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German Pages 340 Year 2020
Christoph Haker Immanente Kritik soziologischer Theorie
Praktiken der Subjektivierung | Band 17
Editorial Poststrukturalismus und Praxistheorien haben die cartesianische Universalie eines sich selbst reflektierenden Subjekts aufgelöst. Das Subjekt gilt nicht länger als autonomes Zentrum der Initiative, sondern wird in seiner jeweiligen sozialen Identität als Diskurseffekt oder Produkt sozialer Praktiken analysiert. Dieser Zugang hat sich als außerordentlich produktiv für kritische Kultur- und Gesellschaftsanalysen erwiesen. Der analytische Wert der Kategorie der Subjektivierung besteht darin, verwandte Konzepte der Individuierung, Disziplinierung oder der Habitualisierung zu ergänzen, indem sie andere Momente der Selbst-Bildung in den Blick rückt. So verstehen sich die Analysen des DFG-Graduiertenkollegs »Selbst-Bildungen. Praktiken der Subjektivierung in historischer und interdisziplinärer Perspektive« als Beiträge zur Entwicklung eines revidierten Subjektverständnisses. Sie tragen zentralen Dimensionen der Subjektivität wie Handlungsfähigkeit und Reflexionsvermögen Rechnung, ohne hinter die Einsicht in die Geschichtlichkeit und die Gesellschaftlichkeit des Subjekts zurückzufallen. Auf diese Weise soll ein vertieftes Verständnis des Wechselspiels von doing subject und doing culture in verschiedenen ZeitRäumen entstehen. Die Reihe wird herausgegeben von Thomas Alkemeyer, Gunilla Budde, Thomas Etzemüller, Dagmar Freist, Rudolf Holbach, Johann Kreuzer, Sabine Kyora, Gesa Lindemann, Ulrike Link-Wieczorek, Norbert Ricken, Reinhard Schulz und Silke Wenk.
Christoph Haker, geb. 1986, ist Soziologe (M.A.) und Lehrer (M.Ed.). Er promovierte im DFG-Graduiertenkolleg »Selbst-Bildungen. Praktiken der Subjektivierung in historischer und interdisziplinärer Perspektive« und im Promotionsprogramm »Kulturen der Partizipation« an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Er forscht sowohl im Bereich der theoretischen Soziologie als auch in der Erziehungswissenschaft.
Christoph Haker
Immanente Kritik soziologischer Theorie Auf dem Weg in ein pluralistisches Paradigma
Die vorliegende Arbeit ist eine gekürzte Version, der von der Fakultät I - Bildungs- und Sozialwissenschaften der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg angenommenen Dissertation zur Erlangung des Grades eines Doktors der Philosophie (Dr. phil.). Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG).
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2020 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-5075-4 PDF-ISBN 978-3-8394-5075-8 https://doi.org/10.14361/9783839450758 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschaudownload
Inhalt
Danksagung .............................................................................. 6 1.
Spiele mit sich selber ............................................................... 8
2.
Die Ungründbarkeit soziologischer Theorie ........................................ 32
3. 3.1. 3.2. 3.3. 3.4. 3.5.
Die immanente Kritik der soziologischen Differenz ................................ 54 Eine kritische Haltung für ein pluralistisches Paradigma........................................56 Die soziologische Differenz .............................................................................. 71 Theorie als Subjektivierungsregime ................................................................... 79 Immanenz der Kritik und Iterabilität soziologischer Theorie ..................................106 Zwischenfazit.............................................................................................. 135
4. 4.1. 4.2. 4.3. 4.4.
Die bedingte Freiheit und Normativität soziologischer Theorie .................... 140 Der Vollzug der eigenen Sozialtheorie................................................................ 146 Die Selbstverortung in der Gesellschaft ............................................................. 179 Die Normativität soziologischer Theorie ........................................................... 260 Zwischenfazit.............................................................................................. 287
5.
Die Ambivalenz der soziologischen Differenz ......................................290
Literatur ............................................................................... 303
Der Fuchs, so hatte er bei Isaiah Berlin gelesen, der damit ein Fragment des Archilochos zitierte, sei einer, der viele Dinge wisse, der Igel aber nur eine große Sache, und Kraft fand so viel Trost in diesem Essay, dass er den Unterschied zwischen dem Wissen des Fuchses und dem Wissen des Igels zum Thema seiner philosophischen Dissertation an der Freien Universität machte. Bereits in den ersten Sätzen jenes Essays fand er sich wieder, im skeptischen Denken des großen Ideengeschichtlers, der praktischerweise auch noch von Margaret Thatcher geschätzt wurde, denn Berlin war der Meinung, dieser dunkle Satz des Archilochos mit dem Igel und dem Fuchs lasse sich zwar einfach so verstehen, dass der Fuchs trotz seiner Schlauheit vor der einzigen Waffe des Igels, die, so fand zumindest Kraft, abstoßender Weise auch noch eine runde Sache war, kapitulieren musste, sie lasse sich aber, weil – auch dies Krafts eigene Interpretation – die Dinge nie einfach waren, auch ganz anders lesen, nämlich dergestalt, dass sich der denkende Teil der Menschheit grob in zwei Klassen einteilen ließe, eben in die der Igel und die der Füchse, wobei die Igel ihr gesamtes Denken einem einzigen ordnenden, universalen Prinzip unterstellten und sich damit einem System verschrieben, welches allein allem, was sie seien und sagten, Bedeutung verliehe, während die Füchse unter den Denkern sich weigerten, ihr Denken einem System zu unterwerfen und stattdessen frei flottierend das Wesen einer großen Vielfalt von Erlebnissen und Gegenständen um ihrer selbst willen ergriffen und es sich versagten, auf ein widerspruchsloses, unabänderliches und vollständiges Ganzes zu hoffen. Eine tiefe Kluft sei zwischen diesen beiden Arten von Menschen auszumachen, las Kraft bei Berlin, und er pflichtete ihm mit heißem Herzen bei; oh ja, und er, Kraft, war unverkennbar ein Fuchs, und es würde seine Aufgabe sein, so war er überzeugt, Berlin, diesem intellektuellen Fidibus, mit ernsthafter Wissenschaftlichkeit Schützenhilfe zu leisten, was hieße, diese Kluft historisch herauszuarbeiten und epistemologisch wasserdicht zu begründen, doch dieses Unterfangen gestaltete sich schwieriger als gedacht, wie sich in den kommenden Jahren herausstellte, denn Isaiah Berlin bedurfte eigentlich seiner Unterstützung nicht, und zudem gebärdete sich Kraft bei seinem Unterfangen, wie er selbst ein ums andere Mal zusehends frustriert und verzweifelt feststellen musste, wie der Oberigel, indem er das unsystematische Denken der Füchse mit System beweisen wollte, und dabei half es auch nicht, dass er im Grunde genommen eine versteckte Agenda verfolgte, denn es ging ihm ja beileibe nicht nur darum, unvoreingenommen den Unterschied zwischen den Igeln und Füchsen herauszuarbeiten, sondern vor allem darum, Letztere als irgendwie hellsichtiger, was das wahre Sein der Dinge betraf, zu qualifizieren; auch dies an sich schon eine ziemliche Igelei Jonas Lüscher – Kraft
Danksagung
Ich danke meiner Familie für alles. Britta, Finn und Marie haben mir bei den Korrekturen der Arbeit sehr geholfen. Mit den Teilnehmenden des Promotionsprogramms Kulturen der Partizipation, des DFG-Graduiertenkollegs Selbst-Bildungen, des praxistheoretischen Forschungskolloquiums von Thomas Alkemeyer, des DoktorandInnenkolloquiums von Ulrich Bröckling, der PhD and Post-GraduateWorkshops von Hauke Brunkhorst, des Bremer Kolloquiums zur Politischen Theorie von Martin Nonhoff sowie mit Jörg Holkenbrink vom Theater der Versammlung konnte ich Ausschnitte aus meiner Arbeit gewinnbringend diskutieren. Marta Mazur und Robert Mitschke waren eine große Hilfe. Björn Bertrams, Nikolaus Buschmann, Hannes Glück, Laura Holderied, Marie Hoppe, Jutta Nikel, Thore Prien und Andrea Querfurt standen mir mit kollegialem Rat zur Seite. Diana Cichecki, Rafael Alvear, Leon Wolff, Sebastian Zick und Lukas Otterspeer haben große Teile der Arbeit gelesen und mir hilfreiche Rückmeldungen und Hinweise in zahlreichen Gesprächen gegeben. Martin Butler hat mich als Leiter des Promotionsprogramms Kulturen der Partizipation bei der inhaltlichen Arbeit und der praktischen Umsetzung unterstützt und meine Arbeit geprüft. Thomas Alkemeyer verdanke ich viele kritische Hinweise, Freiraum für eigene Gedanken und die gute Einbindung an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Ulrich Bröckling hat mich nicht nur während der Entstehung der Arbeit sehr gut betreut. Er hat mich in meinem Studium an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg darin bestärkt, überhaupt eine solche Arbeit zu beginnen. Hauke Brunkhorst hat mir den Zugang zur Soziologie erst ermöglicht. Seiner Unterstützung über all die Jahre kann ich hier nicht gerecht werden und sie hat mit dieser Promotion kein Ende gefunden. Vielen Dank!
Es gibt im Leben Augenblicke, da die Frage, ob man anders denken kann, als man denkt, und anders wahrnehmen kann, als man sieht, zum Weiterschauen oder Weiterdenken unentbehrlich ist. Man wird mir vielleicht sagen, daß diese Spiele mit sich selber hinter den Kulissen zu bleiben haben; und daß sie bestenfalls zu den Vorarbeiten gehören, die von selbst zurücktreten, wenn sie ihre Wirkung getan haben. Aber was ist die Philosophie heute – ich meine die philosophische Aktivität –, wenn nicht die kritische Arbeit des Denkens an sich selber? Und wenn sie nicht, statt zu rechtfertigen, was man schon weiß, in der Anstrengung liegt, zu wissen, wie und wieweit es möglich wäre, anders zu denken? Michel Foucault – Der Gebrauch der Lüste Das ist die Logik der verdummenden Pädagogik, die Logik der direkten und identischen Übertragung: es gibt etwas – ein Wissen, eine Fähigkeit, eine Energie auf der einen Seite – in einem Körper oder einem Geist –, das auf eine andere Seite übergehen soll. Was der Schüler lernen muss, ist das, was der Lehrer ihn lehrt. Was der Zuschauer sehen soll, ist das, was der Regisseur, ihn sehen lässt. Was er fühlen soll, ist die Energie, die er ihm überträgt. Dieser Vorstellung von Ursache und Wirkung, die der Kern der verdummenden Logik ist, setzt die Emanzipation ihre Trennung entgegen. Das ist der Sinn des Paradoxes vom unwissenden Lehrmeister: Der Schüler lernt vom Lehrmeister etwas, was der Lehrmeister selbst nicht weiß. Er lernt es als Wirkung der Beherrschung, die ihn dazu zwingt zu suchen und diese Suche zu verifizieren. Aber er lernt nicht das Wissen des Meisters. Jacques Rancière – Der emanzipierte Zuschauer
1. Spiele mit sich selber
Spätestens seit 1968 ist Theorie nur noch als gesellschaftliche Praxis zu verstehen (Bude 2018; Felsch 2016: 70-73; kritisch Ferry/Renaut 1987: 9-47). Damit gerät Theorie in ein Spannungsverhältnis zwischen Objektivismus und Subjektivismus. Einerseits beziehen sich Theorien auf die objektive gesellschaftliche Wirklichkeit, über die sie wahre oder falsche Aussagen treffen, und bekommen damit selbst objektiven Charakter. Andererseits werden Theorien gemacht und bringen damit eine subjektive und auch normative Perspektive auf Welt zum Ausdruck. Innerhalb der institutionalisierten Wissenschaft zeigt sich dieses Spannungsverhältnis, weil sich einerseits ein Verständnis von Theorie etabliert hat, das diese als eine Sammlung von falsifizierbaren Gesetzesaussagen versteht. Dieser Objektivismus wird andererseits durch die These angegriffen, dass Theorie keinen prinzipiellen epistemologischen Vorrang gegenüber anderen kulturellen Denk- und Anschauungsformen hat. Dieses Spannungsverhältnis besteht seit einiger Zeit und wird von Heinz Bude (2018) mit dem Fallbeispiel Klaus Bregenz reflektiert. Bregenz erkennt laut Bude, dass innerhalb der Praxis der Theorie individuelles und kollektives Unbewusstes aufeinandertreffen. »Aber aus dieser Einsicht in das Unbewusste der Theorie konnte Klaus Bregenz keine Energie für weitere wissenschaftliche Arbeit schöpfen. Im Gegenteil: Er verhedderte sich in einer Kaskade der Dekonstruktion, an deren Ende das Fazit stand, Theorien seien zum großen Teil Selbstexplikation der Theoretiker. Die haben mit ihrer Realität zu tun, aber nicht mit der der anderen. Wie ein enttäuschter Liebhaber wandte sich Klaus Bregenz ab von der Wissenschaft. Die Kritik geriet zur Abrechnung. Wenn man sich die Wissenschaft anschaut, muss man sagen, wie viel Schrott produziert wird. Die halten, weil sie irgendwelche Regeln einhalten, für objektiv, was genau besehen ziemlich subjektiv ist. Ich denke, daraus muss man die Konsequenz ziehen, wir haben lediglich singuläre Theorien von singulären Individuen für andere singuläre Individuen, die an singulären Theorien arbeiten. Zeig mal, was du damit machst, und ich überlege dann, was ich damit machen kann, und umgekehrt. Aber davon will der institutionalisierte Wissenschaftsbetrieb nichts wissen. Das hört sich weder heiter noch gelassen an.« (Bude 2018: 51-52)
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Immanente Kritik soziologischer Theorie
In meiner Arbeit geht es um soziologische Theorie und um den Versuch, eine ambivalente Position zu entwickeln, die es einerseits gestattet, Theorien als Arbeit an sich selbst, als eine Praxis der Subjektivierung zu verstehen. Andererseits soll dabei das objektive Moment von Theorien nicht bestritten werden. Auch das Fallbeispiel von Bude verweist darauf, dass in der Praxis der Theorie eine überindividuelle und transsubjektive Wahrheit entstehen kann, die sich nicht auf das individuelle (Un)Bewusste reduzieren lässt. Jeder guten soziologischen Theorie ist diese Ambivalenz in ihre Reflexion eingeschrieben, denn sie kann sich nur als Teil ihres Objektbereichs verstehen. Weil sie es aber ist, die sich so versteht, oszilliert sie andauernd zwischen Objektivismus und Subjektivismus. Im schlimmsten Fall zerrüttet dieses Oszillieren einem das Gemüt, wie Jonas Lüscher (2017: 164f.) es in seinem Theorieroman Kraft darstellt. Im besten Fall lässt sich dieses Oszillieren in eine andauernd produktive Selbstkritik lenken (Beck 1972; Bourdieu 2013a; Habermas 1972; Luhmann 1987e: 7-14). Auf die Spur dieses besten Falls begebe ich mich mit dieser Arbeit. Einleitend werde ich aus drei grundlegenden Aspekten der Soziologie das Verhältnis von soziologischer Theorie und Erfahrung thematisieren. Im Anschluss an die Explikation meiner Vorverständnisse und Vorannahmen werde ich zwei Leitfragen an die Praxis der Theorie formulieren. Drei grundlegende Aspekte der Soziologie Soziologie ist erstens nicht nur in dem Sinne Erfahrungswissenschaft, dass ihre Erkenntnisse auf Empirie gründen, sondern auch in dem Sinne, dass am Ursprung der Soziologie die Erfahrung der Gesellschaft steht. Durch die Empirie sind soziologische Erkenntnisse einerseits immer an die Erfahrungen Einzelner gekoppelt. Zu diesen Einzelnen gehört nicht zuletzt auch die Soziologin selbst. Sie bezieht sich zwar in ihrer Forschung häufig auf die Erfahrungen anderer, ihre soziologischen Erkenntnisse existieren aber nicht losgelöst von ihren eigenen Erfahrungen, im Feld, in der Universität und im Alltag. Andererseits entspringt die Soziologie auch aus der im 19. Jahrhundert kollektiv gemachten Erfahrung der Äußerlichkeit gesellschaftlicher Verhältnisse. Den einzelnen Menschen wird zu diesem Zeitpunkt die Kontingenz und Emergenz gesellschaftlicher Ordnungen und Veränderungen bewusst und diese Erfahrung wird zum Beispiel in der Öffentlichkeit, der Politik, der Erziehung und der Wirtschaft kollektiv geteilt.1 1
Wie alle Grenzen, ist auch die historische Grenze des 19. Jahrhunderts relativ willkürlich gewählt. Ich schließe mich dieser Grenze an, da sich spätestens zu diesem Zeitpunkt die westliche Moderne zumindest lokal durchgesetzt hat. Wie immer gilt, dass es auch anders möglich ist: Bauman (2000: 250) beginnt seine Geschichte der Entstehung der Gesellschaft im 16. Jahrhundert, da hier die Sorge um die Ordnung (Bauman 2000: 252) entsteht. Aus dem Wissen heraus, dass die soziale Ordnung durch Menschen hervorgebracht wird und demnach auch verbessert und verschlechtert werden kann, entstand die Moderne und mit ihr
1. Spiele mit sich selber
Aus dieser Kopplung von gesellschaftlichen Erfahrungen und Einzelnen entspringen Probleme soziologischer Forschung, beispielsweise in Bezug auf das richtige Verhältnis von Nähe und Distanz zum Forschungsgegenstand: Sind die Erfahrungen der Soziologin und die gesellschaftlichen Primärerfahrungen ihres Gegenstandes zu nahe beieinander, kann sie diese nicht reflektieren (Bourdieu 1976: 146ff.); gehen die Erfahrungen zu weit auseinander, kann die Soziologin die gesellschaftlichen Zusammenhänge, die sie untersucht, nicht verstehen (Bourdieu 1997). Damit ist soziologische Forschung nicht nur durch eine enge Kopplung an die Erfahrungen Einzelner gekennzeichnet, sondern steht immer in einem relationalen Verhältnis von Gesellschaft, Einzelnen, Soziologie und ihren Gegenständen (analog siehe die drei Faktoren des Erkennens – Individuum, Kollektiv und objektive Wirklichkeit – bei Fleck 1980: 56). Zweitens ist die Relationalität soziologischer Forschung nicht einseitig zu verstehen wie im häufig imaginierten Verhältnis eines autonomen Forschungssubjekts, das sein Forschungsobjekt konstruiert. Eine solche Imagination ist für Adorno (1977c: 742) die Normalform von Ideologie, insofern sie drei Aspekte verdeckt. Erstens handelt es sich bei Subjekt und Objekt um ein Wechselverhältnis, zweitens ist dieses begrifflich vermittelt, und drittens ist das Verhältnis insofern reflexiv, als Subjekt und Objekt selbst Begriffe sind und das Verhältnis zwischen Subjekt und Objekt durch ein Subjekt objektiviert werden kann. In Bezug auf das gesellschaftliche Verhältnis ist eine idealisierte Trennung von Subjekt und Objekt ebenfalls nicht eindimensional zu denken (Fleck 1980: 53-70). Vielmehr sind es die Gegenstände selbst, die die Soziologie in ihre Ordnung einzuschließen drohen (Bourdieu 2003c). die Furcht, dass menschliches Versagen die Welt ins Chaos stürzt (Bauman 2000: 251). Kennzeichen der Moderne sind die aus allgemeiner Kontingenz folgenden Gestaltungsmöglichkeiten und –notwendigkeiten in Verbindung mit Reflexion: Mit dem Eintreten der Moderne droht der Ausnahmezustand ein Normalzustand zu werden (Beck 1986: 31), denn die nächste Katastrophe haben die Modernen immer vor Augen. Als beispielsweise 1755 Lissabon durch einen Tsunami zerstört wurde, erschien dies derart sinnlos, dass Gottes Wille als Erklärung nicht mehr infrage kam (Nassehi 2012a; siehe auch Adorno 2003: 354f.). Egal wann man den Beginn der Moderne setzt (eine mögliche Liste liefert Jameson 2007: 37ff.), ihr entscheidendes Merkmal ist, dass die Kontingenz gesellschaftlicher Entwicklung in das Bewusstsein der Menschen rückt (Brunkhorst 1997b: 11-38). Es erscheint so, als könnte alles anders sein, auch wenn dadurch nicht alles möglich ist. Im 19. Jahrhundert erreicht dieses Bewusstsein einen Höhepunkt, indem sich die Idee der Gestaltungsmöglichkeit massiv verbreitet und zu einem Gestaltungsanspruch transformiert (Gumbrecht 1978). So ist es auch das 19. Jahrhundert, das als aufziehende Wissensgesellschaft (Osterhammel 2011: 44), die Formen und Institutionen Selbstreflexion und Selbstrepräsentation erfindet: Der Erfolg und die Verbreitung von Museen, Staatsarchiven, Nationalbibliotheken, Photographien, des Films und nicht zuletzt der wissenschaftlichen Sozialstatistiken und der Soziologie im Allgemeinen zeigen, dass das 19. Jahrhundert eine Epoche gesteigerter Selbstbeobachtung war (Osterhammel 2011: 26).
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Immanente Kritik soziologischer Theorie
Soziologie ist demnach immer auch selbst Objekt gesellschaftlicher Produktionsverhältnisse, statt diese nur zu objektivieren. Die Relationen soziologischer Forschung sind damit multidimensional in die gesamten gesellschaftlichen Verhältnisse um ihre Gegenstände herum verstrickt, das heißt, soziologische Forschungen strukturieren und bestimmen diese Verhältnisse und sind durch sie strukturiert und bestimmt (Bourdieu 2014f: 97; siehe auch Lefort 1990: 283ff.). Drittens hat Soziologie hat einen Ort innerhalb der Gesellschaft und die Relationen der Soziologie – zu ihren Gegenständen, zur Gesellschaft und zu Einzelnen – sind soziale Wechselverhältnisse. Diese Angleichung von Objekt- und Metaebene lässt eine einfache Unterscheidung von Subjekt und Objekt als Illusion erscheinen, weil das Subjekt/Objekt-Verhältnis selbst im Objektbereich der Soziologie auftaucht (Adorno 1977c: 742; Luhmann 1981d: 19). Dies führt zu einem historischen double bind jeder soziologischen Praxis: Zwar kann sich, ohne die soziologische Tradition und ohne die in ihr zu findenden Denk- und Anschauungsformen einzuüben, keine Soziologin von der Gesellschaft distanzieren und sie als Objekt konstruieren. Mit dieser Tradition und der Einübung ihrer Denk- und Anschauungsformen droht jeder Soziologe aber die Distanz zur Gesellschaft zu verlieren, denn die soziologische Tradition ist bereits Teil der gesellschaftlichen Wirklichkeit (Bourdieu 2013a: 279f.; Luhmann 2017: 981f.). Theorie und Erfahrung Diese drei grundlegenden Aspekte soziologischer Forschung – die an die Erfahrungen Einzelner gebunden ist, sich nur relational begreifen lässt und innerhalb gesellschaftlicher Ordnungen einem double bind verfällt – sind für die theoretische Forschung vor allem deshalb von Bedeutung, weil die Theorie selbst ein soziales Phänomen ist. Unter soziologischer Theorie verstehe ich in diesem Zusammenhang Denk- und Anschauungsformen, die sich innerhalb der soziologischen Tradition herausgebildet haben. Einzelne Soziologinnen können sich in diesen Formen einüben, indem sie soziologische Texte und Werke studieren, sich von Lehrenden unterrichten lassen und sich und ihre Welt mit den so gefundenen Denk- und Anschauungsformen konstruieren, beobachten und reflektieren (Bourdieu 2013a: 254-257; Luhmann 1974a; zur sozialen Bedingtheit jedes Erkennens siehe auch Fleck 1980: 53-70). Auf diesem Weg machen sie theoretische Erfahrungen (Foucault 1990: 50; Langemeyer/Rohrdantz-Herrmann 2015: 221-225) in einem spezifisch historischen Kontext, transformieren den möglichen Denkhorizont und die Denkformen der Soziologie und beeinflussen ihre Position und Subjektivierung innerhalb der Soziologie. Theorie und Erfahrung lassen sich also nicht endgültig voneinander scheiden (Bartelborth 2010; Beck 1972: 220; Bourdieu/Wacquant 2013: 220f.; Habermas 1972; Luhmann 1974a). Dies hat zur Konsequenz, dass der Dualismus von Theorie und
1. Spiele mit sich selber
Erfahrungen nicht nur von der Erfahrung her gedacht werden kann, die die Theorie bestimmt, sondern Erfahrung auch von der Praxis der Theorie selbst bestimmt wird. Von dieser zweiten Seite her, also von der Bestimmung und Strukturierung unserer Wahrnehmung und Erfahrung durch die von uns eingeübten Theorien, denke ich meine immanente Kritik der Theorie. Theorie und Gesellschaft Das Wissen um die Verstrickungen von Theorie, Einzelnen und gesellschaftlichen Verhältnissen unterscheidet nach Max Horkheimer (2011: 239) traditionelle und kritische Theorie. Er schreibt: »Es gibt keine Theorie der Gesellschaft, auch nicht des generalisierenden Soziologen, […] über deren Wahrheit anstatt in scheinbar neutraler Reflexion nicht selbst wieder handelnd und denkend, eben in konkreter geschichtlicher Aktivität, entschieden werden müßte« (Horkheimer 2011: 239). Horkheimer zeigt damit explizit auf, dass es die Praxis der Theorie und ihre gesellschaftlich bedingte Freiheit ist, welche Wahrheit erst herstellt. Die These der historischen und gesellschaftlichen Gebundenheit der Theoriebildung ist mittlerweile soziologischer common sense (siehe nur Hillmann 2007: 841f.; Pries 2014: 248ff.). Sie ist dadurch aber nicht banal geworden, wie die ganz unterschiedlichen Konsequenzen aus dieser Einsicht zeigen (siehe z.B. Brunkhorst 1978b: 3-21; Celikates 2009; Luhmann 1998: 13ff.; Zima 2004: 29f.). Horkheimer verdeutlicht dabei noch recht allgemein, dass jede Selbstreflexion nur scheinbar neutral und stattdessen als Reflexion Teil der konkreten geschichtlichen Aktivität ist und damit erst die Möglichkeit praktischer Vernunft schafft. Dieser Zusammenhang, den ich als Praxis der Theorie begreife, lässt sich nur in der paradoxen Lesart der Dialektik der Aufklärung (Horkheimer/Adorno 1988; siehe auch Degele/Dries 2005; 2010; Marchart 2013: 19) fassen: »Entzauberung der letzten Nische des Zaubers, nämlich des Motors der Rationalisierung, der Wissenschaft selbst: Entzauberung der Entzauberung« (Brunkhorst 1978b: 13; siehe auch Adorno 1986: 14f.). Dies ist der Grund, weshalb ich in dieser Arbeit jeden eindimensionalen Fortschrittsoptimismus in Bezug auf die Verwissenschaftlichung der Welt verneinen muss. Um kritisch zu sein, darf Theorie sich also nicht als neutrale Reflexion verstehen und Theoretiker dürfen die theoretische Arbeit nicht in ihrem Bewusstsein verorten. Stattdessen sind Theorien und die von Theoretikerinnen eingeübten Denkund Anschauungsformen gesellschaftliche Praxis. Diese Praxis führt zu Theorieeffekten (Bourdieu 1997: 781; 2013a: 283), die sich sowohl auf die Gesellschaft auswirken als auch auf die gesellschaftliche Position, die Wahrnehmung und das Denken
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der theoretischen Soziologen. Soziologische Theorie normalisiert also das Denken Einzelner, indem es dieses begrenzt und in routinierte Denkformen überführt. Theoriedebatten Nach den intensiven soziologischen Kontroversen (siehe Kneer/Moebius 2010) beispielsweise zum Werturteil, zum Positivismus, zur Anti-Soziologie und zum Konstruktivismus, die alle im letzten Jahrhundert stattfanden, erscheint mir die Debatte um die Praxis der Theorie abgekühlt und das wechselseitige Achselzucken (Habermas 1980: 235), das Habermas als Ergebnis des Positivismusstreits diagnostiziert, wurde durch die Gründung der Akademie für Soziologie vorerst manifestiert (siehe hierzu den Gründungsaufruf der Akademie für Soziologie 2017 und das Interview mit dem Vorsitzenden Hinz 2018; kritisch Scheffer 2017). Zwar wird das Verhältnis von Soziologie und ihren Gegenständen, der Gesellschaft und Einzelnen oft zum Thema der Theorie, die Theorie begreift ihre eigene Praxis aber häufig nicht als eine an Erfahrung gekoppelte, relational in gesellschaftliche Verhältnisse verstrickte und in soziale Kämpfe eingebundene Praxis (Steinweg 2015). Dies hängt mit dem hohen Generalisierungs- und Abstraktionsgrad und nicht zuletzt mit der Kälte soziologischer Theorie zusammen, sofern sie sich als wertfreie und nachprüfbare Gesetzesaussage versteht. In ihr kristallisieren entweder die an empirischen Fällen gewonnenen Erkenntnisse zu allgemeinen Kategorien oder sie liefert quasi-apriorische Annahmen über das Soziale und die Gesellschaft. In diesen zwei Perspektiven auf Theorie kommt vor allem ein teilnehmendes Interesse an Theorieentwicklung zum Ausdruck, das heute in weiten Teilen die Reflexion auf die Bedingungen der Möglichkeit und der Existenzweise von Theorie abgebrochen hat. Andererseits erscheint mir auch die anfangs angesprochene kulturwissenschaftliche Singularisierung von Theorie – zur Theorie singulärer Individuen für andere singuläre Individuen, die an singulären Theorien arbeiten (Bude 2018: 51) – wenig wünschenswert. In dieser Hinsicht enttäuschte Liebhaber (Bude 2018: 51) verkennen, dass Theorie an gesellschaftliches Bewusstsein anschließen kann und damit durchaus überindividuelle Geltung, wenn auch nicht zeit- und ortlose Geltung für sich beanspruchen kann. Die Vorstellungen und Diskussionen meiner Arbeit, die während ihrer Entstehung stattfanden, haben mir gezeigt, dass diese Arbeit vielleicht zu spät kommt, denn sie knüpft an die Diskussionen um den Zweck und die Art und Weise der Soziologie im Positivismusstreit der 60er und in der Theoriedebatten der 70er und 80er Jahre an. Philipp Felsch (2016; 2017: 50) hat in seiner Analyse des langen Sommers der Theorie festgestellt, dass die Theorie als Lebens- und Existenzform heute nicht mehr anzutreffen ist. So verstehe ich Theorie aber weiterhin. Umgekehrt wurde diese Zeit auch durch eine bestimmte Haltung geprägt, die zum erbitterten Streit zwischen Theorieschulen führte (Felsch 2016: 238). Diesen erbitterten Streit will
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ich gerade unterlaufen. Über ihn formuliert Hans-Jörg Rheinberger (2014: 132) im Rückblick auf seine eigene theoretische Sozialisation: »Die Frage in dieser Situation war letztlich, wer da recht hat. Jedenfalls war die Auffassung, daß irgend jemand recht haben mußte, sehr tief verwurzelt.« Für mich ist es auch nach der Aufarbeitung dieser Theoriekontroversen schwer, sie voll zu verstehen, weil ich aus einer gänzlich anderen Situation auf sie zurückschaue. Wenn ich einschlägige Sammelbände (etwa Adorno 1969; Adorno et al. 1980; Habermas/Luhmann 1971; Hondrich/Matthes 1978; Lüschen 1979; Topitsch 1972) lese, scheint es mir so, als wehe ein anderer Geist durch die Texte, als herrsche dort eine andere Ernsthaftigkeit, als seien die Probleme, die dort verhandelt werden, auf eine ganz andere Weise und auf ganz andere Erfahrungen, Lebenswelten und Umstände bezogen, die heute für mich kaum noch nachvollziehbar sind (siehe hierzu auch Hörisch 2010: 18). Während ich also an diese Debatten anknüpfe, spüre ich doch einen Bruch zu ihnen. Somit kommt meine Arbeit vielleicht doch nicht zu spät, sondern erst die historische Distanz, ja eine gewisse Loslösung der Theorie aus den damaligen Kontexten, ermöglicht es mir, Theorie zwar einerseits als Lebensform und Existenzweise zu verstehen, andererseits aber nicht etwa die Frage Bourdieu oder Luhmann? zur entscheidenden Frage zu machen (zu solchen Fragen siehe Felsch 2016: 238; Beck 1974: 18). Mit meiner Arbeit möchte ich die theoretische Forschung anheizen, indem ich eine Perspektive auf Theorie einnehme, die Theorien selbst als soziale Phänomene betrachtet. Dabei werde ich selbst theorieimmanent vorgehen, womit ich nicht zuletzt unterstreichen will, dass es nicht im Wesen soziologischer Theorien liegt, ob sie ihre reflexiven Anforderungen erfüllen, sondern in der Art und Weise, wie sie vollzogen werden (zu den drei Perspektiven auf Theorie siehe Kalthoff 2008: 12f.; zur Kontrastierung von Teilnehmer- und Beobachterperspektive in Bezug auf Theorie siehe die Kontroverse Lindemann 2005; Reckwitz 2005). Theoretische Erfahrung Michel Foucault (1989a: 10f.), an dem ich meinen Nachvollzug der Praxis der Theorie orientiere, charakterisiert Erfahrungen durch drei ineinandergreifende Perspektiven: Erstens gibt es Wissen, das sich auf die Erfahrung bezieht. In Bezug auf die von mir thematisierte soziologisch-theoretische Erfahrung geht es um Wissen, durch das diese Erfahrung reflektiert und wissenschaftlich legitimiert wird. Dieses Wissen formiert sich in soziologischer Wissenschaftstheorie. Zweitens gibt es Machtsysteme, die die Erfahrung regulieren. Die theoretische Erfahrung, um die es mir geht, wird demnach durch programmatische Aussagen und Texte reguliert, die ich als Reflexionsprogramme bezeichne (siehe auch Lynch 2000: 36; Woolgar 1988: 1724). Sie haben einen methodologischen Charakter und können als die Regierungskünste (Foucault 2006a: 14) soziologischer Theorie gelesen werden. Drittens können
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Einzelne sich in der Erfahrung als Subjekte erkennen und anerkennen. Dieser Prozess, indem Einzelne sich durch die Erfahrung zum Subjekt der Erfahrung machen lassen (wollen), ist der Prozess der Subjektivierung. Da Einzelne und Subjekt somit getrennt sind und nur über den Prozess der Subjektivierung verbunden werden, lässt sich, in Bezug auf die Praxis der Theorie, durch die theoretische Erfahrung ein Subjekt der Theorie analysieren, das losgelöst von Einzelnen existiert (siehe auch Fleck 1980: 58; 2014b: 333f.). Die soziologisch-theoretische Erfahrung hat ihren Ort innerhalb der Gesellschaft. Einerseits trifft man sie in der Universität an, andererseits taucht sie auch in anderen Praxisfeldern, in Politik und Verwaltung, im Journalismus und in der Werbung, in Ratgebern und Coachings auf (Beck/Bonß 1984; Beck 2015; Bourdieu 2013a: 283). Die theoretische Erfahrung, die Einzelne mit der Praxis der Theorie machen können, hat aber nicht nur einen Ort, sie hat auch einen Zeitkern (Hörisch 2010: 15f.). Das heißt, die theoretische Erfahrung Einzelner wird nicht nur durch ihre Position innerhalb der Gesellschaft ermöglicht und beeinflusst, sondern sie ist auch durch den historischen Moment bestimmt, an dem diese Erfahrung gemacht wird. Meine folgende Rede in erster Person Singular dient also nicht dazu, Erfahrungen zu individualisieren, sondern diese Kontextabhängigkeit theoretischer Forschung zu verdeutlichen und das Wissen über diesen Sachverhalt über die ganze Arbeit, wenn auch nur latent, wachzuhalten (zur Relevanz des Studienverlaufs und des Studienortes für das eigen Rollenbild und Disziplinverständnis von Soziologinnen in Deutschland siehe Kiefer/Panzer/Weinbrenner 2018). Ich folge damit dem Bonmot Dahrendorfs (1989: 2): »Soziologie ist das, was Leute, die sich Soziologen nennen, tun, wenn sie von sich sagen, daß sie Soziologie betreiben. Mehr nicht.« Vorannahmen dieser Arbeit Aufgrund dieser Überlegungen zur Soziologie und theoretischen Erfahrung, lassen sich an meiner eigenen Theoriesozialisation Vorannahmen dieser Arbeit verdeutlichen. Als Student mache ich Erfahrungen mit theoretischen Denk- und Anschauungsformen, indem ich in Texten und Diskussionen mit ihnen konfrontiert werde und indem ich mich und meine Welt durch diese Formen beobachte. So ist soziologische Theorie Teil meiner Erfahrungswelt und schränkt die Möglichkeiten meiner Erfahrung selektiv ein. Auf diese Weise komme ich zu Erkenntnissen über die Praxis der Theorie, eine Praxis, mit der jede Soziologin in ihrer Arbeit konfrontiert ist. Theorie, so lautet eine erste Vorannahme meiner Arbeit, hat innerhalb der Soziologie etwas Unbedingtes. Es gibt keinen theoriefreien Ort innerhalb der Soziologie. Weil Theorie damit gleichzeitig einen Ort hat, kann sie als ein empirisches Phänomen beobachtet werden, mit dem Soziologietreibende geradezu alltäglich konfrontiert sind und dem sie sich als Einzelne aussetzen müssen.
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Als ich 2011 mit einer Qualifikationsarbeit erste Erfahrungen mit der theoretischen Arbeit in der Soziologie machte, sah ich mich mit zahlreichen Namen und Theorieschulen konfrontiert. Ich stand als Quereinsteiger aus dem Lehramtsstudium einem Forschungsfeld gegenüber, das nicht zu überblicken war und konnte keine rationalen Maßstäbe entwickeln, um mich für eine bestimmte und gegen zahlreiche andere Theorien zu entscheiden (siehe zu diesem Problem auch Kuhn 1977b). Ich fand mich auf einem multiparadigmatisch verfassten Feld soziologischer Theorie (siehe auch Burzan 2019; Fischer 2014; Kneer/Schroer 2009; Osrecki 2018; Ritzer 1975) wieder, ohne einem Paradigma zugehörig zu sein und ohne die Herausbildung der Paradigmen historisch nachvollziehen zu können (siehe zu diesem Problem auch Beck 1972: 220; Fleck 2014b: 333; Osrecki 2018). Diese Erfahrung thematisierten auch Soziologiestudierende des ersten Semesters, als ich in der Position eines Tutors theoretische Texte mit ihnen gelesen und diskutiert habe (siehe zu dieser Erfahrung auch Esser 2002; Joas/Knöbl 2013: 35-36). In meiner ersten Qualifikationsarbeit hatte ich als starken Kontrast einen Betreuer zur Seite, der das Konfliktfeld soziologischer Theorie nicht nur sehr gut kannte, sondern es ganz anders wahrnehmen konnte, weil er über eine ganz andere historische Erfahrung verfügte. Immer wieder wurde mir in der Diskussion über konkrete Autoren und Texte klar, dass sich die Theorien für ihn viel stärker als gewachsene Perspektiven darstellten, die in Theoriedebatten und soziologischen Kontroversen wechselseitig aufeinander reagierten und sich an diesen Diskussionen weiterentwickelten. Er konnte aufgrund seines Alters auf Erfahrungen zurückgreifen, die er seit den 60ern mit der Theorieentwicklung machen konnte, während die Theorien, die sich seit dieser Zeit konstituiert haben, sich mir als geschlossene Systeme präsentierten, die kaum zu durchdringen waren (siehe auch Osrecki 2018; diese historische Entwicklung erkennt auch Bourdieu 2002: 126f. in Bezug auf sein eigenes Werk). Ein möglicher Umgang mit diesem Problem ist es, die Selektion der Gegenstands- und Theoriewahl bereits vor einem ausführlichen Studium der Theorie abzuschließen (Osrecki 2018). Die Themenwahl war an persönliche Erfahrungen gekoppelt, die bekanntlich die Voraussetzung dafür sind, dass etwas überhaupt als wissenswert erscheint (Weber 1988a: 510f.; 1988b: 598f.; siehe auch Tenbruck 1984: 132ff., 203-230). In der kontingenten Theoriewahl orientierte ich mich an meinem Betreuer, auch wenn er mir hierzu kaum Hinweise gab und keine Vorschriften machte. Die Wahl fiel also recht willkürlich auf die Systemtheorie. Die Denk- und Anschauungsformen, die ich hier finden konnte und in Bezug auf mein Thema einübte, ermöglichten mir theoretische Erfahrungen, die ich im Vorfeld nicht erwartet hatte. Die Erfahrungen lassen sich hier kaum zusammenfassen, für mich tat sich mit ihnen aber eine völlig neue Perspektive auf die Welt auf, die es mir ermöglichte, mich und alles um mich rum in einem neuen Licht zu betrachteten (siehe auch Kuhn 1973: 164f.). In dieser Erfahrung, dass ein Paradigma soziologischer Theorie nicht nur in der Lage ist, mir Antworten auf meine
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Fragen zu geben, sondern mich so zu verändern, dass sich mir in einer neuen Welt ganz neue Fragen stellten (Kuhn 1973: 28f.), liegt der Ursprung der vorliegenden Arbeit. Ich lernte soziologische Theorie als eine Wirkung auf mich kennen, die sich verstärkte, je mehr ich die systemtheoretischen Denk- und Anschauungsformen beherrschte (siehe auch Rancière 2008: 24). Es ist also die zweite Vorannahme meiner Arbeit, dass die Relation von Theorie und Theoretikerin etwas mit Macht zu tun hat: Die Theoretikerin kann die Theorie nicht einfach wie ein neutrales Instrument nutzen, das unabhängig von ihr besteht. Stattdessen wirkt die Theorie, insbesondere ihre Denk- und Anschauungsformen, auf die Theoretikerin ein, und das umso stärker, je besser die Theoretikerin die Theorie beherrscht. Dass die Theoretikerin durch die Theorie gleichermaßen vorausgesetzt wie auch hergestellt wird, gilt, auch wenn in diesem Prozess die Theorie erst hervorgebracht wird. Im weiteren Verlauf meiner Sozialisation durch soziologische Theorie hatte ich das Glück, abweichende theoretische Erfahrungen zu machen. Als ich 2012 in Freiburg ein ordentliches Soziologiestudium begonnen habe, hatte ich die naive Auffassung, Soziologie sei das, was mein bisheriger Betreuer, an einem sehr kleinen Institut mit nur einem soziologischen Lehrstuhl, machte. Ich wurde durch die Erfahrungen, die ich im Studium bei anderen Lehrenden machen konnte, schnell eines Besseren belehrt und habe Einblicke in andere soziologische Denk- und Anschauungsformen bekommen, die jene Verunsicherung reaktualisiert haben, die am Anfang meines Quereinstiegs stand. Die bereits erwähnte Voraussetzung für theoretische Forschung wurde mir hier mehr als deutlich. In den vier Semestern in Freiburg konnte ich gewissermaßen am eigenen Leib erfahren, dass es gar nicht möglich ist, sich in allen Denk- und Anschauungsformen einzuüben (Joas/Knöbl 2013: 35), und so wurde die Frage immer dringlicher, wie ich überhaupt zwischen Theorien wählen kann, wie ich mich entscheiden kann und was diese Entscheidungen mit mir und meiner Perspektive auf die Welt machen. Gleichzeitig bestätigte sich die zweite Vorannahme in den zahl- und lehrreichen Diskussionen mit Kommilitonen. Wir waren alle so beherrscht von den Denk- und Anschauungsformen, die wir beherrschten, dass wir häufig gar nicht anders konnten als aneinander vorbeizureden (siehe hierzu auch Hondrich 1976: 24). Aus dieser theoretischen Erfahrung folgt eine dritte Vorannahme: Statt nach einem rationalen Grund zu suchen, warum die eine Theorie allen anderen vorzuziehen sei, ist es sinnvoller, sich in den unterschiedlichen Denk- und Anschauungsformen soziologischer Theorie einzuüben und so einen multiperspektivischen soziologischen Blick zu entwickeln. Durch diese Vorannahme und die theoretischen Erfahrungen, aus denen sie hervorgegangen ist, wird gleichzeitig das Ziel meiner theoretischen Arbeit bestimmt. Denn über den Weg zu einer multiperspektivischen Soziologie ist durch eine Vorannahme noch wenig gesagt. Der naheliegende Weg, um einer multiperspektivischen Soziologie näherzukommen, erschien mir zu diesem Zeitpunkt die Methode des Theorievergleichs. Auch wenn ich die Möglichkeit eines besser/schlechter-Vergleichs, oder gar eines
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wahr/falsch-Vergleichs, schnell ausgeschlossen habe, hatte ich doch die Hoffnung, Richtlinien zu finden, die die Theoriewahl lenken konnten (siehe hierzu Fleck 2014a). Daher übte ich mich in anderen Denk- und Anschauungsformen ein, die die soziologische Tradition bereithielt. Besonders hervorzuheben ist hier das Werk von Michel Foucault. Im Studium seiner Arbeiten habe ich erneut Theorie als Wirkung erfahren, die meine Denk- und Anschauungsformen lenkte. Alles ließe sich als ein Komplex aus Macht, Wissen und Subjektivierung erfassen. Daraus folgte für mich, dass eine Analytik der Macht die Frage nach der Macht der Analyse stellen muss. Je weniger ich einen rationalen Maßstab zur Theoriewahl finden konnte, desto mehr erschien mit der Umgang mit soziologischen Theorien durch ein Netzt der Macht beeinflusst. Der Theorievergleich und die Suche nach Vergleichsmaßstäben stießen 2015 mit dem Beginn meines Promotionsstudiums in Oldenburg endgültig an ihre Grenzen. Die Diskussionen im Rahmen des Promotionsprogramms, des Graduiertenkollegs und der Doktorandenkolloquien, an denen ich teilnahm, haben mir die Erfahrung ermöglicht, dass es zwischen soziologischen Theorien eine Inkommensurabilität gibt. Hier konnten ich und meine Diskussionspartnerinnen sehr gut aneinander vorbeireden, was mir nicht nur zeigte, dass die Inkommensurabilität soziologischer Theorien jeden sinnvollen Vergleich verunmöglicht. Denn die Diskussionen, die ich an diesem neuen Ort führen konnte, liefen keineswegs ins Leere. Ganz im Gegenteil veränderten sie mich. Mir wurde in der theoretischen Erfahrung klar, dass die Inkommensurabilität soziologischer Theorien von mir verlangt, dass ich ein anderer werden muss, abhängig davon, mit welcher Theorie ich mich und die Welt um mich herum betrachte (zur Inkommensurabilität siehe Feyerabend 1986: 34; Fleck 2014a: 220; Kuhn 1973: 130f.). Diese Erfahrung ermöglichte es mir, das Werk Pierre Bourdieus zu studieren und mich erneut in Denkund Anschauungsformen einzuüben, die umso stärker auf mich einwirkten, je besser ich sie beherrschte (hierzu auch Bourdieu 1991: 276). Die theoretischen Erfahrungen, die ich im Promotionsstudium gemacht habe, an dessen Ende diese Arbeit steht, haben mich zu einer vierten Vorannahme für diese Arbeit geführt. Es gibt eine Inkommensurabilität soziologischer Theorien. Um eine Theorie zu verstehen und ihre Denk- und Anschauungsformen zu praktizieren, muss ich mich der Theorie unterwerfen. Ich muss mich von der Theorie regieren lassen und mich dem Subjekt der Theorie, als Nicht-Ort und Realfiktion, annähern, um sie überhaupt verstehen zu können. Weil Theorien inkommensurabel sein können, muss ich ein Anderer werden, wenn ich eine andere Theorie betreiben will. Invasive Introspektion Mit dieser vierten Vorannahme lässt sich das Ziel meiner Arbeit in zwei Richtungen abgrenzen. Die Notwendigkeit zu dieser Abgrenzung leite ich aus einer Beobach-
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tung Ludwik Flecks (2014b: 329) von 1939 ab, der erkennt, dass die wissenschaftssoziologische und wissenschaftstheoretische Historisierung der wissenschaftlichen Wahrheiten zu zwei Seiten abzurutschen droht: »Doch vor allem droht folgende Gefahr: Die Generation der zukünftig wissenschaftlich Arbeitenden wächst im Glauben heran, daß es die Wahrheit im guten alten Sinne des Fachs nicht mehr gibt. Einige werden zu Fanatikern, da man ihnen das Vertrauen in die Vernunft genommen hat, andere werden zynisch, denn sie erkennen, daß es keine noch so große Dummheit gibt, die nicht dank schlauer intensiver Propaganda Anerkennung fände.« Wie Fleck sehe ich die Lösung des Problems, keinen rationalen und letztgültigen Maßstab für die Theoriewahl zu finden, nicht darin, die von Zeit und Ort unabhängige wahre Wissenschaft zu verteidigen. Stattdessen geht es darum, eine Haltung zu entwickeln, die die Notwendigkeit paradigmatischer Praktiken in Wissenschaft anerkennt und dennoch nicht dogmatisch wird. Gegen den Willen zur Einheitstheorie, der auch ein Wille zur Macht ist (Hörisch 2010: 13), plädiere ich für eine multiperspektivische Soziologie. Gegen den Eklektizismus und ein theoretisches Laissez-faire, also gegen die Einstellung, dass mit intensiver Propaganda alles durchzusetzen wäre, bin ich der Überzeugung, dass Theorien paradigmatisch betrieben werden müssen, wenn ihr volles Erfahrungs- und Erkenntnispotenzial entfaltet werden soll (so auch Bourdieu 1975: 33; Fleck 2014a: 219; Kuhn 1963: 349). Das bedeutet für die Praxis der Theoretikerin, dass sie sich einerseits nicht in einer Theorie, in einem Paradigma verlieren darf und andererseits in den Momenten, in denen sie in einer bestimmten Theorie arbeitet, voll in dieser aufgeht und damit alle anderen Perspektiven ausgrenzt. Diese vier Vorannahmen – die Unbedingtheit der Theorie für die soziologische Arbeit, die Machtrelation zwischen der Theorie und der Theoretikerin, der Vorzug eines multiperspektivischen soziologischen Blicks und die Inkommensurabilität soziologischer Theorien – ergeben sich aus Erfahrungen, die ich in meiner soziologischen Sozialisation gemacht habe. Diese Vorannahmen leiten die Reflexion an, aus der diese Arbeit entstanden ist. Ich verstehe meine Arbeit damit als kritische Intervention in meine eigene soziologische Sozialisation und als Emanzipation von bestimmten soziologischen Schulen und Traditionen, die eine bestimmte Theorie gegen alle anderen durchsetzen wollen bzw. auf eine grand theory, Theorieintegration oder allgemein auf die Einheit theoretischer Soziologie hinarbeiten (dies versucht jüngst Wagner 2012; 2013; Wagner/Müller 2014; prinzipielle Einwände finden sich bei Fleck 1980: 53-70; 2014a: 219f. und in Bezug auf die Soziologie bei Reckwitz 2005). Diese intervenierende Dimension meiner Arbeit ist also eine invasive Introspektion, wie sie Ternes (1999) allein in Bezug auf das Verhältnis von Mensch und System innerhalb der Systemtheorie durchgeführt hat. Es handelt sich hier also um einen nach innen gerichteten Eingriff in meine theoretische Praxis und
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damit um ein Spiel mit mir selbst. Die invasive Introspektion ist aber keine narzisstische Nabelschau. Ich verstehe meine Arbeit darüber hinaus als Versuch, das Feld soziologischer Theorie zu beleben und als Aufruf zu mehr theoretischer Praxis. Soziologische Theorie ist kein Buch mit sieben Siegeln. Sie ist eine Praxis und vollzieht sich in einer Form. Die Denk- und Anschauungsformern der soziologischen Theorie können unter der Voraussetzung der Handlungsentlastung erkannt, eingeübt und vollzogen werden. Gleichzeitig kann diese Praxis unterbrochen und durch andere Denk- und Anschauungsformen ersetzt werden. Nach außen möchte ich also zeigen, dass es nicht die Theoretiker sind, die Theorie machen und die wir rezipieren können, sondern dass wir alle Theorie machen, indem wir uns in Theorie bewegen, sie lesen und verstehen oder missverstehen, mit ihr die Welt betrachten und letztlich denken. Es besteht also die Gefahr, dass die von mir geschilderten Erfahrungen so individuell sind, dass ich mit dieser Arbeit in eine narzisstische Reflexion (Bourdieu 2016) abgleite, in der meine theoretische Erfahrung zur reinen Selbstlegitimation wird. Dagegen spricht bereits, dass die invasive Introspektion auf Selbsttransformation abzielt (Eribon 2018: 56ff.). Noch wichtiger ist aber die soziologische Grundthese, dass die Erfahrungen, die Einzelne in der Gesellschaft machen, nicht einfach individuelle Erfahrungen sind, sondern als Produkt der Gesellschaft kollektiv geteilt werden können. Auch wenn ich die grundlegenden Vorannahmen meiner Arbeit nicht durch empirische Forschung generalisieren kann, halte ich es für plausibel, dass sie sich aus Erfahrungen ergeben, die auch andere gemacht haben oder zumindest gemacht haben könnten. Doch auch die Leserin, die diese Erfahrungen nicht teilt, braucht meine Arbeit zu diesem frühen Zeitpunkt nicht zur Seite zu legen. Michel Foucault (1996: 33) schreibt über Erfahrungen: »Die Erfahrung ist etwas, was man ganz alleine macht und dennoch nur in dem Maße uneingeschränkt machen kann, wie sie sich der reinen Subjektivität entzieht und andere diese Erfahrung – ich will nicht sagen: exakt übernehmen, aber sie doch kennen und nachvollziehen können.« In diesem Sinn von Erfahrung, die immer relational und verzeitlicht zu denken ist, ist meine Arbeit eine kritische Intervention, die sich an Leserinnen richtet, die die skizzierten Erfahrungen teilen können. Darüber hinaus ist meine Arbeit aber durchaus anschlussfähig, weil sie selbst als Erfahrung dient. Für den, der sie schreibt, und für die, die sie lesen. Erfahrung ist damit nicht nur etwas, das uns zufällt, sondern wird durch uns fabriziert (Foucault 1996: 30) und kann somit Wahrheiten unterminieren, die uns momentan selbstverständlich erscheinen. Das würde bedeuten, dass auch Leserinnen, die meine Erfahrungen und die daraus folgenden Vorannahmen nicht teilen können, etwas von der Lektüre dieser Arbeit haben können, insofern sie mit meiner Arbeit ein andersartiges Wahrheitsspiel als das ihre beobachten können.
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Eine Urgeschichte der Theorie Es gibt Hinweise, die mich in der Annahme bestätigen, dass es sich bei der Entwicklung der Vorannahmen aus meinen Erfahrungen auf dem Feld theoretischer Soziologie nicht um eine narzisstische Reflexion handelt. Beispielsweise finden sich solche Hinweise in Hans Blumenbergs (1987) Urgeschichte der Theorie um die Figur des Thales von Milet und der lachenden Thrakerin. Diese Geschichte entfaltet ihre Kraft dadurch, dass sie die Spannung zwischen Theorie und alltäglicher Erfahrung zum Ausdruck bringt (Blumenberg 1987: 11). Thales spazierte nachts durch die Stadt und beobachtete die Sterne. Dabei muss er einen Brunnen übersehen haben, in den er hinein fiel. Dieses wurde von einer thrakischen Magd beobachtet, die ihn für seine Unachtsamkeit auslachte. Blumenberg (1987: 12) schreibt hierzu: »Was der Astronom zu sehen hatte, um seiner Wissenschaft Fortgang zu verschaffen, können wir erschließen; was er wirklich gesehen hat, um von seiner theoria gefesselt zu werden, wissen wir nicht. Wir können nur abstrakt und idealisierend über diesen Anfang denken; seine Verflochtenheit mit der Götterfülle der Welt bleibt uns unzugänglich. Für die thrakische Magd, die den Milesier nächtlich in der unzweckmäßigen Haltung wandeln sieht, liegt es nahe zu vermuten, sie habe ihn bei seinem Götterkult ausgespäht. Dann stürzte er zu Recht, denn seine Götter waren die falschen.« Blumenberg verdeutlicht entlang dieser griechisch-antiken Geschichte eines Hans Guck-in-die-Luft zwei Aspekte von Theorie, die eine Analyse der Praxis der Theorie erschweren. Theorie können wir erstens nicht sehen und wir neigen allzu schnell dazu, das exotische Verhalten von Theoretikerinnen als ein Schauspiel zu betrachten, das wir uns mit unseren eigenen Denk- und Anschauungsformen erklären (Blumenberg 1987: 9). Dass die Magd in den Handlungen des Thales einen Götterkult vermutet, lässt uns mehr über die Theorie der Magd als über die Theorie des Thales erfahren. Auch dass sich der Blick von Thales auf die Sterne richtet, hilft uns nicht weiter, denn wir können zwar selbst Theorien über diese Sterne aufstellen, wir wissen aber nicht, ob wir damit dieselbe Anschauung vollziehen, die Thales vollzogen hat. Es bleibt uneinsehbar, ob Thales von seiner theoria der Sterne oder anderen Träumereien in den Bann gezogen wurde. Diese beiden Einschränkungen – eine Theorie zum theoretischen Verhalten ist nicht mit der Theorie zu verwechseln, die dieses Verhalten bestimmt (siehe auch Luhmann 1974a: 253), und aus der Analyse des Gegenstandes einer Theorie lässt sich noch nicht viel über die Theorie sagen (siehe auch Kuhn 1973: 36) – verdeutlichen, dass die Analyse der Praxis der Theorie zwar bei theoretischen Texten beginnen kann. Die Praxis der Theorie hat aber einen Ort innerhalb der Gesellschaft und einen Zeitkern und kann somit nur situativ an uns selbst beobachtet werden. Hinweise auf die mögliche Entindividualisierung meiner Vorannahmen lassen sich dennoch finden.
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Erstens wird durch die Anekdote auf die Unbedingtheit von Theorie verwiesen. Sowohl der Fall des Thales als auch das Lachen der Magd stehen in einem Zusammenhang zu Theorien. Im ersten Fall zu einer Theorie, die sich auf die Sterne richtet, im zweiten Fall zu einer Theorie, die sich auf das Verhalten des Astronomen richtet. Die beiden Perspektiven verdeutlichen aber auch, dass der Zusammenhang zwischen Theorie und Verhalten nicht notwendig ist, sie sind der kontingenten Situation geschuldet. Zweitens wird damit deutlich, dass Theorie sich nicht identisch wiederholen lässt, indem man die Handlungen eines Theoretikers in Bezug auf dieselben Gegenstände nachvollzieht. Theorie ist immer an die Erfahrungen gebunden, die in einer spezifischen Situation mit ihr gemacht werden können; um die Praxis der Theorie zu analysieren, muss ich sie mir also selbst aneignen und damit mich und die Theorie verändern. Drittens machen die Einschränkungen darauf aufmerksam, dass es eine Inkommensurabilität zwischen theoretischen Denk- und Anschauungsformen gibt. Die Magd kann Thales entweder als Astronom oder als Opfer eines fehlgeleiteten Götterkultes betrachten. Beides gleichzeitig ist nicht möglich. Drittens wird durch Blumenberg hervorgehoben, dass es kaum zu entscheiden ist, welcher Theorie der Vorzug zu geben ist. Historisch lassen sich sowohl Lesarten finden, in der die Magd offensichtlich nicht im Stande ist, die philosophische Arbeit des Thales zu verstehen und entsprechend wertzuschätzen, als auch Lesarten, die sich dem Lachen der Magd anschließen, um sich von der Theorie als solcher zu distanzieren (Blumenberg 1987: 160-162). Mit der Geschichte vom Hans Guck-in-die-Luft existiert sogar eine moralisierende Version, die das Verhalten, den Kopf in den Wolken zu tragen, generell ablehnt. Viertens wird ein Aspekt von Theorie durch diese Geschichte besonders offensichtlich. Weil Thales Astronom war und Theorien über den Sternenhimmel aufstellte, wird es möglich, sich Thales als jemanden zu denken, der von seiner theoria in den Bann gezogen worden ist. In dieser Erzählung ist er so stark den Denk- und Anschauungsformen verhaftet, dass er den Boden unter seinen Füßen aus den Augen verliert. Die Eigenmacht der Theorie wird in dieser Geschichte eindrücklich dargestellt. Das besondere Verhältnis von soziologischer Theorie und ihren Gegenständen, der Gesellschaft und Einzelnen ist aber nicht dasselbe wie jenes von Thales zu den Sternen. Ich möchte daher betonen, dass die Macht der soziologischen Theorie immer relational und zirkulär zu denken ist. Die Relation von Einzelnen und Theorie kommt in den Denk- und Anschauungsformen zum Ausdruck, die von den Einzelnen eingeübt werden müssen und durch die sie sich und die Theorie verändern. Wenn ich also von Macht der Theorie spreche, dann geht es mir nicht darum eine einseitige Wirkung zu behaupten, sondern meine Analyse von der Theorie aus zu beginnen und andere Faktoren in der theoretischen Forschung auszublenden. Hierzu sehe ich mich veranlasst, weil es häufig die Theoretikerinnen selbst sind, die dazu neigen, die Theorie allzu ernst zu nehmen (Hörisch 2010: 13), und weil ich wiederum eine solche Selbstthematisierung in der Praxis der Theorie ernst nehmen
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kann. Blumenbergs Urgeschichte der Theorie handelt dagegen vom Lachen der Thrakerin und erinnert gegen eine Überschätzung der Theorie daran, dass am Anfang der Theorie gelacht wurde. Dies ist ein hilfreiches Korrektiv in der theoretischen Forschung, das darauf verweist, dass es nach wie vor möglich ist, in der theoretischen Arbeit über Theorie zu lachen, auch wenn dieses Lachen selten erklingen mag (Felsch 2016: 112f.). Um das Spiel auf dem Feld soziologischer Theorie aber als ein fröhliches, multiperspektivisches Spiel betreiben zu können, möchte ich in dieser Arbeit mehr über die Macht der Theorie herausfinden. Hieraus ergeben sich meine Fragen an soziologische Theorie. Die methodologische Frage Die Genealogie der Theorie, die Hans Blumenberg anhand der Geschichte von Thales von Milet und der lachenden Thrakerin erzählt, macht ein methodologische Problem deutlich. Die Praxis der Theorie lässt sich nicht analysieren, indem man das Verhalten der Theoretikerinnen beobachtet oder ihre Gegenstände untersucht. Die erste Frage ist also eine methodologische: Wie lässt sich die Praxis der Theorie analysieren? Ein Großteil meiner Arbeit beschäftigt sich mit dieser Frage. Durch meine Vorannahmen kann die Fragestellung präzisiert werden, indem ich genauer feststelle, was unter der Praxis der Theorie zu verstehen ist. Dieses Denken der Theorie ist, wie Blumenberg feststellt, notwendig abstrakt und individualisiert. Es findet also in einem Gedankenexperiment statt, das aus den Vorannahmen zur Praxis der Theorie entsteht. Weil soziologische Theorien eine Machtrelation zu Theoretikern eingehen und sich inkommensurabel gegen andere Theorien abschließen, bringen sie sich selbst in reflexiven Ordnungsbeziehungen hervor (siehe hierzu Kuhn 1973: 130-143, 155f.; Otte 1996: 203). Das bedeutet, dass die Praxis der Theorie bestimmte Denk- und Anschauungsformen bereithält, durch die sie sich selbst in Bezug auf die gesellschaftliche Ordnung, ihre Gegenstände und Einzelne thematisiert. In meiner Analyse interessiere ich mich für die Denk- und Anschauungsformen der Theorie, die gleichzeitig Startpunkt und Ziel der Praxis der Theorie sind. Dabei geht es mir vor allem um die Grenzen dieser Formen, weil ich hier Unterbrechungen und Risse vermute, die eine kritische Intervention als invasive Introspektion ermöglichen. Mit meinen Vorannahmen lässt sich die methodologische Frage also wie folgt präzisieren: Wie lassen sich die reflexiven Ordnungsbeziehungen theoretischer Soziologie formal und immanent kritisieren? Die gegenstandsbezogene Frage Die gegenstandsbezogene Frage meiner Arbeit richtet sich offensichtlich auf Theorien. Ich beschränke mich hierbei auf die Systemtheorie Niklas Luhmanns und die Praxistheorie Pierre Bourdieus. Beide Theorien zeichnen sich dadurch aus, dass sie hochgradig reflexiv sind und somit ihre reflexiven Ordnungsbeziehungen an
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vielen Stellen explizieren. Sie eignen sich auch für meine Analyse, weil sie auf dem deutschsprachigen Feld soziologischer Theorie etabliert sind und somit viele Soziologinnen auf Erfahrungen mit diesen Theorien zurückgreifen können. Die zahlreichen Kontroversen um Systemtheorie und Praxistheorie deuten zudem darauf hin, dass es starke Differenzen in ihrer Praxis der Theorie gibt, dass es sich um inkommensurable Theorien handelt und dass sie somit geeignete Perspektiven auf dem Weg zu einer multiperspektivischen Soziologie sind. Die gegenstandsbezogene Frage lautet: Wie vollziehe soziologische Theorien ihre Praxis? Auch diese Frage lässt sich durch einige Vorannahmen meiner Arbeit spezifizieren. Ich habe bereits argumentiert, dass die Theorien, insofern sie inkommensurabel sind, sich selbst in ihrer Praxis hervorbringen. Sie müssen sich demnach von etwas Anderem unterscheiden. Die Differenz zu diesem Anderen bezeichne ich als soziologische Differenz. Durch sie unterscheidet sich die soziologische Theorie von der Gesellschaft, von anderen Theorien und reflexiv von sich selbst. Daher lautet meine spezifisch gegenstandsbezogene Frage: Wie stellen sich soziologische Theorien in ihren soziologischen Differenzen durch die reflexive Praxis der Theorie her? Zusammenfassung Zusammenfassend lässt sich sagen: Es geht mir in dieser Arbeit darum, einen Umgang mit soziologischer Theorie zu finden, in dem Theorie weiter als Existenzweise und Lebensform verstanden wird. Es geht mir darum, eine Haltung einzunehmen, die es mir erlaubt, mich auf dem multiplen, heterogenen Feld soziologischer Theorie zurechtzufinden, ohne mich auf Dauer für eine Theorie entscheiden zu müssen. Das Problem, einen multiperspektivischen Umgang mit der Heterogenität auf dem Feld der Soziologie finden zu können, verdoppelt sich, wenn die Reflexion auf den eigenen Umgang mit dem multiplen Feld soziologischer Theorie wiederum durch soziologische Theorien bestimmt ist. Aus diesem Grund sehe ich die Lösung in der Einnahme einer spezifischen kritischen Haltung, also nicht in einer metatheoretischen Perspektive auf dieses Feld. Stattdessen sehe ich die Lösung in einer theoretischen (Selbst)Reflexion auf die durch die Theorien angeleiteten Positionierungen und Subjektivierungen. Diese Haltung bezeichne ich als kritische Haltung Foucaults (1990; 1992), die, wie Karsten Schubert (2018) argumentiert, eine bedingte Freiheit ermöglicht, und zwar Freiheit als Fähigkeit der reflexiven Kritik der eigenen Subjektivierung. Diese Reflexion kann die Kontingenz der Grenzen der Theorien öffnen und so einen gelebten Theoriepluralismus ermöglichen, der durch geschlossene Theorien verunmöglicht wird. Zwar werden Gegenmodelle hierzu, also etwa der Anspruch einer facheinheitlichen Theorie, einer Universaltheorie, ja sogar der Anspruch einer Substitutionskonkurrenz zwischen Theorien heute kaum noch vertreten, was den Weg für eine multiperspektivische theoretische Praxis eigentlich freigeräumt haben müsste. Es handelt sich hierbei aber zunächst nur um
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eine Verunsicherung im Umgang mit Theorien der Soziologie, die selbst noch nicht ausreichend theoretisiert ist (Baecker 2015: 811) und für die es an Konzeptionen des produktiven Umgangs fehlt. Der doppelte Sinn davon, mit mir selbst zu spielen, ist demnach folgender: Einerseits ist diese Arbeit auf mich selbst gerichtet, weshalb ich über ihre Effekte und Wirkungen auf Andere nur spekulieren und auf sie hoffen kann. Andererseits bedeutet das, was Foucault (1989a: 15f.) im vorstehenden Zitat als Spiele mit sich selbst beschreibt, auch, sich im Denken gegen sich selbst einzuüben, indem man austestet, inwieweit es möglich ist, anders zu denken. Diese unabschließbare Übung verstehe ich als Versuch einer theoretischen Ent-Unterwerfung und damit bedingtautonomen theoretischen Subjektivierung meiner Selbst. In Bezug auf die soziologische Theorie geht es also auch darum, wie ich mich auf diesem Feld als relativ autonomes Subjekt konstituieren kann, wie ich also die bedingte Freiheit, die mir dieses Feld einräumt, ausleben kann. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Nicht mehr heißt: Es geht mir nicht darum, soziologische Theorien zu widerlegen. Gerade die Wirkmacht, die Theorien in ihren Reflexionen entfalten, halte ich für ein Qualitätsmerkmal soziologischer Theorie. Es geht mir nicht darum, soziologische Theorien weiterzuentwickeln, sondern das Vertrauen in die Theorien zu erschüttern. Es geht mir nicht darum, eine neue soziologische Theorie zu begründen oder zu konstruieren, sondern die reflexive Intoleranz soziologischer Theorien zu unterlaufen. Es geht mir nicht darum, meinen Umgang mit der Vielfalt soziologischer Theorie zum einzig richtigen oder gar einzig wahren Programm soziologischer Theorie zu erheben, sondern darum, aus den immanenten Notwendigkeiten unterschiedlicher soziologischer Theorien ihre Kontingenz abzuleiten und damit die individuellen Möglichkeiten und Freiheitsgrade zu erhöhen. Nicht weniger heißt: Es geht mir darum, auf dem Feld soziologischer Theorie mit den Praxen soziologischen Theorien zu experimentieren. Es geht mir um die Erprobung einer kritischen Haltung, die auf diesem Feld durchaus störend, irritierend und als Fremdkörper erscheinen kann. Es geht mir darum, neue theoretische Erfahrungen zu machen und die Möglichkeiten für einen neuen Umgang mit der multiparadigmatischen Verfasstheit soziologischer Theorie aufzuzeigen. Es geht mir darum, durch diese Tätigkeit meine Subjektivierung auf dem Feld soziologischer Theorie zu transformieren. Um dies zu erreichen, gliedert sich diese Arbeit folgendermaßen. Übersicht der Kapitel Im Kapitel zur Ungründbarkeit soziologischer Theorie (2.) werde ich das Problem meiner Arbeit skizzieren. Ausgehend von der postfundamentalistischen Annahme, dass soziologische Theorie in der Gesellschaft und dem Sozialen kein festes Fundament finden kann, beschreibe ich dieses Verhältnis von soziologischer Theo-
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rie und Gesellschaft als Ordnungsbeziehungen. Die bisherigen Thematisierungen der Ordnungsbeziehungen innerhalb der Soziologie weisen, so meine Diagnose, einen metatheoretischen Bias auf. Mit metatheoretischem Bias meine ich, dass die Ordnungsbeziehungen anderer Theorien in der Regel im Modus externer Kritik analysiert werden. Eine solche Kritik geht in der Regel mit einer Vergegenständlichung und Verortung der kritisierten Theorien innerhalb der Gesellschaft der kritisierenden Theorien einher. Dieses Verhältnis hat zur Folge, dass sich zwischen soziologischen Theorien Kommunikations- und Verständnisblockaden aufbauen und es zu methodologischen Immunisierungen der kritisierenden Theorien kommt. Im Anschluss an diese Problematisierung stelle ich die immanente Kritik der Praxis der Theorie als Alternative zur externen Kritik vor und konkretisiere die Ziele meiner Arbeit. Erstens geht es mir darum, in der Umsetzung dieser Arbeit die methodologischen Ansprüche zu erfüllen. Zweitens soll auf diesem Weg ein Ergebnis geliefert werden, indem ich Reflexionsblockaden soziologischer Theorie genauer bestimme, die sich aus spezifischen Selbstreflexionen, verstanden als Praxis von Theorien, ergeben. Drittens verfolge ich mit dieser Arbeit das normative Ziel, die Kontingenz soziologischer Theorien zu öffnen und so ihr selbstkritisches Potenzial zu entfalten. Im methodologischen Kapitel arbeite ich die Stoßrichtung der immanenten Kritik der soziologischen Differenz (3.) aus. Methodologie verstehe ich hier im weitesten Sinne als theoretische Lehre des Verfahrens, die mir dabei behilflich ist, der anfangs skizzierten Problematisierung (2.) nachzugehen. Das heißt, dass ich im dritten Kapitel die methodologische Frage beantworte: Wie lassen sich die reflexiven Ordnungsbeziehungen theoretischer Soziologie formal und immanent kritisieren? Im ersten Teil dieses Kapitels (3.1) liefere ich die philosophische Begründung meiner Stoßrichtung. Hierzu erläutere ich zunächst meinen eigenen Standpunkt in Bezug auf soziologische Theorie anhand der kritische Haltung Foucaults. Diese Haltung lässt sich in Bezug auf soziologische Theorien einnehmen, indem das kontrainduktive Vorgehen nach Feyerabend eingesetzt wird. So kann ich im Anschluss an Foucault und Feyerabend ein Plädoyer für ein pluralistisches Paradigma formulieren. Es geht dabei zunächst nicht um Selbstbefreiung aus einem Paradigma, sondern um Selbstlosreißung (Steinweg 2015: 169f.) von den eingespielten paradigmatischen Routinen. Im zweiten Unterkapitel (3.2) formuliere ich die Heuristik dieses Vorgehens. Der heuristische Bezugsrahmen der soziologischen Differenz ist die Antwort auf die Frage, wie sich die reflexiven Ordnungsbeziehungen theoretischer Soziologie formal und immanent analysieren lassen. Durch die soziologische Differenz unterscheidet sich die soziologische Theorie von ihrem Anderen und reflektiert diese Unterscheidung als eine Ordnungsbeziehung. Dieses Andere differenziere ich, indem ich drei Aspekte der soziologischen Differenz bestimme. Erstens unterscheiden sich soziologische Theorien von der Gesellschaft, indem sie sich in der Gesellschaft verorten. Zweitens un-
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Immanente Kritik soziologischer Theorie
terscheiden sich soziologische Theorien von anderen (Selbst)Beschreibungen der Gesellschaft. Drittens unterscheiden sich soziologische Theorien in Selbstreflexionen von sich selbst. Im Anschluss an diese Bestimmung der soziologischen Differenz zeige ich die Ambivalenz dieses Begriffs auf, der einerseits heuristischer Bezugsrahmen und andererseits Praxis der Theorie ist. In dieser Ambivalenz liegt der Schlüssel zum Erfolg meiner Arbeit. Denn wenn es gelingt, durch einen selbständigen heuristischen Bezugsrahmen immanente Kritiken unterschiedlicher soziologischer Theorien zu formulieren, dann ist es möglich, eine Bewegung im Sinne des pluralistischen Paradigmas auf dem Feld der soziologischen Theorie zu vollziehen. Im dritten Unterkapitel (3.3) formuliere ich die machtanalytische Dimension meiner Methodologie entlang der Begriffe Macht, Subjekt und Regierung. In Bezug auf den Begriff der Macht geht es mir zunächst darum, zu plausibilisieren, dass es eine Macht der Theorie gibt, die die Denk- und Anschauungsformen Einzelner lenkt. Diese Konzeption der Macht der Theorie führt mich zu einer tieferen Auseinandersetzung mit dem Subjekt der Theorie und der Regierung durch Theorie. Unter Subjekt der Theorie verstehe ich einen sozialen, gesellschaftlichen Ort, der von Einzelnen besetzt werden muss, um analysierbar zu sein. Damit ist das Subjekt gleichzeitig ein Nicht-Ort und eine zu analysierende Realfiktion, in der Einzelne nie vollständig eingeschlossen werden können. Die Analyse der Regierung durch Theorie flankiert die Analyse des Subjekts der Theorie. Hier wird der Blick auf einen Komplex gerichtet, der bestimmt, wie Denkweisen und Menschen miteinander verflochten sind. Ich bezeichne diese Analyse als Gouvernementalitätsforschung soziologischer Theorie. Am Ende des dritten Unterkapitels verbinde ich meine Überlegungen zur Macht der Theorie, zum Subjekt der Theorie und zur Regierung durch Theorie, indem ich das Subjektivierungsregime soziologischer Theorie skizziere. Eine solche Analyse verschränkt die Paradoxie des Subjekts der Theorie – als Nicht-Ort gleichzeitiger Unterwerfung und Ermächtigung – mit der Paradoxie der Regierung – als real wirkende Intervention und Fiktion totaler Regierbarkeit. Das Subjekt der Theorie und die Regierung durch Theorie sind also nicht getrennte Antworten auf die Frage Was macht Theorie?, sondern zwei Seiten derselben Medaille. Im vierten Unterkapitel (3.4) meiner methodologischen Ausarbeitungen stelle ich mein Immanenzdenken dar. Dies mache ich entlang der Begriffe Immanenz, Iterabilität und Subversion. Immanenz bezeichnet für mich eine Relation. Durch die Reflexion auf den Standort meiner Kritik kann ich Probleme und Gefahren verdeutlichen, mit denen die unterschiedlichen Formen der Kritik konfrontiert sind. Die immanente Kritik ist mit dem Problem konfrontiert, dass sie immer schon Teil des Kritisierten ist und somit in die Affirmation des Kritisierten abzudriften droht. Innerhalb der hochgradig reflexiven Praxis soziologischer Theorie liegt die Gefahr der reflexiven Intoleranz: Soziologische Theorien laufen Gefahr, ihr eigenes Reflexionsniveau in eine solche Höhe zu heben, dass sie intolerant gegenüber alternativen Theorieangeboten werden. Nach außen wirkt es dann allerdings, als beschäftigten
1. Spiele mit sich selber
sich soziologische Theorien nur noch mit sich selbst. Auf die Iterabilität der kritisierten Praxis ist jede Form der immanenten Kritik angewiesen. Mein Anliegen ist es, die theoretischen Denk- und Anschauungsformen in der Kritik zwar nachzuvollziehen, um die Praxis der Theorie und deren Grenzen zu erkunden. Kritisch ist dieses Vorgehen aber erst dann, wenn sich die Iterabilität des Nachvollzugs bestätigt und es zu einer Transformation des Vollzogenen kommt. Zum Abschluss des vierten Unterkapitels stelle ich vier Verfahren der immanenten Kritik der soziologischen Differenz vor. Mit diesen Verfahren versuche ich die Praxis der Theorie in ihrem Nachvollzug zu unterlaufen. Es handelt sich daher um Verfahren der Subversion. Im ersten Verfahren geht es darum, die Prinzipien des Ausschlusses sichtbar zu machen. Das zweite Verfahren verhält sich komplementär zum ersten Verfahren, da es nicht auf die Momente des Ausschlusses verweist, sondern die immanenten Ideale einer Denk- und Anschauungsweise aufführt. In einem dritten Verfahren kann auf bereits eingestandene Irrtümer in einer Theorie hingewiesen werden. Viertens lässt sich ein Verfahrensbündel anführen, in dem es um die Subversivität des Lachens geht. Im analytischen Kapitel (4.) geht es um die bedingte Freiheit und Normativität soziologischer Theorie. Hier mache ich mir Selbstreflexionen der System- und Praxistheorie zum Gegenstand und nutze die im dritten Kapitel (3.) entwickelte methodologische Stoßrichtung, um mein analytisches Vorgehen zu lenken. Das heißt, dass ich im vierten Kapitel die gegenstandsbezogene Frage beantworte: Wie stellen sich soziologische Theorien in ihren soziologischen Differenzen durch die reflexive Praxis der Theorie her? Die Analyse im dritten Kapitel ist exemplarisch und tentativ auf die Systemtheorie Niklas Luhmanns und die Praxistheorie Pierre Bourdieus ausgerichtet. Sie dient mir einerseits dazu, eine Problematisierung durchzuführen, die sehr spezifische Reflexionsformen und damit Problematisierungsweisen innerhalb der System- und Praxistheorie analysiert. Andererseits verweist diese Problematisierung auf ein allgemeines Prinzip soziologischer Theorie. Dieses allgemeine Prinzip ist die soziologische Reflexion der bedingten Freiheit der Soziologie. Das vierte Kapitel ist in drei Unterkapitel eingeteilt, in denen jeweils die Praxis der System- und Praxistheorie analysiert wird, und zwar erstens deren Vollzug der eigenen Sozialtheorie (4.1), zweitens deren Selbstverortung in der Gesellschaft (4.2) und drittens die Normativität ihrer Reflexion in Abgrenzung zu alternativen Theorien (4.3). Ich habe meine Arbeit in dieser Einleitung aus dem gleichermaßen subjektiven wie objektiven Problem der Theoriewahl begonnen. Aus der persönlichen Erfahrung, dass ich mich zu Beginn meiner soziologischen Arbeit auf einem objektiv multiparadigmatisch verfassten Feld soziologischer Theorie wiederfand, ohne einem Paradigma zugehörig zu sein und ohne die Herausbildung der Paradigmen historisch nachvollziehen zu können, hat sich für mich die Notwendigkeit ergeben, einen Umgang mit der Multiparadigmatizität des Feldes soziologischer Theorie zu finden. Auf dieses Problem komme ich im Fazit (5.) zurück.Ich werde als
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Immanente Kritik soziologischer Theorie
Fazit nachzeichnen, wie der heuristische Bezugsrahmen der soziologischen Differenz mir dabei geholfen hat, einen Umgang mit der multiparadigmatischen Verfasstheit des Feldes soziologischer Theorie zu finden. Zu diesem Zweck gliedere ich das Fazit entlang der Ambivalenz der soziologischen Differenz, die einerseits als Heuristik von außen an die Theorien heran getragen wird und andererseits eine Praxis der Theorie ist. Die kritische Absicht dieser Arbeit ist die Öffnung der Kontingenz und die Ermöglichung eines pluralistischen Paradigmas. Ich habe, so meine abschließende These, im Vollzug der Praxis der Theorien entlang der soziologischen Differenz eine Möglichkeit gefunden, auf dem multiparadigmatischen Feld soziologischer Theorie mit genau diesen Praxen soziologischer Theorien zu experimentieren. In der kritischen Haltung ist es mir möglich, die Praxis von unterschiedlichen Theorien zu erproben, an ihre Grenzen zu gehen und diese Grenzen zu überschreiten. Damit habe ich mein normatives Ziel, die Öffnung der Kontingenz soziologischer Theorien, erreicht.
Die Gesellschaft ist widerspruchsvoll und doch bestimmbar; rational und irrational in eins, System und brüchig, blinde Natur und durch Bewußtsein vermittelt. Dem muß die Verfahrensweise der Soziologie sich beugen. Sonst gerät sie, aus puristischem Eifer gegen den Widerspruch, in den verhängnisvollsten: den zwischen ihrer Struktur und der ihres Objekts. Theodor W. Adorno – Zur Logik der Sozialwissenschaften
2. Die Ungründbarkeit soziologischer Theorie
Ich beginne mit dem praktischen Problem der Ungründbarkeit soziologischer Theorie. Soziologische Theorien sind grundlegend auf die Gesellschaft bezogen, die sie einerseits anschauen und der sie gleichzeitig entspringen. Durch die Art und Weise, wie sich soziologische Theorien auf die Gesellschaft beziehen, wird verhindert, dass sie mit dieser Grundlegung ein festes Fundament für ihre Praxis der Theorie schaffen. Dieses Problem ergibt sich aus einer Ambivalenz: Soziologie ist Teil ihres Gegenstandes und daher erforscht die Soziologie einerseits die Bedingungen ihrer eigenen Möglichkeit, ihr eigenes Fundament. Andererseits ist es eine zentrale These soziologischer Theorie, dass das Soziale und die Gesellschaft kontingente Phänomene sind, die nicht zuletzt aufgrund der soziologischen Forschung Veränderungen unterworfen sind. Daraus folgt, dass die Soziologie durch die Erforschung ihrer gesellschaftlichen Grundlegung ihr eigenes Fundament verändert. Dieser ambivalente Sachverhalt wird so zum Ausdruck gebracht, dass jede soziologische Theorie Erfindung der Gesellschaft ist. Die doppelte Bedeutung dieses Zusammenhangs – soziologische Theorie erfindet die Gesellschaft und wird durch die Gesellschaft erfunden – veranschaulicht, dass soziologische Theorie sich nicht dauerhaft auf eine Bestimmung des Sozialen oder der Gesellschaft als ihr Fundament berufen kann. Gesa Lindemann (2009: 31) bringt diesen paradoxen Zusammenhang zum Ausdruck, wenn sie die verworrene Beziehung von Sozialtheorie und der Gesellschaft beschreibt: »Ihrem Erkenntnisanspruch nach handelt es sich bei Sozialtheorien um formale Annahmen, die für die Analyse jeder Gesellschaft geeignet sind. […] Wenn die Ausbildung solcher Begriffe aber eine historisch gebundene soziale Praxis ist, wird der Anspruch auf universelle Gültigkeit uneinlösbar. Vielmehr ist zu vermuten, dass Sozialtheorien Konzepte enthalten, etwa von Subjektivität oder Beziehungen zwischen Subjekten, deren Eigenschaften durch die Denkmöglichkeiten derjenigen Gesellschaft bestimmt sind, in der sie formuliert werden.« Von dieser Gesellschaft, die die Denkmöglichkeiten soziologischer Theorie bestimmt, weiß die Soziologie letztlich nur vermittelt durch ihre eigene Gesellschaftstheorie. Diese greift allerdings genauso auf Begriffe zurück, die durch
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Immanente Kritik soziologischer Theorie
ihren Ort innerhalb der Gesellschaft und durch das, was gegenwärtig als soziale Praxis gilt, bestimmt sind (in diese Richtung argumentieren an zentraler Stelle auch Bourdieu 2013a: 269-287; 2013b: 9 und Luhmann 1998: 13f.). In einem Satz lässt sich das Wechselverhältnis innerhalb der Ordnungsbeziehung wie folgt fassen: Die soziologische Theorie, die das Soziale und die Gesellschaft objektiviert, ist also selbst soziales Phänomen und Objekt gesellschaftlicher Verhältnisse. Jeder Versuch der Eliminierung dieser unabschließbaren und ungründbaren Beziehung durch weitere Universalisierung der eigenen Theorie erscheint unmöglich. Jeder Versuch der Distanzierung von der gesellschaftlichen Ordnung als Differenzierung von soziologischer Theorie und sozialer Praxis führt nur tiefer in die verworrene Beziehung hinein (siehe auch Feyerabend 1986: 16f.). Soziologische Ordnungsbeziehungen Die prinzipielle Ungründbarkeit – Luhmann (2017: 8) nennt sie die Unbestimmbarkeitsproblematik und Bourdieu (2013a: 279) beschreibt sie als double bind – der soziologischen Beziehung zur Gesellschaft führt nicht etwa dazu, dass auf Fundierungsversuche verzichtet wird. Vielmehr ist es so, dass sich die Soziologie als genuin moderne Erscheinung, analog zu Habermas’ Charakterisierung der Moderne als Ganzes, andauernd selbst feststellen muss (Habermas 1988: 16; siehe auch Luhmann 2017: 7-18; zu Moderne und Soziologie siehe Beck/Bonß 1984; Fischer 2014: 352; Nassehi 2001; 2009: 13-24; zum allgemeinen Problem der wissenschaftlichen Reflexivität in der Neuzeit siehe Blumenberg 1996: 263ff.). Trotz prinzipieller Ungründbarkeit auf einem festen Fundament findet soziologische Theorie immer begründet statt. Das in den reflexiven Fundierungsversuchen hergestellte Verhältnis soziologischer Theorie zu gesellschaftlichen Ordnungen bezeichne ich im Folgenden als Ordnungsbeziehung. Solche Beziehungen sind vor allem dadurch charakterisiert, dass die Soziologie sich im Zuge ihrer Fundierungsversuche als soziales Phänomen versteht (4.1) und Selbstverortungen innerhalb der Gesellschaft vornimmt (4.2). Weil alle Versuche, die Ordnungsbeziehung soziologischer Theorie zur Gesellschaft festzustellen, als prinzipiell scheiternd und politisch kritisiert werden können (im Anschluss an Foucault siehe Vogelmann 2017: 22), bestimmt diese Praxisform nicht nur die Beziehung von soziologischer Theorie zur Gesellschaft. Sie bestimmt auch die Relation zu alternativen und konkurrierenden soziologischen Theorien, denn erst durch die Herstellung der Ordnungsbeziehungen entstehen grundlegende Differenzen zu anderen Theorien und ihren Ordnungsbeziehungen (4.3). Weil jede soziologische Theorie mit dem Problem ihrer Ungründbarkeit konfrontiert ist, sofern diese Theorie die Soziologie nicht gesellschaftlich externalisiert, ist die wechselseitige Beziehung von Soziologie und Gesellschaft ein verbreitetes Thema innerhalb des Faches (Marchart 2013: 20f.). Ich werde daher kurz
2. Die Ungründbarkeit soziologischer Theorie
umreißen, wo die Grenzen meiner Analyse verlaufen. Mit dem Problem der Ordnungsbeziehung spreche ich nicht die allgemeinen Bedingungen der Möglichkeit an, unter denen eine Theorie ihren Gegenstand erkennen kann. Solche Fundierungen würden in erkenntnistheoretischen Reflexionen verhandelt werden (historisch einführend siehe Rorty 1987: 149-157). Stattdessen verweist der Begriff der Ordnungsbeziehung darauf, dass die soziologische Theorie von der Soziologie selbst als empirisches Phänomen zu betrachten ist (zu dieser Unterscheidung siehe auch Stahl 2014: 230-240). Es handelt sich hierbei also um eine soziale Reflexion in Anlehnung an eine historische Epistemologie (Rheinberger 2007: 11f., 131ff.; siehe auch Bourdieu 2004c: 94). Soziologische Theorie wird von mir also als empirisches Phänomen untersucht. Damit erscheinen Unterscheidungen von beispielsweise Wissenschaft und Nicht-Wissenschaft zuallererst als soziale Unterscheidungen (Feyerabend 1986; Fleck 1980; Gieryn 1983; Kuhn 1973; Rorty 1987). Die angesprochene Praxisform der soziologischen Selbstfeststellung und die damit einhergehende Ordnungsbeziehung werde ich in den folgenden Kapiteln als soziologische Differenz analysieren. Ich werde zeigen, dass sich soziologische Theorien in ihrer Praxis an der Differenz zur Gesellschaft, zu anderen Theorien und zu sich selbst formieren. Die Beschäftigung mit der soziologischen Differenz bildet den Kern meiner Arbeit, die folgende gegenstandsbezogene Frage beantwortet: Wie stellen sich soziologische Theorien in ihren soziologischen Differenzen durch die reflexive Praxis der Theorie her? Zur Beantwortung dieser Frage ist meine Arbeit in einen methodologischen Teil (3.) und einem analytischen Teil (4.) unterteilt. Über die gesamte Arbeit hinweg vertrete ich die postfundamentalistische These (einführend Marchart 2010: 13-31; 2013: 7-14; Rorty 1987: 13-23; Stäheli 2000a: 5-16), dass keine soziologische Differenz universell gültig ist. In Bezug auf die Grenzziehungen, mit denen Theorien eine Beziehung zur Gesellschaft, zu anderen Theorien und zu sich selbst herstellen, können sie keinen universell gültigen Wahrheitsanspruch erheben. Weil sie es sind, die diese Grenze in ihrer Praxis hervorbringen, und weil diese Praxis sich auf eine Gesellschaft im Wandel bezieht, ist die Wahrheit dieser Grenzen immer an die Situation gebunden, in der sie hervorgebracht wird, also partikular und zeitlich begrenzt (Rorty 2000a: 14ff.). In diesem Kapitel werde ich die bisherigen Überlegungen zu den Ordnungsbeziehungen soziologischer Theorie eingehen, um eine Schieflage innerhalb dieses Diskurses aufzuzeigen. Es geht mir in diesem Kapitel noch nicht darum, soziologische Differenzen herauszuarbeiten, sondern darzustellen, wie die soziologischen Ordnungsbeziehungen bisher thematisiert wurden. Ich diagnostiziere dabei, dass die bisherige kritische Thematisierung soziologischer Ordnungsbeziehungen vor allem als externe Kritik an anderen Theorien und damit als Selbstlegitimation vorgenommen wurde (einführend siehe Arbeitsgruppe Soziologie 1978: 177f.). Hierzu kontrastiere ich die Möglichkeit einer immanenten Kritik soziologischer Theorie, die ich in dieser Arbeit vorführen werde.
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Immanente Kritik soziologischer Theorie
Externe Kritik soziologischer Ordnungsbeziehungen In dem Moment, in dem die soziologische Theorie innerhalb einer Gesellschaft verortet wird, stellt sich die Frage, in welcher Gesellschaft die Soziologie verortet wird. Ohne die Antwort auf diese Frage kennen zu müssen, ist auf formaler Ebene evident, dass jeder Verortung der Soziologie ein Gesellschaftsbegriff voraus geht und dass dieser Gesellschaftsbegriff sich selbst wiederum als gesellschaftlich betrachten muss. Meine These ist, dass mit der Verortung der soziologischen Theorie an einem bestimmten Ort in einer bestimmten Gesellschaft eine Metatheorie beginnt, die entweder zur Selbstlegitimation oder zur Fremddeligitimation genutzt wird. Diese Vergegenständlichung oder Objektivierung durch Metatheoretisierung baut innerhalb der kritisierenden und kritisierten Theorien Reflexionsblockaden auf, die dem paradoxen Problem der ungründbaren Gründungsversuche soziologischer Theorie nicht gerecht werden können. Metatheorien versuchen zwar die Gründungsversuche der kritisierten Theorien als normativ, affirmativ, politisch oder unwissenschaftlich zu kritisieren, sie erkennen aber nicht die Paradoxie der gleichermaßen notwendigen wie scheiternden Fundierungsversuche, die im Problem der Ungründbarkeit soziologischer Theorie zum Ausdruck kommt. Meine formale generalisierte These lautet nun, dass dieser metatheoretische Aspekt der wechselseitigen Kritik soziologischer Theorien darauf verweist, dass es sich bei dieser Kritik um externe Kritik (Iser 2011: 143f.; Stahl 2013: 26f., 30) handelt. Das heißt, dass durch die Metaperspektive der kritisierenden Theorien die kritisierten soziologischen Theorien innerhalb des Gesellschaftsbildes der kritisierenden Theorien verortet werden und so ein fundamentaler Bruch zwischen Kritik und Gegenstand der Kritik gezogen wird. Dieser Bruch macht, wie ich zeigen werde, eine Argumentation zwischen Kritisierenden und Kritisierten unmöglich. Zunächst werde ich aber den Inhalt und die Form der Metaperspektive auf Soziologie genauer umreißen. Die Verortung der Soziologie innerhalb der Wissenschaft Es ist zunächst bemerkenswert, dass die meisten metatheoretische Kritiken zwischen soziologischen Theorien eine auffallende inhaltliche Gemeinsamkeit aufweisen. Soziologie wird hier immer als Wissenschaft thematisiert und kritisiert. Ein solches Selbstverständnis wird beispielsweise an Hartmut Essers Allgemeinen Grundlagen der Soziologie deutlich. Zwar erkennt Esser (1999: 3) an, dass es kein einheitliches Verständnis von Soziologie gibt, behauptet dann aber, dass mit Max Webers1 1
Esser bezieht sich auf den ersten Paragraph aus Webers (2005) Soziologische Grundbegriffe. Hier wird Soziologie folgendermaßen definiert: »Soziologie (im hier verstandenen Sinn dieses sehr vieldeutig gebrauchten Wortes) soll heißen: eine Wissenschaft, welche soziales Handeln deutend verstehen und dadurch in seinem Ablauf und seine Wirkungen ursächlich erklären will.« (Weber 2005: 3) Auffällig ist, das Weber noch stärker als Esser die Vieldeutigkeit des Wortes Soziologie zu bedenken gibt (siehe zu dieser Vieldeutigkeit auch Eßbach 1996:
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Definition der Soziologie doch viele, ja sogar die meisten einverstanden wären. Die allgemeinste Grundlegung in Essers (1999: 3-4; siehe auch 2004: 7ff.) Allgemeinen Grundlagen ist daher auch: »Die Soziologie ist danach zuerst einmal eine Wissenschaft. Das heißt: Sie ist nur an der Wahrheit und am Informationsgehalt ihrer Aussagen, an interessanter Wahrheit also, orientiert – und damit nicht an moralischen Urteilen oder leeren Wortspielen. Das ist eigentlich unstrittig und selbstverständlich.« Aus einer Definition, der viele zustimmen würden, wird bei Esser also eine unstrittige Selbstverständlichkeit. Bei genauerer historischer Betrachtung (Eßbach 2014; Lepenies 1985; programmatisch siehe z.B. Alkemeyer 2007: 15ff.; Eribon 2018) fällt allerdings die Vieldeutigkeit der Soziologie, von der auch Max Weber (2005: 3) spricht, stärker ins Auge. Ich argumentiere im Folgenden, dass eine so eindeutige Selbstverortung der Soziologie innerhalb der Wissenschaft Teil einer Immunisierungsstrategie ist (im Verhältnis zu außersoziologischer Praxis siehe Beck 2015: 14).2
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33-40) und dass Esser (1999: 3) mit seinem Bezug auf Weber versucht, die Soziologie auf eine Handlungstheorie als Sozialtheorie festzulegen. In einem neueren Beitrag zur Gründung der Akademie für Soziologie laviert Esser (2018) zwischen einer Betonung der Vielfalt und dem Versuch der Vereinheitlichung der Soziologie: »Es gibt eine große Vielfalt in der Soziologie, die es gerade wegen der Komplexität des Gegenstandes zu erhalten und zu fördern gilt, aber es gibt auch einige Grundsätze des wissenschaftlichen Vorgehens, die allgemein für alle Ansätze und für alle Wissenschaften gelten. Das ist keine Ausgrenzung, denn diesen Grundsätzen will und muss natürlich nicht jeder folgen. Wir schon! Und wer auch noch: Willkommen im Club«. Ulrich Beck (2015: 14) skizziert das Immunisierungsarsenal der Soziologie gegenüber Anforderungen aus der außersoziologischen Praxis wie folgt: Das Immunisierungsarsenal bietet Haltungen an, die es dem Soziologen erlauben, »in seiner eigenen Tätigkeit den Anspruch kritischer und praxisrelevanter Forschung aufrecht zu erhalten, ohne sich den Anforderungen, Beschwernissen und Gefährdungen praxis- und verwendungsbezogener Forschung stellen zu müssen; ja sie erlauben es ihm sogar, gerade um der Aufrechterhaltung des kritischen Anspruchs willen (dessen Alleinerbe er sich häufig dünkt), sich den Ansprüchen der Praxis zu verweigern« (Beck 2015: 14). Beck zählt drei strategische Haltungen: Erstens kann versucht werden, die abstrakte Praxisrelevanz des Denkens zu betonen und damit zu erhöhen. Dies geschieht durch eine Vernachlässigung gegenwärtiger Theorie-Praxis-Probleme in Anbetracht langer historischer Tendenzen. Zweitens kann mit Hilfe der Wissenschaftstheorie grundlegende von angewandter Forschung unterschieden werden, um sich »geläutert durch das Motto: ›nichts ist so praktisch wie eine gute Theorie‹ – besten Gewissens in den Elfenbeinturm zu begeben, um nach Herzenslust trockene Orgien des ›Theorievergleichs‹ zu feiern« (Beck 2015: 14). Drittens kann unter Berufung auf eigene wissenschaftliche Bescheidenheit das »Banner wertfreier objektiver Erkenntnis« (Beck 2015: 14) hochgehalten werden, um zu argumentieren, dass man nun einmal Wissenschaft betreibe und der Praxis zwar alle Erkenntnis zu Verfügung stünde, jede wissenschaftliche Erkenntnis aber »von Praktikern oft als unwesentlich und unverständlich abgetan wird« (Beck 2015: 14). Es wird schnell deutlich,
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Immanente Kritik soziologischer Theorie
An der substanziellen Verortung der Soziologie innerhalb der Wissenschaft wird das Reflexionsproblem des kritischen Diskurses über soziologische Ordnungsbeziehungen deutlich. Die Argumentationsform, die aus dieser Verortung der Soziologie innerhalb der Wissenschaft folgt, ist häufig enthymematisch und lässt damit eigentlich nötige Prämissen unerwähnt. Mit der verbreiteten Annahme, Soziologie sei Wissenschaft, sind nämlich zumindest zwei Prinzipien vorausgesetzt: Erstens muss es die Soziologie bzw. die (Sozial)Wissenschaft geben und die damit einhergehenden deduktiven Aussagen über die Differenzierung der Gesellschaft müssen angenommen werden. Dass heißt, die externe Kritik muss selbst angeben können, was Wissenschaft von anderen gesellschaftlichen Teilbereichen unterscheidet. Zweitens muss angenommen werden, dass sich die kritisierende Theorie, sofern sie soziologisch ist, selbst als Wissenschaft begreift. Eine solche Kritik muss durch die Verbindung von Soziologie und Wissenschaft auf eine implizite oder explizite Metatheorie von Wissenschaft und Gesellschaft zurückgreifen, durch die eine gesellschaftliche Verortung soziologischer Theorie erst möglich wird. Dabei ist zu beobachten, dass Kritiken von Ordnungsbeziehungen soziologischer Theorie, die in diesem Sinne verfahren, häufig kryptonormativ eine einheitliche Beschreibung der Gesellschaft durchzusetzen wollen, die sie über die kritisierte soziologische Theorie stülpen. In der Konfrontation mit alternativen Formen der Soziologie fallen dann vor allem Abweichungen vom eigenen Selbstbild ins Auge: So wird die andere Soziologie besonders häufig als unwissenschaftlich dargestellt. Dies kann unterschiedliche Formen annehmen: Zum Beispiel wird kritisiert, dass die anderen Theorien die (noch) nicht erfüllte Einheit des Faches Soziologie blockieren, die als wissenschaftlicher Mangel dieser weichen Wissenschaft zu beseitigen wäre (so Esser 1999: 3ff.; 2004: 8). Die normative Implikation lautet hier, dass Soziologie Wissenschaft sein soll (so Esser 1999: 3ff.; 2004: 7ff.; siehe auch kritisch Adloff/Büttner 2013: 254). Dass es darum geht, eine Norm durchzusetzen, wird besonders deutlich, wenn zur Durchsetzung dieser Norm nicht mehr auf die Macht des stärkeren Arguments gesetzt wird, sondern eine Gemeinschaft konstruiert wird, die als Block in der Lage ist, die lächerlichen, nicht-wissenschaftlichen Soziologien auszugrenzen (kritisch Celikates 2009: 78f.; Fleck 1980: 68-70). Ein solches Vorgehen zeigt sich beispielsweise bei Essers (1999: 18) letzten Worten zur Frage Was ist Soziologie?: »Festzuhalten bleibt, daß manche Soziologen aus den speziellen Voraussetzungen, aus der Selbstreferenzialität des Fachs und aus der doppelten Hermeneutik dass Beck mit der ersten Haltung auf bestimmte Ausprägungen des geschichtsphilosophischen Marxismus und der hieran anschließenden Kritischen Theorie zielt. Mit der zweiten Haltung geraten vor allem Theorieprogramme wie die Systemtheorie Niklas Luhmanns in die Kritik. Mit der dritten Haltung geraten das Programm von Hartmut Esser und eine Soziologie, die sich am kritischen Rationalismus orientiert, in Verruf.
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ihres Tuns eine Sonderstellung der Disziplin ableiten wollen, die es z.B. verbiete, die in anderen Wissenschaften üblichen Regeln etwa der logischen Formalisierung von Theorien oder der kausalen Analyse auch auf soziale Prozesse anzuwenden. Stattdessen sei etwa das postmoderne reflexive Denken der Schlüssel zur Bewältigung der Probleme nicht nur des Fachs, sondern sämtlicher Gesellschaftswissenschaften. Die Soziologie sei etwas Besonderes und sie sei eben mit den üblichen Maßstäben nicht zu messen. Oft ist es dann nur mit Mühe möglich, sich der süffisanten Fragen der Kollegen aus den (Nachbar-)Disziplinen zu erwehren, die solche Ansichten durchaus interessant, aber auch für recht bedeutungslos, meist sogar unangemessen anmaßend halten. Jedenfalls: solange Soziologen, die dies behaupten, außer den schönen Begriffen und den vieldeutigen Hinweisen auf die äußerst mächtige Komplexität, Dynamik und Vernetzung sozialer Gebilde nicht viel Konkretes zu sagen haben.« Meine Problematisierung lautet also: Im Falle der metatheoretischen Kritik an soziologischen Ordnungsbeziehungen durch soziologische Theorien werden das eigene Selbstbild und die darin liegende Selbstbeschreibung als Wissenschaft zum Maßstab für die Kritik alternativer Theorien. Dabei wird sogar auf übliche Maßstäbe, Kollegen aus (Nachbar-)Disziplinen und auf die Nützlichkeit konkreter Aussagen Bezug genommen, letztlich also auf soziale Normen, die in der eigenen sozialwissenschaftlichen Sozialisation eine wichtige Rolle gespielt haben mögen.3 An Essers Reflexion auf die eigene Wissenschaftlichkeit wird deutlich, dass diese nicht automatisch in eine kritische Soziologie der Soziologie führt, sondern eben eine Funktion der Selbstlegitimation erfüllt (siehe hierzu allgemein Messelken 1969: 118). 3
Um die Aktualität dieser Abgrenzungspraxis aufzuzeigen, verweise ich auf die Selbstbeschreibung der 2017 gegründeten Akademie für Soziologie, die (de-)konstruktivistischen Theorien nicht nur ein Modell empirisch-analytischer Soziologie gegenüberstellen will, sondern ihre Gegner in die Nähe zu (rechts-)populistischen Bewegungen stellt. Im Gründungsaufruf der Akademie für Soziologie (2017; zur Verbindung von Postmoderne, Dekonstruktivismus und Trumpismus siehe beispielhaft auch Stephan 2016), der auch von Hartmut Esser unterstützt wurde, heißt es zum Beispiel: »In einer Zeit, in der populistische Bewegungen und Vorstellungen einer nur ›konstruierten‹ Wirklichkeit und ›alternativer Fakten‹ an Boden gewinnen, ist es umso notwendiger, in der Tradition der wissenschaftlichen Aufklärung nach faktenbasierten, prüfbaren und dann auch praktisch verwertbaren Erkenntnissen zu streben.« (Gegen diese Form von Sozialwissenschaft, siehe auch Bourdieu 2013b: 270f.). Der Vorsitzende der Akademie für Soziologie, Thomas Hinz (2018; siehe auch zu einer allgemeinen Analyse Osrecki 2018), macht in einem Interview deutlich, dass es der Akademie darum geht, die Soziologie sozialwissenschaftlich zu vereinheitlichen: »In der DGS wird die Buntheit soziologischer Ansätze als Stärke gefeiert. Doch dies ist aus der Perspektive einer Wissenschaft, die zu einem kumulativen Wissenschaftsfortschritt beitragen soll, ein verhängnisvoller Irrtum. […] Vielfalt wird dann zu Beliebigkeit oder zu einer Identitätsfrage der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Die Identität des ganzen Fachs verschwimmt dabei zusehends.«
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Essers Soziologie ist hier nur ein besonders eindrückliches Beispiel. Rafael Alvear (2017: 305-312) zeigt, dass dieses Vorgehen durchaus übliche Praxis in der Geschichte der Soziologie ist. Von Comte und Spencer bis Luhmann und Bourdieu haben soziologische Theorien versucht, sich wissenschaftlich zu fundieren, indem sie eine Distanzierung von der angeblich unwissenschaftlichen Tradition (anderer) soziologischer Theorien vollziehen (siehe auch Bourdieu 2014d: 19f.; Giddens 1981: 113; Lepenies 1985: 285-289). Dieser normative Zusammenhang, von Alvear (2017: 314) als theoretischer Narzissmus bezeichnet, ist ein naturalistischer Fehlschluss, in dem die vorausgesetzte Annahme, dass die eigene Soziologie Wissenschaft sei, zu der normativen Schlussfolgerung führt, dass sie Wissenschaft sein soll. Hinzu kommt, dass dieser normative Anspruch der Wissenschaftlichkeit auch noch an der eigenen Praxis gemessen wird und andere Soziologien negativ beurteilt werden, wenn sie von dieser Praxis abweichen. Form und Funktion von Metatheorien Neben dieser inhaltlichen Gemeinsamkeit zeichnen sich die Metatheoretisierungen der Soziologie durch formale und funktionale Gemeinsamkeiten aus. Als externe Kritiken führen sie dazu, dass sich soziologische Theorien gegeneinander abschließen können, und befördern somit Schulen- und Paradigmenbildung. Dieser Vorgang ist für die wissenschaftliche Entwicklung von hoher funktionaler Bedeutung, weil die Paradigmenbildung eine entscheidende Voraussetzung für die interne Weiterentwicklung soziologischer Theorien ist. Das ist die produktive Seite des dogmatischen und ideologischen Charakters der Wissenschaft (siehe hierzu Bourdieu 1975: 33; Fleck 1980: 58-62; Kuhn 1963; allgemein zur Verbindung von Wissenschaft und Religion in der Moderne siehe Gülker 2015). Ich weise im Folgenden stärker auf die blockierende Seite dieser Eigenschaft von Wissenschaft hin. George Ritzer (2001: 18), ein Verfechter der Metatheorie, differenziert das Erkenntnisinteresse der Metatheoretisierung folgendermaßen: Es gibt einerseits das Interesse an einem vertieften Verständnis und an einer Weiterentwicklung von Theorie. Dies sind immanente Interessen jeder Theoriearbeit und daher kein besonderes Merkmal des Metatheoretisierens. Andererseits hat die Metatheoretisierung das Interesse an der Entwicklung einer theorieübergreifenden Perspektive bis hin zu einer geschlossenen Metatheorie. Dieses Interesse basiert formal auf einer konsequent externen Position zu den vor- und unterliegenden Soziologien, über die nachträglich eine Metatheorie gebildet wird. Spätestens bei einem solchen Versuch entsteht allerdings ein Reflexionsproblem. Denn sofern die Metatheorie und die kritisierte Theorie soziologisch sind, befinden sie sich trotz der skizzierten Meta-Asymmetrie, die durch die kritisierende Theorie hergestellt wird, auf einer gesellschaftlich symmetrischen Ebene. Auch die Metatheorie ist eine Perspektive auf die Gesellschaft und hat daher das praktische Problem soziologischer Theo-
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rie, dass die eigene Ordnungsbeziehung zur Gesellschaft ungründbar bleibt und alle Gründungsversuche scheitern4 müssen (dieses Problem erkennt letzten Endes auch Luhmann 1998: 1115-1149). Metatheoretisierungen laufen somit häufig auf ein Projekt hinaus, das beispielhaft mit folgendem Zitat aus Peter K. Schneiders metasoziologischen Arbeit zur Grundlegung der Soziologie vorgeführt werden kann. Er postuliert, »daß die gegenwärtige Situation lediglich als ein entdeckungsgeschichtliches Durchgangsstadium jenes Forschungsprozesses verstanden werden darf, an dessen Ende nur die eine, als notwendig ausweisbare und systematisch abgeschlossene ›allgemeine Theorie der Gesellschaft‹ zu stehen hat.« (Schneider 1968: 14) An diesem Beispiel ist zu erkennen, dass aus dem Drang nach der eigenen Grundlegung, bei gleichzeitiger Ungründbarkeit, der Drang wird, alternative Theorien hegemonial zu verdrängen (dass auch dies letztlich zum Scheitern verurteilt ist, zeigen Adloff/Büttner 2013; Reckwitz 2005). Es geht darum meta zu sein, wie Bourdieu (2013a: 294) selbstkritisch schreibt, um die eigene Wahrheit als die eine Wahrheit über das Spiel soziologischer Theorie zu positionieren und so den Sieg im Spiel soziologischer Theorie sicherzustellen. Dieses Drang zum meta-Sein zeigt sich auch in einer aktuellen Grundlegung der Soziologie. Gerhard Wagner (2012: 1-2) beschreibt seine Wissenschaftstheorie der Soziologie wie folgt: »Da die Soziologie offenbar wie ein Computer abgestürzt ist, muss diese Publikation zur Wissenschaftstheorie der Soziologie zwangsläufig mit einem Neustart beginnen, der auf die Begründung einer eigenen Position zielt. Diese Position kann sich nicht auf eine bestimmte Position in der Soziologie berufen, denn das hieße, eine letztlich kontingente Entscheidung zu Lasten der vielen anderen Positionen zu treffen. Andererseits ist es unmöglich, allen Positionen in einer Weise Rechnung zu tragen, die ihre Vertreter als angemessen betrachten würden. […] Dieses Dilemma lässt sich nur mit Hilfe eines externen Maßstabs überwinden, mit dem man die anschlussfähigen Positionen von den nicht-anschlussfähigen trennen kann.« Folgendes wird an den oben zitierten Beispielen von Schneiders (1968) Versuch einer Grundlegung der Soziologie und Wagners (2012) Grundriss zur Wissenschaftstheorie der Soziologie deutlich: Mit dem ausgewiesenen Ziel, die eine Theorie der Gesellschaft zu formulieren, muss die Metatheoretisierung den theoretischen Pluralismus der 4
Erfolgreich wäre sie nur, wenn sie nachweisen könnte, dass es sich bei der Metatheorie um eine facheinheitliche grand theory handelt. Denn nur in der Verwirklichung einer facheinheitlichen grand theory wäre eine endgültige Fundierung soziologischer Theorie geglückt und die These der prinzipiellen Ungründbarkeit soziologischer Ordnungsbeziehungen widerlegt (zur Unmöglichkeit einer solchen grand theory siehe Reckwitz 2005).
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Soziologie bekämpfen und seine Gegenspieler ausschalten. Sie richtet sich explizit gegen subjektiven Methoden- und Theoriepluralismus, gegen erkenntnistheoretischen Skeptizismus und Pragmatismus und sie bestärkt sich auf diese Weise in ihrer eigenen Existenz (Schneider 1968: 10-14; Wagner 2012: 71-85). Die Metatheoretisierung behauptet letztlich eine Sonderstellung gegenüber anderen Theorien und legitimiert diese Sonderstellung durch die eigene Wissenschaftlichkeit und damit durch einen theorieübergreifenden Wahrheitsanspruch (siehe auch Hörisch 2010: 12f.). In der skizzierten Selbstlegitimation könnte die eigentliche gesellschaftliche Funktion externer Kritik liegen, die letztlich dazu dient, die eigene theoretische Position zu festigen. Mein simpler Einwand lautet: Auch soziologische Metatheorien sind Erfindungen der Gesellschaft. Hans Blumenberg (1996: 264-265; zur arbiterFunktion soziologischer Einheitstheorien siehe auch Adorno 1979: 297f.) hat dies als allgemeines Ausgangsproblem für seine historische Wissenschaftskritik genommen: »Die Schwierigkeiten, die wir mit der Wissenschaft und mit der Epistemokratie haben, suggerieren den hoffnungsvollen schimmernden Ausweg, noch einmal eine Wissenschaft, eine ›letzte Wissenschaft‹ zu machen, die sich mit nichts als der Wissenschaft selbst beschäftigt. Das ist auch attraktiv, weil es arbiter-Funktionen verspricht: Macht über die Mächtigen auszuüben, und sei es auch nur über die, die zu diesem Zweck eigens zu solchen ernannt werden. Es wäre der archimedische Punkt – oder die Potenzierung all der Schwierigkeiten, die wir schon mit der Wissenschaft haben, durch ihre Iteration. Warum eigentlich sollte eine Science of Science, die sich zur emphatisch so genannten ›Kritik‹ jeder anderen Wissenschaftlichkeit aufschwingt, frei sein von der Problematik, die ihr Thema zu sein hätte?« Überträgt man diesen Ausgangspunkt auf metasoziologische Projekte, lässt sich festhalten, dass die Konfrontation mit der Ungründbarkeit der eigenen Theorie nicht alleine durch die Distanzierung von anderen Theorien und ihre Vergegenständlichung geschehen kann. Ganz im Gegenteil: Die metatheoretische Kritik soziologischer Ordnungsbeziehungen ruft gerade das Problem der eigenen Ordnungsbeziehung hervor. Zwei Probleme externer Kritik werde ich dafür ausführlicher thematisieren: Erstens kommt es zu methodologischen Immunisierungen durch die Objektivierung konkurrierender Theorien. Zweitens werden durch externe Kritik Kommunikations- und Verständnisblockaden aufgebaut. Immunisierungen und Kommunikationsblockaden durch externe Kritik Es ist offensichtlich, dass der Versuch der Eliminierung alternativer soziologischer Theorien durch eine Metatheorie zur Verfestigung der eigenen Position und damit zur Immunisierung der Kritik an der eigenen ungründbaren Ordnungsbeziehung zur Gesellschaft dient (siehe auch Bourdieu 2014d: 24f.). Diese Immunisierung zeigt sich methodologisch in der Praxis der Objektivierung und kommunikativ im
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Scheitern von Verständigungsversuchen. Bei Schneider (1968), dem es gerade um eine Grundlegung der Soziologie geht, und bei Wagner (2012), der eine facheinheitliche Wissenschaftstheorie umreißen will, wird die Selbstimmunisierung durch Objektivierung nur besonders deutlich. Die Form der Metatheoretisierung lässt sich aber auch in Theorieprojekten finden, die nicht das explizite Ziel einer facheinheitlichen Theorie verfolgen. Auch nicht explizit metatheoretische Projekte können einen metatheoretischen Bias aufweisen, wenn es um die Thematisierung der Ordnungsbeziehungen anderer soziologischer Theorien geht. Dieser Bias folgt daraus, dass soziologische Theorien ihre theoretischen Gegenspieler vergegenständlichen und sie damit der eigenen Rationalität unterwerfen. Andere soziologische Theorien tauchen letztlich immer im Gegenstandsbereich, als Teil der von den kritisierten Theorien erfundenen Gesellschaft, auf. Damit entsteht bei der Betrachtung soziologischer Theorien durch soziologische Theorien der skizzierte metatheoretische, asymmetrische Objektivierungsprozess. Solche Objektivierungsprozesse vollziehen sich trotz einer Erfahrung, die in der Soziologie allgegenwärtig ist: Kritisierte und kritisierende Theorien befinden sich auf dem Feld der multiparadigmatischen soziologischen Theoriebildung und in Bezug auf das Problem der Ungründbarkeit ihrer Ordnungsbeziehung in einem prinzipiell symmetrisches Verhältnis zueinander (Feyerabend 1986: 55ff.; Fleck 1980: 68f.), weil alle soziologischen Theorien mit dem Ungründbarkeitsproblem konfrontiert sind. Das metatheoretische Verhältnis von soziologischen Theorien zueinander führt aber nicht nur zu methodologischen Immunisierungen durch Objektivierung. Es lässt sich an dem metatheoretischen Verhältnis auch zeigen, dass es zu Kommunikations- und Verständnisblockaden zwischen Theorien kommt. Um es mit einem Bonmot von Karl Otto Hondrich auszudrücken – der im Rahmen der Theorievergleichsdebatte (Greshoff 2010) der 70er Jahre versuchte, Theorien und Theoretiker miteinander ins Gespräch zu bringen – zeigt sich hier, welche Chance Theorien haben, aneinander vorbeizureden (Hondrich 1976: 24; siehe auch Beck 1974: 20-34; Felsch/Witzel 2016: 148). Um zu verstehen, wie diese Kommunikationsund Verständnisblockaden entstehen, lohnt es sich, einen Perspektivwechsel von Kritisierenden zu Kritisierten soziologischen Theorien vorzunehmen. Dieser Perspektivwechsel zeigt, wie metatheoretische Kritik die kritisierten Theorien paradoxer Weise vor der Kritik schützt. Wenn externe Kritik nicht in der Lage ist, die Ungründbarkeit ihrer soziologischen Theorie zu reflektieren, dann können kritisierte Theorien wiederum davon ausgehen, dass von außen kommende Kritik nicht geeignet ist, um die Ungründbarkeit der kritisierten Theorien zu reflektieren. Es wird in der Betrachtung dieses Verhältnisses deutlich, dass in der Argumentationsform externer Kritik die kritisierenden und kritisierten soziologischen Theorien, sofern sie sich fundamental unterscheiden, jeweils unterschiedliche
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gesellschaftliche Fundierungsversuche und Fundierungsprobleme aufweisen. Das bedeutet, dass sie aufgrund dieser fundamentalen Differenz keine gemeinsame Argumentationsbasis, und demnach keine gemeinsame Sprache, für eine wechselseitige Kritik haben. Sie sind inkommensurabel (Feyerabend 1986: 34; Kuhn 1973: 208f.; 1974; 1977b: 440; vergleichend Hacking 2004: 194f.; zur Inkommensurabilität durch sprachliche Differenz siehe Bourdieu 2017: 11) und für das Wechselspiel soziologischer Theorien bedeutet dies, dass die wechselseitig externe Kritik zwar eine Problematisierung der eigenen Ordnungsbeziehungen soziologischer Theorie hervorrufen kann. Eine produktive und für die Theorieentwicklung fruchtbare Diskussion zwischen den Theorien erweist sich aber als unwahrscheinlich. Diese Differenz der Inkommensurabilität lässt sich so beschreiben, dass die Theorien letztlich unterschiedliche Sprachen im Sinne von Soziolekten (Zima 2004: 50; siehe auch Lepenies 1985: 407; Scherr 2017: 389f.) sprechen und ein Dialog ohne Übersetzung gar nicht möglich wird. Das Problem des systematischen Missverstehens zwischen Theorien ist vielfach das Ergebnis der bisher angesprochenen wechselseitigen Vergegenständlichung. Man redet übereinander, manchmal auch miteinander, aber eine Verständigung auf Augenhöhe ist mit selbstkonstruierten Gegenständen schlicht nicht möglich. Dabei wird deutlich, dass diese wechselseitigen Verständnisprobleme wenig Wirkung bei den kritisierten Theorien entfalten, während sie gleichzeitig ein wesentlicher Bestandteil der Selbstkonstitution der kritisierenden soziologischen Theorie sind. Dieses Problem zeigt sich selbst bei historischen Meta-Methodologien (Kuhn 1974: 122) wie am Beispiel Thomas Kuhns deutlich wird. Selbst seine Geschichte der Wissenschaft, die die einzelnen Wissenschaften in ihrer historischen Integrität behandelt und anerkennt, also ein Urteil über ihre Wahrheit ausspart (Kuhn 1973: 19f.), kommt am Ende von Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen zu dem Schluss: »Zu Beginn mag ein neuer Paradigmakandidat wenige Befürworter haben, und gelegentlich mögen die Motive der Befürworter fragwürdig sein. Trotzdem werden sie, falls sie kompetent sind, ihn verbessern, seine Möglichkeiten erforschen und zeigen, was es hieße, zu der von ihm geleiteten Gemeinschaft zu gehören. Und dabei wird, falls das Paradigma dazu bestimmt ist, seinen Kampf zu gewinnen, die Zahl und Stärke der überzeugenden Argumente zu seinen Gunsten wachsen. […] Überzeugt von der Fruchtbarkeit der neuen Anschauung, werden immer mehr die neue Art der Ausübung normaler Wissenschaft annehmen, bis schließlich nur einige ältere Starrköpfe übrig bleiben. Und nicht einmal von diesen läßt sich sagen, daß sie im Unrecht seien. Obwohl der Historiker immer Menschen finden kann […], die unvernünftig genug waren, derart lange Widerstand zu leisten, wird er doch keinen Punkt finden, an welchem der Widerstand unlogisch oder unwissenschaftlich wird. Er mag sich höchstens versucht fühlen zu sagen, daß der-
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jenige, der auch dann noch Widerstand leistet, wenn die ganze Fachwissenschaft schon konvertiert ist, ipso facto aufgehört habe, ein Wissenschaftler zu sein.« (Kuhn 1973: 209) Zwei Probleme externer Kritik sind also methodologische Immunisierungsstrategien und Kommunikations- und Verständnisblockaden. Sie haben, wie nicht zuletzt das Beispiel Kuhns zeigt, ganz reale soziale Konsequenzen auf dem Feld soziologischer Theorie. Einerseits führen sie zur Schulenbildung (historisch siehe Lepenies 1985: 407; für aktuelle Diagnosen siehe Lepenies 2017: 382ff.; Scherr 2017: 389f.; Osrecki 2018), andererseits bestimmen sie das Verhältnis zwischen Theorieschulen. So sind sie beispielweise mitverantwortlich für die Gefahren der gegenwärtigen wissenschaftlichen Konkurrenz (Reitz 2016: 53f.) im Theoriebetrieb und auf dem Theoriemarkt (Schimank 2012). Zu diesen Gefahren gehören die schnelle Einigung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner bei Publikationen und in gemeinsamen Forschungsprogrammen, die Anpassung an scheinbar leserfreundliche Formate zu Lasten der Genauigkeit und Komplexität, ein gewisses Maß an Selbstzensur in Anträgen und die Notwendigkeit zur modischen Visualisierung und Präsentation wissenschaftlicher Arbeiten (Reitz 2016: 54). Wer stattdessen Konflikte austragen will, macht die Inkommensurabilität unterschiedlicher theoretischer Ansätze deutlich, stellt damit die methodologischen Immunisierungsstrategien sowie die Kommunikations- und Verständigungsblockaden offen zur Schau. Die Geschichte der Soziologie im deutschsprachigen Raum hält viele Beispiele für die mehrheitlich externe Kritik in der wissenschaftssoziologischen Untersuchung der Ordnungsbeziehungen soziologischer Theorie bereit. Die Thematisierung der Ordnungsbeziehungen soziologischer Theorie ist bisher durch zwei Modi der externen Kritik bestimmt: Erstens durch Metatheoretisierungen (z.B. Adorno 1979d; Schneider 1968; Topitsch 1972; Nassehi 2009), die entweder ein Interesse an einer Metatheorie der Soziologie oder an der Herstellung einer facheinheitlichen Theorie haben (kritisch siehe Kneer/Schroer 2009; Reckwitz 2005). Zweitens durch Supertheoretisierungen (z.B. Bourdieu 1988: 40f.; 2013a: 287; Kieserling 2004; Luhmann 1987e; Schmidt 2016), die zwar weniger offensichtlich vorgehen, sich aber auch gegen alternative Theorien abschirmen, indem sie diese nur als Gegenstände der eigenen Theorie thematisieren können (kritisch siehe Brunkhorst 1990a: 144; Clam 2002: 21-33; Jahraus 2003; Lindemann 2009: 25, 30f.; Luhmann 1987e, 19ff.; Marius/Jahraus 1997: 5-11, 67-75). Die so skizzierte Schieflage ist aufgrund der skizzierten methodologischen und kommunikativen Reflexionsblockaden ein Problem, das dazu drängt, über alternative Thematisierungen der Ordnungsbeziehungen soziologischer Theorie nachzudenken und die von mir aufgeworfene Frage zu stellen: Wie stellen sich soziologische Theorien in ihren soziologischen Differenzen durch die reflexive Praxis der Theorie her? Die massive Verbreitung externen Kritiken begreife ich als
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historische Schieflage. Sie ist der Grund dafür, dass ich die immanente Kritik der Ordnungsbeziehungen soziologischer Theorie vorantreiben will. Suspendierung der Frage nach der Wissenschaftlichkeit Nach dieser negativen Abgrenzung von bestimmten Thematisierungen der soziologischen Ordnungsbeziehungen, liefere ich eine kurze positive Beschreibung meines Vorgehens. Dies dient dazu, die Ziele meiner Arbeit im Vorfeld zu bestimmen. Für die Analyse der Ordnungsbeziehungen soziologischer Theorie ist es nach wie vor richtig, soziologische Theorie als soziales und damit empirisches Phänomen zu betrachten. Eine solche Beobachtung teilt die immanente Kritik mit den Meta- und Supertheoretisierungen. Ich versetze mich durch mein Vorgehen also in die Lage, soziologische Theorien als empirische Gegenstände zu betrachten, indem ich die Praxis der Theorie in den Fokus rücke. Aus zwei Gründen geht dieser Fokus über die bisherigen Kritiken der sozialen Ordnungsbeziehungen soziologischer Theorie hinaus: Erstens ist es für eine erfolgreiche Abgrenzung von Metaund Supertheoretisierungen entscheidend, dass ich meine eigene Praxis der Theorie in den Fokus der Analyse rücke. Durch eine solche Verschiebung von externer Kritik zur Selbstkritik lassen sich die von mir diagnostizierten Reflexionsblockaden externer Kritik abbauen. Darüber hinaus ermöglicht die Fokussierung auf die Praxis der Theorie eine alternative In-Verhältnis-Setzung soziologischer Theorien. Im Folgenden werde ich zudem die Frage nach der Wissenschaftlichkeit soziologischer Theorie suspendieren. Der Begriff der Wissenschaftlichkeit muss für meine Analyse vorläufig außer Kraft gesetzt werden, damit die theorieimmanente Formation der soziologischen Differenz in den Blick geraten kann. Auf substanzieller Ebene wird die Abkehr von externer Kritik damit schnell deutlich. Während es Theorien überall in der Gesellschaft gibt (Holzkamp 2006: 130f., 206), wird das spezifisch Soziologische bzw. das spezifisch Wissenschaftliche soziologischer Theorien in starkem Maße durch die praxis der soziologischen Theorien selbst bestimmt. Meine Analyse der Praxis der Theorie als soziologische Differenz folgt nicht der metatheoretischen Annahme, die Soziologie sei ein fester Bestandteil der Wissenschaft. Dieser Schritt ist nicht ohne Risiko, bricht er doch mit den gewohnten Diskursen über soziologische Theorie, die sie selbstverständlich an der Differenz wissenschaftlich/nicht-wissenschaftlich messen.5 5
Wie explizit politisch das Urteil über eine solche Banalisierung ausfallen kann, der es nicht um eine Ablehnung von Wissenschaftlichkeit, sondern um deren Selbstkritik geht, zeigt folgendes Beispiel. Gerhard Wagner (2013: 150) setzt die affirmative Haltung der Soziologie zu ihrer multiparadigmatischen Verfasstheit in eine direkte Linie zu ideologischen Verzerrungen, die sich seiner Meinung nach in den 60ern vollzogen haben: »Feyerabend ersetzte Schlegels nationale Individualität durch die kulturelle Tradition, denen er in den 1960er-Jahren in Berkley als Minoritäten begegnete […]. Diesen Gruppen wollte er unter Berufung auf Mills Theorie zur Meinungsfreiheit Zugang zur Wissenschaft verschaffen, indem er wissenschaft-
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In Umkehrung einer Beobachtung von Blumenberg bleibt damit auch unklar, ob meine eigene Arbeit wissenschaftlich ist. Blumenberg (1996: 263; zu dieser Kritik der Wissenschaft siehe auch Rorty 1987) schreibt: »Nach einem einfältigen Rezept, den Augenhintergrund zu spiegeln, steht die Behauptung, die gegenwärtige Welt könne nur durch Wissenschaft existieren, in einem suspekten Zusammenhang damit, daß sie von Leuten vorgebracht wird, die selbst von Wissenschaft leben. Nun ist dieser Verdacht noch harmlos im Vergleich zu dem, der sich daraus ergibt, daß die Wissenschaft selbst eben die Welt hervorgebracht hat, in der zu leben von ihrem Fortbestand und Fortgang abhängig macht. Das Dilemma bei jeder Thematisierung dieses hintergründigen Sachverhaltes besteht darin, daß das Reden über Wissenschaft nur eine weitere Wissenschaft erzeugt, wie immer man sie nennen mag.« Statt durch ein metatheoretisches Reden über Wissenschaft eine weitere Wissenschaft zu erzeugen, versuche ich dadurch zu provozieren, dass mein Reden in Wissenschaft das Urteil über Wissenschaftlichkeit banalisiert. Ob Soziologie und welche soziologische Theorie nun wissenschaftlich sei oder nicht, ist keine entscheidende Frage für ihre Existenz und die Effekte, die diese Theorien zeitigen (zur möglichen nicht-wissenschaftlichen Beobachtung der Wissenschaft siehe Schwanitz 2009: 447). Was soziologische Theorie ist und wo sie endet, wird durch die Praxis der Theorie selbst bestimmt, die damit ihre soziologische Differenz herstellt. Für meine Kritik ist der theorieimmanente Begriff von Wissenschaft nur ein mögliches Element der Differenzherstellung durch die Praxis der Theorie. Im Sinne des Postempirismus (Vielmetter 1999: 59f.) sind Wissenschaft, Wirklichkeit, die Differenz von Theorie und Praxis und sogar Wahrheit theorieimmanente Begriffe (siehe auch von Foerster/Pörksen 2008: 29ff.; Lemke 2000: 229f., 233f.; Rorty 2000b: 7ff.). Diese Immanenz der Begriffe führt dazu, dass sie keine geeigneten Kategorien sind, die die Grundlage für eine gemeinsame Argumentationsbasis soziologischer Theorien bilden können. Daraus folgt für mich, dass ich weder deskriptiv bestimmen muss, was Wissenschaft wirklich ist, noch normativ von den kritisierten Theorien einfordere, wirklich wissenschaftlich zu sein. Ob und in welchem Sinn soziologische Theorie wissenschaftlich ist, ist nämlich entweder eine Frage externer und metatheoretischer Kritik, die immer schon weiß, was Wissenschaft wirklich sein soll, oder aber es ist aus der Position der immanenten Kritik liche Wahrheit zu einer Meinung unter anderen relativierte, die alle gleichermaßen gültig sein sollen. Die Folgen für die Disziplinen, die dieser Relativierung nachgaben, waren verheerend. […] Diese Diagnose ist nicht nur eine andere Umschreibung für Luhmanns Floskel der multiplen Paradigmatase, sondern lässt die Situation der Soziologie vielmehr erst in ihrer ganzen Problematik erkennen: Ihr Multiparadigmatismus ist nicht zuletzt Ausdruck und Vehikel des Multikulturalismus als der Ideologie der postmondernen Gesellschaft.«
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eine Frage an die untersuchten Theorien, zu deren Inhalt eben auch ein Begriff von Wissenschaft gehört. Diese Herangehensweise bedeutet ausdrücklich nicht, dass ich behaupte, die Soziologie sei keine Wissenschaft. Aus meiner These der Ungründbarkeit soziologischer Theorie auf eine historisch kontingente gesellschaftliche Ordnung und ihr Wissenschaftssystem folgt lediglich eine Verunsicherung bestimmter soziologischer Differenzen und meiner eigenen Position, aber nicht die Affirmation der Abschaffung von Wissenschaft oder ein absoluter Skeptizismus (so auch Daniel 2004: 16). In einem Satz: Es ist unklar ob soziologische Theorie Wissenschaft war, ist oder sein wird, während daraus nicht klar folgt, dass sie keine Wissenschaft war, ist oder sein wird. Ich sehe, wieder in Anlehnung an Blumenberg (1996: 264), einen Spielraum, um eindimensionale, scholastische und häufig redundante Theorieentwicklungen durch Irritation und Störung anzustoßen: »Mit dem Gedanken des Abbruchs oder der Minderung der menschheitlichen Anstrengung ›Wissenschaft‹ zu spielen, kann nur wagen, wer die Störanfälligkeit der theoretischen Motivation gering einschätzt. Hier mögen die Grenzen des Verantwortbaren viel enger gezogen sein als vielerorts geglaubt wird. Zwischen dem Unbehagen am Selbstbetrieb der Wissenschaft und den Zwängen ihrer Unentbehrlichkeit liegt ein vager Spielraum des Disponiblen, den auf das Ganze zu projizieren irreführend wäre.« Trotz Blumbergs Warnung sehe ich gerade in der heutigen soziologischen Theorie, die in den letzten Jahren an Aufmerksamkeit und vielleicht auch an Größe und Bedeutung verloren hat (Beck/Bonß 1984; 1989; Münch 2012; Streeck 2009; 2012; in eine andere Richtung zeigt Scherr 2017: 400), einen Spielraum für eine immanente Kritik, die die Legitimation und Legitimität von Wissenschaft vernachlässigen kann. Hieran anschließend drängt sich die Frage nach den Zielen einer immanenten Kritik soziologischer Theorie auf. Ziel der immanenten Kritik soziologischer Theorie Für die von mir anvisierte (Selbst-)Kritik der Soziologie formuliere ich fünf Ansprüche: Erstens muss sie den einzelnen soziologischen Theorien und ihren Perspektiven gerecht werden. Das heißt, der Anspruch ist, die kritisierten Theorien so ernst zu nehmen, dass es möglich ist, ihren Standpunkt einzunehmen und sie nicht extern zu vergegenständlichen. Zweitens positioniert sich mein Vorgehen in kritischer Distanz zu den Theorien und zwar nicht etwa durch eine eigene soziologische Metatheorie, sondern durch den Anstoß zu und die Verstärkung von Selbstreflexionen. Die Verfahren für eine solche Verstärkung von autoiterativer Autoreflexion sind einem starken Immanenzdenken verpflichtet. Der dritte Anspruch an meine Kritik lautet: Ich verfolge dieses Ziel, theorieimmanente Blockaden für ein konflikthaftes, kritisches und irritierendes Mit- und Gegeneinander von Theori-
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en aufzudecken. Klassische Theoriebildung ist an der Reduktion von Komplexität durch die Schließung und Abgrenzung von Begriffen und damit einhergehend an der Schließung von Kontingenz in Bezug auf die eigene Praxis der Theorie interessiert (kritisch hierzu siehe Buber 1973a: 158-160). Ich will stattdessen die Kontingenz der Grenzen soziologischer Theorie öffnen. Es ist mir wichtig, bereits an dieser Stelle zu betonen, dass ich Reflexionsblockaden nicht als zu beseitigenden Fehler soziologischer Theorie betrachte. Sie sind notwendig, insofern jede angefangene Reflexion auch abgebrochen werden muss, um Theorie zu betreiben. Andernfalls würden die Theorien sich in einem unendlichen Regress der Selbstreflexion verfangen. Für den vierten Anspruch an meine immanente Kritik muss ich etwas ausholen: Um die Ordnungsbeziehungen der soziologischen Theorie analysieren zu können, ohne die Annahme ihrer Wissenschaftlichkeit mitzuführen, also ohne bereits einen bestimmten Ort und einen bestimmten Mangel der Soziologie vorauszusetzen, muss deutlich werden, wie ich Ordnungsbeziehungen mittels einer sozialen Reflexion soziologischer Theorien analysieren kann. Ich frage nach dem »Wie?« der Herstellung der Ordnungsbeziehungen soziologischer Theorie und damit danach, wie soziologische Theorien sich selbst, mittels der Differenz zu ihrem Gegenstand Gesellschaft, zu alternativen Theorien und zu sich selbst, herstellen. Dies ist eine Frage der Formierung, die ich mit dem heuristischen Bezugsrahmen der soziologischen Differenz erkunde. Es geht also darum, wie Theorie ihre Denk- und Anschauungsformen konstruieren und konstituieren (ähnlich Celikates 2009: 33ff.; Holzkamp 2006: 26ff.; 2009: 97 ff; Nassehi 2004b: 155, 185f.; Nonhoff 2011: 93-99; Stahl 2014: 242f.). Dies bringt den Anspruch mit sich zu klären, wie soziologische Theorien ihre Beziehung zur gesellschaftlichen Ordnung herstellen, ohne sie einer externen Theorie der Gesellschaft unterzuordnen. Aus diesem Interesse an der Formierung von Denk- und Anschauungsformen folgt ein fünfter Anspruch an meine Kritik. Sie muss der multiparadigmatischen Verfasstheit der soziologischen Theorie gerecht werden. Damit folge ich Robin Celikates (2005: 29) und seiner Diagnose zum Kampfplatz der Theorie: Durch den »Praxischarakter der Theorie selbst, wurde schnell deutlich, dass das für frühere (etwa marxistisch oder funktionalistisch inspirierte) Formen der Gesellschaftstheorie durchaus charakteristische Vertrauen in die Möglichkeit einer umfassenden ›Theorie aus einem Guss‹, eines einheitlichen Beschreibungssystems für alle sozialen Phänomene, heute nur noch um den Preis der Blindheit gegenüber der Komplexität der zu analysierenden Gegenstände zu haben wäre.« (Celikates 2005: 30) In Bezug auf das Feld der soziologischen Theorie lässt sich diese Diagnose folgendermaßen ausformulieren: Die real existierende Vielfalt soziologischer Theorien deutet an sich schon darauf hin, dass jede Theorie, als soziale Praxis, eine gesellschaftliche Legitimation hat (siehe auch Baecker 2015: 810f.; Feyerabend 1986: 13f.).
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Die externe Kritik von gesellschaftlichen Ordnungsbeziehungen der soziologischen Theorie erscheint auf dem Kampfplatz (siehe auch Althusser 1975: 83ff.; Bourdieu 2004e: 34f.; Marchart 2013: 19) soziologischer Theorie eher als Strategie, sich gegen seine Gegner durchzusetzen, denn als gemeinsame kollektive Erkenntnissuche. In dieser Strategie fokussieren sich soziologische Theorien auf wechselseitige Vergegenständlichung und versuchen so den Anderen als Gesprächspartner auf Augenhöhe zu delegitimieren, obwohl die real existierende Vielfalt soziologischer Theorien eine prinzipielle Symmetrie nahelegt. Diese Strategie mache ich mir nicht zu eigen. Der multiparadigmatischen Verfasstheit soziologischer Theorie gerecht zu werden bedeutet also, dass meine immanente Kritik soziologischer Theorie selbst multiperspektivisch vorgehen muss, um auf diesem Weg gerade den Modus externer Kritik zu vermeiden. In meiner immanenten Kritik der soziologischen Differenz muss ich also ein Vorgehen offenlegen, das in zahlreichen soziologischen Theorien zum Einsatz kommen kann. Den fünf Ansprüchen kann ich gerecht werden, indem ich die subversive Argumentation immanenter Kritik verwende, die eben unterhalb der Selbstdarstellung soziologischer Theorie und innerhalb der Praxis der Theorie stattfindet, statt wie externe Kritik von einem Standpunkt außerhalb der Theorien über sie zu sprechen. Drei grundlegende Elemente subversiven Argumentierens lassen sich in Hubert Schleicherts (2017: 114-117) 1997 erschienener Anleitung zum subversiven Denken finden: Den Gegner der Argumentation ernst nehmen, ohne ein zustimmendes Bekenntnis zu seiner Theorie abzulegen; die Konsequenzen der kritisierten Theorie und Alternativen aufzeigen, ohne den Anspruch zu haben, die Theorie zu widerlegen; die Kontingenz der Theorieauswahl öffnen und damit eine subversive Wirkung entfalten.6 Auch Schleichert grenzt sich von externer Kritik ab. Er prognostiziert: 6
Schleichert (2017: 175) richtet sich vor allem gegen religiösen Fundamentalismus im Christentum und verfolgt ein aufklärerisches Ziel: »Was der Aufklärer bekämpft, sind indessen keine Erscheinungen, in denen eine subtile Erörterung dessen, was vernünftig sei und was nicht, erforderlich wäre. Für den Aufklärer heißt ›Vernunft‹ in erster Linie: Niemand soll, im Namen welcher Religion, Ideologie oder Ideale auch immer, bedrängt, geängstigt, verhöhnt, materielle beeinträchtigt, seiner Freiheit beraubt, gefoltert oder ermordet werden.« (Zu diesem Ziel der Ideologiekritik siehe auch Eagleton 2000: 255f.) Es liegt mir fern, dieses Ziel der Religionskritik mit dem Ziel meiner immanenten Kritik soziologischer Theorie gleichzusetzen und damit die Analogie herzustellen, dass die von mir kritisierten Theorien zu Folter und Mord führen. Schleicherts Anleitung zum subversiven Denken lässt sich dennoch übertragen, da religiöser Fanatismus bei Schleichert (2017: 67f.) nur als Beispiel, für eine reine Form von Fanatismus dient. Wie die Ziele der Religionskritik sich also an den realexistierenden Folgen religiösen Fanatismus orientieren, orientieren sich auch meine Ziele der immanenten Kritik soziologischer Theorie an den realexistierenden Folgen soziologischen Fanatismus. Hier wäre zunächst an Reflexionsblockaden wie Dogmatismus, Hegemonie, Schulenbildung, Eindimensionalität, theoretische Intoleranz zu denken. Mit der subversiven Vernunft nach Schleichert (2017: 174) teilt meine Kritik das grundlegendere subversive Ziel: »Am Ende des Kamp-
2. Die Ungründbarkeit soziologischer Theorie
»Das subversive Vorgehen lockert psychische Verspannungen und Fixierungen. Es legt nahe, daß die Dinge vielleicht auch anders sein oder anders gesehen werden können, es hebt die Verengung des Blickes auf. […] Das subversive Argumentieren hat nicht die Form einer externen Kritik der Art Was du glaubst, ist falsch; sie lautet: Ich zeige dir, an was du eigentlich glaubst.« (Schleichert 2017: 115f.) Hiermit lassen sich meine Ziele der immanenten Kritik soziologischer Theorie auf drei Ebenen bestimmen. Sie ergeben sich unmittelbar aus meinen Ansprüchen an die immanente Kritik soziologischer Theorie. Erstens geht es mir darum, in der Umsetzung dieser Arbeit die methodologischen Ansprüche zu erfüllen. Zweitens soll auf diesem Weg ein Ergebnis geliefert werden, indem ich Reflexionsblockaden soziologischer Theorie genauer bestimme, die sich aus spezifischen Selbstreflexionen als Praxis von Theorien ergeben. Drittens verfolge ich mit dieser Arbeit das normative Ziel, die Kontingenz soziologischer Theorien zu öffnen und so ihr selbstkritisches Potenzial anzustoßen. Im Gegensatz zu diesem Potenzial sind es gerade die von den Theorien angenommenen Notwendigkeiten, die eine wechselseitige Kritik auf den Modus der externen Kritik und damit die Negation einer gemeinsamen Argumentationsbasis verengen. Das Ziel der Öffnung der Kontingenz entnehme ich Modellen poststrukturalistischer Kritik (Reckwitz 2006, 2008b; in Bezug auf das Subjekt 2010: 143f.; siehe auch Steinweg 2015: 32ff.; in Bezug auf die Politik siehe Rancière/Celikates/Keller 2006; kritisch Ferry/Renaut 1987: 20-34), insbesondere Foucaults kritischer Haltung (Schäfer 1995: 17ff.). Er schreibt hierzu, in Auseinandersetzung mit Kants Was ist Aufklärung? (Kant 2004; Foucault 1990): »Dieses philosophische Ethos kann als Grenzhaltung charakterisiert werden. Es geht nicht um ein Verhalten der Ablehnung. Wir müssen die Alternative des Außen und Innen umgehen; wir müssen an den Grenzen sein. Kritik besteht gerade in der Analyse der Grenzen und ihrer Reflexion. […] Das hat offensichtlich zur Konsequenz, daß Kritik nicht länger als Suche nach formalen Strukturen mit universaler Geltung geübt wird, sondern eher als historische Untersuchung der Ereignisse, die uns dazu geführt haben, uns als Subjekte dessen, was wir tun, denken und sagen zu konstituieren und anzuerkennen. […] Und diese Kritik wird insofern genealogisch sein, als sie nicht aus der Form unseres Seins das ableitet, was wir unmöglich tun und wissen können; sondern sie wird in der Kontingenz, die uns zu dem gemacht hat, was wir sind, die Möglichkeit auffinden, nicht länger das zu sein, zu tun oder zu denken, was wir sind, tun oder denken. Sie versucht nicht, eine Metaphysik zu ermöglichen, die schließlich zur Wissenschaft wurde; sie versucht, so weit und so umfassend wie möglich, der fes versteht man […] die Erbitterung nicht mehr, mit der man in den Streit zog; der große, mächtige ideologische Gegner ist – uninteressant geworden.«
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unbestimmten Arbeit der Freiheit einen neuen Impuls zu geben.« (Foucault 1990: 48-49) Analog zu dieser Bestimmung von Kritik lässt sich für mein Projekt formulieren: Die Kontingenz soziologischer Theorie lässt sich öffnen, indem die Praxis der Theorie als Subjektivierung reflektiert wird, um dadurch neue Möglichkeiten für andere Praxen der Theorie zu schaffen. Die Normativität meiner Arbeit ist also in ihrer Kontingenzbejahung (Steinweg 2015: 33) zu sehen. Eine solche Kritik kann soziologische Theorien nicht grundlegend ablehnen, sondern muss sich aus einer immanenten Position an die Grenzen der Theorie begeben. Weil es in diesem Verständnis von Kritik keine machtfreie Situation gibt, zielt die Kritik nicht auf Befreiung von Herrschaft, sondern auf die Infragestellung verfestigter Strukturen: »Die (theoretische) Kritik der Macht ist zunächst nichts als ihre Verflüssigung und Zersetzung durch Analyse. Unter den Begriff Macht fallen dann die zahllosen Kräfteverhältnisse, Wirkungskräfte und Dynamiken, die zur Entstehung und Durchsetzung von Identitäten, Ordnungen und Normativitäten beigetragen haben und damit die Spielräume durch eine Setzung oder Konstitution für eine Zeit lang reduziert haben. […] Eine Kritik der Macht kann in einem solchen Modell nichts anderes sein als das Nachzeichnen und Dokumentieren von Konstitutionsprozessen, die, einmal bewusst gemacht, das Verständnis von und die möglicherweise neuen Spielräume für neue Handlungen und Konstitutionen erweitern.« (Saar 2009: 584-585) Mit diesem Ausblick auf das kommende Kapitel (3.) endet die Problematisierung gängiger Thematisierungen der gesellschaftlichen Ordnungsbeziehungen soziologischer Theorie und damit kommt auch die einleitende Begründung meines Projekts zu einem Ende. Ich habe die vorherrschende externe und metatheoretische Form der Kritik sozialer Ordnungsbeziehungen von soziologischer Theorie als Problem identifiziert. Als Alternative habe ich die immanente Kritik der Praxis der Theorie ins Spiel gebracht, die sich stark an Foucaults kritischer Haltung, einem konstitutiven Machtverständnis und der Subjektivierung als ambivalentem Prozess der Unterwerfung und Ermächtigung orientiert. Im weiteren Verlauf geht es darum, die methodologischen Vorüberlegungen für die hier angedeutete immanente Kritik soziologischer Theorie darzulegen. Für die zu untersuchende Praxis der Theorie, in der soziologische Theorien sich über die Differenz zu ihrem Gegenstand der Gesellschaft, zu alternativen Theorien und zu sich selbst herstellen, werde ich den Begriff der soziologischen Differenz einführen.
Einmal radikal vom Objekt getrennt, reduziert Subjekt bereits das Objekt auf sich; Subjekt verschlingt Objekt, indem es vergißt, wie sehr es selber Objekt ist. Theodor W. Adorno – Zu Subjekt und Objekt
3. Die immanente Kritik der soziologischen Differenz
Ich habe im ersten Kapitel (1.) eine historische Schieflage innerhalb des bisherigen Diskurses über die Ordnungsbeziehungen soziologischer Theorie aufgezeigt. Dieser zeichnet durch eine Überzahl an Meta- und Supertheoretisierungen aus, die in der Form externer Kritik vollzogen werden. Eine solche Kritik ist eng mit der inhaltlichen Verortung der Soziologie innerhalb der Wissenschaft verwoben und führt zu methodologischen Immunisierungen und Kommunikations- und Verständnisblockaden. Sie ermöglicht es daher nicht, sich auf dem multiparadigmatisch verfassten Feld soziologischer Theorie zu bewegen und sich im Sinne eines Multiperspektivismus in unterschiedlichen Theorien zu verorten. Im kommenden Kapitel werde ich zunächst meinen eigenen Standpunkt in Bezug auf soziologische Theorie als den der kritische Haltung Foucaults bestimmen. Anschließend werde ich diese Haltung in der Form des kontrainduktiven Vorgehens nach Feyerabend einnehmen und so für ein pluralistisches Paradigma plädieren (3.1.). Dieser Teil dient mir dazu zu begründen, warum dieser Standpunkt einen neuen Umgang mit soziologischen Theorien, jenseits von Meta- und Supertheoretisierung, ermöglicht. Im Anschluss werde ich ausarbeiten, wie ich mich den soziologischen Ordnungsbeziehungen über den heuristischen Bezugsrahmen der soziologische Differenz (3.2) nähere. Hieraus ergibt sich ein genaueres Bild davon, was es heißt, wenn sich soziologische Theorien in ihrer Praxis an der Differenz zur Gesellschaft, zu anderen Theorien und zu sich selbst formieren. Die Ausarbeitung meines Verständnisses der soziologischen Differenz bildet den methodologischen Kern meiner Arbeit. Von diesem Kern ausgehend werde ich soziologische Theorien als machtvolle Praxen beschreiben, die als Subjektivierungsregime die Denkund Anschauungsformen Einzelner lenken (3.3). Anschließend werde ich zeigen, wie sich die soziologische Differenz immanent kritisieren lässt. Dabei gehe ich davon aus, dass die immanente Kritik die Iterabilität soziologischer Theorie als Gelingensbedingung voraussetzt. Als Verfahren für eine solche Kritik bieten sich daher subversive Argumentationen an (3.4.). Im vierten Kapitel (4.) werde ich meine Methodologie zur Anwendung bringen, um sie am Beispiel der Systemtheorie Luhmanns und der Praxistheorie Bourdieus tentativ zu veranschaulichen und zu plausibilisieren.
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3.1.
Eine kritische Haltung für ein pluralistisches Paradigma
Zum Beginn der Ausarbeitung meiner methodologischen Stoßrichtung werde ich mein normatives Ziel, die Öffnung der Kontingenz soziologischer Theorien mit dem Ziel eines pluralistischen Paradigmas verbinden. Dabei argumentiere ich, dass mit Foucaults kritischer Haltung ein immanenter Ort innerhalb soziologischer Theorien bezogen werden kann, ohne vollständig in der Praxis der Theorien aufzugehen. Die kritische Haltung Foucaults werde ich anschließend mittels des kontrainduktiven Verfahrens Feyerabends einnehmen. Gegen die sozialwissenschaftliche Disziplinierung Foucaults Ich schreibe zwar eine soziologische und keine philosophische Arbeit, betrachte Foucault selbst aber nicht als soziologischen Theoretiker. Dennoch, oder gerade deswegen, orientiere ich mich an seiner kritischen Haltung (Foucault 1990; 1992), um eine eigene Praxis der Theorie für mich zu ermöglichen. Mit Foucault nehme ich also keine externe Position zu den soziologischen Theorien ein, ich schreibe auch keine Archäologie oder Genealogie soziologischer Theorie (ein aktueller Versuch einer solchen Genealogie in Bezug auf die Humanwissenschaft an deutschen Forschungsuniversitäten findet sich bei Avanessian 2015). Vielmehr praktiziere ich seine kritische Haltung innerhalb des Denkens soziologischer Theorien. In Abgrenzung zur sozialwissenschaftlichen Disziplinierung Foucaults (Kocyba 2006; siehe auch Gehring 2009: 386f.; Vogelmann 2017: 25), die versucht, Foucaults Denken in eine spezifische soziologische Differenz einzusperren, nutze ich seine kritische Haltung, um die Grenzen soziologischer Theorien zu öffnen. An die kritische Haltung Foucaults anzuschließen bedeutet, von der These auszugehen, dass in der Praxis der Theorie ein Subjekt der Theorie gleichermaßen vorausgesetzt wie hergestellt wird und dass ich mich dieser Subjektivierung unterwerfen muss, um die Praxis der Theorie kritisch zu transformieren. Für meine immanente Kritik folgt daraus, dass die Kritik der Theorie mit analogen Problemen anderer Kritiken von Regierungskünsten und Programmen konfrontiert ist, weshalb sich im Umkehrschluss viele allgemeine Problematisierungen Foucaults auf meine Problematisierung der Praxis der Theorie übertragen lassen. Eine solche allgemeine Problematisierung hat Foucault (1992: 12) in Was ist Kritik? formuliert: »Wenn man diese Bewegung der Regierbarmachung der Gesellschaft und der Individuen historisch angemessen einschätzt und einordnet, dann kann man ihm, glaube ich, das zur Seite stellen, was ich die kritische Haltung nenne. Als Gegenstück zu den Regierungskünsten, gleichzeitig ihre Partnerin und ihre Widersacherin, als Weise ihnen zu mißtrauen, sie abzulehnen, sie zu begrenzen und sie auf ihr Maß zurückzuführen, sie zu transformieren, ihnen zu entwischen oder sie im-
3. Die immanente Kritik der soziologischen Differenz
merhin zu verschieben zu suchen, als Posten zu ihrer Hinhaltung und doch auch als Linie der Entfaltung der Regierungskünste«. Foucault gibt hier wichtige Hinweise auf die notwendige Immanenz seiner Form der Kritik. Diese kritische Haltung findet als Partnerin und Widersacherin ihren Platz immer innerhalb der regierenden Praxen, in meinem Fall innerhalb der Theorie und unterscheidet sich von ihnen nicht darin, dass sie nicht regiert, sondern darin, dass sie auf eine andere Art und Weise regiert (Foucault 1992: 12; siehe auch Vogelmann 2014: 82). Gleichzeitig geht die kritische Haltung nicht innerhalb der regierenden Praxen auf. Insbesondere in Bezug auf Theorien der Gesellschaft und des Sozialen zeichnet sie sich durch einen Bruch aus, den Frieder Vogelmann (2017a: 25) wie folgt formuliert hat: »Wie der ›Mensch‹ ihnen als Objekt möglicher Erkenntnisse erst durch die Disziplin gegeben wird, deren Machtbeziehungen sie mit ihrer Erkenntnisproduktion wiederum stärken, so wird die ›Gesellschaft‹ als Gegenstand möglicher Erkenntnisse vom Liberalismus produziert. Abermals finden sich damit die Sozialwissenschaften einer scharfen Kritik Foucaults ausgesetzt, weil ihre Forschung zur Konsolidierung jener Wirklichkeit beiträgt, die zugleich Produkt und Garant der liberalen Regierungsrationalität ist. Man muss dieser kritischen Diagnose Foucaults nicht zustimmen und man muss auch nicht glauben, seine oft eher skizzenhafte Argumentation für sie sei an allen Stellen hinreichend, um zu behaupten, dass es eine ungebrochen sozialwissenschaftliche Lesart Foucaults nur um den Preis eines beträchtlichen Teils seiner kritischen Kraft geben kann – oder um den Preis einer stark veränderten sozialwissenschaftlichen Praxis.« Mit diesem Entweder-Oder-Argument wird das Dilemma der Einführung Foucaults in die Sozialwissenschaften deutlich. Weil Foucaults mangelnde methodische Transparenz und Stringenz in den Sozialwissenschaften als wissenschaftlicher Mangel angesehen wird, wurden beispielsweise strenge methodische Regeln für Diskursanalysen entwickelt. Diese geschah als Disziplinierung Foucaults und damit um den Preis seiner kritischen Kraft gegenüber den (Sozial)Wissenschaften. Meine Alternative besteht hingegen darin, Foucaults Bruch zu den Sozialwissenschaften in die soziologische Theorie selbst einzuführen und so eine immanente Kritik soziologischer Theorien zu formulieren. In diesem Sinne geht es in meinem Bezug auf Foucault um die Erkundung einer stark veränderten Praxis jener Theorie, die sich insbesondere bei Luhmann und Bourdieu als sozialwissenschaftliche Praxis begreift. Diese Veränderung orientiert sich an dem von mir ausgegebenen normativen Ziel der Öffnung der Kontingenz soziologischer Theorie (1.). Foucault (2005h: 960; siehe auch Eribon 2017: 110f.) untermauert dieses Ziel mit dem normativen Wert der Freiheit:
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»Ich habe mir vorgenommen – dieser Ausdruck ist gewiss allzu pathetisch –, den Menschen zu zeigen, dass sie weit freier sind, als sie meinen; dass sie Dinge als wahr und evident akzeptieren, die zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Geschichte hervorgebracht worden sind, und dass man diese so genannte Evidenz kritisieren und zerstören kann. Etwas in den Köpfen der Menschen zu verändern – das ist die Aufgabe des Intellektuellen.« Die Zurücknahme dieser normativen Befürwortung der Freiheit der Menschen, durch den Hinweis des allzu Pathetischen, ist bereits Teil der kritischen Haltung Foucaults. Er stellt im selben Moment, in dem er seine normative Stoßrichtung offenlegt, seine eigene Position kritisch in Frage. Dies ist eine logische Konsequenz, da seine Arbeiten gerade gezeigt haben, dass mit der Freiheit und nicht etwa gegen sie regiert wird (Foucault 2006b: 77f.). Foucaults Einsatz für Freiheit geht also nicht mit der Anrufung eines autonomen Subjekts einher, sondern vollzieht sich performativ in einer kritischen Haltung, die immer auch die Prekarisierung der eigenen Position beinhaltet. Karsten Schubert (2018) nennt diese theoretische Aktivität Freiheit als Kritik oder besser Freiheit als die Fähigkeit, seine eigene Subjektivierung kritisch zu reflektieren und sich dadurch selbst zu transformieren (Schubert 2018: 12). Während Schubert dieses Konzept aus einer ausführlichen Theoriediskussion herleitet, geht es mir darum es in Bezug auf die Subjektivierung in und durch die Praxis soziologischer Theorie performativ zu vollziehen. Es handelt sich bei meiner Arbeit um eine Art Gouvernementalitätsstudie zur soziologischen Theorie (Einführend zu Gouvernementalitätsstudien siehe Bröckling/Krasmann 2010; Bröckling/Krasmann/Lemke 2004; Lemke/Krasmann/Bröckling 2000; kritisch siehe Alkemeyer/Villa 2010; Rehmann 2008: 202-217; zur Analyse wissenschaftlicher Weltbilder als Wahrheitsprogramme siehe Lemke 2000: 229f.; 233f.). Ich betrachte Theorie also als einen Ort der Subjektivierung und als eine Form der Regierung, deren Selbstreflexionen in Programme überführt werden, die die Denk- und Anschauungsformen durch die Praxis der Theorie lenken. Methodologisch ist daher zu zeigen, warum eine solche Studie nicht im Modus externer Kritik operiert, dass die Fragen, die Foucault (2000: 70) an die Gouvernementalität im liberalen Staat richtet, sich auf die soziologische Theorie übertragen lassen und welchen Beitrag diese Fragen zur immanenten Kritik der soziologischen Theorie leisten können. Der analytische Fragenkomplex, den Foucault an die Gouvernementalität stellt, lauten verallgemeinert: Wie stellt sie sich dar? Wie reflektiert sie sich selbst? Wie setzt sie sich zugleich ins Werk und analysiert sich selbst? Wie übersetzt sie sich in Programme? 1 Ich 1
Foucault (2000: 70) schreibt: »Daher möchte ich nun in dieser Perspektive den Faden der Analyse der liberalen Gouvernementalität aufnehmen, um mehr darüber zu erfahren, wie sie sich darstellt, wie sie sich selbst reflektiert, wie sie sich zugleich ins Werk setzt und selbst analysiert, kurz, wie sie sich jetzt zur Zeit in Programme umsetzt.«
3. Die immanente Kritik der soziologischen Differenz
übertrage diese Form der Analyse auf die soziologische Theorie. Die Fragen differenzieren meine gegenstandsbezogene Frage Wie stellen sich soziologische Theorien in ihren soziologischen Differenzen durch die reflexive Praxis der Theorie her? gewissermaßen aus. Das immanente Moment soziologischer Theorie, von dem meine Kritik ausgeht und auf das sich meine Kritik richtet, ist die Selbstreflexion soziologischer Theorien. Ich frage dann nach der Selbstdarstellung bzw. -beschreibung soziologischer Theorien und nicht etwa nach der Kritik durch andere Theorien. Ich frage nach der Form, in der sie sich reflektieren, und nicht etwa an welchem allgemeingültigen Maßstab sie sich messen lassen müssen. Ich frage danach, wie sich die soziologischen Theorien in ihrer Selbstbeschreibung und Selbstreflexion herstellen und so die soziologische Differenz hervorbringen. Die letzte Frage leitet über zu einer Machtkritik, denn mit ihr frage ich danach, wie diese soziologische Differenz in ein Programm übersetzt wird, das die weitere Theoriearbeit lenkt und bestimmt. Die Suspendierung der Frage nach der Wissenschaftlichkeit soziologischer Theorie ermöglicht es an einen zweiten Fragenkomplex Foucaults anzuschließen. Ich verallgemeinere durch meine immenente Kritik soziologischer Theorie Fragen, die Foucault (2001: 24-25; siehe auch 2002: 670) an den Marxismus richtet: »Welche Arten von Wissen wollt ihr mit dem Anspruch auf Wissenschaftlichkeit disqualifizieren? Welches sprechende, welches diskursführende Subjekt, welches Subjekt der Erfahrung und des Wissens wollt ihr minorisieren, wenn ihr sagt: ›ich, der ich diesen Diskurs halte, halte einen wissenschaftlichen Diskurs und bin ein Wissenschaftler‹? Welche theoriepolitische Avantgarde wollt ihr inthronisieren, um sie aus der Menge der zirkulierenden und unzusammenhängenden Formen des Wissens herauszulösen?« Während die eher analytischen Fragen dazu dienen, die soziologische Differenz immanent zu erkunden und zu untersuchen, wie sich soziologische Theorien in ihrer reflexiven Praxis selbst herstellen, geht es bei diesem Fragenkomplex um Machtkritik, weil er mich dafür sensibilisiert, welche Reflexionsformen, welche Praxen von Theorien durch eine spezifische soziologische Differenz ausgeschlossen werden. Im Zuge dessen geht es einerseits darum zu klären, welches Subjekt der Theorie innerhalb der Praxis der Theorie einerseits inthronisiert und anerkannt wird, um zugleich darauf zu verweisen, wie alternative Subjektformen durch diese Praxis verhindert werden. Durch diese Übertragung der Machtanalytik und -kritik Foucaults auf die soziologische Theorie erreiche ich einen Verfremdungseffekt innerhalb soziologischer Theorien, denn die Frage an den Wissenschaftsbegriff der Theorien wird durchaus gestellt, ein Bekenntnis zu einem bestimmten Begriff von Wissenschaftlichkeit verweigere ich aber, da ich eine solche Bestimmung nicht für wesentlich halte.
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Meine Einführung der kritischen Haltung Foucaults auf das Feld der soziologischen Theorie macht deutlich, dass es nicht möglich ist, Foucault auf eine Ebene mit den soziologischen Theorien Bourdieus und Luhmanns zu setzen. Mit der kritischen Haltung Foucaults nehme ich aber auch keine externe Position zu den soziologischen Theorien ein, sondern begebe mich in die Praxis der Theorie selbst. Foucaults Arbeit steht also nicht in Konkurrenz zu den soziologischen Theorien, sondern liegt quer zu ihnen. Foucaults kritische Haltung läuft der Praxis soziologischer Theorie insofern entgegen, als sie nicht an der Schließung der theoretischen Form interessiert ist. Die Entscheidung für eine solche kritische Haltung bringt einerseits die Chance mit sich, sich einem pluralistischen Paradigma zuzuwenden, gleichzeitig ist diese Entscheidung mit der Gefahr verbunden, die Formierung soziologischer Theorie so weit zu flexibilisieren, dass sie beliebig erscheint. Im Folgenden kann diese Gefahr nicht gebannt werden, aber anhand der Chancen und Gefahren der kritischen Haltung lassen sich allgemeine Rückschlüsse auf meine immanente Kritik der soziologischen Differenz ziehen. Unabhängig von der Wirkung sind die Gegenspieler einer solchen Kritik bereits jetzt klar. Sie flankieren die kritische Haltung Foucaults auf zwei Seiten und markieren damit den Zwischenraum, in dem sich die Kritik nach Foucault bewegt. Foucault (1984: 124) skizziert diese Gegenspieler in aller Schärfe: »Jeder hat seine Art, sich zu verändern oder – was auf das gleiche hinauskommt – wahrzunehmen, wie sich alles verändert. Nichts ist in dieser Hinsicht anmaßender, als den anderen Vorschriften machen zu wollen. Meine Art und Weise, nicht mehr derselbe zu sein, ist per definitionem das Eigentümlichste von dem, was ich bin. Und doch gibt es – Gott weiß weshalb – jene Agenten ideologischer Zirkulation, deren Trillerpfeifen wir hören: nach rechts, nach links, hinterher, weiter weg, auf der Stelle, jetzt nicht… Beides, das Bedürfnis nach Identität und das unbedingte Gebot, mit der Tradition zu brechen, riecht gleicherweise faul.« Kontrainduktion als Verfahren Ich werde im Folgenden argumentieren, dass sich die kritische Haltung Foucaults mit dem kontrainduktiven Vorgehen Feyerabends einnehmen lässt. Hierdurch bestimme ich erstmals meine eigene Praxis anhand einer konkreten Argumentationsform. Foucault verweist auf zwei Gefahren, die ich dabei zu vermeiden versuche. Erstens bestimme ich mit der kontrainduktiven Argumentationsform keine Identität meiner immanenten Kritik und formuliere keine Vorschrift. Auch diese Kritik ist immer anders möglich. Zweitens ist das kontrainduktive Vorgehen zwar ein Mittel, um mit wissenschaftlichen Traditionen zu brechen. Foucaults Skizze seiner Gegenspieler erinnert mich aber daran, dass dieses Vorgehen nicht zum Selbstzweck werden darf.
3. Die immanente Kritik der soziologischen Differenz
Foucault selbst geht in seinen Arbeiten kontrainduktiv vor, wenn er zum Beispiel ein Repressionsmodell der Macht ablehnt (Foucault 1983: 39ff.), Regierung nicht als Führung des Staates versteht (Foucault 2006b: 134ff.) und den Menschen nicht als Grundlage, sondern als Effekt des modernen Denkens analysiert (Foucault 1974: 413ff.). Darüber hinaus nutzt Foucault das kontrainduktive Vorgehen, um die Fragen, die bestimmte Begriffe aufwerfen, wie beispielsweise Tradition oder Werk, zu suspendieren (Foucault 1981: 33ff.; siehe auch Daniel 2004: 170f.). Ausformuliert wurde die Kontrainduktion als Verfahren allerdings von Paul Feyerabend. Mit ihm lassen sich die Praxis und die Erkenntnisziele dieses Verfahrens bestimmen. Der Name Paul Feyerabend ist in den bisherigen Ausführungen nur am Rande aufgetaucht. Sein theoretischer Anarchismus (Feyerabend 1986: 19) stellt sich gegen die etablierten Gesetze der Wissenschaft und praktiziert einen theoretischen Pluralismus, der aus der grundsätzlichen Annahme folgt, dass es keine letzten Gründe und keine endgültigen Erkenntnisse gibt (Feyerabend 1986: 34; siehe auch Rheinberger 2007: 94f.). Das kontrainduktive Verfahren Feyerabends, so meine These, bietet eine konkrete Möglichkeit, die kritische Haltung Foucaults einzunehmen. Feyerabends Essay enthält interessante Ideen für meine Arbeit, weil seine Problematisierung der Wissenschaft nach, starke Ähnlichkeiten zu der Schieflage aufweist, die ich in Bezug auf die externe und metatheoretische Kritik soziologischer Ordnungsbeziehungen beschrieben habe (2.). So erkennt er, dass es in theoretische Sackgassen führt und zu Erkenntnisblockaden kommt, wenn Wissenschaft einförmig und streng betrieben wird (Feyerabend 1986: 16). Er setzt als Arzneimittel (Feyerabend 1986: 13) auf Anschauungen, die durch die etablierte Wissenschaft als unvernünftig angesehen werden (auch Foucault beschreibt seine Position in diesem Sinne als unvernünftig, siehe Foucault 2009b). Der Glaube, dass diese Anschauungen einen Erkenntnisfortschritt beflügeln können (Feyerabend 1986: 31), beruft sich auf historische Beispiele, wobei die Entwicklung des Kopernikanischen Standpunktes durch Galilei (Feyerabend 1986: 26ff., 89ff.) sicher das prominenteste ist. Feyerabend entwickelt aus zahlreichen weiteren historischen Beispielen, und ohne logisch zwingende Argumentation, Argumente für einen theoretischen Anarchismus: »Und meine These ist, daß der theoretische Anarchismus zum Fortschritt in jedem Sinne beiträgt, den man sich aussuchen mag. Selbst eine ›Gesetz- und Ordnungs‹Wissenschaft wird nur dann Erfolg haben, wenn gelegentlich anarchistische Schritte zugelassen werden. Es ist also klar, daß der Gedanke einer festgelegten Methode oder einer feststehenden Theorie der Vernünftigkeit auf einer allzu naiven Anschauung vom Menschen und seinen sozialen Verhältnissen beruht. Wer sich dem reichen, von der Geschichte gelieferten Material zuwendet und es nicht darauf abgesehen hat, es zu verdünnen, um seine niedrigen Instinkte zu befriedigen, nämlich die
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Sucht nach geistiger Sicherheit in Form von Klarheit, Präzision, ›Objektivität‹, ›Wahrheit‹, der wird einsehen, daß es nur einen Grundsatz gibt, der sich unter allen Umständen und in allen Stadien der menschlichen Entwicklung vertreten läßt. Es ist der Grundsatz: Anything goes.« (Feyerabend 1986: 31-32)2 Diese Argumentation erklärt einerseits, warum die Suspendierung der Frage nach der Wissenschaftlichkeit soziologischer Theorie so fruchtbar für meine Kritik sein kann. Diese Suspendierung geht damit einher, dass ich die Praxis der soziologischen Theorie nicht auf eine Art und Weise reduziere, die klare und präzise Formen herausarbeitet, um sie endgültig zu bestimmen. Stattdessen ermöglicht meine Auseinandersetzung mit der Praxis soziologischer Theorie eine Vervielfältigung ihrer Formen und den Verlust geistiger Sicherheit. Andererseits weist Feyerabend hier auch auf das Problem hin, dass sein eigenes Vorgehen nicht zur festgelegten Methode oder einer feststehenden Theorie werden darf. Ich bediene mich daher nur in loser Anlehnung der zentralen Antiregel, die Feyerabend (1986: 33) für den theoretischen Anarchismus entwirft: »Zum Beispiel kann man Hypothesen verwenden, die gut bestätigten Theorien und/oder experimentellen Ergebnissen widersprechen. Man kann die Wissenschaft fördern, indem man kontrainduktiv vorgeht.« Feyerabend (1986: 33) versteht unter Antiregeln jene, die den anerkannten Regeln des wissenschaftlichen Betriebs zuwiderlaufen. Kontrainduktion heißt in meinem Fall, die Suspendierung der Frage nach der Wissenschaftlichkeit der Soziologie. Dieses kontrainduktive Vorgehen ermöglicht zwei Erkenntnisse: Erstens lässt sich die Form von Theorie herausarbeiten und überschreiten. Zweitens ermöglicht das kontrainduktive Vorgehen die Entwicklung eines pluralistischen Paradigmas. Zur ersten möglichen Erkenntnis über die Form der Theorie: Theorien enthalten nach Feyerabend Grundsätze und Vorannahmen, die nur zu erkennen sind, wenn man ihre Vernunft untergräbt (Feyerabend 1986: 36). Er holt in seinem polemischen und ironischen Essay die Brechstange heraus, indem er angibt, eine externe Kritik durch eigene Begrifflichkeiten formulieren zu wollen: 2
Feyerabend (1986: 11) macht im Vorwort klar, dass diese Aussage ironisch gemeint ist: »denn anything goes ist nicht mein Grundsatz – ich glaube nicht, daß man ›Grundsätze‹ unabhängig von konkreten Forschungsproblemen aufstellen und diskutieren kann, und solche Grundsätze ändern sich von einem Fall zum anderen –, sondern der erschreckte Ausruf eines Rationalisten, der sich die von mir zusammengetragene Evidenz genauer ansieht.« Dies deckt sich mit meiner einleitenden Argumentation (1.): Da aber die angemessenen Grundsätze, Anschauungsformen, Methoden, Theorien problemabhängig und damit gegenstandsabhängig sind, kann es keine universale Theorie der Gesellschaft oder des Sozialen geben, insofern die Gesellschaft einem andauernden historischen Wandel unterworfen ist.
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»Man braucht einen äußeren Maßstab der Kritik, ein System alternativer Annahmen, oder, da diese Annahmen sehr allgemein sind und gewissermaßen eine ganze Gegenwelt konstruieren: man braucht eine Traumwelt, um die Eigenschaften der wirklichen Welt zu erkennen, in der wir zu leben glauben […]. Wir müssen ein neues Begriffssystem erfinden, das den besten Beobachtungsergebnissen widerspricht, die einleuchtendsten theoretischen Grundsätze außer Kraft setzt und Wahrnehmungen einführt, die nicht in die bestehende Wahrnehmungswelt passen.« (Feyerabend 1986: 37, siehe auch 88) Ich denke, dass diese radikale Form der Kontrainduktion vor dieselben Probleme gestellt ist, wie die externe und metatheoretische Kritik. Ein solches neues Begriffssystem immunisiert sich allzu leicht selbst. Es wird eben zu einer festen Methode oder Theorie. Auch Feyerabend (1986: 37) erkennt die Probleme einer konsequent externen und metatheoretischen Kritik und formuliert daher an anderer Stelle abgeschwächt: »Ich habe nicht die Absicht, eine Menge allgemeiner Regeln durch eine andere zu ersetzen; meine Absicht ist vielmehr, den Leser davon zu überzeugen, daß alle Methodologien, auch die einleuchtendsten, ihre Grenzen haben.« Hiermit befindet sich meine Zielsetzung durchaus im Einklang. Mir geht es darum, die Grenzen der Ordnungsbeziehungen soziologischer Theorie, insbesondere die Grenzen ihrer Denk- und Anschauungsformen, aufzuzeigen. Zur zweiten Erkenntnis über die Entwicklung eines pluralistischen Paradigmas: Für Feyerabend (1986: 55ff.) verhalten sich Erkenntnisse auf epistemologischer Ebene grundlegend symmetrisch zueinander. Es gibt kein Wissen, das ausgeschlossen werden darf und nicht zu einem Erkenntnisfortschritt beitragen könnte. Das Problem der externen Kritik versucht Feyerabend also dadurch zu lösen, dass er eine pluralistische Methodologie (Feyerabend 1986: 34) verwendet, die zum Zweck der Kontrainduktion alternative Wissensformen in die Argumentation einbezieht (Feyerabend 1986: 88). Für die von mir gesuchte Bewegungsmöglichkeit auf dem multiparadigmatisch verfassten Feld der Soziologie folgt daraus, dass alle soziologischen Theorien ernst zu nehmen sind. Selbst wenn sie sich grundlegend widersprechen sollten, kann dies nicht bedeuten, dass eine der Theorien zu eliminieren ist, dass nur eine der Theorien richtig sein kann. Vielmehr ist davon auszugehen, dass durch ihre Verstrickung in die gesellschaftlichen Verhältnisse keine Theorie vollständig oder im universalen Sinn richtig ist. Dies führt aber nicht dazu, dass alle Theorien als mangelhaft abgewiesen werden sollten, sondern bringt die Hoffnung mit sich, dass der Widerspruch zwischen Theorien in einer pluralistischen Methodologie fruchtbar gemacht werden kann. Mit diesen Grundannahmen schließe sich mich mit meiner immanenten Kritik
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dem Plädoyer Wider den Methodenzwang an, das Feyerabend (1986: 54) folgendermaßen formuliert: »Eine einheitliche Meinung mag das Richtige sein für eine Kirche, für die eingeschüchterten oder gierigen Opfer eines (alten oder neuen) Mythos oder für die schwachen und willfährigen Untertanen eines Tyrannen. Für die objektive Erkenntnis brauchen wir viele verschiedene Ideen.« Es ist gerade die Suspendierung der Frage nach der Wissenschaftlichkeit, die es ermöglicht, die soziologische Differenz theorieimmanent herauszuarbeiten und den Theorien die Möglichkeit wechselseitiger Kritik eröffnet, die sich sonst als wechselseitig Unzuständige behandeln (in diese Richtung siehe Adloff/Büttner 2013). Ein solches pluralistisches Vorgehen, das die bestehende Theorievielfalt zum Ausgangspunkt nimmt, erspart den Aufwand, ein neues komplexes Begriffssystem zu entwickeln und vermeidet die im zweiten Kapitel (2.) dargestellten Probleme der Metatheoretisierung. Auch Feyerabend (1986: 39ff.) zeigt auf, wie wichtig die Suspendierung der Frage nach der Wissenschaftlichkeit von Theorien für die von ihm geforderte pluralistische Methode ist: »Kein Gedanke ist so alt oder absurd, daß er nicht unser Wissen verbessern könnte. Die gesamte Geistesgeschichte wird in die Wissenschaft einbezogen und zur Verbesserung jeder einzelnen Theorie verwendet. Auch politische Einflüsse werden nicht abgelehnt. Sie sind notwendig, um den wissenschaftlichen Chauvinismus zu überwinden, der sich oft der Einführung von Alternativen zum Status quo widersetzt. Den Alternativen muß es aber erlaubt sein, sich zu vollständigen Subkulturen auszubilden, die nicht mehr auf Wissenschaft und Rationalismus beruhen. […] Die Trennung zwischen Geschichte einer Wissenschaft, ihrer Philosophie und der Wissenschaft selbst löst sich in nichts auf, desgleichen der Unterschied zwischen Wissenschaft und Nichtwissenschaft.« (Feyerabend 1986: 56) Aus der Inkommensurabilität unterschiedlicher Wissensstrukturen folgt für Feyerabend also nicht, dass man einen Weg finden müsste, die eine richtige Theorie zu finden. Stattdessen kommt er zu dem Schluss, dass man nie der Überzeugung sein darf, ein bestimmtes Wissen, eine bestimmte Theorie wäre die einzig wahre und plädiert daher für einen radikalen Theoriepluralismus (siehe auch Buber 1973a: 158f.; zu dieser Konsequenz aus der Inkommensurabilitätsthese im Anschluss an Kuhn siehe Rorty 1987: 350ff.). Feyerabend erhofft sich durch die Etablierung eines theoretischen Anarchismus, der als Arznei immer ein Fremdkörper in der Wissenschaft bleiben wird, Erkenntnisfortschritt. Er zeigt auf, wie gerade das kontrainduktive Vorgehen Theorieentwicklung und Erkenntnisfortschritt schaffen kann (Feyerabend 1986: 39ff.). Dies gelingt, weil die Kontingenz wissenschaftlicher Theorien und Verfahren so weit geöffnet wird, dass sie auf die Komplexität ihres Gegenstandes adäquater reagieren können als das einseitige Festhalten an einer Theorie:
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»die Welt, die wir erforschen möchten, ist etwas weitgehend Unbekanntes. Daher müssen wir uns offenhalten, dürfen uns nicht im voraus beschränken.« (Feyerabend 1986: 17) Plädoyer für ein pluralistisches Paradigma Indem ich unterschiedliche soziologische Theorien gleichermaßen ernst nehme und so flexible Positionierungen jenseits externer Kritik erzeuge, sollen diese nicht mehr nur multiparadigmatisch nebeneinander geordnet (so Luhmann 1998: 1145), sondern in ein gemeinsames pluralistisches Paradigma überführt werden. Aus der These Feyerabends, dass heterogene Wissensformen sich symmetrisch zueinander verhalten, folgt, dass prinzipiell jedes Wissen – auch jenes, das den etablierten Theorien (Feyerabend 1986: 39ff.) und sogar den empirischen Erfahrungen (Feyerabend 1986: 55) widerspricht – Erkenntnisfortschritt erzeugen kann. Dies gilt also auch für die unterschiedlichen Paradigmen soziologischer Forschung. Hieraus leiten sich zunächst klassische Argumente für Theorievergleiche ab: »Ein Wissenschaftler, der an hohem empirischem Gehalt interessiert ist und der möglichst viele Seiten seiner Theorie verstehen möchte, wird sich also eine pluralistische Methodologie zu eigen machen, er wird Theorien mit anderen Theorien statt mit ›Erfahrungen‹, ›Daten‹ oder ›Tatsachen‹ vergleichen und er wird versuchen, Auffassungen, die im Wettbewerb zu unterliegen scheinen, zu verbessern, statt sie fallenzulassen.« (Feyerabend 1986: 55) Mein folgendes Plädoyer für ein pluralistisches Paradigma geht aber weit über klassische Theorievergleiche innerhalb der soziologischen Theorie hinaus. Ein solches Paradigma ermöglicht es nämlich, auch inkommensurable, sich gänzlich widersprechende, nicht vergleichbare Theorien zu verbinden. Dieses Paradigma strebt weder Theorieintegration, noch eine Metatheorie oder die Einheit des Faches an, es macht sich vielmehr einen gleichermaßen praktischen wie realistischen Perspektivismus (Ritsert 2014: 111f.; Schäfer 1995: 19) zu eigen, der mit den vorherrschenden Konfliktlinien zwischen konkurrierenden soziologischen Theorien bricht (ähnlich aus praxistheoretischer Perspektive Rölli 2015: 70f.). Ausgehend von der multiparadigmatischen Verfasstheit des Feldes soziologischer Theorie werde ich die Idee des pluralistischen Paradigmas formulieren und von bestimmten eklektizistischen Ideen abgrenzen. Anschließend lassen sich das Ziel, die Form, die Praxis und eine Bedingung des pluralistischen Paradigmas bestimmen. Dies führt zu einem Begriff von Paradigma, der sich von Kuhn und Feyerabend kritisch abhebt. Ein Problem der multiparadigmatischen Verfasstheit des Feldes soziologischer Theorie besteht darin, dass niemand zur selben Zeit in mehr als einer paradigmatischen Perspektive positioniert sein kann (Otte 1996: 202). Meine These ist, dass die Einführung der kritischen Haltung Foucaults in die soziologische Theorie einen fließenden Wechsel zwischen Theorien ermöglicht. Zwar ist es auch dadurch
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nie möglich, gleichzeitig in verschiedenen paradigmatischen Denk- und Anschauungsformen zu agieren, aber ihre Grenzen können in Frage gestellt und überschritten werden. Norbert Klinkmann (1981: 255) hat die Möglichkeit und die Bedingungen eines solchen pluralistischen Paradigmas im Zuge der Theorievergleichsdebatte bestimmt: »Es ist nötig, Soziologen heranzubilden, die über die Internalisation eines ›pluralistischen Paradigmas‹ alle heute vorhandenen Theorien als gleichberechtigt zum Gebrauch bereithielten und nicht mehr der angesichts unserer Erkenntnismöglichkeiten unverständlichen Absicht wären, man könne einer wahren Abbildung der Welt durch die Konfrontation ihrer vielfältigen theoretischen Modelle auf eine für uns wiederum erkennbare Weise näherkommen.« Die Idee des pluralistischen Paradigmas bringt also zum Ausdruck, dass es eine Weltsicht unter anderen gibt, die die Heterogenität zahlreicher Weltsichten in sich vereint. Indem ich diesen Begriff verwende, grenze ich mich nach zwei Seiten ab. Einerseits gehe ich davon aus, dass keine Einheitstheorie der Soziologie durch Theorieintegration möglich ist (siehe auch Reckwitz 2005). Andererseits grenze ich mich gegen eklektizistische Positionen ab, die in ihrer Extremform davon ausgehen, dass Theorien sich nicht paradigmatisch-inkommensurabel zueinander verhalten und Bruchstücke von Theorien beliebig miteinander kombiniert werden können. Weil der Eklektizismus innerhalb der Debatte um die Wissenschaftlichkeit der Soziologie nur belächelt (so Esser 1999: 15) wird, ist auch hier die Suspendierung der Frage nach der Wissenschaftlichkeit soziologischer Theorie eine Voraussetzung, um mich jenseits der Differenz wissenschaftlich/nicht-wissenschaftlich einer bestimmten Form des Eklektizismus anzuschließen. Diese Form schließt an Andrew Abbotts Vorschlag an, die Schwächen eklektizistischer Theoretisierung aufzugreifen, um dessen Stärken zu betonen. Er schreibt zu Beginn von Chaos of disciplines: »An eclectic is always losing arguments. One lacks the closemindedness necessary to treat others’ positions with the contempt they so easily display for one’s own. Of course in interaction I fake this contempt as well as the next academic. But I usually rush off to bone up on what I have just been denying. And I have never managed that happy disregard of whole areas of intellectual life – mathematics, say, or history – that so simplifies the life of some of my colleagues.« (Abbott 2001: x; siehe auch Adloff/Büttner 2013) Ich kann mich Abbotts Selbstbeschreibung durchaus anschließen, denn auch ich versuche eine prekäre Position einzunehmen, die es mir erlaubt, jede argumentative Konfrontation mit allen soziologischen Theorien zu verlieren. Der Effekt ist, dass es möglich wird, unterschiedlichste Theorien zu verstehen. Die Gefahr der Explosion und eines eklektizistischen Scherbenhaufens sitzt meinem Unterfangen
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dabei stets im Nacken. Meine Abgrenzung vom Eklektizismus zielt daher auf das »Wie?« des Wechsels zwischen Paradigmen. Mit der Idee des pluralistischen Paradigmas bringe ich gegen voluntaristische und opportunistische Verständnisse von Eklektizismus zum Ausdruck, dass die wissenschaftlichen Elemente, auf die ich mich berufe, nicht frei und autonom gewählt und zusammengesellt werden können (so auch Fleck 2014a: 219). Theorien können auch nicht auf ihren Status als Mittel und Instrument zur Erforschung empirischer Phänomene eingeschränkt (in diese Richtung argumentieren Adloff/Büttner 2013: 264f.) und daher in der empirischen Forschung relativ beliebig genutzt werden. Wer Theorien verstehen und in theoretischer Aktivität aufgehen will, muss sie zur eigenen Weltsicht, zur eigenen Denk- und Anschauungsform werden lassen. Dies ist ein von Macht durchzogener Unterwerfungsprozess unter einen Denkstil. Diesen Prozess so komplex zu gestalten, dass eine reflexive Kritik der eigenen Subjektivierung und eine multiple Unterwerfung in unterschiedlichen theoretischen Paradigmen möglich werden, setze ich mir mit dem pluralistischen Paradigma zum Ziel. Die Form des pluralistischen Paradigmas lässt sich folgendermaßen umschreiben: Ein pluralistisches Paradigma ist paradoxer Weise gleichzeitig eine Einheit, also eine bestimmte Weltsicht, und eine Vielheit von Weltsichten (dies ist auch die Paradoxie der Gesellschaft bei Luhmann 1992c: 635).3 Diese Paradoxie kann auf den ersten Blick nach zwei Seiten aufgelöst werden: Erstens indem angenommen wird, dass ein pluralistisches Paradigma auch nur ein Paradigma unter anderen ist und damit zur weiteren Fragmentierung des Feldes soziologischer Theorie beiträgt (in diese Richtung Felsch/Witzel 2016: 149). Aus dieser Auflösung der Paradoxie erwächst die Ablehnung eines pluralistischen Paradigmas, weil es in ein radikales anything goes führt (hierzu kritisch Feyerabend 1986), insofern es unendlich viele Möglichkeiten pluralistischer Paradigmen gibt. Zweitens kann die Paradoxie aufgelöst werden, indem angenommen wird, es handle sich bei dem pluralistischen Paradigma um ein Einheitsparadigma, dass die multiparadigmatische Verfasstheit der soziologischen Theorie letztlich in einer Metatheorie aufhebt, die alle anderen Theorien integriert. Aus dieser Auflösung der Paradoxie erwächst die Ablehnung eines pluralistischen Paradigmas, weil es in eine grand theory führt (hierzu kritisch Reckwitz 2005), insofern das pluralistische Paradigma zum einzigen Paradigma wird. 3
In Bezug auf das Verständnis von Normalwissenschaften nach Kuhn (1973: 44ff.) ist bereits eine Koexistenz von Paradigmen paradox (Schurz 1998: 3f.; Osrecki 2018). Im Umgang mit einer solchen Paradoxie konnte empirisch gezeigt werden, dass beispielsweise die multiparadigmatische Verfasstheit der Erziehungswissenschaft sich für Praktiker (Erzieher) als ein Dilemma darstellt, das sie durch eine multiparadigmatische Praxis des Sowohl-Als-Auch bearbeiten (Patry 1998; 2014: 104-108).
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Ich versuche die Paradoxie nicht aufzulösen, sondern sie möglichst aufrecht zu erhalten. Beide Auflösungen der Paradoxie des pluralistischen Paradigmas sind nämlich einseitig. Sie würden versuchen eine bestimmte Theoriepolitik (anything goes vs. Einheitstheorie) zu etablieren, die letztlich das Konzept eines pluralistischen Paradigmas zerstört, das sich gerade durch das Spannungsverhältnis ihm immanenter Paradoxien, Ambivalenzen und Widersprüchlichkeiten auszeichnet. Für die Aufrechterhaltung der Paradoxie spricht, dass die aufgezeigten Entparadoxierungen sich als äußerst instabil erweisen. Sie ließen sie sich immer wieder paradoxieren, wenn zum Beispiel gesehen wird, dass soziologische Theorie zwar kontingent aber nicht beliebig ist, also doch nicht alles geht (Luhmann 1992c: 177) oder wenn neben der behaupteten Einheitstheorie neue subversive Theorien unerwartet das Wort ergreifen (Reckwitz 2005). Weil das Ziel des pluralistischen Paradigmas eine paradoxe Form aufweist, ist es ein nicht zu erfüllendes Ziel. Als solches hat es, nach Bröckling (2010a: 285; siehe auch 2007a: 21), das Potenzial mich in Bewegung zu halten. Die Frage ist nun, wie ich diese Paradoxie in die Praxis des pluralistischen Paradigmas überführe. Unter dem pluralistischen Paradigma verstehe ich (wieder als eine Paradoxie) eine theoretische Praxis, in der ich mich zwischen unterschiedlichen theoretischen Paradigmen bewege. Analog zu Kuhn (1973: 112) gehe ich davon aus, dass es innerhalb der Wissenschaft und der Soziologie nicht möglich ist, ein Paradigma abzulehnen, ohne ein anderes an seine Stelle zu setzen. Gegen Kuhn zeige ich mit dieser Arbeit, dass sich die Wechsel zwischen Paradigmen flexibler gestalten, als es Kuhns (1973: 151ff., 208f.) Konzept des Paradigmenwechsels nahe legt. Meine These ist in diesem Zusammenhang, dass es einzelnen Soziologen durch eine (selbst)kritische Haltung möglich ist, in bedingter Freiheit zwischen Paradigmen zu wechseln, ohne dass damit die Inkommensurabilität der theoretischen Paradigmen aufgehoben wird. Die Bewegung zwischen den Paradigmen nimmt grob gesagt folgende Form an: Ich beginne zunächst in einer Theorie Selbstreflexionen durchzuführen. Als normatives Ziel dient mir das pluralistische Paradigma dazu, Reflexionen auf meine eigene theoretische Aktivität und Erfahrung anzustoßen. Diese Reflexion setzt mich in Bewegung. Ich kann dann fragen, ob ich nicht schon zu lange in einer Theorie verharre, einseitig argumentiere, eindimensional werde usw. Diese Frage lässt sich aber letztlich nur beantworten, indem ich beginne, die Theorien zu wechseln. Gleichzeitig funktioniert die Norm des pluralistischen Paradigmas als ein Werkzeug, um Reflexionen abzubrechen. Weil ich meine Reflexion nicht in einem infiniten Regress immer wieder auf mich selbst anwenden will, kann ich mit dem pluralistischen Paradigma als Norm durchaus für eine gewisse Zeit einem Paradigma verhaftet bleiben, ohne dort zu sicher zu verwurzeln. Eine Bedingung für das pluralistische Paradigma ist es, die hier vorliegende Arbeit als Arbeit an mir selbst zu begreifen (1.). Für die Ausbildung neuer plura-
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listischer Soziologinnen, wie Klinkmann (1981: 255) es sich vorstellt, braucht es, so meine These, tiefgehende Erkenntnisse über das Subjekt der Theorien, das in einem wechselseitigen Konstitutionsverhältnis zur Praxis der Theorien hervorgebracht wird. Klinkmann (1981: 258) äußert hingegen die Annahme, dass es, für die Herausbildung eines neuen Typus der Soziologin keine so umfänglichen Arbeiten benötigt: »Mir scheint, daß in der gegenwärtigen Situation der Sozialwissenschaft ein interparadigmatischer Theorievergleich als systematisch betriebenes Unternehmen unmöglich und zudem auch überflüssig ist. Ich bin aber nicht der Ansicht, Theorienvergleich schlechthin sei ein entbehrlicher Luxus, nur habe ich dabei eine ganz andere Art von ›Vergleich‹ im Sinn, eine, die nicht auf die Hierarchisierung von Ansätzen abzielt, die nicht nach einer krampfhaft erstellten Methodologie vorgeht, sondern eine, bei deren Durchführung den beteiligten Wissenschaftlern an der Erweiterung ihrer noch partikular-paradigmatischen Sichtweisen gelegen ist, wo es also um den Erwerb der Fähigkeit geht, nach und nach verstehend einer multiperspektivistischen Erfassung der sozialen Welt näher zu kommen. Auf diese Weise werden und wurden in der Tendenz vermutlich schon immer Theorien nebeneinander gestellt, auf lockere aber doch ernsthafte Art: im ganz selbstverständlichen, nicht nur durch das wissenschaftliche Ethos bedingten Austausch von Ideen nämlich, im täglichen ›Wie meinst du das?‹ und ›Das stimmt doch nicht!‹. An dieser Stelle müßte Gearbeitet werden – in Richtung auf eine pluralistische Soziologie.« Gegen Klinkmann spricht, dass sich eine Generation nach der von ihm geäußerten Hoffnung noch keine pluralistische Soziologie etabliert hat. Die Gründung der Akademie für Soziologie ist hierfür nur das offensichtlichste Indiz. Ich denke, dies hängt damit zusammen, dass Multiperspektivismus und ein pluralistisches Paradigma höchst voraussetzungsvoll sind. Sie können nicht im alltäglichen Sprachgebrauch und alltäglichen Gesprächen an soziologischen Instituten eingeübt werden. Häufig sind die Institute in sich so homogen und folgen einem so etablierten Sprachspiel, dass es gar nicht zu einem paradigmatischen Konflikt kommt. Das heißt, die Unterwerfung und Subjektivierungen, die soziale Ordnungen und damit auch die Denk- und Anschauungsweisen soziologischer Theorie zeitigen, sind nicht einfach durch eine Thematisierung innerhalb dieser Ordnung zu überwinden (eindrücklich siehe Eribon 2017: 38, 63f.). Feyerabend (1986: 102-103) schreibt zu der Möglichkeitsbedingung seiner pluralistischen Methodologie: »Philosophen, die neue Auffassungen einführen und prüfen möchten, sehen sich also keinen Argumenten gegenüber, auf die sie höchstwahrscheinlich eine Antwort wüßten, sondern einer undurchdringlichen Mauer eingewurzelter Reaktionen. Das entspricht genau der Haltung von Menschen, die fremde Sprachen nicht beherr-
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schen und den Eindruck haben, eine bestimmte Farbe werde viel besser durch ›rot‹ als durch ›rosso‹ beschrieben. Im Gegensatz zu solchen Bekehrungsversuchen, die sich auf das Gewohnte berufen […], ist darauf hinzuweisen, daß eine vergleichende Beurteilung von Beobachtungssprachen, z.B. materialistischer, phänomenologischer, objektiv-idealistischer, theologischer usw. Beobachtungssprache, erst dann beginnen kann, wenn sie alle gleich fließend gesprochen werden.« Eine wirkliche Ent-Unterwerfung innerhalb eines Paradigmas ist demnach nur möglich, wenn zuvor eine Unterwerfung stattgefunden hat, wenn anschließend die Macht der Theorie bewusst reflektiert wird und wenn darüber hinaus eine immanent neue Praxis der Theorie eingeübt werden kann, die die bestehende Ordnung unterläuft. Aus diesem Grund erscheint es mir wichtig, mit der immanenten Kritik der soziologischen Differenz eine Methodologie zu erstellen, die die Herausbildung einer pluralistischen Soziologie befördert. Um eine pluralistische Sozialwissenschaft paradigmatisch werden zu lassen, muss eine Praxis der Theorie etabliert werden, die unter Umständen mit der etablierten und routinierten Praxis wissenschaftlicher Soziologie bricht. Dies gelingt, wenn unter Paradigma keine wissenschaftliche Weltsicht im Sinne Kuhns verstanden wird, für den letztlich immer die besseren Argumente (ohne deswegen Beweise zu sein) siegen und sich nur ein Paradigma pro Disziplin durchsetzt (Kuhn 1973: 209; 1977b: 421ff.; kritisch Schurz 1998: 3) und für den, wie bei Feyerabend (1986: 31), wissenschaftlicher Fortschritt das Ziel seiner Anstrengungen ist (Kuhn 1973: 210). Stattdessen kann mit der etablierten und routinierten Praxis wissenschaftlicher Soziologie gebrochen werden und ein großer Schritt hin zu einem pluralistischen Paradigma gemacht werden, wenn Paradigma mit Foucault (2003b: 191) als eine Ordnung mit eigenen Machtwirkungen verstanden, analysiert und kritisiert wird. Foucaultsche Paradigmatologie ist, wie Giorgio Agamben (2009: 16f., 37f.) gezeigt hat, die immanente Erforschung eines Subjektivierungsregimes als Denk- und Anschauungsform jenseits der kognitiven Verhältnisse zwischen Einzelnen und ihren Objekten. Sie beendet damit das Projekt einer alles fundierenden Erkenntnistheorie, das durch die Inkommensurabilitätsthese von Feyerabend und Kuhn ins Wanken gebracht wurde (siehe auch Rorty 1987: 350-363). In letzter Konsequenz muss sich eine so verstandene pluralistische Soziologie, die sich der kritischen Haltung Foucaults verschreibt, auch für Perspektiven und Wirklichkeitssichten jenseits der Wissenschaft öffnen, denn diese sind schon als solche gesellschaftliche Wirklichkeit (Boltanski 2010: 20ff.; Feyerabend 1986: 56, 88; Foucault 2002: 672f.). Nach diesen Ausführungen zum Nutzen von Foucaults kritischer Haltung und Feyerabends kontrainduktivem Vorgehen für meine Auslegung eines theoretischen Anarchismus, der die Frage nach den Grenzen von Theorien mit der Forderung eines theoretischen Pluralismus verbindet, geht es in den kommenden Teilen dieses Kapitels darum auszuarbeiten, wie ich eine immanente Kritik der soziologischen
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Differenz durchführe. Hierzu werde ich zunächst den Begriff der soziologischen Differenz bestimmen.
3.2.
Die soziologische Differenz
Wenn ich die sozialen Ordnungsbeziehungen soziologischer Theorie als soziologische Differenz untersuche und kritisiere, dann hat diese Differenz innerhalb meiner Kritik eine heuristische Funktion. Es ist daher wichtig herauszuarbeiten, auf welche Frage die soziologische Differenz die Antwort ist. Indem die soziologische Differenz meine methodologische Frage danach, wie sich die reflexiven Ordnungsbeziehungen theoretischer Soziologie formal und immanent kritisieren lassen, beantwortet, verbindet sie als heuristischer Bezugsrahmen meine Methodologie mit der gegenstandsbezogenen Frage. Im weiteren Verlauf dieses Unterkapitels (3.2) geht es also um diese Ausarbeitung der soziologischen Differenz. Ich beschreibe die soziologische Differenz zunächst als Form und werde erst im nachfolgenden Unterkapitel (3.3) zeigen, wie sich diese Form immanent kritisieren lässt. Dies geschieht, indem ich soziologische Theorie als Subjektivierungsregime analysiere. Im letzten Unterkapitel (3.4) werde ich dann den Ort, die Gelingensbedingungen und die Grenzen sowie einige Verfahren der immanenten Kritik der soziologischen Differenz aufzeigen. Die soziologische Differenz als Antwort auf meine methodologische Frage Bei der soziologischen Differenz handelt es sich also um einen Beobachtungsbegriff, der meine immanente Kritik an soziologischen Theorien erst ermöglicht und damit den Gegenstand an die Methodologie koppelt. Ich werde zunächst die gestellte methodologische Frage, wie sich die reflexiven Ordnungsbeziehungen theoretischer Soziologie formal und immanent kritisieren lassen, weiter entfalten, so dass die Überlegungen hinter dieser Frage zum Vorschein kommen. Um zu begründen, dass mein heuristischer Bezugsrahmen der soziologischen Differenz eine Antwort auf die methodologische Frage ist, gebe ich anschließend eine knappe Definition der soziologischen Differenz und zeige die Ambivalenz dieses Begriffs auf, der einerseits heuristischer Bezugsrahmen und andererseits Praxis der Theorie ist. Die Betonung der Reflexivität verweist darauf, dass die Ordnungsbeziehungen zwischen soziologischer Theorie und ihrem Anderen nicht dichotom sind. Differenzen zwischen Soziologie und Gesellschaft, zwischen unterschiedlichen soziologischen Theorien und von soziologischen Theorien zu sich selbst sind nicht gegeneinander abgeschlossen, sondern stehen in einem reflexiven Verhältnis zueinander. Soziologische Theorie wird in diesem reflexiven Doppelbezug als Erfindung der Gesellschaft gedacht. Dies bedeutet, dass die soziologische Theorie sich erst in der
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Reflexion ihrer Ordnungsbeziehungen formiert und daher formal gedacht werden kann. Hans-Jörg Rheinberger (2007: 108) schreibt in Anlehnung an Foucault: »Jenseits der Schwelle zur Wissenschaftlichkeit müssen Aussagen innerhalb einer Formation bestimmten Konstruktionsgesetzen gehorchen. Die Schwelle zur Formalisierung ist schließlich überschritten, wenn die entsprechende Wissensformation dazu übergegangen ist, sich selbst unter axiomatischen Voraussetzungen zu denken.« Die formale Analyse soziologischer Ordnungsbeziehungen als Praxis der soziologischen Differenz fokussiert also darauf, wie die Wissensformationen soziologischer Theorie sich selbst denken. Dass heißt, dass soziologische Theorie als Gegenstand innerhalb derselben Theorie auftaucht. Die Ablehnung eines dichotomen Verhältnisses von Theorie und anderen gesellschaftlichen Ordnungen wird durch die Frage nach der Ordnungsbeziehung noch einmal betont. Indem ich soziologische Theorie als soziales Phänomen begreife, sehe ich von vornherein eine Wechselseitigkeit, die keiner Perspektive (innerhalb oder außerhalb der theoretischen Soziologie) einen prinzipiellen epistemischen Vorrang gibt. Das heißt, dass ich nicht nur die Theorie als Praxis analysiere, sondern auch jeder Praxis eine Theorie zuspreche. Diese Symmetrie von Theorie und Praxis ist formal gedacht. Das heißt, ich blende bestehende Asymmetrien zwar nicht aus, entziehe mich aber altbekannten methodologischen Dualismen von Struktur und Handlung (so auch Stäheli 2000a: 58ff.), Objektivismus und Subjektivismus (so auch Alkemeyer/Buschmann 2016: 116, Jaeggi 2013: 293f.; Nassehi 2004b: 163f.), Induktion und Deduktion (so auch Agamben 2009: 37) und nicht zuletzt Praxis und Theorie (so auch Althusser 1972: 76; Celikates 2009: 160; Gouldner 1974: 582). Die Praxis der Theorie ist also keine Struktur, die die Handlung der Theoretiker bestimmt (Struktur/Handlung). Die Praxis der Theorie weist zudem weder eine objektive Form auf, die ich erkennen könnte, noch ist sie subjektiv durch die Intentionen der Theoretiker bestimmt (Subjektivismus/Objektivismus). Die Praxis der Theorie lässt sich auch nicht induktiv durch die Beobachtung der Praxis von Theoretikern erfassen noch deduktiv durch eine Theorie der Theorie eingrenzen (induktiv/deduktiv). Außerdem ist die Praxis der Theorie nicht dadurch zu entschlüsseln, dass die Differenz von Theorie und Praxis alleine als theoretische Unterscheidung oder als praktische Unterscheidung angesehen wird (Theorie/Praxis). Mit der prinzipiellen Symmetrie von Theorie und Praxis meine ich, dass die genannten Unterscheidungen selbst Praxis der Theorie sind und damit gleichermaßen theoretisch wie praktisch. In der Formulierung Praxis der Theorie kommt also eine Gleichzeitigkeit der beiden Seiten der genannten Differenzen zum Ausdruck. Die Annahme der prinzipiellen Symmetrie von Praxis und Theorie ist in Bezug auf gängige Dualismen der Soziologie also kontrainduktiv und widerspricht zudem auch der alltäglichen Erfahrung. Diese alltägliche Erfahrung zeigt ja gerade, analog zur soziologischen Theorie, dass Theorie und Praxis
3. Die immanente Kritik der soziologischen Differenz
in keinem symmetrischen Verhältnis zueinander stehen (Nuzzo 2010). Mit einer solchen negativen Abgrenzung meines Verständnisses von Praxis der Theorie zu gängigen Dualismen ist aber noch wenig über mein Vorgehen gesagt. Daher wird es im Folgenden darum gehen, meine Theorie der Praxis der Theorie positiv zu bestimmen. Indem ich die Ordnungsbeziehungen der soziologischen Theorie formal denke und nach dem »Wie?« der Formierung frage, ist es mir möglich, die Beurteilung der Inhalte auszusetzen (zu dieser Unterscheidung siehe auch Stahl 2014: 241ff.). Unter Formierung verstehe ich, dass es mir nicht darum geht, was einzelne Theorien unter dem Sozialen, der Gesellschaft, der Wissenschaft usw. verstehen, sondern wie sie diese Inhalte nutzen, um sich auf eine bestimmte Art und Weise zu reflektieren und so soziologische Differenzen hervorzubringen. Durch den Fokus auf das »Wie?« der Formierung – die sich in einer Situation des Nachvollzugs soziologischer Theorie ereignet – wird die Praxis der Theorie zum Gegenstand meiner Kritik, also nicht der empirische Wahrheitsgehalt ihrer Aussagen oder die Bedingungen für die Möglichkeit wahrer Aussagen (Foucault 2009a: 38f.). Die Beurteilung von Wissenschaftlichkeit kann demnach ein Beispiel für das »Wie?« der Formierung soziologischer Theorie sein, ohne dass ich mich einem solchen Urteil anschließe oder es bestreite. Das heißt für meine Beobachtung: In der Praxis der Theorie lässt sich eine Praxisform (Bourdieu 1976: 182; 2014c: 277ff.) der Theorie erkennen, die sich zwar als Wahrheitsszene (Kleeberg/Suter 2014: 217f.; Langenohl 2014: 239f.) darstellt, bis zu deren tatsächlichem Wahrheitskern meine Analyse aber nicht vorstoßen kann. Dieses Vorgehen wähle ich, weil Wahrheit im postempirischen Sinn ein theorieimmanenter Begriff ist. Diese Immanenz des Wahrheitsbegriffs führt dazu, dass Wahrheit keine geeignete Kategorie ist, in der sich soziologische Theorien aus einem wechselseitig-externen Standpunkt vergleichen können (Vielmetter 1999: 59f.). Drei Aspekte der soziologischen Differenz Allgemein lässt sich sagen: Durch die soziologische Differenz unterscheidet sich die Soziologie von ihrem Anderen und reflektiert diese Unterscheidung als eine Ordnungsbeziehung. In dieser Unterscheidung entsteht die Denk- und Anschauungsform der Soziologie, also Theorie (zur Theorie als Anschauungsform siehe Nuzzo 2010). Dies ist eine zirkuläre Argumentation, weil die Theorie erst in dem Moment entsteht, in dem sie ihre eigenen Begriffe und Unterscheidungen (mit ihren eigenen Begriffen und Unterscheidungen) als theoretische Praxis beobachtet (siehe zu dieser Zirkularität auch Daniel 2004: 14f.). Das heißt, es entsteht in der theoretischen Reflexion nicht nur die Vorstellung über das Andere der Soziologie, sondern auch das soziologische Bild ihrer selbst. Dieses Interesse an Denk- und Anschauungsformen formu-
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liert auch Foucault (2010b: 265), wenn er das spezifische Interesse seiner Geschichte des Denkens wie folgt beschreibt: »Es schien mir ein Element zu geben, das von sich aus geeignet war, die Geschichte des Denkens zu charakterisieren: das, was man die Probleme oder genau die Problematisierung nennen könnte. Das Denken unterscheidet sich darin, dass es etwas ganz anderes ist als die Gesamtheit der Vorstellungen, die einem Verhalten zugrunde liegen; es ist auch etwas ganz anderes als das Gebiet der Haltungen, die ein Verhalten bestimmen können. Das Denken wohnt nicht einer Verhaltensführung inne und verleiht ihr Sinn; es erlaubt vielmehr, gegenüber dieser Tätigkeitsund Reaktionsweise auf Abstand zu gehen, sie für sich zum Denkgegenstand zu machen und sie auf ihren Sinn, ihre Bedingungen und ihre Zwecke hin zu befragen. Das Denken ist die Freiheit gegenüber dem, was man tut, die Bewegung, durch die man sich davon löst; man konstituiert es als Objekt und man reflektiert es als Problem.« Diese Bestimmung des Denkens als Subjektivierung durch reflexive Selbstobjektivierung ist in vier Hinsichten aufschlussreich. Wenn ich also Denk- und Anschauungsformen analysiere, wird mit Foucault erstens deutlich, dass ich Reflexionen soziologischer Theorie analysiere. In der Regel findet die soziologische Differenz also als zirkuläre und reflexive Praxis in einem durch soziologische Theorie vorgegebenen Rahmen statt und lässt sich dann als Praxis der Theorie analysieren. Zweitens objektiviert sich soziologische Theorie in der Praxis der soziologischen Differenz selbst. Sie macht sich selbst zum Denkgegenstand und zum Problem, wenn sie ihre Ordnungsbeziehungen zur Gesellschaft betrachtet. Dies liegt daran, dass die Soziologie sich immer als Teil einer Gesellschaft im Wandel versteht und ihre Fundierungsversuche auf die eigene Ungründbarkeit stoßen (2.). Drittens stehen die Denk- und Anschauungsformen der Theorie nicht in einer unmittelbaren Beziehung zu Einzelnen. Die Reflexivität soziologischer Theorie ist gewissermaßen losgelöst von Einzelnen, auch wenn diese eine Bedingung ihrer Praxis sind. Als räumlich begrenztes und zeitlich endliches Wesen können Einzelne nie die Freiheit erreichen, die das Denken gegenüber dem Handeln verspricht. Das Subjekt der Theorie, das die Reflexion seiner selbst in den Grenzen der soziologischen Differenz vollzieht, ist also niemals ein bestimmter Einzelner (dies erläutere ich weiter unter 3.3). Viertens ist es nur plausibel, dass dieses Denken sich von einer absoluten Wahrheit unterscheidet, wenn es empirisch unterschiedliche Denk- und Anschauungsformen gibt. Es wird also zu zeigen sein, dass es eine Puralität soziologischer Differenzen als reflexive Praxisform soziologischer Theorie gibt (dies zeigen die Beispiele unter 4.). Als Praxisform ist die soziologische Differenz gleichzeitig eine soziale Praxis und eine gleichermaßen kontingente wie stabile Form (Reckwitz 2008a: 114). Für praxistheoretische Überlegungen ist es selbstverständlich so, dass die Biographien der Theoretisierenden, ihre körperliche Verfasstheit, ihr inkorporiertes Wissen,
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ihre Position in einer Institution, ihr geographischer Ort auf der Welt, die technischen Artefakte zur Anfertigung einer Theorie, vom Zettel und Stift bis zu komplexen Rechenmaschinen, und vieles mehr Teil der Praxis der Theorie sind. Darüber hinaus beginnt Theorie aber nie auf einem weißen Blatt Papier. Die Praxis der Theorie ist also ein Vollzugszusammenhang, der auch durch die bestehende Theorie bestimmt wird und gleichzeitig erst im theoretischen Vollzug Theorie hervorbringt. Da ich von der Theorie ausgehe, geht es also darum, wie soziologische Theorie Welt konstruiert und so ihre welterschließende Kraft entfaltet (hierzu Matthes 1985), welche Anrufungen von Theorien ausgehen, welche Freiheitsversprechen das Denken der Theorie gibt und wie sich einzelne Theoretisierende anhand dieser Versprechen und Anrufungen subjektivieren (lassen) können. In vergleichender Perspektive geht es darum, Unterschiede in Bezug auf diese Praktiken soziologischer Theorie zu erkennen. Ich werde den heuristischen Bezugsrahmen der soziologischen Differenz nun differenzierter bestimmen. Mit dem Begriff der soziologischen Differenz fasse ich eine Reihe von Ordnungsbeziehungen soziologischer Theorie zusammen, die, so meine These, starke Effekte innerhalb der Praxis der Theorie erzeugen. Es handelt sich hierbei also um Denk- und Anschauungsformen, mit denen sich soziologische Theorie reflektiert, also im Sinne Foucaults objektiviert und problematisiert. Die reflexiven Ordnungsbeziehungen soziologischer Theorie auf diese Weise immanent zu bestimmen bedeutet, sie als soziologische Differenz zu rekonstruieren, in der sich soziologische Theorien reflektieren und so von anderem unterscheiden. Konkret lässt sich das Andere, welches durch die soziologische Differenz hergestellt wird, für meine weitere Analyse auf drei Aspekte eingrenzen:4 Das Andere der soziologischen Theorie ist erstens und vor allem, bei aller Paradoxie und Unbestimmtheit (Luhmann 2017: 8), die Gesellschaft als Gegenstand der Soziologie. Nur sofern die Gesellschaft als eine Einheit und Totalität begriffen wird, zu der die Soziologie keinen externen Standpunkt einnehmen kann, führt die Gesellschaftsbeziehung notwendig in Selbstreflexionen. Weil der Gesellschaft eine Totalität zugeschrieben wird, tauchen in diesem Anderen auch alternative, soziologische und nicht-soziologische Selbstbeschreibungen der Gesellschaft auf. Durch die soziologische Differenz grenzen sich Theorien also auch von Gegenspielern und anderen Theorien ab. Das Andere sind also zweitens und im 4
Es gibt sicherlich auch weitere Differenzen, die sich auf weitere Aspekte des Anderen der Soziologie beziehen können. So gibt es z.B. Differenzen, die nicht zur Gesellschaft, sondern zu anderen Gegenständen gezogen werden. Am deutlichsten wird dies in der soziologischen Distanz zum Menschen und zur Anthropologie (Alvear 2017; Bröckling 2013b; Lindemann 2009). Solche alternativen soziologischen Differenzen ignoriere ich in dieser Arbeit, ohne ihre Bedeutung gering zu schätzen.
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Besonderen, alternative (auch nicht-soziologische) Theorieangebote und die Unterschiedlichkeit zu ihnen. Konsequenterweise führt die soziologische Differenz zur Totalität der Gesellschaft auch zu einer soziologischen Selbstdistanzierung. Dies wird besonders deutlich, wenn soziologische Theorie sich selbst als Praxis reflektiert und insbesondere auf die Herstellung ihrer Gegenstände fokussiert. Zu sehen ist dies beispielsweise bei Gesa Lindemann (2009: 31), die Theorie als eine kontingente soziale Praxis beschreibt. Dies führt sie nicht nur zu der Erkenntnis, dass soziologische Theorien keinen universellen Anspruch haben können. Vielmehr führt eine solche selbstverortende Ordnungsbeziehung der soziologischen Theorie notwendig in Selbstreflexionen, weil alle Theorien damit rechnen müssen, dass sie durch die Gesellschaft bestimmt sind, in der sie sich vollziehen. Diesen Zusammenhang meine ich, wenn die Soziologie als Erfindung der Gesellschaft bezeichnet wird: Soziologie erfindet nicht nur die Gesellschaft, sondern Soziologie ist selbst eine Erfindung der Gesellschaft. Soziologie reflektiert diesen Zusammenhang, denn der Totalitätsbezug, den soziologische Theorien Gesellschaft nennen, ist bereits die gesellschaftliche Selbstreflexion der soziologischen Theorie als Selbstdistanzierung (Adorno 1979d: 556f.; Beck 1972; Brunkhorst 1978a: 118f.; Habermas 1972: 291ff.; Lindemann 2009: 31; Luhmann 2017: 12, 915ff.; Marchart 2013: 15-63, 356-359). Das Andere ist damit drittens und immer auch das reflektierte Selbst der soziologischen Theorie (zur Differenzproduktion in der Reflexion siehe auch Kesselring 1984: 141). Diese drei Aspekte unterlaufen die klare Trennung von Selbst- und Fremdbeschreibung. Unter dem ersten Aspekt vollzieht soziologische Theorie eine Fremdbeschreibung der Gesellschaft, findet sich aber in diesem Fremden wieder (ausführlich und beispielhaft in 4.2). Unter dem zweiten Aspekt grenzen sich soziologische Theorien von ihren Gegenspielern ab und fertigen dadurch nicht nur eine Fremdbeschreibung an, sondern versuchen auch ihren Sinn des Spiels (Fleck 1980: 62) hegemonial durchzusetzen (Hörisch 2010: 13). Durch die Konstruktion eines Anti-Subjekts (Reckwitz 2010: 139f.) konstituieren sich die Subjekte hier zuallererst selbst (ausführlich und beispielhaft in 4.3). Unter dem dritten Aspekt finden zwar klassische Selbstbeschreibungen statt, weil diese aber immer auf eine zeitliche Differenz angewiesen sind, durch die sich das beschreibende Selbst vom beschriebenen Selbst unterscheidet, findet hier eine Selbstbeschreibung als Fremdbeschreibung statt (ausführlich und beispielhaft in 4.1). Die Kombination dieser drei Aspekte zeigt: Mit der soziologischen Differenz machen Theorien immer auch Identitätspolitik (Butler 2014: 211 ff; siehe zum Problem der Identitätspolitik in der Wissenschaft Kaldewey 2016; Lindner 2000: 15-17; zur Kritik der Identitätspolitik siehe Foucault 2010a: 391). Das Selbst der Theorie ist Identität, besser ein historisches Subjekt (Hall 1994: 184ff.) der Theorie, das sich von Anderem unterscheiden muss (einführend Stäheli 2000a: 62ff.). Es konstituiert sich innerhalb der Praxis der Theorie nur, insofern soziologische Theorien nicht
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mit sich identisch, nicht vollständig geschlossen sind – oder in den Worten Derridas Mit-sich-(Von-sich)Differieren (Derrida 1992: 13). Dies schaffen Theorien vor allem durch die Selbstverortung in der eigenen Gesellschaftstheorie und damit durch eine paradoxe, oszillierende Bewegung zwischen Forschungssubjekt und –objekt, zwischen Selbstbeschreibung als Fremdes und Fremdbeschreibung des Eigenen. Anhand der soziologischen Differenz lassen sich soziologische Theorien also nicht einfach von anderen Dingen unterscheiden. Es handelt sich hierbei um eine Differenz an sich selbst, die Deleuze (2007: 49) von einer empirischen Differenz unterscheidet: »Die Differenz ist jener Zustand, in dem man von DER Bestimmung sprechen kann. Die Differenz ›zwischen‹ zwei Dingen ist bloß empirisch, und die entsprechenden Bestimmungen sind nur äußerlich. Stellen wir uns aber anstatt eines Dings, das sich von einem anderen unterscheidet, etwas vor, das sich unterscheidet – und doch unterscheidet sich das, wovon es sich unterscheidet, nicht von ihm. Der Blitz zum Beispiel unterscheidet sich vom schwarzen Himmel, kann ihn aber nicht loswerden, als ob er sich von dem unterschiede, was sich selbst nicht unterscheidet. Man könnte sagen, der Untergrund steige zur Oberfläche auf, bleibe aber weiterhin Untergrund. Es liegt auf beiden Seiten etwas Grausames, ja Ungeheuerliches in diesem Kampf gegen einen unfaßbaren Gegner, in dem sich das Unterschiedene einer Sache entgegensetzt, die sich nicht von ihm unterscheiden kann und immer weiter mit dem vereinigt, was sich von ihr absetzt. Die Differenz ist diese Fassung der Bestimmung als einseitiger Unterscheidung. Von der Differenz muß also gesagt werden, daß man sie macht oder daß sie sich macht, entsprechend des Ausdrucks ›einen Unterschied machen‹.« Wenn ich die soziologische Differenz analysiere, dann handelt es sich in diesem Sinne um eine Unterscheidung, die sich selbst macht. Weil diese Differenz einseitig ist, wie Deleuze feststellt, lässt sich ihre Bestimmung auch nur immanent untersuchen. In der Analyse muss ich diese Unterscheidung (nach)machen oder (nach)vollziehen, um überhaupt erkennen zu können, wie die soziologische Differenz sich unterscheidet. Die so entstehende Differenz an sich selbst wird insbesondere in der reflexiven Praxis soziologischer Theorie sichtbar. Das Subjekt, das diese Differenz macht, ist dabei konstitutiv mit dieser Differenz verbunden. Mein hier zu Grunde liegendes Subjektverständnis nimmt also eine wechselseitig konstitutive Beziehung von der Praxis soziologischer Theorie, verstanden als soziologische Differenz, und dem Subjekt der Theorie an. Die soziologische Differenz ist also eine Praxis der Theorie und damit ein Vollzugszusammenhang, in dem die Theorie als auch das Subjekt der Theorie gleichermaßen hergestellt werden.
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Die Ambivalenz des Begriffs der soziologischen Differenz Der Begriff der soziologischen Differenz hat eine doppelte Funktion: Erstens dient er mir, im Sinne dieser Bezeichnung von drei Aspekten der Beziehungen soziologischer Theorie zu Anderem, als Beobachtungsbegriff und somit als Heuristik. Damit trage ich ihn von außen an soziologische Theorien heran, was ihn in die Nähe zu den bereits kritisierten externen und metatheoretischen Kritiken (2.) setzt. Ich formuliere mit der soziologischen Differenz aber keine geschlossene (Meta-)Theorie der Soziologie, die behaupten würde, dass es eine durch den Begriff der soziologischen Differenz vermittelte Einheit soziologischer Theorie gäbe. Vielmehr setze ich einen forschungsleitenden Bezugsrahmen für die immanente Kritik der Praxis der Theorie. Einschränkend ist damit festzuhalten, dass Begrifflichkeiten wie die Soziologie, die Theorie, die soziologische Differenz immer nur heuristischen Wert haben und keine voreilige Generalisierung und Homogenisierung in Bezug auf die heterogene Landschaft soziologischer Theorie vornehmen. Deshalb möchte ich betonen, dass ich mit dem heuristischen Bezugsrahmen der soziologischen Differenz zwar eine kritische Distanz zu soziologischen Theorien aufbauen kann, dass es sich dabei aber nicht um einen Metatheorie handelt. Dies liegt daran, dass es zweitens die Theorien selbst sind, die diese Differenz in konkreten Texten herstellen. Soziologische Theorien enthalten demnach selbstreferenzielle Praktiken der Selbstbeschreibung, Selbstdeutung und Selbstregierung, die anhand der soziologischen Differenz strukturiert werden (zu einer solchen Perspektive auf Subjekte siehe Reckwitz 2010: 135ff.). Damit binde ich mich an die Herausforderung, die Praxis der Theorie nur in konkreten Vollzügen kritisieren zu können. Die soziologische Differenz wird also nicht nur als Heuristik genutzt, um auf soziologische Theorien zuzugreifen. Ich bezeichne damit auch eine spezifische Praxis der Theorie und unterstelle den Theorien damit eine starke Eigendynamik. Dann wird die soziologische Differenz nicht mehr als externer Beobachtungsbegriff, sondern als empirisches Phänomen begriffen. Das hat zur Konsequenz, dass es in der Praxis soziologischer Theorien nicht die soziologische Differenz gibt, sondern soziologische Differenzen, deren jeweilige Formen Unterschiedlichkeiten aufweisen. Es ist daher nicht auszuschließen, dass eine soziologische Theorie mehrere soziologische Differenzen praktiziert und dass eine bestimmte Praxis der Theorie sich in unterschiedlichen Theorien finden ließe. Soziologische Differenzen sind demnach nicht ineinander übersetzbar. Durch diesen Begriff hebe ich also nicht die Inkommensurabilität soziologischer Theorien auf, sondern suche immanent nach den Grenzen der Praxis von Theorien, um in der Überschreitung dieser Grenzen die Art und Weise, wie ich mich und die Welt betrachte, zu verändern. Gerade die Möglichkeit vielfältiger, möglicherweise inkommensurabler Formen der soziologischen Differenz macht es notwendig, dass ich eine eigene Begrifflichkeit entwerfe, auch wenn die Aspekte, die ich der soziologischen Diffe-
3. Die immanente Kritik der soziologischen Differenz
renz zuschreibe, durch soziologische Theorien selbst explizit thematisiert werden. Es geht darum, keiner Theorie von vornherein den Vorzug zu geben. Meine eigene Begrifflichkeit muss also so eigenständig sein, dass keine der kritisierten Theorien sie als das Eigene einer anderen, bekannten Theorie identifizieren kann. Das bedeutet z.B., dass meine Begrifflichkeit für die Systemtheorie nicht einfach als Kritische Theorie zu erkennen sein darf, für die Praxistheorie nicht einfach als Systemtheorie usw. Dies würde nur zu den oben skizzierten (2.) Kommunikationsund Verständnisblockaden externer Kritik führen. Zudem muss meine Begrifflichkeit soweit im Einklang mit den kritisierten Theorien stehen, dass meine Argumentation von den unterschiedlichen Theorien als jeweils immanent verstanden werden kann. Wenn das gelingt, wird es paradoxer Weise durch den selbständigen Begriff der soziologischen Differenz möglich, immanente Beziehungen zwischen soziologischen Theorien herzustellen, die sich wechselseitig gerade durch ihre Praxen der Herstellung soziologischer Differenzen, insbesondere durch den zweiten Aspekt der soziologischen Differenz, ausgrenzen. Diese Beziehung gestattet dann eine Bewegung auf dem Feld der soziologischen Theorie, die ich als pluralistisches Paradigma (3.1) skizziert habe. Bisher habe ich recht allgemein den Begriff der soziologischen Differenz bestimmt. Jetzt komme ich genauer auf die Macht der Theorie zu sprechen, um sowohl das Subjekt der Theorie als auch die Regierung durch Theorie kritisch hinterfragen zu können.
3.3.
Theorie als Subjektivierungsregime
In diesem Kapitel formuliere ich die machtanalytische Dimension meiner Methodologie entlang der Begriffe Macht, Subjekt und Regierung. In Bezug auf den Begriff der Macht geht es mir zunächst darum zu plausibilisieren, dass die Praxis der Theorie ein Vollzugszusammenhang ist, der neben materiellen und körperlichen Phänomenen auch durch die bestehende Theorie bestimmt wird, die in diesem Vollzugszusammenhang erst hervorgebracht wird. Das wirft die Frage auf: Was macht Theorie? Ich werde zunächst an zwei spezifischen Beispielen aufzeigen, dass die Theorie überhaupt etwas macht, sich also eine Macht der Theorie auf Einzelne auswirkt. Zudem zeige ich, dass die Macht der Theorie die Annäherung an ein pluralistisches Paradigma verhindern kann. Im Anschluss werde ich drei systematische Argumente für eine theoretische Reflexion der Macht der Theorie ausarbeiten. Dies führt mich dann zu einer tieferen Auseinandersetzung mit dem Subjekt der Theorie und der Regierung durch Theorie. Dabei entwerfe ich im Anschluss an Foucault eine Analytik des Subjekts der Theorie, die das Subjekt gerade von Einzelnen abstrahiert. Das Subjekt ist demnach keine autonome Instanz, die eine Theorie hervorbringt, sondern die Theorie selbst setzt als gesellschaftliches Phänomen ein Subjekt voraus,
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das gleichzeitig erst in der Subjektivierung von Einzelnen auftaucht. Meine Konzeption der Analyse der Regierung durch Theorie flankiert die Analyse des Subjekts der Theorie, durch den Blick auf einen Komplex, der bestimmt, wie Denkweisen und Menschen miteinander verflochten sind. In einer Zusammenführung werde ich das Subjektivierungsregime soziologischer Theorie skizziere. Nach dieser machtanalytischen Antwort auf meine methodologische Frage geht es im vierten Unterkapitel (3.4) um die machtkritische Komponente, also darum, wie die soziologische Differenz einer immanenten Kritik unterzogen werden kann. Die Macht der Theorie Die folgenden Beispiele zeigen nachträgliche Begründungen für eine spezifische Theoriewahlen (zum Problem der Theoriewahl siehe Kuhn 1977b: 432f.). Einzelne Soziologen rekonstruieren also, wie und warum sie zu einem Systemtheoretiker bzw. Praxistheoretiker geworden sind. Dieser Prozess kann nach meiner Einschätzung nicht allein durch die sozialen Positionen und Beziehungen erklärt werden, in denen sich die zitierten Soziologen befinden, sondern wird auch durch die Theorien selbst, insbesondere die von ihnen vorgegebenen Reflexionsformen konstitutiv bestimmt. Für die Systemtheorie lässt sich Rudolf Stichwehs Schilderung seiner systemtheoretischen Sozialistation heranziehen. Er schreibt: »Ich war in den Traditionen des Marxismus und der kritischen Theorie aufgewachsen und stand Luhmanns großem Kontrahenten, Jürgen Habermas, weit näher als Luhmann selbst. Sobald ich in den Seminaren etwas zu sagen wagte, habe ich jede Möglichkeit zum Widerspruch ausgenutzt und Luhmann, glaube ich, manchmal auch damit beeindruckt. Aber gleichzeitig passierte etwas, was ich einige Zeit vor Luhmann zu verbergen versucht habe; die Überzeugungen, die ich zu verteidigen versuchte, kollabierten unter dem Druck der Systemtheorie, und wenn ich diesen kognitiven Druck mit einer Formel fassen müßte, würde ich sagen: Für mich war es die unglaubliche Realitätsfähigkeit der Systemtheorie, die zunehmend die kritische Theorie als ein dürres Unterfangen vorwiegend normativen Gehalts erscheinen ließ.« (Stichweh 1999a: 62) Sicherlich ist dieser Druck der Systemtheorie auch durch die Auseinandersetzung mit Luhmann selbst und die Umgebung des von Stichweh skizzierten Seminars bedingt. Doch beschreibt Stichweh hier auch den Druck der Systemtheorie als Denkund Anschauungsform, die in der Lage ist, den Blick auf die Realität zu lenken, unter dem seine bisherigen Überzeugungen zusammengebrochen sind. Die Reflexionsform, die für diese Macht der Theorie konstitutiv ist, lautet: Aus der Sicht dieser Theorie erscheinen letztlich alle Beobachtungen als Beobachtungen erster Ordnung, die sich im Falle der kritischen Theorie als normative Unterfangen beobachten lassen, während das eigene Denken im Modus zweiter Ordnung operiert.
3. Die immanente Kritik der soziologischen Differenz
In Bezug auf die Macht der Praxistheorie nach Bourdieu können die Schilderungen Didier Eribons herangezogen werden. Er schreibt in seiner selbstreflexiven Arbeit Gesellschaft als Urteil: »Als Leser kann man sich der Kraft und der Evidenz von Bourdieus Denken kaum entziehen. Besonders gilt das wohl, wenn man selbst ein sozialer Überläufer ist, der sofort begreift, dass die verschiedenen Orte, an denen er gelebt hat, und die dort vorherrschenden Lebensweisen sich jederzeit relational definieren. Wie man von der Lektüre Bourdieus geradezu physisch ergriffen werden kann, wie man durch sie das Selbst und den Blick auf die Welt verändern kann, das hat Annie Ernaux prägnant beschrieben […]. Etwas Neues zu schreiben heißt immer auch, einen Bezug zu großen, inspirierenden Autoren zu entwickeln. Sie vererben uns eine Art zu lesen, sie haben eine Arbeit der Aufklärung und Erklärung geleistet und, sehr wichtig, ihre Gesten haben eine autorisierende Wirkung auf uns. Die großartige Rekonstruktion der sozialen Ordnung als Maschine der Ungleichheit, die minutiöse und hartnäckige Entschlüsselung der Wirkungsweisen sozialer Herrschaft, die sich perpetuieren, indem sie sich dauerhaft in unsere Gehirne einschreiben, all das hat mich nicht nur geistig illuminiert, sondern auch, zumindest teilweise, existenziell befreit. Es raubte mir den Atem.« (Eribon 2017: 60-62) Auch bei Eribon wird sofort klar, dass die beschriebene Wirkung des Denkens Bourdieus in der persönlichen Beziehung zwischen Eribon und Bourdieu und in Eribons Herkunft konstitutive Bedingungen findet (Eribon 2017: 43, 62). Dennoch beschreibt auch er, wie eine Theorie eine Eigenmacht in Bezug auf die Denk- und Anschauungsformen Einzelner entfalten kann, wie die Theorie gleichzeitig befreien und den Atem rauben kann.5 Eribons Verstrickungen in das Denken Bourdieus gehen sogar so weit, dass dieses Denken und insbesondere das Habituskonzept herangezogen werden, um die Macht der Theorie zu erklären. So lässt sich die Stelle interpretieren, in der Eribon eine Korrelation zwischen seiner Rolle als Überläufer und der relationalen Theorie Bourdieus herstellt. Deutlich tritt hervor, dass es auch hier die Reflexionsform der Praxistheorie ist, die Eribon zu einem Praxistheoretiker macht. Diese beiden Zitate illustrieren, dass den in meiner Arbeit im Vordergrund stehenden System- und Praxistheorie jeweils eine Eigenmacht zugeschrieben wird. Die folgenden zwei allgemeinen Hinweise zeigen erneut, dass es eine Macht der 5
Rückkehr nach Reims (Eribon 2016) und Gesellschaft als Urteil (Eribon 2017) veranschaulichen eindrücklich, dass die Macht der Theorie Bourdieus befreiend wirken können. Eribon wird durch sie in die Lage versetzt, sein Welt- und Selbstbild radikal zu verwandeln. Gleichzeitig ist in den beiden Büchern zu sehen, wie die Macht der Theorie immer stärker wird, wie Eribons Glaube an Habitus-, Feld- und Praxistheorie immer unbedingter und fester werden.
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Theorie gibt und dass diese Macht die Hinwendung zu einem pluralistischen Paradigma verhindert. Sie geben darüber Hinweise darauf, was eine immenente Kritik soziologischer Theorie leisten muss, die sich als Weg in ein pluralistisches Paradigma versteht. In ihrer ersten Vorlesung zur Sozialtheorie konfrontieren Hans Joas und Wolfgang Knöbl (2013) ihre Studierenden mit der multiparadigmatischen Verfasstheit soziologischer Theorie. Sie erkennen, dass dieses Charakteristikum verunsichernd und damit abschreckend wirken kann. Als Warnung rufen sie ihren Studierenden zu: »Aber retten Sie sich aus dieser Unübersichtlichkeit nicht durch eine Flucht in die erstbeste Theorie, die Ihnen zusagt. Es gibt bereits zu viele Studierende, die nur eine einzige Theorie wirklich kennen und die von dieser dann so begeistert sind, daß sie alle anderen Ansätze links liegen lassen – ein Verhalten, das ihnen allerdings leider auch von nicht wenigen Dozenten vorgelebt wird, die sich nicht selten auf eine – und nur auf eine Theorie! – spezialisiert haben und alle anderen Theorien prinzipiell für ›schlecht‹ oder unnütz erachten.« (Joas/Knöbl 2013: 35-36) Die Erfahrungen die Joas und Knöbl mit Studierenden und Dozenten der Soziologie machen ist, dass es sich bei diesen um eindimensionale Soziologen (im Werden) handelt. Den neuen Typus der pluralistischen Soziologin, den Klinkmann (1981) noch durch das alltägliche Gespräch im beruflichen Alltag aufkommen sieht, gibt es demnach kaum. Ein erster Hinweis zur Erklärung dieses Sachverhalts lässt sich der Mahnung von Joas und Knöbl entnehmen: Einzelne sind mit der multiparadigmatischen Verfasstheit des Feldes soziologischer Theorie überfordert, sie bekommen ihre Information innerhalb der Wissenschaft relativ zufällig (Luhmann 1974c: 236) und treten zur Komplexitätsreduktion die Flucht nach vorne an, indem sie sich auf eine einzige Theorie konzentrieren (siehe auch Osrecki 2018). Diese lenkt dann ihre Denk- und Anschauungsformen, insbesondere ihre möglichen Reflexionsformen. Meine immanente Kritik der soziologischen Theorie kann nur dann einen Weg in ein pluralistisches Paradigma anlegen, wenn sie es schafft die skizzierte Überforderung in eine produktive Herausforderung zu wenden. Ein zweiter Hinweis für die Möglichkeit einer Analytik der Macht der Theorie lässt sich bei Feyerabend finden. Er schreibt über seine Erfahrungen mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftstheoretikerinnen: »Bei der Beurteilung wissenschaftlicher Ideen gab es schon immer die Tendenz, historische Umstände zu vernachlässigen und alles gleichsam sub specie aeternitatis zu betrachten. Man verstehe mich recht: ein Wissenschaftler, der seinen Kollegen und der staunenden Welt eine neue Entdeckung vorführen will, hält sich natürlich genau an die in seinem Fachgebiet herrschenden zufälligen Umstände. Gibt es da einen mächtigen und leicht reizbaren Herren, so wird er versuchen,
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ihn durch Hinweise auf seine Arbeit milde zu stimmen. Haben seine Kollegen gewisse Vorteile, dann wird er versuchen sie zu umsegeln oder zu entschärfen. […] Im großen und ganzen verhält er sich wie ein vernünftiger Mensch, der zu anderen vernünftigen Menschen redet und sie dabei so nimmt, wie sie persönlich sind und wie sie glauben, daß sie sich nach Maßgabe ihres Faches verhalten müssen. Für die meisten Wissenschaftler gilt dies aber nur, solange sie aktiv forschen und anderen Forschern von ihren Ergebnissen berichten. Zur Reflexion über die Forschung aufgefordert, redet die große Mehrzahl der Wissenschaftler ganz anders. Da ist nicht von zufälligen Umständen die Rede, da hört man nichts von den Hindernissen, die durch persönliche Idiosynkrasien und unwesentliche Etikettenregeln verursacht werden, da hört man nur von Tatsachen, zwingenden Schlüssen und vernünftigen Maßstäben des Denkens.« (Feyerabend 1986: 188-189) Es scheint also einen Unterschied zwischen dem forschenden Arbeiten von Wissenschaftlerinnen und ihrer Reflexion auf die eigene wissenschaftliche Tätigkeit zu geben. Erst im Moment der Reflexion schafft es die Theorie die Kontrolle zu übernehmen. Es ist keine Rede mehr von den langen Stunden im stickigen Büro, von dem Schlafmangel in heißen Phasen der Forschungsarbeit, von den Problemen mit dem Computer, von den hilfsbereiten und konkurrierenden Kolleginnen. Stattdessen wird das eigene Tun als das interessenlose Interesse des Positivismus reflektiert, gegen das Feyerabend sich hier richtet, das nur an Tatsachen, zwingenden Schlüssen und vernünftigen Maßstäben im Sinne des kritischen Rationalismus interessiert ist. Nicht die Hindernisse, die historischen und persönlichen Umstände, blockieren die Reflexion, sondern eine zu glatte Reflexion blockiert sich selbst indem sie leerläuft. Meine immanente Kritik der soziologischen Theorie kann nur dann einen Weg in ein pluralistisches Paradigma anlegen, wenn sie Rissen in den allzu glatten Reflexionen über die theoretische Forschung aufzeigt. »Was macht Theorie?« als reflexive Wendung einer Praxissoziologie des Theoretisierens Die Frage Was macht Theorie? liegt letztlich meiner spezifisch methodologischen Eingangsfrage, wie sich die reflexiven Ordnungsbeziehungen theoretischer Soziologie formal und immanent kritisieren lassen, zugrunde. Die grundlegendere Frage ist eine praxistheoretische Abkehr von der Frage Was ist Theorie? (so fragen Joas/Knöbl 2013: 13ff.; Kalthoff 2008: 11ff.; Zima 2004), denn mit der Frage Was macht Theorie? werden die Vollzüge der Theorie analysiert und nicht etwa eine Wesensbestimmung angestrebt. Gleichzeitig vollzieht meine Arbeit eine Umkehrung bisher üblicher Analysen der Theorie als Praxis. Diese haben die Praxis der Theorie letztlich auf Phänomene zurückgeführt, die nicht spezifisch theoretisch sind, also z.B. auf die Biographie der Autoren, auf ihre institutionelle Einbindung, ihre technische Ausstattung und ihre sozialen Beziehungen (einführend Beaufaÿs 2003: 13-16; aktuell
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und diagnostisch bei Lepenies 2017: 382ff.; Scherr 2017: 389ff.; Schmidt 2016). Das bedeutet auch, dass die Praxis der Theorie, der ich in dieser Arbeit nachspüre, nicht mit der Praxis der wissenschaftlichen Debatte (Hamp 2017) zu verwechseln ist, in der Theorie immer nur das nachgelagerte Ergebnis von vorhergehender Praxis bleibt (Hamp 2017: 43f., 79ff.). Indem ich die Macht der Theorie innerhalb der Praxis der Theorie betone, verfolge ich also eine theoretische Reflexion. Hier tut sich ein Bruch zur angeführten Praxistheorie auf. Praxistheorie inszeniert sich, gerade in ihrer Abgrenzung zu konkurrierenden soziologischen Theorien, als Negation des Theoretizismus (Alkemeyer/Schürmann/Volbers 2015: 11; siehe auch Rölli 2015) oder der theoretischen Theorie, wie Bourdieu (2013a: 258; siehe auch 2014b: 49f.) es nennt. Praxeologischen Einwänden gegen diesen theoretizistischen Blick begegne ich mit drei Anmerkungen. Drei Argumente für eine theoretische Reflexion der Theorie Erstens zeige ich mit dieser Arbeit auf, dass von der Formierung der Theorie eine Eigenmacht ausgeht. Die theoretische Objektivität (Berger 2014: 53) mag zwar nicht körperlich-materiell realisiert sein, ist aber doch selbst ein Teil gesellschaftlicher Praxis. Foucault hat um die Macht der Denksysteme gewusst, zu denen ohne Zweifel auch Theorien gehören. Daher war sein Vorgehen nicht un-theoretisch, aber doch von einer Skepsis geprägt und mit dem Versuch verbunden, nicht eindimensional durch eine feste Theorie bestimmt zu werden und entsprechend keine Metatheorie der Denksysteme zu formulieren. In Der Mensch ist ein Erfahrungstier gibt Foucault (1996) weitreichende Auskünfte über seine Bücher Wahnsinn und Gesellschaft (Foucault 1973) und Überwachen und Strafen (Foucault 1994): »Es ist also ein Buch, das dem, der es schreibt, ebenso wie dem, der es liest, als eine Erfahrung dient, viel eher denn als Feststellung einer historischen Wahrheit. Damit man vermittelt über dieses Buch, eine solche Erfahrung machen kann, muß das, was darin gesagt wird, natürlich im Sinne akademischer Wahrheit wahr sein, das heißt historisch verifizierbar. Genau das kann ein Roman nicht. Trotzdem liegt das Wesentliche nicht in der Serie solcher wahren oder historisch verifizierbaren Feststellungen, sondern eher in der Erfahrung, die das Buch zu machen gestattet. Nun ist diese Erfahrung jedoch weder wahr noch falsch. Eine Erfahrung ist immer eine Fiktion, etwas Selbstfabriziertes, das es vorher nicht gab und das es dann plötzlich gibt. Darin liegt das schwierige Verhältnis zur Wahrheit, die Weise, in der sie in eine Erfahrung eingeschlossen ist, die mit ihr nicht verbunden ist und sie bis zu einem gewissen Punkt zerstört.« (Foucault 1996: 30, siehe auch Schäfer 1995: 38) Wahrheit und Erfahrung sind also so aneinander geknüpft, dass die Wahrheit notwendig ist, um bestimmte Erfahrungen zu machen, und dass genau diese Erfah-
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rungen die Wahrheit wiederum unterminieren. Weil Wahrheit ein theorieimmanenter Begriff ist, lässt sich dieses Verhältnis auf Theorie und Erfahrung übertragen. Dann ist es nicht nur nicht mehr möglich einer Theorie zu folgen, sondern sogar notwendig, die Idee der einen endgültigen Theorie abzulehnen und gleichzeitig die Bedeutung von Theorien für Erfahrung hervorzuheben. Foucault betont wenig später, dass er es ablehnt, einer Theorie zu folgen und streicht die Notwendigkeit der persönlichen Erfahrung heraus.6 Doch ist damit auch klar, dass es der Theorien bedarf um Erfahrung zu sammeln, und dass es darauf ankommt, zwischen ihnen wechseln zu können, um sich und sie zu verändern (Foucault 1996: 31-32). Zweitens merke ich gegen die praxeologische Kritik des theoretizistischen Blicks an, dass meine Arbeit performativ vorführt, dass die immanente Kritik der Praxis der Theorie sich selbst theoretisch vollziehen muss. Thomas Alkemeyer (2014: 33) erkennt, dass eine empirische Erforschung der Praxis des Theoretisierens eine kritisch-theoretische Reflexion der eigenen Theorie nicht ersetzen kann. Meine These ist, dass auch die kritisch-theoretische Reflexion als eine Praxis mit Eigenwert, unter Ausblendung des körperlich-materiellen Theoretisierens, untersucht werden kann. Hierfür ist es entscheidend, die theoretische Reflexion von Theorien nicht einfach mittels einer Theorie höherer Ebene zu betreiben, sondern die Reflexionen selbst als empirisch-nachvollziehbare Praxis der Theorie zu verstehen, um sie einer immanenten Kritik zu unterziehen. Deswegen findet Theorietheorie (Jahraus 2011) selbst theoretisch-reflexiv statt. Dies steht durchaus im Einklang mit Bourdieu (2013a: 258), der erkennt, dass die theoretische Theorie gerade in ihrer theoretischen Praxis eine Trennung von Theorie und Methodologie vollzieht. Meine Kritik der Praxis der Theorie ist zwar eine Anerkennung der Praxis der Theorie und somit theoretizistisch, weil sie theorieimmanente Theorieeffekte (Bourdieu 2013a: 283) als Gegenstand konstruiert. Dies geschieht aber ohne die materielle Praxis abzuwerten oder gering zu schätzen (Rölli 2015: 57; Bourdieu 2013a: 259). Das Verhältnis von Theorie und Materialität ist also analog zu Foucaults (2012: 37) Verbindung diskursiver Ereignisse, die Ausdruck von Denksystemen sind, und Materialität: »Gewiß ist das Ereignis weder Substanz noch Akzidens, weder Qualität noch Prozeß; das Ereignis gehört nicht zur Ordnung der Körper. Und dennoch ist es keineswegs immateriell, da es immer auf der Ebene der Materialität wirksam ist, Effekt ist; es hat seinen Ort und besteht in der Beziehung, der Koexistenz, der Streuung, der Überschneidung, der Anhäufung, der Selektion materieller Elemente; es ist 6
In der Einleitung dieser Arbeit gehe ich auf meine persönlichen Erfahrungen ein, die zu dieser Arbeit geführt haben.
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weder der Akt noch die Eigenschaft eines Körpers; es produziert sich als Effekt einer materiellen Streuung und in ihr.« Hieran anschließend ist drittens festzuhalten, dass alleine die gewählte Perspektive auf die Formierung der soziologischen Differenz als Praxis der Theorie noch keine allgemeine Aussage über die mögliche Verbindung von Körper, Materie und Theorie hervorbringt. Ich gehe jedenfalls mit Foucault davon aus, dass es eine Verbindung zwischen diesen Elementen gibt (so auch Bourdieu 2013b: 208f.; Brunkhorst 1978b: 187; Horkheimer 2011: 216f.; Luhmann 1992c: 307; 1996a; Reckwitz 2010: 138f.; Rheinberger 2005a: 72), betrachte aber weder die Theorie (oder den Geist) als bestimmende Instanz gegenüber dem Körper noch umgekehrt den Körper als Fundament jedes Denkens und damit jeder Theorie (Alkemeyer 2009: 120ff.; Farzin 2014: 185; Foucault 2009c: 15f.). Beide stehen vielmehr in einem konstitutiven Verhältnis zueinander, das durch das Konzept der doppelten Naturalisierung (Bourdieu 2013b: 232f.) zum Ausdruck kommt und die Praxis der Theorie erst ermöglicht. Um diese Position zu veranschaulichen, kann auf die Kritische Theorie und ihr Immanenzdenken zurückgegriffen werden. Im Interesse an den Möglichkeiten immanenter Kritik formuliert Adorno (1977b: 761; siehe auch Berger 2014: 55; Rölli 2015: 63f.): »Herzustellen wäre ein Bewußtsein von Theorie und Praxis, das beide weder so trennt, daß Theorie ohnmächtig würde und Praxis willkürlich; noch Theorie durch den […] urbürgerlichen Primat der praktischen Vernunft bricht. Denken ist ein Tun, Theorie eine Gestalt von Praxis; allein die Ideologie der Reinheit des Denkens täuscht darüber. Es hat Doppelcharakter: ist immanent bestimmt und stringent, und gleichwohl eine unabdingbar reale Verhaltensweise inmitten der Realität.« Offensichtlich liegt der Schwerpunkt meiner Analyse, in Anlehnung an das Vokabular Adornos, auf der immanenten Bestimmtheit soziologischer Theorie. Doch wenn die Theorie als Praxis einen Doppelcharakter zwischen dem Denken und den materiellen Verhältnissen aufweist, ist zu begründen, warum die eine Seite isoliert zu analysieren ist, ohne dabei die andere Seite zu einer rein äußerlichen Erscheinung zu machen. Aufschlussreich für die damit vorausgesetzte Eigenmacht der Theorie ist, dass diejenigen, die ein Primat der Praxis vor der Theorie fordern, laut Adorno die körperliche und materielle Praxis des Theoretisierens zerstören und damit doch nicht an die Praxis der Theorie herankommen. Dies untermauert die Notwendigkeit, die Praxis der Theorie auch als eigenständige Praxis von Denk- und Anschauungsformen zu begreifen: »Heute wird abermals die Antithese von Theorie und Praxis zur Denunziation der Theorie mißbraucht. Als man einem Studenten das Zimmer zerschlug, weil er lieber arbeitete als an Aktionen sich zu beteiligen, schmierte man ihm an die Wand: wer sich mit der Theorie beschäftige, ohne praktisch zu handeln, sei ein Verräter am Sozialismus. Praxis wurde nicht ihm allein gegenüber zum ideologischen Vor-
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wand von Gewissenszwang. Das von ihnen diffamierte Denken strengt offenbar die Praktischen ungebührlich an: es bereitet zuviel Arbeit, ist zu praktisch. Wer denkt, setzt Widerstand; bequemer ist, mit dem Strom, erklärte er sich auch als gegen den Strom, mitzuschwimmen.« (Adorno 1977b: 762-763) In Abgrenzung zu einer materiellen Praxissoziologie des Theoretisierens (Schmidt 2012: 36f.; 2016) lässt sich zusammenfassend festhalten: Meine Frage nach den reflexiven Ordnungsbeziehungen soziologischer Theorie zur Gesellschaft lässt sich als Frage nach der Formierung der soziologischen Differenz als Denk- und Anschauungsform stellen. Es ist damit eine theorieimmanente Frage, die zwangsläufig eine immanente Kritik erfordert. Ohne den Körper und die Materialität des Theoretisierens in den Blick zu nehmen, geht es mir um die Vorstellungen der Soziologie, die wie alle Vorstellungen aus ihrer gesellschaftlichen Bedingtheit heraus entstehen (Marx 1971a: 633; siehe auch Bourdieu 2008: 241ff.). Diese gesellschaftliche Bedingtheit verdeutlicht, dass Theorien von mir nicht rein idealistisch, sondern materialistisch gedacht werden. Materialistisch denke ich Theorien aber in dem Sinne, dass sie als Praxis in den Bereich der gesellschaftlichen Wirklichkeit fallen und damit sowohl Produkt als auch Produktion von Gesellschaft sind (siehe z.B. der frühe Marx 1968: 327-330; im Anschluss an Marx siehe z.B. Antonio Gramsci 1994: 1281-1285, 1474-1477, zitiert nach: Becker et al. 2013: 183-187, 200-201; im Anschluss an Engels und Gramsci siehe Bourdieu 2008: 242f.; siehe auch Stahl 2014). Soziologische Theorie ist die Erfindung der Gesellschaft bzw. des Sozialen. Dies gilt, auch wenn ich die konstitutive Bedingtheit der Theorie durch ihre Beziehung zu den Körpern und Dingen nicht analysiere. Theorien haben theoretische Macht und sind damit Teil eines Konstitutionszusammenhangs in dem Theoretisieren möglich ist. Die doppelte Bedeutung der Frage »Was macht Theorie?« Die Frage Was macht Theorie? ist doppeldeutig. Sie verweist auf eine Innen- und Außenseite der Theorie und zwar in dem Sinne, dass Theorien sich einerseits performativ vollziehen (Bourdieu 2014b: 39) und andererseits externe Effekte hervorrufen (Lemke/Krasmann/Bröckling 2000: 23f.). Die Frage lässt sich entsprechend auf zwei Weisen formulieren und führt dann zu unterschiedlichen Antworten. In der ersten Deutung der Frage bedeutet sie: Durch was wird die Theorie gemacht? Im Sinne meines Verständnisses von der Praxis der Theorie verweist diese Deutung auf das Theoriemachen und damit nominativisch auf das Subjekt der Theorie. Die Antwort auf die Frage wäre dann: Das Subjekt der Theorie macht die Theorie. Diese Deutung der Frage kann so verstanden werden, dass sie sich auf die Innenseite der soziologischen Theorie bezieht, denn das Subjekt der Theorie entsteht nur in einem theorieimmanenten Wechselverhältnis zur Praxis der Theorie.
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In der zweiten Deutung der Frage bedeutet sie: Was wird durch die Theorie gemacht? Diese Deutung verweist darauf, wie die Theorie in ihrer bedingten Autonomie etwas ihr Gegenüberstehendes hervorbringt, also akkusativisch auf ein VonTheorie-Gemachtes. Die Antwort auf die Frage wäre dann: Die Theorie macht ein VonTheorie-Gemachtes. Damit wird ein Bezug zur Außenseite der Theorie hergestellt. Offensichtlich bleiben die bisher gegebenen Antworten auf die Frage leer, da sie als tautologische Formulierungen nur die Doppeldeutigkeit der Frage veranschaulichen. Aus diesem Grund werde ich die beiden Deutungen nun getrennt voneinander ausführen. Hierzu werde ich zunächst beschreiben, wie ich Theorie analysiere, wenn ich nach dem Subjekt der Theorie frage. Im Anschluss daran werde ich ausformulieren, was ich unter der Regierung durch Theorie verstehe und in einem dritten Schritt die beiden Bedeutungen der Frage Was macht Theorie? wieder zusammenführen. Das Subjekt der Theorie Die erste Deutung der Frage Was macht Theorie? zielt scheinbar auf die Innenseite der soziologischen Differenz, auf die Praxis des Theoriemachens. Hieran lässt sich mein Konzept eines Subjekts der Theorie entwickeln. Die doppelte Bedeutung von Subjekt dient mir als Hintergrundannahme meiner weiteren Ausführungen und prägt meine Verständnis des Subjekts der Theorie maßgeblich (siehe hierzu auch Reckwitz 2008c: 78; 2010: 13; Zima 2010: 3): »Einerseits bezieht es sich auf das und bekannte handlungsfähige, autonome Subjekt, andererseits aber auf das Sub-jektum, d.h. dasjenige, das unterworfen ist. Eine fundamentale Paradoxie wird dadurch deutlich: Um handlungsfähiges Subjekt zu werden, muss man sich unterwerfen.« (Stäheli 2000a: 50) In diesem Sinne geht es bei der Untersuchung des Subjekts der Theorie um die Analyse von Elementen eines Regime des Selbst, in denen Einzelne die Möglichkeit haben, sich zu Subjekten zu machen, Einzelne aber auch zu Subjekten gemacht werden (Bröckling 2007a: 19ff.; 2007b; Reckwitz 2010: 140f.). Theorien schaffen die Möglichkeit sich als Subjekt der Theorie zu begreifen, sie unterwerfen die Einzelnen aber auch unter ihre Rationalität und Wahrheit. In Bezug auf die Macht der Theorie wird damit die Produktivität der Macht betont (Foucault 1994: 250), ich folge also einem konstitutiven Machtverständnis (Saar 2009: 574-577, 581-585). Der gegenwärtige Diskurs um das Subjekt lässt sich durch eine einfache Unterscheidung gliedern. Auf der einen Seite ist mit dem Subjekt ein Akteur, eine Person oder ein Mensch gemeint, der sich in einem Konstitutionszusammenhang mit seiner sozialen Umwelt befindet und hier einerseits unterworfen wird und andererseits Handlungsmöglichkeiten erlangt. Auf der anderen Seite ist mit Subjekt ein Ort, eine Position, eine Anrufung gemeint, die von konkreten Akteuren, Personen und Menschen erst eingenommen bzw. angenommen werden muss, um einer
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Subjektivierung ausgesetzt zu werden. Das Subjekt ist in dieser Auslegung von den Einzelnen abstrahiert, da Einzelne nie vollständig in einer Subjektivierungsform aufgehen (Foucault 2003a: 741f.; 2005g: 240ff.). Reckwitz (2010: 137f.) nennt diese Seite die Subjektrepräsentation und weist damit zu Recht darauf hin, dass sie nur einen Teil einer umfänglichen Subjektanalyse ausmacht. Der Begriff der Repräsentation sollte aber nicht dazu verleiten, sich unter diesen nur die Effekte von Subjektivierungen vorzustellen und sie so auf eine andere Ebene jenseits des Subjekts zu verschieben. Die Subjektrepräsentationen sind genauso konstitutive Bedingungen für eine Subjektivierung wie andere soziale Zusammenhänge. In meiner Verwendung des Subjekts der Theorie beziehe ich mich auf die zweite Bedeutung von Subjekt. Dieses Subjekt ist nicht in den Verhaltensweisen Einzelner zu finden, sondern in historischen Semantiken und Wissensformen, welche den Einzelnen dazu auffordern, sich zu subjektivieren, also Subjekt zu werden. Wenn ich mich also mit den Theorien von Niklas Luhmann und Pierre Bourdieu auseinandersetze, dann stehen diese Namen hier lediglich als Platzhalter für das Subjekt der Theorie.7 Diese Sichtweise ist theorieimmanent, weil der Autor in der Theorie Luhmanns nur als Person, also als Form im System und nicht als Mensch auftaucht und weil das Ich in der Theorie Bourdieus immer ein unpersönliches Ich ist (ausführlich unter 4.1). Foucault (2002: 776) beschreibt beispielweise das neutrale Subjekt empirischer Philosophie als einen Ort, der als historisches Erzeugnis eine besondere Perspektive auf die Welt ermöglicht. Die Analyse des Subjekts der Theorie ist entsprechend formal auf die Denk- und Anschauungsformen ausgerichtet. Foucault (2005b: 888) sagt über das Subjekt: »Es ist keine Substanz. Es ist eine Form, und diese Form ist weder vor allem noch durchgängig mit sich selbst identisch. Sie haben zu sich selbst nicht dieselbe Art von Verhältnis, wenn Sie sich als politisches Subjekt konstituieren, das zur Wahl geht oder das in einer Versammlung das Wort ergreift, als wenn Sie versuchen, Ihre Begehren in einer sexuellen Beziehung zu verwirklichen. […] In jedem die7
Dies ist auch eine Abgrenzung von der Praxissoziologie des Theoretisierens nach Schmidt (2012: 36f.; 2016), die das Zusammenspiel von Theoretikerinnen und Materialität in den Blick nehmen will (Schmidt 2016: 252f.). Das Theoriemachende, von dem ich spreche, ist nicht mit dem theoretisierenden Autor zu verwechseln (in diese Richtung siehe Foucault 1981: 198ff.). Das bedeutet, dass das Subjekt der Theorie für meine Analyse in keinem Fall ein konkreter Mensch ist und auch nicht notwendig die Subjektform der Theorieschreibenden oder des Autors ist (so aber Kyora 2014; Schmidt 2016: 255; eine solche Analyse am Beispiel Niklas Luhmann liefert Assmann 2013; anders Rheinberger 2007: 107). Die Macht der Theorie kann daher auch nicht mit der Macht des (wissenschaftlichen) Schreibens (Alkemeyer 2007: 13) gleichgesetzt werden.
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ser Fälle spielt man mit verschiedenen Formen der Beziehung zu sich selbst oder bildet sie aus.« Subjekte bestehen also unabhängig von Einzelnen, insofern Einzelne nie in einer Form des Subjekts aufgehen. Gleichzeitig stehen Subjekte in einem engen Verhältnis zu Einzelnen, weil Einzelne sich nur in Auseinandersetzung mit Subjekten subjektivieren können. Das Subjekt ist die Form der Beziehung zu sich selbst, oder wie Foucault an anderen Stellen sagt, die Denkform, in der man das eigene Handeln als Objekt konstituiert und als Problem reflektiert (Foucault 2010b: 265). Dies deutet wiederum darauf hin, dass Subjekte nur durch Subjektivierungen Einzelner sichtbar werden, auch wenn sie nicht mit diesen identisch sind. Theorie setzen ein Ausgangssubjekt bzw. ein Subjekt der Theorie (Zima 2004: 20; 2010: 25ff.) voraus, das sich erst durch die Denk- und Anschauungsformen der Theorie – also durch die Objektivierung von der Gesellschaft, von anderen (Selbst)Beschreibungen der Gesellschaft und letztlich von sich selbst – hervorbringt. Mit diesem Prozess ist die welterschließende Kraft der Theorie benannt. Diese Kraft schöpft sich aus dem Spannungsverhältnis von soziologischer Theorie und sozialer Erfahrung. Soziologische Theorie und soziale Erfahrung Die folgenden drei Punkte zum Verhältnis von soziologischer Theorie und sozialer Erfahrung, die für die welterschließende Kraft der Theorie und damit für das Selbstverhältnis Einzelner entscheidend sind, beziehen sich auf die logische Struktur der Wechselwirkung von Theorie und Erfahrung, ihre historische Herleitung und das theorieimmanente Wirkungsverhältnis, das sich aus den ersten beiden Punkten ableiten lässt. Erstens ist zu konstatieren, dass das Verhältnis von Theorie und Erfahrung sich in seiner logischen Struktur schnell als zirkulär entpuppen kann, insofern sowohl Theorie als auch Erfahrung an Begriffe gebunden sind (Holzkamp 2006: 34ff.; Joas/Knöbl 2013: 27f.; Kamlah/Lorenzen 1973: 15ff.; Vygotskij 2002: 270): »Ein grundlegendender Aspekt bei jedem Einsatz von Begriffen ist, dass wir damit kleine ›Th.‹ [gemeint sind Theorien, C.H.] verbinden. Sie stehen daher den zu testenden Th. nicht als eine völlig andere Art von Aussagen gegenüber, sondern jede Aussage ist zu einem gewissen Grad theoriegeladen. […] Empiristen haben diese Zusammenhänge gerne als analytische Zusammenhänge bezeichnet, die nur die Bedeutung von Begriffen beschreiben, aber keine Aussagen über die Welt treffen. Doch heute wissen wir, dass es nicht so einfach möglich ist, analytische von synthetischen Bestandteilen zu trennen […]. Mit jeder Anwendung eines Begriffs sind wir daher auf die Gültigkeit bestimmter kleiner Th. über die Welt angewiesen, die sich nicht direkt durch unsere Wahrnehmung verifizieren lassen. Das muss zunächst noch kein schlimmes Problem für den Th.test darstellen. Wenn
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wir unsere Minitheorien für relativ gut bestätigt halten, warum sollten wir uns dann nicht darauf stützen, um unsere ›größeren‹ wissenschaftlichen Theorien mit ihrer Hilfe zu bestätigen? Problematisch erscheint es uns in der Regel erst, wenn wir dieselbe Th. bereits heranziehen müssen, die wir überprüfen wollen. Das wirkt irgendwie zirkulär.« (Bartelborth 2010: 2739) Genau diese problematische Zirkularität, in der große Theorien die Denk- und Anschauungsformen so stark leiten, dass sich die Infragestellung der großen Theorie auf dieselbe stützt, gehört seit jeher zu einer Selbstverständlichkeit soziologischer Theorie, die sich selbst als Kultur versteht, die selbständig und losgelöst von Einzelnen Soziologinnen besteht (Simmel 1911: 245ff.). Sie bestimmt auf sozialtheoretischer Ebene, was wir als das Soziale beobachten können und formuliert gleichzeitig gesellschaftstheoretische Annahmen darüber, in welcher Gesellschaft diese Begriffe überhaupt formuliert werden können. Diese Zirkularität lässt sich zweitens historisch herleiten: Soziologie ist aus sozialen, nicht-soziologischen Erfahrungen entstanden und wurde dann, durch ihre spezifische Beziehung zu einem Gegenstand, gezwungen, die eigene Theorie zu erklären. Dieser Gegenstand ist die Gesellschaft. Die spezifische Beziehung ist, dass die Soziologie und ihre Begriffe in diesem Gegenstand selbst wieder auftauchen. Aus dieser Ausgangslage heraus wurde die Soziologie konsequenterweise immer tiefer in eine Soziologie der Soziologie gedrängt. Zirkulär ist diese, weil die soziologische Betrachtung der Soziologie eine Soziologie gleichermaßen voraussetzt wie hervorbringt. Diese Denkweise steht in der Tradition der linguistischen Wende, über die Terry Eagleton (2000: 223) schreibt, »daß wir unsere Worte nicht mehr als Begriffe denken und Begriffe statt dessen als Worte. Statt in empiristischer Manier zu vertreten, daß Worte für Begriffe ›stehen‹, ist es jetzt eher so, daß wir einen ›Begriff von etwas haben‹, als die Fähigkeit zu betrachten, Worte auf eine bestimmte Weise zu verwenden. Ein Begriff ist folglich eher eine Praxis als eine Geistesauffassung«. Verbindet man die logische Struktur der Wechselbeziehung von Theorie und Erfahrung mit dieser historischen Herleitung, dann wir deutlich, dass Begriffe als Praxis aufzufassen in eine Situation führt, in der die Kritik theoretischer Begriffe durch eine Praxis solcher Begriffe bedingt wird. Als These vertrete ich daher, dass die reflexive Praxis des Ausgangssubjekts der soziologischen Theorie dazu führt, dass seine eigenen Begriffe nicht in einem autonomen Bewusstsein Einzelner fundiert werden können, sondern dass die praktisch verwendeten Begriffe gewissermaßen als gesellschaftlich bestimme Ausdrucksmöglichkeiten zu verstehen sind. Auch dies kann historisch durch ein spezifisches Wirklichkeitsverhältnis der Soziologie erklärt werden, dass Joachim Matthes (1985: 49-56; siehe auch Tenbruck 1979: 93 ff; 1985) wie folgt beschreibt:
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»Entsprungen ist das soziologische Denken aus der im 19. Jahrhundert auf ihren Begriff gebrachten Erfahrung von der Exteriorität der gesellschaftlichen Verhältnisse gegenüber dem Individuum. Ideengeschichtlich betrachtet, hat die Soziologie als Konzeptualisierung dieser Erfahrung etwas von einer ›Beschwörung‹ an sich, – von Beschwörung eines Fremden, Unbekannten, Unheimlichen durch seine Identifikation und Benennung. Zugleich aber vollzieht sich diese Identifikation unter dem Anspruch der Öffnung des so identifizierten Unbekannten an den gesellschaftlichen Verhältnissen für dessen rationale Durchdringung, was dem Begreifen dieses Vorgangs als einer Art von ›Beschwörung‹ im Wege steht. Diese Aporie ist dem soziologischen Denken gleichsam in die Wiege gelegt worden; in seiner Geschichte aber ist sie nicht als solche fruchtbar gemacht worden im Sinne eines ständigen reflexiven Bezuges der rationalen Durchdringung der gesellschaftlichen Verhältnisse auf ihre ›Beschwörungs‹-Leistung. […] Die an der rationalistischen Fassung der Exterioritätserfahrung orientierten Soziologen schaffen sich aber nicht nur für sich selber jene ›Wirklichkeit‹, im Umgang mit welcher sie das Unbekannte, und Unheimliche an ihrer Perspektive auf die Exterioritätserfahrung bannen können, – und über ihr dabei bevorzugtes Verfahren, Beziehungen in Merkmale zu verwandeln, die Basis beständiger Selbstbestätigung. Vielmehr schaffen sie auch gesellschaftliche ›Wirklichkeit‹ außerhalb derer, in der sie selber professionell leben, – nach deren Bild; sie konstruieren nicht nur ›Wirklichkeit‹ für ihre eigenen Zwecke, sondern stiften auch ›Wirklichkeit‹ für die anderen.« Durch den Verweis auf die Anderen unterstellt Matthes ein Wirkungsverhältnis zwischen Soziologie und ihrer gesellschaftlichen nicht-soziologischen Umwelt. Theorien erzeugen demnach eine Asymmetrie zwischen sich und dem Anderen und machen damit nicht nur sich, sondern auch das Andere – mehr oder weniger wirkungsvoll – zu dem, was es ist (Alkemeyer 2013: 41; Hall 1989: 181; 2000: 132f.; Tenbruck 1984; Williams 1972: 390). Matthes’ Argumentation lässt sich daher aufnehmen, um aus der logischen Struktur (erstens) und der historischen Herleitung (zweitens) des zirkulären Verhältnisses von soziologischer Theorie und sozialer Erfahrung, drittens ein immanentes Wirkungsverhältnis soziologischer Theorie auszuarbeiten. Das immanente Wirkungsverhältnis soziologischer Theorie gestaltet sich dann wie folgt: Wenn Matthes hiermit eine Skizze für die Genealogie der soziologischen Theorie vorlegt (siehe auch Eßbach 1996: 67ff.; Gertenbach et al. 2010: 30-39; Nassehi 2001; Osterhammel 2011: 25-83; Rose 2000: 74-78; allgemein zur Genealogie der Theorie siehe Blumenberg 1987), dann muss (im zeitlichen Abstand) heute gesehen werden, dass jedes Praktizieren soziologischer Theorie nur noch als eine der Anderen möglich ist. Das immanente Wirkungsverhältnis besagt also, dass auch wir als Soziologinnen der soziologischen Theorie immer schon als ein Anderer oder besser als das Andere entgegentreten. Als Einzelne befinden wir uns immer schon im Objektbereich soziologischer Theorie, während wir uns erst durch eine Ausein-
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andersetzung mit dem Subjekt der Theorie innerhalb der Praxis der Theorie subjektivieren können. Theoriemachen ist also Subjektivierung durch (Selbst-)Objektivierung (zur allgemeinen Bedeutung dieses Zusammenhangs siehe Bröckling 2007a: 19ff.; Schäfer 1995: 25; Simmel 1911: 251). Diese Situation hat sich verschärft, weil das soziologische Denken nicht mehr aus Alltagserfahrungen entspringt, sondern zahlreiche Erfahrungen bereits durch wissenschaftliche und soziologische Begriffe mitbestimmt sind (Beck 1972; Beck 2015; Beck/Bonß 1984; Fleck 2014b: 333-335; Kocyba 2004; Tenbruck 1984: 210). Darüber hinaus muss im Sinne der historischen Epistemologie (Fleck 1980: 53f.; Rheinberger 2005b: 125ff.; 2007) gesehen werden, dass soziologische Theorie immer auf soziologischer Erkenntnis aufbaut und dass diese Zirkularität und Rekursivität die Gefahr mit sich bringt, dass Theorien sich hermetisch gegeneinander abschließen. Eine solche historische Betrachtung ist aber auch in der Lage, die Historizität genau solcher Regionalisierungen (Rheinberger 2005b: 108ff.) aufzuzeigen und damit die Kontingenz gegenwärtiger soziologischer Theorie zu öffnen. Wenn Theoriemachen in diesem Sinn als Subjektivierung begriffen wird, dann ist jede soziologische Theorie ein Subjektivierungsregime, in dem die einzelne Soziologin zunächst Objekt der Subjektivierung ist. Den Regionalisierungen, Schulenbildungen und der damit einhergehenden multiparadigmatischen Verfasstheit des Feldes soziologischer Theorie kann dann aber nicht durch eine neue Theorie, durch ein neues Begriffssystem begegnet werden (wie es noch Feyerabend 1986: 37 vorschwebt). Dies würde nur zu einer Ausweitung der Regionalisierung führen, indem dem multiparadigmatischen Feld soziologischer Theorie eine neue Region hinzugefügt werden würde. Ein Gegenmodell hierzu ist mein Vorschlag der immanenten Kritik der soziologischen Differenz, die sich in unterschiedliche Regionen soziologischer Theorie vorwagt, um sie von innen zu kritisieren und Möglichkeiten der Grenzüberschreitung aufzeigt. Zusammenfassend meine ich, wenn ich vom Subjekt der Theorie spreche, also zunächst eine Beobachterperspektive, die zwar losgelöst von Einzelnen existiert, aber vermittelt durch die Theoriesprache, weltbildend und -erschließend auf die Subjektivierung innerhalb einer Praxis der Theorie wirkt (Habermas 2009a; Habermas 2009b: 46ff.; Luhmann 1995c). Theorie ist damit nie entsubjektiviert in dem Sinne, dass es eine objektive Theorie geben könnte (Brunkhorst 1978b: 4-18, 126f., 141-191; Horkheimer 2011: 216ff.). Theorien zeichnen sich immer durch spezifische Perspektiven auf die Welt aus und die Gesellschaft und das Soziale sind damit historisch-kontingente Wahrheiten, sind also Effekt der Theorie. Im Prozess der Subjektivierung müssen Einzelne sich dem Subjekt der Theorie unterwerfen, also die Beobachterperspektive der Theorie einnehmen. Diese lenkt dann über Begriffe ihre Erfahrungen, auch wenn die Erfahrungen Einzelner nie im Subjekt der Theorie aufgehen.
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Das Subjekt der Theorie als Nicht-Ort und Realfiktion Bis hierhin sind die grundlegenden Annahmen geklärt, die mich dazu veranlassen, das Subjekt der Theorie nicht mit Einzelnen zu identifizieren. Wie gestaltet sich aber das Verhältnis zwischen Subjekt der Theorie und Einzelnen? Unter Subjekt der Theorie verstehe ich einen sozialen, gesellschaftlichen Ort (Butler 2001: 15, siehe auch Alkemeyer/Villa 2010: 320). Dieser muss zwar besetzt werden, damit sowohl die Macht der Theorie als auch ihr Subjekt erscheinen können (Butler 2001: 20f.; Alkemeyer 2014: 29), gleichzeitig ist das Subjekt aber ein Nicht-Ort (de Certeau 1988: 197), eine zu analysierende Realfiktion (Bröckling 2007a: 35ff., 283; 2013b; Hutter/Teubner 1994: 115, 130; kritisch Alkemeyer/Villa 2010: 317, 323f.), in der eine Einzelne nie vollständig eingeschlossen werden kann (Bröckling 2007a: 19f.). Das Selbst der Theorie ist also Effekt der Theorie. Ich werde nun die Begriffe von Nicht-Ort und Realfiktion nutzen, um das Verhältnis zwischen Einzelnen und dem Subjekt der Theorie deutlicher zu umschreiben und dabei auch auf das Wirkungsverhältnis zwischen diesen einzugehen. Den Begriff des Nicht-Ortes entnehme ich der Kunst des Handelns von Michel de Certeau (1988). Er analysiert damit eigentlich das alltägliche, explizit nicht wissenschaftlich-rationale, aber reflexive Verhalten. Doch meine kontrainduktive Suspendierung der Wissenschaftlichkeit soziologischer Theorie erlaubt es mir, dieses Konzept auf die Praxis der Theorie zu übertragen. De Certeau (1988: 197) verdeutlicht in Bezug auf das Gehen und sich Bewegen in der Stadt die Bedeutung eines solchen Nicht-Ortes: »Die Ähnlichkeit zwischen ›Diskurs‹ und Traum beruht auf dem Gebrauch derselben ›stilistischen Verfahren‹; sie schließt also auch die Praxis des Gehens ein. […] Wenn es hier eine Parallelität gibt, so nicht nur deshalb, weil in diesen Bereichen die Äußerung vorherrschend ist, sondern auch deshalb, weil ihr diskursiver (verbalisierter, geträumter oder gegangener) Ablauf sich als ein Verhältnis zwischen dem Ort, von dem er ausgeht (einem Ursprung), und dem Nicht-Ort, den er erzeugt (eine Art von ›Vorübergehen‹), organisiert.« Analog hierzu findet die Subjektivierung von Einzelnen in Bezug auf den Nicht-Ort eines Subjekts der Theorie statt. Das Subjekt erscheint in der Auseinandersetzung mit der Theorie erst in der begrifflichen Darstellung von theoretischen Erfahrungen. Der Nicht-Ort eines Subjekts der Theorie wird also erst sichtbar, wenn versucht wird, den Ort des Subjekts der Theorie zu betreten, zum Ort eines Einzelnen zu machen, und wenn in diesem Moment erfahren wird, dass er immer weiter weg rückt. Die Subjektivität unser Selbst ist dabei nicht der Ursprung unseres Tuns (Foucault 2003a: 741f. in Bezug auf die Psychoanalyse; siehe auch Freud 1924: 14f.), sondern Effekt eines Wechselspiels von Orten, Körpern, Artefakten, Diskursen und Subjekten als Realfiktionen. Diese Ambivalenz ist bei de Certeau (1988: 306; sie-
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he zur historischen Bedeutung Felsch 2016: 129f.) zu erkennen, wenn er über den spezifischen Nicht-Ort des Lesers schreibt: »Der Leser ist ein Produzent von Gärten, in denen eine Welt zusammengetragen und verkleinert wird […]. Er ist somit ein schwärmerischer Autor. Er hat keinen festen Boden unter den Füßen und schwankt an einem Nicht-Ort zwischen dem, was er erfindet, und dem, was ihn verändert.« Der Nicht-Ort bringt also zum Ausdruck, dass das Subjekt für Einzelne nie ein festes Fundament bietet. Eine Analyse des Subjekts, in diesem Fall des Subjekts der Theorie, fragt also nicht danach wer die Menschen sind, die sich an den Ort der Praxis der Theorie begeben. Die von mir durchgeführte Analyse fragt nach dem Wissen und den Reflexionsverfahren, die in soziologischen Theorien zu finden sind und die ein spezifisches Subjekt der Theorie voraussetzen und damit hervorbringen. Dieses Subjekt ist damit eine Fiktion, weil es hervorgebracht ist, es ist aber auch real, weil es zur Wirklichkeit der theoretischen Erfahrung gehört – es ist Realfiktion. Die Praxis der Theorie und ihre Subjektform sind in diesem Sinne zwar kontrafaktisch, weil Akteure durch die Subjektivierung nicht im Subjekt der Theorie aufgehen (siehe auch Bröckling 2007a: 30). Die Praxis der Theorie und ihre Subjektform sind aber auch wirklich, weil das Subjekt der Theorie gerade als Imagination einen ganz realen Sog entfaltet (Bröckling 2007a: 38f., 283; Bourdieu 2004e: 51; 2014f: 122-125). Dieser Sog geht von der Realfiktion des Subjekts der Theorie aus. Während der Begriff des Nicht-Ortes also die Differenz zwischen Einzelnen und dem Subjekt beschreibt, richtet sich der Begriff der Realfiktion auf das Wirkungsverhältnis zwischen Einzelnen und dem Subjekt der Theorie. Dieses Verständnis des Subjekts verweist auf eine transsubjektive Begründung der gesellschaftlichen Ordnungen und Prozesse, die nie auf Einzelne zurückgeführt werden können – auch wenn sie ohne Einzelne nicht möglich sind – sondern nur in der Praxis der Theorie zum Objekt meiner Analyse werden können. Die Macht der soziologischen Theorie reicht dabei als Realfiktion weit über das soziologische Handeln in der universitären Organisation oder anderen Forschungseinrichtungen hinaus. Sie endet nicht dort, wo die Arbeit der Soziologin endet, sondern durchzieht das ganze Leben einzelner Theoretikerinnen und setzt sich zeitlich und räumlich über die Begrenztheit des Lebens Einzelner hinweg (allgemein siehe Simmel 1911). Ein besonders eindrückliches Beispiel hierfür ist Ulrich Becks (1993: 274) Schilderung eines Traums: »Ich träume manchmal einen Traum, und ein Teil dieses Traumes ist die Gewißheit, daß ich wach bin, hellwach sogar. In diesem Traum wiederhole ich mir immer wieder alles, was gegen meinen Eindruck spricht. Ich sage beschwörend: Handeln ist eine gefährliche Illusion. Es setzt ein Ich voraus, das es bewiesenermaßen schon lange nicht mehr gibt. Systeme und Verhältnisse regieren,
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wo ich- und nichts-sagende Menschen ihre Stimme und Hand erheben usw. usf. Das ist schlecht wiedergegeben, weil in mir alle Argumente lebendig sind, die die Unmöglichkeit, auch nur stringent einen Handlungsbegriff zu denken, geschweige denn, ihn mit tatsächlichem gestaltenden Handeln auszufüllen, auf das eindringlichste beweisen. Doch diese überwältigende Leibhaftigkeit der Argumente, von denen ich ganz und gar ausgefüllt bin, hat aus Gründen, die ich direkt weiß, aber schwer benennen kann, keinerlei Kredit bei mir. Sie wirken unglaubwürdig, von gestern, auswendig gelernt, heruntergeleiert, theatralisch, verstaubt und gespenstisch, so daß ich sogar lächeln muß über den Spuk. Ich bemerke, wie ich auf ihren strategischen Gehalt mehr achte als auf ihren Inhalt. Sind es nicht vorzügliche Ausreden? Muß ich lächeln. So drachenhaft diese Argumente sich aufführen, aufplustern, ihre Überzeugungskraft wächst aus ihren bequemen Seiten. Polstermöbeln gleich ermöglichen sie es, sich fallen- und gehenzulassen. Hoffnungen zwingen zur Umtriebigkeit, sind sogar gefährlich, wie dieses Jahrhundert lehrt. Auswegslosigkeiten sind späte Gottesgeschenke, in denen man es sich bequem machen und sein Leben mit Nichtstunmüssen polstern kann. So betrachtet ist die Lehre der Ausweg- und Hoffnungslosigkeit befreiend. Sie befreit zu einem Selbstsein, das nicht länger das Schimpfwort ›Egoismus‹ dulden muß, weil nun die Dummheit des Hoffens vor allen Zwängen schützt, mehr als sich selbst verwirklichen zu müssen. Natürlich muß die Alternativlosigkeit überwältigend sein und unanzweifelbar objektiv, damit dieser alte Tatenzwang und die Vorwürfe und Gewissensbisse, die ihn bewachen, endgültig in sich zusammenbrechen. Nur eine endgültige Ausweglosigkeit befreit zu sich selbst, du aber hoffst und bist gefährlich – schießt es mir durch den Kopf, bevor ich aufwache und dadurch meinen Wirklichkeitssinn wieder verliere.« Dieses längere Zitat illustriert nicht nur die Wirkung der Macht soziologischer Theorie bis in die Träume des Theoretikers, es nimmt bereits vorweg, dass es innerhalb der theoretischen Alternativlosigkeit Möglichkeiten des Widerstands und der Subversion gibt und dass diese auch in einer literarischen Bearbeitung soziologischer Theorie liegen können. Die Regierung durch Theorie Mein Konzept der Regierung durch Theorie bezieht sich also auf die zweite Deutung der Frage Was macht Theorie?, die nach der Außenseite der Theorie fragt: Was wird durch Theorie gemacht? Unter Regierung ist, im Sinne Foucaults, nicht nur die Führung eines Staates zu verstehen, sondern der Versuch, beispielsweise durch Lenkung, Anleitung und Anrufung die Handlungsweisen in einer Situation konstitutiv zu bestimmen und hervorzubringen (Bröckling 2007a: 31ff.; 2017a: 18ff.). Regierung bezieht sich dabei
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auf unterschiedlichste Praktiken, für die Foucault auf die Metapher des Schiffes zurückgreift, die er in Texten des 16. Jahrhunderts findet (Foucault 2006b: 135): »Ich glaube nicht, daß es darum geht, die Dinge den Menschen gegenüberzustellen, sondern vielmehr darum, zu zeigen, daß das, worauf sich das Regieren bezieht, nicht das Territorium ist, sondern eine Art aus den Menschen und den Dingen gebildeter Komplex. Das heißt überdies, diese Dinge, deren die Regierung sich annehmen muß, […] sind Menschen, die Menschen jedoch in ihren Beziehungen, in ihren Bedingungen und ihren Verflechtungen mit jenen Dingen, also den Reichtümern, den Ressourcen und der Subsistenz, gewiß auch dem Territorium in seinen Grenzen, mit seiner Beschaffenheit, seinem Klima, seiner Trockenheit, seiner Fruchtbarkeit. Es sind die Menschen in ihren Beziehungen zu jenen anderen Dingen wie den Sitten, den Gepflogenheiten, den Handlungs- oder Denkweisen. Und es sind schließlich die Menschen in ihren Beziehungen zu jenen weiteren anderen Dingen, den möglichen Unfällen oder Unglücken wie Hungersnot, Epidemien, Tod. Dafür, daß die Regierung die so als Verflechtung zwischen Menschen und Dingen verstandenen Dinge zum Gegenstand hat, ließe sich die Bestätigung, wie ich glaube, mühelos in der unvermeidlichen Metapher finden, auf die in jenen Abhandlungen über die Regierung stets Bezug genommen wird, nämlich die Metapher des Schiffes. Was heißt es ein Schiff zu führen [gouverner]? Gewiß heißt es, sich der Seeleute anzunehmen, doch es heißt zugleich, das Schiff und die Ladung zu übernehmen; ein Schiff zu führen heißt auch, die Winde, die Klippen, die Stürme, die Unbilden der Witterung zu berücksichtigen. Es ist dieses Herstellen einer Beziehung zwischen den Seeleuten und dem Schiff, das gerettet werden, und der Ladung, die in den Hafen gebracht werden muß, und deren Beziehungen zu all jenen Ereignissen wie den Winden, den Klippen, den Unwettern, das die Führung eines Schiffes kennzeichnet.« (Foucault 2006b: 146-147) Regierung hat also einen Gegenstand, sie ist ein gezielter Prozess und somit auf etwas gerichtet. Sofern soziologische Theorien mit Regierungstechnologien zu vergleichen sind, stellt sich damit die Frage, worauf sich die Theorien richten. Foucault (2006b: 146) sagt über die Gegenstände der Regierung etwas verschachtelt, dass es die Dinge sind, die als Verflechtung von Menschen und Dingen verstanden werden. Explizit sind diese Dinge nicht nur materieller Art, sondern auch Denkweisen (siehe auch Schäfer 1995: 88ff.). Die Regierung richtet sich also auf einen Komplex, der unter anderem bestimmt, wie Denkweisen und Menschen miteinander verflochten sind. Dies macht die Regierung, indem sie diesen Komplex als Ding behandelt, also objektiviert. Wenn ich die Regierung der Theorie analysiere, geht es nicht einfach darum, im soziologischen Interesse Menschen dabei zu beobachten, wie sie solche Verflechtungen eingehen, sondern die theoretische Konstruktion der Verflechtung
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in den Blick zu nehmen. Foucault (2006a: 14) schreibt über den Gegenstand seines Forschungsprogramms: »Also ›Regierung‹ im engen Sinne, aber ›Kunst‹, ›Regierungskunst‹ ebenfalls im engen Sinne, da ich unter ›Regierungskunst‹ nicht die Weise verstand, in der die Regierenden wirklich regiert haben. Ich habe die wirkliche Regierungspraxis, wie sie sich entwickelt hat, indem sie hier und dort die behandelte Situation, die gestellten Probleme, die gewählten Taktiken, die verwendeten, ersonnenen und umgestalteten Mittel bestimmt, nicht untersucht und will sie nicht untersuchen. Ich wollte die Regierungskunst studieren, d.h. die reflektierte Weise, wie man am besten regiert, und zugleich auch das Nachdenken über die bestmögliche Regierungsweise.« Eine solche Regierungskunst lässt sich auch in soziologischen Theorien finden. Beispielsweise hat Luhmann (1987e: 115) reflektiert, dass gerade das gewohnte, eingeschliffene Verhältnis zwischen Menschen und Dingen, in dem Einzelne durch Sprache Dingen Eigenschaften zuschreiben, die Praxis der Systemtheorie verunmöglicht. Dies lässt sich so interpretieren, dass die Systemtheorie mit dieser Verflechtung von Menschen und Dingen brechen will, um ein neues Verhältnis ins Werk zu setzen. Hieraus schlussfolgere ich die These, dass die soziologische Differenz als eine spezifische Verflechtung von Menschen und Dingen, hier Denkweisen, Teil der Regierungsanstrengungen einer Praxis der Theorie ist. Dabei ist zu beobachten, dass die Reflexion dieses Problems in der soziologischen Selbstbeschreibung Niklas Luhmanns nicht etwa dazu führt, sich für die Erfahrung und gegen die Theorie zu entscheiden, sondern vielmehr dazu, sich weiter in das Subjektivierungsregime der Theorie zu verstricken.8 In Bezug auf die Regierung durch Theorie und die soziologische Differenz lässt sich zeigen, dass die Systemtheorie mit dem Subjekt der Theorie ein Freiheitsversprechen für das Selbst der Theorie (dritter Aspekt der soziologischen Differenz) gibt. Es muss sich nicht mehr der Alltagssprache und damit den intersubjektiven Beziehungen zu anderen unterwerfen (siehe auch Luhmann 1987e: 13f.; Jahraus 2000). Dies kann gelingen, weil das Selbst der Theorie den Dingen nichts mehr zuschreiben muss, sondern die Dinge selbst schreiben lassen kann. Damit bestimmt sie auch das Verhältnis von Einzelnen zur Gesellschaft (erster Aspekt der soziologischen Differenz), die sich als emergentes, polykontextuales, heterarchisches 8
Die zentrale Textstelle, auf die ich mich in meiner Interpretation berufen habe, lautet: »Es gehört zu den schlimmsten Eigenschaften unserer Sprache (und die Gesamtdarstellung der Systemtheorie in diesem Buche ist aus diesem Grunde inadäquat, ja irreführend), die Prädikation auf Satzsubjekte zu erzwingen und so die Vorstellung zu suggerieren und schließlich die alte Denkgewohnheit immer wieder einzuschleifen, daß es um ›Dinge‹ gehe, denen irgendwelche Eigenschaften, Beziehungen, Aktivitäten oder Betroffenheiten zugeschrieben werden.« (Luhmann 1987e: 115)
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und hyperkomplexes Kommunikationssystem allen Adressierungen Einzelner entzieht (Fuchs 2013: 102f.; Luhmann 1998: 866), also sich selbst schreibt. Mit diesem Verhältnis von Einzelnen und Gesellschaft bestimmt sie das Verhältnis von Einzelnen zu anderen Theorien (zweiter Aspekt der soziologischen Differenz), die nur noch als Selbstbeschreibungen eben jener Gesellschaft und als Beobachtungen erster Ordnung beobachtet werden und somit immer schon im Objektbereich und damit Teil der Systemtheorie sind. Das Versprechen lautet: Mit der Systemtheorie kannst du sehen, was sie sehen und was sie nicht sehen (Luhmann 1993c: 15f.).9 Um vom Beispiel wegzukommen: Durch eine Verallgemeinerung der skizzierten Praxis der Systemtheorie als Regierung durch Systemtheorie lässt sich die zweite Deutung der Frage Was macht Theorie? beantworten. Das von Theorie Gemachte ist das Verhältnis zwischen Einzelnen und Dingen, wobei die Regierung durch Theorie nicht direkt auf die Einzelnen zugreifen kann. Mit der soziologischen Differenz und einem Subjekt der Theorie, das innerhalb dieser Differenz vorausgesetzt wird, kann die Theorie aber eine bestimmte Subjektivierung ermöglichen. Die soziologische Differenz ist also das Ding, das die Theorie als Verflechtung von Menschen und Dingen versteht, auch wenn sie damit nicht die Subjektivierung Einzelner determiniert. Damit ist auch hier die Antwort auf die methodologische Ausgangsfrage Wie lassen sich reflexive Ordnungsbeziehungen theoretischer Soziologie formal und immanent kritisieren? mit der soziologischen Differenz zu beantworten. Eine Regierung durch die Theorie, wie sie sich in der Systemtheorie beobachten lässt, ist auf die soziologische Differenz gerichtet und auf die Verflechtung, die Menschen, die Systemtheoretiker sein wollen, zu ihr eingehen müssen. In theoretischen Texten sind, so meine These, Regierungskünste der Theorie als reflektierte Denkweisen und als eine Art und Weise des Denkens über die Regierungsanstrengungen zu finden. Hier reflektiert und analysiert sich die Theorie selbst und setzt sich so ins Werk. Mit Foucault können das Subjekt der Theorie und das Objekt ihrer Regierungsanstrengungen in einem Zusammenhang gedacht 9
Das Versprechen, die Systemtheorie könne die Dinge selbst sprechen lassen und so ein Subjekt bereitstellen, das nicht mehr an die Mängel alltäglicher Sprache und eine intersubjektive Beziehung zu anderen gebunden ist, ist so zentral, dass es im Eingangszitat zu Die Gesellschaft der Gesellschaft (Luhmann 1998: 10) zum Ausdruck gebracht wird. Es handelt sich bei diesem Zitat um ein Axiom von Baruch de Spinoza (2016: 5; zur Erläuterung des Zitats siehe Seidel 1994: 31-38; zum Immanenzdenken siehe auch Brunkhorst 2000: 214ff.; Deleuze 1993a: 151-155; Saar 2013b: 9ff.), das Spinozas Immanenzdenken fundiert. »Alles was durch ein anderes nicht begriffen werden kann, muss durch sich selbst begriffen werden.« Dieses Axiom bestimmt nicht nur die Art und Weise, wie Systemtheorie das Verhältnis von Einzelnen zu Dingen regiert, sondern auch wie die Systemtheorie sich reflektieren kann, nämlich in Autologie (Luhmann 1992c: 8f.; 1993c: 15ff.). Dass hierin ein Freiheitsversprechen besteht, wird auch darin deutlich, dass Spinoza sich durch sein Immanenzdenken eine Lebensform frei von Ängsten und im wahren Gut verspricht (Seidel 1994: 17-38).
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werden, der sich als reflexive Praxis der Theorie, insbesondere als Herstellung einer soziologischen Differenz, darstellen lässt. Er schreibt über die kritische Geschichte des Denkens: »Wenn man unter Denken den Akt versteht, der in ihren diversen möglichen Beziehungen ein Subjekt und ein Objekt setzt, dann wäre eine kritische Geschichte des Denkens eine Analyse der Bedingungen, unter denen bestimmte SubjektObjekt-Beziehungen in dem Maße ausgebildet oder abgeändert werden, wie sie für ein mögliches Wissen konstitutiv sind. […] Worum es geht, ist, zu bestimmen, was das Subjekt sein muss, welcher Bedingung es unterworfen ist, welchen Status es haben und welche Stellung im Wirklichen oder im Imaginären es einnehmen muss, um zum legitimen Subjekt dieser oder jener Erkenntnis zu werden; kurz es geht darum, seinen Modus einer ›Subjektivierung‹ zu bestimmen; denn dieser ist offensichtlich ein anderer, je nachdem, ob die Erkenntnis, um die es geht, die Gestalt der Exegese eines heiligen Textes, einer naturgeschichtlichen Beobachtung oder der Analyse des Verhaltens eines Geisteskranken hat. Doch geht es auch und zugleich darum, zu bestimmen, unter welchen Bedingungen eine Sache zum Objekt für eine mögliche Erkenntnis werden kann, wie sie als zu erkennendes Objekt problematisiert und welchem Abgrenzungsverfahren sie bzw. der Teil ihrer selbst, der als relevant betrachtet wird, unterzogen werden konnte. Es geht also darum, den Modus ihrer Objektivierung zu bestimmen, der gleichfalls nicht derselbe ist, je nach Art des Wissens, um das es geht.« (Foucault 2005d: 777) Foucault zeigt hier auf, dass eine bestimmte Subjekt-Objekt-Beziehung, wie z.B. die soziologische Differenz, einerseits ein Subjekt voraussetzt und andererseits eine Regierung in der Subjektivierung wirken lässt. Diese Regierung zeigt sich in Objektivierungen, also z.B. in soziologischen Selbstbeschreibungen. Weil der Modus dieser Objektivierung sich von ihrem Inhalt unterscheidet, erfordert diese Lesart die Suspendierung der Frage nach der Wissenschaftlichkeit soziologischer Theorie, denn Wissenschaftlichkeit tritt in ihr als ein möglicher Inhalt der Subjektivierung und Selbststeuerung (Foucault 2002: 672) und nicht als ein Modus der Regierung durch Theorie auf. Subjektivierungsregime soziologischer Theorie Soziologische Theorien zum Gegenstand einer Analytik der Macht und des Subjekts zu machen steht in der Tradition Foucaults (z.B. 2001: 24f.; 2006a: 60ff.; 2006b: 512; siehe auch Rheinberger 2007: 108), der Theorien eng vermittelt mit den Regierungskünsten begreift. Qualitativ rücke ich die soziologische Theorie und ihre soziologische Differenz nah an die von Bröckling (2007a: 27-36) untersuchten Programme. Theorien sind demnach nicht subjektiv in dem Sinne, dass jeder Einzelne die Theorie nach seinem Belieben betreiben könnte. Sie sind Programme in dem Sin-
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ne, dass sie Probleme bestimmen und einen Lösungsweg vorschlagen, die Realität diagnostizieren und Handlungsweisen empfehlen, die Art und Weise der Wahrnehmung und Beurteilung lenken und einzelne Menschen dazu auffordern, sich in ihnen zu subjektivieren (Bröckling/Krasmann/Lemke 2004: 12). Die Herstellung der soziologischen Differenz durch die Praxis der Theorie lässt sich demnach als Teil eines Subjektivierungsregimes (Bröckling 2012: 133f.) analysieren, in dem Subjektivierung als formale Reflexion der eigenen Ordnungsbeziehungen stattfindet und so ein Subjekt der Theorie zum Vorschein kommt. Weil die Regierung letztlich auf Subjektivierung zielt, verfängt sie sich immer wieder in der Paradoxie des Subjekts, das zugleich unterworfen und ermächtigt ist. Auch die Regierungspraktiken können die Verflechtung von Menschen und Dingen nicht vollständig bestimmen. Im Gegenteil setzen gouvernementale Praktiken die Freiheit der Einzelnen und das Scheitern jeder Subjektivierung ein, um Macht auszuüben. Regierung ist in diesem Sinn nicht die Verhinderung von Freiheit. Foucault (2006a: 97-98) schreibt hierzu: »Wenn ich das Wort ›liberal‹ verwende, dann zuerst deshalb, weil diese Regierungspraxis, die im Begriff ist, sich durchzusetzen, sich nicht damit begnügt, diese oder jene Freiheit zu respektieren oder zu garantieren. In einem tieferen Sinne vollzieht sie Freiheit. Sie vollzieht die Freiheit insofern, als sie nur in dem Maße möglich ist, in dem es tatsächlich eine bestimmte Anzahl von Freiheiten gibt: Freiheit des Marktes, Freiheit des Verkäufers und des Käufers, freie Ausübung des Eigentumsrechts, Diskussionsfreiheit, eventuelle Ausdrucksfreiheit usw. Die neue gouvernementale Vernunft braucht also die Freiheit, die neue Regierungskunst vollzieht Freiheit. Sie vollzieht Freiheit, d.h., sie ist verpflichtet, Freiheit zu schaffen. Sie ist verpflichtet, sie zu schaffen und sie zu organisieren. Die neue Regierungskunst stellt sich also als Manager der Freiheit dar, und zwar nicht im Sinne des Imperativs: ›Sei frei‹, was den unmittelbaren Widerspruch zur Folge hätte, die dieser Imperativ in sich trägt. Es ist nicht das ›Sei frei‹, was der Liberalismus formuliert, sondern einfach Folgendes: ›Ich werde dir die Möglichkeit zur Freiheit bereit stellen. Ich werde es so einrichten, daß du frei bist, frei zu sein‹. Wenn dieser Liberalismus nicht so sehr der Imperativ der Freiheit, sondern die Einrichtung und Organisation der Bedingungen ist, unter denen man frei sein kann, dann wird im selben Zug im Zentrum dieser liberalen Praxis ein problematisches, ständig wechselndes Verhältnis zwischen der Produktion der Freiheit und dem hergestellt, was, indem es sie herstellt, sie auch zu begrenzen und zu zerstören droht.« Dieses Verhältnis von gelebter Freiheit und der Einrichtung von Freiheit kann gut zur Beschreibung der Produktionsverhältnisse soziologischer Theorie auf einem Feld multiparadigmatischer Theoriebildung dienen. Durch Jahrzehnte konstruktivistischer, poststrukturalistischer und postfundamentalistischer Kritik ist das Feld der Theorie dazu übergegangen, jeder Theorie eine Berechtigung für sich zuzuge-
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stehen. Gerade dieser Liberalismus auf dem Feld soziologischer Theorie verdeckt aber, dass die einzelnen Theorien durchaus mit einer Macht der Theorie auf eine Subjektivierung Einzelner hinwirken. So ist auf den ersten Blick nicht zu erkennen, dass gerade die prinzipielle Offenheit für alle möglichen soziologischen Theorien zu den konkreten, alltäglichen Abgrenzungen, der Schulenbildung und den hegemonialen Bestrebungen soziologischer Theorien führt. Joas und Knöbl (2013: 35-36), die ich am Anfang dieses Unterkapitels (3.3) zitiert habe, verweisen aber darauf, dass die Überforderung, sich trotz der zahlreichen Möglichkeiten im Feld soziologischer Theorie zu positionieren, in einem engen Zusammenhang zur Entwicklung eindimensionaler Soziologen steht. Um den Zusammenhang von Subjekt und Regierung voll zu erfassen, müssen Subjekt der Theorie und das Objekt der Regierung, als Innen und Außen der Theorie, wieder zusammengedacht werden. Ich komme damit zum Schluss meiner Überlegungen zu der Frage Was macht Theorie?. Indem ich die beide Deutungen dieser Frage – nach dem Theoriemachenden und dem Von-Theorie-Gemachten – und insbesondere die Antworten auf diese Fragen – das Subjekt der Theorie und die Regierung durch Theorie – wieder verbinde, kann ich mich vor den Gefahren subjektivistischer und objektivistischer Fehlschlüsse hüten. Die Falte des Wissens und der Wahrheit Mit der kritischen Haltung Foucaults wird eine Faltung vorgenommen, die die beiden entfalteten Deutungen der Frage Was macht Theorie? wieder verbindet. Eine klare Trennung von Innen und Außen der Theorie, eine genaue Bestimmung der Grenze der Theorie als subjektive Innenansicht und äußere Regierungsanstrengung, lässt sich zwar konzeptionell skizzieren, aber empirisch nicht auffinden. Es geht in der Analyse also gerade darum, immanent an diese Grenzen zu gehen und mit ihnen zu spielen (siehe auch Foucault 1990: 48). Eine solche Analyse verschränkt die Paradoxie des Subjekts, als Nicht-Ort gleichzeitiger Unterwerfung und Ermächtigung, mit der Paradoxie der Regierung, als real wirkende Intervention und Fiktion totaler Regierbarkeit. Bröckling (2007a: 19-20) bringt diese Verschränkung wie folgt zum Ausdruck: »Das Paradox der Subjektivierung verschränkt sich so mit der Macht: Auf der einen Seite ist die Macht, verstanden als Ensemble der Kräfte, die auf das Subjekt einwirken, diesem vorgängig. Das Subjekt ist weder ausschließlich gefügiges Opfer, noch nur eigensinniger Opponent von Machtinterventionen, sondern immer schon deren Effekt. Auf der anderen Seite kann Macht nur gegenüber Subjekten ausgeübt werden, setzt diese also voraus. Sie beruht auf der Kontingenz des Handelns und damit auf einem unhintergehbaren Moment der Freiheit. Wäre das menschliche Verhalten vollständig determiniert, brauchte es keine Machtintervention; ließe es sich nicht beeinflussen, könnte es keine geben.«
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Dass es dabei nicht um die Festschreibung von Grenzen, sondern um das »Wie?« der Grenzziehung geht, wird deutlich, wenn ich die Frage Was macht die Theorie? als eine analoge Umkehrung der praxistheoretischen Frage Was macht das Subjekt? (Alkemeyer/Budde/Feist 2014) darstelle. Die Antworten auf beiden Frage beinhalten kein Darum und kein Um zu sondern zielen auf das Indem. Die Frage nach dem Subjekt geht davon aus, dass das Subjekt selbst aktiv ist und gleichzeitig etwas mit ihm getan wird. Das Subjekt ist dann aktiv und wird verändert, indem es einen spezifischen subjektiven Sinn für das Spiel entwickelt (Bourdieu 2014f: 122). Umgekehrt und analog geht meine Frage nach der Theorie davon aus, dass die Theorie aktiv ist und etwas mit ihr getan wird. Theorie und theoretische Texte müssen mit dieser Frage immer schon als Praxis identifizierbar sein, um die Frage mit dem Subjektivierungsregime der Theorie beantworten zu können. Die Theorie ist dann aktiv und wird verändert, indem sie einen subjektiven Sinn für das theoretische Spiel vorgibt (Fleck 1980: 62), der gerade darin besteht die Theorie weiterzuentwickeln. Diese analoge Umkehrung der Praxistheorie lässt sich verkürzt an einem Satz Bourdieus (2016: 370) vollziehen. Er argumentiert, dass die Theorie das Produkt eines theoretischen Blicks ist – ich zeige auf, was zu sehen ist, wenn der theoretische Blick das Produkt einer Theorie ist. Das Subjekt der Theorie und die Regierung durch Theorie sind also nicht getrennte Antworten auf die beiden Seiten der entfalteten Frage Was macht Theorie?, sondern zwei Seiten derselben Medaille. Die zuvor von mir ausdifferenzierten zwei Bedeutungen der Frage Was macht Theorie? werden nun gefaltet. Theorie wird gemacht, indem ein Subjekt der Theorie mittels der Regierung durch Theorie hervorgebracht wird. Theorie macht etwas, indem die Regierung durch Theorie sich auf ein bestimmtes Subjekt richtet, das als Ding das Verhältnis von Einzelnen und Dingen zu bestimmen versucht. Das Subjektivierungsregime der Praxis der Theorie und insbesondere der soziologischen Differenz ist also in einer solchen Lesart eine Regierung des Selbst (Foucault 2009a; siehe auch Bröckling 2007a: 20; Rose 2000: 94) und lässt sich als solche nur noch immanent kritisieren. Selbstreflexion: Die kritische Haltung Foucaults als Subjektivierungsregime Am Ende dieses Unterkapitels (3.3) wird nun deutlich, warum ich nicht mehr nach der Wahrheit der Theorien fragen kann, sondern danach, wie die Praxis der Theorie Denk- und Anschauungsformen bestimmt. Offensichtlich ist dies selbst eine Subjektivierung in einem Subjektivierungsregime der kritischen Haltung Foucaults. Foucault beschreibt dies als eine Möglichkeit der Kritik jenseits der erkenntnistheoretischen Frage nach den Bedingungen für wahre Erkenntnis. Er schreibt über diese Möglichkeit: »Diese andere kritische Tradition stellt sich nicht die Frage nach den Bedingungen, unter denen eine wahre Erkenntnis möglich ist. […] Hierbei handelt es sich
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nicht um eine Analytik der Wahrheit, sondern um etwas, das man eine Ontologie nennen könnte, eine Ontologie der Aktualität, eine Ontologie der Moderne, eine Ontologie unser selbst.« (Foucault 2009a: 39) Durch die Feststellung meiner eigenen Subjektivierung innerhalb einer bestimmten Form kritischer Haltung komme ich zurück zu den Zielen meiner Arbeit, der Öffnung der Kontingenz soziologischer Theorie und der Annäherung an ein pluralistisches Paradigma. Auch wenn bestimmte Fragen nicht mehr gestellt werden können, wie z.B. die Frage nach der Wissenschaftlichkeit soziologischer Theorie, ist es mit dieser Haltung möglich, das gegenwärtige Feld soziologischer Theorie auf mögliche theoretische Erfahrungen hin zu erkunden und zu fragen, wie es möglich ist, sich selbst durch und in der Praxis soziologischer Theorie zu erfahren und zu verstehen. Damit handelt es sich bei dieser Ontologie unser selbst um eine historische Ontologie (Foucault 1990: 48-49; siehe auch Hacking 2006: 10f.). Übertragen auf das Feld wissenschaftlicher Theorie erforscht diese Ontologie Denk- und Anschauungsformen, durch die sich Einzelne reflektieren können, sich also einerseits als Erkenntnisobjekt der Praxis der Theorie unterwerfen und sich damit im selben Zug, wie auch immer scheiternd, zu Erkenntnissubjekten konstituieren. Nun gibt es durchaus die Möglichkeit, zwar die Wirkung soziologischer Theorie auf die Denk- und Anschauungsformen seiner Selbst zu erkennen, aber darauf zu beharren, im eigenen Horizont zu verharren (siehe z.B. Luhmann 1992b: 138-144; 1998: 1128-1133). Die kritische Haltung Foucaults bietet über diese Erkundung theoretischer Erfahrung hinaus auch die normative Anrufung, die es braucht, um die Grenzen des eignen Subjektivierungsregimes verlassen zu wollen. Dies ist daran zu erkennen, dass für Foucault aus dem Wissen über die Regierung des Selbst in einem Subjektivierungsregime der Versuch folgt, einen Multiperspektivismus paradigmatisch werden zu lassen. Dieser Multiperspektivismus ist die zentrale Dynamik in seiner Haltung permanenter Kritik (Foucault 1990: 45), über die Foucault (1984: 130-131) schreibt: »es sich niemals erlauben, sich mit seinen eigenen Gewißheiten und Evidenzen bequem einzurichten; sie niemals einschlafen lassen, aber auch nicht glauben, daß schon eine neue Sachlage ausreicht, sie umzukehren; sich nicht vorstellen, daß man sie ändern kann wie willkürliche Axiome; daran denken, daß man – um ihnen die unerläßliche Beweglichkeit zu erhalten – zwar in die Ferne blicken muß, doch auch in die Nähe und um sich herum. Es bedarf des rechten Gespürs dafür, daß alles, was man wahrnimmt, nur deshalb evident ist, weil es in einem vertrauten und kaum erkannten Horizont steht; daß jede Gewißheit nur deshalb sicher ist, weil sie sich auf einen nie untersuchten Boden stützt. Auch der vergänglichste Augenblick hat seine Wurzeln. Darin liegt die ganze Ethik der Evidenz, die nie einschläft. Sie schließt nicht etwa eine Ökonomie des Wahren und Falschen aus, aber sie geht auch nicht in dieser auf.«
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Es ist also die kritische Haltung Foucaults, die die beiden Deutungen der Frage Was macht Theorie?, die die Theorie zunächst in ein Innen- und Außen getrennt hat, wieder verbindet. Diese Faltung macht es möglich, die soziologischen Theorien konkreter Autoren einer Analytik der Macht zu unterziehen und ein Subjekt der Theorie zu rekonstruieren, ohne es auf die Denkweisen konkreter Wissenschaftler zurückzuführen (Daniel 2004: 384ff.) Die Falte bezeichnet Deleuze (1992: 146) in seinem Buch über Foucault als Falte des Wissens und der Wahrheit. Analog zu Foucault (2010b: 265) ist bei Deleuze (Deleuze/Guattari 1996: 97; siehe auch Deleuze 1993b: 212f.) selbst Denken ein immanentes Selbstverhältnis von Denksystemen (zur Immanenz bei Deleuze siehe Ott 2005: 37ff.). Subjekt und Objekt, Freiheit und Macht sind nach der Faltung nicht mehr voneinander getrennt, aber auch nie identisch. Sie nehmen eine Juxtaposition zueinander ein (Foucault 1978a: 229), sie bilden einen Ort, an dem die Verflechtung von Menschen und Dingen eine Verflechtung von Subjekten zu sich selbst ist, also eine Regierung des Selbst (Steinweg 2015: 15ff.). Entsprechend gilt für meine Analyse, dass das Subjekt der Theorie nicht linear dem Objekt der Regierung durch Theorie gegenübersteht, sondern beide sich in Juxtaposition und einer Beziehung zueinander befinden. Mit den nun abgeschlossenen Ausführungen zum Subjekt der Theorie und zur Regierung durch Theorie habe ich die methodologische Frage, wie sich die reflexiven Ordnungsbeziehungen theoretischer Soziologie formal und immanent kritisieren lassen, auf zwei Weisen mit der soziologischen Differenz beantwortet. Die Rekonstruktion eines Subjekts der Theorie, das über die Regierung durch Theorie in die Subjektivierungsregime soziologischer Theorien eingebunden ist, gibt Auskünfte über das »Wie?« der reflexiven Ordnungsbeziehungen soziologischer Theorie. Diese Antwort bezieht sich also stärker auf die machtanalytische Komponente meiner methodologischen Frage. Hieran anschließend stellt sich die Frage, welches Vorgehen es erlaubt, diese Ordnungsbeziehungen einer immanenten Kritik zu unterziehen, um die drei Ziele meiner Arbeit zu erreichen. Die Analyse der Macht der Theorie erlaubt es mir bereits, unterschiedliche Theorien ernst zu nehmen und Reflexionsblockaden soziologischer Theorie genauer zu bestimmen. Aber erst ein machtkritisches Vorgehen kann die Kontingenz soziologischer Theorien öffnen. Dieses Ziel ist zwar normativ, weil es in der aufklärerischen Tradition für Freiheit und Autonomie eintritt. Gleichzeitig ist es antinormativ, weil es im Sinne Foucaults keiner positiven Idee von Freiheit folgt (Foucault 1990: 49ff.; Schäfer 1995: 44f.). Freiheit wird bei Foucault nur im anarchisch-negativen Sinn erfahrbar. Sie ist also nicht planvoll zu verwirklichen, sondern zeigt sich in der Kritik präfigurativ (Vogelmann 2017: 20f.) als Vorahnung auf eine andere Gesellschaft und in der theoretischen Aktivität als Bruch mit den eingespielten Selbstverständlichkeiten des theoretischen Wissens:
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»Ich träume von dem Intellektuellen als dem Zerstörer der Evidenzen und Universalien, der in den Trägheitsmomenten und Zwängen der Gegenwart die Schwachstellen, Öffnungen und Kraftlinien kenntlich macht, der fortwährend seinen Ort wechselt, nicht sicher weiß, wo er morgen sein noch was er denken wird, weil seine Aufmerksamkeit allein der Gegenwart gilt; der, wo er gerade ist, sein Teil zu der Frage beiträgt, ob die Revolution der Mühe wert ist und welche (ich meine: welche Revolution und welche Mühe), wobei sich von selbst versteht, daß nur die sie beantworten können, die bereit sind, ihr Leben aufs Spiel zu setzen, um sie zu machen.« (Foucault 1978b: 198) Mit dieser Selbstdeutung Foucaults sind die methodologischen Begründungen meiner Arbeit weitestgehend abgeschlossen. Ich verstehe sie durchaus als einen Beitrag zu grundlegenden Überlegungen über die Möglichkeiten einer Revolution des Feldes soziologischer Theorie und die damit verbundenen Mühen. Bisher ging es darum zu zeigen, warum ein Blick auf die Praxis soziologischer Theorien, insbesondere auf die soziologische Differenz, mit der kritischen Haltung Foucaults die Probleme meta- und supertheoretischer Kritik vermeiden kann. Diese Haltung führt nämlich statt in methodologische Immunisierungen und Kommunikations- und Verständnisblockaden (2.) zu einer Hinwendung zum pluralistischen Paradigma (3.1). Mittels des heuristischen Bezugsrahmens der soziologischen Differenz ist es möglich, die immanente Praxis einer Theorie zu analysieren und als theoretische Erfahrung zu kritisieren (3.2). Durch die doppeldeutige Frage Was macht Theorie? wird es mir ermöglicht, aus den Selbstbeschreibungen soziologischer Theorien einen Zusammenhang zwischen dem Subjekt der Theorie und der Regierung durch Theorie zu rekonstruieren und so der soziologischen Differenz, also den Grenzen der Praxis der Theorie, näher zu kommen (3.3). Dabei kommen auch Bruchstellen, Widersprüchlichkeiten und Unbestimmtheiten im Subjektivierungsregime zum Vorschein, die sich für eine immanente Kritik der soziologischen Differenz nutzbar machen lassen. Ich werde nun in das Verfahren immanenter Kritik einführen (3.4). Hierzu trenne ich immanente Kritik scharf von externer und interner Kritik. Weil die Theorie in der immanenten Kritik auf sich selbst verwiesen wird, lässt sich die Iterabilität soziologischer Theorie als Gelingensbedingung einer immanenten Kritik bestimmen. Abschließend werde ich anhand der subversiven Argumentation einige methodische Verfahren immanenter Kritik darstellen.
3.4.
Immanenz der Kritik und Iterabilität soziologischer Theorie
Der Begriff der soziologischen Differenz ist eng an die Idee meiner immanenten Kritik gekoppelt. Ich habe behauptet, dass ich ihn nicht nur von außen an Theorien
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herantrage, sondern dass es eine Praxis der Theorie gibt, in der die soziologische Differenz hervorgebracht wird. Dies ist die Ambivalenz der soziologischen Differenz (3.2). In dieser Praxis greifen theorieimmanente Macht, Subjekt der Theorie und Regierung durch Theorie ineinander (3.3). Zusammenfassend behaupte ich: Theorie kann als Praxis analysiert werden, indem sie als Subjektivierungsregime beobachtet wird, in dem sich die reflexiven Denk- und Anschauungsformen soziologischer Theorie entlang der soziologischen Differenz herstellen (beispielhafte Analysen finden sich unter 4.). Eine solche Analyse ist methodisch voraussetzungsvoll, aber nicht selbstverständlich machtkritisch. In diesem Unterkapitel (3.4) werde ich nun die machtkritische Dimension meiner methodologischen Frage danach, wie sich die reflexiven Ordnungsbeziehungen theoretischer Soziologie formal und immanent kritisieren lassen, beantworten. Aufgrund der im zweiten Kapitel (2.) geschaffenen Problematisierung externer Kritik soziologischer Ordnungsbeziehung entwerfe ich keine Metatheorie über soziologische Theorien. Diese müsste sich nur wieder selbst über ihre Ordnungsbeziehungen, ihre Praxis der Theorie und ihre soziologische Differenz aufklären. Ich werde stattdessen zeigen, dass meine methodologischen Überlegungen es ermöglichen, eine immanente Kritik der soziologischen Differenz zu vollziehen. Hierzu unterscheide ich im Folgenden externe, interne und immanente Kritik. Diese Unterscheidung zeigt, dass die immanente Kritik voraussetzungsvoll ist. Sie bedarf einer Gegenstandskonstruktion, die innerhalb der kritisierten Theorien stattfindet, aber dennoch mit der routinisierten und etablierten Praxis dieser Theorien bricht. Die theorieimmanente Konstruktion eines Gegenstandes der (Selbst)Kritik baut auf der Annahme der Iterabilität soziologischer Theorien auf. Iterabilität ist damit einerseits die Gelingensbedingung immanenter Kritik. Andererseits droht die immanente Kritik durch ihre Gelingensbedingung der Iterabilität im Kritisierten aufzugehen und so keine Veränderung mehr zu schaffen. Nachdem ich anhand dieser Ambivalenz der Iterabilität die Chancen und Grenzen der immanenten Kritik aufgezeigt habe, werde ich abschließend einige Verfahren subversiven Argumentierens aufzeigen, die es verhindern können, sich in den Theorien zu verlieren, ohne einen externen Standpunkt einnehmen zu müssen. Externe, interne und immanente Kritik Die Bezeichnungen extern, intern und immanent sind Standpunkte der Kritik in Relation zu ihrem Gegenstand, dem Kritisierten. Die drei Bezeichnungen lassen sich in einem ersten Schritt anhand von drei Beispielen veranschaulichen: Wenn Luhmann (1991a; 1993d; 1998: 1128ff.) kritisiert, dass diejenigen, die die Welt beobachten, um sie nach ihren Vorstellungen zu verändern, in einer Beobachtung erster Ordnung verharren; wenn er diese Beobachtungen an den von ihm gesetzten Ansprüchen an eine moderne (und damit nicht alteuropäische) Soziolo-
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gie misst – kein Besserwissen, keine Zentralperspektive – und wenn er dann zu dem Schluss kommt, soziologische Selbstreflexionen der Gesellschaft müssen auf seine Art und Weise der Beobachtung zweiter Ordnung umgestellt werden, dann handelt es sich um einen Fall externer Kritik. Wenn Axel Honneth (2002; Hartmann/Honneth 2004) kritisiert, dass sich die Kritische Theorie von den Alltagsdiskursen der Leute distanziert hat; wenn er gleichzeitig feststellt, dass es aber der Anspruch der kritischen Theorie ist, an die Alltagsdiskurse der Leute anzuschließen; wenn er aus diesem Widerspruch folgert, dass die alltägliche Erfahrung von Ambivalenzen und Paradoxien des Kapitalismus zum Ausgangspunkt der Kritik gemacht werden sollten, und wenn diese Kritik den Kapitalismus damit an seinen normativen Fortschritten misst, um die Verletzung und Unterminierung dieser Fortschritte aufzuzeigen, dann handelt es sich um einen Fall interner Kritik. Wenn Max Horkheimer und Theodor W. Adorno (1988; Adorno 2014) das Projekt der Aufklärung kritisieren, das sich auf Vernunft beruft, um den Humanismus voranzubringen; wenn sie sich selbst dieser kritisierten Tradition verschreiben; wenn sie dabei erkennen, dass die Aufklärung in Unvernunft und menschenfeindliche Zustände zu führen droht; wenn sie daraus schließen, dass die kritische Theorie sich in eine Flaschenpost und in die letzten autonomen Bereiche des Individuellen zurückziehen muss und wenn diese ausweglose Situation sie nicht daran hindert, kritisch und aufklärerisch zu sein, dann handelt es sich um einen Fall immanenter Kritik. Die Häufung der Konjunktion wenn ist kein Zufall, denn an diesen Beispielen ist in einem zweiten Schritt sofort zu erkennen, dass die Dreiteilung der Kritik höchst holzschnittartig ist. Es ließe sich sofort einwenden: Setzt nicht auch Luhmann auf Anschlussfähigkeit und nimmt an, dass seine Maßstäbe geteilt werden können, sieht nicht auch er sich in einer immanenten Beziehung zur soziologischen Tradition? Wählt nicht auch Honneth externe Maßstäbe, um zu bestimmen, was nun normative Fortschritte sind und was nicht, und ist der interne Bezug auf die Normen des Kapitalismus nicht immanent in das System verstrickt? Entwickeln nicht auch Adorno und Horkheimer ihre Maßstäbe intern aus einer Tradition, mit der sie letztlich brechen, und führt nicht gerade der Rückzug aus der Massengesellschaft zu einem externen Standpunkt? Die Dreiteilung der Kritik in extern, intern und immanent lässt sich in der Konfrontation mit real existierenden Formen der Kritik also nicht lange aufrechterhalten (Iser 2011; Stahl 2013: 26-34). Diesem Einwand zum Trotz halte ich an der Dreiteilung fest, denn sie verweist nicht auf eine wirkliche Entscheidungsmöglichkeit zwischen unterschiedlichen Formen der Kritik, sondern ermöglicht eine Problematisierung von Kritik und von Gefahren, die mit der Kritik einhergehen. Die These, die ich mit dem vorgenommenen Holzschnitt verbinde, ist also: Die Probleme und Gefahren von Kritik können an dem relativen Standpunkt vom Kri-
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tisierenden zum Kritisierten festgemacht werden. Das Problem externer Kritik besteht eben darin, dass sie außerhalb steht und auch vom Kritisierten argumentativ ausgeschlossen werden kann (Boltanski 2010: 24ff.). Interne Kritik beruft sich auf Maßstäbe, auf die das Kritisierte intern Bezug nimmt, und ihr Problem besteht darin, dass die Kritik, weil sie den Normen zumindest implizit zustimmt, internalisiert werden kann (Boltanski/Chiapello 2001: 476; 2006: 68ff., Scherr 2017: 394f.). Die immanente Kritik ist mit dem Problem konfrontiert, dass sie immer schon Teil des Problems ist und somit als machtlos erscheint und sich auf sich selbst zurückzieht. Ich nutze im Folgenden die Dreiteilung der Kritik, um die Probleme genauer zu fassen, die mit externer Kritik und mit interner Kritik verbunden sind und auf die die immanente Kritik eine Antwort weiß. Celikates (2009: 161ff.) verweist ausführlicher auf die Probleme externer Kritik. Sie neigt zur Unterschätzung der Reflexionsfähigkeit sozialer Akteure, sie unterliegt der Gefahr des Paternalismus, sie hat ein Problem mit der praktischen Vermittlung ihrer Kritik, und sie neigt dazu, die Komplexität sozialer Zusammenhänge zu unterschätzen. Für die Kritik der Ordnungsbeziehungen soziologischer Theorien sehe ich hier vor allem das Problem, dass externe Kritiken einerseits immer mit der Frage konfrontiert sind, wie sie überhaupt ein Innen und Außen herstellen können (Jaeggi 2014: 274f.). Um bei der substanziellen Verortung der Soziologie innerhalb der Wissenschaft zu bleiben, die ich im ersten Kapitel (1.) ausgeführt habe: Wie können externe Kritiken überhaupt eine klare Differenz zwischen Wissenschaft/Nicht-Wissenschaft ziehen? Ist diese Differenz nicht viel umkämpfter, verschwommener und stärkeren Veränderungen unterworfen als angenommen (Celikates 2009; Knorr-Cetina 1992; Reckwitz 2008a)? Wie kann sie sich selbst eindeutig auf der einen Seite und die Kritisierten auf der anderen Seite verorten? Selbst wenn diese Grenze von Innen und Außen klar vorgenommen werden könnte, müsste die externe Kritik andererseits fragen, wie sie die von sich distanzierten Adressaten überzeugen und wie die Kritik praktisch werden könnte (Iser 2011: 142; Jaeggi 2014: 261f., 268; Schleichert 2017: 63ff.). Um diese beiden Probleme nicht ständig reflektieren zu müssen, neigen Formen externer Kritik dazu, die praktischen Dimension der eigenen Kritik auszublenden (Celikates 2005: 29; Celikates 2009: 27f.). Ich habe gezeigt, dass der Standpunkt externer metatheoretischer Kritik – nach der im ersten Kapitel vorgenommenen Problematisierung – keine Option für mein weiteres Vorgehen ist. Dies muss aber nicht zu einer Zuwendung zu interner (nicht immanenter) Kritik (Stahl 2013: 27, 30) führen. Celikates (2009: 165f.) zählt zu den Problemen interner Kritik, dass sie Gefahr läuft, in Beliebigkeit abzugleiten, wenn sie die Maßstäbe der Akteure unhinterfragt übernimmt. Darüber hinaus muss sie auch die Maßstäbe externer Kritik als mögliche Maßstäbe anerkennen und kann sich somit nur schwer vom Modus der externen Kritik abgrenzen. Letztlich verkennt die interne Kritik, dass die Akteure häufig nicht auf die sozia-
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len Bedingungen bauen können, die eine Ausübung von Kritik erst ermöglicht. Die angesprochenen Probleme externer Kritik lassen sich dabei nicht vollständig vermeiden: Interne Kritik würde selbst metatheoretisch verfahren, insofern sie interne Maßstäbe soziologischer Theorie durch eine metakritische Distanzierung herausarbeitet (Boltanski 2010: 23f.; Jaeggi 2014: 263-276; Ritsert 2014: 15ff.), um die Theorien an ihnen zu messen. Zwar bezieht sich die interne Kritik durch dieses Verfahren auf die internen Prinzipien der kritisierten Theorien und begibt sich damit an einen theorieimmanenten Ort der Kritik (Schleichert 2017: 93), sie muss diesen Prinzipien aber normativ zustimmen, um sie dann als Maßstab der Kritik einbringen zu können. Das Problem, dass interne Kritik die internen Maßstäbe des Kritisierten herausarbeitet und ihnen zustimmen muss, würde beispielsweise dazu führen, dass die Frage nach der Wissenschaftlichkeit soziologischer Theorie im Verfahren interner Kritik nach wie vor dominant sein würde. Gerade eine Banalisierung der selbstgesetzten Maßstäbe soziologischer Theorien ist mit der internen Kritik nicht möglich und dadurch ist auch eine gravierende Verschiebung des Schwerpunktes der Kritik verhindert. Interne Kritik kann letztlich nur an Orten ansetzen, die die kritisierten Theorien selbst als kritikwürdig ausstellen. Wenn die interne Kritik die Maßstäbe der kritisierten Theorien nicht ernst nehmen sollte, verkommt sie zu einem selbstimmunisierenden Nachäffen kritisierter Theorien, wie Wolf Lepenies (1985: 407) es für die Soziologie in der Weimarer Republik skizziert hat: »Von den vielen Techniken, die man entwickelte, um mißliebige Konkurrenten auszuschalten, wurde die Nachäffung konkurrierender Argumentationsstile Mode. Anti-Marxisten enthüllten die Klassenlage ihrer Gegner, und Anhänger der formalen Schule sahen verächtlich auf die Wissenssoziologie herab, wobei sie darauf hinwiesen, daß Karl Mannheims Gedanken nur im romantischen Milieu Heidelbergs ausgebrütet werden konnten, das Dunkelheit der Argumentation, dialektische Überspitzung und abseitige, hochfliegende Ideen begünstigte.« Es ist offensichtlich, dass auch eine solche Kritik zu Kommunikations- und Verständnisblockaden führt. Den genannten Problemen externer und interner Kritik können die Verfahren der immanenten Kritik begegnen. Es ist die grundlegende Erkenntnis der Kritischen Theorie Frankfurter Schule, dass die Kritik selbst Teil des Kritisierten ist (Horkheimer 2011: 239; siehe auch Boltanksi 2010: 20-26; Celikates 2005: 32; Vobruba 2017: 175). Die vielfältigen Ansätze immanenter Kritik unterscheiden sich von externer Kritik darin, dass immanente Kritik in der Lage ist, die eigene Verwobenheit mit den kritisierten gesellschaftlichen Zuständen zu erkennen. Von interner Kritik unterscheidet sich immanente Kritik vor allem dadurch, dass sie sich nicht auf die Maßstäbe anderer einlässt und sie damit normativ unterstützt. Stattdessen kann sie im Kritisierten einen Ort der Selbstkritik konstruieren, der durchaus
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mit dem Selbstverständnis des Kritisierten bricht. Meine These lautet in diesem Zusammenhang: Immanente Kritik baut zwar auf das reflexive Potenzial des Kritisierten, sie ist aber in der Lage, dessen normative Maßstäbe zu unterminieren und auf diesem Weg subversive, irritierende, Kontingenz öffnende Effekte zu erzielen. Immanente Kritik als Selbstkritik Immanente Kritik versteht sich aufs engste mit dem Kritisierten verwoben (Jaeggi 2013: 294). Ihr Ort ist dabei so tief in das Kritisierte eingelassen, dass jede immanente Kritik Selbstkritik ist. Im Sinne der skizzierten Falte von Subjekt und Regierung der Theorie sind Kritisierendes und Kritisiertes als Subjekt und Objekt der Kritik nicht hierarchisch linear voneinander getrennt. Vielmehr sind sie so eng aufeinander bezogen, dass es ein Spiel mit ihrer Trennung innerhalb einer Regierung des Selbst ist, das die immanente Kritik ausmacht (zur Möglichkeit solcher ethischer Spiele mit sich selbst siehe Foucault 1989a: 42ff.; 1989b: 71f.; 2005b). Sie gefährdet aus diesem Grund auch die eigene Position, da sie der paradoxen Logik der Dialektik der Aufklärung (Horkheimer/Adorno 1988) folgt. Habermas (1988: 144; siehe auch Adorno 2003: 15) hat diese Logik wie folgt diagnostiziert: »Vernunft hat sich, als instrumentelle, an Macht assimiliert und dadurch ihrer kritischen Kraft begeben – das ist die letzte Enthüllung einer auf sich selbst angewandten Ideologiekritik. Diese beschreibt allerdings die Selbstzerstörung des kritischen Vermögens auf paradoxe Weise, weil sie im Augenblick der Beschreibung noch von der totgesagten Kritik Gebrauch machen muß.« Doch wie kommt diese Selbstbezichtigung der Kritik, die natürlich weiterhin kritisch ist, zustande? Eine Antwort liefert die Betrachtung des Ortes der Kritik im Kritisierten. In Bezug auf Wissenschaft wird dies deutlich, wenn Adorno (1979: 297) im Positivismusstreit schreibt: »Dialektik möchte dem Szientismus auf dessen eigenem Feld begegnen insoweit, wie sie die gegenwärtige gesellschaftliche Realität richtiger erkennen will. Sie möchten den Vorhang vor dieser durchdringen helfen, an dem Wissenschaft selbst mitwebt.« Eine solche Kritik versucht sprichwörtlich päpstlicher als der Papst zu sein, nicht nur, um sich ihrer eigenen Unmöglichkeit zu vergewissern, sondern auch, um das Papsttum als solches zu kritisieren. Offensichtlich droht die Kritische Theorie damit selbst szientistisch missverstanden zu werden. Rahel Jaeggi (2013) hat darauf verwiesen, dass immanente Kritik performativer Teil der Praxis des Kritisierten ist. Aus den bisherigen Ausführungen wird deutlich, dass die immanente Kritik, die keinen selbständigen Standpunkt außerhalb des Kritisierten hat, in den Ver-
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dacht gerät, unkritisch zu sein. In dieser Ambivalenz liegen gleichzeitig die Gefahr und die Chance immanenter Kritik, denn die Gefährdung der eigenen Position kann sie nicht nur nutzen, um Stabilisierungen zu überwinden, sondern auch als Selbstkritik ausspielen. Im Gegensatz zur externen und internen Kritik ist ihre kritische Wirkung an den Versuch gebunden, gerade die Differenz zwischen Innen und Außen aufzuheben (Jaeggi 2013: 293). Die Chance der immanenten Kritik entspringt damit gerade der Abschwächung des eigenen epistemischen Standpunkts (Celikates 2009: 153ff.). Sie beruft sich auf eine materialistische Tradition in Anschluss an Karl Marx (2006: 345; siehe auch Celikates 2009: 252; Jaeggi 2013: 285ff.; 2014: 277-281), der den Grundsatz immanenter Kritik wie folgt formuliert: »Es hindert uns also nichts, unsre Kritik an die Kritik der Politik, an die Parteinahme in der Politik, also an wirkliche Kämpfe anzuknüpfen und mit ihnen zu identifizieren. Wir treten dann nicht der Welt doktrinär mit einem neuen Prinzip entgegen: Hier ist die Wahrheit, hier kniee nieder! Wir entwickeln der Welt aus den Prinzipien der Welt neue Prinzipien. Wir sagen ihr nicht: Laß ab von deinen Kämpfen, sie sind dummes Zeug; wir wollen dir die wahre Parole des Kampfes zuschrein. Wir zeigen ihr nur, warum sie eigentlich kämpft, und das Bewußtsein ist eine Sache, die sie sich aneignen muß, wenn sie auch nicht will. Die Reform des Bewußtseins besteht nur darin, daß man die Welt ihr Bewußtsein innewerden läßt, daß man sie aus dem Traum über sich selbst aufweckt, daß man ihre eignen Aktionen ihr erklärt.« 10 Um die immanente Positionierung meiner Kritik sicher zu stellen, muss ich ihren Ort auf bestimmte Art und Weise konstruieren. Dieser Ort ist eine Konstruktion der Soziologie, die ihre Denk- und Anschauungsformen, also die Art und Weise ihrer Selbstreflexionen, als starr, alternativlos und fundiert präsentiert. Sicherlich zeichnen sich soziologische Theorien durch eine theorieimmanente Beweglichkeit und Pluralität aus, die Außengrenzen ihrer Denk- und Anschauungsformen sind aber doch recht fest bestimmt (siehe z.B. Alvear/Haker 2019). In der immanenten 10
Sicherlich spielt Marx auf andere Kämpfe als theoretische Streitigkeiten und Kontroversen an. Es geht um Politik, Bewegungen, Parteien und Klassenkampf. Oliver Marchart und Robin Celikates haben aber im Anschluss an Marxismus und Kritische Theorie gezeigt, dass zwischen Soziologie und wirklichen Kämpfen nicht nur eine enge Verbindung bestehen kann, sondern dass innerhalb der Soziologie als Kampfplatz (Marchart 2013: 19) und insbesondere auf dem Kampfplatz der Theorie (Celikates 2005: 29) wirkliche Kämpfe gekämpft werden (siehe auch Hörisch 2010: 13f.). Es ist nicht zuletzt Pierre Bourdieu zuzuschreiben, innerhalb der Wissenschaft Wahrheitskriege (Bourdieu 2014g: 65) ausgemacht zu haben und Soziologie als Kampfsport (Carles 2009) zu verstehen. Überraschender erscheint vielleicht der Verweis, dass auch Luhmann im System der Wissenschaft Reputationskämpfe und tribale Verhaltensmuster am Werk sieht (Luhmann 1974c: 243f.; 1992c: 297).
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Kritik soziologischer Theorie wird durch diese Konstruktion eine Distanz soziologischer Theorien zu ihren eigenen quasi-alltäglichen Selbstverständnissen hergestellt, ohne dabei eine Außenposition zu beanspruchen. Schleichert (2017: 116) bestimmt den Adressaten der subversiven Wirkung immanenter Kritik wie folgt: »Das subversive Verfahren hat seine Grenzen an der Festigkeit der gegnerischen Überzeugung. […] Daß freilich der echte Fanatiker durch Argumente welcher Art auch immer nicht zu beeindrucken ist, gehört zu seinen Wesensmerkmalen. Den Fanatiker muß man eigentlich sich selbst überlassen, aber man wird versuchen, die Gefahr, die von ihm ausgeht, zu verringern. Wer gegen einen Fanatismus argumentiert, scheint sich zwar an die Fanatiker zu wenden, um sie von den Vorzügen der besseren, menschlicheren Sache zu überzeugen. In Wirklichkeit richtet er sich aber an die noch nicht oder nicht stark vom Fanatismus Befallenen.« Zwar bezieht Schleichert sich hier und im Weiteren auf Religion, da es mir aber nicht um eine inhaltliche Kritik sondern um die immanente Kritik als Praxisform geht, lassen sich seine formalen Bestimmungen der subversiven Argumentation auch auf andere Bereiche übertragen. Religiöser Fanatismus ist bei Schleichert (2017: 67f.) nur ein Beispiel, für eine hochgradig reine Form von Fanatismus. Ähnliche Denk- und Anschauungsformen zeigen sich aber auch in soziologischen Reflexionsblockaden wie Dogmatismus, Hegemonie, Schulenbildung, Eindimensionalität und theoretischer Intoleranz. Mit der subversiven Vernunft nach Schleichert (2017: 174) teilt meine Kritik das grundlegendere Ziel, diese verfestigten Denk- und Anschauungsformen zu unterlaufen (siehe auch 2.). Dass soziologische Theorien sich als relativ kohärent und geschlossen verstehen, ist offensichtlich. Sie beziehen sich in der Regel auf einen relativ stabilen Korpus an theoretischen Aussagen. Sie weisen einen Kanon auf, und um eine Theorie zu betreiben, muss der Theoretiker gewissen Annahmen Folge leisten und Zentralreferenzen (Brunkhorst 1983; Ritsert 1978) bedienen. Wissenschaftliche Theorien haben immer eine dogmatische Komponente (Bourdieu 1975), sie enthalten unangetastete Glaubens- und Lehrsätze, die die Funktion erfüllen, das erworbene und formalisierte Wissen des wissenschaftlichen Feldes zu stabilisieren und so überhaupt transformierbar und für Innovationen zugänglich zu machen (Kuhn 1963). Dies zeigt, dass Theorien damit handlungsleitende Kraft zukommt. Diese Kraft entwickeln sie nicht immer, indem sie Handlungsanweisungen für Außenstehende formulieren, aber sie versuchen ständig zu lenken, wie sich eine Theoretikerin innerhalb der Theorie subjektivieren will und kann und auf welche Art und Weise Wissenschaftlerinnen die Theorie betreiben und verändern können. Reflexive Intoleranz soziologischer Theorie Es ist schon bemerkenswert, dass wissenschaftliche und theoretische Praxis gerade in ihrer Reflexion und dem daraus hervorgebrachten Selbstbild, das einen
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epistemologischen Bruch zu anderen erzeugt (Celikates 2009), intolerant wird. Meine Kritik bezieht sich damit auf eine reflexive Intoleranz soziologischer Theorie (auch Bourdieu 2002: 13 erkennt dieses Problem auf dem Feld, benutzt aber den Begriff triumphale Ignoranz). Soziologische Theorien erheben in diesem Fall ihr eigenes Reflexionsniveau in eine solche Höhe, dass sie intolerant gegenüber alternativen Theorieangeboten werden. Wenn die prinzipielle Symmetrie (Celikates 2009: 153ff.) zwischen soziologischen Theorien durch reflexive Intoleranz ausgeblendet wird, wirkt sie auf die Formierung von Theorie zurück. Die Theorie schließt sich weiter ab und verstärkt damit ihren handlungsanweisenden Charakter. So verliert die Theorie sich tiefer in sich selbst. Sie zeigt sich beispielsweise bei Bourdieu (2013a: 287, 294) folgendermaßen: Die Praxistheorie erklärt die reflexive Anthropologie und die Methode der teilnehmenden Objektivierung zur schwierigsten und notwendigsten Aufgabe und den Gipfel der soziologischen Kunst, der nur zu besteigen sei, wenn der Soziologe alle vorausgegangene Forschung inkorporiert (Bourdieu 1997: 797). Bei Luhmann (1987e: 27f.) ist nicht weniger Drastisches zu lesen: Die Systemtheorie schließt sich zu Beginn von Soziale Systeme an Naturwissenschaften an und erklärt den Rest der Soziologie als lernunfähig und vergangen. Es ist eine konsequente Folge dieser reflexiven Intoleranz, wenn die Systemtheorie sich am Ende von Die Gesellschaft der Gesellschaft über ihre reflektierte Autologie als Ausnahmephänomen auf dem Feld der soziologischen Theorie präsentiert, deren Vertreter, mit Ausnahme Luhmanns, im gesamten 20. Jahrhundert nicht in der Lage waren, den notwendigen Anforderungen autologischer Reflexion zu genügen (Luhmann 1998: 1132). Es zeigt sich in diesen kurzen Verweisen, was Armen Avanessian (2015: 24-46) als kritische Legitimität und als SelbstLegitimierung durch Kritik beschreibt. Er zeigt in seiner Genealogie der deutschen Forschungsuniversität, wie die Kritik zu einem Legitimationsverfahren geworden ist, das vor allem die eigene Position stärkt, indem eine bestimmte Form der Kritik und damit eine bestimmte Form der Selbstreflexion alternativlos gesetzt werden. Wenn die Kritik nach Avanessian (2015: 33) sowohl das Objekt der Kritik als auch die Position des Kritisierenden legitimiert, dann verstärkt sich dieser Effekt in der Praxis reflexiver Selbstkritik und bildet eine reflexive Intoleranz aus, die keine Alternativen neben sich zulässt: »›Was wäre denn die Alternative?‹ – diesen Satz hat sich die Kritik von ihrem Lieblingsgegner Kapitalismus abgehört. Es darf keine Götter geben neben ihr. Was die Kritik der letzten Jahre dann als großen epistemologischen Fortschritt feiert, nämlich die genau genommen immer schon offenkundige Einsicht ihrer Verstricktheit in die vorhandenen (Macht-)Verhältnisse, wird für sie damit zu einem Persilschein, konkurrenzlos weitermachen zu können wie bisher. Auch deshalb ist Kritik das unangreifbarste aller Legitimationsverfahren. Kritik versieht ihr Objekt mit Notwendigkeit – welcher Art auch immer, und sei es die der Macht selbst.
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Das hat selbstverständlich zugleich einen stabilisierenden Effekt für das kritische Subjekt. Ich bin kritisch … ja, ich weiß, aber ich tue doch mein bestes … was soll ich denn sonst machen … natürlich sind wir alle verstrickt … und trotzdem … Und trotzdem wird weitergemacht wie bisher, als ob es kein Gestern gäbe – und sicher wird es so kein anderes Morgen geben.« (Avanessian 2015: 33) Die Praxis der Theorie als eine Grenze entlang der soziologischen Differenz zu analysieren und die Macht zu kritisieren, die von diesen Selbstlegitimationen über die Regierung durch Theorie und das Subjekt der Theorie auf Einzelne ausgeübt wird, bedarf konkreter Verfahren. Es kann nicht darum gehen, einen wechselseitigen Schlagabtausch der Verunglimpfung, der Vergegenständlichung, der Konfrontation meiner Wahrheit mit einer anderen Wahrheit und letztlich der externen Kritik zu befeuern. Was die immanente Kritik von der externen Kritik unterscheidet, ist, dass sie auf diesen Schlagabtausch, in dem beide Seiten Selbstlegitimierungsprozesse vollziehen, ohne die eigenen Überzeugungen zu hinterfragen verzichtet. Foucault (2009a: 444-445) bestimmt die Verhältnisse zwischen einer solchen immanenten Kritik und der Wissenschaft bzw. der Differenz von wahr/falsch und der wechselseitigen Kritik, in seiner Auseinandersetzung mit der Geschichte der parrhesia: »Sie wäre im Unrecht, wenn sie sagen wollte, was im Bereich der Wissenschaft das Wahre oder das Falsche sei. […] Sie soll beständig ihre Kritik gegenüber den Verlockungen, Vorspiegelungen und Täuschungen ausüben, und darin spielt sie das dialektische Spiel ihrer Wahrheit. Schließlich hat die Philosophie nicht die Entfremdung des Subjekts aufzuheben. Sie soll die Formen bestimmen, in denen sich das Verhältnis zu sich selbst eventuell transformieren kann.« In Bezug auf meine Überlegungen zur immanenten Kritik interpretiere ich Foucault so, dass es darum geht, die Formen einer Praxis der Theorie zu bestimmen, ohne über ihre Wahrheit oder Falschheit zu entscheiden. Dennoch lässt sich die Kritik auf das Spiel ihrer Wahrheit ein, nicht um diesem zu verfallen, sondern um die Verlockungen, Vorspiegelungen und Täuschungen herauszuarbeiten, die in dieser Praxis der Theorie stecken. So können die Formen der Paradigmen immanent erkundet werden. In einem weiteren Schritt ginge es dann darum, das Verhältnis zu sich selbst, das ich in dieser Praxis der Theorie ausbilde, zu transformieren und so die Bewegungsmöglichkeiten, also sowohl die Art und Weise des Spielens als auch die Spielregeln, zu transformieren. Diese Transformation hat bei mir das Ziel des pluralistischen Paradigmas. Die Transformation soll es also ermöglichen, theoretische Erfahrungen auf dem multiparadigmatisch verfassten Feld der soziologischen Theorie zu machen, ohne bestimmte Perspektiven von vornherein auszuschließen.
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Meine Zuwendung zu einem pluralistischen Paradigma zeichnet sich daher entgegen der reflexiven Intoleranz, die eine Gefahr an den Grenzen der Praxis von System- und Praxistheorie darstellt, durch eine exzessive Toleranz aus. Die hier skizzierte Idee der Konstruktion des Ortes der Kritik im Kritisierten und die darin liegende Ambivalenz aus Kritik und Selbstkritik zeichnet die kritische Haltung Foucaults (Schäfer 1995: 36) aus, die wie selbstverständlich am eigenen Ast (kritisch Eagleton 2000: 15) sägt, weil der selbst konstruierte Ort der Kritik im Vollzug der Kritik aufgehoben wird. Damit wird klar, dass es der immanenten Kritik nicht nur versagt bleibt zu bestimmen, was im Bereich der soziologischen Theorie das Wahre oder das Falsche sei (siehe hierzu Foucault 2009a: 444-445). Darüber hinaus geht es der immanenten Kritik zwar darum, selbst Erfahrung einer theoretischen Aktivität zu machen – das Spiel der Wahrheit mitzuspielen –, aber nicht theoriebildend zu wirken. Foucault (1990: 53) zeigt diese Begrenzung seiner kritischen Haltung auf, wenn er sich als Experimentator, nicht als Theoretiker bezeichnet: »Jedes Buch verändert das, was ich gedacht habe, als ich das vorhergehende Buch abschloß. Ich bin ein Experimentator und kein Theoretiker. Als Theoretiker bezeichne ich jemanden, der ein allgemeines System errichtet, sei es ein deduktives oder ein analytisches, und es immer in der gleichen Weise auf unterschiedliche Bereiche anwendet. Das ist nicht mein Fall. Ich bin Experimentator in dem Sinne, daß ich schreibe, um mich selbst zu verändern und nicht mehr dasselbe zu denken wie zuvor.« (Foucault 1996: 24) Die von mir angestrebte immanente Kritik soll dieselbe Wirkung auf mich haben. Allerdings geht es mir nicht nur darum, am Ende dieser Arbeit etwas anderes zu denken als zuvor, sondern eine Möglichkeit erprobt zu haben, durch die kritische Haltung Foucaults zwischen unterschiedlichen Denk- und Anschauungsformen zu wechseln. Es geht also darum, mich im Sinne des pluralistischen Paradigmas so bewegen zu können, dass ich auf dem Feld der Theorie mit unterschiedlichen Denkund Anschauungsformen experimentieren kann. Dies wirft die Frage nach dem »Wie?« der Kritik auf, die ich im Folgenden beantworten werde. Immanente Kritik als Experiment Foucaults (1990: 53) Selbstbezeichnung als Experimentator verweist nicht nur negativ auf die Unfähigkeit Theoriebildung zu betreiben, sie verweist auch darauf, dass Experimente scheitern können und dass Experimente durch Wiederholung Erkenntnisse und Erfahrung schaffen (Schäfer 1995: 38f.). Dies gilt nicht, weil der positivistische Anspruch besteht, auf dieselbe Art und Weise wiederholbar zu sein, sondern weil sich die Erkenntnisse, die aus Experimenten gezogen werden können, nur in der Wiederholung gewinnen lassen. Rheinberger (2005a: 58-59) hat
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diesen Zusammenhang von Experiment und Erkenntnis in seiner Wissenschaftsforschung gezeigt: »Wenn das eine zutreffende Charakterisierung ist, dann beruht die Kohärenz eines Experimentalsystems auf Rekurrenz und Wiederholung, nicht auf Antizipation und Voraussicht. Die Entwicklung einer solchen Anordnung jedoch, wenn sie nicht in einem Hinterwasser enden soll, ergibt sich aufgrund des Ertastens und Ertappens von Differenzen. Beides zusammen läuft auf etwas hinaus, was man als differentielle Reproduktion bezeichnen kann. Der Begriff der Reproduktion ist allerdings vieldeutig. Ich möchte daher kurz erläutern, in welchem Sinne ich ihn nicht verwende und auf welche Bedeutung es für meine Argumentation ankommt. Ich verwende den Ausdruck nicht, um die Kontinuität eines Experimentalprogramms gegen plötzliche Brüche zu betonen. Ich benütze ihn auch nicht im Sinne eines Verfahrens der Herstellung von Kopien oder Repliken von einem vorliegenden Original. Ebensowenig will ich darauf hinaus, daß ein gutes Experiment beliebig wiederholbar sein sollte, das heißt also reproduzierbar, wie man es von einem wissenschaftlichen Ergebnis verlangt. Vielmehr verwende ich den Terminus so, wie er uns von evolutionären Betrachtungen her vertraut ist. Er dient mir dazu, hervorzuheben, daß Experimentieren als eine fortlaufende und ununterbrochene Kette von Ereignissen gesehen werden kann, durch welche allein die materiellen Bedingungen für die Fortsetzung eben dieses Prozesses gewährleistet werden – aus Gründen, auf die ich noch zu sprechen komme. Alle Innovation ist am Ende und in einem fundamentalen Sinne das Resultat von Repetition. Die Hervorbringung neuer Phänomene ist notwendigerweise an die Miterzeugung bereits bekannter geknüpft. Ohne solche Koproduktion gäbe es keine Möglichkeit des Vergleichs; das Ergebnis wäre eine rasche Dissipation des gesamten bis dahin gesammelten Wissens, das sich in der Reproduktion des Systems fortwährend neu verkörpert. Aus dem gleichen Grund sind Experimentalsysteme notwendigerweise lokale und situierte Wissensgeneratoren. Ihre reproduktive Ortsgebundenheit, nicht ihre Logizität ist es, die sie über eine gewisse Zeit hinweg zusammenhält.« Ein solches Verständnis von Experimenten zeigt die Möglichkeit auf, dass Wissensformen, wie zum Beispiel Theorien, in deren experimenteller Erprobung und Wiederholung transformiert werden können. Im Fall meiner immanenten Kritik wird entsprechend die reflexive Praxis der Theorie so wiederholt, dass die soziologischen Differenzen immer wieder neu zum Vorschein kommen. Dieses Vorgehen führt mich zu der These, dass die Praxis der Theorie nur in ihrem (Nach)Vollzug kritisiert werden kann. Immanente Kritik ist demnach nur im Vollzug des Kritisierten möglich (Jaeggi 2014: 281). Die Theorien werden von mir als Denk- und Anschauungsform behandelt, deren Vollzugsbedingungen normativ gehaltvoll sind, deren Kontingenz sich im Nachvollzug ihrer Praxis herausstellt und deren Normativität auf diese Weise
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schon transformiert werden kann. Allerdings ist es theoretisch voraussetzungsvoll, davon auszugehen, dass der (Nach)Vollzug einer Theorie, also das Vorführen und Demonstrieren ihrer Praxis, bereits ausreicht, um ihre Grenzen in Frage zu stellen. Um dieses methodologisch zu begründen, gehe ich nun auf die Iterabilität soziologischer Theorie als Gelingensbedingung für ihre immanente Kritik ein. Mein Vorgehen ist in dem Sinne praxistheoretisch und poststrukturalistisch, dass ich annehme, dass die praktische Grenzziehung soziologischer Theorie bereits im Nachvollzug fragwürdig wird, dass also eine Wiederholung nie identisch mit dem Wiederholten ist (Bublitz 2003: 33; Butler 2013: 232; Jaeggi 2014: 277; Schäfer 2016: 137; Vogelmann 2014: 83). Stephan Moebius (2008: 61-62) formuliert diesen Zusammenhang als Grundannahme poststrukturalistischer Praxistheorien: »Diese legen den Akzent insbesondere auf eine permanente Unberechenbarkeit, Verschiebbarkeit und Unentscheidbarkeit, die den repetitiven sozialen Praktiken inhärent sind. ›Jede Wiederholung ist immer ganz anders‹, so lautet die Annahme des Poststrukturalismus, der diese Art von ›differenzierender Wiederholung‹ (Deleuze) mit dem Begriff der ›Iterabilität‹ bezeichnet (abgeleitet aus dem Sanskrit: ›itara = anders‹).« Diese Behauptung mache ich nun zum Ausgangspunkt der genaueren Beschreibung des »Wie?« meiner immanenten Kritik. Dabei werde ich erstens auf die Iterabilität bzw. Iteration als Gelingensbedingung immanenter Kritik eingehen. Dadurch ist es mir möglich, auf die Grenzen und Gefahren der immanenten Kritik hinzuweisen. Erst im Anschluss daran stelle ich konkrete Verfahren dar, die meiner immanenten Kritik zur Verfügung stehen. Iterabilität als Gelingensbedingung und Grenze der immanenten Kritik Die Idee der Iteration verdeutlicht die Ambivalenz meines Immanenzdenkens. Einerseits impliziert es ein enges, ja geradezu affirmatives (Jaeggi 2014: 280) Verhältnis zu den analysierten Theorien, denn nur in ihrer Wiederholung wird ihre Praxis erkennbar.11 Aus diesem Grund steht die immanente Kritik in einer Komplizenschaft (Butler 2001: 22) zum Kritisierten. Andererseits verweist der Begriff der Iteration 11
Die Auswahl des Gegenstandes ist für die Wahl der Kritik entscheidend. Foucault (2005b) Machtzustände in Herrschaft, Regierung und Machtspiele differenziert. Insofern sich Herrschaftszustände nur durch Gegengewalt überwinden lassen, ist die immanente Kritik hier ungeeignet. Insofern Machtspiele verhältnismäßig freie Spiele sind, ist immanente Kritik hier unnötig. Liberale Regierungsprogramme erscheinen mir als ein sinnvoller Einsatzpunkt für immanente Kritik, weil sie so daran gehindert werden können, sich in Herrschaftszustände zu verhärten, und gleichzeitig die Möglichkeiten für Machtspiele offengehalten werden (Foucault 1976). Die Regierungskünste, die sich in den Selbstbeschreibungen der Theorie finden und mittels eines vorausgesetzten Subjekts der Theorie auf die Subjektivierung von Einzelnen wirken, sind solche liberalen Regierungsprogramme.
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darauf, dass die Wiederholung immer schon eine immanente Distanz zum Wiederholten enthält (Derrida 2004: 79f.; Butler 2001: 22). So ist die immanente Kritik, beispielsweise durch eine zeitliche Distanzierung, ein Nachvollzug und geht somit nie vollständig im Kritisierten auf. Die Ambivalenz des Immanenzdenkens zeigt damit, dass Iterabilität einerseits Gelingensbedingung der immanenten Kritik ist: Wenn es keine Veränderung durch Wiederholung und Zitation geben könnte, wäre eben diese Wiederholung niemals transformativ und kritisch. Andererseits ist mit der Iteration die Grenze immanenter Kritik aufgezeigt: Die Iteration ist immer an das ihr vorhergegangene gebunden, was in Bezug auf das Feld soziologischer Theorie bedeutet, dass kein Neuanfang und damit auch keine ganz andere Theorie möglich ist. Diese negative Bestimmung zeichnet das Denken der Immanenz aus. Mit ihm ist der totale Bruch externer Kritik, das ganz Neue revolutionärer Umwälzungen, aber auch ein Ende der Praxis der Theorie nicht vorstellbar. Um die Iterabilität als Gelingensbedingung der immanenten Kritik näher zu bestimmen, werde ich erstens darauf beharren, dass sie ein allgemeines Merkmal von Texten, sozialer Praxis und von Theorien ist. Zweitens werde ich argumentieren, dass die Iteration aktiv vorangetrieben werden kann. Mit Jacques Derrida (2004: 79-80) lässt sich der erste Punkt zeigen, nämlich dass Iterabilität ein allgemeines Merkmal von Schrift ist. »Ein geschriebenes Zeichen [signe] wird in Abwesenheit eines Empfängers vorgebracht. Wie kann man diese Abwesenheit näher bestimmen? Man könnte sagen, daß in dem Augenblick, in dem ich schreibe, der Empfänger im Feld meiner gegenwärtigen Wahrnehmung nicht anwesend sein muß. Aber ist denn diese Abwesenheit nicht nur eine entfernte Anwesenheit, eine aufgeschobene oder – in der einen oder anderen Form – in ihrer Repräsentation idealisierte Anwesenheit? Es scheint nicht so, oder zumindest müssen diese Distanz, dieser Abstand, diese Verzögerung, diese différance zu einer bestimmten Absolutheit der Abwesenheit gebracht werden können, damit die Struktur der Schrift, vorausgesetzt die Schrift existiert, sich konstituiert. An diesem Punkt kann die différance als Schrift keine (ontologische) Modifikation der Anwesenheit mehr (sein), meine ›schriftliche Kommunikation‹ muß, wenn Sie so wollen, lesbar bleiben, trotz des völligen Verschwindens jedes Empfängers, der im allgemeinen bestimmt wird, damit sie ihre Funktion als Schrift, das heißt ihre Lesbarkeit erfüllt. Sie muß wiederholbar – iterierbar – sein in absoluter Abwesenheit des Empfängers oder der Gesamtheit der empirisch bestimmbaren Empfänger. Diese Iterabilität (iter, nochmals, kommt von itera, anders im Sanskrit, und alles Folgende kann als Ausbeutung dieser Logik gelesen werden, die die Wiederholung mit der Andersheit verknüpft) strukturiert das Zeichen (marque) der Schrift selbst«.
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Derrida zeigt an dieser Stelle auf, dass Schrift wesentlich auf Wiederholbarkeit, im Sinne von Lesbarkeit, angewiesen ist. Durch diese Wiederholbarkeit derselben Schrift entpuppt sich ein Text aber nicht als eindeutige Bestimmung von Bedeutungen. Die prinzipielle Wiederholbarkeit der Schrift verweist auf eine ihr immanente Iterabilität und auf eine Kontingenz der Bedeutungen. Ich folge mit meiner immanenten Kritik der soziologischen Differenz Derrida, weil ich die allgemeine Iterabilität von theoretischen Texten voraussetze. Eine Wiederholung soziologischer Theorie ist also nicht erst im (Miss)Verstehen oder in der Umdeutung theoretischer Texte transformativ, sondern die Iterabilität ist den Texten immanent. In Kombination von Rheinbergers Bestimmung des Experimentalsystems und dem poststrukturalistischen Begriff der Iterabilität als Grundannahme poststrukturalistischer Praxistheorien halte ich Folgendes für die Praxis der Theorie fest: Die Wiederholung bzw. der Nachvollzug eines Experiments setzt einen Experimentator gleichermaßen voraus, wie es ihn herstellt. Dazu muss ich mich auf eine Art und Weise subjektivieren, die mich zu den Erkenntnissen des Experimentalsystems befähigt. Ich muss also in der Lage sein, die Position des vorhergehenden Experimentators einzunehmen, um ein Experiment zu wiederholen, und sei es nur, indem ich seine Position im Labor, vor dem Mikroskop oder vor dem Text einnehme. Jedes Experimentalsystem stellt demnach ein Subjekt gleichermaßen her, wie es dieses Subjekt voraussetzt. Der Grund für diese Analogie zwischen Experimentalsystem und Praxis der Theorie ist, dass sie das wesentliche Element der Wiederholbarkeit teilen. Neben dieser Grundannahme, dass eine Wiederholung soziologischer Theorie, aufgrund einer immanenten Iterabilität, transformativ ist, versuche ich die Iteration theoretischer Texte durch den Modus immanenter Kritik aktiv zu verschärfen und voranzutreiben. Dies ist die eigentliche Funktion von Experimentalsystemen, die zur Hervorbringung neuer Phänomene notwendigerweise an die Miterzeugung bereits bekannter geknüpft sind (Rheinberger 2005a: 58-59). Hinweise auf die Möglichkeiten des Gelingens einer solchen Kritik durch die aktive Verschärfung iterativer Prozesse, lassen sich bei Michel Foucault finden.12 Er weist ein Immanenzdenken auf, das kritische Verfahren nahelegt, die auf Iterabilität setzen und Iterationen aktiv verstärken. Um dies nachzuweisen, werde ich zunächst Foucaults Immanenzdenken 12
Rahel Jaeggi (2014: 278), die ein sehr ähnliches Programm immanenter Kritik verfolgt, stützt sich auf Hegel und Marx, verweist aber darauf, dass dieser Theorietyp immanenter Kritik nicht an eine solche Tradition gebunden ist: »In ihrer ausgeprägtesten Erscheinungsform ist immanente Kritik verbunden mit den methodischen Prämissen der Hegelschen Theorie und den Aspirationen der auf Hegel folgenden linkshegelianischen Tradition über Marx bis hin zur Kritischen Theorie. Dennoch ist diese Form der Kritik kein allgemeines Spezifikum der Hegel-Tradition« (zu Hegel und Foucault siehe Butler 2001: 35ff.; zu Jaeggi und Foucault siehe Avanessian 2015: 25ff.).
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erläutern und anschließend sein Verständnis von wiederholender Transformation (siehe auch Butler 2011: 41; 2013: 232; Vogelmann 2014: 83) darlegen. Foucault zeigt, dass die Analytik der Macht und damit jede Kritik den bestehenden gesellschaftlichen Wahrheitsstrukturen und der Allgegenwart der Macht (Foucault 1983: 94) immanent ist: »Eine Gesellschaft wie die westliche oder, wie man heute sagen kann, die Weltgesellschaft produziert ständig Wahrheitseffekte. Man produziert Wahrheit. Diese Wahrheitsproduktionen lassen sich nicht von der Macht und den Machtmechanismen trennen, denn einerseits ermöglichen und induzieren Machtmechanismen die Produktion von Wahrheit, andererseits hat die Produktion von Wahrheit auch Machteffekte mit bindender Wirkung für uns. Für diese Beziehung zwischen Wahrheit und Macht, zwischen Wissen und Macht interessiere ich mich. Aber diese Schicht von Objekten oder vielmehr von Beziehungen ist schwer zu erfassen. Und da es dafür keine allgemeine Theorie gibt, bin ich gewissermaßen ein blinder Empirist, das heißt, ich bin in der denkbar schlimmsten Situation. Ich habe keine allgemeine Theorie und auch kein sicheres Instrument.« (Foucault 2003c: 521) Es ist deutlich erkennbar, dass Foucault einerseits die Möglichkeit einer allgemeinen Theorie aufgrund der immanenten Verstrickung mit ihrem Gegenstand ausschließt. Eine solche Konsequenz des Immanenzdenkens ziehe ich auch in Bezug auf soziologische Theorie, die nicht in der Lage ist, eine Universaltheorie des Sozialen oder der Gesellschaft bereitzustellen. Dies liegt daran, dass soziologische Theorie eine gesellschaftsimmanente Gesellschaftsbeschreibung ist. Transformativ ist diese Immanenz, weil Soziologie als Selbstbeschreibung die Gesellschaft erklärt, versteht und letztlich durch diese Operationen verändert. Analog zu dieser gesellschaftlichen Immanenz der Theorie ist die immanente Kritik der soziologischen Theorie eine theorieimmanente Selbstbeschreibung der Theorie, die diese im (Nach)Vollzug derselben Theorie erklärt, versteht und transformiert. Weil das Kritisierte und das Kritisierende sich durch die Immanenz der Kritik an einem Ort befinden, ist das Immanenzdenken ständig daran interessiert, an seine eigenen Grenzen zu gehen und seine eigenen Bruchlinien aufzuzeigen. Dies ist der Grund dafür, dass keine Schließung des eigenen Denkens durch eine allgemeine Theorie betrieben werden kann. Ich werde nun zeigen, dass die kritische Haltung Foucaults die Möglichkeit bereithält, eine kritische Distanz zu den verwendeten Theorien einzunehmen und so eine iterative transformierende Wiederholung aktiv voranzutreiben. Eine solche Kritik ist möglich, indem einerseits die Bedingungen für die Akzeptanz eines Systems herausgearbeitet werden und damit im selben Zug die Bruchlinien ihres Denksystems aufgezeigt werden (Foucault 1992: 35; 2003c: 521 siehe hierzu auch Butler 2013; Vogelmann 2017: 18-25). Auch wenn eine jede Kritik sich erst im An-
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schluss an die Kritik als gelungen erweisen kann, gibt es doch Hinweise darauf, dass die von mir anvisierte Veränderung durch Wiederholung (Schäfer 2016: 142) möglich ist. Iteration ist damit nicht nur ein allgemeines Prinzip von Sprache, sondern der anvisierte Modus meiner immanenten Kritik, die sich immer als Teil der machtvollen Wahrheitsproduktion begreift. Ein solcher Modus der Kritik ist die Konsequenz aus der an das Immanenzdenken Foucaults gebundenen reflexiven Vernunft (Schäfer 1995). Thomas Schäfer (1995: 38-39) fasst diesen Modus der permanenten Kritik wie folgt zusammen: »Mit den jeweiligen Diagnosen soll einerseits die […] Diskreditierung der Gegenwart geleistet werden, und gleichzeitig werden in den Diagnosen selbst nun innovative (historische) Beschreibungen von Wirklichkeitsbereichen gegeben. Die theoretische Kritik am Universalitätsanspruch bestimmter Denksysteme tritt damit zugleich als eine (den Blick) verändernde Aktivität auf. […] Es leuchtet nun unmittelbar ein, daß Foucault seine Art von Kritik auch als ›permanente Kritik unser selbst‹ charakterisiert. Daß sie ›permanent‹ zu sein hat, folgt ja zum einen aus der Tatsache, daß es unbegrenzte Möglichkeiten für die beschriebene experimentelle Praxis gibt. Die kritische Haltung gegenüber der Gegenwart scheint zum anderen aber vor allem aus systematischen Gründen als permanente Kritik konzipiert zu sein. Foucault geht nämlich offensichtlich von der Annahme aus, daß jedes Denk-, Handlungs- oder Sprachsystem als kontingent und beschränkend angesehen werden kann.« In Bezug auf die immanente Kritik soziologischer Theorien lässt sich damit sagen: Insofern Foucaults poststrukturalistische, kritische Aktivität darin besteht die Kontingenz der Moderne zu öffnen (Reckwitz 2008b; siehe auch Lemke/Krasmann/Bröckling 2000: 21), kann es mir nicht um die Feststellung einer spezifischen Praxis der Theorie gehen. Vielmehr versuche ich mich in einer aktiv anvisierten Iteration der Praxis soziologischer Theorien, die dadurch ihre eigenen Notwendigkeiten fragwürdig werden lässt. Die soziologischen Differenzen sind hierfür mein Ausgangspunkt und gleichzeitig das Ziel der immanenten Kritik soziologischer Theorie. Sie bilden das Experimentalsystem, in dem die Selbstreflexionen soziologischer Theorie immer wieder angestoßen und abgebrochen werden. Die Grenzen der Kritik sind damit die Grenzen des Kritisierten. Aus einer solchen Verstrickung, wie es meine immanente Kritik unter der Gelingensbedingung der Iterabilität nahelegt, entspringt die Gefahr, dem Gegenstand der Kritik nicht mehr entkommen zu können (besonders deutlich Avanessian 2015: 36). Iterabilität gewährleistet zwar, dass die immanente Kritik nie vollständig in ihrem Gegenstand aufgehen kann. Allerdings verlangen die kritisierten Programme selbst nach Kritik, wie Bröckling (2007a: 40; 2013a: 316-319) ausführt:
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»Der Eigensinn menschlichen Handelns insistiert in Gestalt von Gegenbewegungen, Trägheitsmomenten und Neutralisierungstechniken. Die Regime der Selbstund Fremdformung liefern keine Blaupause, die lediglich umzusetzen wäre, sondern verlangen ein beständiges Experimentieren, Erfinden, Korrigieren, Kritisieren und Anpassen.« Der Geschlossenheit soziologischer Theorien setzt die immanente Kritik eine innere Erschütterung (Glucksmann 1991: 10, 64) entgegen. Die Erschütterung von Gewissheiten der kritisierten Programme kann allerdings von den Programmen selbst genutzt werden, um sich weiterzuentwickeln (Bublitz 2003: 35f.). Auch dies ist Transformation des Kritisierten durch immanente Kritik, verdeutlicht aber ihre affirmative Seite. Die Gefahr der immanenten Kritik besteht darin, die Regierungskünste, die eigentlich kritisiert und deren Selbstverständlichkeiten und Notwendigkeiten zerstört werden sollen, dabei zu unterstützen, ihre Techniken zu verfeinern (Foucault 1976: 124f.). Zusammenfassend halte ich fest: Mein Anliegen ist es, die theoretischen Denkund Anschauungsformen in ihrer soziologischen Differenz (nach)zuvollziehen, um den Vollzug der welterschließenden Kraft der Theorie und deren Grenzen zu erkunden. Immanent ist dieses Vorgehen, da ich durch den (Nach)Vollzug der Theorie den Nicht-Ort des Kritisierten beziehe und mich selbst seiner Subjektivierung unterwerfe. Kritisch ist dieses Vorgehen, weil ich auf die Iterabilität als Grundannahme des Immanenzdenkens hoffe und so jeder Nachvollzug mit einer Transformation des Vollzogenen einhergeht. Diese iterative Transformation versuche ich durch bestimmte Verfahren zu verstärken und sie damit nicht einfach dem Kritisierten selbst zu überlassen. Die Kritik gleicht so einer Aufführung, die sich durch eine Bescheidenheit auszeichnet, die Schleichert (2017: 115) dem subversiven Aufklärer zuschreibt: »Er greift an, indem er Tatsachen referiert; er überläßt dem Leser, daraus Konsequenzen zu ziehen. Der Aufklärer behauptet in der subversiven Argumentation nicht, irgend etwas zu beweisen oder zu widerlegen. Ganz bescheiden will er nur informieren, ad oculos demonstrieren, andere Denkmöglichkeiten vorführen. […] Bei der internen Kritik muss die zur Kritik stehende Ideologie zunächst lauthals akzeptiert werden; bei externer Kritik wird die gegnerische Ideologie von vornherein negiert; während für das subversive Vorgehen kein vorangehendes Glaubensoder Unglaubensbekenntnis notwendig ist.« Ich werde dieses Kapitel nun damit abschließen, zu zeigen, wie genau sich diese Aufführung durchführen lässt. Dabei kommt es mir darauf an, welche Verfahren der immanenten Kritik, insbesondere der Kritik der soziologischen Differenz, zur Verfügung stehen und auf welche Effekte die einzelnen Verfahren hoffen. Die
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immanente Kritik baut dabei auf die Schnittstelle von soziologischer Theorie und sozialer Erfahrung (3.3) auf. Einige Verfahren immanenter Kritik Erste Vorgehensweisen der immanenten Kritik sind bereits in dieser Arbeit aufgetaucht. Es liegt im autoreflexiven und autoiterativen (Jahraus 2001: 304; 2003: 71) Charakter dieser Arbeit, ihrem Vorgehen und ihren Gegenständen, dass auch die Ergründung ihrer Methodologie schon im Modus immanenter Kritik vollzogen wird. Explizit habe ich vor allem auf das kontrainduktive Vorgehen nach Feyerabend verwiesen. Feyerabends (1986: 38) These ist, dass aufklärerische Vernunft, die nach Gerechtigkeit, Wahrheit, Ehrlichkeit, Menschlichkeit usw. strebt, Gefahr läuft, diese Werte – im aufklärerischen Streben durch Autorität – ins Gegenteil zu verkehren. Dies ist die Dialektik der Aufklärung (Horkheimer/Adorno 1988), die auch Foucault (2005f: 333-334; siehe auch Brunkhorst 1990b: 176ff.; Butler 2011: 37) als Gefahr moderner Rationalitäten erkennt. Es geht meiner Kritik entsprechend nicht darum, den kritisierten Rationalitäten eine vernünftigere Vernunft, eine wahrere Wahrheit, eine gerechtere Gerechtigkeit, eine menschlichere Menschlichkeit usw. entgegenzustellen, sondern ihre Autorität subversiv zu unterlaufen. Dies ist allerdings nur dadurch möglich, dass die Autorität der Vernunft nicht mit Autorität der Kritik bekämpft wird, sondern auch dadurch, dass die immanente Kritik sich auf das Untergraben dieser Autorität versteht. Norm und Subversion sind daher nicht als radikale Gegensätze zu denken (Eribon 2017: 23), denn die Normativität der Subversion liegt in dem Ziel der Öffnung der Kontingenz. Schleichert (2017: 118-168) gibt in seiner Anleitung zum subversiven Denken eine naturgemäß unvollständige Liste subversiver Argumentationsverfahren, die alle gemeinsam haben, dass sie auf der Wiederholung der zu kritisierenden Argumentation beruhen. Der Titel einer Anleitung zum subversiven Denken erinnert an Ratgeberliteratur und verweist damit bereits auf eine Subversion der eigenen Arbeit, da das subversive Denken sich immer der Autorität der Anleitung zu entziehen versucht. Mit den Verfahren der subversiven Argumentation spiele ich also das Wahrheitsspiel der zu kritisierenden Theorien mit und unterläuft es gleichzeitig. Schleichert (2017: 118) formuliert dieses Prinzip wie folgt: »Das ist das ganze Geheimnis der Subversivität der Vernunft: Sie beruht einfach auf einer Darstellung der zu unterminierenden Doktrin, damit letztere sich selbst zerstören kann. Die Subversivität der Vernunft beruht darauf, daß man den Gegner ernst nimmt, bitter ernst, ernster als die Masse der Mitläufer und gutgläubigen Anhänger.« Subversive Argumentation ist damit dialektisch im Sinne einer Selbstparadoxierung der Vernunft (Brunkhorst 1994: 21f.; siehe auch Steinweg 2015: 137f.). Die immanente Kritik ist als subversive Argumentation nicht zwingend im Sinne der Aussagenlogik
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(so ist es auch Kritik bei Foucault siehe Saar 2013c: 252; Schäfer 1995: 86). Schleichert (2017: 115) schreibt: »Beim subversiven Argumentieren gegen ein Gedankensystem werden Argumente vorgetragen, die für die individuelle Hinwendung oder Abwendung zu bzw. von diesem System wirksam sein können, die aber im Sinne der Logik nicht konklusiv, logisch zwingend sind. Konklusive Argumente gibt es an dieser Stelle nicht. Es wird vom subversiven Kritiker nie behauptet, daß er das gegnerische Gedankengebäude widerlegt hat oder widerlegen kann.« Immanente Kritik rechnet mit der kritischen Wirkung von beispielsweise Provokationen, Verfremdungen, Grenzgängen, Dramatisierungen und ironischen Kommentaren. Manchmal reicht es ihr schon, den zu kritisierenden Fanatismus konsequent und nüchtern aufzuführen. Die damit verbundene Hoffnung ist, dass die Menschen schon erkennen werden, mit welcher intoleranten Weltsicht sie es zu tun haben, und dass sie diese Intoleranz dann intuitiv ablehnen. Ich werde nun einige Verfahren der subversiven Argumentation aufzeigen, ohne damit bereits eine immanente Kritik der Theorien durchzuführen. Es geht mir darum, die Form der möglichen Verfahren für die immanente Kritik der soziologischen Differenz darzustellen. Ein erstes Verfahren betitelt Schleichert (2017: 120) als Extra ecclesiam nulla salus. Er bezieht sich dabei auf ein Prinzip der katholischen Kirche, das besagt, dass es außerhalb der Kirche kein Heil gibt. Es ist für die immanente Kritik entscheidend, solche Prinzipien des Ausschlusses sichtbar zu machen und zwar so drastisch, wie es die Theorien selbst formulieren. Erst wenn das gelingt, kann die immanente Kritik als Selbstkritik wirken. Wie Schleichert fragt auch Foucault (2001: 24f.) danach, wo die Grenzen einer wissenschaftlichen Rationalität liegen und welche Wissen damit ausgeschlossen werden. Das Ziel einer solchen Untersuchung ist, die Institutionalisierung als relativ willkürlich, aber gleichzeitig naturalisierend und intolerant auszuweisen und zu fragen, welche Freiheiten uns gegenüber diesen Rationalitäten noch bleiben (Foucault 2005h: 961). Dieses Verfahren richtet sich entsprechend nicht gegen die überzeugten Vertreter einer Doktrin, sondern zeigt jenen, die mit ihr konfrontiert sind oder an ihrer Schwelle stehen, die potenzielle Intoleranz eines Denksystems auf. Das erste Verfahren der Grenzanalyse, das die Intoleranz der Denksysteme ausstellt, ohne es verwerfen oder verteidigen zu wollen, ruft regelmäßig relativierende Reaktionen innerhalb der Praxis der Theorie hervor. Dies wäre die erhoffte Wirkung der so vollzogenen immanenten Kritik. Der erhoffte subversive Effekt dieses Verfahrens ist also ein: »Das war nicht so gemeint!« Ein zweites Verfahren betitelt Schleichert (2017: 124) als Das Ideal zeichnen. Dies ist gewissermaßen die Umkehrung des ersten Verfahrens, da es nicht auf die Momente des Ausschlusses verweist, sondern die immanenten Ideale einer Denk- und
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Anschauungsweise aufführt. Es geht hier also darum, an die Grenzen des Einschlusses zu gehen: Dabei werde ich die Theorien aber nicht, wie in der internen Kritik, an ihren Idealen messen, sondern ich werde die Ideale selbst wirken lassen. Schleichert (2017: 125) macht dies erneut an christlichen Geboten deutlich: »Manchmal genügt es, laut und deutlich vorzulesen, was in den heiligen Texten einer Ideologie oder Religion steht, aber gerne übergangen wird. Nehmen wir etwa folgendes Gebot aus der Heiligen Schrift: Wer seine Hand wider seinen Vater erhebt, soll des Todes sterben. Wer seinen Vater oder seine Mutter verflucht, wird mit dem Tod bestraft.« Dieses Verfahren subversiver Argumentation orientiert sich an Friedrich Nietzsche, der im ersten Teil von Menschliches, Allzumenschliches II ein experimentierendes und kontingenzöffnendes Denken gleichermaßen vorstellt wie erprobt (Ries/Kiesow 2011: 91, 94ff.). Hier schreibt er über Kritik: »Schärfste Kritik. – Man kritisiert einen Menschen, ein Buch am schärfsten, wenn man das Ideal desselben hinzeichnet.« (Nietzsche 1999b: 443). Das Ideal einer soziologischen Theorie nachzuzeichnen verweist dabei auf ihre Absurditäten, weil es in der Regel unmöglich ist, dieses Ideal zu erreichen. In dieser Unmöglichkeit zeigt sich ein Bruch zwischen der Praxis der Theorie, ihrer Regierungskunst sowie dem Subjekt der Theorie auf der einen Seite und den Menschen, die Theoretikerinnen werden wollen, auf der anderen Seite. Dieser Bruch zwischen soziologischer Theorie und sozialer Erfahrung ist nicht zu überbrücken. Dieser Zusammenhang ist entscheidend, damit die Argumentation, die das Ideal nachzeichnet, subversiv und immanent bleibt und nicht versucht, im Sinne interner Kritik die Einzelnen am Ideal zu messen und damit die Erfüllung des Ideals einzufordern Dieses zweite Verfahren der Grenzanalyse ruft ebenfalls Reaktionen innerhalb der Praxis der Theorie hervor. Häufig wird im Anschluss an diese Kritik der Bruch zwischen theoretischem Ideal und den begrenzten Möglichkeiten von Einzelnen explizit gemacht. Den so entstehenden Riss kann die immanente Kritik vertiefen, indem sie darauf verweist, dass die Einzelnen hier nicht als Mängelwesen zu verstehen sind, die sich dem Ideal weiter annähern müssen, sondern dass gerade im prinzipiellen Bruch zwischen dem Ideal und der Erfahrung der Einzelnen die Möglichkeit zur Ent-Unterwerfung liegt. Ein drittes Verfahren subversiven Argumentierens verweist auf die Historizität soziologischer Theorien (Schleichert 2017: 136f.). Sofern es möglich ist, sollte auf historisch bereits eingestandene Irrtümer in einer Theorie hingewiesen werden. Dies geschieht nicht etwa, um die Theorien zu widerlegen, wie in der externen Kritik, oder sie aus ihren Fehlern lernen zu lassen, wie in der internen Kritik, sondern, um ganz allgemein an den Irrtum zu erinnern, aus dem jede Theorie entsprungen ist und in der jede Theorie enden wird (Schleichert 2017: 139). Die subversive Argu-
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mentation nähert sich hier der Genealogie an (siehe auch Schäfer 1995: 84). Foucault (1978c: 90) schreibt im Anschluss an Nietzsche: »Die Erforschung der Herkunft liefert kein Fundament: sie beunruhigt, was man für unbeweglich hielt; sie zerteilt, was man für eins hielt; sie zeigt die Heterogenität dessen, was man für kohärent hielt.« Im Gegensatz zur Genealogie muss eine solche Fehlerdarstellung als Verfahren immanenter Kritik aber nicht auf eine neue Herkunftsgeschichte setzen. Das subversive Argument, das die Irrtümer einer Theorie herausstellt, zeigt zunächst nur, dass es Irrtümer gibt, die Theorien sich selbst zuschreiben und die daher innerhalb der immanenten Kritik und subversiven Argumentation gar nicht inhaltlich geprüft werden müssen. Dies deutet darauf hin, dass es kein (theoretisches) Wissen gibt, das über alle Zweifel erhaben ist (Rorty 2000b: 9). Das Zitieren von Irrtümern soziologischer Theorien schafft also die Möglichkeit, an allen Aussagen dieser Theorie zu zweifeln und zu erkennen, dass sie nie ein für alle Mal die Wahrheit freilegt. Ein drittes Verfahrensbündel der subversiven Argumentation beschreibt Schleichert (2017: 150) als die Subversivität des Lachens. Dieses Verfahrensbündel unterscheidet sich von den drei bisher vorgestellten Verfahren, da es nicht darum geht, die kritisierten Theorien ernst zu nehmen. Es ist daher ein zweitrangiges Verfahrensbündel. Indem die immanente Kritik die Möglichkeiten schafft, über das Kritisierte zu lachen, und das heißt über sich selbst zu lachen, unterläuft sie ein wichtiges Charakteristikum des Fanatismus. Dieses Charakteristikum, nicht lachen zu dürfen, wird von Nietzsche (1999a: 371-372) mit den Gefahren und der Notwendigkeit jeder Rationalität verknüpft: »Jener Trieb, welcher in den höchsten und gemeinsten Menschen gleichmäßig waltet, der Trieb der Arterhaltung, bricht von Zeit zu Zeit als Vernunft und Leidenschaft des Geistes hervor; er hat dann ein gänzliches Gefolge von Gründen um sich und will mit aller Gewalt vergessen machen, dass er im Grunde Trieb, Instinct, Thorheit, Grundlosigkeit ist. Das Leben soll geliebt werden, denn! Der Mensch soll sich und seinen Nächsten fördern, denn! Und wie alle diese Soll’s und Denn’s heissen und in Zukunft noch heissen mögen! Damit Das, was nothwendig und immer, von sich aus und ohne allen Zweck geschieht, von jetzt an auf einen Zweck hin gethan erscheine und dem Menschen als Vernunft und letztes Gebot einleuchte, – dazu tritt der ethische Lehrer auf, als der Lehrer vom Zweck des Daseins; dazu erfindet er ein zweites und anderes Dasein und hebt mittels seiner neuen Mechanik dieses alte gemeine Dasein aus seinen alten gemeinen Angeln. Ja! er will durchaus nicht, dass wir über das Dasein lachen, noch auch über uns, – noch auch über ihn […]. Es ist nicht zu leugnen, dass auf die Dauer über jeden Einzelnen dieser großen Zwecklehrer bisher das Lachen und die Vernunft und die Natur Herr geworden ist […]. Aber bei all diesem corrigierenden Lachen ist im Ganzen doch durch diess
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immer neue Erscheinen solcher Lehrer vom Zweck das Daseins die menschliche Natur verändert worden, – sie hat jetzt ein Bedürfniss mehr, eben das Bedürfniss nach dem immer neuen Erscheinen solcher Lehrer und Lehren vom ›Zweck‹. Der Mensch ist allmählich zu einem phantastischen Thiere geworden, welches eine Existenz-Bedingung mehr, als jedes andere Thier, zu erfüllen hat: der Mensch muss von Zeit zu Zeit glauben, zu wissen, warum er existirt, seine Gattung kann nicht gedeihen ohne ein periodisches Zutrauen zu dem Leben! Ohne Glauben an die Vernunft im Leben! Und immer wieder wird von Zeit zu Zeit das menschliche Geschlecht decretiren: ›es gibt Etwas, über das absolut nicht gelacht werden darf!‹« Schleichert (2017: 151) argumentiert, dass es ein weiter Weg ist, bis ein geschlossenes Denksystem wirklich lächerlich wird. Als Verfahren auf dem Weg zu einem befreiten und befreienden Lachen schlägt er die Karikatur, die subversive Fallunterscheidung, die Absurdität von Geschichten nachzeichnen, den Sprung in das Dogma, den Perspektivwechsel und die Verfremdung, die Banalisierung und Bagatellisierung und Etwas mit absichtlich schlechten Gründen verteidigen vor (Schleichert 2017: 151-168). Auch wenn nicht alle Verfahren zum Zuge kommen, werde ich anhand meiner Suspendierung der Frage nach der Wissenschaftlichkeit soziologischer Theorie einige dieser Verfahren veranschaulichen. Das Ziel ist die Suspendierung der Frage nach der Wissenschaftlichkeit soziologischer Theorie, die erreicht werden kann, indem der wissenschaftliche Status der Theorie banalisiert und bagatellisiert wird. Dann wird es möglich, über den Streit um die Wissenschaftlichkeit zwischen soziologischen Theorien zu lachen, wie über Streithähne in einer Komödie (zum Ursprung des Lachens über die Theorie siehe Blumenberg 1987). Wenn dann der Streit um die Wissenschaftlichkeit lachhaft ist, kann auch die Frage nach der Wissenschaftlichkeit bei Umgang mit der multiparadigmatisch verfassten Soziologie in den Hintergrund gestellt werden. Banalisiert wird der Status der Wissenschaftlichkeit, indem die den irdischen Sphären enthobenen Theorien in das Leben zurückgeholt werden (Schleichert 2017: 164ff.). Die Streitfrage, ob soziologische Theorie wissenschaftlich ist, wird von mir nicht als eine Entscheidung über metaphysische Wahrheiten begriffen, sondern als weltlicher Konflikt zwischen Wissenschaftlern beschrieben. Hierzu fertige ich eine Karikatur an (zur kritischen Funktion der Karikatur siehe auch Steinweg 2015: 112f.), in der sich soziologische Theoretiker gegenüberstehen und wechselseitig zurufen: »Ich mache Wissenschaft!« – »Nein, ich mache Wissenschaft!« – »Nein, ich!« – usw. Dabei wird das Material der Theorie nicht verfälscht, sondern akzentuiert (Schleichert 2017: 151). In der Systemtheorie heißt es etwa, dass die Soziologie als Teilsystem des Teilsystems Wissenschaft (Luhmann 1992b: 140; 1998: 1128) zwar Konkurrenz in ihrem Bemühen um eine Selbstbeschreibung der Gesellschaft hat, dies aber letztlich nur von außerwissenschaftlichen Kommunikationen wie Wertunterstellungen, sozialen Bewe-
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gungen und Massenmedien (Luhmann 1992b: 141-143). Wissenschaftlich ist Soziologie dabei nur, wenn sie es besser macht als andere Selbstbeschreibungen der Gesellschaft (Luhmann 1992b: 140; 1998: 395, 1133). Die Reflexion der Beziehung von Wissenschaft und Soziologie sowie von Soziologie und ihrem Gegenstand ist für die Systemtheorie (Luhmann 1987e: 647ff.) ein entscheidendes Merkmal ihrer Wissenschaftlichkeit. Dass die Systemtheorie es besser macht, ist ihr natürlich klar, sonst könnte sie sich weder als Wissenschaft beschreiben, noch als Wissenschaft weitermachen. Bekanntlich versucht die Systemtheorie diesen Anspruch in einem Flug über den Wolken gerecht zu werden (Luhmann 1987e: 13; zu den didaktischen Konsequenzen dieses Höhenflugs siehe Luhmann 2005: 12ff.; zur Kritik siehe auch Fischer-Lescano 2013: 15f.). Den Anspruch, es besser als die anderen zu machen, treibt auch Bourdieu an. Er sieht, dass eine Wissenschaft der Praxis das Hindernis zu überwinden hat, dass Wissenschaftler glauben ihr Wissen sei dem der anderen überlegen (Bourdieu 2014f: 55), und dass die Leser glauben, ihr Wissen sei dem soziologischen ebenbürtig (Bourdieu 2013b: 204f.; 2014b: 40). Wie in der Systemtheorie ist wahrhafte Wissenschaft nur dann möglich, wenn die Soziologie das Verhältnis von Wissenschaft zur sozialen Welt analysiert (Bourdieu 2014f: 56). Problematisch erscheint es Bourdieu aber gerade, wenn Soziologen, die auf den besseren Plätzen innerhalb der Gesellschaft sitzen, glauben, dass sich ihnen die soziale Welt wie eine Vorstellung präsentiert (Bourdieu 2014f: 53), dass sie wie in einem Flug über der Welt schweben würden. Wie sieht also die karikierte Szene aus? Es ist nicht weit hergeholt, dass ein Praxistheoretiker der Systemtheorie theoretische Vernunft (Bourdieu 2014f) vorhält, ist doch der Blick aus dem Flugzeug der Theorie gerade ein Merkmal des kritisierten Theoretizismus. Und genau so nahe liegt es, dass es Systemtheoretiker gibt, die in der Praxistheorie eine unwissenschaftliche, ökonomistische Beobachtung erster Ordnung sehen, die lediglich zwischen Kapital haben/nicht haben unterscheidet (Luhmann 2012: 21). Mit der Form dieser Differenz ließe sich leicht eine Karikatur anfertigen, in der sich Praxistheorie und Systemtheorie unversöhnlich gegenüberstehen. Während also ein Arbeiter, der auf dem Boden der Tatsachen steht, in den Himmel ruft, man könne von dort oben gar nicht sehen, wie sich die Ordnung der Welt in Praxis reproduziert, schreit der Pilot aus den Wolken zurück, er könne von oben nicht nur sehen, was der Arbeiter sieht, sondern auch, was er nicht sieht. Eine solche Posse ließe sich nicht nur mit den hier im Fokus stehenden Theoretikern aufführen. Auch die von Karl Otto Hondrich organisierte Theorievergleichsdebatte erscheint schnell als eine Aufführung, in der trotz oder gerade wegen aller Vorsichtsmaßnahmen jede Chance aneinander vorbeizureden (Hondrich 1976: 24; siehe auch Osrecki 2018) genutzt wurde. So konstatiert Ulrich Beck (1974: 23): »Die trügerische Gewißheit, daß dort, wo lebhaft diskutiert wird, auch polare Auffassungen zu finden sein müssen, und der gleichzeitige Mangel eines für alle
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sichtbaren, von allen anerkannten Streitpunkts hatten nicht nur eine gewisse Uferlosigkeit der Diskussion zur Folge, sondern begünstigten vor allem das Entstehen und die Verbreitung sekundärer selbstgefertigter Schablonengegensätze und ein Schwarzweißdenken, dessen Klärungswert eher auf einer Verunklarungsskala anzusiedeln ist, dessen Kampfwert für Verteidigungs- und Angriffszwecke dagegen beträchtlich sein mag.« Die Zunahme an Diskussionen führt also paradoxerweise in die Provinzialisierung des eigenen Denkens. Karikaturen von Theoriestreitigkeiten um den Status von Wissenschaftlichkeit lassen sich aber nicht nur konstruieren (für eine weitere konstruierte Karikatur siehe Kuhn 1977b: 440ff.). Die besten Karikaturen bietet wohl die Wirklichkeit. Eine solche findet sich im Streit um den Wahrheitsanspruch von Gesellschaftsbeschreibungen, den sich Niklas Luhmann und Bruno Latour, laut eines Tagungsberichts zur Konferenz Signatures of Knowledge Societies im Jahr 1995, geliefert haben. Luhmann sollte aus der Sicht der Systemtheorie über die Science and Technology Studies (STS) sprechen und Latour durfte kommentieren. Gerald Wagner (1996: 480-481) hält die Diskussion wie folgt fest: »Das Publikum lauschte geduldig Luhmanns Ausführungen zur operationalen Geschlossenheit sozialer Systeme und schien doch nur auf die Attacke Latours zu warten, die dann auch prompt kam. Nein, so Latour, diese Theorie hätte ihm eigentlich nichts zu bieten – und, so sein Fazit, auch diesem hier versammelten Fach nicht. Ein Blick in das Kongreßprogramm sollte doch genügen, um festzustellen, daß die empirieversessenen STSler ihre Gegenstände in dieser Theorie nicht wiederfinden könnten. Das mag von der hohen Warte der Theorie der Gesellschaft aus als schlechte, weil theoretisch ›flach‹ bleibende Soziologie bedauert werden, doch, so Latours Replik, diese empirische Zoologie der STS schildere diese Gesellschaft wie sie ist, und nicht wie sie aus der Distanz der eisigen Höhen der Systemtheorie erscheinen mag. Im Grunde machte Latour deutlich, daß die Systemtheorie für all das steht, was er und seine Kollegen in den Science Studies seit 20 Jahren bekämpften – ja, wirklich bekämpften, und nicht nur in Frage stellten. Die Purifizierung der Wissenschaft, die Bereinigung des Sozialen durch die Grenzziehung zu seiner Umwelt, Luhmanns Werk als Epitom des ›cognitive turns‹ der Epistemologie – für Latour waren das die alten Reizwörter, die das Besondere der Wissenschaft gerade verfehlen mußten, nämlich ihre Materialität. Und damit natürlich auch das Spezifische der modernen Gesellschaft, die großen technischen Netze. […] Wäre nicht der Eindruck einer leider verpaßten Gelegenheit entstanden, hätte man Latours Abgang von der Bühne dieser bemerkenswerten Begegnung als Einspruch einflußreicher technischer Aktanten sehen können. Nachdem Latour in sichtlicher Gereiztheit das Podium verlassen und dabei das zentrale Mikrophonkabel aus seiner Verankerung gerissen hatte, blieb dem Vorsitzenden Loet Ley-
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desdorff nur noch übrig, vor dem amüsierten Publikum die Veranstaltung für beendet zu erklären. Nein, von Anschlußfähigkeit konnte man hier wirklich nicht sprechen.« In dieser Szene wird die Kraft einer Karikatur des soziologischen Streits um den Wahrheitsanspruch und damit die Wissenschaftlichkeit soziologischer Theorie deutlich. Es geht nicht darum, einer Seite recht zu geben, sondern die Frage nach der Wissenschaftlichkeit ins wirkliche Leben zu übertragen, in dem sich Wissenschaftler oft genug wie kindliche Streithähne in einem »Nein!«-»Doch!«»Nein!«-»Doch!« verfangen. Mit Blick auf mögliche Effekte einer solchen Karikatur wird deutlich, dass sie sich nicht auf ihre Protagonisten selbst bezieht, sondern auf den Betrachter: »Der Betrachter sagt: ›Tatsächlich, genau so ist es‹, er sagt es erstaunt, heiter oder auch erschrocken. Das Lachen über eine Karikatur kann sehr zwiespältig sein. Die gelungene Karikatur ist ihrem Wesen nach subversiv; sie stellt nur dar, sie zeichnet ein scharfes Bild, ohne damit den Anspruch auf ein zwingendes Argument zu erheben.« (Schleichert 2017: 151-152) Eine solche Karikatur macht es leichter, zum Verfahren des Perspektivwechsels und der Verfremdung (Schleichert 2017: 159ff.) fortzuschreiten. Der theoretischwissenschaftliche Streit wird hier in einem ungewohnten Licht dargestellt. Die Kontrahenten verhalten sich tatsächlich eher wie Ideologen einer politischen oder religiösen Doktrin und weniger wie trockene Wissenschaftler (als Beispiel siehe Lemke 2000; zur Funktion solcher Kritik siehe auch Kieserling 2004: 128ff.; Bourdieu 2013a: 267f.). Eine solche Assoziation provoziert und bricht mit dem Selbstverständnis soziologischer Theorien, denn die Sonderstellung wissenschaftlicher Theorien gegenüber alltäglichen Meinungen wird in der Betrachtung solcher Streitszenen trivial. Eine solche Wirkung ließe sich verstärken, indem aus dem Streit eine subversive Fallunterscheidung (Schleichert 2017: 153) herausgearbeitet wird, derzufolge Wissenschaft immer auch anders funktionieren könnte. Dies ließe sich durch ein konstruktivistisches Vokabular (Schäfer 1995: 85) im Anschluss an Foucault verschärfen, das deutlich macht, dass in den Streitszenen Menschen sich zu Wissenschaftlern subjektivieren, sich also ihrer eigenen Theorie unterwerfen, um als Theoretikerin agieren zu können. Vollständig ließe sich dann die Absurdität eines festen Wissenschaftsbegriffs für die Soziologie vorführen, indem man den Sprung ins Dogma wagt. Nietzsche (1999b: 240) schreibt über ein solches Vorgehen: »Der gefährlichste Parteimann. – In jeder Partei ist Einer, der durch sein gar zu gläubiges Aussprechen der Parteigrundsätze die Uebrigen zum Abfall reizt.« So könnten in Bezug auf die Szene zwischen Luhmann und Latour die üblichen Argumente der Gegenseiten so basal wiederholt werden, dass die Frage nach der
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Wissenschaftlichkeit soziologischer Theorie endgültig lächerlich wirkt und es möglich wird, sich anderen Dingen, z.B. der Regierung durch Theorie und der Subjektivierung in Theorien, zu widmen. Diese Argumente könnten z.B. sein: Der Streit zwischen Luhmann und Latour beweist, dass die Systemtheorie den richtigen Wissenschaftsbegriff hat, denn die beiden Akteure streiten entlang der Unterscheidung wahr/unwahr (so argumentiert in etwa Kieserling 2004: 33f.). Oder: Dass die Veranstaltung nicht ohne das Mikrophon weiter gehen kann, beweist, dass Latour den richtigen Wissenschaftsbegriff hat, denn ohne die Berücksichtigung aller menschlichen und nichtmenschlichen Aktanten in einem Netz, lässt sich keine Konferenz erklären (so argumentiert in etwa Latour 2002: 222ff.). Nachdem ich nun einige Verfahren der subversiven Argumentation vorgestellt habe, will ich abschließend auf die Form der Kritik, meine eigene Distanz zu den kritisierten Theorien und das Problem der Affirmation durch immanente Kritik eingehen: Die immanente Kritik kann sich nur durch die Leserin entfalten. Auch wenn über die Wirkung der Kritik nichts vorweggenommen werden kann, so doch über ihre Form: Die Beispiele für subversive Argumentationsverfahren zeigen, dass die Wiederholung das verbindende Element zwischen den Verfahren immanenter Kritiken ist. Mit dem Verfahren der immanenten Kritik werden selbstkritische Argumentationen der Theorien verstärkt und auf die Spitze getrieben, um sie als selbstwiderlegende Prophezeiung wirken zu lassen. Da die immanente Kritik die Praxis der Theorie im (Nach-)Vollzug verändert, wird sofort evident, dass es sich um einen unabschließbaren, autoiterativen (Jahraus 2003: 71) Prozess handelt, in dem die verwendeten und analysierten soziologischen Theorien auf besondere Weise reflektiert und für ihre eigene Kontingenz geöffnet werden. Das erfolgreiche Scheitern der Kritik (Boltanski/Chiapello 2001; 2006; Wetterer 2013) wird zum allgemeinen Prinzip. Reflexive Selbstdistanzierungsmöglichkeiten innerhalb der Praxis der Theorie Die Autoiteration der immanenten Kritik ist auf die Begrifflichkeiten der kritisierten Theorien angewiesen. In den Begrifflichkeiten der Praxistheorie ließe sich eine solche Autoreflexion der kritischen Distanz wie folgt beschreiben: Wenn ich die Praxis der Theorie durch meinen Vollzug wiederhole, dann verfolge ich die Praxis der Theorie aus der Teilnehmerperspektive (Alkemeyer 2017: 46; Alkemeyer/Buschmann 2016: 125; siehe auch die Kontroverse Lindemann 2005; Reckwitz 2005) und kann keine kritische Außenposition zu dieser Praxis einnehmen. Dennoch ist die Teilnehmerperspektive nicht mit der Praxis gleichzusetzen, weil sie als Perspektive eine Beobachtungsdistanz enthält (Alkemeyer 2017: 47). Diese Distanz ist in meiner immanenten Kritik auf eine zeitliche Dimension des Vorher-Nachher beschränkt und bedeutet demnach nicht, dass ich mich außerhalb der Theorien verorte. In dieser Perspektive folge ich der Praxis der Theorie in einen prinzipiell offenen,
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aber immer regulierten Möglichkeitsraum (Bourdieu 2004a: 151; 2004e: 60f.; siehe auch Alkemeyer 2017: 46) und vollziehe auf diesem Weg die konkrete Kontingenzbewältigung und Reduktion von Komplexität der theoretischen Praxis nach. Diese Perspektive läuft Gefahr, dem Konzept eines autonom agierenden Individuums Vorschub zu leisten (Alkemeyer 2017: 47). Die Praxis der Theorie schränkt also die Teilnahme an der Theorie ein, indem sie ein Subjekt der Theorie voraussetzt. Da die Praxis der Theorie sehr glatt wirken mag und in einer solchen Perspektive keine Konflikte oder Diskussionen zwischen Einzelnen berücksichtigt werden können, kann die Regierung durch Theorie nur anhand einer zeitlichen Differenz und Zustandsveränderung des Subjekts der Theorie festgemacht werden (vgl. Boltanski/Thévenot 2014: 464f.). Davide Nicolini (2012: 224f.) fasst diese Perspektive als Representing Practice Through Zooming in on its Oriented and Concerned Nature zusammen: »Zooming in would require, in this case, bringing forward and articulating the lived directionality and telos of the practice, and to appreciate the fact that such an orientation is perceived in both cognitive and moral terms«. Weil im Zooming in die Praxis Einzelner repräsentiert wird und ihre Richtung die Richtung der Beobachtung bestimmt, wird hier nicht nur die Größe der Einstellung, sondern auch die Perspektive bestimmt. Es handelt sich, um in der Sprache zu bleiben, um einen Point of view shot. Dabei ist zu erkennen, dass der theoretische Möglichkeitsraum nicht nur die Freiheit eines Theoretikers einschränkt, sondern dass sich, im Sinne der Subjektivierung, in diesem Möglichkeitsraum erst die theoretische Freiheit eines Theoretikers vollzieht (Fuchs 2004: 7-10; siehe auch Alkemeyer 2017: 55f.). Ich analysiere die Praxis der Theorie aus der Teilnehmerperspektive gewissermaßen als Experimentalsystem, in dem sich Theoretiker bewegen können. Über diese Systeme schreibt Rheinberger (2005a: 57): »Experimentalsysteme sind inhärent offene Anordnungen. Eine Experimentalanordnung kann mit einem im Bau befindlichen Labyrinth verglichen werden, dessen bereits existierende Wände die Anordnung der neuen zugleich beschränken und ausrichten, und die damit dem Experimentator zugleich die Sicht verstellen und ihn leiten. Ein Labyrinth, das seinen Namen verdient, ist nicht geplant und kann somit auch nicht einem Plan gemäß erobert werden. Es zwingt zum Umherirren. Wer ein Labyrinth betritt und nicht vergessen hat, einen Faden hinter sich abzurollen, der mag wohl wieder zurück finden. Aber es hat noch keiner jenen Faden erfunden, der einem sagen würde, wo es nach vorne entlanggeht.« Mich in das Labyrinth der Theorie (so auch eine Selbstbeschreibung der Systemtheorie bei Luhmann 1987e: 14) zu begeben ist notwendig, weil sich die Praxis der Theorie nicht in gleicher Weise beobachten lässt wie andere soziale Geschehen. Die Praxis der Theorie erscheint erst in dem Moment, in der die Praxis der Theo-
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rie mitgespielt wird. Das Labyrinth lässt sich nicht anders erschließen, als es zu durchlaufen. Dies liegt daran, dass die Theorie jenseits des Textes an Erfahrung gebunden ist. Um als Praxis zu erscheinen, muss die Theorie gedacht und mit der Theorie wahrgenommen werden (Leanza 2014b: 155; Luhmann 1992c: 281, 304). Meine Beobachtung der Praxis soziologischer Theorie und der darin vollzogenen Herstellung einer spezifischen soziologischen Differenz ist also darauf angewiesen, die Praxis der Theorie selbst hervorzubringen. Die immanente Kritik kann daher nur als Selbstbeobachtung funktionieren. In der Teilnehmerperspektive, die sich als Spannungsfeld zwischen offenen Möglichkeiten und eingrenzenden Wänden auftut, sensibilisiere ich meine Analyse gleichermaßen für die Unberechenbarkeit und Routinisiertheit der Praxis (Reckwitz 2008a: 120) der Theorie. Die Betonung eines wiederholenden Moments, das durch den Ausdruck eines (Nach)Vollzugs der Praxis der Theorie nahegelegt wird, führt allerdings in die Irre, wenn hierunter verstanden wird, dass das Gleiche noch einmal passiert (Schäfer 2016: 140). Umso wichtiger ist es, dass ich mittels meiner reflexiven Methodologie eine Beobachterperspektive (Alkemeyer/Buschmann 2016: 127, siehe auch Bourdieu 2014f: 52f.) einnehmen kann. Diese Beobachterperspektive ist in der immanenten Kritik in eine Selbstbeobachtung zu wenden, durch die in der teilnehmenden Wiederholung Abweichungen ermöglicht werden (so auch Butler 2013: 232). Im Sinne meiner immanenten Kritik wird hier die Theorie auf sich selbst zurückgeworfen. Die Praxis der Theorie erscheint dann nicht mehr als ein Vollzug in einem offenen Möglichkeitsraum und eine immer nur aktuell vollzogene Reduktion von Komplexität, sondern als eine Praxis innerhalb eines stark begrenzten Raums. Damit wechsle ich von der Teilnehmerperspektive auf eine Theaterperspektive (Alkemeyer 2017: 46f.; Alkemeyer/Buschmann 2016: 125; kritisch Bourdieu 2014f: 52f.), in der die Praxis der Theorie als Programmiertes, also als ein durch die Theorie selbst vorgeschriebener Vollzug erscheint (zur Theatralik der Wissenschaft siehe Schwanitz 2009). Allerdings kann die Theaterperspektive nur den Weg im Labyrinth sehen, der schon abgeschritten worden ist. Sie kann weder vorgreifen, indem sie den weiteren Verlauf der Praxis der Theorie prognostiziert, noch indem sie den Theoretikern aufzeigt, welche weiteren Wege zur Verfügung stehen. Sie kann nicht mal sehen, dass das Labyrinth erst durch die Theoretiker (sichtbar) gemacht wird. Über konkrete Vollzüge weist die Theaterperspektive allerdings hinaus, weil sie durch eine vergleichende Betrachtung erkennen kann, wie sich bestimmte Vollzüge in Routinen übersetzen und sich damit auch in zeitlich und räumlich voneinander distanzierten Vollzügen iterativ wiederholen. Davide Nicolini (2012: 235) bezeichnet diese Perspektive als zooming out: »A further requirement of the zooming out is to explain how local practices can act at a distance and produce effects in different places and distant times, how they can contribute to an even ›wider picture‹ and, conversely, how events and
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phenomena that take place in distant places (and times) manifest through the actual local practice.« Das Ineinandergreifen von Teilnehmer- und Theaterperspektive ermöglicht es, die in der Soziologie übliche Unterscheidung von Beobachtungen erster und zweiter Ordnung zu unterlaufen. Diese erweist sich als äußerst instabil, da jede Beobachtung zweiter Ordnung auch eine Beobachtung erster Ordnung ist. Wechselt man das Vokabular zu der Unterscheidung von Teilnehmer- und Theaterperspektive, ist zu erkennen, dass auf beiden Ebenen Beobachtungen zweiter und erster Ordnung möglich sind, während meine Beobachtung lediglich den Fokus verändert und unterschiedliche Ebenen scharf stellt. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die immanente Kritik der soziologischen Differenz durch die Praxis der kritisierten soziologischen Theorien begrenzt ist. Sie kann diese nur im iterativen (Nach)Vollzug an ihre Grenzen führen. Auch wenn die Kritik damit eine Transformation der Praxis der Theorie anstrebt, ist eine ganz andere Theorie auf diese Weise nicht zu haben. Diese Einschränkung der Wirkmacht immanenter Kritik wird auch daran deutlich, dass ihre Verfahren das Element der Wiederholung teilen. Im Hinblick auf das Ziel eines pluralistischen Paradigmas kann die immanente Kritik der soziologischen Differenz dazu beitragen, die üblichen Abgrenzungen soziologischer Theorien gegeneinander zu vermeiden. Dies geschieht durch die Öffnung der Kontingenz soziologischer Differenzen und schafft die Bedingungen für produktive wechselseitige Kritik soziologischer Theorien auf Augenhöhe. Während der iterative Nachvollzug der soziologischen Differenzen an die Praxisformen der jeweiligen Theorien gebunden ist, wird in diesem Versuch durch einen methodologischen Perspektivismus ein Wechselspiel zwischen unterschiedlichen Praxisformen möglich. Sobald mehrere Praxen von Theorien nachvollzogen werden können, ist es immer möglich, Theorien wechselseitig zu kritisieren und sowohl andere Theorie zu machen als auch Theorie anders zu machen.
3.5.
Zwischenfazit
Ich habe im zweiten Kapitel (2.) die Ziele meiner Arbeit auf drei Ebenen bestimmt. Mir ging es erstens darum, ein Vorgehen zu entwickeln, das in der Lage ist, unterschiedlichste Theorien ernst nehmen zu können. Ich muss entsprechend also in der Lage sein, die Sprache einer Theorie zu sprechen und Teil ihres Paradigmas werden, um sie immanent kritisieren zu können. Mit Foucault habe ich argumentiert, dass Immanenz bedeutet, sich der Regierung durch die Theorie zu unterwerfen und sich am Subjekt der Theorie zu subjektivieren (3.3). Zweitens ging es mir darum, Reflexionsblockaden ausfindig machen zu können. Meine These lautet, dass es bei
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soziologischen Theorien die Reflexionen selbst sind, die für Blockaden sorgen. Ich habe dieses Phänomen reflexive Intoleranz genannt (3.4). In dieser sind soziologische Theorien gefangen, insofern sie sich immer auf dieselbe Art und Weise reflektieren und sich dadurch gegenüber alternativen Wissensformen abgrenzen. Das dritte Ziel meiner Arbeit liegt auf einer normativen Ebene. Mit ihm versuche ich die Kontingenz soziologischer Theorien zu öffnen. Dieses Ziel habe ich mit einem Plädoyer für ein pluralistisches Paradigma (3.1) verbunden. Wenn es möglich wird, sich durch eine immanente Kritik (3.4), die sich auf den heuristischen Bezugsrahmen der soziologischen Differenz (3.2) bezieht, einerseits der Praxis einzelner paradigmatischer Theorien zu unterwerfen und andererseits Möglichkeiten zu schaffen, zwischen den Paradigmen zu wechseln und so der reflexiven Intoleranz zu entgehen, dann betrachte ich die Kontingenz der Theorien als geöffnet. Dies erscheint mir als ein sinnvoller Umgang mit der multiparadigmatischen Verfasstheit des Feldes soziologischer Theorie. Denn um beurteilen zu können, welches Paradigma, welches Wissen in welcher Situation erkenntnisfördernd wirkt, kann ich nicht extern und metatheoretisch vorgehen. Ich muss gleichermaßen in der Lage sein, den Ort unterschiedlicher Paradigmen einzunehmen und zwischen Paradigmen zu wechseln. Ein solcher Wechsel widerspricht der ursprünglichen Idee des Begriffs Paradigma, weshalb ich mich für die paradoxe Formulierung des pluralistischen Paradigmas entschieden habe. Bevor ich im vierten Kapitel (4.) eine Analyse der System- und Praxistheorie vornehmen werde, um mein methodologisches Vorgehen zu plausibilisieren und um die Beweglichkeit im pluralistischen Paradigma zu demonstrieren, werde ich noch einmal zentrale Fragen an meine Methodologie beantworten. Welchen Stellenwert hat die kritische Haltung Foucaults für meine immanente Kritik der soziologischen Differenz? Mit Foucault verbindet mich das normative Ziel der Öffnung der Kontingenz. Mit seiner Arbeit kann ich eine Haltung einnehmen, die zwar anerkennt, dass es keinen machtfreien Raum, keinen Ort ohne Regierung und Subjektivierung gibt, die aber danach strebt, nicht dermaßen und nicht auf nur eine Art und Weise regiert zu werden. Diese Haltung lässt sich in die Praxis soziologischer Theorien überführen und ist damit selbst keine konkurrierende Theorie, die den kritisierten Theorien gegenüber steht. Normativ gründet sich diese Haltung auf einer Differenz zwischen aktueller Wirklichkeit und alternativen Möglichkeiten. Sabine Hark (2009: 34) beschreibt diese normative Position innerhalb der Wissenschaft so: »Die Frage wozu Kritik? ist damit im Grund beantwortet: Um den Hiatus zwischen Wirklichem und Möglichem gegenwärtig zu halten, um der Aussicht willen, dass nicht alles so bleiben muss, wie es ist. Es also – im Wissen um die Heteronomie jeglicher Subjektivität – darum geht, beständig neue Weisen zu generieren, sich zu regieren und regiert zu werden, neue Weisen, zu sein, zu erfinden.«
3. Die immanente Kritik der soziologischen Differenz
Was ist das Ziel des pluralistischen Paradigmas? Mit dem pluralistischen Paradigma verbinde ich zwei Ziele. Auf der Ebene der Vorgehensweise ermöglicht mir das pluralistische Paradigma ein Verhältnis zu Theorien, in dem ich sie ernst nehme. Das bedeutet, dass ich sie als Paradigmen verstehe und mir gegenüber den Anspruch formuliere, Teil dieses Paradigmas sein zu müssen, um eine immanente Kritik zu formulieren. Auf der Ebene des normativen Ziels, der Öffnung der Kontingenz soziologischer Theorien, hält die paradoxe Formulierung des pluralistischen Paradigmas den Riss zwischen der Praxis der Theorie, die ich in einem Moment nachvollziehe, und den möglichen anderen Theorien offen. Als normatives Ziel dient mir das pluralistische Paradigma dazu, grenzöffnende Reflexionen auf meine eigene theoretische Aktivität und Erfahrung anzustoßen, um reflexive Intoleranz zu vermeiden. Oder wie Marcus Steinweg (2015: 172) sagt: »Das aber heißt, dass Denken bedeutet, sich den Riss im Immanenzgefüge und den Inkonsistenzen im Konsistenzgewebe, das wir Realität nennen, zu widmen. Denken heißt, den Boden unter den Füßen zu verlieren.« Was ist die Praxis der Theorie? Die Praxis der Theorie lässt sich von zwei Seiten her analysieren. Diese Seiten beschreiben kein Innen oder Außen der Theorie, sondern Zugänge zu einer Praxis. Als Subjektivierungsregime formiert sich in der Praxis der Theorie ein Subjekt der Theorie. Der erste Zugang zur Praxis der Theorie ist damit der Nicht-Ort und die Realfiktion eines Subjekts der Theorie, die einen Sog auf Einzelne ausüben und sie zur Subjektivierung anhalten. Gleichzeitig enthält das Subjektivierungsregime soziologischer Theorien selbst Reflexionen auf dieses Subjekt der Theorie. Der zweite Zugang zur Praxis der Theorie sind damit die Regierungskünste, die sich innerhalb soziologischer Theorien in Programme übersetzen, um eine Regierung durch Theorie anzustoßen. Ich lese soziologische Theorien damit im Sinne der Gouvernementalitätsforschung als (Wahrheits-)Programme (Lemke 2000: 229ff.) oder zusammenfassend in den Worten von Bröckling, Krasmann und Lemke (2004: 12), »als Programme des Regierens, die Probleme definieren, sie in einer bestimmten Weise rahmen und Wege zu ihrer Lösung vorschlagen. Programme formen die Realität, indem sie Diagnosen stellen und Therapien empfehlen. Sie prägen Wahrnehmungs-, Beurteilungs- und Handlungsweisen, indem sie Ziele anvisieren und Verfahren bereit stellen, um diese zu erreichen oder ihnen zumindest näher zu kommen. Sie rufen Menschen an, sich als Subjekte zu begreifen und sich in spezifischer Weise […] zu verhalten, und fördern so bestimmte Selbstbilder und Modi der ›inneren Führung‹. […] Offen bleibt dabei, in welchem Maße die Programme des Regierens und Sichselbst-Regierens das Denken und Tun der Menschen bestimmen.«
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Welchen Stellenwert hat die soziologische Differenz? Die soziologische Differenz umfasst in meiner Arbeit drei Aspekte. Erstens die Differenz zwischen soziologischer Theorie und Gesellschaft. Zweitens die Differenz zwischen soziologischer Theorie und alternativen Selbstbeschreibungen der Gesellschaft. Drittens die reflexive Differenz soziologischer Theorie zu sich selbst. Alle drei Aspekte greifen ineinander, dienen aber dazu, den Fokus meiner Analyse zu verschieben. Analytisch dient mir die Form der soziologischen Differenz als heuristischer Bezugsrahmen. Sie macht es möglich, einen Zugriff auf die Praxis soziologischer Theorien zu bekommen und mich so in ein Paradigma zu begeben. Kritisch versuche ich mit der soziologischen Differenz die machtvollen Grenzziehungen der Praxis der Theorie, verstanden als Subjektivierungsregime, nachzuzeichnen und die Möglichkeit der Überschreitung aufzuzeigen. Es geht mir in meiner immanenten Kritik der soziologischen Differenz nicht darum bestimmte soziologische Differenzen ein für alle Mal zu zerstören oder die eine, richtige soziologische Differenz zu finden. Um soziologische Theorie zu machen, brauche ich soziologische Differenzen, gleichzeitig weiß ich, dass diese Differenzen machtvoll auf mich wirken (zu diesem ambivalenten Zusammenhang von Unterscheiden und Herrschen siehe Hark/Villa 2017: 12, 15f.; Daniel 2004: 390f.). Warum ist die Immanente Kritik das Mittel der Wahl für eine (Selbst)Kritik der Soziologie?Immanente Kritik ist Selbstkritik und in dem so verstandenen Sinn eine Haltung, die dem Kritisierten immanent ist. Ich verstehe immanente Kritik damit als eine Regierung des Selbst. Mit diesem Verständnis bringe ich die Ambivalenz zum Ausdruck, dass soziologische Theorien meine Möglichkeiten der (Selbst)Kritik gleichzeitig einschränken und ermöglichen. Die Theorien, in die ich mich mit meiner kritischen Haltung begebe, bestimmen meine Denk- und Anschauungsformen, sie subjektivieren und unterwerfen mich. Im selben Moment erlauben mir die Theorien aber, etwas zu sehen, was ich ohne sie nicht sehen könnte. Daher ermächtigen sie mich nicht zuletzt zu einer (Selbst)Kritik soziologischer Theorie. Die kritische Haltung ist demnach eine Grenzhaltung, die im Rahmen des gegenwärtig Aktuellen nach Möglichkeiten der Grenzüberschreitung fragt. Nicht auf diese Art und Weise regiert zu werden bedeutet, sich in einer Vielfalt von Subjektivierungsregimen bewegen zu können und dabei statt die Verfestigung einer Regierungsform ihre Verflüssigung anzustreben. Im vierten Kapitel (4.) werde ich nun zur exemplarischen Analyse übergehen. Hierzu werde ich die Systemtheorie Niklas Luhmanns und die Praxistheorie Pierre Bourdieus auf eine allgemeine Problematisierungsweise hin untersuchen. Diese Problematisierungsweise ist die soziologische Reflexion der bedingten Freiheit der Soziologie. Durch diese Problematisierungsweise reflektieren sich soziologische Theorien einerseits als relativ freie und autonome Denkweisen. Andererseits erkennen sie, dass gerade dieses Selbstbild durch das Soziale und die Gesellschaft bedingt ist. Diese Problematisierungsweise führt in Selbstbeschreibungen soziologischer
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Theorie auf sozialtheoretischer (4.1) und gesellschaftstheoretischer (4.2) Ebene. In dieser Problematisierungsweise greifen die soziologischen Theorien auf bestimmte Formen der Selbstreflexion zurück, die sich im Verhältnis zu anderen Theorien als normativ erweisen. Die Theorien entwickeln auf diese Weise spezifische reflexive Intoleranzen, die sich besonders in der Praxis der Supertheoretisierung zeigen (4.3). Durch die Analyse dieser drei Ebenen werde ich beispielhaft zeigen, dass meine immanente Kritik der soziologischen Differenz die drei von mir ausgegebenen Ziele erreichen kann.
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Wenn es eine Wahrheit gibt, dann die, dass die Wahrheit des Sozialen Gegenstand von Kämpfen ist. Weil die soziale Welt, zu einem Teil, Wille und Vorstellung ist; weil die Vorstellung, die sich Gruppen machen, zu einem bedeutenden Teil dazu beiträgt, das zu schaffen, was die Gruppen sind und was sie tun. Die Vorstellung von der sozialen Welt ist keine gegebene Tatsache oder, was auf dasselbe hinausläuft, kein bloßes Abbild, keine Widerspiegelung, sondern das Resultat unzähliger, immer schon vollzogener und aufs Neue zu vollziehender Konstruktionshandlungen. Pierre Bourdieu – Junggesellenball Und nun kann man sehen: alles Begründen verwickelt sich in eine Paradoxie. […] Die Begründung produziert auf der Suche nach Notwendigem Kontingenzen. Sie operiert kontraintuitiv. Sie entfernt sich von dem Ziel, das sie anstrebt. Sie sabotiert sich laufend selbst, indem sie einen Zugang zu anderen Möglichkeiten eröffnet, wo sie ihn verschließen möchte. Niklas Luhmann – Sthenographie und Euryalistik Jeder Fortschritt in der Erkenntnis der Notwendigkeit ist ein Fortschritt in der möglichen Freiheit. Pierre Bourdieu – Der Soziologe auf dem Prüfstand Dann schlagt mal was vor, macht es doch besser, macht doch eine bessere Theorie, die also eure Gesichtspunkte besser in den Vordergrund rückt oder was immer. Niklas Luhmann – Es gibt keine Biographie
4. Die bedingte Freiheit und Normativität soziologischer Theorie
Das Problem der bedingten Freiheit soziologischer Theorie besagt, dass soziologische Theorie nie notwendig so ist und nie sein muss, wie sie ist. Sie kann die Welt immer auch anders beschreiben und entscheidet sich für eine bestimmte Art und Weise. In der Reflexion dieser Freiheit öffnet sich ein Spalt zwischen aktueller soziologischer Theorie und möglicher soziologischer Theorie. So lange, wie dieser Spalt offen ist, kann soziologische Theorie sich neu erfinden. Gleichzeitig sind sowohl die aktuellen Entscheidungen soziologischer Theorie, also ihre aktuelle Art und Weise, Theorie zu machen, als auch die Möglichkeiten, Theorie anders zu machen, immer durch die bestehende Theoriegeschichte bestimmt. Soziologische Theorie beginnt nie auf einem weißen Blatt Papier. Ich verwende die nun folgenden Beispiele also tastend, um eine Problematisierung durchzuführen, die sehr partikular ist. Gleichzeitig fußt eine solche Problematisierung darauf, dass sie ein allgemeines Prinzip soziologischer Theorie ausfindig macht (zu diesem Vorgehen siehe Foucault 1990: 52f.; 2010b: 261). Dieses allgemeine Prinzip, von dem ich hier spreche, ist die soziologische Reflexion der bedingten Freiheit der Soziologie. Jede soziologische Theorie, die sich als Teil ihres Gegenstands begreift, kann sich nicht mehr als autonomes Subjekt verstehen und wird daher dazu gedrängt, die eigenen konstitutiven Bedingungen für die Praxis der Theorie zu erforschen. Diese Reflexion ist ein Fundierungsversuch, der gleichermaßen notwendig wie scheiternd ist. In der soziologischen Reflexion auf die bedingte Freiheit soziologischer Theorie drückt sich ein politisches Moment der Praxis der Theorie aus, das als spezifische Art und Weise der Komplexitätsreduktion und Kontingenzbewältigung verstanden werden kann, nicht aber als fundamentale Begründung der Gesellschaft (Lefort 1990: 283-290). Meine These lautet in diesem Zusammenhang, dass die Praxis der Theorie und damit die soziologische Differenz, in der theoretischen Reflexion von Theorien zu suchen ist. In diesem Kapitel (4.) werde ich alle drei Aspekte der soziologischen Differenz beispielhaft analysieren. Mit Fokus auf das reflexive Verhältnis zu sich selbst betrachte ich den Vollzug der eigenen Sozialtheorie (4.1) und mit Fokus auf das Verhältnis von Theorie und Gesellschaft betrachte ich die Selbstverortung in
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Immanente Kritik soziologischer Theorie
der Gesellschaft (4.2). Die Analyse der Praxis der Theorie auf der Ebene von Sozialund Gesellschaftstheorie eignet sich besonders gut, weil sich an dieser kleinsten und größten Einheit soziologischer Theorien häufig ihre Inkommensurabilität verdeutlicht (Baecker 2015: 810f.). Am Ende dieses Kapitels werde ich am Beispiel der Praxis der Supertheoretisierung die Differenzherstellung zwischen einer soziologischen Theorie auf der einen Seite und alternativen Theorien auf der anderen Seite untersuchen (4.3). Eine Theorie kann mehrere soziologische Differenzen und Subjekte der Theorie aufweisen und umgekehrt könnten in unterschiedlichen Theorien analoge soziologische Differenzen und Subjekte der Theorie ausgemacht werden. Im folgenden Kapitel (4.) werde ich soziologische Differenzen in der Systemtheorie nach Luhmann und der Praxistheorie nach Bourdieu beispielhaft herausarbeiten. Dieses Vorgehen erscheint mir angemessen, um zu plausibilisieren, dass die Analyse der soziologischen Differenz nicht nur die Kontingenz soziologischer Theorien öffnen kann, sondern mich auch dem Ziel eines pluralistischen Paradigmas (3.1) näherbringt. Zuvor werde ich meine Gegenstände näher bestimmen, indem ich die soziologische Reflexion der bedingten Freiheit der Soziologie weiter problematisiere. Die soziologische Reflexion der bedingten Freiheit der Soziologie Dass die Soziologie reflexiv ist, ist so offensichtlich wie bekannt. Der potenziell hohe Reflexionsgrad soziologischer Theorie begründet sich durch die historische Entstehung des soziologischen Denkens. Dies zeigt sich, wenn die Denkweise der modernen Gesellschaft als Problematisierungsweise verstanden wird (Foucault 1990). Ihr Problem besteht darin, dass die Gesellschaft Individuen durch die Exteriorität gesellschaftlicher Verhältnisse fortschreitend, kontingent und krisenhaft hinter ihrem Rücken beeinflusst (siehe allgemein Brunkhorst 1997b: 11-20; Gumbrecht 1978: 120; mit Bezug auf die Soziologie Berger/Kellner 1984: 9-21; Gertenbach et al. 2010: 30-39; Landshut 1969: 13ff., 113ff.; Matthes 1985: 49f.; Nassehi 2001; 2009: 16; Wagner 2009: 13-18, 219f., 262f.; mit Bezug auf das Subjekt Alkemeyer 2013: 35f.). Wenn Soziologie eine gesellschaftsimmanente Antwort auf dieses Problem der modernen Gesellschaft ist, dann wird die Soziologie notwendig zum kritisch-philosophischen Blick über die eigene Schulter gedrängt. Die soziologische Selbstreflexion der Soziologie ist damit eine notwendige Konsequenz aus der Gleichursprünglichkeit von Soziologie und Moderne (Gouldner 1968: 103; 1974: 565-601; 1984: 11). Dies bringt Jürgen Habermas im Nachklang des Positivismusstreits auf den Punkt, wenn er schreibt, dass Soziologie aus dieser reflexiven Erfahrung immer mit der Rache des Objekts (Habermas 1972: 293; siehe auch Link 2015: 121f.; Tenbruck 1984: 295) rechnen muss. Sie muss also damit rechnen, dass die Gesellschaft, die sie wissenschaftlich zu rationalisieren versucht, sich auch hinter dem Rücken der Soziologie einer soziologischen Vereinnahmung entzieht. Mit dieser Rache des
4. Die bedingte Freiheit und Normativität soziologischer Theorie
Objekts rechnen auch die System- und Praxistheorie. Sie setzen aus diesem Grund ein Subjekt voraus, das auf die Rache vorbereitet ist. Hieraus leite ich die These ab, dass am Beginn der Soziologie und damit am Ursprung der Praxis der Theorie eine Reflexion steht. Um die Macht der Theorie, also ihr Subjekt und ihre Regierungskunst, zu erkunden, ist die Analyse der Art und Weise solcher Reflexionsformen notwendig. Wenn ich von Ursprung und Beginn spreche, heißt das nicht, dass ich eine Fundierung der soziologischen Theorien leiste, sondern ihre Fundierungsversuche als kontingente Reflexionsformen kritisch reflektiere. Insofern die soziologische Reflexion der bedingten Freiheit der Soziologie ein allgemeines Prinzip und eine allgemeine Problematisierungsweise soziologischer Theorie ist, müsste sich dieses Prinzip sowohl innerhalb des heuristischen Bezugsrahmens der soziologischen Differenz als auch in den analysierenden Theorien finden lassen. Aus den drei Aspekten der soziologischen Differenz ergeben sich drei Bedingungen an soziologische Theorien für eine mögliche immanente Kritik. In diesen drei Bedingungen spiegelt sich das Prinzip wider, dass soziologische Theorie die bedingte Freiheit der Soziologie reflektiert. Entscheidend ist hierfür erstens, dass die soziologischen Theorien sich im gesellschaftstheoretischen Kontext verorten. Sie sind also insofern reflexiv, als sie in ihrem Objektbereich Gesellschaft selbst auftauchen. In ihrer Praxis kommt es dann zu einer gesellschaftstheoretischen Selbstthematisierung der Theorie. Zweitens müssen diese Theorien ihre eigene Theorie als soziale Praxis begreifen. Die Theorien sind insofern selbstreferenziell, als sie ihre eigene Sozialtheorie nachvollziehen. In ihrer Praxis befinden sie sich dann, im sozialtheoretischen Kontext, auf einer symmetrischen Ebene mit den von ihnen untersuchten sozialen Phänomenen. Drittens müssen die Theorien sich ihrer eigenen Historizität bewusst sein. In ihrer Praxis beschreiben sie daher nicht nur die Gesellschaft und das Soziale als kontingente Ordnungen, sondern auch sich selbst. Die Theorien von der Gesellschaft und vom Sozialen sind sich also ihrer eigenen Kontingenz bewusst. Als Vorgriff auf die kommenden beispielhaften Analysen werde ich nun kurz zeigen, dass Texte von Niklas Luhmann und Pierre Bourdieu die genannten Bedingungen erfüllen und damit die allgemeine Problematisierungsweise soziologischer Theorie teilen. Die erste Bedingung der Selbstverortung in der Gesellschaft ist erfüllt, weil sowohl Luhmann als auch Bourdieu ihre Theorien als Teil des von ihnen untersuchten Wissenschaftssystems (Luhmann 1992c) bzw. des wissenschaftlichen Feldes (Bourdieu 1998b) begreifen und überhaupt einen klaren Begriff von gesellschaftlichen Großbereichen wie Wissenschaft haben (Osrecki 2014: 405). Die zweite Bedingung des Nachvollzugs der eigenen Sozialtheorie ist erfüllt, weil beide ihre Theorie selbst als soziale Praxis beobachten und explizit von der Praxis der Theorie (Bourdieu/Wacquant 2013: 220; Luhmann 1974a) sprechen. Die dritte Bedingung ist erfüllt, weil letztlich beide soziologische Theorie als ein geschichtliches Phäno-
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Immanente Kritik soziologischer Theorie
men thematisieren, das selbst an die Kontingenz und den Wandel der Gesellschaft gebunden ist. Um dies zu problematisieren, entwickeln die Theorien, in ihrer Praxis, Formen der Selbstreflexion. Bei Luhmann (1992c) handelt es sich um Autologie, bei Bourdieu (2013a) um die teilnehmende Objektivierung. Diese drei Gemeinsamkeiten der Theorien in Bezug auf ihre Reflexion der Soziologie als Wissenschaft, die Selbstanwendung und den Selbstvollzug der eigenen Praxis- bzw. Operationstheorie und die Abkehr von objektivistischen und subjektivistischen Universalisierungen (so auch Nassehi 2004b: 158) ist insofern erstaunlich, als Bourdieu und Luhmann ohne Zweifel als Gegenpole innerhalb der soziologischen Theorie behandelt werden. Der harte Kontrast dieser Theorien (Kneer 2012: 300f.) lässt vermuten, dass sich in ihnen unterschiedliche Formen der Praxis der Theorie, insbesondere der soziologischen Differenzierung aufspüren lassen.1 Zusammenfassend lässt sich der Bezug auf soziologische Selbstbeschreibungen und Selbstreflexionen mit meiner immanenten Kritik der soziologischen Differenz verbinden. Erstens lässt sich zeigen, dass alle drei Aspekte der soziologischen Differenz in soziologischen Selbstbeschreibungen zum Tragen kommen: Die skizzierte historische Herleitung der soziologischen Reflexivität als Kind der Moderne (Nassehi 2001: 209; siehe auch Lichtblau 2002: 24ff., 131-157, 161ff.) zeigt, dass 1
Einer ähnlichen Stoßrichtung ist bereits Armin Nassehi in Bezug auf den Vergleich der Theorien von Luhmann und Bourdieu gefolgt. Nassehi (2004b) untersucht in seinem Aufsatz Sozialer Sinn Voraussetzungen, hinter die die Praxis der Theorie auch durch explizite Reflexion dieser Voraussetzungen nicht zurück kann. Gleichzeitig beachtet er, wie sich diese Voraussetzungen auf ein Selbst, also ein Subjekt der Theorie beziehen (Nassehi 2004b: 156f., 163f.). Er betont dabei die Gemeinsamkeiten von Bourdieu und Luhmann, die sich weitestgehend mit den von mir skizzierten Bedingungen an Theorien für eine immanente Kritik ihrer soziologischen Differenz decken: »Hier lassen sich auf den ersten Blick zunächst drei Gemeinsamkeiten herausdestillieren: erstens gelingt es beiden, sich selbst, also: die Soziologie als Wissenschaft, auf dem Bildschirm ihrer soziologischen Bemühungen zu entdecken; zweitens stoßen beide durch ihre praxeologische bzw. operative Theorieanlage auf das Problem der Selbstanwendung und schließlich drittens lassen sich diese beiden praxeologisch/operativen Theorien als theoretische Emanzipationsgeschichten lesen, und zwar als Emanzipationsgeschichten gegen starke Strukturtheorien, die das Besondere immer schon als Reflex auf eine allgemeine Struktur kennen.« (Nassehi 2004b: 158) Analog zu Nassehi geht es auch mir darum, den Umgang der Theorie mit Komplexität und Kontingenz nachzuvollziehen und bei der Analyse dieser sozialen Praxis der Theorie konsequent von »Was?« auf »Wie?« umzustellen. Über Nassehi geht meine Arbeit insofern hinaus, als meine normative Stoßrichtung der Öffnung der Kontingenz soziologischer Theorie und das damit einhergehende Ziel einer Transformation der Theorien bei Nassehi so nicht zu erkennen sind. Während es Nassehi (2004b: 185) lediglich darum geht, überhaupt auf die Form der Praxis der Theorie hinzuweisen, versuche ich mit meiner immanenten Kritik der soziologischen Differenz über diese Forderung hinauszugehen und eine neue Form des Theoriemachens zu finden, die ich als multiparadigmatisches Paradigma verstehe.
4. Die bedingte Freiheit und Normativität soziologischer Theorie
sich soziologische Theorie in soziologischen Selbstreflexionen als Teil ihres totalitären Objektbereichs beschreibt.2 Daher ist es recht offensichtlich, dass sich in soziologischen Selbstbeschreibungen erste Hinweise auf die Differenz zwischen soziologischer Theorie und Gesellschaft finden lassen. Gleichzeitig wird durch die Selbstbeschreibung als Soziologie ein konkurrierendes Verhältnis zu alternativen Selbstbeschreibungen als Soziologie hergestellt. Aus diesem Grund beinhalten soziologische Selbstbeschreibungen in vielen Fällen eine Differenz zu alternativen Theorien der Gesellschaft. Letztlich wird mit soziologischen Selbstbeschreibungen regelmäßig die Hoffnung auf eine soziologische Selbstaufklärung verbunden. Es ist der Versuch eines Blicks hinter den eigenen Rücken. Daher findet sich in Selbstbeschreibungen auch eine Differenz der soziologischen Theorie zu sich selbst, die sich insbesondere in einer zeitlichen Dimension des Vorher-Nachher entfaltet. Zweitens wird schnell deutlich, dass in der Praxis der soziologischen Selbstbeschreibungen ein Subjekt der Theorie, im oben skizzierten Sinn (3.3), erscheint: Durch den Bezug auf starke Formen der Selbstreflexivität falle ich nicht auf die Annahme eines starken Subjekts der Theorie zurück, das sich autonom in der Welt bewegen kann und sich von ihr durch die selbst explizierten Wesensunterschiede distanziert. Stattdessen untersuche ich die Reflexivität soziologischer Theorie praxistheoretisch als Hervorbringung von Denk- und Anschauungsform und das Subjekt der Theorie gleichermaßen als Effekt und Voraussetzung dieser Praxis der Theorie. Mit dieser Formulierung erinnere ich daran, dass das Subjekt der Theorie sich nicht auf die Handlungen Einzelner reduzieren lässt. Inwiefern Menschen den Ort dieses Subjekts der Theorie beziehen und diesen Ort im Kontext mit anderen materiellen und körperlichen Entitäten zum Vollzug ihrer Praktiken (Alkemeyer 2013: 42-50; 2017: 44) nutzen, kann durch meine immanente Kritik der soziologischen Differenz nicht beantwortet werden. Ich gehe gerade von der Umkehrung dieser praxissoziologischen Perspektive aus: Die soziologischen Selbstbeschreibungen sind Reflexionen, die als ein Moment des Heraustretens aus den routinierten Vollzügen und Praktiken soziologischer Theoriebildung verstanden werden können. Sie sind damit nicht unabhängig von diesen, sondern gehören als eine Reaktion (Alkemeyer 2013: 49f.) zu den vielfältigen sozialen und materiellen Praktiken soziologischer Theoriebildung, die über die isolierte Praxis der Theorie hinausgehen. In einem close reading von Texten Luhmanns und Bourdieus werde ich nun Öffnungs- und Schließungsbewegungen in der soziologischen Differenz von System- und Praxistheorie herauszuarbeiten. Dabei stütze ich mich nicht nur auf die allgemein anerkannten Grundlagentexte, sondern auch auf randständige Äußerungen etwa in Interviews. Auf diese Weise kann ich in die ungeschützten, d.h. 2
Der Objektbereich ist nur aus dem Grund totalitär, weil die Soziologie als erforschende Instanz in ihm vorkommt (Adorno 1979d: 548f.). Er ist nicht totalitär, falls darunter verstanden werden sollte, dass die Soziologie alles erforscht.
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weniger abgesicherten Zonen der Theoriebildung vordringen. Alle theoretische Texte haben gemeinsam, dass sie als Reflexionsprogramme gelesen werden können. Diese Reflexionsprogramme geben Auskunft darüber, wie sich innerhalb einer Theorie die Reflexion als Reaktualisierung der soziologischen Differenz vollzieht. Sie sind damit der Effekt von reflexiv gewordenen Theoriekonstruktionen. Als Programme handelt es sich gleichzeitig um Texte, die versuchen die weitere Theoriearbeit zu lenken.
4.1.
Der Vollzug der eigenen Sozialtheorie
Ich beginne meine Analyse soziologischer Selbstbeschreibungen zunächst auf der Ebene der Sozialtheorie. Mit dieser Analyse betone ich die zweite Bedingung an soziologische Theorien – den Nachvollzug der eigenen Sozialtheorie. Zudem stelle ich den dritten Aspekt der soziologischen Differenz, die reflexive Unterscheidung soziologischer Theorien zu sich selbst, in den Fokus. Weil soziologische Theorien durch diese Reflexion sich selbst und damit auch ihre Grenzen bestimmen, haben diese Reflexionen einen großen Einfluss auf das Verhältnis zu anderen Theorien (zweiter Aspekt der soziologischen Differenz). Unter Sozialtheorie verstehe ich mit Gesa Lindemann (2009: 21) jene Ebene einer soziologischen Theorie, auf der bestimmt wird, was als soziales Phänomen erscheinen kann und wie es in den möglichen Bereich der Beobachtung gelangt. Diese Bestimmungen gelten also erstens für den gesamten Bereich des Sozialen, den sie ja selbst erst festsetzen. Sie bestimmen außerdem die Perspektive einer soziologischen Theorie so basal, dass ihr nur die vorher bestimmten Phänomene als Soziales erscheinen können. Sozialtheorien sind damit für soziologische Theorien universell und als solche nicht widerlegbar. Mit Blick auf die multiparadigmatische Verfasstheit des Feldes soziologischer Theorien bedeutet dies auch, dass keine der möglichen Sozialtheorien verifizierbar ist. Für meinen Weg einer immanenten Kritik soziologischer Theorie eignen sich Sozialtheorien besonders gut, da soziologische Theorie durch sie ihre Grenzen bestimmt. Lindemann (2009: 21) macht dies sehr deutlich: »Sozialtheorien enthalten Annahmen über die Beschaffenheit des Gegenstandes sowie methodologische Konzepte, also Annahmen darüber, wie der Gegenstand zu beobachten ist und wie empirische Daten zu interpretieren sind. Durch solche Theorien wird konstitutiv festgelegt, was und wie etwas überhaupt als soziologisches empirisches Datum erscheinen mag.« An dieser Bestimmung von Sozialtheorien ist leicht zu erkennen, dass sich Sozialtheorien zwar bestens für eine wechselseitige Kritik soziologischer Theorien eignen, dass es sich hierbei aber immer um externe Kritik handelt. In einem solchen
4. Die bedingte Freiheit und Normativität soziologischer Theorie
wechselseitigen Verhältnis kommt es offensichtlich zu methodologischen Immunisierungen und zu Kommunikations- und Verständnisblockaden (siehe hierzu die Problematisierung unter 2.). Dies wird in Bezug auf Sozialtheorien deutlich, wenn soziologische Theorien andere Theorien als soziales Phänomen thematisieren und auf diese Weise vergegenständlichen. Zum Beispiel kann die Systemtheorie andere Theorien nur als Systeme und Kommunikationen (an)erkennen, während die Praxistheorie immer nach dem Habitus und der relationalen Verortung der Theoretiker im Feld fragt, wenn sie mit anderen Theorien konfrontiert ist. Für soziologische Theorien ist es daher kaum möglich, die wechselseitige Kritik auf Ebene der Sozialtheorie ernst zu nehmen, da eine solche Öffnung die eigenen konstitutiven sozialtheoretischen Annahmen gefährden würde. Ich werde mich stattdessen damit beschäftigen, wie die soziologische Selbstreflexion der eigenen bedingten Freiheit sozialtheoretisch vollzogen wird. Wenn reflexive soziologische Theorien also die Annahme teilen, dass Soziologie sich über ihre eigenen Möglichkeitsbedingungen und Bedingtheiten aufklären muss, können sie diese Aufklärung nur innerhalb ihrer Sozialtheorie leisten. Das heißt, dass sowohl die sozialen Bedingungen für die Theorie als auch die Freiheit der Theorie nur kommunikativ-systemisch (Systemtheorie) oder habituell-praktisch (Praxistheorie) sein können. Bei Luhmann und Bourdieu lässt sich exemplarisch zeigen, dass soziologische Theorien, ihrer eigenen Logik folgend, dazu gezwungen sind, die eigene Sozialtheorie nachzuvollziehen und sich damit Grenzen in Bezug auf die Selbstreflexion zu unterwerfen und in Bezug auf ihr Verhältnis zu anderen Theorien einen Abschließungsprozess zu vollziehen. Um dies aufzuführen, nutze ich im Wesentlichen das zweite skizzierte Verfahren subversiven Argumentierens (3.4). Ich zeichne das Ideal der Theorie nach, um ihre Unmöglichkeit und manchmal auch ihre Absurdität darzustellen. Der systemtheoretische Selbstvollzug der Sozialtheorie Die Systemtheorie Niklas Luhmanns setzt ein Ausgangssubjekt voraus, das einerseits durch die Theorie hervorgebracht wird und andererseits die Theorie selbst erst in Vollzug setzt. Dieses Subjekt der Systemtheorie ist von vornherein zirkulär konstituiert (Luhmann 2005: 333; siehe auch Beck 1974: 86). Gleich zu Beginn von Luhmanns (1992c: 8f.; siehe auch 1997b: 14f.) wissenschaftssoziologischem Werk Die Wissenschaft der Gesellschaft wird diese zirkuläre Ordnung der Systemtheorie auf den Punkt gebracht: »Das ›wissenssoziologische‹ Problem der Wahrheit ist zum Problem aller Disziplin geworden. Man kann nach den physikalischen, biologischen, neurophysiologischen, psychologischen, linguistischen, soziologischen Bedingungen von Erkenntnis fragen. Immer muß man dabei ›autologisch‹ forschen, das heißt: Rückschlüsse auf das eigene Tun beachten. […]
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Eine allgemeine Lizenz zu autologischem Forschen enthält freilich noch wenig Instruktion; sie erklärt noch nicht, wie es zu machen ist.« Meine folgende Argumentation baut darauf auf, dass die Reflexionsform der Autologie die Systemtheorie paradigmatisch werden lässt (siehe hierzu auch Jahraus 2001: 333). Auch wenn damit das »Wie?« der Autologie (siehe hierzu Luhmann 1993c: 15ff.; 1998: 1132ff.) noch nicht hinreichend bestimmt ist, wird deutlich, dass die theoretische Freiheit des Subjekts der Systemtheorie dadurch bedingt wird, dass es jede Aussage über die Welt auch auf sich beziehen muss. Selbst wenn an diesem Punkt noch alle theoretischen Aussagen möglich wären, gilt für dieses Subjekt, dass es mit allen Aussagen über andere soziale Subjekte auch sein Selbst bestimmt. Ich werde im Folgenden näher auf den kommunikativ-systemischen Charakter der Autologie eingehen, um einen theorieimmanenten Ort einzunehmen. Das heißt, ich werde die systemtheoretische Autologie kommunikativ vollziehen und damit auch diesen Text kommunikativ verstehen – Autologie als Selbstgespräch der Theorie. Außerdem werde ich argumentieren, dass die Systemtheorie sich autologisch als System verstehen muss – Autologie als Selbstbeobachtung der Theorie. Anschließend werde ich in diesem System für Anschlusskommunikation sorgen. Von diesem theorieimmanenten Ort ausgehend, werde ich die Form der Person als Objekt der Selbstreflexion und imaginiertes Subjekt der Theorie herausarbeiten. Der spezifisch sozialtheoretische Zusammenhang zwischen Theorie und Subjekt der Theorie, in dem das Subjekt der Theorie in der Praxis der Theorie immer das eigene Selbst bestimmt, wird am Ende von Luhmanns sozialtheoretischem Werk Soziale Systeme (1987e: 651ff.) besonders deutlich: »Eine Theorie der Kommunikation ist selbst nichts anderes als eine Anweisung für Kommunikationen, und sie muß auch als Anweisung noch kommunizierbar sein. Sie muß sich also vorsehen, jedenfalls umsehen: Sie kann über ihren Gegenstand nicht behaupten, was sie nicht als Aussage über sich selbst hinzunehmen bereit ist.« Mit dieser Engführung ist die Autologie der Systemtheorie auf Kommunikation und damit auf kommunikative Bedingungen von Erkenntnis eingeschränkt. Neben dem autologischen Zirkel, als Begrenzung des Forschungsprozesses, bestimmt die Systemtheorie also Kommunikation als das Letztelement (Luhmann 1987e: 192) des Sozialen und seiner selbst. Offensichtlich ist, dass das »Was?« der Theorie auf dieselbe Weise bestimmt wird wie das »Was?« des Sozialen. Es handelt sich damit auch bei der Theorie um Kommunikation, weshalb der Möglichkeitsraum soziologischer Theoriebildung formal auf einen Kommunikationshorizont beschränkt ist. Die Autologie erscheint zudem als eine Bewegung des Umsehens und Vorsehens, wodurch eine zeitliche Dimension der systemtheoretischen Reflexion deutlich wird.
4. Die bedingte Freiheit und Normativität soziologischer Theorie
Das heißt, dass durch die sozialtheoretische Gegenstandsbestimmung einerseits der reflexive Blick hinter den eigenen Rücken provoziert und andererseits die zukünftige Praxis der Theorie mitbestimmt wird (Luhmann 1998: 1146). Genauer: Systemtheorie kann sich nur als Kommunikation reflektieren, indem sie sich rekursiv auf das bezieht, was gewesen ist. Sie kann ihre Zukunft nur als Möglichkeiten von Anschlusskommunikationen imaginieren, indem sie selektiv bestimmt, was als systemtheoretische Operation akzeptiert wird (Fuchs 2013: 100f.; Luhmann 1992c: 271f., 669). Eine Konsequenz dieser Argumentation ist, dass das Subjekt der Theorie mit den gleichen Problemen wie jedes andere soziale Phänomen konfrontiert ist: Es geht auch in der Praxis der Theorie immer um Sinnproduktion bei doppelter Kontingenz und um die kontingente Stabilisierung der systemischen Operation durch Reduktion von Komplexität. Aus dieser Konsequenz folgt, dass die Systemtheorie sich nicht nur als Kommunikation verstehen muss, sondern auch als System. Luhmann argumentiert bereits zu Beginn von Soziale Systeme, dass es sich bei der Systemtheorie um systemische Kommunikation handelt. In Bezug auf elementare Unterscheidungen innerhalb von Theorien schreibt die Systemtheorie vor: »Die Theorie schreibt sich entlang solchen Vorzugslinien selbst, ohne damit andere kombinatorische Möglichkeiten definitiv auszuschließen. Die Darstellung der Theorie praktiziert mithin, was sie empfiehlt, an sich selbst: Reduktion von Komplexität« (Luhmann 1987e: 12; siehe auch Luhmann 1973: 346). Diese Selektivität der Praxis der Theorie sorgt für immanente Vollzugslinien der Theorie, die verdeutlichen, wie der skizzierte Zusammenhang von Autologie und Kommunikation das »Wie?« der Theorie genauer bestimmt, und zwar durch die Theorie selbst. Für die Theorie als Kommunikation bedeutet das: Auch die Theorie ist ein autopoietisches System, das selbstreferenziell auf Anschlusskommunikationen angewiesen ist. Für die Theorie als System bedeutet das: Wenn die Systemtheorie die Unterscheidung System/Umwelt auf die Systemtheorie anwendet, beobachtet sie sich an der Differenz Systemtheorie/Nicht-Systemtheorie. Die Operation mit dieser Unterscheidung erlaubt es mir, mich an einen theorieimmanenten Ort zu begeben, der mich zum Subjekt der Theorie führt. Hierfür vollziehe ich in den nächsten zwei Absätzen einen systemtheoretischen re-entry. Meine Ausführungen bleiben dabei dem System immanent, das Luhmann (1998: 80) als Theorie sozialer Systeme beschreibt: »Die Theorie sozialer Systeme faßt mithin alle Aussagen (und nur solche Aussagen) zusammen, die für alle sozialen Systeme gelten, selbst für Interaktionssysteme von kurzer Dauer und geringer Bedeutung.« Die Theorie sozialer Systeme beginnt mit der systemischen Unterscheidung System/Umwelt (Luhmann 1987e: 30ff.). Durch die Unterscheidung von System/Um-
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welt (Luhmann 1987e: 35f.; 1998: 60ff.) wird deutlich, dass die zwei Seiten einer Unterscheidung sowie die Grenze zwischen beiden als systemische Unterscheidung begriffen werden können (Luhmann 2001b: 244f.; Schönwälder-Kuntze 2009: 61). Es handelt sich hierbei um drei Elemente der Form oder die Trinität der Unterscheidung (Luhmann 1992c: 303): eine markierte Seite, eine unmarkierte Seite (Kauffman 2016: 273) und die Grenze zwischen ihnen, wobei die Grenze gekreuzt werden muss, wenn man von der einen Seite auf die andere wechseln will (SpencerBrown 1999: 1). Der binäre Code, mit dem die Systemtheorie operiert, ist demnach nicht die spezifische Differenz System/Umwelt, sondern basaler markiert/unmarkiert. Dies zeigt sich zum Beispiel, wenn die Systemtheorie die Systemdifferenz Wissenschaft/Nicht-Wissenschaft mit systemimmanenten Wahrheitskommunikationen entlang des Codes wahr/unwahr erklärt (Luhmann 1992c: 271-361). In Bezug auf die Trinität der Unterscheidung ist zu beachten, dass eine Seite der Unterscheidung nicht ohne die andere existiert, also beide Seiten gleichursprünglich mit der operativen Unterscheidung als Grenzziehung entstehen (Luhmann 1987e: 244). Zweitens kann immer nur eine Seite zur selben Zeit beobachtet werden (Luhmann 2001b: 245). Es handelt es sich also um eine asymmetrische Unterscheidung, denn nur die eine Seite der Unterscheidung wird zu einem Zeitpunkt operativ markiert, was die andere Seite unmarkiert lässt (Luhmann 2001a: 269, 272f.). Dies verdeutlicht, dass die Unterscheidung keine ontologische Konstante, sondern eine Operation ist. Systeme im Allgemeinen entstehen also nur in der andauernden und immer wieder neuen Operation ihrer Unterscheidungen. Die systemische Unterscheidung ist also nicht nur Markierung, Form und Struktur des Systems, sie ist auch eine Operation im System. Die Unterscheidung des Systems ist damit selbstbestimmend und selbstbestimmt (Luhmann 2001a: 270). Durch dieses re-entry (Esposito 1997: 152; Ort 1999: 297f.; Luhmann 1996b: 110) entsteht eine ambivalente Bedeutung des Begriffs System: Die Operation des Markierens beobachtet das System, als die eine Seite der Unterscheidung, indem sie es von seiner Umwelt unterscheidet. Gleichzeitig ist diese operative Unterscheidung das System, da die drei strukturellen Elemente immer gleichzeitig auftreten und nicht ohne einander existieren (Spencer-Brown 1999: 1; Luhmann 1998: 60f.). Die systemische Unterscheidung kommt also zweifach vor: Sie bezeichnet sowohl die gesamte Struktur von System/Umwelt als auch die operative Unterscheidung durch die Bezeichnung einer der beiden Seiten, wobei die operative Unterscheidung durch Kreuzen die Unterscheidung System/Umwelt in das System einführen kann (re-entry) (Luhmann 1995b: 21). Zu sagen, dass die Systemtheorie ein System ist, bedeutet also erstens, dass sie die eine Seite der Unterscheidung Systemtheorie/Nicht-Systemtheorie ist. Im selben Zug bedeutet es aber, dass es die Systemtheorie ist, die diese Unterscheidung trifft, die sich selbst als eine Seite dieser Unterscheidung markiert. Das Reden über die eine Seite (Systemtheorie) in dieser Unterscheidung (Systemtheorie/Nicht-Systemtheorie) ist also bereits
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eine systemtheoretische Operation. Durch diese Feststellung befinde ich mich im Reden über die Systemtheorie immer schon in der Systemtheorie. Indem ich nun der Frage nachgehe, wie ich mich innerhalb dieser Theorie reflektieren und analysieren kann, mache ich mich auf die Suche nach dem Subjekt der Theorie. Bisher wurde lediglich deutlich, dass die Systemtheorie ihre Reflexion autologisch vollzieht und sich sowohl als Kommunikation als auch als System beobachtet. Das Subjekt der Theorie muss also innerhalb dieser Selbstreferenzialität zu finden sein. Eine für diese Suche markante Selbstreferenz findet sich in Die Gesellschaft der Gesellschaft: »Kommunikationen bilden, wenn autopoietisch durch Rekursionen reproduziert, eine emergente Realität sui generis. Nicht der Mensch kann kommunizieren, nur die Kommunikation kann kommunizieren. » (Luhmann 1998: 105) Beim Subjekt der Theorie kann es sich also ganz offensichtlich nicht um den Menschen Niklas Luhmann und auch nicht um sein Bewusstsein handeln. Der Einzelne findet hier keinen Ort, weil er aus dem Objektbereich der Systemtheorie ausgeschlossen ist (Luhmann 1998: 24f.) und die Systemtheorie sich nur als Teil dieses Objektbereichs reflektieren kann. Damit Kommunikation kommunizieren kann braucht sie aber zumindest Adressaten, und zwar mitteilende und verstehende. Wenn im Folgenden von Autor, Leser, Adressat und Niklas Luhmann selbst die Rede ist, sind damit zwar keine Menschen, sondern Adressierungen im Kommunikationsprozess gemeint. Das Subjekt der Theorie existiert aber trotzdem nicht losgelöst von Einzelnen, sondern ist gerade auf eine Wechselwirkung, auf eine Subjektivierung angewiesen. Ich werde daher kurz auf das Verhältnis von Einzelnen zur Theorie eingehen, um das Subjekt der Theorie später als Person im System auszumachen. Das Verhältnis von Einzelnen zur Theorie ist nicht notwendig ein Verhältnis der Subjektivierung. Bevor ich die Unterwerfung unter das Subjekt der Systemtheorie nachvollziehe, mache ich daher deutlich, dass Einzelne sich widerständig gegenüber der Systemtheorie verhalten können. Um ein Beispiel von Luhmann aufzugreifen, können Einzelne sich für spezifische Reflexionsform der Systemtheorie schlicht nicht interessieren. Sie können sich damit potenziell jeder einzelnen Argumentation verweigern (Ritsert 2014: 17) und »Nein« zur Systemtheorie sagen oder sie einfach überhören. Dies zeigt sich, wenn Luhmann (2005: 333) seine Studierenden am Ende der Vorlesung zur Einführung in die Theorie der Gesellschaft mit dem folgenden lapidaren Satz adressiert: »Man kann sich dafür oder für etwas anderes interessieren.« Die Kontingenz der eigenen Theorie, die dritte Bedingung meiner immanenten Kritik an soziologische Theorien, ist also deutlich ausgestellt. Die Theorie als Ganze ist abhängig von dem Interesse Einzelner. Sie ist daher möglich, aber nie not-
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wendig. Doch stellt Luhmann im Anschluss sofort klar, dass die Theorie, wenn sie denn aktualisiert wird, unabhängig von diesem Interesse funktioniert und dass es die Theorie ist, die eine Bewegung des Denkens und der Interessen vorgibt. Wenn das Subjekt der Theorie also kein Einzelner sein kann, wovon nie auszugehen war, wie erscheint es dann in der autologischen Reflexion als Kommunikationssystem? Luhmann (2005: 333) spricht davon, dass die Systemtheorie immer im eigenen Gehäuse zirkuliert und dass dieses Gehäuse als voll demokratische Mitbestimmungsprosa (Luhmann 2005: 14) operiert. Das heißt, in diesem Gehäuse fallen Herrscher und Beherrschte, Kontrolleure und Kontrollierte, Mitteilende und Verstehende, Autoren und Adressat der Theorie zusammen. In der Zusammenfassung der bisherigen Argumente wird deutlich, dass an der Kommunikation der Systemtheorie teilzunehmen, was damit anfängt, sie zu verstehen3 , bereits bedeutet, Systemtheorie zu machen. Das »Ich« der Theorie ist dabei aber nicht das »Ich« der Einzelnen, die sich auf die Systemtheorie einlassen und sich für sie interessieren. Um eine solche Verstrickung von Subjekt der Theorie und theoretischer Operation jenseits Einzelner zu veranschaulichen, kann zum Beispiel eine von Bernd Ternes aufgeführte Selbstreferenz herangezogen werden (dass eine solche Aufführung und Vorführung der Systemtheorie, die immer auch eine Parodie ist, die einzige Chance für die Kritik einer solchen Supertheorie ist, argumentiert Jahraus 2000). Ternes (1999: 72-73) schreibt: »Dadurch, dass sich die Theorie durch das, was sie sagt, dazu bringt, sich selbst miteinzubringen in das, über was sie etwas sagt, nämlich sich, wobei das, was sie sagt, nur zeigt, dass dadurch das ist, was sie sagt, indem darüber, wie über dieses was geredet wird, etwas ausgesagt/ausgeschieden wird, wird der Leser dazu gebracht, sich selbst miteinzubringen in das, über was er etwas liest, nämlich sich, wobei das, was er liest, nur zeigt, dass nur dadurch das ist, was er liest, indem darüber, wie über dieses darüber geredet wird, etwas ausgesagt/ausgeschieden wurde.« Ternes formuliert hier eine systemtheoretische Antwort auf die doppeldeutige Frage Was macht die Systemtheorie?. In dieser Antwort stehen sich die personifizierte Theorie, die etwas sagt, und der Leser, der sich in die Theorie einbringt, gegenüber. Ich nehme diesen Faden auf und argumentiere, dass diese Personifizierungen die Theorie und der Leser innerhalb der Systemtheorie nur als Person gedacht werden 3
Ich betone hier das Verstehen, weil es sich dabei um die erste der drei kommunikativen Selektionen handelt. Alle drei Selektionen der Kommunikation – Verstehen, Mitteilung und Information – schließen immer andere Möglichkeiten aus. Kommunikation findet nur statt, wenn alle drei Schritte stattfinden. Diese Selektionen sind dann nicht mehr Operationen von psychischen Systemen, sondern sie sind Kommunikation (Luhmann 1995c: 115; Kneer/Nassehi 1994: 81f.).
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können. Weil aber Systeme (die Theorie) keine Kommunikationsadressaten sind, sondern nur Personen im System, handelt es sich bei diesen Personifizierungen um eine Autor-Person und eine Leser-Person. Das heißt, dass die systemtheoretische Antwort auf die Frage Was macht die Systemtheorie? ist, dass sie operativ die AutorPerson der Theorie als Leser-Person adressiert und umgekehrt. Ich zeige nun, wie damit das Subjekt der Theorie in einem Fundierungsversuch der Systemtheorie erscheint. Dieser Versuch lässt sich in ein Fundierungsparadox umformulieren (siehe auch Jahraus 2001: 330): Die Systemtheorie adressiert die Autor-Person kommunikativ, um ihre eigene Vergangenheit zu thematisieren. Auf diese Art und Weise kann sie sich selbst reflektieren. Gleichzeitig ist diese Adressierung, als Kommunikation, in Zukunft auf Anschlusskommunikation angewiesen, denn nur so kann das System der Systemtheorie erhalten bleiben. Die Adressierung richtet sich damit gleichzeitig in die Zukunft, also an eine Person, die die Systemtheorie als Hörer und Leser verstehen kann, und an eine Person, die im Moment der Anschlusskommunikation, und letztlich schon im Moment des Verstehens, selbst zur Autor-Person wird, insofern sie an der theorieimmanenten Mitbestimmungsprosa teilnimmt. Dieser zirkuläre Zusammenhang, bei dem sich eine Differenz zwischen dem Ich des Einzelnen und dem Subjekt der Theorie auftut, ist in den Selbstdeutungen der Theorie zu beobachten. So zum Beispiel bei Peter Fuchs (2004: 7-10), wenn in einem Buch, das ihm als Autor zugeschrieben wird, geschrieben steht: »Nun könnte man ja den Autor fragen (mich?), ob dies alles so gemeint sei, aber die Schwierigkeit ist, daß der Text, dessen Form er begründen soll, behauptet, daß der Autor, wenn er denn ein Beobachter sein soll, nur als Imagination zu haben ist. Er steckt nicht in den Buchstaben, den Wörtern, Sätzen, und er steckt auch nicht dahinter. Er ist das imaginäre Resultat von Beobachtungsoperationen, die auf Resultate angewandt werden, die – aus kommunikativen Notwendigkeiten – auf einen Beobachter zugerechnet werden, der die Beobachtung (als Autor, oder Leser) betreibt, obwohl man mit gleichem Recht sagen könnte, daß die Beobachtung den Beobachter betreibt. […] In dieser Sinnwelt ist der Autor eine generalisierte Sinnverweisung, ein Zurechnungspunkt. Er kann befragt werden (oder wie hier: Fragen aufwerfen, die niemand gefragt hat). Er kann als Instanz genommen werden, die Auskunft gibt über einen Text, obschon die Textwissenschaften (insbesondere die Lehre der Dekonstruktion) weitgehend ausschließen, daß ein Autor mehr über den Text wissen könne als ein Leser. Der Text ist schließlich immer nur seine Beobachtung. Er bringt sich nicht selbst in Form, er wird in Form gebracht durch Beobachtung. Er ist nicht an einem Ort. Er ist nicht er.« Die Autor-Person ist als Adressat nur Effekt der Theorie, wird aber gleichzeitig als Urheber der Theorie adressiert. Diese paradoxe Einheit aus Autor-Person und
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Adressat beziehungsweise Leser-Person könnte dazu führen, dass die Systemtheorie nur noch Selbstgespräche führt (Jahraus 2001: 330ff.). Ich werde nun zeigen, warum die skizzierte Paradoxie die Systemtheorie nicht blockiert, sondern eine Instanz für Möglichkeitsüberschüsse schafft und warum diese Instanz damit als Subjekt der Theorie bezeichnet werden kann. Soviel sei vorweggenommen: Die Möglichkeitsüberschüsse entspringen den konstitutiv in das System eingebauten Missverständnissen in der Praxis der Theorie (siehe auch Luhmann 1997a: 46). Meine These lautet: Das Subjekt der Theorie findet sich erstens im Moment seiner Emergenz als Person im System der Theorie wieder. An diesem Ort bildet es zweitens eine spezifische Differenzform, mit der die Theorie ihre eigene Genese im Verhältnis von Autor und Adressat beobachten kann. Drittens entsteht damit ein theorieimmanenter Nicht-Ort, der als Subjekt der Theorie die Theorieentwicklung anstoßen kann. Ich werde diese These im Folgenden ausführen. Erstens: zur Emergenz der Person: Über die Form »Person« schreibt Luhmann (1995a: 146-148): »Personen sind Identifikationen, die auf keinen eigenen Operationsmodus Bezug nehmen. Sie sind also keine Systeme. […] Unter ›Person‹ ist dann nicht ein besonderes Objekt zu verstehen, auch nicht eine Art von Objekten oder eine Eigenschaft von Objekten (und seien es in diesem Falle ›Subjekte‹), sondern eine besondere Art von Unterscheidung, die als Form mit zwei Seiten das Beobachten leitet. Eine Person ist dann nicht einfach ein anderer Gegenstand als ein Mensch oder ein Individuum, sondern eine andere Form, mit der man Gegenstände wie menschliche Individuen beobachtet.« Durch diese Definition von Person affirmiert Luhmann die Bedingtheit der eigenen Erkenntnis durch die Bindung an die eigene Sozialtheorie. Denn mit der Definition wird deutlich, dass die Person, die die Systemtheorie betreibt, durch das System, also die operative Praxis der Theorie, bestimmt wird. Systemtheoretische Reflexionen verhalten sich in diesem Sinne immer affirmativ zum eigenen System (Kieserling 2004: 58), also zur Systemtheorie. Sie können sich zur Systemkonstitution und zum Sinn des Systems nur positiv verhalten. Die Systemtheorie kann ihr eigenes Subjekt nur als Person beobachten und stellt damit selbst die Bedingungen für die Verstehbarkeit und ihre Anschlussfähigkeit der Theorie. Das Subjekt der Theorie muss bereit sein, sich selbst nur als Person, also als Form, durch die Systemtheorie zu beobachten. Zweitens: zur Differenzform des Subjekts der Theorie: Das Subjekt rückt vollständig ab vom Einzelnen und geht in der Theorie auf, wie sich an der folgenden Differenzierung von Beobachter und Subjekt zeigt. »Der Beobachter ist eben kein Subjekt mehr mit transzendental begründeten Sonderrechten im Safe; er ist der Welt, die er erkennt, ausgeliefert. Ihm ist keine
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Selbstexemption gestattet. Er muß sich auf der Innenseite oder auf der Außenseite der Form, die er benutzt verorten.« (Luhmann 1998: 1118) In Bezug auf die reflexive Unterscheidung von Systemtheorie/Nicht-Systemtheorie verortet sich die systemtheoretische Beobachterin immer auf der Seite der Systemtheorie; in Bezug auf die Unterscheidung von Gesellschaft und ihrer Umwelt (Luhmann 1987d: 153ff.; 1996c), immer in der Gesellschaft. Die Systemtheorie wirkt durch diesen Formalismus einerseits sehr stabil (so z.B. Luhmann 1987e: 33f.). Als Subjekt der Theorie wird nur ein theorieimmanenter Ort adressiert, den Einzelne zwar beziehen können, indem sie sich adressieren lassen und damit den Anweisungen der Theorie Folge leisten, in dem sie aber niemals aufgehen können, weil die Theorie sie nicht als Einzelne anerkennt. Gleichzeitig gesteht die Theorie diesem Ort der Person aber, insofern er bezogen wird, ein Irritationspotenzial für das System zu, weil Personen als Identitätsmarken entscheidend für die systemimmanente Notwendigkeit der Anschlusskommunikation sind. »›Person‹ hier wie auch sonst verstanden als Identitätsmarken, auf die im Kommunikationsprozeß Bezug genommen wird, im Unterschied zu den jeweils faktisch in der Umwelt ablaufenden zellulären, organischen und psychischen Prozessen.« (Luhmann 1998: 620) Hier wird einerseits deutlich, dass das Subjekt der Theorie, als Person der Theorie selbst, als Adressat dient. Andererseits können Kommunikationen, Adressierungen, Personalisierungen scheitern und dem Subjekt der Theorie wird als Person das Vermögen zugeschrieben, die Theorie zu ändern (Opitz 2013: 58f.). Kurz: Mit der Adressierung des Subjekts der Theorie eröffnet sich eine theorieimmanente Praxis zwischen Persistenz und Veränderung. Diese theorieimmanente Praxis kann auf ambivalente Weise stabilisierend und transformierend wirken. Ich werde dies an zwei Textpassagen innerhalb der Systemtheorie erläutern. Zur stabilisierenden Wirkung: Wie sehr die Praxis der Theorie das Subjekt der Theorie bedingt und damit die harten Grenzen und letzen Konsequenzen der Theorie aufzeigt, wird am Ende des ersten Bandes von Die Gesellschaft der Gesellschaft deutlich. Ich zitiere hier ein Beispiel dafür, wie sich die Theorie über eine IchPerson selbst adressiert: »Das alles geschieht in einer Gegenwart und in einer gleichzeitig (und insofern unbeeinflußbar) vorhandenen Welt. Ein solches System braucht für seine operative Reproduktion zunächst keine Geschichte. Ich, der ich beim Schreiben dieses Buches an dieser Stelle angelangt bin, brauche nur den nächsten Satz zu finden. Hier ist er.« (Luhmann 1998: 569). Hierin kommt die Bedingtheit des Subjekts der Systemtheorie zu ihrem vollen Ausdruck. Dieses Subjekt erschließt sich die Welt durch aktive Beobachtungen und
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macht auf diese Weise Erfahrungen, die durch die eigenen Beobachtungsmöglichkeiten bedingt sind (Brunkhorst 1990a: 136). Die Praxis der Systemtheorie, deren Anschauungsform bei der radikalen Kontingenz und Unordnung des Sozialen beginnt, setzt ein Subjekt voraus und bringt damit ein Subjekt hervor, das einzig an der Reduktion von Komplexität interessiert ist (Luhmann 1971: 292ff.; 1974a: 260; Buber 1973b: 128; siehe in historischer Betrachtung Felsch 2016: 223f.) und alleine aus diesem Grund für Anschlusskommunikation sorgt. Dieses Subjekt landet im Theoriemachen immer wieder bei systemischen Notwendigkeiten und nicht zuletzt bei festen Ordnungen, glatten Grenzen und klar getrennten Ebenen (Leanza 2014a; anders, weil philosophisch Clam 2002: 29; und literaturwissenschaftlich Marius/Jahraus 1997: 69ff.). Diese klaren Grenzen finden sich nicht nur auf der Gegenstandsebene, sondern beziehen sich besonders auf die klaren Grenzen der eigenen Anschauung. Zur transformativen Wirkung und damit drittens: zur Möglichkeit, über das Subjekt der Theorie Theorieentwicklung anzustoßen: Zwar erscheint die Praxis der Theorie allmächtig, aber insofern das Subjekt der Theorie eine Person innerhalb der Theorie ist, nimmt diese Person eine ambivalente Position ein. Die ironische Brechung im obigen Zitat (Luhmann 1998: 569) ist unverkennbar und verweist auf die Freiheit des Subjekts der Theorie. Dieses Subjekt der Systemtheorie ist nicht nur jener Nicht-Ort, in dem Kommunikationsadressaten – sofern sie interessierte Hörer und Leser sind – zu Produzenten des Textes und ihrer selbst werden (de Certeau 1988: 306). Im Sinne der Selbstanwendung der Theorie ist dieses Subjekt immer auch der Ort des Autors, ohne dass Autor und Adressat gleichzusetzen wären. Vielmehr faltet sich die Differenz zwischen Autor und Leser hier auf eine Weise, die eine hierarchische und lineare Beziehung zwischen ihnen unmöglich macht und Verstehen und Mitteilung nur noch in Juxtaposition voneinander trennt. Das Subjekt der Theorie steht damit mindestens vor den von Luhmann (1981b) skizzierten Problemen einer theorieeigenen Sprache. In dieser ambivalenten Positionierung des Subjekts der Theorie als Autor und Adressat entsteht ein Möglichkeitsüberschuss (Opitz 2013: 59), weil Unverständnis und Missverständnis und Irritabilität mit der Person (Fuchs 2004: 129f.) immanent in die Theorieentwicklung eingebaut sind: »Für die sprachliche Inanspruchnahme von Aufmerksamkeit des Hörers und Lesers steht nur eine ganz kurze Zeitspanne zur Verfügung; nur ein kleines Zeitvolumen kann man mit Worten, Gedanken, Assoziationen füllen, dann muß man loslassen und sich auf das Gedächtnis des Partners verlassen können. Aber wie kann man wissen oder durch Sprachsignale steuern, was er in welchem Moment reaktualisiert? Wie kann man verhindern, daß theoriefremde Begriffstraditionen oder Vorurteile laufend wieder einrasten? All das erfordert hohe Textverdichtung. Manchmal helfen Wortkompressionen. Aber dann hat man das Problem, daß der Leser zu schnell liest und der Hörer zu langsam hört. Also muß auch die Satz-
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form glatt, elegant, überraschungsträchtig und doch vertraut sein, um die Aufmerksamkeit einzuspannen und dem Duktus der Theorieaussage anzupassen.« (Luhmann 1981b: 176; siehe auch Luhmann 1998: 1129; 2009: 17ff.) Die Systemtheorie operiert also so, dass sie mit dem Missverständnis der Hörer und Leser rechnet, die wiederum Teil der demokratischen Mitbestimmungsprosa sind, sobald sie etwas (miss)verstehen (zur operativen Gleichheit von Verstehen und Missverstehen siehe Luhmann 1995c: 115). Um es plakativ zu verdeutlichen: Auch Luhmann, der die oben zitierten Sätze in theorieeigener Sprache schreibt, ist Adressat und damit Hörer und Leser der Theorie. Mit dieser für das System konstitutiven Möglichkeit systemimmanenter Missverständnisse wird die Systemtheorie ihrer eigenen Unwahrscheinlichkeit gerecht. Die tautologische Argumentation, dass die Theorie sich selbst schreiben würde, wird hier durch eine Verzeitlichung enttautologisiert (Luhmann 2017: 11; zu beobachten bei Fuchs 2004: 7f.). Das System der Systemtheorie entwickelt eben eine Geschichte, stellt Vertrautheit zu sich selbst her, operiert in Episoden, hat eine Evolution und ist ein System in einer interdependenten Umwelt (Luhmann 1981d: 21; 1987b: 255; 1992c: 669f.; 1998: 569, 1136-1139; Brunkhorst 1990a: 142f.). In Beziehung zu dieser Umwelt gewinnen dann auch wieder Einzelne an Bedeutung. Luhmann selbst gibt über die Mühen Auskunft, die die Praxis der Theorie mit der Voraussetzung eines spezifischen Subjekts der Theorie von ihm abverlangt, und deutet damit auf die nie enden wollende Unterwerfung hin, die die Subjektivierung Einzelner bedeutet. Er spricht in Systemtheoretische Argumentationen davon, dass das Durchhalten der eigenen Begrifflichkeiten über unterschiedliche Sachverhalte, aber auch über eine Zeit hinweg, für ihn eine Überanstrengung bedeute (Luhmann 1971: 291). Die Systemtheorie entwickelt sich also in einer autologischen Zirkulation und Wiederholung der eigenen Begrifflichkeiten, die einer Transformation unterworfen sind, weil sie über die autoreflexiven und autoiterativen Adressierungen einer Person laufen, die gleichzeitig Autor und Adressat der Theorie ist. Luhmann (1998: 1146; siehe auch 1993b: 78ff.; 2005: 333) fasst diesen postmodernen Zeitkern der Systemtheorie am Ende von Die Gesellschaft der Gesellschaft zusammen: »Komplexität entsteht hier nicht durch Versuche, die Welt einigermaßen sachgemäß abzubilden, sondern durch wiederholende Operationen, die an einen selbsterzeugten Ausgangszustand anknüpfen und diesen mit jeder Operation als Ausgangspunkt für weitere Operationen fortschreiben. Hierbei wird dann die Zeit, die solche Verschiebungen im selben System ermöglicht, zur entscheidenden Variable, und Unvorhersehbarkeit ist die gleichsam zeitgemäße Folge einer Sequenz solcher Rekursionen.« Hiermit beende ich den beispielhaften Nachvollzug der systemtheoretischen Sozialtheorie. Zusammenfassend kann aus einer Teilnehmerperspektive formuliert
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werden, dass Operationen sich innerhalb der Systemtheorie als Rekurs auf eine theorieimmanente Autoren-Person und im Hinblick auf eine theorieimmanente Leser-Person als Adressat vollziehen. Das Subjekt der Theorie ist der Ort, an dem diese Personen zusammenfallen. Dies geschieht, wenn die Systemtheorie sich selbst reflektiert und das Subjekt der Theorie der Nicht-Ort ist, in dem AutorPerson und Leser-Person zusammenfallen. In einer Theaterperspektive, mit der die Systemtheorie auf sich selbst schaut, kann damit Folgendes gezeigt werden: Die Praxis der Systemtheorie ist in ihrer Selbstbeschreibung eine autologische kommunikative Operation, die eine Person als Subjekt der Theorie gleichermaßen voraussetzt wie hervorbringt. Diese Person ist als Identifikation (Luhmann 1995a: 148; siehe zur Verbindung von Selbstthematisierung und Identität auch Luhmann 2017: 915f.) einerseits vorläufiger Endpunkt der Theorie und Kommunikationsadressat. In der Selbstthematisierung der Theorie kann dieser Endpunkt aber andererseits als Autor der Theorie adressiert werden. Diese Person ist dann in einer paradoxen Wendung das andere Selbst der Theorie. Die Systemtheorie schafft mit dem Identitätsmarker Person einen paradoxen Ort der Gleichzeitigkeit von Autor der Theorie und Adressat der Theorie. Diese Paradoxie lässt sich durch eine Verzeitlichung des Theoriemachens auflösen, ist aber gleichzeitig für die Chance auf theorieimmanente Missverständnisse konstitutiv – und damit für das Machen der Theorie und die Theorieentwicklung. In Bezug auf das andere Selbst muss die Theorie sich vorsehen und umsehen. Dieses andere Selbst kann für systemimmanente Missverständnisse sorgen. Damit baut die Systemtheorie die Möglichkeit des Scheiterns der eigenen Kommunikation in die systemtheoretische Operation ein. Dabei ist sie, wie jedes System auf seine Umwelt, also auf Einzelne angewiesen. Nur wenn der paradoxe Ort dieses Subjekts bezogen wird, zeigen sich in der Teilnehmerperspektive die Kontingenz der systemtheoretischen Operationen und die Freiheit innerhalb der Bedingungen, die durch die soziologische Theorie zum Ausdruck gekommen sind. Diese Ambivalenz zwischen Stabilisierung und Transformation zeichnet die Regierung durch die Systemtheorie aus. Der praxistheoretische Selbstvollzug der Sozialtheorie Auch bei Bourdieu wird die Praxis der Theorie, in ihrer bedingten Freiheit, sozialtheoretisch reflektiert (so z.B. Bourdieu 1997). In Selbstbeschreibungen der Praxistheorie ist deutlich zu erkennen, dass die Theorie sich selbst als Praxis versteht. So spricht Bourdieu explizit von der Praxis der Theorie (Bourdieu/Wacquant 2013: 220, siehe auch Bourdieu 1997) und benennt Ideen, Kategorien, Konzepte, Denkschemata und Anschauungsformen als praktische Prinzipien wissenschaftlichen Handelns (z.B. Bourdieu 2004a: 135; 2004e: 51; siehe auch Eribon 2018: 111ff.). Zwar teilen die System- und Praxistheorie damit das Kriterium des Nachvollzugs der eigenen Sozialtheorie, die praxistheoretische Reflexion auf die eigene Praxis formiert sich
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aber auf andere Weise als in der Systemtheorie und setzt damit auch ein anderes Subjekt voraus. Statt eines Subjekts mit der Lizenz zum autologischen Forschen handelt es sich bei Bourdieu um das Subjekt mit der Disposition zur teilnehmenden Objektivierung. Es geht dieser Reflexionsform der Theorie um die tiefgreifende Objektivierung der eigenen Vorverständnisse, die die Theorie erst ermöglichen (Bourdieu 1997: 780). Vorverständnisse, Intentionen und Prinzipien haben damit eine ambivalente Bedeutung. Sie sind einerseits konstitutive Bedingungen für die Praxis der Theorie und damit für praxistheoretische Wahrnehmung und Erkenntnis. Andererseits sind sie, als Gegenstand der teilnehmenden Objektivierung, zu beseitigende Blockaden für wissenschaftliche Erkenntnisse. Um zu verstehen, welche grundlegende und gleichzeitig überschreitende Bedeutung die teilnehmende Objektivierung für die Praxistheorie hat, ist zuallererst zu beachten, dass eine vollständige teilnehmende Objektivierung, als Subjekt der Theorie, ein unerreichbarer Ort ist: »Was ich die teilnehmende Objektivierung nenne (nicht zu verwechseln mit der ›teilnehmenden Beobachtung‹), ist wahrscheinlich die schwierigste Übung überhaupt, weil sie den Bruch mit den tiefsten und am wenigsten bewußten Einverständigkeiten und Überzeugungen erfordert – oft gerade mit denjenigen, die das untersuchte Objekt für den, der es untersucht, ›interessant‹ machen –, mit all dem, was er von seinem Bezug zu dem Objekt, das er erkennen möchte, am wenigsten wissen will. Die schwierigste, aber auch notwendigste, weil sich, wie ich in Homo academicus darzustellen versucht habe, die Objektivierungsarbeit in diesem Falle auf ein ganz besonderes Objekt bezieht, in das implizit manche der mächtigsten sozialen Determinanten und Prinzipien der Wahrnehmung jedes nur möglichen Objekts selbst eingegangen sind« (Bourdieu 2013a: 287). An der Unmöglichkeit einer vollständigen teilnehmenden Objektivierung wird deutlich, dass mit einer solchen teilnehmenden Selbstobjektivierung (Bourdieu 2002: 11) das Subjekt der Theorie gleichermaßen vorausgesetzt wie auch hergestellt wird. Als notwendigste Übung ist sie die Möglichkeitsbedingung für die Theorie. Als schwierigste Übung ist sie das nie erreichbare Ziel der gesamten Theorie. Die teilnehmende Objektivierung richtet sich demnach nicht gegen die Theorie selbst. An einer viel zitierten Stelle macht Bourdieu (Bourdieu/Wacquant 2013: 101) klar, dass es in der teilnehmenden Objektivierung um eine Grenzhaltung geht: »Daraus folgt nun nicht, daß die theoretische Erkenntnis nichts taugt, sondern nur, daß man ihre Grenzen kennen und jedem wissenschaftlichen Bericht einen Bericht über die Grenzen von wissenschaftlichen Berichten beigeben muß: Die wissenschaftliche Erkenntnis verdankt eine ganze Reihe ihrer wesentlichen Merk-
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male der Tatsache, daß die Bedingungen ihrer Produktion nicht die Bedingungen der Praxis sind.« Praxis und Theorie stehen sich also nicht unversöhnlich gegenüber, sind aber doch getrennt. Und es gibt, so meine These, theoretische Bedingungen für die Praxis der Theorie, die sich von den institutionellen Bedingungen des akademischen Feldes unterscheiden, aber dadurch nicht weniger praktisch sind. Praxis der Theorie und Praxistheorie ermöglichen sich demnach gegenseitig durch eine Wechselwirkung, die sich zeitlich in einen potenziell unendlichen Regress entfaltet. Jedem Bericht über einen wissenschaftlichen Bericht wäre ein weiterer Bericht beizufügen usw. usf. Da die teilnehmende Objektivierung damit nie abgeschlossen ist und es sich bei ihr um kein individuelles, sondern ein kollektives Unternehmen handelt (Bourdieu 1998b: 57ff.; Wacquant 2013: 62f.), kann ich an dieser Stelle in die Praxistheorie einsteigen. Ich befinde mich damit an einem theorieimmanenten Ort, insofern ich nun einen Bericht über die Grenzen praxistheoretischer Berichte schreibe. Ich gehe hierzu auf die sozialtheoretischen Grundannahmen der Habitustheorie ein, um anschließend zu fragen, wie sich eine teilnehmende Objektivierung, die immer auch sozialtheoretisch ist, auf dieser theoretischen Ebene vollzieht. Danach werde ich anhand der historischen Selbstreferenzialität der Praxistheorie aufzeigen, wie sich aus der teilnehmenden Objektivierung Entwicklungsmöglichkeiten für die Theorie ergeben. Abschließend werde ich das Subjekt der Theorie als gespaltenen Habitus beschreiben. Um den theoretischen Stellenwert dieser Übung, der teilnehmenden Objektivierung, zu begreifen, ist ihre enge Verknüpfung mit der Theorie des Habitus hervorzuheben. Dies wird besonders deutlich, wenn ich frage, wie ich mich in der Praxistheorie reflektieren kann. Das Subjekt der Theorie besitzt eine Position innerhalb des akademischen Feldes und seine Wahrnehmung wird nicht nur durch diese Positionalität, sondern auch durch die Kategorien und Institutionalisierungen der soziologischen Arbeit und der sozialen Welt bestimmt (Bourdieu 2004e: 32-44; 2013a: 287; 2014f: 53). Diese Bedingtheit der Theorie verweist auf den Habitus des Theoretisierenden. Den Habitus bestimmt Bourdieu in seinen frühen Studien wie folgt: »Das derart Einverleibte [gemeint ist der Habitus, C.H.) findet sich jenseits des Bewußtseinsprozesses angesiedelt, also geschützt vor absichtlichen und überlegten Transformationen, geschützt selbst noch davor, explizit gemacht zu werden: Nichts erscheint unaussprechlicher, unkommunizierbarer, unersetzlicher, unnachahmlicher und dadurch kostbarer als die einverleibten, zu Körpern gemachten Werte« (Bourdieu 1976: 200). Der Habitus ist für die Praxistheorie eine unhintergehbare sozialtheoretische Kategorie. Sie wird daher auch in der teilnehmenden Objektivierung genutzt. Theo-
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retiker weisen, wie alle Akteure, die eine Position in einem Feld einnehmen, einen solchen Habitus auf. Ich interessiere mich nun im Besonderen dafür, wie es innerhalb der Praxis der Theorie zur Inkorporation von Theorie kommt (Bourdieu 2004e: 40, 42, 51; zu Habitus, Paradigma und Theorie siehe Otte 1996). Das Besondere dieses wissenschaftlich-theoretischen Habitus ist im Gegensatz zu anderen, dass das wissenschaftliche Feld, auf dem sich seine Passgenauigkeit erweisen muss, einerseits extrem formalisiert und andererseits langwierig ist (Bourdieu 2004e: 35). Bourdieu führt zur Illustration das Beispiel eines Mathematikers an: »In other words, a twenty-year-old mathematician can have twenty centuries of mathematics in his mind because formalization makes it possible to acquire accumulated products of non-automatic inventions, in the form of logical automatism that have become practical automatisms.« Die teilnehmende Objektivierung vollzieht sich auf der Ebene der Sozialtheorie des Habitus, weil sie eine Reflexion auf genau diese bedingte Freiheit von Wissenschaftlern ist, die immer durch ihre eigenen inkorporierten Klassifikationen und Theorien eine habituelle Relation zu ihrem Habitat eingehen. Der Zweck der teilnehmenden Objektivierung ist dabei zunächst die Befreiung von eigenen Vorverständnissen, die den Forschungsprozess bestimmen, und zwar indem man die Determinanten des eigenen Forschens erkennt (Bourdieu 2013a: 289-294; 2014b: 40-44). Damit wird klar, dass diese Reflexion gerade nicht darauf hinauslaufen soll, die eigenen Dispositionen als ausnahmslos strukturierte Eigenschaften zu entlarven. Vielmehr ist es für die teilnehmende Objektivierung eine Bedingungsmöglichkeit, anzunehmen, dass zwar auch wissenschaftliche Erkenntnis durch ihre Position innerhalb der Gesellschaft und ihre Relation zu anderen Positionen bestimmt ist, dass dies aber nicht in einen Determinismus führt, der der wissenschaftlichen Erkenntnis jede Freiheit abspricht (Bourdieu 2004e: 60; 2014b: 43-45; siehe auch Daniel 2004: 190ff.). Umgekehrt gilt aber auch: Würde die Praxis der Theorie einzig und unbedingt von der Freiheit der Theoretikerinnen bestimmt sein, wäre eine teilnehmende Objektivierung überflüssig, weil es kein inkorporiertes, präreflexives Wissen gäbe, dass die Praxis der Theorie bestimmt. Dass dies betont werden muss, begründet Bourdieu (2004e: 60) in Abgrenzung zu einer übermäßig philosophischen Lesart der Soziologie folgendermaßen: »This is said – without entering into philosophical discussions on determinism and freedom – to remind philosophers and sociologists who like to see themselves as philosophers that what we say is often more complicated than what they say about what we say – and perhaps even more than what they say in most complicated things that they believe they think about freedom.« In der teilnehmenden Objektivierung analysieren Theoretiker also unter anderem ihren eigenen Habitus. Wie genau vollzieht sich aber die teilnehmende Objektivie-
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rung? Es handelt sich bei ihr, wie sich zeigen wird, um einen Vorgang, bei dem sich die Objektivierungsarbeit (Bourdieu 2013a: 287) paradoxerweise auf sich selbst richtet. Paradox erscheint diese Arbeit, insofern das Subjekt der Theorie in der teilnehmenden Objektivierung nicht einfach zum Objekt wird, sondern gleichermaßen als Subjekt und Objekt in die Praxis der Objektivierung eingebunden ist. Das linear hierarchische Verhältnis von Subjekt und Objekt wird also so gefaltet, dass sich das Subjekt der Theorie und das Objekt der teilnehmenden Objektivierung in Juxtaposition zueinander befinden. Bereits in dem frühen wissenschaftstheoretischen und wissenschaftssoziologischen Werk Soziologie als Beruf (Bourdieu/Chamboredon/Passeron 1991) wird deutlich, dass mittels der teilnehmenden Objektivierung der Habitus des Theoretisierenden mit den eigenen Begriffen objektiviert werden soll. Hier richtet sich die Objektivierungsarbeit von Bourdieu, Chamboredon und Passeron (1991: 6) auf die Grundlagen der soziologischen Denk- und Anschauungsformen, die in der alltäglichen Forschung stattfinden: »in der genuin soziologischen Arbeit des Soziologen oder, genauer, im ›Métier‹ des Soziologen, d.h. jenem Habitus, der als ein System von mehr oder weniger unter Kontrolle gebrachter und mehr oder weniger übertragbarer Schemata nichts anderes darstellt als die Verinnerlichung der Prinzipien der Theorie soziologischer Erkenntnis.« Sozialtheoretisch handelt es sich bei dem Subjekt der Theorie also um ein Subjekt, das durch Übungen und Training die Fähigkeiten erwirbt, den eigenen Habitus zu reflektieren (Bourdieu/Chamboredon/Passeron 1991: 6). Dieses Subjekt wird sich einerseits zwar emanzipativ seiner eigenen Habitualisierung – z.B. durch den Begriff Habitus – bewusst. Gleichzeitig ist zu beobachten, wie sich dieses Subjekt umso stärker an seine Objektivierungsinstrumente – z.B. den Begriff des Habitus – bindet und damit durch die eigene Theorie bedingt wird. Dies ist die Folge des paradoxen Unterfangens der teilnehmenden Objektivierung und ihrer Verknüpfung mit der habituellen Strukturierung des Köpers, die theoretisch reflektiert werden kann, obwohl sie sich eigentlich unbewusst und ohne jede theoretische Reflexion (Bourdieu 1976: 199) vollzieht. Die ganze Komplexität dieses Unterfangens wird in Bourdieus letzter Vorlesung Science of Science and Reflexivity (2004e: 39-40) deutlich: »Practice is always underestimated and under-analysed, and yet understanding it requires much theoretical competence, much more, paradoxically, than understanding a theory. One has to avoid reducing practices to the idea one has of them when one’s only experience of them is logical. […] The scientific field is, like other fields, the site of practical logics, but the difference is that the scientific habitus is a realized, embodied theory.« Mit Bourdieu wird die theoretische Erkenntnis zwar durch die objektiven sozialen Verhältnisse und das akademische Feld bestimmt und ist damit durch ihre Umwelt
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bedingt. In der Teilnehmerperspektive und im Nachvollzug der Praxistheorie wird jedoch schnell deutlich, dass die Einübung der teilnehmenden Objektivierung, als subjektive theorieimmanente Praxis, das relativ autonome Agieren im Möglichkeitsraum soziologischer Theorie schafft. Weil aber auch die Praxis der teilnehmenden Objektivierung eine objektive Struktur hat, wird in diesem Zusammenhang die bedingte Freiheit des Theoretisierens besonders deutlich. Ich werde dieses ambivalente Verhältnis von theoretischer Freiheit und der Bedingtheit der Praxis der Theorie in einem historischen Blick auf das Werk Bourdieus – mit Bourdieu – nachweisen. Als Startpunkt des Lehrwerks Soziologie als Beruf dient Bourdieu, Chamboredon und Passeron (1991: 2) die Feststellung, dass noch die Theorie der Theorie nicht von der theoretischen und forschenden Praxis zu trennen ist. Die reflexiv angelegte Sozialtheorie Bourdieus, die sich emanzipativen Zielen verpflichtet fühlt, zwingt also geradezu dazu, auch das Selbst der Praxistheorie als ein Selbst in Praxis zu objektivieren. »Unanalysiert bleibt bei jeder (subjektivistischen wie objektivistischen) wissenschaftlichen Analyse das subjektive Verhältnis des Wissenschaftlers zur Sozialwelt und das objektive (soziale) Verhältnis als Voraussetzung dieses subjektiven Verhältnisses.« (Bourdieu 2014f: 56) Diese Unanalysierbarkeit der eigenen wissenschaftlichen Praxis im Moment ihrer Ausübung führt dazu, dass die Paradoxie der teilnehmenden Objektivierung sich nur durch eine Verzeitlichung auflösen lässt. Dies zeigt sich auch darin, dass methodologische Überlegungen bei Bourdieu mitunter am Ende seiner Arbeiten stattfinden. So z.B. im Kapitel Verstehen in Das Elend der Welt (Bourdieu et al. 1997) in dem Bourdieu (1997: 779) versucht die Intentionen und Prinzipien offenzulegen, die in der Forschungsarbeit angewandt wurden. Deutlich wird hier, dass Intentionen sowohl Medium der Erkenntnis, als auch Erkenntnisblockade sind (Bourdieu 1997: 791). Auch das 1991, im Anschluss an die deutsche Veröffentlichung von Soziologie als Beruf (Bourdieu/Chamboredon/Passeron 1991), geführte Interview (Bourdieu 1991) erfüllt eine solche Funktion. Wie genau läuft diese Verzeitlichung ab? Das Subjekt der teilnehmenden Objektivierung ist in einem ersten Schritt dazu angehalten, seine eigene Bedingtheit durch die Verteilung von Ressourcen, durch die Institutionen und Positionen im Feld und durch den eigenen inkorporierten Habitus zu kritisieren. Dabei erlangt das Subjekt der Theorie in einem zweiten Schritt subjektive Freiheiten, die gleichzeitig bereits Voraussetzung für die teilnehmende Objektivierung waren. In der Retrospektive auf seine Arbeiten zur bäuerlichen Gesellschaft schreibt Bourdieu (2008: 13-14) entsprechend: »Wenn der Soziologe, der den dritten Artikel geschrieben hat, nicht viel gemein hat mit dem, der den ersten Artikel verfasste, dann vor allem, weil er sich durch
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eine Forschungsarbeit entwickelt hat, die es ihm erlaubte, sich intellektuell und emotional dem zweifelsohne dunkelsten und ursprünglichsten Teil seiner selbst wieder zu bemächtigen. Auch dank dieser anamnetischen Objektivierung konnte er bei seiner Wiederaufnahme des früheren Gegenstandes die unverzichtbaren Gewinne einer Forschung einbringen, die, zumindest indirekt, das Subjekt der Forschung zum Objekt machte, und die in allen späteren Arbeiten erworbenen Mittel, die seine anfängliche Aussöhnung mit der belasteten Vergangenheit erleichtert haben.« Bourdieu beschreibt damit einen Teil der Trajektorie eines Soziologen, der er selbst einmal war. Sie erweist sich als ein diskontinuierliche Flugbahn durch die Geschichte des wissenschaftlichen Feldes (zum Begriff der Trajektorie im wissenschaftlichen Feld siehe Bourdieu 2004e: 60; Schultheis 2002: 149). Die teilnehmende Objektivierung wirkt dabei so auf diese Flugbahn ein, dass sie nicht mehr entlang der (scheinbar natürlichen) Gesetze des Feldes verläuft, auf dem sie sich vollzieht (dies unterscheidet den Begriff der Trajektorie von dem common sense-Begriff der Lebensgeschichte nach Bourdieu 1998a: 75ff.; siehe auch Eribon 2018: 154ff.). Aufgrund des theorieimmanenten Imperativs – Objektiviere dich selbst –, der gleichzeitig eine Notwendigkeit für die Praxis der Theorie und das Ziel der Theorie vorgibt, vollzieht sich die Selbstreflexion der teilnehmenden Objektivierung als Distanzierung von der Welt und nicht, wie die Autologie, als eine Versenkung in die Welt. Dabei bricht das Subjekt aber nicht nur mit sich selbst. Es ist vielmehr die theoretische Distanzierung, die eine Aussöhnung mit der belasteten Vergangenheit (Bourdieu 2008: 14) erst ermöglichen kann. Der dritte Aspekt der soziologischen Differenz – die reflexive Differenz der soziologischen Theorie zu sich selbst – konstituiert sich bei Bourdieu damit als ein ambivalenter Riss, der sich durch das Subjekt der Theorie zieht. Dieser Riss spaltet durch die immer wiederholte Bewegung zwischen Aussöhnung und Distanzierung von der eigenen Geschichte den Habitus des Theoretikers. Ein solches Subjekt der Theorie, das sich in kritischer Absetzung gleichzeitig einem sozial- und erkenntnistheoretischen Subjektivismus und Objektivismus verpflichtet fühlt (Bourdieu 2014f: 49ff., Bourdieu/Chamboredon/Passeron 1991: 8f.; siehe auch Alkemeyer 2017: 42; Eribon 2017: 64), kommt immer wieder zu einem paradoxen Schluss soziologischer Selbstreflexion – ich bin nicht ich. Diese Infragestellung der für die eigene Subjektivität wesentlichen, objektiven Bedingungen des Selbst ist ein entscheidendes Merkmal der teilnehmenden Objektivierung. Dies wird insbesondere in einer negativen Abgrenzung zu reflexiven Rechtfertigungsstrategien deutlich, die nicht mehr als den Anschein von Reflexivität mit der teilnehmenden Objektivierung gemein haben. Hierzu formuliert Bourdieu (1997: 789) in Bezug auf die Widerstandsstrategien von Interviewten:
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»Eine der subtilsten Arten und Weisen, der Objektivierung Widerstand zu leisten, findet man bei denjenigen Befragten, die, indem sie ihre gesellschaftliche Nähe zum Interviewer einsetzen, eher unbewußt als bewußt versuchen, sich gegen die Objektivierung zu schützen, indem sie das Spiel scheinbar mitspielen und den Anschein einer Selbstanalyse vermitteln. Diese vorgetäuschte bereitwillige Objektivierung, diese Entmystifizierung, die auf halber Strecke stehen bleibt und deshalb doppelt mystifizierend wirkt und all die angenehmen Seiten des klaren Durchblicks vorspiegelt, ohne irgendetwas Wesentliches in Frage zu stellen, ist allem Anschein zum Trotz meilenweit von der teilnehmenden Objektivierung entfernt, im Rahmen derer der Interviewer den Befragten in seiner zugleich schmerzhaften und lohnenden Bemühung unterstützt, die gesellschaftlichen Determinanten seiner Meinungen und Handlungen mit all ihren noch so schwer einzugestehenden und auf sich zu nehmenden Aspekten an die Oberfläche zu bringen.« Auch wenn Bourdieu sich hier auf Interviewte und nicht auf Wissenschaftler bezieht, ist doch klar, dass die teilnehmende Objektivierung, also die Selbstanalyse der gesellschaftlichen Determinanten, nicht nur Wissenschaftlerinnen zur Verfügung steht. Teilnehmende Objektivierung bedeutet, die Frage nach dem »Ich« innerhalb der Praxistheorie zu stellen, ohne in einer narzisstischen Reflexion (Bourdieu 2016) zu verharren, in der ich meinen eigenen Standpunkt stärke. Die teilnehmende Objektivierung von Wissenschaftlerinnen und Anderen führt vielmehr entlang eines Risses. Auf der einen Seite ist ein »Ich«, das ich verstehen kann, weil ich mir seiner Bedingtheit bewusst geworden bin, das ich aber aus genau diesem Grund nicht mehr sein kann. Auf der anderen Seite steht ein »Ich«, das zwar seine Vergangenheit versteht und sich mit dieser aussöhnen kann, das aber gleichzeitig uneinholbar von dieser getrennt ist und sich daher selbst nicht mehr als ein mit sich identisches verstehen kann (Bourdieu 2008: 13-14). Das »Ich« der Theorie wird in einem späten Text Bourdieus damit paradoxer Weise unpersönlich-persönlich: »Ich werde daher nur so wenig von mir, von jenem individuellen ›Ich‹ jedenfalls sprechen, das Pascal ›hassenswert‹ nennt. Und wenn ich dennoch ständig von mir spreche, dann von jenem unpersönlichen Ich, das noch die persönlichsten Bekenntnisse mit Schweigen übergehen oder von dem sie gerade seines unpersönlichen Charakters wegen nichts wissen wollen. Paradoxerweise scheint heutzutage kaum etwas hassenswerter zu sein als jenes austauschbare Ich, das der Soziologe und die Sozioanalyse (und auch – aber das fällt weniger ins Auge, wird daher eher toleriert – die Psychoanalyse) enthüllt.« (Bourdieu 2013b: 45-46; zur Soziologie als gesellschaftliche Psychoanalyse siehe 2014c: 31f., 138) Das »Ich« der Theorie ist innerhalb dieser teilnehmenden Objektivierungen als die historische Gewordenheit des Autorenstandorts Pierre Bourdieu zu verstehen. Zwar ist die soziale Bedingtheit des Subjekts der Theorie ein prominentes Thema bei
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Bourdieu. Gleichzeitig dienen diese Reflexionen aber nicht nur einer substanziellen Auseinandersetzung mit der eigenen Position, sondern auch der praktischen Einübung einer spezifischen Reflexionsform – des Subjekts der teilnehmenden Objektivierung. In dieser Übung entsteht der Riss durch das Subjekt der Theorie, das sich innerhalb der Praxis der teilnehmenden Objektivierung von sich selbst abspaltet. Diese Praxis erlaubt die Suspendierung eines persönlichen »Ich« und bringt als Objektivierung ein unpersönliches Bekenntnis hervor, welches ein unpersönliches Ich voraussetzt (siehe auch Bourdieu 1997: 202; 2008: 13; 2014b: 50; Bourdieu/Chamboredon/Passeron 1991: 4; siehe auch Eribon 2018: 18ff., 95). Dieser Akt der Distanzierung ist werkgeschichtlich ein wichtiger Aspekt der Gründungsszene der bourdieuschen Habitustheorie in Algerien (Schäfer 2014b: 68). Und noch in seinen späten Meditationen schreibt Bourdieu (2013b: 11) über seine Privilegien und die Ressourcen, die er dadurch zur Hand hat: »damit sie mein Denken nicht lenken oder begrenzen können, habe ich die am schärfsten objektivierenden Erkenntnisinstrumente, die mir zu Gebote standen, immer auch als Instrumente zur Erkenntnis meiner selbst eingesetzt, und vorab meiner selbst als ›Erkenntnissubjekts‹. So habe ich viel aus den beiden Untersuchungen gelernt, die ich in sozial sehr weit auseinander liegenden Welten – dem Dorf meiner Kindheit und den Pariser Hochschulen – durchführte und die mir ermöglichten, als objektiver Beobachter einige der dunkelsten Regionen meiner eigenen Subjektivität zu erforschen. In der Tat bin ich davon überzeugt, daß nur eine Objektivierung, die sich von der Nachsichtigkeit und (Selbst-)Gefälligkeit befreit, die von intellektuellen Unternehmungen gewöhnlich erwartet und die ihnen zugestanden werden, es ermöglicht, gewisse Grenzen des Denkens – insbesondere die auf Priviligiertheit beruhenden – aufzudecken und gegen sie anzugehen« (Bourdieu 2013b: 11). Bourdieu meint mit den beiden Untersuchungen die Studie zur Ehelosigkeit in der bäuerlichen Gesellschaft (2008: 15-161) von 1962 und den Homo academicus (1988) von 1984. Sicherlich ist Bourdieus soziologischer Selbstversuch (2002) von 2001 auch in diese Reihe zu stellen, er erscheint aber nach den Meditationen (2013b) von 1997. Programmatische Auseinandersetzungen mit dem Erkenntnissubjekt der Soziologie finden sich vor allem in Soziologie als Beruf (Bourdieu/Chamboredon/Passeron 1991) von 1968 und Vom Gebrauch der Wissenschaft (1998b) von 1997. Die Praxis der teilnehmenden Objektivierung beginnt als Denkform also scheinbar bei den starren Machtverhältnissen in Stammesgesellschaften (z.B. Bourdieu 1976: 41-46) und jener ländlichen Region, der Bourdieu entstammt (2008: 10f.), bei übermächtigen Bildungsinstitutionen (Bourdieu 2002: 32), die Bourdieu selbst besuchte, und der Verteilung professoraler Positionen im akademischen Feld (Bourdieu 1988: 16ff.). So wie die Akteure dieser Untersuchungen präreflexive Praktiken in bestimmten Situationen abrufen können, wäre davon auszugehen, dass auch die theoretische
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Praxis, als eine Praxisform des Denkens, durch präreflexive Merkmale des Habitus bestimmt ist. Umgekehrt setzt die teilnehmende Objektivierung ein Subjekt voraus, das daran interessiert ist, sich selbst zu kontrollieren (Bourdieu 2008: 13), sich seiner selbst anzueignen (Bourdieu 1988: 13) und sich auf diese Weise selbst zu befreien (Bourdieu 1998b: 57; 2014b: 48). Und diese Befreiung ist nur möglich, wenn die Praxistheorie selbst beherrscht wird. »Genau das ist das Metier des Soziologen: Eine in Habitus verwandelte Theorie der soziologischen Konstruktion. Dieses Metier beherrschen, das heißt all das, was in den Grundbegriffen Habitus, Feld usw. steckt, praktisch zu beherrschen.« (Bourdieu 1991: 276) In dieser Antwort in einem Interview, das Bourdieu 22 Jahre nach der Arbeit an Soziologie als Beruf gibt und das selbst Vollzüge einer teilnehmenden Objektivierung enthält (Bourdieu 1991: 279-281), erscheint das Subjekt der Theorie deutlich. Soziologie machen heißt, durch eine in Habitus verwandelte soziologische Theorie bedingt zu sein. Es handelt sich beim Subjekt der Theorie um ein gespaltenes Subjekt, das einerseits der objektiven sozialen Welt und, auf dem akademischen Feld, den eigenen wissenschaftlichen Erkenntnisweisen unterworfen ist. Andererseits ist es durch die Beherrschung derselben Erkenntnisweisen, die auch als Unterwerfungstechniken dienen, in der Lage, neue Möglichkeitsräume für sich zu entdecken (siehe auch Bourdieu 1997: 797; 2004a: 136: 2004e: 33-35).4 Weil das Subjekt der Praxistheorie sich also über einen Riss konstituiert, wird es am besten als gespaltener Habitus beschrieben. Diesen gespaltenen Habitus beschreibt Bourdieu (2013b: 204206; zum Leiden des gespaltenen Habitus siehe auch Eribon 2018: 234ff.; RiegerLadich/Grabau 2018) allgemein wie folgt: 4
Als ein weiterer Beleg für diese These kann das Vorwort zur deutschen Ausgabe in Bourdieus Gegenfeuer dienen. Im Sinne der teilnehmenden Objektivierung erkennt Bourdieu die Bedingtheit wissenschaftlicher Arbeit durch das Ideal der Werturteilsfreiheit und damit politischer Enthaltsamkeit. Gleichzeitig sieht er, wie seine gesellschaftliche und auch akademische Position ihm neue Freiheiten gibt, die aber wiederum durch die objektive soziale Wirklichkeit in bestimmte Bahnen gelenkt werden: »Wenn ich also diese gelehrte Enthaltsamkeit aufgebe, dann hat das sicher auch mit mir selbst und meinem Werdegang zu tun: das Alter kann manchmal eine gewisse Freiheit mit sich bringen, gerade im Hinblick auf die Sorge um akademische Anerkennung. Entscheidend sind aber unsere gegenwärtigen Zustände, und all jene, die das Glück haben, ihr Leben der Erforschung der gesellschaftlichen Wirklichkeit widmen zu können, sollten ihre Zurückhaltung ablegen, um die drängenden Fragen der Zeit mit den Waffen der Wissenschaft entschlossen angehen zu können.« (Bourdieu 2004e: 17). Damit nimmt Bourdieu die Rolle des Intellektuellen an, der sich aus seiner gefestigten Position im autonomen, wissenschaftlichen Feld heraus auf das Feld der Politik begibt (Bourdieu 2004c: 96).
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»Die den objektiven Bedingungen vorgreifende Angepasstheit des Habitus ist ein Sonderfall, der (in den uns vertrauten Universen) zwar besonders häufig auftritt, den man aber nicht verallgemeinern sollte. […] Der Habitus ist weder notwendigerweise angemessen noch notwendigerweise kohärent. […] So läßt sich beobachten, daß widersprüchlichen Positionen, die auf ihre Inhaber strukturelle ›Doppelzwänge‹ ausüben können, oft zerrissene, in sich widersprüchliche Habitus entsprechen, deren innere Gespaltenheit Leiden verursacht.« Wenn also der angepasste Habitus ein Sonderfall ist (siehe auch Spoerhase 2018), ist es zunächst wahrscheinlich, dass auch die Wissenschaftlerin nicht notwendig einen kohärenten und angemessenen Habitus aufweist. Stattdessen zeigt die Ambivalenz des Subjekts der Theorie, das sich in der unabschließbaren Praxis der teilnehmenden Objektivierung immer wieder subjektiviert und objektiviert, ermächtigt und unterwirft, aussöhnt und distanziert, dass es sich bei der theoretischen Tätigkeit um einen strukturellen Doppelzwang (Bourdieu 2013b: 206) handelt, dem ein zerrissener Habitus entspricht. In Bezug auf die Praxis und das Subjekt der Praxistheorie lässt sich zusammenfassend festhalten: In der Teilnehmerperspektive wird deutlich, dass das Subjekt der Theorie die reflexive Selbstanwendung der Theorie nutzt, um sich selbst zu begründen. Damit entsteht aber das Problem, dass die Praxis der Theorie dem Subjekt der Theorie einen präreflexiven Habitus einschreibt. Mit dieser paradoxen Anforderung der Reflexion des präreflexiven Habitus sieht sich das Subjekt der Praxistheorie konfrontiert. Bourdieu (1997: 797) benennt diese Paradoxie hellsichtig im methodologischen Kapitel zum Verstehen: »Hier ist nicht der Ort, um all die Paradoxien des wissenschaftlichen Habitus zu analysieren, welcher einerseits eine Arbeit voraussetzt, die darauf abzielt, die gesellschaftlich konstituierten Grundeinstellungen mit dem Ziel ihrer Neutralisierung bewußt zu machen und auszureißen (oder besser sie zu ›ent-inkorporieren‹), und andererseits eine Arbeit – und ein Training –, das darauf abzielt, die bewußt definierten Prinzipien verschiedener Methoden zu inkorporieren, also quasi ›unbewußt‹ zu machen, wodurch sie praktisch verfügbar gemacht werden. (Der Unterschied zwischen bewußtem und unbewußtem ›Wissen‹, auf den wir hier zum Zwecke der Vermittlung zurückgreifen, ist in Wirklichkeit vollkommen künstlich und trügerisch: denn die Prinzipien der wissenschaftlichen Praxis können gleichzeitig – zu je nach Zeitpunkt und je nach dem ›Niveau‹ der Praxis unterschiedlichen Graden – im Bewußtsein präsent sein und im praktischen Vollzug als inkorporierte Disposition funktionieren.« Lösen lässt sich diese Paradoxie, die Gleichzeitigkeit von Bewusstem und Unbewusstem, nur durch eine Verzeitlichung, die sich dadurch auszeichnet, dass sich das gegenwärtige »Ich« der Theorie vom unpersönlichen vergangenen »Ich« der
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Theorie distanziert. In der Theaterperspektive wird die Funktion dieses paradoxen Vollzugs der Theorie für die Form der Theorie deutlich. Die paradoxe Form der teilnehmenden Objektivierung zeigt sich in ihrem strukturellen Doppelzwang und als ein Riss im Subjekt der Theorie. Daher handelt es sich bei diesem Subjekt um einen gespaltenen Habitus, der gerade aufgrund seiner nicht-kohärenten und nicht-angemessenen Relation zum Feld Widerstand innerhalb des akademischen Feldes ermöglicht und daher in den zu erkennenden objektiven Strukturen subjektive Handlungsmöglichkeiten schafft (Bourdieu 2002: 125 ff; siehe auch Fraser 2002: 90). Als objektiviertes Subjekt der eigenen theoretischen Arbeit wird das Subjekt der teilnehmenden Objektivierung zum marginal man (Park 1928; zur Anwendung dieser Figur in der Wissenschaftssoziologie siehe z.B. Lindner 2000: 15-47) zwischen seiner vergangenen theoretischen Kultur und der gegenwärtigen Arbeit (dies wird besonders deutlich in Bourdieu 2008: 10f.; siehe auch allgemein 2004e: 42f.). Über diese Position lässt sich allgemein Folgendes sagen: »Aufgrund seiner dualen Kultursituation verliert der marginal man jene naive Selbstgewißheit, die den in seiner Kultur festverwurzelten, bodenständigen Typus auszeichnet; mangels entsprechender Kulturtechniken ist er aber auch in der Lage, umstandslos in das neue kulturelle Milieu einzutauchen. […] In seiner Person vereinigt dieser cultural hybrid somit das Wissen und den Einblick des Eingeweihten mit der kritischen Attitüde des Außenstehenden.« (Lindner 2000: 25) Ein marginal man soziologischer Theorie, als Subjekt der Praxistheorie, müsste also ein theoretisches Wissen inkorporiert haben, das das Feld soziologischer Theorie bestimmt. Gleichzeitig muss dieses Subjekt in der Lage sein, einen Riss zu diesem Wissen zu erzeugen, der durch das Subjekt selbst geht. Dieser Riss spaltet den Habitus dieses Subjekts der Praxistheorie und ermöglicht ihm, die kritischen Attitüden des Außenstehenden einzunehmen. Nur ein solcher gespaltener Habitus kann sich sowohl die Kulturtechniken des wissenschaftlichen Betriebs als auch die anderer sozialer Felder aneignen, ohne sie ganz zu seinen zu machen, also ohne sie als das Einverleibte jenseits des eigenen Bewusstseinsprozesses zu verwenden, geschützt vor absichtlichen und überlegten Transformationen, geschützt selbst noch davor, explizit gemacht zu werden (Bourdieu 1976: 200; siehe auch Eribon 2018). In der Wissenschaft geht es ja gerade um Transformation der Bewusstseinsprozesse und Explikation der eigenen Techniken. Autologische Reflexion und teilnehmende Objektivierung Ich werde abschließend die sozialtheoretischen Selbstanwendungen der Systemund Praxistheorie formal vergleichen. Ganz allgemein konnte ich vorführen, wie soziologische Theorien ihre eigene Sozialtheorie reflexive (nach)vollziehen. Es wurde damit deutlich, dass die Theorien, die mit den Namen Luhmann und Bourdieu
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verbunden werden, zwei Bedingungen für eine immanente Kritik der Praxis der Theorie erfüllen. Sie wenden nicht nur ihre eigenen Sozialtheorie auf sich selbst an, sondern setzen ihre eigenen theoretischen Begrifflichkeiten, Kategorien und Argumentationen in einen kontingenten Zusammenhang zur bestehenden sozialen Ordnung. Neben weiteren basalen Gemeinsamkeiten sind es die Unterschiede, die ich im Folgenden in den Vordergrund meines Vergleichs stellen werde. Die reflexive Praxis der beiden soziologischen Theorien unterscheidet sich in ihrer Art und Weise der Formierung eines Subjekts der Theorie. Die autologische Reflexion der Systemtheorie und die teilnehmende Objektivierung der Praxistheorie sind also zwei Formen dieser Praxis der Theorie, die unterschiedliche Subjekte gleichermaßen voraussetzen und hervorbringen. Im Vergleich des Subjekts der Theorie bei Luhmann und Bourdieu ist zunächst zu erkennen, dass es Einzelnen in beiden Fällen unmöglich ist, den Nicht-Ort des Subjekts der Theorie zu erreichen. In Theaterperspektive erscheint das Subjekt, das die teilnehmende Objektivierung voraussetzt, als eine Realfiktion, weil es eine Entfremdung von und einen Bruch mit der Alltagswelt der forschenden Menschen voraussetzt. Diese Form ermöglicht dann Transformationen innerhalb der Praxis der Theorie. Die Transformation der Praxistheorie ist konstitutiv durch Missverhältnisse, Missklänge und Misslingen (Bourdieu 2013b: 204; siehe auch Eribon 2018: 63) bestimmt. Sie stoßen die Selbstreflexion an und schaffen durch die Differenz zwischen unpersönlichem und persönlichem Ich einen Bruch (siehe auch Spoerhase 2018: 239). Dass diese Reflexion nicht nur individuell ist, sondern sich auch auf ein Kollektiv beziehen kann, zeigt Bourdieus Reflexion auf das Verhältnis zwischen seinem vergangenen, unpersönlichen »Ich« des Soziologen und den Lesern soziologischer Texte. Der Bruch, den Bourdieu zwischen seiner Soziologie und ihren Leserinnen konstatiert, ist damit von vornherein theorieimmanent. Er schreibt: »Die Leser gehen an soziologische Texte mit der Brille ihres Habitus heran. […] Der Kommunikation zwischen dem Soziologen und seinem Leser liegt ein strukturelles Mißverständnis zugrunde.« (Bourdieu 2014b: 40). Dieses strukturelle Missverständnis verläuft nach der von mir vollzogenen sozialtheoretischen Selbstreflexion der Praxistheorie durch die Theorieproduktion selbst. Die Systemtheorie konstruiert mit der Person einen paradoxen Ort, der daher Nicht-Ort ist. Durch die Praxis der Autologie ist das Subjekt der Theorie als Person sowohl als Autor als auch als Adressat in Kommunikationszusammenhänge eingebunden. Dabei sind beide als Identitätsmarken unpersönliche Personen. Dieser Nicht-Ort schafft die Möglichkeit von theorieimmanenten Missverständnissen und ist damit konstitutiv für die Transformation der Theorie. Als Realfiktion lockt die-
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ses Subjekt der Theorie mit einem Freiheitsversprechen, das Ternes (1999: 215) als heimliche Majestät in Luhmanns Theorie beschreibt. Es handelt sich hierbei um ein Subjekt und damit um eine Realfiktion und um die »Einschränkung als Bedingung zur Erhöhung der Freiheitsgrade für die Disposition über weitere Einschränkungen. […] Man verbliebe doch in dem Denkraum, dessen Begrenzung durch die Wahl hochabstrakter Begrifflichkeiten entschieden wird. Man verbliebe, so vermute ich, im Verlies des Selbst.« (Ternes 1999: 215) Im Gegensatz zur Systemtheorie wird die Freiheit des Subjekts der Praxistheorie nicht durch eine autologische Zuwendung der Theorie zu ihrem Selbst hergestellt, sondern durch eine innere Zerrissenheit des Habitus des Soziologen. Dieser ermöglicht es den Teilnehmenden an der Praxis der Theorie, paradoxerweise in der teilnehmenden Objektivierung eine prekarisierte Position der Forschenden zu stabilisieren. Dies geschieht gerade aufgrund der direkten Verbindung vom Habitus zum Denken und zum praktischen Reflektieren (Bourdieu 2013b: 209). Den gespaltenen Habitus findet Bourdieu genau dort, wo anfangs nur eine machtvolle und notwendige Vermittlung von Feld und Habitus zu vermuten war: im Kolonialismus, bei den Erben aus großer Familie, und an Elitehochschulen (Bourdieu 2013b: 207). Und weil Bourdieu den gespaltenen Habitus, den es in der teilnehmenden Objektivierung zu methodisieren gilt, im Feld findet, ist es auch möglich, dieses Subjekt zum allgemeinen kritischen Subjekt zu erheben, das nicht auf die soziologische Theorie beschränkt ist (Bourdieu 1997: 789; 2014b: 41; kritisch Celikates 2009: 79ff.). Desweiteren weisen System- und Praxistheorie unterschiedliche Fundierungsprobleme, also unterschiedliche, notwendig scheiternde Fundierungsversuche in ihrer Praxis der Theorie auf: Während Luhmanns Denken von der totalen Kontingenz und Komplexität ausgeht und Kommunikation wie Theorie als unwahrscheinlich begreift, beginnt Bourdieus Denken bei der totalen Bedingtheit der Denk- und Wahrnehmungsschemata durch die objektive soziale Welt und hält die Emanzipation des Denkens daher für unwahrscheinlich. Gleichzeitig führt diese Bewegung dazu, dass Theorie bei Luhmann einigen wenigen vorbehalten ist (Luhmann 1981b: 176), während die teilnehmende Objektivierung bei Bourdieu durchaus als allgemeine Form der Kritik gefördert werden kann (Bourdieu 1997: 789; 792). Das bisher Gesagte erklärt die unterschiedlichen Anstrengungen beider Subjekte der Theorie: Systemtheoretisch sind vielfältige Formen von Theorie möglich, und es geht der autologischen Anstrengung darum, durch die Verankerung in der sozialen Wirklichkeit Halt zu finden und durch ein re-entry der Differenz Systemtheorie/NichtSystemtheorie auf der Seite der Systemtheorie ein hohes Maß an Persistenz zu gewinnen. Umgekehrt sieht die Praxistheorie, dass die Möglichkeiten von Theorie gesellschaftlich stark eingegrenzt werden und es geht der teilnehmenden Objektivierung um eine Loslösung von diesen Herrschaftsverhältnissen.
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Die Praxisform der Autologie setzt eine sozialtheoretische Authentizität des Subjekts der Theorie voraus, das auf dieser Theorieebene nichts über seinen Gegenstand sagen darf, was es nicht auch über sich sagen würde. Diese Zuwendung zum Gegenstand lässt sich dann nur noch ironisch brechen. Während die Autologie also eine Erkenntnislegitimation durch eine authentische Rückbindung des Subjekts der Theorie an dessen Gegenstand ist, ist die Praxisform der teilnehmenden Objektivierung als Erkenntniskritik auf die Relation zwischen Subjekt der Theorie und dessen Gegenstand gerichtet. Diese kritische Praxisform setzt ein Subjekt der Theorie voraus, das Gegenstände nur in ihrer Positionalität und damit in Relation zu anderen Gegenständen erfasst. Ein solches Subjekt muss in der Reflexion auf die eigene Relation zu dessen Gegenstand einen Bruch zu sich selbst erzeugen. Dieser Bruch erzeugt einen Riss im Habitus, dessen innere Gespaltenheit so etwas wie epistemologisches Leiden im Subjekt verursacht (Bourdieu 2013b: 204-206).5 Wer diesem Leiden ausweicht und versucht, die Reflexion zu einer angenehmen Selbstpositionierung und -legitimation zu nutzen, vollzieht in der Reflexion nur den Anschein einer teilnehmenden Objektivierung (Bourdieu 1997: 789). Von der Praxis der Theorie zu Praktiken der Subjektivierung Im Folgenden gehe ich der Frage nach, ob sich die von mir (nach)vollzogene Praxis der Theorie stabilisieren kann und somit in Praktiken der Subjektivierung übersetzt wird, die nach wie vor nur in konkreten Situationen aufgerufen werden, aber doch für eine theorieimmanente Stabilität sorgen. Beide Subjekte der Theorie wurden von mir als Nicht-Ort und Realfiktion analysiert. Das heißt, dass sie als theorieimmanente Person bzw. Habitus nicht mit den konkreten Menschen Luhmann und Bourdieu gleichzusetzen sind. Wenn ich oben und im Weiteren also von Luhmann oder Bourdieu spreche, dann geht es mir nicht um die Menschen, sondern um Namen oder Platzhalter für das Subjekt der 5
Damit wiederspreche ich einer geläufigen Kritik an Bourdieu, die Ruth Sonderegger (2010: 26) wie folgt zusammenfasst: Diese Kritik zielt darauf ab, »dass Bourdieu sich für die (Selbst)Reflexion auf habituelle Handlungsformen seitens gewöhnlicher Akteure nicht interessiert. Damit laufe Bourdieu Gefahr, ihnen das Reflektieren im emphatischen Sinn abzusprechen, wenn nicht gar das Sprechen überhaupt, das Bourdieu allzu oft als distanziertes Reflektieren beschreibe und damit per definitionem dem Soziologen vorbehalte. Damit würden gewöhnliche Akteure zu schnell zu Leidenden gestempelt, die primär leiden und ihrem Leid allenfalls reflexhaft und kaum sprachlich artikuliert Ausdruck verleihen könnten.« Ich gehe hingegen davon aus, dass das Leiden, das aus dem Missklang zwischen Habitus und Feld, zwischen vergangenen Habitualisierungen und neuen Anforderungen entsteht, die Möglichkeit für Emanzipation und Kritik eröffnet, weil sie die Herrschaft der sozialen Wirklichkeit spürbar macht (in ähnlicher Stoßrichtung Sonderegger 2016: 304). Im hypothetischen Einklang von Habitus und Feld hingegen verschwindet die Herrschaft im harmonischen Ablauf sozialer Praxis. Damit ist aber kein Lob des Leidens gemeint, denn natürlich kann jeder gespaltene Habitus existenzielle Krisen hervorbringen.
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Theorie. Was ich gemacht habe, ist, in einer tentativen Analyse dem dritten Aspekt der soziologischen Differenz, in dem sich die soziologische Theorie von sich selbst unterscheidet, nachzuspüren. Während das systemtheoretische Subjekt zirkulär auf sich selbst zurückgeworfen wird und damit ein verzeitlichtes und für die Theorie konstitutives Moment des Missverstehens innerhalb seiner eigenen Theoriegeschichte einbringt, ist das praxistheoretische Subjekt gespalten und schafft durch einen paradoxen Riss durch das Subjekt ein ebenfalls verzeitlichtes konstitutives Moment des theorieimmanenten Missverhältnisses. Es sind übrigens die Theorien selbst, die durch ihre Konzepte von Person und Habitus vorgeben, dass es sich bei diesen Subjekten der Theorie nicht um die Menschen Luhmann und Bourdieu handelt. Damit bleibt offen, wie stark die Trennung zwischen Subjekt der Theorie und diesen beiden Autoren ist. Zwar hat meine beispielhafte Analyse bereits eine gewisse Stabilität des Subjekts der Theorie über unterschiedliche zeitliche Phasen des Werks gezeigt, es bleibt aber eine offene Frage, ob sich die Subjekte der Theorie über das Werk der genannten Autoren hinaus stabilisieren können (zum Verhältnis von Subjekt und Einzelnen siehe 3.3). Dieser Argumentation liegen die beiden Annahmen zu Grunde, dass Praxisformen sich als Praktiken erstens regelhaft vollziehen und über die Zeit hinweg relativ stabil bleiben (Alkemeyer 2017: 44; Hörning 2001: 160ff.; Reckwitz 2010: 135f.) und dass die in ihnen vollzogene Subjektivierung nicht an bestimmte Menschen gebunden ist (Bourdieu 2014c: 278). Um dies zu untersuchen stelle ich folgende These auf: Die Formierung der Praxis der Theorie zu einem Subjekt der Theorie muss als theorieimmanentes Wirkungsverhältnis und damit eine Praxisform verstanden werden, wenn systemtheoretische bzw. praxistheoretische Texte unter anderer Autorenschaft ganz ähnliche Praktiken vollziehen. Wenn sich also andere Einzelne als die Menschen Niklas Luhmann und Pierre Bourdieu auf ähnliche Weise innerhalb der Praxis der Theorie subjektivieren, wenn sie sich in ihrer Subjektivierung also auf einen homologen Nicht-Ort und eine homologe Realfiktion beziehen, dann ist das Subjekt der Theorie über seinen spezifischen Entstehungskontext hinweg stabil und kann losgelöst von den Einzelnen Luhmann und Bourdieu einen Sog auf Theoriemachende entfalten. Im Folgenden werde ich also auf soziologische Selbstbeschreibungen eingehen, die unter anderer Autorenschaft stehen, in denen sich also andere Einzelne innerhalb einer Praxis der Theorie subjektivierten, um kurz zu zeigen, dass sich die oben skizzierten Praxisformen hier wiederfinden. Zur Veranschaulichung des Subjekts der Systemtheorie habe ich bereits exemplarisch auf Peter Fuchs’ (2004: 7f.) orthodoxe und Bernd Ternes’ (1999: 72-73) parodierende Auseinandersetzung mit der Autor-Person und Leser-Person in der Systemtheorie verwiesen. Am Beispiel Sven Opitz möchte ich nun zeigen, dass sich das Subjekt der Systemtheorie auch in weniger orthodoxen und gleichzeitig weniger ironischen systemtheoretischen Texten zeigt. Er schreibt mit der Absicht einer kritischen Transformation der Systemtheorie:
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»Insofern das Denken den Akt der Potenz schlechthin darstellt, wäre es demnach ein Zeichen des Gelingens, wenn die definitive Gestalt einer kritischen Systemtheorie an dieser Stelle nicht abschließend geklärt ist. Letztlich verweist das nun dargelegte Argument daher autologisch auf sich selbst. Die Möglichkeit einer Systemtheorie, die einer spezifischen Kritikaktivität Ausdruck verleiht, geht damit einher, dass sie selbst in ihrer Aktualität problematisch wird – d.h. in der Art und Weise, wie sie das Soziale sehen, wissen und sein lässt. In diesem Problematisch-Werden hat ihr Anders-Werden bereits begonnen. Nun kommt es auf die Anschlüsse an.« (Opitz 2013: 62; kritisch zu Voraussetzung der Anschlusskommunikation Fischer-Lescano 2013: 15) Es wird sofort deutlich, dass sich auch hier die Theorie gewissermaßen selbst schreibt: Auch wenn mit der Kritischen Systemtheorie (Amstutz/Fischer-Lescano 2013; siehe auch Alvear/Haker 2018; Möller/Siri 2016; Scherr 2015) neue kombinatorische Möglichkeiten (Luhmann 1987e: 12) der Systemtheorie ausprobiert werden, kann nur die intrasystemische Anschlusskommunikation über das Anders-Werden der Theorie entscheiden. Die autologische Praxis der Theorie wiederholt sich, und das systemtheoretische Subjekt wird erneut als Nicht-Ort, als Realfiktion, aufgerufen. Es wird als Person gleichermaßen vorausgesetzt wie hervorgebracht. Auf diese Weise erklärt sich auch der Untertitel des Bandes Kritische Systemtheorie. Zur Evolution einer normativen Theorie (Amstutz/Fischer-Lescano 2013). Zwischen Evolution der Systemtheorie und Systemtheorie lässt sich kein autonomes Subjekt zwischenschalten (Luhmann 1997b: 55; 1998: 569). Nachdem Luhmann (1987e: 7-14) der von ihm diagnostizierten theoretischen Resignation in der Soziologie durch eine systemtheoretische Neukonstitution begegnet ist, können theorieimmanente Komplexitätsdefizite nur durch neue systemtheoretische Komplexität beseitigt werden. Theorieimmanent steht hierfür nur eine beschleunigte theoretische Evaluation zur Verfügung. Diese versucht die kritische Systemtheorie zu erreichen, indem sie neue kombinatorische Möglichkeiten nicht ausschließt, aber doch praktiziert, was sie empfiehlt (Luhmann 1987e: 12): In der Praxis der Theorie systemtheorieimmanent bleiben. In diesem Sinne befinden sich die kritischen Systemtheoretiker innerhalb der Doxa der Systemtheorie, wenn sie Kritische Systemtheorie als Evolution einer normativen Theorie begreifen, die immer unabhängig von kleinzeitigen Beobachtern (Fuchs 1999: 37f.), also unabhängig von einzelnen Theoretikerinnen verläuft. Für die Praxistheorie kann exemplarisch auf die teilnehmende Objektivierung der Rückkehr nach Reims von Didier Eribon (2016) verwiesen werden. Es ist Eribon (2017: 58-62) selbst, der in einer weiteren Reflexion über Gesellschaft als Urteil darauf verweist, dass Bourdieus theoretisches Programm wie eine geradezu physische Kraft auf seine Denk- und Anschauungsweisen wirkte. Liest man die beiden Bücher zusammen, wird schnell deutlich, dass es sich bei der teilnehmenden Objektivierung
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um ein kollektives Unterfangen handelt (Eribon 2017: 43-57; siehe auch Bourdieu 2014b: 50f.); dass das Ziel nicht nur eine Reflexion der eigenen präreflexiven Vorannahmen ist, nicht nur eine Bewusstwerdung, sondern eine Befreiung und EntUnterwerfung ist und dass die teilnehmende Objektivierung auf Zeit angewiesen ist (Eribon 2017: 57f., 119f.; siehe auch Bourdieu 2013b: 230; dass gerade das literarische Schreiben Eribons als ein Versuch gelesen werden kann, mit der vergangenen wissenschaftlichen Praxis zu brechen, lässt sich aus Alkemeyer 2007: 24f. ableiten). Für Eribon lässt sich durch ein Wechselspiel von Nähe und Distanz (zeitlich und räumlich) die persönliche Geschichte in Verbindung zu einer kollektiven, unpersönlichen Vergangenheit setzen (Eribon 2017: 50, 60-63). Gleichzeitig werden an diesem Beispiel auch die Grenzen dieser Praxis der Theorie deutlich. Sie ist erstens unabschließbar, weil sie zeitlich zur immer wieder neuen Selbstobjektivierung auffordert und diese sich immer neuen Themenfeldern in der persönlichen und unpersönlichen Vergangenheit zuwenden kann. Sie ist zudem angewiesen auf eine gewisse räumliche und soziale Mobilität, die überhaupt Brüche zur eigenen Herkunft ermöglicht (Eribon 2017: 82ff.) Sie hat zweitens feste Grenzen, weil sie nur entlang der Begriffe Habitus, Feld und Praxis vollzogen werden kann. Eribon ist zwar in der Lage, zentrale Veränderungen in seinem Welt- und Selbstbild herbeizuführen, er verstrickt sich aber immer tiefer in die Denk- und Anschauungsformen der Praxistheorie Bourdieus. Nach dieser kurzen Einleitung werde ich anhand Eribons (2016) Rückkehr nach Reims zeigen, wie er sich als gespaltener Habitus und damit als das kritische Subjekt der Praxistheorie konstituiert. In einem ersten Schritt erkennt Eribon die eigene Bedingtheit an. Er schreibt: »Die Spuren dessen, was man in der Kindheit gewesen ist, wie man sozialisiert wurde, wirken im Erwachsenenalter fort, selbst wenn man glaubt, mit der Vergangenheit abgeschlossen zu haben«. (Eribon 2016: 12) In diesen Sätzen wird nicht nur deutlich, dass Eribon seine eigene Bedingtheit reflektiert. Vielmehr ist es nicht nur die gesellschaftliche Position, sondern auch die theoretische Perspektive, die den eigenen Habitus bestimmt. Die Rückkehr nach Reims ist ein belletristisches Buch, dessen Sprache zutiefst von der Praxistheorie durchdrungen ist, auch wenn er sich nur selten auf die theoretischen Werke Bourdieus bezieht (Eribon 2017: 60). Theorie und Praxis werden auf diese Weise getrennt und doch eng verwoben. Eribon (2016: 232) erkennt auch noch diese Verstrickung, wenn er schreibt: »Theoretische und politische Schemata gehen den Weisen, wie man sich selbst denkt, voraus, sie formen diese Weisen«. Die Rückkehr nach Reims ist demnach nicht nur ein Buch über die persönliche Vergangenheit Eribons und die kollektive Vergangenheit des französischen Arbeiter-
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milieus. Es ist auch ein Buch darüber, wie Theorie die Denk- und Anschauungsformen bestimmt. Im Anschluss an diese Erfahrung des bedingten Selbst erkennt Eribon nicht nur einen blinden Fleck seiner bisherigen theoretischen Praxis. Die Erfahrung der eigenen Bedingtheit, die eher Anstoß zur Reflexion als bewusste Reflexivität ist, führt auch zu der Voraussetzung eines Subjekts der Theorie. Diese Erfahrung drückt Eribon (2016: 22) durch das Streben nach einer Distanzierung von der eigenen Bedingtheit aus: »Meine gesamte theoretische Arbeit, sicher auch motiviert von dem Bestreben, mich selbst, meine Vergangenheit und Gegenwart zu verstehen, hatte sich auf die allem Anschein nach unabweisbare Annahme gegründet, dass der totale Bruch mit der Familie wegen meiner Homosexualität erfolgt sei […]. Aber war es nicht genau diese Annahme, die mich – neben aller Wahrheit, die zweifellos in ihr steckt, lieferte sie mir dafür eine ehrenwerte und kaum anfechtbare theoretische Rechtfertigung – dem Gedanken ausweichen ließ, dass ich ebenso sehr mit meinem Milieu als sozialer Klasse gebrochen hatte?« Auch wenn die Schilderungen Eribons sehr persönlich klingen, wird doch immer wieder deutlich, dass sich die reflexive Analyse auf einen unpersönlichen Habitus richtet, der durch den Bruch mit der eigenen Herkunft bestimmt ist (Eribon 2016: 12, 22, 44f.; 2017: 10, 16). Entsprechend konstituiert Eribon seine Reflexion durch einen gespaltenen Habitus. In Gesellschaft als Urteil (Eribon 2017: 101ff.) spricht er dann auch in der Rückschau auf die Rückkehr nach Reims von zwei »Ichs«, die beide gleichermaßen sein »Ich« sind und erst durch die Lektüre der Theorie Bourdieus zutage treten konnten (siehe auch Eribon 2018: 95). So entsteht in der praxistheoretischen Subjektivierung die unpersönliche Figur eines marginal man. Relativ schnell wird klar, dass mit der Rückkehr nach Reims gerade eine kollektive und keine individuelle Befreiung angestrebt wird, die aber immer auch eine Selbstbefreiung sein soll und, wie die Kritik bei Bourdieu, ein Subjekt mit gespaltenem Habitus voraussetzt (Eribon 2017: 67, 93). Eribon (2016: 45-46; siehe auch 231ff.) schreibt in recht allgemeinem und dennoch selbstbezüglichem Tonfall: »Der Zweck gesellschaftlicher Theorie besteht doch gerade darin, von den Handlungs- und Selbsteinschätzungslogiken der Akteure zu abstrahieren, um ihnen kollektive und individuelle Alternativen des Handelns und Wahrnehmens aufzuzeigen, damit sie ihre Rolle in der Welt nicht nur überdenken, sondern vielleicht sogar aktiv umgestalten. Um eine neue Weltsicht zu eröffnen und neue politische Perspektiven anzubieten, muss man als Erste die internalisierten Wahrnehmungs- und Bedeutungsmuster sowie die soziale Trägheit, die aus ihnen folgt, aufbrechen.« Dass auch diese Befreiungsrhetorik ihre Verwirklichung in einen Nicht-Ort verlagert, also eine fiktive Wirklichkeit mit ganz realem Sog darstellt, wird in der
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Rückkehr nach Reims gleichermaßen tragisch wie literarisch (zur Literatur als Ethnographie siehe Alkemeyer 2007; zur Literatur als Beobachtung der Wissenschaft siehe Schwanitz 2009) gelöst. Es ist der Tod des Vaters (Eribon 2016: 12; 2017: 25), bei dem die Befreiungsbewegung beginnt und es ist auch der Tod des Vaters, der die endgültige Befreiung konkret und sinnbildlich verhindert (siehe auch Eribon 2017: 15-42, 88f.). Diese Figur findet sich analog in Bourdieus (2002: 122ff.) Ein soziologischer Selbstversuch und der teilnehmenden Objektivierung des Todes seines Vaters. Eribon (2016: 237) schreibt entsprechend über die Grenzen der Befreiung aus der sozialen Welt: »Mit klammen Herzen dachte ich an ihn zurück und bedauerte, ihn nicht wiedergesehen zu haben. Nicht versucht zu haben, ihn zu verstehen. Oder mit ihm zu reden, früher. Dass ich, in der Tat, zugelassen hatte, dass mich die Gewalt der sozialen Welt überwältigte, wie sie auch ihn überwältigt hatte«. Sicherlich gilt der Einwand gegen meine Beispiele, dass es banal ist, wenn sich Argumentationsfiguren in Texten wiederholen, die sich explizit auf die Theorien von Luhmann und Bourdieu beziehen. Doch liegt gerade in dieser banalen Wiederholung die Plausibilisierung meiner These von der Praxis der Theorie als Subjektivierungsregime. Das Subjekt der Theorie, das sich in einer reflexiven Praxis der Theorie formiert, kommt zu einer gewissen Stabilität über die theoretisierenden Autoren hinweg. Gerade bei Eribon wird deutlich, dass sich die Theorie zwar substanziell verändert, da statt der sexuellen Sozialisation nun die Klasse in den Fokus rückt. Es ist sogar möglich, die Theorie so umzuformen, dass sie nicht mehr als wissenschaftlicher Aufsatz, sondern als Belletristik erscheint. Die Reflexionsform innerhalb der Praxis der Theorie bleibt aber gleich, denn es bleibt auf sozialtheoretischer Ebene bei der Form teilnehmender Objektivierung im Fall von Eribon bzw. der Autologie im Fall von Opitz, und es bleibt vor allem beim Nachvollzug der eigenen Sozialtheorie. Aus diesem Grund lässt sich die sozialtheoretische Selbstreflexion als theorieimmanente Praxisform analysieren und einer immanenten Kritik unterziehen, statt sie als singuläres Ereignis zu betrachten. Im Anschluss an diesen Nachweis unterschiedlicher Praxisformen soziologischer Theorien kann die Bedeutung einer immanenten Kritik der Praxis der Theorie noch einmal anhand der Differenz von Subjekt der Theorie und den einzelnen Theoriemachenden verdeutlicht werden (zur Differenz siehe 3.3). Selbstverständlich spielen in der reflexiven Praxis der Soziologie der Körper und das Material eine wichtige Rolle. Es ist sicher kein Zufall, dass sowohl Bourdieus erste Reflexionen auf das eigene Milieu und das eigene unpersönliche Ich als auch die Rückkehr nach Reims mit der Betrachtung des historischen Selbst auf einem Foto beginnen (Bourdieu 2002: 95; 2008: 11; Eribon 2016: 16, 231; 2017: 17ff., 82). Die obigen und kommenden beispielhaften Ausführungen verdeutlichen aber auch, dass eine immanente Kritik des Subjekts der Theorie, jenseits des Subjekts der Theoretisieren-
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den, erhellend ist, da hier recht konstante Formierungen der soziologischen Differenz nachvollzogen werden können. Alleine aufgrund ihrer Konstanz ist davon auszugehen, dass diese Formierungen, so sehr sie auch erst durch meinen theoretizistischen Blick (3.3) hervorgebracht werden, innerhalb der Praxis der Theorie reale Wirkungen entfalten. Die hier vorgelegte Analyse des Vollzugs der eigenen Sozialtheorie durch die System- und Praxistheorie zeigt, dass die Formen der sozialtheoretischen Selbstreflexionen sehr stabil sind und homolog bei anderen Autoren auftauchen. Es wurde deutlich, wie die soziologischen Sozialtheorien das Soziale nicht nur beschreiben, sondern die soziale Welt performativ hervorbringen und diese hervorgebrachte Welt dann zur Bedingung der eigenen Möglichkeit wird. Die immanente Kritik, so mein Anspruch aus den vorherigen Kapiteln (2. und 3.), muss dann versuchen, aus den Reflexionsformen selbst auszubrechen oder zumindest andere Möglichkeiten, also andere Vollzüge des Sozialen, ins Bewusstsein der Theorie zu rufen. Allerdings sind in Bezug auf die sozialtheoretischen Vollzüge weniger Alternativen, sondern leichte Variationen zu finden, wenn etwa Ternes (1999) die Systemtheorie parodiert, die kritische Systemtheorie Evolution beschleunigen will, die sich ja gerade durch Variation auszeichnet, oder wenn Eribon (2016; 2017) zweifelsohne eine persönlichere teilnehmende Objektivierung vollzieht als Bourdieu (2002). Dass es auf der Ebene der Sozialtheorie eher zu Variationen als zu Alternativen kommt, liegt daran, dass jede wirkliche Alternative bedeuten würde, sich zumindest für einen Moment aus dem Sozialen der Theorie und damit aus der Praxis der Theorie zu externalisieren. Weil in diesem Moment jeder Kontakt zum Gegenstand und zu den Problemen der Theorie verloren gehen würde (zur Sozialtheorie als Bestimmung des Gegenstandes siehe Lindemann 2009: 21), ginge mit dem Austritt aus dem Vollzug der eigenen Sozialtheorie ein Paradigmenwechsel einher. Dieser Bruch lässt sich an der Stelle beobachten, als ich vom (Nach)Vollzug der systemtheoretischen zum (Nach)Vollzug der praxistheoretischen Reflexion übergegangen bin. In meiner Analyse der sozialtheoretischen Reflexionen von System- und Praxistheorie wurde aber implizit immer deutlich, dass eine isolierte Betrachtung der Sozialtheorie kaum möglich scheint. Immer wieder steht die sozialtheoretische Reflexion in direkter Verbindung zu einer gesellschaftstheoretischen Reflexion, die eine Selbstverortung innerhalb der Wissenschaft aufdrängt. Im Folgenden werde ich diese gesellschaftstheoretische Reflexion beispielhaft nachvollziehen. Auch hier geht es darum, zu verdeutlichen, dass die soziologische Reflexion der bedingten Freiheit der Soziologie als Ausgangspunkt meiner immanenten Kritik dienen kann. Auf der gesellschaftstheoretischen Ebene zeigen sich dann am Ende meiner Analyse erheblich mehr Spielräume als auf sozialtheoretischer Ebene. Daher kann ich wirkliche Alternativen für die Selbstverortung in der Gesellschaft herausarbeiten. Ich erinnere vor diesem Ebenenwechsel von Sozialtheorie zur Gesellschafts-
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theorie daran, dass es mir nicht darum geht, die Wissenschaftlichkeit der soziologischen Theorie zu beurteilen und externe Maßstäbe anzulegen. Vielmehr will ich die immanente Formierung der soziologischen Theorie – verstanden als ambivalente Erfindung der Gesellschaft – nachvollziehen. Hier steht der erste Aspekt der soziologischen Differenz – die Unterscheidung von soziologischer Theorie und Gesellschaft (3.2) – im Vordergrund.
4.2.
Die Selbstverortung in der Gesellschaft
Die bedingte Freiheit der soziologischen Theorie wird nicht nur auf der Ebene der Sozialtheorie (4.1), sondern auch auf der Ebene der Gesellschaftstheorie (4.2.) reflektiert. Soziologische Theorien können ihre Gesellschaftstheorie aber nicht im selben Sinn vollziehen wie ihre Sozialtheorie. Sich sozialtheoretisch zu reflektieren bedeutet, sich selbst als soziales Phänomen zu begreifen und sein Selbst damit kommunikativ-systemisch (Systemtheorie) oder habituell-praktisch (Praxistheorie) zu verstehen. Auch in der Selbstreflexion auf der Ebene der Gesellschaftstheorie verstehen sich soziologische Theorien als soziales Phänomen. Der Fokus dieser Reflexion liegt aber darauf, wie das Selbst der soziologischen Theorie in die Gesellschaft eingebunden ist. Soziologische Theorien geben in solchen Selbstbeschreibungen Auskunft darüber, welche Position sie innerhalb gesellschaftlicher Großformationen einnehmen. Aus einer solchen Selbstverortung in der Gesellschaft geht besonders der erste Aspekt der soziologischen Differenz hervor – zwischen soziologischer Theorie und der Gesellschaft. Auch diese Reflexion ist aber eng verbunden mit dem zweiten Aspekt der soziologischen Differenz – zwischen soziologischen Theorien und alternativen Selbstbeschreibungen der Gesellschaft –, weil diese Alternativen aufgrund ihrer Position kritisiert werden können. Es folgt nun eine tentative Analyse der Gesellschaftstheorien von Luhmann und Bourdieu und ihrer Selbstverortung innerhalb der Gesellschaft. Unter Gesellschaftstheorie verstehe ich, erneut mit Gesa Lindemann (2009: 24), Theorien, die über gesamtgesellschaftliche Formationen aufgestellt werden. Es handelt sich um Spekulationen und Hypothesen, die sich an Theorien begrenzter Reichweite (Lindemann 2009: 23f.) orientieren. Im Verhältnis zu den analysierten Selbstbeschreibungen auf sozialtheoretischer Ebene lässt sich Folgendes festhalten: Auch wenn weder Sozialtheorien noch Gesellschaftstheorien als Fundament der jeweils anderen begriffen werden können (Lindemann 2011), so stehen sie doch in einem engen Verhältnis zueinander. Sozialtheorien bestimmen, was überhaupt als Soziales erkannt werden kann, und legen damit auch die äußeren Grenzen der Gesellschaft fest. Gesellschaftstheorie hingegen gewinnt Erkenntnisse, die nicht nur die interne Ordnung der Gesellschaft betreffen, sondern beschreibt durch ihre Erkenntnisse über gesellschaftlich-kontingente Ordnungen auch jede Theorie, inklusive der
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eigenen Sozialtheorie, als historisch kontingent. Lindemann (2009: 31; 2011) argumentiert, dass weder Sozialtheorien noch Gesellschaftstheorien das Fundament der anderen bilden können. Gesellschaftstheorien sind, sofern sie empirische Aussagen enthalten, auf eine Sozialtheorie angewiesen. Sozialtheorien müssen aber immer damit rechnen, dass sie ihre Begriffe und ihre Struktur einer bestimmten gesellschaftlichen Ordnung und Praxis verdanken. Daraus folgt für Lindemann (2011: 5) ein Verdachtsmoment, mit dem sich jede soziologische Theorie gegen sich selbst richtet: »Es ist integraler Bestandteil der eigenen Forschung, dem Verdacht nachzugehen, dass die eigenen sozialtheoretischen Konzepte gesellschaftlich kontingente Konzepte sind. Solange der Nachweis des Gegenteils nicht erbracht ist, muss es als offen gelten, ob der sozialtheoretisch konzeptuelle Zuschnitt von Daten und Theorien begrenzter Reichweite und daraus resultierende Gesellschaftstheorie eine Konstruktion darstellt, die den Gegenstand verfehlt.« Aufgrund dieser wechselseitigen Verbindung, in der Sozialtheorie und Gesellschaftstheorie sich wechselseitig bedingen, gibt es auf beiden Theorieebenen Reflexionen der bedingten Freiheit soziologischer Theorie. Dies führt dazu, dass auch auf der Ebene der Gesellschaftstheorie ein Subjekt der Theorie vorausgesetzt und gleichermaßen hervorgebracht wird. Sowohl die Systemtheorie als auch die Praxistheorie verorten sich in der Gesellschaft, indem sie sich als Teil der Wissenschaft begreifen. Dadurch binden sie sich an die Bedingungen, Mechanismen, Funktionslogiken und Aufgaben wissenschaftlicher Praxis, die sie selbst durch ihre Gesellschaftstheorie festlegen. Aus dieser Selbstverortung innerhalb der Wissenschaft, folgt also ein theorieimmanentes Urteil über den wissenschaftlichen Status der soziologischen Theorien. An dieser Bestimmung von Selbstverortung in der Gesellschaft ist leicht zu erkennen, dass sich auch Gesellschaftstheorien bestens für eine wechselseitige Kritik soziologischer Theorien eignen, dass aber auch dies immer im Modus externer Kritik passiert. Ich habe in meiner Problematisierung der Frage nach der Wissenschaftlichkeit soziologischer Theorie (2.) gezeigt, dass solche Kritik in methodologische Immunisierungen und Kommunikations- und Verständnisblockaden mündet. Weil soziologische Theorien die Gesellschaft und ihre Ordnung der Wissenschaft auf ganz unterschiedliche Art und Weise beschreiben und sich durch diese Beschreibung auf ganz unterschiedliche Art und Weise in der Wissenschaft verorten, wird eine allgemeine Aussage über die Wissenschaftlichkeit soziologischer Theorie unmöglich. In diesen Arten und Weisen der Selbstbeschreibung findet sich stattdessen ein spezifisches Subjekt der Theorie, das durch die Theorie regiert wird. Der erste Aspekt der soziologischen Differenz enthält eine grundlegende Paradoxie soziologischer Theorie. Einerseits betrachtet die Soziologie die Gesellschaft als ihren Gegenstand und distanziert sich damit durch ihre Aussagen von ihm.
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Gleichzeitig versteht sich die Soziologie als Teil der Gesellschaft und damit als Teil ihres Gegenstandes (zur Paradoxie siehe auch 2.). In der reflexiven Praxis der Selbstverortung in der Gesellschaft kommt es daher zu einer starken Angleichung von Objekt- und Metaebene (Bourdieu 1985: 49; Beck 1972: 204; Luhmann 1981d: 19; Marius/Jahraus 1997: 6). Diese Angleichung erlaubt es erst, dass sich die soziologische Theorie als Teil ihres Gegenstandes beschreibt. Dies lässt sich an einer These von Nassehi (2008: 26) verdeutlichen, der formuliert: Die »Ausdifferenzierung sozialwissenschaftlicher Disziplinen bildet letztlich wissenschaftlich ab, was gesellschaftliche Erfahrung werden sollte: dass die moderne Gesellschaft unterschiedliche Orte hervorbringt, aus deren Perspektiven sich die gesellschaftliche Dynamik unterschiedlich darstellt. […] Dieser sehr einfache, aber folgenreiche Gedanke ist vielleicht der schwierigste soziologische Gedanke: dass es die Orte sind, die uns zu Subjekten machen, und nicht die Subjekte, die Orte hervorbringen. Dies alles zusammen zu denken und nicht getrennt voneinander, dies alles als Teil einer Gesellschaft zu denken, macht vielleicht die besondere Bedeutung der Soziologie im Vergleich zu den anderen Sozialwissenschaft aus.« Hieran wird nicht nur deutlich, dass jede soziologische Theorie selbst ein Ort innerhalb der Gesellschaft ist, sondern auch, dass es bei der Selbstverortung der Soziologie (Metaebene) innerhalb der Gesellschaft (Objektebene) um das praktische Austesten der bedingten Freiheit soziologischer Theorie geht. Denn einerseits ist die soziologische Theorie wie jedes soziale Phänomen durch ihren gesellschaftlichen Ort bedingt. Andererseits ist es die soziologische Theorie selbst, die Erkenntnisse über diese Gesellschaft hervorbringt und dadurch auch Grenzen und Möglichkeiten soziologischer Theoriebildung sichtbar macht. Die systemtheoretische Selbstverortung in der Wissenschaft zieht eine normierende Asymmetrie zwischen sich und ihrer Umwelt, die um Bourdieu (1997: 781) zu paraphrasieren, darin besteht, dass die Systemtheorie bestimmt, wann das Spiel beginnt und welche Spielregeln gelten. Die Spielmetapher (siehe auch Fleck 1980: 62) eignet sich für die Betrachtung der gesellschaftlichen Selbstverortung soziologischer Theorien, weil sie sowohl der Systemtheorie als auch der Praxistheorie immanent sind. In ihr kommt die operative Theoriearchitektur beider Fälle zum Ausdruck. Luhmann (1981a: 50; siehe auch 1996a: 71) spricht davon, dass das Spiel der Theoriekonkurrenz nur mit wenigen Figuren gespielt werden würde. Bei Bourdieu (2014f: 122; in Bezug auf das wissenschaftliche Feld 2004e: 32-44) dient die Metapher vom Sinn für das Spiel als Veranschaulichung für ein nahezu ungebrochenes Passungsverhältnis von Habitus und Feld.6 Während Luhmann sich dem 6
Sowohl Luhmann als auch Bourdieu verwenden neben der Spiel-Metapher auch den Begriff des Marktes, um ihre Tätigkeit als Soziologen zu veranschaulichen, was bei Bourdieu weniger überraschen mag als bei Luhmann (Bourdieu 1997: 781; 2013b: 289; Luhmann 1996a: 71).
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systemtheoretisch entworfenen Spiel scheinbar kontemplativ hingibt, entsteht bei Bourdieu in der praktischen Forschungsarbeit allerdings ein Widersinn. In der ablehnenden Reflexion auf die eigene Forschungstätigkeit, die gegenüber ihren Gegenständen bestimmt, wann das Spiel anfängt und welche Regeln es gibt (Bourdieu 1997: 781; 2004e: 35, 50f.), kann der oben skizzierte gespaltene Habitus der teilnehmenden Objektivierung entstehen und für Missklänge auf dem Feld der Wissenschaft sorgen. Bourdieu weiß also darum, dass auch er das Spiel mitspielen (können) muss, er ist aber durchaus daran interessiert, die Regeln des Spiels und damit das Feld zu verändern (Bourdieu 2013a: 288). Die Spielmetapher sollte allerdings nicht darüber hinweg täuschen, dass es sich bei der Selbstverortung in der Gesellschaft um eine Praxis der Theorie handelt, die die Möglichkeiten der Subjektivierung nicht nur im Sinne eines Regelwerks begrenzt, sondern auch auf eine Ethik des Spiels (Pfaller 2016) verpflichtet. Diese geht zum Beispiel damit einher, dass sowohl bestimmt wird, wie gespielt werden kann, als auch vorgeschrieben wird, dass gespielt werden muss (Pfaller 2016: 31). Im Folgenden greife ich auf die ersten beiden Verfahren subversiven Argumentierens zurück (3.4). Das heißt, dass ich zeige, wie die Theorie ihre eigenen Grenzen zieht und so eine reflexive Intoleranz (3.4) entwickelt, und ich zeichne das Ideal der Theorie nach, um ihre Unmöglichkeit und manchmal auch ihre Absurdität darzustellen. An manchen Stellen mag meine Überzeichnung der Theorie wie eine Karikatur wirken, und so kann, ganz im Sinne des vierten Verfahrensbündels (3.4), auch mal subversiv gelacht werden. Die systemtheoretische Selbstverortung in der Gesellschaft In Bezug auf den Vollzug der eigenen Sozialtheorie habe ich gezeigt, dass sich die Systemtheorie zunächst als Kommunikationszusammenhang und System versteht (4.1). Die Systemtheorie beschreibt sich in diesem Nachvollzug als Theorie, ohne eine Aussage über ihren Ort in der Gesellschaft zu treffen. Theorie bildet eine Schnittstelle zwischen dem Vollzug der Sozialtheorie, in dem die Systemtheorie sich kommunikativ-systemisch versteht, und der Selbstverortung durch die Gesellschaftstheorie, in der die Systemtheorie sich als Teil der Gesellschaft begreift. Luhmann nutzt diesen Doppelcharakter der Selbstbeschreibung von Theorie als Kommunikationssystem und Theorie als Teil der Gesellschaft, um die gesellschaftstheoretische Selbstverortung der Systemtheorie zu begründen: »Mit ›Theorie‹ kann sehr Verschiedenes gemeint sein und sehr Verschiedenes beabsichtigt werden. Die folgenden Überlegungen akzeptieren für diesen Beide Metaphern bringen aber zum Ausdruck, dass sowohl die Systemtheorie als auch die Praxistheorie sich eher in einem Konkurrenzverhältnis als in einem Verhältnis wechselseitiger Kritik zu ihren Gegnern befinden (zur Differenzierung dieser Verhältnisse siehe Reitz 2016: 38f.).
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Begriff keine epistemologischen Richtlinien, geschweige denn eine aus methodologischen Gründen einzig-richtige Fassung. Solche Vorschriften gibt es nicht unabhängig von einer sozialen Wirklichkeit, die sie erzeugt und verwendet. Wenn die Absicht ist, diese soziale Wirklichkeit, die unter anderem Theorien erzeugt und verwendet, durch eine Theorie als ›soziales System‹ zu begreifen, kann diese Theorie die eigene Form nicht als gegeben oder als vorgeschrieben voraussetzen. Sie kommt zur Klarheit über sich selbst nur in der Weise, daß sie sich in ihrem eigenen Gegenstandsbereich wiederentdeckt.« (Luhmann 1981d: 11) Der Systemtheorie ist also bewusst, dass sie sowohl die soziale Wirklichkeit hervorbringt (erzeugt) als auch voraussetzt (verwendet). Das Wissen darüber, selbst soziales Erzeugnis, selbst soziale Operation zu sein, führt also zu der notwendigen Anschlussfrage, wo die Systemtheorie innerhalb der Gesellschaft ihren Ort hat und wie sie sich und damit diese Ordnung aktualisiert. Um die Selbstverortung innerhalb der Gesellschaft als Praxis der Theorie zu verstehen, werde ich nun danach fragen, wie sich die Systemtheorie in ihrem Gegenstandsbereich – der Gesellschaft – wiederentdeckt. Damit ist zunächst zu klären, was die Systemtheorie unter Gesellschaftstheorie versteht. Luhmann (1987e: 16ff.; 1998: 78ff., 812ff.; 1991b) unterscheidet mindestens drei Systemtypen7 und damit drei Systemperspektiven – Interaktion, Organisation und Gesellschaft. Entlang dieser Differenzierung, so Luhmanns Diagnose, orientieren sich die Forschungszweige der Soziologie. Gesellschaftstheorie scheint demnach alleine für einen spezifischen Systemtyp verantwortlich zu sein, doch schreibt Luhmann (1991b): »Die Systemtheorie relativiert und integriert diese verschiedenen Forschungszweige der Soziologie mit der Folge, daß es nicht mehr möglich ist, eine dieser Systemperspektiven absolut zu setzen. Selbst die Gesellschaftstheorie als Theorie des umfassenden Sozialsystems wird von hier aus in ihre Schranken verwiesen. 7
Ein weiterer Systemtyp, den Luhmann in Erwägung zieht, sind z.B. Protestbewegungen. Luhmanns (1998: 812-865) Aufteilung des vierten Kapitels von Die Gesellschaft der Gesellschaft, in dem Protestbewegungen direkt nach Interaktion und Gesellschaft und Organisation und Gesellschaft zum Thema werden, deutet darauf hin, dass es sich bei Protestbewegungen um einen eigenständigen Typ sozialer Systeme handelt. Jedoch betont Luhmann (1998: 813) im Vorfeld der aufgezählten Untersuchungen, dass Protestbewegungen nicht auf dasselbe Niveau wie Organisationen und Interaktionen zu setzen sind, und auf die Frage, ob Protestbewegungen autopoietische Systeme sind, antwortet er in einem Interview von 1994: »Ja, wenn es überhaupt Systeme sind, und wenn man sagt, alle sozialen Systeme sind autopoietische Systeme – sonst würde ich den Begriff System nicht anwenden –, dann müßte das auch auf soziale Bewegungen zutreffen, oder man müßte darauf verzichten, sie überhaupt als System, in Abgrenzung zu einer Umwelt, zu charakterisieren.« (Luhmann 1996d: 176) In der gegenwärtigen Systemtheorie werden Protestbewegungen allerdings als eigenständige Systemtypen angesehen (Tratschin 2016: 12ff.).
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Sie betrifft zwar das umfassende Ganze, muß aber erkennen, daß es niemals möglich ist, das Ganze ganz zu erforschen.« Die Gesellschaftstheorie thematisiert damit zwar die gesellschaftlichen Großformationen und damit gegenwärtig die funktional differenzierte moderne Weltgesellschaft (Luhmann 1998: 707-776; 1991b: 11f.). Allerdings sind die Funktionssysteme als gegenwärtige Ausdifferenzierung des Gegenstands der Gesellschaftstheorie – dem umfassenden Sozialsystem aller füreinander erreichbaren Kommunikationen (Luhmann 1987e: 18; 1991b: 11; 1992c: 618ff.; 1998: 80f., 600f.) – nicht losgelöst von Interaktionen und Organisationen zu beobachten. Denn einerseits werden die Systemtypen Interaktion und Organisation in die Gesellschaftstheorie integriert, weil sie immer gesellschaftsimmanente Kommunikationen sind (Luhmann 1991b: 14f.). Andererseits entsteht dadurch keine Hierarchie in dem Sinne, dass sich einzelne Interaktionen oder Organisationen bestimmten Funktionssystemen zuordnen ließen oder dass Gesellschaft ohne die anderen Systemtypen bestehen könnte. Luhmann (1998: 812) schreibt entsprechend nach einer seiner Analyse der funktionalen Differenzierung der modernen Weltgesellschaft: »Damit ist jedoch das, was in der Gesellschaft an Systemdifferenzierungen beobachtet werden kann, bei weitem nicht erschöpft. Eine Ausdifferenzierung autopoietischer Sozialsysteme kann auf der Grundlage einer schon etablierten Gesellschaft auch ohne jeden Bezug auf das Gesellschaftssystem oder seine bereits eingerichteten Teilsysteme stattfinden – einfach dadurch, daß doppelte Kontingenz erfahren wird und autopoietische Systembildung in Gang bringt. So entstehen oft ganz ephemere, triviale, kurzfristige System/Umwelt-Unterscheidungen ohne weiteren Formzwang und ohne daß die Differenz durch Bezug auf die Gesellschaft legitimiert werden kann oder muß. Die Großformen der gesellschaftlichen Teilsysteme schwimmen auf einem Meer ständig neu gebildeter und wieder aufgelöster Kleinsysteme.« Bei Interaktionen und Organisationen handelt es sich um solche Kleinsysteme. Die Aussage, dass Interaktionen und Organisationen ein Meer von Systemen bilden, auf dem die Funktionssysteme schwimmen, kann nach dem bisher Gesagten nicht strukturell interpretiert werden. Die Logik der Systemtheorie kennt in Bezug auf die Systemtypen kein Oben und Unten, es gibt keine durch Wellen und Strömungen geformte Basis, auf der sich ein schwimmender Überbau erhebt (siehe auch Luhmann 1973: 343-345). Vielmehr handelt es sich bei der Differenzierung in Interaktion, Organisation und Gesellschaft um Systemperspektiven der Systemtheorie. Getreu des ambivalenten Systembegriffs, der sowohl eine Struktur als auch eine Operation meint (4.1), ist es die Systemtheorie, die je nach Beobachtungsperspektive Kommunikationszusammenhänge als Interaktion, Organisation oder Gesellschaft beobachtet (siehe zu Interaktion und Gesellschaft Kieserling 1999: 213)
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und sich entsprechend aus unterschiedlichen Systemperspektiven selbst beobachten kann. Aus diesem Grund ist die Selbstverortung der Systemtheorie in der Gesellschaft einerseits beschränkt auf das Funktionssystem der Wissenschaft. Andererseits finden sich in den konkreten Selbstbeobachtungen der Systemtheorie zahlreiche Perspektivwechsel, so dass die systemtheoretische Selbstverortung in der Gesellschaft, als Praxis der Theorie, nicht ohne Bezug auf Interaktionen und Organisationen (nach)vollzogen werden kann.8 Ich werde die Selbstverortung der Systemtheorie in der Gesellschaft in drei Schritten nachvollziehen. Erstens werde ich näher bestimmen, welche Form die gesellschaftstheoretische Autologie annimmt. Dieser Nachvollzug dient mir dazu, einen theorieimmanenten Ort einzunehmen. Im Anschluss daran werde ich zweitens darstellen, wie sich die Systemtheorie als Wissenschaft versteht. Hierbei wird deutlich, dass dies nicht losgelöst von den Systemperspektiven Organisation und Interaktion geschehen kann. Drittens werde ich zeigen, wie durch die Selbstverortung in der Gesellschaft ein Subjektivierungsregime entsteht, in dem sich die Regierung durch Theorie als Normierungsmacht (Foucault 1994: 392) zeigt und die Systemtheorie Gefahr läuft, einer reflexiven Intoleranz (3.4) Vorschub zu leisten. Erst im Anschluss daran lassen sich Möglichkeiten der theorieimmanenten Überschreitung der Grenzen aufzeigen, die die Praxis der Theorie in der gesellschaftstheoretischen Selbstverortung vorgibt. Erstens, zur gesellschaftstheoretischen Autologie: In der gesellschaftstheoretischen Systemperspektive lässt sich der Ort der Systemtheorie sehr schnell auf das Funktionssystem der Wissenschaft eingrenzen. Dieser Bezug zur funktionalen Differenzierung hat für die Selbstverortung der Systemtheorie die empirische Bedeutung, dass durch sie, die Invisibilisierung des paradoxen Selbstbezugs der Systemtheorie – und die daraus drohende Erstarrung (Nassehi 2012b) – sowie das Problem, der notwendig auftretenden systemischen Unbeobachtbarkeiten (Nassehi 2004a: 114f.) gelöst werden kann. Diese Selbstverständlichkeit der Selbstverortung in der Wissenschaft expliziert Luhmann (1987e: 10; siehe auch 1992c: 8f.; 1998: 1145) zu Beginn von Soziale Systeme: 8
Diesen Aspekt verkennt Lindemann (2009: 33; zu diesem Punkt siehe auch die protokollierte Diskussion auf dem 16. Deutschen Soziologentag 1968 bei Tjaden 1969: 268; anders Luhmann 1992c: 275-278), wenn sie an der Systemtheorie kritisiert, dass diese ihre Gesellschaftstheorie so sehr universalisiert, dass sie die historischen Bedingungen und damit die Kontingenz ihrer Annahmen über Kommunikation und System nicht mehr wahrnimmt. Wie die folgenden Ausführungen zeigen, sieht die Systemtheorie sehr wohl ihre historisch bedingte Freiheit, die gesellschaftlich nicht nur durch das Funktionssystem der Wissenschaft, sondern auch durch die Verstrickungen dieses Systems mit kurzzeitigeren Organisationen und Interaktionen bedingt ist.
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»Universale Theorie betrachtet ihre Gegenstände und sich selbst als einen ihrer Gegenstände als selbstreferentielle Verhältnisse. […] Das heißt wiederum: ihr eigenes Erkenntnisverfahren und ihr Annehmen oder Verwerfen von dafür geltenden Kriterien ist für sie etwas, was in ihrem eigenen Forschungsbereich in einer Disziplin des Teilsystems Wissenschaft der modernen Gesellschaft geschieht.« In dieser Selbstverortung wird neben dem Funktionssystem der Wissenschaft bereits deutlich auf Organisationen wie etwa Forschungsbereich und Disziplin als gesellschaftlicher Ort der Systemtheorie verwiesen. In diesem konkreten Bezug auf Wissenschaft tauchen also schon zwei Systemperspektiven auf. Dass die Selbstverortung in der Wissenschaft mit einer so hohen Selbstverständlichkeit vorgetragen wird, erscheint zwar auf den ersten Blick normal (siehe auch 2.), es ist aber durchaus bemerkenswert, wie hoch der Grad der Normalisierung und Generalisierung bei dieser Selbstbeschreibung der Systemtheorie ist.9 Eigentlich macht es sich die Systemtheorie zur Aufgabe, selbstverständliche Annahmen über die Welt mit kontraintuitiven Beschreibungen und Argumenten zu irritieren (Fuchs 2013: 109; Luhmann 2009: 22f.; Nassehi 2016: 215; Teubner 1999: 20f.). In Bezug auf die Selbstverortung in der Gesellschaft folgt sie aber dem etablierten Narrativ soziologischer Theoriebildung, die sich seit ihren Ursprüngen als Wissenschaft versteht. Für mein weiteres Vorgehen werde ich nun die Frageperspektive umstellen. Die Selbstverortung in der Wissenschaft ist lediglich eine Antwort auf die Frage nach dem Ort der Systemtheorie. Um nachzuvollziehen, in welcher Form die gesellschaftstheoretische Autologie vollzogen wird, gehe ich zurück auf die Anfänge der Systemtheorie Luhmanns. Der 16. Deutsche Soziologentag fand 1968 unter der Frage Spätkapitalismus oder Industriegesellschaft? (Adorno 1969) statt. Hier kam es im Anschluss an einen Beitrag von Erwin K. Scheuch zu den methodischen Problemen gesamtgesellschaftlicher Analysen (Scheuch 1969) und einer Erwiderung Adornos zu einer interessanten Aufführung der selbstreflexiven Praxis der noch jungen Systemtheorie durch Niklas Luhmann. Scheuch (1969: 181f.) hatte für eine arbeitsteilige Trennung von wissenschaftlicher Soziologie und Sozialphilosophie plädiert. Adorno hatte daraufhin kritisiert, dass man hierfür der Annahme einer Pluralität von Wahrheit und Vernunft innerhalb der Gesellschaft, entlang der Grenzen von Soziologie und Sozialphilosophie, folgen müsse, was er ablehne (von Friedeburg 1969: 184). Niklas Luhmann, der zu diesem Zeitpunkt den Adorno-Lehrstuhl zu vertreten hatte (Luhmann 1997a: 39f.), wurde daraufhin wie folgt protokolliert: 9
Dies gilt insbesondere unter der Annahme der systemtheoretischen Unwahrscheinlichkeitsthese, die sich nicht nur auf die Unwahrscheinlichkeit von Kommunikation (Luhmann 1981c: 26f.), sondern auch auf die Unwahrscheinlichkeit von Systembildungen im Allgemeinen (Luhmann 1991a: 151; 1998: 211f.) und insbesondere auf die Systembildung von Funktionssystemen (Luhmann 1998: 707) bezieht.
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»Wenn Luhmann heute morgen zum Frühstück ein Ei bestellt habe, dann habe er nicht im Traum daran gedacht, die mathematischen Formeln und Beschreibungen anzuwenden und der Kellnerin zu übermitteln, die zu einer adäquaten Erfassung des Objekts im Sinne der Wissenschaft notwendig gewesen wären, sondern er habe sich auf die schlichte Wahrheit des Eies verlassen. In diesem Sinne fungiert Wahrheit in der Gesellschaft unbefragt, normal, unvermeidlich, und man könne zum Beispiel in der Gesellschaftstheorie fragen, wie es kommt, daß diese Normalwahrheit nun durch die Wissenschaft deformiert, jedenfalls abstrahiert und modifiziert ist. Es müsse also gesehen werden, daß Gesellschaft selbst Wahrheit leistet, und daß die wissenschaftliche Wahrheit ein Moment in dieser Wahrheitsleistung ist, das möglicherweise eine bestimmte, näher beschreibbare Funktion hat, um die die Soziologie sich kümmern sollte. Man komme mit diesem Überlegungsgang offensichtlich in einen Zirkel. Denn einerseits solle die Soziologie forschen, was in bestimmten Gesellschaften wahr sein kann, welchen Wahrheitsmechanismus die Gesellschaft verwendet, wie dieser mit Machtstrukturen zusammenhängt, mit ausdifferenzierter Politik, mit Geldwirtschaft usw. Andererseits solle die Wissenschaft sich selbst wiederum an das so Ermittelte binden und solle selbst Erkenntnisse vorlegen, die diesem Kriterium, das sie erst erforscht, genügen müssen. Luhmann glaubte nicht, daß es möglich sei, aus diesem Zirkel herauszukommen, sondern es käme vielleicht darauf an, sich darin einzurichten und den Wahrheitsbegriff und die Methoden so zu definieren, daß sie dieser Ambivalenz gerecht werden können.« (von Friedeburg 1969: 187). Die scheinbare Banalität des lebensweltlichen Beispiels täuscht über die Tiefe der hier formulierten Aussagen hinweg. Bereits in diesem frühen Beitrag wird der systemtheoretische Wechsel von Ontologie zu Autologie vollzogen, den beispielsweise Dirk Baecker (2015: 815) erst im Vergleich von Soziale Systeme (Luhmann 1987e; siehe auch Luhmann 1993a) und Die Gesellschaft der Gesellschaft (Luhmann 1998) sieht. Im oben zitierten Protokoll wird sowohl das wissenschaftliche (Selbst)Verständnis der Systemtheorie als auch die Form der gesellschaftstheoretischen Autologie deutlich. Die Paradedisziplin der Wissenschaft ist die Mathematik und damit eine hochgradig formalisierte und logische Wissenschaftsform. Gerade am Beispiel der Mathematik wird deutlich, dass es innerhalb der Gesellschaft unterschiedlich operierende Wahrheitskommunikationen gibt. Zumindest lässt sich die wissenschaftliche Wahrheit von der gesellschaftlichen Normalwahrheit, also von der natürlichlebensweltlichen Wahrheitsauffassung (Luhmann 1974c: 233; siehe auch 1969; zum Begriff des Normalen in der Systemtheorie siehe Link 2013: 159f.) unterscheiden und wissenschaftliche Wahrheit kann demnach auch kein Ideal der reinen Wahrheit für sich beanspruchen (Luhmann 1974c: 244). Stattdessen existiert sie nur in Differenz zur Normalwahrheit. Die Aufgabe der Soziologie ist es nun, zunächst unterschiedliche Wahrheitskommunikationen funktional zu differenzieren, wobei die
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wissenschaftliche Wahrheit, die sich mit dem Wissenschaftssystem ausdifferenziert, von besonderem Interesse ist. Nur diese Wahrheit ist gleichzeitig der Gegenstand der Wissenschaftssoziologie und eine Wahrheit, der die Soziologie, die sich ja selbstverständlich als Wissenschaft begreift, genügen muss. Dies beschreibt ein ambivalentes Verhältnis von Soziologie und wissenschaftlicher Wahrheit, weil die Soziologie ihren Gegenstand zum eigenen Maßstab erklärt und dieses Vorgehen keineswegs notwendig ist. Die Methode, die dieser Ambivalenz gerecht wird, ist die gesellschaftstheoretische Autologie der Soziologie, wie sie in Wissenschaft der Gesellschaft (Luhmann 1992c) vollzogen wird. Diese gesellschaftstheoretische Autologie unterscheidet sich zwar von der sozialtheoretischen Autologie (4.1) dadurch, dass das Bezugssystem, das einerseits beschrieben wird und andererseits zur Selbstkonstitution der Systemtheorie dient, hier ein konkretes gesellschaftliches Funktionssystem ist und nicht das Soziale. Es gilt in einer gesellschaftstheoretischen Autologie aber weiterhin, wie bereits in Bezug auf den systemtheoretischen Vollzug der eigenen Sozialtheorie gezeigt, dass mit System sowohl eine Struktur als auch die Operation der Unterscheidung von System/Umwelt gemeint ist. Was bleibt, ist also die basale Ambivalenz des Systembegriffs und damit jeder systemtheoretischen Operation. Oliver Jahraus (2001: 304) fasst diese Ambivalenz wie folgt zusammen: »Das System ist die Differenz von System und Umwelt. […] Wo immer sich solche Differenzen finden lassen, lassen sich also per se auch Systeme ausmachen. Gleichzeitig wird deutlich, daß in dieser Definition von System der Begriff des Systems, der ja das zu Definierende bzw. das Definiendum ist, auch auf der Seite des Definierenden bzw. des Definiens wiederkehrt. Der Systembegriff bezieht sich auf sich selbst und wird autoreflexiv.« (Jahraus 2001: 304) Autologie bedeutet also in Bezug auf die Gesellschaftstheorie wie in Bezug auf die Sozialtheorie, dass die systemische Unterscheidung System/Umwelt nur von einem System getroffen werden kann und dass in Selbstbeschreibungen die systemische Unterscheidung System/Umwelt von dem System getroffen wird, das die eine Seite dieser Unterscheidung ist (Kieserling 2004: 68f.). Aufgrund dieser autoreflexiven Eigenschaft der Operation mit dem Begriff System, die etwas als System beschreibt und damit gleichzeitig selbst zum System wird, kann die Beschreibung der Soziologie als System in der Systemtheorie für unterschiedliche Selbstbeschreibungen (z.B. Theorie, Disziplin oder Wissenschaft) und damit unterschiedliche Selbstkonstitutionen genutzt werden. Wie schon in Bezug auf den Vollzug der Sozialtheorie dient mir diese Ambivalenz des Systembegriffs zum Einstieg in die Systemtheorie. Luhmann (1998: 874) fasst diese Ambivalenz der Selbstbeschreibung der Gesellschaft als Autologieproblem:
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»Aber es gibt die operative Möglichkeit der Selbstbeobachtung und der Selbstbeschreibung. Es gibt im Vollzug dieser Operation Autologieprobleme. Die Kommunikation über Kommunikation ist selbst eine Kommunikation, der Begriff der Generalisierung generalisiert selber. Jede Operation dieses Systems produziert, wie man es auch dem Subjekt zugestehen mußte, eine Differenz von System und Umwelt.« Gemeint ist mit diesem System zwar das System der Gesellschaft. Weil Gesellschaft aber eine Systemperspektive der Systemtheorie ist, lässt sich die Selbstverortung der Systemtheorie in der Gesellschaft als gesellschaftliche Operation und nicht als Struktur in der Gesellschaft analysieren. Diese Umstellung hat weitreichende Konsequenzen: Wenn die Systemtheorie in einer autologischen Operation Gesellschaft/Nicht-Gesellschaft unterscheidet, handelt es sich immer um eine gesellschaftliche Operation der Systemtheorie; wenn die Systemtheorie in einer autologischen Operation Wissenschaft/Nicht-Wissenschaft unterscheidet, handelt es sich immer um eine wissenschaftliche Unterscheidung der Systemtheorie; wenn die Systemtheorie in einer autologischen Operation Soziologie/Nicht-Soziologie unterscheidet, handelt es sich immer um eine soziologische Unterscheidung der Systemtheorie; wenn die Systemtheorie in einer autologischen Operation Theorie/Nicht-Theorie unterscheidet, handelt es sich dabei immer um eine theoretische Unterscheidung der Systemtheorie; und wenn die Systemtheorie wahr/unwahr unterscheidet, handelt es sich immer um eine systemtheoretisch-wahre Unterscheidung. Die Systemtheorie sorgt also bereits durch ihre Operation dafür, dass die binären Codierungen zu Präferenzcodes (Luhmann 1987c: 16f.) werden. Dieses Vorgehen ist operativ autologisch aber nicht logisch tautologisch (Luhmann 1996e). Die Autologie ist eine verzeitlichte Operation, in der jede Wiederbeschreibung als Anschlusskommunikation vollzogen wird und damit nicht mit dem Beschriebenen identisch sein kann (Luhmann 1992c: 669). Luhmann (1997b: 58) schreibt über diese Autologie der Systemtheorie: »Die theoretische Wiederbeschreibung der Wiederbeschreibung von Beschreibungen ist ein autologisches Konzept. Sie ist auf sich selbst anwendbar. Sie beansprucht nicht, eine Begründung, geschweige denn: eine bessere Begründung zu geben. Sie setzt sich daher auch keinem infiniten Regreß aus. Sie tut, was sie tut, und stellt sich auf diese Weise dar. Sie operiert selbst autopoietisch, ohne auf eine beruhigend wirkende Abschlußformel zu zielen.« Auch wenn das Ziel dieser autologischen Operation keine Abschlussformel im Sinne eines festen Fundaments, eines letzten Grunds der Systemtheorie ist, werde ich im folgenden nachzeichnen, wie die autologische Operation zu einem beruhigenden autopoietischen Systemabschluss (Brunkhorst 1990a: 144) führt, mit dem die Systemtheorie systemtheoretische Anschlusskommunikationen garantieren will.
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Hierfür gehe ich von einem theoriemotivierenden Staunen aus: Unter Berücksichtigung der skizzierten autologischen Bewegung, die die Ungründbarkeit der Systemtheorie und aller anderen Systeme als beunruhigendes Moment enthält, ist es geradezu merkwürdig und ungewöhnlich, wie sicher und beruhigend sich die Systemtheorie in der Wissenschaft verortet. Wie gesagt dient mir die Autologie als Einstieg in die Systemtheorie. Wenn ich im Folgenden also von der Systemtheorie spreche, dann spreche ich einerseits allgemein über die Systemtheorie Niklas Luhmanns. Gleichzeitig spreche ich damit selbst systemtheoretisch und schließe dieses Sprechen autologisch in die Beschreibung der Systemtheorie ein. Innerhalb der Praxis der Systemtheorie versuche ich so, beunruhigend zu wirken. Zunächst zeige ich aber, wie sich die Systemtheorie autologisch beschreibt, wenn sie das Funktionssystem der Wissenschaft bestimmt. Zweitens, zur Systemtheorie als Wissenschaft: In negativen Abgrenzungen der Systemtheorie von anderen Selbstbeschreibungen der Gesellschaft wird deutlich, dass die Systemtheorie in ihrer gesellschaftlichen Selbstverortung zwischen den Systemperspektiven Gesellschaft, Organisation und Interaktion wechselt. Zunächst grenzt sich die Systemtheorie häufig von alternativen Selbstbeschreibungen der Gesellschaft ab (Luhmann 1974c: 234). Zum Beispiel ist in Bezug auf die Differenzen von Wissenschaft und Massenmedien (Kieserling 2004: 38ff.; Luhmann 1992b: 143), Wissenschaft und Wirtschaft (Luhmann 2012: 9f., 13), Wissenschaft und Politik (Luhmann: 1996a: 67) immer zu erkennen, dass die Systemtheorie sich als Teil des Funktionssystems Wissenschaft versteht und ihre Gegenstände daher deutlich von sich trennen kann (Luhmann 1992c: 692f.). Sie kann die Selbst- und Fremdbeschreibungen gesellschaftlicher Funktionssysteme beobachten und selbst Fremdbeschreibungen von Funktionssystemen anfertigen (Kieserling 2004: 52f.). In Bezug auf die Gesellschaft und die Wissenschaft kann sie aber nur Selbstbeschreibungen hervorbringen (Kieserling 2004: 43-45). Auf einer zweiten Systemebene ist festzustellen, dass sich die Systemtheorie von anderen wissenschaftlichen Theorien und Disziplinen unterscheidet, so zum Beispiel von der Politikwissenschaft (Luhmann 2010: 9ff.), von der Rechtswissenschaft (Kieserling 2004: 44f.), von der Erziehungswissenschaft und Pädagogik (Luhmann 2002: 186-203; 2014a), und sich dabei immer im System der Soziologie als Fach oder Disziplin verortet (siehe z.B. Luhmann 1991b; 1992b; 1998: 16-35). Auf dieser Ebene verschwimmen die Grenzen zwischen den Systemperspektiven Gesellschaft und Organisation, denn insofern die Systemtheorie in der gesellschaftstheorietischen Autologie ihre Aussagen auf sich selbst bezieht, spricht sie im Umkehrschluss immer über soziologische Wissenschaft (zu Organisation und Wissenschaftssystem siehe Luhmann 1992c: 672ff.). Auf einer dritten Ebene ist zu erkennen, dass die Systemtheorie die Möglichkeit von Interaktionszusammenhängen andeutet, in denen sie direkt mit Anderen konfrontiert wird. Meistens beschreibt sie sich selbst in Konflikt zu anderen. Dies
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geschieht, wenn Luhmann (2005: 333) zum Beispiel davon spricht, dass die Systemtheorie den Zuhörer nicht interessieren muss; seine Kritiker dazu auffordert, es anders, aber besser zu machen (Luhmann 1998: 1133), also die Substitutionskonkurrenz zum Maßstab theoretischer Kommunikationen und Interaktionen erklärt (Luhmann 1998: 395); sich selbstkritisch eingesteht, sich von der Basis intersubjektiv zwingend gewiß übertragbarer Wahrheiten entfernt zu sein (Luhmann 1974c: 245; siehe auch von Friedeburg 1969: 187); oder einfach darüber schreibt, wie in der Wissenschaft von Wahrheit die Rede ist (Luhmann 1992c: 293). Auf dieser Ebene verschwimmen die Grenzen zwischen den Systemperspektiven Gesellschaft und Interaktion, denn insofern die Systemtheorie in der gesellschaftstheoretischen Autologie ihre Aussagen auch auf sich selbst bezieht, spricht sie im Umkehrschluss immer über systemtheoretische Wahrheitskommunikation. Auch wenn nur die erste Systemperspektive sich alleine auf die Gesellschaft bezieht, dienen alle drei Ebenen der Selbstverortung innerhalb der Gesellschaft. Dies liegt daran, dass es gerade ein Merkmal der Systemtheorie ist, dass sie Aussagen aus allen Systemperspektiven an jedem Objekt, also auch an sich selbst und an der Gesellschaft, kombinieren kann (zur Interaktion und Gesellschaft siehe Kieserling 1999: 213).10 Der systemtheoretischen Gesellschaftstheorie folgend, ergeben sich aus diesem Generalisierungsgrad bereits sehr strenge Konsequenzen: Die Soziologie kann sich in diesem Konzept als wissenschaftliche Interaktion und als Disziplin des Funktionssystems der Wissenschaft verstehen. Sie ist damit zwar von der Gesamtheit dieses Funktionssystems zu unterscheiden, bleibt aber an dessen Selbststeuerung gebunden. Ich werde im Folgenden den Weg nachzeichnen, auf dem sich die Systemtheorie als Wissenschaft, auf diesen drei Ebenen, beschreibt. Hierzu werde ich die drei Selbstverortungen der Systemtheorie im Funktionssystem der Wissenschaft, in der 10
Diese Verstrickung der Systemperspektiven bricht im Übrigen mit dem gängigen Vorurteil gegenüber der Systemtheorie, dass sie Systeme in einer zu autonomen und zu wenig abhängigen Relation zueinander denken würde. In der Systemtheorie steigern sich Abhängigkeit und Unabhängigkeit gleichzeitig und weil sich Interaktionen und Organisationen keinem Funktionssystem einseitig zuordnen lassen (Luhmann 1998: 813) und mit dem Übergang in eine andere Systemperspektive auch das Konvertieren von Kommunikationsmedien und damit von Wahrheit in politische sowie gesamtgesellschaftliche Macht und umgekehrt möglich ist (Luhmann 1988: 101; am Beispiel der wissenschaftlichen Interorganisationsbeziehungen siehe Luhmann 1992c: 677ff.), ist die Systemperspektive Gesellschaft nur unter Verlust der Wahrnehmung von interface-Beziehungen zwischen Funktionssystemen (Luhmann 1992c: 298f.; 1998: 812f.), primär zu setzen. Gleichzeitig gibt es in den Systemperspektiven Organisation und Interaktion Sperren gegen die Möglichkeit, Medien willkürlich zu konvertieren, also Wahrheit, Liebe oder Macht zu kaufen (Luhmann 1988: 102). Weil diese Sperren aber als Werte und Normen gedacht werden müssen (Luhmann 1974c: 241; 1974a: 254), sind sie selbst auf Macht angewiesen.
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Disziplin der Soziologie und in theoretischen Kommunikationen und Interaktionen beschreiben. Mit dieser Dreiteilung erhebe ich nicht den Anspruch, eine vollständige Beschreibung der Systemtheorie als Wissenschaft nachzuvollziehen. Mir geht es nach wie vor um die Form der Selbstbeschreibung, also darum, die Grenzen der systemtheoretischen Selbstbeschreibung auf den drei Ebenen auszuloten. Wissenschaft ist ein autopoietisch operierendes Funktionssystem der Gesellschaft, das sich aufgrund seiner Funktion, seiner binären codierten Beobachtungsperspektive (wahr/unwahr) und seines generalisierten Kommunikationsmediums Wahrheit von seiner Umwelt und anderen Systemen unterscheidet (Luhmann 1974c; 1992c: 271-361). Als ausdifferenziertes System lässt sich systemtheoretisch demnach die Differenz Wissenschaft/Nicht-Wissenschaft unterscheiden. Gleichzeitig handelt es sich bei dieser Unterscheidung um eine gleichermaßen systemtheoretische wie wissenschaftliche Beobachtung. Die Systemtheorie verortet sich also in der Unterscheidung auf einer Seite. Dies lässt sich an einem Beispiel für die autologische Beschreibung wissenschaftlicher Entwicklung veranschaulichen. Luhmann (1992c: 273) stellt in Bezug auf mögliche Paradigmenwechsel fest: »Kein Wunder also, daß die Wissenschaft Wahrheit als eine ihr vorgegebene Idee begreift und verehrt. In Wirklichkeit kann man jedoch nur zirkuläre Zusammenhänge feststellen. Die Abstraktion des Code zu einer Leitdifferenz, die durch den Wechsel der Theorien nicht berührt wird, wird nur durch Wissenschaft, nur durch erfolgreiche Forschung und vor allem nur durch laufende Theorieänderung möglich. Sie ist Resultat von Wissenschaft, mit dem die Wissenschaft selbst dann ihre eigene Fortsetzbarkeit trotz aller Theoriezusammenbrüche und paradigmatischer Revolutionen garantiert.« Es ist offensichtlich, dass diese Aussagen nur im System der Systemtheorie Sinn machen. Das Zitat schließt also rekursiv und selektiv an systemtheoretische Kommunikation an. Dass hinter der wissenschaftlichen Verehrung der Wahrheit als etwas ihr Vorgegebenes, also der Wissenschaft Äußerliches, in Wirklichkeit eine Selbstreferenz (wissenschaftlicher Reflexion) steckt, kann die Systemtheorie erkennen, weil sie selbst ein solchermaßen ambivalentes Verhältnis zur Wahrheit pflegt. Sie beginnt ja bekanntlich nicht mit einem erkenntnistheoretischen Zweifel, sondern mit der Feststellung der Wahrheit, dass es Systeme gibt (Luhmann 1987e: 30; kritisch siehe Baecker 2015: 812ff.; Brunkhorst 1990a: 142f.). Daraus folgt, dass auch die Systemtheorie ihre Fortsetzbarkeit über die Wahrheit einer binären Codierung garantiert. Diese Codierung ist aber nicht einfach wahr/unwahr, sondern im Sinne der Autologie systemtheoretisch-wahr/systemtheoretisch-unwahr. Für die Praxis der Systemtheorie bedeutet das, dass sie einerseits erforschen muss, was alles als systemtheoretisch-wahr gelten kann und wie diese deformierte Wahrheit zum Beispiel mit Machtstrukturen zusammenhängt. Andererseits muss die Systemtheorie dieser Wahrheit offensichtlich selbst genügen.
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Das Axiom, dass es Systeme gibt, ist demnach enthymemisch. Mit allen Prämissen der Autologie lässt sich nur sagen, dass es Systeme für systemtheoretische Beobachtungen gibt (Baecker 2015: 814) und dass die Systemtheorie diese Systeme erforscht, während sie sich selbst erforscht. Weil die Systemtheorie keine Fremdbeschreibung und nur Selbstbeschreibungen der Wissenschaft anfertigen kann (Kieserling 2004: 45), ergibt sich aus der systemtheoretisch vorgegebenen Idee einer systemtheoretischen Wahrheit die Möglichkeit einer generellen Umkehr systemtheoretischer Wissenschaftsbeschreibungen. Das heißt, dass immer wenn von Wissenschaft gesprochen wird, auch von systemtheoretischer Wissenschaft zu sprechen wäre. Alles was systemtheoretisch über die Wissenschaft gesagt wird, kann dann auch über die Systemtheorie gesagt werden. Weil die Systemtheorie sich mittels ihrer Wissenschaftsbeschreibung in der Gesellschaft verortet, ist das Verhältnis von Wissenschaft zur Gesellschaft hier von besonderem Interesse. Als eine Beobachterperspektive unter anderen (Luhmann 1992c: 280, 646) verhält sich das Wissenschaftssystem in einer gewissen Indifferenz zur Gesellschaft. Es handelt sich bei Wissenschaft und Gesellschaft ja nicht um zwei differenzierte Systemtypen oder Systemperspektiven, sondern Wissenschaft ist ein Subsystem der Gesellschaft. Die daraus folgende Indifferenz drückt sich wie folgt aus: Einerseits kann jedes gesellschaftliche Phänomen zum Gegenstand der Wissenschaft werden (Luhmann 1992c: 287f.). Andererseits ist aber immer klar, dass es sich bei dieser wissenschaftlichen Beobachtung nur um eine mögliche Beobachtung unter vielen handelt (Luhmann 1974c: 234), so wie es sich bei der Systemtheorie auch nur um eine mögliche Theorie unter anderen handelt (Luhmann 1987e: 9). Die Paradoxie dieser Indifferenz ist, dass mit ihr Verknappung und Vermehrung (Luhmann 1974c: 234f.) genauso wie Abhängigkeit und Unabhängigkeit (Luhmann 1974c: 242; 1992c: 298f.; siehe auch Nassehi 2004a) gleichzeitig zunehmen. Dies führt zu einer beschränkten Grenzenlosigkeit des wissenschaftlichen (und systemtheoretischen) Forschungsprozesses (Luhmann 1992c: 299f.). Gerade aufgrund der Beschränkung der Kommunikation auf das Übertragungsmedium der Wahrheit (Luhmann 1992c: 273) und die Einführung spezifischer Restriktionen an wissenschaftliche Kommunikation (Verknappung und Abhängigkeit) wurde es möglich, dass sich die wahren Informationen über die Welt in den letzten Jahrhunderten massiv ausbreiten, dass also die gesamte Welt wissenschaftlich betrachtet werden (Unabhängigkeit) und wissenschaftliches Wissen sich grenzenlos vermehren kann. Hinzu kommt, dass die Wissenschaft durch dieses Verhältnis zur Gesellschaft unter hohem Legitimationsdruck steht und gleichzeitig von Verantwortungen für ihre Ergebnisse entlastet wird (Luhmann 1969: 265f.; 1974c: 235, 239f.; 1992a). Das Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft ist daher durch den Umgang mit gesellschaftlicher Macht (Luhmann 1988: 92) bestimmt. Hier beginnt ein
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Perspektivwechsel von Gesellschaft zu Organisation, denn während die Macht der Wissenschaft gesellschaftlich auf ein Monopol zurückzuführen ist, dass nämlich nur sie wissenschaftliche Wahrheit hervorbringt (Gesellschaftsperspektive), ist die wissenschaftsimmanente Macht auf organisierte Reputation zurückzuführen. Im Verhältnis zur Gesellschaft wird auch deutlich, dass die beiden Selbststeuerungsmechanismen der Wissenschaft – Reputation (Organisation) und Wahrheit (Funktionssystem) – in der Außendarstellung und Selbstreflexion der Wissenschaft unterschiedliche Relationen zueinander eingehen. Luhmann (1974c: 239) stellt in Bezug auf das Verhältnis von Wissenschaft zur Gesellschaft fest: »Reputation ist kein gesellschaftlich legitimierbares Ziel und kann daher auch kein offizielles Systemziel sein. Für die praktische Orientierung muß die offizielle, ›gesellschaftsfähige‹ Moral daher pervertiert werden: Reputation wird als gerechte Folge der Wahrheitsförderung dargestellt, während praktisch die Wahrheit als Mittel zur Erlangung von Reputation gefördert wird.« Hier gerät die Systemperspektive Gesellschaft an ihre Grenzen zur Systemperspektive Organisation. Denn Wissenschaft ist explizit nicht machtfrei, weil die Reputationsdifferenzierung (Luhmann 1974c: 240) auf engste mit wissenschaftlichen Hierarchien und Organisationen verbunden ist, in denen sich auch die Systemtheorie zu Recht finden muss (zur Verbindung von Kommunikationsmedien wie Wahrheit, Organisation und allgemeiner Macht siehe Luhmann 1988: 40-59, 90ff.; 1992c: 675680). Gleichzeitig ist Wahrheit und nicht Macht das systemimmanente Mittel zur Erlangung von Macht, weil die Orientierung an Reputation im System nicht mit Reputation belohnt wird (Luhmann 1974c: 240f.). Das Wissenschaftssystem, das die gesellschaftliche Funktion erfüllt, wissenschaftliche Wahrheit zu erzeugen, benötigt – aufgrund seiner internen Strukturierung durch Reputation und Wahrheitskommunikation sowie durch seinen Legitimationsbedarf gegenüber der Gesellschaft – starke wissenschaftsimmanente Normen (Luhmann 1992c: 322f.). Reputation wird, anders als Wahrheit, besonders durch Normen stabilisiert, die bestimmte Verhaltensweisen positiv oder negativ sanktionieren. Diese Normativität der Wissenschaft, die als Bedingung von Reputation und Institutionalisierung angesehen werden kann (siehe auch Luhmann 1974a: 255), ist zwar ein sekundäres Moment der Ausdifferenzierung von Wissenschaft (Luhmann 1992c: 323). Sie ist aber elementar wichtig, um gegenüber anderen Systemen der Gesellschaft überhaupt leistungsfähig zu sein (Luhmann 1974c: 243). Die wissenschaftlichen Normen entscheiden dabei nicht über den Code wahr/unwahr, sie sanktionieren aber, was und wie etwas innerhalb wissenschaftlicher Institutionalisierungen sagbar und nicht-sagbar ist, in dem Sinne, dass sie Erwartungen auch gegen faktisch abweichendes Verhalten stabilisieren (Luhmann 1992c: 322f.).
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Zwei Beispiele illustrieren diese Normativität wissenschaftlicher Praxis. Erstens wird in der Wissenschaft die moderne Subjektivität aller Menschen zur Bedingung für intersubjektiv nachvollziehbare Wahrheit (Luhmann 1974c: 234; 1992c: 322). Sie setzt einerseits ein hohes Maß an fiktiver Gleichheit (Luhmann 1992c: 324) voraus, weshalb prinzipiell jeder an der Wahrheitskommunikation der Wissenschaft teilnehmen kann, wenn seine Aussagen denn innerhalb der wissenschaftlichen Substitutionskonkurrenz (Luhmann 1998: 395) bestehen können (Luhmann 1974c: 241). Zudem wird durch diese Adressierung von Einzelnen als moderne Subjekte wissenschaftliche Wahrheit zurechenbar. Reputation Einzelner kann so legitimiert werden, während es gleichzeitig nicht mehr möglich wird, ihre Leistung auf ihre gesellschaftliche Position, beispielsweise als Sohn eines Professors, zurückzuführen (Luhmann 1974c: 241; 1992c: 294f., 657). Ein zweites Beispiel ist die Norm der Kritikabilität. Einerseits muss sich jeder Einzelne, der wissenschaftlich kommuniziert, der Kritik der Anderen aussetzen. Gleichzeitig darf sich diese Kritik nur auf den Wahrheitsanspruch seiner Aussagen und nicht auf seinen persönlichen Charakter und seine persönlichen Motive beziehen (Luhmann 1974c: 241; 1992c: 293). Durch diese Betonung möglicher Konflikte in wissenschaftlichen Kommunikationen gerät die Systemperspektive Gesellschaft an ihre Grenze zur Systemperspektive Interaktion. Da die gesellschaftstheoretische Autologie der Systemtheorie dazu führt, dass sie sich an die hier ermittelten deformierten Vollzüge der wissenschaftlichen Wahrheit gegenüber der lebensweltlichen Wahrheit binden muss, wundert es kaum, dass die Probleme, Fallstricke und Nebenfolgen, die Luhmann (1974c) in der Selbststeuerung der Wissenschaft ausmacht, wie eine Selbstbeschreibung der Systemtheorie erscheinen. Die Norm, alle Menschen als moderne Subjekte zu adressieren (1974c: 241), verhält sich analog zur Selbstbeschreibung der Systemtheorie als demokratische Mitbestimmungsprosa (Luhmann 2005: 14); die Norm, Reputation zwar an Personen zu knüpfen, aber nicht auf ihre gesellschaftliche Position und ihren persönlichen Charakter, schon gar nicht auf die biologische Ausstattung von Menschen zu beziehen (Luhmann 1974c: 241), verhält sich analog zu der Absage, die eigene Theorie auf ihre Herkunft, Entstehungsgeschichte und ihren sozialen und politischen Standort hin zu befragen (Luhmann 1974a: 253; 1996a: 67). Und auch die negativen Nebenfolgen der Selbststeuerung der Wissenschaft über die Reputation lesen sich wie eine dunkle Selbstbeschreibung der Praxis der Systemtheorie. So schreibt Luhmann (1974c: 243; siehe auch 1992c: 294): »Das motivkräftige Streben nach Reputation kann den Informationsfluß beträchtlich belasten. Es führt zu einer Überfülle von unausgereiften und unnötigen Publikationen. […] Die Auswahl von Themen und Mitteilungsweisen wird reputationstaktisch und nicht allein an Wahrheit oder Klarheit orientiert. Die Originalität als Bedingung des Erlangens von Reputation führt in den theoretisch gut konsolidier-
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ten Fächern zu Prioritätsstreitigkeiten, in den noch unbegrenzt offenen Fächern zu unkontrollierbaren Reputationskämpfen, zu raschem Wechsel der Modethemen, zu unerledigtem Liegenlassen vielbehandelter Probleme, zur Oberflächendifferenzierung der Terminologien, zur Verschlüsselung von Banalitäten usw.« Rein logisch muss es sich bei dieser Problematisierung des Wissenschaftssystems aufgrund der autologischen Veranlagung der Systemtheorie (auch) um eine systemtheoretische Selbstbeschreibung handeln (vergleiche hierzu die Beiträge zur Wirkung eines Theoretikers in Stichweh 1999b und den Bericht zur Tagung anlässlich des 90. Geburtstages Luhmanns in Wöhrle 2017). Zum Beispiel spricht Luhmann selbst von einer Vielzahl seiner Publikationen als Beiwerk, verweist darauf, dass Vieles liegen bleibt und bezeichnet seine Publikationen vor Soziale Systeme als Nullserie (Luhmann 1987a: 142; 1997a: 42f.). Zudem verweist Luhmann (1997a: 35) darauf, dass seine empirischen Beschreibungen der Organisation auf seinem eigenen Erfahrungsbereich beruhen und dass er empirische Studien durch Milieukenntnis ersetzt hat. Diese dunkle Seite des Wissenschaftsbetriebs macht deutlich, das Wissenschaft wie auch Systemtheorie von Organisation und damit von Macht abhängig sind, auch wenn Wahrheit und Macht nicht zusammenfallen (Luhmann 1974c: 248). Die systemtheoretische Selbstverortung in der Gesellschaft kommt also nicht ohne die Systemperspektive der Organisation aus, in der das Verhältnis von Wahrheit und Macht anders beleuchtet werden kann, als eine Differenz zwischen dem wissenschaftlichen Kommunikationsmedium der Wahrheit und dem politischen Kommunikationsmedium der Macht. Organisation bestimmt sich über Mitglieder. In Bezug auf Kontexte universitärer Organisation, die bei der Selbstverortung in der Wissenschaft besonders wichtig sind, bezieht sich dieser Systembegriff Organisation direkt auf die institutionalisierte Disziplin der Soziologie, ihre Mitglieder und die Selektionsprinzipien, die über Mitgliedschaften entscheiden (Luhmann 1992c: 673). Luhmann nennt zur Veranschaulichung organisatorischer Selektionshilfen für die Wissenschaft Qualifizierungszeugnisse, Finanzmittel, Publikationsmöglichkeiten, technische Hilfsmittel (insbesondere Buchdruck und Computer) und Öffentlichkeit, die entscheidend sind, damit Wissenschaft die Unwahrscheinlichkeit wissenschaftlichen Fortschritts wahrscheinlich machen kann (Luhmann 1974c: 237; 1992c: 285, 658f., 668ff.). Als Kehrseite dieser Verbindung vom Funktionssystem der Wissenschaft mit Organisation nennt er die begrenzte Anzahl an Lehrstühlen, das wissenschaftliche Tagungswesen, die zirkulierenden Publikationen, Neuerscheinungen und Sonderdrucken sowie die wechselseitige Rezeption unter befreundeten Wissenschaftlern und die Bildung wissenschaftlicher Gesellschaften (Luhmann 1974c: 244; 2014b: 33). Auf organisatorischer Ebene beschreibt die Systemtheorie sich selbst und die Soziologie als Disziplin. Als Disziplin zeichnet sich die Soziologie durch Grenzziehungen in Bezug auf die scientific community, einen relativ klaren Kanon soziolo-
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gischen Wissens, eine Auswahl an Methoden- und Theorieschulen sowie eine Institutionalisierung soziologischer Sozialisation aus (Stichweh 2013: 17; siehe auch Luhmann 1992c: 672-681). Über diese Grenzziehungen kann die Soziologie bestimmen, wer als Soziologe gilt und wer nicht, und mit den disziplinimmanenten Reputationszuweisungen kann die Soziologie sich einerseits intern organisieren, aber auch Kontakt zur Umwelt pflegen (Luhmann 1974c: 237f.). In der Differenz von Wissenschaft und Soziologie wird damit deutlich, dass die Soziologie ausdrücklich kein funktionales Teilsystem und auch kein Segment der Wissenschaft ist (anders Baecker 2015: 812). Vielmehr zeichnet sich eine Disziplin dadurch aus, dass sie sich auf bestimmte Aspekte der wissenschaftlichen Umwelt konzentriert und diese wissenschaftlich bearbeitet. So argumentiert Rudolf Stichweh (2013: 21; siehe auch Luhmann 1992c: 675; 2017: 983) streng systemtheoretisch: »Produktion von Wahrheiten als Primärfunktion von Wissenschaft wird von den Disziplinen nicht in einem arbeitsteiligen Zusammenwirken erbracht, vielmehr nimmt jede Disziplin die ›Wahrheiten‹ über ihren Gegenstandsbereich in eigene Regie.« Das bedeutet, wissenschaftliche Disziplinen vollziehen ein re-entry entlang der Differenz Wissenschaft/Nicht-Wissenschaft, insofern sie sich selbst als Wissenschaft beobachten und Nicht-Wissenschaftliches zu ihrem Gegenstand jenseits von Selbstreflexionen machen. Jede Disziplin hat ihre eigenen Wahrheiten. Damit verläuft die disziplinäre Differenz Soziologie/Nicht-Soziologie entlang der Differenz Wissenschaft/Nicht-Wissenschaft. Auch die Systemtheorie vollzieht ein solches reentry, bestimmt also eine Seite der Unterscheidung als ihren Reflexionswert (Luhmann 1987c: 17), wenn sie die Disziplin der Soziologie beschreibt. Da es hier also immer um Unterscheidungen der Systemtheorie geht, verlaufen die Differenzen auch entlang der Differenz Systemtheorie/Nicht-Systemtheorie und die Systemtheorie ist demnach ein System, das sich entlang des Codes systemtheoretischwahr/systemtheoretisch-unwahr steuert und die Wahrheiten über ihren Gegenstand und über sich selbst in eigene Regie nimmt (siehe auch Buber 1973b: 126-128; Luhmann 2004: 43f.). Diese Verstrickung von Differenzen, die sich aus einer von mir vollzogenen theoretischen Wiederbeschreibung der Wiederbeschreibung von Beschreibungen (Luhmann 1997b: 58; siehe auch Beetz 2010: 10), also aus der autologischen Form ergibt, zeigt sich auch in der Verbindung der Systemperspektiven Gesellschaft und Interaktion, also wenn von systemtheoretischer Wahrheit die Rede ist. Wissenschaft schwimmt also auf Interaktionen, die die Systemtheorie beispielsweise so skizziert: »Ist von Wahrheit die Rede, so braucht man nur zu fragen, unter welchen Bedingungen die betreffende Aussage unwahr sein würde – und schon findet die Kommunikation im Wissenschaftssystem statt. Kommunikationen, die als wahr bzw.
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unwahr markiert sind und dadurch in ihrer Weiterverwendungsfähigkeit vorbestimmt sind, sind Operationen dieses Wissenschaftssystems.« (Luhmann 1992c: 293) Und selbstverständlich ist auch in diesem Zitat von Wahrheit die Rede. Als soziologische Theorie lässt sich die wissenschaftlich-soziologische Systemtheorie also auch in gesellschaftlichen Interaktionen verorten, wenn von systemtheoretischer Wahrheit die Rede ist. Gesellschaftstheoretisch ist diese Selbstverortung insbesondere, weil Theorien innerhalb der Wissenschaft programmatische Aufgaben erfüllen. Das heißt, dass umfassenden und gleichzeitig konsistenten Theorien, wie der Systemtheorie, die Aufgabe zukommt, Informationen möglichst schnell zu finden und auszusortieren (Luhmann 1974c: 245), also innerhalb von Kommunikationen und Interaktionen selektiv zu wirken. Theorien legen die Maßstäbe für die richtige Wertung des Codes wahr/unwahr fest (Luhmann 1987c: 15). Weil die Systemtheorie genau so ein Programm mit universeller Gegenstandserfassung, ohne Anspruch auf Ausschließlichkeit, ist (Luhmann 1987e: 9), erfüllt auch sie in Interaktionen die Funktion eines Selektionsprinzips. Einerseits ist es der Wissenschaft so möglich, Programme zu entwickeln, die die Entscheidung über die Differenz wahr/unwahr nicht der Reputation überlassen. Es geht in systemtheoretisch-wissenschaftlicher Kommunikation also zunächst nur darum, ob die Wahrheit der systemischen Unterscheidung System/Umwelt akzeptiert wird oder nicht. Nur wenn die Kommunikation an diese Unterscheidung anschließen kann, ist die Bedingung erfüllt, dass die Wahrheitskommunikation wahr sein könnte. Andererseits erkennt Luhmann hierin durchaus eine Gefahr, der sich auch die Systemtheorie als Supertheorie aussetzt. Die Systemtheorie könnte die Wahrheitsmöglichkeiten so stark verknappen, dass die Anschlusskommunikation ausbleibt und das System damit katastrophal endet. Er schreibt: »Ein Vergleich der Sozialwissenschaften mit den theoretisch besser konsolidierten Naturwissenschaften läßt vermuten, daß die Entwicklung von umfassenden und doch einigermaßen konsistenten wissenschaftlichen Theorien den Bereich derjenigen Selektionsleistungen verkleinern könnte, die an Reputation orientiert bleiben müssen. […] Je stärker man von Theorien diese Leistung der Vorsortierung des Informationsflusses miterwartet, desto mehr sind sie selbst jedoch in Gefahr, sich von der Basis intersubjektiv zwingend gewiß übertragbarer Wahrheit zu entfernen. Ein gewisses ›Überziehen‹ allzu knapper Wahrheitsmöglichkeiten gehört zwar zur Funktion von Theorie. Aber es mag in dieser Richtung Belastungsgrenzen geben, jenseits derer man, wenn überhaupt, mit regulativen Begriffsbildungen eines anderen Typus arbeiten muß. […] Auch der Systemtheorie des Verfassers werden diese Bedenken entgegengehalten.« (Luhmann 1974c: 245; siehe auch von Friedeburg 1969: 187)
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Die Systemtheorie geht mit ihrer autologischen Praxis der Theorie an die Grenzen dieser Belastungsgrenze, weil in ihr sowohl der Gegenstand als auch die eigene Praxis mit der Wahrheit der systemischen Unterscheidung überzogen werden. Dadurch verliert sie ihren Bezug zur außersystemtheoretischen Wahrheit. Diese Belastungsgrenze hat mindestens zwei Seiten. Erstens kann der Bezug zur lebensweltlichen Normalwahrheit und zweitens zur heterogenen wissenschaftlichen Wahrheit verloren gehen. Hier liegen gleichzeitig eine Gefahr und eine Grenze der Praxis der Theorie. Der erste Bezug zur alltagsweltlichen Wahrheit zeichnet sich ausdrücklich nicht dadurch aus, dass sich systemtheoretisches Wissen in eine lebensweltliche Wahrheit übersetzen lassen müsste oder umgekehrt. Vielmehr muss die Differenz zwischen systemtheoretischer Wahrheit als wissenschaftliche Wahrheit (Episteme) und der Wahrheit des Alltagswissens (Doxa) von der Systemtheorie mitkommuniziert werden können (Luhmann 1992c: 325; siehe auch 1973: 348). Im Sinne der systemischen Unterscheidung ist es die Systemtheorie, die diese Differenz von Systemtheorie/Nicht-Systemtheorie herstellt. Ein Verlust des Bezugs zum Alltagswissen meint also nicht, dass die Distanz zu groß werden könnte. Nur weil die Systemtheorie sich autopoietisch von ihrer Umwelt unterscheidet, kann sich die Wahrheit der Systemtheorie stabilisieren. Dies passiert ja erst, wenn systemtheoretische Wahrheit als generalisiertes Kommunikationsmedium nur an andere systemtheoretische Wahrheit anschließt. Problematisch wird es aber, wenn der Bezug nicht aufgrund zu hoher Distanz, sondern aufgrund mangelnd reflektierter, das heißt selbstreferenzieller Distanz verloren geht. Dies würde passieren, wenn die Systemtheorie nicht immer die Differenz zum Alltagswissen und damit ihren eigenen Systemabschluss mitkommuniziert (ein Beispiel dieser Mitkommunikation findet sich bei Luhmann 2017: 13f.). Dies käme einer Entdifferenzierung gleich, in der Systemtheorie nicht mehr zwischen ihrer Wahrheit und der intersubjektiv übertragbaren alltäglichen Wahrheit unterscheiden könnte und entsprechend in ihrer Selbstbeschreibung keine Systemtheorie mehr, also nicht mehr eine Perspektive unter anderen, wäre. In Interaktionen und anderen Kommunikationen kann der Widerspruch gegen die systemtheoretische Wahrheit dann nur noch als Widerspruch gegen die gesellschaftliche Normalwahrheit verstanden werden. Was aus einem solchen Widerspruch folgen würde, lässt sich autologisch einer Beobachtung Luhmanns (1974c: 233; siehe auch 1992c: 293) entnehmen: »In der Forderung zwingender Gewißheit wahrer Erkenntnisse hatte immer schon das Merkmal überzeugender Demonstrierbarkeit, also sicherer Übertragbarkeit des Wissens gelegen. Das legt nahe, Wahrheit funktional zu definieren als ein Medium der Übertragung von Sinn, das sich auf bestimmte Weise von anderen, vergleichbaren Medien wie Macht, Geld oder Liebe unterscheidet. Ihre spezifische
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Form gewinnt Wahrheit dadurch, daß ein besonderer Sanktionsmodus als Kriterium der Selektivität fungiert. Wahrheit kann niemand leugnen, ohne sich selbst als Mensch ohne Sinn und Verstand zu erweisen und sich damit aus der Gemeinschaft Welt tragender, Sinn konstituierender Menschen auszuschließen. Wahres Wissen versteht sich damit von selbst für alle, die Anspruch erheben auf relevant miterlebendes Menschsein. Wer Wahrheit bestreitet, diskreditiert nicht sie, sondern sich selbst.« In der Autologie, die die Differenz von Systemtheorie/Nicht-Systemtheorie noch systemtheoretisch betrachtet, liegt also eine formale Grenze und damit eine existenzielle Gefahr für die Praxis der Systemtheorie. Wenn die Systemtheorie den autologischen Bezug auf sich selbst und damit eine Grenze spezifischer Universalität zu absoluter Universalität überschreitet, läuft sie also erstens Gefahr, die Kritik an ihrer Wahrheit mit einem Widerspruch gegen die Wahrheit zu verwechseln und Kritiker damit so zu behandeln, als würden sie sich immer schon selbst diskreditieren (Luhmann 1992c: 293; gegen diese Gefahr argumentiert Luhmann 2009: 22f.). Dies kann mit den oben zitierten Folgen eines Widerspruchs gegen die lebensweltliche Wahrheit einhergehen, dass also Systemtheoretiker und Nicht-Systemtheoretiker sich wechselseitig aus der Gemeinschaft Welt tragender, Sinn konstituierender Menschen ausschließen bzw. in einen imaginären Bereich des Unsinns einschließen. Die Belastungsgrenze für die Verknappung von Wahrheitsmöglichkeiten durch die Systemtheorie verläuft aber auch wissenschaftsimmanent entlang der Unterscheidung systemtheoretisch/nicht-systemtheoretisch. Diese Grenze würde überschritten werden, wenn die Systemtheorie sich zwar als Episteme weiterhin von der Doxa unterscheidet, sich aber für das Ganze der Soziologie oder gar das Ganze der Wissenschaft nimmt. Luhmann (1992c: 671) schreibt hierzu: »Ein Wissenschaftler kann wissenschaftsintern zwar Schwerverständliches anbieten, aber nicht Unverständliches. […] Auch wissenschaftsintern ist man insofern auf eine ›Kultur‹ angewiesen, wenn das heißen darf: daß man sich auf nicht mitkommunizierte Verständlichkeitsvoraussetzungen muß verlassen können.« Auch hier wird deutlich, dass die Gefahr, die der Systemtheorie droht, nicht in einer zu großen Distanz zwischen systemtheoretischer Wahrheit und anderer wissenschaftlicher Wahrheit besteht, sondern in einer Systemkollision und damit einer Entdifferenzierung zwischen den Systemperspektiven Wissenschaft (Gesellschaft) und Systemtheorie. Den Bezug zwischen wissenschaftlicher Wahrheit der Systemtheorie und anderer Wahrheit zu verlieren, bedeutet eben den Verlust einer Differenz. Dieser Verlust tritt ein, wenn die Systemtheorie diese Differenz nicht mehr als selbstreferenzielles und autopoietisches System mitkommuniziert. Wenn die Systemtheorie also nicht ihre Ausdifferenzierung aus gegebenen Kontexten wie
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Lebenswelt, Wissenschaft und Soziologie beschreibt. Dies erklärt auch die vielen negativen Abgrenzungen in Bezug auf andere Funktionssysteme, Disziplinen und Interaktionsformen. Für diese zweite wissenschaftsimmanente Belastungsgrenze besteht damit die Gefahr, dass die autologische Form dazu führt, dass Widerspruch gegen die Systemtheorie mit Widerspruch gegen das Wesen wissenschaftlicher Wahrheit verwechselt wird. Wissenschaftliche Kritiker werden dann aus dem Bereich der Wissenschaftlichkeit verbannt und die Systemtheorie immunisiert sich somit gegen ihre Wahrheit. Dies werde ich im Folgenden an Beispielen verdeutlichen. Zunächst möchte ich aber zusammenfassend festhalten, dass die Systemtheorie sich ernsthaft mit der hier skizzierten Grenze und Gefahr konfrontiert sieht. Luhmann (1987e: 33) selbst spricht in Soziale Systeme davon, Gedanken, Anregungen und Kritik, die sich die systemtheoretische Differenz System/Umwelt und damit Wissenschaft/Nicht-Wissenschaft, wahr/unwahr, Soziologie/Nicht-Soziologie und Systemtheorie/Nicht-Systemtheorie nicht zu eigen macht, von der Systemtheorie nicht akzeptiert werden kann. Solche Selektionsprinzipien sind sehr basal. Ihre normalisierenden Effekte lassen sich entlang der autologischen Selbstbeschreibung der Wissenschaft weiterverfolgen, die immer auch eine Selbstverortung der Systemtheorie ist. In einer kurzen Rückschau auf mögliche systemtheoretische Selbstverortungen in der Gesellschaft wird deutlich, dass diese Selbstbeschreibungen als Wissenschaft Systemkollisionen immanent sind. Die Systemtheorie taucht auf mindestens drei Ebenen innerhalb ihrer Gesellschaftstheorie auf. Die Selbstbeschreibung der Systemtheorie operiert als Kommunikation im Theoriesystem (Systemtheorie/Nicht-Systemtheorie), im disziplinären System der Soziologie (Soziologie/Nicht-Soziologie) und im Funktionssystem der Wissenschaft (Wissenschaft/Nicht-Wissenschaft). Zu Regimekollisionen kommt es, weil die Systeme keine hierarchische Relation zueinander aufweisen, sondern sich wechselseitig bedingen und entlang des Codes systemtheoretisch-wahr/systemtheoretischunwahr kommuniziert werden. Systemtheoretisch-wahr ist die positive Seite des Codes und sorgt für Anschlusskommunikation, während die negative Seite des Codes zwar Kontingenz öffnen kann, aber auch das System bedroht (Luhmann 1987c: 14f.). Luhmann (1987e: 200f.) schreibt: »Es ist ungewöhnlich, wenn man in einer Diplomarbeit die Aussage ›Alles Kacke‹ findet; der Eindruck der Ungewöhnlichkeit setzt aber gerade die Verstehbarkeit der Aussage und ihre Zurechnung auf das System einer Prüfung voraus.« Die Systemtheorie ist zwar durchaus in der Lage, die negative Seite ihrer Codierung systemtheoretisch-wahr/systemtheoretisch-unwahr in einer Kommunikation oder Interaktion zur verstehen. Sie setzt damit aber immer schon die Existenz eines spezifischen Systems voraus, nämlich des Systems der Systemtheorie. Mit die-
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sem Code ist die absolute Grenze der Systemtheorie gezogen. Die systemtheoretische Kommunikation muss beim Kreuzen dieser Unterscheidung immer wieder zur Seite systemtheoretisch-wahr zurückkehren. Gleichzeitig plausibilisiert dieser Code die Gefahr, dass gesellschaftliche Anschlusskommunikation ausbleiben kann, dass es die Möglichkeit einer systemtheoretischen Katastrophe gibt, mit der Systemtheorie zu einem Ende kommen würde (für ambivalente Diagnosen zum gesellschaftlichen Status der Systemtheorie siehe Baecker 2015: 811; Wöhrle 2017). Um Luhmann (1992c: 717f.) autologisch zu paraphrasieren: Man kann die Praxis der Systemtheorie nicht einfach unterlassen, ohne katastrophale Folgen auszulösen – Katastrophe hier begriffen als Umstellung auf andere Eigenwerte. Und eben deshalb liegt es nahe, die Kritik der Praxis der Systemtheorie selbst systemtheoriemäßig durchzuführen, wenn man nicht in den imaginären Raum einer anderen Theorie flüchten will.11 Drittens, zur Regierung durch Theorie als Normierungsmacht: Im Folgenden werde ich das Subjektivierungsregime der Systemtheorie so beschreiben, dass eine Regierung durch Theorie deutlich wird. Dies zeige ich, indem ich die Systemperspektive im Zusammenhang mit der Selbstverortung in der Gesellschaft strategisch nutze. Mit strategisch meine ich, dass von den Systemperspektiven eine Normierungsmacht (Foucault 1994: 392f.) ausgeht und dass mittels der unterschiedlichen Systemtypen die reflexive Intoleranz (3.4) der Systemtheorie hervorgebracht wird. Das heißt auch, dass ich im Folgenden die bisherigen Selbstbeschreibungen der Systemtheorie zuspitze, um mögliche Praktiken der Subjektivierung zu skizzieren, die der oben aufgezeigten Selbstverortung in der Gesellschaft entspringen können. Ich werde zudem deutlicher als im vorherigen Kapitel (4.1) zeigen, welche theorieimmanente Wirkung eine kritische Haltung Foucaults entfalten kann. Aus diesem Grund werde ich zunächst das Verhältnis von Systemtheorie und Foucault näher bestimmen. Im Anschluss daran werde ich drei Szenen skizzieren, in denen die Systemtheorie ihre Systemperspektiven strategisch einsetzt und mit einer Normierungsmacht verbindet. Für den Wissenschaftsbezug der Systemtheorie gibt es zwei zentrale FoucaultReferenzen. Luhmann (1992c: 144f.) schreibt zu Beginn von Die Wissenschaft der Gesellschaft, dass Wissen nur durch Erleben und nicht durch Sanktionen bewirkt werden kann. Hier trifft er sich mit Foucualt – La vie : l’expérience et la science (Foucault 2005a). Weil Luhmann damit einen Macht-Wissen-Komplex in den Blick nimmt, erkennt er, dass Sanktionen, die sich gegen ein spezifisches nicht (beziehungsweise nicht dermaßen) Wissen Wollen oder Wissen Können richten (Luhmann 1992c: 144), 11
Im Original schreibt Luhmann (1992c: 717f.): »Man kann Forschung nicht einfach unterlassen, ohne katastrophale Folgen auszulösen – Katastrophe hier begriffen als Umstellung auf andere Eigenwerte. Und eben deshalb liegt es nahe, die Kritik der Forschung selbst forschungsmäßig durchzuführen, wenn man nicht in den imaginären Raum einer ›anderen Gesellschaft‹ flüchten will.«
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dazu führen, dass Personen aus relevanten Kommunikationszusammenhängen, also aus gesellschaftlichen Ordnungen, ausgeschlossen werden, statt dass ihr Wissen verhindert wird. In solchen Grenzfällen werden die Sanktionierten, wie oben skizziert, als Personen behandelt, die sich selbst diskreditieren und gefährden. Auf diese Weise bringt Wissen eine Grenze des Sagbaren und Sichtbaren hervor. Luhmann bezieht sich bei dieser Beschreibung explizit auf Foucault (1973), der die Grenzen der Kommunikation zwischen modernen Menschen und Irren nachzeichnet (Foucault 1973: 8f.).12 Luhmann wählt diesen Bezug nicht ohne zu betonen, dass Foucault aus einer sehr anderen, aber vergleichbaren Perspektive analysiert (Luhmann 1992c: 145). Inwieweit sich die Systemtheorie von dieser Perspektive Foucaults unterscheidet und mit ihr vergleichbar ist, wird am Ende von Die Wissenschaft der Gesellschaft deutlicher. Hier schreibt Luhmann (1992c: 666-667): »Alle Beobachtungen und Beschreibungen sind mithin abhängig von einer vorgängigen Kontextwahl, die in unserer Gesellschaft nur kontingent präsentiert werden kann. […] Nichts anderes behauptet Foucault (obwohl hier eine Prämisse hinzukommt, die wir nicht teilen: daß mit der Wahl eines Kontextes Macht ausgeübt werde, so als ob Macht selbst als eine kontextfreie verfügbare Möglichkeit zugänglich sei).« Übertragen auf die Praxis der Theorie heißt dies, dass auch sie abhängig ist von etwas Vorgängigem. Dass sie also etwas voraussetzt – so zum Beispiel ein Subjekt der Theorie, der die Forschungsleistung als wissenschaftliche Reputation zugeschrieben werden kann –, das sie gleichermaßen hervorbringt, weil sie in ihrer Praxis einen gesellschaftlichen Kontext schafft. Luhmann formuliert darüber hinaus eine externe Kritik an Foucault, die Foucault systemisch (sic!) missversteht. In dieser Lesart wird Foucaults Selbstbeschreibung der Gesellschaft insofern als alteuropäisch verstanden, als in ihr Macht als ein ontologisches Phänomen verstanden wird, das gegenüber Wissen primär sei. Mir geht es nun nicht darum, Foucault gegen Luhmann zu verteidigen. Ich interessiere mich mehr für die Funktion, die diese Delegitimation Foucaults, beziehungsweise das systemische Missverständnis Foucaults, im Rahmen der Systemtheorie erfüllt, und die Frage, ob und wie Foucaults kritische Haltung in die Systemtheorie eingeführt werden kann. Diese Aspekte hängen zusammen, denn indem Luhmann sich hier gegen die Machtanalytik Foucaults wendet und einen Rückfall von Differenz zu Einheit (Brunkhorst 1990a: 167) kritisiert, ist es ihm möglich auf der Ebene der Funktionssysteme zwar Kontingenz zu beobachten (Luhmann 12
Foucault argumentiert dabei durchaus im Sinne einer Logik der systemischen Unterscheidung, wenn er schreibt, dass es keine Vernunft ohne Wahnsinn geben kann. Wie die Systemtheorie interessiert er sich zudem dafür, wie eine solche Struktur gleichzeitig trennt und verbindet (Foucault 1973: 12f.).
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1992c: 681f.), seinen normativen Einspruch gegen eine radikale Öffnung der Kontingenz (Luhmann 1992c: 717f.) aber als systemimmanente und damit wissenschaftliche Notwendigkeit – statt als kontingente Normativität – erscheinen zu lassen. Um diese Funktion des systemischen Missverstehens Anderer (zweiter Aspekt der soziologischen Differenz) nachzuweisen, werde ich sie zunächst mit den Konsequenzen kontrastieren, die eine kritische Haltung Foucaults in der Systemtheorie bewirken kann. Daran anschließend werde ich in drei Szenen das systemische Missverstehen der Systemtheorie nachvollziehen. Abschließend werde ich kurz auf alternative Möglichkeiten für die Selbstverortung in der Gesellschaft verweisen, die die Verstrickung einer systemtheoretischen Selbstverortung in der Wissenschaft mit der reflexiven Intoleranz systemischer Missverständnisse auflösen. Luhmanns Einspruch gegen die radikale Öffnung der Kontingenz steht in einem engen Bezug zur Selbstverortung in der Wissenschaft. Auf gesellschaftstheoretischer Ebene hört sich dieser Einspruch wie folgt an: Luhmann (1992c: 715) schreibt über die Risikoforschung zur wissenschaftlichen Technologieentwicklung: »Aber es handelt sich zugleich auch um Modelle für ›autologische‹ Forschung der Wissenschaft über Wissenschaft, die sich ganz am Rande dessen entwickelt haben, was an Reflexionstheorien des Wissenschaftssystems vorliegt. Wenn es gelingt, diese Reflexionstheorien stärker auf eine konstruktivistische Basis umzugründen und sie mit Hilfe von Anregungen aus den sehr heterogenen ›cognitive sciences‹ wissenschaftlich zu sanieren, könnten auch Themen der traditionell eher externen Wissenschaftskritik zu Forschungsthemen werden. Dann würde die Wissenschaft sich selbst zwar nach wie vor im Schema ihres eigenen Codes wahr/unwahr beobachten; und sie käme nach wie vor nicht darauf, die Paradoxie dieses Codes zu thematisieren, also zu fragen, ob die Unterscheidung dieses Code selbst eine wahre oder eine unwahre Unterscheidung ist. Aber sie würde erkennen können, wie sehr sie ihre Eigenart und ihre Riskanz mit all den Merkmalen, die wir behandelt haben, mit anderen Funktionssystemen teilt und sie letztlich den Strukturen der modernen Gesellschaft verdankt.« Durch die Systemperspektive Gesellschaft ist die autologische Forschung also in der Lage, auch Wissenschaftskritik zum Thema zu machen und somit systemisch in die Wissenschaft zu integrieren. Luhmann spricht sich hier explizit gegen eine Paradoxierung der Wissenschaft und damit gegen die Imagination einer anderen Gesellschaft aus. Wissenschaft und auch autologischer Forschung kommt demnach die Aufgabe zu, einen Eigenwert der Moderne zu stabilisieren (Luhmann 1992c: 717f.). Dies ist keine logische, schon gar keine autologische Notwendigkeit, sondern bringt vielmehr Luhmanns theoretische Haltung zum Ausdruck. Diese Haltung erweckt zunächst den Eindruck, dass die kritische Haltung Foucaults mit der Systemtheorie inkompatibel ist. Dem werde ich im Folgenden widersprechen, indem
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ich zeige, dass die Praxis der Theorie nicht notwendig an die Haltung Luhmanns gebunden ist. Luhmanns Systemtheorie geht von dem Erstaunen aus, dass trotz Polykontextualität, Heterarchie und Hyperkomplexität der Gesellschaft (Fuchs 2013: 103) soziale Ordnung möglich ist. Luhmann beschreibt dies als theoriemotivierendes Staunen, das sich wundert, dass überhaupt Ordnungen entstehen (Luhmann 1991a: 151). Interessanterweise kommt Luhmann, der also von der radikalen Kontingenz und Unordnung her denkt, auf diesem Weg, kontraintuitiv, immer wieder zur Ordnung, zu glatten Grenzen und klar getrennten Ebenen (Leanza 2014a). Eine Erklärung hierfür bietet die oben skizzierte autologische Praxis der Systemtheorie. Foucault hingegen hat die Sackgasse entdeckt, in die eine solches Selbstverhältnis immer wieder führt. Gilles Deleuze (1992, 133f.) hat diese These früh vertreten: »Wenn Foucault sich nach Abschluss des Willens zum Wissen in einer Sackgasse befindet, so nicht aufgrund seiner Art und Weise, die Macht zu denken, sondern eher, weil er die Sackgasse entdeckt hat, in die uns die Macht selbst führt, in unserem Leben wie in unserem Denken, uns, die wir in unseren winzigsten Wahrheiten auf sie stoßen«. In Bezug auf die theoretische Praxis übertragen, lässt sich sagen, dass Foucault erkannt hat, dass in ihr die Kontexte hergestellt werden, denen sich das Denken unterwirft. Foucault denkt zwar von der Ordnung her, gelangt dann aber, kontraintuitiv und komplementär zu Luhmann, immer wieder zu den Lücken, Freiräumen und Unterbrechungen in den Maschen der Macht (Foucault 2005c). Mit seiner Haltung ist es möglich, die Eigenwerte der Moderne nicht mehr stabilisieren zu wollen und auch noch ihre historischen Apriori (Foucault 1981: 184) von funktionaler Differenzierung und Wissenschaftlichkeit auf Distanz zu bringen. Um die Instabilität der sozialen Verhältnisse und damit die Instabilität der systemtheoretischen Selbstverortung in der Wissenschaft in den Fokus der Analyse zu rücken, kann Foucaults kritische Haltung (3.1) als ein normatives Korrektiv innerhalb der Systemtheorie wirken. Für mein theoretisches Unterfangen ist etwas viel Pathos in Foucaults Forderung, den Stimmen der Ausgegrenzten einen Ort zu geben und ein Ohr zu leihen, sie verdeutlicht aber, warum bei Foucault (2005e: 178; siehe auch 1973: 7-16) nach den Möglichkeiten einer anderen kritischen Haltung der Systemtheorie gesucht werden kann: »Niemand muss glauben, diese wirren Stimmen sängen schöner als andere und sagten die letztgültige Wahrheit. Es genügt, dass sie da sind und alles sie zum Schweigen zu bringen versucht, damit es sinnvoll ist, sie anzuhören und verstehen zu wollen, was sie sagen. Eine Frage der Moral? Ganz sicher eine Frage der Realität.«
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Die Systemtheorie zeigt, dass es von der Systemperspektive abhängt, welche Stimmen wirr klingen. Wenn sie also selbst bestimmte Stimmen missversteht, handelt es sich um systemisches Missverstehen. In der Wissenschaft klingt zum Beispiel der Ausspruch Alles Kacke! (Luhmann 1987e: 201) wirr. Dass von der Systemtheorie die Stimmen systemisch ausgegrenzt werden, die nicht in die Praxis der Systemtheorie passen, verstärkt den Eindruck, dass hier eine Haltung vorherrscht, die von einem normativen Einspruch gegen eine radikale Öffnung der Kontingenz getragen ist und die sich demnach auch von Moral leiten lässt. Damit bildet diese Haltung aber ein parasitäre soziale Unterscheidung, in der die Affirmation des eigenen Standpunktes, des eigenen Ortes in der Gesellschaft, dazu dient, eine eigene Gruppe von anderen zu unterscheiden (Luhmann 1987c: 27). Haltungen sind parasitäre Unterscheidungen, weil sie scheinbar ein »Ich« in das System einführen, das sich im System gegen das System richtet, und zwar aus einer Position, als ob es außerhalb stehen würde (Luhmann 1987c: 28). Dass die Praxis der Systemtheorie durchaus in der Lage ist, Haltungen zu befördern und damit unterschiedliche sanktionierende Ausschlüsse vorzunehmen, liegt in ihrer eigenen Logik begründet. Sie erkennt einerseits, dass alle Codes und Leitdifferenzen Möglichkeiten der Asymmetrie, also Präferenzcodes anbieten. Andererseits verhalten sich diese nicht notwendig hierarchisch zueinander (Luhmann 1987c: 18). Dass die Systemtheorie also die Stabilität der einen Seite von Leitdifferenzen – also Wissenschaft, Soziologie, Systemtheorie, wahr – präferiert, folgt nicht notwendig aus ihrer Autologik, sondern ist Ausdruck einer Haltung. Versteht man die Analytik der Macht im Anschluss an Foucualt nicht, wie Luhmann, als eine machtmonistische Ontologie, sondern Wissen und Macht als ein Analyseraster (Foucault 1992: 33), dann ist es möglich, die kritische Haltung Foucaults in die Systemtheorie einzuführen. Hier würde es dann gerade nicht darum gehen, Luhmanns Haltung einzunehmen, der es um die Immunisierung der Codes gegen ihre Deformierung geht (Stäheli 2000b: 176-283). Stattdessen geht es darum, selbst moralisch parasitär zu agieren, um den Code des eigenen Systems subversiv zu unterlaufen (zum parasitären in der Systemtheorie siehe auch Leanza 2014a: 30; 2014b; Stäheli 2000b: 281ff.) und so die Kontingenz der Codes zu öffnen. Statt einer kontextunabhängigen Macht betont Foucault (in dieser Lesart), wie auch die Systemtheorie (in dieser Lesart), wie auch ich, dass die der Beobachtung und Beschreibung vorgängige Kontextwahl eine spezifisches Subjekt der Theorie gleichermaßen hervorbringt wie voraussetzt. Kontextwahl und Praxis der Theorie stehen damit nicht in einem vor oder nachgelagerten Verhältnis, es gibt keine kontextfreie Macht und gerade deswegen keinen machtfreien Kontext. Es gibt aber unterschiedliche Kontexte und entsprechend unterschiedliche Formen der Macht. Im Kontext meiner Arbeit gibt es also unterschiedliche Formen eines Subjekts der Theorie und einer Praxis der Theorie. In dieser Analyse des Subjektivierungsregimes der systemtheoretischen Selbstverortung in der Gesellschaft argumentie-
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re ich also weiterhin theorieimmanent, wenn auch subversiv statt affirmativ (zur prinzipiellen Affirmation systemimmanenter Reflexionen siehe Kieserling 2004: 48; zur Gefahr der Affirmation durch die immanente Kritik und der Möglichkeit subversiver Argumentationsverfahren siehe 3.4). Das heißt, dass ich durch die systemtheoretische Darstellung der folgenden drei Szenen die Kontingenz der Praxis der Theorie nicht nur feststelle, sondern sie subversiv zu öffnen versuche. Um dies zu plausibilisieren, werde ich später alternative Selbstverortungen der Systemtheorie aufzeigen. Zunächst werde ich aber drei Szenen nachzeichnen, in denen eine Normierungsmacht von der Praxis des systemischen Missverstehens ausgeht. Mit Normierungsmacht beziehe ich mich auf ein Konzept, das Foucault (1994) in Überwachen und Strafen umrissen hat. Entscheidend ist hierbei, dass diese Macht sich zwar an Sanktionen gegenüber Ausgeschlossenen veranschaulichen lässt, dass diese Macht aber nicht nach außen, sondern nach innen wirkt. Das systemische Missverstehen der Systemtheorie wirkt also vor allem innerhalb der Praxis der Systemtheorie, weshalb das, was auf der anderen Seite passiert, auch in den folgenden Szenen nicht vollständig sichtbar gemacht wird. Normierungsmacht beschreibt Foucault (1994: 392) wie folgt: »Wir leben in der Gesellschaft des Richter-Professors, des Richter-Arztes, des Richter-Pädagogen, des Richter-Sozialarbeiters; sie alle arbeiten für das Reich des Normativen; ihm unterwirft ein jeder an dem Platz, an dem er steht, den Körper, die Gesten, die Verhaltensweisen, die Fähigkeiten, die Leistungen. In seinen kompakten und diffusen Formen, mit seinen Eingliederungs-, Verteilungs-, Überwachungs- und Beobachtungssystem war das Kerkersystem in der modernen Gesellschaft das große Fundament der Normalisierungsmacht.« Diese Stelle aus Überwachen und Strafen ist von zentraler Bedeutung, weil hier die genealogische These aufgestellt wird, dass das humanwissenschaftliche Beobachtungssystem auf dem Fundament eines Kerkersystems steht, das Foucault als Panopticon (Foucault 1994: 251-292) beschreibt. Unabhängig von einer historischen Tatsachenprüfung dieser Behauptung setzt mit dieser These der kritische Effekt ein, den Martin Saar (2013c: 253) im Anschluss an Foucault der genealogischen Kritik zuschreibt: »Mache dir diese mögliche Wahrheit über dich, dass du nur auf der Grundlage der aufgewiesenen Machtwirkungen geworden bist, wer du bist, zu eigen und frage dich, ob du das erträgst oder ein anderer (oder eine andere) werden mußt.« Diese Wirkung, die ich als Öffnung der Kontingenz bezeichne (2., 3.1, 3.4), könnte auch innerhalb der Systemtheorie einsetzen, wenn sie ganz analog zu Foucualt feststellt, dass es keine gesellschaftliche Monopolisierung der Macht, auch nicht in einem Funktionssystem wie der Politik gibt (siehe auch Stäheli 2000b: 271-308). Stattdessen ist Macht auch innerhalb der Systemtheorie eine lebensweltliche Uni-
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versalie gesellschaftlicher Existenz (Luhmann 1988: 90), über die Luhmann (1988: 92) schreibt: »Ein weiteres und vielleicht größeres Problem bildet das Volumen gesellschaftlicher Macht, das außerhalb jeden Bezugs zum politischen System entsteht und verbleibt – zunächst vor allem die Macht in der Familie (die ›Despotie‹ im eigentlichen Sinne) und die Macht der Priester, sodann die Macht in der Wirtschaft, vor allem die in der Neuzeit viel diskutierte Macht des Eigentümers, und heute nicht zuletzt die im Erziehungssystem ausgeübte Macht, die sich des Mittels der Entscheidung über Statuszuweisungen bedient. All diese Erscheinungen führen vor die Frage nach Grenzen der Politisierbarkeit von Macht.« Die Richter-Väter, die Richter-Priester, die Richter-Vermieter, die Richter-Erzieher – die Systemtheorie ist durchaus offen für solche Beobachtungen der Gesellschaft und kann sie entsprechend autologisch auf sich selbst anwenden. Sie würde dann sehen, welche Macht von Richter-Systemtheoretikern ausgeht, und könnte mit einer anderen Haltung zu dem Schluss kommen, dass sie eine andere werden muss. Das heißt auch, dass die kritische Haltung im Anschluss an Foucault nicht notwendig dazu führt, aus der Systemtheorie ausgeschlossen zu werden. Was mit dieser Haltung passiert, ist eine entscheidende Verschiebung im Umgang mit und der Bewertung von Kontingenz. Bevor ich die drei Szenen des systemischen Missverstehens aufzeichne, werde ich kurz den Richter-Systemtheoretiker skizzieren. Die reflexive Intoleranz der Systemtheorie kann zum Beispiel an kollegialen Interaktionen verdeutlicht werden. Hier sind Interaktionen denkbar, die sich wissenschaftlich entlang des Codes wahr/unwahr ereignen und damit ein System der Theoriekommunikation bilden. Wie verhält sich ein Systemtheoretiker, wenn er Gedankengut, Anregungen und Kritik nur akzeptiert, insofern die systemtheoretische System/Umwelt-Differenz und damit auch die wissenschaftliche Selbstbeschreibung als Operation entlang des Codes wahr/unwahr anerkannt wird (Luhmann 1987e: 33). Es ist leicht zu sehen, dass es in solchen Interaktionen zu einem Konflikt kommt, wenn der Andere nicht selbst entlang der systemtheoretischen Differenz System/Umwelt kommuniziert und damit Teil der Mitbestimmungsprosa wird. Damit ist jeder aus dem System ausgeschlossen, der nicht den Selektionsprinzipien der Systemtheorie folgt. Einige Regeln, die die Systemtheorie in Bezug auf wissenschaftliche Wahrheitskommunikation beobachtet, habe ich weiter oben nachgezeichnet. Diese Regeln werden autologisch zu den Regeln der Interaktion. So muss zum Beispiel der Drang nach Reputation in der Wissenschaft verdeckt bleiben (Luhmann 1974c: 239f.). Die Systemtheorie beobachtet diese Regel und schließt sich ihr autologisch an. Dies ist ein Grund, warum Luhmann in Interviews seine Intention in Bezug auf seine gesellschaftliche Position verdeckt lässt. Ihm geht es nur um die Ausarbeitung einer allgemeinen Gesellschaftstheorie, um eine
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Fachsache und Systemtheorie als Selbstzweck und nicht um politische Motivationen (Luhmann 1996a: 67; 2014a: 70; 2014b: 33). Kritik an seinem politischen Standort, Entstehungsgeschichten der Systemtheorie, und die Reflexion der Wirkungsabsichten des Verfassers treffen die Theorie nicht, weil sie lediglich der bestehenden Theorie eine neue Theorie über Theorie hinzufügen (Luhmann 1974a: 253). Diese Abwehr der Kritik tritt als Bescheidenheit auf, weil sie eingesteht, dass beides Theorien sind, dass es sich bei der Systemtheorie und der Kritik der Systemtheorie um Beobachterperspektiven handelt, die zunächst symmetrisch nebeneinander stehen, die aber immer beide ihre Berechtigung haben. Diese Bescheidenheit sagt den Kritikern aber auch: Euer Problem ist nicht mein Problem (Luhmann 2009: 21). Hörisch (2010: 353) schreibt zu dieser reflexiven Immunisierung der Systemtheorie: »Der blinde Fleck in der Beobachtung der Systemtheorie ist bemerkenswert klein. Sieht sie doch noch, daß auch sie, die von fast ›allem‹ handelt (Religion, Kunst, Liebe, Erziehung etc.), über vieles, was uns immens wichtig ist, nichts Verbindliches sagen kann (z.B. über Menschen und Einzelbiographien). Diese Bescheidenheit entkräftet den rhetorisch wohl bündigsten Einspruch gegen die Systemtheorie: Sie sei die Ausgeburt des Größenwahns eines deutschen Verwaltungsbeamten.« Bescheidenheit und reflexive Immunisierung fallen hier zusammen, weil die anderen Theorien für die Systemtheorie schlicht undurchdringlich sind oder eben systemtheoretisch integriert werden können (Brunkhorst 1990a: 144). Eine reflexive Immunisierung, die ihren Kritikern immer schon vorauskommt, führt zwar nicht notwendig in reflexive Intoleranz, macht sie aber wahrscheinlich und damit zu einer Gefahr. Diese Gefahr wird deutlich, wenn Systemtheoretiker in Interaktionen kaum auf Kritik, Fragen und Anmerkungen reagieren können und stattdessen ihre systemtheoretische Beschreibung von vorne beginnen. Sie vollziehen damit den erfolgreichen Systemabschluss der Systemtheorie (Brunkhorst 1990a: 144). Nachzulesen ist diese Praxis zum Beispiel, wenn Luhmann auf die weiter oben skizzierte Kritik Latours (3.4.) zwar gelassen reagiert, aber inhaltlich nur von vorne darauf verweist, dass das Reich der Dinge und der Sprache getrennt sind und bleiben (Wagner 1996: 481). Dirk Baecker (1999: 37) beschreibt diese Reflexivität, die immer wieder auf den operativen Anfang zurückgeht, ohne einen ontologischen Ursprung zu finden, als die typische Geste der Systemtheorie. Diese Anfänge lauten zum Beispiel: draw a distinction (von Foerster/Pörksen 2008: 78; Luhmann 2008a: 7); beobachte Beobachter (Luhmann 2001c: 221; 2008a: 7); es gibt soziale Systeme (Luhmann 1987e: 30) oder eben: Soziologie ist Wissenschaft. Die Autologie der Systemtheorie, in der die Beschreibung der Wissenschaft mit einer Selbstverortung in dieser Wissenschaft und einer Selbstbeschreibung der Systemtheorie zusammenfällt, führt dann zum Ausschluss von Anderen und zum Abschluss des Eigenen. Teil der demokratischen Mitbestimmungsprosa ist nur, wer den Kontext so wählt, dass die systemtheoretischen Anfänge, die eine systemtheoretische Wahrheit voraussetzen, zur Subjekti-
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vierung genutzt werden. Dies zeigt sich in einem Interview mit Wolfgang Hagen. Hier entfaltet sich, im Anschluss an Luhmanns (2004: 43-44) Antwort auf die Frage nach dem Ethos seiner Theorie, folgender Dialog: »Ich denke, es ist eigentlich die Frage: Was machen wir mit den Ausgeschlossenen, die nicht zustimmen. In der Wissenschaft, – da sollen die gefälligst eine bessere Theorie schreiben. Aber vom Ethos her, von der normativen oder moralischen Grundlehre gesehen, kann man eigentlich mit denen gar nicht umgehen. Die sind eben irgendwie Häretiker oder was immer. Ich finde, das Ganze nun auf einen, einen ›bloß‹ wissenschaftliches Terrain runterzuspielen, das finde ich auch wiederum politisch sinnvoll. Jede Behauptung von Kriterien, jede Behauptung von Ausgangspunkten, Prämissen und so weiter oder von Theoriestrukturen schafft ja immer Leute, die nicht zustimmen. Ja, die sagen: Das ist nicht so. Es ist nicht so oder es ist unakzeptabel, das so zu schreiben. Und was macht man mit denen? Die haben halt unrecht. Ja, wenn man eine normative Grundlage für die eigene Theorie behauptet. Wenn man das nicht tut, wie ich es versuche, dann sagt man: Dann schlagt mal was vor, macht es doch besser, macht doch eine bessere Theorie, die also eure Gesichtspunkte besser in den Vordergrund rückt oder was immer.« Der Versuch, die Theoriedebatte auf den Bereich der Wissenschaft abzukühlen, ist für Luhmann also durchaus eine strategische, politische Entscheidung, die andere ausschließt und das eigene Vorgehen legitimiert. Dieser Ausschluss findet aber nicht alleine durch eine moralische, wissenschafts- und systemtheorieexterne Verurteilung statt. Parasitär ist dieser Ausschluss, weil er mit einer juristischen Gelassenheit vollzogen wird. Der Richter-Systemtheoretiker stellt fest, dass die Anderen sich eben einer bestimmten Regierung durch Theorie entziehen, sich ihr nicht freiwillig unterwerfen und dass sie es deshalb auf anderem Territorium mit anderen geteilten Ansichten versuchen müssen. Die Systemtheorie stellt zwar die eigene Kontingenz aus und relativiert damit die eigene Weltbeschreibung, Grenzziehung, Kontextualisierung (Luhmann 1973: 349; 1992c: 667; 1998: 1132f., 1143-1149). Von dieser Selbstrelativierung geht aber eine Macht aus, die als eine spezifische Praxis der Systemtheorie zu einer reflexiven Intoleranz führt. Dies werde ich im Folgenden verdeutlichen. Hierzu werde ich drei Szenen zeigen, in denen die Systemtheorie ihren Bezug zu nicht-systemtheoretischer Wahrheit verliert. Das bedeutet, dass in diesen Szenen die Differenz systemtheoretisch-wahr/systemtheoretisch-unwahr von einer Moral der Systemtheorie parasitär unterlaufen wird, die darüber entscheidet, welche Wahrheit gut oder schlecht ist. Solche parasitären Formen laufen üblicherweise in konflikthaften Interaktionen (Luhmann 1987e: 531; siehe auch Leanza 2014b: 168; Schneider 2015:
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821; Stäheli 2000b: 303ff.) ab. Im Folgenden werde ich zwar Kommunikationen rekonstruieren, die nicht unbedingt auf Anwesenheit angewiesen, aber durchaus als Interaktionen denkbar sind, weil es sich um Szenen des kommunikativen Konflikts handelt. Im ersten Fall geht es um den Bezug zur Alltagssprache und zur lebensweltlichen Wahrheit. Im zweiten Fall geht es um wissenschaftsimmanente Kritik und die Verschiebungen der Systemperspektive (zu parasitärer Kommunikation in der Wissenschaft siehe auch Schneider 2015: 825f.). Im dritten Fall geht es ebenfalls um den Umgang mit wissenschaftsimmanenter Kritik, allerdings in Bezug auf die Ambivalenz von Allzuständigkeit ohne Alleinzuständigkeit. Erste Szene: Ich habe bereits gezeigt, dass die autologische Form mit der Gefahr verbunden ist, dass Systemtheoretiker den Bezug zur Alltagswelt verlieren. Kommen sie an die Grenze der Form, drohen sie einer reflexiven Intoleranz zu verfallen. Die folgende Geschichte Niklas Luhmanns zeigt zwar, dass die Systemtheorie die Gefahr einer sich ausbreitenden systemtheoretischen Sprache mitreflektiert und auch dieser Gefahr mit Bescheidenheit begegnet. Als Gefahr liegt sie aber im Bereich des Möglichen der Systemtheorie und es sagt demnach viel über die Regierung durch Theorie aus, dass folgende Szene überhaupt im Möglichkeitshorizont der Praxis der Theorie erscheint: »Nach einer wissenschaftlichen Konferenz in Dubrovnik haben wir einen Ausflug auf eine nahegelegene Insel gemacht und dann sind wir auf den Berg gegangen, Alois Hahn, Schwanitz, vier Leute, vier Systemtheoretiker. Und dann wollten wir wieder runter, weil das Schiff abfuhr. Und wir wählten einen falschen Weg, es war dann schon fünf, und das Schiff wartete bereits am Hafen. Und dann haben wir uns überlegt, was geschehen würde, wenn wir auf der Insel blieben, und nach 100 Jahren wird die Insel wiederentdeckt und dann spricht man ›Systemtheorie‹ als Alltagsspreche. Wir sind längst gestorben, aber man spricht Systemtheorie. Man muß sich nur vorstellen, was wäre, wenn ein Theoriejargon Sprache werden würde. Das geht noch mit einzelnen Worten, ›Kontingenzbewältigung‹, ›Reduktion von Komplexität‹ – das kann man ja so sagen. Aber wenn die Gesamtlage einer Theorie Alltagssprache wird, dann wäre das erstens unvorstellbar und zweitens unheimlich. Das kann man gar nicht wünschen. Die Theorie sollte also ein Faktor sein, der Irritationen erzeugen kann, um andere Leute dazu zu bewegen, selbst zu denken.« (Luhmann 2009: 22f.) Diese Anekdote Luhmanns kann auch als metaphorische Beschreibung einer Situation gelesen werden, in der die Differenz zwischen Theoriesprache und Alltagssprache und damit zwischen systemtheoretisch-wissenschaftlicher und lebensweltlichalltäglicher Wahrheitskommunikation verloren geht oder die Systemtheorie die Verknappung der Wahrheitsmöglichkeiten in ihrer eigenen Praxis überzieht (siehe hierzu Buber 1973b: 128). Es wird in dieser Geschichte über Systemtheoretiker unter sich an ihrer Haltung deutlich, dass die Regierung durch Systemtheorie dazu
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führt, dass Einzelne sich an den Nicht-Ort des Subjekts der Systemtheorie imaginieren, das nur systemtheoretisch spricht. Von diesem Nicht-Ort geht der Sog aus, voll und ganz zum Subjekt der Theorie zu werden und so den Bezug zur Alltagswelt zu verlieren. Nicht weil man so weit von ihr abrückt, sondern weil dieses Subjekt der Theorie zum Alltag wird. Während es in der hier skizzierten Szene um den Verlust einer Beziehung zwischen Wissenschaft/Nicht-Wissenschaft geht, zeigt das folgende Beispiel, wie die Systemtheorie die Wahrheitsmöglichkeiten innerhalb wissenschaftlicher Kommunikationen verknappen kann und so ihre eigenen Differenzen normalisiert. Zweite Szene: Als Beispiel kann hier die Diskussion zwischen Karin Knorr-Cetina (zusammenfassend 1992: 412-413) und der Systemtheorie angeführt werden. KnorrCetina (1992: 412) verweist darauf, dass sich empirisch sowohl wissenschaftliche Interaktionen als auch Ergebniskommunikationen, zum Beispiel in Publikationen, nicht nur am Code wahr/unwahr, sondern auch an Reputation, Originalität und Funktionalität orientieren. Hieraus folgt für Knorr-Cetina (1992: 413), dass die Systemtheorie immer damit rechnen muss, dass ihre Beschreibung der Gesellschaft sich so gar nicht empirisch auffinden lässt und dass sie die soziale Realität eher bereinigt, als ihre Vielschichtigkeit zu analysieren. Luhmann (2005: 272) fasst die Kritik Knorr-Cetinas in seiner Vorlesung zur Einführung in die Theorie der Gesellschaft wie folgt zusammen: »Für Frau Knorr liegt das eigentliche Argument aber noch auf einer anderen Ebene, nämlich auf der Ebene der Interaktion. Bei ihren Beobachtungen in Laborsituationen, aber auch in vielen anderen Situationen ist für sie der Eindruck entscheidend, dass in der konkreten Realität beispielsweise des Forschungshandelns die Werte wahr/unwahr gar nicht vorkommen, gar nicht zitiert werden, sondern Gesichtspunkte wie Reputation, Selbstbehauptung, Sich-auf-einemPublikationsmarkt-Durchsetzen, Karriere und der gleichen dominant sind, also Sachverhalte, die sich nicht unbedingt einem einzelnen Funktionssystem zuordnen lassen.« Während Knorr-Cetinas Untersuchung auf der Ebene von Interkationen und Organisation durchaus anschlussfähig wären, werden sie von Luhmann zunächst auf die Systemperspektive Interaktion verengt. In der Diskussion ist es Luhmann nun möglich, selbst die Systemperspektive Gesellschaft einzunehmen und nicht nur über die Differenz von wissenschaftlichem Nichtwissen und Kapitaleinsatzrisiko zu reden (Luhmann 2005: 272ff.), sondern innerhalb der Kommunikation den Anderen systemisch misszuverstehen. Systemisches Missverstehen bedeutet in diesem Zusammenhang, einen (strategischen) Wechsel der Systemperspektive, der dazu führt, dass die kritische Kommunikation des Anderen sein eigenes Argument widerlegt oder das systemtheoretische Argument bekräftigt. Dies ist eine zentrale Normalisierungsstrategie (Stäheli 2000b: 305) der Systemtheorie. Diese Stra-
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tegie lässt sich in der weiteren Kommunikation zwischen Knorr-Cetina und der Systemtheorie illustrieren. Kieserling missversteht Knorr-Cetinas Argumentation selbst als Wahrheitskommunikation und bringt damit sein eigenes systemtheoretisches Verstehen gegen die empirischen Erkenntnisse Knorr-Cetinas in Anschlag. Er schreibt: »Merkwürdigerweise ist die Rhetorik dieser Untersuchungen aber durchaus empiristisch: Man beruft sich auf eigene Wahrnehmungen, man druckt Photographien ab, man hält konkurrierenden Beschreibungen das Fehlen oder die unzutreffende (!) Deutung von Wahrnehmung vor, man pflegt eine Haltung der deflationierenden Theorieskepsis usw.« (Kieserling 2004: 33-34) Kieserling argumentiert also gegen Knorr-Cetina, dass ihre eigene Studie ja entlang des Codes wahr/unwahr kommunizieren würde und dies erscheine in Bezug auf ihre eigenen Ergebnisse merkwürdig. Knorr-Cetinas Aussagen als merkwürdig zu verstehen, gelingt durch einen strategischen Perspektivwechsel von Interaktion zu Gesellschaft. Solche Perspektivwechsel sind in der Systemtheorie immer möglich, weil für nahezu jedes Objekt unterschiedliche Typenaussagen getätigt, also unterschiedliche Systemperspektiven eingenommen werden können. Das macht die Systemtheorie einerseits hochgradig produktiv, andererseits kann diese Bewegung zwischen Systemperspektiven eben als Strategie genutzt werden, um die wissenschaftliche Kommunikation im Sinne der Systemtheorie zu normalisieren. Das bedeutet vor allem, dass die Paradoxierung von zentralen Unterscheidungen für die systemtheoretische Selbstverortung in der Gesellschaft (System/Umwelt; Wissenschaft/Nicht-Wissenschaft; Soziologie/Nicht-Soziologie; Systemtheorie/Nicht-Systemtheorie; systemtheoretisch-wahr/systemtheoretisch-unwahr; wahr/unwahr) ausgeschlossen werden kann. Aus den systemtheoretischen Imperativen – draw a distinction, beobachte Beobachter – folgt der moralische Imperativ: Du sollst nicht entdifferenzieren (Stäheli 2000b: 304; siehe auch Luhmann 1987a: 126ff.). Dass es sich bei dieser Strategie um eine machtvolle Praxis der Theorie handelt, ist auch theorieimmanent in der Systemtheorie zu erkennen. Durch den Nachvollzug der Praxis der Theorie lässt sich immanent die Grenze systemtheoretischer Interaktionen, organisierter Kommunikationen, ihr Umgang mit dem Kommunikationsmedium Wahrheit und letztlich ihre autologische Selbstverortung in der Gesellschaft nachzeichnen. Gerade dadurch, dass diese Analyse die Systemtheorie und ihre Autologie überzieht, werden auch Bruchstellen innerhalb ihrer Praxis deutlich. Die Normierungsmacht und die reflexive Intoleranz der Systemtheorie lassen sich dadurch, wie folgt, generalisieren. Dritte Szene: Das Spiel zwischen konkurrierenden Theorien wird vermutlich schnell von der Mitspielerin gewonnen, die die Spielregeln durch die Universalisierung der eigenen Gesellschaftstheorie und damit durch die Herstellung
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des Spielfeldes bestimmt. Luhmann (1971: 291) führt diesen Spielzug in der Theorie-Diskussion mit Habermas offen aus: »Unter diesen Umständen erscheint es mir vordringlicher und auch reizvoller zu sein, die sezierende Kritik von Habermas mit einem Vergleich der beiden Positionen zu beantworten. Damit wird nicht der Anspruch auf eine neutrale, schiedsrichterliche Rolle erhoben. Ich verwende die Optik der Systemtheorie auch in diesem Versuch, bleibe also in dem von mir artikulierten Denkzusammenhang« Luhmann erkennt in seiner Antwort, dass Habermas versucht, eine interne Kritik der Systemtheorie Parsons zu formulieren, die beide Theorien nicht in einem Konkurrenzverhältnis, sondern in einem kritischen Verhältnis zueinander positioniert (Luhmann 1971: 292). Die Kritik von Habermas zielt also auf ein gemeinsames Ziel der vernünftig annehmbaren Wahrheit, während Konkurrenz von Theorien letztlich auf die gesellschaftliche Durchsetzung im Kampf um die Ressource Wahrheit drängt (Reitz 2016: 38f.; siehe auch Luhmann 1971: 293). Für Luhmann ist Theorie aber von vornherein ein Spiel, also ein Konkurrenzgeschäft. Was Luhmann also in Reaktion auf Habermas macht, ist, durch einen Neuanfang ein systemisches Missverstehen zu erzeugen. Statt mit oder gegen Habermas nach einer für beide Seiten vernünftig annehmbaren Wahrheit zu suchen, vergegenständlicht er die Theorie-Diskussion von Habermas. Auf diese Weise gelingt es der Systemtheorie genau diese Einigung auf eine gemeinsame vernünftig anzunehmende Wahrheit zu vermeiden und die eigenen Spielregeln für eine Theorie-Diskussion zu reaktualisieren.13 Sofern die Systemtheorie ein selbstreferenzielles System ist, handelt es sich um eine Form zur Selbstbeschreibung (Luhmann 1998: 1136). So muss auch ihr Begriff von Wahrheit ein theorieimmanenter Begriff sein, der nicht etwa in der Umwelt der Theorie liegt (Luhmann 1987e: 146). Dies führt zu Konsequenzen in Bezug auf mögliche theoretische Kritik der Systemtheorie und theoretische Konkurrenz mit der Systemtheorie. Für theoretische Kritik müsste die Systemtheorie sich mit ihren Kritikern auf eine allgemein akzeptierte und angestrebte Vernunft und Wahrheit 13
Gesa Lindemann (2009: 33) hat in Bezug auf die Systemtheorie ähnlich argumentiert: »So sieht Luhmann die Notwendigkeit, die eigene Theorie bzw. das eigene Beobachten der Gesellschaft als ein gesellschaftliches Phänomen zu denken. Diese Art von Reflexivität ist für ihn das Markenzeichen einer guten Theorie. Damit ist aber nicht gemeint, die formale Struktur des eignen Erkennens von der Möglichkeit ihres Andersseins her zu denken. Denn die Reflexion auf die eigene Theorie erfolgt in dem Rahmen, der von der allgemeinen Gesellschaftstheorie vorgegeben wird. Die Reflexion auf das eigene Erkennen wird damit begrifflich eingeholt. Die allgemeine Gesellschaftstheorie legt ein historisch nicht mehr zu relativierendes Verständnis dessen fest, wie Gesellschaft und wie die Gesellschaftstheorie selbst als Teil der Gesellschaft zu begreifen sind. Die begriffliche Form des Sich-selbst-Begreifens kann ihrerseits nicht mehr relativiert werden.«
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einigen können, wenn die Kritik jenseits der Theorien Bestand haben soll. Dies ist offensichtlich nicht möglich. Die Möglichkeit der Konkurrenz um wissenschaftliche Wahrheit bedarf im Gegensatz zur Kritik keiner übergreifenden Bestimmung dessen, was vernünftigerweise als wahr angenommen werden kann (Reitz 2016: 38f.), noch ist sie an die immanente wahr/unwahr-Differenz der Systemtheorie gebunden. Konkurrenz findet auf der Ebene soziologischer Theorien und zwischen unterschiedlichen Theorieangeboten letztlich mit je eigenen Wahrheitsbegriffen und damit auf unterschiedlichen epistemologischen Ebenen statt. Die von Luhmann angesprochene Substitutionskonkurrenz von Theorien ist nicht die Konkurrenz um das systemtheoretisch begriffene Medium der Wahrheit, sondern um gesellschaftlich anerkannte Wahrheit in einem spezifisch historisch-gesellschaftlichen Zusammenhang. Sie ist also ein Kampf um kontextabhängige Macht, die sich mit dieser Wahrheit verbindet (Foucault 2001: 37ff.). In einem solchen Konkurrenzkampf verschafft sich die Systemtheorie durch ihren Generalisierungsgrad und die Selbstverortung innerhalb der Wissenschaft einen entscheidenden Vorteil: Es ist leicht ersichtlich, dass durch ihre gesellschaftstheoretische Selbstbeschreibung eine gesellschaftliche Selbstverortung stattfindet, die das Spielfeld für theoretische Kämpfe absteckt. Damit rückt auch der zweite Aspekt der soziologischen Differenz – die Unterscheidung soziologischer Theorie zu alternativen Theorien der Gesellschaft – in den Blick. Diese reflexive Intoleranz der Systemtheorie, die sich aus einer Verbindung gesellschafttheoretischer Autologie, der systemtheoretischen Selbstverortung in der Wissenschaft und der Strategie des systemischen Missverstehens ergibt, steht in enger Verbindung zum Generalisierungsgrad der Systemtheorie. Die Systemtheorie beschreibt sich einerseits als universale Supertheorie mit Allzuständigkeit. Sie weist aber den Anspruch einer Alleinzuständigkeit von sich (Luhmann 1987e: 9f.). Einerseits kann die Systemtheorie so gegen die Vorwürfe, eine hegemoniale und machtvoll normalisierende grand theory zu entwerfen, die mit der eigenen Annahme der dezentrierten und multiperspektivischen Gesellschaft brechen würde (siehe auch Fuchs 2013: 109f.), anführen, dass ihr Universalitätsanspruch nicht Ausschluss anderer Theoriemöglichkeiten bedeute. Andererseits ermöglicht es das Generalisierungsniveau der Systemtheorie, sich und alle anderen Gesellschaftsbeschreibungen den eigenen Spielregeln zu unterwerfen. Diese Unterwerfungen lassen sich als Praktiken der Subjektivierung analysieren und zwar im systemtheoretischen Bezug zur Alltagssprache (Szene 1), im systemtheoretischen Wechsel der Systemperspektiven (Szene 2) und in der Vergegenständlichung der Theorie-Diskussion (Szene 3). Kritik und Gedankengut werden nur akzeptiert, sofern sie sich den Prinzipien der Systemtheorie unterwerfen (Luhmann 1987e: 33). Kritik mit Bezug auf eine dritte, die konkurrierenden Theorien übergreifende Vernunft wird damit als Mittel zur echten Substitution zwischen konkurrierenden Gesellschaftstheorien, die die
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angenommenen Spielregeln wechselseitig nicht akzeptieren können, ausgeschlossen. Die Immanenz des Wissenschafts- und Wahrheitsbegriffs der Systemtheorie führt dazu, dass Wahrheit keine geeignete Kategorie ist, in der sich soziologische Theorien aus einem wechselseitig-externen Standpunkt vergleichen können (Vielmetter 1999: 59f.). Insofern liegt Luhmann richtig, dass er kein neutraler Schiedsrichter ist. Umgekehrt ist er aber auch kein einfacher Mitspieler in einem fairen Spiel. Die Systemtheorie gibt in dieser selbstbeschreibenden Praxis immanent vor, was es bedeutet, im Wahren zu sein, weshalb sich mit Foucault (2012: 25) eine ganz andere Rolle für Luhmann aufrufen lässt: »Es ist möglich, daß man im Raum eines wilden Außen die Wahrheit sagt; aber im Wahren ist man nur, wenn man den Regeln einer diskursiven ›Polizei‹ gehorcht, die man in jedem seiner Diskurse reaktivieren muß. Die Disziplin ist ein Kontrollprinzip der Produktion des Diskurses. Sie setzt ihr Grenzen durch das Spiel einer Identität, welche die Form einer permanenten Reaktualisierung der Regeln hat.« Mit dem Ziel eines pluralistischen Paradigmas argumentiere ich dafür, dass durch eine kritische Haltung Foucaults die Haltung der reflexiven Intoleranz der Systemtheorie zu vermeiden ist. Nur so ist es möglich, zwischen theoretischen Subjektivierungsregimen zu wechseln, wie ich es zum Beispiel in den Übergängen von System- zur Praxistheorie tue. Die kritische Haltung Foucaults mit dem Ziel des pluralistischen Paradigmas zu verbinden, ist aber nicht die einzige Möglichkeit innerhalb der Systemtheorie, mit der in diesem Unterkapitel skizzierten Selbstverortung in der Gesellschaft zu brechen. Gerade in Bezug auf die systemtheoretische Selbstverortung in der Gesellschaft gibt es Möglichkeiten der Variation, die nicht auf einen Paradigmenwechsel angewiesen sind. Ich werde hierfür kurz zwei Beispiele anführen. In beiden Fällen wurden die von mir skizzierten Belastungsgrenzen der Praxis der Selbstverortung in der Gesellschaft, in ihrer autologischen Form, überschritten. Als erstes Beispiel dient mir Urs Stähelis (2000b) Sinnzusammenbrüche. Stäheli geht es in seiner dekonstruktiven Lektüre von Niklas Luhmanns Systemtheorie darum, die Immunisierungen der Systemtheorie gegen andere postfundamentalistische Gesellschaftstheorien zu problematisieren (Stäheli 2000b: 18). Diese Arbeit endet in einer Politik der Entparadoxierung (Stäheli 1998; 2000b: 271-308), die davon ausgeht, dass selbstreferenzielle Systeme Paradoxien erzeugen, die entgegen dem Eigenwert des Systems eine Öffnung der Systemlogik ermöglichen (Stäheli 2000b: 271). Ohne dieses Programm in Gänze darstellen zu können, ist für meine Argumentation entscheidend, dass eine so verstandene Praxis der Systemtheorie der Unwahrscheinlichkeitsthese (Luhmann 1981c: 26f.; 1991a: 151; 1998: 211f., 707) nicht mit einem theoriemotivierenden Staunen begegnet, das sich dann darüber wundert, dass trotzdem etwas zustande kommt. Stattdessen folgt für diese Praxis der Theo-
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rie aus der Unwahrscheinlichkeitsthese ein Interesse am notwendigen Scheitern von Sinn (Stäheli 2000b: 20). Über den Ort einer solchen Praxis der Theorie schreibt Stäheli (2000b: 272): »Da jedes System an der Invisibilisierung seiner grundlegenden Paradoxie scheitern muß, ist die Politik der Entparadoxierung nicht auf ein bestimmtes System beschränkt. Bei der Politik der Entparadoxierung handelt es sich vielmehr um ein parasitäres Über-Codieren, das sich in verschiedenen Kontexten einnistet.« Diese Praxis der Theorie ist also offensichtlich kontextflexibler als eine Systemtheorie, die von einer engen, quasi-apriorischen Kopplung von Soziologie an Wissenschaft ausgeht und dadurch in der skizzierten Regierung durch Theorie aufgeht. Eine solche Politik ist parasitär, weil sie sich keinem System fest zuordnen lässt, auch nicht dem politischen (Stäheli 2000b: 307). Nicht zuletzt ist die Politik der Entparadoxierung nämlich in der Lage, den eigenen Standort zu prekarisieren, denn es handelt sich bei ihr weder um ein Element eines spezifischen Systems noch bildet sie selbst ein System (Stäheli 2000b: 318). Es handelt sich bei ihr vielmehr um eine Praxis des sinnhaften Umgangs mit Sinnzusammenbrüchen (Stäheli 2000b: 318), der mit einer dekonstruktiven Lektüre der Systemtheorie möglich wird. Auch das zweite Beispiel entstammt der Schnittstelle zwischen Dekonstruktivismus und Systemtheorie. Oliver Jahraus (2001) stellt in einem Nachwort zu gesammelten Aufsätzen und Reden Niklas Luhmanns fest, dass die Systemtheorie sich selbst in einer paradoxen Situation der Selbstbeobachtung befindet. Systemtheorie löst sich dadurch aber nicht auf, sondern konstituiert sich als sinnhaft operierendes Kommunikationssystem (Jahraus 2001: 333). Hierzu schreibt Jahraus: »Für die Systemtheorie selbst hat die Autoreflexivierung einen unbestreitbaren Wert: Sie sichert ihr Weiterprozessieren als Theorie. Zugegebenermaßen sind die soziologischen Rekonzeptualisierungen in den Hintergrund getreten (und dies selbst im letzten großen, von Luhmann publizierten Werk Die Gesellschaft der Gesellschaft). Denn auch hier geht es nicht um die empirische Gesellschaft, sondern darum, wie Gesellschaft als sozialer Letzthorizont noch einmal in der Gesellschaft erscheinen kann. Systemtheorie kopiert damit die Gesellschaft in die Gesellschaft hinein. Daher vollzieht die Systemtheorie an der Gesellschaft das, was ihrem eigenen Vollzug zugrunde liegt: Autoreflexivierung, die aber nicht in die Aporie der Paradoxie, sondern in den sich selbst vollziehenden Prozeß durch Entparadoxierung mündet. Deswegen ist die Systemtheorie heute zum Paradigma von Theorie selbst geworden: Theorie als exemplarische und paradigmatische Kommunikation, als Prozessieren von Sinn, als Beobachtung. Und somit wird Systemtheorie zum Paradigma für das Denken schlechthin, also für die Fähigkeit des Menschen (nicht der Kom-
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munikation!), sich überhaupt denkend auf die Welt einzulassen, besser gesagt: Welt zu entwerfen, zu organisieren und zu gestalten.« Die Systemtheorie treibt also ihren eigenen Systemabschluss soweit voran, dass eine Selbstverortung in der Gesellschaft jenseits der Selbstbeschreibung als Systemtheorie überflüssig wird. Systemtheorie muss sich nicht mehr als Soziologie oder Wissenschaft verstehen, um autoreflexiv und autoiterativ zu prozessieren. Sie ist nicht auf die Geschlossenheit anderer Systeme (z.B. Wissenschaft und Universität) und den Kanon oder die Wahrheitskommunikation einer spezifischen Disziplin (Soziologie) angewiesen. Ihre eigene operative und strukturelle Unterscheidung von Systemtheorie/Nicht-Systemtheorie ersetzt, aus der Perspektive der Systemtheorie, die anderen Systeme funktional, so dass systemtheoretische Kommunikation nur noch an systemtheoretische Kommunikation anschließen braucht und kann. Systemtheorie, so verstanden als Theorietheorie (Clam 2000: 310; Grizelj/Jahraus 2011) bedeutet nicht etwa eine Theorie aller Theorie (Schneider 1968: 41), sondern eine Form der Reflexion, die nicht an akademische Grenzen gebunden ist und doch theoretische Denkfiguren entwickeln und diagnostisch nutzen kann (Jahraus 2011: 20f.). Systemtheorie führt es auf diese Weise eher in die Literatur, als dass sie ihre soziologisch-wissenschaftliche Form beibehält, wie Christian Matthiessen (2012: 7) gleich zu Beginn seines Theorieromans On Tour mit Art & Language und Niklas Luhmann vorführt: »Keinesfalls mit einem reflexiven Satz anfangen, dachte er. Aber Satz ist Satz und jedenfalls eine Verletzung des unmarked State. Vor ihm lag Hemingways ›The Sun Also Rises‹ und die Texte der Philosophen und er hätte auch Bilder malen wollen, der Geruch von Ateliers und Bildern war ihm ebenso appetitlich wie Texte. Es ging ja nicht um Autorschaft. Autoren und Künstler waren ihm verhasst. Wer jetzt noch Subjekt spielte, war blöd oder eben bloß eitel.« Die praxistheoretische Selbstverortung in der Gesellschaft Wie für Luhmann ist auch für Bourdieu (1985: 49; 2013a: 270; 2013b: 78) die Reflexivität der Theorie ein Markenzeichen guter Soziologie. Auch bei Bourdieu führt diese Reflexivität nicht nur zu sozialtheoretischen Selbstbeschreibungen der Theorie als Praxis, sondern zu gesellschaftstheoretischen Selbstbeschreibungen als Selbstverortung innerhalb der Gesellschaft. Damit bestimmt auch die Praxistheorie das Spielfeld (Bourdieu 2014d: 33f.), auf dem Theorien untereinander konkurrieren, selbst, und zwar wie die Systemtheorie als Wissenschaft. Diese Selbstverortung der Theorie im wissenschaftlichen Feld führt auch im Fall der Praxistheorie dazu, dass ihr Sieg in diesem Spiel sehr wahrscheinlich ist. Dies kann vorweg an einem Beispiel gezeigt werden: So verweist Bourdieu (2003a: 27ff.; 2014a; 2014b: 37; 2014c: 25; Bourdieu/Wacquant 2013: 104f.; Eder 1989) immer wieder darauf, dass Klasse von Klassifikation kommt und theoretisiert auf
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diese Weise auch die Analyse von Klassen reflexiv klassentheoretisch. Weil die Frage, ob es Klassen gibt, selbst ein Kampfobjekt zwischen Klassen ist, bestätigt jede Theorie, die die objektive Wirklichkeit von Klassenstrukturen behauptet oder bestreitet, die Notwendigkeit einer klassentheoretischen Analyse dieses Kampfobjekts (siehe auch Bourdieu 2014d: 21; Müller 2014: 147-153), die durch die Praxistheorie durchgeführt werden kann. Damit ist auch die praxistheoretische Selbstverortung zirkulär angelegt und Bourdieu ist sich seiner Verstrickung in diesem Zirkel durchaus bewusst und entschärft sie durch Komik. In einem Interview sagt er in Bezug auf Homo academicus (Bourdieu 1988): »Durch mich, und mit mir, ist der Homo classificator seinen eigenen Klassifikationen zum Opfer gefallen. Ich finde das eher komisch. Ich glaube, dass es in meinem Buch auch sehr viel zu lachen gibt.« (Bourdieu 2003b: 88) Die Form der gesellschaftstheoretischen Reflexion der Praxistheorie ähnelt also der Selbstverortung der Systemtheorie. Wie das Beispiel zu Klasse und Klassifizierung zeigt, ist diese Form zirkulär. Wie sich zeigen wird, vollzieht sie sich aber nicht im gleichen Sinn autologisch wie die systemtheoretische Selbstverortung in der Gesellschaft. Trotz zentraler Gemeinsamkeiten unterscheiden sich die Formen der gesellschaftlichen Selbstverortungen der Systemtheorie und Praxistheorie daher deutlich. Um dies zu zeigen, werde ich zunächst zwei zentrale Ausgangspunkte der praxistheoretischen Selbstreflexion darstellen, die die Differenzen verdeutlichen. Ausgehend von diesen, werde ich dann die praxistheoretische Selbstverortung in der Gesellschaft nachvollziehen. Erstens zeigt sich eine formale Differenz zwischen der Praxis der System- und Praxistheorie in der unterschiedlichen Problematisierung gesellschaftlicher Ordnungen. Die systemtheoretische Autologie geht von einem theoriemotivierenden Staunen darüber aus, dass Ordnung möglich ist, um sich diese unwahrscheinliche Ordnung zu eigen zu machen. Die Praxistheorie hingegen betrachtet nicht die Emergenz sozialer Ordnung als unwahrscheinlich, sondern eher die Persistenz von Herrschaftsverhältnissen als Problem (Bourdieu 2013b: 229). Der Habitus, als inkorporierte Gesellschaftsstruktur, bildet demnach die Schnittstelle zwischen einer Theorie der Praxis und der Feldtheorie gesellschaftlich objektiver Strukturen. Habitus ist keine individualistische Kategorie, auch wenn Einzelne durch ihren Habitus einerseits mit blinden Flecken und Vorverständnissen ausgestattet werden und andererseits erst mittels ihres Habitus wahrnehmen können (in Bezug auf Wissenschaft Bourdieu 2013a: 251-258; siehe auch Barlösius 2012: 126; Beaufaÿs 2003: 15). Habitus meint darüber hinaus auch eine Existenzform der Gesellschaft (Bourdieu 2014d: 28; siehe auch Wacquant 2013: 31; 2014). Bourdieu (2013b: 228) schreibt mit Blick auf das Problem der Persistenz und die doppelte Bedeutung von Habitus:
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»Die präreflexive Übereinstimmung zwischen objektiven Strukturen und einverleibten Strukturen – und nicht etwa die Wirksamkeit überlegener Propaganda der Apparate oder die freie Anerkennung der Legitimität durch die Bürger – erklärt die letztlich doch sehr erstaunliche Leichtigkeit, mit der die Herrschenden im ganzen Geschichtsverlauf, von einigen Krisenzeiten abgesehen, ihre Herrschaft durchsetzten.« Für die Persistenz gesellschaftlicher Ordnungen sind also hohe Passgenauigkeiten von Feld und Habitus entscheidend. Aus diesem Grund kommt die praxistheoretische Selbstverortung innerhalb der Gesellschaft nicht ohne eine sozialtheoretische Reflexion auf den Habitus und auf das Feld von Praxistheoretikern selbst aus. Dies gilt in einem weniger formalisierten Bereich der Wissenschaft wie dem der soziologischen Wissenschaft noch mehr als in hochgradig formalisierten Feldern wie der Mathematik (Bourdieu 2004e: 40). In Bezug auf die Regeln des wissenschaftlichsoziologischen Feldes schreibt Bourdieu (2013a: 257) entsprechend: »Man kann sich also, genau wie anderswo, nicht auf Denkautomatismen oder Denkersatzautomatismen verlassen […], und auch nicht auf all die wissenschaftlichen Benimmregeln – Methoden, Beobachtungsprotokolle usw. –, aus denen die Gesetzeswerke der am stärksten kodifizierten wissenschaftlichen Felder bestehen. Um angemessene Praktiken zu erhalten, muß man also vor allem auf die inkorporierten Schemata des Habitus setzen.« Die Zirkularität dieser Analyse besagt, dass die Regeln für die wissenschaftliche Praxis der Praxistheorie, also die Regeln für eine wissenschaftliche Habitusanalyse nur aus dem wissenschaftlichen Habitus erfahrener Soziologen, verstanden als menschgewordene Regel, gewonnen werden können (Bourdieu 2013a: 256f.; siehe auch Fraser 2002: 90). Damit komme ich zu einem zweiten zentralen Unterschied zwischen Systemund Praxistheorie. Die Zirkularität der praxistheoretischen Selbstverortung in der Gesellschaft lässt die Praxis von Systemtheorie und Praxistheorie analog erscheinen. Die Tatsache, dass beide Theorien die moderne Gesellschaft als eine differenzierte Gesellschaft beobachten und in ihr Wissenschaft, Politik, Erziehung, Kunst usw. als Teilbereiche ausmachen, verstärkt diesen Eindruck. Der Unterschied besteht darin, dass die praxistheoretische Feldanalyse nicht in dem Maße eine funktionale Analyse ist wie die systemtheoretische Analyse von Funktionssystemen (Rieger-Ladich 2009: 157). Zwar handelt es sich auch bei Feldern um emergente Phänomene, die ihre Grenzen selbst konstituieren (Bourdieu 1975: 34; 2013a: 266; Kneer 2004: 28f.), ihre Funktionsgesetze (Bourdieu 2014h: 107) ergeben sich aber nicht aus ihrer Beziehung zur Gesellschaft (Bourdieu 2014d: 27), sondern aus den feldimmanenten Positionen Einzelner und ihren Relationen zum Feld und zu anderen (Bourdieu 2013a: 262; 2014d: 22; 2014h: 107). Es sind demnach ihre
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Produktionsbedingungen (Bourdieu 1975: 19; 2014b: 38; siehe auch 2013a: 251-258), die die relative Autonomie der Wissenschaft begründen, und nicht ihre Funktion oder Leistung für die Gesellschaft. Über das Verhältnis von Feld und Gesellschaft schreibt Bourdieu (1998b: 18): »Der Begriff des Feldes ist nun dazu da, diesen relativ autonomen Raum zu beschreiben, diesen mit eigenen Gesetzen ausgestatteten Mikrokosmos. Er ist zwar, wie der Makrokosmos, sozialen Gesetzen unterworfen, aber es sind nicht dieselben. Obwohl er sich nie ganz den Zwängen des Makrokosmos entziehen kann, verfügt er doch über eine mehr oder weniger ausgeprägte Autonomie. Eine der großen Fragen, die sich im Bezug auf wissenschaftliche Felder (oder Unterfelder) stellen wird, betrifft eben den Grad der Autonomie, über die sie verfügen können.« Bourdieu analysiert Felder also in ihrer relativen Autonomie zur Gesamtgesellschaft (Barlösius 2012: 126). Dieser Totalitätsbezug ist demnach die Bedingung für eine relationale Analyse, die wechselseitige Abhängigkeiten und Unabhängigkeiten erkennen kann (Bourdieu 2013a: 290f.; 2014c: 14), wobei insbesondere in Bezug auf das Feld der Wissenschaft ein hoher Grad an Autonomie normativ erstrebenswert scheint (Bourdieu 2010b; 2003b). Das wissenschaftliche Feld weist dann eine hohe Autonomie auf, wenn die Regeln des wissenschaftlichen Spiels und das Kapital, das in diesem Spiel eingesetzt wird, sich auf das Feld der Wissenschaft beschränkt (Bourdieu 1998b: 16-38). Das Problem in Bezug auf die Wissenschaft, in der sich die Praxistheorie ebenso selbstverständlich wie die Systemtheorie verortet, besteht allerdings erneut darin, dass die bestehende Ordnung im Wesentlichen kein Problem darstellt (Bourdieu 2013b: 229; siehe auch 2014d: 20). Das Verhältnis von Praxistheorie und Wissenschaft ist damit von vornherein ambivalent. Sie beschreibt Wissenschaft einerseits als relativ autonomes Feld und zieht ihre Legitimität dieser Beschreibung selbst aus der Autonomie der Wissenschaft (Bourdieu 2014b: 47). Gleichzeitig kritisiert die Praxistheorie Wissenschaft aufgrund der Persistenz ihrer Ordnung. Ich werde die praxistheoretische Selbstverortung in der Gesellschaft entlang der skizzierten Ambivalenz nachvollziehen. Die eine Seite dieser Ambivalenz zeigt sich in einem Antiakademismus, den Hanna Engelmeier und Philipp Felsch (2017: 6) wie folgt beschreiben: Es »werden politische Gründe für Antiakademismus von denen angeführt, die Universitäten als Ort betrachten, die vor allem der Reproduktion einer bestimmten Klasse dienen. Sie versetzt sich, so lautet das Argument, durch den Erwerb eines akademischen Habitus in die Lage, als homo academicus ein Sozialprestige zu erwerben, das zu Lasten anderer Klassen ausgenutzt wird, denen der Zugang zur Akademie von vornherein erschwert oder sogar verwehrt wird.
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Ohne Zweifel beziehen Engelmeier und Felsch sich hier auf Bourdieus (1988: 9) Homo academicus, eine autoreflexive Kritik der universitären Welt. Dieser Antiakademismus bringt deswegen die skizzierte Ambivalenz der gesellschaftstheoretischen Selbstverortung der Praxistheorie auf den Punkt, weil er von einem Interesse an einer wahren, autonomen und gerechten Universität (Bourdieu 2013a: 278) getragen wird. Engelmeier und Felsch (2017: 5) beschreiben diese andere Seite des Antiakademismus wie folgt: »Diese ebenso in progressiven wie konservativen Formen anzutreffende Kritik ist mit der Sorge gepaart, dass die Universität ihren Auftrag, der Wahrheitsfindung und Nützlichkeit einer wie immer zu beschreibenden Gesellschaft zu dienen, nicht mehr erfüllen kann.« Auch diese andere Seite des Antiakademismus verweist auf Bourdieu. In der Praxistheorie wird Wissenschaft in Bezug auf die Gesellschaft nicht funktionalisiert, sondern die autoreflexive Kritik der Wissenschaft wird mit der Frage nach einer besseren Wissenschaft verbunden. Diese Frage nach einem Gegenort zu bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen erfüllt innerhalb der Praxis der Praxistheorie die Funktion, den soziologistischen Zirkel (Bourdieu 1992a: 219) zu durchbrechen, in dem sich Theorien immer wieder selbstbestätigen. Eine bessere Wissenschaft kann es praxistheoretisch nur in einer besseren und freieren Gesellschaft geben (siehe auch Bourdieu 2010b; 2003b; 2005: 172f.; 2010c). Diese Fragen nach einer besseren Wissenschaft und einer freieren Gesellschaft lassen sich von Bourdieu gerade deswegen stellen, weil die bestehende Wissenschaft eben nicht als systemtheoretisches Funktionssystem zu verstehen ist und eine freiere und bessere Gesellschaft nicht unbedingt ein funktionales Äquivalent zur bestehenden Wissenschaft benötigen würde. Das wissenschaftliche Feld ist praxistheoretisch durch konkrete Institutionen und Akteure konstituiert und kann dadurch viel stärker und gleichzeitig differenzierter variieren, ohne die gesamtgesellschaftliche Ordnung zu gefährden. Dies macht zum Beispiel Avanessians (2015: 54 ff) Bezug auf Bourdieu deutlich. Während Bourdieu das wissenschaftliche Feld Frankreichs analysiert, in dem Forschung und Lehre stark getrennt sind und damit auch die Funktionsgesetze von innovativer Produktion und kanonischer Reproduktion auseinanderfallen, analysiert Avanessian das Wechselspiel von Forschung und Lehre an deutschen Universitäten als sanfte Modifizierung (zur Bedeutung nationaler Differenzen für die Ausbildung von Denk- und Anschauungsformen siehe Bourdieu 2004c: 93ff.). Für den folgenden Nachvollzug der Praxis der Praxistheorie lässt sich nach dieser Abgrenzung von der Systemtheorie thesenartig und vorwegnehmend festhalten, dass die praxistheoretische Selbstverortung in der Gesellschaft als gesellschaftstheoretisch teilnehmende Objektivierung nachvollziehbar ist. Reflektiert sich die soziologische Theorie einmal als Teil des Feldes der Wissenschaft, kommt
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sie in eine zirkuläre double bind-Situation. Sie ist auf die soziologische Tradition und ihre Denkwerkzeuge angewiesen, um sich von der Gesellschaft distanzieren und nicht Spontansoziologie zu betreiben. Gleichzeitig läuft die Soziologie mit genau dieser Tradition Gefahr, die gesellschaftliche Doxa durch die akademische Doxa zu ersetzen (Bourdieu 2013a: 279f.). Das Ziel der gesellschaftstheoretischen teilnehmenden Objektivierung ist es nun, den Zirkel zu durchbrechen, der sich aus dem Versuch ergibt, das objektivierende Subjekt zu objektivieren, wie Bourdieu (1992a: 219; siehe auch 1988: 11) festhält: »Die Universität zum Untersuchungsgegenstand zu machen hieß, sich einen Gegenstand vorzunehmen, der gewöhnlich selbst objektiviert; den Akt der Objektivierung, die Situation, von der aus man legitimiert, ist zu objektivieren. […] Mit dieser Arbeit hatte ich also die Absicht verbunden, die soziologische Arbeit einer Art soziologischem Experiment zu unterwerfen; wollte ich zu zeigen versuchen, daß sich die Soziologie vielleicht doch – wie minimal auch immer – dem historizistischen oder soziologischen Zirkel entziehen kann, indem sie sich der sozialwissenschaftlichen Einsicht über die soziale Welt bedient, in der Sozialwissenschaft produziert wird, um so die Kontrolle über Determinismen zu erreichen, die sich gegenüber dieser Welt und zugleich gegenüber der Sozialwissenschaft auswirken.« Gegenüber der real existierenden wissenschaftlichen Soziologie konstatiert Bourdieu (2014d: 21) also nicht nur die Unwahrscheinlichkeit soziologischer Wissenschaft, sondern eine Unmöglichkeit wahrer soziologischer Wissenschaft, die einerseits auf die Autonomie der Forschung angewiesen ist, wie sie das wissenschaftliche Feld vorgibt, und andererseits genau diese Autonomie immer wieder anzweifeln müsste. Diese unmögliche wissenschaftliche Soziologie ist der paradoxe Gegenort, den die Praxistheorie als Reflexionsanstoß nutzen kann: »Die wirklich wissenschaftliche Soziologie ist eine soziale Praktik, die es soziologisch eigentlich gar nicht gegeben dürfte. Der beste Beweis dafür ist die Tatsache, daß die Sozialwissenschaft in ihrer sozialen Existenz bedroht ist, sobald sie es ablehnt, sich der vorgesehenen Alternative von reiner Wissenschaft, die Gegenstände ohne soziale Bedeutung wissenschaftlich zu analysieren vermag, und falscher Wissenschaft, die die vorhergesehene Ordnung schonend behandelt und herrichtet, zu fügen.« (Bourdieu 2014b: 48) Aus den letzten zwei Zitaten lassen sich Aspekte für den weiteren Verlauf erarbeiten, bei denen es sich lohnt, sie im Hinterkopf zu behalten. Die schweren Geschütze, die Bourdieu in seiner gesellschaftstheoretischen teilnehmenden Objektivierung gegen die Wissenschaft und die Soziologie auffährt, richten sich erstens gegen den Zirkel, in dem die soziologische Selbstreflexion gefangen ist, und hoffen auf eine minimale Verschiebung. Es geht nie darum, tabula rasa zu machen,
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um die Soziologie oder gar die Wissenschaft neu zu begründen oder zu beseitigen, sondern um an den selbstverständlichen Gewissheiten innerhalb der Soziologie zu rütteln (Bourdieu 1988: 11; 2013a: 278; 2014b: 53). Dies gelingt durch die Konstruktion eines nicht erreichbaren Gegenortes vollständig autonomer Wissenschaft. Weil das Ziel der gesellschaftstheoretischen teilnehmenden Objektivierung paradox konstituiert ist, lässt es sich wie die sozialtheoretische Selbstreflexion der Praxistheorie (4.1) nur über Verzeitlichungen entparadoxieren. Daraus folgt, dass es sich zweitens um einen unabschließbaren Prozess handelt, indem Minimalverschiebung an Minimalverschiebung anschließt (siehe auch Eribon 2018: 56). Durch diese zwei Aspekte unterscheidet sich die praxistheoretische Selbstverortung in der Gesellschaft von der Autologie der Systemtheorie in ihrem Zeitkern. Erstens geht Bourdieu davon aus, dass Soziologie Normalwissenschaft ist (2013a: 257; 2014d). Sie muss also nicht beobachten, wie Wahrheit durch Wissenschaft hergestellt wird, um sich dann ihren Beobachtungen anzudienen. Vielmehr geht die praxistheorietische Analyse der Wissenschaft von den eigenen Erfahrungen im wissenschaftlichen Feld aus (Barlösius 2012: 134). Da die Praxistheorie die Alternative von reiner Wissenschaft und falscher Wissenschaft zurückweist, wird zweitens die Möglichkeit einer reinen wissenschaftlichen Soziologie in die Utopie, an einen Nicht-Ort zu einer Nicht-Zeit verlegt. Mein heuristischer Bezugsrahmen der soziologischen Differenz – als Differenz zur Gesellschaft, zu alternativen Theorien und reflexiv zu sich selbst – kann dazu dienen, die praxistheoretische Selbstverortung in der Gesellschaft einerseits auszudifferenzieren und andererseits immanent zu strukturieren. In Bezug auf den Makrokosmos der Gesamtgesellschaft schreibt sich die Praxistheorie erstens durch ihre Position im wissenschaftlichen Feld eine relative Autonomie zu. Dies entspricht dem ersten Aspekt der soziologischen Differenz. In Bezug auf andere Theorien und Wissenschaften beschreibt sich die Praxistheorie zweitens im Sinne einer Soziologie als Beruf und grenzt sich aktiv von unwissenschaftlicher Wissenschaft, wie der Meinungsforschung, ab (Bourdieu 2014d: 19, 27; ausführlich gehe ich auf dieses Verhältnis unter 4.3 ein). Dies entspricht dem zweiten Aspekt der soziologischen Differenz. Drittens wendet die Praxistheorie ihre Analyse des wissenschaftlichen Feldes reflexiv gegen sich selbst. Dies entspricht dem dritten Aspekt der soziologischen Differenz. Im Folgenden werde ich diese Dreiteilung nutzen, um an die Grenzen der Praxis der Praxistheorie zu gehen. Wie schon bei der systemtheoretischen Selbstverortung in der Gesellschaft geht es mir weniger um die möglichst präzise inhaltliche Bestimmung von Wissenschaft und Soziologie als um eine formale Analyse. Mit einer solchen Analyse interessiere ich mich, im Anschluss an den praxistheoretischen Vollzug der eigenen Sozialtheorie (4.1), besonders für die Risse, die die Praxis der Theorie an ihren eigenen Grenzen konstitutiv erzeugt, indem sie mit den Instrumenten des Bruchs bricht (Bourdieu 2013a: 284). Die Risse erscheinen in den Grenzziehungen der Praxistheorie, also zunächst in der Differenz von Sozio-
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logie und Lebenswelt, dann in den innerakademischen Differenzen und letztlich in der für einen Einzelnen konstitutiven Grenze zwischen subjektiver Erfahrung und objektiver Wirklichkeit. Wie vollzieht sich die gesellschaftstheoretische Selbstverortung der Praxistheorie also in Bezug auf die Gesamtgesellschaft? Wie wird also der erste Aspekt der soziologischen Differenz hergestellt? Bourdieu schließt sich der Differenz von Episteme und Doxa nach Gaston Bachelard an und konstituiert einen epistemischen Bruch zwischen Soziologie und Alltagswelt. Bachelard (1974: 19f.; siehe auch Celikates 2009: 39-75; Orland 2012: 61f.) hat den Begriff des epistemologischen Bruchs geprägt, um die Differenz von Episteme und Doxa zu beschreiben. Gleichzeitig prozessualisiert er damit den ehemals statischen Begriff der Episteme. Durch Bachelards (1974: 170ff.) Annahme, dass der wissenschaftliche Fortschritt vergangene epistemologische Hindernisse überwinden muss, wird nicht nur auf die historische Entwicklung wissenschaftlicher Erkenntnis, sondern auf ihre Geschichtlichkeit verwiesen, während ihre Universalität in Zweifel gezogen wird (dieser Fortschrittsidee folgend siehe Bourdieu/Chamboredon/Passeron 1991: 15ff.; siehe auch Diaz-Bone 2007). Für die folgende Untersuchung ist die wichtige Schlussfolgerung, dass die Episteme sich damit reflexiv selbst herstellt und ihr universeller Wahrheitsanspruch verzeitlicht, also in eine unbestimmte Zukunft verlagert wird. Der Bruch zwischen Wissenschaft und Nicht-Wissenschaft wirkt dabei sowohl wechselseitig konstitutiv, ist also die Bedingung der Möglichkeit von Wissenschaft, er wirkt aber gleichzeitig verzerrend, ist also der Grund für die Unmöglichkeit reiner Wissenschaft. In Bezug auf die wechselseitige Konstitution ist zu beobachten, wie sich die Felder, auf denen Soziologen als Wissenschaftler bewegen, gegen eine Objektivierung durch die Wissenschaft wehren. Bourdieu (1992b: 226) schreibt hierzu: »Um sich gegen die Effekte der Wissenschaft (oder, bei Soziologen, gegen die wissenschaftliche Konkurrenz) zu schützen, versuchen die Insider die Zugehörigkeit zur Notwendigkeit und hinreichenden Bedingung adäquaten Erkennens zu erheben und mit diesem Argument in den verschiedensten sozialen Kontexten jede Form externen Wissens zu diskreditieren (›Du verstehst das nicht‹, ›daß muß man am eigenen Leibe erlebt haben‹, ›das läuft so nicht ab‹ …). In der Tat ist dieses Argument nicht völlig falsch.« Der Bruch zwischen Wissenschaft und Nicht-Wissenschaft wird also einerseits durch den nicht-wissenschaftlichen Bereich hergestellt. Andererseits wird er auch durch die Praxis der Wissenschaft bestimmt, denn sich von seinen Gegenständen abzugrenzen gehört zu den wesentlichen Merkmalen jeder Forschung. Wissenschaftstheoretisch muss diese Distanzierung vom Gegenstand der erste Schritt der Forschung sein (Wacquant 2013: 29). Bourdieu (1992a: 220) schreibt:
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»Jenseits der sozialen Determinanten, die aus einer besonderen Stellung erwachsen, gibt es fundamentalere und verborgenere Determinanten: die der intellektuellen Lage, der Stellung des Wissenschaftler inhärenten. Sobald wir die soziale Welt beobachten, geht in unsere Wahrnehmung ein Verzerrungsmoment ein, das darauf zurückzuführen ist, daß wir, um von der sozialen Welt sprechen zu können, um sie untersuchen und dann von ihr sprechen zu können usw., uns von ihr zurückziehen, von ihr Abstand nehmen müssen.« Neben diesen konstitutiven Aspekten des epistemologischen Bruchs betont Bourdieu, dass er zu einer Verzerrung führt, die Bourdieu (1992a: 220) explizit als theoretisch bezeichnet. Es ist der theoretische Blick, der es dem Soziologen konstitutiv ermöglicht, sich von der Gesellschaft, deren Teil er doch zweifelsohne ist, zu distanzieren. Diese Macht der Praxis der Theorie reicht so weit, dass selbst noch der Bruch zwischen Wissenschaft und Nicht-Wissenschaft einem theoretischen Denkwerkzeug, dem epistemologischen Bruch nach Bachelard, entspringt. Erst dieses Denkwerkzeug macht es der Praxistheorie möglich, Wissenschaft und sich selbst als Wissenschaft zu beschreiben. Diesem Denkwerkzeug ist aber, wie jedem theoretischen Blick, ein Verzerrungsmoment inhärent, denn die Theorie des epistemologischen Bruchs korrespondiert nicht mit der gesellschaftlichen Differenz zwischen wissenschaftlichem Feld und anderen Feldern. Weil es mir um die Praxis der Theorie geht, werde ich im Folgenden einige zentrale Unterschiede zwischen Wissenschaft und Nicht-Wissenschaft aufzählen. Diese Unterschiede sind Teil der Praxis der Theorie, weil sie sich erst durch das Denkwerkzeug des epistemologischen Bruchs innerhalb der Praxis der Praxistheorie herstellen. Diese Argumentation folgt Bourdieu (1976: 139), der bereits in seinem Entwurf einer Theorie der Praxis argumentiert, dass eine Theorie der Praxis die Analyse der theoretischen Tätigkeiten voraussetzt. Das heißt, dass jede Theorie der Praxis die Praxis theoretischer Konstruktionsarbeit reflektieren muss, die erst die Differenz von Theorie und Praxis konstituiert. Zunächst konstituiert die Praxistheorie den epistemologischen Bruch dadurch, dass sich wissenschaftliche und soziologische Sprache von alltagsweltlicher Sprache unterscheiden (zur soziologisch notwendigen Ausgrenzung durch Sprache siehe Bourdieu 2017: 14). Dies ist für sie entscheidend, weil in der Alltagssprache und im gesunden Menschenverstand die objektiven Strukturen und damit auch die Herrschaftsstrukturen zum Ausdruck kommen, die Praxistheorie aufdecken will. Dieser Bruch dient nicht dazu, einen akademischen Jargon einzuüben, um sich vom Einzelnen und seinen Erfahrungen zu distanzieren und ein asymmetrisches Herrschaftsverhältnis zwischen Wissenschaft und unterlegener Nicht-Wissenschaft zu institutionalisieren. Das Erkenntnisinteresse ist vielmehr emanzipatorisch in dem Sinne, dass die Praxistheorie mit der alltagsweltlichen Sozialphilosophie, die jeden Einzelnen, auch den Praxistheoretiker selbst, potenziell beherrscht und ihm
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seine Sprache vorgibt, bricht (Bourdieu 2014b: 36f.). Bourdieu (2013a: 269) macht sehr eindrücklich klar, dass dieser Bruch die Voraussetzung dafür ist, ein Objekt zu konstruieren, statt sich naiv einer Vorkonstruktion anzuschließen: »Aber ein wissenschaftliches Objekt konstruieren heißt zunächst und vor allem, mit dem common sense zu brechen, das heißt mit den Vorstellungen, die alle teilen, ob simple Allgemeinplätze des Alltagslebens oder offizielle Vorstellungen, die sich oft zu Institutionen verfestigen, das heißt zugleich in die Objektivität der gesellschaftlichen Organisation und in die Köpfe eingehen. Überall ist Vorkonstruiertes. Es stürzt, wie auf alle Leute, auch auf den Soziologen geradezu ein.« Auf diese Weise konstituiert sich durch die Praxis der Theorie eine erkenntnistheoretische Differenz zwischen Wissenschaft und Nicht-Wissenschaft, die im Sinne des epistemologischen Bruchs der Praxistheorie ein epistemologisches Privileg (Bourdieu 1988: 11) zukommen lässt. Durch dieses Privileg kann die Soziologie die Wahrheit einer Praxis formulieren, die die einzelnen in dieser Praxis Handelnden nicht erkennen können (Bourdieu 2014f: 165). Darüber hinaus kann die Soziologie ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse nutzen, um eine Wachsamkeit gegenüber der eigenen wissenschaftlichen Praxis zu etablieren (Bourdieu 1988: 11). Durch diese Wachsamkeit ist es möglich, den epistemologischen Bruch nicht nur auf die erkenntnistheoretische Differenz zurückzuführen, die das Denkinstrument des epistemologischen Bruchs in der Praxis der Theorie konstituiert. Darüber hinaus können die Bedingungen der Möglichkeit von wissenschaftlicher Soziologie und die Verzerrungen, die mit dem Bruch zwischen Wissenschaft und Nicht-Wissenschaft einhergehen, auch in den Eigenarten des wissenschaftlichen Feldes selbst gesucht werden. Durch diese Wende von erkenntnistheoretischen Überlegungen zur Analyse der wissenschaftlichen Praxis wendet sich Bourdieu kritisch gegen seine Arbeit zur Soziologie als Beruf (Bourdieu/Chamboredon/Passeron 1991), in der er die Praxis der Soziologie, zusammen mit Jean-Luc Chamboredon und Jean-Luc Passeron, einer Erkenntniskritik unterzieht (Bourdieu/Chamboredon/Passeron 1991: 3). Soziologie, der soziologische Blick und damit der Bruch zum common sense sind nicht nur durch einen theoretischen Blick konstruiert. Die Differenz wurde von den Akteuren des wissenschaftlichen Feldes trainiert und praktisch eingeübt. Daraus folgt, dass auch die Praxistheorie ihre Wissenschaftlichkeit nicht alleine durch theoretische Überlegungen konstituieren kann (Bourdieu 2013a: 255; siehe auch Bourdieu/Chamboredon/Passeron 1991: 2). Epistemologische Brüche zeigen sich nämlich als soziale Brüche, und umgekehrt (Bourdieu 1985: 51; 1998a: 89; 2013a: 274; 2014c: 15, 23; siehe auch Fleck 1980: 58). Durch dieses wechselseitig konstitutive Verhältnis zwischen den Denkwerkzeugen einer Praxis der Theorie und ihrer Position im wissenschaftlichen Feld kann ich in die gesellschaftstheoretische Selbstverortung der Praxistheorie einsteigen, denn es beginnt eine Reflexionsschleife, in der die Praxistheorie
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ihr eigenes Denken gegen sich richtet. Sie beschreibt das Feld, aus dem sie selbst hervorgeht und das sie selbst hervorbringt, mit ihren eigenen Begriffen. Wenn ich im Folgenden also von Bourdieu, der Praxistheorie, Soziologie oder Wissenschaft spreche, tue ich dies immer schon praxistheoretisch. Das wissenschaftliche Feld zeichnet sich wie jedes Feld dadurch aus, dass es spezifische Interessen gibt und diese Interessen an Interessensobjekte gekoppelt sind. Das Feld konstituiert sich erst, wenn genügend Einzelne auftreten, die durch einen spezifischen Habitus mit einer Mitspielfähigkeit auf dem Feld ausgestattet sind. Das bedeutet, dass sie den Regeln des Spiels präreflexiv folgen. Desweiteren geht es bei diesem Spiel um ein feldspezifisches Kapital, dessen Verteilung die Strategien bestimmt, die sich Einzelne zu eigen machen. Die Strategien sind damit keine subjektiven Entscheidungen autonomer Einzelner, sondern durch die Position bestimmt, die Einzelne im Feld haben (siehe auch de Certeau 1988: 25, 87f.). Das Feld grenzt sich dadurch nach außen ab, dass seine Produktionsverhältnisse, die Regeln des Spiels und das feldspezifische Kapital außerhalb des Feldes kaum Geltung und Wert haben (siehe zu dieser Bestimmung des Konzeptes vom Feld in Bezug auf Wissenschaft Bourdieu 1975; 1988: 31-81; 1998b: 16-38; 2004e: 32-84; 2014h; siehe auch Beaufaÿs 2003: 52-59; Barlösius 2012). Ich werde die besonderen Merkmale des wissenschaftlichen Feldes nur kurz benennen, da sie nicht im Vordergrund meiner formalen Analyse stehen. Ich komme allerdings an den Stellen auf sie zurück, wo sie für das Verständnis unumgänglich sind. Einschränkend ist hervorzuheben, dass die konkreten Ausgestaltungen der Produktionsverhältnisse von Feldern sich nur auf einen spezifischen Ort (Bourdieu 2004c: 93 ff) und eine spezifische Zeit (Bourdieu 2014h: 107) beziehen (siehe auch Bourdieu 2014b: 44f.; Müller 2014: 112 ff; Wacquant 2014: 96). Im Fall des Homo academicus geht es beispielweise um die französischen philosophischen und humanwissenschaftlichen Fakultäten im Jahre 1967 (Bourdieu 1988: 39). Trotz dieser Einschränkung erhofft sich Bourdieu (2002: 126; siehe auch 2014b: 44f.) aus diesen Arbeiten Reflexionsanstöße und -möglichkeiten für Soziologen an anderen Orten und zu anderen Zeiten. Die Denk- und Anschauungsform, die Bourdieu aus seiner Beschreibung eines konkreten wissenschaftlichen Feldes ableitet, bleibt also über die raumzeitliche Einschränkung der konkreten Beschreibung bestehen. Die Regeln des wissenschaftlichen Spiels verlangen von jedem Teilnehmer zunächst, sich der illusio des Wissenschaftsglaubens zu unterwerfen, also Wissenschaft nicht aus rein ökonomischen Zwecken zu verfolgen (Bourdieu 1975: 19f.; 1988: 10f.; 1998b: 27; 2004e: 50; 2014e; siehe auch Fleck 1980: 62). Auch wenn das wissenschaftliche Interesse sich dadurch auszeichnet, dass es als uneigennützig, unentgeltlich (Bourdieu 1998b: 27) und als eine permanente Konkurrenz um Wahrheit (Bourdieu 1988: 11) erscheint, richtet es sich doch auf die Verbesserung der Position im Feld (Bourdieu 2014d: 33f.). Dies ist nur möglich, indem die Wissenschaftlerin sich an spezifischen Interessensobjekten ausrichtet. Im wissenschaftlichen Feld handelt
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es sich dabei nicht etwa um den Gegenstand der Forschung, sondern um Publikationen, Entdeckungen, Mitgliedschaften in Ausschüssen, Einladungen zu wissenschaftlichen Veranstaltungen usw. (Bourdieu 1998b: 32; 2004e: 55-62; 2014e: 77). Im Spiel gibt es dann bestimmte Regeln, die vor allem die Erlangung von Reputation, Qualifikation und Karrierestufen organisieren. Diese Regeln vollziehen sich rekursiv im Sinne des Matthäus-Effekts, so dass es jenen mit hoher Reputation leichter fällt weitere Reputation zu erhalten (Bourdieu 2004e: 56), Karrierestufen kaum übersprungen werden können und die erworbenen Qualifikationen konsekutiv aufeinander aufbauen. Das Kapital, das in diesem Spiel eingesetzt wird und gewonnen werden kann, ist im wissenschaftlichen Feld gespalten. Es gibt entsprechend zwei Sorten wissenschaftlichen Kapitals, die für eine adäquate Analyse nicht isoliert betrachtet werden können. Erstens gibt es reines beziehungsweise streng wissenschaftliches Kapital und zweitens weltliches, politisches, institutionelles beziehungsweise bürokratisches wissenschaftliches Kapital (Bourdieu 1975: 21; 1998b: 31-38; 2004e: 55-62). Bei beiden Kapitalsorten handelt es sich um symbolisches Kapital, dessen Existenz und Macht paradoxerweise voraussetzt, dass es auch von denen anerkannt wird, die im Spiel verlieren, also von denen mit viel symbolischem Kapital unterdrückt werden (Bourdieu 1988: 68f.; 1998b: 23; 2004e: 55). Das reine wissenschaftliche Kapital kann nur durch spezifisch wissenschaftliche Leistungen, also durch Publikationen, Entdeckungen und Erfindungen erworben werden und drückt sich im persönlichen Prestige aus, das einem Wissenschaftler für seine Wissenschaftlichkeit zuerkannt wird. Das weltliche wissenschaftliche Kapital wird durch Zeit gewonnen, die Wissenschaftler im institutionellen und bürokratischen Apparat der Universität und der scientific community verbringen. Es drückt sich vor allem in Positionen, Verträgen, Posten und Geldern aus, so dass die Positionen, die mit hohem institutionellem Kapital ausgestattet sind, viel Macht durch die Verfügung über Produktionsmittel der Wissenschaft ausüben können (Bourdieu 1998b: 31f.; 2004e: 55ff.). In beiden Fällen verlagert sich der Kampf um das Kapital ins Innere des Feldes und führt dazu, dass sich der Mikrokosmos Wissenschaft von dem Makrokosmos Gesellschaft unterscheidet (Bourdieu 2004e: 57; siehe auch Hörisch 2010: 75). Die Position, die Einzelne, Institutionen oder Disziplinen im wissenschaftlichen Feld einnehmen, bestimmt sich über die Verteilung des Kapitals (Bourdieu 1988: 90f.). Das Feld wird dabei durch zwei Achsen bestimmt. Die erste Achse wird durch die zwei Pole bestimmt, auf in denen die Kapitalsorten in Reinform vorliegen würden. Die senkrecht kreuzende Achse bestimmt die quantiative Verteilung dieses Kapitals (Barlösius 2012: 128f.). Auf dem Feld können nun einzelne Wissenschaftler, aber auch wissenschaftliche Institutionen oder gar Disziplinen verortet werden. Diese Achsenverteilung deutet darauf hin, dass reines und institutionelles wissenschaftliches Kapital nicht nur auf unterschiedliche Art und Weise akkumu-
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liert werden, sondern dass ein Gewinn an institutionellem Kapital zum Verlust des reinen Kapitals führen kann und umgekehrt (Bourdieu 1988: 100f.; 1998b: 34f.). Die Strategien, mit denen die Einzelnen auf dem Kampfplatz (Bourdieu 1998b: 20; 2004e: 45f.) der Wissenschaft agieren, unterscheiden sich je nach Position, die sie auf dem Feld einnehmen. Diejenigen, die erfolgreich Kapital akkumuliert haben und sich so eine rein wissenschaftliche oder institutionelle Autorität monopolisieren konnten, vertreten Erhaltungsstrategien der Orthodoxie (Bourdieu 2003c: 17; 2014h: 109; siehe auch Müller 2014: 150f.). Sie sind notwendig für die Reproduktion des Feldes und in ihrem Sinne ist das wissenschaftliche Feld dogmatisch (Bourdieu 1975: 33). Diejenigen, die über wenig institutionelles oder reines wissenschaftliches Kapital verfügen, vertreten hingegen häufiger Umsturzstrategien der Häresie (Bourdieu 2003c: 17; 2014h: 109; siehe auch Müller 2014: 150f.). Sie sind notwendig für die wissenschaftliche Innovation und sorgen dafür, dass das wissenschaftliche Feld gleichzeitig zu seinen dogmatischen Zügen ein Feld der permanenten Revolution ist (Bourdieu 1988: 267-276; 1975: 33). Weil die Praxistheorie sich innerhalb der Wissenschaft verortet, gelten die hier skizzierten Produktionsverhältnisse des wissenschaftlichen Feldes auch für sie (Bourdieu 1985: 49). Bourdieu beansprucht für seine eigene Forschung, der wissenschaftlichen illusio zu folgen, wenn er schreibt, dass dieser Beruf verlangt, nach der Wahrheit zu streben (Bourdieu 1997: 797). Auch Bourdieus praxistheoretische Erben nutzen die oben skizzierte Beschreibung des wissenschaftlichen Feldes, wenn sie ihrer Tradition Bedeutung zuweisen wollen (siehe beispielsweise den Tagungsbericht Klebel et al. 2017). So handelt es sich um eine zirkuläre Hervorbringung symbolischen Kapitals, wenn Hans-Peter Müller zu Beginn seiner Einführung in Bourdieus Werk auf dessen 1800 Publikationen, die 347 Übersetzungen in 34 Sprachen und 42 Länder, die zahlreichen internationalen und wissenschaftlichen Ehrungen und nicht zuletzt auf den Zitationsindex verweist, der Müller als untrüglicher Beweis für die Bekanntheit und Berühmtheit Bourdieus gilt (Müller 2014: 11f.). Bourdieus Selbstinszenierung anlässlich der Verleihung der Huxley Medal, am Ende seiner Schaffenszeit im Jahr 2000, ist dagegen deutlich ironisch gebrochen. Er beginnt seine Ansprache damit, die Relation zwischen ihm und dem Publikum, aber auch der scientific community zu beschreiben, wie er das wissenschaftliche Feld beschreiben würde: »Da Sie mich mit derartiger Autorität ausgestattet haben, will ich, wie etwa ein alter Magier, der seine Geheimnisse weitergibt, versuchen, eine Technik, eine Methode oder, bescheidener formuliert, eine ›Vorgehensweise‹ vorzustellen, die ich teilnehmende Objektivierung nenne und die mir in meiner langjährigen Forschungstätigkeit überaus nützlich war.« (Bourdieu 2004f: 172; zur Ironie in Bezug auf sein Position als Prediger siehe Bourdieu 1992a: 222)
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Zusammenfassend lässt sich damit festhalten, dass Bourdieu in zahlreichen Untersuchungen ein Modell des wissenschaftlichen Feldes entwickelt, dies aber keineswegs als Legitimation dieser Ordnung versteht. Er erkennt zwar die Notwendigkeit, dass sich das wissenschaftliche Feld vom common sense unterscheiden muss, und argumentiert sogar normativ für eine höhere Autonomie des wissenschaftlichen Feldes (Bourdieu 1998b: 52-61; 2003b: 84; 2014d: 23f.). Andererseits stellt er damit die Autonomie des wissenschaftlichen Feldes, welche von vielen Wissenschaftlern als naturgegeben angesehen wird, in Frage. Bourdieus ambivalente Haltung zum wissenschaftlichen Feld ergibt sich vor allem aus der Tatsache, dass er sich eindeutig diesem Feld und seinen Regeln verschreibt. Im Folgenden werde ich zeigen, dass die Ambivalenz dieses Anti-Akademismus Bourdieu in die Lage versetzt, einen Bruch mit den Methoden des Bruchs zu vollziehen, indem er genau diese Methoden auf sich selbst anwendet. In Bezug auf den Vollzug der eigenen Sozialtheorien habe ich bereits gezeigt, dass die Praxistheorie sich selbst dem Verdacht des Präreflexiven aussetzen muss. Die bisherige praxistheoretische Selbstverortung in der Gesellschaft hat gezeigt, dass auch der praxistheoretische Wissenschaftler mit einem spezifischen präreflexiven Habitus ausgestattet sein muss, durch den er überhaupt erst die Mitspielfähigkeit auf dem wissenschaftlichen Feld erlangt (Bourdieu 2004e: 59). Der Soziologe muss also paradoxerweise seine Denkwerkzeuge so sehr inkorporieren, dass er sie ungedacht ausspielen kann (Bourdieu 2004e: 51). Als reflexiver Wissenschaftler muss es ihm aber gleichzeitig darum gehen, nichts dem Ungedachten zu überlassen. Aus diesem Willen, ein wissenschaftliches Subjekt zu sein, das seine Gegenstände objektiviert, leitet Bourdieu (2013a: 271) die Frage nach dem notwendigen Bruch mit dem Bruch ab: »So manche der von der offiziellen Wissenschaft anerkannten Objekte, so manche der Titel von Forschungsprojekten sind nichts weiter als soziale Probleme, die sich in die Soziologie eingeschlichen haben, Armut, Delinquenz, Jugendliche, Bildung, Freizeit, Sport und so weiter und so fort, und die – eine Analyse der langfristigen Entwicklung der großen realistischen Unterteilungen der Soziologie, wie sie in den Rubriken der großen Zeitschriften oder in den Benennungen der Arbeitsgruppen bei soziologischen Weltkongressen zum Ausdruck kommen, würde das belegen – mit den Schwankungen des jeweils aktuellen sozialen Bewußtseins variieren. So also sieht eine der Vermittlungen aus, mit der die soziale Welt ihre eigene Darstellung konstruiert, indem sie sich dazu der Soziologie und des Soziologen bedient. Das eigene Denken im Ungedachten zu belassen, heißt – für den Soziologen noch mehrt als für jeden anderen Denker – sich dazu zu verurteilen, nur das Werkzeug dessen zu sein, was man zu denken meint. Wie bricht man damit? Wie kann sich der Soziologe den Einflüsterungen entziehen, denen er ständig ausgesetzt ist, beim Zeitunglesen oder beim Fernsehen
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oder selbst beim Lesen der Arbeiten seiner Kollegen? Ständige Alarmbereitschaft ist immerhin etwas. Aber sie genügt nicht.« Bourdieu beschreibt hier die paradoxe Situation des double bind zwischen Soziologie und Gesellschaft. In dieser Verbindung läuft die Soziologie Gefahr, der gesellschaftlichen Wirklichkeit zu unterliegen, die sie eigentlich untersuchen will. Sie würde dann zum Werkzeug und zum Objekt dessen werden, was sie eigentlich objektivieren will. Um dieser Gefahr zu begegnen, verlagert die Praxistheorie den epistemologischen Bruch in das wissenschaftliche Feld. Diese theoretische Tätigkeit ist keineswegs als Entparadoxierung gedacht, sie führt vielmehr zu einem neuen double bind. Mit dem Verweis auf die Arbeiten seiner Kollegen zeigt Bourdieu, dass der Soziologe Gefahr läuft, einer wissenschaftlichen Doxa zu erliegen, um sich von der nicht-wissenschaftlichen Doxa zu distanzieren (Bourdieu 2013a: 279f.). Die erste, einfache Feststellung eines epistemologischen Bruchs zwischen Wissenschaft und Nicht-Wissenschaft reicht also nicht aus, um sich vom common sense zu verabschieden, sondern trägt zu einer Verzerrung bei, die sich darin ausdrückt, dass viele Wissenschaftler sich natürlich als autonome Wesen verstehen. Bourdieu (1992a: 220; siehe auch Volbers 2015) schreibt über die Verzerrungen, die auf Seiten einer Wissenschaft entstehen, folgendes: »Dieser als theoretizistisch oder intellektualistisch zu bezeichnende Bias besteht darin, daß man es unterläßt, in die Theorie der sozialen Welt, die man entwickelt, den Sachverhalt einzuschreiben, daß sie sich einem theoretischen Blick verdankt.« Zum ersten Aspekt der soziologischen Differenz, der Unterscheidung von Praxistheorie und Gesellschaft, kann zusammenfassend also festgehalten werden, dass die Praxistheorie sich in ihrer Praxis durch das Denkwerkzeug des epistemologischen Bruchs von der Doxa und der Nicht-Wissenschaft unterscheidet. Damit konstituiert sie sich als Teil des wissenschaftlichen Feldes. Durch die Selbstverortung auf dem wissenschaftlichen Feld stößt die Praxistheorie aber auf eine Paradoxie, derzufolge die soziale Welt zwar der Gegenstand der Praxistheorie ist. Gleichzeitig ist die Theorie aber selbst Teil der sozialen Welt und verdankt sich einem präreflexiven theoretischen Blick. Daraus folgt, dass das Problem der Unterscheidung von Episteme und Doxa in Bezug auf die Gesellschaft zwar durch die Unterscheidung von Wissenschaft und Nicht-Wissenschaft gelöst werden kann. Innerhalb des wissenschaftlichen Feldes taucht dieses Problem aber wieder auf, weil die Selbstverortung in der Wissenschaft erkennen lässt, dass es eine wissenschaftliche Doxa gibt. Damit drängt sich der zweite Aspekt der soziologischen Differenz, die Unterscheidung von soziologischer Theorie zu anderen Selbstbeschreibungen der Gesellschaft, als praktisches Problem der Praxistheorie auf.
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Wie vollzieht sich die gesellschaftstheoretische Selbstverortung der Praxistheorie in Bezug auf die Wissenschaft? Wie stellt sie also den zweiten Aspekt der soziologischen Differenz her? Um mit dem Instrument des Bruchs zu brechen, das der theoretische Blick mittels des epistemologischen Bruchs erzeugt, wendet Bourdieu ein Verfahren an, das einem re-entry gleichkommt. Dieses Verfahren ist das analogische Denken (Bourdieu 2013a: 268). Hierzu wird die Unterscheidung Episteme/Doxa auf die Wissenschaft übertragen und die Wortfamilie der Doxa (Orthodoxie, Allodoxie, Heterodoxie, Paradoxie) genutzt, um Wissenschaft zu beschreiben (Bourdieu 2004c: 93; 2014e: 80; siehe auch Müller 2014: 150-153). Dieses reflexive Verfahren analogischen Denkens wendet Bourdieu (2013a: 285) dabei explizit gegen sich selbst: »Was man den ›epistemologischen Bruch‹ nennt, also die vorübergehende Außerkraftsetzung der gewöhnlichen Präkonstruktion und der gewöhnlich bei der Realisierung dieser Konstruktion angewandten Prinzipien, setzt oft einen Bruch mit den Denkweisen, Begriffen, Methoden voraus, die allen Anschein des common sense, der gewöhnlichen Alltags- wie Wissenschaftsvernunft (also all dessen, was die herrschende positivistische Disposition honoriert und anerkennt) für sich haben. Sie werden sicher verstehen, daß, wenn man wie ich überzeugt ist, daß die erste Aufgabe der Sozialwissenschaft – und also der Ausbildung in der Sozialwissenschaft – die ist, als Grundnorm der wissenschaftlichen Praxis die Konversion des Denkens einzuführen, die Revolution des Blicks, den Bruch mit dem Präkonstruierten und allem, was ihm in der Gesellschaftsordnung – und im akademischen Universum – als Stütze dient, man sich ganz unvermeidlich ständig dem Verdacht aussetzt, sich als beamteter Prophet aufzuführen und zur persönlichen Bekehrung aufzurufen.« In diesem Zitat wird noch einmal deutlich, dass selbst der epistemologische Bruch, als Denkwerkzeug, das die Grenze von common sense und Sozialwissenschaft erst konstituiert, Gefahr läuft, eine gewöhnliche Präkonstruktion des akademischen Universums zu sein. Um dieser Gefahr zu begegnen, kann das analogische Denken den Verdacht äußern, dass Wissenschaft analog zu unterschiedlichsten nichtwissenschaftlichen Orthodoxien gebaut ist. Bourdieu beschreibt Wissenschaft und ihre präkonstruierte Ordnung entsprechend analog zur Magie, Ökonomie, Religion und Politik und geht so weit, diese Beschreibung gegen sich selbst zu wenden. Dies geschieht nicht nur, wenn er sich im gerade zitierten Auszug dem Verdacht aussetzt, ein Prophet (Bourdieu 2013a: 285) zu sein. Bourdieu tritt in seinen Selbstbeschreibungen als Wissenschaftler auch als alter Arzt (Bourdieu 1991: 279), als Prediger (Bourdieu 1992a: 222; 2013a: 260f.; allgemein zur Homologie von Religion und Wissenschaft siehe Gülker 2015), als homo oeconomicus (Bourdieu 2013a: 252; 2014c: 13), als Künstler (Bourdieu 2004e: 38; 2013a: 254f.) und als alter Magier (Bourdieu 2004f: 172; 2014b: 45; zur magischen Kraft von wissenschaftlicher Schulen siehe Fleck 1980: 59) auf. Das analogische Denken dient nicht etwa der Gleichmacherei.
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Es verwischt keine Differenzen, sondern führt zur Exotisierung der eigenen Position und damit zur Distanzierung von sich selbst. Durch das analogische Denken kann die Praxistheorie sich von der Wissenschaft distanzieren, ohne eine Position außerhalb der Wissenschaft zu beziehen. Das analogische Denken ermöglicht es nämlich, Strukturen des wissenschaftlichen Feldes zu verallgemeinern, ohne die mystifizierten Großkonstruktionen zu reproduzieren, in denen sich Wissenschaft selbst beschreibt (Bourdieu 1998a: 84ff.; 2013a: 268; zur Notwendigkeit einer solchen Soziologie des Denkens siehe auch Fleck 2014b). Paradoxerweise erfüllt also gerade die radikale Verfremdung der Selbstbeschreibung des wissenschaftlichen Feldes, in der beispielsweise akademische Macht homolog zu religiöser Macht beschreiben wird (Bourdieu 2013a: 268), den Anspruch wissenschaftlicher Objektivierung, weil sie es erst erlaubt, sich vom Alltag des wissenschaftlichen Feldes und seiner Doxa zu distanzieren und so einen unwissenschaftlichen Epistemozentrismus (Bourdieu 1998a: 207) zu vermeiden. Diese ambivalente Haltung zur Wissenschaft generalisiert Bourdieu (2004f: 186) in Bezug auf die teilnehmende Objektivierung folgendermaßen: »Wer objektiviert, schließt den, den er objektiviert – das kann jemand anderes oder er selbst sein – nicht in eine Wesenheit oder ein Schicksal ein, wie dies diejenigen glauben machen wollen, die in der Objektivierung lediglich eine Art naturwissenschaftliches Präparat oder eine moralische Indizierung sehen. Paradoxerweise verläuft der Weg der Konstruktion eines echten Subjekts über die Objektivierung der Verkennung und der mystifizierten Selbsterfahrung, die sie verursacht.« Das analogische Verfahren dient also dazu, zu objektivieren, welche präreflexiven Mystifizierungen in die Subjektkonstruktion und damit in die Objektivierung selbst einfließen. Es ist ein Verfahren, das sich im Sinne der teilnehmenden Objektivierung gegen sich selbst richtet und die eigene Objektivierung dem Verdacht der Unwissenschaftlichkeit aussetzt. Damit konstituiert das analogische Denken einen Riss durch das wissenschaftliche Feld (Müller 2014: 150f.), der nicht dazu dient, sich normativ gegen Wissenschaft zu positionieren, sondern sich als wissenschaftliches Subjekt zu konstituieren. Bourdieu (2013a: 278) beschreibt seinen Anti-Akademismus entsprechend folgendermaßen: »Ich brauche wohl nicht zu sagen, daß der Zwang zur Reflexivität, der die Voraussetzung einer wirklichen wissenschaftlichen Praxis ist, nichts mit der falschen Radikalität jeder Infragestellung zu tun hat, wie man sie heute vermehrt antrifft.« Statt also die Wissenschaft als unwissenschaftlich zu verurteilen, geht es dem analogischen Denken gerade darum, die Wissenschaftlichkeit zu steigern (Bourdieu 1992b: 228). Dies macht Bourdieu (1988: 10) im Vorwort zur deutschen Ausgabe des Homo academicus gleich zu Beginn deutlich.
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»Die Objektivierung des objektivierenden Subjekts läßt sich nicht umgehen: Nur indem es die historischen Bedingungen seines eigenen Schaffens analysiert (und nicht durch eine wie immer geartete Form transzendentaler Reflexion) vermag das wissenschaftliche Subjekt seine Strukturen und Neigungen ebenso theoretisch zu meistern wie die Determinanten, deren Produkt diese sind, und sich zugleich das konkrete Mittel an die Hand zu geben, seine Fähigkeiten zur Objektivierung noch zu steigern.« Zusammenfassend richtet sich die gesellschaftstheoretische Selbstverortung der Praxistheorie also nicht mehr auf die Differenz zwischen Soziologie und Gesellschaft, sondern auf eine innerwissenschaftliche Differenz zwischen unterschiedlichen Theorieschulen, Denktraditionen, Instituten und Forschungseinrichtungen. Im Folgenden werde ich diesen innerwissenschaftlichen Bruch genauer beschreiben, um die Normativität aufzudecken, die aus dieser Praxis der Praxistheorie hervorgeht. Der Bruch, den die Praxistheorie in das Feld der Wissenschaft einzieht, ist nicht losgelöst von der Gesellschaft zu denken. Dies zeigt sich in Bourdieus (2003c) Überlegungen zur wissenschaftlichen Methode und sozialen Hierarchie der Gegenstände. Bourdieu stellt in diesem Aufsatz fest, dass es wahrscheinlich ist, dass die Hierarchie der Gegenstände innerhalb der Sozialwissenschaft sich analog zu der Hierarchie verhält, die die Gegenstände innerhalb der Gesellschaft einnehmen. In den Gegenständen, die sich soziologische Projekte zum Thema machen, kommt demnach eine Verstrickung zwischen Wissenschaft und gesamtgesellschaftlicher Doxa zum Ausdruck: »Die Hierarchie der legitimen, legitimierbaren oder für unwürdig befundenen Gegenstände ist eine der Vermittlung, durch die sich die spezifische Zensur eines bestimmten Feldes aufzwingt, die im Fall mangelnder Unabhängigkeit von den Forderungen der herrschenden Klasse die bloß verschleierte Form einer rein politischen Zensur sein kann. Die Definition, die festlegt, über welche Dinge gesprochen werden kann und welche Gegenstände Aufmerksamkeit verdienen, ist einer der ideologischen Mechanismen, die dafür sorgen, dass über Dinge, über die auch gesprochen werden könnte, nicht gesprochen wird, und dass man sich für Gegenstände, die nicht weniger Aufmerksamkeit verdienen, nicht interessiert oder sich nur verschämt oder auf völlig unzulängliche Weise mit ihnen beschäftigt.« (Bourdieu 2003c: 14) Diese Verstrickung zwischen Wissenschaft und sozialer Hierarchie der Gegenstände wird durch das verdeckt, was die Praxistheorie als wissenschaftliche Doxa beschreibt. Sie sorgt dafür, dass einzelne wissenschaftliche Akteure die Funktion der gesellschaftlichen Hierarchie der Gegenstände für die wissenschaftliche Hierarchie der Forschungsaktivitäten nicht erkennen (Bourdieu 2014e: 80-82) und somit
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präreflexiv durch sie bestimmt werden. Erst durch ein analoges Denken von Religion und Wissenschaft kann das Verhältnis von Gegenständen der Wissenschaft und der sozialen Hierarchie so objektiviert werden, dass zu erkennen ist, wie orthodoxe Wissenschaftler die etablierte Hierarchie der Gegenstände verteidigen und die häretischen Wissenschaftler sie angreifen. Erstere konzentrieren sich in der Regel auf systematische Großtheorien, kanonische Texte und auf globale Probleme. Letztere versuchen diese Hierarchie zu delegitimieren, indem sie sich auf Gegenstände mit geringerem Ansehen und von geringerer Größe konzentrieren. Doch selbst wenn es einige Häretiker schaffen sollten, sich im Laufe ihrer Karriere orthodoxe Positionen zu erarbeiten, verschiebt sich dadurch nur die konkrete Reihenfolge, nicht aber die formale Verbindung der Hierarchie der Gegenstände zur sozialen Hierarchie innerhalb der Wissenschaft: »So bildet der rituelle Konflikt zwischen der hohen Orthodoxie des akademischen Priestertums und der distinguierten Häresie der harmlosen Einzelkämpfer einen Bestandteil der Mechanismen, die zur Aufrechterhaltung der Hierarchie der Gegenstände und zugleich der Hierarchie der materiell wie symbolisch davon profitierenden Gruppen beitragen.« (Bourdieu 2003c: 17) Wissenschaft muss also erst analog zur Religion als ritualisiert beschrieben werden, um die mystifizierten Selbstbeschreibungen zu objektivieren, die die Relation zwischen der Position im wissenschaftlichen Feld und den von dieser Position aus untersuchten Gegenständen bestimmen. Der soziale Bruch, der durch die Wissenschaft geht, ist also der zwischen Orthodoxie und Heterodoxie (Müller 2014: 150ff.). Die wissenschaftliche Doxa besteht dann darin, dass in Bezug auf die Spielregeln und die Verteilungsmechanismen des wissenschaftlichen Feldes zwischen Orthodoxen und Häretikern Einigkeit besteht. Bourdieu macht diese Einigkeit zum Objekt seiner teilnehmenden Objektivierung, wenn er schreibt: »Das Verborgenste ist das, worüber alle Welt sich einig ist, so einig, daß nicht einmal darüber gesprochen wird, ist das, was außer Frage steht, was selbstverständlich ist. […] Es gibt immer eine Hierarchie der Forschungsobjekte und eine Hierarchie der Forschungssubjekte (der Forscher), die in entscheidender Weise zu Verteilung der Objekte unter den Subjekten beitragen. Keiner sagt Ihnen (oder selten), daß Sie sich dieses Thema vornehmen dürfen und jenes nicht, daß Sie es auf die, nicht auf die andere Weise behandeln dürfen – ›theoretisch‹ oder ›empirisch‹, ›grundlagenorientiert‹ oder ›angewandt‹, daß Sie die Resultate auf die, nicht auf jene Weise präsentieren dürfen. Derartige Ermahnungen, Ordnungsrufe, sind in der Regel nicht nötig, weil es genügt, die inneren Zensurinstanzen spielen zu lassen, die nichts anderes als verinnerlichte soziale und schulische Zensurinstanzen sind (›Ich bin kein Theoretiker‹, ›Ich kann nicht schreiben‹). Unter sozia-
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len Gesichtspunkten gibt es nichts weniger Neutrales als das Verhältnis zwischen Subjekt und Objekt.« (Bourdieu 2014e: 80-82) Durch das analogische Denken gelingt es Bourdieu nicht nur, die offensichtliche Hierarchie innerhalb der Wissenschaft auf die Differenz zwischen Orthodoxie und Heterodoxie hin zu untersuchen (Bourdieu 2003c: 18; 2014b: 54). Vielmehr kann er teilnehmend die verborgenen Selbstverständlichkeiten der wissenschaftlichen Praxis objektivieren. Auch wenn die Praxistheorie sich damit quer zu der etablierten Hierarchie innerhalb der Wissenschaft stellt, zieht sie selbst eine Differenz ein, die ich im Folgenden als normative Distanznahme untersuchen werde. Diese Selbstanwendung der Praxistheorie ist möglich, weil auch der Gegenstand der Wissenschaft Teil einer gesellschaftlichen Hierarchie ist. Bourdieu ist sich dieses Selbstanwendungszwangs innerhalb der Praxistheorie durchaus bewusst und verstrickt sich dadurch weiter in der Ambivalenz des double bind und der teilnehmenden Objektivierung. Er macht dies zum Beispiel deutlich, indem er Wissenschaft einerseits als Kampfobjekt beschreibt, während er andererseits versucht, die Wahl dieses Gegenstandes nicht an seine Position in der Hierarchie zu koppeln, sondern an den von ihm notwendigerweise habitualisierten Drang nach Wahrheit. Dies geschieht im Vorwort zur deutschen Ausgabe des Homo academicus (Bourdieu 1988). Hier ist es Bourdieu offensichtlich möglich, auf seine getane Arbeit zurückzublicken und eine gesellschaftstheoretische teilnehmende Objektivierung durchzuführen. Damit lässt sich die Objektkonstruktion Bourdieus nachvollziehen, in die er die Reflexion auf die soziale Hierarchie der Objekte und die wissenschaftliche Hierarchie einbezieht. Er bestimmt dabei zunächst die Position seines Gegenstandes innerhalb der gesellschaftlichen Hierarchie: »Die Welt der Universität einer wissenschaftlichen Analyse zu unterziehen bedeutet, sich eine Institution zum Gegenstand zu nehmen, der gesellschaftlich das Recht zuerkannt wird, eine den Anspruch auf Objektivität und Universalität erhebende Objektivierung durchzuführen.« (1988: 11) Die Universität und die Wissenschaft kann also als ein nobler Gegenstand angenommen werden, der sich von gewöhnlichen Gegenständen dadurch unterscheidet, dass der Forscher von der Bedeutung des Gegenstandes profitieren kann (Bourdieu 2003c: 13-15). Dies würde zunächst nahelegen, dass Forscher, die sich mit der Wissenschaft beschäftigen, eine orthodoxe Position innerhalb der Wissenschaft einnehmen. Und tatsächlich macht Bourdieu (1988: 11) deutlich, dass es ihm mit seiner Forschung weder um einen häretischen noch um einen avantgardistischen Angriff auf die Hierarchie der Gegenstände wie auch auf die innerwissenschaftliche Hierarchie geht: »Weit entfernt davon, in eine nihilistische Infragestellung der Wissenschaft zu münden – wie so manche sogenannte postmoderne Analyse, die lediglich die
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unter dem Deckmantel der Anprangerung von ›Positivismus‹ und ›Szientismus‹ getarnte uralte Ablehnung der Wissenschaft, und zumal der Sozialwissenschaft, unter Hinzufügung eines Schusses French radical chic dem jeweiligen Tagesgeschmack anpasst«. Bourdieu, der die Macht der Orthodoxie innerhalb der Wissenschaft erkennt und diese in Verbindung zu seinem noblen Gegenstand stellt, schlägt sich also nicht einfach auf die andere Seite, die Häresie (siehe auch Thomä/Kaufmann/Schmid 2015: 283). Mit dem Homo academicus startet er keinesfalls einen Frontalangriff gegen die Wissenschaft. Vielmehr geht es darum, sich in reflexiver Selbstkritik zu üben (siehe auch Thomä/Kaufmann/Schmid 2015: 289). So »verfolgt diese Art eines auf die soziologische Arbeit selber angewandten soziologischen Experiments vielmehr das Ziel, aufzuweisen, daß die Soziologie durchaus dem historischen oder soziologischen Zirkel entkommen kann; und daß es dazu nichts weiter bedarf, als sich ihrer Erkenntnisse in bezug auf die soziale Welt, in der Wissenschaft betrieben wird, zu bedienen und zu versuchen, den Einfluß der sozialen Determinismen unter Kontrolle zu bringen, die auf diese Welt und auf den wissenschaftlichen Diskurs einwirken, sofern er sich nicht durch extremste Wachsamkeit schützt.« (Bourdieu 1988: 11) Die normative Distanznahme der Praxistheorie besteht also nicht darin, einer Seite der Differenz orthodox/heterodox den Vorzug zu geben. Vielmehr erkennt Bourdieu die Spielregeln, die das Verhältnis dieser beiden Positionen bestimmen, und kann so die Doxa der Wissenschaft reflektieren. Indem die Praxistheorie auf diese Weise die Einheit der Differenz reflektiert, kann sie sich durch Selbstreflexionen von der wissenschaftlichen Doxa abgrenzen. Diese Reflexion bestimmt dann die gesellschaftstheoretische Selbstverortung der Praxistheorie. Durch diese Differenz zur wissenschaftlichen Doxa, die Bourdieu als Bruch mit dem Bruch in das wissenschaftliche Feld einzieht (Bourdieu 1998: 87f.), wird der Ort der Praxistheorie innerhalb der Wissenschaft konstituiert. Dieser innerwissenschaftliche Bruch, der erst reflexiv-theoretisch (Bourdieu 1988: 10) durch die teilnehmend Objektivierenden hergestellt wird, trennt die reflektierenden Soziologen von denen, die sich nicht selbst objektivieren: »Denn der positivistische Traum von der perfekten epistemologischen Unschuld verschleiert die Tatsache, daß der wesentliche Unterschied nicht zwischen einer Wissenschaft, die eine Konstruktion vollzieht, und einer die, das nicht tut, besteht, sondern zwischen einer, die es tut, ohne es zu wissen, und einer, die darum weiß und sich deshalb bemüht, ihre unvermeidbaren Konstruktionsakte und die Effekte, die diese ebenso unvermeidbar hervorbringen, möglichst umfassend zu kennen und zu kontrollieren.« (Bourdieu 1997: 781)
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Im Bruch mit der wissenschaftlichen Doxa zeigt sich die Ambivalenz des praxistheoretischen Anti-Akademismus. Er nimmt keine Außenposition zum wissenschaftlichen Feld ein, denn die Beschreibung und Kritik der Wissenschaft innerhalb gesellschaftlicher Determinationsverhältnisse bezieht ihre Legitimität gerade aus der Beschreibung der Forscher als relativ autonome Subjekte, die ihre Autonomie nicht ihrem Genie zu verdanken haben, sondern den relativ autonomen Strukturen des wissenschaftlichen Feldes (Bourdieu 1988: 51). Diese Zirkularität ermöglicht es Bourdieu, ein Programm zu entwickeln, mit dem er sich einerseits von der Doxa des wissenschaftlichen Feldes distanzieren kann, sich also jenseits der Hierarchie von Orthodoxie und Heterodoxie verortet (siehe hierzu auch Thomä/Kaufmann/Schmid 2015: 282-293). Andererseits verstrickt er sich durch dieses Programm tiefer in die wissenschaftliche Illusion eines interessenlosen Interesses, wie sich an Bourdieus (1998b) normativen Vorschlägen in Vom Gebrauch der Wissenschaft zeigt. Um die normativen Folgen aus dem praxistheoretischen Anti-Akademismus nachzuvollziehen, werde ich im Folgenden Bourdieus normative Vorschläge skizzieren. Diese führen im Anschluss direkt zum dritten Aspekt der soziologischen Differenz, der reflexiven Unterscheidung der Praxistheorie von sich selbst. Bourdieus normative Vorschläge (1998b: 52-61) lassen sich als Manifest lesen, das im Streben nach reflexiver Soziologie einen unerreichbaren Gegenort zur gegenwärtigen Sozialwissenschaft zeichnet. In diesem werden deskriptiv erscheinende Aussagen über das Feld der Wissenschaft performativ vollzogen und normativ bestätigt (Fröhlich/Rehbein/Schneikert 2014: 401). Deshalb enthält Bourdieus (1998b) klinische Soziologie des wissenschaftlichen Feldes nicht nur eine Diagnose verschiedener Pathologien, sondern konkrete normative Vorschläge (Bourdieu 1998b: 52ff.) zur Heilung. Der wissenschaftliche Betrieb sollte sich betont differenziert, aber integriert vollziehen sowie einer Dehierarchisierung (1998b: 52ff.) unterzogen werden. Darüber hinaus fordert er eine Anhebung der Eintrittshürden (Bourdieu 1998b: 37) in das wissenschaftliche Feld. So sollen die Forscher eine kollektive Widerstandskraft (Bourdieu 1998b: 54) gegenüber gesellschaftlichen Konflikten und allgemeiner Konkurrenz erlangen. Dies würde es zunächst ermöglichen, einen relativ machtfreien Raum zu schaffen, in dem sich die soziologische Forschung tatsächlich über die gesellschaftlichen Niederungen unreflektierter Subjekte erheben könnte. Bourdieu (1988: 51) strebt mit seinem Entwurf eines Gegenorts, vermittelt durch die Institutionalisierung der Reflexion der eigenen Forschungstätigkeit, das Ende der gesellschaftlichen Korruption der Wissenschaft im Allgemeinen und der Soziologie im Besonderen an. Es geht also darum, die Analyse der innerwissenschaftlichen Machtverhältnisse zu nutzen, um die Autonomie des Feldes der Wissenschaft gegen ihre gesellschaftlichen Verzerrungen zu erhöhen (1998b: 37). Hierzu wäre es notwendig, den Bürgerkrieg (Bourdieu 1998b: 52) zwischen Orthodoxie und Heterodoxie, der sich letztlich aus der gesellschaftlichen Hierarchie der Gegenstände ergibt, zu
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überwinden und diese Dualität der Wissenschaft nicht weiter zu verfestigen, sondern zu entfalten (Bourdieu 1998b: 52). Kollektive Reflexion ist dabei das Ziel und der Weg zu der kollektiven Konversion (Bourdieu 1998b: 57), die Bourdieu vorschwebt. Die gesellschafttheoretische teilnehmende Objektivierung ist demnach eine Praxis der Theorie, durch die einerseits eine Differenz zu anderen Soziologen hergestellt wird, die andererseits in dieser Praxis überwunden werden soll. Bourdieu spricht in diesem Zusammenhang davon, dass die kollektive teilnehmende Objektivierung die Bedingung für ein wahrhaftes aggiornamento (Bourdieu 1998b: 57) sei. Dass Bourdieu hier eine Parallele zur katholischen Kirche zieht, kommt sicher nicht von ungefähr. (Mit aggiornamento wollte sich die katholische Kirche des Zweiten Vatikanischen Konzils den heutigen weltlichen Verhältnissen öffnen, um ihre selbstproklamierte heilige Position über diesen Verhältnissen zu bewahren.) Das hier angewandte Verfahren des analogischen Denkens ermöglicht der Praxistheorie nicht nur eine immanente Fundamentalkritik der Wissenschaft, sondern auch die Skizzierung eines normativen Gegenortes. Analog zum aggiornamento der katholischen Kirche, die ihre Autonomie bis heute sehr erfolgreich verteidigt, kann sich die Wissenschaft nur durch die Bildung wissenschaftlicher Gemeinden und Bekenntnisgruppen (Fröhlich 2014: 362) gleichzeitig der Welt annehmen und von ihr lösen. Diese Bekenntnisgruppen sind soziologisch betreut und werden von Bourdieu wie folgt umschrieben: »Doch um jene kollektive Sozioanalyse auch umsetzen zu können, ohne die eine wirkliche kollektive Konversion nicht denkbar ist, bedarf es einer langwierigen Arbeit, eines jeden an sich selbst und allen anderen, also einer Beteiligung der gesamten Gruppe. Deshalb wird es entscheidend sein, Einrichtungen zu schaffen, innerhalb derer sich (vielleicht unter Beteiligung und mit der bescheidenen Hilfe von Soziologen, die ich trotz allem für notwendig erachte) alle Angehörigen der Institution kollektiv und außerhalb jeder hierarchischen Beschränkung oder Strafandrohung über jene Fragen austauschen können, von denen verschiedene Forschergruppen gemeinsam betroffen sind, und die dennoch oft zwischen ihnen stehen.« (Bourdieu 1998b: 58) Von diesen normativen Vorschlägen erwartet Bourdieu nicht nur, dass Wissenschaftler ertragreicher und glücklicher arbeiten (Bourdieu 1998b: 58), er sieht in Verbindung mit ihnen auch die Möglichkeit einer kollektiven Selbstbefreiung (Bourdieu 1998b: 57), die vom Glauben an das reine wissenschaftliche Kapital (Bourdieu 1998b: 31) geprägt ist. An anderer Stelle beschreibt Bourdieu die hier skizzierte kollektive Konversion, die sich durch die Buße, die Wissenschaftler in den Bekenntnisgruppen tun, ereignet, als echte Konversion (Bourdieu 2013a: 285). Auch hier ist die Entwicklung eines normativen Gegenorts durch das analogische Denken möglich, geht es Bourdieu (2013a: 285) doch um die Möglichkeit einer metanoia. Der religiös
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konnotierte Begriff meint den Sinneswandel, der zur Buße führt und auf die Buße folgt. Zum zweiten Aspekt der soziologischen Differenz und zur Frage, wie sich die gesellschaftstheoretische Selbstverortung der Praxistheorie in Bezug auf die Wissenschaft vollzieht, lässt sich Folgendes festhalten: Der ambivalente AntiAkademismus der Praxistheorie, die einerseits die gesellschaftliche Determination der Wissenschaft kritisiert und sich gleichzeitig für ihre eigenen Analysen auf die Autonomie der Wissenschaft beruft, führt zum Entwurf eines normativen Gegenorts reflexiver Soziologie. Entlang der Grenzen dieses Gegenortes werden die Anderen von den wahren Soziologinnen unterschieden. Mit Verweis auf Jürgen Habermas, geht es Bourdieu (1998b: 58f.; siehe auch Fröhlich/Rehbein/Schneikert 2014: 401f.) darum, die Bedingungen der Möglichkeit eines herrschaftsfreien wissenschaftlichen Diskurses zu etablieren. Diese Bedingungen sind nicht nur in konkreten institutionellen Reformen und der Etablierung von Bekenntnisgruppen zu suchen, sondern setzen einen Bruch mit dem Bruch und die Möglichkeit einer radikalen Distanzierung von der Gesellschaft voraus. Daher tritt Bourdieu immer wieder für die Autonomie der Wissenschaft und ihren emanzipatorischen Wert ein, den sie solange für sie beanspruchen kann, wie sie sich von den politischen und ökonomischen Zwängen der gegenwärtigen Gesellschaftsordnung befreien kann. Normativ wird damit ein wissenschaftliches Feld imaginiert, auf dem nur das reine wissenschaftliche Kapital über die Positionen im Feld entscheidet und die Bedeutung des weltlichen wissenschaftlichen Kapitals zurückgedrängt wird. Bourdieu ist damit seinem analogen Verfahren, Wissenschaft als Religion zu beschreiben, so weit verfallen, dass es sowohl zur Problematisierung des wissenschaftlichen Feldes, als auch für normative Lösungsvorschläge dient. Dadurch fällt es ihm aber schwer, seine eigene Autonomie, die sich aus seiner Position im wissenschaftlichen Feld ergibt, in Frage zu stellen. Gerhard Fröhlich (2014: 336) kommt daher zu dem richtigen Schluss: »sein normatives und politisches Eintreten für die Autonomie wissenschaftlicher Felder ist letztlich auch ein Rettungsversuch seines Konzeptes autonomer Felder als eigene Universen mit eigenen Funktionsgesetzen. […] Bourdieus Konzept des ›wissenschaftlichen Feldes‹ ist heuristisch wertvoll. Es hat hohes Anregungspotenzial, sollte aber deutlicher und konsequenter im Plural gesetzt, differenziert, systematisiert und mit Theorien, Modellen und Befunden der Wissenschaftsforschung verknüpft werden. Viele der – zum grossen Teil begrüssenswerten – Aussagen Bourdieus zum Thema sind nur normativ verstanden haltbar.« Die so auf sich selbst angewandte Praxistheorie muss letztlich zu dem Schluss kommen, dass sie selbst einer wissenschaftlichen Doxa verfällt, in der sich ihre Beschreibung des Gegenstandes Wissenschaft als relativ autonomes Feld mit der Selbstpositionierung als relativ autonome Forschung und ihrem normativen Ein-
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satz für die Autonomie der Wissenschaft verbindet. Was diese Verstrickung für Konsequenzen in Bezug auf die Praxis der Praxistheorie hat, deutet Bourdieu an, wenn er eine langwierige Arbeit, eines jeden an sich selbst und allen anderen (Bourdieu 1998b: 58), zur Bedingung reflexiver Soziologie macht. Damit wird der Einzelne zum zentralen Fluchtpunkt innerhalb dieser gesellschafttheoretischen Selbstverortung der Praxistheorie. Aus diesem Grund kann auch der dritte Aspekt der soziologischen Differenz im Nachvollzug der praxistheoretischen Selbstverortung in der Gesellschaft nicht ausgeblendet werden. Wie vollzieht sich die gesellschaftstheoretische Selbstverortung der Praxistheorie in Bezug auf das Selbst? Wie stellt sie also den dritten Aspekt der soziologischen Differenz her? Das entscheidende Werk zur Beantwortung dieser Frage ist Ein soziologischer Selbstversuch (Bourdieu 2002). In diesem Buch geht es nicht etwa um eine Autobiographie, sondern um den Versuch einer soziologischen Selbstbeschreibung (Bourdieu 2002: 9), die als Selbstreflexion und teilnehmende Objektivierung thematisiert, wie viel die Praxistheorie der gesellschaftlichen Alltagserfahrung Bourdieus verdankt (Schultheis 2002: 133). Bourdieu versucht sich hier selbst in der bereits erwähnten langwierigen Arbeit, eines jeden an sich selbst und allen anderen, die für ihn die Voraussetzung und das Ziel wissenschaftlicher Autonomie ist. Für das Verständnis dieses Werks sind die Absätze interessant, in denen Bourdieu sich selbst beantwortet, warum und für wen er dieses Buch geschrieben hat: »Sicher ist jedenfalls, daß, wenn ich mich selbst einer gesellschaftlichen Verortung nicht entziehen konnte, ich mich doch immer bemüht habe, dies so weit wie irgend möglich in meiner Eigenschaft als Forscher zu tun, gerade auch, indem ich, wie ich es hier getan habe, meine Stellung und ihre Entwicklung zur Kenntnis nehme, indem ich also versuche, den Einfluss zu beherrschen, die sie auf meine wissenschaftliche Stellung haben konnte. Und dies nicht, um einer Verkürzung meiner Arbeit auf ihre gesellschaftlichen Bedingungen im Geiste des Anspruchs eines göttlichen Gelehrten (›bourdivin‹, wie manche sagen) auf allumfassendes Wissen zu entgehen, sondern um schlicht mein Bestes zu geben bei der Ausübung eines ungeheuer schwierigen Berufes, eines Berufes, der darin besteht, der Wiederkehr des Verdrängten den Weg zu bahnen und in aller Öffentlichkeit das auszusprechen, was niemand wissen möchte. Aber ich habe auch und vielleicht vor allem geschrieben für die jüngeren meiner Leser, in der Hoffnung, daß sie angesichts dieser Erinnerung an die historischen Bedingungen, unter denen sich meine Arbeit entwickelte, Bedingungen, die sich zweifellos in vielerlei Hinsicht von denen unterscheiden, die sie nun vorfinden, dennoch nachvollziehen können […]. Denn tatsächlich gibt die Historisierung, selbst wenn sie Abstand schafft, paradoxerweise auch die Mittel an die Hand, Vertrautheit herzustellen, sich einem in den Binden der akademischen Kommentare einbalsamierten Autor zu nähern und in ein echtes alter ego zu verwandeln, oder
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besser in einen Gesellen im Sinne der alten Zünfte, der so gleichzeitig triviale und vitale Probleme hat wie jedermann (wo ein Manuskript unterbringen, wie einen Verleger überzeugen).« (Bourdieu 2002: 125-126) In dieser längeren Passage kommt das Subjektivierungsregime der gesellschaftstheoretischen Selbstverortung der Praxistheorie in a nutshell zum Ausdruck: Bourdieus teilnehmende Objektivierung vollzieht sich als Forschung zum Zweck besserer Forschung. In diesem Vollzug ist das Objekt der Forschung die eigene Stellung innerhalb der Gesellschaft und die Entwicklung, die Trajektorie, die seine eigene Stellung bestimmt (Schultheis 2002: 149). Bessere Forschung kann dann erreicht werden, wenn die Einflüsse der gesellschaftlichen Stellung auf die eigene Forschung objektiviert und damit beherrscht werden. Wie ich bereits in Bezug auf den praxistheoretischen Selbstvollzug der eigenen Sozialtheorie (4.1) gezeigt habe, droht der Praxistheorie hier ein potenziell unendlicher Selbstbezug. Jeder Objektivierung der Forschung wäre eine weitere teilnehmende Objektivierung dieser Forschung beizufügen usw. usf. Der normative Gegenort, den die Praxistheorie im Anschluss an ihre gesellschafttheoretische Selbstverortung innerhalb der Gesellschaft konstituiert, ermöglicht einen zeitlich begrenzten Abbruch der potenziell unendlich aneinander anschließenden Reflexionsschleifen. Die Funktion dieses Gegenortes besteht also nicht etwa in einer Selbstbeschreibung der Praxistheorie, die sich über andere Theorien erhebt, sondern gerade im Abbruch der andauernden Selbstbeschreibungen im Sinne von teilnehmenden Objektivierungen. An diesem Gegenort bildet sich im Sinne der Regierung durch Theorie ein Subjekt der Theorie, das als Nicht-Ort einen Sog entfalten kann, der Bourdieu dazu anhält, sein Bestes zu geben. Gerade weil dieser Ort nicht erreichbar ist, macht er es möglich, ihn innerhalb der Forschung anzustreben und so die alltägliche Forschungsarbeit fortzusetzen, ohne sich in Selbstreflexionsschleifen zu verlieren. Der Gegenort erfüllt aber nicht nur die Funktion einer Reflexionsblockade, er stößt auch den Prozess der Selbstreflexion wieder an. Indem sich das utopische Interesse des Forschers mit seiner wirklichen Stellung in der Gesellschaft verbindet, findet Reflexion statt und diese Reflexion geht als kollektiv geteiltes Ereignis in die Praxis der Praxistheorie ein. Weil noch das Studium der teilnehmenden Objektivierung durch nachfolgende Generationen thematisiert werden kann, überdauert die teilnehmende Objektivierung das Leben Einzelner. Pierre Bourdieu stirbt am 23. Januar 2002 in der Zeit der Veröffentlichung von Ein soziologischer Selbstversuch (zur (Nicht-)Verbindung von Ein soziologischer Selbstversuch und Bourdieus Tod siehe Schultheis 2002: 133-136, 144-148). Zum Abschluss werde ich zeigen, dass die Form des dritten Aspekts der soziologischen Differenz, die in der Selbstreflexion auf die Stellung des Forschers in der Gesellschaft hergestellt wird, paradox ist. Diese paradoxe Form wird innerhalb der Praxistheorie nicht etwa einseitig aufgelöst, sondern als Spannung aufrechterhal-
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ten. Dies wird besonders deutlich im Vergleich des immanenten Nachvollzugs der Praxistheorie am Beispiel Bourdieus und der externen Kritik von Bourdieus kritischer Theorie durch Bruno Latour. Bourdieu oszilliert im Versuch, sich sowohl vom Subjektivismus als auch vom Objektivismus zu distanzieren, offensichtlich zwischen fact und fairy position, wie Bruno Latour (2007b: 36) die beiden Seiten der konstruktivistischen Kritik nennt. Latour zufolge neigt die kritische Sozialwissenschaft in der fairy position dazu, das Verhältnis ihrer Gegenspieler und der einfachen Leute zu ihren Objekten als rein subjektives Konstrukt zu entlarven (Latour 2007b: 36). Bourdieu (2013a: 284) tut dies, wenn er die Macht des Präkonstruierten in den Köpfen und Dingen betont, die nur durch einen radikalen epistemologischen Bruch und den soziologischen Blick erscheint und unterminiert werden kann (siehe auch Müller 2014: 141f.): »Der Bruch ist eigentlich eine Konversion des Blicks, und vom Unterricht in soziologischer Forschung kann man sagen, daß er zuallererst lehren muß, ›mit anderen Augen zu sehen‹, wie die hermeneutischen Philosophen das auch nennen. Es geht darum, wenn schon nicht den ›neuen Menschen‹, so doch zumindest den ›neuen Blick‹ zu produzieren, ein soziologisches Auge. Und das ist nicht möglich ohne eine echte Konversion, eine metanoia, eine mentale Revolution, einen Wandel der ganzen Sicht der sozialen Welt.« (Bourdieu 2013a: 284-285) Latour (2007b: 38f.) kritisiert weiter, dass die sozialwissenschaftliche Kritik aber jederzeit in die fact position wechseln könne, um objektive soziale Determinismen aufzuzeigen, die die Einzelnen dazu zwingen, sich auf eine bestimmte Weise zu bestimmten Objekten zu verhalten. Bourdieu tut dies, wenn er auf die Wirklichkeit der sozialen Determinanten besteht und sich gegen die Hermeneutik und ihren Fetisch für die Interpretation richtet: »Tatsächlich kommt man aus der unendlichen Aneinanderreihung der einander wechselseitig widerlegenden Interpretationen – der Hermeneut wohnt einem Kampf zwischen Hermeneuten bei, die sich darum schlagen, zu einem Ereignis oder Ergebnis das letzte Wort zu behalten – nur heraus, wenn man wirklich den Raum der objektiven Relationen (die Struktur) konstruiert, deren Manifestation der direkt beobachtete Kommunikationsaustausch (die Interaktion) ist. Es handelt sich darum, eine verborgene Realität wahrzunehmen, die sich nur entschleiert, indem sie sich verschleiert, die sich nur in der anekdotischen Form jener Interaktionen zu erkennen gibt, in denen sie sich verbirgt.« (Bourdieu 2013a: 290; siehe auch 2014d: 31) Latour zieht aus diesem Wechsel zwischen fact und fairy position, den er als Elend der Kritik (Latour 2007b) beschreibt, den Schluss, mit der Sozialwissenschaft zu brechen. Er unterläuft damit den konstruierten epistemologischen Bruch so, dass er direkt an den common sense anschließt und mit diesem explizit nicht brechen will
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(Latour 2014: 640f.). Bruno Latour wird hier so ausführlich aufgegriffen, weil er in Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft (Latour 2007a: 275) die Paradoxie der soziologischen Unterscheidung von der Gesellschaft in der Gesellschaft (erster Aspekt der soziologischen Differenz) und damit die Paradoxie der soziologischen Unterscheidung von sich selbst (dritter Aspekt der soziologischen Differenz) erkennt. Er richtet sich daher zunächst einseitig gegen eine Totalisierung der Gesellschaft (Latour 2007a: 282). Die Paradoxie (Latour 2007a: 284), dass die Soziologie in ihrem Gegenstand wieder auftaucht, führt ihn zu dem Schluss, dass das unmögliche Objekt Gesellschaft (Marchart 2013: 15) gleichzeitig eine praktische Unmöglichkeit (Latour 2007a: 282) der Existenz der Gesellschaft bedeutet. Ziel dieser Operation ist die Entgrenzung der Soziologie, also eine Erneuerung als Ganze (Gertenbach 2015: 20). Aus einem Vergleich der theoretischen Praxis Latours und Bourdieus lassen sich also Rückschlüsse auf die immanente Praxis der Praxistheorie ziehen. Gemeinsam hat Latour mit Bourdieu, dass seine Praxis der Paradoxierung als ein spezifisches Theoriemachen ihm nicht erlaubt, in der Paradoxie verharren. Statt die Paradoxie der Soziologie als Objekt und Subjekt der Gesellschaft aber produktiv zu machen, löst Latour die Differenz von Soziologie und Gesellschaft komplett auf: Aus der anti-paradoxen These, dass es entweder eine Gesellschaft oder eine Soziologie gibt (Latour 2007a: 282), schlussfolgert Latour programmatisch, dass der unselige Gesellschaftsbegriff aufzulösen ist (Latour 2007a: 283). Diese Auflösung der paradoxen Selbstverortung der Soziologie in der Gesellschaft, wie sie etwa von der Praxistheorie vollzogen wird, lässt sich aber nur provozieren, weil Latour der von ihm gesetzten Logik des entweder… oder… folgt (siehe auch Latour 2003: 198; Latour 2007a: 204; kritisch Kneer 2009). Latour versucht damit komplementär zu Bourdieu den radikalen epistemologischen Bruch in radikaler Symmetrie (Latour 2001: 285; kritisch auch Bourdieu 2004c: 54, 57) aufzulösen. Latour (2007b: 41) dient hier also als Beispiel für den Versuch, die Paradoxie, die die teilnehmende Objektivierung gleichzeitig hervorbringt und reflektiert, einseitig aufzulösen, indem er die Sozialwissenschaft rundheraus ablehnt: »Was die Sozialwissenschaftler unseren Lieblingsobjekten antun, ist so schrecklich, daß wir sie nicht in unserer Nähe haben wollen. ›Bitte bloß nichts anfassen!‹, rufen wir, ›Versucht nicht, sie zu erklären!‹ Wir könnten ihnen auch etwas höflicher nahelegen: »›Warum gehen sie nicht den Korridor weiter runter bis zum nächsten Fachbereich? Die da müssen sich für schlechte Fakten verantworten; warum nicht ihre erklären statt der unseren?‹« Was Latours Kritik an der kritischen Soziologie Bourdieus verdeutlicht, ist, dass sich die immanenten Paradoxien der soziologischen Differenz der Praxistheorie in zwei Richtungen aufzulösen drohen. Aus Sicht der Praxistheorie erscheinen aber beide Seiten nicht erstrebenswert. In der einen Richtung wartet der Subjektivismus und das ›Du verstehst das nicht‹, ›daß muß man am eigenen Leibe erlebt haben‹, ›das
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läuft so nicht ab‹ (Bourdieu 1992b: 226) des common sense. In der anderen Richtung wartet der Objektivismus und der positivistische Traum von der perfekten epistemologischen Unschuld (Bourdieu 1997: 781), den es nicht geben kann, weil es keine unbefleckte Empfängnis (Bourdieu 2014d: 23) gibt. Interessant ist hierbei, dass für Latour (2007a: 431) die kritische Soziologie Bourdieus abzulehnen ist, weil sie zwischen dem Traum einer unvoreingenommenen Wissenschaft und den schmutzigen Tricks der Politik gefangen ist. Für Bourdieu (2004c: 98-101) ist genau dieses Spannungsverhältnis aber ein Qualitätsmerkmal der Soziologie, gleichzeitig Wissenschaft und schmutzige Politik zu sein. Besser gesagt: sich gleichzeitig als reine Wissenschaft und Religion, Politik, Magie oder Medizin beschreiben zu können, ist innerhalb der Praxistheorie gerade der Schlüssel zu einer reflexiven Soziologie. Gleichzeitig ist in dieser ambivalenten Haltung Bourdieus zu Konstruktivismus und Realismus eine Immunisierungsstrategie Bourdieus zu erkennen (Fröhlich/Rehbein/Schneikert 2014: 401). Während Latour (2007a: 430) schlussfolgert, dass die Differenz von Wissenschaft und Gesellschaft, von Soziologie und Gesellschaft nicht aufrechtzuerhalten ist, ist es für Bourdieu die Aufgabe der Soziologie diese Differenz immer wieder zu thematisieren, zu objektivieren, aber genau dadurch auch immer wieder neu herzustellen. Die Praxistheorie erkennt Latours Kritik damit als eindimensionale Zuspitzung des eigenen ambivalenten Antiakademismus. Latours Arbeit stellt damit gewissermaßen eine Schattenseite der Praxistheorie dar, die das ganze Projekt der teilnehmenden Objektivierung ad absurdum führt (Bourdieu 1998a: 87). Schließlich ist zu beobachten, wie es der Praxistheorie gelingt, die Paradoxie der soziologischen Selbstverortung in der Gesellschaft nicht à la Latour aufzulösen, sondern sie durch Verzeitlichung zu entparadoxieren und produktiv zu halten: »Chancen, richtig zu begreifen, worum es in den Wissenschaftsspielen der Vergangenheit geht, hat man nur, wenn man sich bewußt ist, daß die Vergangenheit der Wissenschaft etwas ist, worum in den gegenwärtigen wissenschaftlichen Auseinandersetzungen gekämpft wird.« (Bourdieu 2014e: 78; siehe auch 2014h: 107) Durch die Kritik Latours ist deutlich geworden, dass die Regierung durch Praxistheorie eine Form annimmt, in der das Subjekt der Theorie immer zu zwei Seiten abzurutschen droht. So ist die Praxis der Praxistheorie einerseits auf die Erfahrung der Wissenschaft und ihrer Regeln, auf das akademisch Präkonstruierte, angewiesen (Bourdieu 2013a: 256) und muss sich gleichzeitig gegen dieses akademisch Präkonstruierte richten (Bourdieu 2013a: 283). Einerseits versucht jeder seine eigenen subjektiven Vorstellungen als objektive Vorstellungen hegemonial werden zu lassen (Bourdieu 2014a: 89), andererseits ist die immer auch subjektive Vorstellung, dass es ein solches Verhältnis von Subjektivismus und Objektivismus gibt, objektiv (Bourdieu 2014a: 90). Die soziologische Selbstreflexion der Praxistheorie startet einerseits mit der Erkenntnis, Teil eines Spiels und dessen Regeln unterworfen zu
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sein, sieht aber auch die Möglichkeit, noch die Regel des Spiels zum Gegenstand des Spiels zu machen (Bourdieu 2014b: 45; siehe auch 1992a: 221; 2013a: 288). Die Praxistheorie erhält sich durch diese Ambivalenzen einerseits eine große Offenheit. So formuliert Bourdieu (2013a: 261) gekonnt paradox: »›Verbieten verboten‹, würde ich am liebsten sagen, oder: Man hüte sich vor methodologischen Wachhunden.« Doch noch der Nutzen der Ambivalenzen bleibt selbst ambivalent, denn er kann auch in starke Geschlossenheit abdriften, insofern die Soziologie, insbesondere die ambivalenten Vorgehensweisen der Praxistheorie selbst zur Waffe innerhalb der wissenschaftsinternen Kämpfe werden (Bourdieu 2013a: 288). Auch wenn Bourdieu diese Gefahr immer mitreflektiert, ist auch sein Werk nicht davor geschützt, Gegenstand gegenwärtiger wissenschaftlicher Auseinandersetzungen zu sein und so zu wissenschaftlichen Immunisierungsstrategien beizutragen. Es ist zumindest auch in diese Richtung der wissenschaftlichen Abschottung offen, wie Didier Eribon (2017: 75) argumentiert: »Sein ›Selbstversuch‹ erscheint wie ein Schirm, mit dem er sich vor allzu reduktionistischen – und feindseligen – Schlussfolgerungen von seiner sozialen Herkunft auf sein Werk schützen will. Die wiederholte Anrufung der Begriffe ›Wissenschaft‹, ›wissenschaftlich‹, ›Wissenschaftlichkeit‹ in der von seinen französischen Herausgebern verfassten Einleitung verstärken diesen Eindruck noch. Warum muss man immerzu auf den ›wissenschaftlichen‹ Charakter dieses Buches verweisen? Um seine Existenz vor den Augen der Leser zu rechtfertigen oder zu entschuldigen? Muss man eine bestimmte Lesart vorschreiben, muss man die Versuchung einer ›literarischen‹ oder ›philosophischen‹ Selbstdeutung, die den Autor von Sozialer Sinn: Kritik der theoretischen Vernunft auf seine alten Tage heimgesucht haben könnte, wie ein Gespenst vertreiben?« Das hohe Maß an Reflexivität, das sich im Nachvollzug der praxistheoretischen Selbstverortung in der Gesellschaft zeigt, kann so auch als Immunisierung verstanden werden. Bourdieu argumentiert selbst, dass ihn die Reflexivität der teilnehmenden Objektivierung, die sowohl als Konstruktionsarbeit als auch als Objektivierung dieser Konstruktionsarbeit auftritt, gegen den Irrtum immun gemacht (Bourdieu 1992a: 221) habe, der durch die sozialen Determinationen des wissenschaftlichen Feldes erzeugt wird. Der Nachvollzug der praxistheoretischen Selbstverortung in der Gesellschaft hat somit Belastungsgrenzen aufgezeigt, zwischen denen die Regierung durch Theorie das Subjekt der Theorie zu halten versucht. Im Folgenden werde ich drei Belastungsgrenzen exemplarisch aufführen. Danach werde ich durch mögliche alternative Selbstverortungen aufzeigen, wie es möglich ist, die Grenzen der Praxis der Praxistheorie zu verlassen, und welche neuen Möglichkeiten und Grenzen sich
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dadurch auftun. Durch die Belastungsgrenzen bestimmt die Praxistheorie einen Korridor, in dem sich die Praxis der Theorie vollziehen kann. Eine erste Belastungsgrenze ergibt sich durch das Verhältnis von Praxistheorie und Gesellschaft. In einem Interview mit Pierre Thuillier wird Bourdieu mit einem klassischen Einwand gegen seine kritische Soziologie konfrontiert. Der Interviewer fragt, welches Recht Bourdieu habe, den Menschen ihre Illusionen zu nehmen, die sie ja im Sinne der Praxistheorie nicht nur beherrschen, sondern ihnen auch als Lebensgrund gesellschaftliche Teilnahme ermöglichen. Bourdieu nutzt diesen Einwand, um in einem Gedankenexperiment an die Grenzen der Praxistheorie zu gehen und eine vollkommen transparente Welt zu imaginieren: »Auch ich frage mich zuweilen, ob sich in einem völlig transparent gewordenen, entzauberten sozialen Universum, wie es eine umfassend entwickelte (und – sofern denn möglich – weitgehend verbreitete) Sozialwissenschaft hervorbringen würde, überhaupt noch leben ließe. Ungeachtet dessen glaube ich, daß die sozialen Verhältnisse weniger unglücklich wären, wären die Menschen wenigstens in der Lage, die Mechanismen zu kontrollieren, die sie dazu bringen, zu ihrem eigenen Unglück und ihrer Misere selbst noch beizutragen. Vielleicht aber ist die einzige Funktion der Soziologie ja, sowohl durch ihre manifesten Erkenntnislücken wie ihre Einsicht in die Grenzen der Erkenntnis der sozialen Welt sichtbar zu machen und auf diese Weise jegliche Form des Prophetismus zu erschweren, angefangen bei jenem, der sich auf die Wissenschaft beruft.« (Bourdieu 2014d: 32) Während Bourdieu im ersten Teil seiner Antwort der einen Seite des Objektivismus zu verfallen droht und damit auf die erste Belastungsgrenze der Praxistheorie zusteuert, wendet er in einem zweiten Schritt die soziologischen Erkenntnisse gegen die Soziologie selbst. Die Soziologie ist demnach gar nicht in der Lage, den Menschen ihre Illusio und damit ihren Lebensgrund zu nehmen, die Menschen können sich nur selbst von den Mechanismen der Herrschaft befreien, zu denen sie selbst beitragen. Der Beitrag der Soziologie würde also in dieser prinzipiellen Erkenntnis liegen, dass jeder Prophetismus, der von außen an die Menschen herantritt und das Bild einer vollständig erfassbaren, transparenten und zu kontrollierenden Welt mitbringt, notwendig falsches Bewusstsein sein muss. Der Beitrag der Soziologie liegt eben darin, dass diese hochentwickelte Sozialwissenschaft die Grenzen der Erkenntnis der sozialen Welt an sich selbst verdeutlicht. Die Gefahr dieser Belastungsgrenze besteht also nicht darin, die soziale Welt vollständig transparent zu machen, sondern den notwendigen epistemologische Wechsel (Bourdieu 2014b: 36) zu verdecken, der die Bedingung der Möglichkeit ist, keinen Beitrag mehr zu der eigenen Misere zu leisten. Die zweite Belastungsgrenze bestimmt die Praxistheorie innersoziologisch. Die Praxistheorie läuft hier Gefahr, jede theoretische Differenz zu habitualisieren
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und damit zu einfachen Erklärungen für die soziale Ordnung der Sozialwissenschaften zu greifen. In einem späten Interview mit Beate Krais nimmt Bourdieu eine solche habitualisierende Analyse vor: »In meinen Seminaren sage ich oft, ich bin ein bißchen wie ein alter Arzt, der alle Krankheiten der soziologischen Vernunft kennt. Es gibt geschlechtsspezifische Fehlerneigungen, herkunftsbedingte, bildungsbedingte: Junge Männer sind häufiger theoretizistisch, während junge Frauen sozial darauf eingestimmt sind, zu bescheiden zu sein, zu vorsichtig, zu gewissenhaft, sie flüchten sich in die Empirie, in das Klein-Klein, und man muß sie ermutigen, daß sie sich trauen, daß sie theoretisch etwas riskieren… Diese Dispositionen sind aber auch durch die soziale Herkunft bedingt: Theoretische Arroganz ist weniger wahrscheinlich bei Intellektuellen der ersten Generation… So gesehen gibt es eine ganze Reihe klassischer Krankheiten, die man immer wiedererkennt. Ich glaube, aufgrund meiner Erfahrung als Forschungsleiter, zu der man noch die Erfahrung all der Krankheiten hinzurechnen muß, die ich zu dem einen oder anderen Zeitpunkt meiner Laufbahn selber gehabt habe, und all die Irrtümer, die ich selber begangen habe, kann ich inzwischen die Grundsätze der Objektkonstruktion praktisch lehren, wie ein alter Handwerker« (Bourdieu 1991: 279). Die permanente Habitualisierung der theoretischen Praxis anderer erschwert hier die Möglichkeit eines pluralistischen Paradigmas, wie es mir vorschwebt. Wenn die Praxistheorie andere theoretische Soziologen immer über ihren Habitus versteht und erklärt, nimmt sie sich selbst Irritationspotenziale, die in anderen Theorien liegen. Ein Weiteres Beispiel für diese Praxis der unbedingten Habitualisierung zeigt sich in einer Kritik Bourdieus an der Trennung von Soziologie und Anthropologie. In diesem Zitat wird deutlich, wie durch die Praxis der Praxistheorie andere Wissenschaften habitualisiert, missverstanden werden können: »Die Fälle, in denen willkürliche Unterteilungen des Gegenstandes, häufig realistischen, durch administrative oder politische Grenzen aufgezwungenen Gliederungen folgen, zu einem Haupthindernis wissenschaftlicher Erkenntnis geraten, ließen sich zuhauf nennen. Ich erwähne nur mir allzu bekannte Beispiele: die Trennung zwischen der Soziologie der Kultur und der Soziologie der Erziehung; oder zwischen der Ökonomie und der Soziologie der Erziehung. Ich glaube auch, daß in die Wissenschaft vom Menschen notwendigerweise anthropologische Theorien eingehen; daß sie nur wirkliche Fortschritte machen kann, wenn sie diese Theorien, die von den Forschern in praxi immer eingesetzt werden und die häufig nichts weiter sind als die transfigurierte Projektion ihres Verhältnisses zur sozialen Welt, offen darstellt.« (Bourdieu 2014d: 34-35) Insofern die Praxistheorie dazu neigt, andere Sozialtheorien als transfigurierte Projektion des Verhältnisses von Forschern zu ihrer sozialen Welt zu verstehen, ob-
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jektiviert sie diese immer schon als Ausdruck einer spezifischen Wahrnehmung, die durch eine Position im Feld und die Teilnahme am wissenschaftlichen Spiel bestimmt ist. Auf diesem Weg droht sie ihre eigene Theorie zu bestätigen und andere Theorien im Sinne der von mir skizzierten reflexiven Intoleranz (3.3) misszuverstehen. Diese Belastungsgrenze bezeichne ich innerhalb meiner Konzeption der Praxis der Theorie als Grenze der subjektivistischen Objektivierung, weil hier das Subjekt der Praxistheorie dem Sog der theoretischen Selbstbestätigung verfällt. Die dritte Belastungsgrenze bezeichnet Bourdieu (2013a: 288) als Grenze der objektivistischen Objektivierung. Sie ergibt sich aus der Erkenntnis, dass die Praxistheorie in ihrer gesellschaftstheoretischen Selbstverortung ihr Selbst zum Beobachter eines Spiels macht, an dem sie selbst als Mitspieler teilnimmt. Diese Belastungsgrenze ist dann erreicht, wenn die Praxistheorie sich nicht etwa in ihrer Beobachtung selbstbestätigt (subjektivistische Objektivierung), sondern die Objektivierung des wissenschaftlichen Feldes als Waffe für feldinterne Kämpfe (Bourdieu 2013a: 288289) nutzt. Bourdieu schreibt zu dieser Belastungsgrenze: »Das Bewußtsein von den Grenzen der objektivistischen Objektivierung hat mich zu der Entdeckung geführt, daß es in der sozialen und insbesondere in der akademischen Welt eine ganze Reihe von Institutionen gibt, die den Effekt haben, die Diskrepanz zwischen der objektiven und der erlebten Wahrheit dessen, was man macht und was man ist, akzeptabel zu machen – all das, woran die objektivierten Subjekte erinnern möchten, wenn sie der objektivistischen Analyse entgegenhalten, daß es ›doch gar nicht so ist‹. Das sind zum Beispiel, in diesem besonderen Fall, die kollektiven Abwehrsysteme, die es möglich machen – in Universen, wo jeder um das Monopol auf einem Markt kämpft, auf dem er nur Konkurrenten als Kunden hat, und wo das Leben infolgedessen hart ist –, sich selbst zu akzeptieren, indem man die vom Milieu gebotenen Ausweichmöglichkeiten oder kompensatorischen Gratifikationen akzeptiert. Erst diese doppelte Wahrheit, objektiv und subjektiv, macht die vollständige Wahrheit der sozialen Welt aus.« Die objektivistische Objektivierung ist also insofern eine Grenze der teilnehmenden Objektivierung, weil das Selbst der Theorie hier eine vollständige Selbsttransparenz und dadurch vollständige Determination und Unfreiheit erlangen würde. Allerdings kann das Selbst der Theorie einer vollständigen Objektivierung immer ausweichen, indem es sich auf subjektive Erfahrungen beruft. Als Beispiel verweise ich darauf, dass gerade auf dem Feld der Wissenschaft die Selbstdarstellung als Ausnahme von der Regel und als einzigartiges Subjekt zu einer Haltung gehört, die von den Strukturen des Feldes unterstützt und belohnt wird. Dies zeigt sich auch in der Selbstanwendung der praxistheoretischen Objektivierung, in der häufig die Einzigartigkeit der wissenschaftlichen Karriere Bourdieus betont wird, um ihn von der allgemeinen Wissenschaftskritik auszuschließen (siehe z.B. Bourdieu 2002: 125; Müller 2014: 11-23; Schultheis 2002: 133-150; anders Eribon 2017: 43-97).
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Wie bereits im Fall der Systemtheorie werde ich diese Untersuchung zur praxistheoretischen Selbstverortung in der Gesellschaft mit einigen Alternativen der Selbstverortung beenden. Die Möglichkeiten der Variation der praxistheoretischen Selbstverortung geben Hinweise darauf, wie der Gefahr der reflexiven Intoleranz der Praxistheorie begegnet werden kann. Der praktische Unterschied besteht vor allem darin, dass hier nicht das Verfahren des analogischen Denkens zum Einsatz kommt, durch das sich die Praxistheorie innerhalb der theoretischen Praxis vom Feld der Wissenschaft und von sich selbst distanzieren kann. Vielmehr wird durch alternative Selbstverortungen das Feld und damit das Subjektivierungsregime selbst gewechselt. Ich werde hierfür zwei kurze Beispiele anführen. In beiden Fällen wurden die von mir skizzierten Belastungsgrenzen der Praxis der Selbstverortung überschritten. Am Ende seiner Schaffenszeit ist es Bourdieu selbst, der eine andere Selbstverortung als die wissenschaftliche vorantreibt. Mit explizitem Verweis auf Foucault, versteht sich Bourdieu in Forschen und Handeln (2004c: 97) als spezifischer Intellektueller (zur Gemeinsamkeiten und Differenz zwischen Bourdieu und Foucault siehe Bublitz 2008; Schäfer 2014a). Ein Intellektueller zeichnet sich in seinem Fall dadurch aus, dass sich ein anerkannter und bekannter Wissenschaftler für eine politische Sache engagiert (Bourdieu 2004c: 97). Dies führt zu einer neuen Selbstverortung, weil der Intellektuelle sich auf das politische Feld begibt, ohne den wissenschaftlichen Anspruch und die Autonomie der Wissenschaftlichkeit aufzugeben (Bourdieu 2004c: 96). Diese Selbstverortung wirkt als doppelter Schock in die Wissenschaft und die Politik. Auf dem Feld der Wissenschaft werden die Interventionen des Intellektuellen als Verstoß gegen die wissenschaftliche Neutralität gesehen (Bourdieu 2004c: 97, 2004d: 17) und auf dem Feld der Politik als Bedrohung der Autonomie des politischen Feldes (Bourdieu 2004c: 97). Entsprechend schwer fällt Bourdieu dieser Schritt, wie seine Bedenken verdeutlichen, die er im Vorwort zur deutschen Ausgabe von Gegenfeuer formuliert: »Es ist mir daran gelegen, daß die hier versammelten Stellungnahmen, von denen einige ja gerade für ein deutsches Publikum verfaßt worden sind, jene eigentümliche Verzerrungen und Mißverständnisse vermeiden, die sich aus den Unterscheiden unserer nationalen Traditionen ergeben. Dies gilt etwa für gewisse, nicht unberechtigte Vorbehalte gegenüber den ›französischen Intellektuellen‹, es betrifft aber auch ein manchmal doch sehr bequemes Festhalten am Ideal weltanschaulicher Neutralität, das ich zwar durchaus nachvollziehen kann, dem ich mich selbst lange Zeit untergeordnet habe, das mir aber heute als Weltflucht im Namen der Wertfreiheit erscheint, als Versuch, politischen Fragen ganz gezielt aus dem Weg zu gehen – und damit auf einfachste Art die Anerkennung einer Wissenschaft zu erlangen, die sich vor allem um äußerliche Merkmale ihrer Geltung bemüht.
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Wenn ich also die gelehrte Enthaltsamkeit aufgebe, dann hat das sicher auch mit mir selbst und meinem Werdegang zu tun: das Alter kann manchmal eine gewisse Freiheit mit sich bringen, gerade im Hinblick auf die Sorge um akademische Anerkennung. Entscheidend sind aber unsere gegenwärtigen Zustände, und all jene, die das Glück haben, ihr Leben der Erforschung der gesellschaftlichen Wirklichkeit widmen zu können, sollten hier ihre Zurückhaltung ablegen, um die drängenden Fragen der Zeit mit den Waffen der Wissenschaft entschlossen angehen zu können.« (Bourdieu 2004d: 17) Ich zitiere diese längere Passage, weil sie einerseits erneut verdeutlicht, wie sehr Bourdieu seine eigene Vergangenheit habitualisiert. Auch in dieser Passage erkennt er, dass er sich lange Zeit einem Mechanismus wissenschaftlicher Herrschaft, dem Ideal weltanschaulicher Neutralität unterworfen hat und dass diese Unterwerfung durch das Spiel der Wissenschaft, das wissenschaftliche Kapital, kurz die Sorge um akademische Anerkennung bestimmt war. Es sind nun zwei Dinge, die ihn von diesen Zwängen befreit haben. Erstens hat Bourdieu selbst sich verändert. Das Alter wirkt in dem Sinne befreiend, als dass er eine fachliche Autorität erlangt hat, die er nun einerseits in politische Auseinandersetzungen einbringen kann (Bourdieu 2004c: 96). Andererseits nutzt er diese Autorität, um Kollegen dazu aufzurufen, seinem Beispiel zu folgen und dem Projekt eines kollektiven Intellektuellen (Bourdieu 2004c: 97) beizutreten. Er überschreitet damit die Belastungsgrenze der objektivierenden Objektivierung und spielt seine wissenschaftlichen Fähigkeiten, Objektivierungsinstrumente und seine Autorität gezielt als Waffe für feldinterne Kämpfe (Bourdieu 2013a: 288) aus. Zweitens wird diese interventionistische Grenzüberschreitung erst durch gesellschaftliche Veränderungen notwendig, die gerade das relativ autonome Verhältnis von Wissenschaft und Politik gefährden. Die neue Form gesellschaftlicher Herrschaft skizziert Bourdieu (2004c: 97) wie folgt: »Eine ganze Reihe von historischen Untersuchungen haben gezeigt, welche Rolle die think tanks bei der Entsehung und Durchsetzung der neoliberalen Ideologie gespielt haben, die heute die Welt beherrscht. Diesen konservativen think tanks, den von den Mächstigen bezahlten ›Expertenscharen‹, können nur ›spezifische Intellektuelle‹ (im Sinne Foucaults) widerstehen, die sich zu einem wahrhaft kollektiven Intellektuellen zusammenfinden, der die Bereiche und die Ziele seines Denkens und Handelns selber bestimmen kann, der kurz gesagt, seine Autonomie gewahrt hat. Dieser kollektive Intellektuelle kann und muss zunächst eine negative, kritische Funktion wahrnehmen, indem er die Instrumente zur Verteidigung gegen die symbolische Domination schafft und verbreitet, die sich heute immer mehr mit der Autorität der Wissenschaft wappnet.« Der politische Neoliberalismus gefährdet also die Autonomie der Wissenschaft und der Politik, weil seine Expertenkultur einerseits politische Entscheidungen mit
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wissenschaftlicher Autorität ausstattet, um so die Alternativlosigkeit (TINA) seiner Herrschaftsordnung zu manifestieren. Andererseits schwindet dadurch die Autonomie der Politik, in der es doch gerade darum geht, über Alternativen zu streiten und durch den Konflikt zu kollektiv bindenden Entscheidungen zu kommen. Der für die wissenschaftliche und politische Autonomie konstitutive epistemologische Bruch zwischen Episteme und Doxa wird durch den Neoliberalismus verunmöglicht, weil es sich hier um eine paradoxe doxa (Bourdieu 2004c: 98) handelt. Der Neoliberalismus schafft es, das Konservative als das Fortschrittliche zu präsentieren, den Rückfall in archaische Herrschaftsformen als Revolution darzustellen und die Regression als Reform zu verkaufen (Bourdieu 2004c 98f.; 2004d). Die archivierten Waffen wissenschaftlicher Kritik, die die Episteme gegen die Doxa ins Spiel bringen, greifen bei dieser paradoxen Doxa nicht mehr. Aufgrund dieser Gegenwartsdiagnose ist Bourdieu bereit, die Grenzen der Wissenschaft zu überschreiten, gerade um sie wieder herzustellen: »Daher müssen die Schriftsteller, Künstler und vor allem die Wissenschaftler die geheiligte Grenze überwinden, die sich mehr oder weniger tief je nach Tradition in den Köpfen festgeschrieben hat, die Grenze zwischen Wissenschaft und Aktion, zwischen Forschung und Engagement. […] Kurz: es geht darum, entgegen der Tendenz, sich in geschützte und schützende bequeme Refugien des Gelehrtenbollwerks zurückzuziehen, das seinerseits von den ›Medien-Barbaren‹ belagert wird, eine aktivere und verantwortungsvollere Definition von Wissenschaft, Kultur und Gesellschaft zu erfinden und durchzusetzen. Es gilt, die kritische Energie, die innerhalb der Mauern der Gelehrten-Welt eingeschlossen ist, zu befreien; sie ist eingeschlossen teils aus schlecht verstandenem wissenschaftlichen Berufsethos, das es sich untersagt, sich in die plebejische Debatte der journalistischen und politischen Welt einzumischen, teils als Folge der Denk- und Schreibgewohnheiten, die bewirken, dass die Spezialisten es selbst in den Sozialwissenschaften leichter und aus der Sicht der spezifischen akademischen Profite lohnender finden, die Resultate ihrer Arbeit wissenschaftlichen Publikationen vorzubehalten, die nur von ihresgleichen gelesen werden.« (Bourdieu 2004c: 99-110) Das zweite Beispiel einer alternativen Selbstverortung in der Gesellschaft ist die Literatur. Sie ist nicht nur ein Weg, sich der Regierung durch Theorie zu entziehen (Felsch/Witzel 2016: 60f.), sie verhält sich auch analog zur Theorie, indem sie einen Bruch mit dem common sense ermöglicht (Felsch/Witzel 2016: 54-60). Didier Eribon verweist in einem bereits genannten Zitat nicht nur auf die Gefahr der Abschottung durch die Selbstverortung in der Wissenschaft. Er zeigt darüber hinaus die Ambivalenz der Literatur in seiner teilnehmenden Objektivierung Gesellschaft als Urteil auf. In Bezug auf Bourdieus (2002) Ein soziologischer Selbstversuch schreibt er:
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»Sein ›Selbstversuch‹ erscheint wie ein Schirm, mit dem er sich vor allzu reduktionistischen – und feindseligen – Schlussfolgerungen von seiner sozialen Herkunft auf sein Werk schützen will. Die wiederholte Anrufung der Begriffe ›Wissenschaft‹, ›wissenschaftlich‹, ›Wissenschaftlichkeit‹ in der von seinen französischen Herausgebern verfassten Einleitung verstärkt diesen Eindruck noch. Warum muss man immerzu auf den ›wissenschaftlichen‹ Charakter eines Buches verweisen? Um seine Existenz vor den Augen der Leser zu rechtfertigen oder zu entschuldigen? Muss man eine bestimmte Lesart vorschreiben, muss man die Versuchung einer ›literarischen‹ oder ›philosophischen‹ Selbstdeutung, die den Autor von Sozialer Sinn: Kritik der theoretischen Vernunft auf seine alten Tage heimgesucht haben könnte, wie ein Gespenst vertreiben?« (Eribon 2017: 75) Eribon verneint diese rhetorischen Fragen und hat mit seinem bereits angesprochenen Buch Rückkehr nach Reims (2016) eine teilnehmende Objektivierung vorgenommen, die innerhalb der Praxis der Praxistheorie stattfindet, sich aber nicht gesellschafttheoretisch auf dem wissenschaftlichen Feld verortet (siehe 4.1). Andere gesellschaftstheoretische Selbstverortungen sind möglich Im Folgenden werde ich nicht nach Stabilisierungen der von mir (nach)vollzogene Praxis der Theorien suchen, sondern die alternativen Selbstverortungen innerhalb der Gesellschaft vergleichen, die sich aus der Praxis der Systemtheorie und Praxistheorie ergeben. Aus diesem Vergleich folgt eine Überleitung zur Normativität der soziologischen Theorie, die einerseits das Bewusstsein wachhält, wie schwierig es ist, mit der eigenen reflexiven Intoleranz, als festgefahrene Form der eigenen Reflexionen, zu brechen. Andererseits lässt gerade die gesellschaftstheoretische Selbstverortung relativ leichte Variationen der Reflexionsformen zu, weil Gesellschaftstheorien ein stärkeres Bewusstsein für die Kontingenz sozialer Ordnungen haben als sozialtheoretische Reflexionen. So konnte ich beispielsweise mit Urs Stäheli (2000b: 271-308) zeigen, dass die Systemtheorie eine Politik der Entparadoxierung verfolgen kann, statt die Unterscheidungen von Wissenschaft/Nicht-Wissenschaft, Soziologie/Nicht-Soziologie, Theorie/Nicht-Theorie, Systemtheorie/Nicht-Systemtheorie und systemtheoretisch wahr/unwahr zu Präferenzcodes (Luhmann 1987c: 16f.) der eigenen in theoretischen Kommunikationen zu erklären und diese Unterscheidung im wissenschaftlichen Diskurs zu normalisieren.Dadurch wird es auch denkbar, die Systemtheorie außerhalb von Wissenschaft, Universität, Soziologie zu positionieren. Auch die Interventionen, die Bourdieu durch die Praxistheorie vollzieht, sind ein Beispiel dafür, nicht nur den Ort der soziologischen Forschung zu wechseln, sondern auch Grenzen zu überschreiten, die sich in den Köpfen festgeschrieben haben (Bourdieu 2004c: 99). Alternative Selbstverortungen schaffen demnach einen Möglichkeitsraum, die Theorie für neue Denk- und Anschauungsformen zu öff-
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nen. Die Variation der gesellschaftstheoretischen Selbstverortung ist damit ein entscheidendes Mittel zur Öffnung der Kontingenz soziologischer Theorie. Analog zur Variante der politischen Selbstverortung ist auch die literarische Selbstverortung in der Systemtheorie und Praxistheorie möglich. Als Sprachspiel bieten sich beide Theorien an, um selbstreflexive Literatur zu steuern. Dabei zeigt die belletristische teilnehmende Objektivierung Eribons (2016) in Rückkehr nach Reims und der systemtheoretische Theorieroman Matthiessens (2012) On Tour mit Art & Language und Niklas Luhmann, dass die grenzüberschreitenden Möglichkeiten der Literatur zwar eine Wissenschaftskritik ermöglicht, dass diese aber nach wie vor den Vollzug der Sozialtheorien der Praxistheorie und Systemtheorie gebunden bleibt. Der Vergleich der sozialtheoretischen (4.1) und gesellschaftstheoretischen (4.2) Selbstdeutung macht deutlich, dass Variationen in Bezug auf die Sozialtheorie sehr begrenzt erscheinen, weil diese an allen Orten innerhalb der Gesellschaft, also auch in Wissenschaft, Politik oder Literatur, die Wahrnehmung der Welt und die Selbstdeutung bestimmen. Damit bestätigt sich Lindemanns These in Bezug auf die Sozialtheorie. Während Sozialtheorien innerhalb einer Praxis der Theorie also universell und unwiderlegbar wirken (Lindemann 2009: 21), beziehen sich Gesellschafttheorien auf kontingente Großformationen gesellschaftlicher Ordnung (Lindemann 2009: 24) und sind daher offener für Abweichungen innerhalb der Praxis der Theorie. Im nachfolgend gezeigten Scheitern der kritischen Distanznahme Lindemanns wird deutlich, wie wichtig die Variation der gesellschaftlichen Selbstverortung ist, um sich im Sinne des pluralistischen Paradigmas zwischen soziologischen Theorien zu bewegen, ohne sie wechselseitig zu vergegenständlichen. Bereits in der Einleitung habe ich auf Lindemanns (2014: 332) Ende von Weltzugänge verwiesen, in dem sie schreibt: »Die Theorie erhebt den Anspruch, auch die Moderne auf Distanz zu bringen, zugleich wiederholt sie aber in der operativen Durchführung der Ausarbeitung ein grundlegendes Prinzip legitimer moderner Kommunikation, indem lebende Menschen primär als soziale Personen in Betracht gezogen werden. […] Auch die Formulierung einer Theorie, die versucht, sich vom historischen Apriori der Moderne zu distanzieren, muss sich den durch dieses Apriori vorgegebenen wissenschaftlichen Kommunikationsstrukturen unterwerfen. Gegen ihre eigene Intention wiederholt die Theorie damit in ihrer operativen Ausarbeitung einen blinden Fleck der Moderne. Immerhin: Die Reflexivität der Theorie erlaubt es, dies festzustellen.« In dieser abschließenden Feststellung Lindemanns kommt die stabilisierende Wirkung reflexiver Intoleranz zum Ausdruck (3.4). Diese Stabilisierung verstärkt sich durch einen positiven Bezug zur allgemeinen Reflexionsfähigkeit, die in der Mo-
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derne nicht nur eine grundlegende anthropologische Praxis ist, sondern gleichzeitig eine Operation darstellt, auf die sich die Humanwissenschaften, inklusive der Soziologie, spezialisiert haben (Avanessian 2015: 24-46; Kamper 1973: 22f., 32f.; Lynch 2000; Steinert 1999). Lindemanns Sozialtheorie, die primär lebende Menschen als soziale Personen bestimmt, adressiert diese und Lindemanns Gesellschaftstheorie, die eine funktional differenzierte Gesellschaft diagnostiziert, verortet sich eindeutig in wissenschaftlichen Kommunikationsstrukturen. Meine Analysen der Praxis der Sozialtheorie und Gesellschaftstheorie haben gezeigt, wie sich die Reflexionsinstanz selbst unterscheidet, sich also erst durch den Vollzug der soziologischen Differenz vom Anderen trennt. Dies geschieht selbst noch in dem Moment, in dem die soziologische Theorie diese Unterscheidung reflektiert (z.B. Bourdieu 2013a; Kamper 1973: 32; Luhmann 1992c: 7-10). Entsprechend dieser Feststellung lässt sich die soziologische Differenz ambivalenter denken und nicht auf ihre stabilisierende Wirkung reduzieren. Die allgemeine Formulierung der transformativen Seite der soziologischen Differenz lautet demnach: Die Problematisierung der Differenz durch jene Reflexionsinstanz, die die Differenz erst reaktualisiert, ermöglicht qualitative und mithin revolutionäre Veränderungen der reflektierenden und reflektierten Instanz und damit der Differenz selbst (in diese Richtung siehe Bourdieu 2004c; Lindemann 2009: 59; Luhmann 1992b: 144; Menke 2015: 166ff.; Schneider 1968: 41f.; Stäheli 2008: 115). Diese Öffnung der Kontingenz von Differenzen ist die Hauptintention meiner Differenzanalyse. Dass die eigene Reflexion, wie bei Lindemann, in einen affirmativen gesellschaftstheoretischen Selbstbezug führt, ist keineswegs notwendig, sondern auch anders möglich. Diese Kontingenz lässt sich öffnen, wenn das historische Apriori der Wissenschaftlichkeit von Theorie infrage gestellt wird, wenn also die Frage nach der Wissenschaftlichkeit soziologischer Theorien suspendiert (2.) und der Möglichkeitsraum, den diese Suspendierung eröffnet, als Bewegungsimpuls für ein pluralistisches Paradigma genutzt wird (3.1), ohne ihre sozialtheoretischen und gesellschaftstheoretischen Grundannahmen über Bord zu werfen. Im Falle der Suspendierung der Frage nach der Wissenschaftlichkeit geht es nämlich nur darum, wie und wo soziologische Theorie sich in der Gesellschaft verortet, und nicht darum, wie die gegenwärtige gesellschaftliche Großformation an sich geordnet ist. Die durch die Suspendierung der Frage nach Wissenschaftlichkeit ermöglichte Veränderung betrifft also das, was die Soziologie selbst ist, auch wenn durch die Öffnung der Kontingenz und die damit einhergehende Möglichkeit der Veränderung noch kein Urteil darüber gefällt ist, ob eine Veränderung herbeigeführt werden sollte. Meine immanente Kritik der soziologischen Differenz widmet sich der Ambivalenz von Veränderung und Stabilisierung und verweigert ein prinzipielles Urteil über die zwei Seiten dieser Ambivalenz. Hierfür bedürfte es, wie insbesondere die gesellschaftstheoretische Selbstverortung der Praxistheorie gezeigt hat, angemes-
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sener Gegenwartsdiagnosen, die eine Veränderung aus normativen Gründen, wie etwa dem Regressionsverbot (Bourdieu 2004d), nahelegen. Die Kritik der soziologischen Differenz, der es im poststrukturalistischen Sinn um die Öffnung der radikalen Kontingenz der Moderne (Reckwitz 2008b; siehe auch Lemke/Krasmann/Bröckling 2000: 21) geht, ist mit der Hoffnung auf Freiheit verbunden. Diese Freiheit erwächst aus dem allgemeinen Merkmal der soziologischen Differenz, die eine Selbstdistanzierung und damit eine Unvertrautheit ermöglicht. Sei es die Möglichkeit, sich als Person im System oder als gespaltener Habitus (4.1) zu konstituieren oder das Machen der Theorie selbst systemtheoretisch zu operationalisieren oder als inkorporierten Blick zu reflektieren (4.2), immer findet ein Unvertrautwerden mit dem Vertrauten statt, das mit der Hoffnung von Freiheit verbunden ist. Immer geht es um eine Selbstlosreissung (Steinweg 2015: 169f.) von den eingespielten Routinen. Zygmunt Bauman (2000: 28) hält diesen allgemeinen Nutzen der Soziologie wie folgt fest: »Doch bietet das Unvertrautwerden des Vertrauten Vorteile. Insbesondere eröffnet es neue und bisher ungeahnte Möglichkeiten, das eigene Leben bewusster und einsichtiger zu leben – vielleicht sogar mit mehr Freiheit und mehr Selbstbestimmung.« Sowohl in der Praxis der Systemtheorie als auch in der der Praxistheorie setzt eine Variation der gesellschaftstheoretischen Selbstverortung ein gewisses Maß an Freiheit voraus und zielt darauf, neue Freiheiten innerhalb der Praxis der Theorie zu erlangen. Verortet man sich anders in der Gesellschaft, bedeutet das aber nicht, allgemein von Zwängen befreit zu sein. Im Anschluss an Foucaults kritische Haltung, die sich aus einem Subjektbegriff speist, in dem Ermächtigung und Unterwerfung als gleichursprünglich gedacht werden, kann es nicht darum gehen, ein neutrales Subjekt jenseits gesellschaftlicher Verhältnisse zu suchen. Die Suspendierung der Frage nach Wissenschaftlichkeit erlaubt es mir, die Berührungsängste gegenüber nicht-wissenschaftlicher Selbstverortung zu verlieren. Durch den Wechsel von einer wissenschaftlichen Selbstverortung zur politischen oder literarischen Selbstverortung findet keine totale Befreiung eines autonomen Subjekts statt, sondern eine Unterwerfung unter neue Zwänge, die es aber erlauben, sich kritisch gegen die Mythen der Wissenschaft zu wenden. So haben beispielsweise André Kieserling (2004) und Fran Osrecki (2011) systemtheoretisch gezeigt, dass ein Wechsel von soziologisch-wissenschaftlicher Kommunikation zu massenmedialer Kommunikation keiner Befreiung gleichkommt. Es wird aber möglich, die eigene Reflexionsform zu verändern, neue Selbstverortungen auszuprobieren und zwischen unterschiedlichen Selbstverortungen zu variieren, ganz im Sinne des ethischen Imperativs der Kybernetik:
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»Handle stets so, daß weitere Möglichkeiten entstehen.« (von Foerster 1981: 60; siehe auch Luhmann 1991c) Genauso gilt innerhalb der Praxistheorie, dass der Wechsel vom wissenschaftlichen ins literarische Feld (Eribon 2016, 2017) oder in die Politik (Bourdieu 2004c) keineswegs dazu führt, dass man sich von Vorverständnissen und Intuitionen, die das Denken präreflexiv bestimmen, frei machen kann. Bei aller befreienden und erkenntnisfördernden Wirkung eines Wechsels ins literarische Feld ist auch hier symbolische Gewalt am Werk, wenn etwa ein geheimes Einverständnis zwischen literarischem Werk und Leser besteht (Alkemeyer 2007: 19). Aber der Wechsel ermöglicht auch einen neue Perspektive auf sich selbst, einen anders gearteten Riss durch den eigenen Habitus, der nicht nur Aufschlüsse über das Feld gibt, auf dem man dann unterwegs ist, sondern auch neue Rückblicke auf die Verhältnisse ermöglicht, aus denen das eigene Denken kommt (in diese Richtung auch Alkemeyer 2007: 23ff.). Die kritische Intention der Öffnung der Kontingenz, in Anlehnung an Michel Foucaults Idee der Kritik (2. und 3.), lässt sich also durchaus in den immanenten Vollzügen von Systemtheorie und Praxistheorie finden. Sie ist immer nur als Reaktion auf bestehende Schließungen der Kontingenz, also in Bezug auf Feststellungen, Grenzen, Naturalisierungen und Normen möglich (Saar 2013c: 264). Eine solche Kritik geht mit (Selbst)Verunsicherung (Bauman 2000: 27ff.; Steinweg 2015: 127) einher und stößt durchaus auf Widerstand (Bauman 2000: 255ff.). Als Verfahren gibt sich diese Kritik zunächst positivistisch. Dies ist erstens an den von mir vorgestellten Argumentationsverfahren abzulesen (3.4), die die selbstkritischen Argumentationen einer Theorie verstärkt und subversiv überbieten. Zweitens ist dieses Verfahren insofern positivistisch, als es keine spezifische neue Ordnung als wünschenswert markiert. Hauke Brunkhorst (1990a: 129) hat solche Verfahren der Kritik wie folgt beschrieben: »Wenn nichts mehr geht, jeder Ausbruch im Paradoxen endet und es kein Entrinnen gibt, wird plötzlich alles möglich und die Utopie des ganz Anderen kehrt im Rücken des Positivismus zurück«. In diesem Sinne ist die kritische Haltung Foucaults tatsächlich mit einem neutralistischen Selbstverständnis (Brunkhorst 1990a: 148) ausgestattet. Diese Haltung schließt aber kritische Veränderungen nicht aus. Als kritisch-konstitutive Aktivität (Saar 2003: 237) versucht sie Techniken der Macht aufzudecken, um Möglichkeitshorizonte zu öffnen, das Urteil über die spezifischen Möglichkeiten aber auszusetzen. Ich schließe mich dieser Methode der Kritik im Wissen an, dass damit ein Minimalmodell der Normativität von Kritik (Flügel-Martinsen 2010) einhergeht: »Ihre Normativität speist die Kritik nicht aus Begriffen und Konzeptionen, auf die sie sich stützt, sondern die minimale Normativität der Kritik, die ihr aber gera-
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de starke Züge verleihen können soll, verdankt sich dem Umstand, dass sie eine befragende Infragestellung dessen ist, was uns selbstverständlich zu sein scheint und damit häufig der Kritik enthoben bleibt.« (Flügel-Martinsen 2010: 151). Praxistheoretisch gewendet greift der Stachel der Kritik im Minimalmodell immer doxische Immunisierungen (Bourdieu 2004b: 30) von Phänomenen gegen ihre prinzipielle Kontingentsetzung an. Systemtheoretisch gewendet richtet sich dieser Stachel gegen die Verallgemeinerung der Perspektive einer Beobachtung, die immer zu Verzerrungen führen muss (Luhmann 1991c: 75ff.). Zusammenfassend kann ich an dieser Stelle festhalten, dass vier Ziele erreicht wurden, die ich durch den Nachvollzug der soziologischen Reflexion der eigenen bedingten Freiheit verfolgt habe. Erstens habe ich verdeutlicht, dass die allgemeine Praxis soziologischer Theorie eine reflexive Praxis ist. Dies zeigt sich sowohl auf sozialtheoretischer wie auf gesellschaftstheoretischer Ebene. Auf beiden Ebenen kam es zu starken Selbstdeutungen der Praxis der Theorie durch die Theorie selbst. Zweitens wurde insbesondere auf der Ebene der Sozialtheorie klar, dass die Praxis der Theorie relativ konstant und, über unterschiedliche Autoren hinweg, ein Subjekt der Theorie voraussetzt und hervorbringt. Gleichzeitig ist die Unterwerfung unter diese Praxis der Theorie die Voraussetzung meiner immanenten Kritik, die sich einen Gang an die Grenzen vorgenommen hat. In Bezug auf die gesellschafttheoretische Selbstverortung ermöglichte mir diese Unterwerfung zusätzlich das Aufzeigen von Alternativen und Variationen im Sinne einer präfigurativen Kritik. Drittens konnten meine Bedingungen für die immanenten Kritik der soziologischen Differenz (3.) aufgezeigt und so die Auswahl von Praxistheorie und Systemtheorie plausibilisiert werden. Allerdings gilt hier einschränkend: Die drei Bedingungen des Nachvollzugs der eigenen Theorie und der Verortung in der Gesellschaft und des Bewusstseins für die Kontingenz der eignen Praxis sind offensichtlich erfüllt. Viertens habe ich veranschaulicht, wie die drei Aspekte der soziologischen Differenz – der Unterscheidung von soziologischer Theorie zur Gesellschaft, zu alternativen Theorien und zu sich selbst – als heuristischer Bezugsrahmen eingesetzt werden können, um die Praxis der Theorie zu analysieren und den soziologischen Theorien immanent und auf Augenhöhe zu begegnen. Mit Augenhöhe ist hier gemeint, dass ich in der Auseinandersetzung mit der Theorie theorieimmanent vorgehe und kein metatheoretischer Bias (siehe hierzu 2.) meine theoretische Praxis bestimmt. Allerdings standen bisher der erste und dritte Aspekt im Vordergrund, weshalb ich im Folgenden noch einmal den zweiten Aspekt spezifischer nutzen werde. Mit ihm ist ein tieferer Zugang zur Normativität soziologischer Theorie möglich.
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4.3.
Die Normativität soziologischer Theorie
Ich habe bereits einleitend darauf verwiesen, dass ich die Praxis der soziologischen Theorie auf einem multiparadigmatischen Feld verorte, in dem sich unterschiedliche Denk- und Anschauungsformen gegeneinander abschließen (2.). Gleichzeitig erscheinen diese unterschiedlichen Theorien als relativ gleichwertig. Damit meine ich, dass Theoretikerinnen mit einer offenen und kontingenten Theorielandschaft als Möglichkeitsraum konfrontiert sind und ihnen keine rationalen und endgültigen Maßstäbe zur Verfügung stehen, sich zwischen Paradigmen zu entscheiden (Kuhn 1977b). Soziologische Theorie betreiben ist also immer eine normative Entscheidung für eine Möglichkeit innerhalb der pluralistischen Theorielandschaft. Die Normativität soziologischer Theorie zeigt sich dann in den Gründen, die sie einzelnen Soziologinnen liefert, um sich an diese Theorie zu halten und andere abzulehnen. Aus der Konstitution eines Subjekts der Theorie muss zwar nicht notwendig eine Unterscheidung gewünschter und ungewünschter Praktiken der Subjektivierung resultieren. Dennoch nehmen die Differenzen, die eine Subjektivierungsform prägen, in vielen Fällen eine solche asymmetrische und normative Form an (Reckwitz 2010: 139). In diesem Kapitel steht damit die Identitätspolitik (Butler 2014: 211 ff; zur Kritik der Identitätspolitik siehe Foucault 2010a: 391) innerhalb der Praxis der Theorien im Vordergrund. Ich werde zeigen, wie durch die skizzierten Selbstdeutungen der System- und Praxistheorie im Vollzug der eigenen Sozialtheorie (4.1) und der Selbstverortung innerhalb der Gesellschaft (4.2) ein Anti-Subjekt (Reckwitz 2010: 139f.) der Theorie entsteht, das normativ abgelehnt wird. Dieses Anti-Subjekt wird im Modus externer Kritik (2.) als Gegenspieler der eigenen Praxis der Theorie imaginiert und die Ausgrenzung dieses (theorieimmanenten) Anti-Subjekts erfüllt damit eine konstitutive Funktion für die Identität des Subjekts der Theorie (Reckwitz 2010: 139f.; Stäheli 2000a: 62ff.). Ich komme damit zu den bereits angeführten (3.) machtanalytischen Fragen Foucaults (2001: 24-25; siehe auch 2002: 670): Welches Subjekt der Erfahrung und des Wissens wird durch die Praxis der Theorie minorisiert? Welche theoriepolitische Avantgarde wird in der Praxis der Theorie inthronisiert? Die Praxis der Theorie verfällt in Fällen solche Selbstinthronisierung durch Fremdminorisierung zwar in eine reflexive Intoleranz (3.4), gerade diese ist es aber, die die eigene Identität als System- bzw. Praxistheorie erst stabilisiert. Dass solche performativen Herstellungen von Identität als Differenzierungsprozess und damit als eine sich selbst immanente Bewegung zu betrachten sind, zeigt Derridas (1992: 23) Auseinandersetzung mit Europa und dem anderen Kap: »ja, die Differenz ist ein Mit-sich-Differieren, mit dem Sich, dem Selbst, das sich bewahrt und sich in seiner eigenen Differenz, in seinem Unterschiedensein von anderem wahrt und sammelt. Es sammelt sich als ein Von-sich-selbst-sich-
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Unterscheiden, für sich von sich unterschieden, der Versuchung, dem Risiko oder der Chance ausgesetzt, den Wirbel des von bei sich beizubehalten und zu bewahren, beruhigt durch die Verwandlung in eine bloß innere Grenze, die von wachsamen Hütern des Seins gesichert wird.« Die Analyse der Normativität soziologischer Theorie als Identitätspolitik lässt sich entlang des zweiten Aspekts der soziologischen Differenz – der Unterscheidung von soziologischer Theorie zu anderen Selbstbeschreibungen der Gesellschaft – analysieren. Während ich in meinen sozial- und gesellschaftstheoretischen Untersuchungen als Verfahren der subversiven Argumentation vor allem das Ideal der Praxis der Theorien nachgezeichnet habe, kommt in diesem Kapitel das erste von mir angeführte Verfahren der Kritik (3.4) zum Einsatz. In diesem geht es der immanenten Kritik darum, Prinzipien sichtbar zu machen, mit denen andere Subjektivierungsregime, also andere Formen von Praxis der Theorie ausgeschlossen werden. Dabei geht es also nie um wirkliche Andere, sondern darum, wie innerhalb der Praxis der Theorie eine Differenz eingezogen wird, die das Subjekt der Theorie von einem Anti-Subjekt unterscheidet und damit als ein Von-sich-selbst-sichUnterscheiden verstanden werden kann. Zu diesem Zweck werde ich zunächst die allgemeine Normativität soziologischer Theorie genauer bestimmen und zwei analytische Fragen an die Praxis der Theorie entwickeln. Anschließend werde ich anhand je eines Textes von Luhmann und Bourdieu exemplarisch zeigen, wie die Differenz zwischen Subjekt und AntiSubjekt innerhalb der Praxis der Theorie hergestellt wird. Es handelt sich um die bekannten Aufsätze Am Ende der kritischen Soziologie (Luhmann 1991a) und Meinungsforschung – Eine »Wissenschaft« ohne Wissenschaftler (Bourdieu 2010b). Am Ende dieses Unterkapitels werde ich dann die spezifischen Praktiken der Subjektivierung in der System- und Praxistheorie als Supertheoretisierung beschreiben. Soziologische Normativität Ulrich Beck (1974) schreibt seine Dissertation Anfang der 70er zu Objektivität und Normativität/Die Theorie-Praxis-Debatte in der modernen deutschen und amerikanischen Soziologie. Der Positivismusstreit neigt sich dem Ende zu und lässt die Kontrahenten ohne bahnbrechend neue Erkenntnisse zurück (Ritsert 2010). Trotz aller Bemühungen scheint sich am Ende die Strategie des wechselseitigen Achselzuckens (Habermas 1980: 235) durchgesetzt zu haben. In dieser Situation veröffentlicht Beck (1972: 201-206) einen Aufsatz zu soziologischer Normativität. Es handelt sich um die methodologischen Kernthesen seiner Dissertation, die sich jenseits der Pappkammeraden-Unterscheidung Wertfreiheitsgegner/Nichtwertfreiheitsverfechter auf die Suche nach dem Problem soziologischer Normativität macht (Beck 1972: 201-206). Durch diesen Schritt entzieht er sich bis zu einem gewissen Grad den üblichen Unterscheidungen innerhalb der deutschen Soziologie und kann
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somit grundlegende Elemente soziologischer Normativität freilegen. Über diese Zielsetzung schreibt Beck (1974: 18): »Es kann nicht darum gehen, konkurrierende Theorieschulen gegeneinander auszuspielen, sondern nur darum, bestehende Gegensätze zu verwenden, einer engagierten und zugleich distanzierten Betrachtungsweise in der Soziologie – egal ob ihre Anhänger Frankfurter, Kölner, Bielefelder, Münchener, Hamburger oder Berliner Soziologen-Dialekt sprechen – zu einem methodologischen Fundament zu verhelfen.« Becks Bestimmung soziologischer Normativität eignet sich aus zwei Gründen besonders gut für meine immanente Kritik soziologischer Theorie. Er sucht einerseits nach Möglichkeiten, das multiparadigmatische Feld soziologischer Theorie zu durchstreifen, ohne das eigene Paradigma durchzusetzen und stattdessen die Soziologie forschungsimmanent (1972: 214; 1974: 233) zu kritisieren. Andererseits erkennt Beck (1972: 224f.) von Anfang an, dass das methodologische Fundament soziologischer Normativität nichts Festes, sondern in jeder Situation ein konkretes, offenes, alle betreffendes und nur als andauernde Selbstreflexion bearbeitbares Problem darstellt. Schon in diesem Aufsatz ist Becks Konzept der reflexiven Modernisierung zu erkennen, in das Soziologie so sehr eingebunden ist, dass sich der Möglichkeitsraum kritischer Soziologie auf den Modus immanente Kritik, also reflexive gesellschaftliche Selbstkritik der Kritik, verengt. So formuliert Beck (1993: 274) zwanzig Jahre später: »Wenn die Gesellschaft selbstkritisch ist, wird eine unkritische Soziologie falsch, eine kritische dagegen konformistisch. Eine Kritik der Kritik aber müßte noch erfunden werden.« Meine These lautet, dass Becks Theorie soziologischer Normativität sich reflexiv so weit drehen lässt, dass bereits hier, in den 70er Jahren, der Grundstein für eine (Selbst-)Kritik der Soziologie gelegt wurde, die theorieimmanent vorgehen kann. Sie würde damit ohne eine enge Kopplung an die wissenschaftsexterne Verwendung des soziologischen Wissens (Beck 2015), oder wie bei Bröckling (2013a) und Wehling (2014) an soziale Bewegungen und Proteste, auskommen. Aus diesem Grundstein werde ich nun erläutern, was die Normativität soziologischer Theorie ist und wie sie sich theorieimmanent untersuchen lässt. Für Beck (1972: 219) ist jede Form von Soziologie normativ, weil es keine prinzipielle Trennung von Theorie und Praxis gibt (Beck 1972: 223). Insofern jeder Vollzug von Praxis eine normative Dimension hat, kann die Praxis der Theorie, die nur eine relative Distanz zu ihrem Gegenstand herstellt, nicht frei von Normativität sein (Brunkhorst 2014: 16). Zudem ist Normativität immer als Wirkungsverhältnis zu verstehen (Beck 1972: 206), ohne dass sich die Wirkung soziologischer Aussagen präskriptiv bestimmen ließe (Beck 1972: 211). Zur weiteren Bestimmung soziologi-
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scher Normativität differenziert Beck (1974: 57; siehe auch 1972: 206) diese in eine zeitliche und eine sachlich-soziale Dimension: »Beide fiktiv operationalen Normativitätsbegriffe – erstens die Differenz im Gesellschaftszustand vor und nach den Forschungsaktivitäten des Soziologen, zweitens die Differenz in der Erfassung und Erklärung derselben sozialen Tatbestände mit und ohne Einflußmöglichkeiten von seiten der Gesellschaft – werfen die Frage nach den methodischen Möglichkeiten auf, die Rückwirkung soziologischer Handlungen und Aussagen (das eine Mal auf die Gesellschaft, das andere Mal auf die soziologische Forschung selbst) soziologieimmanent zu prädeterminieren.« Die Normativität soziologischer Theorie drückt sich also in ihrer Wirkung auf die Gesellschaft und in der Einflussnahme der Gesellschaft auf die Theorie aus. Die entscheidenden Bedingungen zur Analyse der Normativität soziologischer Theorie sind die zeitliche Differenz des Vorher-Nachher und die sachliche bzw. soziale Differenz des Mit-Ohne. Beck macht in der zitierten Klammer deutlich, dass es bei der Wirkung soziologischer Normativität nicht nur um Effekte innerhalb der soziologieexternen Gesellschaft geht, sondern dass die soziologische Normativität auf die Forschung und damit auf die Praxis der Theorie selbst wirkt. Diese Wirksamkeit steht im Fokus meiner Analyse. Der so skizzierte forschungsimmanente Zusammenhang ist besonders interessant, weil die Normativität soziologischer Theorie, entgegen meines Ziels der Öffnung der Kontingenz soziologischer Theorie, in der Regel zur Schließung der Kontingenz beiträgt. Stefan Gosepath (2009: 268) hat argumentiert, dass der Ursprung der Normativität sowohl in der Notwendigkeit der Motivation zum Handeln, als auch in dem Anspruch auf Rechtfertigung dieser Handlungen besteht. In einem solchen Verständnis ist Normativität kein festes Fundament, sondern eine etablierte, regelgeleitete Praxis, die für Einzelne zur sozialen Natur werden kann (Gosepath 2009: 268). Daraus folgt, dass in Bezug auf soziologische Theorie danach gefragt werden kann, wie in einer konkreten Herstellung der soziologischen Differenz eine Normativität zum Ausdruck kommt, die einzelne Theoretikerinnen sich so sehr zu eigen gemacht haben, dass sie ihnen als naturgegeben und selbstverständlich erscheint. Durch mein Verfahren der subversiven Argumentation soll es zu einer theorieimmanenten Verunsicherung und Entselbstverständlichung kommen, ohne dass ich neue Selbstverständlichkeiten etablieren will. Meine Arbeit ist der Versuch, die (Selbst)Kritik der Soziologie als paradigmatische Selbstverunsicherungswissenschaft voranzutreiben (zur Soziologie als paradigmatische Verunsicherungswissenschaft siehe Degele 2003; zur kritischen Funktion der Selbstverunsicherung siehe Steinweg 2015: 127f.). Auch wenn Becks Arbeit vor allem als Verwendungsforschung rezipiert wird, die die Verwendung soziologischen Wissens in wissenschaftsexternen Kontexten empirisch untersucht, legt Becks (1972: 203-204) Kollegialmodell des Verhältnisses
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von Gesellschaft und Soziologie eine Analyse der immanenten Normativität soziologischer Theorie nahe: »Der Soziologe jedoch hat es gerade typischer Weise nicht mit Dingen oder Körpern, sondern mit Kollegen als Kollegen zu tun. So betrachtet, schmilzt der Unterschied zwischen dem Soziologen und seinem Untersuchungs-›Objekt‹ zu dem Unterschied zwischen einem Soziologen mit und ohne Diplom; und – was uns später noch ausführlich beschäftigen wird – soziologische Aussagen stehen immer schon entweder in einem Konkurrenz- oder in einem Kongruenzverhältnis zu den soziologieäquivalenten Eigen- und Fremddeutungen, Hoffnungen und Interessen der Gruppen, deren soziale Wirkungszusammenhänge sie beschreiben und erklären. Sie sind – auf eine Formel gebracht – der Konstitution ihres Gegenstandes nach eben gerade nicht mehr nur Aussagen über einen Objektbereich, sondern als Objektaussagen zugleich eo ipso ›meta-soziologische‹ Aussagen; d.h. Aussagen über auf Gesellschaft bezogene, gesellschaftlich bedingte, interessendurchsetzte Glaubens- und Vorstellungsinhalte von Personen und Gruppen als sozial miteinander und gegeneinander tätige Alltagssoziologen.« Dieses Kollegialmodell lässt sich nutzen, um das Verhältnis von soziologischer Theorie zu anderen Selbstbeschreibungen der Gesellschaft – zweiter Aspekt der soziologischen Differenz – zu analysieren. Im Fall meiner Analyse entspringen die anderen Selbstbeschreibungen aber nicht einer Alltagssoziologie, sondern sind Teil der Sozialwissenschaft. Ich nutze das Kollegialmodell also nicht für die Analyse einer Verbindung von Soziologen mit und ohne Diplom, sondern für die Differenz zwischen Sozialwissenschaften mit und mit Diplom. Die Differenz zwischen diesen Selbstbeschreibungen der Gesellschaft besteht dann in den unterschiedlichen Subjektivierungsregimen, innerhalb derer Soziologen sich spezifischen Denk- und Anschauungsformen unterwerfen, um mit ihnen ein bestimmtes Auge (Beck 1993: 273) auf die soziale Wirklichkeit zu werfen. Becks Modell lässt sich für die von mir angestrebte theorieimmanente Analyse der Selbstreflexionen soziologischer Theorie verschärfen, wenn die Wirkung auf die in einer Situation aktualisierte Praxis der soziologischen Theorie vom Subjekt der Theorie selbst ausgeht (3.3). Sie zeigt sich entsprechend nur in der theorieimmanenten Fremdbeschreibung der anderen Selbstbeschreibungen der Gesellschaft, als ein Prozess des Von-sich-selbstsich-Unterscheidens und wirkt damit zunächst auf die eigene Praxis der Theorie zurück. Diese Wirkung der Theorie auf sich selbst kann im Grenzfall die Form reflexiver Intoleranz annehmen (3.4). Ulrich Beck (2015: 14) hat in diesem Zusammenhang ein ganzes Immunisierungsarsenal der Soziologie skizziert, wie ich an anderer Stelle ausgeführt habe (siehe 2.). Um den Prozess des Von-sich-selbst-sich-Unterscheidens zu untersuchen, ist es entscheidend, dass Beck seine Differenzierung der soziologischen Normativität als fiktiv operationale Normativitätsbegriffe (Beck 1974: 57) ausweist. Insbesondere der Ver-
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gleich soziologischer Theorie mit und ohne die ihr zugrundeliegenden gesellschaftsimmanenten Denk- und Anschauungsformen ist fiktiv und kann nur gedankenexperimentell (Beck 1972: 208) durchgeführt werden, weil es keine soziologische Theorie auf einem weißen Blatt Papier geben (Nassehi 2015: 22ff.; siehe auch 3.2) und eine solche auch nicht experimentell hergestellt werden kann (siehe auch Kuhn 1977a: 351f.). Für die gedankenexperimentellen Analysen der Normativität soziologischer Theorie kann ich auf meine vorhergegangenen methodologischen Überlegungen (3.) zurückgreifen. Die von mir aufrechterhaltene Trennung zwischen einem Subjekt der Theorie als Realfiktion und Nicht-Ort (3.3) und den einzelnen Soziologietreibenden ermöglicht es, konkrete soziologische Texte als Rechtfertigungen Einzelner zu deuten, in denen die von ihnen vollzogene Subjektivierung mit den Denkund Anschauungsformen des Subjektivierungsregimes der Praxis der Theorie zum Ausdruck kommt. Denn umgekehrt wären solche Texte ohne eine vollzogene Subjektivierung, also ohne, dass das Soziale (4.1) und die Gesellschaft (4.2) der Theorie auch zum selbstverständlichen Sozialen und zur selbstverständlichen Gesellschaft des Einzelnen geworden wären, nicht möglich. Die Bestimmung der Normativität lässt sich weiter differenzieren, indem sie in substanzielle, effektive und formale Normativität unterschieden wird. Diese Differenzierung führe ich kurz ein, um zu veranschaulichen, worum es in meiner Analyse geht, die sich auf die formale Normativität beschränkt. Soziologische Theorien können erstens substanziell normativ sein. Im Textkorpus soziologischer Theorien lassen sich dann normative Aussagen finden. Dies können beispielsweise Handlungsanweisungen sein, es kann Rezeptwissen weitergegeben werden oder es können zu behebende Pathologien innerhalb der Gesellschaft diagnostiziert werden (Beck 1972: 202; 1974: 25f.). So hat meine anfängliche Problematisierung (2.) und meine spätere gesellschaftstheoretische Analyse (4.2) gezeigt, dass soziologische Theorien in Bezug auf ihre eigene Wissenschaftlichkeit substanziell normativ sind. Werturteilsfreiheit, methodische Transparenz, theoretische Widerspruchsfreiheit, Vollständigkeitsgebote und Notwendigkeitsannahmen sind klassische substanzielle Normen in Bezug auf zukünftiges wissenschaftlich-theoretisches Handeln. Soziologische Theorien können zweitens normative Wirkungen entfalten und damit effektiv normativ sein. Ihr Wissen kann innerhalb der Gesellschaft, insbesondere von Politik, Religion, Wirtschaft und Erziehung zur Begründung normativer Programmatiken und für Zielsetzungen konkreter und allgemeiner Art verwendet werden. In Bezug auf diese Normativität hat die Verwendungsforschung gezeigt, dass es außerhalb der Soziologie häufig zu nicht intendierten Nebenfolgen kommt, weil Theorien nicht unverändert weiterwirken, sondern von den Akteuren, die sie verwenden, transformiert werden (Beck 1972: 221; 2015). Soziologische Theorien können drittens formal normativ sein. Für diesen Aspekt interessiere ich mich besonders, denn auf basaler Ebene bildet die Formalität der Theorie eine Bearbeitung von Kontingenz durch soziologische Normativität. Die normativen Effek-
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te dieser formalen Normativität soziologischer Theorie bleiben theorieimmanent. Das heißt, die Theorie ist formal normativ, weil sie in ihrer Praxis der Theorie die Denk- und Anschauungsformen lenkt, die über die Zukunft der Theorie entscheiden. Für Einzelne wird so in der Konfrontation mit theoretischer Kontingenz, also der realen Option des anything goes auf dem multiparadigmatischen Feld soziologischer Theorie, Kontingenz so reduziert, dass Normen für gewünschte Praktiken der Subjektivierung gesetzt werden. Für die von mir angestrebte Analyse der normativen Praxisformen soziologischer Theorie als Differenzanalyse entlang der soziologischen Differenz spricht auch Christoph Möllers’ Bestimmung von Normativität. Darüber hinaus kann sein Konzept von Normativität bei der Entwicklung meiner Analysefragen helfen. Mit Christoph Möllers (2015: 15) handelt es sich bei Normen um soziale Praktiken. »Normen sind […] als positiv markierte Möglichkeiten zu verstehen. Normen verweisen auf einen möglichen Zusammenhang oder ein mögliches Ereignis. Unmögliches zum Gegenstand einer Norm zu machen, ist sinnlos. Die positive Markierung einer Möglichkeit zeigt an, dass diese sich verwirklichen soll. Von Normativität […] ist also dort die Rede, wo unterstellt wird, dass die Welt anders sein könnte, als sie ist, und wo diese Unterstellung kenntlich gemacht wird. Normativität hängt an der Möglichkeit einer abweichenden Weltbeschaffenheit – oder einer Weltbeurteilung, deren Maßstab sich nicht auf die Welt, wie sie ist, beschränkt. […] Mit der Bestimmung des Normativen soll der Versuch unternommen werden, sich zugleich von zwei dominanten Deutungen zu distanzieren: einerseits von einer Sicht, die Normen auf Gründe reduziert […]; und andererseits von einer Sicht, die Normen nur über Wirkungen oder Effekte beschreiben will. Gegen diese beiden Sichtweisen werden Normen hier als soziale Praktiken verstanden, in denen sich eine Gemeinschaft von der eigenen Realität distanziert, nicht notwendig, aber unter bestimmten Umständen, um diese zu verändern, und dies, unter noch weiter gehenden Umständen, mit Erfolg.« (Möllers 2015: 13-15) Mit dieser Bestimmung wird der Weg zur immanenten Analyse der Normativität soziologischer Theorie expliziert, der nicht mehr das gesellschaftliche Wirkungsverhältnis zwischen soziologischer Theorie und anderem untersucht, sondern in der Praxis der Theorie selbst eine formale Normativität nachvollzieht. Die Praxisformen soziologischer Theorie lassen sich somit als normative Praxis der Selbstdistanzierung beobachten. In Kombination der Konzeption soziologischer Normativität nach Beck und Möllers’ Verweis auf Normativität als ein immanentes Element sozialer Distanzierungspraktiken bestimme ich zwei analytische Fragen, die ich im Folgenden an die ausgewählten Texte von Luhmann und Bourdieu richten werde: Wie wird das Soziale der Theorien bestimmt und der gesellschaftliche Ort der Theorien konstituiert, welche Differenzen zwischen Subjekt und Anti-Subjekt der Theorie werden hergestellt
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und welcher Möglichkeitsraum ergibt sich aus dieser Selbstkonstitution? Wie werden spezifische Möglichkeiten aktualisiert und damit performativ positiv markiert? Auch diese Fragen lassen sich entlang des heuristischen Bezugsrahmens der soziologischen Differenz beantworten. Weil die Selbstreflexion soziologischer Theorie als gesellschaftliche Selbstverortung – erster Aspekt der soziologischen Differenz – und als Vollzug der eigenen Sozialtheorie – dritter Aspekt der soziologischen Differenz – ein immer scheiternder Selbstfundierungsversuch ist, der in Paradoxien und Tautologien führt (2., 4.1 und 4.2), reflektieren soziologische Theorien in diesen Praxen nicht nur ihre Ordnungsbeziehungen, sondern stellen sie in der Reflexion auch performativ her. Dies bringt mich zurück zum Anfang meiner Ausführungen zur soziologischen Normativität, denn gerade ihre performative Dimension verdeutlicht, dass Theorien in ihrer formalen Praxis immer auch Identitätspolitik betreiben. David Kaldewey (2016: 153) hat dies kürzlich als eine basale Ebene der Sozialwissenschaft identifiziert: »Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass es sowohl in den historischen wie in den zeitgenössischen Diskursen zur Position der Wissenschaft, beziehungsweise der Wissenschaftler/-innen in der Gesellschaft, zunächst einfach um die Frage geht, wie die eigene Tätigkeit gesellschaftlich legitimiert werden und wie das wissenschaftliche Wissen der Praxis zugutekommen könnte. Diese Legitimationsund Grenzsicherungsdiskurse (boundary work) sind dabei untrennbar verbunden mit dem Problem der Selbstverständigung und Identitätsarbeit (identity work) der jeweiligen Disziplinen, wissenschaftlichen Gemeinschaften, Institutionen und letztlich auch der einzelnen Forscher/-innen. Im Zusammenspiel von boundary work und identity work entstehen Erzählungen, die sich phasenweise stabilisieren, zugleich aber fortlaufend variiert werden, und in denen sowohl die Wissenschaft wie auch die Praxis als semantischer Raum eine je spezifische und die Möglichkeiten weiterer Erzählungen strukturierende Form annehmen.« Die Normativität soziologischer Theorie lässt sich also prinzipiell in allen Aspekten der soziologischen Differenz als boundary-work (Gieryn 1999: 12-25; 1983) analysieren. Mit dem Blick auf Normativität und insbesondere reflexive Intoleranz wird von mir eher die phasenweise Stabilisierung der Identität analysiert. Dies geschieht nicht etwa, weil diese empirisch überwiegt, sondern weil die immanente Kritik der Stabilisierungsprozesse eine Absetzbewegung möglich macht, die mich dem normativen Ziel meiner Arbeit – der Öffnung der Kontingenz soziologischer Theorie – näherbringt. Weil es in diesem Unterkapitel aber primär um die zweite Dimension der soziologischen Differenz geht, thematisiere ich zunächst, wie sich die System- und Praxistheorie zu anderen Theorien verhalten. Hierbei kann ich auf die bisher nachvollzogenen Praktiken des Nachvollzugs der eigenen Sozialtheorie und der Selbstverortung innerhalb der Gesellschaft zurückgreifen. Während es sich bei diesen Prak-
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tiken der Subjektivierung um Selbstverhältnisse handelt, spielen in der Auseinandersetzung mit anderen Selbstbeschreibungen der Gesellschaft Fremdthematisierungen eine wichtige Rolle. Einschränkend ist daher noch einmal festzuhalten, dass ich die theorieimmanente Form der Fremdthematisierung als einen Prozess des Von-sich-selbst-sich-Unterscheidens analysiere. Es geht darum, wie sich in diesen Fremdthematisierungen eines Anti-Subjekts ein Subjekt der Theorie konstituiert, das die Voraussetzung dieser Fremdthematisierungen ist. Die Form dieser Selbstkonstitution durch Fremdthematisierung lässt sich beispielhaft illustrieren. Meine Analyse bleibt dabei immer auf der Vollzugsebene der Praxis der Theorie, während die anderen Theorien nur theorieimmanent auf der Bezugsebene der Fremdthematisierung durch die Theorie auftauchen. In diesen Fremdbeschreibungen werden andere Theorien zunächst sozialtheoretisch beobachtet und dann innerhalb der Gesellschaft verortet und so vergegenständlicht, dass sie als Anti-Subjekt erscheinen. Sowohl Luhmann als auch Bourdieu haben in ihrem Werk liebgewonnene Feinde, die sich für diese beispielhafte Illustration anbieten. Bei Luhmann (1991a) handelt es sich um die Kritische Theorie Frankfurter Schule, bei Bourdieu (2010b) um die Meinungsforschung. Luhmann und die Kritische Theorie Niklas Luhmann stand Zeit seines Wirkens in engem Kontakt zur Kritischen Theorie Frankfurter Schule. Der Ausgangspunkt für die systemtheoretische Auseinandersetzung mit der Kritischen Theorie ist – neben Luhmanns Vertretung von Adornos Lehrstuhl im Wintersemester 1968/1969 – seine Anwesenheit beim 16. Deutschen Soziologentag im April 1968 (Luhmann 1969; siehe auch von Friedeburg 1969) und die anschließende Habermas/Luhmann-Debatte (Habermas/Luhmann 1971; Luhmann 1996a: 69f.; siehe auch Brunkhorst 2012), die 1971 veröffentlich wurde. In den letzten Jahren gab es zwar einige Diskussionen, die als Treffpunkt von Systemtheorie und Kritischer Theorie gelesen werden können (Amstutz/Fischer-Lescano 2013; Esposito 2017; Möller/Siri 2016; Scherr 2015). Bereits eine oberflächliche Betrachtung macht aber deutlich, dass es sich hierbei überwiegend um systemtheoretische Reflexionen auf das Verhältnis zur kritischen Theorie handelt, dass also die Faszination der Systemtheorie für die Kritische Theorie nicht verloren gegangen ist, während gleichzeitig keine Begegnung auf Augenhöhe stattfindet. Dies ist umso erstaunlicher, als Luhmann bereits 1991 das Ende der kritischen Soziologie ausgerufen hat. Dass er sich hier explizit auf die Kritische Theorie bezieht, wird in der bekanntesten Stelle des Aufsatzes deutlich, in der nicht nur das Wesen systemtheoretischen Anti-Subjekts auf den Punkt gebracht wird, sondern auch das Ende der kritischen Soziologie ausgerufen wird: »Gleich welcher Herkunft und welcher theoretischen Ausstattung, der ›kritische Rationalismus‹, die ›kritische Theorie‹ usw. hatten immer Attitüden des Besser-
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wissens angenommen. Sie stellen sich als konkurrierende Beschreiber mit tadelfreien moralischen Impulsen und mit besserem Durchblick vor. Wie immer vorsichtig formuliert und wie immer den Anforderungen an Wissenschaftlichkeit genügend, ihre Perspektive war die eines Weltbeobachters erster Ordnung.« (Luhmann 1991a: 148; siehe auch 1996a: 70f.) Das Soziale der kritischen Soziologien wird in diesem Text durch die Beobachterperspektive der Systemtheorie vergegenständlicht. Gerade weil kein konkreter Akteur, sondern kritische Theorie gleich welcher Herkunft thematisiert wird, handelt es sich um eine konsequent sozialtheoretische Objektivierung von Theorie als Beobachtung erster Ordnung. Durch diese Vergegenständlichung ist die Relation zwischen Systemtheorie und kritischer Theorie auf eine Art bestimmt, in der ein systemtheoretischer Beobachter zweiter Ordnung immer den Überblick behält (Luhmann 1993c: 16). Dieses Verhältnis wird im Text noch einmal untermauert, indem nicht nur die vergangene kritische Soziologie, sondern auch ihre gegenwärtigen Überbleibsel im selben Wortlaut objektiviert werden: »Schließlich hatten schon David Hume, Adam Smith und andere gelehrt, daß die Vernunft verlange, daß man beobachte, wie andere einen beobachten. Wenn das nicht beachtet wird, ist unter modernen Bedingungen (aber wie werden die reflektiert?) nur noch Sektenbildung möglich. Sowohl der ›kritische Rationalismus‹ als auch die ›kritische Theorie‹ haben diesem Schicksal nicht entrinnen können – was immer man über die Zahl ihrer Anhänger dann noch ausmachen kann. Sie haben statt auf besseres Wissen aufs bessere Verfahren gesetzt, sie haben, wie man heute sagt, ihre Position ›prozeduralisiert‹. Das hat die Anstößigkeit gemildert, hat aber im Prinzip nichts geändert. Und im Prinzip heißt: daß es sich um eine Perspektive des Weltbeobachters erster Ordnung handelt.« (Luhmann 1991a: 148). Auch dieses Zitat macht – unabhängig von der Frage nach seiner diagnostischen Treffsicherheit – deutlich, dass es sich um eine sozialtheoretische Vergegenständlichung alternativer Theorieangebote handelt, weil diese als Perspektive eines Weltbeobachters erster Ordnung beobachtet werden. Auch wenn Luhmann die sozialen Konsequenzen einer solchen Beobachterperspektive in der Sektenbildung kritischer Theoretikerinnen ausmacht, findet die gesellschaftliche Verortung dieses Anti-Subjekts der Systemtheorie eindeutig innerhalb des Wissenschaftssystems statt. Den gesellschaftlichen Ort der kritischen Soziologie macht Luhmann also innerhalb der Wissenschaft aus. Die alteuropäische und bürgerliche Tradition, die im Spiel von Krise und Kritik (Luhmann 1991a: 147) stattfindet, wird durch die kritische Soziologie in dem Moment fortgeführt, in dem sie sich als Wissenschaft etabliert:
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»Die Soziologie setzt diese Tradition, die sie vorfindet, fort. Was sie neu versucht, ist: sich als Wissenschaft zu etablieren und die Gesellschaft als ihr Objekt zu fixieren. Das zwingt sie, logisch und methodisch, zur Externalisierung ihres eigenen Standpunktes. Erst in jüngster Zeit findet man eine methodologische Kritik dieses Ausgangspunktes, eine Kritik der Prämisse eines beobachtungsunabhängig gegebenen Objekts Gesellschaft.« (Luhmann 1991a: 147) Nun liege es zwar nahe, zu behaupten, dass diese Etablierung als Wissenschaft offensichtlich nicht geglückt sei, weil kritische Soziologie eher ein politisches, öffentliches oder literarisches Unternehmen sei. Luhmann (1991a: 148) ist dieser Weg der Externalisierung kritischer Soziologie allerdings aufgrund eines Systembegriffs verschlossen, der Anschlusskommunikation zum Inklusionsgaranten erklärt: »Man konnte versuchen, sie aus der Wissenschaft auszuschließen und zur Literatur zu erklären. Aber das Zitiernetz der Wissenschaft selbst führt eine solche Strategie ad absurdum.« Diese Verortung der kritischen Soziologie als Beobachtung erster Ordnung innerhalb der Wissenschaft führt aber nicht dazu, dass die kritische Soziologin als Kollegin betrachtet wird, mit der ein fruchtbarer Dialog geführt werden kann (Luhmann 1991a: 149). Dies liegt vor allem daran, dass Luhmann (1991a: 151; siehe auch Brunkhorst 1997a) einen semantischen Bruch zwischen der alteuropäischen Tradition und seiner Soziologie als Beobachtung zweiter Ordnung ausmacht: »Es wird nicht einfach um einen ›Paradigmenwechsel‹ gehen, denn dieser müßte auf der Ebene von Theorien vollzogen werden. Zu vermuten ist, daß die Form der Distanz zwischen Soziologie und Gesellschaft sich ändert. Die Form der Distanz! Es geht nicht einfach um die Zunahme der Distanz. Vielmehr wird die Unterscheidung von Subjekt und Objekt prinzipiell aufgegeben, die es dem Subjekt ermöglicht hatte, sein Objekt zu beurteilen und zu verurteilen, ohne sich selbst zu treffen.« Diese neue Form der Distanz, die sich aus der Praxis der Systemtheorie ergibt, ist jene der autologischen Immanenz (Luhmann 1991a: 148-151), die ich bereits als gesellschaftliche Selbstverortung der Systemtheorie (4.2) skizziert habe. Hier ist interessant, dass Luhmann die Notwendigkeit zur Änderung der Distanz von Beobachtung erster Ordnung auf Beobachtung zweiter Ordnung, nicht an einer prinzipiell besseren Form von Wissenschaftlichkeit festmacht, sondern an gesellschaftlichen Veränderungen und einer Gefahr für die Wissenschaft, die von Beobachtungen erster Ordnung ausgeht. Die gesellschaftliche Veränderung ist jener Bruch zwischen Tradition und Moderne, in dem die Beobachtung Vorrang vor dem Beobachter bekommt.
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»Das Beobachten selbst hat höheren Realitätswert als der Beobachter. Der Beobachter (das Individuum zum Beispiel oder eine System sozialer Kommunikation) ist nur ein Konstrukt zur Ermöglichung weiterer anschlussfähiger Beobachtungen. Das spezifisch moderne Individuum ist weder ›ein Mensch‹ des 18. Jahrhunderts und schon gar nicht ›das Menschenbild‹, an dem, wie die Kritiker verlangen, die Gesellschaft ausgerichtet werden sollte. Die Individualität im spezifisch modernen Sinne verlangt vielmehr dauernde Selbstbeobachtung im strengen Sinne, das heißt die ständige Selbstkonfrontation mit der Frage, wie bin ich (nicht bloß: wer bin ich!), also mit der Beobachtung des Beobachters, der man selber ist, im Hinblick auf die Eigenart und Instrumentierung seines Beobachtens, die auch anders gewählt werden könnten.« Beobachtungen erster Ordnung, die versuchen, den Ansprüchen der Wissenschaftlichkeit zu genügen, sind in dieser neuen Gesellschaft eine Gefahr für die Wissenschaft, weil sie nach wie vor die Beobachterin gegenüber der Beobachtung primär setzen. Dies führt innerhalb von Kommunikationszusammenhängen zu Polarisierungen, zum Anspruch eigener Überlegenheit, zur Absolutsetzung des eigenen Standpunktes, zur Unterscheidung von Verfolgern und Opfern (Luhmann 1991a: 147, 150). Durch Beobachtungen erster Ordnung droht die Kommunikation zwischen unterschiedlichen Theorietraditionen mit unterschiedlichen Krisendiagnosen abzubrechen. Es kommt damit notwendig zur Sektenbildung und zur Stagnation der Theorienentwicklung (Luhmann 1991a: 149). Wie ich in Bezug auf die gesellschaftstheoretische Selbstverortung der Systemtheorie (4.2) gezeigt habe, ist dieser Abbruch von Kommunikation die Katastrophe innerhalb der Systemtheorie, weshalb Luhmann (1991a: 149) durchaus versucht, für kritische Theorien zumutbar und anschlussfähig zu bleiben. So argumentiert Luhmann (1991a: 147) in Bezug auf die Vorzüge der Beobachtung zweiter Ordnung, insbesondere in Bezug auf ihre Erkenntnistheorie: »Sie besagt auf der Ebene der Beobachtung zweiter Ordnung, daß ein Beobachter versucht, sich mit anderen Beobachtern über bestimmte zweiwertige Schemata, nämlich Sein/Nichtsein und wahr/unwahr zu verständigen, um dann festzustellen, ob deren Beobachtungen mit seinen übereinstimmen oder nicht, und wer, wenn nicht, im Irrtum ist, also lernen muß. Nur ist auf der Ebene der Beobachtung zweiter Ordnung klar, daß auf diese Weise, weil ja die Wahl der Schemata vorangeht, nicht festgestellt werden kann, wie die Welt wirklich beschaffen ist, sondern nur, wie sie intersubjektiv übereinstimmend konstruiert werden kann mit der Folge, daß die Kommunikation fortgesetzt werden kann und nicht mangels Verständigungsmöglichkeiten abgebrochen werden muß.« Nur eine solche Beobachtung ist in der Lage, sich auf eine Weise von der Welt, in der Welt zu distanzieren, die den Ansprüchen der modernen Komplexität gerecht
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wird (Luhmann 1991a: 151). Entlang dieses Anspruchs der Moderne und motiviert durch die Gefahr, die erwächst, falls Soziologie dem Anspruch der Moderne nicht gerecht wird, konstituiert Luhmann eine Differenz zwischen Subjekt und Anti-Subjekt der Systemtheorie. Der Anspruch lautet kurz gesagt: »Kritiker müßten über ihren eigenen gesellschaftlichen Standort in ihrer eigenen Theorie Auskunft geben.« (Luhmann 1991a: 147) Die kritische Soziologie als Beobachtung erster Ordnung erfüllt diesen Anspruch nicht, da sie lediglich zu Fremdbeschreibungen in der Lage ist. Dies zeigt sich zum Beispiel, wenn wissenschaftlichen Theorien durch die kritische Soziologie gesellschaftspolitische Positionen zugewiesen werden: »Es handelt sich offensichtlich um eine Fremdbeschreibung, die sich gar nicht die Mühe macht, zu beobachten, wie der Beschriebene sich selbst beobachtet.« (Luhmann 1991a: 149) Doch nicht nur in der Fremdbeschreibung, auch in der Selbstbeschreibung ist der Beobachter erster Ordnung nicht in der Lage, eine reflexive Position einzunehmen, die den Ansprüchen der modernen Gesellschaft gerecht wird. Ganz anders die Beobachterin zweiter Ordnung: »Erst durch Beobachten des Beobachtens distanziert sich ein ›Subjekt‹ von der Welt und gewinnt eine Reflexionskapazität, die nur als Kapazität in der Welt, nicht als Kapazität der Welt konstituiert werden kann, weil sie nur mit Hilfe einer Unterscheidung praktiziert werden kann.« (Luhmann 1991a: 151) Das Anti-Subjekt der Praxis der Systemtheorie ist also eine Beobachterin erster Ordnung, die sich selbst aus der Gesellschaft externalisiert, um die gute Gesellschaft hinter der Gesellschaft zu identifizieren (Luhmann 1991a: 148). Sie kann die Gesellschaft dann in Freund/Feind- Schemata aufteilen, die letztlich zur Sektenbildung und zum Abbruch von Kommunikation führen. Eine solche Beobachterin kann weder die Beobachtungen anderer beobachten, noch ihre eigene Beobachtung reflektieren. Dies führt zu Blockaden in der Theorieentwicklung. Das Subjekt der Systemtheorie ist als Beobachterin zweiter Ordnung zu Selbst- und Fremdbeschreibungen zweiter Ordnung in der Lage. Es entfaltet damit eine Reflexionskapazität, die der Komplexität und den Ansprüchen der modernen Gesellschaft gerecht wird. Diese Reflexion nimmt die Form autologischer Immanenz an. Eine solche Soziologie ist in der Lage, wissenschaftliche Autonomie gegenüber gesellschaftspolitischen Veränderungen herzustellen, wie Luhmann (1991a: 151) abschließend festhält: »Die Soziologie ist in der Gesellschaft für Beobachtungsfunktionen freigestellt, und gerade ihre Autonomie ist die Form, mit der sie in das rekursive Netzwerk
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des Beobachtens von Beobachtungen eingespannt ist, das heißt: gesellschaftlich existiert.« Der Möglichkeitsraum, der sich für das Subjekt der Systemtheorie dadurch auftut, ist gerade jener der zirkulären Vermehrung von Möglichkeiten. Jede Beobachtung ermöglicht Anschlussbeobachtungen, die sie wiederum beobachten. Luhmann (1991a: 149) hält hierzu fest: »Die Realitätsgarantie läge dann nur noch im faktischen Stattfinden des Beobachtens. Das Beobachten zweiter Ordnung ist immer auch ein Beobachten erster Ordnung, aber es konzentriert sich dabei auf ein Beobachten von Beobachtern, was als Selbstbeobachtung oder als Fremdbeobachtung durchgeführt werden kann. Entsprechend ist die Welt nicht mehr eine Dinggesamtheit (universitas rerum), sondern ein Korellat des Beobachtens von Beobachtungen.« Als Korrelat hat diese Welt keine festen Grenzen mehr. Im Gegensatz zu einer Betrachtung der Welt als Dinggesamtheit schafft die Beobachtung von Beobachtungen immer neue Beobachtungen, die beobachtet werden können. Kritisch können diese dann nur noch bestätigt, durchkreuzt oder therapiert werden (Luhmann 1991a: 151), aber auch die Bestätigung, die Durchkreuzung und die Therapie müssen sich wieder der Beobachtung aussetzen. Allerdings stellt sich hier die Frage, wie Dauerreflexion auszuhalten ist (Luhmann 1991a: 151). Zwar lässt Luhmann diese Frage zunächst unbeantwortet. Meine Analysen zur Praxis der Systemtheorie haben gezeigt, dass die Antwort der Systemtheorie darin liegt, den eigenen gesellschaftlichen Standort in ihrer eigenen Theorie (Luhmann 1991a: 147) zu reflektieren und so dem Zirkel der autologischen Reflexion zu verfallen. Luhmann (1991a: 150) kündigt im Text zum Ende der kritischen Soziologie entsprechend an, dass es sich bei der Systemtheorie um eine Theorie radikaler Operationalisierung handelt, die auch die eigene Theorieentwicklung in ihren Bann zieht. Ich werde nun an zwei Aspekten zeigen, wie innerhalb der Praxis der Systemtheorie spezifische Möglichkeiten aktualisiert und damit performativ positiv markiert werden. Erstens geht es um die Vermehrung von Möglichkeiten und zweitens um den Bruch zwischen Tradition und Moderne. Luhmann artikuliert seinen Text selbst extrem kontingent, als Möglichkeit und Angebot. Er konzipiert seinen Artikel mit dem doch polemischen Titel Am Ende der kritischen Soziologie als Vorschlag (Luhmann 1991a: 147), er versucht, die Möglichkeiten der Beobachtung zweiter Ordnung aus der Tradition der kritischen Soziologie selbst zu entwickeln (Luhmann 1991a: 149) und ihre Konzepte weiter zu verfolgen (Luhmann 1991a: 150), und er streicht kybernetische und semiotische Konzepte aus seinem Text, weil sie den Vertretern der Kritischen Theorie nicht zuzumuten seien (Luhmann 1991a: 149). Luhmann (1991a: 149) beschreibt diesen Vollzug wie folgt:
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»Man könnte das Terrain in all diesen Hinsichten jedoch offen halten und zunächst nur den Zugewinn klären, der mit dem Übergang auf eine Ebene der Beobachtung zweiter Ordnung und, daraus folgend, mit logisch strukturreicheren Theorieangeboten verbunden ist.« Luhmann argumentiert also offensichtlich aus Sicht der kritischen Soziologie und macht dieser ein Angebot, wie sie sich auf die Komplexität der Moderne einstellen und dennoch kritisch bleiben kann. »Der Beobachter zweiter Ordnung kann sich, wie gewohnt, zum Beobachter erster Ordnung ›kritisch‹ einstellen, er kann sich ihm gegenüber ablehnend oder belehrend verhalten, kann Übernahmeangebote unterbreiten (was auch wir soeben tun) – aber er muß sich in seinem eignen Beobachten beobachten bzw. beobachten lassen. Er muß seine Instrumente offenlegen, muß sich Wie-Fragen stellen.« (Luhmann 1991a: 149f.) Mit diesem Zitat wird deutlich, dass es Luhmann nicht nur um die Vervielfältigung von Möglichkeiten geht, sondern auch um einen performativen Vollzug seiner Argumentation. Die Möglichkeiten werden vervielfältigt, weil die Logik der Beobachtung zweiter Ordnung zunächst logisch strukturreicher (Luhmann 1991a: 149) ist. Es können nicht nur andere beobachtet werden, sondern eigene und fremde Beobachtungen können rekursiv miteinander verknüpft werden. Darüber hinaus versucht Luhmann mit diesem Text, Möglichkeiten von Beobachtungen zweiter Ordnung jenseits des systemtheoretischen Dogmas anzubahnen. Er sagt zwar sehr klar, dass die Soziologie im Sinne einer Beobachtung erster Ordnung am Ende ist, markiert die von ihm vorgelegte Systemtheorie aber nur als eine Möglichkeit unter vielen, um konsequent auf Beobachtungen zweiter Ordnung umzustellen (so auch Luhmann 1987e: 9ff.; 1992b: 140; 1998: 395, 1133). Luhmanns Text zum Ende der kritischen Soziologie erscheint in dieser Lesart nahezu als immanente Kritik der kritischen Soziologie. Dieser Eindruck verstärkt sich, weil Luhmann seine Argumentation auch performativ vollzieht. Dies zeigt sich am offensichtlichsten in der oben zitierten Klammer. Luhmann selbst argumentiert nicht nur, dass in der Beobachtung zweiter Ordnung weiterhin kritische Einstellungen möglich sind, sondern dass es genau das ist, was auch wir soeben tun (Luhmann 1991a: 150). Eine Beobachtung zweiter Ordnung, durch die er sieht, wie die kritische Soziologie die Gesellschaft sieht und wie sie sie nicht sieht, bestimmt den gesamten Text. Dass Luhmanns Ansätze einer immanente Kritik der kritischen Soziologie gescheitert sind, lässt sich vielleicht durch die sozialen Bedingungen, der historischen Entwicklung und der kritischen Haltung erklären, die die Konfrontationen zwischen Kritischer Theorie und Systemtheorie prägten (Brunkhorst/Celikates/Schiller 2011: 26; Fischer-Lescano 2013: 13-16). So oder so, wird durch die konsequente Umsetzung der Beobachtung zweiter Ordnung in ei-
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ner Argumentation für die Umstellung auf die Beobachtung zweiter Ordnung, also durch die Form des autologischen Zirkels, erreicht, dass Luhmann sehen kann, was sein Anti-Subjekt sehen kann und was es nicht sehen kann (Luhmann 1993c: 15f.). Die Systemtheorie setzt sich dadurch selbst in die Lage, das gesamte Erbe der soziologischen Gesellschaftskritik (Luhmann 1991a: 147) hinter sich zu lassen und den Übergang von kritischer Soziologie zur Beobachtung zweiter Ordnung nicht nur positiv zu markieren, sondern auch performativ zu vollziehen. Dies ist die formale Normativität der Praxis der Systemtheorie. Bourdieu und die Meinungsforschung Pierre Bourdieu ist sicherlich das Paradebeispiel eines kritischen Soziologen, auch wenn seine Theorie von Luhmann kaum gemeint sein kann, als dieser das Ende der kritischen Soziologie aufruft. Die hier von mir nebeneinander gestellten Texte Am Ende der kritischen Soziologie (Luhmann 1991a) und Meinungsforschung – Eine »Wissenschaft« ohne Wissenschaftler (Bourdieu 2010b), beziehen sich also nicht aufeinander. Wie Luhmann ist allerdings auch Bourdieu bekannt dafür, die eigene Wissenschaftlichkeit unermüdlich zu betonen, während die soziologische Konkurrenz in seinen Beschreibungen wissenschaftliche Standards kaum erfüllt (Fröhlich/Mörth 2014: 373). So sind für Bourdieu andere sozialwissenschaftliche Perspektiven beispielsweise halbwissenschaftlich (Bourdieu 1998b: 38) und andere Forschende treten in seinem Werk als Doxosophen (Bourdieu 1996; 2004b: 30; 2010a), also als Scheingelehrte (Bourdieu 1998b: 72; 2010a) des common sense, und als Sektenführer (Bourdieu 1988: 19f., 29) auf. Dabei wendet sich Bourdieu (1996; 2010b) besonders heftig gegen die Meinungsforschung, die für ihn als Sozialtechnologie nicht nur der natürliche Feind einer wahren Sozialwissenschaft, sondern auch eine Gefahr für die Demokratie darstellt. Im Text Meinungsforschung – Eine »Wissenschaft« ohne Wissenschaftler zieht Bourdieu (2010b) alle sozial- und gesellschaftstheoretischen Register, um die gefährliche Verstrickung der Meinungsforschung mit der gesellschaftlichen Doxa, der Ökonomie, dem Journalismus und der Politik aufzuzeigen. Ich werde im Folgenden nachvollziehen, wie in diesem Text mittels der externen Kritik der Meinungsforschung ein Anti-Subjekt der Praxistheorie hergestellt wird, das als Gegenpol ein Subjekt der Praxistheorie gleichermaßen konstituiert und voraussetzt. Dabei orientiere ich mich, wie bereits in Bezug auf Luhmann, an den von mir aufgeworfenen Fragen zur Analyse der Normativität soziologischer Theorie. Das Soziale der Meinungsforschung wird in diesem Text als Habitus analysiert. Dies zeigt sich insbesondere daran, dass Bourdieu seine Kritik nicht an konkreten Forschungsinstituten, Forschergruppen oder Forschungsergebnissen festmacht. Weil also kein konkreter Akteur der Kritik ausgesetzt wird, weil es explizit keine Argumente ad hominem (Bourdieu 2010b: 263) gibt, handelt es sich eher um eine
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Objektkonstruktion Bourdieus als um den ersten Schritt in einem Dialog innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft. Der Text objektiviert die Meinungsforscherinnen in praxistheorieimmanenter Konsequenz als Sonderfall vollständig angepasster Akteure mit einem Habitus, der sich zu den Anforderungen des Feldes kohärent verhält (siehe zu diesem Sonderfall Bourdieu 2013b: 204-206). Hierzu zeichnet Bourdieu nach, wie die Akteure der Meinungsforschung die Regeln des ökonomischen Spiels nahezu vollständig inkorporiert haben. Ein wesentlicher Grund hierfür ist, dass die Akteure innerhalb der Umfrageunternehmen keine Zeit haben, um sich theoretisch zu reflektieren, weil sie nicht von den ökonomischen Handlungszwängen entlastet werden. Neben dem zeitlichen Aspekt bestimmt Bourdieu die soziale Situation der Meinungsforscher als ein von Konkurrenz um ökonomisches Kapital geprägtes Feld. Drittens sind die Akteure in sachlicher Hinsicht durch ihre Kunden bestimmt, die die Themen und meist schon die gewünschten Ergebnisse der Forschung extern vorgeben. Den Meinungsforschern kommt also auf sozialtheoretischer Ebene keine zeitliche, soziale oder sachliche Autonomie zu. Alle drei Aspekte kommen in folgenden rhetorischen Fragen Bourdieus (2010b: 257) zum Ausdruck: »Und warum auch sollten jene, die zur Aufrechterhaltung ihres Betriebs rasch zusammengeflickte und dem Geschmack der Auftraggeber geschickt angepassten Produkte verkaufen müssen, royalistischer sein als der König Kunde? Wie könnten sie auch? Sie haben ihre gut getesteten Stichproben, ihre mobilen Umfrageteams, ihre ausgewiesenen Auswertungsprogramme. Nun müssen sie nur noch im jeweiligen Einzelfall herausfinden, was der Klient wissen will, das heißt, was er erforscht oder, besser, herausgefunden sehen möchte. Vorausgesetzt, sie finden, was sie als die Wahrheit ansehen, sollten sie sie wirklich dem Politiker, der sich um seine Wiederwahl sorgt, dem Unternehmer, dessen Geschäfte bergab gehen, dem Zeitungsredakteur, der mehr nach Sensation als nach Informationen giert, weitergeben, sofern ihnen der Erhalt ihrer Klientel ein wenig am Herzen liegt? Und das zu einem Zeitpunkt, in dem sie mit der Konkurrenz neuer Illusionshändler zu rechnen haben, die dabei sind, bei den Verkaufsleitern und PR-Verantwortlichen Furore zu machen […]. Wie und warum also sollten sie jene Probleme, die enttäuschen oder schockieren könnten, aufwerfen oder durchsetzen, wo es doch reicht, dass sie sich den Neigungen der Spontansoziologie überlassen […], um ihre Klienten zu befriedigen und Antworten auf Probleme zu produzieren, die sich nur diejenigen stellen, die ihnen den Auftrag geben, sie zu stellen, und die sich häufig den Befragten selbst solange nicht stellten, als man sie ihnen nicht aufdrängte?« Diese Fragen sind insoweit rhetorisch, als Bourdieu (2010b: 257) den Akteuren der Meinungsforschung zugesteht, dass sie entweder hochgradig tugendhaft oder mit großem Glauben an die Wissenschaft ausgestattet sein müssten, um sich gegen die inhaltlichen Forderungen der Klienten und den zeitlichen und sozialen Konkur-
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renzdruck unter den Meinungsforschungsinstituten zu stellen. Die Praxis der Meinungsforschung erklärt sich also nicht etwa aus ihrer Autonomie, sondern aus ihrer Einbindung in Feldstrukturen, die nicht die der Wissenschaft sind. Damit verortet Bourdieu (2010b: 259) die Meinungsforschung gesellschaftstheoretisch jenseits des epistemologischen Bruchs, was durch seine Bezeichnung der Meinungsforscher als Doxosophen überdeutlich wird: »Die Effekte der ›unsichtbaren Hand‹ des Marktes, die sowohl bei der Auswertung als auch bei der Datenerhebung zum Tragen kommen […], verbinden sich mit dem Fehlen von Personal, das, von den unmittelbaren Zwängen der Auftragsarbeit befreit, über gemeinsames Kapital an theoretischen und technischen Ressourcen verfügt, mit dem […] die Kumulation der Ergebnisse und Befunde gewährleistet und damit die – von den Auftraggebern ja selbst zumindest unbewusst geforderte – deskriptive Verwendung der Enquete begünstigt werden kann. Was wiederum die furchtlosesten unter denen, die ich mit Platon als ›Doxosophen‹ bezeichne, nicht daran hindert, Erklärungen anzubieten, die weit über den Rahmen der zahlenmäßig immer geringen und unscharf gemessenen Erklärungsfaktoren, über die sie verfügen, hinausgehen.« Der gesellschaftliche Ort der Meinungsforschung ist also innerhalb der Doxa und jenseits der Episteme (Bourdieu 2010b: 255). Um diese Verortung zu plausibilisieren, verwendet Bourdieu sein Vorgehen des analogischen Denkens (4.2). Er beschreibt die Meinungsforschung analog zur Mystik und Magie, um zu verdeutlichen, dass die wissenschaftliche Semantik der Meinungsforschung nur Schein und Glanz ist (Bourdieu 2010b: 257). Entsprechend haben die Meinungsforscher nur ein Interesse an dem weltlichen Kapital, das sie mittels des Scheins der Wissenschaft erlangen können. Sie spielen aber nicht auf dem Feld der Wissenschaft selbst mit, denn sie teilen nicht den Glauben an das reine wissenschaftliche Kapital der scientific community (Bourdieu 2010b: 257f.). Dies ist die eine Bedeutung der titelgebenden Redewendung von einer Wissenschaft ohne Wissenschaftler. Bourdieu (2010b: 256) macht darüber hinaus aber auch deutlich, dass diese Form der scheinbaren Wissenschaft das wissenschaftliche Feld von innen bedroht, weil es sich mit dem positivistischen Traum einer epistemologischen Unschuld (siehe zu diesem Traum auch Bourdieu 1997: 781) verbindet. Auch für diese These greift Bourdieu (2010b: 256) auf das analogische Denken zurück: »Die ›Wissenschaft ohne Wissenschaftler‹ des positivistischen Ideals realisiert im Rahmen der Beziehung zwischen Herrschenden und Beherrschten innerhalb des Macht-Feldes, was auf einer anderen Ebene der Traum einer ›Bourgeoisie ohne Proletariat‹ ist.« In Bezug auf die Bourgeoisie ohne Proletariat stellt Bourdieu in Sozialer Sinn (2014f: 250f.) die These auf, dass eine solche Nivellierung des Klassenkampfes durch die
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Ausweitung der Mittelschicht bis an die Grenzen der gesamten sozialen Welt keineswegs zu weniger Spannungen innerhalb der Gesellschaft führt. Die daraus entstehende Schlussfolgerung der stärksten Bedrohung durch den Nächsten lässt sich durch analogisches Denken auf das Verhältnis des Subjekts der Praxistheorie zu seinem Anti-Subjekt übertragen. Die Schlussfolgerung lautet allgemein: »In Wirklichkeit, und entgegen dem physikalischen Augenschein, der den Unterschied zwischen den Punkten einer kontinuierlichen Verteilung für um so geringer hält, je näher sie beieinander liegen, sind wahrgenommene Unterschiede keine objektiven, und die soziale Nachbarschaft als Ort des letzten Unterschieds kann durchaus auch zugleich der Punkt der größten Spannungen sein. Die objektiv geringste Distanz im sozialen Raum kann mit der subjektiv größten Distanz zusammenfallen: dies unter anderem deshalb, weil der ›Nächststehende‹ genau der ist, der die soziale Identität, d.h. den Unterschied, am stärksten bedroht (und außerdem, weil subjektive Ansprüche durch die Anpassung von Hoffnungen und Chancen eher auf die unmittelbare Nachbarschaft beschränkt bleiben).« (Bourdieu 2014f: 251) Diese Analogie macht deutlich, dass Bourdieu dem durch ihn konstruierten AntiSubjekt der Meinungsforscherin einerseits sehr nahesteht, weil auch das Subjekt der Praxistheorie einen positivistischen Traum des vollständig autonomen wissenschaftlichen Feldes, auf dem nur mit reinem wissenschaftlichen Kapital gespielt wird, träumt. Eine Nähe zeigt sich zudem darin, dass auch die Praxistheorie Bourdieus sich Effekte innerhalb der Politik, des Journalismus und der Ökonomie erhofft. Andererseits wird die Differenz zur Meinungsforschung damit ein Unterschied ums Ganze, der für die Identität des Subjekts der Praxistheorie nicht verwischt werden darf. Dieser Unterschied zeigt sich vor allem darin, dass die Praxistheorie nicht den Schein einer Wissenschaft ohne Wissenschaftler vorgaukelt, sondern gerade für den Zweck einer besseren und auch objektiveren Wissenschaft die Verzerrung der Forschung durch den Wissenschaftler zum Gegensand der teilnehmenden Objektivierung (4.2.) macht. »Worum es ersichtlich geht, das ist die Existenz einer Wissenschaft von der sozialen Welt, die in der Lage ist, ihre Autonomie gegenüber allen Machtinstanzen zu behaupten« (Bourdieu 2010b: 256). Mit diesem eigentlichen Ziel zieht Bourdieu die absolute Differenz zwischen Subjekt und Anti-Subjekt der Praxistheorie. Während das Anti-Subjekt sich durch einen Mangel an Autonomie und gleichzeitig durch einen nahezu total angepassten Habitus innerhalb der gesellschaftlichen Doxa auszeichnet, ist das Subjekt der Praxistheorie durch seine Verortung innerhalb der Episteme und auf dem Feld der Wissenschaft mit einer bedingten Autonomie ausgestattet, die es einerseits performativ gewinnen muss und andererseits gegen die soziale Welt zu verteidi-
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gen hat. Das Einfallstor für andere Machtinstanzen, die die Wissenschaft verzerren, sind die einzelnen Wissenschaftler selbst, die nie nur Wissenschaftlerinnen, sondern immer auch Arbeitnehmerinnen, Staatsbürgerinnen, Zeitungsleser, Väter, Mütter und Nachbarn sind. Auf dem Feld der Wissenschaft wird das Subjekt der Praxistheorie daher als gespaltener Habitus gleichermaßen vorausgesetzt und konstituiert (4.1). Es ist hin- und hergerissen zwischen dem Traum einer reinen Wissenschaft und anderen Zwängen. Wenn es um wissenschaftliche Kritik geht, ist es aber nicht bereit, sich den Anforderungen des wissenschaftlichen Feldes zu entziehen, um zu politischen Verteidigungsstrategien zu wechseln, wie es etwa das Anti-Subjekt der Meinungsforschung macht (Bourdieu 2010b: 262). Bourdieu (2010b: 255) zeigt am Anti-Subjekt des Meinungsforschers eindrücklich, dass ohne einen gespaltenen Habitus, also ohne die Möglichkeit die eigene Wahrnehmung zu brechen, keine Wissenschaft möglich ist: »Die Meinungsforschung kommt der landläufigen Vorstellung von Wissenschaft entgegen: Sie gibt auf die Fragen, die ›alle Welt sich stellt‹ (alle Welt oder doch die kleine Welt derer, die Meinungsumfragen finanzieren können: Zeitungen und Zeitschriften, Politiker, Unternehmer), rasche, einfache und in Zahlen fassbare, anscheinend leicht zu verstehende und zu kommentierende Antworten. Doch hier mehr noch als in anderen Bereichen ›(sind) die primären Wahrheiten die primären Irrtümer‹ (Bachelard), so wie die wahren Probleme der politischen Leitartikler und Kommentatoren häufig falsche Probleme sind, die die wissenschaftliche Analyse zunächst zertrümmern muss, um dann ihr wissenschaftliches Objekt zu konstruieren.« In dem Text Meinungsforschung – Eine »Wissenschaft« ohne Wissenschaftler wird somit ein Möglichkeitsraum für die Praxis der Theorie bestimmt, der sich aus Selbstkonstitution des Subjekts der Praxistheorie in der Differenz zu einem Anti-Subjekt der Meinungsforschung ergibt. Dieser Möglichkeitsraum ist auf das wissenschaftliche Feld beschränkt, setzt sich die wissenschaftliche Autonomie gegenüber der Gesellschaft zum Ziel und ist auf eine Nicht-Passung seiner Akteure angewiesen. Dies ist die formale Normativität der Praxis der Praxistheorie. Der Text Bourdieus dient dabei als performativer Akt der Herstellung eines Subjekts der Praxistheorie, das sich in diesem eng abgegrenzten Möglichkeitsraum bewegt und damit spezifische Möglichkeiten positiv markiert. So hofft Bourdieu (2010b: 262-263) am Ende seiner Kritik »überzeugend gezeigt zu haben, dass, wenn die wissenschaftliche Kritik in diesem Fall mehr denn je die Form einer soziologischen Analyse der Institution annehmen muss, dann deshalb, weil die Grenzen der wissenschaftlichen Praxis wie in jedem Fall, wenn auch in unterschiedlichen Graden, wesentlich in den Zwängen liegen, die auf der Institution und über diese auf den Gehirnen derer lasten, die
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Teil davon sind. Sie ist jedenfalls ein loyales Mittel, da sie, anders als die ›Politisierungsstragien‹, die sich heimtückischerweise Argumente ad hominem bedienen, die Personen von Verantwortlichkeit entlasten, die ihnen weitaus weniger, als sie selbst es glauben möchten, zukommen.« Dieses Zitat verdeutlicht noch einmal, dass Bourdieu seine Kritik praxistheorieimmanent als Habitus- und Feldanalyse auf dem Feld der Wissenschaft vollzieht und somit in der Objektkonstruktion eines Anti-Subjekts der Meinungsforschung das Subjekt der Praxistheorie gleichermaßen voraussetzt wie performativ herzustellen versucht. Die Normativitäten der System- und Praxistheorie weisen einige offensichtliche Gemeinsamkeiten auf. Stark verkürzt ließe sich hieraus schließen, dass die Subjekte der Theorien männlich, reflexiv, wissenschaftlich und relativ autonom sind. In ihrer Praxis haben sie vor allem gemeinsam, dass sie ihr Anti-Subjekt und damit ihren Gegner auf dem Kampfplatz der Theorie objektivieren, statt beispielsweise über den Wahrheitsgehalt einer konkreten Aussage zu streiten oder dem Gegner Fehler in seinem wissenschaftlichen Vorgehen nachzuweisen. Die Vergegenständlichung konkurrierender soziologischer Theorien wird von mir durch den zweiten Aspekt der soziologischen Differenz – dem Verhältnis soziologischer Theorien zu alternativen Selbstbeschreibungen der Gesellschaft – fokussiert. Diese Vergegenständlichung ist – auch wenn sie unterschiedliche Formen annehmen mag – das zentrale Merkmal der Praxis der Supertheoretisierung, wie ich sie bereits zum Anfang dieser Arbeit eingeführt habe (2.). In ihr bildet die Praxis der Theorie nicht nur eine spezifische Normativität aus, sondern verfängt sich im Grenzfall auch in der Reflexionsblockade der reflexiven Intoleranz. Diese zeichnet sich paradoxerweise dadurch aus, dass die Praxis der Theorie zwar hochgradig reflexiv ist, dies aber nicht zu einer Transformation des Selbst, sondern immer in Selbstbestätigungen führt. Wenn es ein wesentlicher Aspekt (nicht nur) wissenschaftlicher Theorien ist, dass sie scheitern können, und wenn soziologische Theorien in einer pluralistischen Gesellschaft nur noch an Theorien scheitern können (Beck 1972: 220; Feyerabend 1986: 83-88; Kuhn 1977b: 422-427), dann ist es ein Problem, wenn soziologische Theorien sich durch die Praxis der Supertheoretisierung der Möglichkeit zum Scheitern berauben. Ihre eigene Normativität führt sie dann zur Schließung der Kontingenz ihrer Praxisform, zur Verfestigung ihres Subjektivierungsregimes und letztlich zur Immunisierung gegen Kritik. So wurde bemängelt, dass sowohl Luhmann (Brunkhorst 1990a: 144) als auch Bourdieu (Fröhlich/Rehbein/Schneikert 2014: 401) zu einem Zeitpunkt, an dem sie nahezu vollständig in ihrer Praxis der Theorie aufgegangen sind, gegen jede Kritik immun waren. Ich werde im Folgenden zeigen, dass dies eine Gefahr von Supertheoretisierungen als Praktiken der Subjektivierung ist. In diesen Praktiken ist
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es Einzelnen möglich, sowohl sich selbst als auch alle anderen zu vergegenständlichen und so eine hochgradig ambivalente Position zwischen Konstruktivismus und Positivismus sowie Subjektivismus und Objektivismus bzw. Kontingenz und Notwendigkeit sowie Partikularität und Universalität einzunehmen, die es erlaubt, jede grundlegende Kritik abprallen zu lassen. In solchen Praktiken laufen Einzelne Gefahr, dass sie zwar hochgradig reflexiv, aber gleichzeitig intolerant agieren. Durch ihre Supertheoretisierung können sie zwar alles Soziale in den Blick nehmen, dies führt paradoxerweise aber in genau eine solche Provinzialisierung der Theorie, die Luhmann und Bourdieu den Anderen als Sektenführer (Bourdieu 1988: 19f., 29) oder als Sektenbildung (Luhmann 1991a: 148) vorwerfen. Um dies zu zeigen, werde ich zum Abschluss dieses Kapitels zentrale Formelemente der Supertheoretisierung nachzeichnen. Supertheoretisierungen als Praktiken der Subjektivierung Durch die Vermeidung einer Beurteilung von Theorien anhand ihres inhaltlichen Wahrheitsgehaltes (3.1) treten formale Eigenschaften der Praxis der Theorie in Erscheinung, ohne dass damit ausgeschlossen wäre, dass man ihre Wissenschaftlichkeit, Legitimität oder Wahrheit zum Problem machen könnte. Besonders deutlich werden solche besonderen Eigenschaften in der Praktik der Supertheoretisierung. Um dies zu zeigen, werde ich zunächst verdeutlichen, was ich unter Supertheorien verstehe, um dann zu zeigen, dass sowohl die System- als auch die Praxistheorie in ihrer Praxis die Möglichkeit einer supertheoretischen Subjektivierung eröffnen. Gleichzeitig werde ich deutlich machen, dass in dieser Möglichkeit der Supertheoretisierung die Gefahr der Immunisierung liegt. Zum Abschluss des dritten Kapitels wird es dann darum gehen, wie innerhalb der Supertheorien eine Haltung immanenter Kritik eingenommen werden kann, die der Gefahr der Supertheoretisierung entgeht. Supertheorien sind keine grand theory. Während unter grand theory eine facheinheitliche, allgemein anerkannte Monopoltheorie zu verstehen ist, bestehen Supertheorien durchaus im Plural. Eine grand theory der Soziologie gibt es nicht. Supertheorien sind hingegen ein Sonderfall soziologischer Theoriebildung und durchaus verbreitet. Wie für alle Beobachtungen gilt auch für sie, dass sie nur eine spezielle Perspektive in einer multiperspektivischen Welt darstellen (Fuchs 2000: 40). Sie zeichnen sich zwar dadurch aus, dass sie alles Soziale sehen können, sie können dies aber nur aus ihrer Perspektive und in ihrer Sprache. Sie erscheinen damit als Differenzgeneratoren (Reckwitz 2005: 66ff.), die eine Innenseite von einem Außen scheiden. Durch eine solche kultursoziologische Beobachterperspektive (Reckwitz 2005: 66) ist zu erkennen, dass gerade die Versuche zur Bildung einer grand theory Differenzen innerhalb der unmöglichen Einheit der Soziologie generieren (Reckwitz 2005: 67).
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Im Grenzfall lässt sich das multiparadigmatische Feld soziologischer Theorie dann als ein Pluralismus aus hermetisch geschlossenen Supertheorien verstehen, die sich nur noch im kulturell und hegemonial gezähmten Antagonismus begegnen (so z.B. Bourdieu 2014a: 89f.; Ossowski 1973: 127-132; Zima 2004: 284ff.). Ich versuche dieses theoretische Vorurteil zu vermeiden, denn es etabliert bereits einen einseitigen Metadiskurs über den gesellschaftlichen Standpunkt soziologischer Theorien, der einer hegemonietheoretischen Problematisierung folgt (so z.B. Reckwitz 2005; siehe auch Mouffe 2007: 29ff.). Der Verdacht liegt nahe, dass diese einseitige Metareflexion auf soziologische Theorien selbst bestimmten sozial- und gesellschaftstheoretischen Annahmen folgt und dass eine solche Metareflexion sich selbst in einen Kampf um die Hegemonie begibt und so ihre eigenen Annahmen performativ bestätigt. Mit meiner pluralistischen Perspektive der immanenten Kritik der soziologischen Differenz versuche ich gerade solche Schieflagen bei Selbstund Fremdthematisierungen soziologischer Theorien zu vermeiden (2.). Damit bleibe ich auch in Bezug auf Supertheoretisierungen auf den formalen Nachvollzug der Praxis der Theorie angewiesen, mit dem sich die Grenzen der Theorie von innen erkunden lassen. Durch dieses Vorgehen ist zuallererst zu erkennen, dass Supertheorien ihr Anderes thematisieren, und zwar indem sie es vergegenständlichen, statt das kommunikative Einvernehmen mit ihm zu suchen (Brunkhorst 1990a: 144). Als formale Eigenschaften der Supertheoretisierung lassen sich damit festhalten, dass supertheoretische Praktiken totalitär in Bezug auf ihren Objektbereich sind und selbstreferenziell, indem sie sich in ihren Objektbereich einbeziehen und die eigene Gegenstandskonstruktion vollziehen. Ich habe diese beiden Eigenschaften innerhalb der Praxis der System- und Praxistheorie aufgezeigt, indem ich einerseits den Vollzug der eigenen Sozialtheorie (4.1) und andererseits die Selbstverortung innerhalb der Gesellschaft (4.2) nachvollzogen habe. Worauf es mir jetzt ankommt, ist, dass Einzelne sich in Praktiken der Supertheoretisierung gegen Kritik von außen immunisieren können (siehe hierzu Brunkhorst 1990a: 144; Clam 2002: 21-33; Jahraus 2003; Luhmann 1987e, 19ff.; Marius/Jahraus 1997: 5-11, 67-75). Sie laufen dann Gefahr, sich im Leerlauf einer ständigen Selbstbestätigung zu verlieren. Die Selbstbestätigung der Theorien erscheint als problematisch, erstens, weil eine sich selbst universalisierende Theorie dem scheiternden und kontingenten Charakter der Gesellschaft zuwiderläuft (Lindemann 2009: 33). Zweitens, weil sich supertheoretische Vollzüge nicht nur gegenüber Veränderungen innerhalb der Gesellschaft, sondern auch gegen alternative Theorieangebote verschließen (Brunkhorst 1990a: 144). Und drittens, weil in der supertheoretischen Praxis die Frage nach einer sinnvollen Kopplung soziologischer Theorien absurd wird. Andererseits besteht gleichzeitig ein theorieimmanentes Interesse, diese Probleme anzugehen. Die supertheoretische Universalisierung und Isolierung läuft nämlich der eigenen grundlegenden Annahme der historisch-gesellschaftlichen Gebundenheit soziologischer Theorie zuwider (Lindemann 2009: 31). Sowohl
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Luhmann als auch Bourdieu erkennen dies, glauben aber daran, dass ihre Reflexionsform dieses Problem schon lösen wird. So schreibt Luhmann (1987e: 34) in Soziale Systeme: »Andererseits heißt Anspruch auf Universalität nicht Anspruch auf ausschließliche Richtigkeit, auf Alleingeltung und in diesem Sinne auf Notwendigkeit (Nichtkontingenz) des eigenen Ansatzes. Wollte eine universalistische Theorie diesen Irrtum der Selbsthypostatisierung verfallen, und das liegt nahe, weil sie die Prinzipien, mit denen sie arbeitet, voraussetzen muß, würde sie sehr bald über Selbstreferenz eines Besseren belehrt werden. Sobald sie sich unter ihren Gegenständen wiederentdeckt, sobald sie sich selbst als Forschungsprogramm eines Teilsystems (Soziologie) eines Teilsystems (Wissenschaft) des Gesellschaftssystems analysiert, wird sie genötigt, sich selbst als kontigent zu erfahren. Notwendigkeit und Kontingenz ihres ›Selbst‹ wird für sie dann erkennbar als Artikulationsdifferenz der Selbstreferenz. Es liegt im Sinne des soeben skizzierten Forschungsprogramms, dies vorab zu berücksichtigen.« Luhmann (1987e: 19ff.; 2008b: 57-79) macht den supertheoretischen Charakterzug seiner Theorie explizit und führt ihn an der zitierten Stelle aus. Hier wird deutlich, dass die Systemtheorie die Merkmale einer Supertheorie erfüllt. Sie schreibt sich eine Allzuständigkeit in Bezug auf ihren Gegenstand zu, sie setzt ihren Gegenstandsbereich als eine Totalität, die sie selbst umfasst, und reflektiert sich so innerhalb dieses Gegenstandsbereichs. Sie setzt damit ein Subjekt der Theorie gleichermaßen voraus, wie es dieses hervorbringt, und erklärt sich selbst (Brunkhorst 1990a: 134-147; 2012). Die Gefahr besteht nun darin, dass zwar die konkreten Aussagen der Systemtheorie als kontingent erfahren werden, dass aber die Form der hier zitierten Selbstreflexion, also der autologische Zirkel, selbst nicht mehr in Frage gestellt werden kann, weil es sich hierbei um das Subjektivierungsprogramm handelt, das die Möglichkeiten und das Ergebnis der Reflexion bestimmt. Die konkrete Ausgestaltung dieses Programms habe ich in den vorherigen Unterkapiteln (4.1, 4.2, 4.3) nachvollzogen. Nun hört sich die hier zitierte Stelle höchst selbstkritisch und reflektiert an. Dennoch läuft gerade die ambivalente Position, die Luhmann hier bezieht, Gefahr, intolerant zu werden. Eine Position zwischen Notwendigkeit und Kontingenz sowie zwischen Universalität und Partikularität, ermöglicht es, in der Praktik der Supertheoretisierung jeder grundlegenden Kritik auszuweichen. Auch Bourdieus Theorie tritt, im oben skizzierten Sinn, als Supertheorie auf. Dass die Praxistheorie eine Subjektivierung mit supertheoretischem Allanspruch ermöglicht, wird zumindest in Hans-Peter Müllers (2014: 29) Einführung deutlich: »Alles, was der Fall ist, also jedes soziale Phänomen, das die Soziologie untersucht, muss jeweils eingebettet werden in das Feld der Relationen, in dem es steht. Jegliche isolierte Betrachtungsweise führt nicht nur in die Irre, sondern unter Umstän-
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den auch zu einer substantialistischen Sichtweise eines Phänomens, der Suche nach einer unveränderlichen Entität namens ›Gesellschaft‹, ›Kapitalismus‹ oder ›Arbeiterklasse‹, so als ob diese abstrakten Einheiten tatsächlich handeln könnten.« Müller betont in diesem Zitat das relationale Denken der Praxistheorie, welches in letzter Konsequenz dazu führen kann, eine Perspektive einzunehmen, in der alles mit allem zusammenhängt. Da die Soziologie zudem selbst innerhalb der Praxistheorie als soziales Phänomen auftaucht, nimmt sie sich eine Totalität zum Gegenstand, in dem sowohl das Subjekt als auch das Objekt der Forschung auftauchen. Bourdieu (z.B. 1988: 9ff., 40f.; 2013a: 287; 2014a: 83ff.) expliziert diesen Anspruch durch das Reflexionsprogramm der teilnehmenden Objektivierung, in der das Forschungssubjekt auch noch das eigene Verhältnis zum Objekt objektivieren kann. Auch wenn Bourdieu den Begriff nicht verwendet und sich sogar gegen jede Soziologie stark macht, die sich einem Allmachtstraum (Bourdieu 2013b: 8f.) hingibt und gegen ihre Umwelt abschirmt (Bourdieu/Wacquant 2013: 212f.), wird im Anschluss an meinen Nachvollzug der praxistheoretischen Selbstreflexionen (4.1, 4.2, 4.3) deutlich, dass hier eine Supertheorie vorliegt. Dies zeigt sich in Bourdieus (1988: 54) Anspruch auf Totalität und Reflexion: »Indem der Soziologe die vollständige und endliche Menge der Eigenschaften konstruiert, über die alle wirksamen Akteure in unterschiedlichem Ausmaß verfügen und die im Kampf um die spezifisch universitären Machtformen als wirksame Machtfaktoren fungieren, schafft er einen objektiven Raum, der – methodisch und eindeutig definiert (also reproduzierbar) – auf die Summe der partiellen Vorstellungen der Akteure nicht zurückführbar ist. Als Voraussetzung für den Bruch sowohl mit der Primäransschauung als auch mit dem diskursiven Gemisch aus Halb-Konkretem und Halb-Konstruiertem, Etikett und Begriff, ermöglicht die ›objektivistische‹ Konstruktion somit auch in die Wissenschaft vom Objekt die vorwissenschaftlichen Vorstellungen wieder einzuführen, die grundlegend zum Objekt gehören.« In diesem vollständigen Objektbereich, in den nicht nur Eigenschaften und Strukturmerkmale sondern auch alle (vorwissenschaftlichen) Vorstellungen über diese Eigenschaften und Strukturmerkmale eingehen, taucht auch die Wissenschaft selbst auf. Bourdieu (1988: 39) macht nämlich deutlich, dass empirische Forschung immer auf eine intuitive, aber kontrollierte Konstruktion des Objektbereichs und damit auf vorwissenschaftliche Erkenntnis angewiesen ist. Er führt dazu aus: »Freilich wäre es höchst gefährlich, sich mit dieser ›gelehrten Unwissenheit‹ zufrieden zu geben. Tatsächlich bin ich versucht zu denken, daß die wesentliche Bedeutung der wissenschaftlichen Objektivierung auf deren Möglichkeit beruht – vorausgesetzt natürlich, man ist in der Lage, ihre Produkte zu analysieren –, die
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Objektivierung ihrerseits zu objektivieren. Denn für den Forscher, der wissen will, was er tut, wird der Code von Instrumenten zu einem Gegenstand der Analyse: Unter dem reflexiven Blick verwandelt sich das objektivierte Produkt der Kodifizierung in die sofort lesbare Spur der Konstruktion des Gegenstandes, in das Raster, mit dem das Datenmaterial konstruiert wurde, in das mehr oder weniger zusammenhängende System der Wahrnehmungskategorien, die das Objekt der wissenschaftlichen Analyse […] hervorgebracht haben.« (Bourdieu 1988: 40f.) Auch Bourdieu setzt also darauf, dass der reflexive Blick, der ein wesentliches Element jeder Supertheorie ist, das Problem der Immunisierung behebt, weil so die Illusion von wissenschaftstheoretischer Transparenz und völliger theoretischer Klarheit (Bourdieu 1988: 39) aus dem Weg geräumt wird. Dies geschieht zugunsten der Objektivierung der eigenen vorwissenschaftlichen Vorstellungen und damit eines permanenten Selbstverdachts (siehe 3.2; 3.3). Dass aber auch hier die Form des Reflexionsprogramms der teilnehmenden Objektivierung aus dem Blick geraten kann, erklärt die Gefahr für einzelne, sich in einer Praktik der Supertheoretisierung zu verfangen, die sie gegen jede Kritik immunisiert. Durch die Ambivalenz zwischen Subjektivismus und Objektivismus, zwischen Konstruktivismus und Positivismus, die Bourdieu regelmäßig nutzt, um den reflexiven Blick auf sich selbst zu richten, wird es auch möglich, jeder grundlegenden Kritik gegen die eigene Position zu entgehen. Nachdem ich nun kurz skizziert habe, was ich unter Supertheorien verstehe, um zu zeigen, dass sowohl die System- als auch die Praxistheorie in ihrer Praxis die Möglichkeit einer supertheoretischen Subjektivierung eröffnen, stellt sich die Frage, wie man Supertheoretisierungen kritisieren kann, die sich doch gerade gegen grundlegende Kritik immunisiert haben. Hierfür ist zunächst festzuhalten, dass meine Analysen verdeutlicht haben, warum Selbstreflexion nicht notwendig in transformative Selbstkritik führt. Die Problematik ergibt sich bereits daraus, dass es eine Vielzahl von qualitativ unterschiedlichen Reflexionen gibt, die von einem mechanischen Reflex bis zur radikal selbstreferenziellen Reflexivität reichen (Ashmore 1989; Beck 1996: 289ff.; Lynch 2000: 27-34). Als Hyperreflexivität können Reflexionen sogar gefährlich werden (Ashmore 1989: 55f.; Rose 1979: 281ff.), wenn sie in die relativistische Falle geraten, alle Differenzen zwischen Wissensformen zu nivellieren (Rose 1979: 287) und einem sociological nihilism (Rose 1979: 288) zu verfallen. Gefährlich ist dies in wissenschaftlicher und politischer Hinsicht. Verschwinden alle Differenzen zwischen unterschiedlichen Wissensformen, geht die theorieimmanente Kategorie der Wahrheit verloren, wodurch sich die Spezifik der Theorie als Wissenschaft letztlich auflöst. Politisch ist dies gefährlich, da alles Wissen zu Ideologie wird (Rose 1979: 284) und sich fundamentalistische, rassistische, sexistische und andere naturalisierende Ideologien nicht mehr der Ideologiekritik ausgesetzt sehen. Ich betreibe keine solche Form der Hyperreflexion, denn mir
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geht es ja gerade um die Entstehung spezifischer soziologischer Differenzen, die sich in ihrer Form unterscheiden. Zwar relativiere ich damit die Grenzen, die soziologische Theorien zu anderen Theorien ziehen, aber es geht mir nicht darum, die soziologischen Differenzen aufzuheben, sondern ihre Reaktualisierungen nachzuvollziehen. Die von mir vorgelegte immanente Kritik der soziologischen Differenz verstehe ich als eine Möglichkeit der Invasiven Introspektion (ausschließlich in Bezug auf die Systemtheorie Ternes 1999). Es handelt sich also um einen Eingriff, der sich aber nach innen richtet. Bei diesem Vorgehen handelt es sich um eines, »das nicht mehr von einer vortheoretischen Gegenüberstellung von Theorie einerseits und Gegenstand der Theorie andererseits, von einer Welt einerseits und einer Repräsentation der Welt in der Theorie andererseits ausgeht. Statt dessen ist es die Theorie selbst, die erst hervorbringt, was sie als ihren Gegenstand behandelt, indem sie ihn behandelt.« (Jahraus 2000) Weil die Praxis der Theorie in diesem Verständnis auf kein wirkliches Außen mehr angewiesen ist, denn dieses stellt sie ja in der Selbstreflexion erst her, ist sie von außen unkritisierbar. Dies gilt besonders, weil ihr Gegenstand, ihre Bestimmung des Sozialen (4.1), der Gesellschaft (4.2) und ihres Anti-Subjekts (4.3) sich bereits durch den eigenen Vollzug dieser Sozialität, durch die eigene Verortung in dieser Gesellschaft und den eigenen Antagonimus zu diesem Anti-Subjekt performativ bewahrheiten. Weil soziologische Theorien die soziale Welt also nicht neutral beschreiben (siehe nur Hall 1989: 181; Tenbruck 1984: 21-36; Williams 1972: 390), sondern Soziologie – verstanden als Erfindung der Gesellschaft – die soziale Welt performativ hervorbringt, bringt sie in der soziologischen Reflexion der für sich konstitutiven Bedingungen auch diese erst hervor. Die Kritik von innen muss daher versuchen, aus den Reflexionsformen selbst auszubrechen oder zumindest andere Möglichkeiten, also andere Vollzüge des Sozialen, Verortungen in der Gesellschaft und andere Positionen in Relation zum Anti-Subjekt, ins Bewusstsein der Theorie zu rufen. Dafür dürfen die Unterschiede zwischen Reflexionsformen gerade nicht nivelliert werden und es bedarf Motivationen für den Ausstieg aus der Theorie. Weil die Theorien diese nicht selbst liefern – ihre Normativität tendiert, wie gezeigt, zum Ausschluss alternativer Reflexionsformen – habe ich mich der kritischen Haltung Foucaults bedient. Mit Foucaults kritischer Haltung habe ich mich in theoretische Denk- und Anschauungsformen begeben, um ihren Vollzug und ihre Grenzen und die Möglichkeit ihrer Überschreitung, zu erkunden.
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4.4.
Zwischenfazit
Ich bin in diesem Kapitel (4.) der gegenstandsbezogenen Frage nachgegangen: Wie stellen sich soziologische Theorien in ihren soziologischen Differenzen durch die reflexive Praxis der Theorie her? Hierzu habe ich soziologische Selbstbeschreibungen analysiert, in denen ich nachvollziehen konnte, wie soziologische Theorien ihre eigene bedingte Freiheit reflektieren. Auf der Ebene der Sozialtheorie (4.1) war es der autologische Zirkel in Bezug auf die systemtheoretischen System- und Kommunikationsbegriffe und die teilnehmende Objektivierung durch die praxistheoretischen Praxis- und Habitusbegriffe, die mich zu folgendem Ergebnis geführt haben: In der sozialtheoretischen Selbstthematisierung können kaum theorieimmanente Alternativen, sondern lediglich leichte Variationen dieser Reflexionsformen aufgezeigt werden. Als Grund hierfür nehme ich an, dass die Nachvollzüge der eigenen Sozialtheorie einen starken Sog entfalten, weil jede Alternative bedeuten würde, sich zumindest für einen Moment aus dem Sozialen zu externalisieren und damit den Kontakt zum Gegenstand zu verlieren. Ein Wechsel der sozialtheoretischen Selbstthematisierung würde hier einem Wechsel zwischen Paradigmen gleichkommen. Das theorieimmanente Interesse an der Fortsetzung der Praxis der Theorie will dies aber verhindern. Auf der Ebene der Gesellschaftstheorie (4.2) habe ich den systemtheoretischen autologischen Zirkel der Selbstverortung in der Wissenschaft der Gesellschaft (Luhmann 1992c) und die praxistheoretische teilnehmende Objektivierung als Forscher und damit Mitspieler des wissenschaftlichen Feldes (Bourdieu 1998b) nachvollzogen. Diese Nachvollzüge haben auch alternative Möglichkeiten zu diesen Reflexionen sichtbar gemacht. Sowohl die Praxis der Systemtheorie als auch die der Praxistheorie lassen Variationen der gesellschafttheoretischen Selbstverortung zu, wenn es der immanenten Kritik gelingt, die Selbstverortung in der Wissenschaft an ihre Grenzen zu treiben. Für beide Theorien konnten exemplarisch die Alternativen der Selbstverortung in Politik und in der Literatur aufgezeigt werden. Der erste und dritte Aspekt der Differenz – die Differenz in der Gesellschaft zur Gesellschaft und die Differenz zu sich selbst – weisen formale Gemeinsamkeiten auf. Beide werden in der Praxis der Theorie paradox konstruiert. Die sozialtheoretischen (4.1) und gesellschaftstheoretischen (4.2) zirkulären Selbstbezüglichkeiten, die diesen Aspekten zugrundeliegen, werden in beiden Fällen durch Verzeitlichung entparadoxiert. Das bedeutet, dass jede Selbstbeschreibung der System- und Praxistheorie mit der Aufforderung zu einer neuen Selbstbeschreibung endet. Im dritten Unterkapitel (4.3) habe ich die Selbstkonstitution eines Subjekts der Theorie in Abgrenzung zu einem Anti-Subjekt der Theorie nachvollzogen. In der Herstellung dieser Differenz konnte die Normativität der Praxis- und Systemtheorie in Bezug auf andere Selbstbeschreibungen der Gesellschaft analysiert werden. Zwar gestaltet sich die Praxis der Theorie hier hochgradig reflexiv, gleich-
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zeitig führt diese Reflexivität aber zum Ausschluss eines Anti-Subjekts, das nur noch dazu dient, die eigene Identität zu konstituieren, also im (Neu)anfang der Reflexion die eigene Praxis der Theorie bereits zu bestätigen. Umgekehrt besteht so die Möglichkeit, dass durch Praktiken der Supertheoretisierung konkurrierende Soziologinnen allzuschnell mit diesem Anti-Subjekt identifiziert werden. Eine Immunisierung findet etwa statt, wenn in der Konfrontation mit alternativen Theorieangeboten diese Konfrontation sozialtheoretisch und gesellschaftstheoretisch objektiviert wird (4.3). Was die anderen Theorien einfordern, kann zwar in die Reflexion einbezogen werden. Die Theorien erheben durch diese objektivierende Praxis aber eine Alleinzuständigkeit für ihre Kritik (als Selbstkritik) und ihre Reflexion (als Selbstreflexion). Das Subjekt der Theorie ermöglicht es Einzelnen, die Anderen nur als Gegenstand der Reflexion und nie als Rivale auf Augenhöhe zu betrachten (2.). Steinweg (2015: 152; zur Kritik der Konkurrenz siehe auch Reitz 2016) schreibt zum Vergleich dieser Inverhältnissetzungen: »Die Rivalität ist der Konflikt unter Gleichen, während die Konkurrenz sich aus faktischer Ungleichheit nährt. Die Konkurrenz will eine Hierarchie ausdrücken und folgt den Motiven der Eitelkeit, des Neids und Ressentiments. Rivalen erkennen einander als ebenbürtig an. Rivalität ist gelebte Differenz im Medium der Anerkennung. Deshalb kann es Rivalität in Liebe und Freundschaft geben, aber keine Konkurrenz.« Mit der kritischen Haltung Foucaults und der von mir erarbeiteten Methodologie der immanenten Kritik der soziologischen Differenz (3.) versuche ich also, die Möglichkeit der Bedingung zu schaffen, dass die kritisierten soziologischen Theorien sich als Rivalen, nicht als Konkurrenten begegnen. Und sei es auch nur dadurch, dass ich selbst zwischen diesen Paradigmen wechsle, ohne sie als konkurrierend zu betrachten. Diese eher monologische Form – die für eine Dissertation vielleicht nötig ist – sollte dabei nicht als Ablehnung kommunikativer oder dialogischer Modelle des Multiperspektivismus (Klinkmann 1981; Nassehi 2015: 256-295; 2018; Zima 2004: 207ff.) verstanden werden, sondern eher als eine Bedingung ihrer Möglichkeit. Als Form nimmt meine Kritik – oder Foucaults kritische Haltung – dabei weder den konservativ autologischen Zirkel der Systemtheorie, noch die teilnehmende Objektivierung, als Bruch zur eigenen Forschungspraxis im Sinne der Praxistheorie, an, sondern bleibt ambivalent. In Bezug auf die Praxis der Theorie können mit dieser ambivalenten Haltung hermetische Schließungen vermieden werden. Die Ambivalenz der kritischen Haltung Foucaults nimmt Bröckling (2010a: 284; siehe auch Demirović 2008: 28f.; Mecheril et al. 2013: 35) zufolge eine Form des Andersanders-Seins an:
4. Die bedingte Freiheit und Normativität soziologischer Theorie
»Kritik steht damit vor der nicht minder paradoxen Aufgabe, anders anders zu sein. Paradox ist die Formel vom Anders-anders-Sein, weil sie formallogisch gesehen in einen Zirkel mündet: Schon das Anders-Sein markiert keinen Zustand, sondern eine Relation. […] Anders anders zu sein würde demnach bedeuten, sich davon abzusetzen, sich abzusetzen.« So problematisch Paradoxien in der Praxis auch sind (Bröckling 2010a: 285; Stäheli 2000b: 271-308; siehe allgemein zum paradoxen Denken Fromm 1980: 89-94), auf dem multiparadigmatischen Feld soziologischer Theorie ermöglichen sie eine multiparadigmatische Bewegung des Sowohl-als-auch (Zima 2004: 215; Schimank 1999: 279; 2013: 152, 165-166). Dieses Sowohl-als-auch versucht, nicht einen Ausweg aus der skizzierten Paradoxie der immanenten Kritik der soziologischen Differenz zu finden, sondern sie zu nutzen, um sich einerseits voll und ganz in eine paradigmatische Theorie zu stürzen und andererseits immer wieder aus ihr raus finden zu können. In Bezug auf die kritische Haltung auf dem multiparadigmatischen Feld soziologischer Theorie lässt sich damit zusammenfassend festhalten: System- und Praxistheorien halten die Möglichkeit einer supertheoretischen Subjektivierung bereit und laufen so Gefahr, sich gegen Kritik von außen zu immunisieren. In der hier vorliegenden Introspektion begebe ich mich selbst in die Praxis der Theorie, die ich so (nach)vollziehe, dass ich mich selbst ihrem Subjektivierungsregime aussetze. Foucaults kritische Haltung erlaubt es dann, diese Subjektivierung mit Pathos und persönlicher Betroffenheit aufzuladen, nicht um sich innerhalb der Praxis der Theorie zu affirmieren, sondern um mit der Unterwerfung durch die Praxis der Theorie ein Als-ob-Argument zu nutzen und damit alternative Möglichkeiten für Selbstdeutungen hervorzubringen. Diese Kritik ist mit Saar (2013c: 253) »künstlich herbeigeführte Krise im Selbstverständnis, das mit einer von außen kommenden, schwer zu akzeptierenden Deutung konfrontiert wird. Was sie im besten Fall auslösen kann, ist eine Überprüfung von Selbstverständnissen und Selbstverhältnissen auf ihre Vereinbarkeit mit einem Wissen über die Verwobenheit des eigenen Selbst mit einer Geschichte von Machtwirkungen.« Abschließend bleibt zu sagen: Weil es durch eine immanente Kritik (3.4), die sich auf den heuristischen Bezugsrahmen der soziologischen Differenz (3.2) bezieht, möglich wird, sich einerseits der Praxis einzelner paradigmatischer Theorien zu unterwerfen und andererseits innerhalb der theoretischen Praxis Alternativen aufzuzeigen und zwischen den Paradigmen zu wechseln (4.), weil eine solche Bewegung auf dem Feld soziologischer Theorie zudem der wechselseitigen reflexiven Intoleranz zwischen theoretischen Paradigmen entgeht, betrachte ich die Kontingenz der Theorien als geöffnet.
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Ich liebe, spreche, handle und denke – ohne Gründe! Stimmt das? Wohl kaum! Ich habe mehr als tausend Gründe. Was mir fehlt, ist der Grund. Marcus Steinweg – Evidenzterror Denn von allen Gedanken Schätze ich doch am meisten Die Interessanten Die Sterne – Die Interessanten
5. Die Ambivalenz der soziologischen Differenz
Ich habe die Einleitung dieser Arbeit mit dem Problem der Theoriewahl begonnen. Aus der persönlichen Erfahrung, dass ich mich zu Beginn meiner soziologischen Arbeit auf einem multiparadigmatisch verfassten Feld soziologischer Theorie wiederfand, ohne einem Paradigma zugehörig zu sein und ohne die Herausbildung der Paradigmen historisch nachvollziehen zu können, hat sich für mich die Notwendigkeit ergeben, einen Umgang mit der Multiparadigmatizität des Feldes soziologischer Theorie zu finden. Was mir fehlte, war der Grund, nur in einer Theorie zu sprechen, zu handeln und zu denken (Steinweg 2015: 158). Dafür, dass dieses Problem nicht nur individuell ist und meine Reflexion auf meine Position im Feld soziologischer Theorie daher keine narzisstische Reflexion ist, sondern dass es sich hierbei gerade um ein typisches Problem innerhalb der wissenschaftlichen Sozialistation handelt, habe ich bereits mit Thomas S. Kuhn argumentiert. Im Rückblick auf Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen (Kuhn 1973) schreibt er: »Im vorletzten Kapitel eines vor elf Jahren zum erstenmal veröffentlichten umstrittenen Buches behandelte ich die Art und Weise, in der Wissenschaftler dazu kommen, eine altehrwürdige Theorie oder ein Paradigma zugunsten einer bzw. eines neuen aufzugeben. Derartige Entscheidungen, so sagte ich, ›können nicht durch Beweise gerechtfertigt werden‹. Ihr Mechanismus hat daher zu tun mit ›Methoden der Überredung, mit Argumenten und Gegenargumenten in einer Situation, in der es keinen Beweis geben kann‹. ›Lebenslanger Widerstand [gegen eine neue Theorie]…‹, so sagte ich auch, ›ist keine Verletzung wissenschaftlicher Normen‹ … ›Obwohl der Historiker immer Menschen finden kann – Priestley zum Beispiel –, die unvernünftig genug waren, derart lange Widerstand zu leisten, wird er doch keinen Punkt finden, an welchem der Widerstand unlogisch oder unwissenschaftlich wird.‹« (Kuhn 1977b: 421) Von Kuhn unterscheidet sich mein Problem, insofern es Kuhn um den Übergang von einer alten Theorie zu einer neuen, also um eine wissenschaftliche Revolution geht. Auf dem Feld soziologischer Theorie ist das Problem eher, dass sich soziologische Paradigmen nicht ablösen, sondern multiparadigmatisch nebeneinander bestehen. Nach meiner Ansicht verschärft sich hierdurch aber das Problem der
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Immanente Kritik soziologischer Theorie
Theoriewahl, weil es auch hier keine Beweise gibt, die rechtfertigen, weshalb die eine Theorie gewählt wird und alle anderen nicht. Als Umgang mit dieser Problematik, habe ich einen ambivalenten Weg gewählt. Einerseits bin ich davon überzeugt, dass ich mich in eine Theorie stürzen muss, um sie verstehen und machen zu können. Ich muss mich ihrer Denk- und Anschauungsform also voll unterwerfen, um mich als Subjekt der Theorie subjektivieren zu können. Erst diese Unterwerfung ermöglicht es mir, die Welt durch die Perspektive der Theorie zu objektivieren, weil ich mich von der Praxis der Theorie regieren lasse. Andererseits kann und will ich mich nicht für eine einzige Theorie auf dem heterogenen Feld soziologischer Theorie entscheiden, ich will nicht dermaßen von ihr regiert werden. Erst eine immanente Kritik der soziologischen Differenz, die von innen an die Grenzen der Praxis der Theorie geht, ermöglicht es mir, eine Bewegung zu vollziehen, in der ich mich von der einen Theorie losreißen kann, um mich in die nächste zu stürzen. Die Möglichkeit und Ausführung dieser Bewegung verstehe ich als pluralistisches Paradigma. Sie gründet auf der kritischen Haltung Foucaults. Der heuristische Bezugsrahmen, in dem sich die so skizzierte Bewegung vollziehen kann, ist jener der soziologischen Differenz. Diese Differenz ist die Antwort auf die methodologische Frage: Wie lassen sich die reflexiven Ordnungsbeziehungen theoretischer Soziologie formal und immanent kritisieren? (3.). Gleichzeitig dient sie mir als Denkwerkzeug, um die gegenstandsbezogene Frage – Wie stellen sich soziologische Theorien in ihren soziologischen Differenzen durch die reflexive Praxis der Theorie her? – anhand der System- und Praxistheorie zu beantworten (4.). Weil diese Fragen in den beiden Hauptkapiteln meiner Arbeit beantwortet wurden, werde ich sie hier nicht erneut aufgreifen, sondern genauer bestimmen, wie der heuristische Bezugsrahmen der soziologischen Differenz mir dabei geholfen hat, einen Umgang mit der multiparadigmatischen Verfasstheit des Feldes soziologischer Theorie zu finden. Zu diesem Zweck gliedere ich das Fazit entlang der Ambivalenz der soziologischen Differenz, die einerseits als Heuristik von außen an die Theorien herangetragen wird, und andererseits eine immanente Praxis der Theorie ist (3.2). In dieser Zweiteilung werde ich aufzeigen, wie die fünf selbstgestellten Ansprüche an meine Arbeit eingehalten und die drei Ziele erfüllt wurden (2.). Die soziologische Differenz als Heuristik Die Bezeichnung von drei Aspekten der Beziehungen soziologischer Theorie zu Anderem als soziologische Differenz dient mir als Beobachtungsbegriff, und somit als Heuristik. Dieser erlaubt es mir, den vierten Anspruch an meine Arbeit – die formale Analyse des »Wie?« der Theorie – zu erfüllen. Mit der Heuristik der soziologischen Differenz kann ich von konkreten Inhalten der Theorien absehen und die Form ihrer Selbstbezüglichkeit in Selbstreflexionen und Selbstbeschreibungen
5. Die Ambivalenz der soziologischen Differenz
zum Gegenstand machen. Damit trage ich die Heuristik zwar von außen an soziologische Theorien heran, ich bin aber in der Lage, den Standpunkt der Theorien nachzuvollziehen, ohne sie extern in einer durch mich beschworenen (Matthes 1985) Gesellschaft zu verorten oder als ein spezifisches soziales Phänomen zu vergegenständlichen. So erfüllt die Heuristik auch den ersten Anspruch, dass sie die Theorien, die mit ihr analysiert werden, ernst nimmt, ohne ihnen mit einem externen metatheoretischen Bias (2.) zu begegnen. Dies liegt insbesondere daran, dass ich mit der soziologischen Differenz nicht davon ausgehe, dass es eine durch diesen Begriff vermittelte Einheit soziologischer Theorie gibt. Diese Heuristik lässt sich auf unterschiedliche Weise in unterschiedliche Theorien einbringen. Ich konnte sie also, und dies erfüllt den fünften Anspruch an meine Arbeit, in unterschiedlichen Denk- und Anschauungsformen der System- und Praxistheorie einsetzen. Mit der soziologischen Differenz als Heuristik, habe ich vor allem eine Analytik entwickelt, die sich auf Selbstreflexionen soziologischer Theorien anwenden lässt. Als Heuristik ist sie nicht per se machtkritisch, sondern dient mir zunächst dazu, die im dritten Kapitel (3.1) von Foucault übernommenen analytischen Fragen zu beantworten. In Bezug auf soziologische Theorie habe ich gefragt: Wie stellt sie sich dar? Wie reflektiert sie sich selbst? Wie setzt sie sich zugleich ins Werk und analysiert sich selbst? Wie übersetzt sie sich in Programme? Das zweite Ziel meiner Analyse war es, Reflexionsblockaden zu erkennen: Ergebnisse der Analyse waren etwa, dass sich soziologische Theorien immer nur im Vollzug der eigenen Sozialtheorie reflektieren können, die sie auf diese Art und Weise immer schon bestätigen (4.1). Reflexionsblockaden finden sich zudem im autologischen Zirkel, wenn etwa das System der Systemtheorie immer wieder mit dem System der Soziologie und dem System der Wissenschaft identifiziert wird. Sie finden sich in der teilnehmenden Objektivierung, wenn die eigene wissenschaftliche Praxis immer wieder an einem normativen Gegenort der reinen Wissenschaft gemessen wird (4.2). Auch die Anti-Subjekte, die innerhalb der Praxis der Theorie ein Subjekt der Theorie konstituieren, erfüllen die Funktion einer Reflexionsblockade, weil sie die eigene theoretische Aktivität durch die Ausgrenzung einer anderen Form der Praxis von Theorie legitimieren. Diese immanente und formale Normativität soziologischer Theorie dient letztlich aber auch dazu, die eigene theoretische Aktivität zu motivieren (4.3). Es handelt sich hier nicht um Blockaden, die die Reflexion verunmöglichen, sondern um Blockaden, die verhindern, dass sich die Reflexion in ihrem Vollzug über sich selbst hinaus treiben kann und sich so die Form der Reflexion verändert. Reflexionsblockaden sind somit nicht als zu beseitigender Fehler soziologischer Theorie zu betrachten. Sie sind notwendig, weil jede angefangene Reflexion auch abgebrochen werden muss und in einer relativ stabilen Form bleiben muss, um Theorie zu betreiben. Andernfalls würden die Theorien sich in einem unendlichen Regress der Selbstreflexion verfangen oder den Bezug zu ihrer Vergangenheit
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Immanente Kritik soziologischer Theorie
verlieren. Die Heuristik der soziologischen Differenz erfüllt also den zweiten und dritten Anspruch an meine Arbeit und dient dazu, das zweite Ziel zu erreichen, indem sie den Anstoß und Abbruch von Reflexionsprozessen nachvollziehen und die Reflexionsblockaden in diesen Prozessen bestimmen kann. Daraus lassen sich vier allgemeine Schritte zur Analyse von soziologischen Selbstreflexionen ableiten. Ich stelle sie als Fazit meiner Arbeit dar, weil ich damit einen heuristischen Mehrwert aus meiner Arbeit kondensiere. Diese Schritte sollten sich also auch auf andere soziologische Selbstreflexionen, also auf andere soziologische Theorien, übertragen lassen und können auch Anhaltspunkte für die Analyse sozialer (nicht-soziologischer) Selbstreflexionen bieten. In Bezug auf die Soziologie behaupte ich jedenfalls, dass sich die gesamte Praxis einer soziologischen Theorie über den Nachvollzug ihrer Selbstreflexion erschließen lässt, weil sie sich durch Reflexionsanstöße und Reflexionsblockaden auszeichnet, die gleichermaßen notwendig für das Prozessieren der Praxis der Theorie sind. Beide sind gleichermaßen produktiv in die Subjektivierung Einzelner innerhalb der Denk- und Anschauungsformen soziologischer Theorie eingebunden. Die vier Schritte zur Analyse soziologischer Selbstreflexionen ließen sich wiederum alle entlang der drei Aspekte der soziologischen Differenz verfeinern. Der erste Schritt ist die Auswahl der Gegenstände. Hier eignen sich theoretische Texte, die als Reflexionsprogramme gelesen werden können (4.). Diese Reflexionsprogramme geben Auskunft darüber, wie sich innerhalb einer Theorie die Reflexion als Reaktualisierung der soziologischen Differenz vollzieht. Die Reflexionsprogramme sind der Effekt reflexiv gewordener Theoriekonstruktionen, sie sind als Programme gleichzeitig Texte, die versuchen, die weitere Theoriearbeit zu lenken, und können damit als Schlüsseltexte im Text-Korpus einer Theorie gelesen werden, weil sie, mit Bachelard (1974: 33) gesprochen, die Herrschaft der Reflexion inthronisieren. Der zweite Schritt besteht darin, die Reflexionsblockaden als Techniken der Unterbrechung zu analysieren. Die zirkuläre Logik der Reflexion verweist auf die Gefahr für jede Reflexion, in einem unendlichen Regress wegzufließen (Luhmann 1974b: 107). Paolo Virno (2012: 19) beschreibt dies wie folgt: »Ich versuche, mein Ich zu beschreiben; um dies bewerkstelligen zu können, muss ich auch das Ich beschreiben, das das Ich untersucht; ich werde also eine zweite Beschreibung verfassen, die auch das beschreibende Ich enthält und so weiter und so fort. Diese sich stetig erweiternden Spiralen sind eine Art Ritornell, das gleichzeitig vertraut und beunruhigend ist. Ein Ritornell, das jede Erfahrung begleitet und in gewissem Maße bedingt.« Diese Erkenntnis ist zunächst trivial und taugt kaum als grundsätzliche Kritik an Reflexionen (Lynch 2000: 46f.). Virno (2012: 19) lenkt aber den Blick weg von der Idee, in der Analyse von Reflexionen eine feststellbare Identität ausfindig zu ma-
5. Die Ambivalenz der soziologischen Differenz
chen. Stattdessen richtet sich der Blick auf die vielfältigen Techniken der Unterbrechung und Verhinderung. Es ist also nicht nur die Reflexion, die die Routine unterbricht, sondern auch die Reflexion selbst muss notwendigerweise unterbrochen werden, will sie nicht routiniert im infiniten Regress verharren. So wie der unendliche Regress der Reflexion vertraut und beunruhigend (Virno 2012: 19) ist, schaffen es die Reflexionsblockaden – als Techniken der Unterbrechung – einerseits zwar eine Beunruhigung ruhig zu stellen. Andererseits brechen sie auch eine Vertrautheit mit sich selbst ab. Im dritten Schritt zur Analyse soziologischer Selbstreflexionen sollte nach alternativen Reflexionsformen gesucht werden, die an den Rändern der Reflexionsformen zu finden sind. Meine Analyse von soziologischen Selbstreflexionen hat gezeigt, dass Reflexionsformen, wenn sie sich etwa an einem etablierten Anti-Subjekt der Theorie orientiert (4.3), nicht notwendig eine selbstkritische Transformation antreiben, sondern in reflexive Intoleranz führen können (3.4; 4.2; 4.3). Mit dem dritten Schritt rückt dagegen das selbstkritische Potenzial soziologischer Theorie zur Lockerung und Überwindung der eigenen etablierten Reflexionsblockaden in den Blick. Insbesondere in Bezug auf die Selbstverortung in der Gesellschaft (4.2) hat sich zwar die Selbstverständlichkeit der Soziologie als Wissenschaft etabliert, die Theorien setzen diese Verortung aber kontingent und erhalten sich so das Potenzial zu Variationen dieser Selbstverortung, beispielsweise in Politik oder Literatur. Der theorieimmanente Widerstand gegen die Routinisierung der Reflexion wird dabei einerseits durch den Willen zur Vermeidung des unendlichen Regresses und andererseits durch den Drang zur erneuten Reflexion motiviert. Mit den etablierten und routinierten Reflexionsformen zu brechen, bedeutet also, alternative Reflexionsanstöße und Reflexionsblockaden zu erproben. Die Nicht-Identität von Einzelnen und dem Subjekt der Theorie wird hier zum Garant für die Variation der Praxis der Theorie, weil sie immer neue Subjektivierungen verlangt. Der unendliche Regress ist somit nicht nur als zu überwindende Gefahr zu verstehen, sondern enthält selbst ein kritisches Potenzial, denn er verweist auf die prinzipielle Ungründbarkeit der soziologischen Differenz, die sich als Entscheidung einer prinzipiellen Unentscheidbarkeit erweist (siehe zu dieser Figur Moebius 2008: 52-67; Stäheli 2000b: 293; Žižek 2001: 217 in Bezug auf das Verhältnis von Soziologie und Gesellschaft siehe Marchart 2013). Die konkreten Reflexionsblockaden, die im ersten Schritt untersucht werden, sind also nie notwendig für die allgemeine Ordnung der soziologischen Differenz und sie durchbrechen sogar eine Vertrautheit (Virno 2012: 19; siehe auch Luhmann 1987b: 255) mit sich selbst. Die Stabilität der Reflexionsblockaden verweist auf die Grundlosigkeit und damit Haltlosigkeit ihrer selbst, eben weil sie Unterbrechungen und Blockaden sind, verspüren Einzelne bei Abbruch der Reflexion ein Ungenügen gegenüber dem reflexiven Anspruch soziologischer Theorie. Diese Spannung ist typisch für Subjektivierungsregime, über die Bröckling (2012: 134) schreibt:
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»Subjektivierungsregime konfrontieren den Einzelnen mit spezifischen Erwartungen, die er zurückzuweisen, zu unterlaufen oder einzulösen versuchen, denen er aber niemals voll und ganz genügen kann. Und sie können ihn damit nur insoweit konfrontieren, als er selbst immer schon ein fundamentales Ungenügen spürt.« Diese noch recht schmale ambivalente Perspektive, in der es erstens um die Vermeidung des unendlichen Regresses der Reflexion durch Reflexionsblockaden und zweitens um den Drang zur weiteren Reflexion – trotz oder gerade wegen der drohenden Gefahr des unendlichen Regresses – geht, wird durch einen vierten Schritt zusammengehalten. In Verbindung von Unterbrechung und prinzipieller Unentscheidbarkeit tritt die Frage der Normativität zu Tage. Die Herstellung der soziologischen Differenz über Selbstreflexionen und Selbstbeschreibungen soziologischer Theorien lässt sich als normative Praktik der Selbstdistanzierung beobachten (4.3). Mit Christoph Möllers (2015: 15) habe ich argumentiert, dass es sich bei Normen gerade um soziale Praktiken der Selbstdistanzierung handelt. Die Betrachtung derartiger Praktiken der Differenzherstellung verschiebt die Analyse des Normativen weg von konkreten Normen und ihrer Rechtfertigung und reduziert sie damit weder auf die von ihnen angegebenen letzten moralischen Gründe, noch auf ihre kausalen Wirkungen (Möllers 2015: 15). Die Selbstreflexion soziologischer Theorien ist als eine normative Praxis zu verstehen, weil es sich um positiv markierte Möglichkeiten (Möllers 2015: 14) handelt. In einem vierten Schritt zur Analyse soziologischer Selbstreflexionen lassen sich diese also einer politischen Befragung unterziehen: Wie wird das Soziale der Theorien bestimmt und der gesellschaftliche Ort der Theorien konstituiert, welche Differenzen zwischen Subjekt und Anti-Subjekt der Theorie werden hergestellt und welcher Möglichkeitsraum ergibt sich aus dieser Selbstkonstitution? Wie werden spezifische Möglichkeiten aktualisiert und damit performativ positiv markiert? Auch wenn eine solche Analyse formalistisch erscheint, ist sie damit nicht notwendig wertfrei. Möllers (2015: 13) schreibt: »Es mag gute Gründe geben, über die Form des Normativen selbst in rechtfertigender oder kritischer Absicht zu sprechen. Man mag auf einer weiteren Ebene untersuchen, ob Gründe für oder gegen den Gebrauch von Normen sprechen.« Der hier vorgestellte Vierschritt zur Analyse soziologischer Selbstreflexionen in allen drei Aspekten der soziologischen Differenz legt noch keine Absicht fest, in der diese Analyse betrieben wird. Dieses Programm ist gerade deshalb als Kondensat meiner Arbeit zu verstehen, weil die normativen Absichten meiner Arbeit – die Öffnung der Kontingenz soziologischer Theorie und die daraus folgende Ermöglichung eines pluralistischen Paradigmas – gewissermaßen ausgekocht wurden.
5. Die Ambivalenz der soziologischen Differenz
Losgelöst von diesen Absichten lauten die vier Schritte für eine Analyse soziologischer Selbstreflexionen, die sich aus meiner heuristischen Verwendung der soziologischen Differenz kondensieren lassen, wie folgt: Ich untersuche die soziologische Differenz am Material der Reflexionen der Soziologie, die in Reflexionsprogrammen besonders prägnant erscheinen. Ich untersuche diese Reflexionen auf ihre Techniken der Unterbrechung des drohenden unendlichen Regresses und erkenne diese Unterbrechungen als Reflexionsblockaden. Da es sich hier um Blockaden handelt, geht mit ihnen der Drang zur weiteren Reflexion einher. Diese wurde ja nicht ein für alle Mal abgeschlossen, sondern unterbrochen bzw. blockiert. So lassen sich der Drang zur Reflexion und mögliche Reflexionsanstöße finden, durch die auch theorieimmanente Variationen der Reflexionsform gefunden werden können. In einem letzten Schritt unterziehe ich die soziologische Differenz der politischen Befragung nach dem von ihr produzierten Möglichkeitsraum und positiven Markierungen. Diese erste Seite der ambivalenten Verwendung der soziologischen Differenz – als von außen herangetragene Heuristik – steht für einen methodologischen und analytischen Mehrwert meiner Arbeit. Sie hat weniger mit meiner eigenen soziologischen Sozialisation zutun, weshalb ich die zweite Seite der ambivalenten Verwendung der soziologischen Differenz für ebenso wertvoll halte. Diese zweite Seite – die soziologische Differenz verstanden als Praxis der Theorie – ist ungleich machtkritischer und mit mehr Risiko behaftet als die vorherige konzeptionelle Ausarbeitung, die ich im Zuge dieser Arbeit vorgenommen habe. Sie verfolgt zudem eindeutige Absichten und ist daher hochgradig normativ. Die soziologische Differenz als Praxis der Theorie Anschließend an die vier Schritte zur Analyse soziologischer Selbstreflexionen, möchte ich nun auf den Wert dieses Programms für die Absicht einer theoretischen (Selbst)Kritik der Soziologie eingehen. Insofern die Reflexion nicht nur die Identität der eigenen Praxis der Theorie bestätigen soll, darf sie nicht zur Identifizierung und Verdinglichung des Subjekts der Theorie führen, es sei denn um den Preis ihres kritisch-emanzipatorischen und damit transformativen Potenzials. Die soziologische Differenz ist daher durch ihre immanenten Paradoxien und Ambivalenzen (3.2) von vornherein ein Begriff für das Unbegreifbare. Sie ist eine Praxis der Theorie, die es mir erlaubt, mich theorieimmanent an die Grenzen der Praxis der Theorie zu begeben. Diese Grenzen erscheinen aber erst in meiner eigenen Subjektivierung in der Theorie und stehen daher nicht von vornherein fest. Dietmar Kamper (1973: 153) hat eine solche Grundfigur der Differenz folgendermaßen beschrieben: »Die Struktur der Differenz muß dabei auf einen Begriff gebracht werden, der seiner eigenen Verdinglichung durch eine dauernde Beunruhigung und Verunsicherung des identifizierenden Denkens widersteht. Als ein solcher ›Begriff‹ ist die
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Differenz die Artikulation eines Problems, das unlösbar ist, aber als ein unlösbares ›begriffen‹ werden kann.« (Kamper 1973: 153) Für Kampers historische Anthropologie folgt daraus, dass sie ihren Gegenstand gleichzeitig erfassen und historisieren muss (Kamper 1998: 25). In Bezug auf die Praxis der soziologischen Differenz heißt das, dass sie nie eindeutig und endgültig identifizierbar ist, sondern sich nur in einem spezifischen Nachvollzug der Praxis der Theorie zeigt. Weil die soziologische Differenz selbst die Reflexion der Theorie in ihrer Praxis ist, bildet sie wie alle Reflexionen kein geschlossenes System, sondern einen unabschließbaren Prozess (Kamper 1973: 153). Der Nachvollzug, den ich im vierten Kapitel (4.) durch alle drei Aspekte der soziologischen Differenz geleistet habe, ist damit selbst hochgradig kontingent. Man kann es selbstverständlich anders machen. Aber das macht meine Erzählung, wie jede Erzählung (Nassehi 2009: 24) ja gerade interessant. Die kritische Absicht meines Vollzugs der soziologischen Differenz als Praxis der Theorie ist ja gerade die Öffnung der Kontingenz genau dieser Praxis und der Anstoß zur weiteren Reflexion, zu weiteren Erzählungen. Damit richte ich mich gegen ein identifizierendes Denken einzelner Soziologinnen als die Systemtheoretikerin oder als der Praxistheoretiker oder noch schlimmer: als Luhmannianer, Bourdieuianer oder Foucaultianer. Meine Frage war eben nie: Luhmann oder Bourdieu oder Foucault? Eine solche Identifizierung einzelner Individuen mit einer Praxis der Theorie, wenn sie auch häufig stattfindet, ist idiotisch im wörtlichen Sinn. Kamper (1973: 154) schreibt: »Der völlig mit sich identische Mensch wäre der total psychotische Mensch, der ›Idiot‹, Bewohner einer unvermittelbaren Eigenwelt, d.h. aber der indifferente Mensch, der keinen anderen Menschen mehr wahrnimmt und auch sich selbst nicht mehr zu akzeptieren vermag«. Es war weder mein Ziel, die Soziologie, geschweige denn die richtige Soziologie zu identifizieren und mich selbst in ihr zu verorten. Stattdessen ist es durch die kritische Haltung Foucaults möglich, die Differenz zwischen mir und den Subjekten der System- und Praxistheorie produktiv zu machen, weil ich durch sie die Welt mit unterschiedlichen soziologischen Augen sehen kann. Worauf ich in meiner Praxis verweise, ist, dass die Reflexion der Soziologie auf die grundlegende Reflexivität der Soziologie stößt. Die Form meines Vollzugs der Theorien ist dabei eng an die Ambivalenz des poststrukturalistischen Subjektverständnisses (Stäheli 2000a: 50) und des konstitutiven Machtverständnisses (Saar 2009: 574-577, 581-585) Foucaults gebunden, demzufolge ich mich unterwerfen muss, um handlungsfähig zu werden. Als invasive Introspektion (Ternes 1999) handelt es sich bei meiner immanenten Kritik der Praxis soziologischer Theorie um einen Vollzug der kritisierten Praxis der Theorie, um ihr selbstkritisches Potenzial zu entfalten. Dass
5. Die Ambivalenz der soziologischen Differenz
heißt, ich habe in der Kritik der Systemtheorie systemtheoretisch und in der Kritik der Praxistheorie praxistheoretisch argumentiert. Damit habe ich mein erstes Ziel, die Umsetzung einer immanenten Kritik auf Augenhöhe, erfüllt. Zwar habe ich die Argumentation an manchen Stellen überboten und genau dadurch subversiv unterlaufen, aber ich bin überzeugt davon, keine externe oder interne Kritik der Theorien verfasst zu haben (zur Unterscheidung siehe 3.4). Für Experten einer der kritisierten Theorien mag mein Nachvollzug dieser Theorie kaum neue Erkenntnisse gebracht habe. Ich habe mich im Wesentlichen auf bekannte und ideengeschichtlich bereits gut aufgearbeitete Denk- und Anschauungsformen innerhalb der System- und Praxistheorie bezogen. Ich habe zudem Theorien gewählt, die innerhalb des soziologischen Theoriediskurses seit Jahren etabliert sind. Mir ging es allerdings, wie ich einleitend festgestellt habe, auch nicht um Theorieentwicklung. Gleichzeitig mögen meine Ausführungen zur System- und Praxistheorie auch nicht als Einführung für Neulinge in diesen Denk- und Anschauungsformen geeignet sein. Mir ging es auch nicht um eine möglichst systematische und didaktisierte Darstellung dieser Denksysteme. Stattdessen wollte ich auf dem Feld soziologischer Theorie mit den Praxen soziologischer Theorien experimentieren und mich in einer kritischen Haltung erproben, die es mir erlaubt, von innen an die Grenzen der Praxis der Theorie zu gehen und dann diese Grenzen zu überschreiten. Dies erklärt den tentativen Charakter meiner Analyse (4.). Mit ihr habe ich mein drittes Ziel, die Öffnung der Kontingenz soziologischer Theorien, erreicht, denn ich konnte erstens – z.B. mit den alternativen Selbstverortungen in der Gesellschaft (4.2) – aufzeigen, dass andere Reflexionsformen als die, die als selbstverständlich erscheinen, möglich sind. Zweitens konnte ich die Kontingenz öffnen, indem ich selbst die Praxis der soziologischen Differenz in zwei sehr unterschiedlichen Theorien vollzogen habe. Dies gezeigt zu haben, mag wiederum für jene, die Experten im Eklektizismus und im voluntaristischen, vielleicht sogar opportunistischen Wechseln zwischen theoretischen Perspektiven sind, wenig bedeuten. Meine Arbeit richtet sich daher explizit weder an jene, die sich für eine Theorie entschieden haben, noch an jene, die voluntaristisch und eklektizistisch zwischen Theorien wechseln. Vielmehr richtet sich meine Arbeit an jene, die die Notwendigkeit der paradigmatischen Form theoretischer Forschung erkennen, weil es nur so möglich ist sich die Welt durch eine Theorie zu erschließen, die aber gleichzeitig eine Widerständigkeit gegen die verbreitete paradigmatische Form theoretischer Forschung verspüren und daher nach einem multiperspektivischen Umgang mit dem multiparadigmatischen Feld soziologischer Theorie suchen. Am Ende des langen Sommers der Theorie (Felsch 2016), mit dem auch die Form der Theorie als Existenz- und Lebensweise endete, also nach den großen Theoriedebatten der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, diagnostizierte Richard Sennett (1994) das Ende der Soziologie. Er schreibt hierzu:
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»Michel Foucault fragte mich einmal: ›Woran liegt es eigentlich, daß sich mein Horizont, wenn ich eine soziologische Abhandlung über Gefängnisse oder Einwanderer lese, eher verengt als erweitert?‹ Diese Klage war auch von manch anderem zu hören. Der gesunde Menschenverstand legt einem als Erklärung nahe, daß diese Verengung jedesmal eintritt, wenn wir ein bestimmtes Thema gründlicher und in allen Einzelheiten begreifen, doch geht der gesunde Menschenverstand hier fehl. Ein begabter Biologe kann eine scheinbar kleine Entdeckung zum Ausgangspunkt für ein vollkommen neues Naturverständnis machen; ein begabter Schriftsteller kann das Gewöhnliche und das Detail mit großer Bedeutung ausstatten. Diese Begabung zur Entfaltung ist in der gegenwärtigen soziologischen Literatur nicht sonderlich ausgeprägt; nicht wenige Soziologen bilden sich sogar einiges auf ihre Beschränktheit ein. ›Die einsame Masse‹ oder die Bücher von Foucault werden häufig als unwissenschaftlich, journalistisch oder – der schlimmste Vorwurf – als literarisch abgekanzelt.« (Sennett 1994) In dieser Frage, die Foucault an Sennett gestellt hat, kommt nicht nur die Frontenstellung zutage, die ich zwischen Foucaults kritischer Haltung und ihrem Interesse an der Öffnung von Kontingenz auf der einen Seite und andererseits dem Sog der Praxis soziologischer Theorie, der zur Schließung von Kontingenz führt, aufgemacht habe. Sie liefert mir darüber hinaus den Grund dafür, dass ich in dieser Arbeit versucht habe, die soziologische Differenz bis zum pluralistischen Paradigma zu entfalten, denn eine Soziologie, die sich in monoparadigmatischen Arbeiten verliert, droht bei gleichzeitiger Zunahme der Paradigmen tatsächlich zu zerfallen. Als paradigmatische Verunsicherungswissenschaft (Degele 2003) war die Soziologie jahrzehntelang damit beschäftigt, die scheinbar natürlichen gesellschaftlichen Verhältnisse als Konstruktion zu verstehen, zu erklären und das Selbstbild vieler zu verunsichern. In Bezug auf ihr eigenes Selbstbild, ihre Selbstdeutung und letztlich ihre Reflexionsformen konnten sich einzelne Soziologen dabei aber immer tiefer in spezifische Praxen der Theorien und Praktiken der Subjektivierung verfangen und konnten sich in einem Denkkollektiv und einem Denkstil behaglich und widerspruchslos einrichten. So stellt sich zumindest Lüschers (2017: 125) Kraft die Situation in den engen Grenzen eines Paradigmas vor. Dass die Theorien diese Möglichkeit bereithalten, habe ich in Bezug auf Systemtheorie und Praxistheorie exemplarisch plausibilisiert. Ich habe dagegen performativ vorgeführt, dass sich die eigenen theoretischen Horizonte erweitern lassen, dass man das eigene theoretische Paradigma verlassen kann, dass wir uns zwar mit voller Kraft in eine Theorie stürzen müssen, um ihre welterschließende Kraft zu nutzen, dass wir aber nicht in dieser Welt gefangen bleiben müssen. Erst dieser Vollzug führt bei mir zur Internalisation eines ›pluralistischen Paradigmas‹ (Klinkmann 1981: 255; siehe auch 3.2), was die Voraussetzung für den gleichberechtigten Gebrauch der vorhandenen Theorien ist. Was ich vor-
5. Die Ambivalenz der soziologischen Differenz
geführt habe, ist demnach eine theorieimmanente (Selbst)Kritik der Soziologie, die durch die kritische Haltung Foucaults geleistet werden kann und darauf angewiesen ist, theorieimmanente Selbstreflexionen und vor allem Selbstverunsicherungen anzustoßen. Die kritische Haltung Foucaults ermöglicht damit eine Selbstsubjektivierung in einer bedingten Freiheit auf dem multiparadigmatischen Feld der soziologischen Theorie, indem Freiheit als Fähigkeit der reflexiven Kritik der eigenen Subjektivierung (Schubert 2018) vollzogen wird. Abschließend möchte ich noch einmal meine Wertschätzung für die kritisierten Theorien betonen: Dass es möglich ist, auf dem Feld soziologischer Theorie eine solche Form von Freiheit als Kritik (Schubert 2018) auszuüben, liegt nicht nur an der kritischen Haltung Foucaults – oder etwa an meiner eigenen theoretischen Aktivität – sondern auch an den vollzogenen Theorien Niklas Luhmanns und Pierre Bourdieus, die für eine solche reflexive Kritik der eigenen Subjektivierung offen sind. In beiden Theorien liegen damit Potenziale der Welterschließung und Reflexion, der Erfindung von Welt und der Selbsterfindung, letztlich also Potenziale für eine kritische Subjektivierung in bedingter Freiheit, die von Einzelnen genutzt werden können, unabhängig davon, ob sie soziologische Wissenschaftlerinnen sind oder nicht. In diesem Sinne bleibe ich Liebhaber dieser Theorien.
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Soziologie Naika Foroutan
Die postmigrantische Gesellschaft Ein Versprechen der pluralen Demokratie 2019, 280 S., kart., 18 SW-Abbildungen 19,99 € (DE), 978-3-8376-4263-6 E-Book: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4263-0 EPUB: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-4263-6
Maria Björkman (Hg.)
Der Mann und die Prostata Kulturelle, medizinische und gesellschaftliche Perspektiven 2019, 162 S., kart., 10 SW-Abbildungen 19,99 € (DE), 978-3-8376-4866-9 E-Book: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4866-3
Franz Schultheis
Unternehmen Bourdieu Ein Erfahrungsbericht 2019, 106 S., kart. 14,99 € (DE), 978-3-8376-4786-0 E-Book: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4786-4 EPUB: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-4786-0
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Soziologie Sybille Bauriedl, Anke Strüver (Hg.)
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Juliane Karakayali, Bernd Kasparek (Hg.)
movements. Journal for Critical Migration and Border Regime Studies Jg. 4, Heft 2/2018 2019, 246 S., kart. 24,99 € (DE), 978-3-8376-4474-6
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