aber mit weiteren Fallgruppen, behandelt wird. Ein Blick in Lenels Palingenesie bestätigt diese Vermutung. Vorangestellt ist ein Fragment, in dem es um Kondiktionsfälle im Zusammenhang mit einem Vergleich (transactio) geht; erörtert werden zudem Fälle einer solutio indebiti (Ulp 43 Sab D. 12,6,23).320 Obwohl Ulpian im principium die Wendung sine causa im Hinblick auf die solutio indebiti nicht gebraucht, nennt er promissio sine causa und solutio indebiti quasi in einem Atemzug und bezeichnet beide Fallgruppen zusammenfassend als haec species condictionis. Damit gibt er zu erkennen, dass zwischen diesen Fallgruppen ein enger Zusammenhang besteht: In der zuerst genannten 319 „Auch

dies ist eine besondere Kondiktionsart, wenn jemand ohne Rechtsgrund versprochen hat oder wenn jemand Nichtgeschuldetes geleistet hat. Wer allerdings ohne Rechtsgrund versprochen hat, kann nicht den Geldbetrag kondizieren, weil er ihn nicht geleistet hat, sondern nur die Verbindlichkeit selbst. 1. Doch auch wenn jemand wegen eines Erfolges versprochen hat, dieser Erfolg jedoch nicht eingetreten ist, muss man sagen, dass eine Kondiktion zur Verfügung steht. 2. Wenn von Anfang an ohne Rechtsgrund versprochen worden ist und auch dann, wenn es einen Rechtsgrund für das Versprechen gegeben hat, dieser aber erloschen oder nicht eingetreten ist, muss man sagen, dass eine Kondiktion Anwendung findet. 3. Es steht fest, dass man von jemandem nur das kondizieren kann, das entweder ohne einen rechtmäßigen Grund an ihn gelangt ist oder auf einen unrechtmäßigen Grund zurückgeht.“ Wolf (1970), S.  32, 40 ff., 44 f. hält die Stelle für interpoliert; weitere Nachweise bei Hähnchen (2004), S.  390 Anm.  27; dagegen: Honsell (1975), S.  331 mit weiteren Nachweisen Anm.  17; Hähnchen (2004), S.  390 unterstellt die Echtheit von §  3. 320 Vgl. Lenel 2 (1889 / 1960), Sp.  1172 f.

13. Die causa bei Ulpian in D. 12,7,1

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Fallgruppe wird sine causa versprochen, in der zweiten sine causa geleistet.321 In dem hier besonders interessierenden §  3 werden alle Arten der condictio angesprochen.322 Als Voraussetzung einer condictio wird angeführt, dass etwas entweder ohne rechtmäßigen Grund an jemand gelangt ist (non ex iusta causa) oder dass etwas auf einen unrechtmäßigen Grund (ad non iustam causam) zurückgeht. Die Wendung non ex iusta causa ist gleichbedeutend mit sine causa.323 Die solutio indebiti ist somit der Fallgruppe zuzuordnen, dass jemand etwas non ex iusta causa erlangt. b) Es könnte zwar eingewendet werden, §  3 beziehe sich nicht auf die Kondiktion allgemein, sondern nur auf die rechtsgrundlose promissio.324 Dagegen sprechen aber der allgemein gefasste Wortlaut des §  3 und der palingenetische Kontext: Durch §  3 wird nicht nur die in D. 12,7 überlieferte Stelle abgeschlossen, sondern die gesamte überlieferte Passage aus dem 43. Buch von Ulpians Sabinuskommentar, die sich auf die Kondiktion bezieht.325 Ulpian formuliert somit eine alle Kondiktionsfälle umfassende Regel. Im Hinblick auf die solutio indebiti stellt Ulpian in §  3 fest, etwas gelange ohne rechtlich anerkannten Grund (non ex iusta causa) an jemand: ad eum pervenit.326 Fragt man, welche Bedeutung dem causa-Begriff in der Wendung non ex iusta causa zukommt, sollte ein wichtiger Unterschied zu D. 12,6,66 be321  Schwarz (1952), S.  204 stellt fest, hier werde geradezu „ein und derselbe Kondiktionsfall“ behandelt. 322 Vgl. Liebs (1986), S.  180; Harke (2003), S.  65 f.; Saccoccio (2002), S.  178 f., 526 ff. Hähnchen (2004), S.  391 stellt allerdings auch fest: „Möglicherweise stellt §  3 aber auch tatsächlich einen echten Versuch Ulpians dar, ein allgemeines Prinzip zu finden.“ 323  In D. 12,7,1,3 werden non ex iusta causa und ad non iustam causam gegenübergestellt. In anderen Fragmenten finden sich ähnliche Gegenüberstellungen, z. B.: sine causa und ex iniusta causa (Gai 11 ed prov D. 24,1,6). Die in D. 12,7,1,3 gebrauchte Wendung non ex iusta causa ist gleichbedeutend mit sine causa; ad non iustam causam entspricht ex iniusta causa. Eine Leistung sine causa führt zu einer Leistungskondiktion; vgl. Harke (2003), S.  65 f.; ders. (2016), S.  188 = Rn.  22. Der Tatbestand der condictio ex iniusta causa umfasst dagegen den rechtswidrigen Eingriff in fremdes Eigentum (Eingriffskondiktion); vgl. Harke (2003), S.  68, 74; ders. (2016), S.  183 f. = Rn.  13 f. 324 Vgl. Hähnchen (2004), S.  390 f.; Sturm (2007), S.  518. 325  Die folgenden Darlegungen Ulpians im 43. Buch seines Sabinuskommentars behandeln andere Themen; vgl. Lenel 2 (1889 / 1960), Sp.  1173 ff. 326  Von Lübtow (1952), S.  150 stellt im Hinblick auf D. 12,7,1,3 fest, pervenit werde mit Vorliebe gerade dann gebraucht, wenn eine eigentliche datio nicht vorliege. Harke (2012b), S.  88 konstatiert (im Hinblick auf Ulp 32 Sab D. 24,1,3,12), pervenire erfasse zwar den Eigentumserwerb durch datio, reiche in seiner Bedeutung aber darüber hinaus; vgl. dazu auch Empell (2013), S.  114. Im Hinblick auf D. 12,7,1,3 ist Folgendes zu überlegen: Das Wort pervenit bezieht sich hier auf die solutio indebiti allgemein (§  1: si solverit quis indebitum). Besteht die solutio in der Übereignung einer res nec mancipi durch traditio, liegt eine datio vor. Deshalb ist es gerechtfertigt, pervenit als traditio zu verstehen. Das umfassende pervenit erklärt sich

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Fünfter Abschnitt: Exkurs: Wird die solutio als causa qualifiziert?

achtet werden, wo es heißt: quod (…) sine causa deprehenditur. Die Wendungen sine causa und non ex iusta causa haben unterschiedliche Bezugspunkte: In D. 12,6,66 bezieht sich das Fehlen einer causa auf das Vermögen nach Erhalt eines Wertes (deprehenditur), in D. 12,7,1,3 auf den Zeitpunkt, in dem ein Wert erworben wird (ad eum pervenit). Der Unterschied ist wichtig, weil sich die in der Romanistik verwendeten Begriffe der causa traditionis und der causa retinendi auf verschiedene Zeitpunkte beziehen – sofern man unterstellt, dass der zuletzt genannte Begriff überhaupt im römischen Recht verankert ist.327 Die causa traditionis muss zugleich mit der traditio vorliegen. Wenn in D. 12,7,1,3 festgestellt wird: non ex iusta causa ad eum pervenit, bezieht sich non ex iusta causa auf den Zeitpunkt der Übergabe (ad eum pervenit). Während der Übergabe kommt dem Verpflichtungsgrund noch nicht die Funktion einer causa retinendi zu. Erst nach Erhalt einer Sache kann sinnvoll von einer causa retinendi gesprochen werden; denn eine Sache kann nur zurückbehalten werden, wenn sie bereits in das Vermögen einer Person gelangt ist. Die Wendung non ex iusta causa muss sich daher auf die causa traditionis beziehen. Die Unterscheidung zwischen einer causa traditionis und einer causa retinendi ist aufgrund des Quellentextes überflüssig. Verpflichtungsgrund muss die causa traditionis sein.

14. Der causa-Begriff in D. 12,7,2 a) Ein weiteres, wohl noch deutlicheres Beispiel stammt aus dem 32. Buch von Ulpians Kommentar zum Edikt: D. 12,7,2 Si fullo vestimenta lavanda conduxerit, deinde amissis eis domino pretium ex locato conventus praestiterit posteaque dominus invenerit vestimenta, qua actione debeat consequi pretium quod dedit? et ait Cassius eum non solum ex conducto agere, verum condicere domino posse: ego puto ex conducto omnimodo eum habere actionem: an autem et condicere possit, quaesitum est, quia non indebitum dedit: nisi forte quasi sine causa datum sic putamus condici posse: etenim vestimentis inventis quasi sine causa datum videtur.328 dadurch, dass Ulpian auch andere Leistungen als die traditio vor Augen hat, z. B. die Begründung einer Forderung (D. 12,7,1,1). 327  Fünfter Abschnitt, 12. c). 328  „Wenn ein Kleiderreiniger Kleider zur Reinigung übernommen hat, sodann nach deren Verlust aus dem Werkvertrag verklagt wird und dem Eigentümer Ersatz leistet und wenn später der Eigentümer die Kleider wiedererlangt hat, mit welcher Klage soll der Kleiderreiniger dann den Betrag erstattet bekommen, den er gezahlt hat? Und Cassius sagt, er könne nicht nur aus dem Werkvertrag klagen, sondern auch vom Eigentümer kondizieren. Ich meine, er hat jeden-

14. Der causa-Begriff in D. 12,7,2

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Der Kleiderreiniger, der die Kleidung nicht herausgeben kann, haftet dem Eigentümer aus dem Werkvertrag.329 Findet sich die Kleidung später wieder, muss der Eigentümer den empfangenen Betrag zurückgeben, nämlich aufgrund des Werkvertrages; vielleicht kann der Eigentümer aber auch die condictio geltend machen. Es liegt zwar nicht direkt eine condictio indebiti vor (die Klage aus dem Werkvertrag war begründet), wohl aber kann die condictio indebiti analog herangezogen werden, und zwar mit dem Argument, es gehe quasi um eine Leistung sine causa.330 Der spätere Wegfall der causa wird dem Fall gleichgestellt, dass eine causa von vornherein fehlt. b) Ulpian sagt: quasi sine causa datum und quasi sine causa datum videtur. Entscheidend ist die enge Verbindung zwischen quasi sine causa und datum: Die Wendung quasi sine causa bezieht sich auf die Übergabe (datum); die datio ist quasi sine causa erfolgt. Klar ist, dass die traditio einer res nec mancipi behandelt wird; quasi sine causa betrifft also die traditio. Da eine causa retinendi erst im Anschluss an eine traditio vorliegen kann, muss sich sine causa auf die causa traditionis beziehen; gemeint ist das Fehlen eines Verpflichtungsgrundes. Die solutio wird somit nicht als causa traditionis qualifiziert.331 c) Die Ergebnisse der Untersuchung von D. 12,6,66 und zweier Stellen aus D. 12,7 lauten: Die Unterscheidung zwischen einer causa traditionis und einer causa retinendi entspricht nicht dem klassischen römischen Recht. D. 12,6,66 sowie D. 12,7,1 und 2 ist zu entnehmen, dass nicht die solutio, sondern der Verpflichtungsgrund die causa bildet.

falls die Klage aus dem Werkvertrag. Ob er jedoch auch kondizieren kann, ist fraglich, da er nicht etwas geleistet hat, was nicht geschuldet war; es sei denn, wir denken es uns so, dass man es in diesem Falle als gewissermaßen ohne Rechtsgrund geleistet kondizieren könne. Denn nachdem die Kleider wiedererlangt sind, kann man es so ansehen, als sei gewissermaßen ohne Rechtsgrund geleistet worden.“ 329  Zum Folgenden vgl. Harke (2003), S.  67. Schwarz (1952), S.  196 hält den nisi-forte-Satz für interpoliert. 330 Es handelt sich um eine Fiktion; vgl. Laborenz (2014), S.  158; zu quasi bei den klassischen Juristen: Siebter Abschnitt, 1. a) mit weiteren Nachweisen Anm.  3. 331  Weitere Fragmente, in denen die solutio indebiti in Verbindung mit der Wendung sine causa gebracht wird, ließen sich anführen; Nachweise bei Kupisch (1987), S.  21 Anm.  31. Wolf vertritt die Auffassung, die Feststellung, wonach die condictio indebiti auf einer Leistung sine causa beruht, sei unklassisch; vgl. Wolf (1961), S.  42 ff., 52 f. Anm.  14, 78; ders. (1970), S.  34 f. Anm.  3. Auch Wunner (1970), S.  469, 476 ist der Ansicht, es gebe keine einzige klassische Stelle, in der die condictio unter Hinweis auf den Begriff der causa begründet werde; ebenso: Fu (2010), S.  10. Diese Auffassung wird heute überwiegend abgelehnt: Kupisch (1987), S.  21 Anm.  31; Hähnchen (2003), S.  101 mit weiteren Nachweisen Anm.  463; Harke (2003), S.  66 Anm.  37.

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Fünfter Abschnitt: Exkurs: Wird die solutio als causa qualifiziert?

15. Die causa possessionis bei der usucapio a) Die iusta causa possessionis (auch causa usucapionis genannt) ist ein Titel, der geeignet ist, den Eigentumsübergang durch usucapio herbeizuführen.332 Zu den Erwerbsgründen wird auch der Titel pro soluto gerechnet.333 Sollten sich Stellen zur usucapio nachweisen lassen, wonach nicht die solutio, sondern der Verpflichtungsgrund die causa possessionis bildet, wäre zu vermuten, dass der Verpflichtungsgrund auch als causa traditionis qualifiziert wird.334 Einige Stellen zur usucapio sind nachweisbar, in denen die Wendung pro soluto gebraucht wird.335 Möglicherweise wird damit die solutio als Ersitzungstitel angesprochen. Denkbar ist allerdings auch, dass pro soluto eine zusammenfassende Bezeichnung dafür ist, dass der jeweilige Verpflichtungsgrund die causa bildet.336 Ein eigenständiger Titel pro soluto dürfte nur angenommen werden, wenn die Ersitzung stattfinden könnte, falls der Verpflichtungsgrund unwirksam wäre. Bevor einzelne Texte untersucht werden, ist es angebracht, auf den Zusammenhang hinzuweisen, der zwischen der These vom Ersitzungstitel pro soluto und dem Problem des Putativtitels337 besteht: Wenn es einen Titel pro soluto gäbe, würde die Frage, ob der jeweilige Verpflichtungsgrund als Putativtitel anerkannt wird, nicht entstehen. Denn eine solutio läge auch vor, falls ein wirksamer Verpflichtungsgrund fehlte. Die Konstruktion eines Putativtitels wäre überflüssig. Dies betrifft Fälle, in denen eine wirksame Stipulation oder ein wirksames Damnationslegat fehlen. Sollte sich erweisen, dass die Juristen in solchen Fällen einen Putativtitel annehmen oder auch nur erörtern, wäre zu schließen, dass sie einen Titel pro soluto nicht anerkennen. b) Zu untersuchen ist eine Äußerung Hermogenians, die sich freilich nicht ausdrücklich auf einen konkreten Verpflichtungsgrund bezieht:

Kaser / Knütel / Lohsse (2017), S.  152 f. = Rn.  9. Es gibt einige Ersitzungstitel, bei denen die Tradition (im Sinne einer Eigentumsübertragung) ohne Bedeutung ist, z. B. pro derelicto, pro herede, pro legato (Vindikationslegat). 333  Vgl. z. B. Kaser (1971), S.  421; Kaser / Knütel / Lohsse (2017), S.  153 = Rn.  9. 334 Zur Vergleichbarkeit der causa usucapionis und der causa traditionis ausführlich Laborenz (2014), S.  198 ff.; vgl. auch Baldus (2016), S.  544. 335  Paul 19 ed D. 6,2,4; Iul 44 dig D. 41,3,33; Iul 44 dig D. 41,4,7,4; Herm 5 iur epit D. 41,3,46; vgl. auch Laborenz (2014), S.  180 ff. 336  In diesem Sinne Voci (1949), S.  171. 337  Der Terminus titulus putativus wird in den Quellen nicht gebraucht; er hat sich erst in der Pandektistik eingebürgert; vgl. Mayer-Maly (1962), S.  3; Bauer (1988), S.  61 Anm.  1. 332 Vgl.

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5 iur epit D. 41,3,46 Pro soluto usucapit, qui rem debiti causa recipit: et non tantum quod debetur, sed et quodlibet pro debito solutum hoc titulo usucapi potest.338

Hermogenian stellt fest, pro soluto könne ersitzen, wer eine Sache debiti causa empfange. Und nicht nur könne ersessen werden, was geschuldet werde, sondern überhaupt alles, was pro debito geleistet werde. Die zu Beginn des Textes gebrauchte Wendung pro soluto scheint auf den ersten Blick dafür zu sprechen, dass Hermogenian die solutio als causa possessionis qualifiziert. In die gleiche Richtung weist auch der Schluss des Fragments: hoc titulo usucapi potest. Hier scheint von einem Ersitzungstitel, nämlich dem Titel pro soluto, die Rede zu sein.339 Die Wendung pro soluto könnte aber auch als eine kurze Bezeichung dafür verstanden werden, dass der jeweils vorausgesetzte Verpflichtungsgrund die causa bildet. Und das Wort titulus kann sich nicht nur auf den Titel im Sinne eines Rechtsgrundes beziehen, sondern auch auf den Namen bzw. die Bezeichnung.340 Die Wendung pro soluto und das Wort titulus betreffen einen Ersitzungstitel pro soluto nur, wenn die Ersitzung auch stattfindet, falls der Verpflichtungsgrund unwirksam ist, jedoch ein Solutionskonsens vorliegt. Im Folgenden wird in zwei Schritten vorgegangen. Erstens wird gefragt, auf welche Fälle sich Hermogenian bezieht; um dies zu ermitteln, ist die Wendung pro debito solutum zu untersuchen. Zweitens wird geprüft, ob Hermogenian zufolge auch ersessen werden kann, falls eine wirksame Pflicht fehlt. Um mit den Worten pro debito solutum zu beginnen: Einige Autoren sind der Ansicht, die Wendung bedeute, dass um einer Schuld willen geleistet wird,341 es werde also die Leistung in Erfüllungsabsicht bezeichnet. Andere sind der Auffassung, gemeint sei die Leistung an Erfüllungs statt.342 338 „Pro soluto ersitzt, wer eine Sache aufgrund einer Schuld empfängt; und nicht nur, was ihm geschuldet wird, sondern alles und jedes, was für eine Schuld geleistet worden ist, kann unter diesem Titel (dieser Bezeichnung?) ersessen werden.“ 339  Vgl. z. B. Miquel (2005), S.  197 f. Die früher vertretene Auffassung, hoc titulo sei interpoliert, wird heute nicht mehr vertreten; vgl. Saccoccio (2008), S.  117 mit weiteren Nachweisen Anm.  162. 340 Vgl. Heumann / Seckel (1914), S.  586 s.v. titulus 1b): Name, Bezeichnung; 1 d): Grund, Rechtsgrund, Rechtsgeschäft. 341 So Mayer-Maly (1962), S.  92 Anm.  65; 106 Anm.  120; Jakobs (1978), S.  48; Pool (1995), S.  116 ff.; Miquel (2005), S.  197 f.; Laborenz (2014), S.  182; Kaser / Knütel / Lohsse (2017), S.  153 = Rn.  10. Harke (2013), S.  69 übersetzt pro soluto mit „um einer Schuld willen“. Die Übersetzung von Spruit 5 (2000), S.  896 lautet: „En niet alleen wat werkelijk verschuldigd is, maar ook alles wat betaald is als ware het verschuldigd kann op grond van deze titel door verjaring worden verkregen.“ 342  Heumann / Seckel (1914), S.  547 s.v. solvere 5 b) führen die hier untersuchte Wendung in

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Die Worte pro debito werden in unterschiedlichen Bedeutungen gebraucht. Die Wendung lässt sich in mehreren Texten nachweisen,343 die sich in zwei Gruppen einteilen lassen. In der ersten Gruppe wird damit eine Absicht bezeichnet, die sich auf eine Schuld bezieht. So heißt es in Ulp 2 omn trib D. 42,5,31 pr.: satisdationem exigere possunt pro suo debito reddendo.344 Und in Marc 2 reg D. 46,3,44: si quis pignus pro debito vendiderit creditori.345 In einer zweiten Gruppe von Nachweisen bedeutet pro debito „anstelle des Geschuldeten“ (Ulp 27 ed D. 13,5,1,5: rem pro re solvi posse und aliud pro debito constitui).346 In Marc 3 reg D. 46,3,46,1 heißt es: pro debito dederit und pro re soluta.347 Das Wort pro bedeutet hier immer „anstelle, anstatt“.348 Gemeint ist jeweils die Leistung an Erfüllungs statt (oder die Zusage einer solchen Leistung: pro debito constitui in D. 13,5,1,5). Die gleiche Bedeutung wird mithilfe ähnlicher Wendungen zum Ausdruck gebracht, in denen das Wort pro erscheint, zum Beispiel pro soluto dare.349 Die Worte pro debito solutum in der hier untersuchten Hermogenian-Stelle sind demnach, isoliert betrachtet, unklar. Weitere ÜberD. 41,3,46 als ein Beispiel für die Leistung an Erfüllungs statt an. Vgl. auch Liebs (1964), S.  127, der im Rahmen einer Palingenesie von Hermogenians Iuris Epitomae nach pro debito solutum die Worte i. e. in solutum datum einfügt. Ebenso deutlich ist die Übersetzung von Scott 9 (2001), S.  213: „Not only what is due, but also whatever is given in discharge of the debt is subject to usucaption.“ Auch Römer (1866), S.  68; Fitting (1869), S.  5; Saccoccio (2008), S.  117 und Wimmer (2012), S.  365 beziehen die Stelle auf die Leistung an Erfüllungs statt. Allgemein zur Leistung an Erfüllungs statt: Kaser (1971), S.  638; Vlahos (2002), S.  236 Anm.  386; Saccocio (2008), dazu: Schermaier (2011), S.  438 f.; ferner: Wimmer (2012), S.  364 ff.; Kaser / Knütel / Lohsse (2017), S.  322 = Rn.  11. 343  Vgl. die Nachweise zu pro debito im Vocabularium Iurisprudentiae Romanae 4,1 s.v. pro (1985), Sp.  1153. 344  „Sie können wegen Bezahlung ihrer Forderungen eine bürgschaftliche Sicherstellung fordern.“ 345  „wenn zur Bezahlung der Schuld ein Pfand verkauft wird.“ 346  „dass eine Sache statt einer anderen geleistet werden kann“; „dass etwas anderes anstelle dessen, was geschuldet ist, als Erfüllung zugesagt wurde.“ 347  Sed et si duos fundos verbi gratia pro debito dederit (…); „wenn [ein Schuldner] zwei Grundstücke zur Bezahlung einer Schuld gegeben haben sollte, (…)“. Und: tunc ergo res pro re soluta liberationem praestat; „dann also gewährt eine für eine andere geleistete Sache Befreiung“. Dass die Leistung an Erfüllungs statt gemeint ist, ergibt sich aus D. 46,3,46 pr.: Si quis aliam rem pro alia volenti solverit (…); „Wenn jemand [dem Gläubiger] mit dessen Willen eine andere Sache statt einer anderen [der geschuldeten] geleistet haben wird (…)“. 348 Vgl. Heumann / Seckel (1914), S.  400 s.v. pro 3). 349 Vgl. Vocabularium Iurisprudentiae Romanae 5 (1939), Sp.  617 s.v. solvo. Römer (1866), S.  2 führt die Wendungen pro soluto dare und rem pro re solvere an; diese und zahlreiche ähnliche Wendungen (mit pro) bei Saccoccio (2007), S.  4894 f.; ders. (2008), 6 ff.; z. B. pro eo quod debeo aliquid solvere (Pomp 22 Sab D. 12,6,19,3). Zu den unterschiedlichen Bezeichnungen für die Leistung an Erfüllungs statt in den Quellentexten vgl. Steiner (1914), S.  48 f.; Nardi (1970), S.  89 ff.

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legungen sind erforderlich, um ihre Bedeutung zu ermitteln; dabei ist der Text insgesamt in den Blick zu nehmen. Setzt man voraus, der hier untersuchten Stelle lasse sich entnehmen, dass Hermogenian einen Ersitzungstitel pro soluto anerkennt, besteht der Text aus zwei Teilen: Zunächst wird allgemein festgestellt, dass ersessen werden kann, wenn eine Sache debiti causa, das heißt in Erfüllungsabsicht, übergeben wird. Sodann wird diese Aussage konkretisiert, indem zwei Fallgruppen angeführt werden. Die erste bezieht sich auf den Fall, dass eine wirksame causa vorliegt – non tantum quod debetur. Die zweite umfasst den Fall, dass eine gültige Pflicht fehlt – pro debito solutum. Hermogenian hätte sich im Hinblick auf die zweite Fallgruppe dann jedoch auf die Aussage beschränken müssen, dass geleistet wird, obwohl eine wirksame Pflicht nicht besteht. Eine solche Einschränkung (Nicht-Bestehen einer Pflicht) lässt sich dem Text aber nicht entnehmen. Die Wendung pro debito solutum wäre zu allgemein, weil sie auch die Leistung auf eine bestehende Pflicht umfassen würde; der Jurist hätte ungenau formuliert. Dies spricht dafür, dass Hermogenian unter pro debito solutum nicht die Leistung in Erfüllungsabsicht versteht, sondern die Leistung an Erfüllungs statt. Aufschlussreich ist zudem quodlibet: Weil die ursprünglich geschuldete Sache nicht geleistet wird, muss Hermogenian auf eine Sache Bezug nehmen, die an die Stelle der ursprünglich geschuldeten tritt – welche Sache auch immer das sein mag: quodlibet. In der ersten Fallgruppe (Leistung einer geschuldeten Sache) wird die empfangene Sache bezeichnet: rem (…) recipit; in der zweiten Fallgruppe (Leistung an Erfüllungs statt) bleibt offen, was geleistet wird: quodlibet (…) solutum. Welcher Art die Leistung ist, muss offenbleiben, weil die Vereinbarung der Parteien maßgeblich ist und jede beliebige (rechtlich erlaubte) Leistung an die Stelle der ursprünglich vereinbarten treten kann. Als Zwischenergebnis lässt sich feststellen: Hermogenian behandelt zwei verschiedene Fallgruppen, die Leistung in Erfüllungsabsicht und die Leistung an Erfüllungs statt. Nun zum zweiten Schritt der Untersuchung, bei dem gefragt wird, ob Hermogenian auch den Fall voraussetzt, dass eine Pflicht fehlt. Der Text behandelt, wie bereits festgestellt, zwei Fallgruppen. In der ersten Fallgruppe wird eine Leistung als geschuldet erbracht, in der zweiten Fallgruppe geht es um eine Leistung an Erfüllungs statt. Hermogenian bezieht sich mit et non tantum quod debetur rückwirkend auf die erste Aussage, indem er feststellt, dass eine Ersitzung nicht nur möglich sei, falls das Geschuldete geleistet wird, und fügt – als zweite Aussage – hinzu, ersessen werden könne auch, wenn eine Leistung an Erfüllungs statt erbracht werde. Die Worte et non tantum quod debetur setzen voraus, dass die als geschuldet empfangene Sache (debiti causa recipit) tatsächlich geschuldet ist: quod

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debetur.350 Die erste Aussage impliziert somit das Bestehen einer Pflicht. Das Gleiche muss auch für den Fall gelten, dass an Erfüllungs statt geleistet wird. Es gibt keinen Grund, etwas Abweichendes anzunehmen.351 Hermogenian setzt durchgehend das Bestehen einer Pflicht voraus. Der Jurist äußert sich nicht sehr deutlich zu der Frage, ob die Pflicht wirksam sein muss. So kommt es, dass er zunächst den insofern unklaren Ausdruck debiti causa gebraucht, danach, quasi en passant, die erforderliche Wirksamkeit andeutet – quod debetur – und schließlich mit pro debito solutum wiederum einen (im Hinblick auf das Bestehen der Pflicht) undeutlichen Ausdruck verwendet. Der Grund für die Undeutlichkeit besteht darin, dass Hermogenian das Bestehen einer Pflicht als selbstverständlich voraussetzt; deshalb braucht er dies nicht eigens zu betonen. Der Schluss aus alledem lautet: Hermogenian behandelt die Leistung in Erfüllungsabsicht und die Leistung an Erfüllungs statt.352 Was auch immer der Schuldner anstatt der ursprünglich geschuldeten Leistung erbracht hat, kann ersessen werden, wobei hinzugefügt werden muss: sofern der Gläubiger die Leistung an Erfüllungs statt annimmt. Auch in einem solchen Fall wird der Schuldner durch die Ersitzung von seiner Leistungspflicht befreit.353 In beiden Fallgruppen wird vorausgesetzt, dass eine Pflicht besteht. Die Konsequenz ist: Die am Anfang von D. 41,3,46 benutzte Wendung pro soluto bezeichnet nicht einen Ersitzungstitel.354 Die Wendung muss vielmehr als eine zusammenfassende Bezeichnung dafür verstanden werden, dass eine bestehende Pflicht erfüllt werden soll. Auch der Satz hoc titulo usucapi potest be350 Auch Wimmer (2012), S.  380 verwendet die Ausdrücke „Ausgangsschuld“ und „das Geschuldete“ und setzt damit voraus, dass eine Schuld besteht. Ebenso bereits Fitting (1869), S.  4. 351 Vgl. Fitting (1869), S.  5. 352  In den Quellen wird die datio in solutum auf zweifache Art verstanden: Zum einen wird die Leistung eines aliud nicht als ein neues debitum begriffen, sondern als Erfüllungsgegenstand, mit dem das Ausgangsschuldverhältnis (die pristina obligatio) und damit die ursprüngliche Schuld getilgt wird. Zum anderen wird das Einverständnis des Gläubigers zur datio in solutum als Abschluss eines gegenseitigen Vertrages aufgefasst, durch den der Gläubiger auf die ursprünglich vereinbarte Leistung verzichtet und gegen einen neuen Anspruchsinhalt austauscht, insofern wird die datio in solutum mit einem Kauf verglichen; vgl. Saccoccio (2008), S.  235 ff.; Schermaier (2011), S.  438, Wimmer (2012), S.  364 f. Das hier untersuchte Fragment D. 41,3,46 ist ein Beispiel für die zuerst genannte Auffassung: Der Erwerb des aliud leitet sich vom debitum, von der pristina obligatio, her; vgl. Wimmer (2012), S.  379. 353  Paulus schreibt im 4. Buch ad Plautium, D. 46,3,60: Is, qui alienum hominem in solutum dedit, usucapto homine liberatur. „Wer einen fremden Sklaven an Erfüllungs statt übergeben hat, wird befreit, wenn der Sklave ersessen ist.“ Vgl. auch Bauer (1988), S.  17; Wimmer (2012), S.  379. 354  Nardi (1970), 76 übersetzt jedoch „pro soluto (cioè: a titolo di pagamento)“, ähnlich ebd., S.  73 Anm.  37.

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zieht sich nicht auf einen Ersitzungstitel pro soluto. Nicht die solutio, sondern der Verpflichtungsgrund, genauer gesagt: ein wirksamer Verpflichtungsgrund, wird als causa possessionis qualifiziert. c) Von herausragender Bedeutung für die Frage der solutio als causa possessionis sind die Darlegungen des Pomponius355 aus dem 22. Buch seines Sabinus-Kommentars: D. 41,10,3 Hominem, quem ex stipulatione te mihi debere falso existimabas, tradidisti mihi: si scissem mihi nihil debere, usu eum non capiam: quod si nescio, verius est, ut usucapiam, quia ipsa traditio ex causa, quam veram esse existimo, sufficit ad efficiendum, ut id quod mihi traditum est pro meo possideam. et ita Neratius scripsit idque verum puto.356

Das Eigentum am tradierten Sklaven geht nicht über, weil ein Sklave als res mancipi nur durch mancipatio oder in iure cessio übereignet werden kann. Der Eigentumserwerb ist daher nur durch Ersitzung möglich. Problematisch ist die causa possessionis: Eine wirksame Stipulation, die als causa in Betracht kommen könnte, liegt nicht vor. Glauben der Tradent und der Empfänger an das Bestehen einer Pflicht,357 kann dieser ersitzen.358 Zur Begründung stellt Pomponius fest, eine traditio aus einem für wirksam gehaltenen Grund führe dazu, dass pro suo besessen werde.359 Setzt Pomponius die solutio oder die wirksam geglaubte Stipulation als causa possessionis voraus? Pomponius stellt fest: quia ipsa traditio ex causa, quam veram esse existimo, sufficit. Die hier angesprochene causa bezeichnet die causa traditionis; die Beteiligten glauben, eine wirksame causa traditionis liege vor: quam veram esse

Zu Leben und Werk des Pomponius vgl. Maifeld (1991), S.  15 ff., 23 ff. hast mir einen Sklaven übergeben, von dem du fälschlich glaubtest, ihn mir aus einer Stipulation zu schulden. Hätte ich gewusst, dass du mir nichts schuldig bist, werde ich ihn nicht ersitzen. Weiß ich es nicht, so ist es richtiger, dass ich ersitze: weil die Übergabe selbst aus einem Grund, den ich für wahr halte, ausreicht, um zu bewirken, dass ich das, was mir übergeben wurde, als mein besitze. So hat Neraz geschrieben und auch ich halte dies für richtig.“ 357  Wenn der Empfänger die Unwirksamkeit kennt, liegt ein furtum vor; deshalb findet dann keine Ersitzung statt; vgl. Hausmaninger (1964), S.  47; Harke (2013), S.  59; ders. (2014), S.  97; Laborenz (2014), S.  187 f.; anderer Auffassung: Bauer (1988), S.  127 Anm.  4. 358  Das Eigentum aufgrund der Ersitzung dürfte „kondiktionsfest“ sein; vgl. Bauer (1988), S.  130 ff.; Harke (2013), S.  60; ders. (2014), S.  97. 359  Zum Besitz pro suo und anderen titulierten Besitzarten (z. B. pro emptore, pro donato, pro legato) vgl. Pool (2013), S.  527 ff., der darunter abweichend von der herrschenden Meinung nicht bloß Besitz aus einem bestimmten Grund, z. B. aufgrund eines Kaufs (pro emptore), versteht. Der Besitztitel umfasst danach außer dem Hinweis auf den Erwerbsgrund auch, dass der Besitz gutgläubig (bona fide) und fehlerfrei (sine vitio) erworben wurde. Ein solcher Besitz sei als rechtmäßiger Eigenbesitz qualifiziert; ablehnend: Sirks (2014), S.  209 ff. 355 

356  „Du

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existimo.360 Nicht der (irrtümliche) Konsens selbst, also die solutio, ist die causa. Als causa wird vielmehr die unwirksame, aber wirksam geglaubte Stipulation bezeichnet.361 Es liegt ein Putativtitel vor, der die causa possessionis bildet. Ob ein solcher Titel für die Ersitzung ausreicht, ist zwischen den römischen Juristen umstritten.362 Pomponius drückt sich deshalb vorsichtig aus (verius est) und führt Neraz als Autorität an, um seine Position zu stärken.363 Für dieses Ergebnis lässt sich auch geltend machen, dass die Worte ipsa traditio ex causa, quam veram esse existimo sprachlich und inhaltlich einem Satz ähneln, der am Anfang des Fragments steht: quem ex stipulatione te mihi debere falso existimabas. Der Wendung ex stipulatione korrespondiert ex causa; den Worten te mihi debere falso existimabas entsprechen quam veram esse existimo. Aus der Ähnlichkeit der beiden Feststellungen muss geschlossen werden, dass Pomponius die wirksam geglaubte stipulatio als causa possessionis qualifiziert. Hinzuweisen ist ferner auf den Gebrauch von existimare (hier: existimabas, existimo), der typisch ist, wenn es um Putativtitel geht. In diesem Sinne wird existimare zum Beispiel auch in Ulp 31 Sab D. 41,3,27364, in Iul 3 Urs Fer D. 41,7,6365 sowie in weiteren Texten zur Putativtitelfrage verwendet. Pomponius leitet die Entscheidung, wonach die Ersitzung stattfinden kann, mit verius est ein. Die Wendung bringt zum Ausdruck, dass die Entscheidung zwar nicht unstreitig ist, Pomponius sie aber gleichwohl für richtig hält.366 Wenn die solutio allgemein als causa possessionis anerkannt würde, wäre der Fall unstreitig; die Ersitzung wäre problemlos. Aufschlussreich ist auch das Ende des Fragments: et ita Neratius scripsit idque verum puto. Die Berufung auf Neraz als Autorität und das vorsichtige idque verum puto wären unverständlich, wenn Pomponius die solutio als eine allgemein anerkannte causa unterstellen würde. Verständlich ist die zitierte Feststellung nur, weil Pomponius die unwirksame, aber für wirksam gehaltene Stipulation als Putativtitel anerkennt. Kaser stellt fest, Pomponius und Neraz setzten zwar voraus, dass nicht die solutio, sondern die Stipulation die causa bilde; die beiden Juristen seien insofern aber vielleicht Außenseiter;367 wahrscheinlicher sei jedoch, dass die Stelle Fitting (1869), S.  7. Kaser (1961a), S.  70; Bauer (1988), S.  127; Pool (1995), S.  120 ff.; Vacca (2013), S.  788; Harke (2013), S.  59. 362 Vgl. Mayer-Maly (1962), S.  1 ff.; Bauer (1988), S.  61 ff.; Harke (2014), S.  98. 363  Die Position des Neraz ist auch sonst in den Digesten dokumentiert: Ner 5 membr D. 41,10,5. 364 Vgl. Bauer (1988), S.  61 ff. 365  Vgl. ebd., S.  65 ff. 366 Vgl. Bretone (2009), S.  834 ff. 367 Vgl. Kaser (1961a), S.  70; in diesem Sinne auch Hausmaninger (1964), S.  47. 360 Vgl. 361 Vgl.

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interpoliert sei, wie allgemein angenommen werde.368 Auffällig ist, dass Kaser seine Interpolationsvermutung nicht begründet, sondern sich auf Nachweise aus der Literatur beschränkt.369 Weiter fällt auf, dass Kaser offenlässt, ob die Stelle interpoliert ist oder ob Neraz und Pomponius eine Minderheitsmeinung vertreten. All dies hat den Charakter einer Verlegenheitslösung. Die meisten neueren Autoren halten D. 41,10,3 denn auch für echt.370 Hausmaninger stellt fest, dass Verdächtigungen bezüglich der Echtheit „an der logischen Geschlossenheit der Stelle“ scheitern.371 Hinzu kommt, dass sich die römischen Juristen der Tradition verpflichtet fühlten.372 Pomponius und Neraz werden eine (angeblich) aus alter Zeit stammende, schon lange allgemein anerkannte Einrichtung, die causa solvendi, nicht preisgegeben haben, zumal beide Juristen nicht als kühne Neuerer bekannt sind,373 im Gegenteil: Wieacker zufolge war Pomponius durch „enzyklopädischen Sammelfleiß, Neigung zur Exzerption älterer Juristen und geringeren eigenen Kontroversenbeitrag“ gekennzeichnet.374 Vertreten Pomponius und Neraz vielleicht eine Minderheitsmeinung?375 Folgt man der herrschenden Auffassung zur Solutionskausa, ist aus der Tatsache, dass in den Quellen als Rechtsfolge einer solutio indebiti allein die Kondiktion, nicht aber auch die Vindikation genannt wird, zu schließen, dass die solutio als causa traditionis fungiert. Wäre dies zutreffend, müssten sich die Äußerungen von Pomponius und Neraz zur solutio indebiti von den Darlegungen der übrigen klassischen Juristen zum gleichen Thema unterscheiden: Die beiden Juristen dürften nicht allein die Kondiktion als Rechtsbehelf anführen, sondern müssten Kaser (1961a), S.  70. Vgl. ebd., S.  70 Anm.  29. 370 Vgl. Bauer (1988), S.  127 mit weiteren Nachweisen Anm.  7; ferner Mayer-Maly (1962), S.  63 f.; Hausmaninger (1964), S.  47. 371  Hausmaninger (1964), S.  47. 372 Vgl. Schulz (1934 / 1954), S.  57 ff.; präzisierend und relativierend: Nörr (1978), S.  153 mit weiteren Nachweisen S.  153 Anm.  2; vgl. auch Giaro (1994), S.  87 f. 373  Wieacker (2006), S.  97 charakterisiert Neraz als einen Schuljuristen, der ius certum angestrebt habe. 374  Wieacker (2006), S.  111. Nörr (1976), S.  549 f. attestiert Pomponius „Selbständigkeit“, zuweilen aber auch „Pedanterie“ und „Kleinlichkeit“ sowie „Kompletomanie“ und „Schulmeisterlichkeit“. Nörr (1978), S.  167 stellt differenzierend fest, dass Pomponius in seinem liber singularis enchiridii (D. 1,2,2,35 ff.) „die Jurisprudenz seiner Epoche in ununterbrochener Kontinuität mit den Ursprüngen der Jurisprudenz zu verbinden suchte“, allerdings auch behauptete, die Rechtsordnung sei verbesserungsbedürftig und -fähig. Finkenauer (2008), S.  61 konstatiert, Pomponius sei lange Zeit als bloßer Schulmeister diffamiert worden, der nur selten dogmatisch eigenständig argumentiert habe; er habe jedoch juristisch hochstehend argumentiert (in Ulp 19 ed D. 41,1,44). 375 Vgl. Kaser (1961a), S.  70; in diesem Sinne auch Hausmaninger (1964), S.  47. 368 Vgl. 369 

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zunächst die Vindikation und erst an zweiter Stelle die Kondiktion nennen. Solche Äußerungen sind jedoch nicht nachweisbar. Im Gegenteil: Fasst man D. 12,6 ins Auge, so führen Pomponius und Neraz allein die Kondiktion an; meistens sprechen sie jedoch von repetitio.376 Der Terminus repetitio umfasst möglicherweise, wie gezeigt wurde, auch die Vindikation.377 Pomponius und Neraz unterscheiden sich insofern nicht von den Darlegungen der übrigen in D. 12,6 vertretenen Juristen. Dies spricht dafür, dass nicht allein Pomponius und Neraz, sondern alle Juristen den Verpflichtungsgrund als causa possessionis qualifizieren. Die Auffassung Bauers, Pomponius und Neraz hätten abweichend von der unter den klassischen Juristen herrschenden Meinung die solutio als causa nur anerkannt, falls das Grundgeschäft wirksam gewesen sei,378 muss abgelehnt werden: Die Pointe der causa solutionis besteht nach in der Romanistik herrschender Meinung gerade darin, dass eine gültige causa selbst dann vorliegt, wenn das Verpflichtungsgeschäft unwirksam ist. Der Grund wird darin gesehen, dass die causa solutionis auf Vergleichsverträge zurückgeht, die im altrömischen Recht geschlossen worden seien, um ein Geschäft definitiv zu beenden, und zwar gerade auch für den Fall, dass die Pflicht nicht bestand.379 Mit dieser historischen These ist die von Bauer vertretene Auffassung unvereinbar, obwohl die Autorin ihr an anderer Stelle ausdrücklich zustimmt.380 Folgt man der Ansicht Bauers, wäre die solutio als causa zudem überflüssig; die Juristen hätten dann gleich das verpflichtende Rechtsverhältnis als causa qualifizieren können. Laborenz ist der Ansicht, für Pomponius sei der Solutionskonsens die entscheidende Voraussetzung für eine Ersitzung nach einer solutio indebiti. Pomponius bezeichne in D. 41,10,3 allerdings nicht die solutio, sondern „die für den Ersitzungserfolg unerhebliche stipulatio als causa usucapionis, da sie das Motiv des ganzen Erwerbsvorgangs darstellt“381. Laborenz unterscheidet zwischen der von Pomponius ausdrücklich angeführten „nominellen“ causa und der für die Ersitzung entscheidenden „materiellen“ causa.382 Die von Pomponius genannte Stipulation bilde bei solutio indebiti die „nominelle causa“, während

376 

Pomponius: 9 Sab D. 12,6,7; 21 Sab D. 12,6,14; 22 Sab D. 12,6,19; 22 Sab D. 12,6,22; 5 QM D. 12,6,50; 6 QM D. 12,6,51; 27 QM D. 12,6,52; Neraz: 6 membr D. 12,6,41. 377  Fünfter Abschnitt, 7. f), g) und i). 378 Vgl. Bauer (1988), S.  127 f.; vgl. dort auch S.  17 Anm.  16; 85 f.; 126 Anm.  2; 134. 379  Fünfter Abschnitt, 8. a). 380 Vgl. Bauer (1988), S.  17 Anm.  16. 381  Laborenz (2014), S.  196. 382  Vgl. ebd., S.  210.

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der (von Pomponius nicht angeführte) Solutionskonsens als „materielle causa“ fungiere.383 Die von Laborenz vertretene Interpretation ist mit dem Wortlaut von D. 41,10,3 schwer vereinbar. Pomponius führt klar und deutlich die Stipulation als causa possessionis an. Die Unterscheidung zwischen einer „nominellen“ und einer „materiellen“ causa wirkt zudem gekünstelt. Eine solche Distinktion ist hier, wie auch sonst häufig, nur eine Verlegenheitslösung.384 Auch ist kein Grund ersichtlich, warum Pomponius die Stipulation als bloßes „Motiv des ganzen Erwerbsvorgangs“ überhaupt hätte anführen sollen. Die Ähnlichkeit der Wendungen ex stipulatione te mihi debere falso existimabas und ex causa, quam veram esse existimo zeigt vielmehr, dass Pomponius eine irrtümlich geglaubte causa und damit einen Putativtitel anspricht. Als causa possessionis qualifiziert er nicht die solutio, sondern die (für wirksam gehaltene) Stipulation und damit wohl jeden Verpflichtungsgrund. d) Aufschlussreich für das Problem der solutio als causa possessionis sind noch zwei Äußerungen des Paulus. Die erste stammt aus dem zweiten Buch seiner manualia: D. 41,3,48 Si existimans debere tibi tradam, ita demum usucapio sequitur, si et tu putes debitum esse. aliud, si putem me ex causa venditi teneri et ideo tradam: hic enim nisi emptio praecedat, pro emptore usucapio locum non habet. diversitatis causa in illo est, quod in ceteris causis solutionis tempus inspicitur neque interest, cum stipulor, sciam alienum esse nec ne: sufficit enim me putare tuum esse, cum solvis: in emptione autem et contractus tempus inspicitur et quo solvitur: nec potest pro emptore usucapere, qui non emit, nec pro soluto, sicut in ceteris contractibus.385

383 Bei solutio debiti sei dagegen die Stipulation sowohl „materielle“ als auch „nominelle causa“; vgl. ebd. 384  Dritter Abschnitt, 7. b). 385  „Wenn ich in dem Glauben, dir zu schulden, übergebe, findet nur dann die Ersitzung statt, falls auch du glaubst, dass du es zu fordern habest. Etwas anderes ist es, wenn ich glaube, dir aufgrund eines Kaufes schuldig zu sein, und dir deshalb übergebe. Denn wenn hier kein Kauf vorausgeht, findet die Ersitzung als Käufer nicht statt. Der Grund für den Unterschied besteht darin, dass es bei anderen Erwerbsgründen auf die Zeit der Entrichtung ankommt, und es einerlei ist, ob, wenn ich stipuliere, ich weiß, dass der Gegenstand einem anderen gehört. Es genügt, dass ich glaube, er gehöre dir, wenn du ihn entrichtest. Beim Kauf aber wird sowohl die Zeit des Vertragsschlusses als auch die der Entrichtung berücksichtigt, und wer nicht kauft, kann nicht als Käufer ersitzen, und auch nicht pro soluto, wie bei den übrigen Verträgen.“

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Fünfter Abschnitt: Exkurs: Wird die solutio als causa qualifiziert?

Die Ersitzung ist ausgeschlossen, wenn ein wirksamer Kaufvertrag fehlt.386 Was Verpflichtungsverträge387 betrifft,388 so ist die Ersitzung selbst dann möglich, wenn der Vertrag ungültig ist, sofern der Veräußerer und der Erwerber zur Zeit der Übergabe an einen wirksamen Vertrag glauben. Der Unterschied wird von Paulus begründet, indem er auf eine weitere Differenz zwischen dem Kauf und Verpflichtungsverträgen hinweist, die sich auf die Frage bezieht, zu welchem Zeitpunkt die bona fides im Hinblick auf das Eigentum des Tradenten vorliegen muss: Beim Kaufvertrag sind beide Zeitpunkte (Vertragsschluss und Übergabe) maßgeblich, bei Verpflichtungsverträgen ist es allein der Zeitpunkt der Übergabe.389 Unklar ist der Zusammenhang, der zwischen den Darlegungen zur causa possessonis und zur bona fides besteht.390 Wenn Paulus feststellt, der gute Glaube müsse sowohl bei Abschluss des Kaufvertrages als auch während der Übergabe bestehen, folgt er damit vielleicht dem Modell des Barkaufs: Kauf und Übergabe bilden nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine rechtliche Einheit. Rabel stellt fest, „dass erst Kauf und Tradition zusammen Übereignung und Ersitzung pro emptore schaffen“.391 Bei Kaufverträgen muss deshalb die bona fides zu beiden Zeitpunkten vorliegen.392 Diese rechtliche Einheit bildet möglicherweise den Grund dafür, dass ein bloß für gültig gehaltener Kaufvertrag nicht genügt: Kauf und Übergabe gehören so eng zusammen, dass beide wirksam sein müssen, damit die Ersitzung zustande kommen kann.393

Zum Folgenden vgl. Kaser (1961a), S.  79 f.; Mayer-Maly (1962), S.  89 ff., hier auch zu älteren Interpolationsvermutungen; Hausmaninger (1964), S.  82 ff.; Jakobs (1978), S.  52 ff.; Laborenz (2014), S.  182 f. Sustmann (2000), S.  125 weist darauf hin, dass Afr 7 quaest D. 41,4,11, der seinen Lehrer Julian zitiert, eine Ausnahme für den Fall vorsieht, dass der Käufer einen rechtmäßigen Entschuldigungsgrund für seinen Irrtum hat. 387  Der Kauf bildet keinen Verpflichtungsvertrag, weil er nicht auf die Übereignung der verkauften Sache gerichtet ist. 388  Paulus bezieht sich nicht auf alle Verpflichtungsgründe, z. B. das Vermächtnis, sondern nur auf Verträge. Diese Beschränkung ergibt sich aus dem von ihm genannten Beispiel der Stipulation sowie aus einem ähnlichen, noch zu untersuchenden Text (D. 41,4,2 pr.), der ebenfalls Verträge betrifft; Fünfter Abschnitt, 15. e). 389 Vgl. Kaser (1961a), S.  80. Die Frage ist unter den Klassikern umstritten: Ulp 16 ed D. 41,3,10 pr. 390 Vgl. Kaser (1961a), S.  79 Anm.  67: „Sachlich fällt vor allem der unvermittelte Übergang vom Glauben an die Gültigkeit des Vertrages zum Glauben an das Eigentum des Verkäufers (bona fides) auf.“ 391  Rabel (1955), S.  107. 392 Vgl. Kaser (1961a), S.  80 Anm.  69; 81; Bauer (1988), S.  42 Anm.  22. Zu den Nachwirkungen des „Barkaufgedankens“ allgemein: Wolf (1977), S.  13. 393 Vgl. Kaser (1961a), S.  81; Hausmaninger (1964), S.  92 f.; Jakobs (1978), S.  53 f. 386 

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Versucht man, dem Fragment zu entnehmen, welchen Begriff der causa possessionis Paulus zugrunde legt, so sind zwei Möglichkeiten in Betracht zu ziehen. Die am Ende gebrauchte Wendung pro soluto könnte für die Möglichkeit sprechen, dass die solutio als causa qualifiziert wird. Unter dieser Voraussetzung sagt Paulus: Kauf und Verpflichtungsvertrag stimmen darin überein, dass eine Ersitzung nur möglich ist, falls eine wirksame causa vorliegt. Beim Kauf bildet der Vertrag die causa, beim Verpflichtungsvertrag die solutio.394 Dieser Deutung steht jedoch schon der Beginn des Textes entgegen: Si existimans debere tibi tradam, ita demum usucapio sequitur, si et tu putes debitum esse. Hieraus lassen sich zwei Argumente ableiten. Erstens: Würde die solutio als causa qualifiziert, wäre es selbstverständlich, dass ein Solutionskonsens als causa genügte. Der zitierte Satz wäre trivial, denn die solutio wäre schon seit langer Zeit als causa anerkannt. Zweitens: Paulus betont, damit ersessen werden könne, sei nicht nur erforderlich, dass der Tradent glaubt, ein wirksames Verpflichtungsgeschäft liege vor, sondern auch der Empfänger der Sache. Es muss also ein Konsens vorliegen. Würde Paulus einen Solutionskonsens als causa unterstellen, wäre diese Feststellung zwar zutreffend, aber überflüssig. Denn jeder zeitgenössische Leser hätte gewusst, dass die solutio als causa einen Konsens voraussetzt. Anders verhält es sich, wenn man davon ausgeht, dass sich Paulus auf einen Putativtitel bezieht. In der unter den römischen Juristen umstrittenen und relativ neuen Frage mag es Paulus als sinnvoll erschienen sein zu betonen, dass die Vorstellung des Leistenden nicht ausreicht. Zum gleichen Ergebnis führt auch die folgende Überlegung: Paulus stellt einen Unterschied zwischen den beiden Fällen fest (aliud), der ihm als so gravierend erscheint, dass er ihn für erklärungsbedürftig hält (diversitatis causa in illo est, quod) und im Folgenden eine recht ausführliche Begründung formuliert. Würde Paulus die solutio als causa possessionis qualifizieren, wäre der Unterschied jedoch einfach zu verstehen und nicht weiter problematisch: Im Falle eines bloß für wirksam gehaltenen Verpflichtungsgeschäfts läge eine causa possessionis vor, die solutio, während bei einem fehlenden Kauf eine causa nicht gegeben wäre. Ein begründungsbedürftiger Unterschied zwischen den beiden Fällen läge nicht vor. Ein solcher Unterschied besteht nur, wenn Paulus die solutio nicht als causa possessionis qualifiziert: Beim Kauf muss ein wirksamer Vertrag gegeben sein, während es beim Verpflichtungsvertrag ausreicht, dass die Parteien einen gültigen Vertrag bloß annehmen. Im ersten Fall reicht ein Putativtitel nicht, im zweiten Fall genügt ein solcher Titel. 394 Vgl. Kaser (1961a), S.  80; Mayer-Maly (1962), S.  92; Bauer (1988), S.  17 Anm.  17; Harke (2013), S.  68.

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Fünfter Abschnitt: Exkurs: Wird die solutio als causa qualifiziert?

Für dieses Ergebnis spricht auch der Wortlaut des Fragments: Die Verben existimare und putare (hier: existimans, putem, putes) werden typischerweise verwendet, wenn es um die Putativtitelfrage geht.395 Das Verb putare wird zum Beispiel auch in Pomp 23 QM D. 41,5,3 gebraucht. Die folgenden Überlegungen bestätigen diese Interpretation: Der Satz in ceteris causis solutionis tempus inspicitur enthält eine Unterscheidung zwischen der causa, und das heißt dem Verpflichtungsgrund, und der solutio. Die terminologische Unterscheidung ist nur sinnvoll, wenn auch inhaltlich unterschieden wird, das heißt wenn die solutio keine causa bildet.396 Etwas anderes wäre nur anzunehmen, wenn in ceteris causis so viel heißen würde wie „in anderen Fällen, bei anderen Geschäften“.397 Gegen diese Bedeutung spricht jedoch die sprachliche Ähnlichkeit zwischen den Wendungen in ceteris causis und in ceteris contractibus (am Ende des Fragments). Die Worte causis und contractibus werden synonym gebraucht. So wird deutlich, dass in ceteris causis (in dem Satz in ceteris causis solutionis tempus inspicitur) den Verpflichtungsvertrag als causa possessionis meint.398 Wenn es am Ende des Fragments heißt: nec potest pro emptore usucapere, qui non emit, nec pro soluto, sicut in ceteris contractibus, wird gesagt, dass bei Unwirksamkeit eines Kaufvertrages nicht ersessen werden kann – weder als Käufer, weil ein Putativtitel beim Kauf nicht genügt, noch pro soluto, weil beim Kauf eine Pflicht zur Übereignung der Sache nicht besteht.399 Die gegen Ende des Fragments benutzte Wendung pro soluto steht dieser Deutung nicht entgegen. Sie lässt sich als eine kurze Bezeichnung dafür verstehen, dass zwecks Erfüllung eines wirksamen oder wirksam geglaubten Verpflichtungsvertrages geleistet wird. Die Wendung schließt nicht aus, dass der (wirksame oder für wirksam gehaltene) Verpflichtungsvertrag die causa bildet.

Zur Verwendung von existimare: Fünfter Abschnitt, 15. c). Kaser (1961a), S.  79 Anm.  67 hält in ceteris causis allerdings für „schlecht“; „gemeint ist doch nur die causa solvendi“. Zu der Wendung vgl. auch Mayer-Maly (1962), S.  90 Anm.  50. Anderer Auffassung als hier: Laborenz (2014), S.  183, der feststellt, „dass das kausale Element der usucapio pro soluto im Zeitpunkt der Übergabe und nicht in der zugrunde liegenden Obligation zu finden ist, kommt durch die Wendung in ceteris causis solutionis tempus inspicitur klar zum Ausdruck“. 397  Heumann / Seckel (1914), S.  60 s.v. causa 3): „Angelegenheit, Geschäft“. 398  Vgl. die Übersetzung bei Otto / Schilling / Sintenis 4 (1832), S.  325: „dass bei anderen Gründen [für die Uebergabe] auf die Zeit der Entrichtung Rücksicht genommen wird.“ 399  Dritter Abschnitt, 3. b) Anm.  30. 395 

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e) Zum gleichen Thema schreibt Paulus im 54. Buch seines Kommentars zum Edikt: D. 41,4,2 pr. Pro emptore possidet, qui re vera emit, nec sufficit tantum in ea opinione esse eum, ut putet se pro emptore possidere, sed debet etiam subesse causa emptionis. si tamen existimans me debere tibi ignoranti tradam, usucapies. quare ergo et si putem me vendidisse et tradam, non capies usu? scilicet quia in ceteris contractibus sufficit traditionis tempus, sic denique si sciens stipuler rem alienam, usucapiam, si, cum traditur mihi, existimem illius esse: at in emptione et illud tempus inspicitur, quo contrahitur: igitur et bona fide emisse debet et possessionem bona fide adeptus esse.400

Paulus wiederholt, was er auch in D. 41,3,48 feststellt: Anders als bei Verpflichtungsverträgen ist die Ersitzung aufgrund eines Putativtitels beim Kauf ausgeschlossen. Nützlich ist ein Vergleich zwischen den inhaltlich entsprechenden Wendungen in ceteris causis (D. 41,3,48) und in ceteris contractibus (D. 41,4,2 pr.): causae und contractus werden hier synonym gebraucht;401 mit contractus können nur die Verpflichtungsverträge als causae gemeint sein. f) Die Untersuchung mehrerer Fragmente zur causa possessionis bei der usucapio hat ergeben, dass einige Juristen nicht die solutio, sondern den jeweiligen Verpflichtungsgrund als causa verstehen. Entspricht dies der Auffassung aller Juristen? Aufschlussreich ist, dass in Paul 54 ed D. 41,2,3,21, in dem mehrere Besitztitel angeführt werden, ein Titel pro soluto nicht erscheint, wobei allerdings zu beachten ist, dass die Titel nur beispielhaft genannt werden (velut).402 Dennoch ist das Fehlen eines Titels pro soluto im Paulus-Fragment ein Indiz dafür, dass alle römischen Juristen einen Ersitzungstitel pro soluto nicht anerkennen. Bezeichnend ist zudem, dass in den Digesten ein Titel mit der Überschrift pro soluto 400  „Als Käufer besitzt derjenige, der wirklich gekauft hat. Es genügt nicht, dass er nur geglaubt hat, als Käufer zu besitzen, sondern ein wirklicher Kauf muss zugrunde liegen. Wenn ich aber in dem Glauben, es schuldig zu sein, dir etwas übergebe, ohne dass du um das wahre Verhältnis weißt, wirst du ersitzen. Weshalb wirst du also nicht ersitzen, wenn ich glaube, dass ich dir verkauft habe, und übergebe? Weil bei den übrigen Verträgen [der gute Glaube] zur Zeit der Übergabe genügt. Wenn ich nämlich wissentlich eine fremde Sache stipuliere, werde ich sie nur dann ersitzen, wenn ich zu der Zeit, zu der sie mir übergeben wird, glaube, dass sie dem anderen gehöre; beim Kauf wird auch der Zeitpunkt berücksichtigt, zu dem der Vertrag geschlossen wird. Darum muss man sowohl den Kauf in gutem Glauben geschlossen als auch den Besitz in gutem Glauben erlangt haben.“ 401 Dagegen Mayer-Maly (1962), S.  97: „das korrekte in ceteris causis statt des bis zur Unrichtigkeit ungenauen in ceteris contractibus“. Auf der gleichen Seite heißt es, in ceteris contractibus sei wohl interpoliert. 402 Vgl. Pool (2013), S.  528 ff., der S.  528 in Anm.  1 darauf hinweist, dass auch der Titel pro derelicto fehlt.

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Fünfter Abschnitt: Exkurs: Wird die solutio als causa qualifiziert?

im Zusammenhang mit der Ersitzung fehlt (vgl. D. 41,4 ff.).403 Dies könnte zwar allein der Auffassung der Kompilatoren entsprechen,404 ist aber zugleich auch ein Hinweis darauf, dass die klassischen Juristen einen Ersitzungstitel pro soluto nicht kennen. Aus diesem Ergebnis lässt sich eine wichtige Konsequenz im Hinblick auf den Ersitzungstitel pro legato ziehen: Der Titel bezieht sich nicht nur, wie allgemein angenommen, auf das Vindikationslegat, sondern auch auf das Damnationslegat. Dazu passt, dass in D. 41,8 (pro legato) nur allgemein von einem Legat gesprochen wird; niemals heißt es ausdrücklich, es gehe um ein Vindikations- oder ein Damnationslegat. Wenn man mit der herrschenden Meinung unter den Romanisten annimmt, dass ein Ersitzungstitel pro soluto anerkannt wird, ist man gezwungen, einzelne Stellen (in und außerhalb von D. 41,8) daraufhin zu untersuchen, ob der jeweilige Text ein Damnations- oder ein Vindikationslegat voraussetzt. So ist es beispielsweise zu einer ausgedehnten und kontrovers geführten Disskussion über Pomp 32 Sab D. 41,10,4,2 gekommen.405 Setzt man dagegen voraus, dass die solutio keinen Ersitzungstitel bildet, ist der Unterschied zwischen den Legatsarten insofern ohne Bedeutung. Es kann immer nur pro legato ersessen werden.406 Abschließend kann festgestellt werden: Die römischen Juristen qualifizieren die solutio nicht als causa possessionis und damit wohl auch nicht als causa traditionis.

16. Zur Kontrolle: zwei Gaius-Stellen a) Im Folgenden werden zwei Gaius-Stellen untersucht, die nach Auffassung Kasers einen deutlichen Beleg dafür bilden, dass die klassischen Juristen die In diesem Sinne auch Voci (1949), S.  171 f., der aus dem Fehlen eines solchen Titels den Schluss zieht, dass die solutio nicht als causa usucapionis anerkannt wird; dagegen allerdings Laborenz (2014), S.  197 Anm.  452. 404 Die Kompilatoren haben den Unterschied zwischen dem Vindikations- und dem Damnationslegat nicht mehr anerkannt, wie sich aus den justinianischen Institutionen (2,20,2) ergibt; vgl. Kaser / Knütel / Lohsse (2017), S.  431 = Rn.  10. 405  Bauer (1988), S.  134 f. ist der Ansicht, es liege ein vermeintliches Damnationslegat vor, der Fall beziehe sich auf eine res mancipi, während Laborenz (2014), S.  188 ff. die Auffassung vertritt, behandelt werde wohl ein vermeintliches Vindikationslegat – jeweils mit weiteren Nachweisen. 406  Pool (2013), S.  546 Anm.  45 lehnt die „nicht genau begründete Ansicht der herrschenden Lehre“, wonach der Titel pro legato auf das Vindikationslegat beschränkt ist, ebenfalls ab, wenn auch ohne Begründung; als Beleg aus der romanistischen Literatur führt er Lotmar (1910), S.  106 und 115 an. 403 

16. Zur Kontrolle: zwei Gaius-Stellen

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solutio als causa qualifizieren.407 Gefragt wird, ob die Stellen mit der hier vertretenen Auffassung vereinbar sind, wonach der Verpflichtungsgrund die causa bildet. Der erste Text lautet: Gai Inst 3,90 und 91 90. Re contrahitur obligatio velut mutui datione; proprie in his fere rebus contingit, quae res pondere numero mensura constant, qualis est pecunia numerata, vinum, oleum, frumentum, aes, argentum, aurum; quas res aut numerando aut metiendo aut pendendo in hoc damus, ut accipientium fiant et quandoque nobis non eaedem, sed aliae eiusdem naturae reddantur. Unde etiam ‚mutuum‘ appellatum est, quia, quod ita tibi a me datum ist, ex „meo tuum“ fiat. 91. Is quoque, qui non debitum accepit ab eo, qui per errorem solvit, re obligatur; nam proinde ei condici potest: Si paret eum dare oportere, ac si mutuum accepisset. Unde quidam putant pupillum aut mulierem, cui sine tutore auctore non debitum per errorem datum est, non teneri condictione, non magis quam mutui datione; sed haec species obligationis non videtur ex contractu consistere, quia is, qui solvendi animo dat, magis distrahere vult negotium quam contrahere.408

Die Stelle findet sich im Rahmen einer systematischen Ordnung der Pflichten (obligationes). Gaius zufolge entstehen Pflichten entweder durch Vertrag (ex contractu) oder aus unerlaubter Handlung (ex delicto), wie sich aus Inst 3,88 ergibt. Im Hinblick auf die Verträge unterscheidet Gaius danach, ob die Pflichten re, verbis, litteris oder consensu zustande kommen (Inst 3,89). Als Realvertrag führt er das mutuum an. In diesem Zussammenhang äußert er sich auch zur solutio indebiti. Kaser zufolge zeigt die Stelle, dass das Eigentum selbst dann übergeht, wenn eine gültige Obligation fehlt. Causa ist demnach die solutio. Wäre am Eigentumserwerb gezweifelt worden, hätte Gaius auch die rei vindicatio genannt – in

Kaser (1961a), S.  70 f. mit Anm.  32. „90. Durch Sachhingabe kommt eine Verpflichtung zum Beispiel dadurch zustande, dass eine Darlehenssumme gegeben wird. im eigentlichen Sinne findet gewöhnlich bei den Sachen statt, die in Gewicht, Zahl oder Maß bestehen, wie es Bargeld, Wein, Öl, Getreide, Erz, Silber und Gold sind; diese Sachen geben wir durch Zuzählung, Zumessung oder Zuwiegung mit der Absicht hin, dass sie Eigentum der Empfänger werden und uns später einmal nicht dieselben Sachen, sondern andere derselben Beschaffenheit zurückerstattet werden. 91. Wer etwas Nichtgeschuldetes von jemandem erhalten hat, der irrtümlich gezahlt hat, ist ebenfalls aufgrund von Sachübergabe verpflichtet; denn gegen ihn kann mit der Kondiktionsformel Wenn es sich erweist, dass er zu geben verpflichtet ist in derselben Weise geklagt werden, wie wenn er ein Darlehen empfangen hätte. Daher meinen manche, dass ein Mündel oder eine Frau, dem oder der ohne Zustimmung des Vormunds etwas nicht Geschuldetes irrtümlich hingegeben worden ist, ebenso wenig aufgrund der Kondiktion hafte wie bei der Hingabe eines Darlehens, aber diese Verpflichtungsart beruht ersichtlich nicht auf einem Vertrag, weil derjenige, der mit der Absicht, eine Schuld zu erfüllen, zahlt, eher eine Verpflichtung auflösen als begründen will.“ 407 Vgl. 408 

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Fünfter Abschnitt: Exkurs: Wird die solutio als causa qualifiziert?

dem Sinne, dass die nummi extantes zu vindizieren, die consumpti zu kondizieren seien.409 Auf den ersten Blick scheint die Leistung von etwas nicht Geschuldetem unmittelbar zur Folge zu haben, dass eine Pflicht entsteht (re obligatur), die mithilfe einer Kondiktion durchgesetzt werden kann, was Eigentumsübergang und damit auch eine causa, und das heißt hier die solutio, voraussetzt. Dennoch ist diese Interpretation nicht zwingend. Dass die Vindikation nicht erwähnt wird, hat keine große praktische Bedeutung. Wenn die römischen Juristen die solutio indebiti behandeln, setzen sie meistens eine Geldzahlung als Leistung voraus.410 Diese Annahme liegt hier besonders nahe, weil unmittelbar zuvor das mutuum behandelt wird, das sich auf Geld und andere vertretbare Sachen bezieht. Geht man davon aus, dass die solutio keine causa bildet, geht das Eigentum bei einer Geldleistung in der Regel unmittelbar oder bald nach Erhalt des Geldes über – durch commixtio oder consumptio.411 Danach steht die Kondiktion zur Verfügung; die Vindikation hat keine praktische Bedeutung mehr. Dies wird ein Grund dafür sein, dass Gaius allein die Kondiktion als Rechtsbehelf anführt. Der Jurist stellt die Rechtslage zwar etwas vereinfacht, quasi holzschnittartig dar; dies entspricht aber dem Zweck seiner Institutionen, der darin besteht, Studienanfänger in das Recht einzuführen. Um nun genauer auf den Wortlaut von Inst 3,91 einzugehen: Zu fragen ist, wie sich die Wendung re obligatur erklären lässt. Ist sie mit der hier vertretenen Auffassung vereinbar, wonach die solutio keine causa bildet? In der Romanistik ist umstritten, ob sich der Ausdruck re auf die datio (Übereignung)412 oder die bloße Hingabe, also die Übertragung von Besitz oder Detention, bezieht.413 Im Hinblick auf die vorliegende Untersuchung ist die Frage jedoch nicht von Bedeutung, wie im Folgenden gezeigt wird. Setzt man voraus, dass sich re auf die Übereignung bezieht, liegt eine „gestreckte“ datio vor, sofern man den häufigsten Fall, die Geldleistung, im Auge hat.414 Die Übereignung und damit das Merkmal re kommen durch Hingabe und Kaser (1961a), S.  70. Fünfter Abschnitt, 4. g). 411  Fünfter Abschnitt, 4. g). 412 Vgl. Fuchs (1952), S.  236 ff.; mit weiteren Nachweisen Anm.  7; Schwarz (1952), S.  9; van Oven (1950), S.  24 ff.; Wubbe (1967), S.  501, 523 f.; Nelson / Manthe (1999), S.  59; Wegmann Stockebrand (2017), S.  117 ff. Unbeantwortet bleibt die Frage bei Engel (2011), S.  55 ff. 413 Vgl. MacCormack (1985), S.  153; Harke (2013), S.  21, 24 f.; Laborenz (2014), S.  118 f. Folgt man Liebs (2004), S.  244, so heißt re: „durch Tat, faktisch, d. h. (formlos) vollzogen“; ähnlich meint Birks (2014), S.  129: „(…) re means ‚by conduct‘“. Zur Position von Liebs (mit guten Gründen) ablehnend: Wegmann Stockebrand (2017), S.  116 ff. 414  Eine „gestreckte“ datio ist gegeben, wenn eine datio zunächst unvollkommen ist, durch 409 Vgl. 410 

16. Zur Kontrolle: zwei Gaius-Stellen

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anschließende commixtio oder consumptio zustande. Die Wendung re obligatur würde besagen, dass durch eine solche Übereignung (re) eine Pflicht entsteht. Nimmt man dagegen an, dass re die bloße Hingabe betrifft, liegt im Regelfall (bei der Geldzahlung) ebenfalls eine „gestreckte“ Übereignung vor. Die Worte re obligatur bedeuten dann, dass ein aus mehreren Elementen zusammengesetzter, zur Übereignung führender Tatbestand verwirklicht sein muss, damit eine Pflicht entsteht. Eines dieser Elemente ist die Hingabe, die in der Gaius-Stelle mit re bezeichnet wird. Wird das Merkmal re verwirklicht, entsteht zwar nicht unmittelbar eine Pflicht, wohl aber mittelbar – wenn nämlich eine weitere Voraussetzung, der Eigentumsübergang, erfüllt ist. Hinzu kommt Folgendes:415 Würde ein Solutionskonsens als causa anerkannt, hätte Gaius einen derartigen Konsens entweder gar nicht erwähnt, weil er selbstverständlich gewesen wäre, oder er hätte ihn als solchen bezeichnet und etwa ausgeführt, die Beteiligten seien sich darin einig, dass zwecks Erfüllung geleistet werde. Der Irrtum des Leistenden wäre dann der unselbstständige Bestandteil eines Konsenses; seine Erwähnung wäre überflüssig. Gaius schreibt jedoch: qui per errorem solvit. Der Irrtum des Leistenden ist demnach ein eigenständiges Tatbestandsmerkmal. Sollte der Leistende nämlich vom Fehlen einer Pflicht Kenntnis haben, würde er einem Schenkenden gleichgestellt, sodass die Rückforderung ausgeschlossen wäre. Der Satz qui per errorem solvit ist nicht redundant, sondern sinnvoll, weil der Verpflichtungsgrund die causa bildet. Die Schwierigkeiten bei der Interpretation der Gaius-Stelle dürften sich daraus ergeben, dass Gaius den Anspruch hatte, sämtliche Pflichten in eine systematische Ordnung zu bringen (Inst 3,88). Dies ist misslungen, wie sich schon daran zeigt, dass er später eine verbesserte Systematik vorgelegt hat (auf die sogleich eingegangen wird). Gaius sah sich gezwungen, die aus solutio indebiti entstandene Pflicht irgendwo in sein System einzufügen. Als einzige Stelle kam für ihn der Realvertrag und damit die Anknüpfung an das mutuum in Betracht.416 b) Die zweite zu untersuchende Gaius-Stelle lautet: 3 aur D. 44,7,5,3 Is quoque, qui non debitum accipit per errorem solventis, obligatur quidem quasi ex mutui datione et eadem actione tenetur, qua debitores creditoribus: sed non potest intellegi is, qui ex ea causa tenetur, ex contractu obligatus esse: qui enim solvit per errorem, magis distrahendae obligationis animo quam contrahendae dare videtur.417 einen späteren Akt jedoch vollendet wird, z. B. durch Ersitzung oder gutgläubige Konsumtion; vgl. Wunner (1970), S.  461; Gamauf (2001), S.  11; Kaser / Knütel / Lohsse (2017), S.  298 = Rn.  6. 415  Zum Folgenden bereits: Fünfter Abschnitt, 4. c) ff. 416  Was Gaius allerdings gleich wieder in Zweifel zog: Inst 3,91. 417  „Es wird ferner derjenige, der aufgrund eines Irrtums des Leistenden etwas nicht Ge-

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Fünfter Abschnitt: Exkurs: Wird die solutio als causa qualifiziert?

Ein weiteres Mal unternimmt es Gaius in den res cottidianae, eine systematische Ordnung der Pflichten zu entwerfen.418 Hatte er in seinen Institutionen noch festgestellt, dass Pflichten entweder durch Vertrag (ex contractu) oder durch unerlaubte Handlung (ex delicto) erzeugt werden (Gai Inst 3,88), heißt es nun, dass Pflichten aus Vertrag (ex contractu, und zwar re, verbis und consensu; litteris wird hier nicht erwähnt419), aus einer rechtswidrigen Handlung (ex maleficio) oder aus verschiedenen anderen rechtlichen Gründen (proprio quodam iure ex variis causarum figuris) zustande kommen (2 aur D. 44,7,1 pr.) – entweder quasi ex contractu oder quasi ex maleficio (3 aur D. 44,7,5). Die durch solutio indebiti entstehenden Pflichten ordnet Gaius den Obligationen quasi ex contractu zu (D. 44,7,5,3: quasi ex mutui datione).420 Zu den Realkontrakten rechnet er nicht allein das Darlehen, sondern ausdrücklich auch die Leihe, die Verwahrung und die Verpfändung (als Besitzpfand); D. 44,7,1,2–6.421 schuldetes in Empfang nimmt, gleichsam wie durch ein Darlehen verpflichtet, und durch die gleiche Klage verpflichtet, wie der Schuldner den Gläubigern. Wer aus diesem Grunde haftet, kann nicht als aus einem Vertrag verpflichtet betrachtet werden. Denn wer aus Irrtum leistet, von dem ist vielmehr anzunehmen, dass er in der Absicht gibt, eine Verbindlichkeit zu lösen als zu kontrahieren.“ 418  Zu den res cottidianae: Liebs (1997), S.  192: In den 1920er-Jahren war man noch allgemein der Auffassung, das Werk sei nachklassischen Ursprungs; umfangreiche Nachweise bei Fuhrmann (1956), S.  342 f. Anm.  3. Von dieser Position ist man heute abgekommen. Nach Kaser (1993), S.  94 ff. sind die res cottidianae nicht als eine von oströmischen Rechtslehrern hergestellte Bearbeitung der Institutionen des Gaius zu verstehen, sondern als eine von Gaius selbst stammende Schrift, die jünger als seine Institutionen ist. In diesem Sinne auch Diósdi (1976), S.  614; Wieacker (2006), S.  115 f. Ebd., S.  116 stellt Wieacker fest, das Werk bilde eine Bearbeitung (Ergänzung, Korrektur, Verdeutlichung) der Institutionen des Gaius, die wohl von diesem selbst, vielleicht aber auch von einem Schüler stamme. Wegmann Stockebrand (2017), S.  99 ff. hält das Werk für eine wahrscheinlich von Gaius selbst vorgenommene Bearbeitung seiner Institutionen. Zum Verhältnis zwischen den Institutionen und den res cottidianae vgl. auch Coma Fort (1996), S.  13 ff. 419 Vgl. Wegmann Stockebrand (2017), S.  108. 420  In den justinianischen Institutionen wird diese Einteilung der Pflichten übernommen und die solutio indebiti den Pflichten aus Quasivertrag zugeordnet: Inst 3,13 ff., insbesondere Inst 3,27,6. 421  Wegmann Stockebrand (2017), S.  218 ff. ist der Auffassung, aus der Stellung von Leihe, Verwahrung und Pfand unmittelbar nach dem Darlehen folge nicht, dass Gaius die drei zuerst genannten Verträge den Realkontrakten zuordne. Gaius behandle sie unmittelbar nach dem mutuum, weil sie im Schema der Obligationen „nur hier einen Platz finden könnten“ (S.  223). Da diese Verträge mit den Litteral-, Verbal- und Konsensualverträgen nichts zu tun hätten, sei nur die Möglichkeit geblieben, sie „in der Nähe der Realobligation“ zu behandeln (S.  223). Es gebe allerdings eine gewisse Nähe zwischen Darlehen einerseits und Leihe, Verwahrung und Pfand andererseits, weil bei allen diesen Verträgen eine Sache hingegeben werde. „In einem sehr weiten (und groben) Sinne des Wortes“ (S.  224) ließen sich commodatum, depositum und pignus als re obligari betrachten. Diese Argumentation ist fragwürdig: Der Wortlaut von D.

16. Zur Kontrolle: zwei Gaius-Stellen

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Die im Hinblick auf Gai Inst 3,91 umstrittene Frage, ob sich re auf die Übereignung oder die bloße Hingabe bezieht, lässt sich hier einfach beantworten: Da auch die Verwahrung, die Leihe und die Verpfändung zu den Realkontrakten gehören, muss re die Hingabe betreffen. Wenn Gaius feststellt: Is quoque, qui non debitum accipit per errorem solventis, obligatur quidem quasi ex mutui datione, wird damit nicht notwendig gesagt, dass allein schon durch solutio indebiti eine Pflicht entsteht, was Eigentumsübergang und damit eine causa, die solutio, voraussetzen würde. Die Stelle ist auch mit der hier vertretenen Auffassung vereinbar, wonach der Verpflichtungsgrund die causa bildet. Nicht ausgeschlossen ist nämlich, dass bei solutio indebiti eine weitere Voraussetzung erfüllt sein muss, damit das Eigentum übergeht und die Pflicht zustande kommt. Sollte es sich um Geld handeln, geht das Eigentum in der Regel sehr bald nach der Zahlung durch commixtio oder consumptio von Rechts wegen über. In diesen Fällen liegt eine „gestreckte“ datio vor, wie sie auch beim mutuum auftreten kann, mit dem Gaius die solutio indebiti vergleicht. Als Ergebnis kann daher festgestellt werden, dass die beiden Gaius-Stellen mit der hier vertretenen Auffassung vereinbar sind, wonach nicht die solutio, sondern der Verpflichtungsgrund die causa bildet. 44,7,1,3 ist deutlich: Is quoque, cui rem aliquam commodamus, re nobis obligatur. Gaius bezeichnet eine Realobligation. Ähnliche, ebenso klare Formulierungen verwendet er in D. 44,7,1,5 (zum depositum) und in D. 44,7,1,6 (zur Pfandbestellung). Dies lässt darauf schließen, dass er die drei genannten Verträge als Realkontrakte einstuft. Wegmann Stockebrand (2017), S.  220 argumentiert, Gaius beziehe sich nur beim mutuum auf die vertragliche Grundlage der Pflicht (contrahitur) und qualifiziere daher allein das mutuum als Realkontrakt, während bei Leihe, Verwahrung und Pfand contrahitur oder ähnliche Worte fehlten. Diese Verträge würden daher nicht den Realkontrakten zugeordnet. Durch ein solches Argument dürfte der Wortlaut der res cottidianae jedoch überstrapaziert werden. Aufschlussreich ist ein Blick in die gaianischen Institutionen. Die Realkontrakte werden darin mit den Worten eingeführt: Re contrahitur obligatio (Inst 3,90). Zu den übrigen Vertragskategorien heißt es: Verbis obligatio fit (Inst 3,92); Litteris obligatio fit (Inst 3,128); Consensu fiunt obligationes (Inst 3,135). Das Wort contrahere oder ein vergleichbarer Ausdruck fehlt bei den zuletzt genannten Verträgen, ohne dass daraus der Schluss gezogen werden könnte, es lägen keine Verbal-, Litteral- und Konsensualkontrakte vor. Ähnliches muss auch für die hier behandelte Stelle aus den res cottidianae gelten. Gaius qualifiziert darin nicht nur das mutuum, sondern auch Leihe, Verwahrung und Pfand als Realverträge. „Verdächtig“ ist zudem, dass Wegmann Stockebrand zwischen einem Realvertrag im engeren (eigentlichen) und im weiteren Sinne unterscheiden muss, um seine These (re als Übereignung) aufrechterhalten zu können. Distinktionen als Mittel der Interpretation bilden meist nur eine Notlösung, deren Funktion hier darin besteht, die These, re beziehe sich auf die Übereignung, mit dem Wortlaut der res cottidianae in Übereinstimmung zu bringen; zur Distinktion als Mittel der Auslegung: Dritter Abschnitt, 7. b). Zur Untersuchung Wegmann Stockebrands insgesamt: Empell (2017a).

166

Fünfter Abschnitt: Exkurs: Wird die solutio als causa qualifiziert?

17. Die Ergebnisse der Kritik an der Lehre von der causa solvendi a) Die Argumente, die zugunsten der Lehre von der causa solvendi vorgebracht werden, haben sich als nicht überzeugend erwiesen. Aus D. 12,6 und zwei GaiusStellen (Inst 3,90 f., D. 44,7,5,3) folgt nicht zwingend, dass eine solche causa anerkannt wird.422 Einigen Stellen in D. 12,6 und D. 12,7 kann vielmehr entnommen werden, dass die condictio indebiti auf einer Leistung sine causa beruht. Da die in der Romanistik getroffene Unterscheidung zwischen einer causa traditionis und einer causa retinendi dem klassischen römischen Recht fremd ist, muss sich sine causa auf die causa traditionis beziehen.423 Hinzu kommt, dass nicht die solutio, sondern der Verpflichtungsgrund als causa usucapionis qualifiziert wird.424 Auch dies spricht dafür, dass der Verpflichtungsgrund die causa traditionis bildet. Pomponius, Neraz und Julian, die das Verpflichtungsgeschäft als causa anerkennen, nehmen keine Außenseiterposition ein, sondern geben, soweit bekannt, die Auffassung aller klassischen Juristen wieder.425 Was die Rechtsbehelfe bei solutio indebiti angeht, so steht dem Leistenden bei res nec mancipi zunächst die Vindikation zur Verfügung. Sollte er das Eigentum an Geldmünzen durch commixtio oder consumptio verloren haben, kann er von der Kondiktion Gebrauch machen. Wird eine Sache durch mancipatio oder in iure cessio übereignet, kommt nur die Kondiktion in Betracht, weil diese Arten der Übereignung abstrakt wirken. Diese verschiedenen Klagemöglichkeiten werden meistens durch das Wort repetitio bezeichnet. Da die Vindikation nur geringe praktische Bedeutung hat, wird in den Quellen allein die condictio als Rechtsbehelf angeführt – sofern nicht das Wort repetitio gebraucht wird. b) Schon Jacques Cujas (Iacobus Cuiacius, 1522–1590), ein bedeutender Vertreter der humanistischen Jurisprudenz,426 war der Ansicht, bei solutio indebiti komme ein Eigentumsübergang nicht zustande.427 Der Verpflichtungsgrund sei die causa traditionis.428 Im gleichen Sinne äußerte sich der niederländische Jurist Jan Voet (1647–1714).429 Heinrich Cocceji (1644–1719) war der Auffassung, es entspreche dem Naturrecht, wenn der Eigentumsübergang bei Fehlen einer causa 422 

Fünfter Abschnitt, 4, 5 und 16. Fünfter Abschnitt, 12. c). 424  Fünfter Abschnitt, 15. 425  Zu Pomponius: Fünfter Abschnitt, 15. c). 426 Vgl. Wieacker (1967), S.  167; Rainer (2012), S.  155 ff.; Prévost (2015). 427 Vgl. Fuchs (1952), S.  64 ff.; Zwalve / Sirks (2012), S.  281; Laborenz (2014), S.  76 f. 428 Vgl. Cuiacius (1614), S.  1958, wo im Hinblick auf die Julian-Stelle D. 41,1,36 (zweiter Teil) ausgeführt wird, dass die Beteiligten das Legat und die Stipulation jeweils als causa traditionis betrachten. 429 Vgl. Zwalve / Sirks (2012), S.  281 f. 423 

17. Die Ergebnisse der Kritik an der Lehre von der causa solvendi

167

scheitere und die Vindikation zur Verfügung stehe. Gleichwohl hätten die römischen Juristen nicht die rei vindicatio, sondern die condictio gewährt.430 Der Grund sei, dass die condictio eine actio in personam bilde, sodass der Beklagte von vornherein und immer derselbe sei.431 Diese Positionen haben sich im gemeinen Recht jedoch nicht durchgesetzt. Die Lehre von der causa solvendi wurde in diesem Exkurs nicht um ihrer selbst willen überprüft, sondern mit dem Ziel, das Julian-Fragment D. 41,1,36 besser zu verstehen. Im Folgenden wird daher untersucht, welche Konsequenzen sich für das Verständnis des Julian-Textes daraus ergeben, dass nicht die solutio, sondern der Verpflichtungsgrund die causa traditionis bildet.

Kupisch (2007), S.  2701 ff. Vgl. ebd., S.  2715.

430 Vgl. 431 

Sechster Abschnitt

Der erste und zweite Teil des Fragments (Fortsetzung): Konsequenzen aus der Ablehnung der Lehre von der solutio als causa 1. Welche Fallgruppe behandelt Julian? a) Im Folgenden werden die Ergebnisse der bisherigen Untersuchung rekapituliert, sofern sie die Frage betreffen, welche Fallgruppe Julian behandelt. Zwei Punkte sind anzuführen: Erstens: In einem früheren Abschnitt der Untersuchung wurde die Vermutung geäußert, Julian setze einen zweistufigen Sachverhalt voraus: Zunächst entstehe ein Tatbestand, durch den die Pflicht zur Übereignung einer res nec mancipi begründet werde (Verpflichtungsgrund).1 Später werde die Sache übereignet, um die Pflicht zu erfüllen. Vermutet wurde zudem, dass Julian nicht die solutio als causa qualifiziert, sondern einen wirksamen Verpflichtungsgrund.2 Diese Vermutung hat sich bestätigt. Es wurde gezeigt, dass der Verpflichtungsgrund die causa bildet. Zweitens: Julian verlangt einen Konsens in corpore, das heißt eine Übereinstimmung im Hinblick auf die Identität der Sache, damit das Eigentum übergehen kann. Ein derartiger Konsens ist nur erforderlich, wenn die Übereignung einer species behandelt wird. Die gesuchte Fallgruppe ist notwendig auf Speziessachen beschränkt.3 b) Weiterer Aufschluss über die gesuchte Fallgruppe ergibt sich aus der Wendung in causis vero dissentiamus. Diese Wendung ist singulär – in einem zweifachen Sinne.

1  Zu ergänzen ist: Im Hinblick auf die Übereignung der Ware bildet der Kaufvertrag keinen Verpflichtungsgrund, weil der Verkäufer nicht zur Übereignung verpflichtet ist (Dritter Abschnitt, 3. b) Anm.  30), wohl aber eine causa traditionis. Daher könnte es in der ersten Phase auch zum Abschluss eines Kaufvertrages kommen (ohne dass ein Verpflichtungsgrund vorliegt). 2  Dritter Abschnitt, 9. 3  Zweiter Abschnitt, 9, insbesondere e).

170

Sechster Abschnitt: Der erste und zweite Teil des Fragments (Fortsetzung)

Erstens: In den überlieferten Quellen sind ein Konsens oder Dissens in emptione, in corpore, in pretio, in nomine und de qualitate nachweisbar.4 Berücksichtigt man, dass die Begriffe des Dissenses und des error eng miteinander verbunden sind,5 lassen sich auch der error in substantia, in materia und in sexu als Beispiele anführen.6 Nicht nachzuweisen ist aber ein Konsens oder Dissens über die causa; auch ein error in causa wird in den Quellen nicht genannt. Zweitens werden Konsens, Dissens und error sonst immer mit einem Substantiv im Singular verbunden, wie die genannten Beispiele zeigen.7 Hier aber wird der Plural verwendet: in causis. Um die Wendung in causis (…) dissentiamus, und das heißt den Plural in causis, zu klären, ist eine weitergehende Untersuchung erforderlich.

2. Schwierigkeiten mit der Wendung in causis a) Häufig wird angenommen, in causis sei sprachlich unangemessen; zutreffend müsste es in causa heißen. Beseler meint sogar: „Der Plural causis ist unerträglich. Als wenn es sich um einen Dissens über eine Mehrheit von causae handelte!“8 Hupka widerspricht mit der Begründung, der Plural sei sprachlich und logisch einwandfrei; er bezeichne die beiderseitigen, voneinander verschiedenen Bestimmungsgründe der Parteien. Dessen ungeachtet verwendet Hupka im Titel seiner Abhandlung den Singular: „Der dissensus in causa und die moderne Textkritik“.9 b) Charakteristisch für das Unbehagen und die Unsicherheit der meisten Interpreten bezüglich der Wendung in causis sind die Übersetzungen der Stelle.10 In den Übersetzungen des gesamten Digestenwerks wird zwar meistens der Plural verwendet,11 manchmal findet sich aber auch der Singular.12 In den Über4  Vgl. Ulp 28 Sab D. 18,1,9; Paul 33 ed D. 19,1,21,2. Vgl. auch Vocabularium Iurisprudentiae Romanae 1 (1903), Sp.  923 ff.; 2 (1933), Sp.  277 f. 5  Zweiter Abschnitt, 6. b) und d). 6  Vgl. Ulp 28 Sab D. 18,1,9,2; Ulp 28 Sab D. 18,1,11. 7 Vgl. Vocabularium Iurisprudentiae Romanae 2 (1933), Sp.  277 f. 8  Beseler (1925), S.  221; zustimmend Lange (1930), S.  72. 9  Hupka (1932), S.  11 Anm.  1. 10  Knütel (2013), S.  215 ff. widmet sich zwar dem Thema „Interpretierendes Übersetzen“ und behandelt dabei auch den Terminus causa und seine unterschiedlichen Bedeutungen (S.  219 ff.), geht auf die Wendung in causis aber nicht ein. 11  García del Corral 3 (1897), S.  310: „à las causas“; Scott 9 (2001), S.  168: „dissent as to the causes“; Watson 4 (2009), S.  10: „over the grounds of delivery“; Spruit 5 (2000), S.  827: „over de rechtsgronden“; Hulot 6 (1804 / 1979), S.  278: „sur les causes“; Gaurier (2017), S: 1804: „sur les raisons“. 12  Otto / Schilling / Sintenis 4 (1832), S.  264: „über deren Grund“; d’Ors 3 (1975), S.  293: „en la causa“.

2. Schwierigkeiten mit der Wendung in causis

171

setzungen des Julian-Fragments, die in der Literatur zu dieser Stelle zu finden sind, verhält es sich genau umgekehrt: Gelegentlich wird der Plural gebraucht,13 häufiger aber der Singular.14 Bereits in den Basiliken (50,1,35) lautet die Übersetzung: περὶ τὴν αἰτίαν.15 In der Glosse des Accursius heißt es in Bezug auf die Julian-Stelle: error causae.16 Iacobus Cuiacius (Jacques Cujas) schrieb dazu: errauit in causa; dissensus in causa; dissentiunt in causa traditionis.17 Einige moderne Autoren verwenden bei ihrer Übersetzung des Julian-Fragments zwar den Plural, benutzen in den unmittelbar vorausgehenden oder folgenden Darlegungen aber den Singular, ohne den Unterschied zu erläutern.18 Wenn der Inhalt der Stelle bloß referiert wird, findet sich ebenfalls häufig der Singular.19 13 

Die hier und in den unmittelbar folgenden Anmerkungen genannten Belege zur Übersetzung von „in causis“ stammen (sofern nicht etwas anderes vermerkt ist) aus Publikationen, die ab 2000 erschienen sind: Barton (2001), S.  26: „upon the causes“; Saccoccio (2002), S.  335: „sulle causae“; Pikkemaat (2009), S.  32: „over de rechtsgronden“; Krampe (2014), S.  489: „über die Erwerbsgründe“. 14  Pikkemaat (2001), S.  66: „über deren Grund“; van Vliet (2003), S.  343: „about the legal ground“; Kunze (2006), S.  1: „über deren Grund“; Liebs (2004), S.  167; Bremkamp (2008), S.  46; Hattenhauer / Buschmann (2008), S.  13; Harke (2012b), S.  124; ders. (2016), S.  242 = Rn.  18: „über den Rechtsgrund“; Meissel (2008), S.  65 und 74: „bezüglich des Erwerbsgrundes“; Romeo (2010), S.  346: „dissensus in causa; ähnlich S.  347 ff.; Meincke (2017), S.  68: „über deren Grund“; Pichler / Kossarz (2018), S.  101 Anm.  14: „hinsichtlich des Erwerbsgrundes“; Schlinker / Ludyga / Bergmann (2019), S.  240 Anm.  1285: „über den Rechtsgrund der Übereignung“. 15  Heimbach (1850), S.  42; Scheltema / van der Wal (1969), S.  2325, Zeile 20; vgl. auch Brandsma (2011), S.  685. 16 Vgl. Hattenhauer / Buschmann (2008), S.  13; Schermaier (2018), S.  788 Anm.  8. 17  Cuiacius (1614), Sp.  1956, 1958. 18  Sustmann (2000), S.  122 spricht in der Überschrift von einem „Dissensus in causa“, sagt in der Übersetzung (S.  123 Anm.  399) jedoch: „über die Gründe“; Cannata (2001), S.  307 Anm.  188 übersetzt: „sulle cause“, sagt dann aber S.  307: „dissenso sulla causa“. Bei Ranieri (2009) heißt es zunächst S.  1053: error in causis; sodann zitiert er die Julian-Stelle (S.  1053 f.); in der unmittelbar anschließenden Übersetzung heißt es S.  1054: „bezüglich des Erwerbsgrundes“. Saccoccio (2002) sagt zunächst (S.  333): „dissenso sul negozio“, paraphrasiert das Julian-Fragment dann aber (S.  335) mit: „disaccordo sulle causae“. Lambertini (2010), S.  30 Anm.  54 übersetzt zunächst „sulle cause“, im Text (S.  30) heißt es dann: „sulla causa“. Bei Brandsma (2011), S.  684 lautet die Übersetzung: „on the reasons“, im Folgenden spricht der Autor von einem Dissens „on the reason“; ähnlich ders. (2009), S.  128. Kaser / Knütel / Lohsse (2017), S.  147 = Rn.  12 übersetzen: „hinsichtlich der Erwerbsgründe“; unmittelbar vor der Wiedergabe des Julian-Fragments und der Übersetzung wird jedoch vom „Fall eines Dissenses über die causa“ gesprochen, direkt danach heißt es: „ein Dissens über den Verpflichtungsgrund“ (S.  147 = Rn.  12). Die Autoren bezeichnen damit den Verpflichtungsgrund als causa, obwohl sie sonst der Auffassung sind, die solutio bilde die causa; vgl. ebd., S.  147 = Rn.  11. 19  Sustmann (2000), S.  122: „Dissensus in causa“ und Dissens „über den Vertragstyp“; Lovato (2001), S.  124: „dissenso sulla causa“; Laborenz (2014), S.  36, 46, 202 Anm.  465 u.ö.

172

Sechster Abschnitt: Der erste und zweite Teil des Fragments (Fortsetzung)

3. Zur Echtheit der Wendung in causis a) Die Frage, ob die Worte in causis authentisch sind oder ob Julian vielleicht in causa geschrieben hat, mag auf den ersten Blick erstaunlich wirken, liegt doch anscheinend kein Anzeichen im Text vor, das geeignet ist, die Echtheit in Zweifel zu ziehen. Die Möglichkeit, dass Julian in causa geschrieben hat, ist jedoch nicht einfach von der Hand zu weisen. Doppelüberlieferungen zeigen nämlich, dass ein Wechsel im Numerus gegenüber der Vorlage in den Digesten mehrfach beobachtet werden kann; ein solcher Wechsel íst, wie Grupe feststellt, „nichts Ungewöhnliches“.20 So heißt es in Gai Inst 2,93: ex omni causa; in Gai 2 inst D. 41,1,10,5 dagegen: ex omnibus causis. Grupe führt weitere Beispiele aus den Schriften des Gaius an, in denen außerhalb der Digesten überlieferte Texte den Singular, die entsprechenden Digestenstellen jedoch den Plural aufweisen. Grupe ist der Ansicht, derartige Wechsel seien auf die Kompilatoren zurückzuführen.21 Im Anschluss an die Darlegungen Grupes meint Schönbauer, auch die Wendung in causis bei Julian stamme wahrscheinlich von den Kompilatoren – „zur vermeintlich notwendigen ‚Verdeutlichung‘“,22 wobei Schönbauer allerdings offen lässt, was die Kompilatoren eigentlich verdeutlichen wollten. b) Es ist zweifelhaft, ob die von Grupe angeführten Beispiele ausreichen, um eine von den Kompilatoren stammende Interpolation des Julian-Textes vermuten zu können.23 Anders als bei Gaius fehlt im Hinblick auf D. 41,1,36 ein Vergleichstext. Auffällig ist allerdings Folgendes: In den überlieferten Quellen sind ein Konsens oder Dissens in emptione, in corpore, in pretio, in nomine und de qualitate nachweisbar.24 Die Worte Konsens und Dissens (meist in Form eines Verbs) werden dabei immer auf einen Gegenstand bezogen, der im Singular steht.25 In D. 41,1,36 findet sich dagegen ein Plural: in causis. Insofern ist die Wendung singulär. Diese sprachliche Einzigartigkeit muss jedoch kein Interpolationsindiz bilden, sondern könnte darin begründet sein, dass auch der von spricht durchgehend von einem „dissensus in causa“; Vacca (2006), S.  173 Anm.  10: „dissenso sulla causa“; Cortese (2013a), S.  112: „ma non si è d’accordo sulla causa“. 20  Grupe (1895), S.  311. 21  Vgl. ebd. 22  Schönbauer (1932), S.  167 Anm.  22. 23  Die Wechsel des Numerus in den von Grupe angeführten Gaius-Texten muss nicht auf die Kompilatoren zurückgehen. Möglicherweise waren schon vorher Versionen der Institutiones im Umlauf, die sich in diesem Punkt unterschieden; zur Verbreitung der Gaius-Institutionen vgl. Wieacker (1960), S.  186 ff. 24  Vgl. Ulp 28 Sab D. 18,1,9; Paul 33 ed D. 19,1,21,2; vgl. auch Vocabularium Iurisprudentiae Romanae 1 (1903), Sp.  923 ff.; 2 (1933), Sp.  277 f. 25 Vgl. Vocabularium Iurisprudentiae Romanae 2 (1933), Sp.  277 f.

4. Zur Deutung von in causis (die Position Harkes)

173

Julian entschiedene Sachverhalt einzigartig ist, sodass Julian gezwungen war, den Plural zu gebrauchen. Wird Echtheit unterstellt, gelangt man, wie noch zu zeigen sein wird, zu einem sinnvollen Auslegungsergebnis. Gerade der Plural in causis wird sich als besonders aussagekräftig erweisen. Im Folgenden wird (zumindest vorläufig und probeweise) die Echtheit der Wendung in causis unterstellt. Der Plural lässt sich unterschiedlich deuten. Eine erste Möglichkeit besteht darin, unter causa nicht die causa traditionis selbst zu verstehen, sondern die Vorstellung der Beteiligten davon.

4. Zur Deutung von in causis (die Position Harkes) a) Die Wendung in causis bezieht sich möglicherweise nicht auf Rechtsgründe als solche, sondern auf die Vorstellungen der Beteiligten davon. In diesem Sinne wird in causis von Harke verstanden, der sich auf eine Formulierung aus dem dritten Teil des Fragments stützt: quod circa causam dandi atque accipiendi dissenserimus. Harke spricht von einer „Aufspaltung in eine causa dandi und eine causa accipiendi“.26 Über beide bestehe Uneinigkeit; die causa stelle sich aus der Sicht des Leistenden anders dar als für den Empfänger. Die Wendung in causis beziehe sich ebenfalls auf die unterschiedlichen Vorstellungen der Beteiligten von der causa. b) Wäre die Auffassung Harkes zutreffend, könnte in causis mit den Worten „in ihren Vorstellungen bezüglich der causa“ übersetzt werden. Für diese Interpretationsmöglichkeit spricht, dass causa nicht nur den Rechtsgrund, sondern auch das Motiv27 oder den Zweck einer Handlung,28 zum Beispiel eines Rechtsgeschäfts, bezeichnen kann. In diesem Sinne lässt sich die causa dandi (im dritten Teil des Fragments) als das Motiv oder den Zweck der Hingabe des Geldes und damit auch als die Vorstellung des Tradenten von einem Rechtsgrund verstehen.29 Ob sich in causis ebenfalls auf Vorstellungen von der causa bezieht, muss jedoch bezweifelt werden. Würde in causis unterschiedliche Vorstellungen betreffen, hätte in causis dissentiamus die gleiche Bedeutung wie in causa dissentiamus, denn jeder Dissens über die causa impliziert unterschiedliche Vorstellungen von der causa. In Fällen eines Dissenses wird aber, wie bereits erwähnt,30 sonst immer der Harke (2005a), S.  115; vgl. auch bereits Monier (1930), S.  222. Heumann / Seckel (1914), S.  59 s.v. causa 1 b) und c). 28  Vgl. ebd., S.  60 s.v. causa 2). 29 Vgl. Schwarz (1952), S.  120: Quellenbelege zu den Begriffen causa dandi und causa accipiendi. 30  Sechster Abschnitt, 1. b). 26 

27 Vgl.

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Sechster Abschnitt: Der erste und zweite Teil des Fragments (Fortsetzung)

Singular verwendet. So heißt es bei Paulus in 33 ed D. 19,1,21,2: de qualitate autem dissentiamus; Ulpian sagt in 7 disp D. 41,2,34 pr.: autem in corpore consenserimus. Es liegen zwar jeweils unterschiedliche Vorstellungen von der Beschaffenheit einer Sache bzw. von der Sache selbst vor, die Juristen sprechen aber von einem Dissens im Hinblick auf „die“ Beschaffenheit bzw. „die“ Sache. Die Worte qualitas und corpus stehen im Singular, weil sie abstrakte Kategorien bezeichnen, mit deren Hilfe der jeweilige Konsens oder Dissens charakterisiert wird. Wenn Julian unterschiedliche Vorstellungen bezüglich der causa hätte behandeln wollen, so hätte er von einem Dissens in causa gesprochen. Es ist nicht ersichtlich, warum er vom üblichen Sprachgebrauch hätte abweichen sollen. Problematisch ist zudem, die Auslegung einer im ersten Teil des Fragments enthaltenen Wendung (in causis) allein vom Verständnis des dritten Teils abhängig zu machen. Der Leser, der die Lektüre mit dem ersten Teil beginnt und dabei die übliche Bedeutung des Wortes causa unterstellt, nämlich die causa traditionis, kann nicht wissen, dass im dritten Teil eine abweichende Bedeutung vorausgesetzt wird. Will man nicht annehmen, Julian habe den Plural aus (nicht ersichtlichen) stilistischen Gründen gewählt, muss geschlossen werden, dass das Wort causa in der Wendung in causis nicht unterschiedliche Vorstellungen von der causa traditionis bezeichnet, sondern die causae selbst. Es muss eine Fallgruppe gemeint sein, in der (mindestens) zwei Kausalverhältnisse von Bedeutung sind.

5. Die eigene Auffassung a) Mehrere Fallgruppen sind zu betrachten, in denen zwei Kausalverhältnisse, das heißt zwei Verpflichtungsgründe, vorkommen.31 Unterscheiden lässt sich danach, ob (mindestens) ein Verpflichtungsgrund bloß eingebildet ist oder ob er tatsächlich geschaffen wurde, und weiter: ob ein tatsächlich vorliegender Verpflichtungsgrund auch rechtlich wirksam ist. Alle denkbaren Kombinationen kommen in Betracht: Es können beide Verpflichtungsgründe eingebildet sein oder nur einer von ihnen; falls beide Verpflichtungsgründe tatsächlich vorliegen, sind vielleicht beide rechtlich unwirksam oder beide wirksam oder nur einer von ihnen. Ein Dissens über die causa liegt noch in einem weiteren Fall vor, wenn nämlich der Tatbestand, der die causa bildet, zugleich mit der Übergabe zustande kommt und sich die Beteiligten im Hinblick auf die causa uneins sind. Dies ist der Fall, wenn Geld als Geschenk übergeben, jedoch als Darlehen angenommen wird (Teil 3 des Fragments); Siebter Abschnitt. Ein derartiger Sachverhalt fällt nicht unter die Regel (Teil 1 des Fragments), weil darin vorausgesetzt wird, dass die Übergabe der Entstehung des Verpflichtungsgrundes zeitlich folgt. 31 

5. Die eigene Auffassung

175

b) Die römischen Juristen behandeln zwar häufig „pathologische“ Fälle, in denen Tatbestände eingebildet oder rechtlich unwirksam sind. Aber nichts im ersten Teil des Julian-Fragments deutet darauf hin, dass eine solche Möglichkeit hier vorliegt. Es ließe sich einwenden, dem überlieferten Exzerpt sei vielleicht ein Text vorausgegangen, in dem ein entsprechender Fall dargestellt wurde. Die Kompilatoren hätten das in D. 41,1,36 überlieferte Fragment ungeschickt aus dem gesamten Text Julians „herausgeschnitten“. Diesem Einwand wäre jedoch Folgendes zu entgegnen: Der Regel (Teil 1) ging kein Textstück voraus, das einen konkreten Fall zum Inhalt hatte; andernfalls wäre das im zweiten Teil der Stelle enthaltene Beispiel überflüssig.32 Der überlieferte Text ist insofern vollständig. Ein zeitgenössischer Leser muss in der Lage gewesen sein, den Text allein aus sich heraus zu verstehen. Dies setzt voraus, dass die im ersten Teil enthaltene Regel keine „pathologische“ Fallgruppe betrifft, mit anderen Worten, dass die beiden darin angesprochenen Verpflichtungsgründe tatsächlich vorliegen und rechtlich wirksam sind. c) Auch wenn im zweiten Teil des Fragments die Worte credam und existemes verwendet werden, folgt daraus nicht, (mindestens) einer der beiden Beteiligten glaube bloß an das Vorliegen eines wirksamen Legats bzw. einer wirksamen Stipulation. Da es um einen Dissens geht, musste Julian Verben wie credere und existimare gebrauchen, ohne dass daraus geschlossen werden kann, einer der Verpflichtungsgründe sei nur eingebildet oder unwirksam. In der Praxis sind tatsächlich vorgenommene Rechtsgeschäfte in der Regel wirksam; Unwirksamkeit bildet die Ausnahme. Da im überlieferten Text ein Hinweis auf Unwirksamkeit fehlt, muss der Regelfall vorliegen: Die beiden Rechtsgeschäfte liegen tatsächlich vor und sie sind wirksam.33 d) Möglicherweise geht Julian auf den Fall ein, dass der Veräußerer dem Erwerber aus zwei Gründen verpflichtet ist, wobei sich die Pflichten auf zwei verschiedene Leistungen, zum Beispiel zwei Geldzahlungen, beziehen. Bei der Übergabe kommt es zu einem Dissens darüber, welche Pflicht gerade erfüllt wird. Diese Fallgruppe kann allerdings auch Gattungssachen betreffen, während der erste und der zweite Teil des Julian-Fragments auf Speziessachen beschränkt sind.34 e) Evans-Jones und MacCormack setzen voraus, dass Julian sich auf ein legatum debiti bezieht.35 Ein derartiges Vermächtnis liegt vor, wenn testamentarisch 32 

Zweiter Abschnitt, 9. e); ausführlich: Zehnter Abschnitt, 2. b). In diesem Sinne auch Evans-Jones / MacCormack (1989), S.  103 f. 34  Zweiter Abschnitt, 9. 35  Evans-Jones / MacCormack (1989), S.  103 verwenden den Terminus legatum debiti nicht, nehmen jedoch an, möglicherweise habe der Testator dem Empfänger das Grundstück durch Stipulation versprochen und es ihm später durch Damnationslegat vermacht. Die gleiche Auffassung wurde bereits von Hoenig (1913), S.  17 ff. vertreten. Zum legatum debiti allgemein vgl. 33 

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Sechster Abschnitt: Der erste und zweite Teil des Fragments (Fortsetzung)

angeordnet wird, der Erbe möge leisten, was der Erblasser bereits aus einem anderen rechtlichen Grunde schuldet. Eine solche Vermächtnisschuld ist nur wirksam, falls sie dem Legatar einen über die bestehende Schuld hinausgehenden Vorteil (emolumentum) verschafft. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn die bereits vorliegende Schuld bedingt ist oder ihr eine exceptio entgegensteht, während die Legatsschuld derartigen Einschränkungen nicht unterliegt.36 Obwohl der Beispielsfall (Teil 2 des Fragments) eine Pflicht aus Legat umfasst, kann auch diese Fallgruppe nicht gemeint sein.37 Denn das Legat wäre, wie bereits erwähnt, neben der Stipulation nur wirksam, wenn es dem Empfänger des Grundstücks einen über das Recht aus der Stipulation hinausgehenden Vorteil verschaffen würde.38 Von einem solchen Vorteil ist bei Julian aber nicht die Rede.39 Vor allem jedoch ist das legatum debiti nicht notwendig auf Speziessachen beschränkt, wie dies in D. 41,1,36 vorausgesetzt wird. f) So kommt wohl nur noch eine einzige Fallgruppe in Betracht: Zwei Erwerbsgründe40 treffen in ein und derselben Person im Hinblick auf die gleiche Speziessache zusammen – concursus duarum causarum.41 Grundlegend zum concursus causarum stellt Julian fest: Kaser (1971), S.  751; Pfeil (1998), S.  44 ff.; Baldus (2012b), S.  20 ff.; Kaser / Knütel / Lohsse (2017), S.  430 = Rn.  6. 36  Zu weiteren möglichen Vorteilen vgl. Stepan (2018), S.  112 f. 37  Ein gewichtiges Argment spricht allerdings für ein legatum debiti: Der Erbe muss von der Stipulation nichts wissen, kennt jedoch das Testament; deshalb bezieht er sich auf das Legat. Der Legatar kennt die Stipulation, muss jedoch vom Legat keine Kenntnis haben; deshalb hat er die Stipulation im Auge. Hoenig (1913), S.  18: „Die verschiedene Auffassung beider ist sehr begreiflich. Jeder fasst d e n Punkt ins Auge, wo das Rechtsverhältnis an seine Person anknüpft: B die Stipulation, C das Testament.“ 38 Vgl. Baldus (2012b), S.  21, wonach ein zulässiges legatum debiti ein existierendes debitum bestätigt und verstärkt. Vorausgesetzt wird damit, dass zwei wirksame Pflichten zugleich vorliegen; vgl. auch Stepan (2018), S.  112 f. 39  Wobei einzuräumen ist, dass Julian einen solchen Vorteil möglicherweise stillschweigend voraussetzt. 40  Hier wird nicht von einem Verpflichtungsgrund, sondern einem Erwerbsgrund gesprochen, weil an einem concursus auch Rechtsgründe beteiligt sein können, die keine Verpflichtungsgründe sind, z. B. eine Schenkung. Der Einfachheit halber wird im Folgenden allein der Fall behandelt, dass zwei causae vorliegen (concursus duarum causarum). Kaser / Knütel / Lohsse (2017), S.  327 = Rn.  33 sprechen allgemein davon, dass mehrere Erwerbsgründe zusammentreffen können (concursus causarum). 41 Schon Regenbrecht (1820), S.  45 hat die Möglichkeit angesprochen, dass Julian sich auf einen concursus obligationum bezieht, diese Möglichkeit jedoch mit harschen Worten ausgeschlossen, ihre Erwähnung als unpassend und geradezu albern bezeichnet (cuius mentio in proposita quaestione vel inepta esset). Regenbrecht betrachtete nicht das wirksame Grundgeschäft und die darauf beruhende Pflicht als causa, sondern sah im Grundgeschäft bloß ein Indiz für den gemeinsamen Übereignungswillen, der auch dann vorliegt, wenn das Grund-

5. Die eigene Auffassung

177

Iul 33 dig D. 44,7,17 Omnes debitores, qui speciem ex causa lucrativa debent, liberantur, cum ea species ex causa lucrativa ad creditores pervenisset.42

Julian bezieht sich ausdrücklich auf eine species. Der Grund ist: Ein concursus causarum kann immer nur bei Speziessachen auftreten.43 Aufschlussreich ist das im zweiten Teil von D. 41,1,36 enthaltene Beispiel: Die den concursus betreffenden Entscheidungen setzen meistens auch Pflichten aus einem Damnationslegat voraus.44 Es ist bezeichnend, dass sich die meisten concursus-Stellen in den Büchern 30 bis 32 der Digesten Justinians finden, die mit den Worten De legatis et fideicommissis überschrieben sind. Wahrscheinlich wurden die Regeln zum concursus causarum sogar im Hinblick auf Damnationslegate entwickelt.45 Das im zweiten Teil des hier untersuchten Fragments enthaltene Beispiel für einen Dissens in causis ist somit typisch für den concursus causarum. Die im Beispielsfall beschriebene Kombination von Damnationslegat und Stipulation findet sich auch sonst in Texten, die den concursus causarum betreffen, und zwar bei Julian 33 dig D. 30,82 pr.46 und seinem Schüler Afrikan. Dieser behandelt den Fall, dass ein Sklave zugleich aus Stipulation und aus Legat geschuldet wird (5 quaest D. 30,108,4).47 Hier liegt also die gleiche Kombination vor, die auch im zweiten Teil von D. 41,1,36 enthalten ist. Julian bezieht sich demnach auf die folgende Fallgruppe: Zunächst entstehen zwei wirksame Kausalverhältnisse (Verpflichtungsgründe), die sich auf die gleiche species beziehen; später erfolgt die Übergabe.48 Dabei haben die Begeschäft unwirksam ist. Regenbrecht folgte darin seinem Lehrer Savigny. Ein Dissens in causis umfasst Regenbrecht zufolge einen Konsens darüber, dass das Eigentum übergehen soll, sodass ein Dissens dem Eigentumsübergang nicht entgegensteht. Zum causa-Begriff bei Regenbrecht vgl. Fuchs (1952), S.  87 f. 42  „Alle Schuldner, die einen bestimmten Gegenstand aus einem lukrativen Grund schulden, werden von ihrer Verbindlichkeit frei, wenn derselbe Gegenstand aus einem lukrativen Grund an die Gläubiger gelangt ist.“ 43 Vgl. Sell (1839), S.  45 ff.; Ankum (1997), S.  76; Pfeil (1998), S.  10 f.; 168; Lambrini (2000), S.  19. 44 Vgl. Lambrini (2000), S.  55 ff.; Pfeil (1998), S.  9. In 4 ex Minic D. 19,1,29 weitet Julian den ursprünglich wohl allein auf Damnationslegate bezogenen Anwendungsbereich des concursus causarum auf bedingte Vindikationslegate aus; vgl. Pfeil (1998), S.  94 ff. 45 Vgl. Pfeil (1998), S.  9 mit weiteren Nachweisen Anm.  21; S.  61. 46  Vgl. ebd., S.  33 ff. 47  Vgl. ebd., S.  48 ff.; Wimmer (2001), S.  217. Die Stelle enthält keinen Hinweis darauf, dass der Text vielleicht von Julian stammt; zu möglichen Indizien für die Autorschaft Julians bei Digestentexten, deren Inskription Afrikan als Verfasser nennt (Verben in der dritten Person Singular, wie ait, respondit, putavit), vgl. Empell (2012a), S.  440 f. 48 Damit sind nicht alle Fälle des concursus causarum erfasst. Wenn jemand z. B. eine Sache, die er aufgrund eines Damnationslegats schuldet, dem Begünstigten schenkt, liegt eben-

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Sechster Abschnitt: Der erste und zweite Teil des Fragments (Fortsetzung)

teiligten unterschiedliche Vorstellungen davon, welches Kausalverhältnis der Übergabe zugrunde liegt. Dass der Empfänger des Grundstücks an eine Stipulation glaubt, ist plausibel. Denn er kennt die Stipulation; vom Legat muss er nichts wissen. Der Erbe ist damit beschäftigt, die Testamentsbestimmungen korrekt umzusetzen, sodass es für ihn naheliegt, an die Erfüllung einer Pflicht aus Legat zu glauben. Wenn festgestellt wurde, ein Dissens setze voraus, einer der Beteiligten unterliege einem error, sein Wille sei daher nicht fehlerfrei zustande gekommen,49 so kann hier von einem Irrtum eines der Beteiligten oder auch der beiden Beteiligten nicht gesprochen werden. Allenfalls lässt sich sagen, dass beide irrtümlich annehmen, der jeweils andere stelle sich die gleiche causa vor wie man selbst. Einfacher und plausibler erscheint die Annahme, der Dissens bestehe einfach darin, dass die Vorstellungen der Beteiligten inhaltlich voneinander abweichen. Es muss sich um einen versteckten Dissens handeln, andernfalls würden die Beteiligten sich verständigen und auf eine causa einigen. Einiges spricht dafür, dass der Dissens über die causa beim concursus causarum eine für Julian und die übrigen römischen Juristen neue Fallgestaltung gewesen ist: Julian hat sich, soweit ersichtlich, als erster Jurist gründlich mit dem concursus befasst.50 Die Unterscheidung zwischen lukrativen und nicht lukrativen (onerosen) causae geht wohl auf ihn zurück51 und bildet seitdem die Grundlage, auf der sich zunächst Julian selbst und später noch weitere Juristen zum concursus geäußert haben. In D. 41,1,36 nimmt Julian in der ersten Person Singular Stellung (non animadverto) – wahrscheinlich, weil der Dissens in causis keine den römischen Juristen bekannte Fallgruppe ist, zu der schon eine rechtliche Position entwickelt wurde, auf die er sich beziehen könnte. Julian betritt gewissermaßen Neuland und äußert sich daher subjektiv. Schließlich ist der zweite Teil des Fragments zu beachten, in dem Julian ein Beispiel für einen Dissens in causis gibt. Ein solches Beispiel wäre überflüssig, wenn der Dissens in causis schon allseits bekannt wäre. Diese Neuheit dürfte ein wichtiger Grund dafür sein, dass Julian überhaupt auf den Dissens in causis eingeht.

falls ein concursus vor. Sollten sich die Beteiligten im Hinblick auf den Zweck der Übergabe nicht einig sein, entsteht jedoch kein Dissens in causis im Sinne des Julian-Fragments. Denn ein Schenkungskonsens und damit eine (zweite) causa kommt nicht zustande. In einem solchen Fall liegt kein concursus vor. Das Eigentum dürfte übergehen. Denn eine causa, das Damnationslegat, ist vorhanden. 49  Zweiter Abschnitt, 6. b) und d), 7 b) und c). 50 Vgl. Pfeil (1998), S.  2,4 und 10. 51 Vgl. Schulz (1917), S.  200; Ankum (1997), S.  76; Kaser / Knütel / Lohsse (2017), S.  327 = Rn.  33.

6. Der Eigentumsübergang: bisher vertretene Auffassungen

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6. Der Eigentumsübergang: bisher vertretene Auffassungen a) Fraglich ist, ob Julian das Prinzip der kausalen Übereignung oder den Abstraktionsgrundsatz anwendet. Die Frage ist deshalb zu stellen, weil im Hinblick auf den dritten Teil des Fragments in der romanistischen Literatur die Auffassung vertreten wird, das Abstraktionsprinzip werde vorausgesetzt.52 Wäre dies zutreffend, müsste das Gleiche wohl auch für den ersten Teil gelten. Wenn eine dingliche Einigung für den Eigentumsübergang ausreichen würde, wäre ein Dissens in causis unproblematisch. Eine solche Einigung wäre gegeben; ein Dissens in causis würde nichts daran ändern. Die von Julian getroffene Feststellung, trotz eines solchen Dissenses gehe das Eigentum über, wäre trivial und überflüssig – und dies, obwohl allein schon die regelhafte, einprägsame Formulierung des ersten Teils nahelegt, dass hier ein Problem von einigem Gewicht behandelt wird. Würde eine dingliche Einigung genügen, bliebe zudem unklar, warum Julian feststellt: non animadverto, cur inefficax sit traditio. Der Nebensatz cur inefficax sit traditio scheint anzudeuten, dass die Übereignung auch unwirksam sein könnte.53 Julian sieht hier wohl eine Schwierigkeit, vielleicht sogar eine unter den römischen Juristen umstrittene Frage.54 Gerade auch die subjektive Formulierung non animadverto spricht dafür, dass ein Problem vorliegt. Die Wendung kann als Ausdruck einer autoritären Haltung verstanden werden. Julian geht auf das Problem nicht explizit ein, sondern entscheidet einfach – als ob der Eigentumsübergang fast selbstverständlich, quasi evident wäre.55 Zugleich scheint durch non animadverto jedoch eine gewisse Unsicherheit angedeutet zu werden. Wie immer non animadverto auch zu deuten sein mag: Der Eigentumsübergang muss mit einer rechtlichen Schwierigkeit verbunden sein. Andernfalls bliebe auch unklar, warum der Jurist seine Rechtsauffassung im dritten Teil des Fragments mit einer Begründung versieht.56 Julian legt jedenfalls das Prinzip der kausalen Übereignung zugrunde. b) Möglicherweise ist hier die von Schanbacher vertretene These von Bedeutung, wonach bei jeder Übereignung einer res nec mancipi neben der traditio 52 

Siebter Abschnitt, 3. b). non animadverto: Dritter Abschnitt, 1. b). 54 Vgl. Laborenz (2014), S.  37. 55  Zur Bedeutung der Evidenz als Argument bei den römischen Juristen vgl. Mayer-Maly (1974), S.  225 ff., der zum Ergebnis gelangt, dass die römischen Juristen nicht von einer bestimmten Konzeption der Evidenz ausgegangen sind (S.  231). Zu den Begriffen der Evidenz und der Intuition (mit dem Schwerpunkt auf der Intuition) unter Anknüpfung an die Darlegungen Mayer-Malys: Waldstein (2011), S.  545 ff. Gegen die Möglichkeit, dass Julian in D. 41,1,36 eine Selbstverständlichkeit feststellt: Laborenz (2014), S.  37. 56  Siebter Abschnitt. 53 Zu

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Sechster Abschnitt: Der erste und zweite Teil des Fragments (Fortsetzung)

und der causa traditionis ein zusätzliches Merkmal vorliegen muss, damit das Eigentum übergeht, nämlich eine Leistungszweckbestimmung.57 Der Tradent muss demnach mit der Übergabe den Zweck verfolgen, eine bestimmte causa umzusetzen. Weiter heißt es bei Schanbacher, dass Celsus und Julian die Leistungszweckbestimmung des Tradenten ausreichen ließen, während Javolen der Auffassung sei, dass eine Leistungszweckvereinbarung zwischen Tradent und Empfänger erforderlich sei. Wäre diese These zutreffend, würde Julian im ersten Teil des Fragments feststellen, entgegen seinem Lehrer Javolen sei eine Leistungszweckvereinbarung nicht notwendig, die Leistungszweckbestimmung des Tradenten genüge.58 Ein Dissens in causis schade also nicht. Im Folgenden wird die These Schanbachers überprüft.59 Untersucht werden zwei von ihm als Beleg angeführte Stellen, ein Paulus-Fragment und ein Text Javolens. Zunächst zu Paulus: In D. 41,1,31 pr. formuliert Paulus, folgt man Schanbacher, die Voraussetzungen einer Übereignung durch traditio am deutlichsten: Paul 31 ed D. 41,1,31 pr. Numquam nuda traditio transfert dominium, sed ita, si venditio aut aliqua iusta causa praecesserit, propter quam traditio sequeretur.60

Schanbacher stellt fest, die bloße Übergabe bewirke Paulus zufolge keinen Eigentumsübergang; eine iusta causa traditionis müsse vorangehen. Aber auch dies genüge nicht. Die traditio müsse gerade aufgrund der causa erfolgen. Dies ergebe sich aus den Verben praecesserit und sequeretur; sie bezeichneten eine Grund-Folge-Beziehung, die auch in der Wendung propter quam zum Ausdruck komme. Diese These muss kritisiert werden:61 Das Paulus-Fragment ist keine moderne Norm, in der die Voraussetzungen einer Übereignung durch traditio vollständig formuliert werden.62 Nur wenn dies der Fäll wäre, könnte geschlossen werden, dass die Leistungszweckbestimmug des Tradenten zum Eigentumsübergang erforderlich sei. Der Sinn und Zweck der Paulus-Stelle besteht jedoch in der 57  Die Begriffe der „Zweckvereinbarung“ und der „Zweckbestimmung“ gehen auf Ehmann (1968), S.  549 ff. zurück; vgl. auch ders. (2003), S.  1 ff.; Gernhuber (1994), S.  112 ff.; Schanbacher (1992a), S.  1. 58  Zur Frage, wessen Leistungszweckbestimmung maßgeblich ist: Sechster Abschnitt, 7. c). 59  Skeptisch zur These Schanbachers: Pool (2013), S.  551 Anm.  56. 60  „Niemals wird das Eigentum durch bloße Übergabe übertragen; dieses wird dann übertragen, wenn ein Verkauf oder irgendein anderer rechtlich anerkannter Erwerbsgrund vorausgegangen ist, aufgrund dessen die Übergabe erfolgte.“ 61 Vgl. Empell (2013), S.  129 f. 62  Zum Paulus-Fragment ausführlich: 5. Abschnitt, 11.

6. Der Eigentumsübergang: bisher vertretene Auffassungen

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Feststellung, dass eine traditio für den Eigentumswechsel nicht ausreicht, sondern dass eine causa hinzukommen muss. Darauf zielen die Worte sed ita: Eine causa hat vorauszugehen. Hätte Paulus eine weitere Voraussetzung formulieren wollen, hätte er diese ebenso deutlich bezeichnet wie die erste und die zweite, und etwa konstatiert, die bloße Übergabe genüge nicht, eine causa müsse vorausgehen und zusätzlich sei noch eine Bestimmung des Veräußerers darüber erforderlich, dass die Übergabe gerade aufgrund der causa erfolge. Bezeichnend ist, dass Paulus für den rechtlichen Gund der Übergabe einen eigenen Terminus – iusta causa – verwendet, diesen Begriff durch ein Beispiel – venditio – erläutert und schließlich noch betont, jede iusta causa sei geeignet, einen Eigentumswechsel herbeizuführen (aut aliqua iusta causa). So wird der causa-Begriff ansatzweise systematisch dargestellt. Dadurch wird der causa ein Gewicht verliehen, das der Wendung propter quam traditio sequeretur nicht zukommt. Aufschlussreich ist zudem, dass Paulus keinen eigenen Terminus für die Leistungszweckbestimmung verwendet, während er für die übrigen Wirksamkeitsvoraussetzungen termini technici benutzt, nämlich traditio und iusta causa. Paulus präsentiert die Leistungszweckbestimmung nicht in der gleichen Deutlichkeit und mit dem gleichen Gewicht wie die traditio und die iusta causa, weil er die Leistungszweckbestimmung nicht als Wirksamkeitsvoraussetzung qualifiziert. Schanbacher ist darin zuzustimmen, dass Paulus in der Darstellung des Sachverhalts eine Leistungszweckbestimmung bezeichnet. Dies zeigt jedoch nur, dass eine solche Zweckbestimmung in aller Regel tatsächlich vorliegt. Eine Beschreibung des Übereignungsvorgangs wäre unvollständig, wenn die Zweckbestimmung nicht angeführt werden würde. Nicht belegt wird damit jedoch, dass eine Leistungszweckbestimmung rechtlich notwendig ist, damit das Eigentum übergeht. Nun zum zweiten im Zusammenhang mit Schanbachers These bedeutsamen Fragment: Schanbacher vertritt die Auffassung, Javolen fordere eine Leistungszweckvereinbarung, wie sich aus der folgenden Stelle ergebe:63 Iav 12 epist D. 44,7,55 In omnibus rebus, quae dominium transferunt, concurrat oportet affectus ex utraque parte contrahentium: nam sive ea venditio sive donatio sive conductio sive quaelibet alia causa contrahendi fuit, nisi animus utriusque consentit, perduci ad effectum id quod inchoatur non potest.64

Schanbacher (1992a), S.  5 f. allen Geschäften, die das Eigentum übertragen, muss der Wille von jedem Teil der Abschließenden übereinstimmen. Denn sei es, dass dies Kauf, Schenkung, conductio oder 63 Vgl. 64  „In

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Sechster Abschnitt: Der erste und zweite Teil des Fragments (Fortsetzung)

An mehreren Stellen ist der Text sprachlich und inhaltlich auffällig;65 anzuführen sind zum Beispiel die Worte affectus66 sowie concurrat oportet67 und perduci ad effectum.68 Die zuletzt genannte Wendung wird von Gradenwitz als Gräzismus bezeichnet, der in den Novellen Justinians häufiger vorkomme.69 Auffällig ist zudem, dass die conductio als Beispiel für ein Rechtsgeschäft genannt wird, das eine Übereignung mit sich bringt.70 All dies hat dazu geführt, dass der überlieferte Text in der romanistischen Literatur als unecht qualifiziert wird.71 Eckardt betrachtet nur den Satz in omnibus rebus – contrahentium als authentisch.72 Gleichwohl lassen sich einige der genannten Auffälligkeiten den klassischen Juristen zuordnen. Eckardt zufolge bildet concurrat oportet möglicherweise eine Stileigentümlichkeit Javolens.73 Schanbacher konstatiert, dass sich eine perduci ad effectum ähnliche Wendung auch bei Gaius findet (Inst 4,162).74 Der gleiche Autor argumentiert, die conductio könne Javolen zufolge durchaus mit einem Eigentumsübergang verbunden sein.75 Dennoch ist unbestreitbar, dass der Text mehrere ungewöhnliche Worte und Wendungen aufweist, die ihn als „verdächtig“ erscheinen lassen. Wenn im Folgenden gleichwohl versucht wird, den Inhalt des Fragments auf der Grundlage des überlieferten Textes zu verstehen, ist dies damit zu rechtfertigen, dass hier allein der Frage nachgegangen wird, ob der Text geeignet ist, die These Schanbachers zu belegen, wonach Javolen bei der Übereignung einer res nec mancipi eine Leistungszweckvereinbarung verlangt. Die inhaltlichen Schwierigkeiten, die der Text bietet, beginnen bereits mit den ersten Worten: in omnibus rebus, quae dominium transferunt. Sind mit den „Geschäften, die das Eigentum übertragen“, Übereignungen gemeint oder Geschäfte, aufgrund derer das Eigentum übertragen wird, zum Beispiel der Kauf oder eine sonst irgendein Grund des Abschlusses gewesen ist, es kann, wenn der Wille nicht übereinstimmt, das, was begonnen wird, nicht zum Erfolg geführt werden.“ 65  Zu sprachlichen Auffälligkeiten bei Javolen allgemein vgl. Domisch (2015), S.  21 mit weiteren Nachweisen. 66 Vgl. Schanbacher (1992a), S.  5 Anm.  25. Im gleichen Text wird der Wille später als animus bezeichnet. Affectus findet sich in den Digesten eher selten; vgl. Vocabularium Iurisprudentiae Romanae 1 (1903), Sp.  203 s.v. adfectus II: animus, consilium; Heumann / Seckel (1914), S.  24 s.v. affectio, affectus 1): Wille, Absicht, Vorsatz. 67 Vgl. Schanbacher (1992a), S.  5 Anm.  25. 68 Ebd. 69 Vgl. Gradenwitz (1887), S.  300. 70 Vgl. Eckardt (1978), S.  223. 71  Vgl. ebd., S.  223 Anm.  112. 72  Vgl. ebd., S.  225. 73  Vgl. ebd., S.  224; Schanbacher (1992a), S.  5 Anm.  25. 74  Vgl. ebd., S.  6 Anm.  35. 75  Vgl. ebd., S.  6.

6. Der Eigentumsübergang: bisher vertretene Auffassungen

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andere causa?76 Nimmt man die Wendung wörtlich, spricht einiges für die erste Möglichkeit: Durch die Übereignung geht das Eigentum unmittelbar über. Wäre dies zutreffend, hätte dies Konsequenzen für das Verständnis des folgenden Satzes: concurrat oportet affectus ex utraque parte contrahentium. Der übereinstimmende Wille eines jeden der Abschließenden würde sich auf die traditio beziehen.77 Gegen diese Interpretation sind mehrere Einwände zu erheben. Zunächst einmal ist auffällig, dass das Wort traditio oder ein ähnlicher Ausdruck hier und im gesamten Fragment fehlt. Es ist somit alles andere als klar, dass Javolen die Übergabe ins Auge fasst. Fraglich ist zudem, welchen Inhalt der übereinstimmende Wille (affectus) hat: Ist die Einigkeit darüber gemeint, dass das Eigentum übergeht (dingliche Einigung),78 oder ein Konsens darüber, dass die Sache aufgrund einer bestimmten causa übergeben wird (Leistungszweckvereinbarung)?79 Darüber gibt der zitierte Satz keinen Aufschluss. Eine ausdrückliche Feststellung, die Beteiligten müssten sich einig sein, dass die Übergabe aufgrund einer causa erfolge, fehlt jedenfalls. Eine Leistungszweckvereinbarung kann also wohl nicht gemeint sein. Das Erfordernis der Übereinstimmung im Willen bezieht sich wahrscheinlich auf die (modern gesprochen) Rechtsgeschäfte, die der Übereignung zugrunde liegen. Auffällig ist das Wort contrahentium. Am nächstliegenden scheint zu sein, dass sich das Wort auf diejenigen bezieht, die das Rechtsgeschäft abschließen,80 sodass der erste Satz das der Übereignung zugrunde liegende Rechtsgeschäft betrifft. Javolen würde dann feststellen, im Hinblick auf alle Rechtsgeschäfte, die eine Übereignung ermöglichen, müsse ein Konsens der Beteiligten vorliegen.81 Eckardt (1978), S.  225. In diesem Sinne Laborenz (2014), S.  217. 78  Schanbacher (1992a), S.  6 schließt diese Interpretationsmöglichkeit explizit aus, ohne dies näher zu begründen, obwohl die abstrakten Formulierungen (affectus, animus) eine solche Deutung nahelegen, wenn man einmal unterstellt, dass sich die Stelle auf den Zeitpunkt der Übergabe bezieht. 79  In diesem Sinne Schanbacher (1992a), S.  6. Zur Frage nach dem Inhalt des Konsenses vgl. auch Laborenz (2014), S.  217. 80  Am nächstliegenden scheint zu sein, dass sich contrahentium auf Personen bezieht, die einen Vertrag schließen. Dagegen spricht jedoch, dass als Beispiel für eine causa auch die donatio angeführt wird, die nach Auffassung der klassischen Juristen nicht als Vertrag zu qualifizieren ist; vgl. Harke (2006), S.  12; ders. (2016), S.  173 = Rn.  18; Kaser / Knütel / Lohsse (2017), S.  294 = Rn.  3. Denkbar ist allerdings, dass Javolen Verträge anspricht und die donatio von den Kompilatoren eingefügt wurde, um zu betonen, dass sie nach justinianischem Recht zu den Verträgen gehört. 81  Falls sich Javolen nicht allgemein auf Rechtsgeschäfte, sondern auf Verträge beziehen sollte, wäre darin eine Definition des Vertrages als Konsens enthalten. Paricio (2011), S.  15 ff. hat gezeigt, dass die römischen Juristen unterschiedliche Vertragskonzepte vertraten. Als Erster 76 Vgl. 77 

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Sechster Abschnitt: Der erste und zweite Teil des Fragments (Fortsetzung)

Im folgenden Satz: nam sive – fuit zählt Javolen Beispiele für Rechtsgeschäfte auf, die als Grundlage für eine Übereignung in Betracht kommen. In diesem Satz fällt contrahendi ins Auge. Das gleiche Wort (contrahentium) findet sich am Ende des ersten Satzes. Wenn ein Wort innerhalb eines kurzen Textes zweimal gebraucht wird, kann vermutet werden, dass ihm jeweils die gleiche Bedeutung zukommt. Da sich contrahendi auf Rechtsgeschäfte bezieht, die als causa fungieren, dürfte auch contrahentium derartige Rechtsgeschäfte betreffen. Der Satz concurrat oportet – contrahentium behandelt also ebenfalls Rechtsgeschäfte, die als Grundlage für eine Übereignung dienen. Die Aufzählung von Beispielen ergibt zudem einen besonderen Sinn, wenn man unterstellt, dass sich das Fragment insgesamt auf Rechtsgeschäfte als causae bezieht. Javolen bildet einen Kontrast: Wenn es auch die unterschiedlichsten Rechtsgeschäfte gibt (sive ea venditio sive donatio …), lässt sich doch ein gemeinsames Merkmal aller Rechtsgeschäfte ausmachen, die zum Eigentumsübergang führen, nämlich der Konsens. In eine andere Richtung weist dagegen das letzte Wort in dem Teil des Fragments, in dem Javolen einzelne Arten von Rechtsgeschäften als Beispiele anführt: fuit. Das Tempus (Perfekt) spricht dafür, dass eine causa bereits vorliegt. Wäre dies zutreffend, würde der von Javolen angesprochene Konsens erst später zustande kommen, was darauf hinweisen würde, dass entweder eine Leistungszweckvereinbarung gemeint ist, wie Schanbacher annimmt,82 oder eine dingliche Einigung. Ist fuit vielleicht sprachlich nicht korrekt, sodass es heißen müsste est?83 Der folgende Satz: nisi animus utriusque consentit hat eine Wiederholung von concurrat oportet affectus ex utraque parte contrahentium zum Inhalt. Da sich dieser Satz auf Rechtsgeschäfte als causae bezieht, muss auch der mit nisi animus beginnende Satz solche Rechtsgeschäfte betreffen. Der letzte Satz: perduci ad effectum id quod inchoatur non potest ist aufschlussreich wegen inchoatur. Das Präsens würde nicht passen, wenn sich die Stelle auf die traditio beziehen sollte, dann wäre das Perfekt angemessen. Sinnvoll ist das Präsens dagegen, wenn die Stelle Rechtsgeschäfte betrifft, aufgrund derer das Eigentum übertragen wird: Was begonnen wird (inchoatur), ist der Abschluss eines Rechtsgeschäfts, der jedoch nicht zu einem erfolgreichen Ende geführt werden kann, falls ein Konsens fehlt (nisi animus utriusque consentit).84 Damit ist auch ausgeschlossen, dass Eigentum übertragen wird. hat Pedius den Vertrag als Konsens verstanden; Ulpian hat sich ihm angeschlossen (Ulp 4 ed D. 2,14,1,3). Auch Javolen würde dann diesem Konzept folgen. 82 Vgl. Schanbacher (1992a), S.  5 f. 83 Vgl. Lange (1930), S.  47. 84 In diesem Sinne umschreibt Hellmann (1914), S.  80 die Äußerung Javolens: „Ohne

6. Der Eigentumsübergang: bisher vertretene Auffassungen

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Zusammenfassend ist festzustellen, dass die meisten und die besseren Gründe für die Auffassung sprechen, dass sich Javolen nicht auf die traditio und damit auch nicht auf eine Leistungszweckvereinbarung bezieht, sondern auf Rechtsgeschäfte als causae traditionis. Das Tempus von fuit deutet zwar in eine andere Richtung; inchoatur zeigt aber, dass der Abschluss eines Rechtsgeschäfts dem Konsens nicht zeitlich vorausgeht, sondern dass Gleichzeitigkeit vorliegt. Selbst wenn man voraussetzt, der Ausdruck in omnibus rebus, quae dominium transferunt bezeichne Übereignungsgeschäfte, muss geltend gemacht werden, dass die Wendungen affectus ex utraque parte contrahentium und animus utriusque consentit nicht die Leistungszweckvereinbarung betreffen können, weil sich der Konsens nicht ausdrücklich auf die causa bezieht und damit gerade das Wesentliche einer solchen Vereinbarung nicht angesprochen wird.85 Trotz aller Unsicherheit im Hinblick auf die Echtheit und den Inhalt des in D. 44,7,55 überlieferten Exzerptes lässt sich daher feststellen, dass die von Schanbacher vertretene These mithilfe dieses Fragments nicht belegt werden kann. Der vom gleichen Autor angeführten Entscheidung Julians (D. 24,1,39)86 ist ebenfalls nicht zu entnehmen, dass eine Leistungszweckbestimmung rechtlich erforderlich ist.87 Auch die Ulpian-Stelle (32 Sab D. 24,1,3,12) ist ungeeignet, die These Schanbachers zu stützen.88 c) Dieses Ergebnis ist nicht weiter erstaunlich: Kommt es zur Übereignung einer res nec mancipi durch traditio, wird eine Leistungszweckvereinbarung in aller Regel tatsächlich vorliegen. Für die römischen Juristen ist es deshalb nicht erforderlich, der Frage nachzugehen, ob eine solche Vereinbarung rechtlich von Bedeutung ist und welche Bedeutung ihr möglicherweise zukommt. Aus dem gleichen Grund ist eine Leistungszweckbestimmung durch den Tradenten rechtlich nicht notwendig.89 Indem Julian feststellt, trotz eines Dissenses in causis gehe das Eigentum über, wendet er sich also nicht gegen eine von Javolen (oder auch von anderen Juristen)

Konsens der Vertragsschließenden kann ein Kontrakt nicht zur Wirkung gelangen (ad effectum perduci).“ 85  Nicht auszuschließen ist allerdings die Möglichkeit, dass Javolen unmittelbar zuvor von einem Konsens über die causa gesprochen hat, sodass der Bezug auf die causa im überlieferten Text selbstverständlich ist. 86 Vgl. Schanbacher (1992a), S.  9 ff. 87  Zur Interpretation dieser Stelle: Fünfter Abschnitt, 10. 88  Zu Schanbachers Auslegung von D. 24,1,3,12 vgl. Empell (2013), S.  128 ff. 89  In diesem Sinne stellen Kaser / Knütel / Lohsse (2017), S.  147 = Rn.  11 fest, um das Eigentum zu übertragen, müsse die Übergabe selbstredend auf die causa bezogen sein; doch hätten die römischen Juristen eine Zweckbestimmung nicht als eigenen, isolierbaren Bestandteil des Geschäfts herausgearbeitet.

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Sechster Abschnitt: Der erste und zweite Teil des Fragments (Fortsetzung)

vertretene Auffassung, wonach eine Leistungszweckvereinbarung für die Übereignung einer res nec mancipi durch traditio erforderlich ist.

7. Der Eigentumsübergang (Fortsetzung): die eigene Auffassung a) Auf den ersten Blick scheint die Rechtsansicht Julians leicht verständlich zu sein: Der Jurist bezieht sich stillschweigend auf die drei traditionellen Voraussetzungen für eine wirksame Übereignung: die Verfügungsbefugnis des Veräußerers, die Übergabe (traditio) und eine iusta causa traditionis. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt,90 sodass einem Eigentumsübergang nichts im Wege steht.91 Bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass der vorliegende Fall mit einer besonderen Schwierigkeit verbunden sein muss. Andernfalls hätte Julian den Fall nicht eigens behandelt und seine Entscheidung publiziert. Wenn er schreibt non animadverto, cur inefficax sit traditio, zeigt dies: Julian zieht die Möglichkeit in Betracht, dass der Eigentumsübergang scheitert. Worin besteht das Problem? b) Die Schwierigkeit ergibt sich daraus, dass Eigentum immer nur aufgrund einer einzigen causa übertragen werden kann. Da hier zwei causae vorliegen und sogar ein Dissens darüber besteht, aufgrund welcher causa das Eigentum übergehen soll, ist die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass der Eigentumsübergang scheitert. Dass Eigentum nur aufgrund einer einzigen causa übertragen werden kann, wird im Folgenden begründet. Zunächst wird gezeigt, dass die römischen Juristen der Auffassung sind, Eigentum könne man nur aufgrund eines einzigen Erwerbsgrundes haben. Sodann wird deutlich gemacht, dass Eigentum nur aufgrund eines einzigen Erwerbsgrundes durch Tradition übertragen werden kann. Als Beleg dafür, dass man Eigentum nur aufgrund eines einzigen Rechtsgrundes haben kann, ist Paulus anzuführen: Paul 70 ed D. 50,17,159 Non ut ex pluribus causis deberi nobis idem potest, ita ex pluribus causis idem possit nostrum esse.92

90  Die

Verfügungsbefugnis des Veräußerers wird von Julian stillschweigend als selbstverständlich vorausgesetzt. 91  Eine Besonderheit besteht allerdings darin, dass nicht nur eine einzige causa vorliegt, sondern zwei Kausalverhältnisse gegeben sind. 92  „Es kann nicht etwas aus mehreren Gründen unser Eigentum sein, so wie uns etwas aus mehreren Gründen geschuldet sein kann.“

7. Der Eigentumsübergang (Fortsetzung): die eigene Auffassung

187

Eine Sache kann zwar aus mehreren Gründen geschuldet sein (concursus causarum), man kann aber nicht aus mehreren Gründen Eigentum daran haben.93 Wenn es ausgeschlossen ist, eine Sache aus zwei Rechtsgründen zu haben, ist es konsequent, jede Übertragung auszuschließen, die zu einer solchen rechtlichen Situation führt. Zwei Möglichkeiten bestehen: Entweder soll jemand, der bereits Eigentümer ist, das Eigentum ein weiteres Mal, aus einem zweiten Grund, erwerben oder die Übertragung beruht von vornherein auf zwei Gründen. Den ersten Fall behandelt Gaius in seinen Institutionen (Inst 4,4), wo es heißt, was einem gehört, könne einem nicht noch einmal gegeben werden (nec enim, quod nostrum est, nobis dari potest).94 Der Grund wird in Gai Inst 4,4 angedeutet: nec res, quae , nostra amplius fieri potest.95 Das quiritische Eigentum ist das volle Recht an einer Sache; mehr als ein solches Recht kann niemand haben. Ausgeschlossen muss daher auch eine Übertragung sein, die von vornherein auf zwei Rechtsgründen beruht. Andernfalls wäre das Ergebnis das Gleiche wie bei Gaius: Der Empfänger würde mehr als das volle Recht haben. c) Da im vorliegenden Fall zwei Rechtsgründe vorliegen, ist zu fragen, warum Julian entscheidet, das Eigentum gehe über. Der Jurist zieht die Möglichkeit, dass der Eigentumsübergang scheitert, durchaus in Betracht, wenn er schreibt: non animadverto, cur inefficax sit traditio. Die Übereignung würde fehlschlagen, wenn ein Konsens über die causa erforderlich wäre. Julian schließt diese Möglichkeit jedoch aus. Damit es zum Eigentumsübergang kommt, muss eine Auswahl aus den beiden vorliegenden causae getroffen werden. Entscheidend kann nur sein, wessen Vorstellung von der causa maßgeblich ist – die Vorstellung des Schuldners oder die des Gläubigers. Der Schuldner wird von seiner Leistungspflicht frei, indem er die geschuldete Leistung „in Tilgungsabsicht“,96 das heißt in der Absicht erbringt, eine bestimmte Pflicht zu erfüllen und damit die Pflicht zum Erlöschen zu bringen (solutio). Der Schuldner ist es, der durch seine Leistung und die damit verbundene Zweckbestimmung die Erfüllung herbeiführt. Im vorliegenden Fall dürfte dies nicht nur (modern gesprochen) schuldrechtlich, sondern auch sachenrechtlich von Bedeutung sein. Beim concursus causarum ist es der Schuldner, 93  Ähnlich Paul 54 ed D. 41,2,3,4; Paul 70 ed D. 44,2,14,2. Zu D. 41,2,3,4 vgl. Mayer-Maly (1962), S.  131; Pool (1995), S.  1 ff., 143 ff. 94  „Denn weder kann das, was einem gehört, einem gegeben werden.“ Ähnlich später in den justinianischen Institutionen 2,20,10: quod proprium est ipsius, amplius eius fieri non potest („weil das, was jemandem gehört, nicht noch einmal sein Eigentum werden kann“). 95  „noch kann eine Sache, die , noch mehr in dessen Eigentum übergehen.“ 96  Emunds (2007), S.  50 ff. mit weiteren Nachweisen S.  50 Anm.  2. Als Beleg führt Emunds S.  50 Gai Inst 3,91 an: is, qui solvendo animo dat.

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Sechster Abschnitt: Der erste und zweite Teil des Fragments (Fortsetzung)

der festlegt, welche causa darüber entscheidet, dass das Eigentum übergeht. Julian setzt also voraus, dass die Leistungszweckbestimmung des Tradenten maßgeblich ist. d) Nun ist die Frage beantwortet, warum Julian feststellt, dass ein Dissens über die causa unschädlich ist: Obwohl die Übereignung nur aufgrund einer einzigen causa möglich ist und im vorliegenden Fall ein Konsens darüber fehlt, welche causa die Grundlage der Übereignung bildet, kommt der Eigentumsübergang zustande: Die Leistungszweckbestimmung des Tradenten entscheidet darüber, welche der beiden causae für den Eigentumsübergang sorgt. Die von Julian vermittelte Botschaft lautet: Im Fall eines Dissenses in causis sind die drei herkömmlichen Voraussetzungen für die Übereignung einer res nec mancipi durch traditio erfüllt: Eine causa liegt vor, ebenso die Übergabe (quod traditur), die Verfügungsbefugnis wird stillschweigend unterstellt. Ein Dissens in causis steht dem Eigentumsübergang somit nicht entgegen. e) Eine Besonderheit des von Julian entschiedenen Falles besteht darin, dass die Leistungszweckbestimmung des Tradenten rechtlich von Bedeutung ist. Im Zusammenhang mit dem concursus causarum handelt es sich dabei nicht um einen Einzelfall. Um dies an einem einfachen, hier bereits zitierten Beispiel zu demonstrieren:97 Iul 33 dig D. 44,7,17 Omnes debitores, qui speciem ex causa lucrativa debent, liberantur, cum ea species ex causa lucrativa ad creditores pervenisset.98

Der Schuldner ist seinem Gläubiger aufgrund einer lukrativen causa A und einer ebenfalls lukrativen causa B verpflichtet.99 Wird die Sache aufgrund der causa B übereignet, erlischt die entsprechende Forderung des Gläubigers (durch solutio). Die Forderung aus der causa A erlischt Julian zufolge ebenfalls. Der Grund könnte darin bestehen, dass mit Erfüllung der Pflicht aus causa B auch der Zweck der causa A erreicht ist.100 Bezeichnen die Worte ex causa in dem Satz ex causa lucrativa ad creditores pervenisset einen Konsens über den Leistungszweck? Folgt man der Auffassung Julians (D. 41,1,36), muss die Frage verneint werden: Allein die Zweckbestimmung des Tradenten ist entscheidend. 97 

Vgl. bereits: Sechster Abschnitt, 5. f). „Alle Schuldner, die einen bestimmten Gegenstand aus einem lukrativen Grund schulden, werden von ihrer Verbindlichkeit frei, wenn derselbe Gegenstand aus einem lukrativen Grund an die Gläubiger gelangt ist.“ 99  Zum Folgenden vgl. Pfeil (1998), S.  10 ff.; Wimmer (2001), S.  203. 100 Vgl. Pfeil (1998), S.  11 f. Zu den unterschiedlichen Auffassungen darüber, warum bei einem lukrativen concursus causarum nicht nur die erfüllte Forderung erlischt, sondern auch die andere, vgl. Wimmer (2001), S.  203 f. Anm.  4. 98 

8. Zur praktischen Bedeutung der von Julian entschiedenen Fälle

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Die Wendung ex causa wird im Recht zum concursus causarum häufig gebraucht. In derartigen Fällen kann ein Dissens in causis auftreten, der jedoch den Eigentumsübergang nicht verhindert (D. 41,1,36). Auf diese Fälle kann hier jedoch nicht weiter eingegangen werden. f) Um die Überlegungen zum Dissens in causis abzuschließen, sind noch zwei Bemerkungen zum Begriff der Leistungszweckbestimmung angebracht. Erstens: Wenn hier die Auffassung vertreten wird, dass die Leistungszweckbestimmung des Tradenten beim concursus causarum über die Auswahl der causa entscheidet, bedeutet dies nicht, dass die Zweckbestimmung eine eigenständige Voraussetzung für die Wirksamkeit der Übereignung bildet, wie Schanbacher dies im Hinblick auf alle Übereignungen von res nec mancipi durch traditio annimmt.101 Im Zusammenhang mit einem Dissens in causis ist die Leistungszweckbestimmung lediglich ein Hilfsmittel zur Festlegung der causa. Darüber hinaus kommt ihr Julian zufolge keine rechtliche Bedeutung zu. Zweitens: Zu klären bleibt das Verhältnis zwischen den Begriffen der solutio und der Leistungszweckbestimmung. Wie bereits festgestellt,102 besteht die solutio darin, dass der Schuldner die geschuldete Leistung in Erfüllungsabsicht erbringt.103 Es lässt sich argumentieren: Die Absicht, eine Pflicht zu erfüllen und dadurch zu tilgen, ist mit einer Leistungszweckbestimmung praktisch identisch. Folgt daraus nicht notwendig, dass eine solche Zweckbestimmung erforderlich ist, falls eine Übereignung zwecks Pflichterfüllung vorgenommen wird? Um die Frage zu beantworten, ist (modern gesprochen) zwischen der schuld- und der sachenrechtlichen Ebene zu unterscheiden. Die Erfüllungsabsicht ist erforderlich, damit die Pflicht erlischt. Die Übereignung ist unabhängig davon wirksam, obeine Leistungszweckbestimmung des Tradenten vorliegt.104 Bei einem Dissens über die causa entscheidet die Leistungszweckbestimmung des Tradenten darüber, welche causa maßgeblich ist.

8. Zur praktischen Bedeutung der von Julian entschiedenen Fälle a) In der romanistischen Literatur wird, soweit ersichtlich, kaum erörtert, warum Julian den von ihm dargestellten Fall als Beispiel für einen Dissens in causis ge101 

Sechster Abschnitt, 6. b). Dritter Abschnitt, 3. b); Fünfter Abschnitt, 2. b). 103  Emunds (2007), S.  50 ff. mit weiteren Nachweisen S.  50 Anm.  2. Als Beleg führt Emunds S.  50 Gai Inst 3,91 an: is, qui solvendo animo dat. 104  Wird eine Sache übereignet, ohne dass eine Pflicht vorliegt, z. B. bei mutuum und Schenkung, fehlt die solutio. Die causa besteht in einer Leistungszweckvereinbarung; darüber hinaus hat eine solche Vereinbarung keine eigenständige Bedeutung. 102 

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Sechster Abschnitt: Der erste und zweite Teil des Fragments (Fortsetzung)

wählt hat.105 Voci kennzeichnet den Fall immerhin als „un esempio così prezioso“106. Liegt hier wirklich ein ausgesucht seltener, vielleicht sogar konstruierter Fall vor? Warum, so ist weiter zu fragen, wird gerade ein fundus übereignet? Im Hinblick auf den Gegenstand des Legats und der Stipulation, den fundus, ist zunächst festzuhalten, dass der fundus der wichtigste Gegenstand der römischen Wirtschaft war.107 Aufschlussreich ist zudem, dass sich die Regelungen zum Legat in D. 30–32 häufig auf Grundstücke oder Sklaven beziehen, sofern überhaupt ein spezifischer Gegenstand genannt wird.108 Dies gilt auch für die überlieferten Fragmente Julians zum concursus causarum.109 Scaevola behandelt ein Vermächtnis, das sich auf ein Provinzialgrundstück bezieht.110 Der Beispielsfall folgt somit einem Muster, das auch sonst im Legatsrecht zu finden ist. Dieses Muster könnte darin begründet sein, dass Legate ursprünglich dem Zweck dienten, nahestehende Personen zu versorgen.111 Später wurden damit auch andere Zwecke verfolgt, sodass eine „Luxusgesetzgebung“ eingreifen musste, um die Zulässigkeit von Legaten einzuschränken.112 Legate, die sich auf Sklaven Behrends (1998), S.  58 f. Anm.  40 macht Folgendes geltend: Nach dem Tod des pater familias waren die Erben zu (regelmäßigen und kostspieligen) Kulthandlungen (sacra) verpflichtet. Man folgte dabei dem Grundsatz, dass zu sacra verpflichtet war, wer das Vermögen erhielt. Wenn einem Legatar mehr vermacht worden war, als alle Erben zusammen erhielten, war dieser zu den Kulthandungen verpflichtet. Der Legatar hatte jedoch die Möglichkeit, der Pflicht auszuweichen: Er konnte die Erben von ihrer Pflicht befreien (nexi liberatio, auch solutio per aes et libram genannt) und sich von ihnen durch Stipulation versprechen lassen, was ihm ursprünglich als Legat zugedacht war. Davon berichtet (kritisch) Cicero in De legibus 2,21,53; vgl. Cicero (1994), S.  128 ff.; vgl. auch Bruck (1954), S.  26 ff.; Avenarius (2012a), S.  59 ff. Folgt man Behrends, so bezieht sich Julian wahrscheinlich auf einen derartigen Fall. Dem muss widersprochen werden: Zu einer Stipulation zwischen Erben und Legatar kam es nur, wenn die Erben vom Legat befreit worden waren. Ein concursus causarum, wie er von Julian vorausgesetzt wird, lag nicht vor. 106  Voci (1952), S.  145. Er ist der Auffassung, die Stelle sei interpoliert: Julian habe sich im ersten und zweiten Teil des Fragments nicht auf die traditio, sondern auf die mancipatio bezogen. Beziehe man die Stelle auf die traditio, sei das Beispiel allzu gewählt ausgefallen. 107 Vgl. Stagl (2017), S.  147 f. 108  Das Gleiche gilt für Gai Inst 2,192 ff. 109  Vgl. Iul 33 dig D. 30,84,5 (Sklave); vgl. Pfeil (1998), S.  70 ff.; Iul 52 dig D. 45,1,56,7 (Grundstück); vgl. Pfeil (1998), S.  157 ff.; Iul 33 dig D. 44,7,17 (unspezifisch); vgl. Pfeil (1998), S.  10 ff. 110  Vgl. Scaev 16 dig D. 32,101 pr.; vgl. Schanbacher (2007), S.  31. 111 Vgl. Kaser (1971), S.  641; Kaser / Knütel / Lohsse (2017), S.  429 = Rn.  2; S.  421 = Rn.  23. Babusiaux (2015), S.  235 zählt in den Titeln von D. 33 und 34 genannte Legatsgegenstände auf, zum Beispiel: alljährliche Leistungen, Gebrauchsrecht, Nießbrauch, Ertrag, Wohnung und Arbeitsleistung, Dienstbarkeit, Mitgift, Getreide, Wein und Öl – alles Gegenstände, die geeignet sind, zur Versorgung einer bedachten Person beizutragen. 112 Vgl. Kaser / Knütel / Lohsse (2017), S.  429 = Rn.  2; Babusiaux (2015), S.  253 ff. 105 

8. Zur praktischen Bedeutung der von Julian entschiedenen Fälle

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oder Grundstücke bezogen, waren gut geeignet, der Versorgung des Begünstigten zu dienen – dies insbesondere dann, wenn der fundus, wie wohl hier, ein Landgut war.113 Was die im Beispielsfall vorausgesetzte Stipulation angeht, so konstatiert Schulz zum concursus-Recht ganz allgemein, es sei „stets eine stipulatio ex causa onerosa gemeint, wenn nicht das Gegenteil ausdrücklich hervorgehoben wird“; alles andere sei willkürlich.114 Michel ist dagegen der Auffassung, im Zweifel werde eine unentgeltliche Stipulation vorausgesetzt.115 Pfeil kritisiert Schulz; die Annahme einer causa onerosa sei willkürlich.116 Was den zweiten Teil von D. 41,1,36 betrifft, so ist diese Kontroverse rechtlich ohne Bedeutung. Unabhängig davon, ob die im Beispielsfall vorausgesetzte Stipulation unentgeltlich ist, kann ein Dissens in causis den Eigentumsübergang nicht verhindern. b) Um die weitere Frage zu bentworten, ob dem Beispielsfall ein tatsächlicher oder ein hypothetischer Sachverhalt zugrunde liegt, so ist zu untersuchen, unter welchen Umständen ein Fall auftreten kann, bei dem ein Legat und eine Stipulation als Kausalverhältnisse zugleich vorliegen. Möglicherweise ist die Stipulation auf Anordnung des Prätors zustande gekommen, um die Erfüllung eines aufschiebend bedingten oder befristeten Damnationslegats zu sichern (cautio legatorum servandorum causa).117 Stipulationen, die einem solchen Sicherungszweck dienen, werden auch außergerichtlich und freiwillig vorgenommen.118 Im Verhältnis zu der durch das Legat begründeten Pflicht wirkt die Stipulation kumulativ.119 So kommt es zu einem concursus causarum. Der Beispielsfall könnte aber auch auf einem Versehen beruhen: Der Erbe hat ein aus vielen einzelnen Bestimmungen zusammengesetztes Testament zu befolgen, verliert dabei das Legat aus dem Blick und verspricht das vermachte Grundstück durch Stipulation. Vielleicht ist das Legat auch in einem Kodizill enthalten, das erst nach der Stipulation gefunden wird. Die beiden Möglichkeiten wirken nicht völlig unrealistisch. Das von Julian beschriebene Beispiel dürfte also wohl nicht bloß hypothetisch sein – sofern man den als Beispiel vorausgesetzten Sachverhalt unabhängig vom Dissens in causis betrachtet. Weniger realistisch erscheint dagegen der Fall, dass zusätzlich noch 113 

Vierter Abschnitt, 1. Schulz (1917), S.  147; vgl. auch ebd., S.  136 Anm.  2. Schulz bezieht sich auf Sell (1839), S.  102, der in Bezug auf Iul 52 dig D. 45,1,56,7 der Ansicht war, Julian setze Stipulationen ex causa lucrativa voraus. 115 Vgl. Michel (1962), S.  466. 116 Vgl. Pfeil (1998), S.  159. 117 Vgl. Kaser / Hackl (1996), S.  431; Finkenauer (2009), S.  348 ff.; ders. (2010), S.  300 ff.; Babusiaux (2015), S.  259 ff. 118 Vgl. Finkenauer (2009), S.  336; ders. (2010), S.  211 Anm.  5. 119 Vgl. Wacke (1972), S.  236 f. 114 

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Sechster Abschnitt: Der erste und zweite Teil des Fragments (Fortsetzung)

ein Dissens auftritt. Deshalb erscheint auch der im ersten Teil des Fragments behandelte Dissens in causis als ein eher unrealistischer Fall.

9. Ergebnisse Im ersten Teil des Fragments setzt Julian einen zweistufigen Sachverhalt voraus: Zunächst entstehen zwei Verpflichtungsgründe im Hinblick auf die gleiche Sache, eine species; es liegt also ein concursus causarum vor. Später wird die Sache zum Zweck der Übereignung tradiert. Dabei kommt es zu einem Dissens darüber, aufgrund welcher causa die Sache übergeben wird. Die Frage, ob ein solcher Dissens dem Eigentumsübergang entgegensteht, wird von Julian verneint, sofern nur ein Konsens über die Sache selbst (in corpore) besteht. Das Eigentum geht über, weil die traditionellen Voraussetzungen für den Eigentumsübergang erfüllt sind: Die Verfügungsbefugnis des Tradenten, die Besitzverschaffung und eine causa sind gegeben. Im vorliegenden Fall sind es sogar zwei causae. Da das Eigentum nur aufgrund einer einzigen causa übertragen werden kann, ist bei einem Dissens in causis derjenige Rechtsgrund maßgeblich, den sich der Tradent vorstellt. Ein Konsens über die causa ist nicht erforderlich; ein Dissens ist daher unschädlich. Die Untersuchung der beiden ersten Teile von D. 41,1,36 ist hiermit abgeschlossen. Im Folgenden wird der dritte und letzte Teil des Julian-Fragments behandelt.

Siebter Abschnitt

Der dritte Teil des Fragments: nam et si – dissenserimus 1. Text und Paraphrase a) Der dritte Teil des Julian-Textes lautet: nam et si pecuniam numeratam tibi tradam donandi gratia, tu eam quasi creditam accipias, constat proprietatem ad te transire nec impedimento esse, quod circa causam dandi atque accipiendi dissenserimus.1

Ego zahlt Tu Geld. Der in den Quellen häufig zu findende Ausdruck pecunia numerata bezeichnet Bargeld.2 Ego gibt das Geld, um es Tu zu schenken; dieser glaubt jedoch, ein Darlehen zu erhalten: quasi creditam accipias. Die Wendung bedeutet: Nach der irrigen Vorstellung des Empfängers will ihm der Zahlende das Geld als Kredit geben.3 Es liegt ein unbewusster Dissens vor.4 Wäre der 1 

„Denn auch, wenn ich dir Geld in Schenkungsabsicht übergebe, du es aber wie ein Darlehen annimmst, steht fest, dass das Eigentum übergeht und kein Hindernis darin besteht, dass wir über den Grund des Gebens und Nehmens uneins gewesen sind.“ 2  Numerare bedeutet sowohl „zahlen“ als auch „zählen“. Pecunia numerata lässt sich daher übesetzen mit „gezahltes Geld“ oder „abgezähltes Geld“ oder „Bargeld“, wobei der Begriff „Bargeld“ im Gegensatz zum bargeldlosen Zahlungsverkehr steht, dem sogenannten Kreditgeld, z. B. in Form von Schuldscheinen; vgl. Bange (2014). Nach Hasler (1980), S.  27 lautet die Bezeichnung für „Geld“ in Inst 3,90 und an den meisten anderen Stellen pecunia numerata. Dagegen lautet eine Übersetzung von pecuniam numeratam in Gai Inst 2,196 „abgezähltes Geld“ im Unterschied zu Geld, dessen Betrag nicht genau feststeht; Manthe (2010), S.  185. In dem hier untersuchten Julian-Fragment hat der Unterschied zwischen Bargeld und abgezähltem Geld keine Bedeutung: Es ist klar, dass Ego Bargeld zahlt (pecuniam … tradam). Otto / Schilling / Sintenis 4 (1832), S.  264 übersetzen dementsprechend: „baares Geld“. Das Geld ist aber auch abgezählt. Denn wenn der Betrag nicht für die beiden Beteiligten feststünde, könnte Tu das Geld nicht als Darlehen auffassen; vgl. Kunze (2006), S.  5. 3  In diesem Sinne auch Kerber (1970), S.  73; zu quasi allgemein: Heumann / Seckel (1914), S.  485, s.v. quasi 3): „in der wirklichen oder vermeintlichen Eigenschaft als“; Schwarz (1952), S.  76 Anm.  10; Hackl (1999), S.  117 ff.; Baldus (2007 / 2008), S.  101 Anm.  46; ders. (2012b), S.  23 Anm.  75; zur Etymologie: Kerber (1970), S.  6 ff.; ältere Literatur zu quasi bei Wesener (1973), S.  1387 ff. 4  Der Dissens im Darlehens-Schenkungs-Fall ist dem Dissens in negotio verwandt: Ulp 28 Sab D. 18,1,9 pr.; vgl. auch Harke (2005a), S.  23, 26, 352. Im vorliegenden Fall liegt allerdings kein Dissens in negotio vor, weil die donatio kein Vertrag und überhaupt kein Rechtsgeschäft

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Siebter Abschnitt: Der dritte Teil des Fragments: nam et si – dissenserimus

Dissens offen, würden sich die Beteiligten auf einen Rechtsgrund einigen. Gelänge dies nicht, würde die Zahlung unterbleiben.5 Trotz des Dissenses geht das Eigentum am Geld über.6 b) Dem dritten Teil des Julian-Fragments kommt eine besondere Bedeutung zu – aus zwei Gründen: Die darin enthaltene Rechtsauffassung verdient schon für sich genommen große Aufmerksamkeit – vor allem, weil Ulpian in der gleichen Frage Julian widerspricht (D. 12,1,18 pr.). Wichtig ist zudem die Funktion, die der Rechtsansicht im Rahmen des Julian-Textes zukommt: Sie dient zur Begründung der Regel (Teil 1 des Fragments), wie sich aus der Wendung nam et si ergibt.

2. Zur Echtheit des Textes a) Wolf und Bund sind der Aufassung, constat – fin sei unecht.7 Julian unterstelle, wie D. 12,1,18 pr. zu entnehmen sei, ein Darlehen als causa; demnach sei die Begründung des Eigentumsübergangs, wie sie in constat – fin enthalten sei, unecht. Wolf und Bund scheinen vorauszusetzen, dass ein Darlehen als causa und ein Dissens über den Leistungszweck, wie er in dem mit constat beginnenden Teil des Julian-Fragments beschrieben wird, nicht gleichzeitig vorliegen könne. b) Die Frage, ob Julian ein Darlehen unterstellt, ist zwar noch zu klären. Aber selbst wenn dies der Fall sein sollte, wäre nicht ausgeschlossen, dass ein Dissens über die causa vorliegt, der verdächtigte Teil des Fragments also echt ist. Sollte Julian nämlich ein mutuum von Rechts wegen fingieren, läge eine causa vor; zugleich könnte ein tatsächlicher Dissens über den Leistungszweck bestehen. Es darf also vorausgesetzt werden, dass der dritte Teil des Julian-Fragments echt ist, wenn nicht noch Indizien sichtbar werden, die gegen die Echtheit sprechen.

(negotium) ist, sondern lediglich eine causa traditionis bildet; vgl. Harke (2006), S.  11 f.; ders. (2016), S.  173 = Rn.  18; Kaser / Knütel / Lohsse (2017), S.  294 = Rn.  3. 5  Deshalb kann der von Bremkamp (2008), S.  47 f. vertretenen These, die Möglichkeit eines Dissenses über den Verpflichtungsgrund setze denknotwendig zunächst einen Einigungsversuch der Vertragsparteien voraus, nicht zugestimmt werden. 6  Winkler (2015), S.  205 Anm.  237 weist darauf hin, dass impedimentum sowohl ein faktisches als auch ein rechtliches Hindernis bezeichnen kann. 7 Vgl. Wolf (1961), S.  109, 110 Anm.  79; zustimmend Bund (1965), S.  190 [211]. Eine Interpolation nimmt auch Kaser (1961b), S.  226 Anm.  192 an.

3. Zur Diskussion über den Grund für den Eigentumswechsel

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3. Zur Diskussion über den Grund für den Eigentumswechsel a) Die Rechtsansicht Julians im Darlehens-Schenkungs-Fall ist erstaunlich: Ein Darlehen und eine Schenkung kommen nur zustande, wenn ein entsprechender Konsens vorliegt. Ein Dissens führt dazu, dass eine causa fehlt und die Übereignung misslingt. Obwohl im vorliegenden Fall – zumindest dem ersten Anschein nach – weder ein Darlehens- noch ein Schenkungskonsens und damit auch keine causa gegeben ist, geht das Eigentum über. Der problematische Charakter der Rechtsansicht wird noch dadurch betont, dass Julian das Wort constat verwendet. Indem der Jurist die Richtigkeit dieser Auffassung unterstreicht, setzt er möglicherweise voraus, dass auch die gegenteilige Auffassung vertreten wird, wonach die Übereignung scheitert. In der romanistischen Literatur ist in Bezug auf Gaius umstritten, ob dieser das Wort constat verwendet, um eine Kontroverse anzudeuten oder um eine außer Diskussion stehende Position zu bezeichnen.8 Ob auch Julian auf eine Kontroverse hinweist, sei dahingestellt. Zumindest geht er davon aus, dass seine Rechtsansicht nicht selbstverständlich, sondern problematisch ist; andernfalls wäre constat überflüssig.9 Der Interpret steht vor einer doppelten Aufgabe: Zum einen ist zu untersuchen, aus welchem Grund oder zu welchem Zweck Julian von dem zu erwartenden Ergebnis, dem Scheitern der Übereignung, abweicht. Zum anderen sollte geklärt werden, welche juristische Konstruktion der Jurist als Mittel einsetzt, um dieses Ziel zu erreichen. In der romanistischen Literatur beschränkt man sich meistens darauf, der (zweiten) Frage nachzugehen, wie der Eigentumsübergang rechtlich bewerkstelligt wird. Zunächst werden die Auffassungen gewürdigt, die in der romanistischen Literatur vertreten werden, um die Frage zu beantworten, welches juristische Mittel Julian gebraucht, damit das Eigentum übergehen kann. Die Erörterung dieser Frage bildet den weitaus größten Teil der in der Literatur geZu Gai Inst 2,199 vgl. einerseits Wieacker (1960), S.  290 (wonach sich Gaius auf eine abweichende Meinung Julians bezieht, die Gaius mit Entschiedenheit als erledigt betrachtet); andererseits Albanese (1991), S.  33 („un punto di diritto assolutamente incontroverso“). Bemerkenswert ist eine Kontroverse zwischen Daube und Flume: Daube (1959b), S.  65 konstatiert in Bezug auf Gai 2 rer cott D. 41,1,5,5 (nam et apes idem faciunt, quarum constat feram esse naturam; „denn auch die Bienen tun dasselbe, deren wilde Natur feststeht“): „constat opposes an agreed point to a controversial one“. Gaius verwendet demnach constat, um eine von ihm getroffene Entscheidung von einer umstrittenen Entscheidung in einem ähnlichen Fall abzugrenzen und die eigene Entscheidung als sicher darzustellen. Ähnlich ders. (1959c), S.  21 im Hinblick auf Gai 10 ed prov D. 18,1,35,1. Dagegen stellt Flume (1962), S.  8 fest, Gaius beziehe sich in D. 41,1,5,5 nicht auf eine Kontroverse, sondern spreche etwaige Zweifel des Schülers an, die er im Folgenden (durch einleuchtende Beispiele) zu überwinden versuche; zustimmend: Frier (1983), S.  109 Anm.  22. 9  Zur Bedeutung von constat ausführlich: Siebter Abschnitt, 8. h). 8 

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Siebter Abschnitt: Der dritte Teil des Fragments: nam et si – dissenserimus

führten Diskussion; deshalb steht sie auch im Zentrum der folgenden Darlegungen. Anschließend wird eine eigene Position entwickelt. b) Zunächst zur Auffassung, Julian wende das Abstraktionsprinzip an: Das Eigentum gehe über, so heißt es, weil sich die Beteiligten darin einig seien, dass überhaupt Eigentum übertragen werden solle, also eine dingliche Einigung vorliege.10 Die Möglichkeit, dass Julian den Abstraktionsgrundsatz nicht nur im Darlehens-Schenkungs-Fall, sondern durchgehend zugrunde legt, ist ausgeschlossen. Denn im ersten und zweiten Teil des Fragments setzt Julian den Kausalitätsgrundsatz voraus. Ausgeschlossen ist ferner, dass Julian das Kausalitätsprinzip zwar grundsätzlich anerkennt, im vorliegenden Fall aber eine Ausnahme zulässt, weil ein Konsens über den Eigentumsübergang vorliegt. Denn es besteht ein enger Zusammenhang zwischen dem ersten und zweiten Teil der Stelle einerseits und dem dritten Teil andererseits: Der dritte Teil dient zur Begründung des ersten.11 Da in den beiden ersten Teilen der Kausalitätsgrundsatz gilt, kann im dritten Teil keine Ausnahme davon erlaubt sein. Julian wendet das Kausalitätsprinzip somit ausnahmslos an. Zum gleichen Ergebnis führt der (später noch zu behandelnde) Ulpian-Text D. 12,1,18 pr., der sich ebenfalls auf den Darlehens-SchenkungsFall bezieht. Ulpian teilt darin mit, Julian sei der Auffassung, dass eine Schenkung nicht gegeben ist.12 Julian fragt also, ob eine donatio vorliegt, und formuliert eine negative Antwort. Frage und Antwort haben nur Sinn, wenn Julian eine causa voraussetzt.

4. Zur Diskussion über den Grund für den Eigentumswechsel (Fortsetzung) a) Folgt man einer zweiten Gruppe von Auffassungen, so wird das Eigentum übertragen, weil die Zahlung auf einer causa beruht – einem Darlehen oder einer Schenkung. Was das Darlehen als causa betrifft, so lassen sich zwei Ansichten

Savigny (1841 / 1973), S.  159 f.; Honsell / Mayer-Maly / Selb (1987), S.  159; Schermaier (1998b), S.  255 f.; Laborenz (2014), S.  51 ff.; Wacke (2018), S.  377 Anm.  70. Manthe (2019), S.  98 f. stellt fest, Savigny lasse eine Einigung über den Eigentumsübergang genügen; „in der Tat konnte er seine Ansicht auf Digesta 41,1,36 stützen“ (ebd., S.  99). Als Interpretationsmöglichkeit wird dies auch von Apathy / Klingenberg / Pennitz (2012), S.  123 und Kaser / Knütel / Lohsse (2017), S.  148 = Rn.  12 gesehen. 11  Erster Abschnitt, 2. a) und b); Siebter Abschnitt, 10. 12  Achter Abschnitt, 3. a). 10 Vgl.

4. Zur Diskussion über den Grund für den Eigentumswechsel (Fortsetzung)

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unterscheiden: Umstritten ist, ob ein wirklicher oder ein hypothetischer Darlehenskonsens vorliegt. Die Auffassung, ein wirklicher Darlehenskonsens komme zustande, wurde, soweit ersichtlich, zuerst von Eisele vertreten.13 Um diese Position zu verstehen, ist es erforderlich, den Wortlaut seiner Argumentation genau zu betrachten. Zunächst heißt es: „Die Schenkungsabsicht (…) geht weiter als jede andere mit einer Eigenthumsübertragung oder sonstigen Vermögenszuwendung sich verbindende Absicht (…). Wer in Schenkungsabsicht giebt, der giebt, wenn man nicht blos den nächsten juristischen Erfolg des Gebens, den Eigenthumsübergang, sondern das schließliche Resultat für die Vermögenslage des Empfängers in Betracht zieht, m e h r, als derjenige, welcher credendi oder solvendi causa giebt. Von d i e s e m Standpunkte aus lässt sich die causa donandi mit der causa credendi (…) i n q u a n t i t a t i v e m S i n n e v e r g l e i c h e n, und als das maius im Gegensatz zu dem minus auffassen.“14 Weiter wird festgestellt, es genüge „die Möglichkeit, sich die causa donandi im Vergleich mit der causa credendi als das maius zu denken, in dem das minus mitenthalten ist“.15 Zudem meint Eisele, es lasse „sich die causa credendi der causa donandi gradatim annähern“16. Eine Schenkung könne nämlich definiert werden „als unverzinsliches Darlehen rückzahlbar nach unendlich langer Zeit“17. Schließlich heißt es: „Ist in der Schenkungsabsicht der animus credendi als ein minus mitenthalten, so mußte Julian Consens auf das minus annehmen, und folglich statuieren, daß zwar keine Schenkung, wohl aber ein mutuum zu Stande kommt.“18

Entscheidend seien „nicht die möglichen, sondern die wirklich vorliegenden Absichten, und diese decken sich blos bezüglich des minus“19. Eisele stützt seine Argumentation auf eine von Pomponius getroffene Entscheidung (31 QM D. 19,2,52): Der Verpächter eines Landguts stellt sich eine 13 Vgl. Eisele (1885), S.  9 ff. Zustimmend wohl Pflüger (1937), S.  20: „Wer schenken (…), wolle, so mochte Julian gesagt haben, der sei auch damit einverstanden, nur als Darlehen gegen Rückzahlung zu geben.“ Fuchs (1952), S.  113 ist der Auffassung, schon der Glosse habe die später von Eisele vertretene Lösung vorgeschwebt. Schönbauer (1932), S.  141 Anm.  12 und Laborenz (2014), S.  43 Anm.  116 stellen fest, bereits Cujacius habe eine vergleichbare Deutung vertreten. 14  Eisele (1885), S.  10 f. Hervorhebungen im Original. 15  Ebd., S.  11. 16 Ebd. 17 Ebd. 18  Ebd., S.  12. 19 Ebd.

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geringere Pacht vor als der Pächter.20 Gleichwohl kommt ein Vertrag zustande, und zwar mit dem (geringeren) Zins, den der Verpächter im Auge hat. Eisele schreibt, Julians Entscheidung sei „parallel zu der des Pomponius“21. Die Argumentation Eiseles ist problematisch – aus mehreren Gründen.22 Einige Überlegungen sprechen gegen die These, der Zahlende habe die wirkliche Absicht, ein Darlehen zu geben. Auch wenn man der Auffassung folgt, in der Schenkungsabsicht sei die Absicht zur Darlehensgewährung enthalten, lässt sich damit allenfalls eine hypothetische Absicht begründen. Der Zahlende will schenken; an ein Darlehen denkt er nicht. Julian konstatiert eindeutig, quod circa causam dandi atque accipiendi dissenserimus. In diesem Sinne stellte auch Eisele gleich zu Beginn seiner Darlegungen fest: „In dem Julianischen Falle würde Derjenige, welcher zu schenken Willens war, doch zweifellos auch zu einem Darlehen sich bereit finden lassen; es käme ein Darlehen zu Stande.“23

Eine wirkliche Absicht zur Darlehensgewährung fehlt.24 Ein wirklicher Darlehenskonsens liegt nicht vor.25 Die These, in der Schenkungsabsicht sei die Absicht zur Darlehensgewährung enthalten, ist noch aus einem weiteren Grunde fragwürdig. Darlehen und Schenkung stimmen zwar darin überein, dass außer der Übergabe ein entsprechender Konsens vorliegen muss. Während das Darlehen aber als Vertrag qualifiziert wird, stellt die Schenkung keinen Vertrag, sondern nur eine bloße „Rechtsgrundabrede“26 dar.27 Darlehen und Schenkung sind demnach rechtlich unterschiedlich einzuordnen. Kann eine nicht vertragliche Absicht in einer vertraglichen Absicht enthalten sein? Es besteht ein qualitativer Unterschied zwischen den Absichten, der einem quantitativen Vergleich entgegensteht. Eisele argumentiert zwar hauptsächlich, die Absicht zur Darlehensgewährung sei in der Schenkungsabsicht enthalten. Zugleich stellt er aber auch fest, die Schenkung bilde einen extremen Sonderfall des Darlehens, nämlich ein Dar20 

Vgl. ebd., S.  11. Ebd.; ebenso Pflüger (1937), S.  20. 22  Zur Kritik an der Position Eiseles vgl. auch Laborenz (2012), S.  151 ff.; ders. (2014), S.  43 Anm.  115. 23  Eisele (1885), S.  10. 24  Anderer Auffassung Harke (2012b), S.  125, wonach das Darlehen ein minus im Verhältnis zur Schenkung sei. Ungeachtet des Dissenses der Parteien sei „ein Minimalkonsens auf der unteren Stufe erreicht.“ Ähnlich ders. (2005a), S.  114 f., wonach sich die Vorstellung des Empfängers teilweise mit der Vorstellung des Schenkers deckt. 25  Die Begriffe Konsens / Dissens sind (zumindest bei Julian) entsprechend der sogenannten Dissenstheorie zu verstehen: credam und existimes im zweiten Teil des Fragments beziehen sich auf die Vorstellungen der Beteiligten. 26  Harke (2006), S.  11 f.; ders. (2016), S.  173 = Rn.  18. 27 Vgl. Kaser / Knütel / Lohsse (2017), S.  294 = Rn.  3. 21 

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lehen mit unendlich langer Laufzeit. Die Schenkung ist demnach der umfassende Begriff; die Schenkung ist im Darlehen enthalten. Eiseles Argumentation ist somit nicht konsistent.28 Aus der These, eine Absicht sei in einer anderen „enthalten“, lassen sich, wie soeben gezeigt, gegensätzliche Resultate ableiten. Auch dies spricht gegen eine derartige Argumentation. Problematisch ist zudem, dass Eisele sich auf die bereits angeführte Entscheidung des Pomponius (D. 19,2,52) stützt. In dem von Pomponius behandelten Fall umfasst der größere Geldbetrag den geringeren. Hier lässt sich möglicherweise von einem wirklichen Konsens sprechen.29 Anders bei Julian: Julian erörtert Zuwendungen, die sich nicht quantitativ, sondern ihrer Zielsetzung und ihrer rechtlichen Qualität nach und damit qualitativ unterscheiden. Julian würde weit über die von Pomponius mitgeteilte Entscheidung hinausgehen, wenn er dem Gedankengang folgen würde, den Eisele unterstellt. Die Argumentation Eiseles erinnert stark an die auf Savigny zurückgehende Formel vom „Rechnen mit Begriffen“.30 In Eiseles Deutung werden qualitativ verschiedene Begriffe quantitativ aufgefasst, miteinander verglichen und als Resultat wird festgestellt, ein Begriff sei als minus in einem anderen Begriff enthalten. Die quasi mathematische Denkweise Eiseles wird besonders deutlich, wenn er seiner These, die Schenkung sei eine Art Darlehen mit unendlich langer Laufzeit, hinzufügt: „Etwa wie man parallele Linien definiert als in derselben Ebene gelegene Linien, die sich in unendlicher Entfernung schneiden. Freilich kommt man zu ‚unendlich‘ immer nur mittelst eines Sprungs.“31 Zugleich werden die Begriffe wie natürliche, körperliche Gegenstände behandelt, die von unterschiedlicher Größe sind, sodass der eine in dem anderen, wie die kleinere 28  Kritisch zur These, die Schenkung sei quasi ein Darlehen mit unendlich langer Laufzeit: Hupka (1932), S.  13 Anm.  7; Laborenz (2014), S.  44. 29  Denkbar wäre allerdings auch, einen zum Teil hypothetischen Konsens anzunehmen: Der Pächter würde den Vertrag auch schließen, falls er von dem geringeren Pachtzins Kenntnis hätte. 30  Savigny schreibt in „Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft“ (1840 / 1967), S.  28 f.: „Es ist oben (S.  22) gezeigt worden, dass in unsrer Wissenschaft aller Erfolg auf dem Besitz der leitenden Grundsätze beruhe, und gerade dieser Besitz ist es, der die Größe der Römischen Juristen begründet. Die Begriffe und Sätze ihrer Wissenschaft erscheinen ihnen nicht wie durch ihre Willkühr hervorgebracht, es sind wirkliche Wesen, deren Daseyn und deren Genealogie ihnen durch langen vertrauten Umgang bekannt geworden ist. Darum eben hat ihr ganzes Verfahren eine Sicherheit, wie sie sich sonst außer der Mathematik nicht findet, und man kann ohne Übertreibung sagen, dass sie mit ihren Begriffen rechnen.“ Rückert (1991), S.  64; ders. (2007), S.  1289 betont, Savigny sei es nicht darum gegangen, den juristischen Begriffen eine der Mathematik entsprechende logische Präzision zu geben und wirklich mit ihnen zu rechnen, sondern um das Ziel der Sicherheit. Ihm habe eine der Mathematik vergleichbare Sicherheit des Verfahrens und der Ergebnisse vorgeschwebt. 31  Eisele (1885), S.  11 Anm.  6.

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Schachtel in einer größeren, enthalten ist. Die von Eisele entwickelte Argumentation ist allzu sehr dem juristischen Denken des 19. Jahrhunderts verhaftet, als dass sie einem römischen Juristen unterstellt werden dürfte.32 Indem Eisele die These vertritt, der Wille zur Gewährung eines Darlehens sei im Schenkungswillen tatsächlich enthalten, bezieht er sich auf den Willen der Beteiligten und folgt damit der Willenstheorie, wonach rechtsgeschäftlichen Erklärungen rechtliche Verbindlichkeit zukommt, weil dies von den Erklärenden gewollt ist.33 Einige Jahre zuvor (1880) hatte Windscheid die Willenstheorie erneut in aller Deutlichkeit formuliert und gegen Versuche zu ihrer Einschränkung verteidigt. Windscheid hatte einige Autoren (Schlossmann, Regelsberger u. a.) kritisiert, „welche der Erklärung als solcher, unabhängig davon, ob sie die Trägerin eines wirklich vorhandenen Willens ist, in größerem oder geringerem Maße Wirkung beizulegen bereit sind.“34 Die Willenstheorie bildet die Grundlage der Argumentation Eiseles, der ein Darlehen annimmt, indem er den tatsächlichen Willen des Geldgebers zur Gewährung eines Darlehens voraussetzt. Eine weitere, im Hinblick auf die von Eisele vertretene Deutung zu stellende Frage ist, aus welchem Grund Julian eine Abweichung von der Regel erlaubt, wonach eine Schenkung oder ein Darlehen nur vorliegt, wenn ein entsprechender Konsens zustande kommt. Auf den ersten Blick scheint sich die Frage leicht beantworten zu lassen. Da nach Auffassung Eiseles ein wirklicher Darlehenskonsens existiert, liegt eine Abweichung von der Regel nicht vor. Denn eine causa ist Eisele zufolge gegeben. Eine weitere Begründung scheint nicht erforderlich zu sein. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass es eine Besonderheit gibt, die durchaus nach einer Begründung verlangt: Der von Eisele behauptete Darlehenskonsens liegt nur unter der Annahme vor, dass die Absicht zur Darlehensgewährung in der Schenkungsabsicht enthalten ist. Die Frage 32 Vgl. Kriegsmann (1905), S.  38, der feststellt, „die Möglichkeit einer mathematischen Annäherung der causa credendi an die causa donandi dürfte doch schwerlich die Grundlage einer juristischen Auffassung bilden.“ 33  Die Willenstheorie geht auf die spanische Spätscholastik zurück, wurde von Vertretern des Naturrechts (Grotius, Pufendorf) aufgegriffen und von den Pandektisten wissenschaftlich ausgearbeitet; das Bürgerliche Gesetzbuch ist davon geprägt; vgl. Rehberg (2014), S.  487 ff. In den Motiven zum BGB heißt es: „Rechtsgeschäft im Sinne des Entwurfes ist eine Privatwillenserklärung, gerichtet auf die Hervorbringung eines rechtlichen Erfolges, welcher nach der Rechtsordnung deswegen eintritt, weil er gewollt ist. Das Wesen des Rechtsgeschäftes wird darin gefunden, dass ein auf die Hervorbringung rechtlicher Wirkungen gerichteter Wille sich bethätigt, und dass der Spruch der Rechtsordnung in Anerkennung dieses Willens die gewollte rechtliche Gestaltung in der Rechtswelt verwirklicht.“ Motive 1 (1888), S.  126. 34  Windscheid (1880), S.  73. An der gleichen Stelle ist noch von „der den wirklichen Willen nicht ausdrückenden Willenserklärung“ die Rede. In beiden Äußerungen wird auf den „wirklichen Willen“ des Erklärenden Bezug genommen.

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drängt sich auf, zu welchem Zweck Julian diese Konstruktion einsetzt. Die Frage wird von Eisele nicht gestellt, geschweige denn beantwortet. Aus all diesen Gründen muss die Auffassung Eiseles, ein wirklicher Darlehenskonsens liege vor, abgelehnt werden. b) Einige Autoren sind der Ansicht, ein Darlehenskonsens sei anzunehmen, weil der Schenkende das Geld auch als Darlehen gezahlt hätte, wenn er gewusst hätte, dass der Empfänger sich ein Darlehen vorstellt.35 So vertritt Liebs die Ansicht, Julian folge einem Rechtsgedanken, der auch in §  155 BGB enthalten sei.36 Das Vereinbarte gilt, „sofern anzunehmen ist, dass der Vertrag auch ohne diesen Punkt geschlossen sein würde“37. Die Unterstellung einer hypothetischen Absicht zur Darlehensgewährung erscheint auf den ersten Blick plausibel. Bei näherem Hinsehen sind jedoch Zweifel anzumelden. Denn mit gleichem Recht ließe sich auch ein Schenkungskonsens behaupten. Es könnte argumentiert werden, wer glaube, Geld als Darlehen zu empfangen, wäre wohl auch bereit, sich den gleichen Betrag schenken zu lassen.38 Abschließend ist die Frage anzusprechen, aus welchem Grund Julian die Konstruktion eines hypothetischen Darlehenskonsenses einsetzen könnte, um den Eigentumsübergang zu ermöglichen. Mithilfe dieser Konstruktion wäre zwar dem Prinzip der kausalen Übereignung Genüge getan; es läge aber gleichwohl eine Abweichung vom Üblichen vor: Nicht ein wirklicher, sondern ein teilweise finigerter Darlehenskonsens würde die causa bilden. Die Frage, aus welchem Grund das juristische Mittel der Fiktion eingesetzt wird, bleibt in der romanistischen Literatur unbeantwortet; sie wird noch nicht einmal gestellt. 35  Eisele (1885), S.  10 stellt zu Beginn seiner Darlegungen fest: „In dem Julianischen Falle würde Derjenige, welcher zu schenken Willens war, doch zweifellos auch zu einem Darlehen sich bereitfinden lassen; es käme ein Darlehen zu Stande.“ Hier behauptet Eisele noch einen hypothetischen Konsens; die dann folgende Argumentation führt jedoch zu dem Resultat, es liege ein wirklicher Konsens vor. Für einen hypothetischen Konsens wohl Lange (1930), S.  69: Die Annahme eines mutuum werde dem Willen der Beteiligten am ehesten gerecht; ähnlich Pflüger (1923), S.  45. Kaser (1971), S.  416 f.: „Hier hat Julian den Eigentumserwerb bejaht (vermutlich aus dem Gedanken, dass, wer Geld schenken will, auch zu seiner Kreditierung bereit ist).“ Ähnlich Apathy / Klingenberg / Pennitz (2012), S.  123 (als Interpretationsmöglichkeit). Zur These vom hypothetischen Konsens vgl. auch Backhaus (1983), S.  165 f. mit weiteren Nachweisen S.  166 Anm.  152. Behrends (1978), S.  209 Anm.  52 stellt fest, Julian lasse „das als mindere Freigebigkeit in der donatio steckende mutuum genügen“. Ähnlich ders. (2008a), S.  263 mit Anm.  138. Nicht klar ist, ob Behrends einen wirklichen oder einen hypothetischen Konsens annimmt. 36  Die Vorschrift bezieht sich auf den Fall, dass sich „die Parteien bei einem Vertrag, den sie als geschlossen ansehen, über einen Punkt, über den eine Vereinbarung getroffen werden sollte, in Wirklichkeit nicht geeinigt“ haben. 37  Liebs (2004), S.  168. 38 Vgl. Backhaus (1983), S.  166; Schermaier (1998b), S.  256.

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c) Eine – genauer und ausführlicher begründete – Variante der Auffassung, ein hypothetischer Darlehenskonsens sei anzunehmen, vertritt Backhaus:39 Die römischen Juristen setzen danach manchmal unterschiedliche Mengen und Größen in Beziehung zueinander und entscheiden auf dieser Grundlage. Sie folgen dabei der Regel in maiore minus inest (Labeo 2 post a Jav epit D. 32,29,1),40 die den Sonderfall eines argumentum a maiore ad minus bildet.41 Backhaus ist der Auffassung, die Begründung Julians für den Eigentumsübergang (Darlehen als causa) sei ein mögliches Beispiel für die Anwendung dieser Regel.42 Julian stelle auf den hypothetischen Willen des Schenkenden ab: Wer eine Schenkung machen wolle, würde auch ein Darlehen geben. Der hypothetische Wille des Schenkenden allein ermögliche jedoch noch nicht die eindeutige Lösung des Problems, da sich damit auch das Zustandekommen einer Schenkung rechtfertigen ließe: Wer ein Darlehen nehmen wolle, werde mutmaßlich auch mit einer Schenkung zufrieden sein.43 Daher spiele vielleicht auch der Gedanke eine Rolle, dass im realen animus donandi des Ego ein hypothetischer animus credendi als minus enthalten sein könne, „nicht aber umgekehrt im Willen des Tu, ein Darlehen zu nehmen, die Absicht zu einer in den Rechtsfolgen (für Ego) weiterreichenden Schenkung“44. Backhaus ist somit der Ansicht, Julian unterstelle einen hypothetischen Willen des Schenkenden, ein Darlehen zu geben. Der animus credendi wird dabei als ein hypothetischer, fingierter Wille betrachtet.45 Dies begründet keinen Einwand gegen diese Auffassung. Denn die römischen Juristen arbeiten häufig mit dem Mittel der Fiktion; für Julian gilt dies sogar in besonderem Maße.46 39 Vgl. Backhaus (1983), S.  162 ff. Die Anwendung der Regel in maiore minus inest durch Julian nehmen auch die folgenden Autoren an: Behrends (1997 / 1998), S.  155; ders. (1998), S.  59; Schermaier (1998b), S.  256; Kunze (2006), S.  9 f.; Wimmer (2007), S.  43; Kaser / Knütel / Lohsse (2017), S.  148 = Rn.  12 (als Interpretationsmöglichkeit). Schermaier (1998b), S.  256 zieht zwei Deutungsmöglichkeiten in Betracht: das Abstraktionsprinzip oder die von Backhaus vertretene Begründung, wobei er jedoch nicht von einem hypothetischen Konsens spricht; es gehe vielmehr „um natürlichen Konsens (…), genauer: um den gemeinsamen Kern des tatsächlichen Willens beider Parteien“. Kritisch zu der von Backhaus vertretenen Deutung: Harke (2005a), S.  97 ff. Anm.  75. 40  Justinian hat die Regel in den Katalog seiner diversae regulae iuris antiqui aufgenommen (Paul 6 ed D. 50,17,110 pr.). 41 Vgl. Backhaus (1983), S.  139. 42  Vgl. ebd., S.  164 ff. Backhaus untersucht allerdings nicht das hier behandelte Fragment D. 41,1,36, sondern D. 12,1,18 pr., wo Ulpian die Auffassung Julians, nach der das Eigentum übergeht, mit der Begründung ablehnt, ein Darlehen liege nicht vor. 43 Vgl. Backhaus (1983), S.  166. 44 Ebd. 45  Vgl. ebd., S.  165. 46 Vgl. Bund (1976), S.  445; Winkler (2015), S.  30.

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Gegen die Heranziehung der Regel in maiore minus inest spricht jedoch Folgendes: Die von Backhaus angeführten Beispiele für die Anwendung der Regel betreffen Fälle, die sich auf bloß quantitativ unterschiedene Gegenstände beziehen (Geldsummen, Teile einer Erbschaft).47 Die Besonderheit der Julian unterstellten Begründung besteht aber darin, dass qualitativ verschiedene Gegenstände (donatio, mutuum) quantitativ aufgefasst und zueinander in Beziehung gesetzt werden. Eine solche Argumentation geht über die von Backhaus nachgewiesene Anwendung der Regel weit hinaus. Den von Eisele und Backhaus vertretenen Positionen ist der Bezug auf den Willen der Beteiligten und damit letztlich auf die Willenstheorie gemeinsam.48 Die von Backhaus vertretene Deutung unterscheidet sich von der Auslegung Eiseles darin, dass der Wille des Geldgebers zur Darlehensgewährung nicht als tatsächlicher, sondern als hypothetischer Wille verstanden wird. d) Evans-Jones und MacCormack sind der Auffassung, Julian verlange, damit ein mutuum zustande komme, keinen Konsens; es genüge die Absicht des Empfängers, das Geld als Darlehen anzunehmen.49 Diese Auffassung wird von den Autoren nicht aus den Quellen belegt, sodass eine Stellungnahme schwer möglich ist. Nur so viel lässt sich sagen: Wenn ein Konsens nicht erforderlich sein sollte, würde es sehr viel näherliegen, die Absicht des Tradenten entscheiden zu lassen, sodass es im vorliegenden Fall zu einer Schenkung käme.50 e) Kaser / Knütel / Lohsse sind der Auffassung, die Schenkung verlange regelmäßig eine Einigung von Schenker und Beschenktem über die Unentgeltlichkeit. Ein umstrittener Ausnahmefall sei jedoch zu verzeichnen. Im unmittelbaren Anschluss an diese Bemerkungen gehen die Autoren nicht direkt auf diesen Ausnahmefall ein, sondern verweisen auf eine andere Stelle des Lehrbuchs, an der das Julian-Fragment D. 41,1,36 erörtert wird, und zwar im Zusammenhang mit der Übereignung durch traditio. Dem Hinweis folgt der Satz: „Den Ausschlag gibt jedoch der Wille des Schenkers, der schon in klassischen Quellen animus donandi heißt.“51 Die Verweisung auf D. 41,1,36 als einen Ausnahmefall kann nur bedeuten, dass Kaser / Knütel / Lohsse zufolge Julian in dem genannten Fragment nicht 47  Backhaus (1983), S.  145 ff. zufolge beruhen die folgenden Entscheidungen auf der Regel: Lab 2 post a Jav epit D. 32,29,1; Ulp 5 Sab D. 28,5,9,3 und 4; Ulp 5 Sab D. 28,5,9,2; Paul 3 Sab D. 30,15 pr.; Ulp 48 Sab D. 45,1,1,4; vermutlich auch: Pomp 31 QM D. 19,2,52; Gai Inst 3,161. Staffhorst (2006), S.  39 stellt fest: „Er (der Topos in maiore minus est; d. Verf.) besagt, dass in einer größeren (Geld-)Summe oder (Nachlass-)Quote immer auch eine kleinere Summe bzw. Quote enthalten sei.“ 48  Siebter Abschnitt, 4. a) Anm.  33. 49 Vgl. Evans-Jones / MacCormack (1989), S.  104. 50  Sechster Abschnitt, 7. c). 51  Kaser / Knütel / Lohsse (2017), S.  294 = Rn.  2; Hervorhebungen im Original.

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einen Konsens über die Unentgeltlichkeit verlangt, damit eine Schenkung zustande kommt. Es genügt demnach der Wille des Schenkers.52 Das Eigentum würde nach Julian übergehen, weil ein animus donandi des Tradenten vorliegt.53 Die Verweisung auf die Darlegungen zu D. 41,1,36 ist fragwürdig. An der Stelle des Lehrbuchs, an der das Julian-Fragment (im Zusammenhang mit der Übereignung durch traditio) relativ ausführlich behandelt wird, heißt es, das Eigentum werde Julian zufolge übertragen, weil dieser entweder dem Abstraktionsprinzip folge oder weil er einen Darlehenskonsens unterstelle („in maiore minus inest, Paul. D. 50,17,110 pr.“54). Es ist nicht davon die Rede, dass das Eigentum aufgrund eines animus donandi des Schenkers übergeht. Die grundsätzliche Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein animus donandi des Tradenten als causa ausreicht, braucht hier nicht erörtert zu werden.55 Julian ist jedenfalls anderer Auffassung: Ulpian konstatiert nämlich in D. 12,1,18 pr. im Hinblick auf den Darlehens-Schenkungs-Fall: Iulianus scribit donationem non esse.56 Die Frage, warum Julian eine Schenkung verneint, lässt sich leicht beantworten: Ein Schenkungskonsens fehlt. Die sich aufdrängende Frage, ob

Kaser hat sich unterschiedlich zur Frage geäußert, ob ein Schenkungskonsens vorliegen muss. Zunächst (1955) stellte er fest, die causa donationis sei eine Vereinbarung darüber, dass die Zuwendung unentgeltlich sein soll. Der einseitige Schenkungswille ohne die Annahme des anderen Teils reiche nicht; vgl. Kaser (1955), S.  503. Später (1971) führte er aus, eine Schenkung verlange die auf Unentgeltlichkeit der Zuwendung gerichtete Zweckbestimmung des Schenkers; vgl. Kaser (1971), S.  601. Von einer Vereinbarung war hier nicht die Rede. Wenn es bei Kaser / Knütel / Lohsse (2017), S.  294 = Rn.  2 heißt, die Schenkung verlange regelmäßig die Einigung von Schenker und Beschenktem, den Ausschlag gebe jedoch der Wille des Schenkers (animus donandi), so bleibt unklar, unter welchen Voraussetzungen und aus welchem Grund der animus donandi genügen soll. 53  Vgl. auch Schwarz (1952), S.  112: Falls jemand wissentlich etwas nicht Geschuldetes leistet, ist die Kondiktion ausgeschlossen, weil seine Leistung wie eine Schenkung behandelt wird. Ebd. heißt es: „Welchen Sinn sollte es da haben, jemanden an seinem Eigentum festzuhalten, der darauf in voller Kenntnis der Rechtslage Verzicht zu leisten wünschte?“ Deshalb vermutet Schwarz (1952) S.  112 Anm.  9: „Dies möchte vielleicht von Bedeutung sein für die Beurteilung des Falles, in welchem der Geber schenken will, der Empfänger aber ein Darlehen zu erhalten glaubt.“ 54  Kaser / Knütel / Lohsse (2017), S.  148 = Rn.  12. Die herangezogene Stelle aus dem Kommentar des Paulus zum Edikt lautet: In eo, quod plus sit, semper inest et minus („In dem, was mehr ist, ist auch immer das Weniger enthalten“). 55 Schon Savigny (1841 / 1973), S.  145 ff. stellte fest, ein Konsens gehöre nicht zum Wesen der Schenkung; entscheidend sei der animus donandi des Schenkers. Als einfachstes und einleuchtendstes Beispiel nannte er die Befreiung eines Schuldners von der Verbindlichkeit durch Leistung eines Dritten (als eines Schenkers), falls der Schuldner keine Kenntnis davon habe (S.  148 f.). 56  Zur Interpretation der Ulpian-Stelle: Achter Abschnitt. 52 

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Julian mit der gleichen Begründung auch ein Darlehen ausschließt, wird weiter unten erörtert.57 f) Schanbacher vertritt die Auffassung, Schenkung und Darlehen als solche kämen zwar nur zustande, wenn ein Konsens bestehe. Um als causae traditionis fungieren zu können, genüge aber die einseitige Festlegung durch den Geber.58 Im Darlehens-Schenkungs-Fall gehe das Eigentum über, obwohl eine Schenkung als solche nicht zustande komme, weil ein Konsens fehle. Die Schenkungsabsicht des Gebers sei als causa ausreichend. Die Distinktion zwischen einer Schenkung als solcher und ihrer Funktion als causa ist nicht nur methodisch bedenklich;59 sie entspricht auch nicht dem römischen Recht. Die Schenkung hat nur eine einzige Funktion: Sie dient als Rechtsgrund für eine unentgeltliche Zuwendung, und das heißt im Fall einer traditio: als causa.60 Deshalb kann nicht zwischen einem Schenkungskonsens und der Schenkung als causa unterschieden werden. Allein der Schenkungskonsens kommt als causa in Betracht. Die bloße Schenkungsabsicht kann auch deshalb nicht als causa qualifiziert werden, weil sie zu einer inakzeptablen Konsequenz führen würde: Ein Erwerber könnte gegen seinen Willen zum Eigentümer gemacht werden.61 Im Darlehens-Schenkungs-Fall geht das Eigentum nicht donandi causa über.62 Im Folgenden werden Auffassungen erörtert, die weder Schenkung noch Darlehen voraussetzen, sondern eine „abstrakte“ causa. g) Nach Kriegsmann wird das Eigentum übertragen, weil ein Konsens darüber besteht, dass überhaupt eine causa vorliegt. Der Autor setzt den folgenden Sachverhalt voraus: Der Geber will dem Empfänger helfen und sendet ihm das Geld in Schenkungsabsicht; dieser meint jedoch, ein Darlehen zu empfangen, um das er früher einmal gebeten hatte. Es sei höchst wahrscheinlich, dass sich die Parteien auf eine konkrete causa einigen, sobald ihnen der Dissens bewusst

57 

Siebter Abschnitt, 8. d). Schanbacher (1992a), S.  16 f. 59  Dritter Abschnitt, 7. b). 60 Vgl. Harke (2006), S.  11 f.; ders. (2016), S.  173 = Rn.  18. Kaser / Knütel / Lohsse (2017), S.  294 = Rn.  3; vgl. auch Laborenz (2012), S.  156 ff.; ders. (2014), S.  47 ff. 61  Vgl. ebd., S.  48. 62  Das Sprichwort donatio non praesumitur („eine Schenkung wird nicht vermutet“) ist hier nicht einschlägig; zu diesem Sprichwort: Liebs (2007), S.  68 = Nr. D 70; Wacke (1991), S.  1 ff. Zum einen bezieht es sich auf den Fall, dass unklar ist, ob die beiden Beteiligten eine Schenkung vornehmen wollen, während im Darlehens-Schenkungs-Fall feststeht, dass ein Dissens vorliegt. Zum anderen ist die Interessenlage anders: Das Sprichwort setzt voraus, dass der Gebende im Zweifel nicht altruistisch handelt, sondern eigene Interessen wahrnimmt. In dem von Julian behandelten Fall ist es aber gerade der Gebende, der eine Schenkung vornehmen möchte. 58 Vgl.

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Siebter Abschnitt: Der dritte Teil des Fragments: nam et si – dissenserimus

werde.63 Im Konsens darüber, dass überhaupt eine causa vorliege,64 sei bereits der Keim eines späteren Konsenses über die konkrete causa enthalten – unabhängig davon, ob man sich dann auf ein mutuum oder eine donatio einige. Aus praktischen Gründen beziehe Julian diesen konkreten Konsens auf den Zeitpunkt der traditio zurück und lasse das Eigentum sofort übergehen.65 Ähnlich wie Kriegsmann ist Flume der Ansicht, es könne sehr wohl sein, dass Julian ungeachtet des Nichtzustandekommens von donatio und mutuum den Eigentumserwerb bejahe, weil Tradent und Empfänger übereinstimmend eine – wenn auch unterschiedliche – causa annähmen; Julian folge nicht dem Abstraktionsprinzip, sondern halte am Erfordernis einer causa fest.66 Die Positionen Kriegsmanns und Flumes sind zwar schlüssig und scheinbar nicht ganz so radikal wie die Unterstellung des Abstraktionsprinzips, zugleich aber auch problematisch: Ein abstrakter Konsens darüber, dass überhaupt eine causa vorliegt, ist noch keine causa. Wenn Julian einen abstrakten Konsens genügen ließe, würde er nicht das Kausalitätsprinzip zugrunde legen. Der begriffliche Unterschied zwischen der Auffassung Kriegsmanns und Flumes einerseits und der Annahme, Julian wende das Abstraktionsprinzip an andererseits, ist so gering, dass die Auffassung der beiden Autoren darauf hinausläuft, den Abstraktionsgrundsatz zu unterstellen.67 Die von Kriegsmann vertretene Position ist insofern bemerkenswert, als darin auf die konkreten Umstände des Falles eingegangen wird. Der Autor scheint dem Fall und seiner Lösung praktische Bedeutung beizumessen. So wird ein Problem sichtbar, das in der romanistischen Literatur sonst kaum angesprochen wird, die Frage nämlich, ob der Darlehens-Schenkungs-Fall hypothetischer Natur oder praktisch relevant ist.68 Zusammenfassend lässt sich Folgendes festhalten: Wenn Julian konstatiert, trotz des Dissenses gehe das Eigentum über, kommen weder eine Schenkung noch ein tatsächlich vorliegender Darlehenskonsens als causa in Betracht. Auch

hat schon Savigny (1841 / 1973), S.  161 f. argumentiert: Wenn zuerst der Empfänger den Dissens entdeckt, wird er erklären, geschenkt bekommen zu haben; im umgekehrten Fall kommt ein Darlehen zustande. Savigny bezieht sich auf die Ulpian-Stelle D. 12,1,18 pr.; zu dieser Stelle: Achter Abschnitt, 1 ff. 64  Kriegsmann (1905), S.  35 betont, gemeint sei nicht bloß der animus dominii transferendi et acquirendi, der zum Eigentumsübergang nicht ausreiche. Der Konsens müsse sich vielmehr darauf beziehen, dass eine iusta causa vorliegt. 65  Vgl. ebd., S.  37 ff. 66 Vgl. Flume (1990), S.  54 ff. 67 Vgl. Mayer-Maly (1991b), S.  391 f. 68  Zu dieser Frage: Siebter Abschnitt, 8. i). 63 Ähnlich

5. Patronage und amicitia

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die Unterstellung eines hypothetischen Darlehenskonsenses ist fragwürdig. Das Abstraktionsprinzip wird ebenfalls nicht angewendet. Im Zentrum der in der romanistischen Literatur mitgeteilten Überlegungen zum Darlehens-Schenkungs-Fall steht die Frage, mit welcher begrifflichen Konstruktion Julian den Eigentumsübergang rechtlich bewerkstelligt. Mindestens genauso wichtig ist jedoch, aus welchem Grund oder zu welchem Zweck Julian feststellt, dass das Eigentum übergeht, und das heißt: warum der Jurist von der Regel abweicht, wonach ein als causa dienender Konsens tatsächlich vorzuliegen hat. Diese Frage steht im Mittelpunkt der folgenden Darlegungen, in denen eine eigene Position entwickelt wird. In diesem Zusammenhang wird auch deutlicher werden, wie der Eigentumsübergang rechtlich zustande kommt.

5. Patronage und amicitia a) Im Folgenden wird die These begründet, dass der Darlehens-Schenkungs-Fall im Hinblick auf eine Patronage- oder Freundschaftsbeziehung entschieden wird.69 Zunächst ist zu erläutern, welches die charakteristischen Merkmale solcher „Nah- und Treuverhältnisse“70 sind.71 Es gibt keine juristische Definition von Patronage- und Freundschaftsbeziehungen.72

69  Die weitere, davon zu unterscheidende Frage, ob der Fall hypothetischer Natur oder von praktischer Bedeutung ist, wird weiter unten behandelt: Siebter Abschnitt, 8. i). 70  Zu diesem Begriff: Wolkenhauer (2014), S.  38; Rollinger (2014), S.  16; Ganter (2015), S.  5. 71 Die hier zugrunde gelegte Unterscheidung zwischen Patronage und amicitia ist umstritten. Garnsey / Saller (1987), S.  212 ff. z. B. nennen drei Gruppen: Patrone und Klienten, höherstehende bzw. rangniedere Freunde sowie gleichrangige Freunde. Die Autoren fügen hinzu, die Trennungslinien seien nicht immer deutlich und auch von den Römern selbst verwischt worden. „Patronage“ wird aber auch als Oberbegriff für alle Nah- und Treuverhältnisse verwendet; vgl. (ablehnend) Winterling (2009), S.  40 ff. Verboven (2011), S.  412 ff. betont, Patronage und amicitia hätten sich nicht ausgeschlossen. Nörr (1993a), S.  21 = ders. (2003b), S.  1941* stellt fest, dass „Freundschaftsbeziehungen potentiell alle gesellschaftlichen Schichten nicht nur in horizontaler, sondern auch in vertikaler Richtung“ verbanden. Ähnlich unterscheidet Finazzi (2010), S.  642 zwischen „amicitia orizzontale e amicitia verticale“. Wolkenhauer (2014), S.  26 ff. äußert sich kritisch zur Unterscheidung zwischen Patronage und amicitia. Zu dieser Unterscheidung vgl. auch Rollinger (2014), S.  24 ff., der allerdings für eine solche Unterscheidung plädiert. Freundschaftsverhältnisse sind danach durch die prinzipielle Gleichheit der Beteiligten gekennzeichnet (ebd., S.  43 ff.). 72 Vgl. Saller (1989), S.  52; Kroppenberg (2009), S.  289.

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Siebter Abschnitt: Der dritte Teil des Fragments: nam et si – dissenserimus

Der Begriff der Patronage73 bezieht sich auf Verhältnisse zwischen Mitgliedern der römischen Oberschicht74 und Personen von geringerem sozialen Status.75 Das Verhältnis zwischen einem Patron (patronus) und seinem Klienten (cliens) war nicht rein sachlich, ökonomisch und kurzfristig (wie auf einem Markt), sondern persönlich und auf Dauer angelegt. Es bestanden wechselseitige moralische Pflichten und Rechte, die sich darauf bezogen, Wohltaten (beneficia) zu leisten und zu empfangen. Der Patron war verpflichtet, den Klienten zu schützen, etwa dadurch, dass er ihn vor Gericht vertrat und in finanziellen Notlagen unterstützte. Der Klient hatte die Pflicht, zur morgendlichen Begrüßung im Atrium seines Patrons zu erscheinen (salutatio).76 Bei öffentlichen Auftritten des Patrons gehörte er zu dessen Gefolge, manchmal war er auch als Leibwächter tätig. Die Zahl der Klienten war ein Gradmesser für das Prestige des Patrons. Freundschaftsbeziehungen waren ebenfalls persönliche, auf Dauer angelegte Nah- und Treueverhältnisse, die wechselseitig zu Schutz und Förderung verpflichteten77 – im Unterschied zur Patronage jedoch zwischen gleichrangigen Personen, das heißt zwischen Angehörigen der römischen Oberschicht, aber 73 Die

folgenden Darlegungen zu Patronage- und Freundschaftsbeziehungen haben vornehmlich Untersuchungen zur Grundlage, die sich auf die späte Republik und den frühen Prinzipat beziehen. Es lässt sich jedoch eine Kontinuität dieser besonderen Treuverhältnisse vom Beginn bis zum Ende des römischen Reiches (bei allen Modifikationen im Einzelnen, insbesondere durch den Übergang von der Republik zum Kaiserreich) feststellen. Bei Garnsey (2010), S.  54 heißt es: „From ‚Romulus‘ to Justinian patronage was defining characteristic of what it meant to be Roman.“ Verboven (2011), S.  418, konstatiert: „over the roughly 500 years that separate Plautus from the triumph of Christianity, we find very little apparent change in how Romans thought about amicitia.“ Auch Ganter (2015), S.  22 stellt fest, Patronage habe in allen Perioden der römischen Geschichte eine wichtige Rolle gespielt. Deshalb erscheint es gerechtfertigt, die Ergebnisse der Forschung zur Republik und dem frühen Prinzipat auch auf die Zeit Julians zu beziehen, zumal Patronage und amicitia hier nur in den Grundzügen von Bedeutung sind. 74  Die römische Oberschicht umfasste zwei ordines: den ordo senatorius (Senatorenstand) und den ordo equester (Ritterstand). Die plebs bildete die Unterschicht. Seit der Republik hatten Ritter und Senatoren ein bestimmtes Vermögen nachzuweisen: 400 000 Sesterzen. Unter Augustus wurde die Summe für Senatoren auf eine Million Sesterzen erhöht; vgl. Klingenberg (2011), S.  17 ff., 35 f. 75  Zum Folgenden vgl. Saller (1982), S.  1 ff.; ders. (1989), S.  49 ff.; Eisenstadt / Roniger (1984), S.  52 ff.; Barghop (1997), S.  51 ff.; Nörr (1993a), S.  13 ff. = ders. (2003b), S.  1933* ff.; Wolkenhauer (2014), S.  34 ff.; Rollinger (2014), S.  133 ff. Ganter (2015), S.  6 ff. nennt die folgenden Kennzeichen für Patron-Klient-Verhältnisse: Freiwilligkeit, Dauer, persönliche Bindung, Asymmetrie und Reziprozität. 76  Saller (1982), S.  128 zufolge erschienen die Klienten bei ihrem Patron nicht nur zum Zeichen der Ehrerbietung, sondern auch, weil sie bei dieser Gelegenheit Geldgeschenke erhielten, von denen sie ihren Lebensunterhalt estritten. Vgl. auch Rollinger (2014), S.  134 ff. 77  Umfangreiche Nachweise zur amicitia aus der historischen und der rechtshistorischen Literatur bei Kroppenberg (2009), S.  284 ff. Anm.  1 ff.; Finazzi (2010), S.  637 ff.

5. Patronage und amicitia

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auch innerhalb der Unterschicht. Eine solche Beziehung wurde amicitia genannt.78 Besonders wichtig war die materielle, vor allem finanzielle Unterstützung durch Schenkungen und Darlehen sowie durch Testamente (Erbschaften, Legate). Zudem wurden Bürgschaften geleistet und die Töchter des Freundes mit einer Mitgift oder einem Teil davon ausgestattet. Auch wurden Immobilien (Villen, Landgüter) unentgeltlich zugewendet. Das Ziel der Förderung bestand meistens darin, die soziale und politische Stellung des Freundes zu verbessern sowie das eigene Prestige und den eigenen politischen Einfluss zu erhöhen. Auch wurden Freundschaftsverhältnisse häufig genutzt, um in hohe Ämter zu gelangen. Patronage und amicitia sollten von ethischen Prinzipien geprägt sein. Grundlegend waren die fides und das – der fides inhärente – Prinzip der Gegenseitigkeit (Reziprozität).79 Der Begriff der fides ist mit zahlreichen Konnotationen verbunden: Treue, Vertrauen, Zuverlässigkeit, Verlässlichkeit, aber auch Versprechen, Versicherung, Verpflichtung, Garantie.80 Im Kern bezeichnet fides „die Bindung an das Wort, das Sichgebundenfühlen an seine Erklärung“81. Um der fides gerecht zu werden, hatten die Beteiligten officia (Pflichten, Verpflichtungen) zu erfüllen und beneficia (Wohltaten) zu leisten.82 Das Prinzip der Gegenseitigkeit sorgte für einen langfristigen Kreislauf von Gaben und Gegengaben, der sogar über den Tod eines Beteiligten hinausging, wenn dieser einen Freund als Erben oder Legatar eingesetzt hatte. Häufig überbot man sich im Wert der Gegengaben, um nicht als kleinlich und berechnend zu gelten, sodass es zu einem regelrechten Wettbewerb kam.83

78  Zu den unterschiedlichen Bedeutungsvarianten des Begriffs der amicitia, die von einer intimen, familiären Beziehung bis zu einem von Interessen geprägten Verhältnis reichen, vgl. Hellegouarc’h (1963), S.  63 ff. 79 Zur Dankbarkeit (gratia) und dem „Druck der Gegenseitigkeit“ in Freundschaftsbeziehungen vgl. Rollinger (2014), S.  101 ff., 115 ff.; Wolkenhauer (2014), S.  116 stellt mit Blick auf Senecas De beneficiis fest: „Ziel des Dankenden muss es sein (…), ‚gleichzuziehen‘, ‚die Verpflichtung einzulösen‘ (paria facere, fidem exsolvere).“ 80 Vgl. Nörr (1993a), S.  13 f. = ders. (2003b), S.  1933* f.; Hölkeskamp (2004), S.  112; Liebs (2004), S.  264. 81  Schulz (1934 / 1954), S.  151; zur fides vgl. auch Hölkeskamp (2004), S.  107 ff.; Rollinger (2014), S.  108 ff.; Kaser / Knütel / Lohsse (2017), S.  38 = Rn.  16. 82 Der Unterschied zwischen den beiden Begriffen ist schwer zu erkennen. Zwar stellt Cicero in De officiis 1,47 fest, dass beneficia – anders als officia – nicht mit einem moralischen Anspruch auf Rückerstattung verbunden sind; vgl. Cicero (1964), S.  42 f. Die Grenze ist aber fließend; vgl. Rollinger (2014), S.  92 ff. 83  Vgl. ebd., S.  97 f., 110, 118. Seneca: De beneficiis 1,4,3: Die Menschen sollten wetteifern und diejenigen Menschen, denen sie verpflichtet sind, in Tat und Gesinnung nicht nur einholen, sondern sie übertreffen; vgl. Seneca (1989), S.  113.

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Siebter Abschnitt: Der dritte Teil des Fragments: nam et si – dissenserimus

Im Hinblick auf den Prinzipat, die Epoche also, in der Julian lebte, sind bedeutsame Einschränkungen vorzunehmen: Im Zentrum der sozialen Beziehungen stand der Kaiser.84 Er war der Patron, die Angehörigen der Oberschicht waren seine Klienten. Diese erbaten die Gunst des Kaisers, wenn es zum Beispiel um die Besetzung hoher Ämter oder darum ging, finanzielle Unterstützung erlangen, um drohende Armut abzuwenden. Der Kaiser seinerseits legte Wert auf die Loyalität seiner Klienten, die sich etwa darin äußerte, dass man ihm Erbschaften oder Legate zukommen ließ. Während des Prinzipats gliederte sich der Bereich, in dem Wohltaten gewährt wurden, also in zwei Teile: Waren Interessen des Kaisers im Spiel, musste dessen Gunst erworben werden. Im Übrigen bestanden Patronage- und Freundschaftsverhältnisse fort, wie sie seit der Republik bekannt waren. b) Um sich dem hier zu untersuchenden Darlehens-Schenkungs-Fall zu nähern, ist zunächst ganz allgemein festzustellen, dass im Rahmen von Patronageund Freundschaftsverhältnissen Schenkungen und Darlehen häufig gewährt wurden. „Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft“ – so lautet noch heute eine europäische Spruchweisheit, die schon den Römern bekannt war.85 Im Rahmen von Patronage- und Freundschaftsbeziehungen wurden sogar sehr große Geschenke gemacht. Häufig wurde Geld geschenkt.86 Dass Geschenke vornehmlich an Freunde gingen, zeigt: Ulp 32 Sab D. 39,5,5 Affectionis gratia neque honestae neque inhonestae donationes sunt prohibitae, honestae erga bene merentes amicos vel necessarios, inhonestae circa meretrices.87

Es bestand ein auffallend großer Unterschied zwischen dem rechtlichen und dem moralischen Charakter einer Schenkung. Rechtlich gesehen war die Schenkung eine unentgeltliche Zuwendung. In der sozialen Realität war sie jedoch – ent84  Zum Folgenden vgl. Saller (1982), S.  41 ff.; Barghop (1997), S.  54; Wolkenhauer (2014), S.  276 ff., 431 ff.; Rollinger (2019), S.  441 weist auf „deutliche Unterschiede im Finanzgebaren der Oberschicht im Vergleich zwischen Republik und Kaiserzeit“ hin. Der Habitus der großflächigen und selbstverständlichen Vergabe von Krediten an Standesgenossen sei von der Tendenz abgelöst worden, Geldgeschenke an Personen zu verteilen, die sozial auf einer niedrigeren Stufe standen. 85 Vgl. Wacke (1999), S.  330. 86  Zur Geldschenkung als beneficium bei Seneca (De beneficiis) vgl. Wolkenhauer (2014), S.  45, 176. Vgl. auch Martial (1999) Epigramme, S.  360 f. = 5,52; S.  688 f. = 10,11: Ein Patron brüstet sich damit, Geschenke an Klienten gemacht zu haben. 87 „Schenkungen sowohl aus ehrbarer als auch nicht ehrbarer Zuneigung sind nicht verboten; aus ehrbarer gegen wohlverdiente Freunde oder Verwandte, aus unehrbarer gegen Buhlerinnen.“

5. Patronage und amicitia

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sprechend dem Prinzip der Gegenseitigkeit – mit dem moralischen Anspruch auf eine Gegenleistung verbunden, die in etwa den gleichen, wenn nicht sogar einen höheren Wert als das Geschenk hatte.88 Das formlose Darlehen (mutuum) war ebenfalls für Patronage- und Freundschaftsverhältnisse charakteristisch.89 In zahlreichen Fällen wurden die Darlehen zinslos oder gegen geringe Zinsen gewährt.90 Die Zinslosigkeit war ein Zeichen der Freigebigkeit und Großzügigkeit des Patrons oder Freundes (liberalitas).91 Eine Frist für die Rückzahlung wurde üblicherweise nicht vereinbart.92 „Le prêt gratuit, mutuum ou commodat, constitue par excellence un service d’ami.“93 Durch solche Kreditbeziehungen wurden regelrechte „Freundschaftsnetzwerke“ geschaffen.94 Wenn Darlehen zinslos vereinbart wurden, bedeutete dies nicht, dass keine Gegenleistung erwartet wurde. Der Geldgeber erwartete vielmehr die Rückzahlung nicht nur des gleichen, sondern eines höheren Betrages, als er selbst gezahlt hatte. Der Empfänger sollte nicht nur seine finanzielle Schuld, sondern auch eine moralische Dankesschuld begleichen.95

Michel (1962), S.  537 = Nr.  863: „Le cadeau, parce qu’il doit toujours être rendu, n’est gratuit qu’aux yeux du juriste. Tôt ou tard, il coûte à celui qui l’a reçu autant ou même plus qu’il ne valait.“ 89 Vgl. Bürge (1980), S.  130 ff.; Zimmermann (1992), S.  155 Anm.  13; Verboven (2002), S.  121 ff.; Nörr (1993a), S.  21 = ders. (2003b), S.  1941*; Wolkenhauer (2014), S.  183 ff.; Rollinger (2014), S.  315 ff. 90  Die Darlehen waren zinslos; vgl. Bürge (1980), S.  127. Ein verzinsliches Darlehen wurde in der Regel von einem gewerbsmäßigen Kreditgeber (argentarius, faenerator) gewährt, der ausnahmsweise eingeschaltet wurde, wenn ein zinsfreies Darlehen durch einen Patron oder amicus nicht zu haben war; vgl. Bürge (1980), S.  122. Nörr (1993a), S.  21 = ders. (2003b), S.  1941* konstatiert: „Brauchte man Geld, so wendete man sich in erster Linie an einen Freund als Darlehensgeber.“ 91 Vgl. Kloft (1970), S.  35 ff.; Ganter (2015), S.  66 f., 191 ff.; Wolkenhauer (2014), S.  319 ff. Rollinger (2014), S.  334; ders. (2019) zu Anm.  38 stellt allerdings fest, zum Teil seien durchaus, und zwar recht hohe Zinsen verlangt worden. 92 Vgl. Dixon (1993), S.  462 f. Dazu stellt Verboven (2002), S.  121 f. fest, Freundschaftsdarlehen ohne Konditionen seien typisch gewesen; der Autor führt zahlreiche überlieferte Beispiele für zinslose Darlehen an. Seneca betont in De beneficiis, dass keine Wohltat vorliegt, wenn ein Termin für eine Gegenleistung festgelegt werde, z. B. De beneficiis 3,10,1 und 4,39,2; vgl. Seneca (1989), S.  230 und 370. Michel (1962), S.  33 f. = Nr.  33, S.  559 = Nr.  897 zufolge ist eine Tryphonin-Stelle der einzige Text in den Digesten, in dem ausdrücklich eine Verbindung zwischen mutuum und amicitia hergestellt wird: 2 disp D. 3,5,37; zu diesem Text vgl. Stepan (2018), S.  144 ff. 93  Michel (1962), S.  559 = Nr.  897. 94  Kroppenberg (2009), S.  290. 95 Vgl. Bürge (1980), S.  131; Rollinger (2014), S.  328 f. 88 

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Siebter Abschnitt: Der dritte Teil des Fragments: nam et si – dissenserimus

Auch in Freundschafts- und Patronageverhältnissen waren zwar rechtliche Kategorien maßgeblich (Schenkung, Darlehen). Das moralische Prinzip der Gegenseitigkeit sorgte aber dafür, dass die dadurch bezeichneten Unterschiede geringer waren als außerhalb solcher Beziehungen: Eine Schenkung war keineswegs unentgeltlich, sondern, ebenso wie das Darlehen, mit der moralischen Pflicht zu einer angemessenen Gegenleistung verbunden. Eine moralische Pflicht zur Rückzahlung bestand in beiden Fällen.96 „The difference between such informal mutua and gifts was small.“97 c) Die Unterscheidung zwischen Schenkung und Darlehen konnte im Einzelfall dadurch erschwert werden, dass Geldleistungen zum Teil als Darlehen, zum Teil als Schenkung erbracht wurden.98 Besonderer Wert wurde daraufgelegt, die durch eine Wohltat begründete oder gefestigte soziale Abhängigkeit zu verschleiern. Beide Seiten bemühten sich meistens, den Schein der Gleichheit zu wahren.99 Diskretion wurde geübt. Dies konnte dazu führen, dass eine Schenkung nicht deutlich als solche bezeichnet wurde. Nicht immer legte man eindeutig fest, ob eine Geldzahlung als Schenkung oder als Darlehen gedacht war.100 So kam es vor, dass jemand einem Freund oder Klienten, der sich in einer finanziellen Notlage befand, Geld gab, ohne dass der rechtliche Charakter der Zahlung bestimmt wurde, und stillschweigend erwartete, der Empfänger werde das Geld zurückzahlen.101 Manchmal haben Darlehensgeber aber auch keinen besonderen Wert auf eine (vollständige) Rückzahlung gelegt.102 Es geschah sogar, dass ein Darlehen vom Geldgeber später zum Geschenk erklärt103 oder die Rückforderung einfach „vergessen“ wurde.104 So konnte der Empfänger dauerhaft in Abhängig-

MacCormack (1985), S.  134 f.; Saller (1982), S.  122. Verboven (2002), S.  121 f.; vgl. auch Wacke (1999), S.  342 f.; Bürge (1980), S.  138; Rollinger (2014), S.  326 f. 98 Vgl. Bürge (1980), S.  134 f., 140. 99 Vgl. Barghop (1997), S.  59 f.; bezogen auf amicitia: Rollinger (2014), S.  122; Wolkenhauer (2014), S.  123. 100 Vgl. Saller (1982), S.  122; Verboven (2002), S.  122; Wolkenhauer (2014), S.  185: „Wahrscheinlich blieben die Konditionen der Rückzahlung zum Zeitpunkt der Vermittlung manchmal ungeklärt und damit auch der Charakter der Transaktion in den Augen der Beteiligten.“ Wolkenhauer fügt hinzu, in der Kaiserzeit scheine sich das Spektrum dichotomisiert zu haben: In den Quellen sei einerseits von einseitigen Schenkungen unter Ungleichen die Rede, andererseits von verzinslichen Krediten. 101 Vgl. Verboven (2002), S.  122. 102 Vgl. Dixon (1993), S.  462. 103 Vgl. Verboven (2002), S.  122; Wolkenhauer (2014), S.  137, 184 mit weiteren Nachwiesen Anm.  791. 104 Vgl. Ioannatou (2006), S.  247 f. Als Beleg zitiert die Autorin in Anm.  128 Seneca (De beneficiis 1,4,5): ut, qui praestiterunt obliviscantur, pertinax sit memoria debentium; Über96 Vgl. 97 

6. Der Sachverhalt

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keit gehalten werden.105 Rollinger stellt dazu fest: „Je länger die Schuld offenstand, umso länger und zuverlässiger hielt auch die Beziehung – die Abhängigkeit – zwischen Gläubiger und Schuldner.“106 Der spätrepublikanische Autor Publilius Syrus schreibt dazu: Beneficium accipere libertatem est vendere.107 Im Folgenden wird der hier letztlich allein interessierenden Frage nachgegangen, ob dem von Julian entschiedenen Darlehens-Schenkungs-Fall ein Patronage- oder Freundschaftsverhältnis zugrunde liegt.

6. Der Sachverhalt a) Dass ein Patronage- oder Freundschaftsverhältnis vorausgesetzt wird, scheint von vornherein klar zu sein, wenn man nur einmal die sozialen Umstände betrachtet, unter denen es zu einer Schenkung oder einem formlosen Darlehen kommen kann: Gelegentlich mag zwar auch jemand beschenkt werden, der dem Schenkenden nicht näher bekannt ist, zum Beispiel ein Bettler; in aller Regel aber wird der Beschenkte in einem besonderen Nah- und Treuverhältnis zum Schenker stehen – als Familienangehöriger, Klient oder Freund. Fasst der Empfänger, wie im vorliegenden Fall, das Geld als Darlehen auf, scheiden die Fälle aus, in denen ein (nicht nahestehender) Hilfsbedürftiger bedacht werden soll. Denn ein solcher kann nicht glauben, einen Kredit zu empfangen. Nur dem Geldgeber nahestehende Menschen kommen in Betracht. Im Folgenden wird versucht, diese These genauer zu begründen. Der Wortlaut von D. 41,1,36 gibt nicht zu erkennen, ob der DarlehensSchenkungs-Fall im Rahmen eines Patronage- oder Freundschaftsverhältnisses zu verstehen ist.108 Dies ist nicht verwunderlich: In den Digesten werden derartige Beziehungen im Zusammenhang mit Darlehensfällen nur selten ausdrück-

setzung: „dass vergessen, die gewährt haben, jedoch beharrlich sei das Gedächtnis der Schuldenden“; Seneca (1989), S.  114 f. 105  Dass der Empfänger einer Schenkung oder eines Darlehens zu einer Gegenleistung verpflichtet war, betont auch Bürge (1980), S.  131 ff. (im Hinblick auf die altrömische Zeit, die Republik und die frühe Kaiserzeit). 106  Rollinger (2014), S.  326. 107 „Eine Wohltat annehmen, heißt, seine Freiheit verkaufen.“ Zitiert nach Ioannatou (2006), S.  245 f.; Wolkenhauer (2014), S.  114; Rollinger (2014), S.  114. 108  Hoenig (1913), S.  22 f. leitet aus dem von Julian benutzten Wort gratia (in der Wendung donandi gratia) ab, hier scheine die substantivische Bedeutung von „Gunstbezeigung“ durch; die Schenkungsabsicht sei „dem reinen Wohlwollen des Tradenten gegen den Akzipienten“ entsprungen. Von einem Freundschaftsverhältnis ist bei Hoenig nicht die Rede.

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Siebter Abschnitt: Der dritte Teil des Fragments: nam et si – dissenserimus

lich als solche bezeichnet.109 Die römischen Juristen behandeln in der Regel zwar konkrete Einzelfälle. In der Darstellung der Sachverhalte wird der soziale Kontext aber üblicherweise nicht geschildert, zumeist nicht einmal angedeutet.110 Hinzu kommt, dass Julian sich nicht als erster Jurist mit dem Fall befasst, wie das Wort constat zeigt.111 Wenn mehrere Juristen einen Fall behandeln, werden die Sachverhaltsdarstellungen im Laufe der Zeit immer abstrakter.112 Zu beachten ist ferner, dass Julian in D. 41,1,36 den Fall nicht um seiner selbst willen anführt, sondern zur Begründung der Regel (Teil 1 des Fragments); auch dies mag dazu beigetragen haben, den Sachverhalt nur sehr knapp darzustellen. Da der gleiche Fall sonst nicht überliefert ist (von D. 12,1,18 pr. abgesehen), weder in einer juristischen noch, soweit ersichtlich, in einer anderen Quelle, bleibt nur die Möglichkeit, nach Indizien zu suchen, die sich aus dem in D. 41,1,36 mitgeteilten Sachverhalt ableiten lassen. b) Eine Frist für die Rückzahlung des Geldes wurde nicht festgelegt; andernfalls hätte der Geldgeber bei der Übergabe nicht an eine Schenkung glauben können.113 Auch wurden keine Zinsen vereinbart, dazu wäre eine Stipulation erforderlich gewesen.114 Eine Zinsvereinbarung hätte zudem ausgeschlossen, dass der Geldgeber an eine Schenkung glaubte. Das (vermeintliche) Darlehen entspricht somit dem Muster der Darlehen, die aus Patronage- und Freundschaftsverhältnissen bekannt sind. In solchen Beziehungen wurde häufig nicht deutlich zwischen Schenkung und Darlehen unterschieden.115 Dies erklärt, dass im vorliegenden Fall ein Dissens über den Charakter der Zahlung besteht. Auch Michel (1962), S.  559 = Nr.  897; vgl. auch ebd., S.  574 = Nr.  921. Michel, S.  33 = Nr.  33; S.  559 = Nr.  897 führt als einziges Beispiel für einen Digestentext, in dem eine Verbindung zwischen dem mutuum und der amicitia ausdrücklich hergestellt wird, Tryph 2 disp D. 3,5,37 an. 110 Vgl. Fögen (2003), S.  209 f. 111  Siebter Abschnitt, 8. h). 112 Vgl. Meissel (2008), S.  63. 113  Kaser / Knütel / Lohsse (2017), S.  242 = Rn.  6: Die Stipulation war „anfangs wohl unentbehrlich“ für die Verbindlichkeit einer Fristabrede. Ähnlich Kaser (1971), S.  532: Vermutlich musste „anfangs“ auch die Fälligkeitsfrist für die Rückzahlung durch Stipulation festgelegt werden. Zur Zeit Julians war eine Stipulation demnach nicht mehr erforderlich, um eine Fristabrede zu treffen. Wenn Wegmann Stockebrand (2017), S.  133 konstatiert, ein Darlehensvertrag ohne Fristangabe für die Erstattung des Darlehensbetrags sei wirtschaftlich kaum vorstellbar, so ist dies im Hinblick auf Patronage- und Freundschaftsverhältnisse unzutreffend. 114 Vgl. Kaser (1971), 497; Bürge (1980), S.  131. Rollinger (2019), S.  435 konstatiert allerdings, die Vergabe von Krediten innerhalb der römischen Oberschicht wurde „nicht durch Verträge, Stipulation oder rechtliche Normen abgesichert und gestützt, sondern durch persönliche Nahverhältnisse, die in den meisten Fällen unter dem Begriff der amicitia subsumiert wurden“. 115  Siebter Abschnitt, 5. b) und c). 109 Vgl.

6. Der Sachverhalt

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in der romanistischen Literatur wird gelegentlich ein Patronage- oder Freundschaftsverhältnis vorausgesetzt. So betont Behrends die „Freigebigkeit“ des Geldgebers116 und bezieht sich damit auf die liberalitas, die für solche Beziehungen charakteristisch ist.117 Einige Juristen,118 darunter solche aus der Epoche des gemeinen Rechts,119 setzen sogar explizit voraus, dass der Fall im Rahmen eines Freundschaftsverhältnisses zu verstehen ist. c) Der von Julian entschiedene Fall lässt sich nun folgendermaßen rekonstruieren:120 Ein Klient bittet seinen Patron – oder ein Freund den anderen – um Geld. Er wünscht ein Darlehen, weil er das Geld für einen bestimmten Zweck benötigt.121 Während der Zahlung wird nicht ausdrücklich, zumindest Behrends (1978), S.  209; ders. (2001), S.  40 Anm.  63. Zum Begriff der liberalitas vgl. Hellegouarc’h (1963), S.  217 ff.; Wolkenhauer (2014), S.  319 ff.; Ganter (2015), S.  66 f. 118 Vgl. Ehmann (2003), S.  17 Anm.  68: Gar nicht so selten sei es, auch schon im römischen Recht, dass jemand einem Bekannten in einer Notsituation mit einem Geldbetrag aushelfe und hinterher Streit entstehe, ob schenkungshalber oder darlehenshalber gegeben wurde; ähnlich Barton (2001), S.  26. Meissel (2008), S.  64 bezieht den von Julian mitgeteilten Fall auf die gesellschaftliche Praxis der römischen Oberschicht, in der unentgeltliche Gaben den Empfänger nicht rechtlich, wohl aber moralisch zu Loyalität und Gegenleistungen verpflichtet hätten. 119  Glück (1796), S.  155 Anm.  1 sprach im Zusammenhang mit dem Darlehens-SchenkungsFall von demjenigen, „welcher die wohlthätige Absicht des Gebenden in dem Empfange eines vermeintlichen Darlehens mit Dank erkennt“. Der Kontext von Glücks Äußerung braucht hier nicht näher behandelt zu werden. Aufschlussreich ist jedenfalls der Ausdruck „wohlthätige Absicht“, durch den die Wohltat, das beneficium, als das wesentliche Kennzeichen von Freundschaftsverhältnissen angesprochen wird; ähnlich ebd., S.  156 mit Anm.  3. 120  In der romanistischen Literatur wird die Frage, wie es zu einem Dissens kommen kann, soweit ersichtlich, nicht behandelt. Eine Ausnahme bildet Schilter (1680), S.  31, der den Dissens folgendermaßen erklärte: Jemand bittet einen anderen brieflich durch einen Boten um ein Darlehen. Der Adressat schreibt ebenfalls einen Brief, in dem er die erbetene Summe als Geschenk deklariert, und schickt den Boten samt Brief und Geld zurück. Der Bote verliert den Brief, überreicht jedoch das Geld, das der Empfänger als Darlehen annimmt. Zustimmend: Glück (1796), S.  152 Anm.  99. Diese Deutung kann nicht erklären, warum es zum Streit kommt, nachdem der Dissens den Beteiligten bewusst geworden ist. Dernburg (1857), S.  10 ff. unterschied zwischen den von Julian und Ulpian (D. 12,1,18 pr.) behandelten Fällen. Julian, so heißt es, beziehe sich auf einen unbewussten Dissens, während Ulpian einen offenen Dissens voraussetze. Im Hinblick auf Ulpian heißt es bei Dernburg: „Ich ersuchte dich um ein Darlehen, du e r k l ä r t e s t Darlehensgeschäfte nicht zu machen, noch machen zu wollen; doch seist du bereit mir, deinem Freund, die geforderte Summe zu schenken. Ich bin nicht in der Lage, von dir ein Geschenk anzunehmen und weigere mich ausdrücklich, die Schenkung zu acceptiren, weil ich zu stolz bin und dir nicht so viel Verbindlichkeit schuldig sein will.“ Zu Dernburgs Darlegungen bezüglich der Antinomie: Siebter Abschnitt, 8. i) Anm.  209. 121  Zu den Gründen für die Aufnahme von Darlehen (in der Zeit der späten Republik) vgl. Rollinger (2014), S.  320 ff. Es ging z. B. darum, politische Ausgaben (öffentliche Feste, Spiele) zu finanzieren, frühere Kredite zu decken, standesgemäße Immobilien, kostbare Möbel und Kunstwerke zu erwerben. 116 Vgl. 117 

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Siebter Abschnitt: Der dritte Teil des Fragments: nam et si – dissenserimus

aber nicht ausreichend deutlich vereinbart, ob die Zahlung als Darlehen oder als Schenkung gedacht ist. Der Geldgeber glaubt zu schenken, während sich der Empfänger ein Darlehen vorstellt. Der Dissens ist den Beteiligten nicht bewusst. Später könnte der Dissens durch einen Zufall offenkundig werden, etwa durch ein Gespräch zwischen dem Geldgeber und dem Empfänger. Spätestens aber und mit Sicherheit wird der Mangel an Übereinstimmung den Beteiligten bewusst, wenn der Empfänger dem Geldgeber anbietet, den geleisteten Betrag zurückzuzahlen. Dieser Fall dürfte eintreten, sobald der Empfänger finanziell zur Rückzahlung in der Lage ist. Am ehesten wäre zu erwarten, dass der Geldgeber den angebotenen Betrag an sich nimmt und die Sache auf sich beruhen lässt oder dass der Empfänger sich für die Schenkung bedankt und die Angelegenheit als erledigt betrachtet (wobei der Empfänger in beiden Fällen weiß, dass er moralisch zu einer Gegenleistung verpflichtet ist). Ein Streit wäre ausgeschlossen; unklar wäre dann allerdings, warum Julian überhaupt auf diesen Fall eingeht.

7. Der Konflikt a) Indem Julian feststellt, trotz des Dissenses gehe das Eigentum über, weicht er von dem Prinzip ab, wonach ein als causa dienender Konsens tatsächlich vorzuliegen hat. Die Abweichung ist nur sinnvoll, wenn ein Problem gelöst werden soll – sei es, dass eine Schwierigkeit in der Praxis auftritt; sei es, dass Julian sich eine praktische Frage bloß vorstellt. Das Problem kann nur darin bestehen, dass ein (realer oder vorgestellter) Konflikt vorliegt, der mithilfe der mitgeteilten Rechtsansicht bewältigt werden soll. b) Fragt man, worin der Konflikt besteht, kommen zwei Möglichkeiten in Betracht. Die erste Möglichkeit: Nachdem der Dissens den Beteiligten bewusst geworden ist, verweigert der Empfänger des Geldes die Rückzahlung mit der Begründung, der Geldgeber habe ihm das Geld geschenkt; der Geldgeber besteht auf der Zahlung und beruft sich darauf, der Empfänger habe an ein Darlehen geglaubt. Diese Möglichkeit erscheint jedoch eher unwahrscheinlich: Wenn der Geldgeber erfährt, dass der Empfänger des Geldes ein Darlehen angenommen hat, wird er nicht auf einmal seine Meinung ändern und nun ebenfalls ein Darlehen unterstellen. Das Gleiche gilt für den Empfänger: Wenn er Kenntnis davon erlangt, dass der Geldgeber schenken wollte, dürfte er nicht plötzlich ebenfalls eine Schenkung annehmen. Ein solch doppelter Sinneswandel wäre unerklärlich. Warum sollte der Empfänger des Geldes die Rückzahlung verweigern, zumal er diese doch gerade selbst angeboten hat? Unklar bliebe, warum die Beteiligten

7. Der Konflikt

217

nun auf einmal ihren unmittelbaren finanziellen Vorteil im Auge haben und damit aus dem Patronage- oder Freundschaftsverhältnis ausbrechen sollten. Hinzu kommt, dass der Unterschied zwischen Schenkung und Darlehen im Rahmen von derartigen Beziehungen gering ist: Eine moralische Pflicht zur Rückzahlung besteht immer. Die zweite Möglichkeit: Der Konflikt könnte darin bestehen, dass der Geldgeber die Annahme mit der Begründung verweigert, er habe das Geld geschenkt, der Empfänger jedoch auf der Rückzahlung besteht. Diese Möglichkeit wäre vorzuziehen, wenn sich zeigen ließe, dass die Motive der Beteiligten auf der Basis einer Patronage- oder Freundschaftsbeziehung verständlich wären. c) Zu untersuchen ist, von welchen möglichen Motiven sich die Beteiligten leiten lassen. Welches mögen die Beweggründe des Empfängers sein? Indem dieser die Rückzahlung des Geldes anbietet, sobald er wieder liquide ist, behandelt er die Zahlung fast wie ein „gewöhnliches“, kurzfristiges Rechtsgeschäft,122 das heißt wie einen Vertrag, der bloß ökonomisch und rechtlich relevant ist. Vorausgesetzt wird dabei, dass der Empfänger die Rückzahlung bald nach dem Empfang des Geldes anbietet, das heißt sobald er wieder liquide ist. Im Hinblick auf solche Fälle stellt Wolkenhauer (in Bezug auf die Zeit Senecas) fest, durch die „zeitliche Nähe und materielle Äquivalenz von Gabe und Gegengabe“ werde die Bindung zwischen den Beteiligten geschwächt, weil „ein wesentlicher Teil der moralischen Forderungen (…) mit der Erwiderung in den Augen der Beteiligten ‚restlos‘ erfüllt wird und somit in dieser Hinsicht nichts weiter erwartet werden kann“123. Wolkenhauer meint, es lasse sich „eine verbreitete, wenn auch moralisch diskreditierte Neigung oder zumindest die Möglichkeit“ feststellen, „Verpflichtungsverhältnisse aus beneficia und officia in ökonomischen bzw. schuldrechtlichen Kategorien zu begreifen“124. Der Autor weist auf eine Äußerung Ciceros in De officiis 1,59 hin, wonach man seine Verpflichtungen gut kalkulieren und durch Addieren und Subtrahieren den Restbetrag feststellen kann, um daraus zu ersehen, wieviel man einem jeweils schuldet. Wenn man ein beneficium vornehmlich in ökonomischen und schuldrechtlichen Kategorien begreift, liegt es nahe, die daraus entstandene moralische Pflicht möglichst rasch zu erfüllen, um die Schuld abschließend zu begleichen. Der Empfänger des Geldes im DarlehensSchenkungs-Fall folgt diesem Muster. Er möchte den empfangenen Geldbetrag 122 Der

Unterschied zu einem geschäftsmäßigen Kredit (faenus) besteht darin, dass der Empfänger des Geldes in dem von Julian behandelten Fall nicht verpflichtet ist, Zinsen zu zahlen, und eine Laufzeit für den Kredit nicht vereinbart wurde. 123  Wolkenhauer (2014), S.  261 f. 124  Ebd., S.  253. Zur Äußerung Ciceros in De officiis vgl. Cicero (1964), S.  52 f. Ähnliches stellt Cicero in seiner Schrift Laelius de amicitia fest; vgl. Cicero (2011), S.  193 = Nr.  58.

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Siebter Abschnitt: Der dritte Teil des Fragments: nam et si – dissenserimus

zurückzahlen, weil er nun dazu finanziell in der Lage ist. So will er das Darlehen aus dem langfristigen Kreislauf von Gaben und Gegengaben herausnehmen. Eine vergleichbare Interessenlage setzt Cicero in einem Brief an seinen Freund Atticus voraus. Dieser hatte Cicero die Kopie eines geografischen Werkes (dessen Autor Serapio hieß) anfertigen und schicken lassen. Cicero bedankt sich mit den folgenden Worten (Ad Atticum 2,4,1):125 Fecisti mihi pergratum, quod Serapionis librum ad me misisti; ex quo quidem ego, quod inter nos liceat dicere, millesimam partem vix intellego. pro eo tibi praesentem pecuniam solvi imperavi, ne tu expensum muneribus ferres.126

Cicero schätzt Atticus als einen treuen Freund, der die von ihm geleisteten Wohltaten jedoch allzu sorgfältig verbucht.127 Um nicht in die von Atticus geführte Liste der Schuldner aufgenommen zu werden, begleicht er seine Dankesschuld sofort. Er zahlt ein Entgelt, sodass die Sache für ihn abgeschlossen ist. Dem Verhalten Ciceros gegenüber Atticus liegt eine Motivation zugrunde, die der Situation im Darlehens-Schenkungs-Fall vergleichbar ist: Der Empfänger des Geldes qualifiziert die Leistung des Patrons oder Freundes als ein Darlehen, das er so bald wie möglich zurückzahlen möchte. Er will vermeiden, dass sich allzu viele Wohltaten auf seinem moralischen Schuldenkonto anhäufen. Die Bilanz der ausgetauschten Wohltaten soll einigermaßen ausgeglichen sein.128 Überhaupt waren Schuldner bestrebt, empfangene Leistungen rasch zurückzuzahlen, um nicht in eine erniedrigende Abhängigkeit vom Gläubiger zu geraten.129 Seneca Cicero (1990), S.  96. „Mit der Übersendung von Serapios Buch hast Du mir einen großen Gefallen getan. Freilich – unter uns darf man es ja wohl sagen – verstehe ich kaum den tausendsten Teil davon. Das Geld dafür habe ich auszuzahlen befohlen, damit Du es nicht unter der Rubrik ‚Geschenke‘ verbuchst.“ 127 Vgl. Michel (1962), S.  537 = Nr.  863. Bürge (1980), S.  134 zufolge war Atticus einer der größten Finanziers seiner Zeit, der ein gutes Gedächtnis für geleistete und empfangene Wohltaten hatte. 128 Nach Rollinger (2014), S.  97 f. sollte (bezogen auf die späte Republik) eine Art Rechnungsführung ausgeschlossen sein, ein vollkommenes Gleichgewicht von geleisteten und empfangenen Wohltaten nicht angestrebt werden. Wolkenhauer (2014), S.  254 schreibt (bezogen auf die Zeit Senecas): Eine „genaue Balance würde – wie nach Erfüllung der Pflichten aus einem Rechtsgeschäft – den Abbruch der Austauschbeziehungen ohne moralischen Vorwurf gestatten und damit die interpersonale Bindung instabil machen.“ Rollinger (2014), S.  94 weist auf die folgende Äußerung Senecas (De beneficiis 1,2,3) hin: Nemo beneficia in calendario scribit nec avarus exactor ad horam et diem appellat („Niemald schreibt seine Wohltaten in das Schuldverzeichnis und fordert auch nicht als habsüchtiger Eintreiber auf Stunde und Tag zur Zahlung auf“); vgl. Seneca (1989), S.  104 f. 129 Vgl. Dixon (1993), S.  458, der zum Beleg auf Senecas De beneficiis 6,42 f. hinweist. Vgl. Seneca (1989), S.  519 ff.; vgl. auch Saller (1982), S.  127 f.; Wolkenhauer (2014), S.  151. 125  126 

7. Der Konflikt

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kritisiert in De beneficiis 6,27,2 den Wunsch, nicht in der Schuld eines anderen zu stehen.130 Die gerügte Praxis wird nicht ganz selten gewesen sein. Weitere mögliche Motive des Empfängers lassen sich anführen, die zu der dargelegten Motivation im Einzelfall noch hinzukommen können: Da die römische Gesellschaft insgesamt, aber auch die Klientel eines Patrons, stark hierarchisch gegliedert war,131 hat der Empfänger möglicherweise darauf gedrungen, das Geld zurückzuzahlen, um auszuschließen, dass er in der römischen Gesellschaft als arm und bedürftig galt, und um zu vermeiden, dass ihm unter den Klienten seines Patrons ein geringer und erniedrigender Rang zugewiesen wurde. Hinzu kommt, dass nicht alle Patrone in gleichem Maße angesehen waren. Neureiche, zu denen auch freigelassene Sklaven gehörten, hatten einen geringeren sozialen Status als von Geburt Reiche.132 So ergab sich eine „Statusdissonanz“: Großes Vermögen bildete einen Indikator für einen hohen sozialen Rang, sklavische Abkunft war ein Zeichen für einen niedrigen sozialen Status.133 Der Empfänger einer Geldzahlung hatte vielleicht ein besonderes Interesse daran, das Geld zurückzuzahlen, weil er zwar in einer finanziellen Notlage gezwungen gewesen war, einen Kredit bei einem Neureichen aufzunehmen, von einem solchen Geldgeber aber nichts geschenkt nehmen wollte. d) Was den Geldgeber betrifft, so könnte sich ein Motiv für die Zurückweisung des angebotenen Geldes daraus ergeben, dass, wer Geld verschenkte und dies, was häufig geschah, publik machte, ein höheres soziales Prestige erwarb, als wenn er nur ein Darlehen gewährte. Dies widerspricht zwar dem in Patronageund Freundschaftsverhältnissen zu beachtenden Gebot der Diskretion,134 muss aber in der Praxis häufig vorgekommen sein. Dem Dichter Martial zufolge wurde in der römischen Öffentlichkeit darüber geklatscht, wer wie viel von wem als Darlehen empfangen hatte und wer sich damit brüstete, der Gläubiger zahlreicher Schuldner zu sein oder hohe Schulden erlassen zu haben.135 Sollte der Geldgeber im vorliegenden Fall dafür gesorgt haben, dass seine Gabe in der Öffentlichkeit als Geschenk dargestellt und gewürdigt wurde, könnte sein Ansehen leiden, wenn sich herumsprechen würde, dass er sich das Geld bald nach der Zahlung

Seneca (1989), S.  491. Ganter (2015), S.  246 ff. 132 Vgl. Hartmann (2016), S.  146 ff., 168 ff. 133  Vgl. ebd., S.  181. 134  Siebter Abschnitt, 5. c). 135 Vgl. Martial: Epigramme (1999): Ein Patron renommiert mit seinen zahlreichen Schuldnern: S.  278 ff. = 4,37; ein Gläubiger setzt sich mit einem Schuldenerlass in Szene: S.  554 f. = 8,37; S.  676 = 9,102; S.  676 f. = 9,102. Zur Bedeutung der öffentlichen Anerkennung von Wohltaten vgl. Bürge (1980), S.  134; Rollinger (2014), S.  119; Hartmann (2016), S.  174 f. 130 Vgl. 131 Vgl.

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Siebter Abschnitt: Der dritte Teil des Fragments: nam et si – dissenserimus

hatte zurückzahlen lassen, weil der Empfänger den Betrag als Darlehen angenommen hatte. e) Einige Überlegungen sprechen dafür, dass sich Julian nicht auf Patronage bezieht, sondern auf die Freundschaftsverhältnisse innerhalb der römischen Oberschicht. Falls ein Patron einem Klienten gegenüber festgestellt hätte, die Zahlung sei ein Geschenk gewesen, hätte dieser wahrscheinlich das Geld behalten und die Sache auf sich beruhen lassen; ein Konflikt wäre nicht entstanden. Denn die Klienten waren von den finanziellen und sonstigen Zuwendungen vonseiten ihres Patrons häufig existenziell abhängig. Auf eine Schenkung zu verzichten, konnten sie sich finanziell nicht leisten. Denkbar ist zwar, dass ein Klient auf der Rückzahlung bestand, um nicht als bedürftig zu erscheinen und innerhalb der Klientel seines Patrons einen niederen Rang einzunehmen. Aber auch in einem solchen Fall wäre der Klient aufgrund der Abhängigkeit von seinem Patron letztlich wohl gezwungen gewesen, nachzugeben und das Geld zu behalten. Ein ernsthafter Konflikt wäre nicht entstanden. Auch die dargestellten möglichen Motive des Empfängers und die Beispiele aus der römischen Literatur zeigen, dass Julian nicht auf Patronage, sondern hauptsächlich auf die Freundschaftsverhältnisse innerhalb der römischen Oberschicht Bezug nimmt: Der Geldgeber hat einem amicus aus einer vorübergehenden finanziellen Notlage geholfen; nach einiger Zeit ist dieser in der Lage, den empfangenen Betrag zurückzuzahlen. Der Geldgeber verweigert die Annahme. Deshalb wird im Folgenden vorausgesetzt, dass sich der von Julian entschiedene Fall auf die amicitia unter Angehörigen der Oberschicht bezieht. Zusammenfassend kann nun Folgendes festgestellt werden: Der Empfänger des Geldes betrachtet die Zahlung als ein kurzfristiges Geschäft, das er aus dem Kreislauf von Gaben und Gegengaben herausnehmen will, um sein moralisches Schuldenkonto beim Geldgeber nicht allzu stark anwachsen zu lassen. Der Geldgeber möchte den Empfänger des Geldes dagegen stärker und auf Dauer an sich binden und auf diese Weise in Abhängigkeit halten. Was die Motive der beiden Freunde im Darlehens-Schenkungs-Fall angeht, so ist noch eine wichtige Ergänzung vorzunehmen: Freundschaftsverhältnisse waren dadurch gekennzeichnet, dass Gaben – Schenkungen eingeschlossen – erwidert werden sollten und tatsächlich auch erwidert wurden (Prinzip der Reziprozität). Auch im Darlehens-Schenkungs-Fall verzichtet der (vermeintlich) schenkende Geldgeber nicht auf eine Gegengabe. Der Konflikt besteht somit nicht darin, dass der Geldgeber überhaupt kein Geld zurückhaben möchte. Es geht vielmehr um den sozialen Rang: Der Schenker wird als sozial höherstehend wahrgenommen, als wenn er bloß ein Darlehen gezahlt hätte. Maßgeblich für die Entstehung des Konflikts könnte auch der Zeitpunkt der Zahlung sein: Der Geldgeber möchte es nicht dem Empfänger überlassen, wann dieser seine „Gegen-

8. Die Entscheidung

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leistung“ erbringt, sondern er will den Zeitpunkt selbst bestimmen und das heißt hier: ihn verschieben und den Empfänger des Geldes in Abhängigkeit halten. Der Empfänger will sich dagegen finanziell und moralisch möglichst rasch entlasten und als sozial prinzipiell gleichrangig erscheinen. So lässt sich der Konflikt als ein kleiner Machtkampf verstehen.136 Zugleich handelt es sich um einen Kampf um die Deutungshoheit im Hinblick auf den Charakter der Zahlung. Folgt man Rollinger, so lassen sich im Finanzgebaren der Oberschicht im Vergleich zwischen Republik und Prinzipat deutliche Unterschiede ausmachen: „Der Habitus der großflächigen und selbstverständlichen Vergabe von horizontalen Krediten (…) wird von der Tendenz abgelöst, Geldgeschenke an Personen zu verteilen, die in der linear-hierarchischen Ordnung der römischen Gesellschaft auf einer niedrigeren Stufe situiert waren.“137 Der Empfänger des Geldes im Darlehens-Schenkungs-Fall hat demnach allen Grund, das Geld als Geschenk abzulehnen und als Darlehen zurückzuzahlen, um nicht sozial herabgestuft zu werden. Möglicherweise bezieht sich Seneca in seiner Schrift De beneficiis (6,42,1) auf solche Auseinandersetzungen: Non decet gratum animum sollicitudo, contra summa fiducia sui et ex conscientia veri amoris dimissa omnis anxietas. Tam convicium est: ‚Recipe‘ quam: ‚Debes‘.138

Ein Streit, der durch ein „Recipe“ ausgelöst wird, scheint in der Praxis vorgekommen zu sein; sonst hätte Seneca ihn nicht angesprochen. Ein derartiger Konflikt liegt wohl auch dem Darlehens-Schenkungs-Fall zugrunde.

8. Die Entscheidung a) Um zu ermitteln, aus welchem Grund oder zu welchem Zweck Julian die Rechtsauffassung vertritt, dass das Eigentum übergeht, ist als Erstes zu klären, warum der Jurist nicht einfach sagt, dass der Eigentumsübergang mangels causa Spisak (1998), S.  249 Anm.  22 verweist (in einer Untersuchung zum Austausch von Wohltaten im Werk des Dichters Martial) auf Blau (1974), S.  212, der in seiner Abhandlung „On the Nature of Organizations“ zwischen „power-exchange“ und „mutual social exchange“ unterscheidet: „(…) in the power-exchange the original giver determines when return will be made; in the mutual exchange the recipient of the gift determines when return will be made.“ Im Darlehens-Schenkungs-Fall behandelt der Geldgeber die Zahlung als ein Element von „power-exchange“, während es dem Empfänger um „mutual social exchange“ geht. 137  Rollinger (2019), S.  441. 138 „Nicht gehört sich für eine dankbare Gesinnung Nervosität, hingegen ausgeprägtes Selbstvertrauen und aus dem Bewusstsein wahrer Liebe Fehlen von Engherzigkeit. Ebenso ist der Streit: ‚nimm wieder‘ wie: ‚du schuldest‘.“ Vgl. Seneca (1989), S.  519 f. 136 

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Siebter Abschnitt: Der dritte Teil des Fragments: nam et si – dissenserimus

scheitert. Wenn Julian in diesem Sinne entscheiden würde, könnte der Geldgeber den gezahlten Betrag mithilfe der Vindikation oder (nach commixtio oder consumptio) im Wege der Kondiktion zurückverlangen. Damit wäre jedoch keinem der Beteiligten gedient. Denn es ist gerade der Empfänger, der das Geld zurückgeben möchte, während der Geldgeber die Annahme verweigert. Die von Julian mitgeteilte Rechtsansicht hat den Zweck, den Konflikt dadurch zu lösen, dass einer der Parteien von Rechts wegen geholfen wird. Entweder wird dem Geldgeber Recht gegeben und eine Schenkung als causa unterstellt oder es wird im Sinne des Empfängers ein Darlehen zugrunde gelegt. Sollte eine Schenkung angenommen werden, dürfte der Geldgeber die Annahme des Geldes verweigern. Wird ein Darlehen unterstellt, könnte der Geldgeber den Betrag zurückverlangen. Dem Wunsch des Empfängers wäre vollends Genüge getan, wenn der Geldgeber nicht nur moralisch, sondern auch rechtlich verpflichtet wäre, das angebotene Geld anzunehmen. b) Seneca zufolge ist es Sache des Wohltäters, den Zeitpunkt festzulegen, an dem der Empfänger seine Gegengabe erbringt.139 Auch sollte der Empfänger der Wohltat seine Gegengabe nicht allzu rasch nach Empfang der Gabe anbieten.140 Im Darlehens-Schenkungs-Fall dürfte demnach der Geldgeber den Zeitpunkt der Rückzahlung festlegen. Demgegenüber wird im Folgenden die These begründet, dass Julian ein Darlehen unterstellt. Entscheidend ist hier der Begriff der aufgedrängten Wohltat. Zunächst werden einige darauf bezogene Digestenstellen untersucht. Sodann wird auf den philosophischen Kontext eingegangen, auf den sich die römischen Juristen beziehen. Schließlich wird nach den Konsequenzen gefragt, die sich für die Interpretation der Entscheidung des Darlehens-Schenkungs-Falles daraus ergeben. Zunächst also zu den einschlägigen Digestenstellen. Im 76. Buch von Ulpians Kommentar zum Edikt heißt es: D. 39,5,19,2 Non potest liberalitas nolenti adquiri.141

139  De beneficiis 6,42,1: Hoc primum beneficii dati sit ius, ut recipiendi tempus eligat, qui dedit. („Das sei das erste Recht beim Erweisen einer Wohltat, dass den Zeitpunkt, Dank entgegenzunehmen, auswählt, wer sie erwiesen hat.“) Vgl. Seneca (1989), S.  520 f.; weitere Nachweise aus Senecas Schrift De beneficiis bei Wolkenhauer (2014), S.  127 Anm.  551. 140  Vgl. z. B. Seneca (1989) 4,40,4 = S.  372 f.; 4,40,5 = S.  374 f.; 6,35,3 = S.  508 f. 141 Bei Otto / Schilling / Sintenis 4 (1832), S.  89 heißt es: „Eine Erwerbung aufgrund von Freigebigkeit kann für niemanden gegen seinen Willen gemacht werden.“ Eine freiere Übersetzung lautet: „Was aus Großzügigkeit gegeben wird, kann von demjenigen, der es nicht haben will, nicht erworben werden.“

8. Die Entscheidung

223

Die Stelle findet sich im Kontext von Schenkungen (D. 39,5,19). Altmeppen entnimmt dem Satz, dass man keine Schenkung gegen seinen Willen erlangen kann.142 Auch Wacke sieht darin einen Beleg dafür, dass eine Schenkung nur mit einer Annahmeerklärung des Beschenkten zustande kommt. Geschützt werde der freie Wille des potenziellen Empfängers.143 Um den zitierten Satz Ulpians zu verstehen, ist zweierlei von Bedeutung. Zum einen wird mit dem Begriff der liberalitas auf die ethischen Prinzipien verwiesen, die in Freundschaftsverhältnissen maßgeblich sind.144 Die mit liberalitas bezeichnete Freigebigkeit bezieht sich auf Schenkungen und damit auf Wohltaten, wie sie in Freundschaftsverhältnissen vorgenommen wurden.145 Zum anderen bringt Ulpian zum Ausdruck, dass Schenkungen nicht aufgedrängt werden dürfen, sondern nur im Einverständnis mit dem Beschenkten vorgenommen werden sollen. Eine dem Ulpian-Text vergleichbare Äußerung stammt von Labeo; sie findet sich bei Paulus, der eine aus acht libri bestehende Epitome aus den Pithana des Labeo zusammengestellt und zum Teil kommentiert hat.146 Im 6. Buch dieser Auszüge heißt es: D. 46,3,91 Si debitor tuus non vult a te liberari et praesens est, non potest invitus a te solvi.147

Der Gläubiger kann demnach eine Forderung nicht gegen den Willen des Schuldners erlassen. Diese Stelle ist von besonderer Bedeutung – nicht nur, weil der Erlass einer Forderung im Fall der Unentgeltlichkeit als eine Schenkung anzusehen ist,148 sondern auch, weil in Freundschaftsverhältnissen Forderungen häufig erlassen wurden. Eine weitere, hier zu betrachtende Stelle stammt von Paulus aus seinem liber singularis de adsignatione libertorum:

Altmeppen (1993), S.  13; vgl. auch Sorge (2017), S.  666 Anm.  1865. Wacke (1999), S.  336. Wacke fasst die Schenkung als Vertrag auf, was freilich der in der Romanistik allgemein vertretenen Auffassung widerspricht, wonach die Schenkung eine einfache Rechtsgrundabrede bildet; vgl. Harke (2016), S.  173 = Rn.  18. 144  Zum Begriff der liberalitas bei Seneca vgl. Wolkenhauer (2014), S.  319 ff.; zum Sprachgebrauch in der Zeit der Republik vgl. Hellegouarc’h (1963), S.  166. 145 Vgl. Wolkenhauer (2014), S.  319 ff. 146 Vgl. Schulz (1961), S.  256. 147  „Wenn dein Schuldner von der Verbindlichkeit gegen dich nicht befreit werden will und gegenwärtig ist, kann er gegen seinen Willen von dir nicht befreit werden.“ 148  Kaser / Knütel / Lohsse (2017), S.  293 = Rn.  1: Schenkung ist jede unentgeltliche Zuwendung; dazu kann auch der Erlass einer Schuld gehören. 142 Vgl. 143 Vgl.

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Paul D. 50,17,69: Invito beneficium non datur.149

Wacke bezieht diese Stelle auf die Schenkung.150 Dem Kontext ist jedoch zu entnehmen, dass der Satz wahrscheinlich in einem erbrechtlichen Zusammenhang steht und möglicherweise den Verzicht auf eine Erbschaft betrifft. Der Verzicht wird mit der Begründung rechtlich anerkannt, niemandem könne eine Wohltat aufgedrängt werden.151 Es handelt sich also um einen von Rechts wegen eingeräumten Vorteil, eine Rechtswohltat. Der Satz betrifft nicht unmittelbar den Gabentausch. Auffällig ist jedoch die grundsätzliche, regelhafte Formulierung. Dies gilt auch für weitere, ähnliche Digesten-Stellen.152 Der Regel, wonach Wohltaten nicht aufgedrängt werden dürfen, muss eine allgemeine, für das gesamte Recht maßgebliche Bedeutung zukommen. c) Nun zu den philosophischen Grundlagen der juristischen Regel: In den zitierten Exzerpten werden Ausdrücke gebraucht, die aus dem philosophischen Schrifttum zur amicitia bekannt sind: beneficium, voluntas (velle), invitus, liberalitas. Die klassischen Juristen (Ulpian, Paulus) beziehen sich damit auf die seinerzeit bekannte philosophische Literatur, wobei in erster Linie Senecas Schrift De beneficiis in Betracht kommt. Es ist zwar nicht unproblematisch, die Entscheidungen und Rechtsansichten römischer Juristen mit philosophischen Konzepten in Verbindung zu bringen. Hier geht es aber nicht um die allgemeine Frage, ob und in welchem Ausmaß die Juristen in ihren Rechtsauffassungen von philosophischem Denken beeinflusst oder gar davon geprägt waren,153 sondern 149 

„Niemandem wird gegen seinen Willen eine Wohltat erteilt.“ Wacke (1999), S.  336. 151  Der Kontext könnte sich aus einem Fall ergeben, wie er in Ulp 14 Sab D. 38,4,1,7 überliefert ist. Vorauszuschicken ist, dass ein Freilasser ein Erbrecht am Nachlass des Freigelassenen hat, wenn dieser ohne hauseigene Erben verstorben ist. Der Freilasser kann den Freigelassenen einem seiner eigenen Kinder zuweisen, die in seiner Hausgewalt stehen – mit der Folge, dass dieses Kind nach dem Tode des Freilassers rechtlich an dessen Stelle tritt und damit das Recht am Nachlass des Freigelassenen für sich erwirbt. Ulpian geht der Frage nach, welche Folgen eintreten, falls das Kind auf sein Recht verzichtet: Können dann dessen Brüder die Erbschaft antreten? Wahrscheinlich bezieht sich der Satz Invito beneficium non datur auf den Verzicht des Kindes; vgl. Altmeppen (1993), S.  7 ff. 152  Vgl. ebd., S.  4 ff. 153  Rollinger (2014), S.  94 Anm.  342 stellt dazu fest, in Übereinstimmung mit einem großen Teil der aktuellen Forschung seien bedeutende Kontinuitätslinien zwischen Republik und Kaiserzeit anzunehmen, zumindest was die normativen Vorstellungen angeht, die sich auf Patronage- und Freundschaftsverhältnisse beziehen. Daraus könnte man schließen, dass eine solche Kontinuität auch zwischen Seneca und Julian anzunehmen ist. Zu der von Behrends vertretenen These, das römische Recht sei von philosophischen Anschauungen in starkem Maße geprägt: Achter Abschnitt, 4. b); Zehnter Abschnitt, 5. c) Anm.  111. 150 Vgl.

8. Die Entscheidung

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allein um Texte, die explizit philosophische Konzepte aufweisen. In solchen Fällen müssen die Juristen von den Schriften Senecas oder vergleichbaren Publikationen Kenntnis gehabt und darauf Bezug genommen haben.154 Zu untersuchen ist im Folgenden, wie sich Seneca in seiner Schrift De beneficiis zu der Frage äußert, ob Wohltaten aufgedrängt werden dürfen und ob unerwünschte Gaben angenommen werden müssen.155 In De beneficiis 2,18,6 schreibt Seneca: „Non semper“ inquit, „mihi licet dicere: „nolo“; aliquando beneficium accipiendum est et invito.156 Eine Wohltat sollte also manchmal auch widerstrebend, gegen den eigenen Wunsch angenommen werden. Weiter heißt es in De beneficiis 2,18,8: Non refert, quid sit, quod datur, nisi a volente, nisi volenti datur.157 Eine Wohltat sollte jemandem erwiesen werden, der sie auch will. In De beneficiis 5,20,1 stellt Seneca aber auch fest: Non est dubium, quin beneficium sit etiam invito prodesse.158 Auch eine unerwünschte Handlung kann eine nützliche Wohltat sein. Den beiden zuletzt zitierten Stellen entnimmt Wolkenhauer, ob eine Wohltat gegen den Willen des Empfängers erwiesen werden dürfe, werde von Seneca widersprüchlich beurteilt.159 Dieser Schluss ist fragwürdig: Die Äußerung in De beneficiis 2,18,8 betrifft Handlungen, die nicht als Wohltaten gedacht sind, sondern unbeabsichtigt als solche wirken; dies zeigen die von Seneca angeführten Beispiele.160 In derartigen Fällen liegt eine Wohltat nicht vor, weil der ent-

154  Mantello (1979), S.  26 betont, die Juristen der Kaiserzeit seien philosophisch gebildet gewesen. Nörr (1993b), S.  275 = ders. (2003c), S.  1999* weist darauf hin, dass das Werk Senecas noch in der Epoche des Paulus bekannt, wenn auch wohl nicht allzu populär war. Auch Nörr (1993b), S.  268 ff. = ders. (2003c), S.  1992* ff. nutzt die ethischen Darlegungen Senecas, um ein Paulus-Fragment (29 ed D. 13,6,17,3) zu deuten. 155  Die Frage ist zwar in erster Linie im Hinblick auf Freundschaftsbeziehungen sinnvoll. Denn im Verhältnis zwischen einem Patron und seinem Klienten wird der wirtschaftlich und sozial schwächere Klient eher bereit sein, eine Gabe anzunehmen. Aber auch in einer solchen Beziehung ist eine Weigerung nicht ganz auszuschließen. Umstritten ist, ob sich Seneca allein auf Freundschaftsverhältnisse in der römischen Oberschicht bezieht oder auch auf Patronagebeziehungen; vgl. Wolkenhauer (2014), S.  40 ff. 156  „‚Nicht immer‘, heißt es, ‚darf ich sagen: ‚Ich will nicht‘. Manchmal muss man eine Wohltat auch gegen den eigenen Willen annehmen.“ Seneca (1989), S.  178 ff. 157  „Nicht kommt es darauf an, was das ist, was geschenkt wird, wenn es nicht von einem Wollenden, wenn es nicht einem Wollenden geschenkt wird.“ Ebd., S.  180. 158  „Kein Zweifel, dass eine Wohltat darin besteht, einem Menschen auch gegen seinen Willen zu nützen.“ Seneca (1989), S.  428 f. 159 Vgl. Wolkenhauer (2014), S.  120 Anm.  511. 160  Ein Gewaltherrscher soll mit einem Schwert getötet werden. Der Attentäter verletzt ihn, wobei eine Geschwulst geöffnet wird, vor der die Ärzte zurückgeschreckt waren. Der Herrscher wird durch den Schwertstreich geheilt.

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Siebter Abschnitt: Der dritte Teil des Fragments: nam et si – dissenserimus

sprechende animus fehlt. Um zu klären, ob Wohltaten auch gegen den Willen des Empfängers erwiesen werden dürfen, ist die Stelle ungeeignet. In De beneficiis 5,20,1 geht es um Handlungen, die dem Betroffenen unerwünscht sind, weil er dabei vielleicht Schmerzen empfindet, wie etwa bei einer Heilbehandlung, die aber dennoch nützlich für ihn sind. Auch solche Handlungen sind als Wohltaten einzustufen. Seneca unterscheidet demnach zwischen den negativen Gefühlen, die eine Handlung auslöst, und dem Nutzen, den der Betroffene gleichwohl davon hat, und lässt den Nutzen für den Charakter als Wohltat entscheiden. Der Äußerung Senecas in De beneficiis 5,20,1 liegt ein Sonderfall zugrunde, dem sich kein Argument dafür entnehmen lässt, dass unerwünschte Wohltaten grundsätzlich angenommen werden sollten. Aufschlussreich ist dagegen die Äußerung Senecas in De beneficiis 2,18,6: Er bezieht sich auf einen potenziellen Empfänger, der selbst eine unerwünschte Gabe annehmen sollte – allerdings nicht immer, sondern nur manchmal, bisweilen (aliquando). Es sind demnach auch Fälle möglich, in denen er eine solche Gabe zurückweisen darf. Mehr noch: In der Regel liegt ein moralisches Recht dazu vor.161 Eine Wohltat wird nicht allein durch eine Gabe oder Leistung gekennzeichnet, sondern auch und vor allem durch die innere Haltung, den Willen des Handelnden (animus, voluntas), der darauf gerichtet ist, den Empfänger zu erfreuen und ihm nützlich zu sein.162 Vergleichbares gilt für den Empfänger der Wohltat: Entscheidend sind nicht der Empfang der Gabe und die Gegengabe als solche, sondern die innere Haltung, nämlich die Dankbarkeit (gratia), die mit dem Empfang und der Vergeltung einer Wohltat verbunden ist.163 In De beneficiis 2,18,8 heißt es daher: Non refert, quid sit, quod datur, nisi a volente, nisi volenti datur.164 Maßgeblich ist nicht, was gegeben wird, sondern dass etwas willentlich gegeben und empfangen wird; „willlentlich“ heißt hier: wohlwollend, in guter Absicht. Seneca betont dies gerade auch im Hinblick auf die Haltung des Empfängers, zum Beispiel in De beneficiis 2,31,1.165 Wer eine Wohltat aufdrängt, hat nicht den Willen, den anderen zu erfreuen. Beim potenziellen Empfänger können Dankbarkeit und der Wunsch, eine Gegengabe zu erbringen, nicht aufkommen. Eine Wohltat liegt somit nicht vor, wenn Altmeppen (1993), S.  9. Auch in De beneficiis 6,40,1 heißt es, eine Wohltat müsse nicht immer angenommen werden; vgl. Seneca (1989), S.  516 f. 162 Vgl. Nörr (1993b), S.  272 f. = ders. (2003c), S.  1996* f.; Wolkenhauer (2014), S.  113 ff., 119; Seneca: De beneficiis 1,6,1; vgl. Seneca (1989), S.  116 ff. 163 Vgl. Wolkenhauer (2014), S.  115. 164  „Nicht kommt es darauf an, was das ist, was geschenkt wird, wenn es nicht von einem Wollenden, wenn es nicht einem Wollenden geschenkt wird.“ Vgl. Seneca (1989), S.  180. 165 Vgl. Seneca (1989), S.  202 f. 161 Vgl.

8. Die Entscheidung

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die Freiwilligkeit aufseiten des Empfängers fehlt.166 Seneca führt einige Beispiele an, aus denen sich ergibt, unter welchen Voraussetzungen eine Wohltat zurückgewiesen werden darf. Gemeinsam ist ihnen, dass sie sich auf einen „unwürdigen Menschen“ (indignum) als „Wohltäter“ beziehen.167 Aus diesem Grund wurden angebotene Geschenke zurückgewiesen.168 Wenn Seneca konstatiert: libenter dare, libenter accipere,169 so bedeutet dies, dass die Beteiligten freiwillig zusammenwirken müssen. Eine Wohltat darf also grundsätzlich zurückgewiesen werden. Ein Zwang zur Annahme würde die prinzipielle Gleichheit der amici beeinträchtigen. Um zu den klassischen Juristen zurückzukehren: Auch wenn Grundbegriffe aus Senecas Schrift De beneficiis in den Juristenschriften nachweisbar sind oder ihren Rechtsansichten implizit zugrunde liegen, bedeutet dies nicht, dass die gleichen Termini im philosophischen und im juristischen Kontext jeweils gleichbedeutend sind.170 Seneca versteht voluntas als den Willen des Wohltäters, den Empfänger zu erfreuen und ihm nützlich zu sein; der Wille des Empfängers besteht in seiner Dankbarkeit, verbunden mit der Absicht, eine Gegengabe zu erbringen. Klassische Juristen begreifen voluntas dagegen als Freiwillligkeit, Entscheidungsfreiheit, das heißt als Freiheit von Zwang und erheblichem Druck und damit im Sinne der Privatautonomie, um diesen modernen Begriff hier zu verwenden.171 Auch den zitierten Digestenstellen zur aufgedrängten Wohltat liegt diese Bedeutung zugrunde.172 Der ethische Begriff der voluntas wird also nicht einfach nur in die rechtliche Sphäre eingeführt, sondern inhaltlich modifiziert. d) Fragt man, welche Konsequenzen sich daraus für das Verständnis der Entscheidung im Darlehens-Schenkungs-Fall ergeben, so wird zunächst einmal deutlich, dass der Geldgeber versucht, dem Empfänger eine Wohltat aufzudrängen – nicht in dem Sinne, dass er darauf besteht, der Partner möge eine noch 166  Seneca stellt in De beneficiis 2,19,2 fest, keine Wohltat sei es, zur Annahme gezwungen zu sein (etwa durch einen Gewaltherrscher); denn es sei keine Wohltat, in eines Menschen Schuld zu sein, dem man nicht schulden wolle. Erst müsse Selbstbestimmung (arbitrium) eingeräumt werden, dann erst könne eine Wohltat erwiesen werden; vgl. Seneca (1989), S.  182 f. 167  Seneca: De beneficiis 2,18,5; vgl. Seneca (1989), S.  178 f. 168  Seneca: De beneficiis 2,21,5; vgl. ebd., S.  187. Vgl. auch Saller (1982), S.  127; Wolkenhauer (2014), S.  289 Anm.  1221; 334 f. 169  De beneficiis 1,4,3; ebd., S.  112 f. 170  Zum Folgenden vgl. Nörr (1993b), S.  270 ff. = ders. (2003c), S.  1994* ff., der den Unterschied zwischen dem Begriff der voluntas bei Seneca und bei Paulus (D. 13,6,17,3) herausarbeitet. 171  Nörr (1993b), S.  271 = ders. (2003c), S.  1995* spricht das von Paulus (29 ed D. 13,6,17,3) zugrunde gelegte, „gleichsam dezisionistische Willenskonzept“ an – im Unterschied zum Willenskonzept Senecas, dem es um das bewusst sittliche Wollen gehe. 172  Zu diesen Auffassungen: Siebter Abschnitt, 8. b).

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Siebter Abschnitt: Der dritte Teil des Fragments: nam et si – dissenserimus

nicht erbrachte, unerwünschte Leistung annehmen; denn die Zahlung ist ja bereits erfolgt. Die Weigerung des Geldgebers, den bereits gezahlten Betrag zurückzunehmen, läuft jedoch ebenfalls darauf hinaus, dem Empfänger eine Wohltat, nämlich eine Schenkung, aufzudrängen. Daher lehnt Julian es ab, eine Schenkung als causa zugrunde zu legen, sodass Ulpian feststellen kann: Iulianus scribit donationem non esse (D. 12,1,18 pr.). Julian dürfte sich am Leitbild eines moralisch korrekt handelnden amicus orientieren. Die in der philosophischen Literatur entwickelten ethischen Grundsätze würden auf diese Weise Eingang ins Recht finden.173 Seneca ist der Meinung, eine Wohltat habe die Aufgabe, Freude zu schenken (De beneficiis 1,6,1),174 und das heißt hier: nicht eine Wohltat aufzudrängen. Sollte der Geldgeber im vorliegenden Fall diesem Muster entsprechen, würde er sich mit dem Empfänger darauf einigen, die Zahlung als ein Darlehen zu betrachten und den angebotenen Betrag zurücknehmen. Dies ist wohl der Grund für die Auffassung Julians, ein Darlehen sei zu fingieren. Die hier vertretene Deutung läuft nicht darauf hinaus, einen hypothetischen oder den tatsächlichen Willen des Geldgebers zur Hingabe eines Darlehens zu unterstellen.175 Der Geldgeber wollte tatsächlich kein Darlehen geben; auch nicht nachträglich will er die Zahlung als Darlehen qualifizieren. Vielmehr wird ein Darlehen aus ethischen Gründen von Rechts wegen fingiert.176 Julian verfolgt mit seiner Lösung des Falles das Ziel, einen Streit zu schlichten: Wenn man sich nicht einigen würde, könnte der Konflikt eskalieren. Im Extremfall würde einer der Beteiligten die Freundschaft beenden. Julian interveniert, um den Empfänger des Geldes und damit auch den Bestand der konkreten Freundschaftsbeziehung zu schützen. So wird das gefährdete Freundschaftsverhältnis quasi repariert und dadurch gerettet. 173  Zur Bedeutung von Leitbildern für die römischen Juristen vgl. die knappen Darlegungen bei Baldus (2017), S.  804. Ein Beispiel: der homo diligens et studiosus pater familias bei Paulus 3 quaest D. 22,3,25 pr.; vgl. Willems (2017), S.  266 f. 174 Vgl. Seneca (1989), S.  116 ff.; vgl. auch Wolkenhauer (2014), S.  113. 175  Siebter Abschnitt, 4. a) und b). 176 Die Auffassung, Julian unterstelle den realen oder hypothetischen Willen des Geldgebers zur Zahlung eines Darlehens, entspricht der pandektistischen Lehre, wonach rechtsgeschäftlichen Erklärungen rechtliche Verbindlichkeit zukommt, weil dies von den Erklärenden gewollt ist (Willenstheorie); in den Motiven zum Bürgerlichen Gesetzbuch heißt es dementsprechend: „Rechtsgeschäft im Sinne des Entwurfes ist eine Privatwillenserklärung, gerichtet auf die Hervorbringung eines rechtlichen Erfolges, welcher nach der Rechtsordnung deswegen eintritt, weil er gewollt ist. Das Wesen des Rechtsgeschäftes wird darin gefunden, dass ein auf die Hervorbringung rechtlicher Wirkungen gerichteter Wille sich bethätigt, und dass der Spruch der Rechtsordnung in Anerkennung dieses Willens die gewollte rechtliche Gestaltung in der Rechtswelt verwirklicht.“ Motive 1 (1888), S.  126. Vgl. bereits Siebter Abschnitt, 4. a) Anm.  33.

8. Die Entscheidung

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e) Welches ist die Konsequenz daraus, dass die Zahlung von Rechts wegen als Darlehen qualifiziert wird? In dem Streit darüber, ob ein Darlehen oder eine Schenkung vorliegt, erklärt der Geldgeber zumindest implizit, falls ein Darlehen gegeben sei, würde er das Geld zurücknehmen. Wenn die Zahlung von Rechts wegen als Darlehen eingestuft wird, kann sich der Geldgeber nicht länger weigern, das Geld anzunehmen. Er würde sich in Widerspruch zu seinem eigenen Verhalten setzen und damit gegen die fides verstoßen. Deshalb ist er moralisch verpflichtet, das Geld zurückzunehmen. Was die weitere Frage betrifft, ob der Geldgeber zur Annahme des Geldes nicht nur moralisch, sondern auch rechtlich verpflichtet ist, so heißt es in der romanistischen Literatur im Hinblick auf den Verzug ganz allgemein, eine generelle Annahmepflicht des Gläubigers bestehe nicht,177 darin sei ein wesentlicher Unterschied zwischen Schuldner- und Gläubigerverzug zu erblicken. Es wird aber auch festgestellt, dass eine Annahmepflicht besteht,178 sodass Schuldner- und Gläubigerverzug quasi spiegelbildlich ausgestaltet sind. Diese Auffassung wurde schon im älteren gemeinen Recht vertreten.179 Das Problem der Annahmepflicht wird in der romanistischen Literatur zusammen mit der eng damit verbundenen Frage erörtert, ob der Gläubigerverzug ein Verschulden des Gläubigers voraussetzt. Wer Verschulden verlangt, geht davon aus, dass eine Annahmepflicht besteht.180 Verschulden heißt dann: schuldhafte Pflichtverletzung. Wer jedoch annimmt, dass der Gläubigerverzug unabhängig vom Verschulden eintritt, setzt voraus, dass eine Annahmepflicht nicht besteht. Reetz hat gezeigt, dass die römischen Juristen keine allgemeine Regel aufstellen, der sich entnehmen lässt, unter welchen Voraussetzungen ein Gläubiger in Verzug gerät und welches die Rechtsfolgen davon sind, sondern im Einzelfall entscheiden, um die jeweilige Interessenlage angemessen berücksichtigen zu

Kaser (1971), S.  517; Kaser / Knütel / Lohsse (2017), S.  233 = Rn.  12. Harke (2005b), S.  99, 112; ders. (2016), S.  113 = Rn.  43 f. Allerdings heißt es ebd., S.  162 = Rn.  1 in Bezug auf das mutuum, der Vertrag erschöpfe sich „in einem reinen Rückgewährschuldverhältnis (…), das den Darlehensgeber überhaupt nicht (…) verpflichtet“. Für den Kauf ist Apathy (1984), S.  205 der Ansicht, dass der Käufer zur Annahme verpflichtet war, „wenn dem Verkäufer Schaden infolge der Nichtannahme erwuchs oder drohte“. Nach Pennitz (2006), S.  183 ist dagegen von einer generellen Annahmepflicht des Käufers nicht auszugehen. 179 Vgl. Apathy (1984), S.  191 f.; Reetz (2015), S.  394 f. 180  Reetz (2015), S.  396 zufolge hat als erster Friedrich Mommsen ein Verschuldenserfordernis mit einer Annahmepflicht gleichgesetzt. Bei Mommsen (1855), S.  134 heißt es: „Soll also wirklich zur Mora des Gläubigers eine culpose Nichtannahme der Leistung erforderlich sein, so muss dem Schuldner das Recht zustehen, vom Gläubiger die Annahme des Gegenstandes der Obligation zu verlangen.“ 177 Vgl. 178 Vgl.

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Siebter Abschnitt: Der dritte Teil des Fragments: nam et si – dissenserimus

können.181 Auch im Hinblick auf das mutuum werden die Juristen keine Regel über das Bestehen einer rechtlichen Annahmepflicht formuliert, sondern eine derartige Pflicht, wenn überhaupt, so nur im Einzelfall postuliert haben. Im Hinblick auf den Darlehens-Schenkungs-Fall erscheint die folgende Lösung konsequent und am ehesten plausibel: Ein moralisch korrekt handelnder amicus würde das Geld annehmen. Um den Empfänger des Geldes zu schützen, wird eine rechtliche Annahmepflicht des Geldgebers begründet. Wenn der Geldgeber die Annahme verweigert, gerät er in Verzug. Der Schuldner ist berechtigt, das vergeblich angebotene Geld zu versiegeln und beim Tempelschatz oder einer anderen öffentlichen Stelle zu hinterlegen.182 Der Geldgeber könnte eine Hinterlegung zwar als unfreundlichen Akt auffassen und die Beziehung abbrechen. So weit muss es aber nicht kommen: Durch die von Julian mitgeteilte Rechtsansicht werden die Rechtsgenossen aufgefordert, den Charakter der Zahlung als Darlehen oder Schenkung festzulegen. In vielen Fällen werden sie der Aufforderung Folge leisten. Sollten sie dies jedoch einmal nicht getan haben, ist von Rechts wegen entschieden, dass ein Darlehen vorliegt und der Geldgeber zur Rücknahme des Geldes verpflichtet ist. Im Regelfall dürfte die Entscheidung geeignet sein, einen Konflikt zu vermeiden oder, wenn es doch dazu kommen sollte, ihn zu lösen. So wird ein durch den Streit bedrohtes Freundschaftsverhältnis durch das Recht in seinem Bestand geschützt. f) Die Rechtsansicht Julians lässt sich zusammenfassend folgendermaßen charakterisieren: Der vorausgesetzte Konflikt tritt in einem Freundschaftsverhältnis innerhalb der römischen Oberschicht auf. Die Bewertung des Falles ist zweistufig; die erste Stufe ist moralischer, die zweite Stufe rechtlicher Natur. Zur ersten Stufe: Maßgeblich ist wohl das Leitbild eines moralisch korrekt handelnden amicus, der sich an den Grundsatz hält, wonach eine Wohltat nicht aufgedrängt werden darf. Ein solcher Freund würde das gezahlte Geld im Nachhinein als Darlehen qualifizieren und den entsprechenden Betrag zurücknehmen. Der Empfänger des Geldes und das konkrete Freundschaftsverhältnis werden geschützt, indem die Zahlung als Darlehen qualifiziert und der Geldgeber moralisch verpflichtet wird, den vom Empfänger angebotenen Betrag anzunehmen. Auf einer zweiten Stufe wird diese moralische Wertung in rechtliche Kategorien übersetzt: Das Verbot, eine Wohltat aufzudrängen, wird als rechtlich maßgeblich anerkannt. Ein Darlehenskonsens wird fingiert, eine Rechtspflicht zur Annahme des Geldes postuliert. Die Rechtsansicht Julians bildet eine juristische 181 Vgl. 182 Vgl.

Rn.  16.

Reetz (2015), S.  407 ff., 419 f. Vidal (1965), S.  545 ff.; Kaser / Knütel / Lohsse (2017), S.  234 = Rn.  16; S.  323 =

8. Die Entscheidung

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Intervention mit dem Ziel, den Empfänger des Geldes und das in seinem Bestand bedrohte Freundschaftsverhältnis zu schützen. Nun lässt sich die Frage beantworten, warum Julian den Eigentumsübergang nicht scheitern lässt, sondern ein Darlehen unterstellt. Die Antwort lautet: Um den Empfänger des Geldes vor einer aufgedrängten Schenkung zu schützen, wird eine Annahmepflicht des Geldgebers postuliert. Eine solche Pflicht lässt sich rechtfertigen, wenn die Zahlung als Darlehen qualifiziert wird. g) Ist die Rechtsansicht Julians utilitatis causa begründet? Die römischen Juristen berufen sich auf die utilitas in zwei Fällen: erstens, wenn eine Rechtsauffassung vorliegt, bei der im Einzelfall dogmatische Regeln aus Gründen der Zweckmäßigkeit durchbrochen werden, und eine allgemeine Zustimmung der Juristen vorliegt (utilitatis causa receptum); zweitens, wenn ein einzelner Jurist die utilitas als Argument anführt, um seine Lösung darauf zu stützen.183 Die Gründe für die Berufung auf die utilitas können ganz unterschiedlicher Art sein.184 Die von Leptien vertretene These, die Berufung auf die utilitas sei immer damit verbunden, dass auch vertretbare dogmatische Argumente für die jeweilige Rechtsauffassung sprechen,185 ist umstritten.186 Julian weicht von dem Grundsatz ab, wonach eine causa nicht zustande kommt, falls ein Dissens vorliegt (sofern die causa einen Konsens verlangt187), sodass der Eigentumsübergang scheitert. Obwohl ein Darlehenskonsens tatsächlich fehlt, wird ein Darlehen von Rechts wegen unterstellt. Durch das Wort constat wird möglicherweise auf die allgemeine Zustimmung unter den römischen Juristen hingewiesen (worauf sogleich eingegangen wird). Julian führt die utilitas in D. 41,1,36 zwar nicht explizit an. Das Wort constat zeigt aber, dass sich bereits mehrere Juristen, vielleicht sogar Julian selbst, zum Thema ge183 Die beiden Funktionen werden von Ankum (2009), S.  531 ff.; ders. (2010), S.  20 ff. unterschieden, der sich damit gegen Navarra (2002), S.  177 ff. wendet, die der Ansicht ist, dass der Wendung nur eine einzige Bedeutung zukommt. Die Wendung utilitatis causa wird danach gebraucht, um eine Rechtsansicht zu begründen, die zwar den dogmatischen Regeln nicht entspricht und daher zunächst kontrovers war, später aber aus praktischen Gründen allgemein akzeptiert wird. Zum Begriff der utilitas als Mittel der Rechtsfindung vgl. auch Kaser (1971), S.  212; Leptien (1967); ders. (1969); Ankum (1968); Wieacker (1983), S.  177 f. Zum Folgenden vgl. Leptien (1967), S.  235; ders. (1969), S.  52 ff.; Ankum (1968), S.  1 ff. 184 Gemeint sind „alle von den Rechtsgenossen als schutz- und förderungswürdig anerkannten Ziele“; Leptien (1969), S.  62. Sie reichen von praktischen Belangen bis zur Verwirklichung von Wertvorstellungen. Vgl. bereits Leptien (1967), S.  236; ähnlich Ankum (1968), S.  29. 185 Vgl. Leptien (1969), S.  63 ff. 186 Ablehnend Ankum (2009), S.  525. 187 Dies ist nicht der Fall, wenn als causa eine gesetzliche Pflicht oder ein einseitiges Rechtsgeschäft (Damnationslegat) fungiert.

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Siebter Abschnitt: Der dritte Teil des Fragments: nam et si – dissenserimus

äußert haben, sodass die utilitas als Begründung nicht jedes Mal erneut angeführt werden muss.188 h) In der romanistischen Literatur ist die Meinung verbreitet, allein Julian habe die von ihm mitgeteilte Rechtsauffassung vertreten.189 So heißt es bei Honsell / Mayer-Maly / Selb, es handele sich um die „sehr persönliche Auffassung Julians.“190 Meissel lobt die „innovative Lösung Julians“.191 Mayer-Maly würdigt gar „Julians Kühnheit“.192 Gegen die Annahme, allein Julian vertrete die von ihm mitgeteilte Rechtsansicht, spricht das Wort constat. In der romanistischen Literatur wird – allgemein, unabhängig vom Julian-Text – festgestellt, damit werde ein zwischen den Juristen bestehender Konsens bezeichnet; es liege unstrittiges, allgemein anerkanntes Recht vor.193 Ein allgemeiner Konsens liegt sicher vor, wenn constat in Verbindung mit einer Wendung gebraucht wird, die zum Ausdruck bringt, dass die jeweilige Position allgemein anerkannt wird; so heißt es zum Beispiel in Ulp 4 Sab D. 28,5,4 pr.: inter omnes constat.194 In der hier untersuchten Julian-Stelle fehlt ein solcher Hinweis. Allgemeine Übereinstimmung herrscht auch, wenn constat mit einer zeitlichen Bestimmung wie hodie oder iam verbunden wird.195 Deutlich ist dann, dass sich ein allgemeiner Konsens in einem längeren Prozess herausgebildet hat, Leptien (1967), S.  230, 234. Vgl. z. B. Liebs (2004), S.  167 f.; Meissel (2008), S.  65 ff., 75 f.; Harke (2016), S.  241 f. = Rn.  17; Kaser / Knütel / Lohsse (2017), S.  147 f. = Rn.  12; Manthe (2019), S.  98. Schon bei Savigny (1841 / 1973), S.  159 heißt es, Julian „behauptet diesen Übergang ganz bestimmt, sogar als unzweifelhaft (constat)“. 190  Honsell / Mayer-Maly / Selb (1987), S.  159. 191  Meissel (2008), S.  65. 192  Mayer-Maly (1991a), S.  52. 193 Vgl. Giaro (1994), S.  76 ff.; ders. (2007), S.  217, 219, 222 ff.; Nörr (2009), S.  12: „unstrittiges Recht“. Bei Giaro (1994), S.  76; ders. (2007), S.  219 heißt es, constat werde gewöhnlich im Hinblick auf Juristensätze verwendet, deren Abstraktionsniveau zwischen Fallentscheidung und allgemeinem Prinzip liege. Im Vocabularium Iurisprudentiae Romanae 1 (1903), Sp.  958 ff. s.v. constat heißt es: Extra dubitationem positum esse, certum esse. Schmidlin (1970), S.  107: „Im Grunde bedeutet er (der Ausdruck constat; Verf.) lediglich, dass in einem gegebenen Fall, in einer Fallfrage oder in einem kasuistischen Problem, diese oder jene Rechtsfolge feststeht, diese oder jene Frage so beantwortet wird, und zwar sei es, dass man etwas außer Diskussion stellen und damit der kasuistischen Erörterung Grenzen ziehen will, sei es als Schlussfolgerung oder Prämisse eines kasuistischen Gedankenganges.“ Nicht klar ist, ob constat Schmidlin zufolge bedeutet, dass der betreffende Jurist eine Entscheidung als sicher betrachtet, oder ob ein entsprechender allgemeiner Konsens vorliegt. 194 Vgl. Bretone (2009), S.  830. 195  Um nur zwei Beispiele aus dem Werk Ulpians zu nennen: Ulp 53 ed D. 39,2,13,8: hodie constat; Ulp 79 ed D. 36,3,1,3: iam constat; vgl. auch Giaro (2007), S.  217. 188 Vgl. 189 

8. Die Entscheidung

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der nun abgeschlossen ist. Eine derartige Angabe fehlt im Julian-Text. Folgt man Bretone, so ist die Bedeutung des Wortes constat (ohne klärenden Zusatz) dem jeweiligen Kontext zu entnehmen.196 Was den Darlehens-Schenkungs-Fall betrifft, so lässt sich zugunsten der Meinung, es liege eine individuelle Auffassung Julians vor, anführen, dass sich Ulpian, der in der gleichen Frage eine abweichende Position vertritt (D. 12,1,18 pr.), allein auf Julian bezieht; andere Juristen werden von ihm nicht genannt. Pernice zufolge führen Ulpian und wohl alle römischen Juristen jedoch immer nur denjenigen Autor namentlich an, der eine neue Auffassung begründet oder zur Geltung gebracht hat.197 Die Nennung Julians schließt somit nicht aus, dass ein allgemeiner Konsens vorliegt. Julian äußert sich möglicherweise als eine Autorität, die mit Entschiedenheit feststellt, was rechtens ist: constat. Behrends zufolge entscheidet Julian „mit der Sicherheit des Schulvorstandes“.198 Der Stil der Darlegungen Julians in dem hier untersuchten Fragment ist auch sonst autoritativ: Die Wendung non animadverto, und damit der Gebrauch der ersten Person Singular, kann als Ausdruck eines starken Selbstbewusstseins verstanden werden, das Julians Stellung als Schuloberhaupt der Sabinianer und seiner besonderen Wertschätzung durch den Kaiser entspricht.199 Eine solche Haltung könnte sich auch im Wort constat manifestieren. Damit wäre allerdings nicht ausgeschlossen, dass Julian sich auf einen allgemeinen Konsens bezieht. Der Jurist würde zwar seine persönliche Autorität geltend machen, zugleich aber ein – im Sinne Bunds – „autoritatives“ Argument verwenden, das heißt eine Begründung, die sich auf eine feststehende Lehrmeinung (oder einen unbezweifelten, elementaren Rechtssatz) bezieht, wie dies auch sonst von Julian bekannt ist.200 Ausschlaggebend ist jedoch die folgende Überlegung: Julian führt seine Rechtsauffassung im Darlehens-Schenkungs-Fall an, um die im ersten Teil des Fragments gefundene Lösung zu begründen. Diesem Zweck kann die Entscheidung nur gerecht werden, wenn sie sicher ist. Sie bildet gewissermaßen den festen Boden, von dem Julian ausgeht, um (im ersten Teil der Stelle) Neuland zu betreten und die Entscheidung eines problematischen Falls zu begründen. Die Rechtsauffassung Julians ist sicher, weil sie der allgemeinen Auffassung unter den römischen Juristen entspricht.201 Bretone (2009), S.  830. Pernice (1885 / 1962), S.  374. 198  Behrends (2008a), S.  263 Anm.  138. 199  Neunter Abschnitt, 1. b). 200 Vgl. Bund (1965), S.  21. 201  So im Ergebnis bereits Dernburg (1857), S.  4; Chlamtacz (1897), S.  99. Eisele (1885), S.  11 f. konstatiert: „Von diesem Standpunkte aus, den zufolge des constat proprietatem 196 Vgl. 197 Vgl.

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Siebter Abschnitt: Der dritte Teil des Fragments: nam et si – dissenserimus

Julian und andere Juristen sind zu ihrer Rechtsauffassung utilitatis causa gekommen; die Auffassung stellt eine Ausnahmeregelung dar, die sich auf die Freundschaftsverhältnisse innerhalb der römischen Oberschicht bezieht. i) Wenn auch gezeigt werden konnte, dass sich der Darlehens-SchenkungsFall im Rahmen eines Freundschaftsverhältnisses verstehen lässt, ist damit noch nicht ausreichend belegt, dass sich derartige Fälle tatsächlich zugetragen haben. Es besteht die Möglichkeit, dass solche Fälle von Julian und anderen Juristen zwar im Hinblick auf Freundschaftsverhältnisse gebildet und bewertet wurden, in der Praxis aber nur geringe oder gar keine Bedeutung hatten. Die Frage nach der praktischen Bedeutung des Darlehens-Schenkungs-Falles wurde in der romanistischen Literatur bisher selten gestellt.202 Einige Überlegungen sprechen dafür, dass dem Fall praktische Relevanz zukommt: Da in Freundschaftsbeziehungen häufig nicht ausdrücklich festgelegt wurde, ob eine Geldzahlung als Schenkung oder als Darlehen gedacht war,203 konnte es in der Praxis wohl nicht nur in seltenen Ausnahmefällen dazu kommen, dass ein Dissens über die causa entstand. Die Auffasssung, das Eigentum gehe über, bildet eine Ausnahme von der Regel, wonach der Eigentumsübergang scheitert, falls eine causa nicht zustande kommt, weil ein Dissens vorliegt.204 Dass Julian und andere Juristen eine solche Ausnahme erlauben, muss einen gewichtigen Grund haben. Die Juristen werden eher von einer Regel abweichen, weil ein praktisches Bedürfnis danach vorliegt, als um der bloß theoretischen Klärung willen. Ulpian hat später, und zwar im Widerspruch zu Julian, zum Eigentumsübergang im Darlehens-Schenkungs-Fall

transire, nicht blos Julian einnahm (…).“ Auch Evans-Jones / MacCormack (1989), S.  105 zufolge sind andere römische Juristen der gleichen Auffassung wie Julian; diese Ansicht sei allgemein akzeptiert. 202  Van Oven (1952), S.  447 konstatiert, der Fall sei ersichtlich nicht der Praxis entnommen. Gordon (1989), S.  129 f. zieht – unter Berufung auf einen (wohl mündlichen, weil ohne Angabe einer Fundstelle mitgeteilten) Vorschlag von Liebs; vgl. ebd., S.  129 Anm.  16 – die Möglichkeit in Betracht, dass der Fall erfunden ist, um ein Rechtsproblem zu illustrieren. Bei Flume (1990), S.  55 heißt es im Hinblick auf das gesamte Julian-Fragment, es sei „evident, dass Julian nicht wirkliche Fälle entschieden“ hat. Nach Ehmann (2003), S.  17 erscheint die praktische Bedeutung des Falles eher gering; große Bedeutung komme ihr (im geltenden Recht) jedoch in bereicherungsrechtlichen Dreiecksbeziehungen zu. Meissel (2008), S.  63 zufolge lässt sich die Frage aufgrund der Überlieferung nicht sicher beantworten. Laborenz (2014), S.  58 f. stellt fest, der Fall wirke eher wie ein konstruierter Schulfall; weitere Nachweise S.  59 Anm.  197. 203  Siebter Abschnitt, 5. c). 204  Dies gilt nur, sofern die causa einen Konsens verlangt, was bei einem einseitigen Rechtsgeschäft (Damnationslegat) und einer gesetzlichen Pflicht nicht der Fall ist.

8. Die Entscheidung

235

Stellung genommen.205 Da constat einen Konsens unter den römischen Juristen bezeichnet,206 dem Ulpian später widersprochen hat, liegt eine über Jahrzehnte intensiv und kontrovers geführte Debatte vor. Plausibel erscheint die Annahme, dass man sich die Mühe einer solchen Diskussion nicht gemacht hat, um einer theoretischen Frage nachzugehen, sondern um ein praktisches Problem zu lösen. Die zahlreichen, im römischen Recht behandelten Streitfragen (ius controversum) machen deutlich, dass die Juristen ihre Aufgabe darin sehen, nicht bloß theoretische Überlegungen vorzutragen, sondern praktische Schwierigkeiten zu bewältigen. Dies wird auch in der romanistischen Literatur vorausgesetzt: Mehrfach wird festgestellt, es bestehe ein Spannungsverhältnis zwischen dem ius controversum und der Rechtssicherheit.207 Von einem derartigen Spannungsverhältnis kann nur unter der Voraussetzung gesprochen werden, dass das ius controversum praktische Fragen betrifft.208 Denn der Begriff der Rechtssicherheit umfasst nicht allein die Klarheit, Beständigkeit und Vorhersehbarkeit des Rechts, sondern vor allem auch der Rechtsanwendung. Der Widerspruch zwischen Julian und Ulpian zeigt somit, dass dem Fall praktische Bedeutung zukommt.209

205 

Achter Abschnitt. Siebter Abschnitt, 8. h). 207  Schwarz (1951), S.  203 stellt fest, durch strittiges Recht werde die Rechtssicherheit gefährdet. S.  204 heißt es, der Begriff des ius controversum sei der nichtjuristischen römischen Literatur durchaus vertraut; die Rhetoren, namentlich die Anwälte, hätten besonderen Anlass gehabt, sich für das strittige Recht zu interessieren. Der gleiche Autor konstatiert S.  211, es bestehe ein sehr naheliegendes praktisches Bedürfnis, juristische Streitfragen zu sammeln und übersichtlich darzustellen. Auch sonst wird der Zusammenhang zwischen ius controversum und Rechtssicherheit diskutiert; vgl. Cannata (2003), S.  27 ff., 39 ff. 208 Bei Bretone (2009), S.  809 heißt es: „Le controversie dottrinali non restavano quasi mai su un piano teorico, in splendida solitudine, ma avevano (o potevano avere) un riscontro in sede forense e giudiziaria.“ In der Zusammenfassung (S.  755) heißt es: „A temporary divergence of opinions is not sufficient to produce a ius controversum; there must be a conflict of doctrines and tendencies, which is of consequence on a practical level.“ Im Hinblick auf Gaius stellt Baldus (2012a), S.  47 fest, es sei zu einfach, ihn als „Didaktiker“, die anderen Juristen als „Praktiker“ zu charakterisieren, denn auch Gaius habe sich an kontroversen Diskussionen beteiligt. Baldus setzt damit voraus, dass juristische Streitfragen eng mit der Praxis zusammenhängen. Eine solche Verbindung unterstellt auch Gokel (2014), S.  57 Anm.  152; S.  67. 209  Dernburg (1857), S.  7 teilt eine Ansicht mit, die „in älterer Zeit häufig ausgesprochen und vertheidigt worden“ sei. Danach ist die Antinomie zwischen Julian und Ulpian darauf zurückzuführen, dass die Rechtsauffassung Julians in der Praxis anerkannt worden sei und die „volksmäßige, populäre Auffassung“ gebildet habe, während die Position Ulpians eher theoretischer, juristischer Natur gewesen sei. Diese Ansicht setzt voraus, dass dem DarlehensSchenkungs-Fall praktische Bedeutung zukommt. Im gleichen Sinne: Chlamtacz (1897), S.  99, 101. 206 

236

Siebter Abschnitt: Der dritte Teil des Fragments: nam et si – dissenserimus

9. Ein spiegelbildlicher Fall (D. 46,3,34,7) a) Die hier vertretene Interpretation der Rechtsansicht Julians im DarlehensSchenkungs-Fall wird möglicherweise durch einen weiteren Text des gleichen Juristen bestätigt, der einen in mancher Hinsicht ähnlichen Fall betrifft: 54 dig D. 46,3,34,7 Si debitorem meum iussero pecuniam Titio dare donaturus ei, quamvis Titius ea mente acceperit, ut meos nummos faceret, nihilo minus debitor liberabitur: sed si postea Titius eandem pecuniam mihi dedisset, nummi mei fient.210

Es liegt eine (beabsichtigte) indirekte Schenkung vor:211 Der Gläubiger (Ego) weist seinen Schuldner an, den geschuldeten Geldbetrag nicht ihm selbst, sondern Titius zu geben, weil er diesen beschenken will. Obwohl Titius das Geld nicht als Geschenk, sondern aus einem anderen (von Julian nicht genannten) Grunde annnimt, wird der Schuldner von seiner Pflicht frei. Später zahlt Titius das Geld an Ego, der dadurch Eigentümer wird. b) Das Verständnis des Textes wird durch zahlreiche Unklarheiten erschwert,212 die sich zum Beispiel auf die Frage beziehen, was sich Titius vorstellt, wenn er das Geld in Empfang nimmt: Besteht ein Missverständnis zwischen dem Schuldner und ihm über den Zweck der Zahlung (vielleicht weil der Schuldner sich unklar ausgedrückt hat) oder erkennt Titius zwar den Schenkungszweck, weigert sich aber, das Geldgeschenk anzunehmen? Und wird Titius Eigentümer? Erlangt er vielleicht nur Durchgangseigentum, sodass Ego sofort danach Eigentümer wird? Sollte Titius Eigentum erlangen, wäre zu untersuchen, welche causa dem Erwerb zugrunde liegt. Diese und weitere Fragen werden von fast jedem Autor anders beantwortet.213 Unerklärlich scheint jedoch vor allem Folgendes zu sein: Spätestens wenn Titius das Geld dem Ego anbietet, erfährt er, dass Ego ihm das Geld schenken 210  „Wenn ich meinen Schuldner angewiesen haben werde, das Geld dem Titius zu geben in der Absicht, es diesem zu schenken, so wird der Schuldner, wenn Titius es in der Absicht angenommen hat, die Gelder zu den meinigen zu machen, trotzdem befreit werden. Aber wenn Titius später das Geld mir gegeben hätte, würden die Gelder mein werden.“ 211 Zum Folgenden vgl. Laborenz (2014), S.  38 ff.; vgl. auch Klinck (2004), S.  235 ff., jeweils mit weiteren Nachweisen. 212  Überblick über den Stand der Diskussion bei Bremer (1970), S.  73 ff.; Klinck (2004), S.  235 ff.; Laborenz (2014), S.  38 ff. 213  Haymann (1948), S.  406; von Lübtow (1965), S.  46; Bremer (1970), S.  79: Der Gläubiger ist (durch Zahlung vonseiten des Schuldners an Titius) Eigentümer geworden. Dagegen Kaser (1980), S.  45 Anm.  98: Titius wird Eigentümer. Wacke (1976), S.  74 Anm.  108: „Die Eigentumsfrage bleibt solange in der Schwebe, bis der Anweisende durch Inempfangnahme der Münzen seinen Schenkungswillen konkludent widerruft.“

9. Ein spiegelbildlicher Fall (D. 46,3,34,7)

237

will. Zu fragen ist, warum Titius das Geldgeschenk nicht annehmen will, und weiter, warum Ego bereit ist, das Geld von Titius entgegenzunehmen, obwohl er es ihm ursprünglich schenken wollte. Diese Unklarheit hat dazu geführt, dass die Julian-Stelle in der wissenschaftlichen Diskussion als geradezu „rätselhaft“ bezeichnet wird.214 c) Eine Lösung des Rätsels folgt aus der Annahme, dass ein Freundschaftsverhältnis zwischen Ego und Titius besteht. Schenkungen gehören zu den unter Freunden üblichen Wohltaten.215 Niemand wird einem anderen ein Geldgeschenk anbieten, den er nicht kennt und schätzt. Um den Personenkreis zu bezeichnen, dem ehrenhafte Geschenke gemacht werden, nennt Ulpian an erster Stelle verdiente Freunde (32 Sab D. 39,5,5).216 Ausnahmen, etwa das Geschenk an einen Bettler, bestätigen die Regel. Eine derartige Ausnahme liegt hier nicht vor: Der Empfänger des Geldes wird mit seinem Namen (Titius) genannt; dadurch wird angedeutet, dass er dem Ego nicht nur namentlich bekannt, sondern auch vertraut ist. Dass die Schenkung indirekt, auf dem Wege der Anweisung an einen Schuldner, erfolgen soll, spricht ebenfalls gegen die Zuwendung an einen anonymen Hilfsbedürftigen und für die Schenkung an einen Freund. Titius ist das Geschenk nicht willkommen – eine Situation, die aus Freundschaftsverhältnissen wohlbekannt ist.217 Welche Gründe im vorliegenden Fall für Titius maßgeblich sind, lässt sich nicht mit Sicherheit feststellen. Vielleicht möchte er sein moralisches „Schuldenkonto“ bei Ego nicht allzu stark belasten. Jedenfalls lehnt er das Geschenk ab, vermutlich bereits in dem Augenblick, als der Schuldner ihm das Geld anbietet.218 Gleichwohl nimmt Titius das Geld an, weil er einen offenen Konflikt mit seinem Freund vermeiden möchte, plant jedoch, das Geld später dem Ego zu zahlen. Als er dem Ego erklärt, dass er das Geldgeschenk nicht annehmen wolle, zeigt dieser sich einsichtig: Er nimmt das Geld entgegen, weil er seinem Freund kein Geschenk aufdrängen möchte. Im Folgenden wird untersucht, wie das Eigentum vom Schuldner auf Titius übergeht: Feststeht, dass Ego das Eigentum an den Münzen erlangt, indem Titius sie ihm übergibt: si postea Titius eandem pecuniam mihi dedisset, nummi mei fient. Titius muss also bereits zuvor Eigentum erworben haben, und zwar durch Haymann (1948), S.  406; ähnlich Bremer (1970), S.  74. Siebter Abschnitt, 5. b). 216  Siebter Abschnitt, 5. b). 217  Zu den möglichen Gründen, aus denen eine Schenkung zurückgewiesen werden könnte: Siebter Abschnitt, 7. c) und 8. b). 218  Die Vermutung setzt voraus, dass Titius den Zweck der Zahlung von vornherein erkennt – eine Voraussetzung, die den Vorteil hat, dass sie ohne die zusätzliche Annahme eines Missverständnisses auskommt. So im Ergebnis auch Klinck (2004), S.  235 mit weiteren Nachweisen Anm.  94. 214  215 

238

Siebter Abschnitt: Der dritte Teil des Fragments: nam et si – dissenserimus

Übergabe vonseiten des Schuldners. Bremer stellt zwar fest, Titius erwerbe kein Eigentum, „da ihm der Wille, Eigentum zu erwerben, fehlt“219, es heißt aber, Titius nehme die Münzen an, ut meos nummos faceret. Titius beabsichtigt demnach, das Eigentum an den Münzen später auf Ego zu übertragen (postea wie es im folgenden Satz heißt). Vorausgesetzt wird damit, dass er zunächst einmal selbst Eigentum erwirbt.220 Nur so lässt sich auch erklären, warum der Schuldner befreit wird (debitor liberabitur). Fragt man weiter, auf welcher causa die Übereignung vom Schuldner an Titius beruht, so kommen mehrere Möglichkeiten in Betracht. Laborenz ist der Auffassung, Titius habe das Geld als Darlehen angenommen,221 wendet allerdings selbst zu Recht ein, dass Titius später eandem pecuniam an Ego zahlt:222 Hätte Titius das Geld als Darlehen in Empfang genommen, würde er nicht die gleichen Münzen später dem Ego übergeben. Wenn es heißt Titius ea mente acceperit, ut meos nummos faceret, folgt daraus, dass Titius als jemand handelt, der das Geld für einen Freund in Empfang nimmt, um es ihm später zu übereignen. Titius geht wie ein Mandatar vor.223 Die Geschäftsführung besteht darin, das Geld in Empfang zu nehmen, sich dadurch übereignen zu lassen und es später dem Ego zu übereignen. Möglicherweise fragt sich Titius, wie Ego sich als guter Freund verhalten würde, wenn er wüsste, dass Titius das Geschenk nicht annehmen möchte: Er würde ihn wohl um den Freundschaftsdienst bitten, das Geld in seinem Auftrag anzunehmen, um es ihm später zu übereignen. Titius hätte dann ein mandatum im Sinn. Während Ego schenken will, handelt Titius wie ein Beauftragter. Trotzdem geht das Eigentum auf ihn über. Würde Titius sich weigern, das Geld vom Schuldner anzunehmen, läge darin ein Affront gegenüber Ego. Titius verhält sich jedoch rücksichtsvoll, indem er sich, wie von Ego gewünscht, das Eigentum an den Münzen (wenn auch nur vorläufig) übertragen lässt. Ego seinerseits ist einsichtig und nimmt die Münzen entgegen, weil er seinem Freund kein Geschenk aufdrängen möchte. Der dargestellte Ablauf impliziert, dass Titius trotz des Dissenses über die causa Eigentümer wird.224 Julian dürfte das Leitbild eines moralisch korrekt handelnden Bremer (1970), S.  73. Laborenz (2014), S.  38 f. 221  Vgl. ebd., S.  38. 222  Vgl. ebd., S.  38 Anm.  88. 223 Titius handelt nicht „als“ Beauftragter, weil er von der Schenkungsabsicht des Ego Kenntnis hat. 224  Ginge das Eigentum nicht über, würde Ego von Titius das Eigentum nicht erlangen. Er müsste es sich erst noch von seinem Schuldner (durch traditio brevi manu) übertragen lassen – ein etwas umständliches Verfahren. 219 

220 Vgl.

10. Begründung der Regel

239

Freundes vor Augen haben, der eine Wohltat nicht aufdrängen würde und deshalb mit einem Auftrag einverstanden wäre. Vermutlich unterstellt Julian einen Auftrag als causa, möglicherweise Geschäftsführung ohne Auftrag. Wie dem auch sei: Jedenfalls wird das auf den Erhalt der Freundschaft bedachte Verhalten von Titius und Ego auf diese Weise rechtlich anerkannt und ihr Freundschaftsverhältnis rechtlich geschützt. Im Vergleich zum Darlehens-Schenkungs-Fall zeigen sich Unterschiede und Übereinstimmungen. Ein Unterschied besteht darin, dass der Dissens im Darlehens-Schenkungs-Fall den Beteiligten während der Übergabe nicht bewusst ist, während Titius die Schenkungsabsicht des Ego kennt. Im DarlehensSchenkungs-Fall verhält sich der Geldgeber nicht als moralisch korrekt handelnder Freund, sodass es zu einem Konflikt kommt, während der Geldgeber sich im zuletzt untersuchten Fall einsichtig zeigt, das Geld annimmt und sich damit im Sinne des Freundes verhält. Gemeinsam ist beiden Fällen, dass ein Freundschaftsverhältnis vorausgesetzt wird und ferner, dass das Eigentum am Geld übergeht, obwohl ein Dissens über die causa besteht. Eine causa wird fingiert. Insofern ist der Darlehens-Schenkungs-Fall nicht singulär.

10. Die Rechtsauffasssung im Darlehens-Schenkungs-Fall als Begründung der Regel a) Die Rechtsauffassung im Darlehens-Schenkungs-Fall wird von Julian nicht um ihrer selbst willen mitgeteilt, sondern dient zur Begründung der Regel (Teil 1) (nam et si).225 Der im dritten Teil dargestellte Sachverhalt bildet einen Vergleichsfall.226 Die Berufung auf einen Vergleichsfall gehört zu einem Typus von Argumenten, die Bund als „angeknüpften Fall als Argument“ bezeichnet.227 Nam kann auch „aber“ oder „und“ bedeuten; vgl. Heumann / Seckel (1914), S.  358 s.v. nam. Das Wort nam hat hier aber die übliche Bedeutung „denn“. Zu der von römischen Juristen häufig gebrauchten Wendung nam et si allgemein: García-Garrido / Reinoso Barbero (1994), S.  196 ff. = Nr.  5276 ff.; Kalb (1888 / 1961), S.  121 Anm.  4; Pfeil (1998), S.  30 Anm.  80: Die Wendung nam et si erscheint „in den Digesten auffallend oft“. 226  Julian verwendet mit Vorliebe Vergleichsfälle, um seine Entscheidungen zu begründen; vgl. Buhl (1886), S.  107; Bund (1976), S.  445; Giaro (1990), S.  194 f. Zur Bedeutung der Argumentation mithilfe von Vergleichsfällen bei den römischen Juristen allgemein: Harke (2015), S.  9 = Rn.  4; Gokel (2014), S.  55 f. 227  Bund (1965), S.  20 ff. Bund unterscheidet ebd., S.  10 ff. zwei „Typen anknüpfenden Falldenkens“: die „Anlehnung“ (S.  11 ff.), bei der „auf eine Entscheidung, die als Ausgangspunkt genommen wird, eine andere, der ersten ähnliche oder gleiche“ folgt (S.  10), sowie den „angeknüpften Fall als Argument“ (S.  20 ff.); hier dient der zweite Fall zur Begründung der Entscheidung des Ausgangsfalles. 225 

240

Siebter Abschnitt: Der dritte Teil des Fragments: nam et si – dissenserimus

Damit der Darlehens-Schenkungs-Fall als Vergleichsfall geeignet ist, muss er mit der Fallgruppe, auf die sich die Regel bezieht, in zwei Punkten übereinstimmen: erstens darin, dass eine wirksame causa gegeben ist, zweitens darin, dass ein Dissens über den Leistungszweck besteht. Was die Regel betrifft, so liegt eine causa vor; sogar zwei wirksame Kausalverhältnisse sind gegeben. Maßgeblich für den Eigentumsübergang ist jedoch allein die causa, die sich der Tradent während der Übergabe vorstellt.228 Auch besteht ein Dissens über den Leistungszweck. Im Darlehens-Schenkungs-Fall liegt ebenfalls eine causa vor, nämlich ein (fingiertes) Darlehen, und es besteht ein Dissens über den Leistungszweck. Die Botschaft Julians im ersten Teil des Fragments lautet: Die drei traditionellen Voraussetzungen für die Übereignung einer res nec mancipi liegen vor, also geht das Eigentum über. Eine Leistungszweckvereinbarung ist nicht erforderlich, sodass der Dissens über den Leistungszweck unschädlich ist. Darin stimmen der Dissens in causis (1. Teil) und der Darlehens-Schenkungs-Fall (3. Teil) überein. Es lassen sich zwar erhebliche Unterschiede zwischen den beiden Fällen ausmachen,229 sodass eingewendet werden könnte, die Übereinstimmung sei so gering, dass der Darlehens-Schenkungs-Fall als Vergleichsfall ungeeignet sei. Julian zieht aber häufig Fälle zur Begründung heran, die nur geringe Ähnlichkeit mit dem zu entscheidenden Fall haben. Wie andere römische Juristen auch, möchte er offenkundige Neuerungen möglichst vermeiden230 und bemüht sich deshalb, an althergebrachte, allgemein anerkannte und bewährte Lösungen anzuknüpfen – selbst dann, wenn die Verbindung zu den bereits entschiedenen Fällen (zumindest nach heutigem Verständnis) nur locker ist.231 b) Im ersten Teil des Fragments gibt Julian eine implizite Begründung für die Wirksamkeit der Übereignung: Die drei traditionellen Voraussetzungen dafür sind erfüllt.232 Julian sieht jedoch ein neues Problem: den Dissens über den Leistungszweck. Der Jurist ist der Auffassung, dass der Dissens unbeachtlich ist, ohne dies explizit zu begründen. Im dritten Teil gibt Julian eine ausdrückliche Begründung, indem er einen Vergleichsfall anführt. Das Eigentum geht darin ebenfalls über, obwohl ein Dissens über den Leistungszweck vorliegt. Die Be-

228 

Sechster Abschnitt, 7. c). Teil 3 setzt eine einzige causa voraus (ein Darlehen), während im ersten Teil des Fragments zwei Kausalverhältnisse vorliegen, von denen allerdings nur eine causa für den Eigentumsübergang maßgeblich ist. Nach Teil 3 liegen causa und traditio gleichzeitig vor, in Teil 1 geht die causa der traditio zeitlich voraus. 230 Vgl. Pfeil (1998), S.  15 mit weiteren Nachweisen Anm.  38. 231 Vgl. Bund (1965), S.  6 f. 232  Traditio und causa liegen vor; die Verfügungsbefugnis des Tradenten wird unterstellt. 229 

10. Begründung der Regel

241

rufung auf diesen Fall trägt dazu bei, die Entscheidung der neuen Fallgruppe (Teil 1) mit dem altbekannten, bereits etablierten Recht (Teil 3) zu verknüpfen. c) Da im dritten Teil des Julian-Fragments von einem Darlehen nicht explizit gesprochen wird, muss der Jurist sich an einer anderen Stelle ausdrücklich dazu geäußert haben. Andernfalls wäre es für einen zeitgenössischen Leser nicht verständlich gewesen, warum die Lösung des Darlehens-Schenkungs-Falles dazu dient, die im ersten Teil wiedergegebene Rechtsauffassung zu begründen. Die Kompilatoren haben das überlieferte Julian-Fragment möglicherweise um eine solche Begründung gekürzt.233 Wenn die Begründung sich unmittelbar an den dritten Teil angeschlossen hätte, wäre es für die zeitgenössischen Leser Julians leicht gewesen, die Ähnlichkeit zwischen der zur Regel gehörenden Fallgruppe (Teil 1) und dem Vergleichsfall (Teil 3) wahrzunehmen und die Begründung zu verstehen. Ein Grund für die Annahme, dass die Entscheidung des Darlehens-SchenkungsFalles um eine Begründung gekürzt wurde, könnte lauten: Die Lösung weicht von der zu erwartenden Entscheidung (wonach der Eigentumsübergang mangels causa scheitert) ab und ist deshalb begründungsbedürftig. Dagegen muss aber das Wort constat (D. 41,1,36) angeführt werden: Da der Eigentumsübergang der herrschenden Meinung unter den römischen Juristen entspricht, wird der Äußerung Julians eine längere Diskussion unter den römischen Juristen vorausgegangen sein. Zu Beginn der Diskussion war die Entscheidung noch begründungsbedürftig. Als sich diese Lösung später durchgesetzt hatte, brauchte sie nicht mehr in jedem Fall ihrer Erwähnung begründet zu werden. Dem Leser von Julians digesta konnte die Begründung bekannt sein. Hinzu kommt, dass Julian die Rechtsansicht im Darlehens-Schenkungs-Fall nicht um ihrer selbst willen mitteilt, sondern zur Begründung der Regel (Teil 1 des Fragments) anführt. Ungewöhnlich wäre es, wenn Julian eine Begründung ihrerseits begründet hätte. Denn die Entscheidung in einem Vergleichsfall muss eine sichere Grundlage bilden, von der man ausgehen kann, um eine problematische Fallgruppe (Teil 1) zu lösen. Die Entscheidung im Vergleichsfall darf nicht selbst begründungsbedürftig sein. Wahrscheinlich hat sich Julian an einer weiteren, nicht überlieferten Stelle zum gleichen Fall geäußert und die Entscheidung begründet.234 Weglassung von Begründungen durch die Kompilatoren vgl. Wieacker (2006), S.  49. Horak (1969), S.  289 f. stellt fest, „dass ohne Zweifel massenhaft Begründungen, die einst existiert haben, später gestrichen worden sind“. Allgemein zu Kürzungen der Klassikertexte durch die Kompilatoren: Wieacker (1993), S.  429; Kaser (1972), S.  24 f. (Kürzungen von Kontroversenberichten), S.  32 ff. (Kürzungen aus anderen Gründen). Zu den möglichen Gründen für die Weglassung von Begründungen vgl. Empell (2012b), S.  455. 234  Weitere Überlegungen zur Frage, ob Julian sich zum Darlehens-Schenkungs-Fall an einer nicht überlieferten Stelle geäußert hat: Achter Abschnitt, 2. c). 233 Zur

Achter Abschnitt

Die Antinomie 1. Der Widerspruch Ulpians (D. 12,1,18 pr.) a) Der dritte Teil des Julian-Fragments steht in einem engen Zusammenhang mit einer Äußerung Ulpians aus dem siebten Buch seiner Disputationen: D. 12,1,18 pr. und 1 Si ego pecuniam tibi quasi donaturus dedero, tu quasi mutuam accipias, Iulianus scribit donationem non esse: sed an mutua sit, videndum et puto nec mutuam esse magisque nummos accipientis non fieri, cum alia opinione acceperit. quare si eos consumpserit, licet condictione teneatur, tamen doli exceptione uti poterit, quia secundum voluntatem dantis nummi sunt consumpti. 1. Si ego quasi deponens tibi dedero, tu quasi mutuam accipias, nec depositum nec mutuum est: idem est et si tu quasi mutuam pecuniam dederis, ego quasi commodatam ostendendi gratia accepi: sed in utroque casu consumptis nummis condictioni sine doli exceptione locus erit.1

Ego zahlt Geld an Tu als Geschenk, Tu nimmt es als Darlehen an.2 Ulpian fährt fort, Julian habe geschrieben, eine Schenkung liege nicht vor. Ob ein Darlehen zustande gekommen ist, sei zu prüfen.3 Ulpian zufolge scheitert der Eigentumsübergang, weil ein Darlehen nicht zustande gekommen ist. Die vorsichtige 1 

„Wenn ich dir Geld gebe, gleichsam um es zu schenken, du es aber gleichsam als Darlehen annimmst, schreibt Julian, liege keine Schenkung vor. Doch ob ein Darlehen zustande gekommen ist, muss geprüft werden. Und ich glaube, es ist auch kein Darlehen, und die Münzen werden nicht Eigentum des Empfängers, wenn er sie in anderer Meinung angenommen hat. Wenn er sie also verbraucht hat, haftet er zwar aufgrund einer condictio, aber er kann eine exceptio doli geltend machen, da die Münzen gemäß dem Willen des Gebers verbraucht worden sind. Wenn ich dir [Geld] zur Verwahrung gebe, du es aber als Darlehen annimmst, ist weder ein Verwahrungsvertrag noch ein Darlehensvertrag zustande gekommen. Dasselbe gilt auch, wenn du Geld als Darlehen gibst, ich es aber als geliehen annehme, um es jemandem zu zeigen; wenn das Geld verbraucht ist, ist in beiden Fällen die Kondiktion gegeben, und zwar ohne exceptio doli.“ 2 Das zweimal verwendete Wort quasi bringt zum Ausdruck, dass die Beteiligten sich jeweils unterschiedliche Rechtsgeschäfte vorstellen und sich damit bezüglich der Absicht des anderen täuschen. Dieses Wort wird hier nicht verwendet, um die Gleichbehandlung ähnlich gelagerter, aber noch nicht entschiedener Fälle zu bezeichnen; vgl. Hackl (1999), S.  117 ff. Weitere Nachweise zu quasi: Siebter Abschnitt, 1. a) Anm.  3. 3  Oder: „Ob ein Darlehen zustande gekommen sei, müsse geprüft werden.“ Die Frage, ob

244

Achter Abschnitt: Die Antinomie

Formulierung et puto nec mutuam esse magisque nummos accipientis non fieri ist der Wendung et puto verius esse (Ulp 32 ed D. 19,5,20 pr.) vergleichbar, die Wieacker zufolge ein Indiz dafür bildet, dass „das maßvolle mittlere, doch nicht mittelmäßige Urteil (…), das Schärfe und Selbständigkeit nicht ausschließt,“ für Ulpian charakteristisch ist.4 Wenn das gezahlte Geld verbraucht ist,5 steht dem Zahlenden die condictio zu,6 der Empfänger kann jedoch die exceptio doli dagegen geltend machen.7 Anders verhält es sich, wenn jemand Geld zur Verwahrung gibt, das als Darlehen angenommen wird; oder wenn Geld als Darlehen gegeben wird, jedoch als Leihe (um die Geldstücke jemand zu zeigen) angenommen wird. In solchen Fällen steht zwar auch (nach Verbrauch oder Vermischung des Geldes) die Kondiktion zur Verfügung, der Empfänger kann aber nicht die Einrede der Arglist geltend machen. b) „Wir stehen vor einer brutalen Antinomie“:8 Mit seiner Rechtsauffassung im Darlehens-Schenkungs-Fall stellt sich Ulpian nicht nur in Gegensatz zu Julian,9 sondern er weicht auch von einer zur Zeit Julians allgemein vertretenen sed an mutua sit, videndum Julian oder Ulpian zuzuschreiben ist, wird weiter unten behandelt; Achter Abschnitt, 2. d). 4  Wieacker (2006), S.  131. Honoré (2002), S.  53 ff. führt zahlreiche Wendungen an, die Ulpians Einstellung gegenüber rechtlichen Entscheidungen anderer Juristen zum Ausdruck bringen, darunter magisque est / erit und sed est verius. In D. 12,1,18 pr. mag auch von Bedeutung sein, dass Ulpian nicht irgendeinem Juristen, sondern Julian und damit einer herausragenden Autorität widerspricht. 5 Andernfalls die Vindikation; vgl. auch Gordon (1989), S.  129. Zur Frage, ob dem Empfänger des Geldes auch bei diesem Rechtsbehelf die exceptio doli zur Verfügung steht, vgl. Saccoccio (2002), S.  346 Anm.  124 mit weiteren Nachweisen. 6  Gemeint ist die condictio indebiti; vgl. Wimmer (2007), S.  43. Die exceptio doli müsste dem Empfänger des Geldes auch zur Verfügung stehen, wenn die vindicatio nummorum geltend gemacht wird; vgl. ebd., S.  44. 7 Die Rückforderung wäre ein selbstwidersprüchliches Verhalten: venire contra factum proprium; vgl. ebd, S.  43; Pichler / Kossarz (2014), S.  27; dies. (2018), S.  103. 8  Chlamtacz (1897), S.  94 Anm.  1 berichtet: „Mit dem Gefühle einer gerechten Entrüstung über die Kompilatoren sagt Eck in seiner Pandektenvorlesung im Sommersemester 1894: ‚Wir stehen vor einer brutalen Antinomie.‘“ Ernst Eck (1838–1901), seit 1881 Professor für römisches Recht an der Universität Berlin, ging davon aus, die Julian-Stelle sei von den Kompilatoren interpoliert. 9  Dernburg (1857), S.  10 ff. war der Auffassung, ein Gegensatz bestehe nicht, weil Julian und Ulpian verschiedene Sachverhalte entschieden hätten: Julian beziehe sich auf den Fall eines unbewussten Dissenses; nach Ulpian habe der Empfänger des Geldes dagegen explizit klargestellt, dass er das Geld nicht als Geschenk annehmen wolle. Gleichwohl habe er das Geld angenommen, vielleicht in der Hoffnung, den Geldgeber umzustimmen; möglicherweise habe sich der Geldgeber plötzlich entfernt. Maßgeblich ist Dernburg zufolge in beiden Fällen der Grundsatz, dass ein Konsens über den Eigentumsübergang genügt, damit das Eigentum übergeht. In dem von Ulpian entschiedenen Fall sei der Wille, das Eigentum zu empfangen, jedoch an die Bedingung geknüpft, dass eine Schenkung zustande komme. Da ein Schenkungskonsens

2. Die Grenze zwischen den Darlegungen Julians und Ulpians

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Auffassung ab, wonach das Eigentum übergeht (constat im dritten Teil des Julian-Textes).10 Ulpians Darlegungen zeigen, dass eine einmal gefestigte herrschende Meinung nicht unumstößlich war, sondern revidiert, zumindest kritisiert werden konnte.11 Pernice konstatiert, Ulpian und wohl alle römischen Juristen führten in ihren Darlegungen den Autor namentlich an, durch den eine neue Auffassung begründet oder zur Geltung gebracht werde.12 Wäre dies zutreffend, hätte Julian entscheidend dazu beigetragen, der Auffassung zum Durchbruch zu verhelfen, wonach im Darlehens-Schenkungs-Fall das Eigentum übergeht.

2. Die Grenze zwischen den Darlegungen Julians und Ulpians a) Unklar ist, wo die Wiedergabe der Darlegungen Julians beginnt und wo sie endet. Zunächst zum möglichen Beginn, der mit dem Anfang des gesamten Textes zusammenfällt: D’Ors weist auf die Ähnlichkeit zwischen D. 41,1,36 und D. 12,1,18 pr. hin. Bei Julian heiße es si pecuniam numeratam tibi tradam donandi gratia, tu eam quasi creditam accipias, bei Ulpian si ego pecuniam tibi quasi donaturus dedero, tu quasi mutuam accipias. Diese Ähnlichkeit zeigt d’Ors zufolge, dass sich Ulpian genau auf den in D. 41,1,36 überlieferten JulianText bezieht, indem er ihn zitiert.13 b) Um diese These zu überprüfen, sind zwei Fragen zu unterscheiden: Zitiert Ulpian einen Julian-Text? Und unabhängig davon, wie die Antwort ausfällt: Bezieht sich Ulpian inhaltlich auf den Text, der in D. 41,1,36 überliefert ist, oder auf eine zweite, nicht überlieferte Julian-Stelle? Was die erste Frage angeht, so fällt zwar die Ähnlichkeit der Julian und Ulpian zugeschriebenen Worte auf. Es ist aber auch ein möglicherweise bedeutsamer Unterschied festzustellen. Ulpian sagt: dedero (Futur II: „ich werde gegeben fehle, scheitere Ulpian zufolge der Eigentumsübergang, während die Übereignung nach Julian gelinge. Einzuwenden ist: Die Texte lassen einen Unterschied in den Sachverhalten nicht erkennen. Der ausdrückliche, gegen Julian gerichtete Widerspruch Ulpians ist nur sinnvoll, wenn die gleichen Fälle entschieden werden. Die von Dernburg getroffene (scharfsinnige, aber auch fantasievolle) Unterscheidung nach Sachverhaltsvarianten ist eine dem Zweck der Harmonisierung der Quellen entsprechende Distinktion, die im Rahmen des ius commune angemessen gewesen sein mag, heute jedoch methodisch überholt ist; zur Auslegungsmethode der Distinktion: Dritter Abschnitt, 7. b). 10  Siebter Abschnitt, 8. h). 11  Zu solchen Fällen vgl. Giaro (1994), S.  77; ders. (2007), S.  222 mit weiteren Nachweisen Anm.  68. 12 Vgl. Pernice (1885 / 1962), S.  374. 13  D’Ors (1955), S.  146.

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Achter Abschnitt: Die Antinomie

haben“), während es bei Julian heißt: tradam. Nach Honoré ist für den Stil Ulpians charakteristisch, das Futur anstelle des Präsens zu verwenden.14 Daraus folgt allerdings nicht, dass der Satz allein von Ulpian stammt. Möglicherweise hat dieser einen von Julian übernommenen Satz bloß modifiziert. Denn es kann nicht unterstellt werden, dass Ulpian aus dem Werk Julians einfach nur zitiert. Wolf zufolge entspricht es nämlich der antiken Praxis, dass die zitierenden Autoren sich nicht wörtlich an den vorliegenden Text hielten, sondern kleine sprachliche Änderungen vornahmen; die wörtliche Übernahme eines fremden Textes erschien ihnen als mit dem Anspruch eigener literarischer Leistung unvereinbar.15 Die Frage, ob Ulpian einen Julian-Text (geringfügig verändert) zitiert, oder ob er den Inhalt des Textes mit eigenen Worten wiedergibt, kann daher nicht mit Sicherheit beantwortet werden. c) Nun zur Frage, ob sich Ulpian auf D. 41,1,36 oder auf einen weiteren, nicht überlieferten Text bezieht: Anders als Ulpian geht Julian in D. 41,1,36 nicht auf die Frage ein, ob ein Darlehen oder eine Schenkung zustande kommt, was dafür spricht, dass Ulpian einen nicht tradierten Text im Auge hat. Es ließe sich zwar einwenden, die Kompilatoren hätten die Begründung für den Eigentumsübergang im unmittelbaren Anschluss an den in D. 41,1,36 überlieferten Text weggelassen.16 Diese Annahme ist aber, wie bereits gezeigt wurde,17 nicht plausibel. Ulpian dürfte sich eher auf eine zweite, nicht überlieferte Julian-Stelle beziehen. Bereits Savigny war denn auch der Auffassung, dass Ulpian eine andere JulianStelle als das in D. 41,1,36 überlieferte Exzerpt anspricht.18 Honoré (2002), S.  59 ff. Zu ergänzen ist: Auch acceperit und consumpserit, die eindeutig von Ulpian stammen, stehen im Futur II (einer Form, die auch dem Perfekt Konjunktiv entspricht). 15 Vgl. Wolf (2007a), S.  444, 448, 454 mit weiteren Nachweisen S.  444 Anm.  49. Ein Beispiel für die Zitierpraxis römischer Juristen behandelt Wolf (2007a), S.  435 ff., der die ScaevolaResponsen in den Libri ad Vitellium des Paulus untersucht und zu dem Ergebnis gelangt, dass Paulus die Scaevola-Texte zum Teil geringfügig modifiziert (auch gekürzt) mitgeteilt, zum Teil aber auch syntaktisch stark verändert hat; vgl. Wolf (2007a), S.  473 f. Darüber hinaus hat Wolf (2007b), S.  66 gezeigt, dass in Scaevola-Responsen enthaltene, scheinbare Zitate aus Testamenten und Kodizillen insofern täuschen, als sie häufig keine wortgetreue Wiedergabe des Originals enthalten. Wenn sich klassische Juristen auf Cicero beziehen, wird zum Teil fast wörtlich zitiert, zum Teil liegt eine erhebliche Abweichung vom ursprünglichen Text vor; vgl. Nörr (2003a), S.  1199* f., 1205*, 1213* f. Die Zitierpraxis bietet somit ein buntes Bild. 16  Zur Weglassung von Begründungen durch die Kompilatoren: Siebter Abschnitt, 10. c) Anm.  233. 17  Siebter Abschnitt, 10. c). 18 Vgl. Savigny (1841 / 1973), S.  160 f. Anm. (e); ebenso Eisele (1885), S.  12; Hoenig (1913), S.  6 ff.; Schönbauer (1932), S.  162 f.; Barton (2001), S.  28. Anderer Auffassung sind Lange (1930), S.  65 und Rebro (1968), S.  218. Harke (2005a), S.  105 stellt fest, Grund für Ulpians Zitat sei „vermutlich“ der als D. 41,1,36 überlieferte Auszug aus Julians digesta. 14 Vgl.

2. Die Grenze zwischen den Darlegungen Julians und Ulpians

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Als Zwischenergebnis kann festgestellt werden: Nicht deutlich ist, ob Ulpian mit Si ego – accipias einen Julian-Text (geringfügig verändert) zitiert oder ob er den Sachverhalt mit eigenen Worten wiedergibt. Sicher ist nur, was ohnehin auf der Hand liegt, dass nämlich Ulpian mit den Worten Iulianus scribit Darlegungen einleitet, die sich auf eine Äußerung Julians beziehen. d) Zu klären bleibt die weitere (und wichtigere) Frage, wo das Referat der Darlegungen Julians endet. In der romanistischen Literatur ist umstritten, ob die Position Julians allein mit den Worten Iulianus scribit donationem non esse mitgeteilt wird,19 oder ob auch die unmittelbar folgende Wendung sed an mutua sit, videndum Julian zuzuschreiben ist, sodass Ulpians eigene Stellungnahme mit et puto beginnt.20 Lange vertritt die These, videndum sei ein Lieblingswort Ulpians; Julian verwende es nicht.21 Wäre dies zutreffend, würde es dafür sprechen, dass Ulpians Ausführungen mit sed an mutua sit beginnen. Diese These hat jedoch mehrfach Widerspruch erfahren. So hat Pflüger zwei Stellen mit Julian-Zitaten angeführt, in denen videndum gebraucht wird – Ulp 17 ed D. 6,1,37 und Paul 33 ed D. 18,5,3.22 Als weitere Belege hat Kunkel vier Fragmente genannt.23 Wolf hat noch Paul 37 ed D. 46,5,2,2 hinzugefügt.24 Das Wort videndum führt somit nicht weiter. Um die Grenze zwischen den Darlegungen Julians und Ulpians auszumachen, ist es zweckmäßig, nach einem Wort oder einer Wendung Ausschau zu halten, durch die eine Zäsur deutlich bezeichnet wird.25 In Betracht kommen sed und et puto. 19 Vgl. Hoenig (1913), S.  8 Anm.  3; Lange (1930), S.  66; van Oven (1952), S.  448 Anm.  10. Nach videndum wäre zu ergänzen est, sonst (falls videndum noch zur Mitteilung der Position Julians gehören sollte) esse; vgl. auch Kaser (1961b), S.  226; Wolf (1961), S.  105 f.; Saccoccio (2002), S.  334; Laborenz (2014), S.  45 Anm.  129. 20  Meissel (2008), S.  75 Anm.  40 zufolge wird videndum noch Julian zugeschrieben; dafür habe sich schon Cujas ausgesprochen, es gebe aber auch andere Auffassungen. Die Auffassung, videndum sei noch Julian zuzuschreiben, wird auch vertreten von Kaser (1961b), S.  226; Wolf (1961), S.  105 f.; Wunner (1964), S.  210; Laborenz (2014), S.  45 Anm.  129; Krampe (2014), S.  491 mit weiteren Nachweisen Anm.  6. Auch in den Übersetzungen von Behrends / Knütel /  Kupisch / Seiler 3 (1999), S.  58; Gaurier 1 (2017), S.  464 und Pichler / Kossarz (2018), S.  99 (vgl. auch ebd., S.  101) wird vorausgesetzt, dass videndum noch zu Julians Darlegungen gehört. 21 Vgl. Lange (1930), S.  66. 22 Vgl. Pflüger (1937), S.  19. 23 Vgl. Jörs / Kunkel / Wenger (1978), S.  128 Anm.  16: Paul 17 Plaut D. 12,1,31,1; Paul 48 ed D. 39,2,18,5; Afr 4 quaest D. 16,1,19,5 und 8 quaest D. 19,5,24. 24 Vgl. Wolf (1961), S.  106. 25 Voraussetzung ist, dass keine Interpolation vorliegt, z.  B. keine Weglassung nach videndum (esse oder est).

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Achter Abschnitt: Die Antinomie

Die Wendung et puto wird von Ulpian auffallend häufig gebraucht.26 Die Rede in der Ich-Form bringt zum Ausdruck, dass der Jurist seine eigene Position betont – vielleicht in Abweichung von der Auffassung anderer Juristen.27 Gegen die Möglichkeit, dass die Wendung et puto eine Zäsur markiert, spricht jedoch, dass Ulpian häufig zwei Sätze nicht nur sprachlich, sondern auch inhaltlich miteinander verbindet,28 indem er an den Anfang des zweiten Satzes ein weiterführendes Wort stellt, zum Beispiel et.29 Sollte dies auch hier der Fall sein, würde et puto voraussetzen, dass der vorangehende Satz ebenfalls von Ulpian stammt. Denn der Jurist wird nicht zwei Sätze miteinander verknüpft haben, die von verschiedenen Autoren stammen und inhaltlich voneinander abweichen. Plausibler ist die Annahme, dass Ulpian durch sed an mutuam sit, videndum die Prüfung einer Rechtsfrage ankündigt und anschließend mit et puto die Mitteilung des Prüfungsergebnisses einleitet. Eine deutlichere Zäsur als et puto bildet jedoch sed, wodurch ein Gegensatz nicht bloß implizit (wie in et puto), sondern ausdrücklich bezeichnet wird. Der Gegensatz besteht darin, dass Ulpian sich auf die (nicht explizit mitgeteilte) Auffassung Julians bezieht, wonach ein Darlehen vorliegt, er selbst aber diese Ansicht überprüfen möchte.30 Eine freie Übersetzung könnte lauten: „aber ob ein Darlehen vorliegt [wie Julian meint], bleibt zu überprüfen.“ Aufschlussreich ist auch der Zusammenhang zwischen videndum und magisque: Ulpian hält die Auffassung, das Eigentum gehe nicht über, für vorzugswürdig: Das Eigentum geht „eher nicht“ oder „vielmehr nicht“ über.31 Durch magisque wird quasi rückblickend der Denkprozess angesprochen,32 der durch videndum eingeleitet wurde.33 Da magisque von Ulpian stammt, muss videndum Honoré (2002), S.  47 (überdurchschnittlich häufiger Gebrauch). Nach Hausmaninger / Gamauf (2012b), S.  11 wird puto häufig verwendet, um eine Rechtsfrage als nicht abschließend geklärt zu bezeichnen. Babusiaux (2016), S.  183 konstatiert, puto bei Ulpian beziehe sich auf die Diskussion mit einem früheren oder zeitgenössischen Juristen, dessen Auffassung Ulpian einer Bewertung („personal evaluation“) unterziehe. 27  Wolf (1961), S.  105, 107 ist der Ansicht, mit et puto werde eine offenbar abweichende Position angedeutet; vgl. auch Heumann / Seckel (1914), S.  176 s.v. et 5): „aber“. 28  Eine Verknüpfung liegt auch vor, wenn die einleitende Wendung einen Unterschied oder Gegensatz betont, z. B. per contrarium; vgl. Honoré (2002), S.  49. 29 Vgl. Honoré (2002), S.  46; S.  47: so insbesondere auch in der Wendung et puto. 30  Das Wort sed könnte allerdings auch Julian zugeordnet werden, der zwar eine Schenkung verneint, „aber“ für erwägenswert hält, dass ein Darlehen vorliegt, und im Ergebnis ein Darlehen annimmt, was von Ulpian allerdings nicht ausdrücklich mitgeteilt wird. 31  Behrends / Knütel / Kupisch / Seiler 3 (1999), S.  58 übersetzen: „(…) und mehr dafür spricht, dass die Münzen nicht Eigentum des Empfängers werden.“ 32 Zu magis allgemein vgl. Bretone (2009), S.  833 f. 33 Zu videndum allgemein: Pool (1983), S.  454 ff. 26 Vgl.

3. Die Auffassung Julians zum Eigentumsübergang

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dem gleichen Juristen zugeordnet werden.34 Die beiden Worte stimmen darin überein, dass sie eine gewisse Vorsicht und Zurückhaltung zum Ausdruck bringen.35 Die Kombination von videndum und magis (bezogen auf das Ergebnis der durch videndum eingeleiteten Prüfung) erscheint häufig bei Ulpian, nämlich 41 Mal.36 Schließlich ist noch das folgende Argument geltend zu machen: Die Rechtsauffassung im Darlehens-Schenkungs-Fall, wonach das Eigentum übergeht, war zur Zeit Julians herrschende Meinung (constat, D. 41,1,36). Bevor Julian entschieden hat, muss eine längere Diskussion unter den römischen Juristen vorausgegangen sein, in der sich diese Lösung durchgesetzt hat. Wenn man sed an mutua sit, videndum Julian zuschreibt, würde sich der Jurist auf eine rechtliche Prüfung einlassen, die zu seiner Zeit bereits abgeschlossen war.37 Plausibler erscheint es daher, die Prüfungsabsicht Ulpian zuzuschreiben, der eine herrschende Meinung infrage stellt, die auch von Julian vertreten wird. Als Ergebnis kann somit festgestellt werden: Die Mitteilung der Darlegungen Julians endet mit donationem non esse; von Ulpian stammt sed an mutua sit, videndum.

3. Die Auffassung Julians zum Eigentumsübergang a) Julian vertritt Ulpian zufolge die Auffassung, eine Schenkung liege nicht vor. Nicht ganz so deutlich ist, was Ulpian über Julians Ausführungen zum Darlehen mitteilt. Drei Möglichkeiten scheinen in Betracht zu kommen: Entweder hat Julian das Vorliegen eines Darlehens verneint oder er hat die Frage offengelassen oder die Ansicht vertreten, dass ein Darlehen vorliegt.38 b) Die Möglichkeit, dass Julian ein Darlehen verneint, wird von Laborenz mit der zutreffenden Begründung zurückgewiesen, in diesem Fall hätte Ulpian wohl

34  Zwingend ist das Argument allerdings nicht: magisque könnte sich auf den eigenen Abwägungsprozess beziehen, während videndum die Prüfungsabsicht Julians bezeichnet. 35  Lange (1930), S.  67 Anm.  2: magisque bringt „ein Streben nach Milderung des Widerspruchs“ zum Ausdruck. 36 Dies ergibt die Suche in der Datenbank Amanuensis; vgl. Riedlberger / Rosenbaum (2017). 37  Dieses Argument ist allerdings nur schlüssig, wenn man nicht unterstellt, dass sich Julian an der nicht überlieferten Stelle, auf die Ulpian sich bezieht, früher als in dem Text geäußert hat, der in D. 41,1,36 überliefert ist. Dann nämlich bestünde die Möglichkeit, dass sich die von Julian vertretene Position (der Eigentumsübergang) zur Zeit seiner früheren Äußerung unter den römischen Juristen noch nicht durchgesetzt hatte. 38 Vgl. Wolf (1961), S.  104 ff.; Laborenz (2014), S.  45 f. mit weiteren Nachweisen Anm.  130.

250

Achter Abschnitt: Die Antinomie

einfach zugestimmt und seinen Lesern die Position Julians nicht vorenthalten, sondern zur Untermauerung seiner eigenen Auffassung angeführt.39 c) Die Ansicht, Julian habe die Frage, ob ein Darlehen vorliegt, nicht beantwortet,40 setzt voraus, dass an mutua sit, videndum von diesem Juristen stammt. Die zitierten Worte sind jedoch, wie soeben festgestellt, Ulpian zuzuschreiben. Ulpian unternimmt es, die Frage zu prüfen, weil Julian ein Darlehen unterstellt. Laborenz meint, schwer zu erklären wäre, warum Ulpian in einem derart neutralen Ton (sed an mutua sit, videndum) von Julians Meinung berichtet haben sollte, die seiner eigenen Position – und wohl auch der herrschenden Meinung unter den römischen Juristen – widersprochen habe. Zutreffend ist, dass Ulpian sich sachlich und unpolemisch äußert. Ulpian verwendet häufig das Wort videndum in Verbindung mit magis, wie dies hier der Fall ist.41 Der Jurist scheint sich generell zurückhaltend ausgedrückt zu haben. Wie dem auch sei: Eine solche Ausdrucksweise lässt nicht den Schluss zu, Julian nehme kein Darlehen an. Julian hat auch nicht der herrschenden Meinung widersprochen, im Gegenteil: Aus D. 41,1,36 ergibt sich, dass der Eigentumsübergang der herrschenden Meinung unter den römischen Juristen entsprach (constat).42 Nicht Julian ist es, der sich in Gegensatz zu den meisten Juristen stellt, sondern Ulpian.43 d) Abschließend lässt sich festhalten: Die Worte sed an mutua sit, videndum bringen zum Ausdruck, dass Ulpian sich in Gegensatz zu Julian stellt (sed) und eine von diesem Juristen vertretene Position überprüft (videndum). Ein Gegensatz besteht nur unter der Voraussetzung, dass Julian ein Darlehen annimmt. Die Übersetzung von sed an mutua sit, videndum lautet daher: „aber ob ein Darlehen vorliegt [wie Julian behauptet], ist zu prüfen.“

4. Der Grund für den Unterschied zwischen Julian und Ulpian a) Zunächst zu den rechtlichen Gründen, die sich daraus ergeben könnten, dass Julian einen Darlehenskonsens fingiert und utilitatis causa entscheidet. Die Möglichkeit, dass Ulpian Entscheidungen utilitatis causa prinzipiell ablehnt, Vgl. ebd., S.  45; vgl. auch Harke (2005a), S.  116. Wunner (1964), S.  209 f.; Laborenz (2014), S.  46; Krampe (2014), S.  491. 41 Dies ergibt eine Suche in der Datenbank Amanuensis; vgl. Riedlberger / Rosenbaum (2017). 42 Zu constat: Siebter Abschnitt, 8. h). 43  Voraussetzung ist, dass die Auffassung, wonach das Eigentum übergeht, zur Zeit Ulpians noch herrschende Meinung war. 39 

40 Vgl.

4. Der Grund für den Unterschied zwischen Julian und Ulpian

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kommt nicht ernsthaft in Betracht: Mehrere Entscheidungen dieses Juristen sind überliefert, die sich auf die utilitas beziehen.44 Ulpian widerspricht Julian auch nicht deshalb, weil dessen Rechtsansicht auf einer Fiktion, nämlich der Unterstellung eines Darlehenskonsenses, beruht: Ulpian teilt eine andere, ebenfalls auf einer Fiktion basierende Entscheidung Julians mit, ohne zu widersprechen,45 und das heißt wohl: zustimmend (29 Sab D. 47,2,14,1). b) Die von Behrends vertretene Deutung der Antinomie beruht auf der Voraussetzung, dass „der subjektive Konsens über die causa solvendi oder genauer: über eine bestimmte zu erfüllende Obligation für die Übereignung ausreicht“46. Behrends folgt demnach der heute allgemein vertretenen Lehre von der solutio als causa, wobei er einen konkreten Solutionskonsens für erforderlich hält. Zur Antinomie selbst meint Behrends, nach klassischer Ansicht schade der Dissens über die Art der Obligation, wie sich aus der Ulpian-Stelle D. 12,1,18 ergebe. Die darin erwähnte Gegenansicht Julians (D. 41,1,36), wonach in einem solchen Fall der Konsens ausreiche, der an den verschiedenen Obligationen ihre abstrakte Gemeinsamkeit, Obligation zu sein, erfasse, und in dem Sinne hinsichtlich der causa solvendi übereinstimme, sei eine Milderung und als solche eine Mittelmeinung Julians, wie sie für ihn und seine Zeit typisch sei.47 Behrends ist also der Ansicht, Julian lasse beim Dissens über die causa ausnahmsweise einen abstrakten Solutionskonsens genügen, sodass die Übereignung trotz des Dissenses gelinge. Dieser Deutung muss widersprochen werden – aus mehreren Gründen. Behrends unterscheidet nicht ausreichend zwischen dem ersten und dem zweiten Teil von D. 41,1,36 einerseits und dem dritten Teil des Fragments andererseits. In den beiden ersten Teilen sind zwar Obligationen von Bedeutung. Julians Auffassung, bei einem Dissens in causis stehe dem Eigentumsübergang nichts im Wege, ist aber nicht darin begründet, dass der Jurist einen abstrakten Solutionskonsens ausnahmsweise genügen lässt.48 Vielmehr bezieht sich Julian auf den concursus causarum und ist der Ansicht, für den Eigentumsübergang sei diejenige causa maßgeblich, die sich der Tradent vorstelle. Die traditionellen Voraussetzungen für den Eigentumsübergang (causa, Verfügungsbefugnis des Tradenten, Übergabe) seien damit erfüllt. Im Übrigen ist die Lehre von der solutio als causa, der Behrends folgt, nach hier vertretener Auffassung abzulehnen.49 Ankum (2010), S.  6. Bund (1965), S.  137. 46  Behrends (2001), S.  20; zum Folgenden bereits ders. (1997 / 1998), S.  154 ff. 47 Vgl. ders. (2001), S.  20 Anm.  10. 48  Dritter Abschnitt, 4. b). 49  Fünfter Abschnitt. 44 Vgl. 45 Vgl.

252

Achter Abschnitt: Die Antinomie

Die Antinomie besteht allein zwischen dem dritten Teil des Julian-Textes und der Ulpian-Stelle D. 12,1,18. Hier geht es um mutuum und donatio, rechtlich relevante Handlungen also, bei denen eine Obligation nicht von Bedeutung ist (wenn man von der Pflicht des Empfängers eines Darlehens zur Rückzahlung einmal absieht). Es besteht somit kein Zusammenhang zwischen der Antinomie und dem Begriff der Obligation. Wenn Behrends ausführt, die von Julian vertretene Auffassung sei eine Milderung und als solche eine Mittelmeinung, wie sie für Julian und seine Zeit typisch sei, so beruht diese Kennzeichnung auf der von ihm vertretenen Lehre, wonach das römische Recht von philosophischen Anschauungen stark beeinflusst worden ist. Behrends ist der Auffassung, „dass die juristischen Argumentationen der kaiserzeitlichen römischen Rechtsschulen in konstitutiver Weise von philosophischen Einflüssen abhängen, die in der Zeit der Republik in das römische Recht eingedrungen sind“50. Die Sabinianer seien Anhänger der stoischen Philosophie gewesen, die Prokulianer seien den Lehren der skeptischen Akademie gefolgt. Julian und andere Juristen der sabinianischen Rechtsschule hätten die Lehren der Prokulianer rezipiert und im Sinne ihrer eigenen Tradition umgestaltet.51 In diesem Rahmen versteht Behrends auch die Position Julians im Verhältnis zu Ulpian. Die von Behrends vertretene Lehre zum Verhältnis von Philosophie und Recht braucht hier nicht gewürdigt zu werden.52 Was die Deutung der Antinomie zwischen Julian und Ulpian betrifft, so kann Behrends aus den dargelegten Gründen jedenfalls nicht zugestimmt werden. c) Der Unterschied zwischen den Rechtsansichten Julians und Ulpians ist möglicherweise darin begründet, dass die Juristen verschiedene Auffassungen in der grundsätzlichen Frage vertreten, ob und wie weit das Recht in Freundschaftsbeziehungen maßgeblich ist. Die Rechtsauffassung Julians (und anderer Juristen) ist als juristische Intervention in einen Konflikt zwischen Freunden zu verstehen – mit dem Ziel, den Empfänger des Geldes und den Bestand des Freundschaftsverhältnisses zu schützen. Julian setzt voraus, dass das Recht auch im Rahmen der amicitia anwendbar ist. Ulpian behandelt einen anderen Konflikt als Julian: Nachdem der Dissens den Beteiligten bewusst geworden ist, verlangt der Tradent das Geld zurück, doch der Behrends (1995), S.  197. Vgl. ebd., S.  235. Als Beispiel führt Behrends die media sententia des Spezifikationsrechts an; vgl. ebd., S.  236. 52 Zu der von Behrends vertretenen Lehre vgl. z.  B. Behrends (1978), S.  187 ff.; ders. (2008b), S.  25 ff.; vgl. auch die knappe Darstellung bei Kaser / Knütel / Lohsse (2017), S.  4 f. = Rn.  11. Kritische Stimmen bei Sirks (2008), S.  328 f.; Baldus (2012b), S.  5 f. Anm.  11; S.  9 f. Anm 25; ders. (2017), S.  790 Anm.  2; S.  801 f. 50  51 

4. Der Grund für den Unterschied zwischen Julian und Ulpian

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Empfänger weigert sich. Ulpian gibt dem Tradenten Recht, stellt dem Empfänger jedoch die exceptio doli zur Verfügung. Ein solcher Streit mag zwar auch in einem Freundschaftsverhältnis auftreten (das danach allerdings bald sein Ende finden dürfte), Ulpian entscheidet aber unabhängig davon, ob eine solche Beziehung vorliegt. Seine Bewertung ist frei von moralischen, auf die amicitia bezogenen Prinzipien, sondern rein rechtlicher Natur. Insofern trennt Ulpian zwischen Recht und Moral. Im Hinblick auf den von Julian entschiedenen Konflikt folgt daraus, dass Ulpian zufolge allein die ethischen Mittel maßgeblich sind, die im Hinblick auf Freundschaftsverhältnisse vorgesehen sind: Die Beteiligten können versuchen, sich zu einigen; gelingt dies nicht, mag einer der Beteiligten die Freundschaft kündigen, sofern er dies für angemessen hält. Die hier vertretene These zur Haltung Ulpians in der Frage nach dem Verhältnis von amicitia und Recht wird im Folgenden mithilfe von zwei seiner Äußerungen zum mandatum überprüft. d) Im 31. Buch seines Kommentars zum Edikt entscheidet Ulpian den folgenden Fall: D. 17,1,10,7 Si quis ea, quae procurator suus et servi gerebant, ita demum rata esse mandavit, si interventu Sempronii gesta essent, et male pecunia credita sit, Sempronium, qui nihil dolo fecit, non teneri. et est verum eum, qui non animo procuratoris intervenit, sed affectionem amicalem promisit in monendis procuratoribus et actoribus et in regendis consilio, mandati non teneri, sed si quid dolo fecerit, non mandati sed magis de dolo teneri.53

Jemand lässt seine Geschäfte durch einen Verwalter und durch Sklaven54 ausführen, verfügt jedoch, dass diese Geschäfte nur wirksam sind, wenn Sempronius zur Kontrolle eingeschaltet worden ist und jeweils zugestimmt hat. Bei einem Kreditgeschäft erleidet der Geschäftsherr einen Schaden, weil einem Zahlungsunfähigen ein Darlehen gewährt wurde. Sempronius haftet nicht. Weiter heißt es, wer nicht animo procuratoris, sondern aufgrund einer affectio amicalis tätig ge-

53  „Wenn jemand bestimmt hat, dass das, was sein Verwalter und seine Sklaven an Geschäften abschließen, nur gültig sein soll, wenn es unter der Mitwirkung des Sempronius abgeschlossen werde, und ist Geld einem Zahlungsunfähigen als Kredit gezahlt worden, so hafte Sempronius nicht, sofern er nicht böswillig gehandelt hat. Und es ist zutreffend, dass derjenige, der nicht mit dem Willen, als Verwalter tätig zu werden, mitgewirkt hat, sondern aus Freundschaft zugesagt hat, bei der Kontrolle der Verwalter und Sklaven und bei deren Anleitung durch seinen Rat tätig zu werden, nicht aus Auftrag haftet; wenn er aber treuwidrig gehandelt hat, wird er nicht mit der Auftragsklage, sondern mit der Klage wegen Arglist belangt.“ 54  Gemeint sind die Sklaven des Geschäftsherrn; zu übersetzen ist also „seine Sklaven“; vgl. Behrends / Knütel / Kupisch / Seiler 3 (1999), S.  365.

254

Achter Abschnitt: Die Antinomie

worden sei, hafte nicht aufgrund eines mandatum, sondern nur aus der actio de dolo.55 Rundel fragt, worin der Unterschied zwischen einer affectio amicalis und einem animus procuratoris bestehen könnte.56 Die bloße Existenz einer Freundschaft zum Mandanten sei nicht ausreichend; denn eine solche bestehe auch in der Mehrzahl der Auftragsfälle. Ulpian zufolge komme es allein auf die innere Einstellung des Sempronius und damit auf ein praktisch nicht beweisbares Merkmal an. So gelangt Rundel zu dem Schluss, Ulpian verspüre zwar die Notwendigkeit einer Abgrenzung zwischen Vertrag und Gefälligkeit, sei sich bei der Suche nach einem Kriterium aber unsicher; vielleicht hätten in dieser Frage (nicht überlieferte) Meinungsunterschiede zwischen den Juristen bestanden.57 Die Überlegungen Rundels setzen voraus, dass Sempronius in der Mehrzahl der Fälle als amicus tätig wird, und zwar auch dann, wenn er animo procuratoris handelt und damit ein mandatum gegeben ist. Diese Annahme ist jedoch zweifelhaft – nicht nur wegen der Schwierigkeit der Abgrenzung zwischen einer affectio amicalis und einem animus procuratoris, sondern auch, weil es schwer verständlich und widersprüchlich wäre, wenn Ulpian amicitia-Verhältnisse voraussetzen würde, die nicht auf einer affectio amicalis beruhen. Um diese Probleme zu vermeiden, wird im Folgenden eine eigene, abweichende Deutung vorgeschlagen. Der Ulpian-Text setzt sich aus zwei Teilen zusammen. Im ersten Teil entscheidet der Jurist einen konkreten Fall; der zweite Teil hat eine allgemeine Aussage zum Inhalt. Zum ersten Teil: Der Geschäftsherr hegt Misstrauen gegenüber dem procurator und den Sklaven. Deshalb setzt er Sempronius zur Kontrolle ein und stattet ihn mit weitreichenden Befugnissen aus. Sempronius handelt anstelle des Geschäftsherrn, der offenbar großes Vertrauen zu ihm hat. Obwohl Ulpian nicht ausdrücklich von Freundschaft spricht, muss zwischen dem Geschäftsherrn und Sempronius ein Freundschaftsverhältnis bestehen.58 Im Text ist nicht davon die Rede, dass Sempronius im Rahmen eines mandatum tätig wird. Entschieden wird, dass Sempronius nicht haftet; damit ist die actio mandati (wie sich aus dem zweiten Teil der Stelle ergibt) ausgeschlossen. Darüber hinaus enthält der erste Teil des Fragments eine Aussage zur Haftung des procurator. Ein procurator ist jemand, der alle Geschäfte eines Abwesenden führt oder zur Führung einzelner Zu D. 17,1,10,7 vgl. Michel (1962), S.  573 = Nr.  919; Nörr (1993b), S.  281 f. = ders. (2003c), S.  2005* f.; Kroppenberg (2009), S.  303; Rundel (2005), S.  192 ff.; Schubert (2014), S.  203 ff. 56 Vgl. Rundel (2005), S.  193. 57  Vgl. ebd., S.  194. 58 Vgl. Schubert (2014), S.  214. 55 

4. Der Grund für den Unterschied zwischen Julian und Ulpian

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Geschäfte eingesetzt worden ist.59 Rundel bezieht mandavit zwar auf Sempronius.60 Dagegen spricht aber, dass sich der Auftrag, zu jedem Geschäft Sempronius hinzuzuziehen und seine Zustimmung einzuholen, an den procurator richtet; ferner, dass Sempronius nicht aus der actio mandati haftet (non teneri), und schließlich, dass Sempronius zuerst in der Wendung mandavit, si interventu Sempronii gesta essent namentlich genannt wird; wäre Sempronius der Mandatar, müsste er in einem engeren Zusammenhang mit mandavit angeführt werden. Es ist also der procurator, der im Rahmen eines mandatum tätig wird. Im neunten Buch von Ulpians Kommentar zum Edikt heißt es: D. 3,3,1 pr. Procurator est qui aliena negotia mandatu domini administrat.61

Da der procurator aufgrund eines mandatum agiert, haftet er, wie sich ergänzen lässt, mit der actio mandati. Nun zum zweiten Teil des Textes: Liegt eine affectio amicalis und damit ein Freundschaftsverhältnis vor, ist die actio mandati ausgeschlossen; eine derartige Haftung ist nur möglich, wenn ein procurator handelt. Ulpian setzt voraus, dass die Haftung aus mandatum in Freundschaftsverhältnissen ausgeschlossen ist. Nörr zufolge ist Ulpian bestrebt, der amicitia einen rechtsfreien Raum zurückzugewinnen.62 Die Formulierung Nörrs erscheint etwas überspitzt. In Freundschaftsverhältnissen kann Ulpian zufolge die actio de dolo zur Verfügung stehen. Auch muss Eigentum übertragen werden können. Bestünde diese Möglichkeit nicht, würde das Freundschaftssystem nicht funktionieren. Vollkommen rechtsfrei ist die amicitia daher nicht. Gleichwohl ist festzuhalten, dass ein mandatum im Rahmen eines Freundschaftsverhältnisses nicht zustande kommt, wenn man Ulpian folgt. Einiges weist darauf hin, dass der procurator gegen Entgelt tätig wird.63 Dagegen spricht nicht, dass ein mandatum in der Regel Unentgeltlichkeit voraussetzt;64 denn diese Regel ist nicht zwingend.65 Ausnahmen sind überliefert, die Klinck (2007), S.  28 ff., 51 f. Rundel (2005), S.  194. 61  „Verwalter ist, wer fremde Geschäfte im Auftrag eines Geschäftsherrn besorgt.“ 62 Vgl. Nörr (1993b), S.  281 = ders. (2003c), S.  2005*; vgl. auch Rundel (2005), S.  193; Finkenauer (2016), S.  64. 63  Nörr (1993b), S.  281 = ders. (2003c), S.  2005* spricht im Hinblick auf D. 17,1,10,7 von einer „Angleichung des Mandats an entgeltliche (?) Dienstverhältnisse“. Finkenauer (2016), S.  64 übernimmt diese Formulierung, wenn auch ohne das Fragezeichen. 64  Vgl. z. B. den Anfang von Paul 32 ed D. 17,1,1,4: Mandatum nisi gratuitum nullum est (…). Übersetzung: „Ein Auftrag, der nicht unentgeltlich ist, ist kein Auftrag.“ 65 Vgl. Finkenauer (2016), S.  63; vgl. aber auch Bürge (2018), S.  13 ff. 59 Vgl. 60 Vgl.

256

Achter Abschnitt: Die Antinomie

sich zum Beispiel auf Ärzte, Architekten, Prozessbevollmächtigte und überhaupt auf Personengruppen beziehen, die operae liberales leisteten. Aber auch Schneider, Handwerker und andere, die operae illiberales ausführten, wurden auf der Basis eines mandatum entgeltlich tätig. Auch die Prokuratoren, die häufig zu den Freigelassenen gehörten,66 waren darauf angewiesen, sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen.67 Aus alldem kann geschlossen werden, dass der procurator im Ulpian-Fall wohl gegen Entgelt tätig wird. Zu vermuten ist daher: Die amicitia und das mandatum sind Ulpian zufolge dadurch voneinander abzugrenzen, dass ein Freund unentgeltlich tätig wird, ein Prokurator entgeltlich. e) Eine weitere Äußerung Ulpians ist zu betrachten, die sich ebenfalls auf die Abgrenzung zwischen amicitia und mandatum bezieht. Im 31. Buch seines Kommentars zum Edikt heißt es: D. 17,1,12,12 Cum quidam talem epistulam scripsisset amico suo: ‚rogo te, commendatum habeas Sextilium Crescentem amicum meum‘, non obligabitur mandati, quia commendandi magis hominis quam mandandi causa scripta est.68

A wendet sich in einem Brief an seinen Freund B und empfiehlt ihm darin den ebenfalls mit A befreundeten C.69 Unklar bleibt, was A von B erbittet. A wird tätig, weil er C einen Gefallen tun möchte. Dem Namen des Sextilius Crescens nach zu urteilen, ist dieser ein junger Mann, den A als der Ältere protegiert.70 Freundschaftsbeziehungen liegen vor: zwischen A und B (amico suo), ferner zwischen A und C (amicum meum), nicht jedoch zwischen B und C. In der Literatur heißt es, dem B dürfte ein Schaden entstanden sein, den er von A ersetzt verlangt. Ulpian zufolge hafte A gegenüber B jedoch nicht aus mandatum.71 Ulpian schließt eine Haftung des A mit der Begründung aus, dieser habe keinen Auftrag erteilen, sondern bloß eine Empfehlung aussprechen wollen. Mit den beiden entgegengesetzten Worten commendandi und mandandi causa wird zum Ausdruck gebracht, dass A sich auf eine Empfehlung beschränken will, die als solche rechtlich nicht relevant, sondern rein freundschaftlicher Natur ist. Finkenauer (2016), S.  58, 63. Vgl. ebd., S.  63. 68  „Wenn jemand seinem Freund den folgenden Brief schreibt: ‚Ich bitte Dich, Dir Sextilius Crescens empfohlen sein zu lassen‘, wird er nicht aus Auftrag verpflichtet, weil dies eher zwecks Empfehlung dieses Mannes geschrieben ist als zu dem Zweck, einen Auftrag zu erteilen.“ 69 Vgl. Rundel (2005), S.  194 f. 70  In den Digesten kommt Crescens sonst nicht als Eigenname vor, wie sich der Datenbank Amanuensis entnehmen lässt; vgl. Riedlberger / Rosenbaum (2017), wohl aber im Codex. So wird z. B. in C. 3,42,1 ein Soldat namens Crescens angesprochen. 71 Vgl. Nörr (1993b), S.  281 f. = ders. (2003c), S.  2005* f.; Rundel (2005), S.  194. 66 Vgl. 67 

4. Der Grund für den Unterschied zwischen Julian und Ulpian

257

Ulpian trennt somit zwischen amicitia einerseits und der Haftung aus mandatum andererseits. Das Fazit zu den beiden, von Ulpian entschiedenen mandatum-Fällen lautet: Wenn amicitia vorliegt, besteht keine Haftung aus mandatum; ein mandatum liegt nicht vor. Allgemein lässt sich wohl sagen: Ulpian ist zwar nicht bestrebt, die amicitia vollkommen rechtsfrei zu halten, achtet aber darauf, dass dem Recht nur eine relativ geringe Bedeutung zukommt. Dadurch wird die hier vertretene These bestätigt, wonach Ulpian die Rechtsauffassung Julians und anderer Juristen im Darlehens-Schenkungs-Fall ablehnt, weil er in der Frage des Verhältnisses zwischen amicitia und Recht eine abweichende Auffassung vertritt. f) Die Position Julians entsprach seinerzeit allgemeiner Auffassung (constat in D. 41,1,36). Ob zur Zeit Julians auch eine andere Meinung vertreten wurde, ist unklar. Ebenfalls unbekannt ist, wie lange die Position des Juristen als herrschende Auffassung anerkannt wurde. Schließlich ist nicht deutlich, wie weit die von Ulpian vertretene Position seinerzeit verbreitet war. Paulus war möglicherweise anderer Auffassung als Ulpian: Paul 29 ed D. 13,6,17,3 Sicut autem voluntatis et officii magis quam necessitatis est commodare, ita modum commodati finemque praescribere eius est qui beneficium tribuit. cum autem id fecit, id est postquam commodavit, tunc finem praescribere et retro agere atque intempestive usum commodatae rei auferre non officium tantum impedit, sed et suscepta obligatio inter dandum accipiendumque. geritur enim negotium invicem et ideo invicem propositae sunt actiones, ut appareat, quod principio beneficii ac nudae voluntatis fuerat, converti in mutuas praestationes actionesque civiles. ut accidit in eo, qui absentis negotia gerere inchaovit: neque enim impune peritura deseret: suscepisset enim fortassis alius, si is non coepisset: voluntatis est enim suscipere mandatum, necessitatis consummare. igitur si pugillares mihi commodasti, ut debitor mihi caveret, non recte facies importune repetendo: nam si negasses, vel emissem vel testes adhibuissem. idemque est, si ad fulciendam insulam tigna commodasti, deinde protraxisti, aut etiam sciens vitiosa commodaveris: adiuvari quippe nos, non decipi beneficio oportet. ex quibus causis etiam contrarium iudicium utile esse dicendum est.72 72  „Wie es aber mehr Sache des Willens und der [freundschaftlichen] Pflicht als Sache [rechtlichen] Zwangs ist zu verleihen, ist es auch Sache desjenigen, der die Gefälligkeit erweist, die Art und Weise des Gebrauchs und das Ende der Leihe festzulegen. Wenn er dies aber getan, das heißt wenn er die Sache leihweise hingegeben hat, hindert ihn nicht nur die [freundschaftliche] Pflicht, sondern auch eine zwischen dem Gebenden und dem Nehmenden begründete [rechtliche] Verbindlichkeit, ein [anderes] Ende der Leihe festzusetzen, das Geschäft rückgängig zu machen und den Gebrauch der verliehenen Sache zur Unzeit zu entziehen. Es wird nämlich beidseitig ein Rechtsgeschäft vorgenommen, und deshalb sind beidseitig Klagen verheißen worden, damit klar wird, dass das, was zunächst Sache der Gefälligkeit und des bloßen Willens war, in zweiseitige Verpflichtungen und zivilrechtliche Klagen umgewandelt wird. So verhält es sich auch bei demjenigen, der die Geschäfte eines Abwesenden zu führen begonnen hat; er kann diese nämlich nicht ungestraft aufgeben, wenn sie zu scheitern drohen.

258

Achter Abschnitt: Die Antinomie

Ausgangspunkt der Darlegungen des Paulus ist die Feststellung, ob man etwas verleihe, sei Sache von voluntas et officium, der Verleiher könne auch Umfang und Zeitraum des Gebrauchs bestimmen; habe er die Sache aber einmal verliehen, dürfe er sie dem Entleiher nicht ohne Weiteres wegnehmen.73 Nicht nur das freundschaftliche officium, sondern auch eine rechtlich verbindliche obligatio zwischen Verleiher und Entleiher stehe dem entgegen. Ein wechselseitiges Geschäft (negotium) liege vor, sodass beidseitig actiones zur Verfügung stünden. Ähnlich äußert sich Paulus zum mandatum. Paulus verwendet durchgehend ethische Begriffe, die dem philosophischen Diskurs zur amicitia entstammen: voluntas, officium, beneficium. Die Entscheidung darüber, ob es überhaupt zu einem commodatum oder einem mandatum kommt, ist Paulus zufolge allein von ethischen Prinzipien abhängig. Wenn aber erst einmal eine Wohltat eingeleitet worden ist, sind auch rechtliche Regeln maßgeblich.74 Die amicitia und das mandatum bzw. commodatum schließen sich nicht aus.75 Darin unterscheidet sich Paulus von Ulpian. Auch Papinian sieht das Verhältnis zwischen der amicitia und dem Recht anders als Ulpian: Liberto vel amico mandavit pecuniam accipere mutuam.76 Mit diesen Worten beginnt eine Stelle aus dem zweiten Buch seiner Responsen (D. 3,5,30 pr.). Auch in einem Freundschaftsverhältnis ist Papinian zufolge ein mandatum möglich. g) Als Ergebnis kann festgestellt werden, dass die Auffassung Ulpians, wonach das Recht in Freundschaftsverhältnissen weitgehend zurückzutreten hat, von Paulus und Papinian nicht geteilt wird. Ulpian war also nicht Vertreter einer Vielleicht hätte nämlich ein anderer die Geschäftsführung übernommen, wenn er nicht damit begonnen hätte, denn es ist Sache des freien Willens, einen Auftrag zu übernehmen, aber Sache [rechtlichen] Zwangs, ihn auszuführen. Wenn du mir also eine Schreibtafel geliehen hast, damit mir mein Schuldner darauf ein Schuldversprechen ausstellt, handelst du nicht rechtmäßig, wenn du sie zur Unzeit zurückforderst; denn wenn du dich geweigert hättest, hätte ich entweder eine Schreibtafel gekauft oder Zeugen hinzugezogen. Dasselbe gilt, wenn du zum Abstützen eines Mietshauses Balken verliehen, diese dann aber wieder weggenommen hast oder auch wenn du wissentlich schadhafte Balken verliehen hast; denn Gefälligkeiten sollen uns helfen und nicht treuwidrig verletzen. An solchen Fällen zeigt sich, wie man sagen muss, dass auch die Gegenklage erforderlich ist.“ 73  Vgl. zum Folgenden Nörr (1993b), S.  268 ff. = ders. (2003c), S.  1992* ff. 74  Durch Hingabe der verliehenen Sache wird die bisher rein freundschaftliche Beziehung in ein Rechtsverhältnis umgewandelt (converti). Dies bedeutet aber nicht, dass nun allein das Recht maßgeblich ist. Es sind sowohl moralische Prinzipien als auch das Recht anwendbar: non officium tantum impedit, sed et suscepta obligatio inter dandum accipiendumque. 75 Zu einem weiteren, von Paulus entschiedenen Auftragsfall (32 ed D. 17,1,26,8) vgl. Bürge (2018), S.  13 ff. 76 „Jemand hat einen Freigelassenen oder einen Freund beauftragt, ein Darlehen aufzunehmen.“

4. Der Grund für den Unterschied zwischen Julian und Ulpian

259

herrschenden Meinung, anders als seinerzeit Julian. Möglicherweise entsprach die von Julian vertretene Position auch zur Zeit Ulpians noch der herrschenden Auffassung. Wie dem auch sei: Der Unterschied zwischen den Rechtsauffassungen Julians und Ulpians beruht darauf, dass die beiden Juristen unterschiedliche Auffassungen zum Verhältnis von amicitia und Recht vertreten. Dernburg berichtete, „in älteren Zeiten“ sei die Meinung vertreten worden, wonach „Ulpian die juristische, Julian die volksmäßige, populäre Auffassung“ zugeschrieben werden müsse.77 Zutreffend daran ist, dass Julian vom juristisch Erwartbaren (dem Scheitern des Eigentumsübergangs) abweicht, weil er die sozialen Umstände (amicitia) berücksichtigt, während Ulpian der juristischen Regel folgt, wonach die causa einen tatsächlichen Konsens voraussetzt (sofern die causa überhaupt einen Konsens verlangt), bei einem Dissens über die causa eine Übereignung also nicht zustande kommt (falls causa und Übergabe zugleich vorzuliegen haben). Eine weitergehende Untersuchung der Frage, welche Haltung römische Juristen78 und Philosophen79 zur Beziehung von amicitia und Recht einnehmen,80 würde über den Rahmen der vorliegenden Untersuchung hinausgehen. Deshalb kann hier auch nicht untersucht werden, welches die Gründe dafür sein mögen, dass sich Julian und Ulpian in ihren Auffassungen zum Verhältnis von amicitia und Recht unterscheiden.

Dernburg (1857), S.  7. Zum Verhältnis von amicitia und Recht bei Paulus vgl. Nörr (1993b), S.  267 ff. = ders. (2003c), S.  1991* ff.; Rundel (2005), S.  192 ff. 79  Seneca betont in De beneficiis die Trennung von amicitia und Recht; vgl. Rundel (2005), S.  191 ff.; Wolkenhauer (2014), S.  25, insbesondere Anm.  48; S.  185. 80  Zu der von Nörr vertretenen These einer Verrechtlichung (Juridifizierung) von Freundschaftspflichten durch das mandatum: Nörr (1993a), S.  13 ff. = ders. (2003b), S.  1933* ff.; ders. (1993b), S.  267 ff. = ders. (2003c), S.  1991* ff.; zustimmend: Babusiaux (2008), S.  842 f.; kritisch dazu: Rundel (2005), S.  188 ff.; Finkenauer (2016), S.  62 f. Zum Thema „Verrechtlichung von amicitia“ vgl. auch Ganter (2015), S.  101 ff. mit weiteren Nachweisen. 77 

78 

Neunter Abschnitt

D. 41,1,36 als Teil eines literarischen Werkes 1. Zum literarischen Charakter des Julian-Textes a) Der erste Teil der Stelle ist wie eine Regel gefasst,1 die prägnant, als eine Sentenz, formuliert ist.2 Die Worte consentiamus – dissentiamus wirken fast wie ein Reim. Dies hat wohl nicht nur einen didaktischen Grund, sondern bringt auch Selbstbewusstsein zum Ausdruck: Julian hält seinen Satz für so bedeutsam und gewichtig, dass er implizit empfiehlt, ihn sich einzuprägen.3 Dieses Ziel hat er erreicht. Denn Paulus formuliert ähnlich:4 Paul 33 ed D. 19,1,21,2 Quamvis supra diximus, cum in corpore consentiamus, de qualitate autem dissentiamus, emptionem esse, tamen venditor teneri debet (…).5

Die Ähnlichkeit zwischen dieser Stelle und dem Beginn von D. 41,1,36 sticht ins Auge: Während es bei Julian heißt: Cum in corpus (…) consentiamus, in causis vero dissentiamus; schreibt Paulus: cum in corpore consentiamus, de qualitate

1 

Erster Abschnitt, 2. a). Buhl (1886), S.  92 stellt fest, charakteristisch für die digesta Julians seien „Rechtsregeln, die eine Art sprichwörtlicher Fassung erhalten haben“. Ähnlich ebd., S.  108, wo von einer „Vorliebe für das oft sententiöse Formulieren allgemeiner Sätze“ gesprochen wird; zustimmend Krüger (1912), S.  186 Anm.  51. Pfeil (1998), S.  10 Anm.  22: „Julian war durchaus nicht abgeneigt, gelegentlich der kasuistischen Arbeit auch allgemeine und systematisierende Rechtssätze zu formulieren, vgl. nur Iul D. 39,5,1 pr.“ Weitere Beispiele bei Bund (1965), S.  57 f.; vgl. auch ders. (1976), S.  444. 3  Finkenauer (2015), S.  15 ff.; ders. (2016), S.  89 spricht von einer mnemotechnischen Funktion von Regeln; ähnlich bereits Schmidlin (1970), S.  108 f. 4 Die Ähnlichkeit betont auch Pflüger (1923), S.  46, der jedoch sowohl Teil 1 des Julian-Fragments als auch D. 19,1,21,2 für von den Kompilatoren interpoliert hält. 5  „Obwohl wir oben gesagt haben, dass, wenn wir im Hinblick auf den Gegenstand übereinstimmen, in Bezug auf die Beschaffenheit aber verschiedener Auffassung sind, ein Kauf zustande kommt, so muss der Verkäufer dennoch auf das Interesse haften (…).“ Zu diesem Text bereits: Zweiter Abschnitt, 9. d). 2 

262

Neunter Abschnitt: D. 41,1,36 als Teil eines literarischen Werkes

autem dissentiamus.6 Diese Übereinstimmung kann kein Zufall sein. Paulus muss sich bewusst an den Julian-Text angelehnt haben. Auffällig ist supra diximus: Die Wendung scheint von den Kompilatoren eingefügt worden zu sein, um auf frühere, in die Digesten aufgenommene Darlegungen, etwa auf das Ulpian-Exzerpt 28 Sab D. 18,1,9,2, zu verweisen.7 Die Ausführungen Ulpians befinden sich jedoch innerhalb der Digesten allzu weit von dem hier behandelten Text entfernt, als dass eine solche Verweisung für den Leser nützlich gewesen wäre. Auch kommt es sonst nicht vor, dass die Kompilatoren auf andere Bücher der Digesten hinweisen.8 Die Wendung supra diximus wird von Paulus an drei weiteren Stellen in den Digesten gebraucht.9 Für die Echtheit der Wendung spricht zudem, dass diximus, consentiamus und dissentiamus übereinstimmend in der ersten Person Plural stehen; dadurch werden die drei Verben miteinander verbunden, sodass eine sprachliche Einheit entsteht.10 Der Jurist stellt fest, dass er das gleiche Thema schon einmal behandelt hat. Die Wendung Quamvis supra diximus kann demnach als authentisch gelten.11 Paulus bezieht sich auf eine nicht überlieferte Stelle in seinem Kommentar zum Edikt. Die hier untersuchte Wendung besagt wohl nicht nur, dass der Jurist auf eine inhaltlich entsprechende Stelle hinweist, sondern auch, dass er dort gleich oder zumindest ähnlich formuliert hat. Die Kompilatoren haben in der Eile wohl vergessen, supra diximus zu streichen.12 Da Paulus sich lediglich auf frühere eigene Darlegungen bezieht, ist diese Flüchtigkeit unschädlich. Das Resultat lautet daher: Paulus hat sich in der Formulierung an den Beginn des Julian-Fragments angelehnt – nicht nur in D. 19,1,21,2, sondern auch an einer zweiten, nicht überlieferten Stelle aus seinem Kommentar zum Edikt. Paulus hatte selbst eine Vorliebe für einprägsame, klare Formulierungen,13 sodass es für ihn nahelag, sich an die Formulierung Julians anzulehnen. Der Jurist hat

6  Zum Unterschied zwischen den Wendungen in corpus und in corpore: Zweiter Abschnitt, 1 Anm.  2. 7  In der von Mommsen und Krüger besorgten Ausgabe der Digesten findet sich die Anmerkung: „18,1,9 §  2 (Ulp.)?“; Mommsen / Krüger 1 (1973), S.  281 Anm.  2. 8 Vgl. Honsell (1969), S.  99. 9  Dies lässt sich mithilfe der Datenbank Amanuensis ermitteln; vgl. Riedlberger / Rosenbaum (2017). Daraus ergibt sich ferner, dass auch andere Juristen, vor allem Ulpian, diese Wendung gebrauchen. 10  Die sprachliche Übereinstimmung hätte freilich auch von den Kompilatoren hergestellt werden können, wenn diese Möglichkeit nicht aus anderen Gründen ausgeschlossen wäre. 11 Vgl. Honsell (1969), S.  99; Apathy (1994), S.  135; Harke (2005a), S.  84. 12 Vgl. Honsell (1969), S.  99. 13 Vgl. Longchamps de Bérier (2015), S.  69 f.

1. Zum literarischen Charakter des Julian-Textes

263

sich offenbar intensiv mit den Schriften Julians befasst, wie auch seine notae zu Julian belegen.14 b) Um zum Julian-Fragment zurückzukehren: Der Jurist formuliert die Regel in der ersten Person Plural15 und stellt die Rechtsfolge (den Eigentumsübergang) in der ersten Person Singular fest: non animadverto.16 Dadurch nimmt er zwei Perspektiven zugleich ein: Einerseits begibt er sich sprachlich mitten in das Geschehen, als sei er in den Sachverhalt direkt involviert (consentiamus – dissentiamus). Andererseits blickt er von außen auf den Vorgang, indem er sich darüberstellt – als allwissender Beobachter, wie ein angelus intellectualis, der ein den Beteiligten nicht bewusstes Missverständnis als Dissens durchschaut (dissentiamus) und eine rechtliche Position dazu formuliert (animadverto).17 Auch die objektive Wendung quod traditur entspricht einem Blick „von außen“. Julian setzt die Vermischung der Perspektiven als rhetorisches Mittel ein: Ähnlich wie ein Vortragsredner, zum Beispiel ein Lehrer, bezieht er die von ihm besprochenen Sachverhalte auf sich und seine Leser. Dadurch spricht er diese unmittelbar an und bezieht sie in seine Überlegungen ein; eine Art geistiger Dialog findet statt.18 Die Worte non animadverto bringen Selbstbewusstsein zum Ausdruck. Julian konnte als große Autorität auftreten – immerhin war er Schuloberhaupt der Sabinianer; von den Kaisern seiner Zeit wurde er in besonderem Maße geschätzt und ausgezeichnet.19 Im zweiten Teil der Stelle benutzt Julian einen Fall als Beispiel, um die Regel zu illustrieren und dadurch leichter verständlich zu machen.20 Die einleitende Wendung veluti si scheint (auch in der Form velut si) häufig in Werken mit dem Titel Institutiones vorzukommen, die in besonderem Maße um Anschaulichkeit Lenel 1 (1889 / 1960), Sp.  1143; vgl. auch Buhl (1886), S.  126. Zur Deutung des Gebrauchs der ersten Person Plural, wenn auch in einem ganz anderen sachlichen Zusammenhang (Iav 1 epist D. 41,2,23 pr.), vgl. Domisch (2015), S.  23, 27 f. 16 Zur Wendung non animadverto: Dritter Abschnitt, 1. b). Mommsen (1905), S.  14 konstatiert, Julian rede in seinen digesta häufig in der ersten Person Singular. 17  Zur Vermischung der Perspektiven bei römischen Juristen vgl. Wubbe (2007), S.  748; Wacke (2018), S.  359, 381. 18  Babusiaux (2016), S.  181: „Dialogue ist the basic model for all writing in Antiquity.“ Ebd., S.  182 wird die „imitation of a dialogue“ als ein rhetorisches Mittel römischer Juristen bezeichnet. In der juristischen Literatur geht es demnach um einen Dialog sowohl zwischen Juristen als auch zwischen Autor und Leser, in dem Letzterer von der Position des Autors überzeugt werden soll. 19  Julian gehörte zum consilium der drei Kaiser seiner Zeit. Hadrian erteilte ihm um 130 n.Chr. den Auftrag zur endgültigen Redaktion des prätorischen Edikts und des Edikts der kurulischen Ädilen; er hatte die Stellung eines quaestor Hadriani mit doppeltem Gehalt; vgl. Liebs (1997), S.  102; Wieacker (2006), S.  99. 20  Buhl (1886), S.  106 stellt fest, in Julians digesta fehle es nie an verdeutlichenden Beispielen. 14 Vgl. 15 

264

Neunter Abschnitt: D. 41,1,36 als Teil eines literarischen Werkes

bemüht sind.21 Mit der gleichen Absicht bedient sich Julian dieser Wendung. Der Beispielsfall ist in der ersten und zweiten Person Singular formuliert – ebenso wie der dritte Teil des Fragments. Julian spricht seine Leser wiederum unmittelbar an, wie ein Lehrer. So gewinnt der Text an Lebendigkeit. Die Stelle weist eine klare, systematische Gliederung auf.22 Julian ist erkennbar von der Absicht geleitet, seine Gedanken übersichtlich und verständlich darzulegen. Der Jurist geht in D. 41,1,36 nicht kasuistisch vor,23 sondern behandelt eine quaestio iuris. Die abstrakte Natur seiner Darlegungen zeigt, dass Julian sich an Fachgenossen wendet. Es geht um fachinterne Kommunikation, wobei auch fortgeschrittene Rechtsschüler als Adressaten in Betracht kommen.24 Schlüsse auf einen individuellen sprachlichen Stil Julians lassen sich kaum ziehen.25 Um den Stil des Juristen zu kennzeichnen, müssten weit mehr Texte untersucht werden, als hier möglich ist – wenn eine solche Aufgabe überhaupt bewältigt werden kann.26 Mit Krüger lässt sich jedoch, zumindest im Hinblick auf den hier untersuchten Text, feststellen: „Die Sprache Julians ist im ganzen rein, seine Schreibweise einfach, die Darstellung klar.“27

2. Zur Werkgattung der Digesten Julians Ein einzelnes Exzerpt lässt selbstverständlich keinen Schluss auf den Charakter des gesamten Werkes zu, dem es entnommen ist. Der Inhalt von D. 41,1,36 passt jedoch gut in das Gesamtbild, das aufgrund aller überlieferten Stellen von den Digesten Julians gezeichnet wird:28 Buhl konstatiert, die Schrift habe zwar zahlreiche Responsen zum Inhalt, behandele aber auch Fragen mehr theoretischer Natur.29 Mommsen zufolge gehören die digesta „dem Gebiete der dogmatischen 21 Vgl. Repnow (2017), S.  1123. Danach kommt velut(i) si in den Institutionen des Gaius 39-mal vor. 22 Vgl. van Warmelo (1982), S.  647 f. 23  Dritter Abschnitt, 8. 24  Zum Begriff der fachinternen Kommunikation vgl. Gokel (2014), S.  351 mit Anm.  1588. 25  Zum Begriff des individuellen Stils römischer Juristen vgl. Nitsch (2012), S.  227 ff. 26 Vgl. Empell (2017b), S.  389 ff., 396. 27  Krüger (1912), S.  186. 28  Die von Schulz in seiner „Geschichte der römischen Rechtswissenschaft“ (1961) vertretene Lehre von den Werktypen braucht hier nicht dargestellt und erörtert zu werden. Sie wird heute als zu formal und starr kritisiert; vgl. Gokel (2014), S.  114. Betont wird zudem die Gefahr eines Zirkelschlusses, wenn aus der „Natur“ einer Juristenschrift Rückschlüsse auf deren Inhalt gezogen werden; vgl. Baldus (2012a), S.  50 f.; Gokel, ebd. Zur Kritik an der Lehre von den Werktypen vgl. auch Babusiaux (2016), S.  176 f. 29 Vgl. Buhl (1886), S.  88, 90.

2. Zur Werkgattung der Digesten Julians

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Erörterung an“30, die nur gelegentlich einzelne Rechtsfälle berücksichtigen. Responsen im Sinne einer Bescheidung der im Prozess befangenen Partei kämen überhaupt nicht vor. Dagegen sind nach Babusiaux die Werke römischer Juristen mit dem Titel digesta kasuistisch aufgebaut.31 Im Hinblick auf die Digesten Julians kann dem nicht uneingeschränkt zugestimmt werden, wie das hier untersuchte Fragment zeigt.32

Mommsen (1905), S.  9 f. Babusiaux (2016), S.  178, 180, 181, 184; vgl. auch Repnow / Stumpf (2020) zu Anm.  12. 32  Vgl. noch Schulz (1961), S.  290, wonach die digesta eine Sammlung von responsa der unterschiedlichsten Art enthalten: briefliche Antworten, Antworten in einer Disputation, echte responsa im technischen Sinne und Antworten auf Fragen, die sich der Verfasser selbst vorlegte. Bei Liebs (1997), S.  104 heißt es, die digesta seien aus der Respondierpraxis, auch aus dem Unterricht hervorgegangen und hätten hauptsächlich Kasuistik zum Inhalt, seltener allgemeine Lehrstücke und systematisierende Einlagen; vgl. auch ders. (2017), S.  410. Ähnlich stellt Wieacker (2006), S.  101 fest: „Das Werk enthält fast ausschließlich Quästionen und Responsen.“ Gokel (2014), S.  82 konstatiert, in die Digesten Julians seien theoretische und kommentierende Traktate eingeflochten; Nachweise: ebd., Anm.  320; ähnlich Stepan (2018), S.  10. 30 

31 Vgl.

Zehnter Abschnitt

Zur Arbeit der Kompilatoren und zum justinianischen Recht 1. Gründe für die Aufnahme des Julian-Exzerpts in die Digesten a) Zwei mögliche Gründe sind zu betrachten: Aufschlussreich ist – erstens – das unmittelbar vor dem Julian-Text stehende Fragment Ulp 7 disp D. 41,1,35: Ein procurator oder ein tutor übergibt eine ihm gehörige Sache, um sie zu übereignen; er glaubt, die Sache stehe im Eigentum des Geschäftsherrn bzw. des Mündels. Das Eigentum geht nicht über – quia nemo errans rem suam amittit.1 Während Ulpian die Frage behandelt, wie sich ein Irrtum des Tradenten über die Eigentümerstellung auf die Wirksamkeit der Übereignung auswirkt, prüft Julian, welche Auswirkung ein Dissens in causis auf die Übereignung hat.2 In beiden Texten geht es um einen während der Übergabe bestehenden Irrtum bzw. Dissens, verbunden mit der Frage, welche Konsequenz sich daraus im Hinblick auf die Gültigkeit der Übereignung ergibt.3 Insofern besteht eine Ähnlichkeit zwischen den in D. 41,1,35 und 36 behandelten Fragen.4 Die Kompilatoren haben besonderen Wert darauf gelegt, inhaltlich vergleichbare Texte unmittelbar nacheinander anzuführen. Sie sind vom ordo librorum (Bluhme / Krüger) abgewichen, um Texte, „bei denen (…) ein gewisser Zusammenhang unverkennbar ist“, in eine direkte Nachbarschaft zu bringen.5 1  „weil

niemand aufgrund eines Irrtums eine ihm gehörige Sache verliert.“ Zu D. 41,1,35 vgl. Harke (2004), S.  130 ff., 150; Wacke (2018), S.  359 ff. Eine Zusammenstellung der im 19. Jahrhundert vertretenen Deutungen dieser Stelle bei Zeller (1899), S.  1 ff. 2  Der Darlehens-Schenkungs-Fall bezieht sich ebenfalls auf einen Dissens und die Frage des Eigentumsübergangs. 3  Jeder der Beteiligten glaubt irrtümlich, der andere beziehe sich auf diejenige causa, die er selbst im Auge hat. 4  Folgt man einer von Savigny, Thibaut und Glück vertretenen Auffassung, setzt D. 41,1,35 einen error in corpore, das heißt einen Fehlgriff des Tradenten, voraus, der die eigene statt der verkauften Sache übergibt. Würde diese Ansicht zutreffen, wäre die inhaltliche Verbindung zu D. 41,1,36 noch stärker: In beiden Texten ginge es (auch) um einen error bzw. Konsens in corpore. Jedoch wird die dargestellte Auffassung schon seit Langem allgemein abgelehnt; vgl. Zeller (1899), S.  17 f. mit Nachweisen Anm.  3; Wacke (2018), S.  373 Anm.  54. 5  Bluhme (1820 / 1960), S.  66; vgl. auch ebd., S.  87.

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Zehnter Abschnitt: Zur Arbeit der Kompilatoren und zum justinianischen Recht

Bluhme spricht von „Zusammenstellungen“ als einer besonderen Form von „Versetzungen“.6 Die Fragmente seien bisweilen nicht wegen des gleichen Rechtssatzes zusammengestellt, sondern aufgrund der faktischen Verhältnisse oder der physischen Gegenstände, von denen die Rede sei.7 „Zusammenstellungen“ dienen ebenso wie „Zusammenschmelzungen“8 dem Versuch, die Digestentitel ansatzweise systematisch zu ordnen. Die in D. 41,1,35 und 36 überlieferten Texte folgen zwar dem ordo librorum (Bluhme / Krüger).9 Aber auch, wenn eine eigene „Zusammenstellung“ nicht erforderlich war, werden die Kompilatoren darauf geachtet haben, ähnliche Texte direkt nacheinander anzuführen, um die Fragmente ansatzweise systematisch zu ordnen. Nachdem die Kompilatoren (in der Sabinus-Kommission) die Disputationen Ulpians ausgewertet hatten,10 gingen sie zu den Digesten Julians über, stießen darin auf den Text zum Dissens in causis und entschlossen sich wahrscheinlich, diesen Text in die Digesten aufzunehmen, weil er ebenso wie die Ulpian-Stelle einen Fall betraf, in dem ein Irrtum bzw. ein Dissens zwischen den an einer Übergabe Beteiligten und dessen Folgen für den Eigentumsübergang behandelt werden. b) Zweitens: Julian behandelt nicht einen konkreten Fall, sondern eine abstrakte quaestio iuris. Deshalb ist der erste Teil des Fragments allgemein, fast wie eine Regel11 formuliert. Auch in einem inhaltlichen Sinne ist der erste Teil allgemeiner Natur: Behandelt wird nicht nur der Dissens in causis (der das eigentliche Thema des Fragments bildet), sondern auch der Konsens in corpore; damit vervollständigt Julian seine Feststellung zum Dissens in causis.12 Die 6 

Ebd., S.  66, 87. Vgl. ebd., S.  66. 8 Die „Zusammenschmelzungen“ beziehen sich auf „Excerpte“, „welche einander berichtigten und vervollständigten“; die Kompilatoren konnten sie „zusammenschmelzen und in einander schieben, so gut es gehen wollte“; ebd., S.  65. Sie werden auch „Katenen“ („chains“) genannt; vgl. Honoré (1963), S.  362 ff.; Mantovani (1987), S.  39 ff; Wieacker (2006), S.  302. Kritisch zur Verwendung des Bildes der Kette: ders. (1993), S.  420 Anm.  17. 9 Vgl. Bluhme (1820 / 1960), S.  93; Mommsen / Krüger 1 (1973), S.  927; Mantovani (1987), S.  90. 10  Die Kompilatoren hatten zwischen zwei Fragmente aus Ulpians Disputationen (4 disp D. 41,1,33 und 7 disp D. 41,1,35) einen Text aus seiner Schrift de censibus eingeschoben (D. 41,1,34), die im ordo librorum (Bluhme / Krüger) den Disputationen Ulpians folgt. Der Grund für diese Versetzung war der enge inhaltliche Zusammenhang zwischen den in D. 41,1,33 und 34 überlieferten Texten; vgl. Honoré (2010), S.  199. 11  Erster Abschnitt, 2. a). 12  Unklar ist allerdings, ob der Inhalt des Konsenses, der bei der Übereignung vorzuliegen hat, schon vollständig bezeichnet ist, wenn es heißt, ein Konsens in corpore sei erforderlich. Möglicherweise muss auch ein Konsens darüber bestehen, dass das Eigentum übergeht; Einführung, 2. b) Anm.  17. 7 

1. Gründe für die Aufnahme des Julian-Exzerpts in die Digesten

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Kompilatoren haben besonderen Wert auf allgemeine Regeln gelegt.13 Dies zeigt sich nicht nur darin, dass sie einen Titel De diversis regulis iuris antiqui bildeten und an eine herausgehobene Stelle – das Ende der Gesetzessammlung – platzierten (D. 50,17), sondern überhaupt in ihrer Vorliebe für allgemein formulierte Darlegungen. Sie haben zum Beispiel allgemeine Aussagen mehrfach an den Anfang eines Titels versetzt, um zu betonen, dass diese Aussagen für die folgenden Darlegungen im gleichen Titel von grundlegender Bedeutung sind, wie zum Beispiel D. 12,6,1 zeigt.14 Die Kompilatoren wollten damit sicherstellen, dass die Digesten alle denkbaren Fälle möglichst vollständig erfassten, um dem Anspruch einer umfassenden Kodifikation gerecht zu werden, wie er schon im Titel Pandectae zum Ausdruck gebracht wurde.15 Dieser Anspruch wird durch quasi flächendeckende Regeln besser erfüllt als durch punktuelle Einzelfallentscheidungen. Die Bevorzugung allgemeiner Regeln bildet einen Aspekt der „Generalisierungen und Verallgemeinerungen“ als Ausdruck einer „Systematisierungstendenz“, die zum Programm der Kompilatoren gehörte.16 Ihre Aufgabe bestand ja gerade darin, das umfangreiche und unübersichtliche Material der Digestenexzerpte in eine harmonische Ordnung zu bringen und die Gesetzessammlung damit, wie Justinian in seiner Constitutio Deo auctore (§  5) betonte, quasi proprium et sanctissimum templum iustitiae consecrare.17 Die allgemeine Fassung des ersten Teils des Textes dürfte die Kompilatoren dazu veranlasst haben, das Fragment in die Digesten aufzunehmen. Die Vorliebe der Kompilatoren für allgemein formulierte Darlegungen führte dazu, dass auch solche Texte in die Digesten aufgenommen wurden, die ursprünglich in einem engen, spezifischen Kontext gestanden hatten. So konnte leicht der falsche Eindruck entstehen, es liege eine Regel vor, die sich auf einen weiten Anwendungsbereich bezieht.18 Ein charakteristisches Beispiel dafür bildet der erste Teil des hier untersuchten Julian-Fragments. Liest man den Text als isolierte Digestenstelle, scheint er Übereignungen von res nec mancipi durch 13  Schulz (1934 / 1954), S.  9 spricht davon, dass jede Kodifikation „eine den Römern gefährlich dünkende abstrakte Formulierung der Rechtssätze“ fordert. 14  Fünfter Abschnitt, 4. a). 15  Zum Namen „Pandectae“ vgl. const. Dedoken §  1; zum Anspruch auf Vollständigkeit: const. Deo auctore §  2; const. Tanta §  12. 16 Vgl. Gokel (2014), S.  48 ff. 17  „gleichsam zu einem eigenen und allerheiligsten Tempel der Gerechtigkeit zu weihen.“ 18 Vgl. Stein (1988), S.  57. Lambrini (2000), S.  169 ff. führt mehrere allgemein formulierte Digestenfragmente zum concursus causarum an, die ihrer Auffassung nach ursprünglich in einem engeren Kontext standen; das hier untersuchte Julian-Fragment D. 41,1,36 ist nicht darunter. „Falsche“ Verallgemeinerungen finden sich vor allem in den beiden letzten Digestentiteln D. 50,16 und 17; vgl. Avenarius (2013), S.  82 ff.

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Zehnter Abschnitt: Zur Arbeit der Kompilatoren und zum justinianischen Recht

traditio ganz allgemein zu betreffen. Um die Stelle in der von Julian gemeinten Bedeutung zu verstehen, ist eine duplex interpretatio erforderlich.19 Als die Kompilatoren das in D. 41,1,36 überlieferte Exzerpt in die Digesten aufnahmen, näherten sie sich bereits dem Abschluss ihrer Arbeit, was den Zeitdruck, unter dem sie ohnehin standen, und die dadurch bedingte Hast und Flüchtigkeit noch verstärkte.20 Sie erkannten daher wohl nicht, dass der ursprüngliche Kontext der Stelle nur noch schwer erkennbar ist. So ist es zu einem deutlichen Beispiel für „eine ‚Verfälschung‘ der klassischen Juristenschriften“21 durch Justinian gekommen.

2. Der Kontext von D. 41,1,36 innerhalb der Digesten Julians a) Wie sind die Kompilatoren vorgegangen, nachdem sie sich entschlossen hatten, den in D. 41,1,36 überlieferten Text in die Digesten aufzunehmen? Auf den ersten Blick scheint dem Julian-Fragment ein (nicht überliefertes) Textstück vorausgegangen zu sein, in dem der Jurist die von ihm behandelte Fallgruppe, den Dissens in causis, dargestellt hat.22 Andernfalls, so lässt sich argumentieren, hätte ein zeitgenössischer Leser nicht verstanden, worum es in der überlieferten Stelle eigentlich geht. Der Text muss die Beschreibung der Fallgruppe und eine daran geknüpfte Rechtsfrage (nach dem Eigentumsübergang) zum Inhalt gehabt haben. b) Um diese Vermutung zu überprüfen, sind zwei Möglichkeiten zu unterscheiden: Am nächstliegenden ist die Annahme, dass die Frage abstrakt formuliert gewesen ist. Denn auch die Antwort (Teil 1 des Fragments) ist abstrakt gefasst. Julian könnte also gefragt haben, ob im Falle eines concursus causarum bei einem Dissens in causis das Eigentum an der tradierten Sache übergeht. Da der im zweiten Teil des Fragments überlieferte Fall die Aufgabe hat, den Begriff des 19 Zur duplex interpretatio stellt Wacke (2001), S.  375 fest: „Kennzeichnend ist für sie die Umdeutung einer Quellenaussage in einen vom Original abweichenden Sinn, meist durch Herauslösung aus ihrem Kontext.“ Zur duplex interpretatio allgemein vgl. auch Wenger (1953), S.  850 ff.; Wieacker (1988), S.  79 sowie die weiteren Nachweise bei Wacke (2001), S.  374 f. Anm.  103. 20  Bluhme (1820 / 1960), S.  246 spricht von der „Hast bei Vollendung der Pandecten“. Im Hinblick auf D. 50,17 ist bei Stein (1988), S.  59 sogar von einer extremen Hast, mit der die Kompilatoren vorgegangen sind, die Rede. Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen dem (auch sonst in der Romanistik verwendeten) Topos vom Zeitdruck der Kompilatoren und der Massentheorie Bluhmes; folgte man der Prädigestentheorie, hätte der Topos keine Bedeutung; vgl. Ehmer (2017), S.  78 und 81. 21  Gokel (2014), S.  48. 22  Zum Folgenden bereits: Zweiter Abschnitt, 9. e); Sechster Abschnitt, 5. b).

2. Der Kontext von D. 41,1,36 innerhalb der Digesten Julians

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Dissenses in causis mithilfe eines Beispiels zu verdeutlichen, wäre allerdings zu erwarten, dass ein solches Beispiel im unmittelbaren Anschluss an die Frage gegeben wurde. Es hätte keinen Sinn gehabt, die (abstrakte) Frage und das (konkrete) Beispiel auseinanderzureißen. Das Beispiel findet sich jedoch erst im Anschluss an die (mögliche) Antwort, im zweiten Teil des Fragments.23 Die Frage dürfte daher nicht abstrakt formuliert gewesen sein. Sollte die Frage konkret, im Hinblick auf einen Einzelfall, formuliert und die Antwort in abstrakter Form erteilt worden sein (was eher unwahrscheinlich ist), würde der im zweiten Teil des Fragments enthaltene Sachverhalt einen weiteren konkreten Beispielsfall bilden. Ein solcher Fall wäre jedoch überflüssig. Deshalb kann geschlossen werden, dass dem überlieferten Fragment kein Textstück vorausging, in dem eine Frage zum Dissens in causis formuliert wurde.24 Der Begriff eines solchen Dissenses wurde in Teil 1 des Fragments erstmals verwendet. Die Kompilatoren sind präzise vorgegangen: Sie haben kein auf den Dissens in causis bezogenes Textstück, das vor dem überlieferten Exzerpt stand, weggelassen; und sie haben, wie hinzugefügt werden muss, auch am Ende des überlieferten Textes nichts weggelassen.25 Die Stelle, an der sich Julian mit dem Dissens in causis befasst, ist somit vollständig überliefert. c) Die Darlegungen Julians waren für einen zeitgenössischen Leser nur verständlich, wenn die unmittelbar vorangehenden Ausführungen ebenfalls dem concursus causarum gewidmet waren. Der concursus muss darin ausdrücklich angesprochen worden sein. Die überlieferte Stelle stand möglicherweise in einem größeren Kontext, der sich insgesamt auf den concursus bezog. Julian hat den concursus causarum vielleicht systematisch erforscht26 und stieß dabei auf eine für ihn (und die anderen Juristen) neue Konstellation, den Dissens in causis.27 Diese Vermutung wird noch plausibler, wenn man, um das Ergebnis der Überlegungen zur Inskription vorwegzunehmen,28 voraussetzt, dass der in D. 41,1,36 überlieferte Text wahrscheinlich nicht dem 13., sondern dem 33. Buch der Digesten Julians entstammt, in dem sich der Jurist ausführlich mit dem concursus causarum befasst. Julian musste dem überlieferten Text keine Erläuterung 23  Teil 2 des Fragments hat nicht ein Beispiel für die Regel (Teil 1) zum Inhalt: Der Konsens in corpore wird hier nicht mehr erwähnt; auch die Rechtsfolge (Eigentumsübergang) wird nicht bezeichnet. Teil 2 dient allein dem Zweck, den Begriff des Dissenses in causis mithilfe eines Beispiels zu verdeutlichen; Erster Abschnitt, 2. a). 24  Zweiter Abschnitt, 9. e); Sechster Abschnitt, 5. b). 25  Siebter Abschnitt, 10. c). 26  Zur systematischen Rechtsfindung bei den römischen Juristen: Harke (2015), S.  10 f. = Rn.  6 ff. 27  Sechster Abschnitt, 5. f). 28  Zehnter Abschnitt, 4. c).

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Zehnter Abschnitt: Zur Arbeit der Kompilatoren und zum justinianischen Recht

vorausschicken; er konnte gleich mit dem Konsens in corpore und dem Dissens in causis (Teil 1 des Fragments) beginnen. Einem Leser der Digesten Julians war klar, dass sich die Wendung in causis auf den concursus bezog; denn der Kontext war eindeutig.

3. D. 41,1,36 und der Widerspruch zu Ulpian a) Die Frage, wie der Widerspruch zwischen Julian (D. 41,1,36) und Ulpian (D. 12,1,18 pr.) trotz des justinianischen Antinomieverbots in die Digesten geraten ist, lässt sich unterschiedlich beantworten. Lange ist der Auffassung, die Antinomie sei zur Zeit der Kompilatoren vielleicht schon ebenso berühmt gewesen wie in der Folgezeit; die Kompilatoren hätten möglicherweise nicht gewagt, „offen gegen einen dieser großen Klassiker im entscheidenden Punkte Stellung zu nehmen“.29 Den Kompilatoren war jedoch bewusst, dass ihre Aufgabe nicht darin bestand, juristisch interessante Kontroversen (etwa für den Rechtsunterricht) zu konservieren, sondern eine praktisch anwendbare Gesetzessammlung zu schaffen, die eine harmonische Einheit bildete. Es durfte nicht unklar sein, welche Regelung maßgeblich war.30 Ihre Aufgabe bestand deshalb darin, Streitfragen aus den Digesten fernzuhalten und damit notwendigerweise auch gegen Positionen Stellung zu beziehen, die von einem großen Klassiker vertreten worden waren. b) Plausibel erscheint der folgende Ablauf: Zunächst entschied die SabinusKommission, das Ulpian-Exzerpt in die Digesten einzufügen, in dem Ulpian ausdrücklich Julian widerspricht.31 Haben die Kompilatoren allein schon dadurch gegen das Antinomie-Verbot verstoßen? Nicht jede Entscheidung, die auf ius controversum hinweist,32 hat eine Antinomie zum Inhalt. Der Zweck des Verbots bestand darin, den die Gesetzessammlung anwendenden Juristen eindeutige, widerspruchsfreie RechtsaufLange (1930), S.  65. Aus diesen Gründen ist auch die von Wolf (1961), S.  102 Anm.  46 und Saccoccio (2002), S.  339 vertretene These abzulehnen, die folgendermaßen lautet: Wie man bei der Exzerption der Sabinuskommentare und der zur Sabinusmasse gehörenden Ediktskommentare fortlaufend die Digesten Julians eingesehen und „Nebenexzerpte“ angefertigt habe (vgl. Krüger [1922], S.  67), sei es auch möglich, dass man bei den alsdann bearbeiteten disputationes Ulpians den Verweis auf Julian bemerkt habe, den entsprechenden Julian-Text exzerpiert und später dann allerdings nicht direkt nach D. 12,1,18, sondern als D. 41,1,36 den Digesten einverleibt habe. Wolf, ebd. stellt dazu fest, der „unbequemen Annahme, dass der Widerspruch bewusst nicht getilgt worden ist, wird man kaum ausweichen können“. 31 Vgl. Bluhme (1820 / 1960), S.  380; Honoré (2010), S, 152. 32  Zum Begriff des ius controversum: Einführung, 2. d) Anm.  30. 29  30 

3. D. 41,1,36 und der Widerspruch zu Ulpian

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fassungen und Regelungen an die Hand zu geben; das (später sogenannte) Corpus Iuris sollte eine harmonische Ordnung bilden.33 Die Quellentexte enthalten häufig nur indirekte Hinweise darauf, dass eine Rechtsansicht umstritten war. Bezeichnend sind Worte wie quaeritur, constat, placuit u. a.34 In derartigen Fällen wird die überlieferte Position als geltendes Recht anerkannt worden sein; eine Antinomie im Sinne Justinians lag nicht vor. Hinzu kommen Entscheidungen, in denen ein Jurist die abweichende Position eines anderen Juristen referiert, ohne dass diese Position in den Digesten sonst vertreten wird. Solche Kontroversenberichte waren unschön, weil sie das Bild einer harmonischen Ordnung des Gesetzgebungswerks störten,35 aber nicht schädlich. Wenn ein Jurist die Digesten praktisch anwendete, konnte er die abgelehnte Position übergehen und sich auf die Auffassung beziehen, die der referierende Jurist selbst vertreten hatte. Dies war die Position, die von Justinian offenbar bevorzugt worden war.36 Eine verbotene Antinomie lag dagegen vor, wenn Fragmente von zwei oder mehr Juristen überliefert waren, die einander widersprachen, und zwar unabhängig davon, ob der Widerspruch explizit als solcher bezeichnet wurde.37 Die Aufnahme des in D. 12,1,18 pr. überlieferten Ulpian-Textes verstößt als solche daher nicht gegen das Antinomie-Verbot. Später, gegen Ende ihrer Arbeit an den Digesten, haben die Kompilatoren das 41. Buch zusammengestellt und das Julian-Fragment eingefügt. Man könnte zwar erwägen, ob dadurch wirklich eine Antinomie in die Digesten Eingang gefunden hat; denn die von Julian und anderen Juristen vertretene Rechtsauffassung 33  Zum

Ziel, eine harmonische Ordnung herzustellen, vgl. const. Dedoken pr.; const. Deo auctore §  7; const. Tanta § (13). 34  Vgl. z. B. Schwarz (1951), S.  208 f.; Kaser (1972), S.  21 f.; Bretone (2009), S.  830. 35  In const. Tanta §  10 heißt es, wenn etwas umstritten war, sei es nun „in der sichersten Weise befriedet, ohne dass irgend etwas Schwankendes zurückgeblieben wäre“ (hoc iam in tutissimam pervenit quietem, nullo titubante relicto). 36  Wäre diese Ansicht zutreffend, müsste die Auffassung überprüft werden, wonach die von den Kompilatoren vorgenommenen Interpolationen häufig darin bestanden, Kontroversenberichte wegzulassen; vgl. Schwarz (1951), S.  212, 224; Kaser (1972), S.  24 f. 37 Um eine Klärung zu erreichen, ist es erforderlich, den Wortlaut der Konstitutionen Justinians zu analysieren. Wenn es in const. Tanta §  1 heißt, alle Zweifelsfragen seien entschieden, ohne dass eine einzige streitträchtige Stelle geblieben wäre, könnte dies gegen die hier vertretene These sprechen, wonach die Kompilatoren nicht den Auftrag hatten, Kontroversenberichte zu tilgen; vgl. auch const. Tanta §  10. Gleichwohl wäre zu fragen, ob ein Kontroversenbericht noch streitträchtig war, wenn die Digesten keinen Text enthalten, in dem die Gegenposition vertreten wird. Nützlich für eine Klärung wäre eine Bestandsaufnahme aller Digestenstellen, die ius controversum aufweisen oder darauf hindeuten. Die Anzahl der Kontroversenberichte und anderer Fälle von ius controversum ließe vielleicht einen Schluss darauf zu, wie die Kompilatoren ihren Auftrag verstanden und mit welcher Sorgfalt sie ihn umgesetzt haben.

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Zehnter Abschnitt: Zur Arbeit der Kompilatoren und zum justinianischen Recht

im Darlehens-Schenkungs-Fall bildet nicht das eigentliche Thema des in D. 41,1,36 überlieferten Fragments, sondern dient nur zur Begründung der Regel (Teil 1). Für den Begriff der Antinomie kann aber nicht entscheidend sein, ob eine widersprüchliche Regelung das hauptsächliche Thema einer Stelle bildet oder nicht. In beiden Fällen liegt ein Widerspruch vor, der bei der praktischen Anwendung der Digesten zu einem Problem führen musste. c) Als die Kompilatoren den Julian-Text in das 41. Buch aufnahmen, haben sie an das Ulpian-Fragment wohl nicht mehr gedacht, zumal sie unter Zeitdruck standen und in Eile waren. Der Widerspruch zu Ulpian ist ihnen vielleicht auch deshalb entgangen, weil der Darlehens-Schenkungs-Fall nicht das eigentliche Thema der Julian-Stelle bildet, sondern nur zur Begründung der Entscheidung dient, die den hauptsächlichen Inhalt der Stelle bildet (Teil 1 des Fragments).

4. Zur Inskription a) Im 13. Buch der Digesten Julians, dem das hier untersuchte Fragment der Inskription zufolge entstammt, werden das depositum und die fiducia behandelt.38 Mit der Begründung, das depositum komme als unmittelbarer Kontext nicht in Betracht, nehmen Lenel und andere Autoren an, dass das Fragment möglicherweise im Zusammenhang mit der fiducia stand.39 Da die fiducia durch mancipatio oder in iure cessio zu erfüllen ist,40 vermuten sie, dass Julian sich auf die mancipatio bezogen hat, die in den Digesten überlieferten Worte traditur, traditio und tradam also von den Kompilatoren stammen. Die Vermutung ist unbegründet.41 Denn die Regel (Teil 1 des Fragments) bezieht sich auf die Übereignung einer res nec mancipi, genauer: einer species,

Lenel 1 (1889 / 1960), Sp.  352 ff. Vgl. ebd., Sp.  355; ders. (1882), S.  179; de Zulueta (1922), S.  32 Anm.  36; Ehrhardt (1930), S.  138; Voci (1949), S.  149; ders. (1952), S.  145; van Oven (1952), S.  445 f.; Rebro (1968), S.  217 ff.; Kerber (1970), S.  72 f.; Cannata (1992), S.  70 f.; Behrends (1998), S.  58; Lambertini (2010), S.  31. Lange (1930), S.  64 Anm.  1 betont, Lenel behaupte nicht, die Stelle stehe in unmittelbarem Zusammenhang mit der fiducia, sondern im Anschluss an die Besprechung der fiducia, weil das Dissensproblem dadurch nahegelegt worden sei. 40 Das pactum fiduciae ist eine Treuabrede, die, falls sie zum Zweck der Sicherungsübereignung abgeschlossen wurde, den Gläubiger (Fiduziar) verpflichtet, die jeweilige Sache durch mancipatio oder in iure cessio dem Sicherheitsgeber (Fiduziant, meist: Schuldner) zurückzuübereignen, wenn die gesicherte Forderung erloschen oder der Sicherungszweck sonstwie weggefallen ist; vgl. Kaser (1971), S.  460 ff.; Kaser / Knütel / Lohsse (2017), S.  54 = Rn.  10. 41  Erster Abschnitt, 3. 38 Vgl. 39 

4. Zur Inskription

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durch traditio. Das Beispiel (Teil 2) behandelt ebenfalls die traditio; vorausgesetzt wird ein fundus allgemein oder ein fundus provincialis.42 Die überlieferte Stelle kann nur dann in irgendeinem Zusammenhang mit dem depositum oder der fiducia gestanden haben, wenn Julian von einem dieser Themen stark abgewichen ist – vielleicht so weit, dass er zum Fall eines concursus causarum gelangen konnte. Ob und wie weit sich Julian in seinen digesta Abschweifungen erlaubt hat, ist unklar. Einerseits lässt sich Folgendes überlegen: Da die Kompilatoren die Schriften der klassischen Juristen nur sehr unvollständig exzerpiert haben, kann nicht oder nur schwer ermittelt werden, wie stringent die römischen Juristen ihre Schriften aufgebaut haben.43 Dies gilt gerade auch für das 13. Buch der Digesten Julians, von dem nur wenige Exzerpte überliefert sind.44 Eine weitreichende Abschweifung ist also denkbar. Andererseits ist bekannt, dass Julians Digesten systematisch aufgebaut waren; sie folgten dem sogenannten Digestensystem, einer Erweiterung des Ediktssystems.45 Julians Digesten gehören zu den Werken, die dem Zweck dienten, das Recht übersichtlich darzustellen, sodass die Äußerungen zu bestimmten Rechtsfragen für jeden Rechtspraktiker, der das Digestensystem kannte, leicht auffindbar waren.46 Der praktische Zweck der digesta Julians spricht dafür, dass der Jurist zumindest nicht häufig und nicht allzu weit vom eigentlichen Thema abgewichen ist. Dies gilt umso mehr, als Papyrusrollen (die den Beschreibstoff der Texte bildeten) unhandlich waren, was eine lange Suche erschwerte.47 Diese Überlegungen sprechen gegen eine Aufnahme des Julian-Textes in das 13. Buch. b) Wolf vermutet, das Fragment sei dem 10. Buch entnommen, das sich im Wesentlichen auf die condictio beziehe.48 Dies sei „von vornherein wahrschein-

42 

Erster Abschnitt, 3. b). Möglichkeit von Exkursen in den Schriften der klassischen Juristen wird von Repnow / Stumpf (2020) im Text zu Anm.  23 und 34 sowie in Anm.  34 selbst erwähnt. 44  Lenel 1 (1889 / 1960), Sp.  352 ff. zufolge sind es 13 Exzerpte (einschließlich des hier untersuchten Textes); hinzu kommen 5 Fragmente aus Ulpians Kommentar zum Edikt, in denen auf Julian Bezug genommen wird. 45 Die digesta Julians entsprechen im ersten Teil dem Ediktssystem, dem noch ein zweiter Teil folgt, sodass insgesamt vom Digestensystem gesprochen wird; vgl. Liebs (2017), S.  409 ff.; Repnow / Stumpf (2020) zu Anm.  52. Zum Begriff des Ediktssystems vgl. ebd. zu Anm.  38; zum Begriff des Digestensystems: ebd. zu Anm.  62. 46 Vgl. Liebs (2017), S.  410. 47 Vgl. Repnow / Stumpf (2020) zu Anm.  10. 48 Vgl. Wolf (1961), S.  101 f. Anm.  46; Lenel 1 (1889 / 1960), Sp.  340 ff.; vgl. auch Gordon (1989), S.  126; Saccoccio (2002), S.  351 f. 43 Die

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Zehnter Abschnitt: Zur Arbeit der Kompilatoren und zum justinianischen Recht

licher“49 und ergebe sich zudem aus der Lektüre der überlieferten Fragmente des 10. Buches. Einzuwenden ist: Das 10. Buch enthält (soweit überliefert) keinen Text, der den concursus causarum betrifft. Es ließe sich argumentieren, Julian konstatiere im dritten Teil des Fragments, das Eigentum gehe über; damit unterstelle er ein Darlehen sowie die Möglichkeit, dass der Geldgeber den gezahlten Betrag kondiziert. Der Jurist beziehe sich also vielleicht auf die im 10. Buch behandelte Kondiktion.50 Dagegen spricht jedoch, dass der Darlehens-Schenkungs-Fall nicht den hauptsächlichen Inhalt der Stelle bildet; dies ist vielmehr der Dissens in causis, der keine Verbindung zur Kondiktion aufweist. Einzuwenden ist ferner, dass der Zahlende im Darlehens-Schenkungs-Fall das Geld gerade nicht zurückverlangt, sondern sich weigert, das Geld vom Empfänger zurückzunehmen, sodass die Frage einer Kondiktion ohne Bedeutung ist. Es kann freilich nicht ganz ausgeschlossen werden, dass Julian vom eigentlichen Thema, der Kondiktion, auf einem für uns nicht mehr nachvollziehbaren Wege so weit abgewichen ist, dass er schließlich zu dem in D. 41,1,36 behandelten Hauptthema (dem Dissens in causis) gelangt ist. c) Im Folgenden wird die Hypothese begründet, dass das Fragment dem 33. Buch entnommen ist. In den beiden ersten Teilen des Textes setzt Julian den concursus causarum voraus. 13 Fragmente dieses Juristen zum concursus sind überliefert,51 dazu vier Stellen aus den Quästionen seines Schülers Afrikan. Die meisten der Julian-Fragmente zu diesem Thema finden sich in seinen Digesten, und zwar überwiegend im 33. Buch. Julian hat sich darin gründlich und ausführlich mit dem concursus beschäftigt, während er das gleiche Thema in anderen Büchern wohl nur kurz und am Rande erörtert hat, wenn man nach der Zahl der überlieferten Fragmente geht. Das 33. Buch der Digesten Julians behandelt Vermächtnisse, wie schon die von Lenel eingefügte Überschrift De legatis zum Ausdruck bringt.52 Dieses Buch ist besonders gut für Erörterungen geeignet, die den concursus causarum betreffen. Unsicher wird dieser Schluss dadurch, dass die Kompilatoren die Schriften der klassischen Juristen nur unvollständig ausgewertet haben; möglicherweise gab es in anderen Büchern der Digesten Julians weitere, nicht überlieferte Stellen, die sich ebenfalls mit dem concursus befassten. Wolf (1961), S.  101 f. Anm.  46. Lenel 1 (1889 / 1960), Sp.  340 ff. 51 Vgl. Pfeil (1998), S.  167 Anm.  478. 52 Vgl. Lenel 1 (1889 / 1960), Sp.  401. Anzumerken ist, dass auch das von Lenel vorangestellte Fragment Ulp 25 Sab D. 30,53,2 (in dem auf Julian Bezug genommen wird) den concursus causarum betrifft; vgl. Lenel 1 (1889 / 1960), Sp.  402 = Nr.  473; Pfeil (1998), S.  29 ff. 49 

50 Vgl.

4. Zur Inskription

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Ein weiteres Argument lautet: Die überlieferten Stellen zum concursus causarum aus dem 33. Buch der Digesten Julians lassen in der Rekonstruktion Lenels erkennen, dass dieses Buch eine gewisse Systematik aufweist: Am Anfang der Darlegungen zum concursus steht die grundsätzliche Unterscheidung zwischen der lukrativen und der nicht lukrativen causa (D. 44,7,17), die wahrscheinlich erst durch Julians Digesten besondere Bedeutung für die römischen Juristen erlangt hat.53 Es folgt ein längerer Abschnitt mit weiteren Ausführungen zum concursus.54 Die darin enthaltenen konkreten Fälle haben die genannte Unterscheidung zur Grundlage.55 Julian hat sich auch noch im 35. und 73. Buch seiner Digesten zum concursus geäußert (D. 7,1,34,1; D. 44,7,19). Es ist jedoch, soweit ersichtlich, keine concursus-Stelle überliefert, die dem 33. Buch vorausging. Allem Anschein nach hat sich Julian im 33. Buch erstmals, und zwar zunächst grundsätzlich, zum concursus causarum geäußert, um anschließend konkrete Fallgruppen zu erörtern, hauptsächlich im gleichen Buch, aber auch in späteren Büchern. Die hier untersuchte Stelle könnte somit dem 33. oder einem späteren Buch der Digesten Julians entnommen sein. Für diese Vermutung spricht auch, dass die in D. 41,1,36 überlieferte Stelle im Hinblick auf das darin behandelte Thema (den Dissens in causis) vollständig überliefert ist. Es geht kein Textstück voraus, das von den Kompilatoren weggelassen wurde.56 Ursprünglich müssen der Stelle Ausführungen vorausgegangen sein, die sich ebenfalls auf den concursus causarum bezogen; möglicherweise handelte es sich um längere Darlegungen, die dem concursus als einem Generalthema gewidmet waren. Einem zeitgenössischen Leser muss deutlich gewesen sein, auf welche Fallgruppe sich die überlieferte Stelle (D. 41,1,36) bezog. Der einzige (überlieferte) Kontext, in dem dieses Thema ausführlich behandelt wird, findet sich im 33. Buch der Digesten. Aufschlussreich sind einige stilistische Details der hier untersuchten JulianStelle. Der Text ist durchgehend in der ersten und zweiten Person Singular sowie in der ersten Person Plural formuliert. Im 13. Buch der digesta finden sich solche Formulierungen nur ein einziges Mal (D. 17,1,30).57 Im 33. Buch sind dagegen Pfeil (1998), S.  167. Lenel 1 (1889 / 1960), Sp.  402 = Nr.  475. 55  Hier zeigt sich der Ansatz zur Bildung eines „äußeren Systems“ – im Sinne einer geordneten und übersichtlichen Darstellung des Rechtsstoffs, wenn auch nicht des gesamten Rechtsstoffs, sondern eines Teilgebietes, des Rechts zum concursus causarum. Zum romanistischen Systembegriff und seiner Fragwürdigkeit sowie zur Unterscheidung eines „äußeren“ und eines „inneren Systems“ vgl. Gokel (2014), S.  43 ff. 56  Zehnter Abschnitt, 2. a) und b); vgl. auch bereits Zweiter Abschnitt, 9. e); Sechster Abschnitt, 5. b). 57 Vgl. Lenel 1 (1889 / 1960), Sp.  354 = Nr.  218. 53 Vgl. 54 Vgl.

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Zehnter Abschnitt: Zur Arbeit der Kompilatoren und zum justinianischen Recht

fast alle auf den concursus bezogenen Fälle in der Ich-Form abgefasst.58 Die Verwendung der ersten und zweiten Person Singular und der ersten Person Plural lässt erkennen, welchem Zusammenhang die Darlegungen Julians wahrscheinlich entstammen: dem Rechtsunterricht; zumindest hat Julian in der Art eines Lehrers oder Vortragsredners formuliert.59 Anders verhält es sich mit dem 13. Buch seiner digesta, genauer: dem Abschnitt, der sich mit der fiducia beschäftigt.60 Hier ist der Vortragsstil nicht erkennbar. Insofern passt die in D. 41,1,36 überlieferte Stelle stilistisch gut in den Kontext des 33. Buches, soweit er sich auf den concursus bezieht. Die Kompilatoren exzerpierten verschiedene Stellen aus der gleichen Schrift entsprechend der ursprünglichen Reihenfolge in dieser Schrift und ordneten sie im jeweiligen Digestentitel in der gleichen Reihenfolge an.61 Diese Reihenfolge bleibt gewahrt, wenn man annimmt, dass D. 41,1,36 dem 33. Buch entstammt: Das in D. 41,1 folgende Fragment (D. 41,1,37) ist laut Inskription dem 44. Buch der Digesten Julians entnommen.62 Die Reihenfolge wäre allerdings auch eingehalten unter der Annahme, dass die Stelle dem 13. Buch der Digesten Julians entstammt. Fragt man, wie es dazu gekommen sein mag, dass aus dem „33.“ das „13.“ Buch wurde, so ist zu beachten, dass die Buchzahlen der Inskriptionen einer Anordnung Justinians entsprechend63 überwiegend nicht in Ziffern, sondern in Zahlwörtern geschrieben sind;64 in dieser Form erscheinen sie auch im Codex Florentinus Digestorum. Während der Redaktionsarbeit an den Digesten wurden dagegen Ziffern verwendet.65 Lenel zufolge lassen sich fehlerhafte Buchangaben in drei Gruppen einteilen. Eine (hier relevante) Fehlergruppe kommt dadurch zustande, dass eine oder mehrere Ziffern weggelassen wurden.66 Der Ausfall einer Zehn (X) oder mehrerer Zehner lässt sich mehrfach belegen. So wurde in D. 24,1,23 aus dem XXXVI. Buch von Ulpians Kommentar zum Edikt das VI. 58 

Vgl. ebd., Sp.  402–404 = Nr.  475–478. Neunter Abschnitt, 1. b). 60 Vgl. Lenel 1 (1889 / 1960), Sp.  353 ff. 61 Vgl. Wieacker (1993), S.  421 f.; ders. (2006), S.  303, 307. 62 Ob die Reihenfolge auch im Hinblick auf voranstehende Texte aus Julians Digesten korrekt ist, lässt sich nicht feststellen, weil D. 41,1 keine weiteren Stellen aus dieser Schrift enthält. 63  Vgl. const. Deo auctore §  13; const. Dedoken §  22; const. Tanta §  22. 64  Zum Folgenden vgl. Kaiser (2017a), S.  495 f.; ders. (2017b), S.  323 ff. 65 Vgl. Kaiser (2017a), S.  498; ders. (2017b), S.  323. 66 Vgl. Lenel (1927 / 2010), S.  8. Die Fehler der zweiten Gruppe beruhen darauf, dass eine oder mehrere Ziffern hinzugefügt wurden; der dritten Gruppe liegt eine Verwechslung von ähnlichen beginnenden Zahlwörtern zugrunde (z. B. quarto statt quinto). Hinzu kommen Fehler, die keiner der drei Gruppen zugeordnet werden können. 59 

5. Tendenz zum Abstraktionsprinzip im justinianischen Recht?

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Buch.67 Dementsprechend könnte das in D. 41,1,36 überlieferte Exzerpt nicht im XIII. Buch der Digesten Julians gestanden haben, wie in der Inskription angegeben, sondern im XXXIII. Buch. Da dieser mögliche Fehler die Schreibweise in Form von Ziffern voraussetzt, kann er nicht erst im Lauf der Überlieferung der Digesten entstanden sein, denn die Handschriften wiesen Zahlwörter auf. Der Fehler muss bereits während der Redaktionsarbeit an den Digesten passiert sein.68 Als die Kompilatoren und ihre Helfer das 41. Buch der Digesten zusammenstellten, näherten sie sich bereits dem Ende ihrer Arbeit und standen unter erhöhtem Zeitdruck, sodass ein Fehler leicht auftreten konnte.69 Um das Ergebnis der Überlegungen zur Inskription festzuhalten – in Kenntnis der berechtigten Warnung, dass bei der Annahme einer falschen Inskription generell Vorsicht geboten ist:70 Die hier untersuchte Julian-Stelle stammt wahrscheinlich nicht aus dem 13., sondern aus dem 33. Buch der Digesten Julians.

5. Tendenz zum Abstraktionsprinzip im justinianischen Recht? a) Kaser vertritt die These, die oströmischen Rechtslehrer hätten die Frage, ob die Übereignung kausal oder abstrakt sei, nicht abschließend entscheiden wollen, weil sie sich nicht einig gewesen seien.71 Kaser setzt voraus, dass „beide Stellen“, nämlich Paulus D. 41,1,31 pr. und Julian D. 41,1,36, „ihre Entscheidung mit auf67 Vgl. Lenel 2 (1889 / 1960), Sp.  1034, Anm.  1; vgl. auch Kaiser (2017a), S.  508 Anm.  136; ders. (2017b), S.  325 ff. Beispiele zur Weglassung oder Hinzufügung von Ziffern auch bei Daube (1959a), S.  156: Zu D. 12,4,4 ist überliefert: Ulp 39 ed, richtig: 29; zu D. 50,17,47 ist überliefert: Ulp 30 ed, richtig: 31. Ein Beispiel findet sich auch bei Gokel (2014), S.  182: D. 33,7,27 entstammt laut Inskription dem 6. Buch der Digesten Scaevolas, wird von Lenel aber dem 16. Buch zugeordnet; vgl. Lenel 2 (1889 / 1960), Sp.  234 Anm.  2. Gokel hält diese Zuordnung für nicht unwahrscheinlich; sie weist darauf hin, dass ein Schreiber versehentlich „libro VI“ statt „libro XVI“ geschrieben haben könnte. 68  Einen entsprechenden Schluss zieht Kaiser (2017a), S.  497, 513 in Bezug auf Gai 8 ed prov D. 38,10, 1 und 3 – ein Fragment, das der Autor dem 16. Buch zuweist. 69  Ein Indiz für die Hast der Kompilatoren ist auch darin zu erblicken, dass sie übersehen haben, wie leicht das Julian-Fragment missverstanden werden konnte, weil der ursprüngliche Kontext, der concursus causarum, nur noch sehr schwer erkennbar war. 70 Vgl. Daube (1959a), S.  155 ff. Kaser (1972), S.  27 stellt fest, von seltenen Ausnahmen abgesehen, brauchten wir an der Zuverlässigkeit der Inskriptionen nicht zu zweifeln. Im Hinblick auf D. 41,1,36 meint Lange (1930), S.  64 Anm.  1, die Annahme einer falschen Inskription helfe hier nicht weiter. 71 Vgl. Kaser (1961a), S.  65 ff., 97; ders. (1975), S.  282 f.; Kaser / Knütel / Lohsse (2017), S.  149 = Rn.  15: „Ob der Eigentumserwerb von gültigem Bestand der causa abhängen sollte, wird nicht klar entschieden.“ In diesem Sinne auch Laborenz (2014), S.  56: „Justinian selbst hatte zur causa-Frage offenbar ein gespaltenes Verhältnis.“

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Zehnter Abschnitt: Zur Arbeit der Kompilatoren und zum justinianischen Recht

fallender rhetorischer Emphase“ vortragen und daher „aus diesem wie aus anderen Gründen insoweit für unklassisch zu halten“ seien.72 Weiter heißt es, „das unscharf formulierte fr. 31 pr. mit seiner schulmäßigen Verallgemeinerung ist eher der frühnachklassischen Richtung zuzuschreiben als den Kompilatoren“.73 Die Julian-Stelle sei in ihrem generell gefassten Anfangs- und Endstück ebenfalls unecht. Diese Stücke, so wird festgestellt, „werden (…) eher auf die Kompilatoren – nach Vorbereitung durch die oströmische Schule – als auf die Frühnachklassiker zurückgehen.“74 Dass die Kompilatoren daneben auch eine gegensätzliche Äußerung (D. 41,1,31 pr.) in die Digesten aufgenommen haben, spreche dafür, dass sie die Frage nicht entscheiden wollten. Die Unentschiedenheit Justinians und der Kompilatoren komme wohl auch in Inst 2,1,40 und 41 zum Ausdruck.75 Die energischere Fassung von fr. 36 zeige aber, dass sie der abstrakten Lösung stärker zuneigten als der kausalen. Der Grund dafür sei, dass die Kompilatoren die solutio als causa nicht mehr verstanden76 und deshalb den Verpflichtungsgrund als causa qualifiziert hätten. Da sie am Eigentumsübergang bei Ungültigkeit des Verpflichtungsgrundes aber hätten festhalten wollen, sei die Schlussfolgerung konsequent gewesen, dass die Übereignung abstrakt sei.77 „Justinians Weisheit (…) hat es vorgezogen, die Frage nicht mit dem Federstrich des Gesetzgebers zu entscheiden, sondern das Rätsel ungelöst der Nachwelt zu hinterlassen.“78 b) Zunächst zu den Interpolationsvermutungen Kasers: Dass Paulus und Julian „ihre Entscheidung mit auffallender rhetorischer Emphase“79 vortragen, kann nicht als ausreichender Verdachtsgrund akzeptiert werden80 und ist nicht einmal zutreffend: Die von Julian benutzte Wendung non animadverto bringt einerseits eine gewisse Autorität, andererseits Zurückhaltung zum Ausdruck, weil sich Julian eines Problems bewusst ist (nämlich der Frage des Eigentumsübergangs 72 

Kaser (1961a), S.  66.

73 Ebd.

Kaser, ebd., S.  67. Kaser (1961a), S.  64 ff.; Kaser / Knütel / Lohsse (2017), S.  149 = Rn.  15; vgl. auch Savigny (1853 / 1973), S.  257. 76  Kaser bezieht sich auf die von ihm vertretene These, die Solutionskausa sei dadurch entstanden, dass in altrömischer Zeit mit jeder Erfüllung ein Vergleichsvertrag verbunden worden sei, durch den wechselseitige Ansprüche ausgeschlossen worden seien; Fünfter Abschnitt, 8. 77 Vgl. Kaser (1961a), S.  97. Saccoccio (2002), S.  335 stellt ebenfalls fest, Justinian sei ein Verfechter der Theorie der abstrakten Übereignung. 78  Kaser (1961a), S.  97; vgl. auch Jakobs (2002) S.  320 f.; Laborenz (2014), S.  56. 79  Kaser (1961a), S.  66. 80  Kaser (1972), S.  57 f. selbst stellt fest, die klassischen Juristen hätten sich zwar schlicht, sachlich und knapp ausgedrückt, warnt aber zugleich vor einer „Verabsolutierung“ dieses Kriteriums und einer „Unerbittlichkeit“, mit der man verlangt, dass sich die Juristen „aller rhetorischen Stilmittel enthalten haben“. 74 

75 Vgl.

5. Tendenz zum Abstraktionsprinzip im justinianischen Recht?

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trotz eines Dissenses in causis). Auch das Wort constat ist sachlich gerechtfertigt.81 Im Übrigen verweist Kaser zur Begründung seiner Interpolationsvermutungen lediglich auf den Index Interpolationum82 und Äußerungen in der romanistischen Literatur,83 darunter eigene frühere Darlegungen, in denen wiederum auf Literatur Bezug genommen wird, in der sich die Autoren „in verschiedenem Sinn“84 für Unechtheit ausgesprochen haben. Eine Begründung kann insofern nicht ausgemacht und überprüft werden. Die eigene Untersuchung hat ergeben, dass der in D. 41,1,36 überlieferte Text echt ist.85 Unterstellt man jedoch einmal, dass die von Kaser geäußerten Interpolationsvermutungen begründet sind, dann hätten die Kompilatoren den Julian-Text verändert, um das Abstraktionsprinzip in die Digesten einzuführen und dadurch einen Widerspruch zu dem in D. 41,1,31 pr. überlieferten Paulus-Fragment zu erzeugen, weil im Hinblick auf den Kausalitätsgrundsatz zwischen ihnen Uneinigkeit geherrscht hat. Die Kompilatoren hätten also einen klassischen Text verändert – nicht um einen Widerspruch zu beseitigen, sondern zu schaffen, obwohl Justinian ihnen aufgetragen hatte, Antinomien zu vermeiden. Das kann nicht sein. Unklar ist auch die These, dass Justinian und die Kompilatoren im Hinblick auf das Kausalitätsprinzip unentschieden waren und der abstrakten Übereignung „stärker zuneigten als der kausalen“.86 Die folgenden Fragen drängen sich auf: Warum herrschte Unklarheit bzw. Uneinigkeit? Was heißt: „stärker zuneigten“? Sprach sich die Mehrheit von ihnen für den Abstraktionsgrundsatz aus? Warum haben sie sich nicht eindeutig für das Abstraktionsprinzip entschieden? Unverständlich bleibt zudem, wie es überhaupt zu einem Streit zwischen den oströmischen Juristen in einer derart elementaren Frage hätte kommen sollen. In der Praxis muss Klarheit geherrscht haben. Sonst wäre der alltägliche Verkehr mit massiver Rechtsunsicherheit belastet gewesen. Und selbst wenn die Frage aus irgendeinem Grund unklar gewesen sein sollte, etwa weil die Praxis in verschiedenen Teilen des oströmischen Reiches unterschiedlich war,87 hätte der Zweck der Kompilation darin bestehen müssen, das Recht zu vereinheitlichen. 81 

Siebter Abschnitt, 8. h). Levy / Rabel 3 (1935), Sp.  169 f. 83 Vgl. Kaser (1961a), S.  66 Anm.  21. 84  Kaser (1961b), S.  226 Anm.  192. 85  Erster Abschnitt, 3; Siebter Abschnitt, 2. 86  Kaser (1961a), S.  67. 87  Zu den militärischen Eroberungen Justinians und dem Umfang des oströmischen Reiches unter seiner Herrschaft vgl. Meier (2003), S.  165 ff.; ders. (2004), S.  62 ff. und die Karte am Anfang des Bandes. Justinian hat große Teile des alten Imperium Romanum zurückerobert (restauratio Imperii) und z. B. Siege gegen die Perser sowie die in Nordafrika ansässigen Vandalen errungen. 82 Vgl.

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Zehnter Abschnitt: Zur Arbeit der Kompilatoren und zum justinianischen Recht

Sollten die Kompilatoren in dieser Frage aber tatsächlich uneins gewesen sein, wären sie verpflichtet gewesen, die Frage dem Kaiser vorzulegen. Dieser wird ein derart elementares Rechtsproblem nicht späteren Juristen zur Entscheidung überlassen haben, sondern hätte selbst entschieden.88 Alles andere wäre mit seinem Selbstbild als der höchsten Autorität in allen Rechtsfragen unvereinbar gewesen,89 zumal er die Absicht hatte, ein für alle Zeiten gültiges Gesetzeswerk zu schaffen.90 Mayer-Maly hält es dagegen für „zumindest vorstellbar“, dass die Kompilatoren oder der Kaiser Klassikerkontroversen absichtlich bewahrt haben:91 Den Digesten sollte vielleicht nicht die gleiche Verbindlichkeit zukommen wie den übrigen Teilen der Kodifikation.92 Die Einführungskonstitutionen enthalten jedoch keinen Anhaltspunkt dafür; im Gegenteil: Mehrfach betont Justinian den Auftrag an die Kompilatoren, Widersprüche in den Digesten zu tilgen,93 was voraussetzt, dass diese zur praktischen Anwendung bestimmt waren. Welchen Sinn hätte es auch haben sollen, die Digesten als zentralen Bestandteil in die Kodifikation aufzunehmen, ihnen aber eine geringere Verbindlichkeit beizulegen als den übrigen Teilen des gleichen Gesetzeswerks? Die Möglichkeit, dass allein die Authentizität der klassischen Texte gesichert sein sollte, ist nicht plausibel: Die Konservierung klassischer Texte um ihrer selbst willen hätte für den Rechtsunterricht keinen Sinn gehabt. Nicht Rechtsgeschichte sollte gelehrt und gelernt werden, sondern geltendes Recht. Wenn Kaser feststellt, Justinians Weisheit habe es vorgezogen, die Frage nicht mit einem Federstrich des Gesetzgebers zu entscheiden, sondern das Rätsel ungelöst der Nachwelt zu hinterlassen,94 so bewegt er sich in den Bahnen Savignys, 88  In den Einführungskonstitutionen wird betont, eine strittige Frage sei dem Kaiser zur Entscheidung vorzulegen; vgl. const. Dedoken pr., §§  18 und 22. Schindler (1966), S.  2 ff. stellt fest, unklar sei, ob Justinian eine juristische Ausbildung genossen habe; die Gesetze seien jedoch in seinem consistorium beraten worden, und er werde oft eingegriffen haben. Seine Mitwirkung am Gesetzgebungsverfahren dürfte beträchtlich gewesen sein. 89 Vgl. Lokin (1995), S.  263 ff., 273; Knütel (1998), S.  49 f. Zum Selbstbild Justinians als eines von Gott beauftragen Herrschers vgl. Meier (2003), S.  106 ff. 90 Vgl. const. Dedoken §  23. 91  Mayer-Maly (1962), S.  18: bezogen auf die Antinomie zwischen Julian und Ulpian zur causa traditionis als markantes Beispiel einer Kontroverse. Ähnlich Kaser (1972), S.  24, wonach die Kodifikation zwar dem praktischen Zweck diente, „der Rechtspflege ihrer Tage eine einfache und sichere Richtschnur zu bieten; mag man auch um der didaktischen Bestimmung willen immer noch einen stattlichen Bestand an Streitberichten und Antinomien aufbewahrt haben.“ 92 Vgl. Mayer-Maly (1962), S.  17 f. 93  Const. Deo auctore §§  1, 4 und 8; const. Tanta pr., §§  1, 10 (am Ende) und 15; const. Dedoken pr., §§  1, 6a, 7, 10, 15. 94 Vgl. Kaser (1961a), S.  97.

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der die Auffassung vertrat, jegliche Kodifikation sei traditionsfeindlich und unwissenschaftlich, eine organische Fortbildung des Rechts sei nur durch Gewohnheit, Wissenschaft und gerichtliche Praxis zu erreichen.95 Justinian war gegenteiliger Ansicht: Er ließ zwar Exzerpte aus den Texten der Klassiker zusammenstellen und ordnete voller Respekt an, die Namen der Juristen seien nicht zu tilgen, sondern in den Inskriptionen zu überliefern,96 machte sich die Kompilation aber als ein ausschließlich von ihm selbst geschaffenes Gesetz zu eigen97 und verbot, künftig auf Klassikertexte zurückzugreifen, sofern sie nicht in die Digesten aufgenommen worden waren.98 So wurde der größte Teil der damals noch überlieferten rechtswissenschaftlichen Literatur für obsolet erklärt, eine jahrhundertealte Tradition wurde abgebrochen und in der Konsequenz fast vollständig vernichtet. Justinian hat auch nichts, anders als zum Beispiel die Verfasser des Bürgerlichen Gesetzbuchs,99 der Nachwelt, das heißt Wissenschaft und Praxis, überlassen, sondern war der Meinung, alle Rechtsfragen seien in den Digesten endgültig entschieden.100 So heißt es in const. Tanta (§  10): et propter hanc causam et si quid inter eos dubitabatur, hoc iam in tutissimam pervenit quietem, nullo titubante relicto.101 Im gleichen Sinne stellte er in seinen Institutionen (1,5,3) fest, Streitigkeiten des alten Rechts habe er ein Ende bereitet. Ähnlich heißt es in einer Konstitution vom 17.11.530 (wenn auch nicht im Hinblick auf die Digesten): Quod certatum est apud veteres, nos decidimus (C. 6,29,3 pr.).102 Ein 95 Vgl. Wieacker (1967), S.  390 ff.; Zimmermann (2003), S.  7 = Rn.  8. Zugespitzt heißt es in Savignys Schrift „Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft“: „Ich sehe das rechte Mittel in einer organisch fortschreitenden Rechtswissenschaft, die der ganzen Nation gemein seyn kann.“ Savigny (1840 / 1967), S.  161. Die auf Savigny zurückgehende Argumentation Kasers setzt voraus, dass das römische Recht in der Hauptsache nicht durch Gesetze, sondern durch die Jurisprudenz geschaffen und fortentwickelt wurde: „Das ‚Volk des Rechts‘ ist nicht das Volk des Gesetzes“; Schulz (1934 / 1954), S.  4. Neuerdings wird diese Voraussetzung von Mantovani bestritten; vgl. Mantovani (2012), S.  707 ff.; ders. (2018), S.  11 ff. Danach gab es in Rom sehr viel mehr Gesetze (leges publicae) privatrechtlichen Inhalts als in der Romanistik allgemein angenommen wird. Zum Zusammenhang zwischen den Positionen Savignys, Schulz’ und Kasers vgl. Stagl (2018), S.  110 f. 96  Vgl. const. Dedoken §  10; const. Tanta §  10. 97  Vgl. const. Dedoken §  10; const. Deo auctore §  6; const. Tanta §  10. 98  Vgl. const. Dedoken §  10; const. Tanta §  10. 99 Vgl. Zimmermann (2003), S.  18 = Rn.  20. 100  Vgl. const. Dedoken §§  1 und 10; const. Tanta §§  1 und 10. 101  „Und aus diesem Grunde wurde auch, wenn unter ihnen [den Juristen; Verf.] etwas umstritten war, dies nunmehr in sicherster Weise befriedet, ohne dass irgend etwas Schwankendes zurückgeblieben wäre.“ 102  „Was bei den alten Juristen umstritten war, entscheiden wir.“ Vgl. Willems (2017), S.  27, 382 ff.

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Zehnter Abschnitt: Zur Arbeit der Kompilatoren und zum justinianischen Recht

derart selbstsicher formulierender Kaiser hatte nicht die Absicht, der Nachwelt irgendetwas zur Klärung zu hinterlassen. c) Um seine These zu begründen, beruft sich Kaser in erster Linie auf den von ihm behaupteten Widerspruch zwischen D. 41,1,31 pr. und D. 41,1,36.103 Ein Ergebnis der vorliegenden Untersuchung besteht jedoch darin, dass ein derartiger Widerspruch nicht vorliegt: Julian und Paulus setzen übereinstimmend den Kausalitätsgrundsatz voraus. Außerdem bezieht sich Kaser auf die justinianischen Institutionen, genauer: Inst 2,1,40 und 41;104 beide Stellen gehen auf Gaius zurück.105 Die beiden ersten, hier einschlägigen Sätze von Inst 2,1,40 lauten: Per traditionem quoque iure naturali res nobis adquiruntur: nihil enim tam conveniens est naturali aequitati, quam voluntatem domini, volentis rem suam in alium transferre, ratam haberi. et ideo cuiuscumque generis sit corporalis res, tradi potest et a domino tradita alienatur.106

Der erste Satz von Inst 2,1,41 hat den folgenden Wortlaut: Sed si quidem ex causa donationis aut dotis aut qualibet alia ex causa tradantur, sine dubio transferuntur.107

Nach Inst 2,1,40 wird das Eigentum durch Übergabe erworben, weil der Wille des Eigentümers, der seine Sache einem anderen übereignen möchte, als wirksam anerkannt wird, und zwar aus Gründen der natürlichen Gerechtigkeit. Das causa-Erfordernis, so heißt es bei Kaser, werde in Inst 2,1,40 noch nicht genannt, sondern in der Schwebe gelassen, und erst in Inst 2,1,41 angeführt.108 In diesem Sinne auch Laborenz (2014), S.  54. Kaser (1961a), S.  64 ff.; Kaser / Knütel / Lohsse (2017), S.  149 = Rn.  15; vgl. bereits Savigny (1853 / 1973), S.  257. 105  Gai 2 rer cott D. 41,1,9,3; Inst 2,20. 106  „Auch durch Übergabe erwerben wir Sachen nach Naturrecht. Denn nichts entspricht so sehr der natürlichen Gerechtigkeit, als den Willen des Eigentümers, der seine Sache einem anderen übereignen möchte, als wirksam anzuerkennen. Daher braucht eine körperliche Sache gleich welcher Art nur übergeben zu werden, und sie wird durch die Übergabe seitens des Eigentümers veräußert.“ 107  „Und wenn nun Sachen aufgrund einer Schenkung oder einer Mitgift oder aus irgendeinem anderen Grund übergeben werden, wird das Eigentum unzweifelhaft übertragen.“ 108 Vgl. Kaser (1961a), S.  65. Im Hinblick auf die Institutionen stellt Harke (2016), S.  247 = Rn.  30 fest: Für Donellus ist der Erwerbsgrund nur Anlass der Übereignung; der Wille zur Übereignung dagegen von zentraler Bedeutung. Manche Autoren des usus modernus halten die causa nur für ein äußeres Zeichen dieses Willens; vgl. auch Meissel (2008), S.  70. Laborenz (2014), S.  54 ist der Auffassung, die Institutionen-Stelle lasse sich, wenn sie überhaupt aussagekräftig sein sollte, eher zugunsten einer abstrakten Theorie anführen, da ausschließlich der Übereignungswille des Eigentümers betont werde; weitere Nachweise ebd., S.  54 Anm.  171. Auch Meincke (2017), S.  68 konstatiert, von der Wirksamkeit des Grundgeschäfts sei hier keine Rede. 103 

104 Vgl.

5. Tendenz zum Abstraktionsprinzip im justinianischen Recht?

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Das Eigentum gehe zweifellos über, wenn eine causa vorliege. Es werde jedoch nicht ausdrücklich festgestellt, dass der Eigentumswechsel bei Fehlen einer causa scheitere. Dies sei Ausdruck der Haltung Justinians, der eher dazu neige, das Erfordernis zu verneinen. Bevor die zitierten Stellen im Einzelnen untersucht werden, erscheint eine Bemerkung zum Vorverständnis angebracht:109 Wohl alle modernen Zivilrechtskodifikationen haben Normen zum Inhalt, in denen der Übereignungstatbestand beschrieben wird. Es besteht die Gefahr, dass moderne Interpreten des klassischen und des justinianischen Rechts Darlegungen, die sich auf die Übereignung beziehen, wie moderne Normen auffassen, zumal wenn sie abstrakt formuliert sind. Obwohl die Frage nach den im justinianischen Recht aufgestellten Voraus­ setzungen einer wirksamen Übereignung legitim ist, kann nicht einfach unterstellt werden, dass die Institutionen Normen zum Inhalt haben, in denen diese Voraussetzungen vollständig beschrieben werden. Die in Inst 2,1,40 und 41 enthaltenen Bestimmungen dienen möglicherweise einem anderen Zweck. Die darin formulierten Merkmale der Übereignung haben (zum Teil) vielleicht keine normative Bedeutung, sondern sind möglicherweise bloß deskriptiver Natur.110 Um die von Kaser vertretene Position einschätzen zu können, wird im Folgenden zunächst die Wendung quam voluntatem domini, volentis rem suam in alium transferre untersucht. Der Begriff voluntas ist nicht eindeutig.111 Möglicherweise ist der Wille zur Übereignung als Element einer dinglichen Einigung 109 

Fünfter Abschnitt, 4. b). Laborenz (2014), S.  34. 111  Zum Begriff der Willensfreiheit im römischen Recht: Baldus (2008), S.  167 ff. Baldus betont S.  169, eine Untersuchung des Begriffs der voluntas sei wegen der großen Zahl von Stellen nur monografisch durchführbar. Behrends (2000), S.  95 ff. und Avenarius (2012b), S.  252 ff. zufolge hat Julian, der Lehrer des Gaius (auf den die hier untersuchte Stelle in Justinians Institutionen zurückgeht: Inst 2,19 f.; 2 rer cott D. 41,1,9,3) als Oberhaupt der sabinianischen Rechtsschule eine willenstheoretische Lehre entwickelt, die zum Beispiel im Erbrecht ihren Niederschlag gefunden hat: Diese Lehre „begünstigte die Vorstellung, dass die voluntas im Mittelpunkt des Testaments stehe“; Avenarius (2012b), S.  253. Folgt man Behrends und Avenarius, kann möglicherweise geschlossen werden, dass sich die willenstheoretische Lehre Julians auch auf Gaius und die hier untersuchten Texte der justinianischen Institutionen ausgewirkt hat, in denen der Begriff der voluntas von zentraler Bedeutung ist. Die von Behrends und Avenarius vertretene Auffassung zum Begriff der voluntas ist im Zusammenhang mit der von Behrends begründeten Position zu verstehen, wonach das Denken der klassischen Juristen von philosophischen Einflüssen geprägt war. Die Sabinianer seien der stoischen Philosophie, die Prokulianer den Lehren der skeptischen Akademie gefolgt, wobei Julian als Sabinianer eine Synthese unternommen habe. Auf diese in der Romanistik umstrittene Position kann hier nicht weiter eingegangen werden, zumal sich die in der vorliegenden Untersuchung relevante Frage, ob in den justinianischen Institutionen eine dingliche Einigung vorausgesetzt wird, allein schon mithilfe der untersuchten Institutionen-Stelle (2,1,40) und ihres Kontextes beantworten lässt. 110 Vgl.

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Zehnter Abschnitt: Zur Arbeit der Kompilatoren und zum justinianischen Recht

gemeint. Da es um die Übereignung durch Besitzverschaffung geht, könnte auch der zur Besitzübertragung erforderliche animus angesprochen sein. Ferner könnte sich das Wort voluntas auf die causa beziehen: Die Übereignung beruht auf einem Vertrag oder einem einseitigen Rechtsgeschäft und damit auf einem freiwilligen Akt. Denkbar ist schließlich, dass Justinian den freien Entschluss bezeichnet, ein Rechtsgeschäft und eine Übereignung vorzunehmen; die Übereignung geschieht „aus freien Stücken“. Das Wort voluntas bezeichnet dann das Motiv, auf dem der gesamte Vorgang (Rechtsgeschäft und Übereignung) beruht. Der Sinn und Zweck der zitierten Stelle besteht darin, mithilfe eines naturrechtlich geprägten Begriffs (naturali aequitati) den Gedanken zum Ausdruck zu bringen, es entspreche der natürlichen Billigkeit oder Gerechtigkeit, dass der Eigentümer die Freiheit habe, sein Eigentum einem anderen zu übertragen. Die Frage, welche genaue Bedeutung der voluntas hier zukommt, ist damit freilich noch nicht beantwortet. Wenn es heißt: quam voluntatem domini volentis rem suam in alium transferre ratam haberi, werden voluntas und Übereignung (in alium transferre) in eine direkte Beziehung gesetzt. Der Wortlaut spricht somit dafür, dass der Wille zur Übereignung gemeint ist. Damit ist jedoch nicht schon hinreichend belegt, dass die dingliche Einigung eine rechtlich notwendige Voraussetzung für die Übereignung bildet. Weiterführend ist der Kontext: In Inst 2,1,11–39 behandelt Justinian zunächst mehrere Arten des Eigentumserwerbs, die nicht auf dem Willen des bisherigen Eigentümers beruhen und nicht durch Übergabe zustande kommen. In Inst 2,1,40–48 geht er sodann auf die Eigentumsübertragung durch Übergabe ein. Der Eigentumsübertragungswille ist somit ein Kriterium zur Systematisierung der verschiedenen Arten des Eigentumserwerbs. Eine rechtlich notwendige Voraussetzung der Übereignung ist damit nicht notwendig formuliert. Der in Inst 2,1,40 enthaltene Satz et ideo cuiuscumque generis sit corporalis res, tradi potest et a domino tradita alienatur beschreibt, wie der Eigentumsübertragungswille praktisch umgesetzt wird. Den zitierten Darlegungen lassen sich drei Merkmale entnehmen: Es muss sich um einen körperlichen Gegenstand handeln; dieser muss übergeben werden, und zwar vom Eigentümer. Diese drei Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit der Eigentumsübergang zustande kommt. In den zitierten, mit et ideo beginnenden Sätzen werden also die Voraussetzungen der Übereignung formuliert. Der Eigentumsübertragungswille bildet zwar das Motiv für die Übereignung, aber wohl keine rechtlich notwendige Voraussetzung. Die in dem hier untersuchten Text (Inst 2,1,40) enthaltene Feststellung nihil enim tam conveniens est naturali aequitati, quam voluntatem domini, volentis rem suam in alium transferre, ratam haberi geht auf eine gleichlautende Aussage von Gaius (2 rer cott D. 41,1,9,3) zurück, der damit das Prinzip der Privatautonomie

5. Tendenz zum Abstraktionsprinzip im justinianischen Recht?

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zum Ausdruck bringt, das dem klassischen römischen Recht zugrunde liegt. Gemeint ist das Prinzip „der Selbstgestaltung der Rechtsverhältnisse durch den Einzelnen nach seinem Willen“112. Das Individuum hat danach die Freiheit, seine rechtlichen Beziehungen zu anderen Individuen zu gestalten, insbesondere mithilfe des Eigentums, durch Verträge, durch die Freiheit der Eheschließung und die Testierfreiheit.113 Durch Inst 2,1,40 wird dieser Grundsatz, zumindest was die Eigentumsübertragung angeht, in die justinianischen Institutionen übernommen. Nun zur Bedeutung der causa: Die Übergabe wird zwar an erster Stelle (Inst 2,1,40), die causa erst an zweiter Stelle genannt (Inst 2,1,41). Damit wird das Erfordernis einer causa aber nicht als zweitrangig oder als unsicher eingestuft. Die Übergabe wird an erster Stelle angeführt, weil hier zum ersten Mal in den Institutionen der Eigentumserwerb durch traditio behandelt wird, während es vorher um Arten des Eigentumserwerbs geht, die nicht durch Übergabe zustande kommen. Zugleich wird in Inst 2,1,40 betont, dass das Eigentum bei Sachen aller Art durch traditio übertragen wird; angedeutet wird dadurch, dass die Unterscheidung zwischen res mancipi und res nec mancipi keine Bedeutung mehr hat. Auch dies erklärt, warum zunächst allein die traditio angesprochen wird. Weiteren Aufschluss verspricht die in Inst 2,1,41 enthaltene Wendung ex causa donationis aut dotis aut qualibet alia ex causa. Mehrere Deutungsmöglichkeiten kommen in Betracht: Vielleicht wird einfach nur beschrieben, was bei jeder Übereignung tatsächlich vorliegt, nämlich ein Motiv oder ein Zweck für die Übergabe. Oder es wird eine rechtlich notwendige Voraussetzung, eine causa traditionis, formuliert, was zu der weiteren Fragen führen würde, ob die causa „subjektiv“, das heißt als Motiv oder Zweck zu verstehen ist, oder „objektiv“ im Sinne eines wirksamen Rechtsgeschäfts.114 Flume (1992), S.  1. Baldus (2010), S.  3, 7, 29. Baldus stellt im Hinblick auf das klassische römische Recht S.  29 fest, es gebe „kaum Entscheidungen römischer Juristen gegen die Privatautonomie (im heutigen Sinn)“. Diese Feststellung wird von Stagl (2016), S.  457 mit dem Argument kritisiert, vergessen werde dabei „die der Privatautonomie zuwiderlaufende Gesetzgebung, wie sie vor allem im Erbrecht immer wieder zu beobachten“ sei. Stagl äußert sich im Rahmen der Rezension eines Aufsatzes von Mantovani (2012), S.  707 ff., demzufolge das römische Recht erheblich mehr Gesetze (genauer: leges publicae privatrechtlichen Inhalts) umfasst, als in der Romanistik allgemein angenommen. Die Kritik an Baldus ist unbegründet. Baldus geht explizit auf die Grenzen der Privatautonomie im römischen Recht ein, insbesondere durch Exegese eines Beispielsfalles, der dem Erbrecht entnommen ist (Ulp 2 fideicomm D. 32,11,15); vgl. Baldus (2010), S.  23 ff. Die These Mantovanis ist umstritten; vgl. Santucci (2014), S.  373 ff.; dazu wiederum Mantovani (2018), S.  100 ff. In einer überarbeiteten Fassung seiner Rezension hat Stagl seine Kritik an Baldus nicht wiederholt; vgl. Stagl (2018), S.  110 ff. 114  Zur Unterscheidung zwischen einem „objektiven“ und einem „subjektiven“ causa-Begriff vgl. Zwalve / Sirks (2012), S.  274 ff.; ähnlich bereits Hupka (1932), S.  1. 112 

113 Vgl.

288

Zehnter Abschnitt: Zur Arbeit der Kompilatoren und zum justinianischen Recht

Zwei Gründe lassen sich anführen, die dafür sprechen, dass eine causa rechtlich erforderlich ist. Erstens: Inst 2,41 behandelt die wirksame Übereignung: sine dubio transferuntur. Eine rechtliche Voraussetzung ist zweifellos die traditio. Wäre die Wendung ex causa donationis aut dotis aut qualibet alia ex causa bloß deskriptiv zu verstehen, läge kein Unterschied zu Inst 2,1,40 vor, wo es heißt, dass wir durch Übergabe Eigentum erwerben. Wenn nicht eine unnötige Wiederholung unterstellt werden soll, muss geschlossen werden, dass Inst 2,1,41 mehr aussagt als Inst 2,1,40, und das heißt dass die causa, neben der traditio, eine weitere Voraussetzung der Übereignung bildet. Andernfalls wäre auch die besondere Betonung des Eigentumsübergangs, die in den Worten sine dubio transferuntur zum Ausdruck kommt (Inst 2,1,41), unerklärlich. Denn dass Eigentum durch Übergabe übergeht, ergibt sich bereits in aller Deutlichkeit aus Inst 2,1,40. Zweitens: Die Wendung ex causa donationis aut dotis aut qualibet alia ex causa weist eine im Ansatz systematische Ordnung auf: Zunächst werden zwei konkrete Beispiele für eine causa angeführt; sodann folgt ein Sammelbegriff, der alle anderen causae umfasst (alia causa).115 Durch eine derartige Systematisierung wird ein Begriff eingeführt, der causa-Begriff, ohne dass dieser abstrakt als solcher bezeichnet wird. Eine solche Begriffsbildung ist ein Indiz dafür, dass der causa nicht bloß deskriptive, sondern normative Bedeutung zukommt: Irgendeine causa ist rechtlich erforderlich, damit die Übereignung gelingt. Ähnlich heißt es bei Paulus (D. 41,1,31 pr.): si venditio aut aliqua iusta causa praecesserit. Paulus setzt die rechtliche Notwendigkeit einer causa eindeutig voraus.116 Die im Ansatz systematische Darstellung zeigt, dass die causa quasi ein Tatbestandsmerkmal bildet – nicht nur bei Paulus (und überhaupt im klassischen römischen Recht), sondern auch in den Institutionen Justinians. In Inst 2,1,41 heißt es, das Eigentum gehe erst über, wenn der Kaufpreis gezahlt wird. Gesprochen wird von Sachen, die verkauft und übergeben sind: venditae vero et traditae. Angesprochen wird der Kaufvertrag als causa. Auch in Inst 2,1,43–46 wird eine causa, insbesondere der Kauf, mehrfach erwähnt. Nichts deutet darauf hin, dass die Übereignung unabhängig von den angeführten Kausalverhältnissen wirksam ist. So heißt es in Inst 2,1,43, wenn jemand, dem die freie Verwaltung der Geschäfte eines anderen übertragen worden ist, im Rahmen dieser Geschäfte eine Sache einem Dritten verkauft und übergibt, mache er ihn dadurch zum Eigentümer. Eigentum wird demnach erlangt, weil der Ge115  Ergänzt wird dies durch die ebenfalls in Inst 2,1,41 enthaltene Feststellung, das Eigentum an verkauften Sachen gehe erst über, wenn der Kaufpreis gezahlt werde. An der Grundaussage, wonach das Eigentum übergeht, falls traditio und causa vorliegen, ändert sich dadurch nichts. 116  Fünfter Abschnitt, 11.

5. Tendenz zum Abstraktionsprinzip im justinianischen Recht?

289

schäftsführer, wie es heißt, rem vendiderit et tradiderit. Ein wirksamer Kaufvertrag muss also zustande gekommen sein. Wenn in Inst 2,1,45 festgestellt wird, falls jemand in einem Speicher gelagerte Waren verkaufe, gehe das Eigentum über, sobald er den Schlüssel dazu dem Käufer übergebe, wird ebenfalls als selbstverständlich vorausgesetzt, dass ein Kauf wirksam zustande gekommen ist (vendiderit). Justinian hat die causa traditionis als notwendige Voraussetzung einer wirksamen Übereigung nicht ausdrücklich angesprochen, weil der Zweck seiner Darlegungen nicht darin besteht, den Übereignungstatbestand vollständig zu beschreiben. Im Zentrum seiner Ausführungen steht die traditio. Eine weiteres „Tatbestandsmerkmal“ der Übereignung, die Eigentümerstellung des Tradenten, allgemein: seine Verfügungsbefugnis, wird ebenfalls nicht explizit angeführt, sondern manchmal bloß angedeutet.117 All diese Überlegungen sprechen dafür, dass die justinianischen Institutionen auf dem Grundsatz der kausalen traditio beruhen.118 Justinian wollte das Kausalitätsprinzip wohl nicht einschränken. Da die traditio in der Kodifikation die einzige Form der Übereignung bildet, weil andere Formen der Eigentumsübertragung (mancipatio und in iure cessio) nicht mehr anerkannt waren, dürfte das Abstraktionsprinzip im justinianischen Recht seine Geltung verloren haben.119

117 

In Inst 2,1,40 ist vom Willen des Eigentümers die Rede, seine Sache einem anderen zu übereignen. 118  Wie hier im Ergebnis auch Flume (1990), S.  53; Becker (2017), S.  197 f. 119 Vgl. Harke (2012a), S.  294. Meissel (2008), S.  74 Anm.  36 konstatiert, in D. 41,1,31 pr. werde das causa-Erfordernis betont, was mit der Annahme einer justinianischen Hinwendung zum Abstraktionsprinzip schwer vereinbar erscheine.

Zusammenfassung 1. Zur Lehre von der solutio als causa a) Bevor die Ergebnisse der Interpretation des Julian-Fragments D. 41,1,36 dargelegt werden, wird zunächst auf einen Punkt eingegangen, der von grundlegender Bedeutung für das Verständnis der Stelle ist, nämlich die allgemein in der Romanistik vertretene Lehre von der solutio als causa traditionis. Die zugunsten dieser Lehre vorgetragenen Argumente können nicht aufrechterhalten werden. b) Dass bei solutio indebiti allein die Kondiktion, nicht aber auch die Vindikation als Rechtsbehelf genannt wird (D. 12,6), spricht nicht zwingend für die Lehre von der causa solvendi, wie sich am Beispiel von D. 12,6,1,1 zeigen lässt.1 Das in D. 12,6 häufig gebrauchte Wort repetitio ist zudem ein starkes Indiz dafür, dass die Kondiktion nicht den einzigen Rechtsbehelf bildet.2 Als erster Rechtsbehelf steht möglicherweise die Vindikation zur Verfügung, was voraussetzt, dass das Eigentum bei solutio indebiti nicht übergeht. Auch die Ansicht, die causa solvendi bilde ein Relikt aus archaischen Zeiten, muss zurückgewiesen werden. Diese Auffassung lässt sich aus den Quellen nicht belegen.3 Zudem sind einige Stellen in D. 12,6 und 7 nachweisbar, in denen die solutio indebiti als Leistung sine causa bezeichnet wird. Die in der Romanistik getroffene Unterscheidung zwischen einer causa traditionis und einer causa retinendi ist dem klassischen römischen Recht fremd. Die in den Digesten mehrfach gebrauchte Wendung sine causa bildet deshalb einen weiteren Beleg dafür, dass eine causa solvendi von den klassischen Juristen nicht anerkannt wird.4 c) Die Untersuchung des auf die usucapio bezogenen Begriffs der causa possessionis führt zu dem Ergebnis, dass nicht die solutio, sondern der Verpflichtungsgrund die causa possessionis bildet.5 Dies spricht dafür, dass die solutio auch nicht als causa traditionis qualifiziert wird, sondern dass der Ver1 

Fünfter Abschnitt, 4. Fünfter Abschnitt, 7. 3  Fünfter Abschnitt, 8. 4  Fünfter Abschnitt, 12. c). 5  Fünfter Abschnitt, 15. 2 

292

Zusammenfassung

pflichtungsgrund die causa bildet. Zudem setzt Julian in D. 24,1,39 voraus, dass eine Stipulation als causa traditionis in Betracht kommt.6 Der für die Übereignung durch traditio grundlegenden Paulus-Stelle D. 41,1,31 pr. ist ebenfalls zu entnehmen, dass der Verpflichtungsgrund als causa anerkannt wird.7 d) Nicht die solutio bildet somit die causa traditionis, sondern der Verpflichtungsgrund, zum Beispiel eine Stipulation oder ein Damnationslegat. Da das Eigentum bei solutio indebiti mangels einer causa nicht übergeht, steht dem Tradenten zunächst die Vindikation zur Verfügung, danach eventuell (im Falle von Geld: bei commixtio oder consumptio) die Kondiktion. Die beiden Rechtsbehelfe werden zusammenfassend als repetitio bezeichnet. Auf dieser Grundlage können der Fall des Dissenses in causis (Teil 1 des Fragments) und der Darlehens-Schenkungs-Fall (Teil 3 des Fragments und D. 12,1,18 pr.) neu interpretiert werden.

2. Der Konsens in corpore a) Zunächst zum Text Julians insgesamt: Er besteht aus drei Teilen. Im ersten Teil wird eine Art Regel formuliert, der zweite Teil hat ein konkretes Beispiel zum Inhalt, der dritte Teil enthält eine Begründung der Regel. b) Was die im ersten Teil des Fragments formulierte Regel betrifft, so heißt es, damit das Eigentum an einer res nec mancipi übergehe, sei ein Konsens in corpore erforderlich. c) Unter einem Konsens in corpore ist die während der traditio bestehende Übereinstimmung hinsichtlich der Identität der übergebenen Sache zu verstehen.8 Ein solcher Konsens ist notwendig, um den Besitz – und damit auch das Eigentum – zu übertragen.9 Erforderlich ist ein Konsens nicht bei der Übergabe von Gattungssachen (ein Kauf von Gattungssachen ist ohnehin ausgeschlossen), sondern nur bei Übergabe einer species. Julian behandelt nicht die Übereignung von res nec mancipi allgemein, sondern eine besondere Fallgruppe, die sich notwendig allein auf Speziessachen bezieht.10 Diese Erkenntnis bildet eine Weichenstellung für die Deutung des gesamten Julian-Textes, genauer gesagt für eine Antwort auf die Frage, welchen Sachverhalt Julian voraussetzt.

6 

Fünfter Abschnitt, 10. Fünfter Abschnitt, 11. 8  Zweiter Abschnitt, 4. 9  Zweiter Abschnitt, 4–7. 10  Zweiter Abschnitt, 9. c) und d). 7 

4. Der Beispielsfall

293

3. Der Dissens in causis a) Julian stellt (im ersten Teil des Textes) nicht nur fest, dass der Eigentumsübergang einen Konsens in corpore voraussetzt, sondern fügt hinzu, dass ein Dissens in causis den Eigentumsübergang nicht verhindert. Der Jurist setzt dabei den Fall eines concursus duarum causarum voraus.11 Im Einzelnen wird dies folgender­ maßen begründet: – Julian spricht von einem Dissens in causis (nicht in causa), weil zwei Verpflichtungsgründe tatsächlich vorliegen, die zudem rechtlich wirksam sind. – Der erste Teil des Fragments ist auf die Übergabe einer Speziessache beschränkt, sodass allein der concursus causarum als gesuchte Fallgruppe in Betracht kommt. b) Der von Julian vorausgesetzte Sachverhalt besteht demnach aus zwei Phasen: Zunächst kommen zwei Verpflichtungsgründe (causae) zustande. Danach, das heißt während der Übergabe, haben die Beteiligten unterschiedliche Vorstellungen davon, welche der beiden causae der Übergabe zugrunde liegt. Es besteht somit ein (verdeckter) Dissens über den Verpflichtungsgrund.

4. Der Beispielsfall a) Im zweiten Teil des Fragments wird ein konkretes Beispiel für die im ersten Teil enthaltene Regel, genauer: für einen Dissens in causis, behandelt: Jemand übergibt ein Grundstück – gemeint ist ein fundus ganz allgemein, vielleicht aber auch nur ein fundus provincialis – in dem Glauben, die Pflicht aus einem Damnationslegat zu erfüllen, während der Empfänger der Ansicht ist, die Pflicht aus einer Stipulation werde erfüllt.12 b) Dem Beispielsfall lassen sich weitere Argumente dafür entnehmen, dass Julian den concursus causarum voraussetzt.13 Der Fall weist Merkmale auf, die für den concursus notwendig oder charakteristisch sind: – Der fundus ist eine species; der concursus causarum setzt zwingend eine species voraus. – Die überlieferten concursus-Fälle beziehen sich meistens, wie hier, auf ein Damnationslegat als einen der beiden Verpflichtungsgründe.

11 

Sechster Abschnitt, 5. f). Vierter Abschnitt. 13  Sechster Abschnitt, 5. f). 12 

294

Zusammenfassung

– Auch die Kombination von Damnationslegat und Stipulation ist in den überlieferten concursus-Fällen nachweisbar, gerade bei Julian und seinem Schüler Afrikan.

5. Der Grund für den Eigentumsübergang a) Julian zufolge geht das Eigentum trotz eines Dissenses in causis über. Der Grund ist: Die traditionellen Voraussetzungen für die Eigentumsübertragung durch traditio sind erfüllt: die Verfügungsbefugnis des Leistenden, die Besitzverschaffung und eine causa traditionis liegen vor. b) Da ein Dissens über die causa besteht, ist Julian möglicherweise der Frage nachgegangen, ob eine Leistungszweckvereinbarung erforderlich ist, damit die Übereignung gelingt. Die Frage wäre für Julian von Bedeutung gewesen, wenn die von Schanbacher vertretene These zutreffend wäre, wonach Javolen im Hinblick auf die Übereignung einer res nec mancipi durch traditio der Auffassung war, eine Leistungszweckvereinbarung sei erforderlich. Wäre diese These zutreffend, hätte Julian seinem Lehrer Javolen widersprochen; denn Julian zufolge ist ein Dissens über den Leistungszweck unschädlich. Der These Schanbachers kann jedoch nicht zugestimmt werden: Ein Konsens über den Leistungszweck liegt in aller Regel tatsächlich vor und ist unproblematisch; einer rechtlichen Regelung bedarf es daher nicht; ein Konsens ist rechtlich nicht erforderlich.14 Deshalb musste sich Julian im Hinblick auf den Dissens in causis mit dieser Frage nicht befassen. c) Der Grund für Julians Entscheidung ergibt sich vielmehr aus Folgendem:15 Da das Eigentum nicht aufgrund von zwei Kausalverhältnissen zugleich übertragen werden kann, kommt nur eine einzige causa als rechtliche Basis für die traditio in Betracht. Julian setzt voraus, dass die Leistungszweckbestimmung des Tradenten darüber entscheidet, welche causa für den Übergang des Eigentums sorgt. Die traditionellen Voraussetzungen für den Eigentumsübergang liegen damit vor: die Verfügungsbefugnis des Veräußerers, die Übergabe und eine causa traditionis, und das heißt hier: die causa, die sich der Tradent vorstellt. Dies ist der Grund, warum der Dissens über die causa unschädlich ist. d) Der im zweiten Teil des Fragments mitgeteilte Beispielsfall, in dem ein concursus dadurch zustande kommt, dass ein Grundstück zugleich aufgrund eines Legats und einer Stipulation geschuldet wird, ist nicht unrealistisch.

14  15 

Sechster Abschnitt, 6. b). Sechster Abschnitt, 7. b) und c).

6. Amicitia als Voraussetzung des Darlehens-Schenkungs-Falles

295

Weniger realistisch dürfte der Fall eines Dissenses in causis sein; dieser Punkt ist aber kaum zu klären.16

6. Amicitia als Voraussetzung des Darlehens-Schenkungs-Falles a) Die Rechtsansicht Julians im Darlehens-Schenkungs-Fall (dritter Teil des Fragments) bildet die Ausnahme von einem Grundsatz, der lautet: Wenn eine causa traditionis einen Konsens verlangt, muss eine Übereinstimmung tatsächlich vorliegen, damit die causa zustande kommt. Obwohl ein Dissens gegeben ist und damit (zumindest dem Anschein nach) ein Konsens tatsächlich fehlt, geht das Eigentum Julian zufolge über. b) Die Entscheidung dient der Lösung eines Konflikts, der zustande kommt, sobald der Dissens den Beteiligten bewusst wird: Der Empfänger möchte eine Darlehensschuld begleichen; der Geldgeber verweigert die Annahme, weil er das gezahlte Geld als Geschenk betrachtet.17 c) Die Rechtsauffassung Julians ist nur zu verstehen, wenn die sozialen Umstände berücksichtigt werden, unter denen ein derartiger Sachverhalt auftreten kann.18 Die Grundlage des Falles bildet eine Freundschaftsbeziehung (amicitia). Diese These kann zwar nicht aus dem Wortlaut der Julian-Stelle abgeleitet werden, mehrere Gründe sprechen aber gleichwohl dafür: – Außerhalb eines Freundschaftsverhältnisses würde der Geldgeber das angebotene Geld zurücknehmen oder der Empfänger würde es dankbar behalten. Nur auf der Grundlage einer sozialen Beziehung, in der die Beteiligten nicht ihre unmittelbaren finanziellen Interessen wahrnehmen, kann überhaupt ein Konflikt entstehen. – So lässt sich erklären, wie es zu einem Dissens über den Charakter der Zahlung kommen kann: Aus Gründen der Diskretion wird in Freundschaftsverhältnissen häufig nicht klargestellt, ob eine Zahlung als Geschenk oder als Darlehen geleistet und empfangen wird. – Verständlich wird der Konflikt: Der Empfänger des Geldes möchte den Betrag zurückzahlen, um sein finanzielles und moralisches Schuldenkonto beim Geldgeber nicht allzu sehr anwachsen zu lassen; dieser verweigert die Annahme, weil er den Empfänger in Abhängigkeit halten will oder weil bereits publik gemacht wurde, der Geldgeber habe das Geld geschenkt.

16 

Sechster Abschnitt, 8. Siebter Abschnitt, 6. c). 18  Siebter Abschnitt, 5 ff., insbesondere 6. a) und b). 17 

296

Zusammenfassung

In Freundschaftsverhältnissen besteht eine moralische Pflicht, auf eine erwiesene Schenkung mit einer Gegengabe zu antworten; insofern ist die Schenkung keineswegs unentgeltlich. Der Konflikt bezieht sich nicht auf die Frage, ob der Empfänger des Geldes einen entsprechenden Betrag zurückzahlen und der Geldgeber diese Zahlung annehmen soll, sondern auf den Zeitpunkt, und das heißt auf die Frage, wer im vorliegenden Fall über den Zeitpunkt entscheidet, an dem die Gegengabe zu erbringen ist. d) Die Rechtsauffassung Julians dient dem Zweck, den Empfänger des Geldes zu schützen nach dem Motto: Eine Wohltat (hier: eine Schenkung) soll nicht aufgedrängt werden.19 Es wird weder ein realer noch ein hypothetischer Darlehenskonsens angenommen; vielmehr wird ein Darlehen aus einem ethischen Grunde unterstellt: Entsprechend dem Leitbild eines moralisch korrekt handelnden Freundes, der die Zahlung im Sinne des Freundes als Darlehen akzeptieren würde, wird ein Darlehen von Rechts wegen fingiert. Der Geldgeber ist moralisch und wohl auch rechtlich verpflichtet, den gezahlten Betrag zurückzunehmen – zu dem vom Empfänger bestimmten Zeitpunkt. e) Damit wird der Grundsatz, wonach ein als causa traditionis wirkender Darlehenskonsens tatsächlich vorliegen muss, utilitatis causa durchbrochen.20 Dies entspricht nicht allein der Auffassung Julians, sondern einer seinerzeit herrschenden Meinung unter den römischen Juristen (constat).21 Sie schaffen eine Sonderregelung, damit die finanziellen Transaktionen innerhalb der römischen Oberschicht möglichst reibungslos ablaufen können. f) Die Rechtsansicht Julians und anderer Juristen dient als Vergleichsfall zur Begründung der im ersten Teil des Fragments mitgeteilten Auffassung, wonach ein Dissens in causis den Eigentumsübergang nicht verhindert.22 Die beiden Fallgruppen stimmen darin überein, dass sowohl eine causa und als auch ein während der Übergabe bestehender Dissens über die causa vorliegen. Im Vergleichsfall bestehen causa und Dissens gleichzeitig; in dem zu entscheidenden Fall kommen sie nacheinander zustande.

7. Die Antinomie a) Der Gegensatz zwischen Julian und Ulpian (D. 12,1,18 pr.) betrifft nicht den Unterschied zwischen dem Abstraktionsgrundsatz und dem Kausalitätsprinzip. Sie beide setzen übereinstimmend die Notwendigkeit einer causa traditionis 19 

Siebter Abschnitt, 8. b) und c). Siebter Abschnitt, 8. g). 21  Siebter Abschnitt, 8. h). 22  Siebter Abschnitt, 10. 20 

8. Zum literarischen Charakter des Textes und zur Arbeit der Kompilatoren

297

voraus. Julian erlaubt vielmehr eine Ausnahme von dem Grundsatz, wonach ein als causa dienender Konsens tatsächlich vorliegen muss; er hält einen fiktiven Konsens für ausreichend. Die Rechtsansicht Ulpians läuft darauf hinaus, diese Ausnahme rückgängig zu machen und zum Grundsatz zurückzukehren. b) Der Unterschied zwischen den Positionen Julians und Ulpians ist darin begründet, dass Ulpian zufolge Freundschaftsverhältnisse möglichst rechtsfrei gehalten werden sollten, während Julian in derartigen Beziehungen das Recht in vollem Umfang für anwendbar hält und utilitatis causa juristisch interveniert.23 Die Position Ulpians zum Verhältnis von amicitia und Recht ergibt sich aus seinen Äußerungen zum mandatum. Ob diese Position von seinen zeitgenössischen Kollegen überwiegend geteilt wurde, ist unklar. Paulus und Papinian waren jedenfalls anderer Ansicht als Ulpian.

8. Zum literarischen Charakter des Textes und zur Arbeit der Kompilatoren a) Der Text ist systematisch aufgebaut. Auffällig ist das Bemühen Julians, seine Leser direkt, ähnlich wie ein Lehrer seine Schüler, anzusprechen. Der Jurist tritt erkennbar als Autorität auf.24 b) Die Überlegungen Julians zum Dissens in causis sind in D. 41,1,36 vollständig überliefert. Weder ist ein dazugehörendes Textstück vorausgegangen noch wurde ein Teil der Begründung am Ende weggelassen.25 Das Fragment könnte ursprünglich ein Teil von ausführlichen Darlegungen Julians zum concursus causarum gewesen sein, in dem der Jurist diesen Sachbereich systematisch erforscht hat und dabei auf die Möglichkeit eines Dissenses in causis gestoßen ist.26 c) Es kann zwar nicht ausgeschlossen werden, dass die Inskription korrekt überliefert ist. Einige Überlegungen sprechen aber dafür, dass die Stelle ursprünglich im Zusammenhang mit weiteren Darlegungen zum concursus causarum stand. Möglicherweise war sie im 33. Buch der Digesten Julians enthalten.27 d) Die Kompilatoren haben das Fragment wohl deshalb in die Digesten aufgenommen, weil eine inhaltliche Ähnlichkeit mit dem unmittelbar voranstehenden Fragment (Ulp 7 disp D. 41,1,35) vorlag. In beiden Fällen geht es 23  Achter Abschnitt,

4. c). Neunter Abschnitt, 1. b). 25  Zehnter Abschnitt, 2. a) und b). 26  Zehnter Abschnitt, 2. c). 27  Zehnter Abschnitt, 4. c). 24 

298

Zusammenfassung

(auch) um einen während der Übergabe bestehenden Irrtum bzw. Konsens in Bezug auf die Sache. Die Kompilatoren achteten darauf, inhaltlich verwandte Texte zusammenzustellen.28 Hinzukommt, dass die Stelle (Teil 1) allgemein, wie eine Regel formuliert ist. Diese Art der Formulierung kam der Vorliebe der Kompilatoren für allgemeine Aussagen entgegen. Sie wollten ein umfassendes Gesetzeswerk schaffen. Regelhaft formulierte Aussagen waren dafür besonders gut geeignet.29 e) Die von Kaser / Knütel / Lohsse vertretene These, die Kompilatoren hätten die Frage, ob die Übereignung durch traditio kausal oder abstrakt sei, offengelassen, muss wohl abgelehnt werden.30 Dem justinianischen Recht dürfte, ebenso wie schon dem klassischen Recht, das Prinzip der kausalen Übereignung zugrunde liegen.

28 

Zehnter Abschnitt, 1. a). Zehnter Abschnitt, 1. b). 30  Zehnter Abschnitt, 5. 29 

Sintesi della ricerca 1. a) La presente ricerca prende le mosse da un frammento, il quale, secondo quanto riportato dall’iscrizione, proviene dal tredicesimo libro dei Digesta di Giuliano. Il testo è tramandato nel Digesto di Giustiniano, in particolare in D. 41,1,36, ed esso, unitamente alla sua interpretazione, ha svolto un ruolo di fondamentale importanza nella storia della dottrina romanistica. b) In primo luogo, secondo quanto sostengono alcuni autori, il frammento dimostra che Giuliano non adotta il principio di causalità della traditio, ma quello di astrazione. Per tale ragione nella letteratura romanistica si legge che il testo è di fondamentale importanza per tutto il diritto privato.1 Ciò ha avuto – in secondo luogo – una conseguenza pratica: gli autori del Codice civile tedesco (entrato in vigore il primo gennaio del 1900), richiamandosi a Giuliano, hanno introdotto il principio di astrazione (§  929,1 BGB).2 Un terzo aspetto da sottolineare è che Ulpiano ha contraddetto espressamente Giuliano in un testo importante: D. 12,1,18 pr. Entrambi i frammenti costituiscono, quindi, un caso di ius controversum. La contrapposizione fra Giuliano e Ulpiano viene definita come antinomia.3 I giuristi del ius commune hanno cercato di armonizzare questa contraddizione, ma tale necessità è infine venuta meno da quando il ius commune ha perso la sua validità sul piano giuridico, ovverosia, per quanto riguarda la Germania, dal primo gennaio del 1900. Il ius controversum viene tuttavia tenuto in particolare considerazione oggigiorno, in quanto espressione della vivace discussione che esisteva in seno alla giurisprudenza romana. c) Il tema della presente ricerca verte, dunque, sull’antinomia fra quanto sostenuto da Giuliano e da Ulpiano. Nonostante il frammento di Giuliano rappresenti il punto di partenza di questo studio, adeguata considerazione verrà data anche al testo ulpianeo, in quanto necessario ad una migliore comprensione del primo. È senz’altro giustificato focalizzare l’attenzione sul brano di Giuliano, in ogni caso, in quanto si tratta di un testo di difficile lettura, che nella letteratura romanistica ha dato adito alle più disparate interpretazioni.4 Anche se nel corso dei 1 

Introduzione, 2. b). Introduzione, 2. c). 3  Introduzione, 1. b) e 2. d). 4  Introduzione, 1. b). 2 

300

Sintesi della ricerca

secoli quest’antinomia è stata spesso studiata, ancora non è stata trovata un’interpretazione generalmente accolta in dottrina. Nel presente saggio, pertanto, si cercherà di proporre una nuova chiave di lettura in merito a tale questione.5 2. a) Il frammento di Giuliano si compone di tre parti. Nella prima viene formulata una sorta di regola, la seconda riporta un esempio relativo a questa regola e la terza parte, infine, contiene la motivazione di suddetta regola.6 b) La prima parte del frammento si riferisce al trasferimento della proprietà di una res nec mancipi tramite traditio. È di fondamentale importanza per comprendere tale passaggio del testo è porsi la questione relativa alla situazione di fatto alla quale si riferisce Giuliano. Il giurista intende prendere in considerazione il trasferimento della proprietà di una res nec mancipi tramite traditio in generale, come ritiene normalmente la letteratura romanistica? Giuliano afferma: il consenso in corpore è necessario, affinché si effettui il trasferimento di proprietà. Va quindi studiato il concetto di consenso in corpore. Per quanto riguarda il corpus, il giureconsulto specifica inoltre: quod traditur, espressione che va, pertanto, a sua volta chiarita. c) È indiscusso che il consenso in corpore consista nell’accordo sull’identità della cosa.7 Pareri discordi sussistono invece circa il significato dell’espressione quod traditur. Laborenz sostiene la tesi secondo la quale l’espressione si riferisce al trasferimento di proprietà e, quando Giuliano parla di un consenso in corpore quod traditur, egli intenderebbe fare riferimento ad un consenso dato al trasferimento della proprietà, il quale è al contempo sufficiente per il passaggio della stessa. Il giurista, quindi, secondo questa interpretazione, seguirebbe il principio di astrazione. Tale tesi, però, non può essere accolta. Il consenso in corpore è necessario per il trasferimento del possesso di una cosa. Questo si ricava soprattutto da un’affermazione di Ulpiano (D. 18,1,9).8 Anche l’espressione quod traditur si riferisce al trasferimento del possesso e conferma di ciò ci viene offerta in particolar modo dal fatto che, nei testi dei giuristi classici, i termini corpus, da un lato, e possessio ovvero traditio (nel senso di trasferimento del possesso), dall’altro, sono spesso usati insieme.9 Giuliano afferma quindi che il consenso riferito alla cosa consegnata è necessario al fine del trasferimento del possesso. Il consenso e la consegna devono essere contemporanei. Se esiste la causa traditionis, si verifica anche il passaggio di proprietà. 5 

Introduzione, 4. Primo capitolo, 2. 7  Secondo capitolo, 4. 8  Secondo capitolo, 4, c). 9  Secondo capitolo, 3. b) e 8. a). 6 

Sintesi della ricerca

301

d) Il consenso in corpore, tuttavia, non è necessario al momento della consegna di tutti i tipi di cose, ma soltanto al momento della consegna di una species. Giuliano non tratta il trasferimento di proprietà di res nec mancipi in generale, ma si occupa soltanto di un caso particolare, che è necessariamente limitato ad una species.10 Questa constatazione è di fondamentale importanza al fine di chiarire la questione inerente alla situazione di fatto alla quale Giuliano si riferisce nella prima parte del testo. 3. a) Nella prima parte del frammento non è trattato soltanto il consenso in corpore, ma anche il dissenso in causis, ove a quest’ultimo è attribuita addirittura maggiore importanza che al consenso in corpore. Giuliano afferma che il trasferimento di proprietà ha luogo anche in presenza di un dissenso in causis. Il termine causa può avere significati diversi. Dato che la prima parte del testo si riferisce al trasferimento di proprietà (traditio), in questo caso il termine causis indica la iusta causa traditionis.11 b) Per comprendere il significato del concetto di dissenso in causis è necessario chiarire anzitutto un problema, la cui importanza trascende di gran lunga le problematiche attinenti al frammento di Giuliano, che è oggetto della presente ricerca. Va esaminato il concetto di iusta causa traditionis. Si tratta per l’esattezza della questione se la solutio sia qualificata come causa. La maggior parte della dottrina romanistica sostiene la teoria della causa solvendi, tuttavia si devono sollevare notevoli dubbi e questioni a riguardo, per cui si ritiene necessario riesaminare suddetta teoria. c) L’argomento più importante a sostegno della teoria della causa solvendi afferma che, nell caso della solutio indebiti, l’unico rimedio processuale che viene preso in considerazione è la condictio e non anche la rei vindicatio. Questo risulterebbe soprattutto da D. 12,6 (De condictione indebiti). Secondo il parere di Kaser, il fatto che ivi sia riportata soltanto la condictio parlerebbe in modo addirittura inequivocabile a favore della teoria della causa solvendi. Quest’argomento, tuttavia, pare non essere convincente, come si può dimostrare se si presta attenzione all’esempio tràdito in D. 12,6,1,1.12 d) Dal termine repetitio si può dedurre un ulteriore argomento contro la teoria della causa solvendi.13 In D. 12,6 non si parla, per lo più, di condictio, ma nel 75% dei casi si trovano i termini repetitio / repetere. Se i giuristi usassero i termini repetitio e condictio come sinonimi, si esprimerebbero nella maggioranza dei casi in modo inesatto dal punto di vista giuridico, il che è molto improbabile. I termini repetitio e condictio devono avere significati diversi. Si presenta quindi 10 

Secondo capitolo, 9. c) e d). Terzo capitolo, 1. 2. 12  Quinto capitolo, 4. 13  Quinto capitolo, 7. 11 

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la seguente possibilità: il primo rimedio processuale a disposizione è la rei vindicatio, mentre il secondo (se si tratta di denaro, a seguito di commixtio o con­ sumptio) è rappresentato dalla condictio. I due rimedi processuali sono chiamati sinteticamente nel diritto romano repetitio. Questa interpretazione presuppone che nel caso di solutio indebiti non avvenga il trasferimento di proprietà, il che significa che la solutio non costituisce causa. e) Va respinta anche la tesi sostenuta da Kaser e da altri autori, secondo cui la causa solvendi rappresenterebbe un relitto di tempi arcaici, in quanto non trova riscontro nelle fonti.14 Per di più, in D. 12,6 e 7 si rinvengono alcuni passi nei quali la solutio indebiti viene definita prestazione sine causa. Si può dimostrare che la distinzione che solitamente viene proposta dalla dottrina romanistica fra la causa traditionis e la causa retinendi è estranea al diritto romano classico. L’espressione sine causa (D. 12,6 e 7) rappresenta quindi un’ulteriore prova del fatto che i giuristi classici non riconoscessero la causa solvendi.15 Interessante è anche il fatto che nei testi di questi ultimi la causa solvendi non venga mai citata come esempio di causa traditionis. Da quanto detto risulta, pertanto, che non sia possibile qualificare la solutio come causa. f) In D. 24,1,39 Giuliano parte dalla premessa che si possa prendere in considerazione una stipulatio come causa traditionis.16 Elementi interessanti in proposito si ricavano inoltre da un’espressione di Paolo, che è di fondamentale importanza nell’ambito del trasferimento di proprietà di res nec mancipi tramite traditio: in D. 41,1,31 pr. anche tale giurista parte dal presupposto che la causa dell’obbligazione costituisca la causa.17 g) Un altro argomento contro la teoria della causa solvendi si può ricavare dal concetto di causa possessionis che si riferisce all’usucapio. Di particolare rilievo è in questo contesto un’espressione di Pomponio (D. 41,10,3). Da questo testo e da altri frammenti risulta che non è la solutio, bensì la causa dell’obbligazione ad essere qualificata come causa possessionis.18 Questo sta ad indicare che la solutio non costituisce anche la causa traditionis. Due testi di Gaio (Inst 3,90 e 91; D. 44,7,5,3), infine, permettono di confermare l’opinione secondo la quale è la causa dell’obbligazione a costituire la causa. h) Quanto emerge, alla fine, dalla critica alla teoria della causa solvendi consente di concludere che non è la solutio ad essere qualificata come causa traditionis, ma la causa stessa dell’obbligazione, come, per esempio, una stipulazione o un legato per damnationem. Anzi, ogni causa dell’obbligazione può esser con14 

Quinto capitolo, 8. Quinto capitolo, 12. c). 16  Quinto capitolo, 10. 17  Quinto capitolo, 11. 18  Quinto capitolo, 15. 15 

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siderata causa. Dato che nel caso della solutio indebiti non avviene trasferimento di proprietà, il tradens ha in un primo momento a disposizione la rei vindicatio e in un secondo momento, eventualmente (qualora si tratti di denaro, nel caso di commixtio o consumptio), la condictio. Questa conclusione riveste notevole importanza non soltanto in riferimento al concetto di causa traditionis, ma rappresenta altresì il punto di partenza per un nuovo approccio interpretativo, grazie al quale si può meglio comprendere, rispetto a quanto sia stato possibile fare sino ad ora, il frammento di Giuliano. 4. a) A seguire, nel presente lavoro, viene approfondita la questione relativa alla situazione di fatto dalla quale Giuliano parte nella prima parte del suo frammento. La risposta a tale questione è la seguente: Giuliano si riferisce al concursus duarum causarum.19 A sostegno di tale tesi si possono addurre i seguenti argomenti: – Giuliano non parla di un dissenso in causa, bensì in causis, in quanto in realtà sussistono due cause dell’obbligazione che hanno entrambe efficacia giuridica. – La prima parte del frammento si limita alla consegna di una species, in quanto il concursus causarum presuppone necessariamente una species. b) La situazione di fatto dalla quale parte Giuliano si articola quindi in due fasi: in un primo momento vengono in essere due cause dell’obbligazione (causae); successivamente, cioè nel corso della consegna, alle parti non è chiaro su quale delle due causae si basi la consegna. Ci troviamo così di fronte ad un dissenso (occulto) sulla causa dell’obbligazione. 5. Per quale motivo avviene il trasferimento di proprietà, nonostante il dissenso in causis? La risposta si ricava dalle seguenti considerazioni.20 Non è possibile trasferire contemporaneamente la proprietà in base a due causae. Soltanto una causa può costituire il fondamento giuridico della traditio. Secondo Giuliano, determinante è l’idea del tradens su quale sia la causa che produce il trasferimento di proprietà. Si rispettano così i presupposti tradizionali del trasferimento di proprietà e cioè il diritto di disporre del venditore, la consegna e la causa traditionis, che nel caso in questione è la causa immaginata dal tradens. Per tale ragione non c’è motivo di far venir meno il trasferimento di proprietà – nonostante il dissenso sulla causa. 6. a) La seconda parte del frammento tratta un esempio concreto inerente alla regola in precedenza esposta, o, più esattamente, un esempio relativo al dissenso in causis. Qualcuno consegna un fondo, ovverosia un fundus in generale, o forse anche un fundus provincialis. Il tradens agisce comunque credendo di adempiere

19  20 

Sesto capitolo, 5. f). Sesto capitolo, 7. b) e c).

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all’obbligazione proveniente dal legato per damnationem, mentre l’acquirente ritiene di adempiere all’obbligazione derivante dalla stipulatio.21 b) Da questo esempio si possono dedurre altri argomenti a sostegno della tesi secondo la quale Giuliano presupponga esservi un concursus causarum.22 Il caso presenta infatti caratteristiche che sono necessarie o tipiche per il concursus: – il fundus è una species; il concursus causarum presuppone assolutamente una species. – I casi di concursus tramandati si riferiscono per lo più, come nel caso specifico, a un legato per damnationem, qual è una delle due cause dell’obbligazione. – Proprio in Giuliano, e nei frammenti del suo discepolo Africano, si trova, con riferimento ai casi tramandati di concursus, anche la combinazione di legato per damnationem e stipulatio. 7. a) Passiamo ora ad esaminare la terza parte del frammento. In essa Giuliano tratta del caso in cui qualcuno dia del denaro in regalo, mentre il destinatario crede di riceverlo a titolo di mutuo. Giuliano afferma che il trasferimento di proprietà avviene, nonostante il dissenso. La conclusione alla quale perviene il giurista desta meraviglia, in quanto manca il consenso riferito a una donazione o ad un mutuo. Non si ha – almeno a prima vista – né donazione, né mutuo, e quindi manca la causa. Ciononostante, viene in essere la traditio. In realtà, bisognerebbe aspettarsi che la traditio non sia efficace, ragion per cui occorre esaminare quali siano le considerazioni sulle quali si basa la decisione di Giuliano. b) In dottrina si è soliti chiedersi quali siano i mezzi giuridici di cui Giuliano in questo frammento si serve per consentire il trasferimento di proprietà. Così si sostiene che nell’intenzione del tradens di donare sia contenuta la volontà reale di concedere un mutuo (Eisele).23 Accanto a questa opinione, è stato altresì affermato che, se è pur vero che non esiste l’intenzione reale del tradens, sussiste invece quella ipotetica di dare un mutuo (Backhaus e altri autori).24 La conseguenza, in entrambi i casi, consisterebbe nel riconoscere un mutuo e, conseguentemente, anche la sussistenza di una causa. Altri autori sostengono invece l’opinione che Giuliano rinunci alla causa e che adotti quindi il principio di astrazione. A seguito di un esame approfondito di queste posizioni dottrinali, tuttavia, si rende necessario concludere che nessuna di queste interpretazioni sia di fatto accoglibile. c) Nella presente ricerca si adotta, pertanto, un nuovo approccio per comprendere Giuliano. Non ci si chiede anzitutto quale sia il mezzo giuridico di cui egli si serve per il trasferimento di proprietà, ma ci si interroga, invece, su quale sia il 21 

Quarto capitolo. Sesto capitolo, 5. f). 23  Settimo capitolo, 4. a). 24  Settimo capitolo, 4. b) e c). 22 

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motivo o lo scopo sottostante alla sua decisione. Qual è il motivo o quale lo scopo per cui Giuliano afferma che si ha il trasferimento di proprietà nonostante manchi, o almeno sembri mancare, la causa? Soltanto dopo aver trovato una risposta a questa domanda, si esaminerà quale sia il mezzo giuridico di cui il giureconsulto si serve per riconoscere il trasferimento di proprietà. d) Per rispondere, dunque, alla domanda relativa al motivo o allo scopo della decisione del giurista, occorre partire dal presupposto che tale decisione serva per risolvere un conflitto ed esaminare quindi in che cosa potrebbe consistere tale conflitto. Quest’ultimo nasce non appena le parti si rendono conto del dissenso. Il destinatario vuole restituire il denaro, perché desidererebbe estinguere il debito derivante dal mutuo. Colui che ha dato il denaro non lo accetta, in quanto considera il denaro dato come un regalo.25 Tale conflitto, in ogni caso, desta stupore, poiché in circostanze normali ci si aspetterebbe che colui che ha dato il denaro lo riprenda, oppure che il destinatario lo tenga mostrandosi riconoscente. Il conflitto, dunque, non dovrebbe sorgere. Come mai esso nasce, invece, in questa circostanza? e) A questa domanda si può rispondere soltanto se si presta attenzione alle circostanze sociali nelle quali avviene il pagamento del denaro.26 Fondamentale è la seguente tesi: alla base del caso sta un rapporto di amicizia (amicitia) nell’ambito del ceto elevato della popolazione romana. Caratteristica dell’amicitia è lo scambio reciproco di regali, i quali non vincolano gli amici da un punto di vista giuridico, bensì da quello morale. Questo porta a contraccambiare i regali ricevuti. Lo scambio di regali può andare persino al di là della morte di un amicus, qualora taluno istituisca il suo amico erede, o lo onori di un legatum. Nasce così una lunga relazione sociale di reciproca dipendenza. Gli amici si sostengono non solo finanziariamente, ma anche politicamente, per esempio nell’assegnazione di cariche pubbliche. Il fondamento morale di questo tipo di relazioni sono la fides e la reciprocità. f) Alcune considerazioni fanno ritenere che Giuliano presupponga l’esistenza di un rapporto di amicizia nel caso che viene analizzato in questo lavoro: – donazioni e mutui sono benefici finanziari usuali fra amici. – Nei rapporti di amicizia spesso non è chiaro se la somma di denaro che si dà e riceve sia a titolo di regalo o di mutuo. Per motivi di discrezione è possibile che si voglia evitare di fare chiarezza su questo punto, per cui è facile che sorga un dissenso su quale sia il carattere del pagamento. – Il conflitto sopra esposto può nascere soltanto se esiste una relazione sociale nella quale le parti non fanno valere immediatamente i loro interessi finanziari.

25  26 

Settimo capitolo, 6. c). Settimo capitolo, 5. segg., in particolare 6. a) e b).

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g) Alla domanda come mai possa sorgere tale conflitto, si può rispondere nel modo seguente: colui che riceve il denaro crede di aver ricevuto un mutuo e vorrebbe restituire il più presto possibile (non appena dispone nuovamente di liquidità) l’importo ricevuto, per non accumulare troppi debiti finanziari e morali nei confronti dell’amicus che gli dà i soldi, ma questi rifiuta di accettare il denaro, perché vuol mantenere per lungo tempo il destinatario in una situazione di soggezione, o forse anche perché ha già reso pubblico il fatto di aver regalato il denaro e vorrebbe pertanto salvaguardare la propria reputazione. h) La decisione di Giuliano ha lo scopo di tutelare il destinatario del denaro – in ossequio alla massima: non si deve costringere nessuno ad accettare una donazione.27 Giuliano simula un mutuo e lo fa per un motivo etico, orientandosi verso la figura di un amicus, il quale agisca in modo corretto dal punto di vista morale. Un amico di questo tipo accetterebbe che il destinatario consideri il pagamento un mutuo. Colui che dà il denaro ha, quindi, almeno l’obbligo morale di riprendere la somma pagata – nel momento in cui il destinatario intenda restituirla, ed ulteriori considerazioni fanno ritenere che abbia anche l’obbligo giuridico di accettare il denaro. Se, però, nonostante tutto, si rifiuta di farlo, il destinatario del denaro ha la possibilità di depositare tale somma in un luogo pubblico.28 i) Giuliano si accorda, con la propria opinione, con quella dominante al suo tempo fra i giuristi romani, fra i quali vi è uniformità di vedute (constat).29 I giuristi intervengono con la loro decisione in un conflitto tra amici. Decidono utilitatis causa per tutelare una relazione di amicizia, altrimenti messa in pericolo da determinati comportamenti, e per consentire che le transazioni finanziarie in seno ai ceti elevati della società romana possano svolgersi senza intoppi. 8. a) La decisione di Giuliano e di altri giuristi (parte terza) serve a motivare l’opinione secondo la quale il dissenso in causis non impedisce il trasferimento di proprietà (prima parte).30 Tale conclusione si può trarre dall’espressione introduttiva nam et si. I casi trattati nella prima e nella terza parte si assomigliano. Sono simili per il fatto che vi ritroviamo tanto la causa, quanto il dissenso relativo a quest’ultima, mentre si differenziano invece per i seguenti motivi: nel caso che si riferisce al mutuo e alla donazione (terza parte), la causa e il dissenso sussistono contemporaneamente; nel caso relativo al dissenso in causis, viceversa, causa e dissenso si succedono dal punto di vista temporale. Inoltre, in quello esposto nella terza parte, la causa è simulata (mutuo fittizio), mentre nel primo le causae sussistono veramente. 27 

Settimo capitolo, 8. b) e c). Settimo capitolo, 8. e). 29  Settimo capitolo, 8. h). 30  Settimo capitolo, 10. 28 

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b) Dato che la decisione presa nella terza parte del frammento è riconosciuta da molti giuristi (constat),31 essa rappresenta, per così dire, una base sicura dalla quale Giuliano può partire. Nella prima parte del frammento gli è possibile quindi avventurarsi in un campo completamente nuovo, il che significa decidere un nuovo caso che si presenta problematico. 9. a) La terza parte del frammento di Giuliano si pone in contrapposizione con un testo di Ulpiano (D. 12,1,18 pr.). Secondo Ulpiano, il dissenso relativo allo scopo del pagamento conduce alla conseguenza che il trasferimento di proprietà non possa avere luogo. L’antinomia tra Giuliano e Ulpiano non riguarda la differenza fra principio di astrazione e principio di causalità. Entrambi i giuristi sono concordi nel sostenere che sia necessaria, in primo luogo, la causa traditionis. La differenza consiste nel fatto che Giuliano ritiene sufficiente come causa un mutuum fittizio, mentre Ulpiano respinge tale finzione e considera inefficace il trasferimento di proprietà, in ragion della mancanza della causa. b) L’antinomia sussiste in quanto Ulpiano e Giuliano adottano punti di vista completamente diversi per quanto riguarda l’amicitia e il diritto. Secondo Ulpiano, i rapporti di amicizia dovrebbero svilupparsi possibilmente in modo indipendente dal diritto, mentre Giuliano ritiene, viceversa, che il diritto si applichi pienamente alle relazioni di amicizia.32 La posizione di Ulpiano che si riferisce alla relazione fra amicitia e diritto si ricava da quanto il giurista sostiene a proposito del mandatum. Non è chiaro se gli altri giureconsulti a lui coevi condividessero la sua posizione. Paolo e Papiniano, comunque, erano di diverso avviso rispetto ad Ulpiano. 10. a) Per concludere, ancora alcune considerazioni relative al frammento di Giuliano in generale. Il caso portato come esempio e trattato nella seconda parte appare poco realistico.33 Quello deciso nella terza parte (dissenso circa la possibilità che un pagamento rappresenti un regalo, oppure un mutuo), invece, ha senz’altro rilevanza pratica. Altrimenti i giuristi romani non avrebbero discusso di questo caso per generazioni, intensamente, ed offrendo opinioni tra loro diverse in proposito.34 b) Il testo ha una struttura sistematica. La lingua è semplice e chiara. Colpisce il fatto che Giuliano cerchi di rivolgersi direttamente ai suoi lettori, così come fanno i maestri con i loro scolari, e che il giurista si ponga chiaramente come un’ autorità.35 31 

Settimo capitolo, 8. h). Ottavo capitolo, 4. c). 33  Sesto ccapitolo, 8. 34  Settimo capitolo 8. i). 35  Nono capitolo, 1. b). 32 

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c) Le considerazioni di Giuliano sul dissenso in causis sono tramandate in D. 41,1,36 per intero. Rispetto al contesto originario, non dovette esservi un’ ulteriore parte di testo pertinente a quanto discusso nel frammento, né è stata abbreviata la motivazione alla fine dello stesso.36 Potrebbe darsi che quest’ultimo fosse originariamente parte di una più ampia opera di Giuliano relativa al concursus causarum. È probabile che il giurista abbia studiato sistematicamente questo tema e che, nel fare ciò, si sia imbattuto nell’eventualità del dissenso in causis.37 d) In ragione della formulazione in termini generali della prima parte del testo, è verosimile pensare che i compilatori abbiano dato al contenuto dello stesso valore di regola. I compilatori prediligevano, infatti, formulazioni di questo tipo, aventi carattere generale. Dato che volevano creare un’ampia raccolta di leggi, le enunciazioni presentate in forma di regole erano particolarmente adatte a tale scopo e risultavano comunque preferibili a decisioni “puntuali”, prese in relazione a casi particolari.38 e) Il frammento è stato inserito in D. 41,1,36, perché il suo contenuto presenta somiglianze con quello del testo immediatamente precedente (Ulp 7 disp. D. 41,1,35). In entrambe le fattispecie si tratta di errore, ovvero di dissenso, in relazione alla cosa consegnata. Era infatti una preoccupazione propria dei compilatori quella di raggruppare testi tra loro affini quanto al contenuto.39 f) Non si può escludere che l’iscrizione (XIII libro dei Digesta di Giuliano) sia corretta, sebbene alcuni elementi facciano pensare che il frammento fosse originariamente posto in correlazione con altre esposizioni relative concursus causarum, il che porterebbe verosimilmente a concludere che il testo fosse contenuto nel XXXIII libro dei Digesta di Giuliano.40 11. Il frammento di Giuliano, contenuto in D. 41,1,36, è importante anche ai fini dell’interpretazione del diritto giustinianeo. Secondo quanto sostenuto da Kaser e altri autori, i compilatori avrebbero accolto il testo di Giuliano nel Digesto, perché non volevano prendere una decisione definitiva circa la questione se il trasferimento di proprietà tramite traditio fosse causale o astratto. Quest’ultima opinione deve essere tuttavia confutata. Sia per il diritto giustinianeo, sia per il diritto romano classico, il trasferimento della proprietà si fonda infatti sul principio di causalità.41

36 

Decimo capitolo, 2. a) e b). Decimo capitolo, 2. c) 38  Decimo capitolo, 1. b). 39  Decimo capitolo, 1. a). 40  Decimo capitolo, 4. c). 41  Decimo capitolo, 5. 37 

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Sachregister Abstraktionsprinzip  4, 6, 25, 62 ff., 81, 179, 196, 206, 279 ff., 296, 298 actio  100, 121 ff. actio aquae pluviae arcendae  8230 actio commodati 102 actio de repetundis 102 actio depositi 102 actio mandati  254 f. actio Publiciana 115 actio rei uxoriae 102 Aemilius Papinianus siehe Papinian affectio amicalis  253 f. ager  71 amicitia  8, 11, 207 ff., 220 f., 237 f., 253 ff., 295 f. – siehe auch affectio amicalis animadvertere 54 – siehe auch non animadverto animus  38 ff. animus credendi  197, 202 animus donandi  202, 204 animus procuratoris  254 animus solvendi  88 f. Antinomie Julian-Ulpian  2, 38, 5 ff., 11, 17, 243 ff., 272 ff., 296 f. Auftrag  253 ff., 297 beneficium  208 f., 213, 217, 222 ff., 258 Besitzpfandrecht  32 f. bona fides 151359, 156 brevitas  9 Bürgerliches Gesetzbuch  5 f., 283 causa 53 – siehe auch iusta causa traditionis causa accipiendi  173 causa dandi  173 causa dell’attribuzione  65 ff.

causa di giustificazione  65 ff. causa lucrativa  177, 188 causa onerosa  191 causa possessionis  146 ff. causa putativa  76, 83, 136289 causa retinendi  135 ff., 144, 166, 291 causa solutionis 58 causa solvendi  58, 251 causa vera siehe causa putativa cautio legatorum servandorum causa  191 Celsus  39, 41 Cicero  217 ff. Codex Florentinus Digestorum  278 commixtio  91, 138, 161, 163, 165 f., 222, 292 concursus causarum 11, 176 ff., 187 f., 192, 251, 26918, 270 f., 276 ff., 293 f., 297 condictio ex causa furtiva  90, 101, 126 condictio indebiti  65, 74, 77, 84 ff., 93 ff., 101, 126, 135 f., 166, 244 consensus siehe Konsens constat  65, 194 f., 232 ff., 241, 273 consumptio  77, 91, 138, 161 ff., 165 f., 222, 292 corpora continua 30 corpora ex contingentibus 30 corpora ex distantibus 30 corpus  24, 27, 29 f., 38 ff., 43 ff. corpus nummorum 24 Cuiacius, Iacobus (Cujas, Jacques) 1512, 2722, 50122, 128253, 132, 166, 171 Dante Alighieri  1 Darlehen  81, 196 ff., 205 ff., 211 ff., 295 Darlehenskonsens  196 ff., 206 – hypothetischer  197, 201 ff., 207 Darlehens-Schenkungs-Fall 1512, 25, 193 ff., 243 ff., 2672, 295

338

Sachregister

depositum siehe Verwahrung Digestensystem  1924, 275 dingliche Einigung  5, 25 ff. Dissens in causis  11, 15, 23, 51 ff., 59, 61 ff., 70, 72, 74 f., 169 ff., 185, 267 f., 270 ff., 293 ff. Dissens in corporibus  47 f., 59 Dissens in negotio  1934 Distinktion  66 f., 136 f., 155, 205 Domitius Ulpianus siehe Ulpian donatio siehe Schenkung duplex interpretatio  270 Echtheit (D. 41,1,36) 17 ff., 172 f., 280 f. Ediktssystem  18 f., 275 emptio venditio siehe Kauf error  82 error in corpore  39 ff., 50 f. error in materia  170 error in nomine  37 error in sexu  170 error in substatia  170 Ersitzung  146 ff., 291 ex bono et aequo 133 fides  209, 229 Freundschaft siehe amicitia fiducia  17 ff. fundus  18 f., 50, 71, 190, 275, 293 – fundus Cornelianus  36 f. – fundus provincialis  19, 21, 190, 275, 293 – fundus Sempronianus  36 f. Gaius  44, 139 f., 160 ff. Gattungssache  45 ff. Gegenseitigkeit siehe Reziprozität genus  45 ff. Geisteskranker 40 “gestreckte” datio  162 f., 165 Gläubigerverzug  229 f. haec condictio  140 ff. Hermogenian  146 ff. Iavolenus Priscus siehe Javolen in maiore minus inest  202 ff. inefficax  34 ff. Inskription (D. 41,1,36) 12, 17 f., 274 ff. Interpolationenforschung  8 f.

Interpolationsvermutungen (D. 41,1,36) siehe Echtheit (D. 41,1,36) Iulius Paulus siehe Paulus ius commune  5, 10, 17, 2459 ius controversum  6, 153, 235, 272 ff., 282 iusta causa traditionis  2, 4 f., 8, 11, 36, 41, 43, 53 ff., 70, 127 ff., 166 f., 179 ff., 186 ff., 291 f. – siehe auch causa Iustinianus siehe Justinian Iuventius Celsus siehe Celsus Javolen  97 f., 181 ff. Julian  13, 14 ff., 41 ff., 117 ff., 177 ff., 188 f., 236 ff. Justinian  1 f., 279 ff. justinianisches Recht  12, 279 ff. Kauf  130, 155 ff., 181 Kausalitätsprinzip 4, 62 ff., 179, 196, 206, 279 ff., 289, 296, 298 klassisches römisches Recht  314 Konsens/Dissens  27 f. Konsens de qualitate  170, 172 Konsens in corpore  10, 15, 23, 25 ff., 32 ff., 41 ff., 45 ff., 59, 82, 169, 172, 268, 292 f. – Funktion  36 ff., 41 ff. – und Gattungssachen  45 ff. Konsens in corporibus  47 f. Konsens in emptione  170, 172 Konsens in materia  26, 30 f., 49, 170 Konsens in nomine  170, 172 Konsens in pretio  170, 172 Konsens in substantia  26, 30 ff., 49 lectio difficilior 128 legatum debiti  175 f. Leistung an Erfüllungs statt  147 f. Leistungszweckbestimmung 5514, 180 ff., 188 f., 294 Leistungszweckvereinbarung 5514, 180 ff., 294 liberalitas  211, 215, 222 ff. liberatio  57 litis contestatio 34 mancipatio  17 ff., 274 mandatum siehe Auftrag

Sachregister Minicius  117 ff. mutuum siehe Darlehen Neratius Priscus siehe Neraz Neraz  152 ff. non animadverto  14, 51, 54, 64, 67 f., 75 f., 178 f., 186 f., 263, 280 f. officium  209, 217, 258 ordo librorum  84, 267 f. Papinian  89, 133 ff. Patronage  207 ff. Paulus  31 ff., 44, 48 f., 104 ff., 127 ff., 155 ff., 180 f., 186 ff., 223 f., 257 ff., 261 ff. pecunia numerata  193 petere/petitio 101 Pomponius  151 ff. possessio  43 ff. – siehe auch vacua posssessio Prinzipat 210 Privatautonomie  286 f. pro debito solutum  147 ff. pro legato 160 pro soluto  146 ff., 159 f. procurator  254 ff. Putativtitel  152, 157 f. qualitas  32 quod traditur  15, 23, 25 ff., 43 ff., 59, 69 f. ratio scripta 66 re obligatur  162 f. Regel  14 f. regula iuris 14 rei vindicatio  91 ff., 94 ff., 111, 126, 161, 167 repetere/repetitio  85, 95 f., 100 ff., 126, 141, 154, 166, 291 res mancipi  17 ff., 91, 151, 287 res nec mancipi  4, 11, 46, 51, 61, 91, 160405, 169, 179 ff., 185, 274, 287, 292, 294 res repetere  102 f.137 responsum  67 ff., 118 ff. restituere/restitutio  100 f. Reziprozität  209, 211 f.

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Salvius Iulianus siehe Julian Savigny, Friedrich Carl von  38, 5 f., 1512, 3877, 4083, 50, 5515, 7210, 110170, 176 f.41, 19610, 199, 20455, 20663, 232189, 246, 2674, 28075, 282 f. Schenkung  81, 88 f., 118 ff., 196 ff., 205 ff., 210 ff., 222, 295 Senatusconsultum Macedonianum  98 Sextus Pomponius siehe Pomponius solutio  56 f. – solutio als causa  2, 8, 11, 56 ff., 70, 72 ff., 77 ff., 291 f. – solutio indebiti  7, 81 ff., 83 ff., Solutionskonsens – abstrakt, konkret  55, 59 ff., 73 ff., 79 – siehe auch solutio als causa species siehe Speziessache Spezialitätsprinzip  46, 48 Speziessache  2932, 45 ff., 50 f., 61, 69, 175, 177, 274, 292 f. Spruchregel 14 Stipulation  117 ff., 151 ff. thensaurus  130 ff. traditio (D. 41,1,36) 15, 34 ff., 43 ff. transactio  106 ff., 114 Ulpian  28 ff., 32 ff., 36 ff., 41, 84 ff., 94 ff., 98 f., 115, 134 f., 139, 142 ff., 210, 222 f., 243 ff., 253 ff. usucapio siehe Ersitzung utilitatis causa  231 ff., 250 f., 296 f. vacua possessio  37 veluti  72 venditio siehe Kauf Verfügungsbefugnis des Veräußerers  4 Vergleichsfall  16, 239 f. Verwahrung  17 f., 131 f., 274 videndum  247 ff. villa rustica  71 voluntas  224, 226 f., 258, 285 ff. Willenstheorie  200, 228176 Zweckbestimmung siehe Leistungszweckbestimmung Zweckvereinbarung siehe Leistungszweckvereinbarung

Quellenregister Vorbemerkung: Das Julian-Fragment D. 41,1,36 wird im Quellenregister nicht nachgewiesen, weil sich die vorliegende Untersuchung insgesamt (mit Ausnahme des Fünften Abschnitts) auf diesen Text bezieht.

I. Juristische Quellen 1. Vorjustinianische Quellen Lex duodecim Tabularum 8,2

114 f.

Gai Institutiones 1,113 2135 1,119–122 2135 2,12 4496 2,12–14 244 2,18–19 44 2,19–20 417, 116195 2,19 2030, 134280 2,20 46, 130264, 284105 2,21 2030 2,66 ff. 134 2,82 95101 2,93 172 2,192 ff. 190108 2,196 1932 2,199 1958 2,283 98111 3,88 161, 163, 164

3,89 3,90–91 3,90 3,91

161 9179, 161 ff., 166, 302 728, 9179, 165421 77, 771, 89, 9179, 162, 163416, 165, 18796, 189103 3,92 165421 3,128 165421 3,135 165421 3,136 2724 3,161 20347 4,4 187 4,19 113181 4,162 182

Pseudo-ulpianischer liber singularis regularum 19,2 46 6,6 102134 24,33 102134

342

Quellenregister

2. Justinianische Quellen Constitutiones Dedoken pr. 15, 26, 6350, 27333, 28288, 28293 §  1 26 , 6350, 26915, 28293 , 283100 §  6a 28293 §  7 6350, 28293 §  10 26, 6350, 28293, 28396, 28397, 28398, 283100 §  13 27 §  15 26, 6350, 28293 §  18 132, 28288 §  22 27863, 28288 §  23 28290 Deo Auctore pr. 15 §  1 26, 6350, 28293 §  2 26915 §  4 26, 6350, 28293 §  5 269 §  6 28397 §  7 27333 §  8 26, 6350, 28293 §  12 26 §  13 27863 Tanta pr. 13, 15, 26, 6350, 28293 §  1 6350, 28293, 27337, 283100 §  5 13 §  10 13, 26, 6350, 28293, 27335, 27337, 283, 28396, 28397, 28398, 283100 §  12 26915 § (13) 27333 §  13 (14) 27 §  15 26, 6350, 28293 §  18 132 §  22 27863

Institutiones Iustiniani 2,1,11–39 286 2,1,39 132272 2,1,40–48 286

2,1,40 f. 522, 280, 284 ff. 2,1,43–46 288 2,1,45 289 2,20,10 18794 3,13 ff. 164420 3,14,1 771 3,27,6 771, 16420

Digesta Iustiniani 1,1,1 133277 1,2,2,35 ff. 153374 1,8,1,1 244 2,1,15 41, 82 2,14,1,3 18481 3,3,1 pr. 255 3,3,45,2 54, 5410 3,5,30 pr. 258 3,5,37 21192, 214109 3,6,1 pr. 109162 5,1,2 pr. 4184 5,1,76 3139 6,1 101 6,1,5,4 33 6,1,37 247 6,1,43 101129 6,2 115 6,2,4 8653, 117196, 146335 6,2,5 115 7,1,34,1 277 9,3,5,5 141318 11,7,14,6 141318 12,1,13,2 246 12,1,14 99118, 99119 12,1,14 Satz 1 99117 12,1,18 38, 251, 252, 27230 12,1,18 pr. 2, 38, 522, 526, 6, 17, 194, 196, 20242, 204, 20663, 214, 215120, 228, 233, 243 ff., 272, 273, 292, 296, 299, 307 12,1,18,1 243 12,1,19,1 9176 12,1,31,1 24723 12,4–7 140311

Quellenregister 12,4 101 12,4,1 92 12,4,4 27967 12,5 101 12,5,4 92 12,6 77, 83 f., 86, 94 ff., 100 ff., 154, 291 12,6,1 77, 83, 84 ff., 8444, 8546, 93, 94, 96, 99, 99121, 100, 101, 104145, 105, 105146, 12,6,26,9 98 f. 12,6,29 95 f. 12,6, 46 97 f. 12,6,54 8971 12,6,56 9496 12,6,57 9497 12,6,65 101130, 105 ff., 105148, 106152, 107, 107154, 109165, 110, 113, 140, 141 12,6,65,1 107155, 108156 12,6,65,3 9496, 104 12,6,65,4 138299 12,6,65,5–8 140 12,6,65,7 9497, 101130, 112 12,6,66 8548, 9496, 132 ff., 143 ff. 12,6,67,4 9497 12,7 132, 143, 145, 166, 291, 302 12,7,1 141318, 142 ff., 145 12,7,1 pr. 141 12,7,1,1 144326 12,7,1,3 143323, 143326, 144 12,7,2 144 f. 13,1 90, 101 13,1–3 140311 13,5,1,5 148 13,6,17,3 102133, 255154, 227170, 227171, 257 f. 13,7,1,2 232, 32 14,6,9,1 99118, 99119 16,1,19,5 24723 17,1,1,4 25564 17,1,10,7 253 ff. 17,1,12,12 256 17,1,26,8 25875 17,1,30 277 18,1,9 2618, 28 ff., 1704, 17224, 1934, 300 18,1,9 pr. 2825, 2930, 31

18,1,9,1 18,1,9,2

343

2930, 30, 3033, 31 30, 3142, 32, 3245, 49, 1706, 262 18,1,11 1706 18,1,14 3245 18,1,15 pr. 49 18,1,35,1 1958 18,5,3 247 19,1,21,2 31 ff., 48, 49, 49115, 69, 1704, 17224, 174, 261 ff. 19,1,29 17744 19,2,52 197, 199, 20347 19,5,5,2 104145 19,5,20 pr. 244 19,5,24 24723 19,5,25 101130 22,3,25 pr. 228173 22,6,9,6 104145 24,1,3,9 122 24,1,3,10 122 24,1,3,12 125229, 143326, 185, 18588 24,1,3,13 125229 24,1,5,3 119207 24,1,5,18 139 24,1,6 139 24,1,23 278 24,1,36 139306 24,1,39 117 ff., 122220, 123, 185, 292, 302 24,1,6 143323 24,3,55 102132 26,8,9,2 97 27,3,5 102133 28,5,4 pr. 232 28,5,9,2 20347 28,5,9,3 20347 30–32 190 30,4 pr. 3771 30,15 pr. 20347 30,30 pr. 45102, 46102, 49, 50120 30,30,6 50120 30,34,1,3–5 49119 30,50,3 129260 30,53,2 27652 30,82 pr. 177 30,84,5 190109 30,108,4 177 31,87 pr. 49119

344

Quellenregister

32,11,15 287113 32,29,1 202, 20347 32,101 pr. 190110 33 190111 33,7,27 27967 34 190111 35,2,87,1 54, 5410 36,3,1,3 232195, 38,2,42,2 129260 38,4,1,7 224151 38,10,1 27968 38,10,3 27968 39,2,13,8 232195, 24723 39,3,19 8229, 8230 39,3,20 8230 39,5,1 pr. 2612 39,5,5 210, 237 39,5,19 223 39,5,19,2 222 39,5,29 pr. 89 39,6,35,3 104, 104145 41,1 278, 27862 41,1,5,5 1958 41,1,9,3 522, 626, 134280, 284105, 285111, 286 41,1,10,5 172 41,1,31 pr. 522, 62, 65, 6558, 81, 83, 116195, 127 ff., 137, 180, 279, 280, 281, 284, 288, 289119, 292, 302 41,1,31,1 131 41,1,33 26810 41,1,34 26810 41,1,35 4083, 4183, 267, 2671, 2674, 268, 26810, 297, 308 41,1,37 278 41,1,44 153374 41,2,3 pr. 44 41,2,3,1 3877 41,2,3,4 18793 41,2,3,21 159 41,2,18,1 40 41,2,18,2 4496 41,2,23 pr. 6978, 26315 41,2,34 pr. 232, 3460, 36 ff., 4083, 41, 48, 174 41,2,38,1 42 41,3,10 pr. 156389

41,3,27 152 41,3,33 146335 41,3,46 146335, 147 ff. 41,3,48 155 ff., 159 41,4 ff. 160 41,4,2 pr. 156388, 159 ff. 41,4,7,4 146335 41,4,11 156386 41,5,3 158 41,7,6 152 41,8 160 41,10,3 151 ff., 302 41,10,4,2 160 41,10,5 152363 42,5,31 pr. 148 43,16,18 pr. 4082 44,2,14,2 18793 44,7,1 pr. 164 44,7,1,2–6 164 44,7,1,5 165421 44,7,1,6 165421 44,7,5 164 44,7,5,3 77, 771, 89, 163 ff., 302 44,7,17 177, 188, 190109, 277 44,7,18 725 44,7,19 277 44,7,55 181 ff. 45,1,1,4 20347 45,1,22 49117 45,1,56,7 190109, 191114 46,3,14,8 9176, 96, 97, 97107 46,3,34,7 236 46,3,44 148 46,3,46 pr. 148347 46,3,46,1 148 46,3,60 150353 46,3,78 9182 46,3,91 223 46,3,94,1 246, 49119 46,5,2,2 247 47,2 101 47,2,14,1 251 47,2,68,5 101127 50,16 100, 107153, 26918 50,16,8 100125 50,16,22 100125 50,16,25 pr. 134 50,16,34 100125

345

Quellenregister 50,16,35 100125 50,16,75 100125 50,16,81 100125 50,16,176 5726 50,16,211 714 50,16,213,1 134 50,16,246 100125 50,17 148, 269, 26918, 27020 50,17,1 148 50,17,47 27967 50,17,53 8968

50,17,54 50,17,69 50,17,82 50,17,110 pr. 50,17,159

416 224 8968 20240, 204 186 f.

Codex Iustinianus 3,42,1 25670 4,5,11,1 8549, 113 6,29,3 pr. 283

3. Nachjustinianische Quellen Bürgerliches Gesetzbuch

Basiliken 50, 1, 35

§  929 Satz 1 §119 Abs. 1 §  155

15 , 171 12

Decretum Gratiani Causa 23, quaestio 2 103138

524, 48108 48108 201

Astikos Kodix (Griechisches Zivilgesetzbuch) Art. 1034

524

II. Literarische Quellen Cicero, Ad Atticum

Livius, Ab urbe condita

2,4,1 218

1,32,5–14

Cicero, De officiis

Martialis, Epigrammata

1,36 103138 1,47 20982 1,59 217

4,37 219135 5,52 21086 8,37 219135 9,102 219135 10,11 21086

Cicero, De legibus 2,21,53

190105

Cicero, Laelius de amicitia 58

217124

102 f.

Plinius Senior, Naturalis Historia 13,92

32

346

Quellenregister

Seneca, De beneficiis 1,2,3 218 1,4,3 20983, 227169 1,4,5 212104 1,6,1 226162, 228 2,18,5 227167 2,18,6 225 f. 2,18,8 225 f. 2,19,2 227166 2,21,5 227168 2,31,1 226 3,10,1 21192 4,39,2 21192 4,40,4–5 222140 128

5,20,1 225, 226 5,20,6–7 102136 5,21,2 102136 6,27,2 219 6,35,3 222140 6,40,1 226161 6,42–43 218129 6,42,1 221, 222139

Dante, Commedia Canto 6

1