Humanisierung oder Rationalisierung?: Arbeiter als Akteure im Bundesprogramm „Humanisierung des Arbeitslebens“ bei der VW AG 3515128492, 9783515128490

Wie arbeiten wir morgen? Diese Frage stellten sich Politik, Wirtschaft und Gesellschaft bereits in der ökonomischen Kris

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German Pages 377 [382] Year 2020

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Table of contents :
DANK
INHALTSVERZEICHNIS
1 EINLEITUNG: EINE NEUE GESCHICHTE DER ARBEIT SCHREIBEN?
1.1 UNTERSUCHUNGSGEGENSTAND UND THESEN
1.2 FORSCHUNGSSTAND
1.3 QUELLEN UND METHODIK
1.4 THEORETISCHER RAHMEN
1.5 AUFBAU DER ARBEIT
2 ARBEITER ALS AKTEURE IM BETRIEB – IHRE HANDLUNGSMOTIVATIONEN UND RATIONALITÄTEN
2.1 ARBEITER ALS GESTALTER VON INNOVATION
2.2 ARBEITER ALS VERWEIGERER VON INNOVATION
2.3 ZWISCHENFAZIT
3 ARBEITER ALS KOOPERATIONSPARTNER – INTERAKTION UND ABSTIMMUNG MIT ANDEREN BETRIEBLICHEN AKTEUREN
3.1 GEMEINSAME HANDLUNGSBASIS: VERTRAUEN
3.2 RATIONALISIERUNG VON UNTEN: WIRTSCHAFTLICHKEIT ALS GETEILTES ZIEL
3.3 (QUALIFIKATIONS-)HIERARCHIEN: ANERKANNTE ORGANISATIONSSTRUKTUR
3.4 ZWISCHENFAZIT
4 ARBEITER ALS KONFLIKTPARTNER – AUSEINANDERSETZUNGEN ZWISCHEN BETRIEBLICHEN AKTEUREN
4.1 MENSCHENBILDER, ORDNUNGS- UND KLASSENDENKEN IM BETRIEB: GRENZEN VON QUALIFIZIERUNGSPOTENZIAL UND VERTRAUEN
4.2 B ETRIEBLICHE MACHTSTRUKTUREN: ERWEITERTE KONTROLLE, DISZIPLINIERUNG UND VERWEIGERUNG VON PARTIZIPATION
4.3 MISSTRAUEN: UNZUREICHENDE KOMMUNIKATION UND ZURÜCKHALTUNG VON INFORMATION
4.4 ZWISCHENFAZIT
5 FAZIT: SCHULTERSCHLUSS VON ARBEITER- UND UNTERNEHMENSGESCHICHTE
6 ANHANG
6.1 ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
6.2 QUELLENVERZEICHNIS
6.3 LITERATURVERZEICHNIS
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Humanisierung oder Rationalisierung?: Arbeiter als Akteure im Bundesprogramm „Humanisierung des Arbeitslebens“ bei der VW AG
 3515128492, 9783515128490

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Gina Fuhrich

Humanisierung oder Rationalisierung?

8 Geschichte Franz Steiner Verlag

Arbeiter als Akteure im Bundesprogramm „Humanisierung des Arbeitslebens“ bei der VW AG

Perspektiven der Wirtschaftsgeschichte

Perspektiven der Wirtschaftsgeschichte Herausgegeben von Clemens Wischermann und Katja Patzel-Mattern Band 8

Gina Fuhrich

HUMANISIERUNG ODER RATIONALISIERUNG? Arbeiter als Akteure im Bundesprogramm „Humanisierung des Arbeitslebens“ bei der VW AG

Franz Steiner Verlag

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung des Förderungsfonds Wissenschaft der VG WORT.

Umschlagabbildung: Teileeinleger an Schweisspresstransferstrasse im Karosseriewerk von VW um 1975 © SOFI Göttingen Archivmaterial Industrieroboter-Projekt Ordner 26 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2020 Druck: Beltz Grafische Betriebe, Bad Langensalza Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-12849-0 (Print) ISBN 978-3-515-12850-6 (E-Book)

DANK Zunächst danke ich meiner Erstgutachterin Frau Prof. Dr. Katja Patzel-Mattern, die mit ihrer engagierten Betreuung und mit vielen fruchtbaren Diskussionen, welche oft neue Fragen aufwarfen und mich zum Nachdenken sowie stichhaltigen Antworten zwangen, das Projekt in jeder Phase bereicherte und vorantrieb. Ebenso begleitete mein Zweitgutachter Herr Prof. Dr. Stefan Berger die Arbeit von Beginn an, war stets interessiert an ihrem Fortkommen und unterstützte mich konstruktiv in inhaltlichen Fragen zur Arbeiterbewegung. Gleichsam erfuhr ich auf meinen Archivreisen vielfach Unterstützung. Zuerst möchte ich Herrn Prof. Dr. Eberhard Ulich aus dem Institut für Arbeitsforschung und Organisationsberatung in Zürich meinen Dank ausdrücken, der mir die Tonbandaufnahmen des von ihm geleiteten Gruppenarbeits-Projekts bei VW überließ und diese in die Obhut des Universitätsarchivs in Heidelberg gab. Das soziologische Forschungsinstitut in Göttingen ermöglichte es mir, soziologische Interviews für meine Arbeit zu erschließen. Hier bedanke ich mich vor allem bei Herrn Prof. Dr. Otfried Mickler und Prof. Dr. Michael Schumann, die mir ihre Interviews freigaben und Herrn Jan Mielenhausen, der mich im Archiv immer freundlich unterstützte. Überdies gebührt dem Institut für Sozialforschung in Frankfurt mein Dank, da mir auch hier soziologische Interviews für meine Arbeit zugänglich gemacht wurden. Insbesondere die leider bereits verstorbene Frau Christa Sonnenfeld half mir bei der Archivarbeit stets engagiert. Außerdem möchte ich den Einsatz des Betriebsrates bei VW Salzgitter würdigen, allen voran von Frau Andrea Eckardt, die mir sowohl bei der Suche nach Zeitzeugen, als auch bei der Herstellung von wichtigen Kontakten im Unternehmen immer hilfreich zur Seite stand sowie von Herrn Ediz Nisanci, der für diese Arbeit alle Tonbandaufnahmen der Betriebsversammlungen in Salzgitter digitalisierte. Darüber hinaus spreche ich allen Zeitzeugen aus Politik, Wissenschaft und Unternehmen meinen Dank aus, die mir ihre Erfahrungen mit dem HdA-Programm schilderten und das Projekt damit bereicherten. Dank gilt ebenso dem VW Unternehmensarchiv, damals noch unter der Leitung von Herrn Dr. Manfred Grieger, dem Stadtarchiv in Wolfsburg und dem Bundesarchiv in Koblenz. Neben der wissenschaftlichen Unterstützung sind es vor allem Kollegen, Freunde und Familie, die ein jahrelang andauerndes Promotionsprojekt letztlich zum Erfolg führen. Von meinen Kolleg*innen erfuhr ich fachliche Expertise und Zuspruch in Phasen der Stagnation. Darüber hinaus möchte ich meinen Freunden und meiner Familie danken, die meine Arbeit immer gefördert und mich dabei emotional begleitet haben. Mein größter Dank gilt meinem Mann Andreas, der nie daran zweifelte, dieses Buch in Händen zu halten und mir bei allen Herausforderungen eines solchen Projekts bedingungslos den Rücken stärkte.

INHALTSVERZEICHNIS 1 EINLEITUNG: EINE NEUE GESCHICHTE DER ARBEIT SCHREIBEN? ..................................................................................................... 9 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5

Untersuchungsgegenstand und Thesen ...................................................... 19 Forschungsstand ........................................................................................ 26 Quellen und Methodik ............................................................................... 32 Theoretischer Rahmen ............................................................................... 45 Aufbau der Arbeit ...................................................................................... 51

2 ARBEITER ALS AKTEURE IM BETRIEB – IHRE HANDLUNGSMOTIVATIONEN UND RATIONALITÄTEN ..................... 53 2.1 Arbeiter als Gestalter von Innovation ........................................................ 55 2.2 Arbeiter als Verweigerer von Innovation .................................................. 84 2.3 Zwischenfazit........................................................................................... 121 3 ARBEITER ALS KOOPERATIONSPARTNER – INTERAKTION UND ABSTIMMUNG MIT ANDEREN BETRIEBLICHEN AKTEUREN ................................................................... 124 3.1 3.2 3.3 3.4

Gemeinsame Handlungsbasis: Vertrauen ................................................ 133 Rationalisierung von unten: Wirtschaftlichkeit als geteiltes Ziel ............ 154 (Qualifikations-)Hierarchien: Anerkannte Organisationsstruktur ........... 175 Zwischenfazit........................................................................................... 183

4 ARBEITER ALS KONFLIKTPARTNER – AUSEINANDERSETZUNGEN ZWISCHEN BETRIEBLICHEN AKTEUREN ................................................................................................... 186 4.1 Menschenbilder, Ordnungs- und Klassendenken im Betrieb: Grenzen von Qualifizierungspotenzial und Vertrauen ............................ 194 4.2 Betriebliche Machtstrukturen: Erweiterte Kontrolle, Disziplinierung und Verweigerung von Partizipation ............................. 231 4.2.1 Arbeiter und ihre Vorgesetzten .................................................... 234 4.2.2 Arbeiter und ihre Interessenvertretungen ..................................... 269 4.3 Misstrauen: Unzureichende Kommunikation und Zurückhaltung von Information ....................................................................................... 315 4.4 Zwischenfazit........................................................................................... 331

5 FAZIT: SCHULTERSCHLUSS VON ARBEITER- UND UNTERNEHMENSGESCHICHTE ............................................................... 334 6 ANHANG ....................................................................................................... 348 6.1 Abkürzungsverzeichnis ........................................................................... 348 6.2 Quellenverzeichnis .................................................................................. 348 6.3 Literaturverzeichnis ................................................................................. 359

1 EINLEITUNG: EINE NEUE GESCHICHTE DER ARBEIT SCHREIBEN? „Dieses Projekt geht doch in die Geschichte ein. [Die Gruppenarbeit] sollte doch ’ne Humanisierung für den kleinen Mann sein. […] Ich sehe nicht, dass es das heute ist.“ 1

Die „Humanisierung der Arbeit“ ist für den „kleinen Mann“ in der Produktion gescheitert – so die Aussage eines Arbeiters, der am Gruppenarbeits-Projekt des Bundesprogramms „Humanisierung des Arbeitslebens“ (HdA) bei VW teilnahm. Wie kam er zu dieser Einschätzung? War doch das 1974 unter Federführung des damaligen Bundesministers für Forschung und Technologie, Hans Matthöfer, initiierte Programm „Humanisierung des Arbeitslebens“2 gerade dafür gedacht, die Arbeitsqualität der Arbeiter zu verbessern und somit einen gesellschaftlichen Ausgleich in den Arbeitsbeziehungen zu ermöglichen. Demnach sollte das HdAProgramm nicht nur den Ausbau des Arbeits- und Unfallschutzes fördern, sondern auch den Einsatz neuer Technologien und Formen der Arbeitsorganisation, wie teilautonome Gruppenarbeit, die Weiterqualifizierung der Arbeiter und die Demokratisierung der Arbeitsstrukturen.3 Der Programmtext fasst die zu erreichenden Aktionsziele in vier Hauptpunkten zusammen: Erstens die „Gewinnung von Schutzdaten, Richtwerten und Anforderungskriterien“, zweitens die „Einführung humaner Arbeitstechnologien“, drittens die „Erarbeitung von beispielhaften Vorschlägen und Modellen für die Arbeitsorganisation und die Gestaltung von Arbeitsplätzen“ und viertens die „Verbreitung und Anwendung wissenschaftlicher

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Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 und G4 28.10.1976 II ab 08:59 Min. Das Programm „Humanisierung des Arbeitslebens“ lief von 1974–1989 und wurde unter der Bundesregierung von Helmut Kohl 1989 in ein neues Programm „Arbeit und Technik“ überführt sowie neu konzeptioniert. Die Fördergelder dieses Programms waren deutlich geringer. Von 2001–2006 lief das Nachfolgeprogramm unter dem Namen „Innovative Arbeitsgestaltung – Zukunft der Arbeit“ finanziert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung. Die 2006 gestartete Initiative „Gute Arbeit“ wird lediglich von den Gewerkschaften getragen. Das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft hat seit 2017 einen neuen Förderschwerpunkt zur „Zukunft der Arbeit: Mittelstand – innovativ und sozial“ eingerichtet, der sich unter anderem mit zukünftigen Formen der Arbeitsorganisation befasst. Vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung: Innovative Arbeitsgestaltung – Zukunft der Arbeit, online: Bundesministerium für Bildung und Forschung, [28.05.2018]. SEIBRING, Anne: Die Humanisierung des Arbeitslebens in den 1970er Jahren. Forschungsstand und Forschungsperspektiven, in: „Nach dem Strukturbruch“? Kontinuität und Wandel von Arbeitsbeziehungen und Arbeitswelt(en) seit den 1970er-Jahren, hrsg. v. Knud ANDRESEN/Ursula BITZEGEIO/Jürgen MITTAG, Bonn 2011, S. 108.

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Erkenntnisse.“4 Grundsätzlich ging es im Programm also auch darum, die Betriebslandschaft und den Arbeitsalltag von Arbeitern zu vermessen, um die dadurch gesammelten Daten als Grundlage für mögliche Gesetzesentwürfe und -initiativen zu nutzen.5 Auf diese Weise sollte aus Sicht der Bundesregierung in Zusammenarbeit mit Unternehmern und Wissenschaftlern eine menschengerechtere Produktion gewährleistet werden.6 Scheiterte also, wie der Gruppenarbeiter bilanzierte, der Versuch des Programms, den gesellschaftlichen Ausgleich und damit einhergehend die Verbesserung der Stellung von Arbeitern im Betrieb zu erreichen? Das Programm entstand in einer Zeit internationaler wirtschaftlicher Umbrüche. Während der 1960er und 1970er Jahre gab es eine ökonomische Anpassungskrise in zahlreichen westlichen Ländern, wie den USA, Großbritannien, Frankreich, der Bundesrepublik Deutschland (BRD) und Italien einhergehend mit dem Zerfall und endgültigen Zusammenbruch des Weltwährungssystems von Bretton Woods 1973.7 Daher galt es für die deutsche Volkswirtschaft, sich an den globalen Märkten zu positionieren und eine erneute Effizienzsteigerung im postindustriellen Zeitalter zu bewerkstelligen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung ließ daher zahlreiche arbeitswissenschaftliche Studien zu anderen europäischen Ländern anstellen, wie England, Norwegen, Schweden und Italien. Vor allem die ausländische Automobilindustrie mit Herstellern wie Fiat oder Saab Scania stand im Fokus der Studien.8 Die angenommene „technologische Lücke“ gegenüber den USA sollte durch eine aktive Forschungs- und Technologiepolitik der BRD geschlossen werden.9 Dieser wirtschaftliche Wandel deutete sich schon in den 1960er Jahren an, jedoch wird er in einigen geschichtswissenschaftlichen Forschungen erst in den 1970er Jahren verortet und als „Strukturbruch“ bezeichnet.10 Er beinhaltet unter anderem einen Wandel in der Arbeitswelt mit der Abkehr von fordistischer Massenproduktion hin zu einer flexibleren Fertigung mit schnell wechselnden Produktserien und größerer Produktvielfalt sowie den Niedergang einst wirtschaftlicher Leitsektoren, wie der Kohle- und Stahlindustrie. Allerdings, so die Annahme dieser Arbeit, lagen zumindest dessen Vorboten schon im Jahrzehnt zuvor und wurden auch von 4

BArch, B 149/27879, Forschungsaktionsprogramm zur Humanisierung des Arbeitslebens Februar 1974, S. 5f. 5 Ebd., S. 43f. 6 SEIBRING, ANNE 2011, Humanisierung, S. 108. 7 BUCHHEIM, Christoph: Vom alten Geld zum neuen Geld. Währungsreformen im 20. Jahrhundert, in: Geschichte der deutschen Wirtschaft im 20. Jahrhundert, hrsg. v. Reinhard SPREE, München 2001, S. 141f. 8 BArch, B 149/41675, Forschung zur Humanisierung des Arbeitslebens. 9 TRISCHLER, Helmuth: „Made in Germany“: Die Bundesrepublik als Wissensgesellschaft und Innovationssystem, in: Modell Deutschland. Erfolgsgeschichte oder Illusion?, hrsg. v. Thomas HERTFELDER/Andreas RÖDDER, Göttingen 2007, S. 53ff. 10 DOERING-MANTEUFFEL, Anselm/LUTZ, Raphael: Nach dem Boom. Perspektiven auf die Zeitgeschichte seit 1970, Göttingen 2008; HOBSBAWM, Eric: Das Zeitalter der Extreme. Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts, München/Wien 51997; JARAUSCH, Konrad (Hrsg.): Das Ende der Zuversicht? Die siebziger Jahre als Geschichte, Göttingen 2008.

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den Politikern und Wirtschaftseliten registriert. Daher förderte die Regierung gemeinsam mit Unternehmensverbänden und Gewerkschaften Forschungen des Rationalisierungs-Kuratoriums der Deutschen Wirtschaft (RKW) zu den wirtschaftlichen Wandlungsprozessen im Programm „Wirtschaftliche und soziale Aspekte des technischen Wandels in der Bundesrepublik Deutschland“ zwischen 1963 und 1968, welche die Auswirkung der fortschreitenden Automation auf die Arbeitswelt untersuchten.11 Das RKW war ein Zusammenschluss von Arbeitgebern, Gewerkschaften und dem Staat, um die Produktivität und die Wettbewerbsfähigkeit der bundesdeutschen Wirtschaft zu erhalten und zu fördern.12 Die Forschungsergebnisse bildeten die Grundlage für das spätere HdA-Programm.13 Dies belegen etwa das vom RKW schon 1973 abgehaltene Symposium zum Thema „Humanisierung des Arbeitslebens“ und der gemeinsam mit dem Bundesarbeitsministerium veröffentlichte Tagungsband.14 Ebenso wie das RKW war die 1967 ins Leben gerufene Konzertierte Aktion ein politisches Gremium, in dem Politiker, Gewerkschaften und Arbeitgeber gemeinsam Lösungen für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Umbruchsituation suchten. Auch deren Mitglieder teilten die Ansicht, dass der Strukturwandel nur gemeinsam bestritten werden könne und somit war die Konzertierte Aktion ein Teil des in den 1970er Jahren vorherrschenden, bundesdeutschen Korporatismus15. Die Teilnehmer der Konzertierten Aktion erkann11 KERN, Horst/SCHUMANN, Michael: Industriearbeit und Arbeiterbewußtsein (Studienreihe des Soziologischen Forschungsinstituts Göttingen 8), Frankfurt am Main 21973, S. 9. 12 Die Entstehungsgeschichte des RKW geht bis in die Weimarer Republik zurück. Hier wurde es 1921 unter dem Namen „Reichskuratorium für Wirtschaftlichkeit in Industrie und Handwerk“ gemeinsam von Politikern und Unternehmern mit der Aufgabe gegründet, die Rationalisierungsbemühungen der deutschen Wirtschaft zu bündeln. In Nachfolge des Reichskuratoriums für Wirtschaftlichkeit konstituierte sich 1950 der Verein „RationalisierungsKuratorium der Deutschen Wirtschaft e. V.“ (RKW), um den Aufbau der deutschen Nachkriegswirtschaft voranzutreiben. Im Jahre 2000 folgte die Umbenennung des Vereins in Rationalisierungs- und Innovationszentrum der Deutschen Wirtschaft. POHL, Manfred: Die Geschichte der Rationalisierung. Das RKW 1921–1996, online: RKW Bundesverein, [28.05.2018]. 13 Ebd. 14 ARENDT, Walter: Humanisierung des Arbeitslebens. Symposium des RKW zu Möglichkeiten neuer Formen der Arbeitsorganisation, Frankfurt am Main 1973. 15 Ab den 1980er Jahren verlor der Staat mit der neoliberalistischen Wende als Problemlöser an Legitimität und die Kooperation von Gewerkschaften, Politikern und Unternehmensverbänden in Gremien auf Makroebene zur Lösung der zentralen wirtschaftlichen Probleme verschwand, wohingegen sie auf der Mikroebene etwa in einzelnen Ressorts wie der öffentlichen Gesundheit zumindest teilweise bestehen blieb. Durch den Neoliberalismus gewann das Individuum gegenüber dem Kollektiv an Bedeutung und Konflikt, Differenz, Deregulierung sowie Wettbewerb erhielten eine Aufwertung. Somit gab der Staat nur noch die Rahmenbedingungen vor und der moderne Korporatismus in dieser Form fand bezüglich der Thematik Arbeit vorerst sein Ende. Erst 1998 lebte dieser in Form des Bündnisses für Arbeit aufgrund der wirtschaftlichen Krise und der hohen Arbeitslosigkeit unter der rot-grünen Bundesregierung wieder auf. Vgl. REHLING, Andrea: Konfliktstrategie und Konsenssuche in der Krise. Von der Zentralarbeitsgemeinschaft zur Konzertierten Aktion (Historische Grundlagen der Moderne Historische Demokratieforschung 3), Baden-Baden 2011, S. 434f. und S. 446f.; MÜLLER, Se-

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ten den Wandel der Wirtschaft bedingt durch die Einführung neuer Produktionstechnologien, wie Mikroprozessoren und gestiegene Arbeitsanforderungen, waren aber davon überzeugt, dass die Automation die Arbeitsplätze, welche sie vernichtete, an anderer Stelle zugleich neu entstehen ließ. Insofern ging es ihnen vor allem darum, die Arbeitskräfte in die neu entstandenen Stellen zu lenken und die Automation human zu gestalten. Die Härten und Einseitigkeiten der Rationalisierungswellen in der Weimarer Republik der 1920er Jahre sollten durch die gezielte Vorbereitung der Menschen auf den Strukturwandel, etwa durch Ausbildung und Tätigkeitserweiterung, abgefedert werden.16 Auch diese Vorstellungen waren richtungsweisend für das HdA-Programm. Es stellte eine Form politischer Krisenbewältigung in Demokratien dar, welche versuchte, die Anpassungskrise einiger Wirtschaftszweige durch Bundesgelder und beschäftigungspolitische Programme abzumildern und den Bürgern als notwendig zu vermitteln. Für den Umbau veralteter Produktionsregime in der Industrie galt es, sich die Unterstützung aller Akteure zu sichern.17 Das HdA-Programm blieb damit in seiner Organisationsweise dem Kooperationsgedanken des RKWs oder der Konzertierten Aktion treu und stellte einen Vermittlungspunkt für die unterschiedlichen wirtschaftlichen Interessenslagen dar. Folglich schuf das staatliche Aktions- und Forschungsprogramm Beteiligungsstrukturen, welche Unternehmensleitung, Betriebsräte und Gewerkschaften mit einschlossen, indem etwa der Betriebsrat eines Unternehmens der Durchführung eines Projektes zustimmen musste oder jede dieser drei Instanzen Projekte beim Bund beantragen konnte.18 Der eigens eingerichtete Projektträger des HdA-Programms, angegliedert an das Bundesministerium für Forschung und Technologie (BMFT) entschied zwar, wohin die Gelder flossen und welche Projekte bewilligt wurden, die Ausdifferenzierung der Projekte und ihr Erfolg hingegen hingen jedoch von der Kooperation zwischen Arbeitnehmern, Arbeitgebern, Interessenvertretungen und beteiligten Wissenschaftlern im jeweiligen Betrieb ab und unterlagen kaum der Kontrolle des Projektträgers.19 Insofern diente das Programm sowohl zum innerbetrieblichen Austausch der Akteure als auch zum Ausgleich der betrieblichen Interessenslagen. Es lief von 1974 bis 1989. Die vom

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bastian: Der Anbruch des Neoliberalismus. Westdeutschlands wirtschaftspolitischer Wandel in den 1970er-Jahren, Wien 2016, S. 187f.; FICKINGER, Nico: Der verschenkte Konsens. Das Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit 1998–2002, Wiesbaden 2005, S. 21f. REHLING, ANDREA 2011, Konfliktstrategie und Konsenssuche in der Krise, S. 368; HAUG, Frigga: Automation in der BRD, Berlin 1975; TRABALSKI, Karl: Automation – neue Aufgaben für Betriebsräte und Gewerkschaften (Arbeits- und betriebskundliche Reihe 5), Köln 1967. HERTFELDER, Thomas: „Modell Deutschland“ – Erfolgsgeschichte oder Illusion?, in: Modell Deutschland. Erfolgsgeschichte oder Illusion?, hrsg. v. Thomas HERTFELDER/Andreas RÖDDER, Göttingen 2007, S. 9. BArch, B 196/31215, Protokoll der konstituierenden Sitzung des Fachausschusses „Humanisierung des Arbeitslebens“ am 09.07.1975 in Bonn, S. 6. HEIBLER, Markus: Unternehmens- und Arbeitsstrukturen von Automobilkonzernen im Wandel. Die Beispiele Daimler, Volkswagen und General Motors (Schriften aus der Fakultät Humanwissenschaften der Otto-Friedrich-Universität Bamberg 6), Bamberg 2010, S. 314f.

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BMFT zur Verfügung gestellten Mittel stiegen von 11,3 Millionen DM im Jahre 1974 auf 107,3 Millionen DM im Jahre 1982.20 Von 1974 bis 1981 wurden vom BMFT im Rahmen des HdA-Programms Projekte im Umfang von 690 Millionen DM bewilligt.21 Für ein neuentwickeltes, bis dahin einzigartiges Aktions- und Forschungsprogramm war dies ein beachtliches Budget, gemessen an den 6,9 Milliarden DM Gesamtausgaben für Forschung und Entwicklung des BMFT im Jahre 1982 stellte es hingegen nur einen kleinen Anteil dar.22 Dennoch listet das BMFT in der Übersicht zu seinen Förderungsmaßnahmen im HdA-Programm 1978 schon 341 Zuwendungsempfänger der Programmgelder auf, darunter zahlreiche Großkonzerne wie AEG, Bosch, Bayer AG, Thyssen AG, Krupp GmbH, Ruhrkohle AG und Volkswagen AG (VW AG).23 Das Programm startete in der BRD während einer Zeit wirtschaftlicher Verunsicherung, denn die 1970er Jahre waren gekennzeichnet von ökonomischen Krisen, die eine sinkende Inlandsnachfrage und Beschäftigung bei gleichbleibender Inflation auslösten.24 Die Arbeitslosenzahlen stiegen 1975 erstmalig über die Eine-Million-Marke und die trotz wachsender Staatsverschuldung rasch beschlossenen Wirtschaftsprogramme der sozialliberalen Bundesregierung verzeichneten nur mäßigen Erfolg.25 Vor dem Hintergrund der gerade überwundenen Rezession der Jahre 1966/67 schien die Wirtschaftskrise von 1973 die Ängste des endgültigen Niedergangs der eigenen Prosperität in der bundesdeutschen Gesellschaft zu bestätigen. Die Industrie reagierte mit massiven Rationalisierungsschüben, Entlassungen sowie Kurzarbeit und die Arbeiterschaft mit Streiks.26 Das verstärkte noch einmal die gesellschaftlichen Spannungen, welche sich schon seit den 1960er Jahren im wachsenden Protest der Studenten, der Friedens-, Frauen-, Ökologie- und Bürgerrechtsbewegungen und der Streiks der Arbeiter aufgrund zunehmender

20 Bundesminister für Forschung und Technologie/Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Forschung zur Humanisierung des Arbeitslebens. Dokumentation, Bonn 1987, S. 132. 21 BArch, B 196/127493, Programm „Humanisierung des Arbeitslebens“ – Anhörung im FTAusschuß am 11.10.1982, S. 1. 22 MÜLLER, Stefan: Humanisierung der Arbeitswelt 1.0. Historisch-kritische Befragung eines Reformprogramms der Neunzehnhundertsiebzigerjahre, in: Solidarität im Wandel der Zeiten – 150 Jahre Gewerkschaften, hrsg. v. Willy BUSCHAK, Essen 2016, S. 267; BMFT/BMAS 1987, Forschung zur Humanisierung des Arbeitslebens, S. 132. 23 IfS Frankfurt A 117 Ordner 3 DFVLR – Leiter der Projektträgerschaften Humanisierung des Arbeitslebens und Produktions- und Fertigungstechnik: Förderungsmaßnahmen des Bundesministers für Forschung und Technologie im Rahmen des Programms „Humanisierung des Arbeitslebens“ Stand 01. Januar 1978. 24 METZ, Rainer: Expansion und Kontraktion. Das Wachstum der deutschen Wirtschaft im 20. Jahrhundert, in: Geschichte der deutschen Wirtschaft im 20. Jahrhundert, hrsg. v. Reinhard SPREE, München 2001, S. 76. 25 HOCKERTS, Hans Günter: Vom Problemlöser zum Problemerzeuger? Der Sozialstaat im 20. Jahrhundert, in: Der Sozialstaat in der Krise. Deutschland im internationalen Vergleich, hrsg. v. Friedhelm BOLL/Anja KRUKE, Bonn 2008, S. 16f. 26 JÜRGENS, Ulrich/MALSCH, Thomas/DOHSE, Knuth: Moderne Zeiten in der Automobilfabrik. Strategien der Produktionsmodernisierung im Länder- und Konzernvergleich, Berlin u. a. 1989, S. 20f.

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Rationalisierung und Intensivierung der Arbeit manifestierten.27 Durch die Arbeiterproteste gewannen vor allem die Qualität des Arbeitslebens und damit einhergehend verbesserte Arbeitsbedingungen in der Öffentlichkeit an Bedeutung. So diskutierte etwa die Industriegewerkschaft Metall (IG Metall) auf ihrer vierten internationalen Arbeitstagung zu Automationsfragen unter dem Motto „Qualität des Lebens“ und im Bundeswahlkampf 1972 forderte die SPD eine „bessere Qualität des Lebens.“28 Die in den 1950er und 1960er Jahren in der Politik, in den Unternehmerverbänden und in den Gewerkschaften vorherrschende Erwartung, dass sich die Qualität des Arbeitslebens im Zuge des technischen Fortschritts praktisch von selbst verbessere, erfüllte sich nicht.29 Insofern bedurfte es nun in den 1970er Jahren politischer Gesetze, um jenes Ziel zu erreichen und den gesellschaftlichen Frieden zu gewährleisten. Der Staat trug mit der Neufassung des Betriebsverfassungsgesetzes 1972, dem Arbeitssicherheitsgesetz 1973 sowie dem Mitbestimmungsgesetz 1976 diesen Forderungen Rechnung.30 Folglich versuchte das HdA-Programm einerseits dem wirtschaftlichen Strukturwandel entgegenzuwirken und vor allem die von ihm besonders betroffenen Industriezweige, wie Kohle- und Stahlindustrie sowie Automobil- und Textilindustrie, durch die Umverteilung von Ressourcen zu unterstützen und andererseits die Arbeitnehmer durch verbesserte Arbeitsbedingungen und Arbeitsqualität weiterhin in das wirtschaftliche System einzubinden. Gerade die Automobilindustrie war aufgrund ihrer Massenproduktion am Fließband für den Einsatz neuer Produktionstechnologien und den Versuch neuer Arbeitsstrukturen für das Programm prädestiniert. Außerdem kommt der Automobilindustrie bis heute eine große Bedeutung für die deutsche Industrie und ebenso für das deutsche Selbstverständnis zu. Seit den 1950er Jahren hatte sich die Automobilindustrie in der BRD zur Vorzeige- und Wachstumsbranche entwickelt. Sie gilt als Schlüsselindustrie, da sie auf zahlreiche andere Wirtschaftssektoren ausstrahlt, etwa Rohstofflieferanten von Stahl oder Aluminium sowie Zulieferunternehmen von Reifen oder Batterien.31 Insbesondere mit dem „VW Käfer“ verbanden ganze Generationen das „Wirt-

27 SAUER, Dieter: Von der „Humanisierung der Arbeit“ zur Debatte um „Gute Arbeit“. Die gesellschaftliche Diskussion um Arbeitsbedingungen, in: Aus Politik und Zeitgeschichte (APUZ) 15 (2011), S. 18; STADLER, Friedrich: Das Jahr 1968 als Ereignis, Symbol und Chiffre gesellschaftlicher und wissenschaftlicher Konfliktzonen, in: Das Jahr 1968. Ereignis, Symbol, Chiffre, hrsg. v. Oliver RATHKOLB/Friedrich STADLER, Göttingen 2010, S. 9ff. 28 MÜLLER, STEFAN 2016, Humanisierung der Arbeitswelt 1.0, S. 256; Friedrichs, Günter (Hrsg.): Qualität des Lebens. Aufgabe Zukunft; Beiträge zur 4. internationalen Arbeitstagung der Industriegewerkschaft Metall für die Bundesrepublik Deutschland 11.–14.04.1972 in Oberhausen, Frankfurt am Main 1972. 29 SAUER, DIETER 2011, Von der „Humanisierung der Arbeit“ zur Debatte um „Gute Arbeit“, S. 18. 30 Ebd., S. 20. 31 KASISKE, Rolf: Krisen sind programmiert. Zur wirtschaftlichen Entwicklung der Automobilindustrie und VW, in: Wohin läuft VW? Die Automobilproduktion in der Wirtschaftskrise, hrsg. v. Reinhard DOLESCHAL, Reinbek bei Hamburg 1982, S. 84.

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schaftswunder“ und eine neue Gesellschaftsordnung.32 Wenngleich die Branche in den 1970er Jahren eine massive Krise durchlebte, knüpften die Autobauer in den 1980er Jahren an ihre Erfolgsgeschichte an. Die deutsche Automobilindustrie hatte 1980 einen größeren Umsatz als die chemische oder elektrotechnische Industrie sowie der Maschinenbau und war damit der umsatzstärkste Wirtschaftszweig. Sie gehörte gemessen an den Beschäftigtenzahlen zum drittgrößten Industriezweig der BRD.33 Allein bei der VW AG arbeiteten im Jahr 1984 238.353 Mitarbeiter.34 In den folgenden Jahrzehnten stieg der Konzern zum Weltmarktführer auf. Doch in den 1970er Jahren war gerade VW als Symbolunternehmen des deutschen Wirtschaftswunders stark von der ersten Ölpreiskrise 1974/75 betroffen und musste sich einer Marktanpassung unterziehen, Produktionsveränderungen vornehmen und innovative Produkte, etwa neue Fahrzeugmodelle wie den Passat oder den Golf konzipieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben. 35 Es folgten umfassende Rationalisierungsmaßnahmen, unter anderem Entlassungen, Kurzarbeit oder die Einführung neuer Produktionstechnologien, wie die Industrieroboter.36 Gleichzeitig zu dieser umfassenden Rationalisierung führte das Unternehmen seit 1974 mehrere Projekte innerhalb des Bundesprogramms „Humanisierung des Arbeitslebens“ durch.37 Diese Verbindung zwischen Humanisierung und Rationalisierung sowie der Symbolcharakter des Unternehmens als Teil des deutschen Wirtschaftswunders, die öffentliche Hand als großer Anteilseigner des Unternehmens und die einzigartige Quellenlage machen VW zum geeigneten Analyseobjekt.38 Nun stellt sich die Frage, ob der gesellschaftliche Ausgleich und damit ein-

32 BAUER, Reinhold: Ölkrisen und Industrieroboter. Die siebziger Jahre als Umbruchphase für die Automobilindustrie in beiden deutschen Staaten, in: Das Ende der Zuversicht? Die siebziger Jahre als Geschichte, hrsg. v. Konrad JARAUSCH, Göttingen 2008, S. 69; RIEGER, Bernhard: The people’s car. A global history of the Volkswagen Beetle, Cambridge Mass. u. a. 2013, S. 124f. 33 KASISKE, ROLF 1982, Krisen sind programmiert, S. 85. 34 VWW: Bericht über das Geschäftsjahr 1984, S. 1. 35 BAUER, REINHOLD 2008, Ölkrisen und Industrieroboter, S. 70. 36 ENGELEN, Ute: Demokratisierung der betrieblichen Sozialpolitik? Das Volkswagenwerk in Wolfsburg und Automobiles Peugeot in Sochaux 1944–1980 (Wirtschafts- und Sozialgeschichte des modernen Europa 2), Baden-Baden 2013, S. 300. 37 Zusätzlich zum Gruppenarbeits-Projekt und den beiden Industrieroboter-Projekten führte VW folgende HdA-Projekte durch: BArch, B 228/7649, Projekt zur Entwicklung keramischer Turbinenbauteile für Autogasturbinen bei VW Wolfsburg über 1 Million DM; BRUMLOP, Eva: Arbeitsbewertung bei flexiblem Personaleinsatz. Das Beispiel Volkswagen AG (Schriftenreihe „Humanisierung des Arbeitslebens“ 71), Frankfurt am Main 1986 oder LACHER, Michael: Die Fort- und Weiterbildung von Montagearbeitern/-innen. Voraussetzungen und Perspektiven am Beispiel der Volkswagen AG; Zwischenbericht – Projekt Fort- und Weiterbildung (Beiträge zur Arbeiterbildung 2), Recklinghausen 1987. 38 Am 22.08.1960 wurde aus Volkswagen die Volkswagenaktiengesellschaft und somit die erste Volksaktie der BRD. 60 % der Aktien waren in privater Hand und 40 % der Aktien beim Bund sowie dem Land Niedersachen zu jeweils 20 %. Vgl. GRIEGER, Manfred/GUTZMANN, Ulrike/SCHLINKERT, Dirk (Hrsg.): Volkswagen Chronik. Der Weg zum Global Player (Historische Notate 7), Wolfsburg 2008, S. 58; SCHÜTZ, Erhard: Der Volkswagen, in: Deutsche

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hergehend die Stärkung der Position der Arbeiter im Unternehmen mit den ambitionierten Zielen des Programms in einer krisengeplagten Zeit und in einer sich veränderten Arbeitswelt funktionierten. Auch aktuell befindet sich die Arbeitswelt in einem Umbruch zur digitalisierten Arbeitsgesellschaft. Dabei sind die Diskussionen über die „Qualität der Arbeit“, verbesserte Arbeitsbedingungen und der Umgang mit neuen Produktionstechnologien ebenso brisant wie in den 1970er Jahren. Desgleichen gibt es aktuelle Initiativen, die an das HdA-Programm anknüpfen, zum Beispiel die gewerkschaftliche Kampagne der „Guten Arbeit“ seit 2006 oder den politischen Förderschwerpunkt „Zukunft der Arbeit: Mittelstand – innovativ und sozial“ des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft seit 2017, der sich unter anderem mit zukünftigen Formen der Arbeitsorganisation befasst.39 Erneut sind Bundesregierung, Gewerkschaften, Unternehmer und Wissenschaftler gefordert, Lösungen für veränderte Arbeitsbedingungen unter dem Wettbewerbsdruck der globalen Wirtschaft zu finden. Allerdings fehlen im Gegensatz zu den 1970er Jahren bis jetzt der wirtschaftliche und politische Konsens aller beteiligten Akteure und eine gemeinsame Zielvorstellung.40 Außerdem bleiben diese neuen Initiativen weit hinter den Ansprüchen des HdA-Programms zurück. Die Besonderheit dieses Programms lag vor allem in seiner geförderten betrieblichen Umsetzung, an der alle Akteursgruppen im Unternehmen mitwirkten. Die Auseinandersetzung mit einem vergangenen Reformprogramm macht Potenziale und Grenzen eines solchen Gestaltungsprozesses sichtbar. Sie stärkt das Bewusstsein von Handlungsmöglichkeiten angesichts der Situation ökonomischer Umbrüche. Dies erscheint insbesondere im Hinblick auf die Arbeiter relevant, die in Umstrukturierungsprozessen häufig das Gefühl eigener Ohnmacht entwickeln. Insofern analysiert die vorliegende Forschungsarbeit ihr Handeln und zeigt anhand des HdA-Programms, wo und in welcher Form Einflussnahmen möglich waren. Daraus können Anregungen für aktuelles Handeln gewonnen werden, etwa die notwendige Teilhabe aller betrieblichen Akteure an der erfolgreichen Gestaltung und Überwindung von Krisen sowie die Herstellung des dafür notwendigen Interessenausgleichs. Zudem stellt das Handeln von Arbeitern im Betrieb in der Neueren Geschichte eine Leerstelle in der Forschung dar. Häufig wurde nur über die Arbeiter gesprochen, etwa von Unternehmensleitung oder ihren Interessenvertretungen, aber sie kamen selten selbst zu Wort. Insofern ist es ein Anliegen dieser Arbeit, den Erinnerungsorte. Eine Auswahl, hrsg. v. Etienne FRANÇOIS/Hagen SCHULZE, München 2005, S. 351–368. 39 SAUER, DIETER 2011, Von der „Humanisierung der Arbeit“ zur Debatte um „Gute Arbeit“, S. 24; Bundesministerium für Bildung und Forschung: Richtlinien zur Förderung von Maßnahmen für den Forschungsschwerpunkt „Zukunft der Arbeit: Mittelstand – innovativ und sozial“ im Rahmen des FuE-Programms „Zukunft der Arbeit“ als Teil des Dachprogramms „Innovationen für die Produktion, Dienstleistung und Arbeit von morgen“, online: Bundesministerium für Forschung und Bildung, [18.12.2018]. 40 SAUER, DIETER 2011, Von der „Humanisierung der Arbeit“ zur Debatte um „Gute Arbeit“, S. 23.

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Arbeitern aus den HdA-Projekten eine Stimme zu verleihen. Bisher haben sowohl Unternehmer als auch Gewerkschaften, Politiker und betriebliche Interessenvertretungen ihre Position und Einschätzung über Erfolg oder Misserfolg des Programms kundgetan. Die Arbeiter selbst jedoch konnten in der öffentlichen Diskussion außerhalb ihrer Interessenvertretungen kein Gehör finden. Diese Untersuchung möchte nun eine Unternehmensgeschichte „von unten“ statt einer weiteren Geschichte „von oben“ schreiben. Dieses aus der Alltagsgeschichte und den Geschichtswerkstätten entstandene Konzept wird bei der Methodik zur Oral History genauer erläutert. Für die Arbeit bedeutet dies, dass die Arbeiter tatsächlich zu Wort kommen im Sinne von Zitaten und Meinungsäußerungen in ihrer eigenen Sprechweise und ihren eigenen Worten. Daher werden ihre Aussagen originalgetreu in gebrochenem Deutsch oder Umgangssprache wiedergegeben. Darüber hinaus ist in der aktuellen Diskussion immer wieder vom „Niedergang der Beschäftigungsgruppe der Arbeiter“ zu lesen.41 Die Debatte suggeriert, dass diese Beschäftigtengruppe in der BRD fast verschwunden ist. Allerdings passt diese Annahme nicht zu den offiziellen Angaben des Statistischen Bundesamtes. 2011 waren knapp 39 Millionen Menschen in Deutschland erwerbstätig. Davon entfielen 56,9 % auf die Beschäftigtengruppe der Angestellten und 26,2 % auf die der Arbeiter. Dies bedeutet, dass es 2011 mehr als 10 Millionen Arbeiter in der BRD gab. Gleichwohl ihre Zahl in den folgenden Jahren zeitweise auf circa 9 Millionen sank, bleibt sie mit weitem Abstand die zweitgrößte Beschäftigungsgruppe in Deutschland.42 Insofern dient die Untersuchung ebenso dazu, die Bedeutung dieser Beschäftigungsgruppe hervorzuheben und sie durch die historische Analyse des Wandels ihrer Arbeitswelt in den 1970er Jahren erneut in den Fokus der geschichtswissenschaftlichen Forschung zu rücken. Die Analyse ist, indem sie die klassische Unternehmensgeschichte mit der Arbeitergeschichte verbindet, daher vor allem als ein Beitrag zur neuen Geschichte der Arbeit zu verstehen. Durch die Verbindung dieser beiden sonst strikt getrennten Fachdisziplinen können einerseits die Bedeutung des Handelns von Arbeitern im Unternehmen und für dessen Erfolg herausgestellt und andererseits Kooperation und Konflikt innerhalb der unterschiedlichen Hierarchieebenen im Betrieb dargelegt werden. Darüber hinaus ermöglicht es dieser Ansatz alte Dichotomien aufzubrechen. So wurde die Geschichte der Arbeit der 1970er Jahre bisher entweder als Untergangs- oder Erfolgsgeschichte geschrieben. Für die negative Bewertung ist zumeist das Verschwinden von Normalarbeitsverhältnissen Bezugspunkt, wohingegen es die Konzentration auf die zeitgleich eingeführte Auto41 Vgl. DOERING-MANTEUFFEL, Anselm/LUTZ, Raphael: Der Epochenbruch in den 1970erJahren: Thesen zur Phänomenologie und den Wirkungen des Strukturwandels „nach dem Boom“, in: „Nach dem Strukturbruch“? Kontinuität und Wandel von Arbeitsbeziehungen und Arbeitswelt(en) seit den 1970er-Jahren, hrsg. v. Knud ANDRESEN/Ursula BITZEGEIO/Jürgen MITTAG, Bonn 2011, S. 27. 42 Bundeszentrale für politische Bildung: Zahlen und Fakten – Die soziale Situation in Deutschland. Erwerbstätige nach Stellung im Beruf, online: Bundeszentrale für politische Bildung, [29.11.2018].

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mation erlaubte eine Erfolgsgeschichte von wirtschaftlichem Wachstum und erleichterter Arbeitsbedingungen zu konstruieren.43 Die Untergangs- und Erfolgserzählung gilt gleichermaßen für das HdA-Programm. Während etwa die Gewerkschaften das Programm als weitgehend gescheitert ansehen, da sie darin eher eine Technologieförderung sahen, betrachten Wirtschaftswissenschaftler und Politiker das Programm für den Erhalt der Produktivität der BRD als erfolgreich. 44 Die neue Geschichte der Arbeit möchte diese Dichotomie von Erfolg oder Untergang in den 1970er Jahren aufbrechen. Das geschieht durch einen Perspektivwechsel. Anstatt die großen Akteure, wie Gewerkschaften, Politik oder Unternehmensverbände auf der Makroeben zu betrachten, rücken nun die betrieblichen Aushandlungsprozesse in den Fokus der Geschichtswissenschaft und ermöglichen damit eine differenzierte Einschätzung der Prozesse auf der Mikroebene. Wie fruchtbar dieser Ansatz ist, soll die folgende Untersuchung darlegen. Ferner sensibilisiert die Betrachtung historischer Reformprogramme für die Komplexität ökonomischer Gestaltungsprozesse. Die Forschungsarbeit stellt dar, wie ein politisches Programm an konkrete Ansprüche und Erfordernisse vor Ort angepasst wird, indem Aushandlungsprozesse auf betrieblicher Ebene in den Fokus rücken. Dieses Wissen trägt dazu bei, in der aktuellen Diskussion eine kritische Distanz gegenüber pauschalisierenden Lösungsvorschlägen zu entwickeln. Es stärkt die Bereitschaft zu konkretem problembezogenem Handeln, das wesentlich für die Ausgestaltung komplexer Reformvorhaben ist und kann Möglichkeiten von Arbeitsgestaltungspolitik in Umbruchsituationen erkennbar machen. Zu guter Letzt möchte diese Arbeit neue Quellengattungen für die Geschichtswissenschaft erschließen und sie methodisch nutzbar machen. So werden Tonbandaufnahmen und soziologische Experteninterviews als historische Quellen erschlossen.

43 URBAN, Hans-Jürgen: Arbeiterbewegung heute: Wandel der Arbeit – Wandel der Bewegung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte (APUZ), 40–41 (2013), S. 42f.; KOCKA, Jürgen: Thesen zur Geschichte und Zukunft der Arbeit, in: Aus Politik und Zeitgeschichte (APUZ), 21 (2001), S. 11f. 44 LOMPE, Klaus: Gewerkschaftliche Politik in der Phase gesellschaftlicher Reformen und der außenpolitischen Neuorientierung der Bundesrepublik 1969–1974, in: Geschichte der Gewerkschaften in der Bundesrepublik Deutschland. Von den Anfängen bis heute, hrsg. v. Hans HEMMER/Kurt Thomas SCHMITZ, Köln 1990, S. 306; MÜLLER, Stefan: Das Forschungs- und Aktionsprogramm „Humanisierung des Arbeitslebens“ (1974–1989), in: „Humanisierung der Arbeit“. Aufbrüche und Konflikte in der rationalisierten Arbeitswelt des 20. Jahrhunderts, hrsg. v. Nina KLEINÖDER/Stefan MÜLLER/Karsten UHL, Bielefeld 2019, S. 68f.; PÖHLER, Willi: Fünf Jahre Humanisierungsprogramm im Bereich des Bundesministeriums für Forschung und Technologie, in: … damit die Arbeit menschlicher wird. Fünf Jahre Aktionsprogramm Humanisierung des Arbeitslebens (HdA), hrsg. v. Willi PÖHLER, Bonn 1979, S. 21f.; KREIKEBAUM, Hartmut/HERBERT, Klaus-Jürgen: Humanisierung der Arbeit. Arbeitsgestaltung im Spannungsfeld ökonomischer, technologischer und humanitärer Ziele, Wiesbaden 1988, S. 210f.

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1.1 UNTERSUCHUNGSGEGENSTAND UND THESEN Die skizzierte Verschränkung eines politischen Programms zur Gestaltung strukturellen Wandels und gesellschaftlicher Befriedung mit konkreten Reformvorhaben auf Unternehmensebene bildet den Ausgangspunkt dieser Untersuchung. Der Ansatz, die Ausgestaltung des bundesweiten Programms auf Projektebene zu betrachten, verspricht Erkenntnisse darüber, welche Faktoren für die Akzeptanz im Betrieb ausschlaggebend waren. Damit geht der Ansatz zugleich davon aus, dass Unternehmen als zentrale Organisationsform kapitalistischer Ökonomien den Ort verkörpern, an dem wirtschaftspolitische Reformvorhaben umgesetzt werden. Folglich setzt die Analyse voraus, dass die Umsetzung des programmatischen Entwurfs im Betrieb die reale Dimension von HdA bestimmte. Der Betrieb stellte den zentralen Ansatzpunkt von Maßnahmen zur „Humanisierung des Arbeitslebens“ im Rahmen des Programms dar. Daher vereinten die Betriebsprojekte bis 1980 ca. 61 % der Fördersumme auf sich.45 Die Arbeit untersucht die Umsetzung des HdA-Programms anhand des Gestaltungsprojektes „Gruppenarbeit in der Motorenmontage“ bei VW Salzgitter und der Einführung von Industrierobotern bei VW Wolfsburg und Hannover. Die Projekte decken zwei bedeutende Dimensionen des Programms ab, nämlich die Einführung neuer Arbeitsstrukturen und Arbeitstechnologien. Das GruppenarbeitsProjekt war ein Meilenstein des HdA-Programms und eines der ersten und meist rezipierten Reformprojekte des Bundes.46 Mit ihm sollte ermittelt werden, ob die Gruppenarbeit als eine Alternative zur Fließbandproduktion fungieren konnte. Industrieroboter verkörperten die im Programm geförderten zukunftsträchtigen menschengerechten Arbeitstechnologien und waren desgleichen ein Symbol für den technologischen Wandel in den 1970er Jahren, da die „menschenleere Fabrik“ nun etwa bei VW Wirklichkeit werden sollte.47 Sie dienten als ein wichtiges Element zur „Modernisierung der Volkswirtschaft“ in den 1970er Jahren. 48 Die Politik sah die neuen Technologien als Hilfsmittel zur Bewältigung des Strukturwandels.49 Dies bestätigt auch das vom BMFT initiierte Programm „Neue Technologien“, durch das die Bundesregierung schon Anfang der 1970er Jahre massiv die Förderung neuer Technologien vorantrieb.50 Den Technologien kamen hierbei folgende Aufgaben zu:

45 SALFER, Peter/FURMANIAK, Karl: Das Programm „Forschungen zur Humanisierung des Arbeitslebens“, in: Mitteilungen aus Arbeitsmarkt- und Berufsforschung 3 (1981), S. 238. 46 Matthöfer, Hans: Humanisierung der Arbeit und Produktivität in der Industriegesellschaft (Demokratischer Sozialismus in Theorie und Praxis), Frankfurt am Main 1977, S. 137–144. 47 O. A.: Zukunft in menschenleeren Hallen. Personal-Denkspiele im Volkswagen-Konzern, in: Der Spiegel, 28.05.1984, S. 18. 48 MÜLLER, STEFAN 2016, Humanisierung der Arbeitswelt 1.0, S. 259. 49 TRISCHLER, HELMUTH 2007, „Made in Germany“, S. 55. 50 BArch, B 196/57424, Entwurf eines Konzeptes zur Bewertung und Auswahl von Fördervorhaben im Rahmen des Programms „Neue Technologien“ des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft vom 24.09.1970, S. 2.

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Einleitung „Verbesserung des Konsumgüterangebots, Erhöhung der Arbeitsproduktivität, Verbesserung der Wirtschaftlichkeit von Produktionsverfahren, Ausgleich von Wettbewerbsnachteilen und Ausgleich von Rückständen im Vergleich zu konkurrierenden Ländern.“ 51

Das HdA-Programm fungierte als Teil dieser Technologieförderung zur Stärkung des Wettbewerbs und wurde gleichzeitig als Lösung für eine menschengerechtere Arbeit gesehen. Daher förderte die Bundesregierung im Programm explizit „Pilotprojekte, bei denen unzuträgliche Belastungen von Beschäftigen durch den Einsatz von Industrierobotern beseitigt bzw. gemindert werden“ sollten.52 Während die Industrieroboter-Projekte Begleitprojekte waren, die eher die betrieblichen Bedingungen bei der Einführung neuer Produktionstechnologien widerspiegelten und somit den Handlungsrahmen der normalbetrieblichen Strukturen für die Arbeiter bedeuteten, war das Gruppenarbeits-Projekt ein Gestaltungsprojekt, das ihnen neue Verhandlungsspielräume bot, aber auch andere Grenzen setzte. In der Analyse werden daher die unterschiedlichen Projektarten verglichen und deren Auswirkungen auf die Arbeiter dargelegt. Der offiziellen Lesart einiger zeitgenössischer gewerkschaftlicher, arbeits-, politik- und sozialwissenschaftlicher Abhandlungen der 1980er Jahre folgend scheiterte das Programm.53 Es gilt die Frage zu beantworten, ob und wenn ja warum das Programm auf betrieblicher Ebene in den Projekten scheiterte. Tat es dies vollumfänglich oder gab es auch erfolgreich implementierte Elemente? Wie oben angedeutet, stehen die Arbeiter als Handlungssubjekte im Fokus der Arbeit. Daher wird ihre Wahrnehmung vom Erfolg oder Misserfolg des Programms kritisch hinterfragt und als Referenzpunkt genutzt. Dies ist sinnvoll, da einerseits das Programm als Zielgruppe die Arbeiter im Betrieb hatte und andererseits den Arbeitern als Akteursgruppe aufgrund ihrer Anzahl in Industrieunternehmen eine quantitative Relevanz für die Umsetzung zukam. Analysiert wird, in welcher Weise Arbeiter in Kooperation oder Konflikt mit anderen Akteuren im Betrieb das Pro51 Ebd., S.13. 52 BArch, B 196/107951, Programm Fertigungstechnik 1984–87 der Bundesregierung am 26.08.1983, S. 10. 53 Vgl. HELLSTERN, Gerd-Michael (Hrsg.): Experimentelle Politik – Reformstrohfeuer oder Lernstrategie. Bestandsaufnahme und Evaluierung (Beiträge zur sozialwissenschaftlichen Forschung 27), Opladen 1983; BARTÖLKE, Klaus (Hrsg.): Humanisierung und Begleitforschung. Probleme der Begleitforschung in Projekten zur Humanisierung des Arbeitslebens (Schriften zu Macht, Konflikt, technischem und sozialem Wandel in Organisationen 2), Spardorf 1982; TRAUTWEIN-KALMS, Gudrun/GERLACH, Gerhard: Gewerkschaften und Humanisierung der Arbeit. Zur Bewertung des HdA-Programms (Schriftenreihe Humanisierung des Arbeitslebens 5), Frankfurt Main u. a. 1980, S. 201ff.; BERNSCHNEIDER, Wolfgang: Staat, Gewerkschaft und Arbeitsprozeß. Zur „Politisierung“ und zum Legitimationspotential staatlichen Handelns (Beiträge zur sozialwissenschaftlichen Forschung 84), Wiesbaden 1986, S. 268ff.; BISPINCK, Reinhard u. a.: Humanisierung der Arbeit und ihre Umsetzung. Ergebnisse und Erfahrungen beim Aufbau einer gewerkschaftlichen Informationsvermittlungsstelle (WSI-Studie zur Wirtschafts- und Sozialforschung 55), Köln 1986, S. 1–3; DIDICHER, Walter: Die umstrittene Humanisierung der Arbeit. Gesellschaftspolitische und betriebliche Strategien von Staat, Gewerkschaft, Privatwirtschaft (Campus Forschung 185), Frankfurt am Main 1981, S. 133ff.

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gramm mitgestalteten und warum sie dazu in der Lage waren. Also welche Faktoren des Programms ermöglichten oder erschwerten ihnen ihr Handeln in den HdA-Projekten und traten Rationalisierung und Humanisierung als Gegenpole in ihnen hervor oder bildeten sie eher eine Symbiose? Die Analyse ist demnach auch eine Vermessung des Handlungsrahmens der Arbeiter. Daran anknüpfend geht die erste These der Untersuchung davon aus, dass die Arbeiter aktiv die Einführung von Innovationen54, wie neue Arbeitsstrukturen oder Technologien, mitgestalteten und somit Konstrukteure des Unternehmenserfolgs waren. Diese These steht in Verbindung mit der Frage, welche Akteure zum Unternehmenserfolg beitragen und gliedert sich daher an die neue Unternehmensgeschichte an, die alle betrieblichen Gruppen als bedeutend für diesen ansehen.55 Für die Gestaltung von Innovation hatten die Arbeiter unterschiedliche Handlungsmotivationen, die weit über die eigene Kosten-Nutzen-Maximierung hinaus gingen. So beförderten Arbeiter die Einführung von Innovation etwa aufgrund von Arbeitserleichterung trotz geringerem Lohn oder verweigerten diese wegen des Auseinanderbrechens sozialer Gefüge am Arbeitsplatz. Da die Arbeiter in die Unternehmensstrukturen eingebettet waren und in Beziehung und Austausch mit anderen Akteuren im Unternehmen, z. B. Vorgesetzten, Werksleitung oder Betriebsräten standen, dürfen sie nicht nur als Akteure in ihrer Eigenlogik betrachtet werden. Vielmehr sind sie zudem in ihrer Interaktion mit den anderen Akteuren und in ihrer Einbindung in die Unternehmensstrukturen zu begreifen. Dadurch offenbaren sich geteilte Ziele der Arbeiter mit ihren Vorgesetzten, wie der Erfolg des Unternehmens, aber auch Konfliktfelder, etwa aufgrund der betrieblichen Machtstrukturen. Hieraus leitet sich die zweite These der Arbeit ab: Die Einbindung der Arbeiter im Unternehmen und ihre Partizipationsmöglichkeiten in den HdA-Projekten stellen zentrale Faktoren dar, die über Ko54 Definition Innovation: Bezeichnet in dieser Arbeit eine organisatorische oder technische Veränderung im Unternehmen, wie die Einführung und Anwendung neuer Arbeitsorganisationen und Produktionstechnologien, etwa Gruppenarbeit oder Industrieroboter. Ganz allgemein bezeichnet Innovation mit „technischem, sozialem und wirtschaftlichem Wandel einhergehende Neuerungen.“ Sie hat immer einen prozesshaften Charakter. Vgl. BAUER, Reinhold: Gescheiterte Innovationen. Fehlschläge und technologischer Wandel (CampusForschung 893), Frankfurt am Main 2006, S. 11f.; Gabler Wirtschaftslexikon: Definition Innovation, online: https://wirtschaftslexikon.gabler.de, [23.08.2018]. 55 NIEBERDING, Anne: Neuere Ansätze der Unternehmenskommunikation seit den 1980er Jahren, in: Unternehmenskommunikation deutscher Mittel- und Großunternehmen. Theorie und Praxis in historischer Perspektive, hrsg. v. Clemens WISCHERMANN, Dortmund 2003, S. 10; HAHNE, Anton: Kommunikation in der Organisation. Grundlagen und Analyse – ein kritischer Überblick, Opladen 1998; WISCHERMANN, Clemens: Kooperation, Vertrauen und Kommunikation. Ein Rahmenmodell des Unternehmens auf institutionenökonomischer Grundlage oder was macht ein Unternehmen handlungsfähig?, in: Unternehmenskommunikation deutscher Mittel- und Großunternehmen. Theorie und Praxis in historischer Perspektive, hrsg. v. Clemens WISCHERMANN, Dortmund 2003, S. 86ff.; NIEBERDING, Anne: Unternehmenskultur im Kaiserreich. J. M. Voith und die Farbenfabriken vorm. Friedr. Bayer & Co (Schriftenreihe zur Zeitschrift für Unternehmensgeschichte 9), München 2003, S. 18.

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operation und somit über das Gelingen des betrieblichen Wandels oder über Konflikt und damit über das Scheitern der Reformen entschieden. Partizipation ist hierbei als ein Wechselspiel zu verstehen insofern, als dass einerseits Partizipationsmöglichkeiten von den Vorgesetzten gewährt werden mussten und andererseits die Arbeiter diese auch wahrnahmen und sich einbrachten, anstatt die Teilhabe zu verweigern. Die Untersuchung kann durch die besondere Quellenlage die konkreten Kooperationen und Konflikte benennen und zeigen, welche Auslöser ihnen zugrunde lagen. Außerdem gelingt es zu beantworten, ob diese Konflikte historisch, also in der Wirtschafts- oder Unternehmensgeschichte begründet waren und sich eventuelle Generalisierungen für die betriebliche Aushandlung und erfolgreiche Implementierung von Reformen treffen lassen. Die dritte These betrifft den Prozess der Rationalisierung. Sie sollte anders als in den 1920er Jahren sozial gestaltet werden und nicht mit gesellschaftlichen Verwerfungen einhergehen. Das HdA-Programm war hierfür ein geeignetes Instrument, denn Rationalisierung blieb, ebenso wie in der Weimarer Republik, nach Ansicht von Politik und Wirtschaft das geeignete Mittel, um die Wirtschaftskrisen und den Strukturwandel zu überwinden. Dieser wirtschaftliche Wandel sollte allerdings mit sozialem Ausgleich einhergehen, um die Systemstabilität zu erhalten, was das HdA-Programm ermöglichte. Es beinhaltete eine umfassende Verbesserung des Arbeitsschutzes und wurde, ähnlich wie die Wirtschaftskrise der Weimarer Republik, von neuen Arbeitssicherheits- und Mitbestimmungsgesetzen flankiert.56 Einerseits zeigt sich also eine Tradition, wirtschaftliche Krisen durch Rationalisierung zu überwinden und diese zugleich mit der Verbesserung der Arbeitsbedingungen zu verknüpfen. Andererseits ging das HdA-Programm in den 1970er Jahren weit über diese Tradition hinaus. Es schloss zudem eine aktive Innovations- und Wissenschaftspolitik mit ein, die Innovationspotenziale in den Betrieben im Zusammenspiel mit wissenschaftlichen Erkenntnissen offenlegen und fördern sollte. Das Programm unterstützte die Einführung neuer Produktionstechnologien, gleichfalls wie in der Weimarer Republik, aber in den 1970er Jahren wurden diese den Arbeitern durch betriebliche Projekte in der Produktion nähergebracht und angepasst. Das HdA-Programm war somit ein Instrument, die Arbeiter auf den Wandel zu einer flexiblen, technisierten Produktion vorzubereiten und die Härten dieser Entwicklung abzufedern. Der Begriff der Rationalisierung wird wie folgt charakterisiert: Erstens beschreibt er eine zweckorientierte (Um)-Gestaltung von Arbeitsprozessen bei der Planung, Herstellung und Vermarktung von Gütern, zweitens fallen darunter Maßnahmen, die der Produktivitätssteigerung und der Wirtschaftlichkeitssteigerung dienen, drittens stehen finanzielle Kosten bei der Durchführung im Vordergrund sowie viertens die Steigerung der Effizienz durch Technisierung, Automatisierung, veränderte Arbeitsorganisation oder ressourcenschonende Produktion. Es geht also um die 56 KLEINÖDER, Nina: Unternehmen und Sicherheit. Strukturen, Akteure und Verflechtungsprozesse im betrieblichen Arbeitsschutz der westdeutschen Eisen- und Stahlindustrie nach 1945 (Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Beihefte 234), Stuttgart 2015, S. 19; S.113f. und S.117f.

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Beseitigung von innerbetrieblichen Unwirtschaftlichkeiten.57 Die Untersuchung stellt darüber hinaus die vorgenommenen Zuschreibungen und das Verständnis der betrieblichen Akteure dieses Begriffs in den unterschiedlichen Kontexten der Analyse heraus. Die vierte These bezieht sich auf die Makroebene und damit die Kontextualisierung des HdA-Programms in die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Prozesse der 1970er Jahre. Es war zum einen Antwort auf die wirtschaftliche und gesellschaftliche Umbruchsituation und zum anderen auf die bestehende Systemkonkurrenz zwischen der BRD und der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) im Kalten Krieg. Dies kann sowohl aus der Verwendungsgeschichte des Begriffs Humanisierung und dessen Bedeutung in der BRD als auch unter anderem an den öffentlichen Äußerungen der politischen und wirtschaftlichen Akteure in den 1950er und 1970er Jahren gezeigt werden. Hierauf gehen die Kapitel 3 und Kapitel 4 sowie die folgende Begriffserklärung von Humanisierung näher ein.58 Der Begriff Humanisierung stellt in der Arbeit einen Quellenbegriff dar. Was Humanisierung war und was nicht, liegt im Ermessen und der Wahrnehmung der zeitgenössischen Akteure. Allerdings lässt sich aus der Bedeutung des Wortes „Humanität“ – der Mensch an sich und das, was ihm eigen ist – insofern ableiten, dass das Programm den arbeitenden Menschen als Zielgruppe in den Fokus stellte. Zudem ist bemerkenswert, in welchen Kontexten der Begriff in den früheren Jahrzehnten der BRD genutzt wurde. So tauchte er etwa 1953 in den „Gedanken zur sozialen Ordnung“ von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) auf. In dieser Abhandlung warben die deutschen Arbeitgeber für das Konzept der sozialen Marktwirtschaft im Kontrast zum System des Sozialismus. Für sie existierte eine „menschenwürdige Sozialordnung“ nur in der sozialen Marktwirtschaft.59 Überdies sollte die „Humanisierung, die Wahrung der Menschenwürde und die Pflege der Persönlichkeitswerte der Mitarbeiter“ den „Inhalt der sozialen Betriebsgestaltung“ bilden und nicht eine „mißverstandene Demokratisierung des Betriebes“.60 Demzufolge wurde die eher auf individuelle Arbeitsverhältnisse abzielende Humanisierung in der sozialen Marktwirtschaft der kollektiven Demokratisierung der betrieblichen Beziehungen im Sozialismus gegenübergestellt. Darüber hinaus fand der Begriff in den 1950er Jahren vor allem bei Arbeitswissenschaftlern und Arbeitspsychologen Anwendung. Der Psychologe August Vetter stellte auf der Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft für soziale Betriebsgestaltung 1952 in Heidelberg Humanisierung in Zusammenhang mit dem Sozialismus. Seiner Ansicht nach war „das größte Hemmnis für eine echte Humanisierung des betrieblichen Zusammenlebens […], daß sowohl von seiten des Un-

57 Vgl. Wirtschaftslexikon: Definition Rationalisierung, online: www.wirtschaftslexikon24.com, [23.08.2018]. 58 Meyer-Dohm, Peter (Hrsg.): Technischer Wandel und Qualifizierung: Die neue Synthese (Schriftenreihe Humanisierung des Arbeitslebens 90), Frankfurt am Main u. a. 1987. 59 Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (Hrsg.): Gedanken zur sozialen Ordnung, Köln 1953, S. 7. 60 Ebd., S. 13.

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ternehmertums als auch von seiten der Gewerkschaft der „Sozialismus“ oft lediglich als Wirtschaftsforderung aufgefaßt“ werde. „Ohne die Bedeutung des Lohnwesens, der Versorgung oder des Mitbestimmungsrechtes gerade in ihrer Auswirkung auf die seelische Verfassung […] muß doch nachdrücklich betont werden, daß es sich in der sozialen Bewegung keineswegs nur um äußere Notstände handelt, sondern im Grund um einen gegen die drohende Entseelung des Daseins gerichteten Aufstand der menschlichen Wesenstiefe.“61

Daher trat er für einen „betrieblichen Humanismus“ innerhalb der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der BRD ein.62 Die Humanisierung wurde also schon in den 1950er Jahren als wichtige Kennziffer der betrieblichen Arbeit im Kapitalismus und der bundesdeutschen Demokratie diskutiert. Insofern liegt die Vermutung nahe, dass der Begriff für das Forschungs- und Aktionsprogramm in den 1970er Jahren herangezogen wurde, um daran anzuknüpfen. Da die Forschungsarbeit das HdA-Programm mit anderen früheren Reformund Austauschgremien, wie der Zentralarbeitsgemeinschaft und der Konzertieren Aktion, in Bezug auf Umbruchsituationen und Überwindung von Krisen durch wirtschaftliche und politische Akteure in Verbindung setzt, bedarf es einer Definition des Begriffs der Krise. Die Arbeit geht von einem umfassenden Krisenbegriff aus und charakterisiert sie als „einen Verlust von Vertrauen in überkommene Steuerungsmechanismen.“63 Wichtig für diese Analyse ist, dass etwa Wirtschaftskrisen nicht nur wirtschaftliche, sondern auch gesellschaftliche Auswirkungen mit sich bringen und diesen meist mehrere Auslöser und komplexe Prozesse zugrunde liegen. So kann etwa die Krise der Weimarer Republik nur im Zusammenspiel mit den Nachwirkungen des Ersten Weltkrieges, den gesellschaftlichen Spannungen und dem Einbruch des Wirtschaftswachstums vollständig erklärt werden. Ebenso verhält es sich mit den Krisenzeiten der 1950er und 1970er Jahre. Die Arbeit plädiert also für einen umfänglichen Krisenbegriff, der sich nicht ausschließlich auf konjunkturelle Schwankungen bezieht. Darüber hinaus werden die Bezeichnungen Arbeiter und Werker als Synonyme verwendet. Die Bezeichnung Werker ist eine Selbstbeschreibung der Arbeiter bei VW, die in den Quellen häufig auftaucht. Außerdem findet für die allgemeine Benennung die männliche Schreibweise Verwendung. Diese Tatsache orientiert sich insbesondere daran, dass die Mehrheit der an den HdA-Projekten bei VW teilnehmenden Arbeitern männlich war, ebenso wie der überwiegende Teil der Gesamtbelegschaft VWs in den 1970er Jahren.64 Allerdings wird an Stellen, an denen Frauen als Akteurinnen und Interviewte in Erscheinung treten, die weibliche Schreibweise genutzt. Außerdem bezieht sich die Formulierung „die Arbeiter“ 61 Vetter, August: Der Mensch im Umbruch unserer Zeit, Heidelberg 1952, S. 6. 62 Ebd., S. 6. 63 PATZEL-MATTERN, Katja: Krisen und Unfälle: Institutionen zwischen Beharrung und Lernen, in: Studienbuch institutionelle Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte, hrsg. v. Clemens WISCHERMANN u. a., Stuttgart 2015, S. 240. 64 VWW: Menschen im Blickpunkt. Sozialbericht der Volkswagenwerk Aktiengesellschaft für das Jahr 1982, S. 9.

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nicht auf alle Arbeiter bei VW oder der BRD, sondern lediglich auf die in den analysierten HdA-Projekten teilnehmenden Arbeiter. Der Begriff der Arbeitnehmer schließt sowohl Arbeiter als auch (höhere) Angestellte mit ein. Überdies ist es wichtig, die Bezeichnung „Arbeiterklasse“ und den Konflikt zwischen „Arbeit und Kapital“ kurz zu erläutern. Obwohl die „Arbeiterklasse“ in den 1970er Jahren nicht mehr als geschlossene Einheit bestand, war der Begriff unter den Arbeitern in den Projekten weiterhin präsent. Er variierte in seinem Gebrauch zwischen einer sozialen Zuschreibung, also der Zugehörigkeit zu einer Gruppe und einer politischen Zuschreibung im Sinne der Arbeiterbewegung65 oder der Interessenvertretung, wie einer Gewerkschaft. Sowohl die soziale Identifikation als auch die politische Mobilisierung waren situationsabhängig. Insofern wird „Klasse“ im jeweiligen Kontext erläutert, in den die Arbeiter den Begriff setzten und in dem sie ihn gebrauchten. Darüber hinaus existierte im Bewusstsein der Arbeiter, wie angedeutet, zudem der „Kampf zwischen Kapital und Arbeit“ in den Projekten. An diversen Stellen rekurrierten sie auf den Konflikt zwischen Lohnarbeitern auf der einen und Unternehmern auf der anderen Seite. Der Ausdruck, welcher auf den Begründer des Marxismus Karl Marx im 19. Jahrhundert zurückgeht und dessen Ideen in Verbindung mit dem Sozialismus und dem Kommunismus standen, bezog sich vor allem auf die Ausbeutung der Lohnarbeiter durch die Unternehmer. Da dieser „Kampf“ in den 1970er Jahren in der BRD durch die Sozialpartnerschaft und die anerkannten Interessenvertretungen der Arbeiter, wie Gewerkschaften oder Betriebsräte in dieser Form nicht mehr bestand, wird ebenso die Nutzung der Bezeichnung unter den Arbeitern in bestimmten Situationen kontextualisiert und erläutert.66 Darüber hinaus werden die Bezeichnungen „Betriebsleitung“ und „Werksleitung“ für die Leitung in den jeweiligen Werken, wie Salzgitter oder Hannover, synonym verwendet. Der Begriff der Unternehmensleitung bezieht sich hingegen auf den Vorstand in der Zentrale in Wolfsburg.

65 1863 wurde der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein gegründet und markierte damit den Beginn der politischen Arbeiterbewegung in Deutschland. 1869 folgte die Gründung der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, die sich 1890 in Sozialdemokratische Partei Deutschland (SPD) umbenannte. Seit ihrer Entstehung bewarben und thematisierten die politischen Arbeitervereine und Arbeiterparteien die Solidarität innerhalb der Arbeiterschaft. Insofern war diese ein wichtiges Element des politischen Selbstverständnisses der Arbeiterbewegung und wird daher in der Analyse immer wieder aufgegriffen. Vgl. STEFFENS, Horst: Einführung in die Ausstellung, in: Durch Nacht zum Licht? Geschichte der Arbeiterbewegung 1863–2013; Katalog zur Großen Landesausstellung 2013 Baden-Württemberg, hrsg. v. Torsten BEWERNITZ/Horst STEFFENS, Mannheim 2013, S. 11; WELSKOPP, Thomas: „Die Einigkeit, das ist der Funke, der alles zusammenschmilzt…“. Die deutsche Arbeiterbewegung von 1863–1890, in: Durch Nacht zum Licht? Geschichte der Arbeiterbewegung 1863–2013; Katalog zur Großen Landesausstellung 2013 Baden-Württemberg, hrsg. v. Torsten BEWERNITZ/Horst STEFFENS, Mannheim 2013, S. 85f. 66 PLUMPE, Werner: Kapital und Arbeit. Konzept und Praxis der industriellen Beziehungen im 20. Jahrhundert, in: Geschichte der deutschen Wirtschaft im 20. Jahrhundert, hrsg. v. Reinhard SPREE, München 2001, S. 178f. und S. 183f.

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1.2 FORSCHUNGSSTAND Trotz der zentralen Rolle, die dem HdA-Programm und seiner betrieblichen Umsetzung für die Wirtschaftsgeschichte der BRD zukommt und trotz seiner wissenschaftsgeschichtlichen Bedeutung für die Soziologie und insbesondere die Arbeitswissenschaften, stellt seine historische Erforschung ein Desiderat dar. Die Forschungsarbeit trägt dazu bei, diese Lücke zu schließen. Außerdem entwirft die Analyse den Arbeiter als eigenständiges Subjekt im Unternehmen, das eigene Handlungsmotivationen entwickelt und ein zentrales Element im Produktionsprozess darstellt. Die Geschichte der Arbeit und der Arbeitsbeziehungen wurde bis in die 1980er Jahre hinein anhand von Strukturen und Kollektiven, wie Arbeiterklasse, Arbeiterbewegung oder Gewerkschaftsmitgliedschaft erforscht.67 Allerdings verschwanden „die Arbeiterklasse“ und „die Arbeiterbewegung“ durch den Wandel der Arbeitswelt von der Industrie- zu einer Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft sowie durch die kulturwissenschaftliche Wende immer mehr aus dem Fokus der Forschung. Somit trat die Analyse von Produktionsprozessen ab den 1980er Jahren in den Hintergrund.68 Darüber hinaus erreichte die klassische Arbeiterbewegungsgeschichte durch die Krise der sozialistischen Staaten ebenso wie die deutsche marxistische Arbeitsgeschichte durch die DDR und ihren Untergang einen Tiefpunkt.69 Der Historiker Francis Fukuyama sprach gar vom Ende der Geschichte.70 Doch auch die Arbeitsgeschichte insgesamt büßte durch die in den 1980er Jahren populäre Annahme vom „Ende der Arbeitsgesellschaft“ an Bedeutung ein. Einige Wissenschaftler prognostizierten aufgrund der fortschreitenden Technisierung und der steigenden Arbeitslosigkeit ab den 1970er Jahren ein Ende der Erwerbsgesellschaft.71 Erst durch die Analyse von Unternehmens- und Alltagskulturen gelangte die Arbeitergeschichte erneut in die Forschung. 72 Nun wur67 LÜDTKE, Alf: Geschichte und Eigensinn, in: Alltagskultur, Subjektivität und Geschichte. Zur Theorie und Praxis von Alltagsgeschichte, hrsg. v. Heike DIEKWISCH, Münster 1994, S. 143. 68 BITTLINGMAYER, Uwe/BAUER, Ullrich: Strukturierende Vorüberlegungen zu einer kritischen Theorie der Wissensgesellschaft, in: Die „Wissensgesellschaft“. Mythos, Ideologie oder Realität?, hrsg. v. Uwe BITTLINGMAYER/Ullrich BAUER, Wiesbaden 2006, S. 14f.; CASTEL, Robert: Die Krise der Arbeit. Neue Unsicherheiten und die Zukunft des Individuums, Hamburg 2011. 69 PIRKER, Theo: Vom „Ende der Arbeiterbewegung“, in: Das Ende der Arbeiterbewegung in Deutschland? Ein Diskussionsband zum 60. Geburtstag von Theo Pirker, hrsg. v. Rolf EBBINGHAUSEN/Friedrich TIEMANN, Opladen 1984, S. 39f. 70 FUKUYAMA, Francis: Das Ende der Geschichte. Wo stehen wir?, München 1992, S. 12f. 71 DETTLING, Warnfried: Diesseits und jenseits der Erwerbsarbeit, in: Geschichte und Zukunft der Arbeit, hrsg. v. Jürgen KOCKA/Claus OFFE, Frankfurt am Main/New York 2000, S. 204f. 72 Vgl. HOMBURG, Heidrun: Rationalisierung und Industriearbeit. Arbeitsmarkt, Management, Arbeiterschaft im Siemens-Konzern Berlin 1900 –1939 (Schriften der Historischen Kommission zu Berlin 1: Beiträge zu Inflation und Wiederaufbau in Deutschland und Europa 1914– 1924), Berlin 1991; MOMMSEN, Hans/GRIEGER, Manfred: Das Volkswagenwerk und seine Arbeiter im Dritten Reich, Düsseldorf 1996; ADAM, Thomas: Arbeitermilieu und Arbeiterbewegung in Leipzig 1871–1933 (Demokratische Bewegungen in Mitteldeutschland 8), Köln

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den vor allem das Leben der Arbeiter und ihr Alltag auch abseits der Fabrik erforscht, etwa ihre Wohnverhältnisse, die Freizeitgestaltung und ihre Bildungswege.73 Die Neue Geschichte der Arbeit möchte die Arbeitergeschichte neu beleben, indem sie von alten Strukturen wie Klassenkampf oder Arbeiterklasse abrückt und die Akteure in den Fokus stellt. Arbeiter werden nicht mehr als homogenes Kollektiv gefasst, sondern in der Heterogenität ihres Handelns begriffen. Neue Differenzkategorien wie Geschlecht, Herkunft oder Alter gewinnen an Bedeutung, die eine Binnendifferenzierung der Arbeiterklasse ermöglichen.74 Für die Analyse sind daher insbesondere die Monografien von Stéphane Beaud und Jürgen Schmidt grundlegend, da sie Arbeiter als eigenständige Akteure fassen und ihre unterschiedlichen Handlungsmotivationen beschreiben.75 Beauds Analyse setzt sich darüber hinaus mit Automobilarbeitern bei Peugeot in den 1980er Jahren auseinander und bezieht nicht nur die Produktionsbedingungen in seine Forschung mit ein, sondern auch die schulische Bildung der Arbeiter sowie das konfliktäre Verhältnis von Arbeitern und ihren Interessenvertretungen. Die 2019 erschienene Monografie von Jens Beckmann zur Selbstverwaltung von Arbeitern beim Uhrenhersteller Lip ist ebenso relevant für die Analyse.76 Zum einen stützt sich Beckmann in seiner Untersuchung teilweise auf Quellen, welche Arbeiter selbst produziert haben, etwa Sitzungs- und Diskussionsprotokolle. Zum anderen beschreibt er ihren betrieblichen Kampf um Selbstverwaltung, den er mit der zeitgenössischen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lage in Frankreich verknüpft. Der Betrieb bildet bei ihm, gleichermaßen wie in dieser Analyse, den Austragungsort wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Konflikte.77 Außerdem legt die Neue Geschichte der Arbeit das Augenmerk auf einen kooperatistischen Ansatz der Arbeitsbeziehungen, anstatt auf die in der älteren historiographischen Arbeitsforschung dargelegte scharfe Trennung zwischen „Arbeit und Kapital“.78 Dies geschieht durch einen Perspektivwechsel: Die konkreten

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1999; WELLHÖNER, Volker: „Wirtschaftswunder“ – Weltmarkt – westdeutscher Fordismus. Der Fall Volkswagen (Theorie und Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft 12), Münster 1996. TENFELDE, Klaus (Hrsg.): Arbeiter im 20. Jahrhundert (Industrielle Welt 51), Stuttgart 1991; KOCKA, Jürgen/SCHMIDT, Jürgen: Arbeiterleben und Arbeiterkultur. Die Entstehung einer sozialen Klasse (Geschichte der Arbeiter und der Arbeiterbewegung in Deutschland seit dem Ende des 18. Jahrhunderts hrsg. von Gerhard A. RITTER 3), Bonn 2015. VAN DER LINDEN, Marcel: Einleitung, in: Grenzüberschreitende Arbeitergeschichte. Konzepte und Erkundungen, hrsg. v. Marcel VAN DER LINDEN, Leipzig 2010, S. 20. Vgl. BEAUD, Stéphane/PIALOUX, Michel: Die verlorene Zukunft der Arbeiter. Die PeugeotWerke von Sochaux-Montbéliard (Edition discours 33), Konstanz 2004; SCHMIDT, Jürgen: Arbeiter in der Moderne. Arbeitsbedingungen Lebenswelten Organisationen, Frankfurt am Main 2015. BECKMANN, Jens: Selbstverwaltung zwischen Management und „Communauté“. Arbeitskampf und Unternehmensentwicklung bei LIP in Besançon 1973–1987, Bielefeld 2019. Ebd., S. 34; S. 54f. oder S. 149f. Vgl. FRANZ, Albrecht: Kooperation statt Klassenkampf? Zur Bedeutung kooperativer wirtschaftlicher Leitbilder für die Arbeitszeitsenkung in Kaiserreich und Bundesrepublik (Per-

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Aushandlungsprozesse im Betrieb rücken in den Fokus geschichtswissenschaftlicher Untersuchungen. Wie ertragreich ein solcher Ansatz sein kann, dokumentiert der Sammelband „Der Betrieb als sozialer und politischer Ort“.79 Den hier vom Historiker Knud Andresen exemplarisch erprobten Vorschlag einer mikrohistorischen Analyse des HdA-Programms in einem Unternehmen nimmt die Forschungsarbeit auf und erweitert ihn um institutionalistische Perspektiven. Damit können die Aushandlungsprozesse auf betrieblicher Ebene mit den gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen des Unternehmens und deren Einflüsse auf dieses in Beziehung gesetzt werden. Das HdA-Programm ist in seiner Bedeutung für eine Geschichte der Arbeit der alten BRD weitgehend unerforscht. In der historiografischen Forschung taucht das Programm bisher vor allem als Randgebiet der innenpolitischen Reformen der sozialliberalen Koalition auf.80 Eine Ausnahme in doppelter Hinsicht stellt die betriebswissenschaftliche Arbeit von Hartmut Kreikebaum und Klaus Herbert81 dar. Sie untersucht das HdA-Programm im internationalen Vergleich und erweitert damit politik- wie nationalgeschichtliche Perspektiven. Monografien, die sich ausschließlich dem HdA-Programm widmen, sind hingegen meist zeitgenössische Überblickswerke oder Begleitforschungen zu den einzelnen Projekten aus den 1970er und 1980er Jahren.82 Sie dienen dem Vorhaben als Quellen und zur Kontextualisierung der Rahmenbedingungen der HdA-Projekte. Insbesondere sind hier die Berichte zu den HdA-Projekten aus der Grünen Reihe des Bundesministeriums für Forschung und Technologie zu den drei untersuchten Projekten bei VW hervorzuheben, auf die im Kapitel 1.3 näher eingegangen wird.83 Anhand ihrer ist

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spektiven der Wirtschaftsgeschichte 4), Stuttgart 2014; für die ältere Arbeitsforschung: KOCKA, Jürgen: Klassengesellschaft im Krieg. Deutsche Sozialgeschichte; 1914–1918 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 8), Göttingen 1973; FOSTER, John: Class struggle and the industrial revolution. Early industrial capitalism in 3 English towns, London 1974; THOMPSON, Edward: Die Entstehung der englischen Arbeiterklasse, Frankfurt am Main 1987. ANDRESEN, Knud u. a. (Hrsg.): Der Betrieb als sozialer und politischer Ort. Studien zu Praktiken und Diskursen in den Arbeitswelten des 20. Jahrhunderts (Reihe Politik- und Gesellschaftsgeschichte 98), Bonn 2015. BÖKENKAMP, Gérard: Das Ende des Wirtschaftswunders. Geschichte der Sozial-, Wirtschaftsund Finanzpolitik in der Bundesrepublik 1969–1998, Stuttgart 2010. HERBERT, Klaus-Jürgen/KREIKEBAUM, Hartmut: Arbeitsgestaltung und Betriebsverfassung. Eine empirische Untersuchung zum autonomen Arbeitsschutz bei Arbeitgebern und Betriebsräten (Sozialpolitische Schriften 61), Berlin 1990. Vgl. ALTMANN, Norbert: Bedingungen und Probleme betrieblich initiierter Humanisierungsmaßnahmen (Forschungsbericht/Bundesministerium für Forschung und Technologie, Humanisierung des Arbeitslebens 81), Eggenstein-Leopoldshafen 1981; HERZOG, Henning: Das Programm „Forschung zur Humanisierung des Arbeitslebens“. Ergebnisse und Erfahrungen arbeitsorientierter Forschung 1974–1980 (Schriftenreihe Humanisierung des Arbeitslebens 1), Frankfurt am Main/New York 1981; HELLSTERN, Gerd-Michael (Hrsg.): Experimentelle Politik – Reformstrohfeuer oder Lernstrategie. Bestandsaufnahme und Evaluierung (Beiträge zur sozialwissenschaftlichen Forschung 27), Opladen 1983. GRANEL, Michael: Gruppenarbeit in der Motorenmontage. Ein Vergleich von Arbeitsstrukturen (Schriftenreihe „Humanisierung des Arbeitslebens“ 3), Frankfurt am Main 1980; BENZOVERHAGE, Karin u. a.: Computergestützte Produktion. Fallstudien in ausgewählten Indust-

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es möglich, Programmstrukturen zu rekonstruieren und zeitgenössische wissenschaftliche Wahrnehmungen der Reformprozesse zu analysieren. Hervorzuheben sind ebenso die zahlreichen sozial- und arbeitswissenschaftlichen Publikationen, etwa von Michael Schumann84 oder Eberhard Ulich85. Drei Ausnahmen in der Geschichtswissenschaft bilden die Aufsätze von Anne Seibring86, Nina Kleinöder87 und Stefan Müller88, die jeweils eine knappe historische Zusammenfassung des HdA-Programms und des historiografischen Forschungsstandes bieten. Für dessen historische Kontextualisierung im Sinne kooperatistischer Politik in der BRD und von Vorläufern des Programms, wie der Konzertierten Aktion, ist die Forschung von Andrea Rehling zu nennen.89 Gegenwärtig jedoch scheint das geschichtswissenschaftliche Interesse am HdA-Programm und seiner Umsetzung zuzunehmen, wie die Arbeiten von Nina Kleinöder und Karsten Uhl zeigen. Nina Kleinöder setzte sich in ihrer Dissertation anhand des Arbeitsschutzes in der Stahlindustrie mit dem Programm auseinander.90 Karsten Uhl forschte zur Bedeutung von Humanisierung in der Ordnung der Fabrik im 20. Jahrhundert.91 Der 2019 erschienene Sammelband zur „Humanisierung der Arbeit“ stellt den Versuch dar, die aktuellsten historischen Forschungen

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riebetrieben (Schriftenreihe „Humanisierung des Arbeitslebens“ 43), Frankfurt am Main 1983; MICKLER, Otfried/KALMBACH, Peter: Industrieroboter. Bedingungen und soziale Folgen des Einsatzes neuer Technologien in der Automobilproduktion (Schriftenreihe „Humanisierung des Arbeitslebens“ 13), Frankfurt am Main 1981. KERN, Horst/SCHUMANN, Michael: Industriearbeit und Arbeiterbewußtsein (Studienreihe des Soziologischen Forschungsinstituts Göttingen 8), Frankfurt am Main 21973. ULICH, Eberhard/BRUGGEMANN, Agnes/GROSKURTH, Peter: Neue Formen der Arbeitsgestaltung. Möglichkeiten und Probleme einer Verbesserung der Qualität des Arbeitslebens (Forschungsprojekt des RKW), Frankfurt am Main 1973. SEIBRING, Anne: Die Humanisierung des Arbeitslebens in den 1970er Jahren. Forschungsstand und Forschungsperspektiven, in: „Nach dem Strukturbruch“? Kontinuität und Wandel von Arbeitsbeziehungen und Arbeitswelt(en) seit den 1970er-Jahren, hrsg. v. Knud ANDRESEN/Ursula BITZEGEIO/Jürgen MITTAG, Bonn 2011, S. 107–126. KLEINÖDER, Nina: „Humanisierung der Arbeit“. Literaturbericht zum „Forschungsprogramm zur Humanisierung des Arbeitslebens“, online: Hans Böckler Stiftung, [30.12.2018]. MÜLLER, Stefan: Humanisierung der Arbeitswelt 1.0. Historisch-kritische Befragung eines Reformprogramms der Neunzehnhundertsiebzigerjahre, in: Solidarität im Wandel der Zeiten – 150 Jahre Gewerkschaften, hrsg. v. Willy BUSCHAK, Essen 2016, S. 253–275. REHLING, Andrea: Konfliktstrategie und Konsenssuche in der Krise. Von der Zentralarbeitsgemeinschaft zur Konzertierten Aktion (Historische Grundlagen der Moderne Historische Demokratieforschung 3), Baden-Baden 2011. KLEINÖDER, Nina: Unternehmen und Sicherheit. Strukturen, Akteure und Verflechtungsprozesse im betrieblichen Arbeitsschutz der westdeutschen Eisen- und Stahlindustrie nach 1945 (Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Beihefte 234), Stuttgart 2015. UHL, Karsten: Humane Rationalisierung? Die Raumordnung der Fabrik im fordistischen Jahrhundert, Bielefeld 2014.

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rund um die Humanisierung im 20. Jahrhundert und das HdA-Programm zu bündeln.92 Gleichermaßen wurde die internationale Dimension der Reformprogramme in den 1970er und 1980er Jahren maßgeblich von Sozialwissenschaftlern untersucht. Die Forschungen konzentrierten sich dabei auf die europäischen Industriestaaten und die USA und bilden den Hintergrund, um die Wahrnehmung internationaler Reformvorhaben bei der VW AG einordnen zu können.93 Ebenso wie geschichtswissenschaftliche Forschungen zum HdA-Programm allgemein fehlen, lassen sich auch nur vereinzelt historische Studien zu spezifischen HdA-Projekten in Betrieben finden. Eine Ausnahme stellt hier die Arbeit von Christian Berggren dar, die die Umsetzung des schwedischen Programms beim Autoproduzenten Volvo untersucht.94 Insofern bildet diese Monografie eine Grundlage für die Umsetzung der HdA-Projekte bei der VW AG und ihrer Einordnung im globalen Kontext. Eine historische Aufarbeitung des HdAProgramms bei VW fehlt bisher. Es gibt aber einige Werke, die sich mit VW in den 1970er und 1980er Jahren beschäftigen und in denen etwa die Gruppenarbeit knappe Beachtung findet, wie in der Arbeit von Thomas Haipeter, welcher hierin die Rahmenbedingungen und die Entwicklungen im Konzern dieser Zeit darlegt und kurz Bezug auf das Projekt der Gruppenarbeit nimmt.95 Ferner ist die Arbeit von Markus Heibler über die Arbeitsstrukturen bei VW in den 1970er und 1980er Jahren für die historische Kontextualisierung des Konzerngeschickes in den Wirtschaftskrisen zu berücksichtigen.96 Auch die beiden sozial- und wirtschaftsgeschichtlichen Dissertationen von Rüdiger Gerlach und Ute Engelen, welche sich unter anderem mit dem Einfluss der Politik auf VW und dem Beitrag der Arbeitnehmervertretungen zur betrieblichen Sozialpolitik bei VW in diesem Zeitraum beschäftigen, bilden die Basis für die Einordnung der Geschichte des Konzerns.97 Die Forschung zur Automobilindustrie in den 1970er und 1980er Jahren bleibt überwiegend den Rationalisierungswellen, dem Konkurrenzkampf mit Japan, dem 92 KLEINÖDER, Nina/MÜLLER, Stefan/UHL, Karsten (Hrsg.): „Humanisierung der Arbeit“. Aufbrüche und Konflikte in der rationalisierten Arbeitswelt des 20. Jahrhunderts (Histoire Band 150), Bielefeld 2019. 93 Vgl. MAIWALD, Friedrich-Karl: Humanisierung der Arbeitswelt. Eine internationale Studie aus fünf Ländern, Stuttgart 1976; FRICKE, Else/NOTZ, Gisela/SCHUCHARDT, Wilgart: Arbeitnehmerbeteiligung in Westeuropa. Erfahrungen aus Italien, Norwegen und Schweden (Schriftenreihe „Humanisierung des Arbeitslebens“ 73), Frankfurt am Main 1986. 94 BERGGREN, Christian: Von Ford zu Volvo. Automobilherstellung in Schweden, Berlin 1991. 95 HAIPETER, Thomas: Mitbestimmung bei Volkswagen. Neue Chancen für die betriebliche Interessenvertretung? (Schriftenreihe Hans-Böckler-Stiftung), Münster 2000. 96 HEIBLER, Markus: Unternehmens- und Arbeitsstrukturen von Automobilkonzernen im Wandel. Die Beispiele Daimler, Volkswagen und General Motors (Schriften aus der Fakultät Humanwissenschaften der Otto-Friedrich-Universität Bamberg 6), Bamberg 2010. 97 GERLACH, Rüdiger: Betriebliche Sozialpolitik im historischen Systemvergleich. Das Volkswagenwerk und der VEB Sachsenring von den 1950er bis in die 1980er Jahre (Geschichte 227), Stuttgart 2014; ENGELEN, Ute: Demokratisierung der betrieblichen Sozialpolitik? Das Volkswagenwerk in Wolfsburg und Automobiles Peugeot in Sochaux 1944–1980 (Wirtschafts- und Sozialgeschichte des modernen Europa 2), Baden-Baden 2013.

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Ende des Fordismus und der fortschreitenden Technisierung verhaftet. 98 Hier spielt das HdA-Programm kaum eine Rolle. Lediglich zur Unterstützung des Bundes für Automobilkonzerne taucht es in verschiedenen Werken als Randnotiz auf. Eine Ausnahme bildet dabei der Themenschwerpunkt Gruppenarbeit, der für Volvo und Opel erforscht wurde.99 Insgesamt bleiben die historischen Publikationen zum Thema Humanisierung des Arbeitslebens und Arbeiter als Akteure weit hinter denen der Soziologie, Psychologie und den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften zurück. Es gibt kaum Forschung zur Interaktion von Akteuren unterschiedlicher Hierarchieebenen im Unternehmen über die Ausprägung einer jeweiligen Unternehmenskultur und über die innerbetriebliche Unternehmenskommunikation hinaus.100 Häufig werden bei Themenfeldern wie Mitbestimmung, Qualifizierung oder Arbeitsbedingungen nur die Handlungen von Unternehmensleitungen oder Interessenvertretungen betrachtet.101 Das zeigt sich auch am Fallbeispiel VW. So fasst etwa Thomas Haipeter in seiner Abhandlung über die Mitbestimmung bei VW den Prozess des erstarkenden Betriebsrates seit den 1950er Jahren bei VW zusammen.102 Selbst explizite Forschung zu Arbeitnehmern bei VW fasst die Arbeiter nicht als eigenständige Akteure und verleiht ihrer Stimme kein Gehör. Vielmehr stellen diese ihre Vertretungen, wie Betriebsrat und IG Metall sowie deren große „Persönlichkeiten“, welche die Unternehmenspolitik prägten, in den Fokus.103 Überdies wird, wenn überhaupt, die Stammbelegschaft berücksichtigt, also insbesondere deutsche männliche Arbeiter. Andere soziale Gruppen, wie Migranten oder Frauen bleiben unbeachtet.104 Eine Ausnahme hiervon stellt die Monografie zur italienischen Gastarbeiterwelt bei VW von Hedwig Richter dar, in der migrantische Arbeiter als Zeitzeugen über ihren (Arbeits-)Alltag berichten.105 Diese Vernachlässigung kann

98 VAHRENKAMP, Richard: Von Taylor zu Toyota. Rationalisierungsdebatten im 20. Jahrhundert, Lohmar u. a. 22013; TILLY, Stephanie (Hrsg.): Automobilindustrie 1945–2000. Eine Schlüsselindustrie zwischen Boom und Krise (Perspektiven 5), München 2013. 99 ROTH, Siegfried/KOHL, Heribert (Hrsg.): Perspektive: Gruppenarbeit (Die andere Arbeitswelt 1), Köln 1988. 100 Vgl. NIEBERDING, Anne: Unternehmenskultur im Kaiserreich. J. M. Voith und die Farbenfabriken vorm. Friedr. Bayer & Co (Schriftenreihe zur Zeitschrift für Unternehmensgeschichte 9), München 2003; WISCHERMANN, Clemens (Hrsg.): Unternehmenskommunikation deutscher Mittel- und Großunternehmen. Theorie und Praxis in historischer Perspektive (Untersuchungen zur Wirtschafts-, Sozial- und Technikgeschichte 23), Dortmund 2003. 101 SCHMIDT, Rudi: Belegschaft als Objekt. Unternehmerische Integrationsstrategien in interessenstheoretischer Perspektive, in: Unternehmenskultur und Mitbestimmung. Betriebliche Integration zwischen Konsens und Konflikt, hrsg. v. Rainer BENTHIN, Frankfurt am Main u. a. 2008, S. 76. 102 HAIPETER, THOMAS 2000, Mitbestimmung bei Volkswagen, S. 146ff. 103 KOCH, Günther: Arbeitnehmer steuern mit. Belegschaftsvertretung bei VW ab 1945 (Mitbestimmung in Theorie und Praxis), Köln 1987, S. 81. 104 Ebd., S. 220f. 105 RICHTER, Hedwig/RICHTER, Ralf: Die Gastarbeiter-Welt. Leben zwischen Palermo und Wolfsburg, Paderborn 2012.

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jedoch teilweise mit der Problematik erklärt werden, kaum auf Quellen zugreifen zu können, die von Arbeitern selbst stammen. Mit ihrer Betonung von Aushandlungsprozessen und dem Wechselspiel von Kooperation und Konflikt als Grundlage betrieblichen Handelns kann die Untersuchung an jüngere, institutionentheoretisch inspirierte, unternehmenshistorische Forschungen, wie die Arbeit von Albrecht Franz anschließen. 106 Sie folgt damit zugleich Impulsen einer neuen Industriegeschichte, die eine Erweiterung des Rationalisierungsbegriffs über top-down-Prozesse hinaus anstrebt.107 Als Grundlage für die Einordnung der Rationalisierungsprozesse in den 1920er Jahren und 1970er Jahren dienen erneut die Monografie von Andrea Rehling, aber vor allem die Arbeiten von Thomas von Freyberg und Christian Kleinschmidt.108 Ebenso wird auch auf die Notwendigkeit verwiesen, die Kategorie Geschlecht verstärkt in unternehmenshistorischen Forschungen zu berücksichtigen.109 Ob Humanisierung in den 1970er und 1980er Jahren nur für männlich und inländisch, sprich deutsch galt oder inwieweit Frauen und ArbeitsmigrantInnen von den HdA-Projekten im Unternehmen profitierten, bleibt von der historischen Forschung bisher noch unbeantwortet. Erneut griffen insbesondere die Arbeitswissenschaften und die Soziologie diese Problematik in den 1980er und 1990er Jahren auf.110 1.3 QUELLEN UND METHODIK Um den Erfolg oder Misserfolg des politischen HdA-Programms auf betrieblicher Ebene mit der Wahrnehmung der Arbeiter abgleichen zu können, ist es notwendig, die Ziele des politischen Programms zu kennen und mit der betrieblichen Praxis zu vergleichen. Hierfür dient der 70-seitige von den Bundesministerien für 106 FRANZ, Albrecht: Kooperation statt Klassenkampf? Zur Bedeutung kooperativer wirtschaftlicher Leitbilder für die Arbeitszeitsenkung in Kaiserreich und Bundesrepublik (Perspektiven der Wirtschaftsgeschichte 4), Stuttgart 2014. 107 Vgl. BLUMA, Lars/UHL, Karsten (Hrsg.): Kontrollierte Arbeit – disziplinierte Körper? Zur Sozial- und Kulturgeschichte der Industriearbeit im 19. und 20. Jahrhundert (Histoire 27), Berlin 2012; UHL, KARSTEN 2014, Humane Rationalisierung?, S. 11f. 108 FREYBERG, Thomas von: Industrielle Rationalisierung in der Weimarer Republik. Untersucht an Beispielen aus dem Maschinenbau und der Elektroindustrie (Schriftenreihe des Instituts für Sozialforschung Frankfurt am Main), Frankfurt am Main u. a. 1989; KLEINSCHMIDT, Christian: Rationalisierung als Unternehmensstrategie. Die Eisen- und Stahlindustrie des Ruhrgebiets zwischen Jahrhundertwende und Weltwirtschaftskrise (Bochumer Schriften zur Unternehmens- und Industriegeschichte 2), Essen 1993. 109 PATZEL-MATTERN, Katja: Differenzkategorien. Der Kampf um Lohngleichheit und institutionellen Wandel, in: Studienbuch institutionelle Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte, hrsg. v. Clemens WISCHERMANN u. a., Stuttgart 2015, S. 103–120. 110 Vgl. FRERICHS, Petra/MORSCHHÄUSER, Martina/STEINRÜCKE, Margareta: Fraueninteressen im Betrieb. Arbeitssituation und Interessenvertretung von Arbeiterinnen und weiblichen Angestellten im Zeichen neuer Technologien (Sozialverträgliche Technikgestaltung Bd. 6), Opladen 1989; SCHÖLL-SCHWINGHAMMER, Ilona: Frauen im Betrieb. Arbeitsbedingungen und Arbeitsbewußtsein (Studienreihe des Soziologischen Forschungsinstituts Göttingen (SOFI)), Frankfurt am Main 1979.

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Arbeit sowie für Forschung und Technologie formulierte Programmtext aus dem Bundesarchiv.111 Im Bundesarchiv in Koblenz finden sich mehrere Versionen des Bundesprogramms „Humanisierung des Arbeitslebens“, die sich anhand ihrer Veröffentlichungszeit und ihres Umfangs unterscheiden. Die erste Version bildet ein 10-seitiges Manuskript, das gemeinsam vom Bundesministerium für Forschung und Technologie und dem Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung im Oktober 1973 verfasst wurde. Dieses stellt den ersten Entwurf des Programms dar und ist mit zahlreichen handschriftlichen Anmerkungen versehen.112 Anschließend folgte im Februar 1974 die umfangreiche Ausarbeitung des Programmtextes, welche die Bedeutung des Programms erläuterte, also seine politische Legitimierung und die zu erreichenden Ziele und Maßnahmen ausführlich darlegte. Auf diesen 70-seitigen Text stützt sich die Analyse, da die politischen und wirtschaftlichen Akteure hier die Begründungen für die Initiierung des Programms erbringen und detailliert den Nutzen der jeweiligen Maßnahmen sowie die gewünschten Erfolge jener auflisten. Letztlich wurde im Mai 1974 ein 21-seitiges Aktionsprogramm veröffentlicht, das jedoch nur als verkürzter Maßnahmenkatalog zu verstehen ist. Hierin finden sich kaum politische Legitimierungen und weitreichendere Bezüge zum Weltgeschehen, wie dem Ost-West-Konflikt.113 Es gibt leider noch keine Aufarbeitung der Programmgeschichte. Angesichts der vielfältigen Entwürfe und unterschiedlichen Arbeitsstände bzw. Versionen des Programmtextes wäre dies gleichwohl notwendig, um den Entstehungsprozess des Programms nachvollziehen zu können. Außerdem richten sich die verschiedenen Fassungen womöglich an unterschiedliche Zielgruppen, die es zu bestimmen gilt. Die Abhandlung zur „Humanisierung des Arbeitslebens“ des politischen Vertreters des Programms Hans Matthöfer wird als Ergänzung zum Programm genutzt.114 Darüber hinaus sind weitere Bestände zum politischen Programm aus dem Bundesarchiv Koblenz relevant, um Rahmenbedingungen sowie weltpolitische Einordnungen des Programms und vor- oder nachgestellte politische Überlegungen dazu greifbar zu machen. Weiterhin kommt den Geschäfts- und Sozialberichten von VW große Bedeutung für die Kontextualisierung der Unternehmensgeschichte und für Zahlen zu Belegschaftsverhältnissen oder Umsätzen zu. Die Protokolle der Betriebsversammlungen, die Unternehmenszeitung „autogramm“ sowie die Zeitschriften des Betriebsrates (BR Kontakt) und der IG Metall (Wir Metaller) dienen zur Kontextualisierung der Bestrebungen zur Humanisierung im 111 BArch, B 149/27879, Forschungsaktionsprogramm zur Humanisierung des Arbeitslebens Februar 1974. 112 BArch, B 149/27879, Aktionsprogramm der Bundesregierung zur Erforschung und Entwicklung der Möglichkeiten zur Humanisierung des Arbeitslebens Oktober 1973. 113 Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung/Bundesminister für Forschung und Technologie: Forschung zur Humanisierung des Arbeitslebens. Aktionsprogramm des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung und des Bundesministeriums für Forschung und Technologie, Bonn 1974. 114 Matthöfer, Hans: Humanisierung der Arbeit und Produktivität in der Industriegesellschaft (Demokratischer Sozialismus in Theorie und Praxis), Frankfurt am Main 1977.

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Unternehmen. Ferner sollen Abhandlungen relevanter wirtschaftlicher und politischer Akteure, die sich mit der Diskussion um die Sozialpartnerschaft und der Humanisierung in den Betrieben der BRD im Vergleich zur DDR in den 1950er und 1970er Jahren beschäftigen, für die Analyse herangezogen werden. Sie sind elementar für die Herleitung des Begriffs Humanisierung und seine Verortung im Kontext des Kalten Krieges.115 Quellen zu finden, welche Arbeiter als direkt Handelnde oder Sprechende in der Geschichte erfassen, stellt eine Herausforderung dar. Es gibt nur wenige Medien, wie Arbeiterzeitungen, Publikationen von Arbeitervereinen oder EgoDokumente, sprich Selbstzeugnisse von Arbeitern, wie Tagebücher oder Berichte über ihren (Arbeits-)Alltag. Insofern haben diese Quellen einen besonderen Wert. Für das Forschungsvorhaben konnten solche Quellen entdeckt und für die Geschichtswissenschaft erschlossen werden. In den drei analysierten HdA-Projekten sprachen die Arbeiter in Gruppensitzungen, Einzel- oder Gruppeninterviews mit Arbeitspsychologen und Soziologen über ihren Arbeitsalltag in den Projekten. Diese liegen als Tonbandaufnahmen oder als transkribierte soziologische Experteninterviews vor. Die Arbeit möchte das Potenzial und die Grenzen dieser Quellengattungen für die Geschichtswissenschaft kritisch hinterfragen, sie methodisch erfassen und der Forschung zur Verfügung stellen, indem die Quellen gesichert und archiviert werden. Zunächst folgt die inhaltliche Beschreibung und Spezifizierung des Quellenbestandes. Die Grundlage der Arbeit bilden drei HdA-Projekte bei VW. Das erste Projekt ist die „Gruppenarbeit in der Motorenmontage bei VW Salzgitter“.116 Dieses wurde unter der Leitung VWs, des Lehrstuhls der Arbeitspsychologie der ETH Zürich unter Eberhard Ulich sowie des Lehrstuhls der Arbeitswissenschaft der TH Darmstadt unter Walter Rohmert von 1975 bis 1977 durchgeführt. Die Quellenbasis des Gruppenarbeits-Projektes stützt sich auf die originalen Tonbandaufnahmen der Gruppengespräche der beteiligten Werker und der Sitzungen des Entscheidungsgremiums, den örtlichen Projektausschuss in Salzgitter (ÖPSZ), im Zeitraum vom 20.11.1975 bis zum 30.03.1977, die von den Wissenschaftlern der Arbeitspsychologie aus Zürich aufgenommen wurden. Die Tonbandaufnahmen des örtlichen Projektausschusses sind nur bis zum 23.06.1976 überliefert. Insgesamt umfasst der Bestand 50 Tonbänder und 12 Kassetten. Für die Analyse der Bänder wurden diese zuerst von der Historikerin digitalisiert und anschließend die entsprechenden Passagen transkribiert. In den Gruppensitzungen diskutierten die Werker der einzelnen Gruppen untereinander im Beisein eines/r Wissenschaftlers/in und gegebenenfalls mit einem von der Gruppe eingeladenen Gast, wie etwa dem Projektleiter oder dem Betriebsrat. In den Sitzungen des örtlichen Projekt115 Vgl. Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (Hrsg.): Gedanken zur sozialen Ordnung, Köln 1953; Vetter, August: Der Mensch im Umbruch unserer Zeit, Heidelberg 1952; Friedrichs, Günter (Hrsg.): Qualität des Lebens. Aufgabe Zukunft; Beiträge zur 4. internationalen Arbeitstagung der Industriegewerkschaft Metall für die Bundesrepublik Deutschland 11.–14.04.1972 in Oberhausen, Frankfurt am Main 1972. 116 GRANEL, Michael: Gruppenarbeit in der Motorenmontage. Ein Vergleich von Arbeitsstrukturen (Schriftenreihe „Humanisierung des Arbeitslebens“ 3), Frankfurt am Main 1980.

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ausschusses waren die vier Sprecher der einzelnen Gruppen anwesend, ebenso der Projektleiter, die Wissenschaftler aus Zürich und teilweise aus Darmstadt sowie Vertreter und Führungskräfte der unterschiedlichen involvierten Betriebsabteilungen wie Personalwesen, Betriebsrat, Planung, Vertreter der Werksleitung, der Produktion, Inspektion, Instandhaltung, Standard- und der Finanzabteilung.117 Zu Beginn des Projektes wurden 50 Arbeiter aus freiwilligen Meldungen für die Gruppenarbeit zusammengestellt. Zehn Arbeiter setzten die Wissenschaftler des Instituts für Arbeitswissenschaft der TH Darmstadt an konventionellen Montageplätzen ein, um deren Arbeitsbelastung zu messen, denn im Projekt sollten die Arbeitsstrukturen und Arbeitsbelastungen einer konventionellen Bandarbeit und der Gruppenarbeit verglichen werden. Die restlichen 40 Arbeiter fanden sich untereinander in vier Gruppen à 10 Personen zusammen.118 Die Gruppen sollten annähernd einen repräsentativen Querschnitt der Belegschaft abbilden, der den Anteil von Migranten, Frauen und Schwerbehinderten umfasste.119 Allerdings verblieb letztlich nur eine Frau in den vier Gruppen und nur wenige „Arbeitnehmer leistungsgemindert“ (AL)120.121 Die Gruppe 1 setzte sich aus männlichen deutschen und zwei migrantischen Arbeitern unterschiedlicher Altersklassen zusammen. Ebenso war mindestens ein leistungsgeminderter Arbeiter in der Gruppe.122 Gruppe 2 bestand aus männlichen deutschen und drei migrantischen Arbeitern, unter anderem aus Spanien und Portugal.123 Gruppe 3 setzte sich aus männlichen Deutschen und der einzigen Frau zusammen und Gruppe 4 bestand überwiegend aus männlichen migrantischen Arbeitern, insbesondere aus Tunesien und wenigen männlichen deutschen Arbeitern. Die Arbeiter meldeten sich freiwillig für das Projekt und es waren keine Qualifikationsanforderungen zu erfüllen.124 Der Altersdurchschnitt der Gruppen lag bei 31,5 Jahren und damit deutlich unter dem Werksdurchschnitt.125 Eine Schwierigkeit der Gruppenzusammensetzung lag darin, dass die Gruppen kaum „Leistungsschwache“ enthielten. Alle Werker zeigten sich extrem motiviert zu lernen, leisteten im Werk gute Arbeit, hatten kaum Fehlzeiten, sogenannte „Spitzenleute“, die jede Arbeit ausführen konnten und an

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Ebd., S. 24. Ebd., S. 20f. und S. 28f. Ebd., S. 23. Der Begriff „Arbeitnehmer leistungsgemindert“ wird innerhalb des VW-Konzerns für diejenigen Arbeiter verwendet, die aufgrund von Alter oder körperlicher Beeinträchtigung nicht mehr die volle Leistung erbringen können und einen Schonarbeitsplatz benötigen. Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G2 und G1 23.11.1976 II ab 53:00 Min. BRUGGEMANN, Agnes: Zur Entwicklung von Einstellungen und sozialem Verhalten in den untersuchten teilautonomen Gruppen (Forschungsbericht/Bundesministerium für Forschung und Technologie, Humanisierung des Arbeitslebens 80), Eggenstein-Leopoldshafen 1980, S. 69 und S. 169. Ebd., S. 77. GRANEL, MICHAEL 1980, Gruppenarbeit, S. 60. Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 und G2 12.08.1976 ab 01:08:23 Min.

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jedem Arbeitsplatz ihre Leistung erbrachten.126 Die meisten von ihnen waren unoder angelernte Arbeiter.127 Das zweite Projekt untersuchte die Einführung von Industrierobotern (IR) und deren soziale Folgen im VW Werk Wolfsburg.128 Innerhalb des IndustrieroboterProjekts unter Leitung des Soziologen Otfried Mickler aus dem Soziologischen Forschungsinstitut in Göttingen im Zeitraum 1977 bis 1979 bestand die Gruppe der befragten Werker überwiegend aus männlichen deutschen Arbeitern im fortgeschrittenen Alter, also zwischen 36 und 50 Jahren.129 Von den insgesamt 133 interviewten Werkern waren 113 deutsch und männlich, 17 deutsch und weiblich sowie 3 migrantisch und männlich. Diese Zahlen spiegeln nicht den tatsächlichen Anteil von Migranten an der Gesamtbelegschaft wider. Der Anteil von migrantischen Mitarbeitern lag bei knapp 11 %. Die meisten von ihnen stammten aus Italien und der Türkei.130 Ebenso lag der Werksdurchschnitt in Wolfsburg 1976 bei einem Alter von 39 Jahren.131 Die Wissenschaftler befragten die Werker in separierten Einzelgesprächen ohne Vorgesetzte anhand eines festen Leitfadens. Die Interviews führten die Wissenschaftler mit Arbeitern, die in der Produktion an Robotern tätig waren oder mit aufgrund der neuen Technologie Umgesetzten132, während Arbeiter, die sich für den Robotereinsatz höher qualifiziert hatten, nicht befragt wurden, von einem Vorarbeiter und einem Meister abgesehen. Allerdings machen diese umgesetzten oder an Robotern tätigen Werker weniger als die Hälfte der Befragten aus.133 Es sind nur 23, die aufgrund der Roboter umgesetzt wurden und 42, die direkt mit dem Roboter zusammenarbeiteten oder in dessen Peripherie tätig waren. Den größeren Kreis mit 68 Interviewten bildeten Arbeiter, die in potenziellen Einsatzbereichen der Industrieroboter oder in der Nähe einer IRAnlage arbeiteten sowie Bandarbeiter in der Montage, die repetitive Arbeiten verrichteten, an deren Arbeitsplätzen jedoch kein Einsatz durch Roboter geplant war. Sie hatten weder Erfahrungen mit noch konkrete Vorstellungen von der Technik.134 Dies lag vor allem daran, dass zum Zeitpunkt der Projektdurchführung erst wenige Roboter in der Produktion eingesetzt wurden und es daher kaum Werker gab, die mit den Robotern arbeiteten, insbesondere da durch die neuen Roboterstraßen zahlreiche Arbeitsplätze wegfielen.135 Die meisten interviewten Werker verrichteten im überwiegenden Maße repetitive Arbeiten und waren im Leistungs126 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW ÖPSZ 20.11.1975 I ab 25:40 Min. 127 Ebd. ab 34:03 Min. 128 MICKLER, Otfried/KALMBACH, Peter: Industrieroboter. Bedingungen und soziale Folgen des Einsatzes neuer Technologien in der Automobilproduktion (Schriftenreihe „Humanisierung des Arbeitslebens“ 13), Frankfurt am Main 1981. 129 Bezogen auf die Interviews, bei denen das Alter angegeben wurde. 130 VWW: Menschen im Blickpunkt. Sozialbericht der Volkswagen Aktiengesellschaft für das Jahr 1982, S. 9. 131 MICKLER, OTFRIED 1981, Industrieroboter, S. 165. 132 Bezeichnung bei VW für Arbeiter, die in einen anderen Produktionsbereich versetzt wurden. 133 MICKLER, OTFRIED 1981, Industrieroboter, S. 164. 134 Ebd., S. 163. 135 Ebd., S. 268 und S. 275.

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lohnbereich beschäftigt. Zudem zählten sie größtenteils mit einer Werkszugehörigkeit von mehr als 10 Jahren zur Stammbelegschaft.136 Als Einsatzbereiche der Roboter fungierten insbesondere das Presswerk, der Rohkarosseriebau, die Gießerei und die Lackiererei. Das letzte Projekt „Computergestützte Produktion“ unter der Leitung von unter anderem Karin Benz-Overhage und Eva Brumlop aus dem Institut für Sozialforschung in Frankfurt von 1978 bis 1982 beschäftigt sich ebenfalls mit der Einführung von Industrierobotern, allerdings im VW-Werk Hannover.137 Es ist von der Menge der befragten Werker kleiner angelegt als das in Wolfsburg. Hier wurden drei Arbeitergruppen innerhalb einer Gruppendiskussion befragt, jeweils vor (1978) und nach der Einführung der Roboter (1980) im Rohbau. Wie viele Mitglieder die Gruppen hatten, ist nicht mehr gänzlich nachzuvollziehen, da in den Protokollen der Gespräche mal 6, 5 oder 4 Arbeiter angegeben sind. Die aufgelisteten Berufsbezeichnungen sind Einleger, Straßenführer, Schweißer, Punkter, Nacharbeiter sowie Springer.138 Ebenso ist es nicht möglich, Geschlecht, Herkunft oder Alter zu bestimmen, da diese nicht verzeichnet wurden und die Protokollierung der Gespräche nur nach Frage und Antwort vorgenommen wurde. Folgende Angaben finden sich im offiziellen Forschungsbericht: „Die Zusammensetzung und die Strukturmerkmale der Gruppe von Beschäftigten, die in die standardisierte Befragung einbezogen wurden, entsprechen weitgehend denen der Gesamtbelegschaft. So ist der überwiegende Teil der Befragten (96 %) männlichen Geschlechtes; mehr als die Hälfte der Befragten (63 %) ist 40 Jahre und älter. Die Dauer der Betriebszugehörigkeit und das Ausbildungsniveau der Befragten liegen etwas über dem der Gesamtbelegschaft […] von der Gruppe der Befragten 74 % seit 9 Jahren und länger im Werk; 60 % verfügen über eine Berufsausbildung. […] 16 % der Befragten sind im Zuge der Umstellung auf höher qualifizierte und 26 % auf niedriger qualifizierte Arbeitsplätze umgesetzt worden.“ 139

Aus den Protokollen lässt sich herauslesen, dass unter den Werkern Vertrauensleute der IG Metall waren.140 Weiterhin suchten die Wissenschaftler explizit Gruppen aus, die schon gemeinsam „bestimmte Lern-, Diskussions- und Handlungserfahrungen gemacht haben.“141 Für die Gespräche gab es keinen festgelegten Leitfaden, sondern Themenbereiche, wie „Arbeitsbedingungen“ oder „Lohn“, die in Anwesenheit der Wissenschaftler diskutiert wurden.142 Als Quellen dienen

136 Ebd., S. 166. 137 Benz-Overhage, Karin u. a.: Computergestützte Produktion. Fallstudien in ausgewählten Industriebetrieben (Schriftenreihe „Humanisierung des Arbeitslebens“ 43), Frankfurt am Main 1983. 138 IfS Frankfurt A 117 Ordner 6 Gruppendiskussion am 20./21./22.05.1980, jeweils S. 1. 139 BENZ-OVERHAGE, KARIN 1983, Computergestützte Produktion, S. 98. 140 IfS Frankfurt A 117 Ordner 6 Gruppengespräch am 07.12.1978, S. 16. 141 IfS Frankfurt A 117 Ordner 6 Papier zum Problem der Gruppengespräche, S. 1. 142 IfS Frankfurt A 117 Ordner 6 Papier zu Themenbereichen für die Gruppendiskussionen bei VW-Hannover und zum Problem der Gruppengespräche.

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darüber hinaus die Forschungsberichte der jeweiligen Projekte in der Grünen Reihe des Bundesministeriums für Forschung und Technologie.143 Was sind nun Grenzen und Potenziale dieser Quellengattungen? Um die Gesprächsquellen in Form von Tonbandaufnahmen und transkribierten soziologischen Experteninterviews für eine historische Analyse nutzbar zu machen, bedarf es einer Methode, wie mit diesen Quellen geschichtswissenschaftlich umzugehen ist. Hierfür eignet sich die Oral History. Die Methode, die ihren Ursprung in den USA hat, konzentriert sich in Deutschland auf die Analyse des alltäglichen Erlebens von Geschichte und persönlicher Erfahrungsberichte. Zur Grundlage der Oral History gehört folglich die mündliche Überlieferungsform und damit die Erzählungen der Zeitzeugen, in diesem Fall der Interviewten. 144 Somit zählt die Oral History zu einer qualitativen Forschungsmethode und erhebt keinen Anspruch auf Repräsentativität, sondern spiegelt die Konstruktion und Legitimation der sozialen Wirklichkeit durch die Zeitzeugen wider.145 Es ging in den 1980er Jahren in Deutschland darum, die Geschichtsschreibung zu demokratisieren und in diesem Sinne die Betroffenen in einer „Geschichte von unten“ zu beteiligen.146 Dieses Konzept gründete sich vor allem auf den in Skandinavien seit den 1970er Jahren entstandenen „Geschichtswerkstätten“, also Gruppen, Vereinen und Geschichtsinteressierten, die sich der Erforschung lokaler Geschichte und des eigenen Alltags widmeten. Insbesondere die Monografie des schwedischen Historikers Sven Lindqvist „Grabe, wo du stehst“ forderte explizit Nicht-Wissenschaftler und auch Arbeiter dazu auf, ihren eigenen Alltag im Unternehmen zu erforschen und zu dokumentieren.147 Diese „neue Geschichtsbewegung“ war zudem als Kritik an der universitären Geschichtswissenschaft zu verstehen, welche die „Geschichte von unten“, also die konkreten Lebensweisen der Menschen vernachlässigte.148 An diese Kritik anknüpfend entstanden in den 1980er Jahren zahlreiche geschichtswissenschaftliche, alltagshistorische Untersuchungen unter anderem zur Arbeiterbewegung im 20. Jahrhundert, die häufig auf Oral History Gesprächen

143 MICKLER, Otfried/KALMBACH, Peter: Industrieroboter. Bedingungen und soziale Folgen des Einsatzes neuer Technologien in der Automobilproduktion (Schriftenreihe „Humanisierung des Arbeitslebens“ 13), Frankfurt am Main 1981; GRANEL, Michael: Gruppenarbeit in der Motorenmontage. Ein Vergleich von Arbeitsstrukturen (Schriftenreihe „Humanisierung des Arbeitslebens“ 3), Frankfurt am Main 1980; BENZ-OVERHAGE, Karin u. a.: Computergestützte Produktion. Fallstudien in ausgewählten Industriebetrieben (Schriftenreihe „Humanisierung des Arbeitslebens“ 43), Frankfurt am Main 1983. 144 PLAßWILM, Regina: Grenzen des Erzählbaren. Erinnerungsdiskurse von NS-Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern in Ost- und Westeuropa, Essen 2011, S. 49. 145 Ebd., S. 47. 146 NIETHAMMER, Lutz (Hrsg.): Lebenserfahrung und kollektives Gedächtnis. Die Praxis der „Oral history“ (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft 490), Frankfurt am Main 1985, S. 7. 147 LINDQVIST, Sven: Grabe, wo du stehst. Handbuch zur Erforschung der eigenen Geschichte, Bonn 1989, S. 1 und 12ff. 148 DIEKWISCH, Heike: Einleitung, in: Alltagskultur, Subjektivität und Geschichte. Zur Theorie und Praxis von Alltagsgeschichte, hrsg. v. Heike DIEKWISCH, Münster 1994, S. 7.

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mit den Beteiligten fußten.149 Diese von der „neuen Geschichtsbewegung“ geäußerte Kritik lässt sich am Beispiel der Arbeiterbewegung nachvollziehen. So gerieten nämlich durch die Konzentration auf Strukturen und Prozesse in der deutschen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte in den 1960er Jahren die Handlungsmotivationen der einzelnen Akteure aus dem Blick. Beispielsweise ließen sich etwa Fragen nach den Auslösern von Widerstand und Anfälligkeit der Arbeiterschaft gegenüber der NS-Ideologie weder mit der wirtschaftlichen Krisenzeit der 1930er Jahre noch mit unterschiedlichen parteipolitischen Konzeptionen, Wahlstatistiken oder der Presseberichterstattung hinreichend beantworten. Es war einerseits kaum möglich, mit den bestehenden Methoden Wirtschaft und Gesellschaft miteinander zu verbinden und andererseits gerieten die Menschen aus dem Blickfeld, da sie in abstrakten Kollektiven, wie Arbeiterklasse oder Kleinbürgertum zusammengefasst wurden.150 Damit gerieten aber „die einfachen Leute“, die nicht in eine Personengeschichte der großen Männer passten, zu bloßen Objekten größerer historischer Strukturen und Prozesse. Folglich wurde ihre eigene Handlungsfähigkeit negiert.151 Genau hierin liegt nun das Potenzial der Oral History, da sie das subjektive Erleben und Handeln sowie das Verorten des eigenen Lebens im historischen Kontext durch das Individuum selbst greifbar macht. Die Oral History in den 1980er Jahren rückte nun wieder das gestaltende Individuum in den Fokus historischer Forschung mit den Erzählungen von „Alltagsgeschichten“ und „Erfahrungsgeschichten“. Eine häufige Schwierigkeit bei Oral History Interviews stellt das Element der Erinnerung dar, denn die befragten Zeitzeugen entwerfen rückblickend ihre Geschichten.152 Das ist allerdings für diese Analyse nicht von Bedeutung, da die verwendeten Quellen, wie Interviews und Gruppengespräche, direkt zum Zeitpunkt der Umstellung der Produktion mit den Arbeitern geführt oder aufgezeichnet wurden und nicht erst Jahre später. Zwangsläufig nimmt die Oral History immer eine Mikro- und keine Makroperspektive ein.153 Dennoch ist es möglich, die Erfahrungen der Befragten in größere Bezüge und Prozesse einzuordnen, die sie unter anderem für die Entwürfe ihrer Erzählungen auch selbst herstellen. So orientiert der befragte Mensch sein Erzählen über Lebens- oder Arbeitsgeschichte an bestimmten gesellschaftlichen Mustern und verknüpft es gleichzeitig mit individuellen Erfahrungen. „Er verge149 PAUL, Gerhard (Hrsg.): Die andere Geschichte. Geschichte von unten, Spurensicherung, ökologische Geschichte, Geschichtswerkstätten, Köln 1986; HUMPHRIES, Stephen: Hooligans or rebels? An oral history of working-class childhood and youth, 1889–1939, Oxford 1984; BAJOHR, Stefan: Vom bitteren Los der kleinen Leute. Protokolle über den Alltag Braunschweiger Arbeiterinnen und Arbeiter 1900–1933, Köln 1984. 150 SPUHLER, Gregor: Oral History in der Schweiz, in: Vielstimmiges Gedächtnis. Beiträge zur Oral History, hrsg. v. Gregor SPUHLER, Zürich 1994, S. 7f. 151 Ebd., S. 8. 152 OBERTREIS, Julia/STEPHAN, Anke: Erinnerung, Identität und „Fakten“. Die Methodik der Oral History und die Erforschung (post)sozialistischer Gesellschaften (Einleitung), in: Erinnerungen nach der Wende. Oral History und (post)sozialistische Gesellschaften, hrsg. v. Julia OBERTREIS/Anke STEPHAN, Essen 2009, S. 10. 153 SPUHLER, GREGOR 1994, Oral History in der Schweiz, S. 9.

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wissert sich seiner Selbst, indem er seine eigene Geschichte erzählt und daraus seine Gegenwart erklärt.“154 Als Beispiel aus den Quellen der vorliegenden Untersuchung nahmen viele Arbeiter die Krise 1973/74 bei VW in ihre Erzählungen mit auf. Die Ereignisse der Zeit, die präsent sind, dienen meist als Anhaltspunkt für die eigene Geschichte.155 Es geht also darum, die Geschichte der Akteure zu verstehen, diese verständlich zu machen und ihre Wahrnehmungen, Erfahrungen sowie Handlungen in den historischen Kontext einzubetten.156 Allerdings birgt die Nähe zu den Akteuren auch neue Wagnisse. Das Führen soziologischer Experteninterviews ist eine interaktive Forschungsmethode, denn Forschende und Erforschte sind gemeinsam am Gespräch beteiligt. Der grundlegende Unterschied zwischen Oral History Quellen und anderen Quellen liegt darin, dass Forscher diese selbst erzeugt haben, im Gegensatz zu Quellen, die von Historikern vorgefunden werden.157 Für diese Analyse ist das Experteninterview von Bedeutung, das ein ganz bestimmtes Erkenntnisinteresse ins Zentrum stellt, welches der Forscher an die befragte Person heranträgt.158 Die Leitung des Gesprächs obliegt der befragenden Person, die weiß oder annimmt, dass ihr Gesprächspartner über Kenntnisse verfügt, welche sich nicht aus schriftlichen Quellen ableiten lassen. Das Experteninterview soll also Fakten zutage fördern oder zur Überprüfung oder Detaillierung von bekannten Fakten dienen. Häufig vermischen sich aber beide Arten der Interviews.159 Der Vorteil der soziologischen Experteninterviews und Tonbandaufnahmen liegt darin, dass diese nicht mit zeitlicher Verzögerung geführt oder aufgenommen wurden. Die Befragung der Arbeiter zur Einführung der Roboter fand nicht erst Jahrzehnte später statt, sondern direkt in der Umsetzungsphase. Ebenso dokumentieren sie Liveaufnahmen von den stattfindenden Gruppengesprächen. Das hat großen Einfluss auf die Verwertbarkeit und Auswertung der Quellen. Dadurch können Erinnerungslücken bei diesen Quellen vernachlässigt werden.160 Zudem sind die soziologischen Experteninterviews kein gleichberechtigter Dialog. Es muss eine kritische Analyse der unterschiedlichen Interessenslagen und der Interaktion zwischen Forschenden und Befragten stattfinden. Demnach suchten die Forscher die befragten Arbeiter in den IndustrieroboterProjekten vorab aus, etwa danach, ob sie mit einem Roboter oder in seiner Peripherie arbeiteten. 154 Ebd., S. 9. 155 OBERTREIS, JULIA 2009, Erinnerung, Identität und „Fakten“, S. 12. 156 ANDRESEN, Knud/APEL, Linde/HEINSOHN, Kirsten: Es gilt das gesprochene Wort. Oral History und Zeitgeschichte heute, in: Es gilt das gesprochene Wort. Oral History und Zeitgeschichte heute, hrsg. v. Knud ANDRESEN/Linde APEL/Kirsten HEINSOHN, Göttingen 2015, S. 9. 157 SPUHLER, Gregor: Das Interview als Quelle historischer Erkenntnis. Methodische Bemerkungen zur Oral History, in: Interviews. Oral history in Kunstwissenschaft und Kunst, hrsg. v. Dora IMHOF, München 2010, S. 22. 158 Ebd., S. 17. 159 Ebd., S. 17f. 160 VORLÄNDER, Herwart: Mündliches Erfragen von Geschichte, in: Oral History. Mündlich erfragte Geschichte, hrsg. v. Herwart VORLÄNDER, Göttingen 1990, S. 16.

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Auch die Fragen und das Handeln der Wissenschaftler müssen kritisch hinterfragt werden, denn sie übermitteln teilweise in ihren Fragen einen sozialreformerischen Ansatz an die befragten Arbeiter in den HdA-Projekten.161 Anhand der Fragebögen der Industrieroboter-Projekte lässt sich das gut erkennen.162 Zur Diskussion in den Gesprächen standen etwa Begriffe wie „Arbeit und Kapital“, „Arbeitsleid und Lebenszusammenhang“, „Widerstand“ und „betriebliche und überbetriebliche Gegenmacht“.163 Jene Wortwahl lässt den Rückschluss zu, dass die Wissenschaftler von einer Zweiteilung des Betriebes zwischen Kapital und Arbeit, sprich der Unternehmensleitung auf der einen Seite und den Arbeitern in der Produktion auf der anderen Seite ausgingen. Die Fragestellungen sind oft auch höchst suggestiv: „Heißt Humanisierung mehr, als man spart Geld?“ oder „Haben sie eigentlich selber das Gefühl, zum Roboter zu werden?“164 Diese Art, Fragen zu formulieren, lenkt die Aufmerksamkeit der Befragten und beeinflusst deren Antwortmöglichkeiten. Allerdings antworteten die Arbeiter des Öfteren anders auf die Frage, als von den Wissenschaftlern intendiert, etwa indem sie abschweiften und somit von anderen Dingen berichteten, die sie bewegten, anstatt explizit die Frage zu beantworten oder sie antworteten einfach gar nicht. Gleichermaßen demonstrierten die Werker in den Gruppengesprächen ihren eigenen Willen. Das ist beispielsweise an ihrer Kritik an den von den Wissenschaftlern ausgearbeiteten Fragebögen zu sehen. Demnach beschwerten sich die Arbeiter, dass viele Fragen, etwa wie viele Kinder sie haben, nichts mit ihrer Tätigkeit im Werk zu tun hätten. Ebenso wollten sie nicht immer dieselben Fragen erneut beantworten. Das sei „Zeitverlust“ für die Gruppenarbeit.165 Auch hier ist der eigene Handlungsrahmen der Arbeiter offensichtlich. Obwohl die Wissenschaftler der IndustrieroboterProjekte sicherlich keinen derartigen Einfluss auf die Werker hatten wie die Psychologen im Gruppenarbeits-Projekt, sollte ihre Einwirkung auf diese dennoch bei der Quellenanalyse mit bedacht werden. Diese Notwendigkeit demonstriert eine Aussage eines Werkers auf die Frage, welche technischen Schwierigkeiten es mit den Robotern gegeben hat: „Ehrlicherweise muß ich sagen, daß wir unter den Kollegen erst darüber sprechen, seit Sie hier aufgekreuzt sind. Vorher wurde da kaum drüber gesprochen.“ 166

Dies zeigt exemplarisch die Grenzen und Potenziale dieser besonderen Quellen. Sicherlich ist immer zu bedenken, dass die Wissenschaftler Meinungen und Konzepte an die Arbeiter herantrugen, aber die Arbeiter als eigenständig handelnde 161 Ebd., S. 20. 162 SOFI Göttingen IR-Projekt Ordner 20 Leitfaden für Arbeiterinterviews August 1977, S. 3 und S. 5. 163 IfS Frankfurt A 117 Ordner 6 Papier zum Problem der Gruppengespräche, S. 1–2. 164 SOFI Göttingen IR-Projekt Ordner 20 Leitfaden für Arbeiterinterviews August 1977, S. 11; IfS Frankfurt A 117 Ordner 6 Gruppengespräch am 07.12.1978, S. 3. 165 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G4 und G2 07./08.09.1976 I ab 01:33:12 Min. und ab 01:45:08 Min. 166 eLabour-SOFI-IR01_004_007.pdf Gespräch mit Arbeiter aus Halle 18, o. A. am 15.09.1977, S. 7.

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Akteure konnten darüber entscheiden, ob sie der Argumentation folgen wollten, diese ablehnten oder modifizierten. Natürlich sind Aushandlungsprozesse im Unternehmen wesentlich komplexer als sie diese idealtypische Darstellung erscheinen lässt. Hierbei spielen Machthierarchien eine wichtige Rolle. Die Wissenschaftler als Experten hatten einen anderen Handlungsrahmen und andere Einflussmöglichkeiten als die Arbeiter. Sofern diese Prozesse in der Analyse anhand des Quellenmaterials nachvollziehbar sind, finden sie Berücksichtigung. Entscheidend bei der Quellenkritik ist, dass den Arbeitern bewusst war, dass sie für ein Forschungsprojekt befragt wurden. Insofern stellte es eine besondere Situation für die Arbeiter dar. Es ist anzunehmen, dass sie darüber nachgedacht haben, was sie den Forschern als Antwort gaben, nachdem ihnen mitgeteilt wurde, dass sie für ein Forschungsprojekt interviewt werden. Dies belegen Anmerkungen der Forscher zu den einzelnen Interviewten: „Die Befragte war, vielleicht aufgrund des Tonbandmitschnittes, ziemlich eingeschüchtert und zurückhaltend in ihren Äußerungen. Sehr unsicheres Auftreten.“ 167

Es zeigt sich, dass die Situation manche Arbeiter verängstigte und sie daher nicht frei sprachen: „Der Interviewte war betont vorsichtig.“168 Zudem wollten einige von ihnen brauchbare Informationen für die Wissenschaftler bereitstellen: „Gleich nach dem Interview fragt sie, wie sie denn im Interview gewesen sei.“ 169 Wichtig ist dabei mit zu bedenken, dass die Arbeiter unterschiedlich auf die InterviewSituation reagierten, einige eingeschüchtert, die anderen brannten darauf zu erzählen. Aber sie wussten um die Besonderheit der Situation und somit auch um die Bedeutung ihrer Antworten. Obwohl die soziologischen Experteninterviews aufgrund eines bestimmten Erkenntnis- und Forschungsinteresses erstellt wurden, schmälert dies nicht ihre Aussagekraft, denn eine historische Fragestellung und Methodik, wie die Oral History, bringt das Material anders „zum Sprechen“. So können aus den Quellen neue Erkenntnisse gewonnen werden – unabhängig vom Erkenntnisinteresse der Forscher aus den 1970er Jahren. Auch die Tonbandaufnahmen von Gesprächen stellen eine besondere Quellengattung dar. Über die Verwendung von Tonbändern als historische Quellen gibt es kaum Fachliteratur. Selbst in Handbüchern über Geschichtsdidaktik und -methodik stellt das Thema ein Randgebiet dar.170 Der Grund hierfür mag sein, dass die Bänder ausschließlich als Träger verbaler Informationen verstanden, anschließend transkribiert und letztlich wie Schriftquellen behandelt werden.171 Üb167 eLabour-SOFI-IR01_005_009.pdf Gespräch mit Arbeiterin aus dem Presswerk, 52 Jahre am 12.09.1977, S. 1. 168 eLabour-SOFI-IR01_003_007.pdf Gespräch mit italienischem Arbeiter aus dem Presswerk, 38 Jahre am 12.09.1977, S. 1. 169 eLabour-SOFI-IR01_005_006.pdf Gespräch mit Maschinenbedienerin aus dem Kleinpresswerk, o. A. am 22.09.1977, S. 8. 170 Vgl. OPGENOORTH, Ernst/SCHULZ, Günther: Einführung in das Studium der neueren Geschichte (UTB Geschichte 1553), Paderborn u. a. 72010, S. 156–158. 171 WENDORF, Joachim: Über den Quellenwert historischer Film-, Photo- und Tonaufnahmen. Eine Untersuchung am Beispiel des 17. Juni 1953, Göttingen 1999, S. 29.

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rig bleibt ein Anteil nonverbaler Elemente, über deren Relevanz für das historische Arbeiten bislang gestritten wird.172 Die vorgelegte Analyse folgt dem Ansatz des Historikers Bodo Scheurig, der konstatiert, dass in Tonquellen Nuancen, Akzente und die allgemeine Atmosphäre eines Ereignisses wesentlich besser zum Ausdruck kommen als in schriftlichen Quellen und die Unterscheidung des Wichtigen von dem weniger Wichtigen dadurch leichter falle.173 Im Gegensatz zu verschriftlichten Quellen lassen sich auf den Bändern also etwa Gesprächslautstärke, Tonlage und Sprechweise sowie der Ausdruck von Emotionen nachvollziehen.174 Viele Äußerungen verlieren in schriftlicher Form ihre Wirkmacht, da die Emotionen nicht oder nur unzureichend transportiert werden können. Die Beschränkung der meisten Historiker auf das geschriebene Wort und die Vernachlässigung von Tonträgern sind wahrscheinlich überwiegend dem schwierigen Zugriff auf solch seltene Quellen, dem erhöhten Aufwand der Auswertung sowie einem geringen Interesse an den quellenspezifischen Möglichkeiten der Tonaufnahmen geschuldet. Außerdem fordern insbesondere die Originalbänder einen erhöhten Lagerungsaufwand. Zugleich fehlt es an tontechnischer und archivalischer Expertise.175 So bedarf es spezieller Abspiel- und Aufnahmegeräte sowie Software, um mögliche Beschädigungen in der Tonspur zumindest auszugleichen. Darüber hinaus spielt der Überlieferungszustand der Bänder eine entscheidende Rolle (etwa das Fehlen von Teilen der Tonspur) ebenso wie die Aufnahmequalität (unterschiedliche Aufnahmequellen, Ineinanderlaufen der Tonspuren, Lautstärkeeinstellungen der Aufnahmen oder Übersteuerung des Mikrofons bei der Aufnahme). Große Vorteile für die Analyse bringt diese Quellengattung, wenn es darum geht, die Stimmung, das Arbeitsklima und den Umgang der Akteure miteinander in den Besprechungen zu analysieren. Überdies können Zwischen- oder Ausrufe, Stöhnen und Gähnen in die Auswertung mit einbezogen werden, was bei einem Protokoll meist fehlt. Ganz entscheidend ist auch, in welcher Akteurskonstellation und an welchem Ort die Aufnahmen gemacht wurden. So redeten die Gruppenarbeiter viel freier und entspannter, wenn sie in ihren eigenen Gruppengesprächen waren, als wenn sie in den ÖPSZ-Sitzungen mit Vorgesetzten sprachen. Aber ebenso wie bei den Experteninterviews gilt: Die Tonbänder spiegeln nicht die Realität wider. Zunächst kann die mit den Bändern arbeitende Historikerin nicht ermessen, ob das Tonband bei bestimmten Sitzungen und Besprechungen ausgeschaltet blieb oder etwas Wichtiges nicht aufgezeichnet wurde, ähnlich wie sie nicht wissen kann, was in den transkribierten Experteninterviews vom Gespräch fehlt. Zudem wussten die Arbeiter, dass ihre Gespräche aufgezeichnet wurden, da die Wissenschaftler dies bei jeder Sitzung wiederholten oder eine Ansage für das Tonband dem Gruppengespräch voranstellten. Daher forderten einige Gruppen, 172 Ebd., S. 29. 173 SCHEURIG, Bodo: Einführung in die Zeitgeschichte, Berlin 21970, S. 69. 174 WALACH, Thomas: Stimmen hören. Audioquellen als digitale Objekte, in: Digital Humanities. Praktiken der Digitalisierung, der Dissemination und der Selbstreflexivität, hrsg. v. Wolfgang SCHMALE, Stuttgart 2015, S. 31. 175 WENDORF, JOACHIM 1999, Über den Quellenwert historischer Film-, Photo- und Tonaufnahmen, S. 29.

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etwa beim Thema Lohnfindung, das Tonband abzustellen.176 In den ÖPSZSitzungen gerieten Projektleitung und Betriebsrat wegen der Aufnahmen in Konflikt und diese wurden womöglich daraufhin eingestellt.177 Sicherlich ist es denkbar, dass die Mitglieder der Sitzung zwischendurch vergaßen, dass ein Band das Gespräch aufnahm oder sie sich nach einigen Monaten an das Tonband gewöhnten. Anzeichen hierfür sind etwa Gespräche, in denen das Tonband nicht gewechselt wurde, da die Diskussion so anregend war und die Beteiligten vergaßen zu prüfen, ob das Band noch lief. Das sind Mutmaßungen, welche die Analyse jedoch plausibilisiert. Ferner sind auf den Tonbändern soziale Beziehungen „hörbar“, soll heißen: In welcher Tonart (flüstern, schreien) und in welcher Weise (scherzen, brüllen, Einlegen von Pausen) die Personen miteinander reden, lässt Rückschlüsse auf die sozialen Beziehungen zu und kann für die Auswertung, etwa der Unternehmenskultur, entscheidend sein. Außerdem können Sprachduktus, Dialekt und Sprachgebrauch Hinweise über den Sprecher, wie soziales Milieu, Herkunft oder Geschlecht liefern.178 Des Weiteren entwickelt die Forscherin ein „Zeitgefühl“ für die Quellen, da sie die Gesprächssitzungen in Echtzeit mithört. So ist es möglich zu bestimmen, welche Themen in der Diskussion länger und intensiv besprochen wurden, was bei einem Ergebnisprotokoll nicht nachzuvollziehen ist.179 Außerdem lässt sich erkennen, wie viel Zeit diese Besprechungen beanspruchten beziehungsweise welcher Zeitrahmen ihnen im Projekt eingeräumt wurde, was wiederum Rückschlüsse auf deren Wichtigkeit zulässt. Entscheidend sind ebenso die Nähe eines Sprechers zum Mikrofon und die Ausrichtung des Geräts. In einigen Sitzungen des ÖPSZ sind überwiegend Leitungspersonen zu hören, da das Mikrofon nur auf sie und nicht zeitgleich auf die Arbeiter ausgerichtet wurde. Natürlich müssen an „hörbare“ Quellen dieselben Maßstäbe der Quellenkritik angelegt werden wie an andere. Aber es geht hier wie immer in der Historie um Deutungen und Meinungen und wie in der gesamten Geschichtsschreibung ist eine innere Wahrhaftigkeit der historischen Quellen ein Phantasma. Quellen werden von Menschen gemacht und diese sind immer subjektiv, sowohl die schriftlichen als auch die mündlichen Quellen.180 Demnach kann nur eine „Intersubjektivität“, also die Darstellung einer Vielzahl an Perspektiven, erreicht werden. Hierfür eignen sich die Tonbandquellen besonders, da sie wie oben erwähnt einen erweiterten Interpretationsrahmen gegenüber schriftlichen Quellen eröffnen und eine „Intersubjektivität“ schon allein durch die Anzahl der sprechenden Akteure verschiedener Hierarchieebenen des Unternehmens in den ÖPSZ-Sitzungen gegeben ist. 176 Vgl. Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ Projekt-Gruppengespräche 28.11.1975 ab 02:08:00 Min. 177 Vgl. Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ ÖPSZ 27.02.1976 I ab 32:55 Min. 178 WENDORF, JOACHIM 1999, Über den Quellenwert historischer Film-, Photo- und Tonaufnahmen, S. 36. 179 VORLÄNDER, HERWART 1990, Mündliches Erfragen von Geschichte, S. 23f. 180 WALACH, THOMAS 2015, Stimmen hören, S. 36.

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Letztlich bleibt die Frage nach der Sicherung und Archivierung solcher Quellen. Nach der Digitalisierung aller Tonbänder und Kassetten durch die Forscherin konnten sowohl die Originalbänder als auch die Digitalisate im Universitätsarchiv Heidelberg mit Zustimmung von Prof. Dr. Eberhard Ulich, dem damaligen leitenden Arbeitspsychologen des Gruppenarbeits-Projekts aus dem Institut für Arbeitsforschung und Organisationsberatung in Zürich archiviert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. 1.4 THEORETISCHER RAHMEN Für die Analyse des Quellenkorpus eignet sich der Ansatz des Neo-Institutionalismus, denn er folgt dem Grundsatz, dass Organisationen aus konstituierenden Regeln (Institutionen) bestehen und unterscheidet hierbei zwischen formalen und informellen Institutionen. Formale Institutionen sind explizite Regelsetzungen mit Kontroll- und Sanktionsmaßnahmen, wie das Betriebsverfassungsgesetz oder Tarifverträge, wohingegen informelle Institutionen, also bestimmte Verhaltenserwartungen, nicht explizit formuliert und sanktioniert sein müssen.181 Somit haben Regeln und Gesetze, wie etwa das HdA-Programm, große Bedeutung für den Wirtschaftsprozess und das wirtschaftliche Handeln der Unternehmen.182 Folglich hebt diese Theorie den Einfluss des gesellschaftlichen Umfeldes auf Organisationen, wie Unternehmen und deren Akteure hervor, da Unternehmen zentrale Orte und Akteure von Krisenintervention in der kapitalistischen Wettbewerbsordnung sind.183 Während in der neoklassischen Theorie der Drang nach ökonomischer Nutzenmaximierung allein ausschlaggebend für wirtschaftliches Handeln ist, losgelöst von kultureller Prägung und institutioneller Einbindung, versucht der neoinstitutionalistische Ansatz gerade die kulturellen und institutionellen Rahmenbedingungen als Einflussgröße auf wirtschaftliches Handeln herauszuarbeiten.184 Infolgedessen werden sowohl Marktgesetze als auch die Vorstellung darüber als Produkte sozialer Konstruktionsprozesse verstanden, die keinen Naturgesetzen folgen. Demnach ist ökonomische Rationalität veränderbar.185 Der Neo-Institutionalismus geht sehr wohl davon aus, dass Akteure und Organisationen rational handeln, aber im Gegensatz zum rational-choice-Modell tun sie dies nicht ausschließlich im Sinne der ökonomischen Nutzenmaximierung, sondern ihre Entscheidungen sind vom gesellschaftlichen, persönlichen und institutionellen Umfeld beeinflusst. Ihr wirtschaftliches Handeln kann daher von reiner ökonomischer Rationalität abweichen und eben durch diese kulturellen und intrinsischen Fakto-

181 SENGE, Konstanze: Zum Begriff der Institution im Neo-Institutionalismus, in: Einführung in den Neo-Institutionalismus, hrsg. v. Konstanze SENGE, Wiesbaden 2006, S. 43. 182 SENGE, Konstanze/HELLMANN, Kai-Uwe: Einleitung, in: Einführung in den Neo-Institutionalismus, hrsg. v. Konstanze SENGE, Wiesbaden 2006, S. 7. 183 Ebd., S. 8. 184 Ebd., S. 15. 185 Ebd., S. 16.

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ren erst vollständig erklärt werden.186 So fungieren Institutionen als Bindeglied zwischen Organisation und Gesellschaft. Der Neo-Institutionalismus ermöglicht es, den Einfluss politischer Regelsetzungen auf Praktiken und Handlungsweisen der Unternehmen sowie deren Veränderungen zu erfassen. Organisationen (wie Unternehmen) übernehmen nicht nur aufgrund rechtlicher Verpflichtungen die institutionellen Vorgaben aus ihrer Umwelt, sondern sie profitieren von ihren Anpassungsleistungen. Sie erhalten dadurch Legitimität, Ressourcen und Wettbewerbsvorteile.187 Dies bedeutet im Rahmen des HdA-Programms, dass VW die Maßnahmen nicht deshalb durchführte, weil sie das alternativlos beste Produktionsmodell boten oder es eine Verpflichtung hierfür gegeben hätte, sondern weil der Konzern durch das Programm Legitimität gegenüber Arbeitnehmern, Aktionären, Banken und dem Staat sowie neue finanzielle Ressourcen durch die Bundesgelder erhielt. Legitimität ist für Organisationen ein hohes Gut, da die Anerkennung und Vertrauenswürdigkeit, welche ihr von anderen Akteuren zugeschrieben werden, immens zu ihrem Erfolg und Überleben beitragen.188 Der Neo-Institutionalismus fasst Unternehmen als „Organisation“.189 Organisation definiert sich darin offen als „eine spezifische Form geregelter Kooperation“.190 Insofern ist die Bedeutung von Kooperation ein bestimmender Faktor für den Erfolg des Unternehmens.191 Daraus resultiert die Frage nach den Mitteln, mit denen Kooperation im Unternehmen erreicht werden soll. Sie lenkt den Blick auch auf nicht formal vertraglich regulierte Kooperationsmechanismen, wie Vertrauen und Loyalität, die für die Organisation von Arbeit in Unternehmen erhebliche Relevanz haben.192 Vertrauen ist elementar für die Kooperation der unterschiedlichen betrieblichen Akteure und stellt einen „Verzicht auf Opportunismus“ dar „auch wenn ein Regelverstoß nicht mit Sanktionen belegt wird oder belegt werden kann.“193 Andersherum kann Misstrauen die Kooperation zwischen Akteuren gefährden.194 Miss-

186 Ebd., S. 17. 187 SCOTT, William: Institutions and organizations. Toward a theoretical synthesis, in: Institutional environments and organizations. Structural complexity and individualism, hrsg. v. William SCOTT/John MEYER, Thousand Oaks Calif. u. a. 1994, S. 73f. 188 HELLMANN, Kai-Uwe: Organisationslegitimität im Neo-Institutionalismus, in: Einführung in den Neo-Institutionalismus, hrsg. v. Konstanze SENGE, Wiesbaden 2006, S. 75. 189 MENSE-PETERMANN, Ursula: Das Verständnis von Organisation im Neo-Institutionalismus. Lose Kopplung, Reifikation, Institution, in: Einführung in den Neo-Institutionalismus, hrsg. v. Konstanze SENGE, Wiesbaden 2006, S. 65. 190 Ebd., S. 62. 191 WISCHERMANN, CLEMENS 2003, Kooperation, Vertrauen und Kommunikation, S. 83f. 192 LUTZ, Martin: Siemens im Sowjetgeschäft. Eine Institutionengeschichte der deutsch-sowjetischen Beziehungen 1917–1933 (Perspektiven der Wirtschaftsgeschichte 1), Stuttgart 2011, S. 63. 193 WISCHERMANN, CLEMENS 2003, Kooperation, Vertrauen und Kommunikation, S. 87. 194 GORIßEN, Stefan: Der Preis des Vertrauens. Unsicherheit, Institutionen und Rationalität im vorindustriellen Fernhandel, in: Vertrauen. Historische Annäherungen, hrsg. v. Ute FREVERT, Göttingen 2003, S. 103.

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trauen und Unsicherheit entstehen immer aus Informationsdefiziten oder wenn Absprachen nicht kontrolliert werden können.195 Da sich der Neo-Institutionalismus jedoch lediglich auf Organisationen und deren Handeln bezieht, verliert er einzelne Akteure oder Akteursgruppen aus den Augen.196 Um nun aber die einzelnen Akteure im Betrieb, wie Arbeiter, Vorgesetzte sowie Betriebsräte und ihre unterschiedlichen Handlungsmotivationen fassen zu können, bedarf es der Ergänzung durch den akteurszentrierten Institutionalismus. Kernpunkt dieser Theorie ist, dass Institutionen nicht als Ergebnis kultureller Entwicklung gesehen werden, sondern ihrerseits absichtsvoll gestaltet und durch das Handeln von Akteuren verändert werden können. Ebenso begreift die Theorie Institutionen als Regelungsstruktur, welche Handeln ermöglichen und beschränken, aber nicht determinieren. Die institutionellen Verhaltensanreize sind veränderbar durch die Akteure.197 So werden laut Fritz Scharpf die Akteure nicht durch Institutionen in ihrer Handlungsrationalität begrenzt, da sie trotz Sanktionen auch bewusst gegen die Regelvorgaben ihrer Umwelt handeln können. 198 Vielmehr bilden Institutionen einen Handlungsrahmen, der dem Akteur Spielraum für eigene Entscheidungen lässt.199 Im akteurszentrierten Institutionalismus erklären der institutionelle Rahmen und die intrinsische Handlungsmotivation des Akteurs nur im Zusammenspiel das menschliche Handeln.200 Scharpf lehnt daher das Konzept der sogenannten „begrenzten Rationalität“ ab, welches besagt, dass Menschen strategisch versuchen, durch „rationale“ Entscheidungen ihren persönlichen Nutzen zu maximieren. Vielmehr reagieren die Akteure unterschiedlich auf Einflüsse der Umwelt, da sie sich in ihren Wahrnehmungsmustern und intrinsischen Motivationen unterscheiden. Diese beschreibt Scharpf als Präferenz des Akteurs.201 Anstelle des homo oeconomicus tritt ein Akteur, der zwar seinen Nutzen maximieren möchte, aber dessen Definition von Nutzen sich an individuellen Präferenzen, Fähigkeiten, Wahrnehmungen und Mentalitäten ausrichtet.202 Daher ist es mittels des akteurszentrierten Institutionalismus möglich, auch ökonomisch unrentable Entscheidungen aufgrund von 195 Ebd., S. 106. 196 MENSE-PETERMANN, URSULA 2006, Das Verständnis von Organisation im Neo-Institutionalismus, S. 63. 197 MAYNTZ, Renate/SCHARPF, Fritz: Der Ansatz des akteurszentrierten Institutionalismus, in: Gesellschaftliche Selbstregelung und politische Steuerung, hrsg. v. Renate MAYNTZ/Fritz SCHARPF, Frankfurt am Main 1995, S. 45. 198 LUTZ, Martin: Akteurszentrierter Institutionalismus, in: Studienbuch institutionelle Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte, hrsg. v. Clemens WISCHERMANN u. a., Stuttgart 2015, S. 48. 199 SCHARPF, Fritz: Games real actors play. Actor-centered institutionalism in policy research (Theoretical lenses on public policy), Boulder Colo. u. a. 1997, S. 42. 200 ASPINWALL, Mark/SCHNEIDER, Gerald: Institutional Research on European Union. Mapping the field, in: The rules of integration. Institutionalist approaches to the study of Europe, hrsg. v. Gerald SCHNEIDER/Mark ASPINWALL, Manchester 2001, S. 10. 201 SCHARPF, Fritz: Interaktionsformen. Akteurzentrierter Institutionalismus in der Politikforschung, Opladen 2000, S. 86f. 202 LUTZ, MARTIN 2011, Siemens im Sowjetgeschäft, S. 57.

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Emotionen, gesellschaftlichen Werten, Legitimation oder persönlichen Präferenzen zu erklären. Allerdings bedeutet dies nicht, dass aufgrund der individuellen persönlichen Präferenzen nicht auch kollektive Handlungsrationalitäten einer Akteursgruppe bestehen. Diese Bündelungen von Motivationssträngen sind für die Untersuchung relevant. Desgleichen gibt es eine deutliche Trennung zwischen Akteur und Institutionen, da Regelsysteme nicht handeln, sondern die Akteure beeinflussen. Institutionen steuern zwar menschliches Handeln, aber sie werden andererseits durch menschliches Handeln konstruiert. Insofern können Institutionen sowohl als abhängige als auch unabhängige Variable betrachtet werden. Eine Analyse von Akteuren kommt ohne deren institutionelle Einbindung ebenso wenig aus wie eine Analyse der institutionellen Strukturen ohne Akteure. Bezogen auf die Untersuchung bedeutet dies, dass die Bundesregierung mit dem Programm „Humanisierung des Arbeitslebens“ eine institutionelle Struktur für das Unternehmen VW schuf, welches die Projekte durchführte. Allerdings trat die Bundesregierung in Verhandlungen mit dem Unternehmen und im Betrieb selbst wurden wiederum innerhalb der Projekte spezifische Entscheidungen von Akteuren getroffen, um die Projekte implementieren zu können. Die Bundesregierung gab also einen Handlungsrahmen vor, aber es war den Akteuren im Betrieb möglich, diesen Handlungsrahmen zu verändern, etwa wenn die in der Theorie formulierten Abläufe und Vorgaben nicht mit denen des Betriebes übereinstimmten. Darüber hinaus gab das Unternehmen den betrieblichen Akteuren einen institutionellen Rahmen vor, welcher aufgrund der eingeführten Projekte angepasst werden musste. Daher konnten auch die Arbeitnehmer, die an der Gestaltung und Abänderung der Projekte beteiligt waren, den institutionellen Rahmen durch ihre Handlungen verändern. Eine Akteursgruppe ist für die Analyse von besonderem Interesse: Die Arbeiter. Das Konzept des „Eigen-Sinns“ des Historikers Alf Lüdtke stellt das Handeln der Arbeiter in den Vordergrund und bildet somit eine wichtige Ergänzung zum akteurszentrierten Institutionalismus. Er formulierte das Konzept, um ein genaueres Verständnis von Handlungen und Verhaltensweisen einzelner Fabrikarbeiter außerhalb des damals noch vermuteten Kollektivs der Arbeiterklasse zu ermöglichen.203 Ebenso äußerte er Kritik an der angenommenen Zwangsläufigkeit von Prozessen und Strukturen: „Arbeiterverhalten fügte sich unter dem Signum des Klassenkampfes den Fluchtlinien eines Geschichtsprozesses, der von den „niederen“ zu den – angeblich – entwickelten Kampfformen fortschreitet.“ So müsse die spontane der rationalen kalkulierten Aktion weichen.204 Lüdtke sah keinen Grund, wieso Arbeiter nicht auch weiterhin ohne Interessenvertretungen spontane Streiks aufgrund eigener Handlungsmotivationen ausüben sollten. Er wollte mit seinem Ansatz gerade das „quertreibende“ Verhalten des einzelnen Arbeiters fassen und

203 LÜDTKE, Alf: Eigen-Sinn. Fabrikalltag, Arbeitererfahrungen und Politik vom Kaiserreich bis in den Faschismus, Hamburg 1993, S. 10f. und S. 120f. 204 Ebd., S. 11.

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die Diversität ihrer Handlungsmotivationen der vorherrschenden angenommenen Homogenität dieser Gruppe entgegenstellen.205 Obwohl Lüdtke den Begriff des Eigen-Sinns zur Erweiterung der Arbeitergeschichte gedacht hatte, lieferte er keine genaue Definition, was den Begriff offen macht für andere Zuschreibungen.206 Stattdessen leitete Lüdtke den Begriff aus dem überlieferten mehrdeutigen Sprachgebrauch früherer Jahrhunderte ab. EigenSinn konnte etwa eine Widerborstigkeit wie „Unart“ bis hin zu Freiheit – „eigensinnige Freiheit“ – sein.207 Eigen-Sinn hat viele Bedeutungen, aber um den Begriff für die Analyse nutzbar zu machen, bedarf es einer Einschränkung. EigenSinn soll hier gefasst werden als die Freiheit, auf eine eigene Meinung zu bestehen sowie als die Freiheit, aus eigensinnigen Motivationen selbstständige Entscheidungen zu treffen und sich damit Handlungsraum anzueignen. Diese „Freiheit“ muss aber in einem gewissen Maße gewährt werden, was auf die Interaktion mit Kollegen oder Vorgesetzten im Betrieb rekurriert. Das Wort „eigensinnig“ impliziert letztlich auch, dass es als solches wahrgenommen wird und anlehnend an die Institutionentheorie Konflikte entstehen können. Die Vorgesetzten betrachten die Arbeiter also als eigensinnig und ihr Eigen-Sinn kann zur Konfrontation führen.208 Allerdings treten Arbeiter laut Lüdtke nicht nur mit ihren Vorgesetzten, sondern auch mit ihren Kollegen in Konflikt. Folglich meint Eigen-Sinn „individuelles Verhalten, […] als Distanzierung von Allen (und von allem) kann sich gegen Gleichgestellte wie gegen Untergeordnete, aber auch gegen Höhergestellte richten.“209 Daraus resultiert, dass Arbeiter untereinander nicht unbedingt solidarisch miteinander sein müssen und sich sowohl gegen ihre Kollegen als auch gegen ihre Vorgesetzten wenden können. Lüdtke zielt auf die „Individualität“ jedes Akteurs ab – jeder sei spezifisch und anders als andere. Die Analyse geht aber hingegen davon aus, dass es trotz ihrer Individualität durchaus gemeinsame und verbindende Rationalitäten unter den Arbeitern gibt, da sie gemeinsame Arbeitsund Lebenserfahrungen teilen und eine vollständige Distanzierung von den betrieblichen Beziehungen mit Vorgesetzten und Kollegen sowie von Unternehmensstrukturen nicht möglich ist.210 Aus dem Konzept können ebenso eine ungleiche Machtverteilung und Hierarchisierung im Betrieb herausgelesen werden. Lüdtke bezog sich in seinen Studien auf die Hochindustrialisierung und zeichnete eine Spaltung des Betriebes in Kapital beziehungsweise Arbeit oder Vorgesetzte und Arbeiter nach. Die Arbeiter waren aus Sicht Lüdtkes Unterdrückte im „Fabrikregime“, denn zu dieser Zeit war

205 Ebd., S. 13. 206 LINDENBERGER, Thomas: Eigen-Sinn, Herrschaft und kein Widerstand, in: Kultur – Geschichte – Behinderung. Eigensinnige Aneignung von Geschichte, hrsg. v. Oliver MUSENBERG, Oberhausen 2017, S. 22. 207 LÜDTKE, ALF 1993, Eigen-Sinn, S. 9. 208 LINDENBERGER, THOMAS 2017, Eigen-Sinn, Herrschaft und kein Widerstand, S. 25. 209 LÜDTKE, ALF 1994, Geschichte und Eigensinn, S. 150. 210 Ebd., S. 150.

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der „Paternalismus“211 in der Unternehmensführung üblich und der Klassenkampf präsent. Wendet man dieses Konzept nun auf die 1970er Jahre der BRD an, ist die Sozialpartnerschaft vorherrschend und ebenfalls neue Formen der Unternehmensleitung, welche die zentrale Bedeutung der Arbeiter für den wirtschaftlichen Erfolg anerkennen. Daher lehnt die Arbeit das unversöhnliche Gegenüberstehen von „Arbeit und Kapital“ ab und setzt auf eine kooperatistische Verhaltensweise im Betrieb. Dennoch gibt es durchaus unterschiedliche Interessenslagen und Machtverhältnisse in den verschiedenen Hierarchieebenen, die in der Analyse aufgezeigt werden. Folglich ist Lüdtkes Theorie eine wichtige Ergänzung zum akteurszentrierten Institutionalismus, der Machtfragen weitgehend ausklammert. Bedeutend ist zudem, dass die Arbeiter bei Lüdtke nicht nur Opfer von Macht sind, sondern er beschreibt die „Formen und Praktiken“, in und mit denen sich die Arbeiter die Produktionsweisen und Hierarchieverhältnisse aneignen, sprich, wie sie sich zu Grenzen, Zwängen und Anreizen verhielten und damit eigenen Handlungsraum beanspruchten.212 Damit bezweckte er, „daß nicht allein die Personen auf Kommandohöhen“ als historische Akteure sichtbar wurden. „Die Adressaten von Anforderungen, Verordnungen und Befehlen waren (und sind) keineswegs nur Marionetten.“213 Das Zitat zielt auf zwei zentrale Annahmen dieser Forschungsarbeit ab: Die Fassung bisher kaum sichtbarer Akteure und die Arbeiter als eigenständige Subjekte. Wenn sich Herrschafts- und Machtverhältnisse in Lüdtkes Aussagen herauslesen lassen, finden sich ebenso kooperatistische Ansätze: „Beziehungen von Herrschaft wie Marktverhältnisse funktionieren nur dann, wenn Zwänge und Anreize von Herrschenden und Produzenten mit den Interessen und Deutungen, den Emotionen und Ängsten auch der anderen in ein Verhältnis gebracht werden, wenn Mitmachen oder Unterstützen, zumindest immer wieder erneutes Hinnehmen auch für die Abhängigen, für die, die sich machtlos fühlten, einen eigenen Reiz hat.“ 214

Wie Lüdtke andeutet, muss es gleichfalls gemeinsame Anknüpfungspunkte, Anreize und Kompromisse geben, um eine erfolgreiche Produktion zu gewährleisten. So sind alle Beteiligten handlungsfähige Subjekte, wenn auch mit asymmetrischen Machtressourcen ausgestattet. Keiner von ihnen ist aber gänzlich ohne Hand211 „Paternalismus“ wird in dieser Arbeit, dem Historiker Hartmut Berghoff folgend, als eine Form der Unternehmensführung, an deren Spitze eine starke, autoritäre Unternehmerleitfigur stand, charakterisiert, welche über soziale Leistungen die Arbeitnehmer an den Betrieb band und damit auch die Kontrolle über deren Privatleben erlangte. Bei Berghoff, aber auch beim Historiker Clemens Wischermann, werden die Begriffe „Paternalismus“ und „Patriarchalismus“ synonym verwendet, ebenso wie in dieser Arbeit. Vgl. BERGHOFF, Hartmut: Unternehmenskultur und Herrschaftstechnik. Industrieller Paternalismus: Hohner von 1857 bis 1918, in: Geschichte und Gesellschaft: GG 23 (1997), S. 167; WISCHERMANN, Clemens: Unternehmenskultur, Unternehmenskommunikation, Unternehmensidentität, in: Unternehmenskommunikation deutscher Mittel- und Großunternehmen. Theorie und Praxis in historischer Perspektive, hrsg. v. Clemens WISCHERMANN, Dortmund 2003, S. 22ff. 212 LÜDTKE, ALF 1994, Geschichte und Eigensinn, S. 145f. 213 LÜDTKE, ALF 1993, Eigen-Sinn, S. 15. 214 Ebd., S. 15.

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lungsmacht und niemand, selbst nicht das Management, ist ungebunden in seinen Handlungen.215 Mit diesem Ansatz ist es möglich, das eigenständige Handeln der Arbeiter und die eigene Logik ihres Handelns hervorzuheben. Demnach kann das Ausbilden von unterschiedlichen Rationalitäten, die sich von der Unternehmensleitung und von denen der eigenen Interessenvertretungen im Betrieb oder gar von den Kollegen unterscheiden, als solche wahrgenommen und als legitim anerkannt werden. Darüber hinaus ist es möglich durch den Ansatz die unterschiedlichen Machtverhältnisse im Betrieb in der Analyse zu offenbaren und zeitgleich die gemeinsam geteilten Interessen und Abhängigkeiten der unterschiedlichen Hierarchieebenen im Unternehmen aufzuzeigen. Im Zusammenspiel mit dem akteurszentrierten Institutionalismus lassen sich also einerseits auf der Makroebene die gesellschaftliche und politische Einbettung des Unternehmenes im Kontext des HdA-Programms und andererseits auf der Mikroebene die Aushandlung und Ausdifferenzierung der Projekte zwischen den betrieblichen Akteuren erklären. Darüber hinaus machen beide Ansätze die Arbeiter als Akteure sichtbar und ihre spezifischen Handlungsmotivationen fassbar. Durch das Konzept des Eigen-Sinns geraten zudem die betrieblichen Machthierarchien nicht außer Acht und damit ermöglicht es die Grenzen des Handlungsraums der Arbeiter im Unternehmen zu bestimmen. 1.5 AUFBAU DER ARBEIT Die Arbeit gliedert sich in drei Hauptkapitel, die das Handeln der Zielgruppe Arbeiter im Betrieb fassen. Zunächst wird in Kapitel 2 der Arbeiter als Akteur in seiner Eigenlogik betrachtet. Es dient dazu, den theoretischen Akteursbegriff zu präzisieren und am Fallbeispiel herauszuarbeiten. So untersucht das Analysekapitel die Frage, nach welchen Rationalitäten und aus welchen Motivationen die Arbeiter im Unternehmen und in den HdA-Projekten handelten. An diese Handlungsmotivationen anknüpfend treten die Arbeiter entweder als Gestalter oder als Verweigerer von Innovation in den Projekten hervor. Aus welchen Gründen befürworteten sie die Einführung neuer Technologien oder Arbeitsstrukturen und was bewegte sie dazu diese abzulehnen? Die grundlegende Annahme ist, dass die Arbeiter Mitgestalter und Konstrukteure des Unternehmens- und Projekterfolgs waren. Die beiden folgenden Kapitel betrachten die Arbeiter als Akteure in ihrer Integration ins Unternehmen. In Kapitel 3 steht ihre Kooperation mit anderen Akteuren, wie Vorgesetzten, Werksleitung und Betriebsrat im Fokus. Es fragt nach den verbindenden Elementen in den Arbeitsbeziehungen. Welche Gemeinsamkeiten und Ziele teilten die Arbeiter mit den anderen Akteursgruppen und wie gestaltete sich diese konkrete Kooperation in den HdA-Projekten? Für eine gelungene 215 WELSKOPP, Thomas: Unternehmen Praxisgeschichte. Historische Perspektiven auf Kapitalismus, Arbeit und Klassengesellschaft, Tübingen 2014, S. 9.

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Kooperation, so die Annahme, war vor allem die ermöglichte Teilhabe der Arbeiter durch Vorgesetzte und das Einbringen der Werker in die Projekte elementar. Aus der erfolgreichen Einbindung der Arbeiter in die Entscheidungsprozesse würde gemeinsames Vertrauen resultieren und dadurch geteilte Zielorientierungen mit den Vorgesetzten, etwa von Rationalisierung, offenbar. Das vierte Kapitel beschäftigt sich hingegen mit dem Entstehen von Konflikten zwischen den betrieblichen Akteuren. Es wird angenommen, dass diese Konflikte auf der Verweigerung von Mitspracherechten für Arbeiter fußten oder deren Weigerung, sich zu beteiligen. Jene Auseinandersetzungen äußern sich, so die These, in unterschiedlichen Themenfeldern, welche die Mitbestimmung hemmten, wie vorherrschende Menschenbilder und Klassendenken, die Grenzen für die Qualifizierung von Arbeitern bestimmen oder die betrieblichen Machtstrukturen. Zu prüfen ist darüber hinaus, ob die Projekte aufgrund dieser Konfliktpunkte in ihrer Umsetzung scheiterten. Das Bundesprogramm, welches als Referenzpunkt für die betriebliche Praxis dient, wird in seinen Kernaussagen den drei Hauptkapiteln zugeordnet und seine Relevanz für das jeweilige Oberkapitel herausgestellt. Außerdem ist hier die Makroebene der Analyse, also die Kontextualisierung des HdA-Programms in die Wirtschaftskrisen der 1970er Jahre, die Konkurrenz mit dem Sozialismus in der DDR und die Ausgestaltung der Sozialpartnerschaft zu finden. In den entsprechenden Unterkapiteln werden die Zielsetzungen des Programms mit den Ergebnissen der Analyse abgeglichen. Außerdem sollen die Spezifika der genutzten Quellengattungen ebenso wie die theoretische Grundlage der Arbeit in den Analysekapiteln herausgearbeitet und ihr besonderer Nutzen für die Untersuchung offenbar gemacht werden. Die Zusammenfassung der Ergebnisse des jeweiligen Hauptkapitels erfolgt in einem Zwischenfazit. Schließlich führt die Schlussbetrachtung einerseits die Überlegungen zu Arbeitern als Handlungssubjekte in den betrieblichen HdA-Projekten, die in der Einleitung dargelegten Thesen und die Bewertung über den Erfolg oder Misserfolg der betrieblichen Kooperation und des HdA-Programms zusammen, andererseits resümiert sie den Erkenntnisgewinn durch die verwendeten Quellengattungen.

2 ARBEITER ALS AKTEURE IM BETRIEB – IHRE HANDLUNGSMOTIVATIONEN UND RATIONALITÄTEN Arbeit als Erwerbsarbeit prägt seit dem 19. Jahrhundert die Gesellschaft in sozialer, politischer und kultureller Hinsicht so umfassend, dass sie als „Arbeitsgesellschaft“ bezeichnet wird. Arbeit definiert Einkommen, gesellschaftliches Ansehen und Einfluss. Sie ist sinnstiftend.1 In den 1970er Jahren befand sich die Diskussion um Arbeit zwischen zwei Polen: „Arbeit als Kern menschlicher Würde und Menschenrecht und die weit verbreitete Erfahrung von Arbeit als untergeordnet, fremdbestimmt und abnutzend.“2 Die formulierte Kritik in der öffentlichen Diskussion um das Thema Arbeit bezog sich insbesondere auf die hohe Entfremdung von der eigenen Tätigkeit, eine ausgeprägte Fremdbestimmung, eine Ausbeutung kapitalistischer Lohnarbeit und die kleinteilige Zerlegung von Arbeitsschritten.3 In diesem Spannungsfeld startete das Bundesprogramm „Humanisierung des Arbeitslebens“ mit dem Ziel, die Arbeitsbedingungen nachhaltig zu verbessern. Das Forschungs- und Aktionsprogramm hatte als Zielgruppe seiner Projekte die Arbeiter in den Betrieben. Insofern erscheinen sie im Programmtext als eigenständige Akteure, die erkannten, dass sie einen erheblichen Beitrag zum wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens und der BRD leisteten: „Immer mehr Arbeitnehmer sind sich bewußt geworden, daß das Ergebnis des Wirtschaftens entscheidend von ihnen abhängt.“4 Hieraus erwächst dem Programmtext zufolge auch „ihre Forderung nach Mitwirkung an der Gestaltung der Bedingungen, unter denen sie zu arbeiten haben.“5 Demnach waren die Arbeiter laut Programmtext in erheblichem Maße an der erfolgreichen Implementierung des HdA-Programms im Betrieb beteiligt. Darüber hinaus rekurriert der Text auf ein erstarktes Selbstbewusstsein der Arbeiter. Dieses Selbstbewusstsein wird in der Geschichtswissenschaft häufig mit dem Wertewandel in den 1970er Jahren in Verbindung gebracht. Durch diesen erlebte die bundesdeutsche Gesellschaft in den 1960er bis in die 1980er Jahre einen kulturell-politischen Umbruch von einer patriarchalisch-autoritären zu einer pluralen Gesellschaft, in der Emanzipation und Selbstbestimmung eine bedeutende Rolle spielten.6 Jener Wandel fand unter anderem aufgrund des ökonomischen Fort1

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KOCKA, Jürgen: Arbeit im historischen Grundriss, in: Alltag, Erfahrung, Eigensinn. Historisch-anthropologische Erkundungen, hrsg. v. Belinda Joy DAVIS, Frankfurt/New York 2008, S. 449. Ebd., S. 449. Ebd., S. 451. BArch, B 149/27879, Forschungsaktionsprogramm zur Humanisierung des Arbeitslebens Februar 1974, S. 2. Ebd., S. 2. DIETZ, Bernhard/NEUHEISER, Jörg: Diesseits und jenseits der Welt der Sozialwissenschaften. Zeitgeschichte als Geschichte normativer Konzepte und Konflikte in der Wirtschafts- und

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schritts statt und führte der Arbeiterschaft ihre Bedeutung für den wirtschaftlichen Erfolg der BRD vor Augen, was ein wachsendes Selbstbewusstsein förderte.7 Der politisch prominenteste Vertreter des HdA-Programms, Hans Matthöfer, brachte diese Auffassung in einer Rede zu den Programmzielen zum Ausdruck: „Forschungsprojekte, die dauerhafte Wirkung erzielen, auf breiter Front Anstöße zur Veränderung der Betriebswirklichkeit geben wollen, lassen sich nicht mit der Brechstange und über die Köpfe derjenigen hinweg durchsetzen, die es eigentlich angeht.“ 8

Die Arbeiter müssten seiner Ansicht nach bei der Umsetzung der Projekte im Betrieb beteiligt und ihre Kritik Gehör finden. Daher stellt sich die Frage, wie die Arbeiter an den Innovationen und ihrer Implementation im Unternehmen beteiligt wurden und wie sie sich zu den neu eingeführten Innovationen der Gruppenarbeit und der Industrieroboter in den HdA-Projekten verhielten. Die vorangestellte These ist, dass die Arbeiter sowohl Träger als auch Konstrukteure von Innovation in den HdA-Projekten bei VW waren und deren Erfolg hierdurch entscheidend mitgestalteten. Unter Innovation wird in der Analyse eine organisatorische oder technische Veränderung im Unternehmen, wie die Einführung und Anwendung neuer Arbeitsorganisationen und Produktionstechnologien, etwa Gruppenarbeit oder Industrieroboter verstanden. Ganz allgemein bezeichnet Innovation mit „technischem, sozialem und wirtschaftlichem Wandel einhergehende Neuerungen.“ Sie hat immer einen prozesshaften Charakter.9 In diesem Kapitel geht es darum, den Akteur Arbeiter in seiner Eigenlogik zu fassen und präziser beschreiben zu können. Was sind seine Motivationen, Handlungen und Ziele? Anknüpfend an den akteurszentrierten Institutionalismus, der das wirtschaftliche Handeln von Akteuren aufgrund von sich unterscheidenden Wahrnehmungsmustern, persönlichen Motivationen und Einflüssen der Umwelt erklärt, möchte die Analyse die Handlungsrationalitäten der Arbeiter in den HdAProjekten erfassen. Welche Faktoren und Motivationen beförderten die Annahme und Mitgestaltung von Innovation, welche führten zu Ablehnung der Neuerungen und wie äußerte sich dies? Hierbei gilt es zu beachten, dass Regeln und Strukturen das Verhalten der Akteure nicht determinierten, aber beeinflussten.10 Allerdings waren die Arbeiter eingebettet in die betrieblichen Strukturen. Insofern sind ihre Handlungen und ihr Verhalten immer auch eine Positionierung zu anderen Akteuren oder mit den betrieblichen Strukturen und Gruppen in Beziehung zu setzen. Darüber hinaus konnten die Arbeiter den betrieblichen Handlungsrahmen zwar Arbeitswelt, in: Wertewandel in der Wirtschaft und Arbeitswelt. Arbeit, Leistung und Führung in den 1970er und 1980er Jahren in der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. v. Bernhard DIETZ/Jörg NEUHEISER, Berlin/Boston 2017, S. 9. 7 Ebd., S. 10. 8 BArch, B 196/31215, Protokoll der konstituierenden Sitzung des Fachausschusses „Humanisierung des Arbeitslebens“ am 09.07.1975 in Bonn, S. 1f. 9 BAUER, REINHOLD 2006, Gescheiterte Innovationen, S. 11f; Gabler Wirtschaftslexikon: Definition Innovation, online: https://wirtschaftslexikon.gabler.de, [23.08.2018]. 10 SCHARPF, FRITZ 1997, Games real actors play, S. 42.

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verändern oder verschieben, aber die Rahmenbedingungen nicht gänzlich aufheben. Zudem findet das Konzept des Eigen-Sinns seine Anwendung. Eigen-Sinn ist wie zuvor definiert die Freiheit, eigenständig zu handeln, aber um dies zu tun, muss Freiheit auch von den anderen Akteuren gewährt werden.11 Ebenso beschreibt Lüdtke die „Vielfalt der Bedürfnisse“ der Arbeiter, welche sie „zu erreichen suchen.“12 Diese können durchaus ambivalent, überlappend oder sogar widersprüchlich sein und sich von Arbeiter zu Arbeiter unterscheiden. Natürlich gibt es aber parallel dazu verbindende kollektive Rationalitäten, wie etwa die Sicherung des eigenen Arbeitsplatzes oder angemessener Lohn.13 Die genaue Beschreibung des Akteurs Arbeiter und dessen Handlungsrationalitäten bilden die Grundlage, um die späteren Austauschprozesse sowie Kooperations- und Konfliktpunkte mit anderen betrieblichen Akteuren in den folgenden Kapiteln zu verstehen. Es soll erfasst werden, wie und wonach Arbeiter handeln, um ihre spezifischen Handlungsrationalitäten denen der Betriebsleitung oder ihrer Interessenvertretungen entgegenzustellen sowie Gemeinsamkeiten sichtbar machen zu können. Bisher sind vor allem das Handeln und die Motivationen der Betriebsleitung und der Interessenvertretungen erforscht worden und nicht die des Akteurs Arbeiter.14 Insofern leistet das Kapitel einen Beitrag dazu, Arbeiter als handelnde Subjekte präziser zu beschreiben und ihre intrinsischen Motivationen zu benennen. Das Kapitel lehnt sich an ältere Forschungen an, die belegen, dass Arbeiter abseits der rein ökonomischen Rationalität noch anderen, etwa sozialen Rationalitäten, folgen.15 2.1 ARBEITER ALS GESTALTER VON INNOVATION Das Gruppenarbeits-Projekt war ein Meilenstein des HdA-Programms und sollte eine Alternative zur fordistischen Fließbandproduktion darstellen. Ende der 1960er Jahre waren zahlreiche Unternehmen in den westlichen Industriestaaten auf der Suche nach neuen Formen der Arbeitsorganisation, um sich den gewandelten Marktbedingungen anzupassen. Besonders die deutsche Automobilindustrie, allen voran VW, kämpfte mit weltweit sinkenden Absatzzahlen.16 Das VW-Werk 11 12 13 14

LÜDTKE, ALF 1993, Eigen-Sinn, S. 377f. Ebd., S. 42. Ebd., S. 376f. Vgl. MERTENS, Volker: Europaweite Kooperation von Betriebsräten multinationaler Konzerne. Das Beispiel des Volkswagen-Konzerns, Wiesbaden 1994; LEWANDOWSKI, Jürgen/ZELLNER, Marion: Der Konzern. Die Geschichte der Marken VW, Audi, Seat und Škoda, Bielefeld 1997; HEIBLER, Markus: Unternehmens- und Arbeitsstrukturen von Automobilkonzernen im Wandel. Die Beispiele Daimler, Volkswagen und General Motors (Schriften aus der Fakultät Humanwissenschaften der Otto-Friedrich-Universität Bamberg 6), Bamberg 2010. 15 THOMPSON, EDWARD 1987, Die Entstehung der englischen Arbeiterklasse, S. 386–389. 16 GRIEGER, Manfred: Die „geplatzte Wirtschaftswundertüte“. Die Krisen 1966/67 und 1973/75 im deutschen Symbolunternehmen Volkswagen, in: Automobilindustrie 1945–2000. Eine

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Salzgitter beantragte das Forschungsvorhaben 1974 in einer existenziellen Krisenzeit, denn das Werk rang mit dramatischen Rationalisierungsfolgen, wie umfassendem Stellenabbau, Kurzarbeit und der Schließung des Fahrzeugbaus.17 Die Produktion musste nun wesentlich flexibler auf Kundenwünsche reagieren und in der Automobilfertigung deutlich mehr Typenauswahl bieten.18 Das Gruppenarbeits-Projekt war ein Versuch, Rationalisierungsmaßnahmen und flexible Produktion zu verbinden, um lange Liege- und Transportzeiten sowie die Trennung von Planung, Disposition und Ausführung aufzuheben, welche oft zu hohen Kosten und Abstimmungsfehlern führten.19 Durch die Gruppenarbeit konnten etwa Sondermodelle und Kleinserienfertigung wesentlich effizienter und schneller produziert werden, als am Band.20 Die Idee der Gruppenarbeit war nicht gänzlich neu in Deutschland. Schon nach dem Ersten Weltkrieg finden sich in der Industrie unter dem Begriff „Gruppenfabrikation“ zahlreiche der in den 1970er Jahren aufgegriffenen Ideen wieder, wie „berufsgemischte Arbeitsgruppen“ mit „Überblickswissen“ und „Kooperation“.21 Auch die Fertigung eines gesamten Produkts durch eine Gruppe von Arbeitern wurde in diesen früheren Versuchen vorgesehen, um die Arbeitsmotivation und Selbstverantwortung der Arbeiter zu steigern.22 Die Form der Gruppenarbeit in den 1970er Jahren orientierte sich unter anderem an den Ideen der Human Relations-Bewegung. Jenes aus den USA importierte Konzept der Menschenführung im Betrieb hielt ab den 1950er Jahren vermehrt in der deutschen Industrie Einzug.23 Hierbei ging es um die höhere Wertschätzung der Ressource Mensch im Unternehmen, welche vorwiegend durch soziale Anerkennung die Leistung der Arbeiter verbessern sollte. Dies gelang etwa durch einen Wandel des betrieblichen Führungsstils weg von hierarchischen Kommandostrukturen hin zu mehr Teamwork und flacherer Rangordnung, der eine verbesserte

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Schlüsselindustrie zwischen Boom und Krise, hrsg. v. Stephanie TILLY, München 2013, S. 25f. ECKARDT, Andrea: Qualifiziert diskutieren, weiter streiten, mehr mitgestalten! 40 Jahre Kampf um Arbeit im VW-Werk Salzgitter, Hamburg 2010, S. 66f. HÜBNER, Christoph/WACHTVEITL, Angelika: Vom Facharbeiter zum Prozeßgestalter. Qualifikation und Weiterbildung in modernen Betrieben (Campus: Forschung 806), Frankfurt am Main 2000, S. 14f. Ebd., S. 17. BERGHOFF, Hartmut: Moderne Unternehmensgeschichte. Eine themen- und theorieorientierte Einführung, Berlin/Boston 22016, S. 325. NOVAK, Hermann: Gruppenarbeit. Ein neuer Maßstab für Organisationsentwicklung und berufliche Bildung?, in: Entwicklung der Gruppenarbeit in Deutschland – Stand und Perspektiven. Beiträge und Ergebnisse zur gleichlautenden Arbeitskonferenz am 25. und 26. März in Mannheim, hrsg. v. Peter BINKELMANN/Hans-Joachim BRACZYK/Rüdiger SELTZ, Frankfurt am Main 1993, S. 403; LANG, Richard/HELLPACH, Willi: Gruppenfabrikation (Sozialpsychologische Forschungen des Instituts für Sozialpsychologie an der Technischen Hochschule Karlsruhe 1), Berlin 1922. Ebd., S. 94f. HILGER, Susanne: „Amerikanisierung“ deutscher Unternehmen. Wettbewerbsstrategien und Unternehmenspolitik bei Henkel, Siemens und Daimler-Benz (1945/49–1975) (Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte: Beihefte 173), Stuttgart 2004, S. 240.

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Arbeitsatmosphäre und Kommunikation im Betrieb gewährleisten sollte.24 Außerdem sollten die Arbeiter nun mehrere Tätigkeiten ausüben und damit flexibler einsetzbar sein.25 Als eines der wichtigsten Beispiele für eine solche neue Gruppenarbeit galt jene beim schwedischen Automobilhersteller Volvo, die für VW Salzgitter als Vorbild fungierte.26 Im Vergleich zu Volvo erweiterte VW allerdings bei seinem HdA-Projekt die Gruppenarbeit in Bezug auf Mitgestaltung, Tätigkeitsumfang und Autonomie. Folglich waren die teilautonomen Gruppen bei VW in die meisten Planungs- und Konzeptionsgespräche eingebunden. Dies bedeutet letztlich, dass die Gruppenarbeiter, wie in einem HdA-Gestaltungsprojekt üblich, die Möglichkeit eines erweiterten betrieblichen Handlungsrahmens durch das Projekt hatten. Warum und aus welchen Motivationen gestalteten die Gruppenarbeiter nun die neuen Arbeitsstrukturen mit und welcher Handlungsrahmen wurde ihnen zugestanden? Beweggründe hierfür waren unter anderem das Unterbeweisstellen der eigenen Fähigkeiten und die Möglichkeit der Arbeiter, durch Eigeninitiative sowie Eigenverantwortung die Innovation nach ihren Vorstellungen zu prägen. Demnach entwarf etwa Gruppe 3 ein eigenes Konzept eines Montagewagens27, anstatt wie die anderen Gruppen an dem von der Planung konzipierten Wagen zu arbeiten.28 Insbesondere Gruppensprecher 3 arbeitete in seiner Freizeit an der Planung des Wagens. Fast die gesamte Gruppe opferte ihre Pausen zur Besprechung von dessen Konzeption. Darüber hinaus erarbeiteten sie einen Plan für die Einrichtung der Produktionsanlagen als Alternative zum Entwurf der Planung.29 Es ging ihnen darum zu beweisen, dass sie willens und dazu in der Lage waren, die Herausforderungen und Möglichkeiten des Projektes durch ihren erweiterten Handlungsrahmen anzunehmen: „Wir haben jetzt die Chance, die Arbeiter, tatsächlich mal was durchzusetzen […].“30

Sie erkannten in dem Projekt die Möglichkeit, erstmalig selbst als Gestalter einer Arbeitsstruktur und der technischen Einrichtungen aufzutreten. Sonst lege dies immer die Betriebsleitung fest ohne die Mitsprache der Arbeiter.31 Insofern ging es darum, das Potenzial der Arbeiter in diesen Prozessen zu belegen, um dem üblichen Ablauf der Innovationseinführung entgegenzuwirken. Außerdem veranschaulicht die Aussage, dass die gefühlte oder soziale Zugehörigkeit zu einer 24 Ebd., S. 241. 25 DONAUER, Sabine: Faktor Freude. Wie die Wirtschaft Arbeitsgefühle erzeugt, Hamburg 2015, S. 65. 26 KÜHL, Stefan/KULLMANN, Gerhard: Gruppenarbeit. Einführung, Bewertung, Weiterentwicklung, München/Wien 22002, S. 16. 27 In den Quellen wird der Montagewagen auch als Bock bezeichnet. 28 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ ÖPSZ erweiterte Planung 31.03.1975 ab 01:06:42 Min. 29 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ ÖPSZ 20.11.1975 I ab 01:23:11 Min. 30 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ Gruppengespräche 24./25.05.1976 II ab 01:47:59 Min. 31 Vgl. KLEINSCHMIDT, CHRISTIAN 1993, Rationalisierung als Unternehmensstrategie, S. 36f.

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Gruppe, also das Bewusstsein, ein Arbeiter zu sein, in manchen Situationen handlungsleitend war. Allerdings wird anhand des folgenden Beispiels aus Gruppe 3 auch deutlich, wohin eine derartige Übermotivation der Arbeiter führen konnte. Die Mehrheit der Gruppe wollte einen Werker als Stammmitglied abwählen und zum Ersatzmann bestimmen, da er sich nicht in die Gruppe einfüge und keine ausreichende Motivation zeige.32 Der betroffene Arbeiter K musste sich gegen die ganze Gruppe verteidigen, die ihm unterstellte, kein Interesse an der neuen Arbeitsstruktur zu haben.33 Arbeiter K: „Momentan arbeiten wir doch noch gar nicht zusammen. Wie kann man dann schon sagen, der ist gut oder der ist nicht gut?“ Gruppensprecher 3: „Wir arbeiten als Gruppe schon lange und konkret zusammen. Wir treffen uns jede Pause […] wenn du meinst, dich ausschließen zu können und am Band sitzen bleibst und meinst der Fußweg von 2 Minuten in die Kantinenpause wäre dir zu weit […] dann ist das deine Entscheidung.“ Arbeiter K: „Wieso muss ich denn in der Pause in die Kantine gehen?“ Arbeiter G3: „Du kochst immer deinen eigenen Brei. […] Ich bin der Meinung, wenn wir ’ne Gruppe haben […] dann müssen wir doch zumindest versuchen eine Meinung zu kriegen.“ 34

Jede freie Zeit solle in das Projekt fließen, sonst liefe man Gefahr, die Planung des Projektes der Leitung zu überlassen.35 Die Gruppe wollte eine einheitliche Gruppenmeinung erreichen und besprach ihren Montagewagen in den Kantinenpausen. Arbeiter K war bei diesen Treffen nicht anwesend, da er sich sein Essen von zu Hause mitbrachte und am Band verzehrte. Es zeigt sich zweifelsohne, dass die Gruppe einen enormen Druck auf die einzelnen Gruppenmitglieder ausübte, um eine hohe Motivation für das Projekt zu gewährleisten. Sie stellte die Forderung, dass sich einzelne Mitglieder einbringen sollten, über die persönliche Entscheidungsfreiheit. Folglich disziplinierten sich die Arbeiter selbst sowie die anderen Mitglieder der Gruppe und wurden also nicht nur von ihren Vorgesetzten diszipliniert, wie in der historiographischen Forschung häufig behauptet. 36 Lüdtke beschreibt diese Form der Disziplinierung als „Selbstzwang“.37 Aber nicht nur das angebliche geringere Interesse war ausschlaggebend für eine Abwahl aus der Gruppe, auch die Äußerung einer abweichenden Meinung und damit die Infragestellung einer einheitlichen Gruppenmeinung führten zum Ausschluss aus dem Gruppengefüge. So ergriff ein anderer Arbeiter, Arbeiter A, Partei für Arbeiter K. Es gäbe zu wenig Gründe, um jemanden abzuwählen: 32 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G3 09.03.1976 II ab 01:06 Min. 33 Ebd. ab 06:16 Min. 34 Ebd. ab 06:18 Min. 35 Ebd. ab 08:11 Min. 36 Vgl. SCHMIDT, JÜRGEN 2015, Arbeiter in der Moderne, S. 94f.; FLOHR, Bernd: Arbeiter nach Maß. Die Disziplinierung der Fabrikarbeiterschaft während der Industrialisierung Deutschlands im Spiegel von Arbeitsordnungen (Campus-Forschung 221), Frankfurt am Main u. a. 1981. 37 LÜDTKE, ALF 1993, Eigen-Sinn, S. 381f.

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„Wir haben ja ’ne Demokratie. Man kann ja seine Meinung sagen, ohne dass man gleich an die Wand gestellt wird, ne.“38

Doch die Möglichkeit sich frei zu äußern, sah Arbeiter K nicht gegeben: „Wenn ich meine Meinung gesagt habe, das wurde nur so abgetan. Du bist damit nicht einverstanden, also können wir dich hier auch nicht gebrauchen.“ 39

Daher fühlte Werker K sich in der Gruppe unterdrückt. Letztlich eskalierte die Situation derart, dass sowohl Arbeiter K als auch Arbeiter A und ein dritter Werker, der sich seiner Stimme bei der Wahl enthalten wollte, von den anderen sieben Gruppenmitgliedern aus der Stammgruppe herausgewählt und zu Ersatzmännern degradiert wurden. Der Gruppensprecher ließ sich anschließend seine eigene Position von der restlichen Gruppe bestätigten, um seine Legitimität aufrecht zu erhalten. Nach der Wahl rechtfertigte er den Vorgang folgendermaßen: „Die Gruppe muss beschlusskraftsmäßig sein. Dass die Gruppe entscheiden kann, mit wem sie zusammen arbeiten möchte und mit wem nicht. Und wenn das nicht gewährleistet ist, haben wir immer Querulanten unter der Gruppe […] Und wenn ein Querulant in der Gruppe ist, dann blockiert der […] den gesamten Anlernprozess […].“40

Außerdem müssten alle, die „körperlich nicht in der Lage [sind], die Stückzahlen zu bringen, […] aus der Gruppe raus, sonst scheitert das Projekt. Es sollten erst mal nur Spitzenleute in der Gruppenarbeit arbeiten, damit das Projekt auch Erfolg hat und weiterbesteht.“41 Es macht den Anschein, dass die Gruppe nach Auffassung der meisten Mitglieder eine einheitliche Meinung benötigte, um das hehre Ziel, einen eigenen Montagewagen zu konzipieren, zu erreichen und alle Arbeiter sollten zu körperlichen und geistigen Höchstleistungen fähig sein. „Querulanten“, also Werker mit abweichenden Meinungen und Ansichten, schadeten dem Unterfangen und somit bestünde die Notwendigkeit, diese Personen aus der Gruppe auszuschließen. Demnach agierten die Arbeiter wie ihre Vorgesetzten, sie beurteilten nach Disziplin und Leistungsbereitschaft. Wer sich als ungeeignet oder als Störenfried erwies, sollte die Gruppe verlassen. Zudem akzeptierte die Gruppe keine Pluralität an Meinungen. Dieser Vorgang wurde auch im ÖPSZ thematisiert. Das Verhalten der Gruppe 3 stieß auf heftige Kritik in den anderen Gruppen. So ginge es laut Gruppensprecher 4 nicht an, einfach Leute aus den Gruppen heraus zu wählen.42 Der Projektleiter erklärte die Wahl der Gruppe 3 für ungültig. Die Gruppen blieben bestehen, außer jemand wollte aus persönlichen Gründen die Gruppe verlassen. Eine Wahl der Gruppenmitglieder war nicht möglich und lag nicht im Ermessen der Gruppen. Wer die Position eines Ersatzmanns oder eines 38 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G3 09.03.1976 II ab 12:33 Min. 39 Ebd. ab 12:49 Min. 40 Ebd. ab 50:57 Min. 41 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZGruppengespräche G1 und G3 24.03.1976 II ab 44:43 Min. 42 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ ÖPSZ 12.03.1976 II ab 39:37 Min.

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Stammmitglieds bezog, orientierte sich am Termin des Eintritts der jeweiligen Mitglieder in die Gruppenarbeit.43 Gleichermaßen reagierte der Betriebsrat aufgebracht über das Verhalten der Gruppe 3. Der Meister sei „Handlanger des Unternehmens“, nicht aber die Arbeiter. Die Werker sollten laut Betriebsrat ihre Kollegen achten und nicht ausnutzen, wie der Arbeitgeber dies schon täte.44 Das offenbart die Vorstellung des Betriebsrates, dass der Meister nur der Unternehmensleitung verpflichtet und nicht gegenüber den Arbeitern loyal sei sowie ausschließlich die Befehle der Werksleitung ausführe. Außerdem fand der Betriebsrat den Gedanken untragbar, dass nur Spitzenkräfte an der Gruppenarbeit teilnehmen sollten. Daraus resultiere eine „Elitemannschaft“, an der „VW einen Haufen Geld verdient“ und „die Schwachen liegen draußen auf der Straße“.45 Der Betriebsrat forderte Solidarität zwischen den Arbeitern ein und damit einhergehend die Wahrung der Einheit der Interessengruppe, die er zu vertreten hatte. Die Mitglieder der Gruppe 3 argumentierten hingegen, dass nur die Arbeiter, die sich in die Gruppenarbeit einbrachten, auch tatsächlich am Projekt teilnehmen sollten. Der besagte Arbeiter beteilige sich nicht an den Planungsgesprächen der Gruppe, da er lieber an seinem Arbeitsplatz Pause mache.46 Darauf hatte der Betriebsrat eine klare Antwort: „Mir kommt es sauer hoch, wenn ich höre, dass man in der Pause arbeitet oder arbeiten muss.“

Es könne nicht angehen, dass ein Kollege daran gemessen werde, ob er bereit sei, in der Pause mitzudiskutieren, sondern sich lieber zu erholen. 47 Die Gruppe 3 unterschied sich mit ihren Rationalitäten von den Ansichten des Betriebsrates und denen der Projektleitung. Die Arbeiter setzten sich in ihrem Elan für die Gestaltung der neuen Arbeitsstrukturen über die betrieblichen Regelungen hinweg, etwa die kategorische Pausenordnung. Für sie galt es, die Gruppenarbeit zum Erfolg zu führen. Dieser sollte vor allem durch die Höchstleistungen der Arbeiter erreicht werden. Damit könnten sie belegen, dass Arbeiter zu Höherem fähig seien, anstatt lediglich Anweisungen auszuführen. Der Gruppe ging es also um mehr als den Gruppenzusammenhalt – sie wollte ein Ideal erreichen. Dies zeigte sich vor allem bei der Konzeption und dem Bau eines eigenen Montagewagens der Gruppe. Arbeiter G3: „Die wollen uns zwingen, dass wir an dieser Krücke da arbeiten, das ist der Hintergrund.“48

Die Arbeiter aus Gruppe 3 waren der Auffassung, dass die Planung sie daran hindern wollte, einen erfolgreichen Wagen zu konzipieren und sprachen in diesem 43 Ebd. ab 41:16 Min. 44 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZGruppengespräche G1 und G3 24.03.1976 II ab 57:12 Min. 45 Ebd. ab 57:31 Min. 46 Ebd. ab 01:10:46 Min. 47 Ebd. ab 01:18:56 Min. 48 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 und G3 24.03.1976 I ab 01:33:51 Min.

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Zusammenhang von den „hohen Herren“, was auf die unterschiedliche Stellung in der Hierarchie des Unternehmens anspielt. Die Planung blockiere sie, um ihre eigenen Ideen durchzusetzen.49 Daraus geht hervor, dass die Gruppe den „Kampf“ um die Gestaltung der Arbeitsstrukturen gewinnen und ihre Konzeption gegenüber der Planung durchsetzen wollte. Damit könnten sich die Arbeiter als ebenso kompetent und der Planung ebenbürtig erweisen. Desgleichen wird deutlich, dass sich Gruppe 3 nicht solidarisch mit den anderen Gruppen zeigte. Laut Gruppensprecher 3 sollten entweder alle Gruppen gemeinsam anfangen zu lernen oder gar nicht. Sie sahen sich benachteiligt, da ihr Montagewagen längere Bauzeit benötigte und die anderen Gruppen folglich mehr Zeit für das Anlernen hatten.50 Außerdem warfen sie den anderen Gruppen vor, mit dem Wagen von VW zu arbeiten. Sie erkannten die Meinung der anderen Gruppen nicht an, die den Wagen der Gruppe 3 als nicht überzeugend bewerteten. Der Konflikt eskalierte so weit, dass der Gruppensprecher 3 vorschlug, die beiden Wägen von einem unabhängigen Ingenieur prüfen zu lassen, da er die Meinung der anderen Gruppen nicht tolerierte. Somit wollte er letztlich wieder einen Experten entscheiden lassen und nicht die Werker, welche seinen Wagen in der Praxis ablehnten.51 Dies lief seinem eigentlichen Ziel, die Arbeiter mehr an den betrieblichen Entscheidungsprozessen mitwirken zu lassen, entgegen. Hieran bilden sich die Überlappung und die Widersprüchlichkeit von Motivationen ab. Schließlich griffen die Vorgesetzten ein, um zu gewährleisten, dass auch die anderen Gruppen ihre Meinung äußern konnten: Planer: „Sie beschäftigen sich sehr intensiv mit dem Vorhaben und sie [haben] sich schon ziemlich klar ausgemalt, wie bei ihnen die Arbeit ablaufen muss […] Unser Bestreben [geht] in erster Linie dahin, das ganze so flexibel zu machen, das alles möglich ist. Das also alle anderen Gruppen mit allen anderen Meinungen durchkommen und dass sie später die Möglichkeit haben, ihre Meinung zu korrigieren.“52

An diesem Beispiel offenbart sich, dass Arbeiter, wie Lüdtke anmerkte, nicht grundsätzlich solidarisch miteinander sind, sondern dass manche zwischen ihrer Gruppe und den anderen unterschieden und eine Konkurrenzsituation erzeugten.53 Lüdtke sprach daher von „Notwendigkeitskooperation“ zwischen den Arbeitern.54 Der Mythos der Solidarität aller Arbeiter reicht bis zu den Anfängen der politischen Arbeiterbewegung in der Mitte des 19. Jahrhunderts zurück. Um politischen Einfluss erhalten und eine gemeinsame Basis bilden zu können war es notwendig ein Kollektiv zu schaffen, sodass Gewerkschaften und Arbeitervertreter in der Politik einen Vertretungsanspruch ausüben konnten. Die engen, oft schlechten Lebens- und Arbeitsverhältnisse von Arbeitern Ende des 19. Jahrhunderts und die 49 50 51 52

Ebd. ab 01:37:11 Min. Ebd. ab 01:39:57 Min. und 01:53:02 Min. Ebd. ab 02:04:39 Min. Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW 16.01.1976 Kassette ab 41:40 Min. 53 LÜDTKE, ALF 1993, Eigen-Sinn, S. 377f. 54 Ebd., S. 375.

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zahlreichen Arbeitervereine ließen ein Geflecht von Lebenszusammenhängen entstehen, welche die Individuen miteinander verbanden und sie zeitgleich in Kontakt mit der politischen Arbeiterbewegung brachten.55 Das Konstrukt des Kollektivs respektive der Einheit benötigt letztlich jede Emanzipationsbewegung, etwa auch die Frauenbewegung, um ihre Ziele zu erreichen und politischen Einfluss zu gewinnen. Insofern bewarben und beschworen die politischen Arbeitervereine und Arbeiterparteien seit ihrer Entstehung die Solidarität innerhalb der Arbeiterschaft. Sie bildete ein wichtiges Element des politischen Selbstverständnisses der Arbeiterbewegung.56 Doch die Zugehörigkeit zur Gruppe der Arbeiter stellte nur eine Identität für die Arbeiter dar. So waren ferner etwa die Betriebszugehörigkeit oder der Wohnort Bezugspunkte und Teil ihrer Identität sowie ihrer Identifizierung. Außerdem widersprechen sich Handlungsmotivationen oder werden unterschiedlich von den Akteuren gewichtet und daher überlagert, wie das Beispiel des Gruppensprechers 3 belegt. Zwar war Gruppe 3 überproportional für das Projekt motiviert und demonstrierte großen Einsatz, allerdings übertrat sie in ihrem Eifer betriebliche Grenzen. Durch das Heraufbeschwören von Konflikten wurde der gewünschte Erfolg nicht erzielt, im Gegenteil, es kam häufig zu Verzögerungen und Stillstand. Darüber hinaus ließ sich erkennen, dass Gruppe 3 einerseits auf ihren eigenen Vorteil und die eigenen Ziele bedacht war und nicht auf eine produktive und solidarische Zusammenarbeit mit den anderen Gruppen. Andererseits verfolgte sie das übergeordnete Vorhaben, die Arbeiter als selbstständige und kompetente Gestalter von Innovationen im Betrieb zu etablieren und den Fortbestand der Gruppenarbeit über die Projektlaufzeit hinaus zu erreichen. Auch an anderer Stelle zeigt sich, dass vor allem Gruppe 3 kaum solidarisch und zugunsten ihrer eigenen Interessen handelte. Dies lässt sich anhand eines Konflikts bezüglich der Teilnahme von Gruppenmitgliedern an einer Reise nach Schweden nachweisen. Schweden führte als eines der ersten europäischen Länder zu Beginn der 1970er Jahre ein ähnliches beschäftigungspolitisches Programm ein wie das spätere HdA-Programm in der BRD. Dieses sollte ebenfalls die Arbeitsbedingungen in der Industrie verbessern und die Rationalisierungseffekte des Strukturwandels abfedern.57 Schweden erließ das Programm jedoch, anders als in der BRD, nicht in einer Krisenzeit, sondern in einer Phase der Hochkonjunktur. Die Arbeitsplätze in der Industrie unterlagen einer hohen Fluktuation und Absentismusrate, was den Betrieben wirtschaftliche Einbußen und Nachteile verschaffte. Insofern ging es im schwedischen Programm darum, die Arbeitsplätze attraktiver zu gestalten, um die Arbeiter langfristig in der Produktion zu halten. Daher erprobte die schwedische Automobilindustrie vor allem die Gruppenar-

55 KRUKE, Anja: Sonderfall Europa. Skizze einer kleinen Geschichte der Arbeiterbewegung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte (APUZ), 40–41 (2013), S. 5f. 56 STEFFENS, HORST 2013, Einführung in die Ausstellung, S. 11; WELSKOPP, THOMAS 2013, „Die Einigkeit, das ist der Funke, der alles zusammenschmilzt…“, S. 85f.; BERGER, Stefan: Das Individuum und die „proletarische Kollektivität“: unversöhnliche Gegensätze?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte (APUZ), 40–41 (2013), S. 14. 57 BERGGREN, CHRISTIAN 1991, Von Ford zu Volvo, S. 69f.

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beit.58 Es sollten nun zwei Gruppensprecher ermittelt werden, die gemeinsam mit Vertretern der Werksleitung und des Betriebsrats bei den Firmen Saab und Volvo Betriebsbegehungen zur Gruppenarbeit absolvieren sollten. Allerdings konnten nur zwei Gruppensprecher aus den vier Gruppen mitreisen. Das sorgte für großen Unmut in Gruppe 3: Arbeiter G3: „Ich finde, dass ist nicht das Richtige […] was da vor sich geht. […] Wir sind vier Gruppen und sollten da von jeder Gruppe einer mitfahren nach Schweden. […] Wie will uns der Mann das dann erzählen […]?“59

Der Arbeiter argumentierte, dass die Informationsweitergabe über das Gesehene und Gesprochene in den Gruppen nicht gewährleistet sei, die kein Mitglied auf die Reise schicken dürften und somit diese Gruppen einen Qualifikationsrückstand gegenüber den anderen hätten. Daher schlug Gruppe 3 vor, die Werksbegehungen zu filmen, damit die anderen Gruppenmitglieder später die wichtigen Informationen erhielten.60 Die Entscheidung, welche zwei Gruppensprecher auf die Reise mitfahren durften, wurde per Los gefällt. Somit besaß jeder dieselbe Chance auf einen Platz im Flugzeug. Doch auch an diesem Verfahren äußerte Gruppensprecher 3 Kritik, da er es für ungerecht hielt: „Ich habe als Einzigster so ein [Video]gerät und wollte auch aufgrund meiner Vorarbeit […] nach Schweden […] Weil mich das Projekt sehr interessiert und ich am meisten bis jetzte an diesem Projekt schon gearbeitet habe. Andere haben überhaupt noch nichts getan und fahren dann mit nach Schweden.“61

Ihm ging es um die Anerkennung von Leistung. Er monierte, dass seine besondere Leistung nicht entsprechend vergolten wurde. Die Reisebeteiligung sollte seiner Meinung nach kompetenzbasiert erfolgen – nicht nach dem Zufallsprinzip. Nicht nur seine Leistung bewertete Gruppensprecher 3 besser als die der anderen. Noch ein anderes Argument machte er insbesondere gegen Gruppensprecher 4 stark: „Außerdem ist es so, der Gruppensprecher von Gruppe 4 […] ist ein Tunesier, der sehr gebrochen deutsch spricht (von hinten ruft ein Arbeiter: „Kameltreiber“) […] und wenn man jetzte irgendwelche Berichte über Erfahrungen haben möchte […] wäre das für uns ein Nachteil.“62

Demnach nutzte er seine Qualifizierung und Leistung als Vorteil gegenüber dem anderen Gruppensprecher. So machte er auf die bestehenden Sprachbarrieren aufmerksam, die zu einem ungenügenden Wissenstransfer in den verbliebenen Gruppen führen konnte. Die Bezeichnung „Kameltreiber“ legt darüber hinaus die 58 AUER, Peter/PENTH, Boris/TERGEIST, Peter: HdA im Ländervergleich. Schweden, in: Humanisierung der Arbeit zwischen Staat und Gewerkschaft. Ein internationaler Vergleich; Kongreßbericht des Internationalen Instituts für Vergleichende Gesellschaftsforschung Wissenschaftszentrum Berlin, hrsg. v. Peter AUER/Boris PENTH, Frankfurt am Main/New York 1981, S. 118ff. 59 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ ProjektGruppengespräche 28.11.1975 ab 09:19 Min. 60 Ebd. ab 10:18 Min. 61 Ebd. ab 10:48 Min. 62 Ebd. ab 11:20 Min.

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rassistischen Vorurteile der Gruppe gegenüber den migrantischen Gruppenarbeitern offen. Auch die anderen Arbeiter der Gruppe 3 fanden die Tatsache ungerecht: „Das ist ein Witz, dass ein Ausländer, der hier als Gastarbeiter ist, da hinfährt und soll uns dann irgendwie was erzählen. […] der ist doch sowieso nur zwei, drei Jahre hier.“ 63

Die Werker aus Gruppe 3 unterstellten Gruppensprecher 4 aufgrund seines Gastarbeiterstatus per se weniger Interesse an der Fortführung der Gruppenarbeit zu haben, da er nur kurzfristig in Deutschland sei. Außerdem geht aus der Äußerung eine Geringschätzung für den migrantischen Gruppensprecher hervor, der ihnen aus Sicht der Gruppe 3 nichts zu sagen habe. Diese Diskriminierung und Ausgrenzung von „Gastarbeitern“ im Betrieb durch die deutsche Stammbelegschaft war in den 1970er Jahren kein Einzelfall.64 Es wird klar, dass trotz der Vorgabe der Projektleitung, alle Werker in der Gruppenarbeit gleichzustellen, einschließlich leistungsgeminderter Werker, Frauen und Migranten, was faktisch die Aushebelung des individualisierten Leistungsprinzips bedeutete, diese Tatsache in den Gruppen nicht unbedingt Anwendung fand. Gruppe 3 lehnte dies offensichtlich ab. Sie wendete das Leistungsprinzip weiterhin auf die Einzelnen, aber auch auf die Gruppen, verstanden als Kollektivsingular, an. Gegen den anderen ausgewählten deutschen Gruppensprecher erhob die Gruppe ebenfalls Einwände, da er sich nicht ausreichend über das Projekt informiert hätte und nach Aussagen von Gruppensprecher 3 „nach drei Worten einen roten Kopp kriegt“ und nichts mehr sagen könne.65 Aufgrund dessen sei auch er nicht qualifiziert genug für die Reise. Außerdem inszenierte die Gruppe 3 einen Konkurrenzkampf und eine Rivalität zwischen den Gruppen. Gruppensprecher G3: „Wenn die Gruppe 4 mit ihm als Gruppensprecher einverstanden ist, ist das nicht mein Problem. Ich habe Gruppe 3 zu führen.“ 66

Die Gruppe beurteilte nach Arbeitsmotivation und der bisher erbrachten Leistung im Projekt, die sie sich vor allem selbst zuschrieb, etwa durch den eigenen Entwurf des Montagewagens oder des Anlagenaufbaus in den Produktionshallen. Es ist offensichtlich, dass sich der Gruppensprecher 3 für die Reise als am besten qualifiziert hielt und seine Gruppe benachteiligt sah, da diese kein Gruppenmitglied entsenden durfte. Letztlich heizte sich die Situation so weit auf, dass die Projektleitung im Gruppengespräch intervenierte.67 Der Projektleiter wies die Vorwürfe der Gruppe entschieden zurück. Die Reisegruppe bestünde ohnehin nur 63 Ebd. ab 12:00 Min. 64 HERBERT, Ulrich: Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland. Saisonarbeiter, Zwangsarbeiter, Gastarbeiter, Flüchtlinge, München 2001, S. 254ff.; HUNN, Karin: „Nächstes Jahr kehren wir zurück …“. Die Geschichte der türkischen „Gastarbeiter“ in der Bundesrepublik (Moderne Zeit 11), Göttingen 2005, S. 237ff. 65 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ ProjektGruppengespräche 28.11.1975 ab 21:17 Min. und 44:03 Min. 66 Ebd. ab 12:28 Min. 67 Ebd. ab 17:01 Min.; Hinzukommen von Projektleiter ab 44:52 Min.

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aus sechs Personen, darunter zwei Betriebsräte, ein Vertreter der Werksleitung, der Projektleiter und zwei Gruppensprecher plus die Züricher Wissenschaftler. Eine größere Gruppe komme für die zu besichtigenden Werke nicht in Frage. Diese Begrenzung sei vorab kommuniziert worden. Ferner hatte der Projektleiter darauf gedrängt, dass sich die Gruppensprecher untereinander vorab einigten, wer auf die Reise mitfahre. Da dies allerdings nicht funktionierte, fiel die Entscheidung per Losverfahren. Zum Argument, dass Gruppensprecher 4 die anderen Gruppen aufgrund seiner Herkunft und der Sprachbarriere nicht ausreichend informieren könnte, erwiderte er, dass er diesen wenn nötig unterstütze und dass alle Gruppensprecher über die Reise noch einmal im örtlichen Projektausschuss informiert würden. Des Weiteren bestehe die Möglichkeit in den Gruppengesprächen durch ihn, den Betriebsrat oder die Wissenschaftler noch einmal gesondert Informationen zu erhalten. Der Projektleiter sah Gruppensprecher 4 vollkommen gleichberechtigt zu den anderen Gruppensprechern. Daher ließ er weder den Gastarbeiterstatus als Kritikpunkt zu, aufgrund dessen Gruppensprecher 4 nicht dieselben Rechte und Chancen im Projekt erhalten solle, noch die Sprachbarrieren.68 Anhand dieser Szene wird klar, dass einige Arbeiter gemeinsame Entscheidungen teilweise nicht akzeptieren wollten und sich daher wiederum an das Leitungspersonal wandten, wenn die vereinbarten Beschlüsse zu ihrem Nachteil gereichten. Daraus lässt sich ferner ableiten, dass Gruppe 3 und ihr Gruppensprecher die Meinungen der anderen Gruppen nicht tolerierten, wenn diese ihren eigenen Interessen zuwider liefen.69 Allerdings handelte nicht nur Gruppe 3 „unkameradschaftlich“ in Bezug auf Leistungsschwäche und Qualifikationsrückstand. Dies kann am Beispiel der Gruppe 4 demonstriert werden. Ein Werker (Arbeiter A) erbrachte in der Anlernphase nicht die gleiche Leistung wie die anderen. Im Leistungsdurchschnitt der Gruppe fiel er deutlich zurück: Arbeiter G4: „[…] der Kollege A, […] gibt sich nix keine Mühe zu lernen. Das ist für uns auch schlecht. Wir möchten alle anlernen, damit wir jeder Motor bauen kann und er gibt sich keine Mühe. Das ist nicht gut. Der muss sich mehr Mühe geben zu lernen und zu hören, wenn ihn jemand was fragt oder jemand ihm was sagt, dann muss er gehorchen […] schon drei Wochen her – nix drin.“70 Arbeiter A G4: „Das stimmt schon mit den Schwierigkeiten […].“ Gruppensprecher 4: „[…] wir haben jeder von der Gruppe jeder […] hat versucht was Rat und Geduld und so weiter ihm ganz genau zu erklären den Arbeitsablauf zu erklären. Und leider also, wenn in dieses Motor also diese Schraube … festmachen kann, am nächsten Montag macht er die Schraube wieder falsch. Muss man immer immer auf ihn aufpassen […] Wir müssen nachher [in der Gruppenarbeit] seine Arbeit machen und das ist zu viel […] Nachher wenn er das nicht leisten kann […] bekommt die gesamte Gruppe die Verantwortung […].“

68 Ebd. ab 45:12 Min. 69 Ebd. ab 33:07 Min. 70 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G2, G4, G1 und G3 21./22.04.1976 I ab 10:08 Min.

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Arbeiter als Akteure Arbeiter A G4 (schreit): „Ich weiß das ja, Mensch.“71

Gruppe 4 war der Auffassung, dass Arbeiter A sowohl von den Gruppenmitgliedern als auch vom Berater72 beim Anlernen mehr Unterstützung als die anderen erhalte, aber sich keine oder zu geringe Erfolge in seinem Lernprozess abzeichneten. Sie warfen ihm vor, sich nicht ausreichend zu bemühen und meinten, dass sie einen solchen Arbeiter in der Gruppenarbeit auch nicht als Ersatzmann halten könnten, da er seine Arbeit nicht alleine gewissenhaft verrichte.73 Insgesamt fiel es Arbeiter A schwer sich auszudrücken – er antwortete kaum auf Fragen und schwieg überwiegend im Gespräch. Außerdem reagierte er mit Schreien, was seinen Ärger und seine Frustration über die Situation zweifelsohne erkennen lässt. Für die Gruppe war klar, dass er so nicht in der Gruppe bleiben konnte. Das sah einer der Wissenschaftler aus Zürich allerdings anders: Wissenschaftler: „Ich finde es verblüffend […] dass sie hier so schnell bereit sind … von jemandem anzunehmen, dass er das sowieso nicht lernt oder, dass […] das zu lange geht.“ 74

Er war der Meinung, dass die Gruppe Arbeiter A demotivierte und damit einen völlig falschen Lernansatz verfolgte. Er wollte erst intensiv mit Arbeiter A arbeiten, bevor die Gruppe ihn aufgab. Es gehe hier um „Solidarität“.75 Dies ist ein Hinweis auf die Ansicht des Wissenschaftlers zum Verhalten der Arbeiter. Gerade sie sollten seiner Meinung nach untereinander solidarisch sein und nicht nur den Leistungsvorgaben des Betriebes folgen. Die Gruppe verteidigte sich gegen seine Kritik und machte wiederholt auf die Leistungsvorgaben des Betriebes und des Projektes aufmerksam. Sie wollte ihre Aufgaben ordentlich ausführen und angemessen produzieren.76 Letztendlich einigte sich die Gruppe auf ein Intensivtraining für Arbeiter A mit dem Wissenschaftler. Falls dies nicht fruchtete, bot Arbeiter A freiwillig an, die Gruppe zu verlassen. Aufgrund des Gleichstellungsanspruchs der Wissenschaftler richteten sie eine sogenannte Förder- und Sondergruppe für leistungsschwächere Werker der Gruppenarbeit ein und konzipierten hierfür ein neues Anlernprogramm.77 Nach einem Monat Training erklärte Arbeiter A, dass er sich zutraue, einen halben Motor zu bauen. Die Gruppe diskutierte, ob sie es versuchen möchte. Schließlich willigte ein Arbeiter ein, mit Arbeiter A

71 Ebd. ab 10:08 Min.; 11:17 Min. und 13:32 Min. 72 Der Begriff des Beraters war in der Gruppenarbeit umstritten. Offiziell wurde die Meisterstellung in der Gruppenarbeit in eine Beraterstellung vom ÖPSZ und den Wissenschaftlern umgewandelt, da der Meister in der Anlern- und Anfangsphase der Gruppenarbeit eher eine Beraterfunktion innehatte. Später allerdings näherte sich seine Funktion wieder einer klassischen Meistertätigkeit an. Auf diesen Wandel wird im Kapitel 4.2.2 näher eingegangen. 73 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G2, G4, G1 und G3 21./22.04.1976 I ab 14:00 Min. 74 Ebd. ab 46:53 Min. 75 Ebd. ab 49:43 Min. 76 Ebd. ab 50:49 Min. 77 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat Probleme Wissenschaftler II ab 09:42 Min.

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zu arbeiten, da er der Auffassung war, dieser lerne es mit der Zeit.78 Hierdurch demonstrierte die Gruppe ihre Kompromissbereitschaft und Solidarität mit Arbeiter A. Letztlich fungierte er jedoch lediglich als Ersatzmann, da die Projektleitung die Gruppenstärke auf sieben ständige Werker und drei Ersatzmänner festlegte und er als einer der Letzten in die Gruppe hinzugekommen war.79 Allerdings offenbart dieser Fall, dass sich Solidarität für die Arbeiter aus Gruppe 4 und den anderen Gruppen anders definierte als bei den Wissenschaftlern. So sorgte das Verhalten des Instituts gleichermaßen bei den anderen Gruppen für Unmut. Drei von vier Gruppen thematisierten diesen Sachverhalt in ihren Gruppengesprächen und sahen die Sonderförderung von Arbeiter A kritisch: Arbeiter G2: „Das ist vor allen Dingen ’ne ganz große Schweinerei. Da ist ein Mann, war in Gruppe 4, der hats gar nicht kapiert und des Institut unterstützt den Mann noch. Man muss auch von da aus gehen, die Gruppen sollen Leistung bringen, wenn ich da einen beihabe, den kann ich vielleicht 3 Wochen, 4 Wochen durchziehen, aber dann ist Feierabend.“ (Gruppe schreit durcheinander). Arbeiter II G2 (brüllt): „Wenn die keine Stückzahl fahren können, sind sie bei uns nicht mehr akzeptabel.“80

Hieran wird deutlich, dass die Werker ein völlig anderes Leistungsverständnis besaßen als die Wissenschaftler. Die Werker hätten „ungeeignete“ Arbeiter, die massive Schwierigkeiten beim Anlernen zeigten, durch andere ersetzt, wie bei VW üblich.81 Auch Bandarbeiter wurden versetzt, wenn sie eine Aufgabe nicht vollständig ausfüllen konnten. Alle Gruppenarbeiter verinnerlichten demzufolge das Leistungsprinzip, selbst Arbeiter A, der die Gruppe nicht weiter aufhalten wollte und daher seinen freiwilligen Ausstieg anbot, um die Gruppenleistung nicht zu gefährden. Das stellt ein abweichendes Verständnis von Solidarität im Vergleich zu dem der Wissenschaftler dar. Wohingegen die Wissenschaftler, ähnlich wie Gewerkschaften, die Annahme teilten, dass Arbeiter generell untereinander solidarisch sein müssten, da sie alle einer Gruppe angehörten, setzten die Arbeiter im Projekt andere Prioritäten.82 Sie fürchteten, dass die Gruppenarbeit nach 78 Arbeiter G4: „Ich bin sicher, dass auch mit der Zeit […] kannst du auch einen ganzen Motor alleine schaffst. Irgendwann klappt das. Wir sind auch nicht alle so geboren […] haben wir auch gelernt.“ Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VWSZ Gruppengespräche G4 und G3 24./25.05.1976 I ab 30:11 Min. 79 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G4 und G3 23.06.1976 I ab 02:54 Min. 80 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G3 und G2 24.06.1976 II ab 42:02 Min. Die Beschwerde zu Arbeiter A aus der Gruppe 1: Digitalisat VW-SZ G4 und G1 23.06.1976 II ab 12:50 Min. 81 Vgl. IfS A 117 Ordner 6 Gruppengespräch am 21.05.1980, S. 2; IfS A 117 Ordner 6 Gruppengespräch am 22.05.1980, S. 17 oder IfS Frankfurt A 117 Ordner 7 Gespräch mit Leiter der Qualitätssicherung am 29.11.1978, S. 18. 82 Vgl. BERGMANN, Theodor/ADLER, Tom (Hrsg.): Klassenkampf und Solidarität. Geschichte der Stuttgarter Metallarbeiter, Hamburg 2007, S. 11 und S. 166; SCHWARZ, Monika: Abbau der sozialen Sicherheit statt Abbau der Arbeitslosigkeit. Auswirkungen der Arbeitsmarktflexibilisierung, in: Ende der Normalarbeit? Mehr Solidarität statt weniger Sicherheit – Zukunft

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dem Projekt nicht weiterlief und wollten unbedingt die Fortsetzung dieser neuen Arbeitsstrukturen erreichen. Daher strengten sich alle besonders an, die Leistungsvorgaben zu erzielen und befürworteten deswegen radikale Lösungen, selbst wenn diese sie selbst betrafen.83 Dennoch demonstrierte die Gruppe 4 durch Unterstützung, Lernangebote und Hilfestellung Solidarität mit dem schwächeren Gruppenmitglied, die allerdings Grenzen hatte. Außerdem ist offensichtlich, dass die Arbeiter viel daran setzten, ihre Qualifikationsziele zu erreichen und sie leiteten ferner anhand von Qualifikationsrückständen Entscheidungen für die Tätigkeit in der Gruppenarbeit ab. Es gibt aber auch Beispiele für ein gutes, kollektives Miteinander. So integrierten die Gruppen 1, 2 und 4 die zurückhaltenden Gruppenmitglieder und fragten diese in den Gruppengesprächen explizit nach ihrer Meinung.84 Überdies sprach sich Gruppe 4 von vornherein gegen eine Konkurrenzsituation zwischen den Gruppen aus. Sie wollten nur die 100 geforderten Motoren fertigen und nicht mehr.85 Außerdem erklärten sich die Gruppen 1, 2 und 4 dazu bereit am Montagewagen der Gruppe 3 zu arbeiten, obwohl sie viele Dinge daran zu bemängeln hatten. Zum Beispiel, dass er für das Abstellen von Material kaum Platz bot oder für die Produktionsanlagen zu groß war.86 Demnach stellt sich gleichermaßen eine Kompromissbereitschaft unter den Arbeitern heraus. Ausschlaggebend für die erfolgreiche Gestaltung von Innovation durch die Arbeiter waren des Weiteren die Ausweitung von Tätigkeitsfeldern und die Übertragung von größerer Verantwortung. Dies lässt sich unter anderem am ausgeprägten Lernwillen und der Motivation beim Anlernen verdeutlichen, den die Gruppenarbeiter bewiesen. So zeigten die beiden Gruppen 2 und 4 beim Anlernen große Eigeninitiative und übernahmen in der ersten Woche auch selbstständig die Vormontage der Motoren. Alle Vorgesetzten waren davon positiv überrascht.87 Diese Motivation spiegelte sich zudem einerseits in der geringen Fluktuation bei der Gruppenarbeit, die von der Betriebsleitung deutlich höher veranschlagt worden war und andererseits in den Ergebnissen des Fragebogens wider, den die Wissenschaftler die Werker ausfüllen ließen.88 Daraus geht hervor, dass die meisten Gruppenarbeiter sich aufgrund der „Lust, etwas Neues zu probieren“ und der abwechslungsreicheren Arbeit für das Projekt gemeldet hatten. Qualifizierung als

83 84 85 86 87 88

betrieblicher Interessenvertretung, hrsg. v. Frank LORENZ/Günter SCHNEIDER, Hamburg 2007, S. 9. Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 und G2 05./06.05.1976 II ab 01:03:35 Min. Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 09.03.1976 II ab 45:15 Min. und Digitalisat VW-SZ G3 09.03.1976 I ab 00:53 Min. Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G2 und G4 25.03.1976 I ab 35:08 Min. Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G2 und G4 25.03.1976 II ab 01:49:24 Min. Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ ÖPSZ 09.04.1976 I ab 11:20 Min. Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G4 und G1 23.06.1976 II ab 12:00 Min.

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Karrierechance sahen die Werker zumindest zu Beginn des Projektes somit eher als unwichtig an, ausschlaggebend für sie war das Erlernen neuer Tätigkeiten.89 Die Begeisterung für das Lernen und die größere Eigenverantwortung lässt sich aus den Äußerungen der Gruppenarbeiter zum Lernprozess erkennen: Arbeiter G1: „Der persönliche Kontakt mit den Kollegen ist enger geworden. […] Man darf seinen Geist auch mal wieder etwas anstrengen.“90

Sie kannten nun die Ansprechpartner bei Fragen und wussten, wie Probleme zu lösen seien.91 Ebenso hätten sie nun die Möglichkeit sich wieder geistig zu betätigen, anstatt wie eine Maschine zu reagieren.92 Zudem bewerteten beide Gruppensprecher den enormen Lernzuwachs positiv: Gruppensprecher 1: „Also die erste Woche, […] hat der [Vorarbeiter] jedes Teil einzeln erklärt […], wie das heißt, wie das eingebaut wird und wie Fehler entstehen können und dass man die nicht wieder macht. Also besser kann das gar keiner machen. […] Was man jetzt da gelernt hat, so viel habe ich die ganzen 5 Jahre noch nicht gelernt hier.“ 93

Demnach lernten die Werker nicht nur, wie ein Motor gebaut wurde, sondern auch soziale Interaktion. Im Vergleich zu ihrer vorherigen Arbeit eigneten sie sich ihrer Meinung nach viel mehr Wissen innerhalb weniger Wochen an, als in den ganzen Jahren zuvor.94 Folglich stellten die Werker eine persönliche Weiterentwicklung fest.95 Besonders das Verständnis für das erzeugte Produkt, den Motor und dessen Funktionsweise, motivierte die Arbeiter. Zuvor hatten sie am Band nur einzelne Teile angebracht, ohne zu wissen, wozu diese überhaupt dienten und wie der komplette Motor nach der Fertigstellung aussah. Einige der Arbeiter assoziierten Humanisierung daher mit Qualifizierung: Arbeiter G2: „Die Gruppenmontage soll doch auch eine Humanisierung sein, ne […] Dass man nicht immer das Gleiche macht und dass Abwechslung reinkommt und dass einige Leute was dazulernen, ne.“96

89 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1, G3, G4 und G2 08./09.04.1976 II ab 31:32 Min. 90 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G2, G4, G1 und G3 21./22.04.1976 II ab 03:47 Min. 91 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G2, G4, G1 und G3 21./22.04.1976 I ab 05:37 Min. 92 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G2, G4, G1 und G3 21./22.04.1976 IV ab 03:39 Min. 93 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ ÖPSZ 23.04.1976 I ab 53:23 Min. 94 Ebd. ab 56:02 Min. 95 Arbeiter G3: „Arbeitsmäßig finde ich gut […] weil ich mich geistig ein bisschen angestrengt habe und überlegt habe, nicht so stumpfsinnig. […] viel gelernt […] menschlich gelernt und arbeitsmäßig.“ Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VWSZ Gruppengespräche G4 und G3 24./25.05.1976 II ab 08:25 Min. 96 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G2 und G4 25.03.1976 II ab 50:20 Min.

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Der Werker verband mit Humanisierung, dass die Gruppenarbeiter mehr lernten und umfassendere Tätigkeiten ausübten als am Band. Zahlreiche geschichtswissenschaftliche Studien dokumentieren die Monotonie stupider Arbeit am Fließband, welche die Arbeiter „verdummen“ ließ.97 Das Anlernprogramm im Projekt hingegen demonstrierte den Werkern den Nutzen ihrer Arbeit. Dies führte dazu, dass die Werker mehr Interesse an der eigenen Tätigkeit zeigten und wesentlich stärker auf die von ihnen produzierte Qualität achteten, also Eigenverantwortung übernahmen. Arbeiter G2: „Ich arbeite auch mit mehr Lust, […] weil mehr lerne und mach mehr perfekt, weil ich weiß, dein Nummer ist das von Motor und falsches ist, ist dann meine Schuld, am Band ist sowieso Nachreparatur […].“98

Daraus geht hervor, dass sich die Arbeiter aufgrund ihres angeeigneten Wissens mit ihrer Tätigkeit und den von ihnen hergestellten Produkten nun viel stärker identifizieren konnten.99 Diese Aussage deckt sich mit betriebssoziologischen Studien zur Gruppenarbeit, die eine hohe Qualität der Produkte ergaben.100 Es stellt sich zudem heraus, dass die Arbeiter durch die stärkere Identifikation mit ihrer Arbeit aufgrund ihrer Kenntnisse bereit waren, sich mehr einzubringen und konzentrierter produzierten. Insofern trieben sie die Gruppenarbeit entscheidend voran. Obwohl die Arbeit wesentlich komplizierter war, als die einzelnen Handgriffe am Band und sich die Korrektur eines fehlerhaft zusammengebauten Motors als deutlich zeitintensiver herausstellte als die Nacharbeit am Band, schätzten die Arbeiter ihr eigenständiges Arbeiten. Dadurch lernten die Werker nach eigener Aussage sogar schneller aus ihren Fehlern.101 Außerdem übernahmen die Gruppen insgesamt Verantwortung für die von ihnen gefertigten Motoren und unterstützten sich untereinander beim Zusammenbau. Sie kontrollierten sich gegenseitig, um Fehler durch übereiltes Handeln zu vermeiden, denn es schlichen sich nach Aussagen der Arbeiter durch „Hippeligkeit“, „Nervosität“ und „Unsicherheit“, ob man alles richtig mache, kleinere Fehler ein.102 Insofern spielten die Möglichkeiten, sich bei der Arbeit entfalten und die Freiheit, sich die Arbeit selbst einteilen sowie

97 Vgl. LUKS, Timo: Der Betrieb als Ort der Moderne. Zur Geschichte von Industriearbeit, Ordnungsdenken und Social Engineering im 20. Jahrhundert (Histoire 14), Berlin 2010, S. 199f.; WELLHÖNER, VOLKER 1996, „Wirtschaftswunder“ – Weltmarkt – westdeutscher Fordismus, S. 109f. 98 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ Gruppengespräche G1 und G2 05./06.05.1976 I ab 01:20:48 Min. 99 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G2, G4, G1 und G3 21./22.04.1976 I ab 05:37 Min. 100 KÜHL, STEFAN 2002, Gruppenarbeit, S. 18. 101 Arbeiter G1: „Wenn man merkt […] wie weit der Arbeitsaufwand damit ist, nur um ein Teil wieder rein zumachen […] das merkt man sich dann doch schon.“ Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1, G3, G4 und G2 08./09.04.1976 I ab 16:07 Min. 102 Ebd. ab 22:30 Min.

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Eigenverantwortung übernehmen zu können, für die Arbeiter eine entscheidende Rolle beim Einbringen in die neue Arbeitsstruktur. Mit fortschreitendem Projektverlauf verwendeten die Werker die neuen Qualifikationen auch für ihre eigenen Interessen. Das offenbart sich etwa an den entstehenden Problemen im Rahmen betrieblicher Versetzungen nach der höheren Qualifizierung der Arbeiter. Einige Werker wollten die Gruppenarbeit verlassen, jedoch nur auf einen höher qualifizierten Arbeitsplatz, der ihren neuen Kenntnissen entsprach. Dabei besaßen sie nur Anspruch auf einen Arbeitsplatz, der ihre Tätigkeiten vor der Gruppenarbeit abbildete. Daraus geht hervor, dass die Werker sich ihrer höheren Qualifizierung im Vergleich mit ihren Kollegen am Band nun bewusst waren und dafür ihrer Meinung nach auch angemessen bezahlt und eingesetzt werden sollten.103 Durch die höhere Qualifizierung ergab sich nun die Schwierigkeit, geeignete Arbeitsplätze für die Werker zu finden. Es bildet sich ab, dass die Werker in der Gruppenarbeit zunächst „Lernen“ nicht im Sinne eines Karriereaufstiegs begriffen, sondern aufgrund des Erlernens neuer Fähigkeiten am Projekt teilnahmen. Im fortgeschrittenen Projekt waren sie sich allerdings ihrer erweiterten Qualifikationen bewusst und wollten dementsprechende Arbeitsplätze zugewiesen bekommen. Somit wandelte sich ihre Rationalität, indem sie die neu erlernten Qualifikationen zu ihrem Vorteil nutzten. Wie wichtig die Gestattung von Freiräumen durch die höheren Hierarchieebenen für die Handlungsmotivation der Arbeiter innerhalb des Projektes war und wie sie diese produktiv auch im Sinne der Unternehmensleitung nutzten, kann an zahlreichen Beispielen belegt werden. So gebrauchten die Arbeiter den Freiraum für Verbesserungsvorschläge und konstruktive Kritik am vom Betrieb und Wissenschaftlern konzipierten Anlernprogramm: Arbeiter G4: „Der Anfang war schlecht […] Videorekorder kam zu spät […] Wir haben selber angefangen zu mauscheln und jetzt kommt das da, wir sollen nach Möglichkeit so wie es uns vorgeführt wird mit dem Videorekorder, aber wir haben uns einen anderen Arbeitsrhythmus angewöhnt. […] Wir bleiben jetzt bei unseren Methoden […] Das kam zu spät.“104

Offen sprachen sie das Problem der Verzögerung im Anlernprogramm an, verursacht durch fehlende Materialien und unklare Organisationsabläufe. Dennoch geht aus dem Zitat hervor, dass die Werker nicht unproduktiv auf die Materialien warteten, sondern versuchten sich selbst zu helfen und eigene Handgriffe ausprobierten. Auch das Anlernen durch den konzipierten Film war Anlass zur Kritik, da dieser andere Handgriffe erklärte, welche die Arbeiter nicht nutzten: Gruppensprecher 1: „Das filmische Einarbeiten wird teilweise […] langweilig […] Wir sind jetzt schon ’ne Ecke weit fortgeschritten und wenn man das immer wieder nochmal sieht […]

103 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G2 und G1 23.11.1976 II ab 51:59 Min. 104 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G2, G4, G1 und G3 21./22.04.1976 I ab 01:30 Min.

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Arbeiter als Akteure irgendwie ist man dann desinteressiert […], weil der Film praktisch verkehrt ist […] Er ist nicht so wie wir […] arbeiten.“105

Dadurch gaben sie der Betriebsführung die Möglichkeit auf ihre Kritik zu reagieren und ein effektiveres, an der Praxis orientiertes Lernprogramm zu konzipieren, was die Anlernzeit verkürzte. Kooperation ist folglich ein wichtiges Element des wirtschaftlichen Erfolgs, wie in Kapitel 3 ausführlicher dargelegt wird. 106 Desgleichen zielte die Beschwerde über die langen Unterbrechungen im Lernprogramm aufgrund der Bandarbeitsphasen zum einen darauf ab, das Erlernte nicht gleich wieder zu vergessen und zum anderen, den dadurch hervorgerufenen Motivationsverlust wenigstens zu begrenzen.107 Als entscheidend dafür, dass Arbeiter an den neuen Arbeitsstrukturen mitwirkten, stellten sich also das Arbeitsklima und die Möglichkeit, die eigene Meinung einzubringen sowie Kritik zu äußern heraus. Dies kann an der unterschiedlichen Bewertung des Anlernprogramms durch die Werker abgebildet werden. Während Gruppe 1 das Anlernen durch den Vorarbeiter positiv bewertete108, sah Gruppe 4 die Beratung beim Anlernen als unzureichend an: Arbeiter G 4: „Als erstes wir haben keinen gekriegt, der uns richtig anlernt. […] Vorarbeiter ist gekommen, sagt er, ich habe das theoretisch gelernt […] aber nicht praktisch. […] Und wir müssen einen haben, der richtig die Motoren lange gemacht hat […] Er hat keine Ahnung.“109

Auch die Erklärung der Büroarbeit und der Organisationsabläufe empfand Gruppe 4 als ungenügend.110 Gruppe 1 äußerte hingegen starke Kritik am Umgang mit Fehlern bei der Inspektion. Der Ton sei ruppig und Erklärungen, um Fehler zu vermeiden, erhielten die Arbeiter nicht: Gruppensprecher G1: „Man hat denen am Prüfstand gesagt […], die Motoren, die von der Gruppenarbeit kommen, sollen erst mal die erste Zeit gründlich aufs Korn genommen werden. Bloß, wie es momentan gehandhabt wird, wie man uns erklärt, was für Fehler sind […], das läuft irgendwie schief. Die kommen an, den und den Fehler habt ihr gemacht und den und den Fehler habt ihr gemacht und damit hat sich das […].“111

105 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G2, G4, G1 und G3 21./22.04.1976 IV ab 09:19 Min. 106 Vgl. WISCHERMANN, CLEMENS 2003, Kooperation, Vertrauen und Kommunikation, S. 83f. 107 Arbeiter G3: „[…] ist eine gewisse Unruhe in der Truppe […] durch die eventuelle Bandarbeit […] deswegen konnte man gar nichts mehr lernen […] hat nur gebaut, aber mit Unlust […] schlagartig ging die Stückzahl runter […].“ (Einwurf Arbeiter II: „Hat voll auf die Moral gedrückt.“) Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ Gruppengespräche G4 und G3 24./25.05.1976 II ab 16:39 Min. 108 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G2, G4, G1 und G3 21./22.04.1976 IV ab 03:31 Min. 109 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1, G3, G4 und G2 08./09.04.1976 IV ab 37:02 Min. 110 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1, G3, G4 und G2 08./09.04.1976 V ab 38:35 Min. 111 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G2, G4, G1 und G3 21./22.04.1976 IV ab 47:32 Min.

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Die Aussagen verdeutlichen, dass sich die Qualität des Anlernens je nach Vorarbeiter oder Meister in den Gruppen unterschied und damit einhergehend das Arbeitsklima. Demnach fühlten sich einige Werker von Vorgesetzten an den Prüfständen schlecht angelernt oder unfreundlich behandelt und äußerten ihre Kritik gegenüber dem Projektleiter. Damit trugen sie zu einer effektiveren und qualitativ hochwertigeren Fertigung durch die Vermeidung von Fehlern sowie einem besseren Arbeitsklima bei. Das vorherrschende betriebliche Konzept zur Menschenführung der Vorgesetzten war daher ein wichtiges Grundelement für das Gelingen von Innovation und wird im Kapitel 4.1 näher betrachtet. Daraus folgt, dass die Gruppen lernten, ihre Unzufriedenheit bei den betreffenden Stellen im Unternehmen und gegenüber ihren Vorgesetzten vorzubringen und zu erläutern. Insofern brachten sie sich im Projekt ein und zeigten Eigeninitiative, um etwas in ihrem Sinne zu verändern. Um diese Veränderung letztendlich durchzusetzen, bedurfte es aber auch des Mitwirkens der anderen betrieblichen Akteure, wie des Projektleiters oder der Vorgesetzten. Dieser Freiraum wurde den Arbeitern zweifellos gewährt. Grundsätzlich bezogen auf die Arbeitsorganisation standen am Anfang des Projektes nur die vier Gruppen und ein Kostenstellenleiter fest. Alle anderen beteiligten Personen, z. B. Meister, sollten erst bei Bedarf im Laufe des Projektes bestimmt werden, wie aus der Äußerung des Projektleiters hervorgeht: „Sicher kann es sein, dass eine Gruppe sagt, ich möchte jetzt hier eine Vertrauensperson, die uns dabei mit Rat und Tat zur Seite steht. Eine andere Gruppe sagt, wir machen das vollständig alleine […] Diese Fragen können doch erst jetzt vor Ort [geklärt werden].“112

Daher hatten die Gruppen einen großen Entscheidungsspielraum. Das geht unter anderem aus ihrem Mitwirken am Aufbau und der Konzeption der technischen Anlagen für die Gruppenmontage hervor. So sollten die Gruppen Vorschläge erarbeiten und die von der Produktion vorgelegten Pläne zum Aufbau der Gruppenarbeit in den Produktionshallen bewerten. Allerdings äußerte unter anderem Gruppensprecher 4 Kritik an dieser Vorgehensweise. Seine Gruppe wollte zunächst an den Provisorien arbeiten, um beurteilen zu können, welcher der beiden Vorschläge ihnen in der Praxis besser zusagt, da sie sich das in der Theorie nicht vorstellen konnten: Gruppensprecher 4: „Ich hab beispielsweise mit meiner Gruppe gesprochen und sie hatten abgelehnt einen Vorschlag zu geben, bevor sies praktizieren darf. Sie sollen am Anfang anfangen und dann Vorschläge geben. […] Wir können uns nicht vorstellen, was nachher gegeben ist […].“113

Die Arbeiter konnten sich die Arbeitsabläufe und -bedingungen anhand der theoretischen Pläne nicht vorstellen und benötigten die Praxiserfahrung, um zu sehen, welches der Modelle sich bewährte. Der Projektleiter akzeptierte ihre Kritik und 112 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ ÖPSZ erweiterte Planung 31.03.1975 ab 01:41:11 Min. 113 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ ÖPSZ 24.09.1975 ab 00:34 Min.

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die Gruppen erhielten die Möglichkeit beide Provisorien zu testen. Folglich ließ die Projektleitung individuelle Entscheidungsfindungen der Gruppen zu und reagierte auf ihre Einwände.114 Allerdings hatte die Planung vorab Konzepte erarbeitet, um abschätzen zu können, welche Anlagen und was für eine Anordnung in der Produktion überhaupt machbar waren und um den Gruppen konkrete Ideen bereitzustellen.115 Ein anderes Beispiel für den Gestaltungsfreiraum der Gruppen lässt sich anhand des Aufbaus der Anlagen darlegen. So konnten die Gruppen mitentscheiden, welche von den zur Verfügung stehenden Hallen sie unter Angabe von Gründen bevorzugten, etwa bessere Luft oder weniger Lärm.116 Ferner bestimmte sie die Orte für die Lagerbestände und Materialanlieferungen oder die Arbeitsplätze und Laufwege mit, die für die jeweiligen Arbeitsschritte notwendig waren. Darüber hinaus legten sie gemeinsam mit der Planung fest, welche Vorrichtungen, Bauten und Werkzeuge für ihre Arbeiten benötigt wurden sowie die Konzeption des Materialflusses.117 Die Gruppen 1, 2 und 4 äußerten den Wunsch, die Anlagen möglichst flexibel zu halten, da sie erst im Arbeitsprozess tatsächlich feststellen konnten, wie sie arbeiten wollten und wie die Anlagen dementsprechend funktionieren müssten.118 Also waren das Arbeitsklima, die Gestattung von Freiräumen und die daraus resultierende Arbeitsmotivation der Werker für die erfolgreiche Implementierung der neuen Arbeitsstrukturen wichtig. Dies war bei der Gruppenarbeit zu Anfang gegeben. Somit kamen die Arbeiter nach eigener Aussage nicht mehr mit „einem Ekel“ zur Arbeit wie zuvor am Band. Es sei viel freieres Arbeiten „ohne Druck von Vorgesetzten“ möglich und die Arbeit „menschlicher“, da die Arbeiter ihre Pausen selbst einteilen konnten.119 Innovationen wurden folglich von Arbeitern vorangetrieben, wenn sie die Gelegenheit bekamen, ihre eigenen Ideen zu verwirklichen. So wollten die Gruppenarbeiter etwa ihre Pausenräume selbst gestalten und entwickelten gemeinsam mögliche Einrichtungsideen: Arbeiter G2: „Bisschen schön bunt […] Klimaanlage, ’n schöner Sessel […] Fernsehgerät muss auch rein.“ (Gruppe lacht).120

Dies legt nahe, dass die Schaffung von Freiräumen zu einem lockeren und produktiveren Arbeitsklima führte und dadurch die Arbeitsmotivation der Arbeiter stieg.

114 Ebd. ab 04:54 Min. 115 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ Orientierung Gruppensprecher Nov. 1975 ab 21:11 Min. 116 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ Gruppensprecher und Planung 24.11.1975 ab 08:23 Min. 117 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ ÖPSZ 20.11.1975 I ab 25:20 Min. 118 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ Gruppensprecher und Planung 24.11.1975 ab 01:34:21 Min. 119 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ Gruppengespräche G4 und G3 24./25.05.1976 II ab 10:18 Min. 120 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G4 und G2 26.08.1976 II ab 53:40 Min.

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Wie sah es nun mit der Gestaltung von Innovation durch die Arbeiter in den Industrieroboter-Projekten und deren Handlungsrahmen dabei aus? Die Projekte zur Einführung von Industrierobotern waren Begleitprojekte und spiegelten damit eher den im Betrieb üblichen Handlungsrahmen der Arbeiter wider. Das bedeutet, die Wissenschaftler beobachteten nur die Einführung der Technologien und erhoben Daten aus den Interviews, griffen jedoch nicht gestaltend ein, wie bei der Gruppenarbeit. Dennoch bilden die Roboter-Projekte ab, wie sich die Arbeiter bei der Einführung neuer Produktionstechnologie verhielten, aus welchen Motivationslagen sie dies taten und wie sie an der Einführung der Innovation beteiligt wurden. Die Innovation Industrieroboter war eng mit der Weiterentwicklung der Mikroelektronik in den 1960er und 1970er Jahren verbunden.121 Im Gegensatz zu herkömmlichen Maschinen gelang es dem Roboter, für damalige Verhältnisse relativ komplexe Bewegungsabläufe nachzuvollziehen. So konnte er mit einem Arm und mehreren Bewegungsachsen je nach Programmierung unterschiedliche Abfolgen nachstellen. Überdies war der Roboter dazu in der Lage Werkzeuge zu führen und dadurch etwa Punktschweißen, Spritzlackieren und Hebetätigkeiten zu bewerkstelligen.122 Den ersten Industrieroboter setzte 1961 Ford in den USA ein.123 Bei VW fasste die Leitung erst Anfang der 1970er Jahre den Entschluss zur Eigenentwicklung, nachdem Ende der 1960er Jahre zuvor Fremdgeräte, unter anderem flexiblere Punktschweißmechanisierungen, getestet wurden.124 Galt der Industrieroboter bis Anfang der 1970er Jahre bei VW noch als wirtschaftlich unrentabel, änderte sich diese Einschätzung mit der Wirtschaftskrise 1973. Aufgrund der Notwendigkeit einer flexibleren Produktion durch die erweiterte Typenvielfalt und der Einführung des Baukastensystems erschien der Roboter nun interessant. Außerdem waren das hohe Lohnniveau, Fluktuation, Streiks und der dadurch verursachte Produktionsrückstand sowie der Wegfall von günstig angeworbenen ausländischen Arbeitskräften durch den Anwerbestopp elementare Faktoren für den Entschluss, Roboter einzusetzen.125 Hinzu kam die Wahrnehmung, dass die japanische Konkurrenz durch die dortige höhere Automation Wettbewerbsvorteile gegenüber bundesdeutschen Automobilkonzernen habe.126 Welche Faktoren beförderten nun das Mitwirken der Arbeiter an den neuen Produktionstechnologien? Ein Grund für die Akzeptanz der neuen Maschinen unter den Arbeitern war, dass diese ihre Tätigkeiten erleichterten und sie als Entlastung von schweren körperlichen Strapazen angesehen wurden. Demnach be121 MICKLER, OTFRIED 1981, Industrieroboter, S. 13. 122 Ebd., S. 13. 123 HEßLER, Martina: Die Halle 54 bei Volkswagen und die Grenzen der Automatisierung. Überlegungen zum Mensch-Maschine-Verhältnis in der industriellen Produktion der 1980er Jahre, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History,1 (2014), S. 62. 124 eLabour-SOFI-IR01_001_066.pdf Gespräch mit Leiter der Abteilung Elektroplanung und designierter Hauptabteilungsleiter der Elektrobetriebe am 21.11.1978, S. 2. 125 HEßLER, MARTINA 2014, Die Halle 54 bei Volkswagen und die Grenzen der Automatisierung, S. 63. 126 Ebd., S. 63.

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fürworteten Arbeiter neue Technologien, wenn sie die früheren Zustände für untragbar hielten und sie sich nun eine Verbesserung erhofften: „Also, die Hölle ist die Hölle. Da arbeiten 18 Menschen zusammen in 10 Meter Entfernung und jeder verblitzt dem anderen die Augen. Wenn man 8 Stunden mal da drin gearbeitet hat, geht man total kaputt nach Hause. Hat man die Augen verblitzt, hat man jede Menge Gase eingeatmet ja, ist man fertig. […] Und aus meiner Sicht ist besser, daß das abgebaut wird, besonders dieses Stück, die Hölle.“127

Als Hölle bezeichneten die Werker einen Teil des Rohbaus, in dem Schweißarbeiten durchgeführt wurden. Aber auch der Begriff der „Knochenmühle“ war für den Rohbau üblich.128 Starke körperliche Belastung, schädliche Umgebungseinflüsse und hohe Unfallgefahren prägten hier die Arbeitsbedingungen.129 Daher hofften die Arbeiter auf eine Verbesserung durch den Roboter, welcher etwa das Punktschweißen übernehmen konnte. „Man wird krankheitsempfindlicher durch den Lärm und den Schmutz. Das macht die Leute fertig. Wenn sie hier 20 bis 30 Jahre drin sind, sind sie fertig. Mehr als 50 Jahre Lebenserwartung für die Einzelnen gibt es in Preßwerken nicht. Vor ein paar Jahren hieß das Preßwerk hier noch das Todeswerk.“130

Der Ausdruck „Todeswerk“ für das Presswerk ist bezeichnend. Zahlreiche Arbeiter erlitten durch die Arbeit körperliche Schädigungen aufgrund von giftigen Dämpfen, Lärm und schweren körperlichen Tätigkeiten in gebückter oder verrenkter Haltung.131 Die Frühinvalidität unter Arbeitern in der Industrie der 1970er Jahre war sehr hoch. Studien, die durch das HdA-Programm angestoßen wurden, ergaben, dass weniger als die Hälfte der Arbeiter mit dem Erreichen der Altersgrenze aus dem Berufsleben ausschieden. Mehr als die Hälfte von ihnen litt an Frühinvalidität, die nicht erst im fortgeschrittenen Alter einsetzte. Abgesehen von Krebs machten auch vor allem Herz-Kreislauferkrankungen, Atemwegserkrankungen oder Erkrankungen des Bewegungsapparates die häufigsten Gründe für die Frühinvalidität aus.132 Hierfür trugen vor allem schlechte klimatische Bedingungen, körperlich schwere Arbeit und die Einwirkungen von Lärm sowie toxischer Stoffe auf die Arbeiter die Verantwortung.133 Die durchschnittliche Lebenserwartung von Arbeitern war deutlich geringer als die von Angestellten zu dieser Zeit und lag einer Studie zufolge zwischen 60 und 65 Jahren. 134 Diese gesundheitliche Belastung geht ebenso aus dieser Aussage hervor: 127 IfS Frankfurt A 117 Ordner 6 Gruppengespräch am 05.12.1978, S. 5f. 128 Ebd., S. 12. 129 EGGEBRECHT, Arne/SCHNEIDER, Helmuth: Geschichte der Arbeit. Vom alten Ägypten bis zur Gegenwart, Köln 1980, S. 332. 130 eLabour-SOFI-IR01_004_004.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Presswerk, o. A. am 12.09.1977, S. 4 oder IfS Frankfurt A 117 Ordner 6 Gruppengespräch am 05.12.1978, S. 19. 131 VWW: Bericht über das Geschäftsjahr 1984, S. 37. 132 TENNSTEDT, Florian: Die Situation älterer Industriearbeiter. Gesundheitsverschleiß im Beruf – Frühinvalidisierung oder Prophylaxe als Ausweg, in: Sozialpolitik für ältere Menschen, hrsg. v. Margret DIECK, Heidelberg 1978, S. 69f. 133 Ebd., S. 75. 134 Ebd., S. 65.

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„Der Arbeiter sollte ja nicht nur ein Kuli oder ein Muli sein. Wie viel Arbeitsplätze liegen doch so im argen, daß man nur den Kopf schütteln kann. Und vor allem sollte man auch was für den Umweltschutz tun.“135

Der Arbeiter bezeichnete sich und seine Kollegen als „Kulis“, eine Bezeichnung für ungelernte Tagelöhner, die unter meist sklavenähnlichen Bedingungen für die britische Kolonialmacht vor allem in China arbeiteten oder als „Mulis“, ein Maulund damit Lasttier. Diese Vergleiche demonstrieren, wie schwer und anstrengend der Arbeiter seine Tätigkeiten wahrnahm und rekurrieren zugleich auf seine empfundene untergeordnete Rolle im Unternehmen. Außerdem spricht er die Umweltbelastungen durch giftige Gase und Chemikalien wie Lacke an. In den 1970er Jahren gewann der Umweltschutz sowohl im Zuge der neuen sozialen Bewegungen als auch durch politische Gesetze mehr Aufmerksamkeit in der BRD.136 Die sozialliberale Bundesregierung unter Willy Brandt machte den Umweltschutz zum Teil ihrer Reformpolitik. Infolgedessen legte sie 1971 ein Umweltschutzprogramm vor und gründete 1974 das Umweltbundesamt.137 Desgleichen sollte das HdA-Programm durch die Entwicklung umweltfreundlicher Technologien und durch seine Forschungen zu bedenklichen Gefahren- und Arbeitsstoffen in der Industrie die Überprüfung der bisherigen Grenzwerte kontrollieren.138 Aber nicht nur an- oder ungelernte Arbeiter unterlagen giftigen Arbeitsstoffen, einem hohen Unfallrisiko und Frühinvalidität. Nach Angaben des Hauptabteilungsleiters der Elektrobetriebe bei VW Wolfsburg waren 13 % der Facharbeiter als schwergeschädigt registriert und somit Sozialfälle.139 Wenn sich die Arbeitsplätze derart negativ auf die Gesundheit auswirkten und sich die eigene Lebenserwartung dadurch drastisch verkürzte, befürworteten die Arbeiter zu ihrem Schutz die Einführung von Robotern, selbst wenn dies mit Lohneinbußen oder dem Wegfall ihres früheren Arbeitsplatzes einherging140: „Von den Betroffenen sagen wohl die meisten: ‚Der Roboter soll mit da sein‘. […] Ich selber habe mir keine Kopfschmerzen gemacht über den Roboter. Auch wenn ich ’ne Lohngruppe

135 eLabour-SOFI-IR01_006_006.pdf Gespräch mit Arbeiter aus der Gießerei, 41 Jahre am 25.10.1977, S. 9. 136 ENGELS, Jens Ivo: Naturpolitik in der Bundesrepublik. Ideenwelt und politische Verhaltensstile in Naturschutz und Umweltbewegung 1950–1980, Paderborn 2006, S. 276f. und S. 324ff. 137 JÄNICKE, Martin: Geschichte der deutschen Umweltpolitik, online: Bundeszentrale für politische Bildung, [04.02.2019]. 138 BArch, B 149/27879, Forschungsaktionsprogramm zur Humanisierung des Arbeitslebens Februar 1974, S. 16f. und S. 19. 139 eLabour-SOFI-IR01_001_096.pdf Gespräch mit Hauptabteilungsleiter der Elektrobetriebe am 01.06.1977, S. 10. 140 „Ja, es ist leichter geworden. Viele schwere Arbeiten sind ja durch die Mechanisierung dem Arbeiter abgenommen worden. Hauptsächlich schwere Arbeiten nimmt die Mechanisierung ja ab. Als wir früher noch mit der Hand die Dächer rausnehmen mußten, das war ja eine Mordsquälerei.“ eLabour-SOFI-IR01_003_002.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Presswerk, 54 Jahre am 28.09.1977, S. 8.

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Arbeiter als Akteure weniger gekriegt hätte, wäre mir das egal gewesen. Ich würde bereit sein, weniger Geld für geringere Lohngruppe zu machen, wenn ich auch ne leichtere Arbeit hätte.“ 141

Außerdem vernichte der Roboter keine Arbeitsplätze, sondern die Arbeiter, die vorher an den entsprechenden Stellen tätig waren, produzierten nun deren Teile.142 Es lässt sich historisch belegen, dass die Maschinen neue Arbeitsplätze generierten. Die Roboter mussten geplant, aufgestellt, kontrolliert und gewartet werden und so besetzten oftmals höher qualifizierte Arbeiter diese Posten.143 Durch den Robotereinsatz ergaben sich aber zugleich neue repetitive Tätigkeiten für un- oder angelernte Arbeiter und hielten die Nachfrage nach diesen weiterhin aufrecht.144 Infolgedessen gab es keine vollständige Ersetzung des Menschen durch die Maschine und keine durch ihren Gebrauch immens ansteigende Arbeitslosigkeit.145 Die Roboter waren nicht allen Arbeitern von vornherein willkommen und mussten ihren Nutzen daher zuerst beweisen: „Es gab ein Schmunzeln über den Roboter, eine gewisse Schadenfreude. Man sagte, warum stellt ihr uns da nicht hin. Wenn man dann merkt, daß er einfach nutzen kann, dann ist man schon zufriedener. Z. B. das automatische Abstapeln, man kann mal zwischendurch Kaffeetrinken gehen.“146

Dies belegt, dass sich die Arbeiter gegenüber Neuerungen offen zeigten, solange sie sich davon einen Vorteil versprachen und sich von ihrer Zweckdienlichkeit überzeugen ließen. Der Nutzen für die Arbeiter musste für diese ersichtlich und im ausgewogenen Maß mit dem Gewinn der neuen Technologien für die Unternehmensleitung sein: „Der Arbeitgeber wird versuchen, die Maschinen dort einzusetzen, wo sie die größte Stückzahl machen und am leichtesten einzusetzen sind. Sie sollten bei schwerer Arbeit mit eingesetzt werden. Z. B. schwere Bodenbleche heben. […] Der Arbeiter hat dann auch einen Nutzen, denn die schwere Arbeit fällt weg und es sind weniger Leute krank.“ 147

In dieser wie in vielen anderen Aussagen ist eine Zwiespältigkeit präsent. Einerseits begrüßten die meisten Arbeiter die neuen Produktionstechnologien aufgrund besserer Arbeitsbedingungen, andererseits hatten sie Angst ersetzt zu werden. Es bestanden trotz grundsätzlicher Befürwortung Ambivalenzen gegenüber der neuen Technologie.148 Dennoch bezeichneten mehrere Arbeiter den Roboter gar als „die 141 Vgl. eLabour-SOFI-IR01_003_020.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Untergruppenrohbau, 36 Jahre o. D., S. 7f. oder eLabour-SOFI-IR01_003_023.pdf Gespräch mit Arbeiter aus Halle 18, 25 Jahre am 19.09.1977, S. 3. 142 eLabour-SOFI-IR01_003_007.pdf Gespräch mit italienischem Arbeiter aus dem Presswerk, 38 Jahre am 12.09.1977, S. 12. 143 MICKLER, OTFRIED 1981, Industrieroboter, S. 269. 144 Ebd., S. 269. 145 FÜLLSACK, Manfred: Arbeit (Grundbegriffe der europäischen Geistesgeschichte), Wien 2009, S. 90. 146 eLabour-SOFI-IR01_004_004.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Presswerk, o. A. am 12.09.1977, S. 5. 147 Ebd., S. 7. 148 Vgl. eLabour-SOFI-IR01_004_035.pdf Gespräch mit Springer aus der Lackiererei, 43 Jahre am 29.11.1977, S. 11; eLabour-SOFI-IR01_003_015.pdf Gespräch mit Arbeiter aus Halle 18,

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humanisierte Maschine“ schlechthin.149 Insgesamt schätzten die Werker die Unterstützung durch den Roboter aufgrund von Arbeitserleichterung und Gesundheitsschutz. Durch den Einsatz der neuen Produktionsmaschinen wurden nämlich nicht nur körperliche Belastungen reduziert, sondern auch die Unfallgefahr verringert und die Arbeiter waren seltener giftigen oder ungesunden Umgebungseinflüssen ausgesetzt, wie extremer Hitze oder Schadstoffen. Dieser Wandel in der Produktion begann Ende der 1960er Jahre und ging auf neu erlassene Gesetze der Politik, wie das Maschinenschutzgesetz 1968 und das Arbeitssicherheitsgesetz 1973 zurück.150 Die sozialliberale Koalition forderte den Ausbau des betrieblichen Arbeitsschutzes und setzte ebenso ein umfassenderes Gesundheits- und Gefahrenverständnis sowie vor allem die Gesundheitsprävention durch. An die Stelle von wirtschaftlicher Selbstregulation traten nun durch das Arbeitssicherheitsgesetz rechtlich festgelegte Betriebsärzte und Sicherheitsingenieure.151 Dies geschah unter anderem angesichts eines wachsenden Bewusstseins für gesamtwirtschaftliche Verluste durch Krankheit und Unfälle sowie die damit einhergehenden steigenden Kosten für Sozialleistungen.152 Das HdA-Programm diente ab 1974 dazu, neue Richtlinien und -werte für notwendigen Arbeits- und Umweltschutz zu bestimmen. So heißt es im Programmtext: „Angesichts der immer noch erschreckend hohen Zahl der Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten muß jede Bemühung um eine Humanisierung des Arbeitslebens auf eine Verstärkung des Arbeitsschutzes gerichtet sein.“

Auch „körperlichem Verschleiß“ und „Frühinvalidität“ sollte entgegengewirkt werden.153 Das Aktionsprogramm zielte besonders auf die Unfallverhütung, Gesundheitsprävention und -erhaltung der Arbeiter ab. Dies schloss sowohl körperliche und psychische Belastung als auch schädlichen Umgebungseinfluss, wie Lärm, Klimaverhältnisse und gefährliche Arbeitsstoffe, etwa Laser oder Gase ein.154 Außerdem machte das Programm durch seine Projekte und Publikationen der Arbeitswissenschaften auf die ergonomische Gestaltung von Arbeitsplätzen aufmerksam. Die gesetzlichen Vorgaben spiegelten sich in der Produktion bei VW wider. Seit 1973 stiegen die arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen

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o. A. am 16.09.1977, S. 5; eLabour-SOFI-IR01_003_022.pdf Gespräch mit Arbeiter aus Halle 18, o. A. am 15.09.1977, S. 10; eLabour-SOFI-IR01_003_018.pdf Gespräch mit Arbeiter aus der Hinterachsenfertigung, 44 Jahre am 16.09.1977, S. 4f. eLabour-SOFI-IR01_005_015.pdf Gespräch mit Arbeiterin aus dem Kleinpresswerk, 36 Jahre am 23.09.1977, S. 2; eLabour-SOFI-IR01_007_027.pdf Gespräch mit Facharbeiter der Straße 8, 50 Jahre o. D., S. 4. KLEINÖDER, NINA 2015, Unternehmen und Sicherheit, S. 219f. Ebd., S. 220. WEBER, Wolfhard: Arbeitssicherheit. Historische Beispiele – aktuelle Analysen (Kulturgeschichte der Naturwissenschaften und der Technik 7718), Reinbek bei Hamburg 1988, S. 196f. BArch, B 149/27879, Forschungsaktionsprogramm zur Humanisierung des Arbeitslebens Februar 1974, S. 4. Ebd., S. 10f.; S. 16f.; S. 21f. und S. 28f.

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kontinuierlich an.155 Durch die Umstellung der Produktion infolge der Einführung neuer Technologien veränderten sich zugleich die Produktionsbedingungen. Nach dem Einzug der Roboter in die Hallen folgten modernere Schutzkleidung und Schutzvorrichtungen sowie vermehrt Absauganlagen für giftige Dämpfe: „Das ist um 500 % besser geworden. Damals war immer alles dunkel in der Halle, alles voll von Schwefel. Die Luft ist heute durch Absauganlagen doch viel besser. Früher mußte man das Metall aus den Tiegeln mit einer Kelle herausschippen. Heute geht das alleine da raus. Dadurch ist weniger Hitze. Früher gab es keine Arbeitskleidung. Damals gab es Asbestkleidung, die war im Sommer aber viel zu warm. Sie ist zu rau und scheuerte dann. Heute die blauen Hosen, sind leicht. Sie sind nicht so leicht brennbar wie normale Bekleidung. […] Außerdem hat man auch noch Arbeitsschuhe und Handschuhe.“156

Infolgedessen brachte die Technologie nicht nur an sich Vorteile für die Gesundheit der Arbeiter, sondern auch durch die Modernisierung der Produktion im Allgemeinen. Aufgrund der gesetzlichen Vorgaben zogen sie zudem neue Formen der Arbeitssicherheit, des Unfallschutzes und die Verringerung der schädlichen Umgebungseinflüsse nach sich. Hiermit verbesserte sich die Arbeitsumwelt der Werker.157 Die Arbeiter wussten, dass die schwere Arbeit ihre Gesundheit schädigte und viele befürworteten daher die neuen Sicherheitsmaßnahmen, wie die Gehörschutzwatte158: „Es ist ein bißchen humaner geworden. Durch die Schallmessung, die Gehörschutzwatte und durch den Gehörtest.“159

Allerdings hing dies maßgeblich davon ab, aus welcher Motivation heraus sie arbeiten gingen. Einigen Arbeitern war es gleichgültig, welche Tätigkeit sie ausübten, solange das Gehalt stimmte: „Mich persönlich würde das nicht stören, wenn ich z. B. schweiße oder einlege. Für mich ist entscheidend, was ich hier kriege […] Entscheidend ist für mich, daß ich hier nichts verliere, denn man soll sich so teuer wie möglich verkaufen.“160

Für diese Arbeiter hatten weder eine anspruchsvollere Tätigkeit Priorität noch der Schutz ihrer Gesundheit, da sie andere Faktoren, wie Versorgung der Kinder oder

155 VWW: Menschen im Blickpunkt. Sozialbericht der Volkswagenwerk Aktiengesellschaft für das Jahr 1981, S. 31. 156 eLabour-SOFI-IR01_006_007.pdf Gespräch mit Maschinenbediener aus der Gießerei, 46 Jahre am 26.10.1977, S. 6. 157 eLabour-SOFI-IR01_004_027.pdf Gespräch mit Inspekteur aus der Gießerei, 46 Jahre am 20.10.1977, S. 4. 158 „Die tun hier schon was für die Gesundheit. Da machen die schon was. Schutzvorrichtungen und Schutzmaßnahmen und so. Das steht im ersten Rang. Gesundheit kann man ja auch nicht bezahlen.“ eLabour-SOFI-IR01_006_010.pdf Gespräch mit Arbeiter aus der Kunststoffteilefertigung, 50 Jahre am 27.10.1977, S. 9. 159 eLabour-SOFI-IR01_003_016.pdf Gespräch mit CO2-Schweißer aus dem Rohbau, o. A. am 11.10.1977, S. 4. 160 IfS Frankfurt A 117 Ordner 6 Gruppengespräch am 05.12.1978, S. 27.

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das Abbezahlen des Eigenheims stärker gewichteten.161 Dies ist ein gutes Beispiel für die Überlappung von Rationalitäten und die Ambivalenzen im Arbeiterhandeln. Außerdem hingen einige leichtsinnig dem Glauben an, dass „es sie schon nicht treffen würde.“162 Doch zahlreiche Arbeiter teilten diese Ansichten aufgrund von eigenen schlechten Erlebnissen oder wegen Erfahrungen ihrer älteren Kollegen nicht mehr (vollumfänglich).163 Folglich gab es zweifellos Antworten, die auf einen Wandel im Bewusstsein der Werker hindeuteten: „Wer von uns im Alter von 54 Jahren ist gesund? Wenn ich daran denke, was wir alles mitgemacht haben, dann ist es ja selbstverständlich, daß da Gesundheitsstörungen auftreten. Ich habe früher selbst einmal festgestellt, ich wurde immer müder und verlor auch immer mehr Gewicht, ich war der Arbeit immer weniger gewachsen. Da stellt sich dann schließlich heraus, daß ich was an der Galle und an der Leber habe und daß ich streng Diät leben muß. Ich habe dann im Betrieb gesagt, ich will ja gerne arbeiten und nicht krank sein, geben sie mir eine Arbeit, bei der ich damit zurechtkomme.“164

Bei diesen Arbeitern gewann der Erhalt ihrer körperlichen Gesundheit an Bedeutung. Daher war es ihnen weniger wichtig, welche Tätigkeit sie ausübten, solange sie eine „Erleichterung“ darstellte und ihrer Gesundheit nicht (weiter) schadete.165 Durch die gewandelten Handlungsweisen und Rationalitäten beförderten die Arbeiter die Einführung von Innovationen, da die Betriebsleitung darauf reagieren musste, wie die Aussage des Rohbauleiters nahelegt: „Wir haben unsere Schwierigkeiten für den Rohbau […] Diese belastende[n] Faktoren durch Geld abzugleichen wird immer schwieriger und kritischer und ich glaube auch in den nächsten Jahren immer schwerer zu verkaufen. Hier kommt natürlich noch hinzu, daß wir konkreten Forderungen von gesetzlicher, tariflicher Seite unterliegen.“166

Demnach herrsche im Rohbau eine hohe Fluktuation, die sich in den nächsten Jahren nicht mehr ausgleichen ließe und ein hoher Absentismus auf bestimmten, vor allem körperlich anspruchsvollen Arbeitsplätzen. Besonders die jüngeren Arbeiter würden sich „gegen die Monotonie sperren.“167 Dass dieses Problem schon in früheren Jahrzehnten bestand, beweist etwa die Kampagne von Arbeitgebern gegen das „Blaumachen“ 1959, welche explizit den Absentismus und die Fluktua-

161 „Wichtig war das Geldverdienen; die Kinder waren ja auch schon alle da.“ eLabour-SOFIIR01_003_014.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Untergruppenrohbau, 35 Jahre am 11.10.1977, S. 1. 162 IfS Frankfurt A 117 Ordner 6 Gruppengespräch am 06.12.1978, S. 11. 163 eLabour-SOFI-IR01_004_021.pdf Gespräch mit Nacharbeiter aus Halle 18, o. A. am 12.09.1977, S. 6. 164 eLabour-SOFI-IR01_003_002.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Presswerk, 54 Jahre am 28.09.1977, S. 12. 165 IfS Frankfurt A 117 Ordner 6 Gruppengespräch am 05.12.1978, S. 27. 166 IfS Frankfurt A 117 Ordner 7 Gespräch mit Leiter des Rohbaus o. D., S. 14. 167 eLabour-SOFI-IR01_001_014.pdf Gespräch mit Hauptabteilungsleiter des Presswerks am 06.09.1977, S. 4.

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tion der Arbeiter anprangerte.168 Jedoch konnte die Fluktuation bis in die 1970er Jahre durch die Anwerbung von „Gastarbeitern“ oder den Zustrom von Arbeitern aus der DDR kompensiert werden.169 Nach dem Bau der Mauer und des Anwerbestopps schien für die Unternehmensleitung von VW eine Lösung dieses Problems die Einführung der Roboter zu sein, welche einige von diesen Tätigkeiten übernehmen konnten.170 Diese Tatsache lässt sich etwa an den Investitionssummen für neue Technologien nachvollziehen. Ende der 1970er Jahre wurden die Investitionen zur Rationalisierung vom Vorstand noch einmal deutlich erhöht. So flossen von 1979 bis 1982 rund zehn Milliarden DM in die Rationalisierung der Fertigung, welche den Einsatz von mikroelektronischen Robotern, typenabhängigen Mehrzweckmaschinen und variablen Transportsystemen umfasste. Höhepunkt war die von der Presse brisant diskutierte Inbetriebnahme der ersten vollautomatisierten Montagelinie in der Halle 54 im VW-Werk Wolfsburg.171 Folglich führte unter anderem der Wandel des Arbeiterverhaltens, schwere körperliche Arbeitsplätze zu verweigern, zur Einführung dieser Innovationen.172 Ebenso wie beim Gruppenarbeits-Projekt trugen die Arbeiter Neuerungen insbesondere dann mit, wenn sie anspruchsvollere oder abwechslungsreichere Tätigkeiten ausüben durften173: „Von daher mußte ich völlig umdenken. Ich muß schweißen, ich muß punkten, ich muß löten, ich muß da ausrichten und alles, was ich vorher nicht gemacht habe. Aber von daher gesehen wird mehr von uns gefordert, auch geistig gefordert.“174

Die Produktionstechnologien brachten für einige Arbeiter in den Projekten neue Aufgaben und erweiterte Tätigkeitsfelder mit sich. Die Werker standen nun nicht mehr nur an einer Maschine, sondern an mehreren und mussten diese bedienen können. Dadurch bewegten sie sich zugleich mehr und verweilten nicht immer am selben Arbeitsplatz. Das war sowohl für das Arbeitsklima als auch für die „Ar-

168 BIRKE, Peter: Wilde Streiks im Wirtschaftswunder. Arbeitskämpfe, Gewerkschaften und soziale Bewegungen in der Bundesrepublik und Dänemark (Campus Forschung 927), Frankfurt am Main u. a. 2007, S. 97f. 169 HEßLER, MARTINA 2014, Die Halle 54 bei Volkswagen und die Grenzen der Automatisierung, S. 62. 170 Vgl. eLabour-SOFI-IR01_009_030.pdf Gespräch mit Abteilungsleiter aus der Fertigungsplanung Rohbau am 21.02.1978, S. 7f. 171 GRIEGER, MANFRED 2008, Volkswagen Chronik, S. 99. 172 Ebd., S. 99. 173 „Erstens steht man ja nicht immer auf der gleichen Stelle, der Körper macht nicht immer die gleichen Bewegungen, der Körper macht eigentlich gleichzeitig auch andere Bewegungen... Das ist zwar geistig etwas anstrengender, aber körperlich ist es gesünder. Die Maschine fordert ja einen gewissen Rhythmus, und der Mensch muß sich auf diesen Rhythmus erst einstellen. Mit der Zeit geht dieser Rhythmus ja dann ins Blut über. Wenn dieser Mann jetzt aber auf einen anderen Arbeitsplatz umgesetzt wird, so muß er sich wieder auf einen anderen Rhythmus einstellen.“ eLabour-SOFI-IR01_003_002.pdf Gespräch mit Arbeiter im Presswerk, 54 Jahre am 28.09.1977, S. 6. 174 IfS Frankfurt A 117 Ordner 6 Gruppengespräch am 20.05.1980, S. 3.

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beitsfreude“ zuträglich.175 Ferner bewirkte dies eine sinkende Anzahl von Arbeitsunfällen durch höhere Konzentration aufgrund geringerer Monotonie.176 Daher sahen die Werker dies als Humanisierung an.177 Wie sehr die Arbeiter den Roboter akzeptierten und in ihren Arbeitsalltag integrierten, zeigt zudem die Verwendung von Spitznamen für das Gerät. Demnach soll der im Werk verbreitete Spitzname „Robby“ von einem Straßenführer ersonnen worden sein, der in seinem Straßenbuch den Eintrag vermerkte: „Robby hat verrückt gespielt.“178 Dieser Spitzname fand umgehend Eingang in die Sprache der Arbeiter und des gesamten Betriebes.179 Die Integration neuer Produktionstechnologien in den Arbeitsalltag stellt ebenso ein Mitwirken an den Neuerungen dar. Überdies zeigten die Werker Verständnis für die Anlaufschwierigkeiten der neuen Produktion trotz erhöhter Nacharbeit und für die Ausfälle der neuen Technologien.180 Sie wussten, dass es sich um einen Anpassungsprozess handelte und gestalteten diesen mit, indem sie Geduld und Flexibilität bewiesen. Darüber hinaus übernahmen sie Verantwortung für die Maschine, an der sie arbeiteten und meldeten Schwierigkeiten und Probleme direkt an ihre Vorgesetzten. Folglich waren auch die Vorgesetzten auf die Mitarbeit der Werker an den Maschinen angewiesen, sollten diese fehlerhaft arbeiten, denn Fehleinstellungen der Technologien konnten schwerwiegende Folgen für die gesamte Produktionsanlage haben: „Er [der Roboter] kann ja auch nicht sehen, wenn mal ein Schaden am Werkzeug ist. Unsereiner sieht das ja, sagt, halt an, hol den Werkzeugbau her, sonst geht die ganze Maschine in den Eimer.“181

Hieran zeigt sich einerseits, dass die Betriebsleitung auf das Mitwirken der Arbeiter in der Produktion angewiesen war, da sie direkt mit der Maschine interagierten und diese in ihren Abläufen kannten und andererseits die Arbeiter diese Verantwortung auch wahrnahmen und eigeninitiativ handelten.

175 eLabour-SOFI-IR01_006_006.pdf Gespräch mit Arbeiter aus der Gießerei, 41 Jahre am 25.10.1977, S. 4. 176 SOFI Göttingen IR-Projekt Ordner 11 Jahresbericht 1977 Produktion Werk Wolfsburg Rohbau-Untergruppen II, S. 4. 177 „Ja, man sollte auch gerade dann was für Humanisierung tun. Stumpfsinnige Arbeit ist im Grunde nicht zumutbar.“ eLabour-SOFI-IR01_003_016.pdf Gespräch mit CO2-Schweißer aus dem Rohbau, o. A. am 11.10.1977, S. 10. 178 eLabour-SOFI-IR01_001_016.pdf Gespräch mit Abteilungsleiter aus dem Presswerk am 14.12.1977, S. 1. 179 eLabour-SOFI-IR01_004_028.pdf Gespräch mit Arbeiter aus der Gießerei, 43 Jahre am 20.10.1977, S. 6. 180 „Man erzählt sich ja, daß der Roboter manchmal aufmuckt. […] Da sind dann eben 20 Karossen Nacharbeit. Auch der Roboter, er wird sicher auf jeden Fall verfeinert und dann läuft das auch. Rom ist ja schließlich auch nicht an einem Tag erbaut worden.“ eLabour-SOFIIR01_006_014.pdf Gespräch mit Lackierer aus Halle 12, o. A. am 29.11.1977, S. 5. 181 eLabour-SOFI-IR01_003_010.pdf Gespräch mit Einleger aus dem Presswerk, 50 Jahre am 26.09.1977, S. 11.

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Außerdem brachte die Arbeit an diesen neuen Anlagen für die Werker Prestige mit sich. Einige der Werker fühlten sich stolz, an den modernen Maschinen arbeiten zu können und brüsteten sich damit vor ihren Kollegen: „Wir führen ja jetzt mit Stolz immer Besucher durch’s Werk. Und wenn man oben auf diesem Gang langgeht oberhalb der Goli-Straße, dann sieht man die menschenleere Fabrik schon fast verwirklicht. Da laufen also die Roboter, ohne daß Produktionspersonal daneben steht.“ 182

Insgesamt scheint es für die Werker eine motivierende Tatsache gewesen zu sein, in einer der modernsten Autofabriken der Welt und an den neusten Produktionstechnologien zu fertigen. Die Analyse legt dar, dass die Arbeiter in allen HdA-Projekten als vielfache Innovationsbeförderer und -gestalter in Erscheinung traten. Von besonderer Wichtigkeit waren hierbei das Arbeitsklima und das Gestatten von Freiräumen durch die Vorgesetzten, welche von den Arbeitern divers genutzt wurden. Darüber hinaus führten die Erweiterung von Aufgabenfeldern und Abwechslung an Arbeitsplätzen zu einer stärkeren Identifikation der Werker mit ihrer Arbeit und gleichzeitig zu einem besseren Unfallschutz durch die Senkung der Monotonie. Innovationen mussten überdies einen erkennbaren Nutzen für die Werker bereitstellen, damit sie diese beförderten, wie etwa die Reduzierung schwerer körperlicher Arbeiten oder verbesserter Gesundheitsschutz. Zudem ließ sich nachweisen, dass die Arbeiter gleichermaßen unterschiedliche sowie verbindende Rationalitäten aufwiesen und es situationsabhängig war, ob sie gemeinsame Kooperationen eingingen oder nicht. Dies hing von ihren angestrebten Zielen ab. Außerdem wurde offenbar, dass Arbeiter untereinander nicht per se solidarisch miteinander waren. 2.2 ARBEITER ALS VERWEIGERER VON INNOVATION Wenn das vorangegangene Kapitel das Mitwirken und Gestalten von Arbeitern an eingeführten Neuerungen im Unternehmen betrachtet, stellt sich nun die Frage, wieso und wann sich Arbeiter Innovationen verweigerten oder diese ablehnten. Wie dargelegt, waren insbesondere die Gestattung von Freiraum, die Möglichkeit zum eigenständigen Handeln und Teilhabe ausschlaggebend für die Beteiligung der Werker an Innovationen. Doch was passierte, wenn diese fehlten oder von den oberen Hierarchieebenen verweigert wurden, wie bei den Industrierobotern? Es zeichnete sich nämlich ab, dass sich insbesondere bei Fehlfunktionen der Roboter die meisten Werker regelrecht ohnmächtig fühlten. Durch den geringen Kenntnisstand konnten sie den Roboter nicht reparieren und selbst wenn sie die 182 Vgl. IfS Frankfurt A 117 Ordner 8 Gespräch mit Mitarbeiter der Instandhaltung am 25.04.1980, S. 19; „Sind die Leute – speziell die, die beim IR arbeiten – ein bißchen Angeber, weil sie an einer so modernen Anlage arbeiten und weil die Präzision der Achsenfertigung so hoch ist. Sie haben heute die IR folglich voll akzeptiert und sind ihm gegenüber positiv eingestellt.“ eLabour-SOFI-IR01_001_029.pdf Gespräch mit Meister aus dem Untergruppenrohbau am 16.09.1977, S. 7.

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Fähigkeiten hierfür besaßen, wurde es ihnen von Vorgesetzten und der Betriebsleitung untersagt. Es war ihnen lediglich gestattet einen Elektriker anzurufen und zu warten: „Wenn was kaputt war, dann haben wir den Elektriker geholt. Wir brauchten nichts dran zu machen. Wenn er stand, dann haben wir dem Vorarbeiter Bescheid gesagt und wenn keiner am Pult war, dann haben wir selber angerufen.“183

Daraus ergab sich für die Arbeiter eine massive Abwertung ihres eigenen Könnens und ihrer Verantwortung. Außerdem führte ihnen dieses Vorgehen die Existenz von Betriebshierarchien deutlich vor Augen. Sie mussten auf die „Experten“ warten, die im Gegensatz zu ihnen befugt und in der Lage waren, den Roboter zu reparieren. Demnach wurden sie bewusst von diesem Wissen ausgeschlossen, dadurch dass sie von der Maschine weggeschickt wurden. Dies verhinderte, dass sie Erfahrung sammeln und Wissen darüber erlangen konnten. Insofern fühlten sich viele der Werker von vornherein nicht dazu fähig, einen Roboter wieder instand zu setzen, da sie kaum über Kenntnisse seiner Funktionsweise verfügten: „Was da genau gemacht wurde, da kommen wir Arbeiter ja gar nicht hinter. Da heißt es: Gehen sie halt mal an die andere Maschine ...“184

Um die Arbeiter trotz des ausgesprochenen Verbots von den Produktionstechnologien fernzuhalten und Unfallgefahren zu vermeiden, ließ die Unternehmensleitung die Roboter in einem abgeschlossenen „Käfig“ oder hinter Gittern einrichten. Diese Handlungsbeschränkungen frustrierten die Arbeiter sichtlich. Sie fühlten sich in ihrem Können und in ihrem Verantwortungsbereich unrechtmäßig beschnitten, da sie die Argumentation, wieso sie etwa einen Roboter nicht ein- oder abschalten durften, nicht nachvollziehen konnten: „Da sagt niemand was, und da hat ja auch keiner eine Ahnung vom Roboter. Wenn der Roboter kaputt ist, kommt der Elektriker […] Die erste Zeit habe ich mich schon ein bißchen darum gekümmert, aber da dürfen wir ja nicht ran. Früher habe ich den auch mal eingeschaltet, wenn er nicht mehr gelaufen ist. Aber das darf jetzt auch nur noch der Straßenführer. Der muß dann um die ganze Straße rumlaufen, obwohl ich das auch könnte. […] Ja, gewollt schon z. B. das Einschalten. Warum nicht? Aber da wird ja gesagt: Das ist nicht deine Aufgabe, laß die Finger davon.“185

Die Aussage belegt, dass die Arbeiter weniger Tätigkeiten übernehmen durften als zuvor. Demnach wurde der Handlungs- und Verantwortungsbereich vor allem der angelernten Arbeiter durch die Robotereinführung beschränkt und ihnen anhand des Abschließens der Käfige und des Tragens von Schlüsseln der Vorgesetzten 183 Vgl. eLabour-SOFI-IR01_004_010.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Rohbau, 38 Jahre am 21.10.1977, S. 6; „[…] wenn der Robbi stillsteht, dann brauchen sie nicht mit der Hand einzulegen, dann kommen hier die Experten, entweder kommt der Elektriker oder es kommt jemand vom Vorrichtungsbau, Werkzeugbau […].“ eLabour-SOFI-IR01_003_009.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Presswerk, 39 Jahre am 06.09.1977, S. 11. 184 eLabour-SOFI-IR01_003_014.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Untergruppenrohbau, 35 Jahre am 11.10.1977, S. 5. 185 eLabour-SOFI-IR01_004_006.pdf Gespräch mit Arbeiterin aus dem Rohbau, 40 Jahre am 10.10.1977, S. 5.

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vor Augen geführt. Dies lag zum einen an der stärkeren Formalisierung der Ausbildung und zum anderen am Einsatz neuer Produktionstechnologien, mit denen eine stärkere Hierarchisierung und damit eine stärkere Trennung der Tätigkeitsfelder in der Produktion einhergingen.186 VW setzte ab Mitte der 1970er Jahre verstärkt auf unternehmensinterne Ausbildungsprogramme, um den eigenen qualifizierten Nachwuchs zu sichern. So stiegen seit 1975 die Einstellungszahlen von Auszubildenden allein im Werk Wolfsburg um insgesamt 45,6 %. Zudem wurde das Ausbildungszentrum in Wolfsburg erweitert und in den Werken Hannover und Emden neu gebaut.187 Dies deutet auf eine angestrebte Formalisierung der Ausbildung hin. VW stellt hierbei allerdings keinen Einzelfall dar. Auch andere Großbetriebe, etwa Stahl- und Chemieunternehmen, setzten in den 1970er Jahren vermehrt auf die interne Ausbildung von Facharbeitern und investierten in Ausbildungszentren sowie die Weiterbildung ihrer Mitarbeiter.188 Der Prozess eigene Ausbildungsgänge zu etablieren, speiste sich einerseits aus der Minderung der Qualifikationsform des Anlernens, hervorgerufen etwa durch die Umstellung der Produktionsbedingungen und andererseits die notwendige Spezialisierung sowie durch höhere Qualifizierung der Arbeitskräfte in der Produktion aufgrund neuer Produktionstechnologien.189 Das Anlernen wurde immer teurer, da die neue Technologie durch kompliziertere Abläufe zeitintensiver beim Anlernen war und vermehrt Betreuung durch Vorgesetzte nötig machte.190 Die Verknappung des Arbeitskräfteangebots insbesondere an handwerklich vorqualifizierten Arbeitskräften und die besonderen Risiken des Berufsverlaufs von Angelernten, welche häufig von vorzeitigem Verschleiß ihrer Gesundheit und Einbußen ihrer Arbeitsfähigkeit betroffen waren, machten ein Umdenken bezüglich Qualifizierung innerhalb der Betriebe notwendig.191 Ebenso führten die sinkenden Produktionszahlen in den 1960er Jahren bei VW zu einer Überprüfung der Investitionspolitik. Durch die Krisen in den 1970er Jahren fanden ein starker Belegschaftsabbau sowie zeitgleich Bemühungen um eine effektivere Nutzung der Produktionstechnologien statt und damit einhergehend eine straffere Arbeitsorganisation.192 Allerdings 186 DREXEL, Ingrid/NUBER, Christoph: Qualifizierung für Industriearbeit im Umbruch. Die Ablösung von Anlernung durch Ausbildung in Großbetrieben von Stahl und Chemie (Forschungsberichte aus dem Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung e.V., ISF München), Frankfurt am Main u. a. 1979, S. 21f. 187 VWW: Bericht über das Geschäftsjahr 1978, S. 39 und VWW: Bericht über das Geschäftsjahr 1977, S. 38. 188 REUBER, Christian: Der lange Weg an die Spitze. Karrieren von Führungskräften deutscher Großunternehmen im 20. Jahrhundert (Geschichte 2012), Frankfurt am Main 2012, S. 299ff.; DREXEL, INGRID 1979, Qualifizierung für Industriearbeit im Umbruch, S. 20. 189 Ebd., S. 21f. 190 Ebd., S. 153. 191 DREXEL, Ingrid: Belegschaftsstrukturen zwischen Veränderungsdruck und Beharrung. Zur Durchsetzung neuer Ausbildungsberufe gegen bestehende Qualifikations- und Lohnstrukturen (Forschungsberichte aus dem Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung e.V., München), Frankfurt am Main 1982, S. 6f. 192 HENNINGES, Hasso von/TESSARING, Manfred: Entwicklungstendenzen des Facharbeitereinsatzes in der Bundesrepublik Deutschland (Materialien zur Bildungsplanung/Bundesminister

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setzte auch die Politik insbesondere die großen Betriebe mit der Verabschiedung des Berufsbildungsgesetzes 1969 und des Berufsausbildungsgesetzes 1971 unter Druck, ihr Ausbildungsniveau und ihre Lehrstellen massiv zu steigern.193 VW setzte daher zunächst auf die Weiterbildung älterer Mitarbeiter, um dann mit eigenen Ausbildungszentren und Ausbildungswegen Mitte der 1970er Jahre gezielt junge Arbeitskräfte anzuwerben und zu qualifizieren.194 Es war ein schleichender Prozess, der in den 1960er Jahren bundesweit begann. Bis in die 1950er Jahre reichte das Arbeitskräftepotenzial in der westdeutschen Produktion qualitativ und quantitativ aus und somit bedurfte das Bildungswesen keiner organisatorischen oder strukturellen Veränderung. Seit den 1960er Jahren jedoch mit der Verknappung der Arbeitskraftreserven unter anderem aufgrund des Mauerbaus in der DDR und den damit einhergehenden Stopp der Zuwanderung von (Fach-)Arbeitern, problematisierte auch die Politik die traditionellen Bildungswege und die zu geringe Zahl an Auszubildenden.195 Infolgedessen wurden bildungsökonomische Planungsansätze und Qualifikationsbedarfsplanungen vorgenommen und neue Bildungswege und -strukturen konzipiert, etwa bei der Ausbildung von Lehrlingen und mit dem Bau von Berufsschulen.196 Zeitgleich hielt das Konzept des „lebenslangen Lernens“ in der bundesdeutschen Politik und in den Betrieben Einzug.197 Dieses Konzept fungierte als ein mögliches Mittel zur Anpassung an die neuen Produktionsverhältnisse. Demnach sollten die Arbeitnehmer ihr gesamtes Arbeitsleben flexibel einsetzbar und in der Lage sein, unterschiedliche Tätigkeiten zu erlernen. Das Konzept wurde auch im politischen HdA-Programm aufgegriffen. So schreibt Matthöfer in seiner Monografie: „Der Appell an die Bereitschaft der Arbeitnehmer zum lebenslangen Lernen ist im Kern berechtigt, wenn er auf die Fähigkeiten der Menschen Rücksicht nimmt.“ 198

Daraus leitet sich ab, dass die Arbeiter in der Produktion nun ihr gesamtes Berufsleben lernen sollten und nicht nach der Ausbildung etwa „ausgelernt“ hatten.

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für Bildung und Wissenschaft 2), München 1977, S. 38f.; HAIPETER, THOMAS 2000, Mitbestimmung bei Volkswagen, S. 153 und S. 162f. GREINERT, Wolf-Dietrich: Erwerbsqualifizierung jenseits des Industrialismus. Zur Geschichte und Reform des deutschen Systems der Berufsbildung (Grundlagen der Berufs- und Erwachsenenbildung 81), Baltmannsweiler 32015, S. 81; FRIEDEBURG, Ludwig von: Bildungsreform in Deutschland. Geschichte und gesellschaftlicher Widerspruch, Frankfurt am Main 1989, S. 429ff. DREXEL, INGRID 1979, Qualifizierung für Industriearbeit im Umbruch, S. 20. BAETHGE, Martin: Produktion und Qualifikation. Eine Vorstudie zur Untersuchung von Planungsprozessen im System der beruflichen Bildung (Schriften zur Berufsbildungsforschung 14), Hannover 1974, S. 5; UHL, KARSTEN 2014, Humane Rationalisierung?, S. 358; KELLERSHOHN, Jan: Aporien der Anpassung. Zur Humanisierung durch Bildung im „Strukturwandel“ der Arbeit, in: „Humanisierung der Arbeit“. Aufbrüche und Konflikte in der rationalisierten Arbeitswelt des 20. Jahrhunderts, hrsg. v. Nina KLEINÖDER/Stefan MÜLLER/Karsten UHL, Bielefeld 2019, S. 151. BAETHGE, MARTIN 1974, Produktion und Qualifikation, S. 6. Ebd., S. 6. Matthöfer, Hans, Humanisierung, S. 64.

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Hierdurch wurde jedoch die Abwertung von ungelernten Tätigkeiten angelernter Arbeiter insgesamt sowie gegenüber Facharbeitern vorangetrieben und in den folgenden Jahrzehnten verfestigt.199 Da infolge dieser Formalisierung und der Anforderungen der neuen Produktionstechnologien der Handlungsrahmen der angelernten Werker beschnitten wurde, hatten sie lange Wartezeiten hinzunehmen, bis der Roboter vom Fachpersonal repariert wurde.200 Nicht alle Störungen konnten die Fachleute allerdings am selben Tag beheben. Die Werker mussten entweder warten, wieder manuell produzieren oder sie wurden an andere Arbeitsplätze umgesetzt. „In der ersten Zeit ist der Arm wohl viel gebrochen. Da war er wohl noch zu schwach. Außerdem wußten die Elektriker manchmal nicht weiter. Da mußten wir wieder mit der Hand fahren. Da waren wir im Endeffekt die Dummen.“201

Somit mussten die Arbeiter während der Einführung der neuen Technologien und bei Funktionsstörungen wieder in die Bresche springen, um die Produktion am Laufen zu halten. Dieser Umstand war ihnen bewusst und obwohl sie sich als die „Dummen“ der Situation empfanden, hatten sie darauf keinen Einfluss. Sie konnten ebenso nicht mitbestimmen, wohin man sie versetzte und wurden daher „hin und hergejagt“202 oder sie trauten sich nicht, ihren Wunsch nach einem anderen Arbeitsplatz gegenüber Vorgesetzten zu äußern: „Nein. Der Vorarbeiter hat mich eingesetzt. Ja, ich hätte mir schon gewünscht, daß ich mir einen Arbeitsplatz aussuchen kann. Ich wäre lieber wieder zum Rundtisch gegangen. Diesen Wunsch habe ich aber nicht geäußert, weil – ich rede nicht darüber. Ich nehme das, was kommt.“203

Außerdem weisen einige Interviewaussagen der Arbeiter auf ein schwieriges Verhältnis zwischen Facharbeitern und Werkern hin. Es herrschte eine Distanz zwischen den beiden Gruppen, die zwischen Akzeptanz und Ablehnung variierte. Daher bestünde kein näherer Kontakt zwischen den Elektrikern und den Arbeitern.204 Außerdem grenzten sich die Facharbeiter durch unterschiedliche Arbeits199 ANDRESEN, Knud: Strukturbruch in der Berufsausbildung? Wandlungen des Berufseinstiegs von Jugendlichen zwischen den 1960er- und den 1980er Jahren, in: „Nach dem Strukturbruch“? Kontinuität und Wandel von Arbeitsbeziehungen und Arbeitswelt(en) seit den 1970er-Jahren, hrsg. v. Knud ANDRESEN/Ursula BITZEGEIO/Jürgen MITTAG, Bonn 2011, S. 160f. und S. 174ff. 200 „Er macht aber auch etwas weniger Teile, weil er nicht so läuft. Aber da muß doch ein Spezialist sein, ein Elektriker, der ihn überwacht. Man steht sich da die Beine im Bauch.“ eLabourSOFI-IR01_004_017.pdf Gespräch mit Punktschweißer aus dem Rohbau, o. A. am 04.10.1977, S. 4. 201 eLabour-SOFI-IR01_003_023.pdf Gespräch mit Arbeiter aus Halle 18, 25 Jahre am 19.09.1977, S. 5. 202 eLabour-SOFI-IR01_003_010.pdf Gespräch mit Einleger aus dem Presswerk, 50 Jahre am 26.09.1977, S. 8. 203 eLabour-SOFI-IR01_003_020.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Untergruppenrohbau, 36 Jahre o. D., S. 7. 204 eLabour-SOFI-IR01_004_022.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Rohbau, 28 Jahre am 12.10.1977, S. 4f.

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kleidung von den normalen Arbeitern ab. Folglich trugen jene „weiße oder graue Kittel.“205 Die offensichtliche Trennung der beiden Sphären von Arbeitern und höheren Angestellten schlug sich also sowohl in der Kleidung als auch in ihrem Habitus nieder. Diese Distanz führte dazu, dass die Ratschläge der Arbeiter entweder vom Fachpersonal nicht akzeptiert oder überhaupt nicht nachgefragt wurden.206 Offenkundig herrschte eine gewisse Enttäuschung darüber, dass die Arbeiter nichts zur Lösung der technischen Probleme beitragen konnten und bei deren Behebung nicht mitwirken durften. Sie wurden oft vom Fachpersonal nicht anerkannt oder einbezogen. Dies bildet ebenso die Aussage eines Mitarbeiters der Elektrobetriebe ab, der konstatierte, dass die Kommunikation der Techniker bei Störungen mit den Werkern deutlich abnahm: „Früher mußten sie sich ja noch mit den Produktionsleuten auseinandersetzen, die auch noch ihre Eigenwilligkeiten hatten, das ist ja unheimlich schwer.“207

Während sich die Techniker vor der Einführung der Roboter noch mit den Arbeitern über die Störungen und Probleme austauschen mussten, entfiel diese soziale Interaktion nun aufgrund der automatischen Fehleranzeige der Maschinen. Zudem gerieten die Werker nun zwischen die Fronten der verschiedenen Facharbeiter, welche die Störung beheben mussten: „Mechaniker und Elektriker haben sich miteinander gestritten. Die Elektriker haben gesagt, Welle und Kugelkopf sind nicht in Ordnung. Der Schlosser hat gesagt, Schaltung und Steuerung sind nicht in Ordnung ... auf uns lag ja ein besonderer Druck.“208

Die Situationsbeschreibung macht deutlich, dass die Arbeiter nicht an der Lösung des Problems beteiligt und darüber hinaus in Streitigkeiten zwischen den verschiedenen Facharbeitern verwickelt wurden, welche die gleiche Störung mit unterschiedlichen Ansätzen beheben wollten. Das und die Tatsache, dass sie in dieser Zeit, während die Maschine stillstand, nicht produzieren konnten und sich diese durch den Konflikt über Zuständigkeiten noch verlängerte, führten zu großem Stress für die Arbeiter, da sie ihre Stückzahlen erreichen mussten. Jedoch berichtete ein Werker auch von einem Positiverlebnis. Er habe nach einem Ein- und Ausschalter für die Maschine gefragt und dieser Bitte kam der Facharbeiter nach,

205 eLabour-SOFI-IR01_005_032.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Rohbau, 39 Jahre am 13.10.1977, S. 8. 206 „Gewollt ja. Ratschläge geben kann ich schon, aber die werden nicht so akzeptiert. Die müßten öfter kommen und mal fragen. Aber das machen die ja nicht. Das ist es ja, daß man nie irgendwo einbezogen wird.“ eLabour-SOFI-IR01_004_020.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Untergruppenrohbau, 50 Jahre am 22.09.1977, S. 4. 207 IfS Frankfurt A 117 Ordner 7 Gespräch mit Leiter der Instandhaltung Elektrobetriebe Teil II o. D., S. 15. 208 eLabour-SOFI-IR01_004_008.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Rohbau, 52 Jahre am 04.10.1977, S. 6f.

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da der Arbeiter ihm nicht „dazwischen rede[te].“ 209 Wenn also ein bestimmter Verhaltenskodex seitens der Arbeiter eingehalten wurde und sich der Vorgesetzte offen zeigte für deren Anmerkungen, konnte eine produktive Zusammenarbeit gelingen. Allen Restriktionen und begrenzten Handlungsrahmen zum Trotz entwickelten die Werker Strategien, um mit den Beschränkungen ihres Handelns umzugehen. Demgemäß machten sie sich etwa über die Roboter lustig: „Der war ja mehr kaputt als dass er ging.“210 Aus ihren Äußerungen geht ebenso hervor, dass sich die Werker mit den neuen Technologien maßen und sich für leistungsfähiger als den Roboter hielten. Außerdem zogen sie die Stromstecker der Roboter aus den Steckdosen, damit die Maschinen stillstanden. „Die Kollegen haben aus Schabernack ab und zu mal einen Stecker rausgezogen, damit der Industrie-Roboter stehen soll. Dann hat er nicht mehr genau gepunktet.“ 211

Dies weckt Erinnerungen an die sogenannten „plug-plot-riots“ 1842 in der Phase der Industrialisierung, bei denen britische Arbeiter als Widerstand und Streikform die Stöpsel aus den Dampfkesseln zogen, um die Maschinen zum Stillstand zu bringen.212 Das Sabotieren von Produktionsmaschinen war seit der Industrialisierung ein beliebtes Mittel der Arbeiter, um sich kleinere Pausen zu verschaffen oder ihren Unmut über die Produktionsbedingungen zum Ausdruck zu bringen. Ebenso gab es Befürworter des sogenannten Maschinensturms213: „Ich habe beim ersten, den sie hier aufgestellt haben, gleich gesagt, den muß man mit dem Vorschlaghammer kaputt schlagen. Daß uns die die Arbeitsplätze klauen […].“214

Auch der „Maschinensturm“ stammt aus den Zeiten der Industrialisierung. Ursprünglich im Mutterland der Industrialisierung in Großbritannien entstanden, verkörperte der Maschinensturm, also die Zerstörung von Produktionsmaschinen durch Arbeiter, einen weitverbreiteten Ausdruck von Protest gegen schlechte Produktionsbedingungen, wie geringe Löhne, die Ersetzung des Menschen durch Ma-

209 „Man redet nicht dazwischen. Wir haben einen Ein- und Ausschalter mal verlangt. Die Vorschläge werden berücksichtigt. Die Leute nehmen es an.“ eLabour-SOFI-IR01_003_019.pdf Gespräch mit Abstapler aus Halle 18, o. A. am 12.09.1977, S. 5. 210 eLabour-SOFI-IR01_005_008.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Presswerk, 41 Jahre am 02.09.1977, S. 4; „Na ja, da wird rumgefrozzelt: Der einarmige Bandit, der streikt mal wieder.“ eLabour-SOFI-IR01_004_029.pdf Gespräch mit Arbeiter aus der Gießerei, 43 Jahre am 14.10.1977, S. 5. 211 eLabour-SOFI-IR01_004_010.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Rohbau, 38 Jahre am 21.10.1977, S. 6. 212 ASHTON, Owen/FYSON, Robert/ROBERTS, Stephen: The Chartist legacy, Woodbridge Suffolk 1999, S. 66f. 213 „Dann ist [der Roboter] gefährlich. Ich meine, die Dampfmaschine, als sie damals erfunden wurde, die haben sie auch zerschlagen mit dem Hammer.“ eLabour-SOFI-IR01_003_017.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Untergruppenrohbau, 47 Jahre am 12.09.1977, S. 6. 214 eLabour-SOFI-IR01_003_025.pdf Gespräch mit Springer aus Halle 18, 50 Jahre am 12.09.1977, S. 10.

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schinen oder die Veränderungen der industriellen Arbeitsbeziehungen an sich.215 Diese Wut über das Ersetzen des Arbeiters durch neue Maschinen, die mit einem Hammer zerstört werden sollen, spiegelt das obige Zitat eindrücklich wider. Ein abgemildertes, aber dennoch wirkmächtiges Protestmittel stellte das bewusste Verursachen von Schäden oder markanten Detailfehlern am hergestellten Produkt dar: Stellvertreter des Rohbaus: „Oder man baut was Falsches ein, ganz wissentlich, nämlich aus der Situation der Betriebsstörung heraus, daß die Förderkette steht […] und jetzt baut man eine falsche [Halterung] ein, die hat nun keine Vorderlöcher für das VW-Zeichen. Sowas passiert alles. Das ist alles betriebliche Praxis.“216

Dieser bewusste Fehler, das Firmenemblem falsch zu montieren, war symbolträchtig, fiel jedem Betrachter sofort ins Auge und wurde von den Vorgesetzten registriert. Oder aber die Arbeiter verursachten Störungen, um sich Pausen zu ermöglichen, insbesondere an körperlich fordernden Arbeitsplätzen.217 Als etwas weniger drastische Maßnahmen waren wohl die Witze der Arbeiter auf Kosten der Fachleute zu werten, die es nicht schafften, den Roboter zum Laufen zu bringen: „[…] höchstens über die sogenannten Fachmänner, die das Ding nicht hinkriegen. ‚Guck dir die Heinis an, die werden und werden nicht fertig‘.“218

Der Industriesoziologe Stéphane Beaud sieht jenes Verhalten der Arbeiter in seiner Monografie als Möglichkeit, die eigene Würde zu verteidigen. So konnten sich die Arbeiter durch die derben Scherze untereinander Respekt verschaffen und ihre Position stärken, indem sie ihre Vorgesetzten oder höhere Angestellte lächerlich machten.219 Letztlich repräsentieren das Scherzen und Ausstecken der Maschinen Formen der Ablehnung oder der Verweigerung aufgrund der von den Vorgesetzten verwehrten Gestaltungsfreiheit, welche sich erwiesenermaßen nachteilig auf die Einführung von Innovationen im Betrieb auswirkten. Aber es gibt auch Beispiele, in denen Arbeiter versuchten, ihre schwierige Situation bei der Einführung neuer Technologien zu ihrem Vorteil in Kooperation mit den Vorgesetzten zu verbessern. So bemühte sich eine Werkerin, zumindest die Wartezeiten für die Arbeiter erträglicher zu gestalten, indem sie sich bei Vorgesetzten für Stühle und Bänke in der Nähe der Roboterproduktion aussprach. Folglich konnten sich die Arbeiter bei stundenlangen Ausfällen wenigstens hinsetzen.220 215 THOMIS, Malcolm: The Luddites. Machine-breaking in regency England (Library of textile history), Newton Abbot 1970, S. 12f.; SPEHR, Michael: Maschinensturm. Protest und Widerstand gegen technische Neuerungen am Anfang der Industrialisierung (Theorie und Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft 18), Münster 2000, S. 13f. 216 IfS Frankfurt A 117 Ordner 7 Gespräch mit Stellvertreter der Rohbauleitung am 29.11.1978, S. 47. 217 IfS Frankfurt A 117 Ordner 7 Gespräch mit Leiter der Instandhaltung Elektrobetriebe Teil II o. D., S. 15. 218 eLabour-SOFI-IR01_005_024.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Karosserierohbau, 29 Jahre am 05.10.1977, S. 6. 219 BEAUD, STÉPHANE; PIALOUX, MICHEL 2004, Die verlorene Zukunft der Arbeiter, S. 44. 220 eLabour-SOFI-IR01_004_023.pdf Gespräch mit Einlegerin, 42 Jahre am 10.10.1977, S. 5.

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Manche Werker hingegen handelten aufgrund ihrer Ausbildung den Verboten der Betriebsleitung zuwider und reparierten kleinere Störungen am Roboter selbstständig221: „Der Befragte sagt, daß er selbst durch seine Ausbildung als Elektriker in der Lage war, die Achsen zu schalten und manchmal die Geräte zum Laufen gebracht hat.“222

Diese Arbeiter beschäftigten sich mit der neuen Technologie und versuchten Kenntnisse über ihre Funktionsweise zu erwerben, um nicht „wegen jeder Kleinigkeit von Pontius zu Pilatus zu laufen.“223 Sie wollten nicht immer auf Facharbeiter oder Vorgesetzte angewiesen sein oder lange Wartezeiten für kleinere Reparaturen in Kauf nehmen. Daher handelten sie eigenständig und versuchten, die Störung zu beheben. Der Logik des akteurszentrierten Institutionalismus folgend setzten sie sich bewusst über die Regelvorgaben ihrer Umwelt hinweg, um aufgrund von eigenen Handlungsmotivationen ihre Ziele zu erreichen. Demzufolge nahmen die Arbeiter eine Selbstermächtigung vor, die ihnen die Vorgesetzten nicht zubilligten. Ein weiterer wichtiger Grund für die Ablehnung neuer Produktionstechnologien durch die Werker war das Ausbleiben anspruchsvollerer Tätigkeiten. Sei es, wie schon oben angedeutet, wegen der Beschränkung von Tätigkeiten und Handlungsrahmen oder aufgrund des Verlusts von Aufstiegsmöglichkeiten. Die Mehrheit der Arbeiter ging nicht davon aus, vom Robotereinsatz hinsichtlich ihrer Qualifikation oder einer höheren Tätigkeit zu profitieren, da sie ihre Ausbildung für nicht ausreichend hielten und nicht annahmen, der Betrieb wolle sie weiter fördern. Dies offenbarte sich an der Reaktion auf die von den Wissenschaftlern mitgebrachte Werbebroschüre von VW, die sie den Werkern bei den Interviews aushändigten. In der Broschüre „Arbeiten bei VW“ wurde behauptet, dass die Roboter Arbeitsplätze ersetzten, die unzumutbar waren und dass die freiwerdenden Arbeitskräfte anspruchsvollere Arbeit an anderen Stellen übernähmen.224 Die Arbeiter hielten das für eine Illusion: „Das ist wohl ein Reklameheft und da wird das alles in rosigen Farben geschildert. Man sagt, daß schwere Arbeit abgenommen wird. Man schreibt aber nicht dabei, was das Werk dran verdient. Ich glaube auch nicht, daß die Arbeiter dadurch auch anspruchsvollere Arbeiten kriegen. Das betrifft doch hier vor allem Ungelernte“225

221 „Wenn er mal aufsetzt, daß sie da die Kiste wegziehen, das machen wir selber. Wenn mal eine Kurbelwelle schief liegt, schief reingeht, dann stell ich das Ding ab und lege die richtig hin.“ eLabour-SOFI-IR01_004_031.pdf Gespräch mit Arbeiter aus der Gießerei, 40 Jahre am 14.10.1977, S. 6. 222 eLabour-SOFI-IR01_004_004.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Presswerk, o. A. am 12.09.1977, S. 6. 223 eLabour-SOFI-IR01_006_010.pdf Gespräch mit Arbeiter aus der Kunststoffteilefertigung, 50 Jahre am 27.10.1977, S. 6. 224 SOFI Göttingen IR-Projekt Ordner 26 VW-Broschüre „Arbeiten bei VW“ 1975, S. 25. 225 eLabour-SOFI-IR01_007_026.pdf Gespräch mit Lackspritzer aus Halle 9, 42 Jahre o. D., S. 8.

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Es wird offenkundig, dass sie kein Vertrauen der Vorgesetzten in ihre Fähigkeiten erwarteten, da diese sie ihrer Meinung nach nicht weiter fördern wollten. Der Verlust von Verantwortung durch die neuen Maschinen war ihnen schmerzlich bewusst.226 Auch dadurch wurden ihnen die Betriebshierarchie und ihre Stellung darin noch einmal vor Augen geführt. Sie wussten, dass sie als angelernte Arbeiter keine höherwertigen Tätigkeiten zugewiesen bekamen – ganz im Gegensatz zu den Elektrikern oder Technikern mit entsprechender Ausbildung. „Da sind irgendwie Denkfehler drin […] Die Leute die frei werden, das sind keine hochqualifizierten Kräfte, wo bleiben die, also da ist ein falscher Schluß gezogen. […] Anspruchsvoller das setzt qualifizierte Arbeiter voraus, qualifiziertere als die, die durch den Einsatz von Robotern in der Produktion freiwerden. Daß das so beschrieben wird in der Hoffnung, daß das keiner merkt, das wundert mich.“227

Eher müssten sie die gleiche oder schlechtere Arbeit ausführen.228 Daher äußerten einige von ihnen die Angst, dass sie nach der Einführung der Roboter viele erworbene Qualifikationen nicht mehr gebrauchen oder anwenden könnten.229 Sie bemerkten eher eine Dequalifizierung an ihren Arbeitsplätzen. Der Erwerb zusätzlicher Qualifikation für die Zusammenarbeit mit dem Roboter war für die ungelernten Werker tatsächlich kaum nötig. Allerdings mussten sie alle auf ihren neuen Arbeitsplätzen und an den Anlagen angelernt werden.230 Einige monotone Arbeiten übernahmen die Roboter, aber längst nicht alle. Als Folge entstanden sogenannte „Restarbeitsplätze“. Diese Arbeitsplätze beinhalteten ausschließlich Hilfstätigkeiten und stellten geringere Qualifikationsanforderungen als bisher an die ungelernten Arbeiter, was diesen bewusst war: „Insgesamt ist es schlechter geworden. Denn die wenigen Arbeitsplätze, die vielleicht körperlich sehr schwer waren, gibt es jetzt auch vergleichbare Arbeitsplätze, wie das Reinlegen. Also besser geworden ist es nicht.“231

Dadurch konnten sich zahlreiche Arbeiter nicht mit ihren Tätigkeiten identifizieren.232 Sie wussten um die Vereinfachung der Arbeitsschritte und die geringe geis226 „Vor allen Dingen ist es auch stupide Arbeit, untergeordnete Arbeit, man fühlt sich abgewertet. Man sagt sich ja schon, du bist ja nur noch ein Transportarbeiter. Gerade wenn man 22 Jahre lang noch ein bißchen Verantwortung gehabt hat, dann ist es schon schlimm, wenn das auf einmal alles flach fällt.“ eLabour-SOFI-IR01_003_010.pdf Gespräch mit Einleger aus dem Presswerk, 50 Jahre am 26.09.1977, S. 12f. 227 eLabour-SOFI-IR01_004_008.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Rohbau, 52 Jahre am 04.10.1977, S. 10. 228 eLabour-SOFI-IR01_007_015.pdf Gespräch mit Kettenanhänger aus dem Rohbau, 29 Jahre o. D., S. 9. 229 IfS Frankfurt A 117 Ordner 6 Gruppengespräch am 05.12.1978, S. 15. 230 IfS Frankfurt A 117 Ordner 8 Gespräch mit Leitung des Sozial- und Personalwesens am 21.04.1980, S. 1. 231 IfS Frankfurt A 117 Ordner 6 Gruppengespräch am 21.05.1980, S. 39 oder MICKLER, OTFRIED 1981, Industrieroboter, S. 269. 232 Vgl. „Zu lernen braucht man da nichts. In meinen Augen ist das eine Arbeit für Doofe.“ eLabour-SOFI-IR01_007_015.pdf Gespräch mit Kettenanhänger aus dem Rohbau, 29 Jahre o. D., S. 6; eLabour-SOFI-IR01_006_021.pdf Gespräch mit Himmeleinzieher aus der End-

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tige Anstrengung ihrer Arbeit.233 Zahlreiche haderten damit, blieben aber aufgrund des hohen Lohnes an ihren Arbeitsplätzen: „Die Arbeit wird so vereinfacht, daß man jeden Dummen, auf deutsch gesagt, daran stellen kann. Und das wollen die ja auch, denn wenn z. B. einer ausfällt, muß man den ja schnell ersetzen können. Da kann man den nicht erst groß anlernen. Deshalb diese ganz einfachen Handgriffe […] Am Anfang macht einem das auch nicht so viel aus und mit der Zeit verblödet man sozusagen und das Verlockende ist ja das viele Geld. […] Ich sage mir manchmal: Man sollte nicht soviel dem Geld hinterher jagen.“234

Die negativen Äußerungen über die monotonen Arbeiten und die Resignation über die angenommene geringe Förderung durch die Vorgesetzten lassen vermuten, dass die Werker einen Wechsel von Tätigkeiten begrüßt hätten. Doch das war nicht zwangsläufig so. Im bundesweiten HdA-Programm wurden insbesondere job rotation (Arbeitswechsel), job enlargement (Aufgabenerweiterung durch den Erwerb neuer Qualifikationen in der Produktion) und job enrichment (Aufgabenbereicherung durch Ausführung von Aufgaben, die bisher in der Arbeitshierarchie höher angesiedelt waren) als Mittel für eine höhere Qualifizierung und gegen die Arbeitsmonotonie der Werker in der Produktion angesehen.235 Dass die Umsetzung solcher Konzepte in der Praxis auch auf Ablehnung bei den Werkern stoßen konnte, zeigt dieses Beispiel: „Manche sind nicht bereit, irgendetwas Neues anzunehmen, sich umzustellen. […] Wenn da einer 8 Stunden knüppelt und meinetwegen hat er jetzt da so […] 3–4 Stunden jetzt schon seine Tour runtergerissen, und der Vorarbeiter kommt und sagt: Hier mein lieber Heinrich, jetzt kommst du mit, jetzt mußt du schweißen lernen. Dann sagt der: Du kannst mich mal. Ich habe hier meine Arbeit, ich mache hier meine Arbeit.“236

Ebenso nahm die Mehrheit der Arbeiter Qualifizierungsangebote des Betriebes trotz ihrer negativen Äußerungen über ihre Tätigkeiten nicht wahr. Nur wenige der befragten 133 Werker waren bereit, eine Weiterbildung zu machen. Demnach strebten 84 Werker keine weitere Qualifizierung oder höherwertige Tätigkeit an. Diese Tatsache war unter den Arbeitern bekannt:

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montage, o. A. am 15.12.1977, S. 9; eLabour-SOFI-IR01_006_017.pdf Gespräch mit Arbeiter aus der Endmontage, 20 Jahre am 16.02.1978, S. 6. „Ich habe schon den Spruch gehört, ich gehe sowieso kaputt. Bei Kollegen setzt sich die Monotonie im Gehirn fest. Der Facharbeiter arbeitet, weil es Spaß macht. Die eigene Handschrift bei der Arbeit zu spüren. Das geht hier nicht.“ eLabour-SOFI-IR01_004_004.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Presswerk, o. A. am 12.09.1977, S. 9f. eLabour-SOFI-IR01_007_007.pdf Gespräch mit Arbeiterin aus der Endmontage, 26 Jahre o. D., S. 6f. Vgl. Matthöfer, Hans, Humanisierung, S. 133f. oder KOLB, Meinulf: Gestaltung von Arbeitsstrukturen. Elemente eines Instrumentariums zur Veränderung von Arbeitsinhalten, Ludwigshafen 1980, S. 129f. IfS Frankfurt A 117 Ordner 6 Gruppengespräch am 05.12.1978, S. 29.

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„Das Gros der Leute, die wollen sich nicht weiterbilden. Das ist ganz minimal. Jedem Arbeiter seinem Doktor, die Parole, mit der die SPD damals hausiert hat, das ist sowieso ein Schuß nach hinten gewesen.“237

Jene Aussage zeigt, dass die politischen Überlegungen zu Höherqualifizierung des Arbeiters in der Produktion bei VW angekommen waren, dass sie aber nicht der Realität entsprachen. Nun stellt sich die Frage, weshalb sich so wenige Arbeiter um eine Weiterbildung bemühten oder diese, wenn sich die Möglichkeit bot, nicht in Anspruch nahmen, obwohl das für sie andauernde monotone oder stupide Arbeit bedeutete. Die Gründe waren durchaus vielschichtig und erstaunlich. So zeigten sich ganze 29 Werker mit ihrer Stelle zufrieden.238 Allerdings erklärt sich diese Tatsache bei genauerem Hinsehen aus der Motivationslage und der Biografie der einzelnen Arbeiter. Von den 29 Zufriedenen waren 20 wegen des hohen Lohns zu VW gekommen und 7 zuvor arbeitslos. Von den 20 Werkern, die infolge des hohen Lohns zu VW kamen, hatten 10 keine Ausbildung und die anderen berufsfremde Ausbildungen, in denen sie wesentlich weniger verdienten. Andere wollten sich trotz mehrmaliger Anfrage der Vorgesetzten wiederum aufgrund des guten Arbeitsklimas und der netten Kollegen nicht versetzen lassen: „Ich kenne Kollegen, die sollten alle höherwertige Tätigkeiten bekommen, alles. Zehn Jahre, fünfzehn Jahre hier. Obwohl sie jetzt an dem Arbeitsplatz wo sie sind, wenig Geld verdienen, die gehen nicht, die wollen nicht. Die fürchten sich vor der neuen Umgebung, wenn sie irgendwo neu eingesetzt werden sollen und die alte Kollegen sind weg […].“239

Die zweithäufigste Antwort auf die Frage, wieso die Arbeiter eine höhere Qualifizierung ablehnten, bildete mit 19 Werkern die eigene zu geringe Schulbildung. 14 von den Werkern empfanden sich überdies als zu alt dafür. Es war also ein Zusammenspiel aus ökonomischen und sozialen Gründen, welche die Werker von einer weiteren Qualifizierung abhielt. Folglich mussten die Werker bei einer Weiterbildung manchmal Lohnkürzungen hinnehmen oder sie erhielten nicht die familiäre oder private soziale Unterstützung, um diesen Schritt zu gehen: „Man hat mich öfter mal darauf angesprochen, ob ich nicht noch was lernen will, Elektriker oder Werkzeugmacher. Der Meister hat mir damals gesagt, er würde es auf jeden Fall tun, aber von den Eltern hat niemand dahinter gestanden, und dann hatten wir ja schon etwas Geld in der Tasche, und das wäre dann ja wieder alles flach gefallen. ... Später ist dann niemand mehr an mich herangetreten.“240

237 eLabour-SOFI-IR01_004_007.pdf Gespräch mit Arbeiter aus Halle 18, o. A. am 15.09.1977, S. 12. 238 Vgl. „Chancen sehe ich schon, aber ich möchte eben nicht wechseln.“ eLabour-SOFIIR01_004_029.pdf Gespräch mit Arbeiter, 43 Jahre aus der Gießerei am 14.10.1977, S. 7; „Wenn ich mich bemühen würde, etwas Besseres zu machen, hätte ich schon die Chance. Aber hier in der Gießerei gefällt es mir zur Zeit ganz gut.“ eLabour-SOFI-IR01_006_006.pdf Gespräch mit Arbeiter, 41 Jahre aus der Gießerei am 25.10.1977, S. 8. 239 IfS Frankfurt A 117 Ordner 6 Gruppengespräch am 20.05.1980, S. 17. 240 eLabour-SOFI-IR01_005_031.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Rohbau, 34 Jahre am 21.10.1977, S. 1.

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Ebenso stellte die eigene geringe Schulausbildung für die meisten Werker eine große Hürde dar. Sie trauten sich nicht zu, lernen zu können und daher war die Motivation eine Weiterbildung zu absolvieren eher gering.241 Beim Einstieg ins Unternehmen war die Vorstellung eines „Hocharbeitens“ bei den Arbeitern noch präsent, wurde aber aufgrund des betrieblich geforderten schulischen Nachholbedarfs meist aufgegeben: „Wie ich angefangen habe, ja. Daß man sich hocharbeiten kann, habe ich gedacht. Liegt jetzt nicht mehr drin. Man muß technisch gebildeter sein, Nachhilfeunterricht, Abendschule usw.“242

Nahm der Werker bei seinem Einstieg an, wie in den Jahrzehnten zuvor durch die Spezialisierung und Professionalisierung seiner handwerklichen Fähigkeiten einen Karriereaufstieg zu erlangen, stellte er nach seiner Einstellung fest, dass dies nicht ohne technische Weiterbildung im Sinne einer Schul- oder Technikausbildung möglich war. Hieran verdeutlicht sich der zunehmende Bedeutungsgewinn von Kopfarbeit gegenüber der Handarbeit in den 1970er Jahren, der in Verbindung mit der zuvor angesprochenen Formalisierung der Qualifikation steht.243 Erstaunlich ist, dass nicht nur ältere Werker eine Weiterbildung in ihrem Stadium zwecklos fanden, sondern auch jüngere Werker keinen Sinn in einer höheren Qualifizierung sahen, solange der Lohn stimmte. Das bestätigt unter anderem ein fünfunddreißigjähriger angelernter Arbeiter aus dem Untergruppen-Rohbau: „Was besseres ist hier nicht drin. Um weiterzukommen, da braucht man hier schon was, ob es höhere Schulbildung ist oder sowas. Sicher, man kann sich weiterbilden […], aber da müßte man auch schon die Lust haben. Man sagt sich ja, man hat sein Geld, hat sein Auskommen.“244

Gleichermaßen ließen andere Interviewantworten anklingen, dass es einigen Werkern nicht unbedingt um Arbeitszufriedenheit und fordernde Tätigkeiten ging. Bei einigen von ihnen lagen die Prioritäten auf dem Verdienst, auf ausreichend Urlaubstagen oder auf den Gestaltungsmöglichkeiten in der Freizeit.245 „Chancen schon. Aber ich habe mir nicht die Mühe gemacht. Ich will eigentlich auch nicht mehr wechseln. […] meine wirklichen Interessen liegen ja auf einem ganz anderen Gebiet.

241 „Weiterbildung? Na ja, da fehlt es bei uns vielleicht an den Voraussetzungen, sozusagen die Grundausbildung. Wenn ich mich heute auf die Schulbank setzen sollte und sollte da Mathematik machen oder was schreiben, da käme ich, wohl glaube ich, nicht mehr mit geistig […].“ eLabour-SOFI-IR01_003_010.pdf Gespräch mit Einleger, 50 Jahre am 26.09.1977, S. 17. 242 eLabour-SOFI-IR01_003_022.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Untergruppenrohbau, o. A. am 15.09.1977, S. 9. 243 ANDRESEN, KNUD 2011, Strukturbruch in der Berufsausbildung?, S. 160f. 244 eLabour-SOFI-IR01_003_014.pdf mit Arbeiter aus dem Untergruppenrohbau, 35 Jahre am 11.10.1977, S. 9. 245 Vgl. „Spaß macht die Arbeit sowieso nicht, das gibt’s nicht. Das ist nun mal der Werdegang, daß man arbeitet. Wenn ich draußen meinem Hobby nachgehe, im Garten bin usw., das macht Spaß.“ eLabour-SOFI-IR01_005_032.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Rohbau, 39 Jahre am 13.10.1977, S. 11.

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[…] Ja, ach Gott, sicher ideal ist es zwar nicht, aber doch, es ist schon in Ordnung. Wir haben unser Geld, unseren Urlaub. Das ist soweit schon in Ordnung.“ 246

Diese Aussagen stellen einen Widerspruch gegenüber den Äußerungen zu den schlechten Arbeitsbedingungen und der monotonen Belastung der Arbeiter dar. Diese Ambivalenzen können mit der Theorie des Eigen-Sinns erklärt werden, welcher die Überlappung von Rationalitäten erfasst. Die Arbeiter waren in ihren Aussagen widersprüchlich und es hing von ihrer persönlichen Präferenz ab, ob sie nun den Gesundheitsschutz, die höhere Bezahlung oder eine anspruchsvollere Tätigkeit an erste Stelle setzten. Somit lässt sich auch erklären, wieso es keine einheitliche Meinung unter den Arbeitern zu den jeweiligen Themenbereichen gab und eine unterschiedliche Gewichtung dieser Faktoren bei ihnen bestand. Die Scheu oder Unlust der angelernten oder fachfremden Arbeiter vor dem Lernen führte letztlich zu einer Schichtung innerhalb der Arbeitergruppe insofern, dass einige Arbeiter durch Weiterbildung höhere Tätigkeiten oder mehrere Arbeitsschritte ausüben konnten im Gegensatz zu den Angelernten ohne Weiterbildung, die nur wenige Handgriffe ausführten. Die geringe Lernmotivation und die Angst vor dem eigenen Versagen der Werker waren auch den Vorgesetzten bewusst. Deswegen gestaltete es sich teilweise schwierig, den Nachwuchs für Vorarbeiter- und Einrichterstellen zu rekrutieren. Ein Meister aus der Blechschneiderei fasste das Problem folgendermaßen zusammen: „Personelle Engpässe gibt es vor allem hinsichtlich des Nachwuchses für Vorarbeiter- und Einrichterposten. Gerade in den mittleren Jahrgängen sperren sich Werker gegen Schulungen und Lehrgänge, die nötig wären, um in der betrieblichen Hierarchie nach oben zu kommen. Diesbezüglich wird ein besonderes Augenmerk auf die jüngeren Neueinstellungen gelegt.“247

Die Werksleitung musste neue junge Arbeiter rekrutieren, um den Nachwuchs von Vorarbeitern und Meistern zu sichern. Ein Vorarbeiter aus dem Presswerk benannte einen möglichen Grund für die Qualifikationsverweigerung, nämlich die Angst der berufsfremden Arbeiter vor dem Scheitern.248 Der Abteilungsleiter im Untergruppenrohbau sah zudem noch die „Scheu vor der Übernahme von Verantwortung“ als auschlaggebenden Grund an, weshalb sich bestenfalls noch Leute für den Vorarbeiterplatz finden ließen, da sie noch einen Meister über sich hätten.249 Diese Annahme bestätigte ein 25-jähriger Werker aus dem Rohbau, denn obwohl ihm noch Jahrzehnte des Arbeitslebens bevorstanden, lehnte er eine Weiterbildung ab:

246 eLabour-SOFI-IR01_003_018.pdf Gespräch mit Arbeiter aus der Hinterachsenfertigung, 44 Jahre am 16.09.1977, S. 9. 247 eLabour-SOFI-IR01_001_006.pdf Gespräch mit Meister aus der Blechzuschneiderei am 12.09.1977, S. 3. 248 „Die Angst, daß man scheitert vor den Kollegen besteht. Die meisten bei uns sind ja berufsfremd.“ eLabour-SOFI-IR01_001_002.pdf Gespräch mit Vorarbeiter aus dem Presswerk am 13.09.1977, S. 3. 249 eLabour-SOFI-IR01_001_024.pdf Gespräch mit Abteilungsleiter und mit Unterabteilungsleiter aus dem Rohbau am 21.09.1977, S. 3.

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Arbeiter als Akteure „Neulich, als mal eine Straßenführerstelle zu vergeben war, hat der Meister gesagt, ich brauche jemanden, der auch mal ne Stunde länger arbeiten tut, wenn die Anlage mal steht. Aber das kann ich ja nicht. Da gehören ja noch 3 Leute zur Fahrgemeinschaft, kann die ja nicht alle warten lassen … Jetzt noch umschulen, z. B. auf Elektriker, wäre wohl zu schwierig, hätte auch gar kein Verlangen nach mehr Dazulernen, nach was Höherem.“ 250

Er empfand eine Weiterbildung zum Elektriker als zu schwierig. Wie sehr sich einige Arbeiter einer Höherqualifizierung verweigerten, belegt das folgende Zitat: „Nein, ich will auch gar nichts anderes machen. Ich will kein Vorarbeiter werden. Ich will keine Verantwortung haben, da hätte ich keine Lust zu. Die Vorarbeiter haben hier ja eine solche Verantwortung, die werden manchmal so zusammengeschissen.“251

Durch eine dreifache Verneinung machte dieser Arbeiter unmissverständlich klar, dass er eine Qualifizierung ablehnte und sich den gestiegenen betrieblichen Qualifikationsanforderungen dadurch entzog. Ein anderer Meister meinte, dass die Aufstiegschancen nicht genutzt wurden, wenn sie sich boten, da ältere Werker nichts mehr lernen wollten.252 Tatsächlich fühlten sich zahlreiche Werker schon im mittleren Alter von den Jüngeren in den Qualifizierungsmöglichkeiten abgehängt und bestätigten damit teilweise die Aussagen der Vorgesetzten, dass insbesondere jüngere Arbeiter qualifiziert wurden oder sie fanden eine Qualifizierung im fortgeschrittenen Alter auch für den Betrieb unrentabel.253 Allerdings gab es zugleich einige Werker, die es bereuten, sich nicht in jungen Jahren um eine Weiterbildung bemüht und ihren Fokus stattdessen auf die Freizeitgestaltung gerichtet zu haben.254 Interessant ist, dass die angelern250 eLabour-SOFI-IR01_004_009.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Rohbau, 25 Jahre am 13.10.1977, S. 9. 251 eLabour-SOFI-IR01_006_002.pdf Gespräch mit Arbeiter aus der Gießerei, 40 Jahre am 24.10.1977, S. 7. 252 „Die Chancen seien da, werden aber nicht genützt. Der Nachwuchs für Einrichter und Vorarbeiterstellen ist nicht mehr so leicht zu finden. Bei den älteren gibt es kaum noch Möglichkeiten sie dahin zu bekommen. Sie haben keine Lust mehr zur Schule zu gehen. Hier gäbe es Chancen vor allem für die Neueingestellten.“ eLabour-SOFI-IR01_001_007.pdf Gespräch mit Meister aus dem Presswerk am 14.09.1977, S. 4. 253 „Diese Phase habe ich abgeschlossen. Ich bleibe jetzt dort, wo ich bin. In diesem Moment denke ich auch an den Betrieb: Ein Weiterkommen muß sich auch für den Betrieb rentieren. Was hilft es mir, wenn ich jetzt ein oder zwei Jahre weiterkomme, und dann scheide ich schon aus dieser Arbeit aus. […] Wenn man weiterkommen will, dann muß der Betrieb doch mindestens 5–6 Jahre, etwas mit einem anfangen können.“ eLabour-SOFI-IR01_003_002.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Presswerk, 54 Jahre am 28.09.1977, S. 14; „Ich müßte auf die Abendschule dann, aber ich werde schon 40 und man sucht jüngere Arbeitskräfte. Da glaube ich nicht an eine Chance.“ eLabour-SOFI-IR01_005_027.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Rohbau, o. A. am 24.10.1977, S. 11. 254 „Nein, das habe ich noch nicht versucht. Aber das ist eine Dummheit, eine richtige Eselei. Früher hätte ich da was machen können. Wie ich 30 war, da hätte ich noch bis 35 vielleicht die Schule besuchen können, Abendschule oder so… Das war falsch, das seh ich heute ein. Damals habe ich das nicht eingesehen, damals war die Freizeit wichtiger.“ eLabour-SOFIIR01_003_017.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Untergruppenrohbau, 47 Jahre am 12.09.1977, S. 12 oder eLabour-SOFI-IR01_007_005.pdf Gespräch mit Beanstander aus der Endmontage, 41 Jahre o. D., S. 2.

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ten und fachfremden Arbeiter um ihre schwierige Situation wussten und sie gewissermaßen in einem Zwiespalt steckten. Das macht der Auszug eines Interviews deutlich. Der Wissenschaftler fragte nach einer möglichen Weiterbildung und ein Werker aus der Nacharbeit antwortete: „Wenn man da irgendwas machen könnte, dann wäre ich sofort dabei; das wäre nicht verkehrt. Ich meine, man kann hundert Jahre werden, aber lernen kann man immer noch.“

Auf die anschließende Frage, ob Interesse an einer Vorarbeiterposition bestehe, sagte er: „Ich glaube, da wird zuviel verlangt, das schaffe ich nicht. Einfache Volksschule, das reicht wohl nicht aus.“255

Also wussten die Arbeiter einerseits um die Bedeutung einer Qualifizierung für den Aufstieg in der Produktion und die Wichtigkeit des Lernens, andererseits schreckten die meisten vor der konkreten Entscheidung sich fortzubilden zurück. Bemerkenswert ist, dass egal welche Schulbildung die Werker hatten und ob sie Angelernte oder Facharbeiter waren, die Mehrheit der Befragten nahm die Qualifikation ihrer Kinder im Gegensatz zu ihrer eigenen besonders ernst. Die gestellte Frage der Wissenschaftler im Fragebogen, welche auf die von den Arbeitern gewünschte Qualifizierung ihrer Kinder abzielte, brachte bemerkenswerte Antworten zu Tage.256 Von den 75 Werkern, denen die Frage gestellt wurde und die sie auch beantworteten, wollten 62, dass ihre Kinder etwas lernten und nur 13 teilten die Ansicht, dass ihre Kinder dies nicht tun müssten. Daraus geht hervor, dass die Werker um die Bedeutung von Qualifikation für die berufliche Laufbahn wussten und dass sie ihren Kindern diese auch ermöglichen wollten. Sie selbst sahen sich anscheinend dazu aber nicht mehr in der Lage.257 Dadurch, dass sich die meisten Arbeiter einer höheren Qualifizierung verweigerten und sich damit bewusst entschieden, nicht in vollem Umfang ihre Karrierechancen durch die neuen Produktionstechnologie auszunutzen, verweigerten sie eine erweiterte Teilhabe im Betrieb und bestärkten somit die Qualifikationshierarchie des Unternehmens, wie in Kapitel 3.3 noch einmal näher erläutert wird. Ein weiterer Beweggrund für die Arbeiter die Innovation abzulehnen war, wenn sich die Arbeit im Vergleich zu vorher verschlechterte, entweder durch die

255 eLabour-SOFI-IR01_003_024.pdf Gespräch mit Nacharbeiter aus dem Untergruppenrohbau, 43 Jahre am 25.10.1977, S. 12. 256 SOFI Göttingen IR-Projekt Ordner 20 Leitfaden für Arbeiterinterviews August 1977, S. 12 und S. 13. 257 Vgl. eLabour-SOFI-IR01_003_003.pdf Gespräch mit Einleger aus Presswerk, 41 Jahre am 26.09.1977, S. 7; eLabour-SOFI-IR01_003_014.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Untergruppenrohbau, 35 Jahre am 11.10.1977, S. 9; eLabour-SOFI-IR01_003_024.pdf Gespräch mit Nacharbeiter aus dem Untergruppenrohbau, 43 Jahre am 25.10.1977, S. 9; eLabourSOFI-IR01_004_017.pdf Gespräch mit Punktschweißer aus dem Rohbau, o. A. am 04.10.1977, S. 9; eLabour-SOFI-IR01_004_037.pdf Gespräch mit Arbeiter aus der Lackiererei, 35 Jahre o. D., S. 11; eLabour-SOFI-IR01_003_005.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Presswerk, 55 Jahre am 28.09.1977, S. 7.

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Zunahme von Monotonie am Arbeitsplatz258 oder dadurch, dass der Aufbau des Arbeitsplatzes aufgrund von Enge oder anderen Bewegungsabläufen in seiner Ausführung nicht praktikabel und körperlich belastend war259: „Wenn Sie sich vorstellen, daß z. B. im Radkasten vorne […], da 3 Mann drin schweißen. Hier einer, links einer schweißt überkopf, der andere sitzt unten in der Hocke, schweißt da unten und kriegt den Segen hinten in den Nacken rein und rechts daneben schweißt noch einer. Sowas ist untragbar. Von der Arbeitsplatzgestaltung her […] für die Kollegen unten am Arbeitsplatz ist das wesentlich schlechter und wesentlich komplizierter und schwieriger geworden. Es ist ein unmögliches Arbeiten.“260

Diese Tatsachen führten zu einer starken Ablehnung der neuen Produktionstechnologien, insbesondere wenn letztlich die Arbeiter dort eingesetzt wurden, wo die Roboter nicht hinkamen oder die Bewegungsabläufe für diese zu kompliziert waren.261 Außerdem erhöhte sich durch den Einsatz der Roboter das Soll und damit die Belastung der Arbeiter.262 Ebenso gab es durch die neuen Produktionstechnologien einen erhöhten Bedarf an Springern, also Arbeitern, die flexibel an unterschiedlichen Arbeitsplätzen eingesetzt werden konnten. Die Springer rekrutierten sich auch aus den durch die Roboter freigesetzten Arbeitskräften. Einerseits waren die Springer stellenweise bei den angestammten Werkern wenig beliebt, da sie die Arbeiten nicht so kompetent ausführen konnten, wie die Arbeiter an festen Arbeitsplätzen: „Dann kommt die Elitetruppe anmarschiert. Wir sagen da Elitetruppe zu […] so Bereichsspringer und […] die setzen sie dann überall da mal ein, wo jetzt Leute fehlen. Und wir hatten auch 2 oder 3 Mann von denen […] mal bei uns in der Hölle. […] Da waren mehr Lacher drin als alles andere. Nach 14 Tagen da mußte er wieder weg, da ist er wieder woanders hingekommen. Dann kommen sie nach fünf oder sechs Wochen […] wieder, dann ist das genau wie in Ostfriesland, dann müssen sie wieder neu anlernen.“ 263

Andererseits litten die Springer, deren angestammter Arbeitsplatz zuvor von einem Roboter übernommen oder durch ihn weggefallen war, oft massiv unter den ständigen Versetzungen in unterschiedliche Werksbereiche. Dies führte zur Ablehnung gegenüber den Robotern, die sich etwa an deren Bezeichnung als „Eisen-

258 „Ich lege meist das Teil ein, drücke auf den Knopf und dann wird das gepunktet. Das ist alles Idiotenarbeit.“ eLabour-SOFI-IR01_004_12.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Karosserierohbau, 47 Jahre am 11.10.1977, S. 3. 259 „Im Gegenteil, es ist noch schlechter geworden der Arbeitsplatz, indem man unter den Wagen kriechen muß und man muß ziemlich alles über Kopf schweißen. Das war schon da in der berüchtigten Hölle, da war es schon sozusagen, da wollte keiner hin. Aber da war es noch Gold gegen dieses.“ IfS Frankfurt A 117 Ordner 6 Gruppengespräch am 20.05.1980, S. 2. 260 Ebd., S. 4f. 261 Vgl. Ebd., S. 4; eLabour-SOFI-IR01_006_015.pdf Gespräch mit PVC-Unterbodenschutzspritzer aus der Lackiererei, 52 Jahre am 30.11.1977, S. 6. 262 eLabour-SOFI-IR01_003_004.pdf Gespräch mit Maschinenbedienerin aus dem Presswerk, o. A. am 08.09.1977, S. 3. 263 IfS Frankfurt A 117 Ordner 6 Gruppengespräch am 05.12.1978, S. 18.

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tier“ ausdrückte.264 Vor allem die älteren Werker hatten mit der erhöhten Flexibilität, die mit den neuen Produktionstechnologien einherging, Probleme: „Ich schaffe das nicht mehr. Bei uns wird jede Woche gewechselt. […] Ich schaffe es einfach nicht. Wenn ich da alle paar Tage den Arbeitsplatz wechseln soll, das ist problematisch in unserem Alter mit 50 Jahren.“265

Überdies lehnten die Arbeiter die neuen Technologien aufgrund der Verschlechterung der Umgebungseinflüsse durch die Maschinen, wie etwa einem erhöhten Lärmpegel oder schlechtere Luftqualität, ab: „Es ist ja auch nicht nur die Lärmbelästigung. Die Belüftung ist ja auch wesentlich schlechter geworden. Denn dadurch, daß also oben unter der Decke und bei uns unten ja alles zu ist mit Kettenförderern und Karosserien, die da hin und her geschoben werden, ist überhaupt keine vernünftige Luftzirkulation mehr möglich, weil oben die Karosserien sind teilweise auch noch warm, haben einen Ölfilm drauf, stinken nach Öl, das Öl tropft runter. […] Das habe ich schon alles gesagt, aber ehe da was passiert.“266

Aus diesem Zitat wird einerseits die Frustration der Arbeiter über ihren sehr begrenzten Handlungsrahmen deutlich und andererseits verweist es auf den kaum vorhandenen Kooperationswillen der Vorgesetzten, welche die Beschwerden der Arbeiter über ihre Arbeitsplätze nicht ernst nahmen und keine Abhilfe schufen. Schließlich fand eine Verweigerung von Innovation statt, wenn diese das Sozialgefüge der Arbeiter zerstörte. Durch die Einzelarbeitsplätze an den Robotern und das hohe Soll war es an einigen Arbeitsplätzen unmöglich geworden, persönlichen Kontakt während der Arbeit zu halten: „Jeder fummelt an den Maschinen da rum, daß es ein bisschen schneller läuft… und keiner sagt was, weil kein Zusammenhang mehr da ist.“267

Folglich führte die Arbeit an Maschinen zu einer Individualisierung der Arbeit, anstelle von einer gemeinsamen Tätigkeit in einem Kollegenverbund. Der Betriebsratsvorsitzende beschrieb diese Arbeitsplätze als „Isolation“ und als „Lückenbüßer der Technik.“268 Welche schwerwiegenden Folgen eine solche soziale Isolation für Arbeiter haben konnte, belegte er an einem Fallbeispiel: „Dabei denke ich an eine Kollegin […] die kam ins Betriebsbüro gerannt und hat geschrien und fiel also dann in sich zusammen und heulte dann also nur noch. […] Ich kann da draußen nicht mehr arbeiten. Ich darf nicht nach oben gucken. Ich habe immer die Angst, es fällt also alles über mir zusammen. […] Sie hat also erstmal am Band gestanden. Das Band lief in die eine Richtung, daneben liefen die Zubehörketten […] und oben liefen auch noch Transporterketten.“269

264 „Ich bin abgelöst worden durch das Eisentier da […] Wo einer krank ist, da springe ich ein. Ich habe keinen festen Arbeitsplatz mehr.“ eLabour-SOFI-IR01_003_025.pdf Gespräch mit Springer aus Halle 18, 50 Jahre am 12.09.1977, S. 5. 265 IfS Frankfurt A 117 Ordner 6 Gruppengespräch am 21.05.1980, S. 8. 266 IfS Frankfurt A 117 Ordner 6 Gruppengespräch am 20.05.1980, S. 12. 267 IfS Frankfurt A 117 Ordner 6 Gruppengespräch am 22.05.1980, S. 5. 268 IfS Frankfurt A 117 Ordner 7 Gespräch mit Betriebsratsvorsitzendem am 01.12.1978, S. 43f. 269 Ebd., S. 44.

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Das Leiden der Betroffenen an den Arbeitsplätzen durch die soziale Isolation wird offensichtlich. Einige Arbeitsplätze lagen durch den Produktionsumbau in manchen Bereichen nun weiter auseinander, so dass die Arbeiter keinen direkten Nachbarn mehr hatten und wenn doch, konnte eine Kommunikation aufgrund des Lärms oder des Gehörschutzes nicht stattfinden.270 Wie wichtig die soziale Interaktion und der Austausch mit Kollegen auch außerhalb der geregelten Pausen waren, um Vertrauen und Kooperation zwischen zusammen arbeitenden und demnach voneinander abhängigen Kollegen aufzubauen und den eigenen Stand im Produktionsgefüge zu bestimmen, zeigte Alf Lüdtke schon in seiner Monografie am Beispiel von Fabrikarbeitern Anfang des 20. Jahrhunderts.271 Das Auseinanderreißen von Sozialgefügen manifestierte sich besonders im Rohbau, da hier vor der Produktionsumstellung noch zahlreiche feste Arbeitsgruppen bestanden, die schon seit Jahrzehnten zusammen arbeiteten. Eine derartig große Umstellung des Rohbaus, vergleichbar zu den Industrierobotern in den 1970er Jahren, gab es zuvor nur Mitte der 50er Jahre bei VW, wo die Fließbandfertigung und der Materialfluss mittels neuer Transferstraßen, moderner Lagerhaltung sowie Transportsysteme automatisiert wurde.272 Daher empfanden die Arbeiter im Rohbau vor der Umstellung in den 1970er Jahren einen starken Zusammenhalt: „Es ist ja so, die Rohbauer, das ist so ein Haufen, die so, ich würde sagen, teilweise schon über 10 Jahre zusammen sind. Die sich kennen, die so ihre Stärken, ihre Schwächen des einzelnen kennen und daß sich da so einzelne […] Gruppen gebildet haben, die so häufig zusammensitzen oder viel zusammensitzen. Die auch nach Feierabend mal zusammensitzen. Wenn man da jetzt so die Möglichkeit hat, sich zu verändern, das fällt einem dann immer schwer, aus diesem gewohnten Kreis rauszugehen.“273

Die Arbeiter entschieden sich also durchaus anhand anderer Rationalitäten und Kriterien für einen Arbeitsplatzwechsel. Nicht nur Lohn oder Gesundheit, sondern auch soziale Faktoren waren bestimmend. Ebenso konnte es eine „Frage des Prestiges“ sein, wenn man an besonders körperlich anstrengenden Arbeitsplätzen arbeitete, vergleichbar mit dem Ansehen des „Malochers“ im Bergbau.274 So trugen Arbeiter aus dem Rohbau bei VW, etwa „Feueranzünder um den Hals“, wodurch die anderen Arbeitnehmer bei VW sie leicht als dem Rohbau zugehörig erkann-

270 eLabour-SOFI-IR01_003_010.pdf Gespräch mit Einleger aus dem Presswerk, 50 Jahre am 26.09.1977, S. 7. 271 LÜDTKE, ALF 1993, Eigen-Sinn, S. 108f. oder AßLÄNDER, Michael: Von der vita activa zur industriellen Wertschöpfung. Eine Sozial- und Wirtschaftsgeschichte menschlicher Arbeit, Marburg 2005, S. 337f. 272 TILLY, Stephanie/TRIEBEL, Florian: Einführung, in: Automobilindustrie 1945–2000. Eine Schlüsselindustrie zwischen Boom und Krise, hrsg. v. Stephanie TILLY, München 2013, S. 4 und S. 9f.; GRIEGER, MANFRED 2013, Die „geplatzte Wirtschaftswundertüte“, S. 27f.; WELLHÖNER, VOLKER 1996, „Wirtschaftswunder“ – Weltmarkt – westdeutscher Fordismus, S. 113. 273 IfS Frankfurt A 117 Ordner 6 Gruppengespräch am 05.12.1978, S. 13. 274 Ebd., S. 14; HINDRICHS, Wolfgang: Der lange Abschied vom Malocher. Sozialer Umbruch in der Stahlindustrie und die Rolle der Betriebsräte von 1960 bis in die neunziger Jahre, Essen 2000, S. 7f.

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ten.275 Die Tätigkeiten dort umfassten körperliche Schwerstarbeit unter belastenden und zum Teil gefährlichen Bedingungen, die fast ausschließlich von Männern ausgeübt wurde.276 Die Rohbauer erhielten Anerkennung von anderen Arbeitnehmern und Vorgesetzten im Betrieb, da sie eine schwere und dreckige Arbeit verrichteten, die nicht jeder aushalten konnte. Dieses Prestige war im Werk grundsätzlich anerkannt, wie die Aussage eines Mitarbeiters in der Instandhaltung beweist: „Der Rohbau, das waren die Rohbauer hier […] gerade der Zusammenhalt aus dem Rohbau war auch immer groß, der interne Zusammenhalt […] Kumpelgeist. Die Rohbautruppe war eigentlich immer in Ordnung.“277

Insofern verwundert es nicht, dass, obwohl gerade diese Arbeitsplätze als besonders körperlich belastend galten und dort extreme Umgebungseinflüsse herrschten, es kaum Versetzungsanträge aus diesem Bereich gab, wie etwa der Gießerei. Ein Betriebsarzt sprach gar von einer „Elite“, die sich dort herausbilde. 278 Bei dieser Form der Arbeit handelte es sich um eine besondere Umgangs- und Zusammenlebensweise unter den Kollegen.279 Demnach erlebten diese Arbeitsverbünde durch die neuen Produktionstechnologien eine massive Abwertung ihrer Arbeit und ein Auseinanderreißen ihrer angestammten Arbeitseinheiten.280 Allerdings gibt es noch einen anderen sozialen Antrieb für die Ablehnung der Roboter, nämlich die Angst des sozialen Abstiegs durch den nun geringeren Lohn aufgrund der Einführung der neuen Produktionstechnologien: „Jetzt angenommen, ich lasse mich jetzt versetzen und komme an einen Arbeitsplatz, der hat 6b und kriege jetzt eine Arbeit zugewiesen, die für mich wesentlich leichter ist, aber die auch geringer bezahlt wird. […] Das macht sich dann finanziell bemerkbar im Portemonnaie. Ich habe dann nicht mehr diese Möglichkeiten, die ich vorher hatte, die ich mir geschaffen hatte auch im privaten Kreis, in der Familie, bin also so eine Art Sozialabsteiger […].“281

Infolgedessen tat sich der Arbeiter nach eigenen Angaben selbst bei schweren körperlichen Schädigungen schwer, den Arbeitsplatz zu wechseln, da er hinterher anderen Verpflichtungen, wie der Abbezahlung des Hauses nicht mehr nachkommen könne.282 Dies bedeutete folgerichtig den Verzicht auf Partizipation in der Gesellschaft, etwa durch den Verlust der Freizeitgestaltung aufgrund von Geldmangel und somit einen Ausschluss aus dieser. Viel schwerer als die Kürzung des Lohns wog für die Verweigerung der neuen Produktionstechnologien allerdings die Ersetzung des Arbeiters durch die neue 275 NOLL, Paul: „Das alles frisst – 25 Jahre Arbeit bei VW“, in: Wohin läuft VW? Die Automobilproduktion in der Wirtschaftskrise, hrsg. v. Reinhard DOLESCHAL, Reinbek bei Hamburg 1982, S. 67. 276 HINDRICHS, WOLFGANG 2000, Der lange Abschied vom Malocher, S. 13f. 277 IfS Frankfurt A 117 Ordner 8 Gespräch mit Werksleitung am 25.04.1980, S. 41. 278 IfS Frankfurt A 117 Ordner 7 Gespräch mit Werksarzt am 30.11.1978, S. 11. 279 HINDRICHS, WOLFGANG 2000, Der lange Abschied vom Malocher, S. 14. 280 Ebd., S. 15. 281 IfS Frankfurt A 117 Ordner 6 Gruppengespräch am 05.12.1978, S. 14. 282 Ebd., S. 14.

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Maschine und damit die Existenzbedrohung des Arbeiters. Die Arbeiter äußerten Ängste, selbst wegrationalisiert zu werden: „Bevor die das groß anlaufen lassen, sollten sie sich das noch, einmal überlegen. Das sollte keine automatische Sache sein. Die Maschine ist ja für den Menschen da, und nicht der Mensch für die Maschine. Irgendwann muß da mal Schluß sein. Das ist kein einfacher, normaler Vorgang. Die züchten damit Arbeitslose.“283

Aus dem Zitat lässt sich die Sorge über einen wenig verantwortungsbewussten Umgang der Unternehmensleitung mit dem Einsatz der neuen Technologien herauslesen. Ebenso äußerte der Arbeiter den Wunsch, dass die Maschine zugunsten der Werker und nicht nur zur Profitmaximierung eingesetzt werden sollte. Für ihn war die fortschreitende Technisierung der Produktion kein „normaler“ und damit zwangsläufiger Prozess, sondern ein Faktor, der auch den Verlust von Arbeitsplätzen mit sich brachte und daher besonnener Überlegung bedurfte. Der Einsatz von Industrierobotern betraf insbesondere leistungsgeminderte Arbeiter, also ältere oder körperlich beeinträchtigte Arbeiter und Frauen, da sie meist an Arbeitsplätzen mit wenigen einfachen Handgriffen arbeiteten, deren Bewegungsabläufe leicht zu programmieren waren. Demzufolge traf die Innovation diese ohnehin marginalisierten Gruppen im Betrieb besonders hart.284 So „sei eine Tendenz feststellbar, daß Plätze für diese Personen immer mehr wegfallen“, wie ein Unterabteilungsleiter des Presswerks bestätigte.285 Darum wussten auch die Arbeiterinnen, was aus ihren Antworten auf einen möglichen Einsatz von Industrierobotern in ihrem Bereich hervorging: „Dann könnte ich nach Hause gehen. Die Frauen werden ja zuerst nach Hause geschickt.“286 Doch nicht nur leichte Tätigkeiten wie Sortieren wurden automatisiert, sondern auch schwere Hebetätigkeiten. Diese Automation betraf daher ebenso migrantische Arbeiter, die meist an körperlich schweren Arbeitsplätzen tätig waren. Ein italienischer Arbeiter sah daher in den Robotern eine Bedrohung: „Ist ja so, wenn die überall Roboter hinmachen, oder andere Automatik, dann ist ja bald keine Arbeit mehr. Das gilt nicht nur für uns, sondern auch für deutsche Kollegen.“287

Außerdem müssten leistungsgeminderte Arbeiter nach Aussagen von Vertrauensleuten nun wesentlich länger auf einen Schonarbeitsplatz warten wie ohnehin schon, da die Roboter zahlreiche von diesen Plätzen ersetzten und kaum neue ent-

283 eLabour-SOFI-IR01_003_018.pdf Gespräch mit Arbeiter aus der Hinterachsenfertigung, 44 Jahre am 16.09.1977, S. 6. 284 FRERICHS, PETRA 1989, Fraueninteressen im Betrieb, S. 36 oder eLabour-SOFIIR01_009_035.pdf Gespräch mit Leiter der Abteilung Vorplanung Rohbau am 22.06.1977, S. 2. 285 eLabour-SOFI-IR01_001_009.pdf Gespräch mit Unterabteilungsleiter aus dem Presswerk am 15.09.1977, S. 9. 286 eLabour-SOFI-IR01_003_004.pdf Gespräch mit Maschinenbedienerin aus dem Presswerk, o. A. am 08.09.1977, S. 3. 287 eLabour-SOFI-IR01_003_008.pdf Gespräch mit italienischem Arbeiter aus dem Presswerk, 27 Jahre am 12.09.1977, S. 5.

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stünden.288 Die Arbeiter fürchteten daher aufgrund der Roboter um die Sicherheit ihres Arbeitsplatzes: „Aber ich komme immer wieder zum Roboter und sage: Diese Dinger haben hier nichts zu suchen. Da sagt man zwar, hier geht’s um Humanisierung, in Wirklichkeit geht’s aber um den Abbau der hohen Lohngruppen. Diese Viecher da, wenn die krank werden, die brauchen kein Krankengeld, ... dann werden sie ausgewechselt, dann kommt ein anderer rein, die brauchen keine Sonderzahlungen, die brauchen keinen Lohn und streiken auch nicht. […] Wenn die sagen ‚Humanisierung‘ da sage ich auch ja, wenn die nicht auch schon bei den Kleinteilen wären, die Viecher.“289

Die Maschinen, welche der Arbeiter in seiner Abneigung als „Viecher“ bezeichnete, bräuchten kein Krankengeld, keinen Lohn und keine Sonderzahlungen. Ebenso seien sie nicht solidarisch mit den Arbeitern, wenn es um die Verbesserung von Produktionsbedingungen gehe. Hieran verdeutlicht sich der Konflikt im Zusammenwirken von Mensch und Maschine. Die Maschine ersetzte Arbeiter und übernahm ihre Tätigkeiten. Zahlreiche von ihnen sahen jedoch die Abnahme von leichten Arbeiten durch die Maschinen nicht als Humanisierung an. Außerdem kritisierten die Arbeiter das Verständnis der Unternehmensleitung von Humanisierung. Diesen Begriff nutze sie vor allem für Werbezwecke und zur Repräsentation nach außen: „Da kam eine Broschüre raus, ich weiß es zwar nicht, von wem die rausgegeben worden ist, jedenfalls anläßlich der Messe […] und ich bekam auch so eine in die Hand. Da stand z. B. in einem Artikel, Schwitzen gehört in diesem modernsten Werk Europas oder der Welt sogar endgültig der Vergangenheit an. Also so etwas Lächerliches.“290

Sie unterstellen der Unternehmensleitung den Begriff zu „missbrauchen“ und ihn inflationär für alle Veränderungen in der Produktion heranzuziehen: „Aber da wird ja auch viel Mißbrauch mit getrieben. Allein schon, daß man das Wort so oft benutzt. Letztenendes betrachtet man dann jede Veränderung als eine Humanisierungsmaßnahme.“291

Tatsächlich gerieten die Arbeiter in den 1970er Jahren im Betrieb mit dem Begriff immer wieder in Berührung. Demnach fand die Bezeichnung Humanisierung Verwendung in den Reden bei Betriebsversammlungen in Wolfsburg. Weiterhin wurde er mit allen möglichen Themen im Betrieb in Verbindung gebracht, wie Einrichtung von Sozialräumen, bessere Sozialleistungen für die Mitarbeiter, größerer Arbeits- und Rationalisierungsschutz für die Werker sowie die Erweiterung

288 Vgl. eLabour-SOFI-IR01_003_004.pdf Gespräch mit Maschinenbedienerin aus dem Presswerk, o. A. am 08.09.1977, S. 2; eLabour-SOFI-IR01_001_022.pdf Gespräch mit Vertrauensleuten aus dem Presswerk am 27.09.1977, S. 4f. 289 eLabour-SOFI-IR01_003_025.pdf Gespräch mit Springer aus Halle 18, 50 Jahre am 12.09.1977, S. 8. 290 IfS Frankfurt A 117 Ordner 6 Gruppengespräch am 21.05.1980, S. 41. 291 eLabour-SOFI-IR01_004_029.pdf Gespräch mit Arbeiter aus der Gießerei, 43 Jahre am 14.10.1977, S. 8.

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der Arbeitsaufgaben. Der Begriff war daher für die Arbeiter im Betrieb präsent.292 Darüber hinaus wurden sie über den von der Unternehmensleitung veröffentlichten Sozialbericht, die Unternehmenszeitschrift (autogramm), die Zeitschrift des Betriebsrates (BR Kontakt) sowie durch die betriebliche IG Metall Zeitung über Maßnahmen zur Humanisierung informiert.293 Für die Arbeiter war es teilweise unbegreiflich, wieso anstatt eines anderen Kollegen ein Roboter einen Arbeitsplatz erhielt, wenn dieser die Tätigkeiten wesentlich schlechter ausführte als ein Mensch: „Es wird uns doch hier wieder ein X für ein U vorgemacht. Humanisierung – es hat doch uns Arbeiter noch niemand nach Humanisierung gefragt. Die sprechen jetzt von Humanisierung, wo sie die Viecher haben. Wenn, sie Humanisierung ernst gemeint hätten, hätten sie gesagt, jawohl, ist ’ne schwere Arbeit, schicken- wir einen zweiten Mann mit rein. Aber ich mußte ja 1360 Achsen alleine fahren und der Roboter schafft es nicht mal. Wo ist denn da die Humanisierung?!“294

Auch hier ist der Wettbewerb zwischen Mensch und Maschine offensichtlich. Der Arbeiter hatte wenig Verständnis für die Vorgehensweise der Unternehmensleitung, insbesondere da die Technologie nicht die gleichen Stückzahlen wie ein Mensch produzierte. Aufgrund dessen sahen zahlreiche Arbeiter die Humanisierung als gescheitert an oder verbanden sie mit einseitigen Rationalisierungsmaßen der Unternehmensleitung.295 Demnach verweigerten die Arbeiter Neuerungen,

292 Vgl. UVW, Z 119, Nr. 1259/1 Protokoll der Betriebsversammlung am 17.12.1973 in Wolfsburg, S. 10; UVW, Z 373, Nr. 411/3 Protokoll der Betriebsversammlung am 31.03.1977 in Wolfsburg, S. 8f. und UVW, Z 373, Nr. 412/2 Protokoll der Betriebsversammlung am 27.03.1979 in Wolfsburg, S. 10f. 293 Vgl. StA WOB: Autogramm – Mitarbeiter-Zeitung der Volkswagenwerk Aktiengesellschaft Wolfsburg: Der Mensch muß im Mittelpunkt stehen, 28.04.1976, 6. JG Nr. 2, S. 1–3; StA WOB: Autogramm – Mitarbeiter-Zeitung der Volkswagenwerk Aktiengesellschaft Wolfsburg: Humanisierung der Arbeitswelt, 14.07.1978, 8. JG Nr. 7, S. 8f.; StA WOB: Autogramm – Mitarbeiter-Zeitung der Volkswagenwerk Aktiengesellschaft Wolfsburg: Die Technik wird dem Menschen angepasst, 16.07.1979, 9. JG Nr. 8, S. 5f.; VWW: Menschen im Blickpunkt. Sozialbericht der Volkswagenwerk Aktiengesellschaft für das Jahr 1981, S. 28f. oder VWW: Menschen im Blickpunkt. Sozialbericht der Volkswagenwerk Aktiengesellschaft für das Jahr 1980, S. 25; SOFI Göttingen IR-Projekt Ordner 12 BR Kontakt – Aktuelle Informationen des Gesamtbetriebsrats der Volkswagen AG: Arbeitsplätze humaner gestalten, (09/1980), S. 1–2; SOFI Göttingen IR-Projekt Ordner 32 BR Kontakt – Aktuelle Informationen des Gesamtbetriebsrats der Volkswagen AG: Die Arbeitsplätze müssen menschengerechter werden, (04/1978), S. 2; UVW, Z 652, Nr. 103/1 „Wir Metaller“ im Volkswagenwerk Hannover Informationen der IG Metall: Eine humane Idee, Juli 1980, S. 2; UVW, Z 652, Nr. 103/2 „Wir Metaller“ im Volkswagen-Konzern Nachrichtenblatt für die Mitglieder der IG-Metall: Humanisierung nicht mit der linken Hand, 1976, S. 4 und UVW, Z 652, Nr. 103/2 „Wir Metaller“ im Volkswagenwerk Wolfsburg Informationen der IG Metall: 19 Millionen DM für Forschungsprojekte bei VW, Juli 1976, S. 2. 294 eLabour-SOFI-IR01_003_025.pdf Gespräch mit Springer aus Halle 18, 50 Jahre am 12.09.1977, S. 19. 295 Ebd., S. 10; eLabour-SOFI-IR01_004_008.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Rohbau, 52 Jahre am 04.10.1977, S. 9; eLabour-SOFI-IR01_004_007.pdf Gespräch mit Arbeiter aus Hal-

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wenn diese ausschließlich für die Betriebsleitung von Nutzen waren und diese ihren Wünschen nicht genug entgegenkam. Dies kann gleichermaßen an anderen Beispielen nachvollzogen werden. So forderten etwa die Arbeiter im Rohbau eine weitere Garnitur Schutzbekleidung, damit sie ihre Kleidung bei Arbeitstemperaturen von 35 Grad oder höher einmal in der Woche reinigen konnten. Das Credo war: Es muss ein Geben und Nehmen sein: „Wenn die nicht in der Lage sind, die paar Kröten auszugeben, uns einmal in der Woche mehr so eine Schutzbekleidung zu bezahlen, dann können die doch nicht erwarten, daß wir diese Millionenausgaben in den neuen Anlagen, daß wir die verstehen also das macht ihr unseretwegen als Humanisierung. Denn […] das funktioniert überhaupt nicht, das als Humanisierung, das ist da unten nicht verkaufbar.“296

Ferner hatten die Arbeiter wenig Verständnis dafür, wenn sie in der Gießerei Hitze über 40 Grad ausgesetzt waren und die Unternehmensleitung für die Roboter eine Klimaanlage bauen ließ, dies für die Werker aber aufgrund zu hoher Kosten abgelehnt wurde: „Also ein humaner Arbeitsplatz wird das auch nie werden da am Grillband. Das ist ewig, wo man nur relativ junge Leute gebrauchen kann. Vielleicht bis 30, ältere sollte man da gar nicht hinschicken. Das ist hier so, im Sommer, die Schweißgeräte die strahlen Wärme aus und da haben sie eine Temperatur von 30° und 40° abends um 20:00 – 21:00 Uhr noch. Das ist natürlich nicht human. Eine Klimaanlage wird nicht gebaut, angeblich zu teuer […] Kühlanlagen für die Straße, für die Computer, die sind da.“297

Für das erfolgreiche Implementieren von Innovationen erwies sich folglich ein Interessensausgleich zwischen den Hierarchieebenen als notwendig. Missachtete die Betriebsleitung die geäußerten Wünsche der Werker, verweigerten sich diese und das konnte zu Konflikten führen, wie in Kapitel 4.2.1 dargelegt. Außerdem verschmähten Arbeiter Innovationen, wenn sie sich im Arbeitsalltag als unpraktisch oder für sie als unbrauchbar herausstellten, wie etwa die neu eingerichteten Pausenräume. Diese wurden von den Arbeitern nicht angenommen, da sie zu weit entfernt von den Bändern lagen. Auf dem Weg dorthin und zurück gingen den Arbeitern wichtige Minuten ihrer Pausen ungenutzt verloren. Da half laut Betriebsrat auch „die neue Kaffeemaschine nichts.“298 Doch nicht nur die Pausenräume missfielen aufgrund ihrer Praxisferne, sondern auch der Arbeitsschutz. Oft wurden die Unfallschutzmaßnahmen, wie Ohrpfropfen, von den Arbeitern nicht genutzt, weil sie sie als unpraktisch erachteten.299 „Erstmal, der Krach ist doppelt so groß und diese Ohrstoppen, die ich bekomme oder die Kollege hier also bekommen, ich kann damit nicht arbeiten. Entweder, ich verliere meine Sprache, wenn ich mit einem anderen Kollegen nachher wieder spreche, so kommt es den anderen

296 297 298 299

le 18, o. A. am 15.09.1977, S. 10; eLabour-SOFI-IR01_003_010.pdf Gespräch mit Einleger aus dem Presswerk, 50 Jahre am 26.09.1977, S. 14. IfS Frankfurt A 117 Ordner 7 Gespräch mit Betriebsräten aus dem Rohbau am 08.12.1978, S. 6 und S. 24. IfS Frankfurt A 117 Ordner 6 Gruppengespräch am 22.05.1980, S. 9. IfS Frankfurt A 117 Ordner 8 Gespräch mit Betriebsrat am 23.04.1980, S. 23f. IfS Frankfurt A 117 Ordner 6 Gruppengespräch am 06.12.1978, S. 10.

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Arbeiter als Akteure Kollegen vor, weil man automatisch leiser spricht durch den Ohrstoppen und ich kann auch damit nicht arbeiten. Dann gab es auch so Kopfhörer. Da ging es dann gar nicht mehr. Das ist so als wenn man einen Sturzhelm aufhat.“300

Die Arbeiter konnten sich mit dem neuen Gehörschutz entweder nicht mit ihren Kollegen ausreichend verständigen oder der Schutz erwies sich bei der Ausübung ihrer Tätigkeit als unhandlich oder störend. Neue Pausenregelungen zur gesundheitlichen Erholung der Arbeiter musste die Betriebsleitung durch die Stilllegung der Bänder erzwingen. Die Werker hätten sonst weitergearbeitet, um später individuelle Pausen einlegen zu können. Um die Arbeiter zur Anwendung des neuen Arbeitsschutzes zu bewegen, waren aus Sicht der Betriebsleitung also wieder Disziplinierung und Zwang notwendig. Diese Vorgehensweise der Betriebsleitung ließ sich nicht nur bei VW beobachten, sondern etwa auch in der Eisen- und Stahlindustrie. Die Unternehmensleitungen erachteten es als erforderlich, die Arbeiter an die neuen Sicherheitsvorkehrungen zu gewöhnen, deren Verwendung zu kontrollieren und wenn nötig die Arbeiter zum Gebrauch der Schutzvorkehrungen zu zwingen.301 Abermals zeigen sich an diesem Beispiel die abweichenden Rationalitäten der Arbeiter von ihren Vorgesetzten. Welche Faktoren führten nun in der Gruppenarbeit zur Verweigerung der neuen Arbeitsstrukturen? Insbesondere Überforderung oder die Ansicht der Arbeiter, dass das zu Lernende unbrauchbar oder unsinnig sei, beförderte die Ablehnung der Innovation. Demnach bildete das Erlernen von Gesprächsführung und Artikulation einerseits in den Sitzungen mit Vorgesetzten, andererseits in den regelmäßig stattfindenden Gruppengesprächen eine wichtige Grundlage für die Gruppenarbeit. Aufgrund dessen mussten alle Gruppen die Gesprächsführung und das Protokollschreiben erlernen. Einigen Werkern fiel es zu Anfang schwer, sich vor Vorgesetzten zu äußern oder überhaupt ein Gespräch zu führen beziehungsweise sich daran zu beteiligen, da sie vorher diese Qualifikationen nicht benötigt hatten und sie sich einer anderen Sprach- und Ausdrucksweise bedienten als ihre Vorgesetzten302: Arbeiter G3: „Für mich ist das auch schwer. Für uns ist das alles Neuland. Wir kommen zusammen und diskutieren, was vorher nie der Fall gewesen war. […] Man muss sich da erst reindenken. […] Da saßen wir zwischen einem Haufen Vorgesetzten und alles […] und sollten da was vorsagen. Sag ich das kann ich nicht. Kriege ich ’ne rote Birne und dann fallen mir die Worte weg. Das schaffe ich auch nicht.“303

Es bestanden Berührungsängste bei den Werkern mit ihren Vorgesetzten. Allerdings trieben die Wissenschaftler die Werker dazu an, diese Qualifikationen zu erlernen und disziplinierten sie.304 Die Struktur der Gruppengespräche mit einem 300 IfS Frankfurt A 117 Ordner 6 Gruppengespräch am 21.05.1980, S. 7. 301 KLEINÖDER, NINA 2015, Unternehmen und Sicherheit, S. 162f. und S. 261. 302 Arbeiter G3: „Das waren […] alles Fremde und die können so geschwollen reden […] und du quälst dich dann ab ein paar Worte rauszubringen.“ Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 09.03.1976 II ab 45:32 Min. und 47:40 Min. 303 Ebd. ab 46:30 Min. und 47:18 Min. 304 Ebd. ab 42:39 Min.

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Protokollführer und einem Gesprächsführer blieb nahezu die gesamte Projektzeit bestehen. Zu Beginn jeder Sitzung bestimmte die Gruppe einen Gesprächsführer und einen Protokollanten, anschließend legten sie gemeinsam die Tagesordnungspunkte fest und priorisierten diese.305 Die in der Sitzung gefassten Beschlüsse mussten vom Protokollführer aufgeschrieben und meist am Ende noch einmal wiederholt werden, ebenso wie zu Beginn der nächsten Sitzung. Das Protokoll war von den Wissenschaftlern dafür gedacht, das Besprochene und die getroffenen Beschlüsse der Gruppe für diese zur Orientierung festzuhalten. Dies funktionierte mal mehr und mal weniger gut. Oft gestaltete es sich schwierig und zeitaufwendig, in den Sitzungen überhaupt einen Protokollanten zu finden, da kein Arbeiter Lust hatte, diese Aufgabe zu übernehmen. Mit der Zeit bildeten sich einige „feste“ Protokollschreiber und Gesprächsführer heraus, die aber auch nicht immer gewillt waren zu schreiben.306 In allen Gruppen protestierten die Arbeiter zu unterschiedlichen Zeiten gegen das Protokollführen, insbesondere nach fortschreitendem Verlauf des Projektes. Immer wieder lehnten sich die Gruppen gegen das Schreiben auf und gingen in Konfrontation mit den Wissenschaftlern: Arbeiter G4: „[…] ob das nu so einen großen Sinn hat […] diese ganze Schreiberei für uns fällt uns jeden Einzelnen dermaßen schwer, das is genauso wenn sie jetzt da auf einmal da am Band arbeiten sollten […] Wir sollen jetzt arbeiten, das lernen, hier lernen ja ich glaube … da ist mehr oder weniger sind wir alle überfordert.“307

Überdies könne man aus den verschiedenen Schreibstilen der jeweiligen Protokollanten nicht immer ableiten, was gemeint war und sollte die Gruppenarbeit sich tatsächlich durchsetzen, bliebe einfach nicht genügend Zeit, die Protokolle zu schreiben.308 Ebenso ginge viel zu viel Gruppengesprächszeit für die Festlegung und das Priorisieren der Tagesordnungspunkte und die Protokollverlesung verloren, so Gruppe 2.309 Die Werker aus Gruppe 3 sahen nicht ein, die Protokolle noch in ihrer Freizeit zu ergänzen oder in Reinschrift zu bringen.310 Generell erschloss sich den Arbeitern der Sinn eines solchen Protokolls nicht: Arbeiter G3: „Ich finde das hier eine richtige Idiotenschule. Der eine wirft dem das vor, der andere dem das […] (schreit). Ich finde das Einzigste was hier verkehrt läuft, läuft alles verkehrt. […] Hier läuft alles durcheinander. Der reinste Kindergarten oder Zirkus.“

305 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G3 09.03.1976 I ab 05:45 Min. 306 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 und G 23.09.1976 II ab 29:17 Min. 307 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 und G3 07./08.09.1976 I ab 04:34 Min. 308 Ebd. ab 05:30 Min. 309 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G2 und G4 22.09.1976 I ab 09:36 Min. 310 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 und G3 23.09.1976 II ab 26:18 Min.

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Arbeiter als Akteure Arbeiter II G3: „Und so ’n Kindergarten soll ich jetzt notieren und … vielleicht noch irgendwo hinhängen.“311

Die Gruppengespräche seien bei der Weiterführung der Gruppenarbeit ohnehin hinfällig.312 Es wird deutlich, dass die Arbeiter keinen Sinn darin sahen, diese Qualifikationen zu erlernen und sich daher dagegen wehrten. Letztendlich gaben die Werker aber der Argumentation und dem Druck der Wissenschaftler nach, welche den Gruppen erklärten, dass sie nur gehört und für kompetent erachtet werden, wenn sie sich artikulieren und dadurch auch selbstbewusster auftreten könnten.313 Dennoch verweigerten sich die Gruppen immer wieder am Sitzungsanfang der Protokollierung. Insofern versuchten sie, im Rahmen ihrer Möglichkeiten diese Qualifikation zu umgehen. Ein weiteres Beispiel für die Verweigerung der Neuerungen aufgrund von Überforderung stellt die Verwaltungsarbeit dar. Nicht nur die gruppeninterne Protokollierung fiel den Werkern schwer, sondern viele haderten zudem mit der Verwaltungsarbeit. Insbesondere Gruppe 4, die sich überwiegend aus migrantischen Arbeitern zusammensetzte, hatte große Schwierigkeiten mit dem Schreiben und beim Ausfüllen der Formulare für die Materialbestellung. Außerdem stellte die Unkenntnis über betriebliche Abläufe, die zuständigen Ansprechpartner und das zeitintensive und korrekte Ausfüllen der Formulare eine Herausforderung dar. Arbeiter G4: „Überhaupt viel Arbeit, die wir nicht machen können […] Schreibarbeit zum Beispiel. Ich zum Beispiel […] die deutsche Schrift ist viel zu schwer. Damit komme ich nicht klar. […] wo habt ihr die Teile bestellt und so Sachen. […] Lieber einer dem bekannt sein, der sich schon längst [auskennt], wie ein Meister oder Vorarbeiter oder so etwas.“ 314

Die Gruppen fühlten sich mit den Anforderungen überlastet, vor allem durch die Fülle der Arbeitsaufgaben. Sie kalkulierten damit, dass ein Mitglied der Gruppe nur noch für die Koordinationsaufgaben zuständig sei und keine Motoren mehr bauen könnte.315 Arbeiter G3: „Wozu so viel Papierkrieg jetzt? […] heißt so viel auf Deutsch gesagt, wir sind so halbe Bürohengsten […] arbeiten sollen wir, Motoren sollen wa bauen, solln was schaffen und auf anderer Seite soll man sich noch mit Papierkram beschäftigen und rumquälen damit.

311 Ebd. ab 27:56 Min. 312 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 und G4 28.10.1976 II ab 03:39 Min. 313 Ebd. ab 11:30 Min. 314 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G2 und G4 25.03.1976 I ab 01:54 Min.; vgl. Arbeiter G4: „Es ist ja nicht nur, dass du da anrufst […] von wegen das Material brauchst. […] sondern auch Werkzeug […] Das ist alles Schreibkram. Er kann nicht einfach ans Telefon gehen: Ich brauche so und so viele Einsätze. Der hustet ihnen was. Bürokratie wird großgeschrieben. Da muss man alles Mögliche ausfüllen […] Wenn das von uns noch einer nebenher machen sollte, dann muss das einer für zwei Gruppen nur so ein Zeug machen.“ Ebd. ab 11:20 Min. 315 Ebd. ab 36:03 Min.

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Das finde ich keine Arbeitserleichterung, im Gegenteil, da wird aus einem noch mehr rausgefordert.“316

Überdies sahen sie die Aufgaben nicht in ihrem Verantwortungsbereich und wollten die Verwaltungsarbeit lieber „Bürohengsten“ überlassen, womit sie auf die von ihnen wahrgenommene Trennung der zwei Sphären zwischen Produktion mit den Arbeitern (blue collar/Blaumann) und der Verwaltung beziehungsweise höheren Angestellten (white collar/Schlipsträger), wie Vorgesetzte in der technischen und kaufmännischen Leitung verwiesen.317 Außerdem gewichteten die Arbeiter die Produktion von Stückzahlen im Projekt wesentlich höher als das Erlernen neuer Qualifikationen über den Motorenbau hinaus. Die Betriebsleitung legte die Vorgabe von 100 Motoren im Projektantrag als Stückzahl fest und wollte diese schon in der Anlernphase produzieren. Dies wirkte sich auf die Werker aus. Einige von ihnen fühlten sich damit überlastet, zusätzlich zu ihrer Arbeit und der geforderten Stückzahl noch Weiteres zu lernen. Für die Arbeiter standen eindeutig die zu produzierenden Stückzahlen an erster Stelle und nicht etwa eine weitere Qualifizierung über die Motorenmontage hinaus, da sie das Projekt kosteneffizient gestalten wollten, um die Gruppenarbeit zu erhalten.318 Abermals versuchten die Wissenschaftler, die Werker von ihrer Meinung zu überzeugen. So wirke sich nicht nur die Gruppenarbeit, sondern auch eine höhere Qualifikation für sie positiv aus, insbesondere dann, wenn die Gruppenarbeit nicht weiter fortgeführt und eine Bewerbung auf eine andere Stelle eingereicht werden müsse.319 Hierüber kam es in den Gruppen 3 und 1 wieder zu Konflikten mit den Wissenschaftlern. Arbeiter G 3 (schreit): „Wenn die im Schnitt […] ’n Motor in ner ¾ Stunde bauen, wo bleibt da der Lernprozess frage ich Sie? […] Was soll ich da lernen? […] Da wird geknüppelt.“ Arbeiter II G 3 (schreit auch): „Ich sehe das nicht nur als Lernprozess, ich sehe das schon als Maloche […].“320

Es zeigt sich, dass die Werker bezüglich des Anlernprozesses eine gänzlich andere Vorstellung hatten; es sollten entweder die Aufgabenstellungen nicht derart umfangreich sein oder aber eine geringere Stückzahl produziert werden, damit wesentlich mehr Zeit zum Lernen bliebe. Eine Arbeiterin sah allerdings die Werker in der Pflicht, diese Tatsache zu überdenken, da sie ihrer Meinung nach die Arbeit

316 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 und G3 23.09.1976 II ab 37:48 Min. 317 FÜLLSACK, MANFRED 2009, Arbeit, S. 77; MILLS, Charles Wright: White collar. The American middle classes, New York 71971, S. ixf. 318 Vgl. Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 und G2 12.08.1976 ab 19:48 Min. oder Digitalisat VW-SZ G4 und G2 26.08.1976 I ab 40:10 Min. 319 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 und G4 28.10.1976 II ab 57:32 Min. 320 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G3 29.10.1976 I ab 46:54 Min. und G1: Digitalisat VW-SZ G1 und G4 28.10.1976 II ab 55:40 Min.

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falsch einteilten, sich wegen der zu erbringenden Stückzahl unter zu großen Druck setzten und daher den Lernprozess falsch verstanden: Arbeiterin G3: „Ich glaube wir haben da vielleicht irgendwie ’ne falsche Vorstellung von dem Lernprozess. […] Das heißt so zu arbeiten, dass wir humanisieren und nicht reinhauen wie die Verrückten und abends kaputt sind, nur damit wir eben gut dastehen.“ 321

Sie plädierte für ein Umdenken bezogen auf die Produktion von Stückzahlen und die damit verbundene Arbeitslast. Anstatt sich „kaputt“ zu arbeiten, sollte die Gruppe lieber „humanisieren“, sprich so viel wie möglich zu arbeiten ohne sich zu überlasten. Ebenso wird offensichtlich, dass die Wissenschaftler die Qualifizierung der Werker positiver sahen als die Werker selbst. Dies belegt eine Diskussion zwischen Werkern und einem Wissenschaftler über den Vergleich zwischen Band- und Gruppenarbeit. Während der Wissenschaftler die Gruppenarbeit aufgrund der ganzheitlichen Arbeit und höheren Qualifizierung lobte, war dies für einen Arbeiter gar nicht ausschlaggebend: Arbeiter G2 (spricht lauter): „Was hab ich denn davon, wenn ich mich qualifiziere und komm nach Hause und fall ins Bett? Ich bin fertig.“322

Für die Arbeiter hatte ihre Qualifizierung also klare Grenzen. Des Weiteren lehnten Arbeiter Innovationen ab, wenn aus ihrer Sicht die Bezahlung für die geleistete Arbeit nicht ausreichend war. Es gab erst im April 1977, knapp 8 Monate vor Beendigung der Gruppenarbeit, eine Einigung in der Lohnkommission und somit die Lohneingruppierung der Gruppenarbeiter.323 Das rief Widerstand bei den Arbeitern hervor: Arbeiter G2: „Es gibt keine Stückzahlen, solange wir nicht wissen, wie viel Geld wir kriegen.“324

Demnach einigte sich die Gruppe 2 darauf, weniger als die geforderte Stückzahl zu produzieren, um Druck auf den Betrieb auszuüben. Dies demonstriert, dass die Werker nicht willens waren, ohne eine korrekte Bezahlung und ein Entgegenkommen der Betriebsleitung angemessen zu produzieren und hierfür die ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nutzten. Etwas weniger drastisch ging Gruppe 4 vor, die nur das „Nötigste“, also die geforderte Mindeststückzahl produzierte, bis eine einheitlich festgelegte Stückzahl ohne flexible Grenze nach oben beschlossen wurde.325 Sie baute daher nicht mehr als 25 Motoren am Tag und setzte sich bei den Vorgesetzten dafür ein, eine bindende Stückzahl zu bestimmen, so dass die Werker nicht weiter unter Druck standen. Der Kampf um Lohn als ange321 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit 29.10.1976 I ab 51:52 Min. 322 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei 07./08.09.1976 II ab 33:59 Min. 323 GRANEL, MICHAEL 1980, Gruppenarbeit, S. 38. 324 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei 12.08.1976 ab 15:06 Min. 325 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei 07./08.09.1976 I ab 01:53:46 Min.

bei VW Digitalisat VW-SZ G3 VW Digitalisat VW-SZ G4 und G2

VW Digitalisat VW-SZ G1 und G2 VW Digitalisat VW-SZ G4 und G2

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messene Bezahlung für die geleistete Arbeit war also ein grundlegendes Anliegen der Arbeiter und wurde bei VW insbesondere in den 1960er und 1970er Jahren intensiv geführt.326 Gleichfalls wie bei den Industrieroboter-Projekten nahmen die Arbeiter die Neuerungen nicht an, wenn sich der Arbeitsplatz dadurch in ihren Augen verschlechterte oder sich die Belastung erhöhte. Arbeiter G2: „An dem Wagen bei der Gruppenarbeit […] da kann ich gar nichts mehr. Nicht mehr rauchen, gar nichts mehr. Da bin ich nur noch am Motor […] Da hab ich nur den einen Motor, der mir eingeimpft wurde, den hab ich dann nur im Kopf … da überlege ich dann auch nicht mehr.“327

Die Gruppen verfügten im Gegensatz zur Arbeit am Band über weniger Zeit, kleine Pausen einzulegen oder mit Kollegen zu reden, da sie sich zu sehr auf den Motorenbau konzentrieren müssten und durch die hohe Stückzahl auch nicht in der Lage seien, Arbeitszeit herauszuholen. Analog zu den Industrieroboter-Projekten entschied auch das Arbeitsklima in der Gruppenarbeit, ob die Arbeiter sich in die neuen Arbeitsstrukturen einbrachten. Dies bezog sich allerdings nicht auf das Verhältnis zu den Vorgesetzten, sondern vor allem auf ein harmonisches Miteinander innerhalb der Gruppe. Gruppensprecher 3 sorgte nämlich bei den anderen Gruppen für Unmut, da er sich „zu schnell aufregt“ und bei Kritik „gleich hochgeht“.328 Er argumentierte nach Auffassung der anderen Gruppensprecher kaum sachlich. „Nur seine Argumente sollen […] anerkannt werden, andere gelten ja nicht.“329 Somit akzeptierte Gruppensprecher 3 die Ansichten der anderen Gruppen nicht und verlor bei Meinungen, die von seiner abwichen, die Fassung. Er versuchte nach Ansicht der anderen Gruppen seine Meinung durchzusetzen und „diktiere“ den anderen Gruppenarbeitern, wie das Projekt zu laufen habe. Die Gruppe 1 verstand das nicht unter Gruppenarbeit und bewertete sein Verhalten demgemäß als unproduktiv und unkooperativ.330 Aus diesem Grund gestaltete sich eine gruppenübergreifende Zusammenarbeit schwierig, was die Gruppen allerdings bei Entscheidungen im ÖSPZ gegenüber den Vertretern der Werksleitung in manchen Fällen schwächte.331 Vor allem an der Gruppe 3 lassen sich die Auswirkungen eines schlechten Arbeitsklimas nachweisen. Dieses war in der Gruppe häufig angespannt, gereizt und von Aggressionen geprägt. Es gab andauernde „Reibungspunkte“ und es fehlte die Möglichkeit einer sachlichen Aussprache. „Derjenige, der am meisten pol326 BIRKE, PETER 2007, Wilde Streiks im Wirtschaftswunder, S. 65 und S. 118f. 327 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G4 und G2 07./08.09.1976 II ab 32:41 Min. 328 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 09.03.1976 II ab 30:27 Min. 329 Ebd. ab 30:36 Min. 330 Ebd. ab 30:27 Min. 331 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G2, G4, G1, G3 21./22.04.1976 II ab 30:11 Min. und 01:15:01 Min.

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tert und am lautesten ist, der hat auch meistens das Wort“, beklagte sich ein Arbeiter.332 Daher war die Gruppe zeitweise handlungsunfähig, die Lust an der Arbeit ging bei einigen Mitgliedern verloren und die Gruppe zerfiel in kleine Splittergruppen. Infolgedessen mussten die Arbeiter in Gruppe 3 wesentlich häufiger ihren Gruppensprecher wählen beziehungsweise bestätigen als die anderen Gruppen, da immer wieder Mitglieder Probleme mit der Führung der Gruppe und dem Verhalten des Gruppensprechers hatten. Das Arbeitsklima hing zum einen mit dem bestimmenden Verhalten des Gruppensprechers zusammen, der andere Meinungen als seine eigene nur schwer akzeptieren konnte und zum anderen mit der Gruppe selbst, welche die Tendenz hatte, Verantwortung für Probleme nicht gemeinsam zu tragen, sondern die Schuld für Missstände häufig bei den Schwächsten der Gruppe suchte. Der raue Ton innerhalb der Gruppe kann an folgendem Beispiel eines Gruppengesprächs verdeutlicht werden: Arbeiter G3 zu Gruppensprecher 3: „Spinner […] du hast doch einen am Pony.“

Der Gruppensprecher 3 hingegen beschrieb die Gruppe als Trümmerhaufen, mit dem man nicht arbeiten könne. Arbeiter G3: „Du bist doch der größte Trümmer im ganzen Haufen, du Pfeife.“ 333

Die Gruppenmitglieder beschuldigten sich gegenseitig, für den desolaten Gruppenzustand verantwortlich zu sein und einige Gruppenmitglieder äußerten die Beobachtung, dass man aufs „Nebengleis geschoben“ werde, wenn sie abweichende Meinungen vertraten.334Auf die Frage der Wissenschaftler, warum diese Gruppe sich von den anderen unterscheide, fiel die Antwort eindeutig aus: „Wir haben eine Frau in der Gruppe. Keine andere Gruppe hat ’ne Frau.“335 Hieran verdeutlicht sich, dass die Gruppe sich wieder auf das schwächste ihrer Mitglieder als Grund für den geringen Gruppenzusammenhalt bezog. In mehreren Gruppengesprächen diskutierten die Gruppen die angenommene Leistungsschwäche der Arbeiterin. Arbeiter G3: „Ich habe nichts gegen Frauen, aber […] ich glaube kaum, dass eine Frau das Pensum immer bringen kann […] Sie kann Schreibarbeit machen oder Vormontage, aber nicht das Pensum […] oder einen vollen Mann ersetzen in Montage oder Einlaufen […] Das ist viel zu schwer für eine Frau.“336

So trauten ihre männlichen Kollegen der Arbeiterin nicht zu, ebenso leistungsfähig zu sein wie sie. Daher sollte sie leichtere Arbeiten erledigen, etwa Bestellungen tätigen oder die Vormontage eines Motors. Die Gruppenarbeiter fanden es 332 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ Gruppengespräche 24./25.05.1976 II ab 08:34 Min. 333 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 und G3 07./08.09.1976 II ab 01:31:32 Min. 334 Ebd. ab 01:36:44 Min. 335 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G3 und G4 07.10.1976 I ab 08:26 Min. 336 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ Gruppengespräche 24./25.05.1976 II ab 01:53:13 Min.

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unsinnig, dass sie Sachen lerne, „an denen sie nachher sowieso nicht bestehen kann.“337 Dies entsprach dem vorherrschenden Geschlechterbild der Zeit. Frauen sollten leichtere Tätigkeiten ausüben, wohingegen Männer schwere körperliche Arbeiten ausführten. Darüber hinaus war es in den westdeutschen Betrieben in den 1970er Jahren Usus, dass Frauen „hinsichtlich Entlohnung, Autorität, Qualifikation und Wertschätzung ihrer Tätigkeit[en]“ hinter ihren männlichen Kollegen zurückstanden.338 Diese Tatsache hatte eine lange Tradition. Auch in den Betrieben der Weimarer Republik wurden mehrheitlich Frauen bei der Fließbandarbeit eingesetzt, da sie günstige und zahlreich verfügbare Arbeitskräfte waren. 339 Üblicherweise gab es eine geschlechtsspezifische Trennung an den Arbeitsplätzen in der Produktion, welche durch die Arbeiterin in der Gruppe allerdings zunächst aufgehoben schien.340 Doch auch andere Studien zur Gruppenarbeit belegten, dass Gruppenarbeiterinnen von ihren männlichen Kollegen meist die Ausübung körperlich leichter oder kommunikativer Tätigkeiten zugewiesen bekamen. 341 Die geschlechterspezifische Arbeitstrennung blieb also weitgehend in der Gruppenarbeit intakt. Die Arbeiterin setzte sich gegen die Vorwürfe ihrer Gruppe zur Wehr: Arbeiterin G3: „Warum sollte ich mich daran nicht auch versuchen? Bin ich ein minderwertiger Mensch oder was?“342

Aus ihrer Aussage ist die von ihr empfundene Diskriminierung herauszulesen genauso wie die Absicht, ihr Möglichstes zu versuchen, um in der Gruppenarbeit zu bestehen: Arbeiterin G3: „Ich habe mich zur Gruppenarbeit gemeldet […] weil ich mich und meinen Körper mal so richtig einsetzen will und nicht nur als Frau abgetan werden, die taugt ja nur für die Vormontage. Ich will mich mal unter Beweis stellen.“ 343

Sie wollte an ihre Grenzen gehen, um zu beweisen, dass auch Frauen eine solche Arbeit leisten konnten. Doch damit war die Thematik für ihre männlichen Gruppenmitglieder noch nicht abgeschlossen. Immer wieder unterstellten sie ihr, in der Leistung der Gruppe zurück zu liegen. Das führte letztlich dazu, dass die männlichen Gruppenmitglieder in einem Gruppengespräch die Wissenschaftler aufforderten, ihnen zu sagen, ob die Arbeiterin anhand der von ihr produzierten Stück337 Ebd. ab 01:57:16 Min. 338 HAUSEN, Karin: Frauenerwerbstätigkeit und erwerbstätige Frauen. Anmerkungen zur historischen Forschung, in: Frauen arbeiten. Weibliche Erwerbstätigkeit in Ost- und Westdeutschland nach 1945, hrsg. v. Gunilla BUDDE, Göttingen 1997, S. 24f. 339 UHL, KARSTEN 2014, Humane Rationalisierung?, S. 49; HACHTMANN, Rüdiger: Rationalisierung, Automatisierung, Digitalisierung. Arbeit im Wandel, in: Geteilte Geschichte. Ost- und Westdeutschland 1970–2000, hrsg. v. Frank BÖSCH, Göttingen 2015, S. 187. 340 HAUSEN, KARIN 1997, Frauenerwerbstätigkeit und erwerbstätige Frauen, S. 25. 341 Vgl. LÜDERS, Elke/RESCH, Marianne: Gruppenbild mit Dame? Frauen in kooperativen Arbeitsstrukturen, in: Arbeiten in neuen Strukturen? Partizipation, Kooperation, Autonomie und Gruppenarbeit in Deutschland, hrsg. v. Jürgen NORDHAUSE-JANZ, München u. a. 2000, S. 70. 342 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ Gruppengespräche 24./25.05.1976 II ab 02:01:28 Min. 343 Ebd. ab 02:01:32 Min.

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zahlen leistungsschwach sei. Tatsächlich wurde ihre Leistung nun offen vor den anderen Mitgliedern diskutiert.344 Obwohl die Wissenschaftler anhand der Anzahl der von ihr gebauten Motoren belegen konnten, dass die Arbeiterin im Durchschnitt der Gruppe lag, bestritten das einige Gruppenmitglieder weiterhin. Sie brächte diese Leistung nur, weil ihr andere halfen: Gruppensprecher 3: „Das Fräulein […] macht ja gar keine Pause, sondern arbeitet die Pausen durch […] deshalb ist sie in der Lage die 4 ½ Motoren zu bauen, obwohl ihr vom Meister […] und Kollegen geholfen wird.“345

Die Bezeichnung Fräulein drückt seine Geringschätzung aus. Zudem verschwieg der Gruppensprecher bei seiner Aussage, dass auch andere Gruppenmitglieder die Pausen durcharbeiteten, um ihr Pensum zu erreichen. Die beschuldigte Arbeiterin hingegen meinte, dass sie nicht von ihrer eigenen Gruppe Unterstützung erhalte, sondern von Gruppe 4, in der überwiegend migrantische Arbeiter waren: Arbeiterin G3: „Ich war da alleine im Nest […] Da kam noch einer aus der Gruppe 4 hinzu und half mir, wo bei euch im Nest mit 4 Mann an einem Motor gebaut wurde, da hat der Berater […] darauf hingewiesen und hat gesagt: ‚Seht mal das ist Kollegialität. Da bauen sie mit vier Mann an einem Motor und auf der anderen Seite kurbelt immer noch ’ne Frau alleine rum kurz vor Feierabend.ʻ“346

Die Arbeiterin fühlte sich von der eigenen Gruppe gemobbt und ausgeschlossen. Allerdings geht aus ihrer Aussage gleichermaßen hervor, dass sich die im Betrieb häufig marginalisierten Sozialgruppen wie Frauen und migrantische Arbeiter, aus denen die Gruppe 4 hauptsächlich bestand, untereinander im Projekt unterstützten. Schließlich eskalierte die Situation so weit, dass die Arbeiterin sich gezwungen sah zum Betriebsrat zu gehen. Arbeiterin G3: „[…] musste ich leider – ich sage leider – einmal zum Betriebsrat gehen, um mir Rat und Schutz zu holen, weil es da um mich ging. Ich wurde in der Gruppe angegriffen und es war für mich nicht möglich diesen Angriff in der Gruppe allein abzuwehren.“347

Erst durch die Intervention der Vorgesetzten und des Betriebsrates konnte das Mobbing zumindest eingedämmt werden. Aber nicht nur die Arbeiterin zog der Gruppensprecher für den schlechten Gruppenzustand zur Verantwortung, sondern auch das Institut aus Zürich. So kritisierte er, dass die Gruppen – obwohl sich die Arbeiter zu diesem Zeitpunkt nicht alle kannten – sich frei hätten zusammensetzen können und die Arbeiter nicht etwa vom Betrieb ausgesucht und eingeteilt worden seien.348 Letztlich argumentierte er gegen die eigene Entscheidung zur Gruppenfindung und das Zugeständnis des Betriebes, den Arbeitern den Freiraum 344 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 und G3 07./08.09.1976 II ab 01:01:50 Min. 345 Ebd. ab 01:05:28 Min. 346 Ebd. ab 01:07:12 Min. 347 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ Gruppengespräche 24./25.05.1976 II ab 01:19:54 Min. 348 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G3 und G4 07.10.1976 I ab 18:13 Min.

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zur Findung der Gruppen zu gewähren. Hier treten die Ambivalenz und situationsabhängige Motivationslage der Arbeiter erneut hervor. Je nach dem jeweiligen Nutzen priorisierten die Werker ihre Rationalitäten unterschiedlich. Es ist demnach festzuhalten, dass auch dem Arbeitsklima und einer funktionierenden Gruppe große Bedeutung für den Erfolg der Gruppenarbeit zukam. Eine gemeinsame Entscheidungsfindung war elementar, fehlte diese, führte dies unweigerlich zu Problemen und zu Ressourcen- und Zeitverlust. So mussten die Gruppen etwa entscheiden, ob sie einen Meister in die Gruppe aufnehmen wollten oder nicht. Die Gruppen 1, 2 und 4 entschieden sich dafür, da sie bereit waren, Aufgaben abzugeben und sich zudem dadurch mehr Sicherheit beim Arbeiten erwarteten. In Gruppe 3 sorgte diese Entscheidung wieder für eine Spaltung der Gruppe. Der Gruppensprecher 3 sprach sich zusammen mit einigen anderen Gruppenmitgliedern vehement gegen einen Meister in der Gruppe aus, da dieser „Handlanger des Unternehmers“ sei und er versuchte dahingehend Druck auf die Gruppenmitglieder auszuüben. Die Wissenschaftler erkannten das Problem und ließen die Gruppe anonym darüber abstimmen, ob ein Meister in die Gruppe aufgenommen werden sollte oder nicht. Das Ergebnis fiel mit 5 Ja-Stimmen, 2 Nein-Stimmen und 2 Enthaltungen deutlich zugunsten des Meisters aus.349 Dies zeigt, dass eine freie Meinungsäußerung in der Gruppe 3 kaum möglich war und der Gruppensprecher durch sein bestimmendes Auftreten die Gruppensolidarität und den Gruppenzusammenhalt gefährdete. Vor allem der Kampf um die Durchsetzung des von der Gruppe 3 konzipierten Montagewagens führte zu einer Zweiteilung der Gruppe, wobei ein Teil der Gruppe diesen „Kampf“ nicht in der gleichen Weise und nicht mit der Vehemenz bestreiten wollte, wie der andere Teil der Gruppe dies beabsichtigte: Arbeiter G3 (schreit den Gruppensprecher an): „Es gibt im Werk noch keine Ecke, wo du mit deinem Schädel noch nicht drangerannt bist. Keine Ecke. […] Du legst dich mit jedem an.“350 Arbeiter II G3: „Die Geduld ist zu weit strapaziert worden. Von [dem] Konzept und seinem Bock […] Es ist letzten Endes egal, ob wir am Band oder am anderen Bock arbeiten, Hauptsache die Truppe ist noch zusammen. Was nützt uns das, wenn dein Bock da ist und die Truppe [nicht].“351

Folglich war die Gruppe bei vielen Themen gespalten und dadurch oft handlungsunfähig. Ein essenzieller Faktor für die wachsende Demotivation aller Arbeiter und somit auch für die schwindende Akzeptanz der Gruppenarbeit stellte die Unsicherheit dar, ob das Projekt nach der Versuchszeit weiterläuft. Die Arbeiter versuchten, von ihren Vorgesetzten dazu eine bindende Aussage zu erhalten, welche

349 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G3 spezial mit Muster und Betriebsrat Anlernen 11.05.1976 II ab 05:22 Min. und 11:46 Min. 350 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ Gruppengespräche 24./25.05.1976 II ab 01:21:48 Min. 351 Ebd. ab 01:29:19 Min.

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sich dieser aber immer wieder entzogen. Das führte zu einer immensen Frustration unter den Arbeitern352: Arbeiter G3 (schreit): „Man kann fragen, wen man will. Man kann den Betriebsrat anfragen, man kann den Betrieb selbst fragen, das Institut. Die […] zucken mit der Schulter, wir wissen noch nichts, keine Verhandlung gewesen, so wird man abgespeist […] Aber mal sagen, was wirklich rauskommen soll und einem Arbeiter direkt ins Gesicht zu sagen, da seid alle zu feige zu (haut auf den Tisch).“353

Das Zitat verdeutlicht, wie verärgert die Arbeiter über diese Zustände waren und wie ungern sie an ihre alten Arbeitsplätze zurückwollten. Sie hätten keine ausreichende „Absicherung“ und wollten nicht in die „Monotonie“ des Bandes zurückfallen.354 Weiterhin zeigte sich die Ohnmacht der Arbeiter, die Weiterführung der Gruppenarbeit mitzubestimmen: Arbeiter G4: „Ich habe eins festgestellt, was wir hier besprechen, das wird sich nicht ändern. Nichts, gar nichts wird sich ändern. […] egal was sie besprochen haben, kommt nicht durch.“355

Dementsprechend fühlten sich die Gruppenarbeiter in ihrer Tätigkeit im Rahmen des Projekts abgewertet und sie verloren das Interesse an den neuen Arbeitsstrukturen, da die Innovation nicht vom gesamten Betrieb mitgetragen wurde. Laut den Gruppen behandelten sie andere Meister und Kollegen außerhalb des Projektes nun anders. Sie bekämen die niedrigsten Aufgaben in den Bandarbeitsphasen zugewiesen, etwa „fegen“ und die Vorgesetzten „schikaniert[en]“ sie. Vorgesetzte am Band bezeichneten die Gruppenmontage gar als „Rumstehmontage.“356 Arbeiter G1: „Die lassen uns da Steine sammeln oder was? Die behandeln uns wie sie wollen.“357

Infolgedessen war ein wichtiger Faktor für das konstante Interesse der Arbeiter an der neuen Arbeitsstruktur, dass die Kollegen und Vorgesetzten außerhalb des Projekts ihre Leistung anerkannten. Blieb diese aus, wie oben dargelegt, wirkte sich das nachteilig auf die Arbeitsmotivation aus. Wenn die Arbeiter sich für ihre Mühen beschimpfen oder abstrafen lassen mussten, sank bei ihnen verständlicherweise die Motivation, an den Neuerungen mitzuarbeiten. Außerdem unterstellten die Werker der Betriebsleitung „Desinteresse“ am Projekt und ebenfalls wie bei den Industrieroboter-Projekten, damit nur Reklame 352 Arbeiter G3: „Wenn das Projekt mal abgeschlossen ist nach zwei Jahren […] was kriegt man dann? Kriegt man ’nen Arschtritt und sagt, so jetzt gehst Du wieder ans Band als Bandaffe.“ Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 und G3 23.09.1976 II ab 39:50 Min. 353 Ebd. ab 40:43 Min. 354 Ebd. ab 46:22 Min. 355 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G3 und G4 07.10.1976 II ab 14:42 Min. 356 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G3 09.03.1976 I ab 14:00 Min. und Digitalisat VW-SZ G1 und G2 05./06.05.1976 II ab 15:00 Min. 357 Ebd. ab 35:12 Min. und 36:54 Min.

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machen zu wollen.358 Diese Vermutung speiste sich aus der Tatsache, dass wiederholt das Fernsehen ins Werk kam, um die Gruppenarbeit zu filmen. Dafür wurden den Gruppen laut eigener Aussage auf einmal die Arbeitsanzüge ausgehändigt, die sie vorher immer vergeblich gefordert hatten. Daher frotzelten die Arbeiter aus Gruppe 2: „Fürs Prestige wird alles gemacht“ und ein anderer meinte, er bräuchte „noch einen vernünftigen Haarschnitt“ fürs Fernsehen.359 Die Annahme, dass das Projekt für die Werksleitung nur als Werbung fungierte, resultierte vor allem aus ihrer geringen Präsenz in der Produktion und daraus, dass einige Forderungen der Werker nur erfüllt wurden, wenn die Presse ins Werk kam. Die Arbeiter waren der Auffassung, dass die Unternehmensleitung die Tatsachen schönredete und die Humanisierung nicht vorantrieb: Arbeiter G4: „Das ist nur ein Glänzen bei VW. […] Bei VW muss man viel mit dem Mund arbeiten können, braucht man mit den Händen nicht viel zu machen. War schon immer so.“360

Der Arbeiter unterstellte der Unternehmensleitung, nur den Anschein einer Humanisierung wahren zu wollen und nur zu reden anstatt zu handeln. Noch ein Punkt, der sich mit der Verweigerung bei den Industrieroboter-Projekten vergleichen lässt: Die Kritik an der Humanisierung der Arbeit und der Benachteiligung von älteren Arbeitern. Daher regten sich die Werker aus Gruppe 1 darüber auf, dass ältere Arbeiter bei dem Arbeitspensum in der Gruppenarbeit nicht mehr mithalten konnten, obwohl die Betriebsleitung darauf bestanden habe, diese in die Gruppen aufzunehmen.361 Auch Gruppe 2 kritisiert diese Vorgehensweise: Arbeiter G2: „Das können vielleicht junge Leute machen, aber keine Älteren mehr. […] ich kann nicht jeden Tag so rumknüppeln. Da habens die Leute ja am Band besser. Mit 50 kommen sie vom Band weg.“362

Die Werker empfanden die Gruppenarbeit als viel zu anspruchsvoll für ihre älteren Kollegen. Sie hatte nach ihrem Verständnis daher kaum etwas mit der versprochenen Humanisierung zu tun. Folglich bezeichneten sie diese „als einen Schuss in den Ofen.“363 Darüber hinaus hatten sie das Gefühl, für wissenschaftliche Studien herhalten zu müssen, die nichts zur Erleichterung ihrer Tätigkeiten beitrügen: Gruppensprecher 4: „Wir sind nur alles Versuchskaninchen […] Humanisierung der Arbeit ist was anderes.“

358 Ebd. ab 55:43 Min.; Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ alle Gruppen nach GIAT 30.03.1977 ab 01:47:23 Min. 359 Ebd. ab 01:44:06 Min. 360 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G4 und G3 23./24.11.1976 I ab 01:34:54 Min. 361 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 und G3 09./10.11.1976 I ab 01:11:44 Min. 362 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G4 und G2 07./08.09.1976 II ab 43:27 Min. 363 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G3 29.10.1976 I ab 01:15:16 Min.

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Arbeiter als Akteure Arbeiter G4: „Irgendwann werden wir geschlachtet.“ Arbeiter II G4: „Mit der Stromzange.“364

Sie bezeichneten sich selbst als „Versuchskaninchen“, um sinnbildlich ihre Ohnmacht bezüglich ihrer Arbeitsbedingungen darzulegen. Darüber hinaus gingen sie davon aus „geschlachtet“ zu werden, also nach der Beendigung des Gruppenarbeits-Projektes auf schlechtere Arbeitsplätze in der Produktion versetzt oder gar entlassen zu werden. Warum die Werker teilweise die Humanisierung als gescheitert ansahen, hing zudem sehr stark von ihrer Erwartungshaltung ab. Dies verdeutlicht ein Gespräch zwischen Arbeitern und Wissenschaftlern: Arbeiter G2: „Ich denke Humanisierung des Arbeitsplatzes heißt Arbeit erstmal leichter, abwechslungsreicher und eventuell auch ’n bisschen langsamer. Das jeder Mann mitkommt, mit 45 oder 50 Jahren […] wie ein Mann mit 20 Jahren.“ Wissenschaftler: „Humanisierung des Arbeitsplatzes heißt aber nicht, dass es Schonarbeitsplätze werden […] Das war nie vorgesehen.“365

Während die Arbeiter hofften mit der Gruppenarbeit eine Arbeitsorganisation zu finden, in der auch ältere und leistungsgeminderte Werker bis zu ihrem Berufsende tätig sein konnten, stellte der Wissenschaftler unmissverständlich klar, dass die Gruppenarbeitsplätze keine „Schonarbeitsplätze“ seien. Auch hier sollten die Arbeiter höchste Leistungen erbringen. Ebenso wie bei den Industrieroboter-Projekten galt zudem, dass Neuerungen wie Gehörschutzwatte nach nicht bestandener Praxistauglichkeit verschmäht wurden: Arbeiter G4: „Das Ding ist Mist. Das fängt an zu jucken im Ohr und die Watte ist auch Mist, die bleibt nämlich hinten drin […] musste das mit dem Streichholz […] da raus fummeln.“ 366

Die Analyse zeigt, dass die Werker in allen Projekten Innovationen verweigerten, wenn sich dadurch nach ihrem Dafürhalten die Arbeitsbedingungen verschlechterten oder eine zunehmende Monotonie einkehrte. Dies führte zu einer fehlenden Identifikation mit der eigenen Arbeit. Überdies stellte sich in allen Projekten heraus, dass die Arbeiter unterschiedlichen Rationalitäten folgten und diese divers gewichteten. Diese Gewichtung hing von persönlichen Faktoren und vom übergeordneten Ziel ab, das die Arbeiter verfolgten. Weiterhin lehnten die Arbeiter Qualifizierung ab, wenn diese zu umfangreich war oder sie sich überfordert fühlten, Neues zu lernen. Sowohl bei der Einführung der Roboter als auch der Gruppenarbeit wurde offenbar, dass insbesondere soziale Randgruppen im Unternehmen, wie Frauen, leistungsgeminderte, ältere oder migrantische Arbeiter von der Einführung der neuen Innovationen und deren negativen Folgen betroffen waren. In 364 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G4 und G3 23./24.11.1976 I ab 01:20:39 Min. 365 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G4 und G2 07./08.09.1976 II ab 30:37 Min. 366 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G4 und G2 26.08.1976 I ab 02:09 Min.

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allen Projekten verweigerten Arbeiter die Neuerungen, wenn sie nicht mit einem gegenseitigen Nutzen für Arbeiter und Unternehmensleitung einhergingen. Einseitige Profitmaximierung führte zur vehementen Ablehnung der Innovation durch die Arbeiter. Darüber hinaus konnte die Analyse darlegen, dass ein unterschiedliches Verständnis von Humanisierung zwischen den Arbeitern und der Unternehmensleitung bestand. Wenn die Innovation nicht den Erwartungen der Arbeiter von Humanisierung entsprach, sahen sie diese als gescheitert an. Generell verschmähten die Werker unpraktischen Arbeitsschutz, wenn dieser sie bei der Ausübung ihrer Tätigkeiten einschränkte. Bei den Industrierobotern stellte sich der durch die Betriebsleitung verweigerte Handlungsrahmen für die Arbeiter bei der Behebung und Reparatur von Störungen als ausschlaggebend für deren Weigerung die Innovation mitzutragen heraus. Allerdings zeigte sich, dass sich die Arbeiter trotz der Beschränkung ihres Handlungsraums diesen durch eigene Strategien, wie in der Theorie des Eigen-Sinns angenommen, wieder aneigneten. Dies geschah etwa durch das Sabotieren von Maschinen und die eigenständige Reparatur kleiner Störungen, obwohl dies laut betrieblicher Regeln verboten war. Weiterhin trug ein schlechtes Arbeitsklima zwischen Vorgesetzten und Arbeitern sowie zwischen den einzelnen Gruppenmitgliedern zur Arbeitsunlust und zur Ablehnung der Innovationen bei. 2.3 ZWISCHENFAZIT Die Analyse trägt zu Tage, dass es vielfache Gründe für das Gestalten und Befördern von Innovationen durch die Arbeiter gab. Aufgrund der Gewährung von Freiräumen konnten sie ihre eigenen Fähigkeiten unter Beweis stellen und eigene Ideale verfolgen. Darüber hinaus waren die Ausweitung der Tätigkeitsfelder und die Übertragung von Verantwortung wichtige Elemente zur Beteiligung der Arbeiter an den Innovationen. Dies förderte Arbeitsmotivation, Eigenverantwortung und eine stärkere Identifikation mit der eigenen Arbeit. Überdies kam dem Arbeitsklima eine entscheidende Bedeutung zu. Sowohl der Umgang der Arbeiter untereinander als auch das Verhältnis zu ihren Vorgesetzten entschieden über die erfolgreiche Implementation der Neuerungen und erwiesen sich als maßgeblich für die Motivation der Arbeiter und das Einbringen in die neuen Produktionsstrukturen. Traten hier Störungen auf, hatte das immense Auswirkungen auf die erfolgreiche Implementierung der Neuerungen. Ferner spielte die Entlastung von körperlichen Tätigkeiten eine große Rolle. Arbeiter trugen Innovationen mit, wenn sich daraus für sie Vorteile wie Gesundheitsschutz, Aufgabenerweiterung oder Arbeitsentlastung ergaben. Dann setzten sie sich für den Erfolg der Neurungen ein und halfen diese zu verbessern. Lohn als bestimmender Faktor des auf KostenNutzen-Maximierung konstruierten Akteurs der (neo-)klassischen Wirtschaftswissenschaften war indes nur ein Beweggrund für die Gestaltung von Innovation. Zur Verweigerung und Ablehnung von Neuerungen kam es indes, wenn der Handlungsfreiraum und der Verantwortungsbereich der Arbeiter beschränkt wurden. Darauf reagierten sie mit Widerstand, etwa mit der Sabotage von Maschinen

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oder dem bewusst fehlerhaften Produzieren. Außerdem setzten sie sich über bestehende betriebliche Verbote hinweg und handelten selbstständig, indem sie etwa Reparaturen an den Robotern selbst durchführten. Die Ersetzung des Menschen durch die Maschine und damit der mögliche Verlust der eigenen Arbeit führten zu extremen Formen der Ablehnung. Des Weiteren waren Dequalifizierung oder die Vereinfachung ihrer bisherigen Tätigkeiten wichtige Faktoren für die Verweigerung. Die Überforderung aufgrund der zu hoch angesetzten Lerninhalte oder durch die Formalisierung der Qualifizierung kam dem gleich. Qualifizierung hatte für die Arbeiter Grenzen. Darüber hinaus scheiterten Innovationen, wenn sie sich in der Praxis als impraktikabel oder unbrauchbar erwiesen und nur einen einseitigen Nutzen für die Betriebsleitung brachten. Zudem führten das Auseinanderreißen von sozialen Gefügen und die soziale Isolation zur Abneigung gegenüber den implementierten Produktionstechnologien. Genauso bewirkte die Verschlechterung des Arbeitsplatzes eine rigorose Boykottierung der Innovationen. Nachdem die Gründe für das Arbeiterhandeln erschlossen wurden, bleibt nun die Frage, wie der Akteur Arbeiter handelte. Es zeigt sich, dass alle Arbeiter in den HdA-Projekten das Leistungsprinzip verinnerlichten und auch selbst danach handelten. Besonders in der Gruppenarbeit wurden die Eigendisziplinierung, die Disziplinierung der anderen Gruppenmitglieder und das Ausschließen von Leistungsschwächeren offenbar, um das Ziel der geforderten Stückzahlen und den Erfolg der Arbeitsstruktur zu erreichen. Daraus ging ebenso hervor, dass die Arbeiter Solidarität unterschiedlich und situationsabhängig bewerteten: Mal als Unterstützung oder als Verzicht darauf meist in Abhängigkeit von der erbrachten Leistung. Die Identifikation als Arbeiter, also die Zugehörigkeit zu dieser Gruppe, bestimmte dennoch das Handeln der Akteure; dies belegt beispielsweise das Bestreben von Gruppe 3, als Arbeiter einen eigenen Montagewagen zu konstruieren, um mit der Planung gleichzuziehen. Darüber hinaus trafen die Arbeiter Entscheidungen anhand von Qualifikationsständen und Arbeitsmotivation ähnlich wie ihre Vorgesetzten im Betrieb. Die von Lüdtke benannten „Notwendigkeitskooperationen“ zwischen den Arbeitern zeigten sich immer wieder in der Analyse anhand der von ihnen selbst erzeugten Konkurrenzsituationen zum eigenen Gruppenvorteil oder dadurch, dass sie Vorgesetzte einschalteten, um die eigene Meinung durchzusetzen. Je nach Interessens- und Motivationslage gingen die Arbeiter Kompromisse und Kooperationen mit anderen Arbeitern ein oder lehnten diese ab. Das Verhalten der Arbeiter war, wie Lüdtke richtig beschrieb, ambivalent, widersprüchlich und situationsabhängig. In vielen Situationen ließ sich eine Überlappung der Rationalitäten und Widersprüchlichkeiten im Arbeiterhandeln nachweisen. Außerdem konnten sich Rationalitäten wandeln, wie das wachsende Bewusstsein der Arbeiter für den Schutz der eigenen Gesundheit beweist. Einige Arbeiter befürworteten die Einführung der Innovationen und andere wiederum nicht. Dies hing unter anderem mit dem neu zugewiesenen Arbeitsplatz und der Stellung des jeweiligen Arbeiters in der Produktionshierarchie zusammen. So erhielten die einen abwechslungsreichere Arbeit, wohingegen die anderen nur noch Hilfstätigkeiten ausüben durften. Ebenso wurde die Einschränkung ihres Handelns durch betriebliche Vorgaben oder Vorgesetzte

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erkennbar. Allerdings verdeutlichte die Analyse, dass diese Vorgaben und Verbote nicht das Arbeiterhandeln determinierten, sondern die Arbeiter sich, der Logik des akteurszentrierten Institutionalismus folgend, aufgrund persönlicher Präferenzen über diese hinwegsetzten. Einige Beispiele belegten sogar das notwenige Eingreifen durch Vorgesetzte, um die betrieblichen Abläufe zu gewährleisten. Die vorangestellte These, dass die Arbeiter Innovationen mitgestalteten, konnte vielfach belegt werden. Darüber hinaus zeigte sich, dass die Arbeiter durch die Meldung oder Behebung von Störungen an den Robotern oder den praxisnahen Aufbau der Produktionsanlagen der Gruppenarbeit sowie die hohe Motivation für die Arbeit den Unternehmenserfolg vorantrieben, solange der gegenseitige Nutzen der Innovation und die Gestattung von Handlungsfreiheit gegeben waren. Die Besonderheiten der Tonbandquellen und der Experteninterviews und ihr Nutzen für die Untersuchung treten deutlich hervor. Anhand von Ausrufen, Schweigen oder Brüllen ließen sich die jeweiligen Emotionen der Arbeiter wie Resignation, Wut und Verzweiflung ablesen und für die Interpretation nutzbar machen. Desgleichen ermöglichte die Verwendung dieser Quellen, die intrinsischen Motivationen der Arbeiter für ihr Handeln anhand ihrer dokumentierten Aussagen und Begründungen zu erschließen. Außerdem wurde augenscheinlich, dass sich das Handeln der Arbeiter bei VW mit dem anderer Arbeiter in unterschiedlichen Branchen und Betrieben der 1970er Jahre in einigen Themengebieten vergleichen und sich damit in größere Bezüge der bundesdeutschen Wirtschaftsgeschichte einbetten lässt. Demnach ist etwa der Verlust von Prestige aufgrund des Rückgangs schwerer körperlicher Arbeit durch die fortschreitende Automation oder die Ablehnung von unpraktischem Gesundheitsschutz, der in den 1970er Jahren von der Politik gesetzlich festgeschrieben und in den Betrieben massiv ausgebaut wurde, ein universeller Wandel.367 Ebenso waren alle Arbeiter der von der Strukturkrise betroffenen Industriezweige, wie der Automobilindustrie oder der Eisen- und Stahlindustrie in ihren Betrieben mit Rationalisierungsmaßnahmen konfrontiert und teilten diesen Erfahrungsraum.368 Überdies zeigte sich, dass das HdA-Programm den Arbeitern in Gestaltungsprojekten neuen Handlungsspielraum gewährte und dieser von den Arbeitern im Rahmen der Gruppenarbeit auch vollumfänglich ausgefüllt wurde. Dies kann als ein Erfolg des Programms gewertet werden. Außerdem ermöglichte das Programm durch die Daten- und Interviewerhebungen von Arbeitern, ihren Arbeitsalltag und ihr Handeln darin zu bestimmen und offenzulegen. So erwiesen sich die Arbeiter tatsächlich, wie im Programmtext ausgeführt, als eigenständige und selbstbewusste Akteure.369

367 Vgl. HINDRICHS, WOLFGANG 2000, Der lange Abschied vom Malocher, S. 30f.; KLEINÖDER, NINA 2015, Unternehmen und Sicherheit, S. 261. 368 Vgl. DOERING-MANTEUFFEL, ANSELM; LUTZ, RAPHAEL 2008, Nach dem Boom, S. 118f.; BAUER, REINHOLD 2008, Ölkrisen und Industrieroboter, S. 69f. 369 BArch, B 149/27879, Forschungsaktionsprogramm zur Humanisierung des Arbeitslebens Februar 1974, S. 2.

3 ARBEITER ALS KOOPERATIONSPARTNER – INTERAKTION UND ABSTIMMUNG MIT ANDEREN BETRIEBLICHEN AKTEUREN Betrachtet das zweite Kapitel die Arbeiter in ihrer Eigenlogik und spürt ihren Handlungsmotivationen und Rationalitäten nach, richtet dieses Kapitel den Fokus auf deren Integration ins Unternehmen. Hierfür sind die Aushandlungsprozesse zwischen Arbeitern und den anderen betrieblichen Gruppen und Akteuren, wie Betriebsleitung, Vorgesetzte, Gewerkschaften und Betriebsrat relevant. Das Kapitel legt dar, wie die Implementierung neuer Arbeitsstrukturen und Produktionstechnologien im Unternehmen verhandelt wurden und welche betrieblichen Faktoren und Prozesse eine erfolgreiche Umsetzung gewährleisteten. Die im vorherigen Kapitel herausgearbeiteten Handlungsweisen der Werker bilden die Grundlage für die nun folgende Analyse, um darzulegen, aus welchen Motiven jene eine Kooperation mit den Führungsetagen des Unternehmens eingingen. Die binäre Teilung betrieblicher Aushandlung in Kooperation und Konflikt ist, in Anlehnung an neuere wirtschaftshistorische Forschungen, eine Grundannahme der Analyse und findet ihren Ausdruck in der Aufteilung der Kapitel 3 und 4, welche einerseits die Kooperation und andererseits die Konflikte in den HdA-Projekten behandeln.1 Auch das HdA-Programm stellte die Bedeutung von Kooperation im Betrieb als elementar für den Menschen und seine Arbeitszufriedenheit heraus: „Wesentlich für [den Menschen] ist es, welcher Einblick in die Bedeutung seiner Arbeit ihm eingeräumt wird, […] welche Kooperationschancen sich für ihn auf der Arbeit ergeben und welche Achtung ihm gegenüber gebracht wird.“2

Insofern spielte nach Auffassung der politischen und wirtschaftlichen Akteure die Möglichkeit zur Kooperation zwischen Arbeitern und Vorgesetzten eine erhebliche Rolle für die erfolgreiche Umsetzung der Projekte und die Einführung von Innovationen. Doch der Programmtext weist zeitgleich auch Konfliktpotenzial aus. So sollte das Programm klären, wieso Entscheidungen „nur unzureichend delegiert“ wurden, die Verantwortung in „den oberen hierarchischen Positionen“ verblieb und welche Gründe zur mangelhaften Einbeziehung der Arbeiter in die 1

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Vgl. FRANZ, Albrecht: Kooperation statt Klassenkampf? Zur Bedeutung kooperativer wirtschaftlicher Leitbilder für die Arbeitszeitsenkung in Kaiserreich und Bundesrepublik (Perspektiven der Wirtschaftsgeschichte 4), Stuttgart 2014; BENTHIN, Rainer (Hrsg.): Unternehmenskultur und Mitbestimmung. Betriebliche Integration zwischen Konsens und Konflikt, Frankfurt am Main u. a. 2008; REHLING, Andrea: Konfliktstrategie und Konsenssuche in der Krise. Von der Zentralarbeitsgemeinschaft zur Konzertierten Aktion (Historische Grundlagen der Moderne Historische Demokratieforschung 3), Baden-Baden 2011. BArch, B 149/27879, Forschungsaktionsprogramm zur Humanisierung des Arbeitslebens Februar 1974, S. 33.

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Entscheidungsprozesse führten.3 Informationsdefizite, verweigerte Teilhabe und ungenügende Abgabe von Verantwortung bargen, dem Programm folgend, Konfliktpotenzial bei der betrieblichen Umsetzung. Demnach spielte schon der Programmtext auf mögliche Kooperations- und Konfliktpotenziale und damit auf die binäre Teilung betrieblicher Austauschprozesse an, welche in diesem und dem folgenden Kapitel dargestellt werden sollen. Die Annahme der Untersuchung ist, dass sich sowohl in der gelungenen Kooperation als auch in den Konflikten die Partizipation als Schlüsselelement herausstellte. Wenn die Einbindung und die Teilhabe der Arbeiter in den Projekten gewährleistet wurden, gelang die Kooperation. Blieb sie hingegen verwehrt, brachen Konflikte aus. Diese konkreten Kooperationen und Konflikte fanden in diversen Themenfeldern ihren Ausdruck, die in den jeweiligen Unterkapiteln dargelegt werden. So standen Vertrauen und gemeinsame Zielvorstellungen von Rationalisierung auf der einen Seite Misstrauen und verweigerter Mitsprache auf der anderen Seite entgegen. Durch die detaillierte Analyse ist es möglich, die konkreten Aushandlungsprozesse greifbar zu machen und den Erfolg oder Misserfolg der HdA-Projekte aufzuzeigen, die maßgeblich von der gelungenen oder gescheiterten Kooperation der Akteursgruppen im Unternehmen abhingen. Es ist eine Besonderheit dieser Arbeit, die konkreten Kooperationsprozesse im Betrieb mit Hilfe der verwendeten Quellen sichtbar machen zu können. Oftmals werden diese in den üblichen unternehmensgeschichtlichen Quellen, wie Betriebsrats- oder Vorstandsprotokollen, nicht fassbar. Darüber hinaus sind die betrieblichen Prozesse in den historischen Kontext einzubetten und die gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Einflüsse nachzuzeichnen, denen das Unternehmen und somit die Akteursgruppen in den 1970er Jahren unterlagen. Um die Kooperation auf betrieblicher Ebene zu dieser Zeit und innerhalb des HdA-Programms verstehen zu können, ist es notwendig, einen Blick auf die Geschichte des Korporatismus und der Arbeitsbeziehungen in der BRD zu werfen. Der bundesdeutsche Korporatismus hat eine lange Tradition, deren Anfänge bis ins Kaiserreich zurückreichen.4 Eine Hochphase dieses Korporatismus stellte die Gründung der Zentralarbeitsgemeinschaft der industriellen und gewerblichen Arbeitgeber und Arbeitnehmer Deutschlands (ZAG), nach Beendigung des Ersten Weltkrieges, zu Beginn der Weimarer Republik im November 1918 dar.5 Die ZAG war eine Institution, in der Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände und Politiker gemeinsam Lösungen für die Überwindung der Nachkriegszeit, die Zurückdrängung sozialistischer sowie kommunistischer Bestrebungen und den Aufbau der Wirtschaft zu finden suchten. Die Gründung der ZAG stellte die industriellen Beziehungen auf eine neue Grundlage.6 So wurden die Gewerk3 4 5 6

Ebd., S. 36. REHLING, ANDREA 2011, Konfliktstrategie und Konsenssuche in der Krise, S. 43ff. Ebd., S. 59. HAUßER, Christian: Amerikanisierung der Arbeit? Deutsche Wirtschaftsführer und Gewerkschaften im Streit um Ford und Taylor (1919–1932), Stuttgart 2008, S. 41f.; FELDMAN, Gerald/STEINISCH, Irmgard: Industrie und Gewerkschaften 1918–1924. Die überforderte Zentralarbeitsgemeinschaft (Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 50), Stuttgart 1985, S. 93.

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schaften erstmalig als „berufene Vertreter der Arbeiterschaft“ vom Staat und den Arbeitgeberverbänden anerkannt. Nach dem Zweiten Weltkrieg fand dieser Korporatismus unter anderem Ausdruck im neu definierten Konzept der Sozialpartnerschaft.7 Auch wenn die sozialpartnerschaftliche Idee bis in die 1920er Jahre zurückreicht, erlangte sie in der Nachkriegszeit ab 1950 eine besondere Popularität und damit einhergehend eine inhaltliche Neukonturierung. Der Begriff „Partnerschaft“ fand sowohl in der Beschreibung der industriellen Beziehungen Anwendung, als auch im betrieblichen Sozialraum.8 Die Sozialpartnerschaft bezieht sich daher in der Analyse nicht nur auf die bundesdeutsche Wirtschaftsordnung respektive das Tarifsystem, sondern auch auf die Beschreibung der industriellen Beziehungen an sich und die Anwendung im betrieblichen Raum, also in den Sozialbeziehungen zwischen Beschäftigten und Unternehmensleitung.9 Sie war ein kooperatives, von Politik, Verbänden und Experten in den 1950er Jahren neu interpretiertes Konzept zur Regulierung der Arbeitsbeziehungen insgesamt, das die Unternehmensführung und die Betriebsordnung in direkten Zusammenhang mit der überbetrieblichen gesellschaftlichen Ordnung brachte. Der Betrieb war somit mitnichten ein privater Raum, sondern ein eminent politischer Ort.10 Zwischen 1966 und 1977 zeigte sich der Korporatismus vor allem in der Konzertierten Aktion, dem Vorläufer des HdA-Programms. Auch sie war ein kooperatives Gremium, welches sich aus Politikern, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden zusammensetzte.11 Es diente dem Interessensausgleich der wirtschaftlichen Akteure und der gemeinsamen Lösungsfindung bestehender ökonomischer Probleme, wie der Abwendung der Rezession 1966/67, des Zusammenbruchs des Währungssystems von Bretton Woods, der Bewältigung des Strukturwandels und der Erneuerung der Wirtschaftsordnung im Zeichen gesellschaftlicher Aufbrüche, etwa der Studentenbewegung.12 Wie viel Bedeutung die Teilnehmer der Konzertierten Aktion der Kooperation und dem Konzept der Sozialpartnerschaft beimaßen, wurde daran deutlich, dass sie in beiden Elementen den Grund für die vergleichsweise gute wirtschaftliche Performanz der BRD in der Weltwirtschaftskrise im Gegensatz zu anderen westlichen Industrienationen sahen und sie zum Fundament des „Erfolgsmodells Deutschland“ erklärten.13 Auch hieran zeigt sich, dass das Gelingen von Kooperation im Betrieb eng mit der gesellschaftlichen Ordnung verbunden war. Dies offenbart sich genauso am Beispiel der Arbeitskämpfe und Streiks im Vergleich zu anderen europäischen Ländern. Folgten auf die Krise in Großbri7 8 9 10 11

REHLING, ANDREA 2011, Konfliktstrategie und Konsenssuche in der Krise, S. 258f. FRANZ, ALBRECHT 2014, Kooperation statt Klassenkampf, S. 67. Ebd., S. 67. LUKS, TIMO 2010, Der Betrieb als Ort der Moderne, S. 55f. REHLING, Andrea: Die konzertierte Aktion im Spannungsfeld der 1970er Jahre. Geburtsstunde des Modells Deutschland und Ende des modernen Korporatismus, in: „Nach dem Strukturbruch“? Kontinuität und Wandel von Arbeitsbeziehungen und Arbeitswelt(en) seit den 1970er-Jahren, hrsg. v. Knud ANDRESEN/Ursula BITZEGEIO/Jürgen MITTAG, Bonn 2011, S. 66. 12 Ebd., S. 74ff.; BUCHHEIM, CHRISTOPH 2001, Vom alten Geld zum neuen Geld, S. 141f. 13 REHLING, ANDREA 2011, Die konzertierte Aktion im Spannungsfeld der 1970er Jahre, S. 83.

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tannien massive Arbeitskämpfe, welche die Wirtschaft zusätzlich schwächten, zeigte sich der bundesdeutsche Korporatismus krisenresistenter und stabiler.14 So hatte die BRD, ebenso wie Schweden und die Schweiz mit ihren Formen der Sozialpartnerschaft, im internationalen Vergleich niedrige Streikziffern und eine geringe Radikalität der Arbeitskämpfe zu verzeichnen.15 Damit erhielten die betriebliche Kooperation und die Bedeutung sozialer Beziehungen im Betrieb als kleinste Einheit und als praktischer Umsetzungsort der Sozialpartnerschaft immense Bedeutung in der Krisenzeit der 1970er Jahre. Durch die Sozialpartnerschaft stand die Unternehmensführung in direkter Verbindung zur überbetrieblichen, politisch-gesellschaftlichen Ordnung insgesamt, da die betrieblichen Aushandlungsprozesse zwischen den Akteuren, wie Unternehmensleitung und Gewerkschaften, Aus- und Rückwirkungen auf die politischen Vereinbarungen von Interessenvertretungen und -verbänden sowie den Staat und das gesellschaftliche Klima hatten. Der Betrieb war also kein eigenständiger, von äußeren Einflüssen weitgehend abgekapselter Nukleus, sondern in vielfältiger Weise mit der Gesellschaft und der Politik verbunden, was sich in der Konzeption des HdAProgramms und in den Annahmen des Neo-Institutionalismus widerspiegelt.16 Damit folgt die Analyse der These des Historikers Timo Luks, der konstatierte, dass der Betrieb „Brennpunkt und Katalysator“ der gesellschaftlichen Entwicklungen und Verwerfungen war und seine Gestaltung auch Effekte auf die Ordnung der Gesellschaft hatte.17 Die relative Stabilität der bundesdeutschen Industriegesellschaft nach dem Zweiten Weltkrieg beruhte im Wesentlichen auf dem ökonomischen Erfolg durch die fordistische Massenproduktion, welche das „Wirtschaftswunder“ mit beförderte und auf dem daraus resultierenden, wachsenden materiellen Wohlstand aller Bevölkerungsschichten aufbauenden sozialen Kompromiss, der staatlich reguliert und garantiert wurde.18 Die in den 1970er Jahren eintretende Strukturkrise und der Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft stellten diesen Kompromiss jedoch auf die Probe. Es entschieden vor allem die Flexibilität und Wandlungsfähigkeit des vorhandenen Institutionengefüges und die Konsens- und Kompromissbereitschaft der relevanten gesellschaftlichen Akteure darüber, ob die Veränderungsprozesse eher konfliktreich oder konsensual verliefen.19 Durch die Krise der 1970er Jahre kam es aufgrund einer geringeren Umverteilung der im Wirtschaftsprozess erzeugten Ressourcen, Massenentlassungen und Kürzung der Sozialleistungen zu einem Vertrauensverlust gegenüber der Politik. Gleichermaßen gerieten wegen der Krise 14 Ebd., S. 84. 15 BERGHOFF, HARTMUT 2016, Moderne Unternehmensgeschichte, S. 241; LUND, Reinhardt: Arbeitsbeziehungen in Skandinavien, in: Handbuch der Arbeitsbeziehungen. Deutschland, Österreich, Schweiz, hrsg. v. Günter ENDRUWEIT u. a., Berlin 1985, S. 449ff. 16 SCOTT, WILLIAM 1994, Institutions and Organizations, S. 73f. 17 LUKS, TIMO 2010, Der Betrieb als Ort der Moderne, S. 266. 18 HEISIG, Ulrich: Vertrauensbeziehungen in der Arbeitsorganisation, in: Interpersonales Vertrauen. Theorien und empirische Befunde, hrsg. v. Martin SCHWEER, Opladen u. a. 1997, S. 121. 19 Ebd., S. 121.

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die industriellen Beziehungen mit ihrer Ausgleichsfunktion in Bedrängnis. 20 Folglich wurde Vertrauen als gemeinsame Handlungsorientierung gerade zu einem Zeitpunkt herausgefordert, an dem es als Voraussetzung für einen erfolgreichen Umbau der Gesellschafts- und Sozialordnung unverzichtbar war. Als notwendige Aufgaben der Sozialpartner im wirtschaftlichen Umwandlungsprozess stellten sich daher die Aufrechterhaltung oder Wiedergewinnung des Vertrauens und damit das Gelingen einer Kooperation in der Krisensituation heraus. 21 Dieser Prozess wurde ebenso auf der Mikroebene des Betriebs verhandelt, indem es galt, das Vertrauen und den Interessenausgleich aller betrieblichen Akteure aufrechtzuerhalten und dauerhaft zu gewährleisten, um die wirtschaftlichen Anpassungsprozesse erfolgreich zu meistern. Als ein Instrument zur Bewältigung dieser Krise erschien den politischen Akteuren und den Mitgliedern der Konzertierten Aktion das HdA-Programm. Mittels dieses Programms sollte der Ausgleich in den industriellen Beziehungen insbesondere auf Betriebsebene erzielt werden. Es diente dazu, die Tarifpartner, den Staat und die Arbeiter in die Überwindung der Krise einzubinden und in Verhandlung treten zu lassen. Aber das HdA-Programm war nicht nur Teil des bundesdeutschen Korporatismus und eine Antwort auf die gesellschaftliche und wirtschaftliche Umbruchsituation, sondern auch ein Mittel zur Eindämmung des Sozialismus. Dies kann zum einen an der Verwendung des Begriffs Humanisierung seit den 1950er Jahren nachvollzogen werden und zum anderen am Programmtext selbst sowie an den mannigfaltigen Förderungsmaßnahmen der bundesdeutschen Regierungen in den 1970er Jahren für die „Humanisierung der Arbeit“. Es folgt zunächst die Herleitung des Begriffs Humanisierung aus den bundesdeutschen Diskussionen um das politisch-wirtschaftliche System der 1950er Jahre und seine Bedeutung darin. Jene Diskussionen drehten sich um die Abgrenzung zum Sozialismus in der DDR und die Legitimierung des kapitalistischen Wirtschaftssystems. Die industriellen Beziehungen hatten hierbei große Relevanz. Im Gegensatz zur BRD war in der DDR das „Recht auf Arbeit“ in der Verfassung festgeschrieben. Die Arbeiter in der DDR waren praktisch unkündbar und mussten daher Arbeitslosigkeit sowie die damit einhergehenden Existenzängste aufgrund von wirtschaftlichen Krisenerscheinungen nicht fürchten.22 In der BRD hingegen bauten die Regierungen das Sicherheitssystem für den Fall der Erwerbslosigkeit, die innerbetrieblichen Mitbestimmungsrechte und die staatliche Sozialpolitik aus.23 Es ging in den 1950er Jahren darum, die industriellen Beziehungen neu zu definieren. Während in der 20 MÜLLER, SEBASTIAN 2016, Der Anbruch des Neoliberalismus, S. 174f.; SCHMIDT, Manfred/OSTHEIM, Tobias: Vom Ausbau zur Konsolidierung: Sozialpolitik von der sozialliberalen Koalition bis zur Wiedervereinigung, in: Der Wohlfahrtsstaat. Eine Einführung in den historischen und internationalen Vergleich, hrsg. v. Manfred SCHMIDT, Wiesbaden 2007, S. 168f. 21 HEISIG, ULRICH 1997, Vertrauensbeziehungen in der Arbeitsorganisation, S. 124. 22 HACHTMANN, RÜDIGER 2015, Rationalisierung, Automatisierung, Digitalisierung, S. 197; BOUVIER, Beatrix: Sozialpolitik als Legitimationsfaktor? Die DDR seit den Siebzigerjahren, in: Der Sozialstaat in der Krise. Deutschland im internationalen Vergleich, hrsg. v. Friedhelm BOLL/Anja KRUKE, Bonn 2008, S. 143. 23 HACHTMANN, RÜDIGER 2015, Rationalisierung, Automatisierung, Digitalisierung, S. 197f.

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DDR letztlich der Staat über die politisch gelenkten Gewerkschaften den Verhandlungspartner der Arbeiter darstellte, wurden die Interessen der Arbeiter in der BRD durch ihre gewählten Vertretungen, also die Gewerkschaften, bei Verhandlungen mit Unternehmerverbänden und dem Staat vermittelt. In den 1950er Jahren entbrannte nun eine Diskussion in der bundesdeutschen Gesellschaft über die (Neu-)Gestaltung der industriellen Beziehungen, auch in Abgrenzung zur DDR. So wurde etwa die „soziale Betriebsgestaltung“ debattiert, die mit einem „Dreiklang von Rentabilität, Produktivität und Humanität“ einhergehen sollte.24 Die Pflege „zwischenmenschlicher Beziehungen“ und ein Austausch über die Hierarchieebenen hinweg waren in diesem Konzept elementar und zielten auf die Kooperation zwischen Arbeitern und Unternehmern ab.25 Das Konzept der Werksgemeinschaft spielte hierbei eine große Rolle. Erste historische Vorläufer davon finden sich schon in der Weimarer Republik, in der Arbeiter sogenannte Werkvereine gründeten, die „ausdrücklich die Interessengemeinschaft zwischen Unternehmer und Arbeiter“ betonten und einen „Kampf“ ablehnten.26 Folglich missbilligten diese Vereine den Klassenkampf zwischen Kapital und Arbeit und förderten eine ausgleichende Interessenpolitik.27 Der öffentliche Diskurs über Werk- und Betriebsgemeinschaft drehte sich schon damals um die Grenzen des Betriebes und die Rolle kollektiver Interessenvertretung, also die Macht von Gewerkschaften und Betriebsrat im Unternehmen.28 Im Nationalsozialismus gewann vor allem der Gemeinschaftsgedanke an Gewicht. So spiegelte sich in der Betriebsgemeinschaft nach Auffassung der nationalsozialistischen Regierung die Einheit der Volksgemeinschaft wider.29 Allerdings wurden die demokratischen Elemente der Weimarer Zeit durch „betriebsdiktatorische“ Prinzipien ersetzt. Dennoch blieben zugleich Kontinuitäten des Konzeptes bestehen. Dies zeigte sich zum einen im betrieblichen Ordnungsdenken und zum anderen an den Bemühungen den Betrieb als Nukleus zu erhalten sowie vor äußeren Einflüssen abzukapseln.30 VW ist hierfür ein gutes Beispiel. Die Leitung des staatlich geführten Unternehmens wollte durch systematische „Auslese“ und Erziehung eine homogene Betriebsgemeinschaft einer „Arbeiterelite“ schaffen.31 In der Nachkriegszeit wurde das Konzept nun abermals angepasst. Die partnerschaftliche Zusammenarbeit auf betrieblicher 24 Cattepoel, Dirk: “Die gesellschaftsordnende Aufgabe des modernen Betriebes“, in: Bundesarbeitsblatt, Nr. 11 (1955), S. 442. 25 KASTE, Hermann: Arbeitgeber und Humanisierung der Arbeit. Eine exemplarische Analyse (Forschungstexte Wirtschafts- und Sozialwissenschaften 5), Opladen 1981, S. 19. 26 VORWERCK, Karl/DUNKMANN, Karl: Die Werksgemeinschaft in historischer und soziologischer Beleuchtung (Wege zum Wirtschaftsfrieden 1), Berlin 1928, S. 1f. 27 Ebd., S. 2. 28 LUKS, Timo: Heimat – Umwelt – Gemeinschaft. Diskurse um den Industriebetrieb im 20. Jahrhundert, in: Der Betrieb als sozialer und politischer Ort. Studien zu Praktiken und Diskursen in den Arbeitswelten des 20. Jahrhunderts, hrsg. v. Knud ANDRESEN u. a., Bonn 2015, S. 85. 29 Ebd., S. 86f. 30 Ebd., S. 87f. 31 MOMMSEN, HANS; GRIEGER, MANFRED 1996, Das Volkswagenwerk und seine Arbeiter im Dritten Reich, S. 232.

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Ebene sowie die Harmonisierung der betrieblichen Sozialbeziehungen rückten wieder in den Fokus.32 So bekräftigte der neue Vorstandsvorsitzende Heinrich Nordhoff in seinen Betriebsversammlungsreden immer wieder das stabile Bestehen der Betriebsgemeinschaft als eine Art Werkfamilie, die füreinander eintrete und sorge.33 Die Hervorhebung des Faktors Mensch in den industriellen Beziehungen und die gleichzeitige Abgrenzung zur DDR finden sich darüber hinaus in der gesellschaftspolitischen Grundsatzerklärung der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) von 1953: „Nicht eine das Wesen des Betriebes mißverstehende Demokratisierung, sondern die Humanisierung, die Wahrung der Menschenwürde und die Pflege der Persönlichkeitswerte der Mitarbeiter bilden den Inhalt unserer sozialen Betriebsgestaltung.“ 34

Die BDA wendete sich gegen eine vollständige Demokratisierung der Betriebe, wie sie in der DDR propagiert wurde. Sie forderte indes eine Humanisierung, also „die Wahrung der Menschenwürde“ bei der Arbeit durch „die Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen.“35 Folglich zielte die BDA vor allem auf die Gestaltung des Arbeitsklimas, sprich die Herstellung eines Vertrauensverhältnisses zwischen Arbeitern und Betriebsleitung ab und nicht unbedingt auf den Ausbau von Mitbestimmungsrechten.36 Die große Relevanz, welche dem Betrieb in Verbindung mit der ideologischen Ost-West-Auseinandersetzung zukam, belegt erneut eine Aussage der BDA: „Der Wert einer sozialen Ordnung wird entscheidend bestimmt durch die sachlichen und menschlichen Gegebenheiten an der Arbeitsstätte […].“37

Der Betrieb war aus Sicht der Unternehmer die kleinste Einheit zur Verteidigung der demokratischen Freiheit, die nur mittels der Kooperation von Arbeitnehmern und Arbeitgebern gelingen konnte. Diese Kooperation fußte ihrer Ansicht nach auf der materiellen Ausstattung der Arbeitsstätten, also etwa dem Einsatz moderner Maschinen und auf dem Arbeitsklima, sprich den Beziehungen und dem Vertrauen zwischen Arbeitern und Vorgesetzten. Dieses Vertrauensverhältnis war elementar: „Gute menschliche Beziehungen innerhalb des Unternehmens sind die Eckpfeiler der Freiheit.“38 32 LUKS, TIMO 2015, Heimat – Umwelt – Gemeinschaft, S. 90. 33 WELLHÖNER, VOLKER 1996, „Wirtschaftswunder“ – Weltmarkt – westdeutscher Fordismus, S. 144. 34 Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Gedanken zur sozialen Ordnung, S. 13 und darüber hinaus ähnliche Formulierungen in: Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände: Jahresbericht 1952/1953, S. 14f. und Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände: Jahresbericht 1953/1954, S. 14f. 35 Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Gedanken zur sozialen Ordnung, S. 13f. 36 KASTE, HERMANN 1981, Arbeitgeber und Humanisierung der Arbeit, S. 24f. 37 Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Gedanken zur sozialen Ordnung, S. 12.

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So verteidigte jene enge Bindung aus Sicht der Arbeitgeber die demokratische Grundordnung im Betrieb und darüber hinaus. Infolgedessen „verstummt die Irrlehre des bolschewistischen Kommunismus, in welchem Gewande sie immer auftreten mag, verblaßt der Mythos des Sozialismus und des Klassenkampfes.“39 Die industriellen Beziehungen und die Sozialpartnerschaft galten demnach als essenziell, um den Kampf gegen den Sozialismus zu gewinnen. Folglich erließ die Bundesregierung 1952 auch ein neues Betriebsverfassungsgesetz, das die Partizipationsrechte der Arbeiter im Vergleich zur Weimarer Republik und damit zugleich die Sozialpartnerschaft stärkte. Dadurch und aufgrund des Wirtschaftswunders, der Vollbeschäftigung und des steigenden wirtschaftlichen Wohlstands konsolidierten sich die industriellen Beziehungen bis Anfang der 1960er Jahre. Doch infolge der zunehmenden Automation und Rationalisierung der Produktion sowie der gesundheitlichen Belastungen der Massenproduktion gerieten die Arbeitsbeziehungen erneut unter Druck. Zahlreiche gewerkschaftliche Protestaktionen und wilde Streiks der Arbeiterschaft erschütterten die BRD in den 1960er Jahren.40 Die neugewählte sozialliberale Bundesregierung 1969 sah daher eine Lösung der gesellschaftlichen Probleme in der „Humanisierung des Arbeitslebens“ – zunächst vor allem in Form eines erweiterten Arbeitsschutzes.41 In den kommenden Jahren folgten allerdings auch vermehrt Maßnahmen zur Verbesserung der Mitbestimmung der Arbeitnehmer. Ebenso wie in den 1950er Jahren novellierte die Bundesregierung das Betriebsverfassungsgesetz 1972, das Arbeitnehmern in den Betrieben mehr Teilhabe zubilligte. Zwei Jahre später verabschiedete sie das Forschungs- und Aktionsprogramm „Humanisierung des Arbeitslebens“.42 An etlichen Maßnahmen, die in der Krisensituation von der Bundesregierung durchgeführt wurden, zeigt sich, dass die Humanisierung auch in den 1970er Jahren als Mittel gegen den Sozialismus fungierte. Aufgrund der Wirtschaftskrisen und der wachsenden Arbeitslosigkeit in der BRD ab 1972 erhielt das Grundrecht auf Arbeit in der DDR neue Brisanz. Wurde in der BRD der Prozess der Rationalisierung und der Automatisierung seit den 1960er Jahren trotz möglicher negativer Folgen, wie z. B. Massenarbeitslosigkeit, angestoßen, um die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten und die Produktivität zu steigern, stand in der DDR jedem Bürger stets das „Recht auf Arbeit“ zu. Die DDR-Führung garantierte weiterhin Vollbeschäftigung, wobei jedoch der Wandel zu einer modernen Volkswirtschaft lang38 Mitteilungen des Bundesverbands der Deutschen Industrie: Entschließung des 2. internationalen Industriellenkongresses, Nr. 6 (1954), S. 3. 39 Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Gedanken zur sozialen Ordnung, S. 8 und S. 10. 40 HACHTMANN, RÜDIGER 2015, Rationalisierung, Automatisierung, Digitalisierung, S. 206; BERGHOFF, HARTMUT 2016, Moderne Unternehmensgeschichte, S. 241; SCHMIDT, Eberhard: Arbeiterbewegung, in: Die sozialen Bewegungen in Deutschland seit 1945. Ein Handbuch, hrsg. v. Roland ROTH/Dieter RUCHT, Frankfurt am Main 2008, S. 167. 41 Brandt, Willy: Regierungserklärung vor dem Deutschen Bundestag am 28.10.1976, in: Die großen Regierungserklärungen der deutschen Bundeskanzler von Adenauer bis Schröder, hrsg. v. Klaus Stüwe, Opladen 2002, S. 175. 42 KASTE, HERMANN 1981, Arbeitgeber und Humanisierung der Arbeit, S. 85.

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fristig nicht gelang.43 Dies deutete sich zu jenem Zeitpunkt für die Zeitgenossen allerdings noch nicht an. Im Gegenteil, der Sputnik-Schock 1957 und die nach außen offensiv präsentierte, massiv betriebene Technologiepolitik der DDRFührung in den 1960er und 1970er Jahren ließen die Furcht vor einem Niedergang der eigenen Wettbewerbsfähigkeit der politischen und wirtschaftlichen Akteure in der BRD wachsen.44 Daher bestanden für die bundesdeutsche Regierung sowohl der Legitimitätsdruck als auch die Notwendigkeit, auf die wirtschaftliche und gesellschaftliche Krise zu reagieren. Ein Mittel zur Krisenbewältigung stellte das HdA-Programm dar. Selbst die BDA erkannte eine Kontinuität zwischen den 1950er und 1970er Jahren, indem sie das HdA-Programm nicht als neuen Anfang, sondern „vielmehr [als] einen Ansporn, die bisherigen erfolgreichen Bemühungen um eine humane Gestaltung der Arbeit weiter fortzusetzen, zu intensivieren und der veränderten Entwicklung anzupassen“ ansah.45 Im HdA-Programm erhielt die Pflege der industriellen Beziehungen erneut erhöhte Aufmerksamkeit. So sollte es Arbeitern erweiterte Verantwortungsbereiche bei ihren Tätigkeiten und mehr persönliche Anerkennung ermöglichen sowie die sozialen Beziehungen am Arbeitsplatz stärken.46 Demnach erhielt abermals die Kooperation zwischen Arbeitnehmern und Unternehmensleitung Relevanz für die Humanisierung. Ebenso wie in den 1950er Jahren wurde die Humanisierung auf betrieblicher Ebene in den Unternehmen verankert und setzte auf Ausstrahlungsprozesse und Einwirkung in die Gesellschaft, flankiert durch neue Gesetze zur Mitbestimmung und des Arbeitsschutzes. Die gleichzeitigen Bemühungen westlicher und europäischer Industrienationen zur Humanisierung der Arbeit können als ein Beleg für die Anpassung an eine global veränderte Wirtschaftslage und möglicherweise sogar als gemeinsame Strategie zur Behauptung des Westens gegenüber den sozialistischen Staaten durch die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und des Wirtschaftswachstums gewertet werden. So beschäftigten sich die OECD und die internationale Arbeitsorganisation in den 1970er und 1980er Jahren mit Fragen der menschengerechten Arbeitsgestaltung, der Qualifizierung von Arbeitnehmern und dem Einsatz neuer

43 HACHTMANN, RÜDIGER 2015, Rationalisierung, Automatisierung, Digitalisierung, S. 234; PIERENKEMPER, Toni: Vierzig Jahre vergebliches Mühen – die Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik, in: Überholen ohne einzuholen. Die DDR-Wirtschaft als Fußnote der deutschen Geschichte?, hrsg. v. André STEINER, Berlin 2006, S. 51. 44 RADKAU, Joachim: Technik in Deutschland. Vom 18. Jahrhundert bis heute, Frankfurt am Main u. a. 2008, S. 389–393. 45 Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände: Jahresbericht 1973/1974, S. 199. 46 Ebd., S. 120.

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Fertigungstechnologien.47 Ferner enthielt das sozialpolitische Aktionsprogramm der Europäischen Gemeinschaft den Schwerpunkt Humanisierung der Arbeit.48 Doch auch aus dem HdA-Programmtext selbst geht die Verbindung von Kooperation und der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der BRD mit der gleichzeitigen Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit hervor: „Gelingt es die Entfaltungsmöglichkeiten für den arbeitenden Menschen zu erweitern […] durch kooperationsfördernde Organisationen das in jedem ruhende Potenzial an Fähigkeiten zu wecken und zu nutzen, so kann dadurch eine bisher kaum beachtete zusätzliche Quelle auch für das wirtschaftliche Wachstum erschlossen werden. In diesem Sinne kann erwartet werden, daß die Humanisierung der Arbeit in Zukunft ein wichtiger, die Wettbewerbsfähigkeit wesentlich mit beeinflussender Faktor sein wird.“49 „[…] Das im Grundgesetz verbürgte Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit wäre weitgehend eine Leerformel, wenn man die Arbeitswelt nicht mit einschließen würde. Unsere freiheitlich demokratische Ordnung sollte gerade hier entscheidende Akzente setzen.“50

Beides, die Wettbewerbsfähigkeit der BRD und die Erhaltung der demokratischen Grundordnung, sollte mit dem HdA-Programm erreicht werden. Betriebliche Kooperation und Teilhabe spielten hierbei eine elementare Rolle und waren das Fundament zur Abwehr des Sozialismus sowie zur Bewältigung der wirtschaftlichen Krisen in den 1970er Jahren. 3.1 GEMEINSAME HANDLUNGSBASIS: VERTRAUEN Ein wichtiges Grundelement zur erfolgreichen Gestaltung eines Unternehmens ist das Vertrauensverhältnis der beteiligten Akteure untereinander. Für eine gelungene Kooperation ist Vertrauen eine wichtige Voraussetzung, während Misstrauen grundsätzlich ein Hindernis für diese darstellt.51 Somit spielt Vertrauen eine bedeutende Rolle bei der erfolgreichen Einführung von Innovationen in einem Unternehmen. Gleichermaßen ist es Grundlage wirtschaftlichen Handelns. So verstehen neo-institutionalistische Ansätze das Unternehmen als Sinndeutungsgemeinschaft, in der Kooperation nicht nur auf Restriktionen, sondern auch auf dem Teilen von gemeinsamen Zielen und Regeln beruht.52 Vertrauen ist folglich eine „Übereinstimmung von Präferenzen“ und der „Verzicht auf Opportunismus“ der 47 Brenner, Karsten: Humanressourcen und Weiterbildungspolitik der OECD, in: Technischer Wandel und Qualifizierung: Die neue Synthese, hrsg. v. Peter Meyer-Dohm, Frankfurt am Main u. a. 1987, S. 33–40; Schütze, Hans: Das OECD-Forschungsprogramm „Entwicklung und Einsatz von Humanressourcen im Zusammenhang mit strukturellem und technischem Wandel“, in: Technischer Wandel und Qualifizierung: Die neue Synthese, hrsg. v. Peter Meyer-Dohm, Frankfurt am Main u. a. 1987, S. 41–59. 48 BArch, B 149/27879, Forschungsaktionsprogramm zur Humanisierung des Arbeitslebens Februar 1974, S. 3. 49 Ebd., S. 9–10. 50 Ebd., S. 5. 51 LUHMANN, Niklas: Vertrauen. Ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität, Stuttgart 31989, S. 94ff. 52 WISCHERMANN, CLEMENS 2003, Kooperation, Vertrauen und Kommunikation, S. 87.

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Akteure, obwohl keine Sanktionsmechanismen bei einem Regelverstoß bestehen.53 Es hat also eine funktionale Bedeutung im Wirtschaftsprozess und in den sozialen Arbeitsbeziehungen. Häufig wird der Begriff als „Kitt“ verstanden, der die Beziehungen von Akteuren zusammenhält und das „Schmiermittel“ wirtschaftlicher Austauschprozesse bildet.54 Damit korreliert Vertrauen stark mit dem Konzept der Sozialpartnerschaft. Vertrauen aufgrund geteilter Normen, Werte und gemeinsamer Zukunftserwartungen fungiert als Organisationsprinzip in Unternehmen und erhält somit eine verhaltenssteuernde Funktion in der Kooperation unterschiedlicher Akteure.55 Durch die vertrauensvolle Zusammenarbeit lassen sich riskante Handlungsalternativen für die Akteure kalkulieren und die Komplexität des Markthandelns wird für die Akteure auf ein überschaubares Maß reduziert.56 Häufig findet in den Wirtschaftswissenschaften nur die ökonomische rationale Komponente von Vertrauen Beachtung, das greift aber für diese Analyse zu kurz.57 Ebenso wie die Handlungsmotivation der Arbeiter nicht auf eine rein ökonomische beschränkt werden kann, ist auch die Funktion von Vertrauen im Betrieb umfassender. Daher sollen in der Untersuchung gleichfalls seine soziale Funktion, wie Fürsorge, gegenseitiges sich verpflichtet fühlen und zudem eine gewisse Abhängigkeit voneinander in den Blick genommen werden. Vertrauen ist ein wechselseitiger Prozess, der ein Zusammengehörigkeitsgefühl voraussetzt.58 Dieses Zusammengehörigkeitsgefühl hatte bei VW unter anderem seinen Ursprung in der Unternehmensführung des Generaldirektors Heinrich Nordhoff seit 1948, die patriarchalische Züge aufwies.59 Als Patriarchalismus oder Paternalismus wird in der Wirtschaftsgeschichte eine Form der Unternehmensführung des 19. und 20. Jahrhunderts bezeichnet, die darauf abzielte, qualifizierte Arbeitskräfte etwa durch freiwillige soziale Leistungen an das Unternehmen zu binden und an dessen Spitze eine starke Unternehmerfigur, der Patriarch, stand. 60 Es war ein „betriebliches Steuerungsinstrument, das Koordinations-, Integrations- und Motivationsfunktionen“ erfüllte, welches auch mit sozialer Verantwortung und moralischen Leitbildern einherging.61 Ein wichtiger Faktor war hierbei, wie oben erwähnt, die Erzeugung einer „sinnstiftenden“ Werksfamilie oder -gemeinschaft,

53 Ebd., S. 87. 54 FREVERT, Ute: Vertrauen. Historische Annäherung an eine Gefühlshaltung, in: Emotionalität. Zur Geschichte der Gefühle, hrsg. v. Claudia BENTHIEN/Anne FLEIG/Ingrid KASTEN, Köln 2000, S. 184f.; GILBERT, Dirk: Vertrauen als Gegenstand der ökonomischen Theorie. Ausgewählte theoretische Perspektiven, empirische Einsichten und neue Erkenntnisse, in: Zeitschrift für Management: ZfM 2,1 (2007), S. 61. 55 Ebd., S. 61. 56 LUHMANN, NIKLAS 1989, Vertrauen, S. 25f. 57 GILBERT, DIRK 2007, Vertrauen als Gegenstand der ökonomischen Theorie, S. 63. 58 HEISIG, ULRICH 1997, Vertrauensbeziehungen in der Arbeitsorganisation, S. 125. 59 EDELMANN, Heidrun: Heinz Nordhoff und Volkswagen. Ein deutscher Unternehmer im amerikanischen Jahrhundert, Göttingen 2003, S. 169f. 60 FRANZ, ALBRECHT 2014, Kooperation statt Klassenkampf, S. 61. 61 BERGHOFF, HARTMUT 1997, Unternehmenskultur und Herrschaftstechnik, S. 170.

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welche ebenso die Arbeiter mit einschloss.62 Bei VW war dies durch die Integrationsfigur Heinz Nordhoff, der das Unternehmen von 1948–1968 autoritär führte und die umfassenden betrieblichen Sozialleistungen gegeben, die ab den 1950er Jahren immer stärker ausgebaut wurden.63 Nordhoff pflegte „ein Verhältnis menschlicher Nähe zur Belegschaft“ und nutzte als Mittel hierfür insbesondere seine Ansprachen auf den Betriebsversammlungen.64 Darüber hinaus stellte VW, ähnlich wie die Firma Bayer, den Arbeitern unter anderem Freizeitmöglichkeiten, Wohnraum und Ausbildungsstätten zur Verfügung.65 Obwohl die Ära Nordhoff 1968 endete, kann hierdurch das im Betrieb weiter bestehende Zusammengehörigkeitsgefühl einer Betriebsgemeinschaft und die gegenseitige Verpflichtung des Managements und der Arbeiter erklärt werden.66 Die Selbstbezeichnung der Arbeiter bei VW als „Werker“ verdeutlicht dies abermals. Bis heute bietet das Unternehmen eine umfassende Sozialpolitik für seine Mitarbeiter weit über Wohnungsbau, Kindergärten und Schulen hinaus an und fördert somit eine enge Bindung der Beschäftigten an das Unternehmen. Zudem entstand die Stadt Wolfsburg nur wegen der Gründung des VW Werks und VW ist bis heute der größte Arbeitgeber in der Region, was die Abhängigkeit der Beschäftigten vom Unternehmen zusätzlich veranschaulicht.67 Ein wichtiges Element von Vertrauen und Kooperation ist die Kommunikation, da sie buchstäblich Vertrauen schafft. So steigern laut der Verhaltensökonomin Iris Bohnet offene Kommunikationsprozesse die Kooperationseffekte. Insofern ist das Arbeitsklima ein entscheidender Faktor für den Austausch der unterschiedlichen Hierarchieebenen.68 Ist dieses harmonisch und offen, wirkt sich das vor allem auf die Arbeitsmotivation und Arbeitszufriedenheit der Arbeitnehmer aus, was wiederum eine effizientere Produktion gewährleistet.69 Außerdem beeinflusst Vertrauen das Problemlösungsverhalten im Unternehmen und steigert die 62 KIFT, Dagmar: „Die schaffende Menschenkraft bewirtschaften“. Zur Schulung und Erziehung von Arbeiter- und Werkskörpern im Ruhrbergbau der 1920er Jahre, in: Kontrollierte Arbeit – disziplinierte Körper? Zur Sozial- und Kulturgeschichte der Industriearbeit im 19. und 20. Jahrhundert, hrsg. v. Lars BLUMA/Karsten UHL, Berlin 2012, S. 75. 63 ENGELEN, UTE 2013, Demokratisierung der betrieblichen Sozialpolitik, S. 63; S. 87f. und S. 102ff.; EDELMANN, HEIDRUN 2003, Heinz Nordhoff und Volkswagen, S. 172f. 64 Ebd., S. 173. 65 Vgl. RAASCH, Markus: Unternehmenskultur und soziale Praxis. Ein Beitrag zur Wertewandeldiskussion am Beispiel der Firma Bayer und ihrer Anliegerkommunen, in: Wertewandel in der Wirtschaft und Arbeitswelt. Arbeit, Leistung und Führung in den 1970er und 1980er Jahren in der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. v. Bernhard DIETZ/Jörg NEUHEISER, Berlin/Boston 2017, S. 140; ENGELEN, UTE 2013, Demokratisierung der betrieblichen Sozialpolitik, S. 243f. und S. 280f. 66 RAASCH, MARKUS 2017, Unternehmenskultur und soziale Praxis, S. 142. 67 GRIEGER, MANFRED 2008, Volkswagen Chronik, S. 15. 68 BOHNET, Iris: Kooperation und Kommunikation. Eine ökonomische Analyse individueller Entscheidungen (Die Einheit der Gesellschaftswissenschaften 98), Tübingen 1997, S. 38. 69 NEUBAUER, Walter: Interpersonales Vertrauen als Management-Aufgabe in Organisationen, in: Interpersonales Vertrauen. Theorien und empirische Befunde, hrsg. v. Martin SCHWEER, Opladen u. a. 1997, S. 108.

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gemeinsame Beratung und die Mitwirkung bei Entscheidungen. Somit verlaufen Arbeitsabläufe wesentlich reibungsloser und dadurch effektiver.70 Vertrauen ist folglich ökonomisch relevant, produktiv, kosteneffizient und stärkt die sozialen betrieblichen Bindungen. Aus welchen Gründen kooperierten die Arbeiter in den HdA-Projekten nun mit ihren Vorgesetzten und inwiefern spielte Vertrauen hierfür eine wichtige Rolle? Im Gruppenarbeits-Projekt offenbarte sich das bestehende Vertrauen in den Austauschprozessen zwischen den Arbeitern und ihren Vorgesetzten. Das Projekt profitierte von der offenen Kommunikation zwischen allen Hierarchieebenen. So demonstrierten die Vorgesetzten immer wieder ihre Kritikfähigkeit und gingen auf die Verbesserungsvorschläge der Arbeiter ein, wie das folgende Beispiel belegt. Demnach beklagten die Gruppensprecher im ÖPSZ die schwierige Informationslage und die unklaren Kommunikationswege. Der Projektleiter reagierte umgehend auf diese Kritik: „In der Zukunft muss es so laufen, dass schwerpunktmäßig sie an den Arbeitssitzungen des Arbeitskreises beteiligt werden […] hier gibt’s Informationen an die Gruppensprecher und irgendwann muss das mal an die Gruppe herangetragen werden. [Sie machen dann] Gruppengespräche. […] Jetzt muss ja auch wieder aus dieser Gruppe heraus die Sache wieder an andere Gremien herangetragen werden, an die Arbeitsgruppe […] so etwa muss diese Kette laufen […] das muss ganz klares Regelwerk werden.“71

Er legte eine Informationskette fest, an der sich alle Beteiligten zu orientieren hatten. Die Gruppensprecher wurden in den ÖPSZ-Sitzungen über die aktuellen Neuerungen informiert. Diese wiederum waren in den jeweiligen Gruppensitzungen angehalten, ihre Gruppe von den ÖPSZ-Sitzungen zu unterrichten. Der ÖPSZ trug die Verantwortung, die Arbeiter vollumfänglich in die Planungsstände einzuweihen. Überdies bekamen die Gruppen, unabhängig von den zweiwöchentlichen, regelmäßig stattfindenden Gruppengesprächen, die Möglichkeit, sich in dringenden Fällen zusammenzuschließen und beim Projektleiter eine Sondersitzung zur Beratung einzufordern.72 Diese Offenheit der Projektleitung für die Vorschläge aller beteiligten Parteien beweist ebenso die Aussage eines Vertreters der Produktion in der Sitzung des Projektausschusses: „Mit beständiger Kritik sind wir jetzt hier zu diesem Vorschlag gekommen. Kritik vom Betriebsrat, Kritik von der Projektleitung […] haben so lange kritisiert, bis wir letztendlich alle Punkte ausgemerzt haben. Und das sollten wir eigentlich weiter machen.“ 73

Demnach legten alle Parteien Wert auf einen konstruktiven Austausch zum Aufbau der Gruppenarbeit und auf eine gemeinsame Problemlösung. Es stellte sich zudem ein hohes Maß an Kompromissbereitschaft in den unterschiedlichen Hier70 Ebd., S. 108. 71 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ ÖPSZ 24.09.1975 ab 02:11 Min. 72 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ ÖPSZ 06.02.1976 ab 12:21 Min. 73 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ ÖPSZ 24.09.1975 ab 04:29 Min.

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archieebenen heraus. Jener Kooperationswille kann etwa daran veranschaulicht werden, dass die betrieblichen Vorgesetzten die Gesprächseinladungen der Gruppen wahrnahmen. Die Gruppen bestellten selbstbewusst zur Klärung von offenen Fragen den Projektleiter und andere Vorgesetzte zu ihren Sitzungen ein, besprachen die offenen Punkte und glichen den Informationsstand ab. 74 Außerdem gab der Projektleiter den Gruppen an unterschiedlichen Zeitpunkten Erklärungen zu Fertigungszeiten, dem Fertigungsplan, Arbeitsanforderungen und der Berechnung von Stückzahlen.75 Gruppe 2 lud beispielsweise den Inspekteur ein, der ihre Motoren kontrollierte, da sie mit seiner Vorgehensweise nicht einverstanden waren und konfrontierten ihn mit ihrer Kritik: Arbeiter G2: „Wie nimmst Du die Sachen ab? Nach Lust und Laune?“ 76

Der Inspekteur hingegen erklärte sein Vorgehen, erläuterte, auf was er achtete und was für ihn besonders wichtig bei der Kontrolle war. Allerdings räumte er auch Fehler bei der Kontrolle ein und baute damit Vertrauen zur Gruppe auf.77 Die Gruppen hatten somit die Möglichkeit, in einem geschützten Rahmen mit ihren Vorgesetzten in Kontakt zu treten und ihre Sichtweise darzulegen. Die von der Gruppe eingeladenen Gäste erschienen wiederum immer, was bedeutet, dass sie die Meinung der Gruppen respektierten und an einem Austausch interessiert waren.78 Das demonstriert von beiden Seiten Kooperationsbereitschaft. Insgesamt war die Stimmung in den ÖPSZ-Sitzungen in den ersten Monaten der Gruppenarbeit gelöst und offen. Auf den Tonbandaufnahmen ist zu hören, wie Werker und Vorgesetzte Späße zusammen machten, gemeinsam lachten und aufgeschlossen gegenüber Anregungen der anderen Akteure waren. Dies belegt einmal mehr den größeren Interpretationsrahmen, den die Audio-Quellen gewähren. An ihnen lässt sich mittels Tonlagen, Scherzen und Umgangsweisen ein kooperatives Miteinander abbilden. Ein weiteres wichtiges Element war gleichermaßen das Vertrauen der Arbeiter und Vorgesetzten in die Leistung des jeweils anderen. Demnach ließen die Vorgesetzten zu, dass sich die Gruppen selbst zusammenfinden konnten. Hierfür gab es die Veranstaltung „Gruppenfindung“, zu der alle 40 Werker, die sich zuvor für die Gruppenarbeit freiwillig beworben hatten, zusammentrafen. Innerhalb von zwei Stunden sollten sie sich selbstständig in vier Gruppen à 10 Mitglieder in 74 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ ÖPSZ 05.03.1976 und G2 08.03.1976 II ab 18:02 Min. oder Digitalisat VW-SZ G1 09.03.1976 II ab 01:35:46 Min. 75 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G2 und G4 22.09.1976 I ab 01:29:21 Min. oder Digitalisat VW-SZ G2 und G4 22.09.1976 II ab 06:02 Min. 76 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G2 und G1 23.11.1976 I ab 38:12 Min. 77 Ebd. ab 44:50 Min. 78 Vgl. Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1, G3, G4 und G2 08./09.04.1976 IV ab 57:00 Min. oder Digitalisat VW-SZ G2, G4, G1 und G3 21./22.04.1976 II ab 18:00 Min.

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Früh- und Spätschicht einteilen. Darüber hinaus durften die Gruppen ihren Gruppensprecher wählen. Bei der Gruppenbildung waren weder die Vorgesetzten noch der Betriebsrat anwesend, lediglich die Arbeitspsychologen, die den Gruppenfindungsprozess beobachteten.79 Außerdem vertrauten die Vorgesetzten mit der Einführung eines Wochenprogramms darauf, dass die Arbeiter ihre Arbeitszeit frei und sinnvoll einteilten.80 Die Vorgesetzten traten dafür ein, eine „möglichst große Freizügigkeit“ zu gewährleisten. Unter Freizügigkeit verstand die Projektleitung „die Möglichkeit, die eigene Arbeitsleistung und Arbeitsaufteilung“ den Gruppen selbst zu überlassen.81 Infolge dessen bestanden für die Gruppen unterschiedliche Möglichkeiten, einen Motor zu montieren, etwa einzeln oder zu mehreren und die unterschiedlichen Arbeitsschritte aufzuteilen. Damit billigten die Vorgesetzten den Werkern Raum für Mitbestimmung und Gestaltungsfreiheit zu, den diese ausfüllten, indem sie unter anderem konkrete Vorstellungen zum Bau der Anlagen äußerten.82 Die Wertschätzung der Vorgesetzten ließ sich an deren Lob für die Leistung der Gruppenarbeiter in den ersten Wochen erkennen. Projektleiter: „Wir sind von ihrem Arbeitseifer so überrascht worden, das war nicht anzunehmen. […] Sie sind schon weiter als wir uns erträumt äh vorstellen konnten.“ 83

Aber auch die Arbeiter vertrauten ihren Vorgesetzten, dass diese ihre Bemühungen und Anstrengungen für das Projekt richtig einschätzten und anerkannten, wie eine Äußerung der Gruppenarbeiterin verdeutlicht: Arbeiterin G3: „Ich gebe mein Bestes und damit ist der Betrieb zufrieden.“ 84

Letztlich trat das Vertrauen der Akteure untereinander ebenso in der gemeinsamen Problemlösung und der Kompromissfindung zutage. Dies kann an mehreren Beispielen demonstriert werden. So zeichnete sich am Beginn der Gruppenarbeit ein unterschiedliches Verständnis von der neuen Arbeitsstruktur ab. Gruppensprecher 3 wollte, dass maximal zwei Arbeiter gemeinsam einen Motor zusammenbauen sollten, was kaum einen Wechsel an Arbeitsaufgaben beinhaltet hätte. Außerdem lehnte er eine gemeinsame Gruppenverantwortung für die von deren Mitgliedern gebauten Motoren ab. Jedes Mitglied sei für seinen eigenen Motor selbst verantwortlich: „Verantwortlich sind die beiden, die den Motor bauen. Die bekommen jeweils einen Stempel und die stempeln den Motor ab und denn ist jederzeit festzustellen […] die beiden Männer haben den Motor falsch gebaut.“85 79 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ Gruppenfindung 23.10.1975 I ab 00:30 Min. und ab 01:50 Min. 80 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ Gruppenfindung 23.10.1975 II ab 06:08 Min. 81 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ Orientierung Gruppensprecher Nov. 1975 ab 07:33 Min. 82 Ebd. ab 13:37 Min. 83 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1, G3, G4 und G2 08./09.04.1976 IV ab 01:02:13 Min. und 01:05:23 Min. 84 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 und G3 09./10.11.1976 II ab 01:28:31 Min.

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Der Sprecher von Gruppe 4 sah hingegen die ganze Gruppe in der Verantwortung für die von ihr gebauten Motoren und bevorzugte einen wöchentlichen Wechsel der Aufgaben.86 Beide Meinungen wurden im Projektausschuss gehört und diskutiert. Allerdings legte die Projektleitung fest, dass die Gruppe gesamtverantwortlich war und nicht einzelne Gruppenmitglieder.87 Letztlich fasste der Betriebsrat die gemeinsame Position des Projektausschusses wie folgt zusammen: Die Gruppen sollten die Möglichkeit haben, frei zu entscheiden, wie viele Werker einen Motor bauten und wie sie die Arbeitsschritte einteilte.88 Um diese Freizügigkeit zu erhalten, bedurfte es einer umfassenden Planung des Aufbaus der Anlagen, da diese sonst die Arbeitsmöglichkeiten bei unbedachter Aufstellung einschränken konnten. Der Projektleiter wollte gewährleisten, dass die Gruppen die Möglichkeit hatten, sich untereinander zu besprechen und eigene Planungsvorschläge zu konzipieren.89 Dennoch sah er das Projekt auch an Sachzwänge gebunden: „Wir können jetzt nicht sagen, jetzt machen wir alles vergessen, irgendwelche illusionären Vorstellungen koste es, was es wolle. Das wäre nicht realistisch.“

Daher waren der Gestaltung der Werker und ihren Vorstellungen zum Aufbau der Gruppenarbeit Grenzen gesetzt. Nichtsdestotrotz formulierte der Projektleiter klar den Anspruch, die Arbeiter in alle Entscheidungen mit einzubeziehen: „Das heißt ihre Stimme zählt.“90 Die Meinung der Werker war seiner Ansicht nach genauso wichtig, wie die jedes anderen ÖPSZ-Mitglieds und es galt die Maxime einer gemeinsamen Lösungsfindung. Außerdem wurde ersichtlich, dass die Arbeiter im Laufe des Projektes zunehmend die Fähigkeit erlernten, sich zu artikulieren und sich zu Themen zu äußern, also mehr Selbstvertrauen gewannen. So drückten mehrere Gruppensprecher in der ÖPSZ-Sitzung ihre schwindende Motivation zum Anlernen durch die ständigen Terminverschiebungen aus und äußerten Kritik gegenüber ihren Vorgesetzten respektive den Projektverantwortlichen. Gruppensprecher 1: „Wir haben einen Terminplan aufgestellt. Wofür haben wir ihn dann aufgestellt, wenn er nicht eingehalten wird? Wir werden immer noch hinausgezögert. […] Ich finde, und da sind wir in der Gruppe einig geworden, wenn man das noch mehr rausschiebt, hat man für das ganze Vorhaben schon keine Lust mehr […] Da wird es eventuell so sein, dass man mit einer Unlust an die Arbeit rangeht und es kommt nichts Vernünftiges bei raus.“91

85 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ Orientierung Gruppensprecher Nov. 1975 ab 18:11 Min. und ab 18:40 Min. 86 Ebd. ab 19:06 Min. 87 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ ÖPSZ 20.11.1975 I ab 01:27:29 Min. 88 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ Orientierung Gruppensprecher Nov. 1975 ab 20:12 Min. 89 Ebd. ab 38:11 Min. und ab 43:58 Min. 90 Ebd. ab 01:01:53 Min. 91 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ ÖPSZ 26.03.1976 I ab 01:39:57 Min.

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Außerdem verlören die Arbeiter durch die Verschiebungen „Lernzeit“ und forderten daher eine „bessere Organisation“, um ihre Aufgaben richtig und fristgerecht ableisten zu können.92 Das Beispiel zeigt, wie oben dargelegt, dass die Arbeiter durch die offene Arbeitsatmosphäre und ihre Position im Projekt an Selbstvertrauen gewannen und daher Probleme auch selbstständig ansprachen. Oft konnten die Arbeiter ihre Belange aber aufgrund der knappen Zeit in den Sitzungen des ÖPSZ nicht vorbringen. Daher bat die Gruppenarbeiterin den Projektleiter darum, den Tagesordnungspunkt Verschiedenes vorzuziehen, unter dem meist die Belange der Arbeiter subsummiert waren. Der Projektleiter zog zwar nicht den Punkt vor, notierte sich aber die entsprechenden Probleme der Gruppen wie das Thema der Autonomie oder den Bau des Montagewagens, die er in der Sitzung letztlich auch besprechen ließ.93 Das klappte zwar nicht immer, oft blieben die für die Arbeiter wichtigen Punkte aufgrund des Zeitmangels unbeantwortet; dennoch war ein Bemühen der Vorgesetzten erkennbar, auf die Belange der Arbeiter einzugehen und Kompromisse zu finden. Obschon nicht alle Vorschläge und Anmerkungen von den Vorgesetzten angenommen wurden und sich gegen Ende Demotivation zu weiteren Kritikbekundungen seitens der Werker breitmachte, gab es dennoch Erfolge für sie zu verzeichnen.94 Ein Beispiel für das Durchsetzen der eigenen Meinung der Arbeiter gegenüber anderen betrieblichen Akteuren, in diesem Falle dem Betriebsrat, war der Verzicht auf die Rotation des Gruppensprechers. Das Institut aus Zürich und der Betriebsrat legten den Werkern nahe, den Gruppensprecher etwa alle sechs Monate rotieren zu lassen. Dadurch könnten mehrere Arbeiter diese Aufgabe sowie die dafür notwendigen Qualifikationen erlernen und sich mehrere von ihnen deshalb „wehren“.95 Diese von den Wissenschaftlern und dem Betriebsrat getroffene Aussage sowie die Wortwahl offenbaren ihre negative Wahrnehmung der betrieblichen Hierarchien und die angenommenen Konfliktlinien zwischen Betriebsleitung und Arbeitern. Sie waren der Auffassung, die Arbeiter müssten lernen, sich gegen die oberen Hierarchieebenen zu „wehren“, um ihre eigenen Interessen durchzusetzen. Damit sollte eine Selbstermächtigung der Arbeiter im Sinne sozialreformerischer Ideen erreicht werden. Sie gingen folglich von einem ungleichen Machtverhältnis zwischen den oberen Hierarchieebenen des Unternehmens und den Arbeitern aus. Die Gruppen lehnten diesen Vorschlag hingegen ab. Als Gründe führten sie die lange Einarbeitungszeit, die Unkenntnis über vorherige Absprachen, Abläufe und Entwicklungen, das Unvermögen, sprechen zu können und die Ablehnung der Vorgesetzten im ÖPSZ, noch mehr Personen in den Aus-

92 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ ÖPSZ 09.04.1976 I ab 01:28 Min. 93 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ ÖPSZ 26.03.1976 I ab 01:04 Min. 94 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 und G4 28.10.1976 II ab 11:52 Min. 95 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G4 und G2 26.08.1976 II ab 01:29:51 Min.

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schuss aufzunehmen, an.96 Letztlich setzten sie ihre Meinung gegenüber den beiden anderen Parteien durch. Doch auch andere Gruppenvorschläge wurden im ÖPSZ angenommen. So reagierten die Vorgesetzten zwar überrascht auf den Wunsch der Gruppen, ständig einen Meister oder Vorarbeiter in den Gruppen zu haben, denn dies war zu Beginn des Projektes nicht vorgesehen. Aber sie versuchten diesem Wunsch nachzukommen und eine Kompromisslösung zu finden. Dennoch sah der Projektleiter Probleme in der Rekrutierung der Führungskräfte: „Zu der Aufgabe gehört sehr viel Idealismus. […] Welcher Meister möchte seine jetzige bisherige Position aufgeben und hier auf eine fragwürdige Schleudersitzposition rücken?“97

Ebenso wie die Gruppen müssten diese Vorgesetzten ihren angestammten Arbeitsplatz verlassen. Allerdings schlugen die Gruppen nur Meister und Vorarbeiter vor, die sie kannten und die der Gruppenarbeit sowie der Unterstützung der Arbeiter darin offen gegenüberstanden. Dies verdeutlicht abermals das Vertrauensverhältnis zwischen den direkten Vorgesetzten und den Gruppen. Die Arbeiter und Meister kamen zur Besprechung möglicher Aufgabenbereiche in den Gruppengesprächen zusammen. In diesen Gesprächen redeten sich die Gruppen mit ihren direkten Vorgesetzten per Du an und die Gespräche wurden offen geführt. Es fand ein gleichberechtigter Austausch über Arbeitsorganisation und Arbeitsplanung statt.98 Die Gruppen sahen keine Einschränkung ihrer Mitbestimmung durch die Vorgesetzten. So mache der Berater der Gruppe Vorschläge und die Gruppe könne entscheiden, ob sie diese umsetzen, verändern oder ablehnen wollte. Der Meister akzeptiere die Meinung der Gruppe.99 Die Vorgesetzten, die zunächst wie erwähnt als Berater in der Gruppenarbeit benannt wurden, müssten laut den Arbeitern „die Idee mit [ihnen] teilen“ und sie „nicht befehligen“.100 Nichtsdestoweniger äußerten nicht nur die Werker Kritik, die einer Kompromisslösung bedurfte, sondern auch ihre direkten Vorgesetzten. Einige Berater haderten mit dem Konzept der Gruppenautonomie. Sie wussten häufig nicht, „was darf ich, was kann ich, was soll ich“, da die Gruppenautonomie schwammig formuliert und die Beraterfunktion im Gegensatz zur Meisterfunktion nicht klar umrissen war.101 Außerdem sahen sie das Problem, dass die Gruppenmitglieder nicht abschätzen konnten, wie viele Aufgaben noch jenseits des Motorbaus auf sie zukamen. Diese konzentrierten sich eher auf den Bau des Motors und „haben das 96 Ebd. ab 01:29:02 Min.; Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 und Vorgespräch 27.08.1976 I ab 01:22:14 Min. oder Digitalisat VWSZ G1 und G3 07./08.09.1976 II ab 18:46 Min. 97 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ ÖPSZ 26.03.1976 I ab 01:33:27 Min. 98 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G2, G4, G1, G3 21./22.04.1976 III ab 19:26 Min. 99 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G4 und G2 26.08.1976 II ab 01:22:47 Min. 100 Ebd. ab 01:12:07 Min. 101 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 und Vorgespräch 27.08.1976 II ab 59:59 Min.

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mehr oder weniger auswendig gelernt, das Ding zusammenzuknallen.“ Aber häufig entstünden noch Fehler beim Zusammenbau und die Fehlerkontrolle sei mangelhaft. Dies führe zu verstärkter Nacharbeit.102 Darüber hinaus hatten die Berater Sorge um die Qualität der Produkte: „Wir haben ein ungutes Gefühl […] Wir produzieren Motoren und wir sind uns manchmal nicht hundertprozentig sicher, ist der Motor so in Ordnung, wie er es eigentlich sein sollte […]. Das kann man nicht überblicken. Dafür wird zu individuell gearbeitet. Aber im Hintergrund steht ja dann auch noch der Ruf des Werkes.“103

Einzelne Handgriffe würden trotz ihrer Wichtigkeit unterlassen, weil die einzelnen Arbeiter diese für nicht relevant hielten. Die daraus resultierenden Folgeschäden seien für sie jedoch nicht überschaubar. Da die Berater sich für die Qualität der Produkte verantwortlich fühlten, bestanden sie darauf, den Gruppen zu vermitteln, welche Konsequenzen durch diese „Liederlichkeiten“ entstehen konnten.104 Allerdings stellte sie das vor ein weiteres Problem, denn sie wussten nicht, wie sie sich gegenüber den Gruppen zu benehmen und ihr Anliegen angemessen zu artikulieren hatten. So sahen die Berater einerseits dem Werk gegenüber „eine Verpflichtung ordnungsgemäß zu arbeiten“, andererseits wussten sie nicht, wie sie sich in den neuen Arbeitsstrukturen verhalten durften und wie sie dennoch eine bessere Qualität der Produkte gewährleisten sollten.105 Jene Unsicherheit spiegelt sich in folgendem Beispiel wider: „Man muss sich hier sehr vorsichtig ausdrücken. […] In etwa in den Worten: ‚Möchtest du vielleicht.‘“ (Lachen der anderen Berater).106

Die Vorgesetzten hatten Schwierigkeiten sich in ihre neue Rolle innerhalb der Arbeitsstruktur einzufinden. Sie könnten die Reaktion der Gruppen auf Kritik und Tadel nicht abschätzen, da sie eben keine Vorgesetzten seien, sondern nur Berater. Dies kollidierte jedoch mit ihrem Verantwortungsbewusstsein: „Wir haben die Verantwortung für das Produkt. Und die kann uns keiner nehmen […] und bevor ich mich da in die Nesseln setze, riskiere ich, mich mit einem der Gruppenmitglieder anzulegen.“107

Jene Einstellung behielten die Berater bei, trotz der mündlichen Entbindung von der Verantwortung durch den Werksleiter, nicht für die Eignung der Gruppenarbeiter verantwortlich zu sein.108 Darüber hinaus beklagten sie, dass einige Gruppenmitglieder früher Schluss machten und keine Motoren mehr bauten. Unter normalen betrieblichen Bedingungen dürften das die Vorgesetzten nicht durchgehen lassen, mehr als 1 ½ Arbeitsstunden verfallen zu lassen. Aber in der Gruppenarbeit wussten sie nicht, ob sie die Arbeiter disziplinieren und zur Arbeit anhalten 102 103 104 105 106 107 108

Ebd. ab 01:02:13 Min. Ebd. ab 01:03:06 Min. Ebd. ab 01:04:36 Min. Ebd. ab 01:15:21 Min. Ebd. ab 01:22:42 Min. Ebd. ab 01:23:33 Min. Ebd. ab 01:24:12 Min.

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konnten.109 Sie fühlten sich indes dazu verpflichtet, die Ordnung und Disziplin aus der üblichen Produktion aufrecht zu erhalten. Berater: „Denken sie bloß mal an unsere Familie. Es geht nicht immer mit gut zureden. Man muss auch mal hier die Richtung gezeigt kriegen. Meine Frau macht das mit mir auch.“ 110

Daher forderten sie eine klare Handhabe zum Umgang mit den Arbeitern und die Möglichkeit, sie nachdrücklich auf Probleme hinweisen zu können. Die Arbeiter müssten mehr Verantwortung für das Projekt übernehmen, denn die verkürzte Arbeitszeit ginge zu Lasten des Projektes und treibe die Kosten in die Höhe.111 Daraus folgt, dass ebenso die Berater den Erfolg des Projektes wünschten und somit jenes Ziel mit den Arbeitern teilten. Als Lösung schlugen die Berater vor, immer zwei Gruppen der Gegenschichten „zusammenzulegen“, sodass eine Gruppe bei Schichtanfang die noch unfertigen Motoren der anderen Gruppe weiterbauen könne und umgekehrt. Dadurch sei es möglich, über den gesamten Zeitraum einer Schicht Motoren zu produzieren, auch wenn die Motoren von einer Gruppe nicht mehr ganz fertiggestellt werden könnten. Die Nacharbeit läge dann in der Verantwortung der beiden Gruppen und somit ließe gleichzeitig der Konkurrenzkampf der Gruppen nach.112 Diesen Lösungsvorschlag nahmen die Gruppen an. Folglich gab es eine Vertrauensbasis zwischen den Gruppen und ihren Beratern und sie versuchten Kompromisslösungen zu erarbeiten, um ein gemeinsames sowie effektives Arbeiten zu ermöglichen. Offensichtlich wurde allerdings auch, dass Vertrauen nicht vollkommen die Kontrolle und die Verantwortung der Vorgesetzten ersetzte. Um dem zweiten Problem der Berater, den unsicheren Aufgabenanforderungen, Abhilfe zu schaffen, einigten sich der ÖPSZ gemeinsam mit den Arbeitern und den Wissenschaftlern auf ein Papier, welches die Beraterfunktion definierte.113 Schlussendlich war der Berater nun doch ein Meister mit entsprechenden Funktionen. Durch dieses Vorgehen wollte der ÖPSZ normale Produktionsbedingungen gewährleisten.114 Außerdem war laut Aussage des Projektleiters die Einstufung der Berater als Meister aufgrund der Gehaltseinstufung und der Unterschriftenberechtigung notwendig. Dennoch stelle der Beraterstatus einen „Zwischenstatus“ dar und sei nicht als klassische Meisterstelle zu verstehen.115 So unterlagen die Meister in der Gruppenarbeit gewissen Einschränkungen. Der ÖPSZ einigte sich nämlich auf eine Teilautonomie der Gruppen und legte ihre Mitbestimmungsrechte fest. Demnach durften die Werker ihre Arbeit und deren Ablauf frei einteilen sowie ihre Arbeitsleistung variieren, solange sie die festgelegten Stückzahlen innerhalb einer Woche produzierten. Darüber hinaus war es den Gruppen erlaubt, die Einteilung ihrer Pausen „sinnvoll zu regeln“ und sie hat109 110 111 112 113 114

Ebd. ab 01:27:44 Min. Ebd. ab 01:29:11 Min. Ebd. ab 01:30:05 Min. Ebd. ab 01:38:00 Min. GRANEL, MICHAEL 1980, Gruppenarbeit, S. 140f. Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G2 und G4 22.09.1976 I ab 32:30 Min. 115 Ebd. ab 55:57 Min.

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ten Mitspracherecht sowohl bei personellen Veränderungen in der Gruppe, als auch bei der Installation von Produktionsanlagen oder der Technisierung ihrer Arbeitsplätze.116 Das Beispiel zeigt, dass die Arbeiter gleichermaßen in der Lage waren, auf die Kritik ihrer Vorgesetzten einzugehen und einen gemeinsamen Lösungsvorschlag zu erarbeiten. Sie diskutierten das Papier zur Beraterfunktion dennoch kritisch im ÖPSZ. Der Gruppensprecher 4 nahm Anstoß am Begriff „Disziplin“ in dem Aufgabenpapier, da er diese mit militärischem Drill sowie Gehorsam gleichsetzte. Demnach seien die Arbeiter mit Soldaten vergleichbar, die dem Meister Folge zu leisten hätten: „Was für Einfluss der Wort Disziplin? ‚Der Berater ist verantwortlich für Einhaltung von Ordnung, Sauberkeit und Disziplin.‘ […] Ich verstehe Disziplin nur bei Soldaten.“ 117

Der Projektleiter erklärte und relativierte den Paragrafen daraufhin: „Disziplin heißt Ordnung und Sauberkeit, normales Verhalten gegenüber den Kollegen. Disziplin hat nichts mit Gehorsam zu tun […] Solange sie im Soll sind […] hat der Berater nicht die Möglichkeit sie zur Arbeit anzuhalten, wenn sie jedoch nicht im Soll liegen, hat er die Möglichkeit sie darauf hinzuweisen oder ist verpflichtet sie zur Arbeit anzuhalten.“118

Die Berater hatten also durch diesen Passus die Möglichkeit, die „Ordnung“ in der Produktion (wieder)herzustellen und die Arbeiter zur Arbeit anzuhalten, wenn sie ihren Soll nicht erbrachten. Folglich waren die von den Vorgesetzten gewährten Freiheiten auch in der Gruppenarbeit an Leistung gekoppelt. Allerdings übernahmen einige Arbeiter auch selbst Verantwortung für die korrekte Einhaltung der Arbeitszeit. So wurde in den Gruppen diskutiert, ob sie nach Erreichen des Tagessolls „frei machen“ könnten. Dies verneinte Gruppensprecher 4 in seiner Gruppe ausdrücklich. Sie hätten nur eingeschränkte Autonomie und könnten die Gesetze des Werkes nicht umstoßen. Das sei nicht akzeptabel. Aber sie dürften ihre Pausen frei legen, anderen helfen oder schon für die nächste Woche Motoren produzieren. Früher Feierabend machen „käme aber nicht in Frage.“119 Der Gruppensprecher 4 pochte auf die Einhaltung der betrieblichen Regelungen und auf die Selbstverantwortung der Gruppe. Vieles musste und wurde also in der Gruppenarbeit gemeinsam verhandelt, konzipiert und festgelegt. Diese erfolgreich zu gestalten, ging nur gemeinsam. Die erfolgreiche Lösung eines monatelangen Konfliktes, der sich um den von Gruppe 3 konzipierten Montagewagen und den Aufbau sowie die Konzeption der Produktionsanlagen im ÖPSZ drehte, verdeutlicht dies. Gruppensprecher 3 wollte seinen Entwurf des Montagewagens gegen die drei anderen Gruppen durchsetzen. Das geht aus der Aussage des Vertreters der Personalabteilung im ÖPSZ hervor:

116 Ebd. ab 40:11 Min. 117 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G2 und G4 22.09.1976 II ab 01:19:59 Min. 118 Ebd. ab 01:20:53 Min. und ab 01:25:49 Min. 119 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ Gruppengespräche G4 und G3 24./25.05.1976 I ab 48:51 Min.

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„[…] sollen also jedem einzelnen in der Gruppe alle Möglichkeiten offen stehen, die stehen ihm beim Projekt des Gruppensprechers 3 […] nicht zur Verfügung. Er zwingt durch die Freiheit des einen einem anderen etwas auf […].“120

Die Einigung darüber, wie die Produktionsanlagen aufgebaut und welcher Wagen verwendet werden sollte, war nur unter massiven Konflikten möglich. Allerdings drängte die Zeit, denn die Anlagen mussten innerhalb weniger Monate geplant und gebaut werden. Die Gruppensprecher 1, 2 und 4 äußerten sich verärgert darüber, dass sie den Montagewagen noch nicht, wie besprochen, in der Praxis ausprobieren konnten, da sie sich nicht in der Lage sahen theoretisch, ohne praktische Erfahrungen, über den Aufbau mitzudiskutieren und zu entscheiden.121 Ein Wissenschaftler aus Zürich sprach gar von einer „Pattsituation“ zwischen der Planung und den Gruppen. So sei eine Entscheidungsfindung einfach nicht möglich.122 Daher sollte das Ausprobieren der Montagewagen für die Gruppen auf jeden Fall gewährleistet und zur Not Terminverschiebungen hingenommen werden. Der Betriebsrat unterstützte den Vorschlag und äußerte ebenso Kritik an der Projektleitung, den Wunsch der Gruppen nicht umgesetzt zu haben: „Wir machen doch nur Theorie und sagen das geht alles nicht […] baut doch mal die Klamotten dahin […] weil ich ganz genau weiß, […] dass man das dann ganz anders sieht als so in der Theorie. Da hätte sich so viel von selbst erledigt ohne ein Wort drüber zu sprechen. […] Praxis und Theorie. […] Sie sind da erfahren drin […] der Kumpel hat da fünf Arbeitsgänge gemacht und weiß gar nicht, was da am Motor […] noch dazugehört […] Wir können nur voneinander lernen.“123

Die Stimmung im ÖPSZ war zeitweise gereizt und angespannt. Demnach erhoben unterschiedliche Akteure gegeneinander die Stimme und wurden ausfallend. Der Vertreter der Werksleitung sah die Gefahr, dass das Institut aus Zürich den Mehrheitskompromiss des Projektausschusses nicht mittrüge, sollte auch nur ein Gruppensprecher nicht mit der Lösung einverstanden sein. Überdies war er sich nicht im Klaren darüber, inwiefern die Gruppen vollständig mitentscheiden konnten, da sie bisher noch nie Planungsaufgaben übernommen hätten: „Die waren bisher nicht mit Planungsaufgaben betraut worden […] Aber wo war die Forderung […] des Instituts (schreit) und ich wiederhole mich hier wieder […] welchen Planungsumfang die Gruppen und Gruppensprecher hier jetzt überhaupt zu leisten haben. Menschenskinder, Sie bringen hier immer Dinge auf den Tisch (haut lautstark auf die Tischplatte), verdammt nochmal, die überhaupt nirgendwo niedergelegt sind.“ 124

Der Projektleiter versuchte zu vermitteln und legte daraufhin fest, dass die Mehrheit entscheidungsfähig war und keine Einstimmigkeit erreicht werden musste.125 120 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ ÖPSZ 16.01.1976 ab 01:51:32 Min. 121 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ ÖPSZ 06.02.1976 ab 41:20 Min. 122 Ebd. ab 50:31 Min. 123 Ebd. ab 01:05:29 Min. 124 Ebd. ab 01:49:22 Min. 125 Ebd. ab 01:51:08 Min.

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Die erweiterte Mitbestimmung führte im Projekt einerseits zu einer langwierigeren Entscheidungsfindung und damit zu Terminverschiebungen, andererseits zeigte sich, dass die Vorgesetzten erst spät auf den klar geäußerten Wunsch der Gruppen, den Aufbau in der Praxis zu testen, reagierten, anstatt, wie sonst in der Planung üblich, darüber monatelang theoretisch bis ins kleinste Detail zu diskutieren. Dennoch einigten sich alle Akteure letztendlich auf einen Kompromiss. Folglich trafen sich die Gruppen am folgenden Sonnabend mit der Projektleitung und der Planung, um das Material und den Montagewagen anzusehen und auszuprobieren.126 In der folgenden ÖPSZ-Sitzung, nach der Vorstellung der provisorischen Montagewagen und des Montageaufbaus, diskutierten die Gruppensprecher und die Vertreter im Ausschuss die Vor- und Nachteile des Montagewagens 1, den die Planung von VW entworfen hatte, sowie des Montagewagens 2, den die Gruppe 3 konzipiert hatte.127 Über mehrere Stunden Diskussion gelang eine erste Annäherung, aber noch keine Festlegung auf ein Konzept. Der Ton der Sitzung war wieder ruhig und sachlich. Obwohl die Vertreter der allgemeinen Planung wesentlich längere Montagezeiten und höhere Kosten für den Bau des Montagewagens 2 der Gruppe 3 sahen, blieb Gruppensprecher 3 unbeirrt bei seinem Modell.128 Nach über drei Stunden Diskussion zeigten sich die Gruppen 1 und 4 bereit, an dem Montagewagen 1 mit einigen Verbesserungsvorschlägen, die vollständig vom Ausschuss akzeptiert wurden, zu arbeiten. Die Gruppen arbeiteten zunächst an einem Provisorium, das sie ausprobieren konnten. Ihre Verbesserungsvorschläge für den Montagewagen flossen in den nächsten Prototyp ein, an dem sie wiederum mehrere Wochen arbeiteten und diesen testen konnten, bis schließlich die letzte Endmontage des Wagens vorgenommen wurde. Die Gruppe 3 hielt weiterhin an ihrem eigenen Montagewagen fest.129 Auch der Betriebsrat pochte darauf, dass der Montagewagen 2 der Gruppe 3 verwirklicht wurde. Letztlich erarbeitete der ÖPSZ gemeinsam einen Kompromissvorschlag. Der Montagewagen 2 wurde gebaut und alle Gruppen sollten sowohl den Montagewagen 1 als auch den Montagewagen 2 in der Praxis testen.130 Damit gelang es den betrieblichen Akteuren erneut, einen monatelangen, zeitweise sehr intensiv geführten Konflikt durch die Erarbeitung einer gemeinsamen Lösung beizulegen. Nicht alle Probleme wurden jedoch im ÖPSZ verhandelt. Es kamen auch gruppeninterne Lösungen mit den jeweiligen Beratern zustande, denn bei Problemen versuchten die Gruppen zunächst selbstständig eine Lösung mit ihrem Berater zu finden. In Gruppe 1 etwa entbrannte eine Diskussion um die aufgestellten Fehlertafeln, die von der Projektleitung dafür gedacht waren, die Werker auf ihre Fehler hinzuweisen, um diese zukünftig zu vermeiden. Die Gruppe fühlte sich 126 Ebd. ab 53:13 Min. und 01:23:31 Min. 127 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ ÖPSZ 20.02.1976 I. 128 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ ÖPSZ 20.02.1976 II ab 35:19 Min. 129 Ebd. ab 01:15:01 Min. 130 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ ÖPSZ 27.02.1976 I ab 17:02 Min.

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allerdings durch die Tafeln demotiviert und ebenso würden sie von anderen Gruppenarbeitern und betrieblichen Vorgesetzten aufgrund der Fehlertafeln beurteilt.131 Daher einigte sich die Gruppe mit ihrem Berater darauf, dass die Fehler vom Vortag nicht mehr auf der Tafel angezeigt, sondern vor Beginn der ersten Schicht gemeinsam durchgesprochen wurden.132 Das Projekt Gruppenarbeit demonstrierte eindrücklich, wie wichtig gegenseitiges Vertrauen für einen produktiven Austauschprozess und für das Gelingen von Kooperation war. Auch bei den beiden Industrieroboter-Projekten stellte sich Vertrauen als elementar für Kooperation heraus. Jedoch fand dieses hier vor allem in der Sorge der Vorgesetzten und der Arbeiter füreinander sowie im Vertrauen in die gegenseitige Leistung des jeweils anderen seinen Ausdruck. Dies kann anhand vielfacher Beispiele nachvollzogen werden. Demnach reagierte die Betriebsleitung etwa auf die Kritik der Arbeiter aus der Produktion, welche einige Arbeitsplätze für unzumutbar hielten, teilte deren Ansichten und war bemüht, die Arbeitsplätze bei der Neugestaltung des Rohbaus zu verbessern, wie die Aussage der Rohbauleitung offenbart: „So können wir es nicht mehr machen. Die Arbeitsplätze sind nicht gut, es läuft so weit hinaus, daß gewisse Arbeitsplätze, die sehr konzentriert hintereinander liegen, bei uns hier verschrien sind als Hölle. […] es sind sehr viele Leute dicht aufeinander, wir haben eine Abzugshaube sehr eng darüber, so daß das Ganze wie eine Röhre wird, auch nicht sehr schön. Damit wollte ich nur sagen, es sind Arbeitsplätze, die also für eine neue Konzipierung eines Modells nicht mehr verkaufbar wären.“133

Darüber hinaus evaluierte die Leitung unterschiedliche Konzepte der Arbeitsgestaltung, wie im Rohbau von Hannover, um die monotonen Belastungen der Fließbandproduktion zu verringern. Die Rohbauleitung ließ daher eine Straße mit Arbeitsinseln inklusive „Steh-Sitz-Arbeitsplätzen“ und „hohem Arbeitsinhalt“ aufbauen. Dies sei laut Betriebsleitung ein gutes Beispiel von „Arbeitsorganisation und Humanisierung“ und „wurde aus Spaß Klein-Kalmar“ genannt, da der „Grundgedanke von Volvo in Kalmar hier realisiert worden“ sei.134 Die schwedischen Automobilhersteller Saab und Volvo experimentierten schon Anfang der 1970er Jahre mit neuen Arbeitsstrukturen, wie der Gruppenarbeit und einer neuen Gestaltung von Produktionsstätten. Ein besonderes Vorzeigewerk von Volvo war das in Kalmar, in dessen Gestaltung die Arbeiter mit einbezogen wurden. 135 Dieses diente VW als Vorbild und belegt die transnationalen Verflechtungen zur Produktivitätssteigerung der Wirtschaft in den 1970er Jahren. Außerdem experimentierten die Vorgesetzten in Hannover mit dem Konzept job rotation (Arbeitsplatzwechsel) und kleineren Gruppenarbeiten in der Produktion:

131 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 und G3 09./10.11.1976 I ab 28:44 Min. 132 Ebd. ab 30:43 Min. 133 IfS Frankfurt A 117 Ordner 7 Gespräch mit Leiter des Rohbaus o. D., S. 35. 134 Ebd., S. 35. 135 BERGGREN, CHRISTIAN 1991, Von Ford zu Volvo, S. 139.

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Arbeiter als Kooperationspartner „Das haben wir im Preßwerk angefangen, job rotation am Arbeitsplatz, haben sogar eine Gruppe gebildet gehabt, die teilautonom war, die also nachher Pausengestaltung selbst gemacht hat, die Rotationspläne selber festgelegt hat, d. h. sie hatten ziemlich viel Freiheiten und es hat eigentlich sehr gut funktioniert mit der Gruppe. Sie hatten sogar das Recht, Pausen außerhalb der normalen Pausen zu machen, hatten einen Sonderausweis für die Kantine, die konnten in die Kantine gehen wann sie wollten, wichtig war nur Stückzahlen am Ende und Qualität. Diese Gedanken werden wir im Rohbau mit Sicherheit weiter verfolgen.“ 136

Hierfür räumte die Betriebsleitung den Arbeitern mehr Gestaltungsfreiraum ein, wie die selbstständige Einteilung der Pausen und ermöglichte ihnen erweiterte Mitbestimmungsrechte. Neben dem Modell der Gruppenarbeit, das in den 1970er Jahren in zahlreichen Betrieben als mögliche Alternative zur Bandarbeit erprobt wurde, hielten auch neue Konzepte der Arbeitsplatzgestaltung etwa durch die Human Relations-Bewegung in die Produktion Einzug. Die Human RelationsBewegung entstand Anfang der 1930er Jahre in den USA und deren Konzepte fanden seit den 1950er Jahren in Teilen Anwendung in deutschen Unternehmen. Es handelte sich hierbei um eine Managementphilosophie und eine Methode zur Menschenführung, welche die Arbeitnehmer als Individuum respektierte und insofern entsprechende Arbeitsbedingungen und sichere Arbeitsplätze implizierte. Ebenso zählten hierzu die Weiterqualifizierung der Mitarbeiter, Kontrolle durch Selbstverpflichtung der Arbeitnehmer, eine ausreichende Information und Kommunikation innerhalb des Unternehmens und umfangreiche betriebliche Sozialleistungen.137 Ein solches Human Relations-Konzept war etwa die oben erwähnte job rotation. Es bezeichnet den Arbeitsplatzwechsel von mehreren Arbeitern in der Produktion, um Monotonie und einseitige Belastung zu vermeiden. Insofern war auch die Betriebsleitung der konventionellen Fertigung gegenüber in einem gewissen Rahmen kritikfähig und reagierte auf die Beanstandungen der Werker. Die Sorge der Vorgesetzten bezog sich aber nicht nur auf die Verbesserung der Arbeitsplätze, sondern auch auf deren Erhalt nach der Neugestaltung des Rohbaus. Demnach beschäftigte sich die Leitung mit der Frage, was mit den Arbeitern in der Produktion passierte, die durch den Umbau des Rohbaus ihren angestammten Arbeitsplatz verloren und nicht umgesetzt werden konnten: „Das ist ein etwas wunder Punkt, über den wir uns schon lange unterhalten. Was passiert eigentlich unten für den Mann, der seinen Arbeitsplatz als Schweißer verliert und im Rohbau bleibt. Den wir also jetzt nicht in die Fertigmontage umsetzen oder in die Lackiererei, sondern der im Rohbau bleibt. Was würde mit dem Mann eigentlich passieren.“ 138

Um dieses Problem zu lösen, gab es Überlegungen, an der neuen Straße etwa Einlegearbeiten mit der Straßenführung zu verbinden, also mehr Arbeitsaufgaben zusammenzufassen, um den Lohnabfall durch die erleichterte Tätigkeit zu verhindern, denn Umweltbelastungen und körperliche Arbeit entfielen durch die neuen 136 IfS Frankfurt A 117 Ordner 7 Gespräch mit Leiter des Rohbaus o. D., S. 38f. 137 KLEINSCHMIDT, Christian: Der produktive Blick. Wahrnehmung amerikanischer und japanischer Management- und Produktionsmethoden durch deutsche Unternehmer 1950–1985 (Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte Beiheft 1), Berlin 2002, S. 175. 138 IfS Frankfurt A 117 Ordner 7 Gespräch mit Leiter des Rohbaus o. D., S. 23.

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Technologien nun teilweise. Darüber hinaus wurde der Vorschlag diskutiert, die von der Neugestaltung betroffenen Arbeiter in großem Maße in anderen Produktionsbereichen einzusetzen und umzuschulen, um ihre Lohngruppen zu erhalten.139 Die Vorgesetzten fühlten sich also verpflichtet, die Arbeiter an einen neuen, geeigneten Arbeitsplatz zu versetzen und übernahmen für den Arbeitsplatzwechsel Verantwortung. Außerdem vertrauten sowohl die Vorgesetzten als auch die Arbeiter in die Leistung und Umsicht des jeweils anderen. Dies wird daran deutlich, dass etwa die Vorgesetzten Verantwortung bei der „Qualitätskontrolle“ an die Arbeiter abgaben. Statt einer Kontrolle sollte es nun eine „Qualitätssicherung“ geben: Rohbauleitung: „Man will weg von der reinen inspizierenden Arbeit, man will auch weg von der kontrollierenden Arbeit und will hin zu einer sicheren Arbeit. […] Das hat für uns die Auswirkung, daß wir […] dem Manne, mehr Verantwortung übertragen müssen für eigene Selbstkontrolle der Einrichtung.“

So könne sich der Arbeiter nicht mehr auf die Kontrolle der Inspekteure verlassen, sondern „muss für das Produkt selbst verantwortlich“ sein.140 Daher wurden nur noch Stichproben von den Inspekteuren durchgeführt. Das bedeutete einerseits die Erweiterung von Tätigkeiten und Verantwortung für die Werker, bewies aber andererseits zeitgleich, dass die Leitung in die Fähigkeiten ihrer Mitarbeiter vertraute. Ähnliche Ansätze gab es schon Ende der 1920er Jahre in Betrieben der Weimarer Republik, wo Arbeiter als sogenannte Selbstkontrolleure die hergestellten Produkte inspizierten.141 Die Werker bei VW nahmen diesen Vertrauensbeweis wiederum an und übernahmen gewissenhaft teilweise schon vor der Erweiterung ihrer Aufgaben diese Tätigkeiten eigenverantwortlich142: „Bei der Abstapelei muß ich ja auch den Inspektionsmann etwas entlasten, denn der Inspektioner, der neben mir steht, kann auch nicht alles sehen. […] Nehmen wir einmal an, da kommen plötzlich gerissene Teile an und der Inspektioner steht zufälligerweise auf der anderen Seite, aber auf meiner Seite sind sie gerissen, da ist es ja selbstverständlich, daß ich da hingucken muß und auf Risse, Verbiegungen und Beulen achte. Das ist zwar nicht Pflicht, daß wir darauf achten, aber es wird gerne gesehen.“143

Es stellt sich heraus, dass eine gefühlte Verpflichtung der unterschiedlichen betrieblichen Akteure oder Gruppen füreinander und für die Qualität des hergestellten Produkts bestand. Dieses Vertrauensverhältnis ließ die Arbeiter zum einen mit mehr Umsicht ihre Tätigkeiten ausführen – weit über die eigentlichen Arbeitsauf139 Ebd., S. 24f. 140 Ebd., S. 44f. 141 UHL, Karsten: Potenzial oder Störfaktor? Die Subjektivität von Arbeitern und Arbeiterinnen in der Zwischenkriegszeit, in: Der Betrieb als sozialer und politischer Ort. Studien zu Praktiken und Diskursen in den Arbeitswelten des 20. Jahrhunderts, hrsg. v. Knud ANDRESEN u. a., Bonn 2015, S. 262f.; UHL, KARSTEN 2014, Humane Rationalisierung?, S. 188f. 142 „Wir kontrollieren die Teile auch schon mit, obwohl das die Inspektion eigentlich machen müsste.“ eLabour-SOFI-IR01_003_004.pdf Gespräch mit Maschinenbedienerin aus dem Presswerk, o. A. am 08.09.1977, S. 4. 143 eLabour-SOFI-IR01_003_002.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Presswerk, 54 Jahre am 28.09.1977, S. 11.

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gaben hinaus – und zum anderen bei der Betriebsleitung ein Verantwortungsbewusstsein für die Arbeiter entstehen. Allerdings zeigt sich an diesem Beispiel auch, dass Vertrauen zeitgleich mit Rationalisierung und Kosteneffizienz einhergehen kann. Dadurch, dass die Arbeiter nun mehr Kompetenzen übernahmen und die Vorgesetzten auf ihre Arbeit vertrauten, benötigte es weniger Kontrolle und Inspekteure konnten eingespart werden. Das Vorhandensein eines Vertrauensverhältnisses lässt sich zudem an zahlreichen anderen Gegebenheiten erkennen. So war die Wertschätzung durch die Vorgesetzten für die geleistete Arbeit der Werker immer wieder in den Interviews mit der Betriebsleitung herauszulesen: „Es gibt Artisten, da kommt selbst unser Lehrschweißer nicht mit, weil Spaltüberbrückungen notwendig sind. Das sind so angeeignete Fähigkeiten, die der Arbeitsprozeß erfordert.“ 144

Demnach eigneten sich die Arbeiter spezielles Wissen und Können an, um ihre Arbeit vollumfänglich und bestmöglich auszuführen. Das wiederum erkannten die Vorgesetzten mit Bewunderung an. Aber auch die Arbeiter vertrauten auf die Fürsorge ihrer Vorgesetzten. Dies zeigte sich besonders an ihrer Zuversicht, ihren Arbeitsplatz nicht zu verlieren, solange sie gute Leistung brachten. Die Mehrheit der interviewten Werker war dieser Auffassung.145 „Also ich habe keine Befürchtungen aufgrund der Jahre. Man hat es ja gesehen, wenn sich einer nichts hat zuschulden kommen lassen, dann haben sie ihn ja nicht einfach rausgeschmissen. Da habe ich also keine Bedenken. […] Man muß seine Arbeit eben zur Zufriedenheit machen, man muß pünktlich sein, darf nicht so oft krankmachen, wenn es geht.“ 146

Solange die Arbeiter Eigenverantwortung und gute Leistung im Sinne von wenigen Fehltagen, Pünktlichkeit, Gewissenhaftigkeit und Engagement erbrachten, bestand ihrer Meinung nach nicht die Gefahr, entlassen zu werden. Außerdem gingen die Werker davon aus, dass auch die Betriebsleitung und die direkten Vorgesetzten in der Produktion ein Interesse an guten Arbeitern hatten und diese im Betrieb halten wollten:

144 IfS Frankfurt A 117 Ordner 7 Gespräch mit Stellvertreter der Rohbauleitung am 29.11.1978, S. 38. 145 „Ich glaube nicht, daß VW jemanden entläßt, der ordentlich arbeitet und schon lange im Betrieb ist. Das liegt natürlich an jedem selbst. Die Arbeit muß natürlich ordentlich sein. Ich kann auch nicht bummeln oder sagen, heute habe ich keine Lust.“ eLabour-SOFIIR01_005_015.pdf Gespräch mit Arbeiterin aus dem Kleinpresswerk, 36 Jahre am 23.09.1977, S. 7; vgl. eLabour-SOFI-IR01_004_010.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Rohbau, 38 Jahre am 21.10.1977, S. 10; eLabour-SOFI-IR01_004_035.pdf Gespräch mit Springer aus der Lackiererei, 43 Jahre am 29.11.1977, S. 13; eLabour-SOFI-IR01_004_008.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Rohbau, 52 Jahre am 04.10.1977, S. 12; eLabour-SOFIIR01_003_002.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Presswerk, 54 Jahre am 28.09.1977, S. 9. 146 eLabour-SOFI-IR01_003_010.pdf Gespräch mit Einleger aus dem Presswerk, 50 Jahre am 26.09.1977, S. 17.

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„Ein Unternehmer wird einen guten Arbeiter nicht wegnehmen, z. B. bei Umsetzung. Der Meister ... wird gute Leute nicht weggeben.“147

Überdies waren sie der Auffassung, dass die Betriebsleitung äußert flexibel auf ihre Bedürfnisse reagierte und die Vorgesetzten Entgegenkommen zeigten: „Es gibt doch so viele Möglichkeiten hier im Werk ... Das Werk ist bis heute auch noch jedem entgegengekommen.“148

Folglich unterstütze das Werk selbst diejenigen Arbeiter, welche ihren Arbeitsplatz aufgrund von Krankheit oder Alter nicht mehr vollumfänglich ausfüllen konnten.149 Diese Wahrnehmung traf allerdings nur auf die Stammbelegschaft zu, die überwiegend männlich, deutsch und schon mehrere Jahre im Werk war. Arbeiterinnen fühlten sich berechtigterweise wesentlich stärker von Arbeitslosigkeit bedroht, denn Frauen und migrantische Arbeiter waren in Krisenzeiten häufiger von Entlassungen und Kurzarbeit betroffen.150 Insbesondere Frauen, deren Ehemann bei VW arbeitete, wurden in der Wirtschaftskrise 1973 zuerst entlassen, da sie „Doppelverdienerinnen“ waren. Der Begriff der „Doppelverdienerin“ reicht bis in die Weimarer Republik zurück. 1932 erließ die Weimarer Regierung ein Gesetz, das es erlaubte, in der Wirtschaftskrise weibliche Angestellte nach Bedarf zu entlassen.151 Die Stellung des Mannes als Alleinverdiener blieb somit auch gesetzlich gesichert. Diese Diskriminierung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt hielt bis in die 1970er Jahre an. Obwohl immer mehr Frauen einer Arbeit nachgingen, galt der Ehemann weiterhin als Versorger der Familie. Demgemäß benötigten Frauen bis 1977 nicht nur die Erlaubnis ihres Ehemannes, wenn sie eine Arbeit ausüben wollten, sondern sie behielten ebenso den Status der „Doppelverdienerin“ bei, wodurch sie in Krisenzeiten weiterhin häufiger von Kündigungen betroffen waren als ihre männlichen Kollegen.152 Eine ausführliche Darstellung des geringen Kündigungsschutzes für Frauen findet sich in Kapitel 4.2.2. Den Arbeiterinnen bei VW war ihre unsichere Lage bewusst: „Sicher möchte ich nicht sagen. Der Stuhl ist doch ganz schön wackelig.“ 153

147 eLabour-SOFI-IR01_005_012.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Presswerk, o. A. am 08.09.1977, S. 9. 148 eLabour-SOFI-IR01_003_002.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Presswerk, 54 Jahre am 28.09.1977, S. 13. 149 eLabour-SOFI-IR01_006_015.pdf Gespräch mit PVC-Unterbodenschutzspritzer aus der Lackiererei, 52 Jahre am 30.11.1977, S. 12. 150 HAUSEN, KARIN 1997, Frauenerwerbstätigkeit und erwerbstätige Frauen, S. 24f. 151 PEUKERT, Detlev: Die Weimarer Republik. Krisenjahre der klassischen Moderne, Frankfurt am Main 1987, S. 101f.; WIKANDER, Ulla: Von der Magd zur Angestellten. Macht, Geschlecht und Arbeitsteilung 1789–1950, Frankfurt am Main 1998, S. 161–165. 152 MATTES, Monika: Krisenverliererinnen? Frauen, Arbeit und das Ende des Booms, in: „Nach dem Strukturbruch“? Kontinuität und Wandel von Arbeitsbeziehungen und Arbeitswelt(en) seit den 1970er-Jahren, hrsg. v. Knud ANDRESEN/Ursula BITZEGEIO/Jürgen MITTAG, Bonn 2011, S. 129f. und S. 131f. 153 eLabour-SOFI-IR01_004_006.pdf Gespräch mit Arbeiterin aus dem Rohbau, 40 Jahre am 10.10.1977, S. 9.

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Eine Fürsorge seitens der Werksleitung gegenüber den Arbeitern war also vor allem in der Wahrnehmung der Stammbelegschaft präsent. Daher verursachte die Einführung der neuen Produktionstechnogien innerhalb dieser Personengruppe auch keine Panik, da sie davon ausgehen konnte, von ihren Vorgesetzten neue Arbeitsplätze zur Verfügung gestellt zu bekommen: „Man müßte vorher überlegen und neue Arbeitsplätze schaffen, damit die Leute nicht entlassen werden. Hier wird das schon ganz human gehandhabt, hier kann man in der Hinsicht nicht klagen. Der Betriebsrat hat die Aufgabe, sich darum zu kümmern, daß neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Das macht er auch und gibt sich wirklich schon viel Mühe. Auch die Werksführung setzt nie gerne langjährige Arbeiter, die wirklich arbeiten, frei.“ 154

Aufgrund dieser Sicherheit waren die Arbeiter wiederum zu Kompromissen bereit. Deswegen nahmen sie etwa häufige Umsetzungen an andere Arbeitsplätze, Produktionsbereiche und sogar andere Werke in Kauf.155 Das verweist auf ein reziprokes Vertrauenssystem, das auf Geben und Nehmen beruhte. Solange dieser Einklang gewährleistet war und keine Missverhältnisse entstanden, zeigten sich beide Akteursgruppen zu Kompromissen bereit. Gleichermaßen wie beim Gruppenarbeits-Projekt war in den IndustrieroboterProjekten das Arbeitsklima für ein konstruktives und produktives Miteinander entscheidend. Dieses Klima beeinflussten laut den Arbeitern vor allem die Vorgesetzten: „Ob das Arbeitsklima gut oder nicht gut ist, das kommt ja von oben. […] Ich finde, das ist ein bisschen humaner geworden. Ich möchte sagen, das kommt wohl auch dadurch, da gibt es viele neue, jüngere Meister, die nicht mehr so von dem alten Stroh sind, sondern die wohl ein bißchen moderner denken.“156

Das Zitat deutet einen Wandel des betrieblichen Konzepts der Menschenführung durch eine jüngere Riege von Vorgesetzten in der Produktion an. Die jüngeren Vorgesetzten bevorzugten einen anderen, weniger rigiden Führungsstil, was der Arbeiter als „humaner“ bezeichnete. Außerdem unterstützten sie die Werker bei Problemen in der Produktion und stellten sich selbst entweder an die Maschine oder ans Band, um Hilfe zu leisten.157 Dadurch wurden Berührungsängste abgebaut und dies führte zu einer stärkeren Bindung der beiden Akteursgruppen untereinander, was sich positiv auf die Arbeitsmoral auswirkte. Insofern begrüßten die Werker die neuen Konzepte der Menschenführung beim Leitungspersonal. Für sie 154 eLabour-SOFI-IR01_005_003.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Presswerk, o. A. am 08.09.1977, S. 9. 155 „Daß ich hier im Werk einmal keine Arbeit mehr kriege, das glaube ich weniger. Daß ich aber laufend umgesetzt werde, weil hier laufend Verlagerungen sind, auch in andere Werke, damit rechne ich. Daß ich hier laufend wandern muß, damit rechne ich, aber daß ich meinen Arbeitsplatz verliere, da habe ich keine Befürchtungen.“ eLabour-SOFI-IR01_004_007.pdf Gespräch mit Arbeiter aus Halle 18, o. A. am 15.09.1977, S. 12. 156 IfS Frankfurt A 117 Ordner 6 Gruppengespräch am 22.05.1980, S. 18. 157 „Das ist immer, wie der Vorgesetzte ist, wie er die Sache sieht. […] bei uns ist das prima. Der Meister selbst geht mit rein und hilft mit, wenn irgendwas ist. Auch der Vorarbeiter oder der Straßenführer. Das ist echt bei uns eine ganz tolle Truppe geworden.“ Ebd., S. 19f.

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war die Ausbildung der Vorgesetzten im Bereich Menschenführung unerlässlich, um ein produktives Arbeitsklima und einen konstruktiven Umgang miteinander im Betrieb zu erreichen: „Wie nun der Vorgesetzte ist, so färbt das ab nach unten. Ob da nun Leute sind, die sagen, wir gehen für dich durchs Feuer oder sagen, wir sind prinzipiell gegen dich, du bist ja gegen uns. […] Und ich möchte sagen, bevor die Leute was werden, sollten sie erstmal Menschenführung lernen, mit Menschen umzugehen. […] Dann hat es jeder leichter. Wenn ein Meister Verständnis für einen hat, der das mal nicht so packt […] dann ist das ganze Arbeitsklima gleich besser. […] Wenn keine Harmonie da ist, dann klappt die Arbeit auch nicht.“ 158

Dies stellt erneut die Verbindung zu Konzepten der Human Relations-Bewegung dar. Dem Meister als direkten Vorgesetzten in der Produktion kam in diesem Menschenführungskonzept eine wichtige Rolle zu. Ihm sollte es gelingen, die Arbeiter besser in den Arbeitsprozess einzubeziehen, etwa als Ansprechpartner für Probleme oder durch die Vermittlung von Wissen. Wurden angelernte Arbeiter in früheren Jahrzehnten meist nur wenige Minuten über die Arbeitsabläufe unterrichtet, erklärten manche Vorgesetzten nun die Funktionen der Maschine und was der Arbeiter konkret am Arbeitsplatz für die Gesamtproduktion leistete. Dies wirkte sich nach eigenem Empfinden positiv auf die Arbeitsleistung der Arbeiter aus.159 Ein wichtiger Faktor war hierbei das Vertrauen, welches mittels dieser Maßnahmen zwischen Arbeitern und ihren Vorgesetzten gestärkt werden sollte.160 Allerdings setzten nicht alle Vorgesetzten diese Konzepte um. Die Hierarchisierung der Produktion blieb bei VW in den 1970er Jahren weitgehend unverändert, wie in Kapitel 3.3 und 4.1 dargestellt.161 Die Analyse offenbart, dass für das erfolgreiche Funktionieren eines Unternehmens und eine gelungene Implementierung von Innovationen ein bestehendes Vertrauensverhältnis der beteiligten Akteure untereinander unabdingbar war. Vertrauen erwies sich für die Akteure durch die Reduktion von Komplexität, die Übernahme von Verantwortung und die Kalkulierbarkeit des Verhaltens anderer Akteure als kosteneffizient, aber vor allem hatte es auch eine wichtige soziale Funktion im Unternehmen, nämlich die Aufrechterhaltung einer Bindung zwischen Akteuren über Hierarchieebenen hinweg. So bildeten die Akteursgruppen bei VW in den HdA-Projekten eine Sinndeutungsgemeinschaft, die Werte, Normen und Zukunftsvorstellungen teilte und entwickelten dadurch Pflichtgefühl, Verantwortungsbewusstsein und Fürsorge füreinander. Überdies belegt die Untersuchung, wie wichtig eine offene Kommunikation für die Kooperation und das Arbeitsklima in allen Projekten war. Durch jene ließen sich Probleme effektiv 158 Ebd., S. 19f. 159 „Heute wird den Leuten die Fertigung etwas erklärt, das ist schon ein kleiner Fortschritt, das finde ich schon einen schönen Zug von denen, das machen nicht alle. Vor allem kriegen die Leute da ein ganz anderes Interesse, als wie wenn sie an eine Maschine gesetzt werden und man ihnen nur sagt, sie müssen da Knöpfchen drücken. Das machen aber nur manche Vorgesetzte.“ eLabour-SOFI-IR01_004_007.pdf Gespräch mit Arbeiter aus Halle 18, o. A. am 15.09.1977, S. 13. 160 KLEINSCHMIDT, CHRISTIAN 2002, Der produktive Blick, S. 194f. 161 HAIPETER, THOMAS 2000, Mitbestimmung bei Volkswagen, S. 147.

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lösen. Das HdA-Programm förderte in seinen Gestaltungsprojekten, wie dem der Gruppenarbeit, dieses Vertrauensverhältnis zwischen den betrieblichen Akteursgruppen, da es eine gemeinsame Ausgestaltung der Projekte auf betrieblicher Ebene zum Ziel hatte. Auch dies kann als Erfolg des Programms angesehen werden. Der konstruktive Austausch setzte aber eine Kritikfähigkeit und Kompromissbereitschaft auf beiden Seiten, von Unternehmensleitung und Arbeitern, voraus. Das Gruppenarbeits-Projekt ermöglichte darüber hinaus eine gemeinsame Entscheidungsfindung über die Einführung und Durchführung der neuen Arbeitsstrukturen. In den Industrieroboter-Projekten waren hingegen die gegenseitige Sorge um und das Vertrauen in die Leistung des jeweils anderen zwischen Arbeitern und Unternehmensleitung ausschlaggebend für eine gemeinsame Basis. Die Verbesserung und der Erhalt der Arbeitsplätze oder möglichst wenige Freisetzungen lagen in beiderseitigem Interesse der Akteursgruppen. Es konnte dargelegt werden, dass Vertrauen die Grundlage einer erfolgreichen Umstrukturierung von Arbeitsstrukturen, der Einführung neuer Produktionstechnologien im Unternehmen und einer gelungenen Kooperation war. 3.2 RATIONALISIERUNG VON UNTEN: WIRTSCHAFTLICHKEIT ALS GETEILTES ZIEL Der in der öffentlichen Diskussion um die „Humanisierung des Arbeitslebens“ häufig beschworene Gegensatz zwischen Rationalisierung und Humanisierung, insbesondere in gewerkschaftlichen Kreisen, wird aus dem politischen Programmtext selbst nicht ersichtlich. So äußerte etwa der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes Heinz Vetter Bedenken, ob die neue Technologie wirklich eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen für Arbeitnehmer mit sich bringe und sah die flächendeckende Demokratisierung in den Betrieben durch das Programm nicht gegeben.162 Letztlich kritisierten gewerkschaftliche Akteure, dass das Programm eher einseitige Rationalisierungsprozesse von Unternehmern unterstütze.163 Im Programmtext selbst ist eine auffällige Absenz des Begriffs Rationalisierung zu erkennen. Nur einmal auf insgesamt 70 Seiten wird der Begriff im Zuge einer möglichen Dequalifizierung der Arbeiter durch neue Produktionstechnologien verwendet.164 Die Programmverfasser bevorzugten das weniger politisch 162 Vetter, Heinz Oskar: Referat, in: Humanisierung der Arbeit als gesellschaftspolitische und gewerkschaftliche Aufgabe. Protokoll der Konferenz des Deutschen Gewerkschaftsbundes vom 16.–17.05.1974 in München, hrsg. v. Heinz Oskar Vetter, Frankfurt am Main u. a. 1974, S. 27ff. 163 NASCHOLD, Frieder: Humanisierung der Arbeit im Spannungsfeld zwischen Tarifparteien und Staat. Probleme einer sozialorientierten Technologiepolitik, in: Humanisierung der Arbeit zwischen Staat und Gewerkschaft. Ein internationaler Vergleich; Kongreßbericht des Internationalen Instituts für Vergleichende Gesellschaftsforschung Wissenschaftszentrum Berlin, hrsg. v. Peter AUER/Boris PENTH, Frankfurt am Main/New York 1981, S. 28. 164 BArch, B 149/27879, Forschungsaktionsprogramm zur Humanisierung des Arbeitslebens Februar 1974, S. 1.

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aufgeladene Wort der „Wirtschaftlichkeit“. Möglicherweise vermieden sie aufgrund der negativen Konnotation bewusst die Bezeichnung Rationalisierung. Diese negative Bedeutung erhielt der Begriff einerseits wie oben dargestellt durch seine kontroverse Diskussion zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern in den 1970er Jahren und andererseits wegen seiner Geschichte etwa in der Weimarer Republik. In den 1920er Jahren wurde Rationalisierung als wirtschaftliches aber auch gesellschaftliches Allheilmittel betrachtet, um die Nachkriegszeit zu überwinden. Es fanden umfassende Rationalisierungsprozesse statt, die allerdings für die Politik nur schwer steuerbar waren und stellenweise experimentellen Charakter mit kaum abschätzbaren Konsequenzen hatten.165 Zahlreiche dieser Versuche scheiterten und letztlich trug die umfassende Rationalisierung am Ende der Weimarer Republik aufgrund geringer Kapazitätsauslastung zur Verschärfung der krisenhaften Entwicklung bei.166 Darüber hinaus erschien der Mensch in der Produktion hierdurch vielen Unternehmern als Störfaktor, der optimal an die Maschinen angepasst werden sollte. Das Reichskuratorium für Wirtschaftlichkeit in Industrie und Handwerk sah jedoch in der extremen Rationalisierung durch die hocharbeitsteilige, standardisierte Massenfertigung die Gefahr, dass schwächere oder von den Leistungsnormvorgaben überforderte Arbeiter Unzufriedenheit ausbildeten und daraus mangelnde Arbeitsmoral oder unzureichende Betriebsverbundenheit resultierten.167 Folglich bedrohe der Prozess der Rationalisierung auch die Gesellschaft, da der Arbeiter als „Sklave der Maschine“ einen „Haß gegen die Gesellschaft“ entwickle.168 Die intensive Rationalisierung und Mechanisierung der Produktion zogen nämlich eine Leistungsverdichtung, Lohnabzüge und Entlassungen für die Arbeiter nach sich.169 Diese negativen Assoziationen schwangen in der Diskussion der 1970er Jahre mit, denn die Rationalisierung wurde wie in den 1920er Jahren von Politik und Wirtschaftseliten als wichtiges Instrument angesehen, um die ökonomischen Krisen zu bewältigen. Daher zielte die in den 1960er Jahren von den Gewerkschaften – vor allem der IG Metall – geäußerte Kritik insbesondere auf die fortschreitende Automation ab.170 Ebenso wie in der 165 HOMBURG, HEIDRUN 1991, Rationalisierung und Industriearbeit, S. 676. 166 KLEINSCHMIDT, Christian: Technik und Wirtschaft im 19. und 20. Jahrhundert (Enzyklopädie deutscher Geschichte 79), München 2007, S. 45. 167 HOMBURG, HEIDRUN 1991, Rationalisierung und Industriearbeit, S. 341f. 168 Schindler, Rudolf: Das Problem der Berufsauslese für die Industrie (Auftragsarbeit des RKW) Jena 1929, S. 14. 169 FREYBERG, THOMAS VON 1989, Industrielle Rationalisierung in der Weimarer Republik, S. 34. 170 Brenner, Otto: Automation und technischer Fortschritt in der Bundesrepublik, in: Automation – Risiko und Chance. Beiträge zur zweiten internationalen Arbeitstagung der Industriegewerkschaft Metall für die Bundesrepublik über Rationalisierung, Automatisierung und technischen Fortschritt 16. bis 19. März 1965 in Oberhausen, hrsg. v. Günter Friedrichs (Bd. 1), Frankfurt am Main 1965, S.15ff.; Friedrichs, Günter (Hrsg.): Automation und technischer Fortschritt in Deutschland und den USA; Ausgewählte Beiträge zu einer internationalen Arbeitstagung der Industriegewerkschaft Metall für die Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt am Main 1963; Friedrichs, Günter (Hrsg.): Automation: Risiko und Chance. Beiträge zur zweiten internationalen Arbeitstagung der Industriegewerkschaft Metall für die Bundesrepub-

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Weimarer Republik erfüllte sich die von der Politik und den Unternehmern angenommene zwangsläufige Verbesserung der Arbeitsbedingungen durch die Mechanisierung der Produktion nicht.171 Folglich war Rationalisierung in den 1970er Jahren ein umkämpftes Konfliktfeld zwischen Politik, Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften. Allerdings, so die Annahme dieser Forschungsarbeit, sollte Rationalisierung anders als in den 1920er Jahren vom Staat sozial gestaltet werden und nicht mit gesellschaftlichen Verwerfungen einhergehen. Das HdA-Programm war hierfür ein geeignetes Instrument. Es diente dem sozialen Ausgleich, um die Systemstabilität zu erhalten. So umfasste es eine Verbesserung des Arbeitsschutzes und wurde von neuen Arbeitssicherheits- und Mitbestimmungsgesetzen flankiert. Auch in der Krise zu Beginn der Weimarer Republik baute die Regierung den Arbeitsschutz 1919 aus und förderte den Einsatz sogenannter Unfallvertrauensmänner in den Betrieben, was eine beginnende Professionalisierung des Arbeitsschutzes bedeutete. Die betriebliche Mitbestimmung der Arbeitnehmer wurde durch das Betriebsrätegesetz 1920 verbessert.172 In den 1970er Jahren folgten nun die Reformierung des Betriebsverfassungsgesetzes 1972 und der Erlass für das Mitbestimmungsgesetz 1976.173 Außerdem führte das 1973 verabschiedete Arbeitsschutzgesetz zum Ausbau betrieblicher Unfallschutzmaßnahmen und der Gesundheitsprävention.174 Einerseits zeigt sich also eine Tradition, wirtschaftliche Krisen durch Rationalisierung zu überwinden und diese zugleich mit der Verbesserung der Arbeitsbedingungen durch mehr Arbeitsschutz und Partizipation zu verknüpfen. Andererseits ging das HdA-Programm in den 1970er Jahren weit über diese Tradition hinaus. Es beinhaltete eine aktive Innovations- und Wissenschaftspolitik, die Innovationspotenziale in den Betrieben im Zusammenspiel mit wissenschaftlichen Erkenntnissen offenlegen und fördern sollte. Überdies unterstützte das Programm die Einführung neuer Produktionstechnologien, gleichfalls wie die Regierung in der Weimarer Republik, aber in den 1970er Jahren wurden diese den Arbeitern in der Produktion durch betriebliche Projekte näher gebracht und an die jeweiligen Bedingungen vor Ort angepasst.175 Das HdA-Programm war somit ein Instrument, um die Arbeiter auf den Wandel zu einer flexiblen, technisierten Produktion vorzubereiten und die Härten dieser Entwicklung abzufedern. Die Wirtschaftlichkeit war dennoch ein gemeinsam geteiltes Ziel der Bundesregierung und der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände im HdA-Programm:

171 172 173 174 175

lik über Rationalisierung, Automatisierung und technischen Fortschritt 16. bis 19. März 1965 in Oberhausen (2 Bd.), Frankfurt am Main 1965. MÜLLER, STEFAN 2016, Humanisierung der Arbeitswelt 1.0, S. 258; RADKAU, JOACHIM 2008, Technik in Deutschland, S. 380. PEUKERT, DETLEV 1987, Die Weimarer Republik, S. 114f.; WISCHERMANN, CLEMENS 2003, Unternehmenskultur, Unternehmenskommunikation, Unternehmensidentität, S. 26. KIßLER, Leo/GREIFENSTEIN, Ralph/SCHNEIDER, Karsten: Die Mitbestimmung in der Bundesrepublik Deutschland. Eine Einführung, Wiesbaden 2011, S. 75. KLEINÖDER, NINA 2015, Unternehmen und Sicherheit, S. 219f. Zu Einführung neuer Produktionstechnologien in der Weimarer Republik: KNORTZ, Heike: Wirtschaftsgeschichte der Weimarer Republik, Göttingen 2010, S. 127f.

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„Humanisierung des Arbeitslebens und Produktivität brauchen nicht in einem Gegensatz zu stehen. Die Erhaltung der Arbeitskraft und die Nutzung der Fähigkeiten des Menschen im Arbeitsleben ist zwar vorrangig ein sozialpolitisches Ziel, das jedoch auch aus volkswirtschaftlicher und betriebswirtschaftlicher Sicht verfolgt werden kann.“176

Folglich seien verbesserter Arbeitsschutz zur Senkung von Krankheitskosten und Folgekosten von Arbeitsunfällen sowie die dadurch verringerte Fluktuation für alle Parteien ein Gewinn.177 Tatsächlich war es für den Staat notwendig, die Unfall- und Berufskrankheitsrate zu senken. Das wird im Hinblick auf die Zahlen deutlich. Allein im Jahre 1976 wurden über zwei Millionen Unfälle und Berufskrankheiten angezeigt, davon waren 4688 mit tödlichem Ausgang verbunden. Die Kosten für die gesetzliche Unfallversicherung beliefen sich auf circa 9 Milliarden DM.178 Der Krankenstand nahm von 1950 bis 1973 um mehr als 70 % zu.179 Ziel der Programmverfasser war daher eine Verringerung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten durch besseren Arbeitsschutz. Dies sollte anhand einer Reduzierung von Arbeit unter extremen Umgebungseinflüssen, wie großer Hitze oder giftigen Dämpfen und einer Beschränkung schwerer körperlicher Tätigkeiten gelingen. Außerdem könne mittels der Bereitstellung von „Entfaltungsmöglichkeiten“ für Arbeitnehmer und einer „kooperationsfördernde[n] Organisation“ eine „Quelle“ „für das wirtschaftliche Wachstum erschlossen werden.“180 Durch die Nutzung des Kreativpotenzials der Beschäftigten und deren Partizipation entstand nach Ansicht der Programmverfasser ein wirtschaftlicher Mehrwert. Insofern erwarteten sie, „daß die Humanisierung der Arbeit in Zukunft ein wichtiger, die Wettbewerbsfähigkeit wesentlich mitbeeinflussender Faktor sein“ werde.181 In der Verbindung von Rationalisierung und erweiterten Mitspracherechten als einem Teil der Humanisierung sahen die politischen Akteure den Schlüssel zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und einer Produktivitätssteigerung. Auch der Fachausschuss „Humanisierung des Arbeitslebens“, dem Vertreter der Wirtschaft, der Gewerkschaften und Politiker angehörten, bekräftigte die Zielsetzung, Humanisierung und Rationalisierung miteinander zu verbinden. So musste laut Fachausschuss die Humanisierung „in eine Politik“ eingebettet sein, „die die wirtschaftliche Grundlage für den gesellschaftlichen Fortschritt dauerhaft sichert.“ Dies bedeute die Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen durch eine „Steigerung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Unternehmen“ und „technologischen Fortschritt“.182 Demnach sollten die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen sowie die Steigerung der Wirtschaftsleistung mit verbesserten Arbeitsbedingun176 BArch, B 149/27879, Forschungsaktionsprogramm zur Humanisierung des Arbeitslebens Februar 1974, S. 9. 177 Ebd., S. 9. 178 EGGEBRECHT, ARNE U. A. 1980, Geschichte der Arbeit, S. 334. 179 Ebd., S. 335. 180 BArch, B 149/27879, Forschungsaktionsprogramm zur Humanisierung des Arbeitslebens Februar 1974, S. 10. 181 Ebd., S. 10. 182 BArch, B 196/31215, Protokoll der konstituierenden Sitzung des Fachausschusses „Humanisierung des Arbeitslebens“ am 09.07.1975 in Bonn, S. 2f.

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gen und sozialem Ausgleich einhergehen.183 Es ist wenig verwunderlich, dass sich die angenommene Symbiose der beiden Prozesse ebenso in der Abhandlung des politischen Programmvertreters Hans Matthöfer wiederfindet: „Gerade von Arbeitgebern wird immer wieder betont, daß es einen grundsätzlichen Gegensatz zwischen den Zielen der Produktivitätssteigerung und der Humanisierung der Arbeit nicht gebe. Tatsächlich läßt sich anhand vieler Beispiele nachweisen, daß Produktivitätssteigerungen im Zuge einer verbesserten Arbeitsgestaltung, die mehr auf die Wünsche und Bedürfnisse der Arbeitnehmer Rücksicht nahm oder durch den Abbau von äußeren Belastungen erzielt wurden.“184

Statt einer Trennung stellt das Zitat erneut eine Verbindung zwischen den beiden Prozessen Humanisierung und Rationalisierung her, die allerdings nur durch den Ausgleich der Interessen zwischen Betriebsleitung und Arbeitern erfolgreich funktionieren konnte. Rationalisierung ausschließlich zugunsten der Betriebsleitung hingegen förderte Konflikte und Auseinandersetzungen, worauf das Kapitel 4 näher eingeht. Gelang es jedoch die Rationalisierung gewinnbringend für die Werker zu gestalten, war eine Produktivitätssteigerung und zugleich die Verbesserung der Arbeitsbedingungen möglich. Es handelte sich somit um ein System der Reziprozität und dies korrelierte erneut mit dem Konzept der Sozialpartnerschaft. Häufig wurde Rationalisierung im Betrieb auch in der Geschichtswissenschaft nur „von oben“ gedacht, da das Ziel der Effektivitätssteigerung eines Unternehmens ausschließlich mit dessen Leitung in Verbindung gebracht worden war.185 Daher erschienen die Arbeiter im Unternehmen meist als Objekte betrieblicher Umstrukturierungsprozesse. Darüber hinaus wurde oft ausschließlich der Widerstand ihrer Interessenvertretungen, wie Gewerkschaften, gegen betriebliche Rationalisierungsmaßnahmen in der geschichtswissenschaftlichen Forschung thematisiert. Dieses Kapitel möchte jene älteren Forschungsmeinungen ergänzen, indem es Arbeiter als Akteure in und als Gestalter von betrieblicher Rationalisierung herausstellt und somit eine realitätsnähere Beschreibung von Rationalisierungsprozessen im Unternehmen ermöglicht. Die forschungsleitende Annahme ist, dass die Arbeiter Rationalisierung als Teil des Wirtschaftsprozesses akzeptierten und diesen auch selbstständig vorantrieben. Folglich teilten sie jenes Ziel mit der Unternehmensleitung, allerdings nur solange es beiden Seiten von Nutzen war und kein einseitiges Missverhältnis entstand. Die Analyse spürt der Frage nach, warum und wann Arbeiter Rationalisierung befürworteten und wie sie in Rationalisierungsprozessen handelten und mit ihren Vorgesetzten darin kooperierten. An den Äußerungen der Werker in den Industrieroboter-Projekten lässt sich erkennen, dass sie ebenso wie die Betriebsleitung ein Interesse daran hatten, dass das Unternehmen kosteneffizient und wettbewerbsfähig blieb:

183 Ebd., S. 3. 184 Matthöfer, Hans, Humanisierung, S. 38. 185 KLEINSCHMIDT, CHRISTIAN 1993, Rationalisierung als Unternehmensstrategie, S. 14.

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„VW muß ja auch konkurrenzfähig bleiben. Und die Konkurrenz ist groß und da muß VW mit. Da müssen auch mehr automatische Maschinen eingesetzt werden. Denn wenn das alles mit der Hand gemacht wird, dann wird das alles noch teurer.“ 186

Den Arbeitern war bewusst, dass die Konkurrenten von VW, etwa Ford oder Opel, genauso rationalisierten und neue Produktionstechnologien wie Roboter einsetzten. Die manuelle Produktion könne so mit den Kontrahenten nicht mehr mithalten. Daher befürworteten sie die Einführung der neuen Technologien, um nicht Gefahr zu laufen, durch den Verzicht darauf Wettbewerbsnachteile zu erhalten und somit das Risiko eines Arbeitsplatzverlustes zu erhöhen. Überdies demonstriert etwa die Aussage „Kommt immer was Neues“ die Akzeptanz der Arbeiter von Rationalisierungs- und Innovationszyklen als normale, wiederkehrende Prozesse in einem Unternehmen.187 Demnach gehörte es zum Arbeitsalltag der Werker, in gewissen Abständen mit Neuerungen und Produktionsumstellungen konfrontiert zu werden. Es zählte zu ihrer „Normalität“. 188 Damit knüpft die Analyse an andere Forschungen zur betrieblichen Rationalisierung an, welche die wiederkehrende Prozesshaftigkeit von Rationalisierung für Arbeiter bereits hervorhob.189 Zahlreiche Werker verinnerlichten den technischen Fortschritt daher als prinzipiell notwendig: „Wenn keiner für die Technik wäre, würden wir keine Autos verkaufen können. Und dann hätten wir auch nichts zu tun. Ich bin also nicht gegen die Technik […] Bin überzeugt, daß das sein muß.“190

Unter den Arbeitern gab es also einen weit verbreiteten Fortschrittsglauben.191 Diesen „technikorientierten Fortschrittsoptimismus“ sieht der Historiker Eberhard Schmidt als elementaren Teil der Arbeiterbewegung in Deutschland an. 192 Jener Fortschritt sollte durch die technisch immer weiter zu vervollkommnende Arbeit und die freie Entfaltung der Individuen Wohlstand für alle ermöglichen sowie mit der „Vermehrung der menschlichen Handlungsmöglichkeiten gegenüber der Na-

186 eLabour-SOFI-IR01_007_007.pdf Gespräch mit Arbeiterin aus der Endmontage, 26 Jahre o. D., S. 4. 187 „Das kam so nach und nach und kommt immer was Neues. Damit hat man sich hier abgefunden. Die Konkurrenz wie Opel und Ford, die machen es ja auch und da darf man nicht schlafen.“ eLabour-SOFI-IR01_006_014.pdf Gespräch mit Lackierer aus Halle 12, o. A. am 29.11.1977, S. 4. 188 eLabour-SOFI-IR01_004_029.pdf Gespräch mit Arbeiter aus der Gießerei, 43 Jahre am 14.10.1977, S. 5. 189 KLEINSCHMIDT, CHRISTIAN 1993, Rationalisierung als Unternehmensstrategie, S. 13. 190 eLabour-SOFI-IR01_003_019.pdf Gespräch mit Abstapler aus Halle 18, o. A. am 12.09.1977, S. 4. 191 Vgl. eLabour-SOFI-IR01_003_024.pdf Gespräch mit Nacharbeiter aus dem Untergruppenrohbau, 43 Jahre am 25.10.1977, S. 4; eLabour-SOFI-IR01_007_009.pdf Gespräch mit Springer aus der Endmontage, 37 Jahre o. D., S. 5; eLabour-SOFI-IR01_003_025.pdf Gespräch mit Springer aus Halle 18, 50 Jahre am 12.09.1977, S. 6. 192 SCHMIDT, EBERHARD 2008, Arbeiterbewegung, S. 174.

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tur“ durch Wissenschaft und Technik einhergehen, wie der Vergleich mit dem afrikanischen Dschungel eines Arbeiters darlegt193: „Die Technik ist soweit sehr gut möchte ich sagen. Fortschritt ist immer gut. […] Stillstand darf nicht sein, sonst sind wir bald in Afrika im Dschungel.“ 194

Daran ist ebenso die Erwartungshaltung geknüpft, dass dieser Fortschritt mit einer Höherentwicklung des Menschen einherginge.195 Dieser Fortschrittsglaube war schon in den 1920er Jahren in der Politik, Wirtschaft und Gesellschaft präsent.196 Auch hier wurde die „Aufwertung von Arbeit immer wieder mit der Weiterentwicklung von Technik und Arbeitsorganisation verbunden.“197 Diese Tradition blieb bis in die 1970er Jahre erhalten. So nahmen die Arbeiter in den HdAProjekten neue Technik als verheißungsvolle Grundlage für ihre weitere Beschäftigung und somit als Existenzsicherung wahr. Diese Vorstellung teilten sie mit der Unternehmensleitung, die in der Technisierung der Produktion eine Möglichkeit zur Produktivitätssteigerung und zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit sah.198 Ab den 1970er Jahren begann dennoch ein Umdenken. Dieser Wandel vollzog sich sowohl in den Sozialwissenschaften, insbesondere der Industriesoziologie mit vermehrten Studien zur Technikfolgenabschätzung, als auch in den Eliten der Gesellschaft. Zu nennen ist hier etwa der 1968 konstituierte Club of Rome, ein Zusammenschluss von internationalen Wissenschaftlern, Philosophen, Politikern und Unternehmern, der Grenzen des Wachstums und des Fortschritts vorhersagte.199 Ebenso kritisierten die neuformierten Studenten- oder Umweltbewegungen negative Folgen des Technikeinsatzes unter anderem aufgrund der dadurch angenommenen Entfremdung oder Individualisierung von Arbeit.200 Trotz dieser kritischen Stimmen bestand und besteht die Kontinuität der Annahme von Fortschritt durch Technik bis heute fort.201

193 KÖNIG, Wolfgang: Technikgeschichte. Eine Einführung in ihre Konzepte und Forschungsergebnisse (Wirtschaftsgeschichte 7), Stuttgart 2009, S. 100. 194 eLabour-SOFI-IR01_004_016.pdf Gespräch mit Einleger aus dem Rohbau, o. A. am 26.10.1977, S. 4. 195 KÖNIG, WOLFGANG 2009, Technikgeschichte, S. 100. 196 FREYBERG, THOMAS VON 1989, Industrielle Rationalisierung in der Weimarer Republik, S. 233f. 197 SCHMIEDE, Rudi: Industriesoziologie und gesellschaftliche Arbeit. Einige kritische Anmerkungen, in: Technik und sozialer Wandel, hrsg. v. Burkart LUTZ, Frankfurt am Main 1987, S. 182 oder vgl. PEUKERT, DETLEV 1987, Die Weimarer Republik, S. 117f. 198 HAIPETER, THOMAS 2000, Mitbestimmung bei Volkswagen, S. 163. 199 KÖNIG, WOLFGANG 2009, Technikgeschichte, S. 101; KLEINSCHMIDT, CHRISTIAN 2007, Technik und Wirtschaft im 19. und 20. Jahrhundert, S. 76f.; STAPELFELDT, Gerhard: Geschichte der ökonomischen Rationalisierung (Spuren der Wirklichkeit 14), Münster 22004, S. 346 oder MEADOWS, Dennis u. a.: Die Grenzen des Wachstums. Bericht des „Club of Rome“ zur Lage der Menschheit, Reinbek 1973. 200 Vgl. BAUER, REINHOLD 2006, Gescheiterte Innovationen, S. 11; OHME-REINICKE, Annette: Moderne Maschinenstürmer. Zum Technikverständnis sozialer Bewegungen seit 1968 (Campus Forschung 818), Frankfurt am Main 2000, S. 56 und S. 63. 201 Vgl. BAUER, REINHOLD 2006, Gescheiterte Innovationen, S. 11.

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So sehr die Arbeiter die Einführung neuer Technologien in ihren Aussagen befürworteten, schwang gleichzeitig immer eine gewisse Ambivalenz oder Sorge in ihren Antworten mit. Sie waren sich nämlich darüber im Klaren, dass durch die Automation Arbeitsplätze und höhere Lohngruppen teilweise verschwanden.202 Doch letztlich lässt sich ihre Haltung zur Automatisierung wie folgt zusammenfassen: „Für den Betrieb ist es ja gut. Und wenn es dem Betrieb auch gut geht, dann geht es uns ja auch gut. Wo nichts drin ist, da kann man auch nichts holen.“203

Der Betrieb erscheint in diesem Zitat erneut als Schicksalsgemeinschaft. Keine Akteursgruppe könne ohne die andere ausreichend profitieren. Da technische Innovation und Rationalisierung den Arbeitern als Teil des Wirtschaftsprozesses bekannt waren, löste die Einführung der Roboter nach Aussage eines Abteilungsleiters aus dem Rohbau keine Panik aus.204 Diesen Umstand bekräftigt die Aussage eines Arbeiters: „Ich habe es nicht so stark empfunden, den Einsatz der Roboter, weil die Personen nicht entlassen wurden. Die arbeiten jetzt an einer anderen Straße. Sonst wäre das ein Problem.“205

Voraussetzung für die Akzeptanz des Roboters unter den Werkern war wiederum seine Wirtschaftlichkeit. Solange der Roboter seine Leistung brachte, sicherte er nach Ansicht der Arbeiter den eigenen Arbeitsplatz und Lohn. Jedoch lehnten sie die Technologie bei Unrentabilität ab, da VW dadurch rote Zahlen schreiben und die Technologie den Werkern damit schaden würde.206 Letztlich sicherte der Roboter den Aussagen der Arbeiter zufolge durch seine Produktivität auf lange Sicht die eigenen Arbeitsplätze.207 Rationalisierung und Technisierung der Produktion mussten also immer mit einem Nutzen für die Arbeiter einhergehen. Die Arbeiter tolerierten die Einführung der Industrieroboter, da sie sich davon Vorteile über die Produktivitätssteigerung und den Unternehmenserfolg hinaus versprachen:

202 Vgl. eLabour-SOFI-IR01_003_019.pdf Gespräch mit Abstapler aus Halle 18, o. A. am 12.09.1977, S. 8; eLabour-SOFI-IR01_004_012.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Karosserierohbau, 47 Jahre am 11.10.1977, S. 4; eLabour-SOFI-IR01_004_019.pdf Gespräch mit Straßenführer aus Halle 4, 50 Jahre am 24.10.1977, S. 5. 203 eLabour-SOFI-IR01_003_019.pdf Gespräch mit Abstapler aus Halle 18, o. A. am 12.09.1977, S. 8. 204 „Das Argument, daß man so etwas brauche, wenn man konkurrenzfähig bleiben wolle, habe gezogen.“ eLabour-SOFI-IR01_001_024.pdf Gespräch mit Abteilungsleiter und mit Unterabteilungsleiter aus dem Rohbau am 21.09.1977, S. 5. 205 eLabour-SOFI-IR01_004_004.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Presswerk, o. A. am 12.09.1977, S. 5. 206 Vgl. eLabour-SOFI-IR01_004_017.pdf Gespräch mit Punktschweißer aus dem Rohbau, o. A. am 04.10.1977, S. 9; eLabour-SOFI-IR01_004_031.pdf Gespräch mit Arbeiter aus der Gießerei, 40 Jahre am 14.10.1977, S. 9. 207 eLabour-SOFI-IR01_007_005.pdf Gespräch mit Beanstander aus der Endmontage, 41 Jahre o. D., S. 5f.

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Arbeiter als Kooperationspartner „Der Arbeiter hat dann auch einen Nutzen, denn die schwere Arbeit fällt weg und es sind weniger Leute krank. Automatische Maschinen sind nicht schlecht, wenn sie zum Nutzen des Menschen eingesetzt werden.“208

Als wichtige Faktoren für den eigenen Nutzen empfanden Arbeiter die Erhaltung der eigenen Gesundheit und die Abnahme schwerer körperlicher Arbeit. Außerdem deuteten einige Aussagen auf das Abhängigkeitsverhältnis von Arbeitern und Unternehmensleitung hin, welches den Werkern bewusst war. Demnach sei die Unternehmensleitung auf zahlungsfähige Kundschaft angewiesen, die sich unter anderem aus den angestellten Arbeitern zusammensetzte. Durch den Arbeitsplatzverlust entfalle dieser Kundenstamm vorerst.209 Letztlich hatten die Arbeiter ein sehr genaues Verständnis davon, wie Wirtschafts- und Rationalisierungsprozesse verliefen und welche Folgen diese für sie haben konnten: „Ohne Mechanisierung und Modernisierung geht die Firma ja auch pleite. Solange es Modernisierungen bleiben, bin ich dafür. Und dabei bleiben notgedrungen Leute auf der Strecke, sonst wäre die ganze Rationalisierung ja wirtschaftlich Tinnef. Man kann schließlich nicht mehr einstellen für die gleiche Arbeit. Aber die restliche Arbeit muß dann gerecht verteilt werden.“210

Weitere Kriterien für die Zustimmung zur Rationalisierung bildeten demgemäß die Weiterbeschäftigung der angestellten Arbeiter und die gerechte Verteilung der Arbeitsplätze. Die Arbeiter waren also mitnichten unwissend in Bezug auf die wirtschaftlichen Gesetzmäßigkeiten und akzeptierten diese sogar, wie an ihrem Verzicht auf die Einstellung zusätzlicher Arbeitskräfte deutlich wird. Gewicht hatte für sie dabei jedoch der gerechte Ausgleich der Interessen. Der Unternehmenserfolg stellte sowohl für die Arbeiter als auch die Unternehmensleitung ein elementares Ziel dar. Aus diesem Grund unterstützten die Arbeiter Rationalisierung im für sie angemessenen Maße. Ganz allgemein hielten es die Arbeiter für legitim, dass die Betriebsleitung so wie sie selbst ökonomisch und kosteneffizient handelte.211 Folglich waren das Berechnen und Einsparen von Kosten eine Gemeinsamkeit, da auch die Arbeiter versuchten, den höchstmöglichen Lohn für ihre Arbeit herauszuholen. Demnach billigten sie es ebenso der Unternehmensleitung zu, Kosten zu senken.212 Gleiches galt für den Wunsch der Werker nach Fortbildung. Wenn diese für den Betrieb nicht rentabel war, zeigten die Arbeiter Ver-

208 eLabour-SOFI-IR01_004_004.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Presswerk, o. A. am 12.09.1977, S. 7. 209 „Solange das zum Nutzen des Arbeiters ist, ist alles schön und gut. Wenn der Arbeiter stempeln gehen muß, kann er ja das Produkt nicht mehr kaufen, das sind ja die Kunden von morgen.“ Ebd., S. 5. 210 eLabour-SOFI-IR01_007_020.pdf Gespräch mit Lackierer aus Halle 9, 44 Jahre o. D., S. 6. 211 „Das ist Sache des Betriebes. Da kann man als Arbeitnehmer nichts zu sagen. Jeder versucht ja, etwas rauszuholen.“ eLabour-SOFI-IR01_003_003.pdf Gespräch mit Einleger aus dem Presswerk, 41 Jahre am 26.09.1977, S. 7. 212 „Wenn das mein Betrieb wäre, dann würde ich das auch nicht machen. Da muß der Betrieb ja drauf achten, daß das wirtschaftlich ist.“ eLabour-SOFI-IR01_004_010.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Rohbau, 38 Jahre am 21.10.1977, S. 9.

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ständnis dafür, dass sie sich nicht höher qualifizieren konnten, um dem Betrieb und ihrer Logik nach letztlich sich selbst nicht zu schaden: „Bei einem Betrieb, der so viele Leute hat, können ja nicht 10.000 Leute kommen und sagen, wir gehen jetzt alle auf die Schule. So ein Unternehmen muß ja produzieren und verkaufen.“213

Interessanterweise stellten die Kosten für die Humanisierung hierbei keine Ausnahme für die Arbeiter dar. Sie wollten, dass das Unternehmen nicht nur wirtschaftlich unrentable Kosten senkte, sondern auch die für sie gedachte Humanisierung in der Produktion sollte kosteneffizient sein.214 Falls die Ausgaben für die Humanisierung zu hoch ausfielen, hätten sie dadurch letztendlich einen Schaden, etwa durch den Verlust des Arbeitsplatzes: „Die Wirtschaftlichkeit kommt hintenrum wieder rein. Die Krankheitskurve sinkt ab, z. B. bei weniger Lärm weniger Schwerhörige. Wenn ich Humanisierung übertreibe, z. B. den Lärm ganz beseitige, würde das Millionen kosten, dann natürlich nicht. Ich will meine Arbeitsstelle erhalten.“215

So forderten sie, dass „Humanität und Wirtschaftlichkeit“ „Hand in Hand gehen“.216 Für viele Werker stellten Wirtschaftlichkeit und Humanisierung also keinen Widerspruch dar. Damit teilten sie abermals eine Gemeinsamkeit mit der Unternehmensleitung, welche die betriebliche Humanisierung gleichermaßen kosteneffizient gestalten wollte.217 Die Unternehmensleitung sah, wie die politischen Initiatoren des Programms, eine Symbiose zwischen Humanisierung und Rationalisierung. Daher sollten zwar auf der einen Seite durch Mechanisierung Fertigungspersonal eingespart, aber auf der anderen Seite die schweren körperlichen Arbeiten automatisiert werden: Rohbauleiter: „[…] Diese Roboterautomatisierung zu benutzen […] um also zwei Richtungen, nämlich einmal die Humanisierung zu haben und zum anderen die Automatisierung im Sinne einer neuen Technologie. D. h. einer der Hauptgründe ist tatsächlich Abschaffung schwerer Arbeitsvorgänge im Rohbau, nicht nur aus reiner Menschlichkeit, sondern aus Zweckmäßigkeitsgründen, daß nämlich der Rohbau als kritischer Bereich auf Dauer, denken wir 10 Jahre weiter, eigentlich nicht mehr mit Leuten zu bestücken ist.“ 218

213 eLabour-SOFI-IR01_003_014.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Untergruppenrohbau, 35 Jahre am 11.10.1977, S. 11. 214 „Der Werker ist aber dafür, daß Humanisierungsarbeiten rentabel sein müssen.“ eLabourSOFI-IR01_003_003.pdf Gespräch mit Einleger aus dem Presswerk, 41 Jahre am 26.09.1977, S. 7. 215 eLabour-SOFI-IR01_004_004.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Presswerk, o. A. am 12.09.1977, S. 10. 216 eLabour-SOFI-IR01_005_007.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Presswerk, 55 Jahre am 09.09.1977, S. 6. 217 „Die Humanisierungsbemühung besitzt zwei Aspekte. Einmal muß die Zumutbarkeit von Arbeitsplätzen berücksichtigt werden und zum anderen die Kosten der Humanisierungsanstrengungen für den Betrieb.“ eLabour-SOFI-IR01_001_097.pdf Gespräch mit Hauptabteilungsleiter der Standardabteilung am 23.06.1977, S. 5f. 218 IfS Frankfurt A 117 Ordner 7 Gespräch mit Rohbauleiter o. D., S. 2.

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Die zu automatisierenden Arbeitsplätze erforderten etwa schwere Hebetätigkeiten oder es waren Tätigkeiten mit schädlichen Umwelteinflüssen, wie das Schweißen, die auf Dauer aus Sicht der Unternehmensleitung nicht mehr zu besetzen waren.219 Vor allem die Schwierigkeit der fehlenden Arbeitskräfte für solche Tätigkeiten war laut der Werksleitung in Hannover das ausschlaggebende Argument für die Einführung der Roboter. So seien die Roboter im strengen Sinne nicht „wirtschaftlich“ und eine viel zu große Investition, hätte man die üblichen „Prinzipien“ bei VW angewendet. Allerdings rechnete die Werksleitung mit einem „Trend“. Die Betriebsleitung war unsicher, wie lange sie solche schweren Arbeitsplätze noch besetzen könne, denn „es sind auf der anderen Seite keine Leute, die sich aufgrund ihrer vielleicht vorhandenen Notlage mit solchen Arbeitsplätzen abfinden, also türkische Gastarbeiter“ und die Arbeitskräfte benötigten zusätzlich höherwertige Qualifikationen, wie das Schweißen.220 Dementsprechend seien etwa die aus Ostfriesland angeworbenen Arbeitskräfte nach Angaben des Hauptabteilungsleiters der Elektrobetriebe aufgrund der harten Arbeitsbedingungen wieder heimgekehrt.221 Dieser Umstand verdeutlicht einerseits den Mangel an Personal für unqualifizierte, schwere körperliche sowie für qualifizierte, körperlich schädigende Arbeit angesichts der hohen Fluktuation und andererseits den in Kapitel 2 angedeuteten Wandel in der Gruppe der Arbeiter, solche Tätigkeiten nicht mehr verrichten zu wollen. Insofern ging gleichermaßen die Unternehmensleitung davon aus, dass diese Arbeiten zukünftig in der benötigten Größenordnung nicht mehr zu besetzen waren und richtete daher den Fokus auf die Roboter. Die Werksleitung sah die Rationalisierung jener Arbeitsplätze letztlich als eine Form von Humanisierung an: „D. h., wenn Sie die Leute nicht rausschmeißen, sondern umsetzen, umschulen usw., dann sehe ich auch das [als] einen Schritt in die Richtung humaner Arbeitsplätze an, allerdings nicht Schaffung von Arbeitsplätzen, das ist klar. Diesen Widerstreit werden wir immer haben in der Zukunft, wenn wir über Humanisierung und Rationalisierung reden.“222

Daraus geht die Übernahme von Verantwortung der Leitung für die Arbeiter hervor. Die Werksleitung versuchte, Entlassungen zu vermeiden und stattdessen Umschulungen oder Umsetzungen in andere Bereiche zu ermöglichen. Folglich war sie auch auf einen Interessensausgleich bedacht. Außerdem stellte die Verbindung von Humanisierung und Rationalisierung für sie in der Praxis einen immer neu auszutarierenden Konflikt dar. Es zeigt sich, dass auch das Leitungspersonal Schwierigkeiten mit der Definition des Begriffs Humanisierung hatte und Zweifel hegte, ob die fortschreitende Automatisierung generell als solche bezeichnet werden könne:

219 IfS Frankfurt A 117 Ordner 7 Gespräch mit Werksleiter o. D., S. 20; IfS Frankfurt A 117 Ordner 7 Gespräch mit Rohbauleiter o. D., S. 1 und S. 13. 220 IfS Frankfurt A 117 Ordner 8 Gespräch mit Werksleitung am 25.04.1980, S. 16. 221 eLabour-SOFI-IR01_009_033.pdf Gespräch mit Hauptabteilungsleiter der Elektrobetriebe am 01.06.1977, S. 10. 222 IfS Frankfurt A 117 Ordner 8 Gespräch mit Werksleitung am 25.04.1980, S. 48.

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„Man kann natürlich darüber streiten, ob Humanisierung vorliegt, wenn keine Arbeitskraft mehr da ist, das ist meine persönliche Meinung.“223

Doch letztlich war selbst der Betriebsrat, der eigentlich für den Erhalt der Arbeitsplätze eintrat, der Meinung, dass einige Tätigkeiten nicht mehr menschenwürdig seien: „Wir forderten ja immer Humanisierung der Arbeitsplätze und das wäre ja eine Zumutung, diese schweren Knochenarbeiten […] Im Grunde genommen muß man es auch als Betriebsrat irgendwo bejahen, daß solche beschissenen, sage ich mal, Arbeitsplätze tatsächlich verschwinden.“224

Daraus lässt sich ableiten, dass alle betrieblichen Akteure bestimmte Arbeitsplätze für unzumutbar hielten und deren Wegfall durch die Automatisierung als kleineres Übel ansahen – sogar die Arbeiter: „Ich glaube ja, daß es sich eher rentiert einen Robby zu verschleißen, als 3 oder 4 Leute.“ 225

Folglich gab es beim Rationalisierungsprozess durch neue Produktionstechnologien zahlreiche gemeinsame Interessen der Unternehmensleitung und der Werker; die Humanisierung war eine davon. Allerdings verliefen diese Interessen nur so lange parallel, wie der Nutzen für beide Seiten ausgeglichen war. Das System der Reziprozität musste gewahrt werden: „Wichtig ist, daß der Nutzen auf beiden Seiten liegt. Wenn er nur einseitig ist, gibt es Reibereien. Das Betriebsklima würde darunter leiden.“226

Die Arbeiter wussten, dass die Betriebsleitung für eine effektive Produktion auf sie angewiesen war und forderten daher ebenso positive Effekte der Rationalisierung für sich ein. Wie verhielten sich nun die Gruppenarbeiter im Rationalisierungsprozess? Allein der Versuch der Gruppenarbeit an sich konnte als Rationalisierungsmaßnahme zum gemeinsamen Nutzen von Arbeitern und Betriebsleitung gesehen werden. Schon in der Weimarer Republik führten Automobilhersteller, wie Daimler-Benz, in der schwierigen wirtschaftlichen Lage nach Kriegsende jene Form von Arbeitsstrukturen ein, um eine effizientere Produktion zu erreichen.227 Diese Tatsache lässt sich zweifelsohne auf die 1970er Jahre in der BRD übertragen. Auch hier herrschten Rationalisierungs- und Modernisierungsrückstände vor. Der Umbau der Industrie durch neue Technologien und Arbeitsstrukturen war notwendig, um 223 eLabour-SOFI-IR01_009_035.pdf Gespräch mit Leiter der Abteilung Vorplanung Rohbau am 22.06.1977, S. 4. 224 IfS Frankfurt A 117 Ordner 7 Gespräch mit Betriebsratsvorsitzendem am 01.12.1978, S. 21. 225 eLabour-SOFI-IR01_003_017.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Untergruppenrohbau, 47 Jahre am 12.09.1977, S. 13. 226 eLabour-SOFI-IR01_005_004.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Presswerk, o. A. am 14.09.1977, S. 10. 227 Vgl. FREYBERG, THOMAS VON 1989, Industrielle Rationalisierung in der Weimarer Republik, S. 152f.; LANG, Richard/HELLPACH, Willi: Gruppenfabrikation (Sozialpsychologische Forschungen des Instituts für Sozialpsychologie an der Technischen Hochschule Karlsruhe 1), Berlin 1922.

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wie in der Weimarer Republik eine Produktivitätssteigerung zu erreichen und die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Die Gruppenarbeit wurde nicht nur in der Automobilindustrie, sondern auch in der Eisen- und Stahlindustrie beide Male als mögliche Übergangsfertigung genutzt, entweder als Umstellung von manueller Fertigung auf Fließbandarbeit in den 1920er Jahren oder als Übergang von der Fließbandarbeit zur flexiblen Produktion in den 1970er Jahren.228 Ebenso gab es bei VW, wie in anderen Großbetrieben, zu der Großserienfertigung immer die Kleinserien- und Spezialproduktion, wofür sich die Gruppenarbeit eignete.229 Die Gruppenarbeit bei VW wurde im Werk Salzgitter eingeführt, das schwer unter der seit 1973 eintretenden Krise bei VW litt. Es stand sogar die Werksschließung zur Diskussion. Letztlich wurde der Fahrzeugbau im Werk geschlossen und nur noch Motoren produziert.230 Das erklärt, warum die meisten der Gruppenarbeiter sogenannte Karenzlöhner waren, also Arbeiter, deren angestammter Arbeitsplatz aufgrund von Rationalisierungsmaßnahmen entfiel.231 Demnach war das Gruppenarbeits-Projekt ab 1975 einerseits für das gesamte Werk ein Gewinn, da auch dank des HdA-Projekts eine Schließung des Werkes abgewendet werden konnte und andererseits bot das Projekt den Arbeitern einen Arbeitsplatz, die ihren vorherigen durch den Rationalisierungsprozess verloren hatten.232 Im Gruppenarbeits-Projekt, welches den Arbeitern einen größeren Freiraum zubilligte, kristallisierten sich die Arbeiter sogar als Gestalter von Rationalisierung heraus. Schon in der ersten Sitzung des ÖPSZ legte die Projektleitung offen, dass das Weiterbestehen der Gruppenarbeit hauptsächlich von ihrer Kosteneffizienz abhinge: „Bei der Frage der Bewertung aus Sicht der VW AG […] ist das Wesentliche der Vergleich unterschiedlicher Arbeitsstrukturen. […] Die Frage der Wirtschaftlichkeit der Arbeitsstrukturen ist der primäre Punkt […] Wirtschaftlichkeit entscheidet langfristig über den Bestand der Arbeitsstruktur.“ 233

Infolgedessen waren die Fertigungskosten elementares Bewertungskriterium. Die Fertigungskosten beinhalteten laut Projektleiter die Lohnkosten, Fertigungsgemeinkosten, wie Produktionsanlagen, die Fluktuation und den Abwesenheitsstand sowie die Qualitätskosten.234 Es ginge zwar darum „Möglichkeiten dieser neuen Arbeitsstruktur aufzuzeigen“, diese Gestaltungsmöglichkeiten seien aber abhängig 228 FREYBERG, THOMAS VON 1989, Industrielle Rationalisierung in der Weimarer Republik, S. 155f.; GEBBERT, Volker: Gruppenarbeit und Belegschaftsbeteiligung in der Eisen- und Stahlindustrie (Forschungsberichte aus dem Landesinstitut Sozialforschungsstelle Dortmund), Frankfurt am Main 1985. 229 BERGHOFF, HARTMUT 2016, Moderne Unternehmensgeschichte, S. 325. 230 ECKARDT, ANDREA 2010, Qualifiziert diskutieren, weiter streiten, mehr mitgestalten!, S. 66ff. 231 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G2 und G4 10.11.1976 I ab 01:32:55 Min. 232 ECKARDT, ANDREA 2010, Qualifiziert diskutieren, weiter streiten, mehr mitgestalten!, S. 80. 233 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ ÖPSZ erweiterte Planung 31.03.1975 ab 01:23:14 Min. 234 Ebd. ab 01:34:50 Min.

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von den Herstellungskosten. Ebenso gelte es die Frage zu beantworten, ob die Gruppenarbeit langfristig realisierbar sei und wo die Grenzen und Möglichkeiten der Arbeitsstruktur bei VW lägen.235 Daher hatten die Arbeiter und die Projektleitung das gleiche Ziel: Die Gruppenarbeit möglichst kosteneffizient zu gestalten. Aufgrund der abwechslungsreicheren Tätigkeiten und der größeren Freiheiten, wie der selbstbestimmten Arbeitseinteilung, wollten die Arbeiter das Fortbestehen der Arbeitsstruktur erreichen. Sie hatten berechtigte Sorge, die Gruppenarbeit würde von der Unternehmensleitung bei zu hohen Kosten eingestellt: „Wenn das Geld alle ist, schätzen wir, dass VW […] Feierabend [sagt].“236 Darüber hinaus hielt die Projektleitung die Arbeiter dazu an, selbst zu rationalisieren. Es zählte zu den Aufgaben der Gruppen mitzuhelfen, die technischen Anlagen und Arbeitsgänge in der Arbeitsstruktur effizienter zu gestalten.237 Rationalisierung war damit eine Tätigkeit, welche sie in der Gruppenarbeit explizit zu übernehmen hatten. Wie diese Rationalisierung und Kosteneffizienz aber letztendlich auszusehen hatten, geriet zu einem immensen Streitpunkt, denn die Methoden und Ansichten der beiden Parteien, wie jene Ziele zu erreichen waren, unterschieden sich voneinander. Die Gruppenarbeiter und die Projektleitung bewerteten Kosten und Nutzen sowie die Prioritätensetzung, für welche Dinge finanzielle Ausgaben getätigt werden sollten, höchst divers. Daher gab es bereits in der ersten Projektleitungssitzung heftige Diskussionen über den Aufbau der Produktionsanlagen und den Montagewagen zwischen den Vertretern der unterschiedlichen Produktionsbereiche und den Gruppensprechern, insbesondere mit dem Sprecher der Gruppe 3. Gruppe 3 legte wie erwähnt ein eigenes Konzept des Montagewagens vor, wohingegen die anderen drei Gruppen sich bereit erklärt hatten, den provisorisch konzipierten Montagewagen der Planung auszuprobieren.238 Der Projektleiter ermahnte die Gruppen daraufhin, die Kosten im Auge zu behalten: „[Mit den Vorstellungen] werden wir das Projekt natürlich nie zu Ende führen können, dann sind wir Mitte ’76 mit dem Geld am Ende und das Projekt wird noch nicht einmal über das Anfangsstadium herauskommen. […] Wir können nicht unbegrenzt in diesem Forschungsvorhaben all das verwirklichen, was uns so vorschwebt. Wir müssen auch auf die Gegebenheiten Rücksicht nehmen.“239

Seiner Meinung nach riskierte besonders die Gruppe 3 durch ihre Forderung, einen eigenen Montagewagen konzipieren zu dürfen, immense Kosten zulasten des Projektes. Die Arbeiter sollten seiner Ansicht nach einen gesunden Pragmatismus und Realismus walten lassen, da nicht alle Wunschvorstellungen der betroffenen Parteien umsetzbar und finanzierbar waren. Andernfalls gefährde dies den gesam235 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ ÖPSZ 20.11.1975 I ab 01:31:50 Min. 236 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ Gruppengespräch G4 und G1 23.06.1976 II ab 21:03 Min. 237 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 und G2 07.10.1976 I ab 01:11:15 Min. 238 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ ÖPSZ erweiterte Planung 31.03.1975 ab 01:06:42 Min. 239 Ebd. ab 01:20:26 Min.

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ten Projekterfolg. Das Beispiel demonstriert, dass die Arbeiter und die Projektleitung mitunter unterschiedliche Prioritäten setzten, woran gespart werden sollte. Die Gruppenarbeiter wollten ihre eigenen Ideen in das Projekt einbringen und diese unbedingt realisieren, wenn sie diese für geeigneter hielten. Die Konzeption eines eigenen Montagewagens der Gruppe 3 kann daher als eine Rationalisierungsmaßnahme angesehen werden. Die Gruppe versuchte den Montagewagen zu optimieren und an die Anforderungen der neuen Arbeitsstruktur anzupassen. Selbst wenn der Wagen letztendlich aufgrund der Unhandlichkeit und der Größe auch von der Gruppe nach der Anfangsphase nicht weiter genutzt wurde, stellte er nichtsdestotrotz einen Rationalisierungsversuch der Arbeiter dar. Die unterschiedliche Prioritätensetzung zeigt sich ebenso an einem Konflikt zwischen Projektleitung und Werkern über den Einsatz der Ersatzmänner in den Gruppen. Alle Gruppen wollten die drei Ersatzmänner als ständige Mitglieder in den Gruppen halten, da sie ein Team gebildet und auch gemeinsam gelernt hätten.240 Die Projektleitung hingegen beharrte darauf, dass dies für das Projekt zu teuer und der Platz in den Produktionsanlagen nur für eine bestimmte Personenzahl vorgesehen sei. Bei einer größeren Personenzahl könne eine flexible Arbeitseinteilung nicht mehr gewährleistet werden. Außerdem verteuere sich das Projekt mit den dadurch entstehenden Wartezeiten.241 Insofern sei das Fortbestehen der Gruppenarbeit gefährdet. Diese Entscheidung der Projektleitung wurde von zahlreichen Werkern allerdings nur widerwillig hingenommen. Daher musste der Projektleiter in den einzelnen Gruppengesprächen häufig noch einmal die Überlegungen der Vorsitzenden erklären und den Werkern näherbringen.242 Hieran offenbart sich, dass die Arbeiter in dieser Situation anhand einer sozialen Rationalität entschieden und nicht anhand ökonomischer Kosteneffizienz, wie im Kapitel 2 schon ausgeführt. Trotz ihres Einlenkens stellten die Arbeiter aufgrund dieses Vorfalls die Investitionspolitik der Projektleitung vollständig in Frage: Gruppensprecher G1: „Soll doch ein Versuch sein. […] VW beziehungsweise die Betriebsleitung wollen da […] in einer Weise ein Profit rausholen […].“243

So äußerten die Arbeiter Unverständnis darüber, dass die Projektleitung zahlreiche Investitionen und Vorschläge von vornherein als zu teuer ablehnte, anstatt diese in der Praxis zunächst zu erproben. Die Projektleitung hingegen argumentierte, dass nicht abzusehen sei, wie sich die Kosten entwickeln und wann eine regelrechte Kostenexplosion drohe. Erst im Nachhinein könne festgestellt werden, ob sich Investitionen rechneten. Ebenso unterstütze der Bund das Projekt nicht

240 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ ÖPSZ 07.05.1976 ab 06:16 Min. 241 Ebd. ab 10:34 Min. 242 Vgl. Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 und G3 07./08.09.1976 I ab 26:10 Min. 243 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 und G2 05./06.05.1976 I ab 54:25 Min.

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weiter, wenn es immer teurer würde.244 Allerdings forderten die Arbeiter nun einen Überblick über die Gesamtprojektausgaben, um selbst die Kosten im Auge behalten zu können. Sie beanspruchten folglich mehr Handlungsmacht und Handhabe über Aufgabenbereiche, die eigentlich klar der Betriebs- oder Projektleitung oblagen. Demnach wollten sie selbst rationalisieren und eigene Bewertungskriterien für die Kosteneffizienz festlegen. Jedoch standen sie vor dem Problem, dass es keine Transparenz gab, wohin die Gelder flossen und für was sie verbraucht wurden: Arbeiter G4: „12 Millionen, wir wissen überhaupt nicht, wo die sind. Wir hören nur, dass die Hälfte schon weg ist und die andere ist auch bald weg.“245

Die Arbeiter kritisierten aber nicht nur die intransparenten Finanzströme, sondern auch unnötige Anschaffungen des Betriebes, welche das Projekt verteuerten. Beispielsweise bestellte die Planung falsche Schraubenzieher, die „19000 DM gekostet haben“, für die Nutzung aber ungeeignet waren „und dann sagen sie die Gruppenarbeit ist zu teuer.“ Das „Geld wird aus dem Fenster geschmissen.“246 Hier treten erneut die unterschiedlichen Prioritätensetzungen und unterschiedlichen Vorgehensweisen der Arbeiter und der Projektleitung innerhalb des Rationalisierungsprozesses hervor. Die Arbeiter wollten zunächst Dinge in der Praxis ausprobieren und auf ihre Tauglichkeit für den vorgesehenen Einsatz testen. Jene Vorgehensweise stand im Gegensatz zu der der Planung, die fast ausschließlich theoretisch arbeitete. Das Beispiel der falsch bestellten Schraubenzieher symbolisiert dies eindrücklich. Die Arbeiter testeten den Schraubenzieher und identifizierten ihn als unbrauchbar. Allerdings hatte die Planung hiervon schon mehrere Kisten bestellt, was die Arbeiter wiederum als unsinnig und als Geldverschwendung ansahen. Diese Beispiele demonstrieren die unterschiedlichen Rationalitäten der beiden Akteursgruppen und die verschiedenen Herangehensweisen an Planungsaufgaben. Auch an anderer Stelle traten die Arbeiter als Rationalisierer in der Gruppenarbeit auf. So thematisierten einige Gruppen die Möglichkeit, Personal einzusparen. Vor allem die Stelle des Beraters respektive Meisters wurde aufgrund des höheren Gehalts als beträchtlicher Kostenfaktor gesehen und somit als Einsparungspotenzial in den Gruppen diskutiert. Demnach rechneten die Gruppen mit einer Verteuerung der Gruppenarbeit durch die hohen Lohnkosten.247 Insofern beriet etwa Gruppe 4 darüber, möglicherweise nur einen Meister für alle vier Gruppen einzustellen. Jedoch waren die Werker uneinig, ob eine kostengünstigere

244 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ ÖPSZ 07.05.1976 ab 20:52 Min. 245 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ Gruppengespräche G4 und G1 23.06.1976 I ab 01:35:00 Min. 246 Ebd. ab 01:37:33 Min. 247 Gruppensprecher G4: „Wir müssen auch rechnen, dass, wenn es einen Koordinationsmann gibt, müssen wir ihn auch bezahlen.“ Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G2 und G4 25.03.1976 I ab 23:47 Min.

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Produktion oder eine gute Qualität sowie die Aufgabenbewältigung jenseits des Motorbauens letztlich höher zu priorisieren seien: Arbeiter G4: „Ob wir das schaffen und dann haben wir gesagt, das trauen wir uns nicht zu nachher alleine mit diesen ganzen Aufgaben, die auf uns zukommen, was da wichtiger ist? Ob es da ums Bezahlen geht […] oder ob wir gleich auf den Bauch fallen, weil wir alles nicht schaffen […].“248

Die Werker gingen davon aus, dass sie die Gehälter der Vorarbeiter und Meister von ihren produzierten Stückzahlen bezahlen mussten. Daher hätten sie höhere Stückzahlen zu fertigen, wenn ein Meister in der Gruppe angestellt sei. Allerdings überwogen bei der Gruppe 4 letztendlich die praktischen Vorteile eines Meisters. Diese sahen sie in der Aufgabenbewältigung, seiner Kenntnis über betriebliche Abläufe sowie seinen Einflussmöglichkeiten, sprich dem Wissen um die richtigen Ansprechpartner, Materialbestellungen sowie seine Autorität, Ersatzmänner anzufordern.249 Die Gruppe 3 hingegen wollte aufgrund der Kosten gleich gänzlich auf einen Berater verzichten.250 Demnach trafen sie eine im ersten Augenblick kostenrationale Entscheidung, indem sie sich gegen einen Meister aussprachen. Diese Vorgehensweise rief allerdings Widerstand bei einem anderen betrieblichen Akteur auf den Plan – dem Betriebsrat: „Im Volkswagenwerk heißt es produktiv und unproduktiv und unproduktiv ist alles das, was nicht am Band steht. […] Dieses rechnen, was Du [Gruppensprecher] hier tust, steht nicht dir zu oder uns allen zu, sondern das steht wieder dem Vorstand in Wolfsburg zu. […] nicht noch das mit unterstützen, dass sie uns […] zusammenrationalisieren. Wir sind alles Arbeitnehmer. […] Dass wir jetzte dieses Argument nehmen, um Vorgesetzte raus, dass wir als Arbeitnehmer das Argument nehmen, das wird dem Unternehmen zu teuer, das finde ich nicht korrekt jetzt aus gewerkschaftspolitischer Sicht.“251

Bezeichnenderweise dürften die Arbeiter aus Sicht des Betriebsrates nicht rationalisieren, schon gar nicht Personal einsparen, da ihnen dies „nicht zustehe“. Die Einheit der Interessengruppe sollte also gewahrt bleiben. Rationalisieren oblag folglich nur dem Vorstand. Die Politisierung der Gruppenentscheidung ist offensichtlich, obwohl die Arbeiter – wie die Unternehmensleitung – lediglich anhand von Kosteneffizienz entschieden hatten. Interessanterweise mischten sich ebenso die im Projekt beteiligten Wissenschaftler ein: „Meister […] sind auch Arbeitnehmer. Wenn ihr praktisch davon ausgeht, dass wir eine Einheitsgewerkschaft haben, dann steht ihr mit denen doch in der gleichen Reihe. Wieso […] dann so eine Polarisierung? […] Klassenkampf im Kinderzimmer, quasi Meister gegen Montagearbeiter.“252

Die Arbeiter müssten aus Sicht des Betriebsrates, der in diesem Fall in Personalunion auch noch die Gewerkschaften vertrat und der sozialreformerischen Wis248 Ebd. ab 29:22 Min. 249 Ebd. ab 30:38 Min. 250 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G3 spezial mit Muster und Betriebsrat Anlernen 11.05.1976 I ab 31:23 Min. 251 Ebd. ab 40:01 Min. 252 Ebd. ab 42:36 Min.

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senschaftler solidarisch sein. Sie alle wären in der gleichen Gewerkschaft und sollten somit nicht gegeneinander arbeiten oder den „Klassenkampf im Kinderzimmer“ proben. Mit der Bezeichnung „Kinderzimmer“ stellte der Wissenschaftler die Entscheidung der Arbeiter als kindlich und unreif dar und wertete sie somit ab. Es deutet sich an, dass auch einige der Wissenschaftler gewerkschaftsnah waren. In den 1970er und 1980er Jahren stellte dies keine Seltenheit dar, beispielsweise waren der HdA-Programmleiter Willi Pöhler, der bekannte Industriesoziologie Michael Schuhmann oder Hans Matthöfer IG-Metall-Mitglieder.253 Die gemeinsam getroffene Gruppenentscheidung, aufgrund des hohen Lohns keinen Meister in der Gruppe haben zu wollen, wurde von beiden Akteursgruppen nicht toleriert. Es widersprach ihrer gewerkschaftlichen Politik, den betrieblichen Machthierarchien oder ihrer sozialreformerischen Agenda. Die Arbeiter motivierten hingegen andere Rationalitäten als den Betriebsrat oder die Wissenschaftler, nämlich die Kosteneffizienz des Projektes und nicht die Wahrung einer Interessengruppe oder die Emanzipation der Arbeiter im Betrieb. Trotzdem zeigt dieses Beispiel, dass Arbeiter, wenn sie die Möglichkeit dazu bekamen, ebenso wie die Unternehmensleitung fähig und willens waren, Rationalisierung durchzuführen und teures Personal einzusparen. Jedoch wollten die Gruppen nicht nur teure Vorgesetzte einsparen, sondern auch leistungsschwache Arbeiter. Folglich machten sich die Arbeiter aus der Gruppe 1 Sorgen, dass leistungsschwache Gruppenmitglieder nicht mithalten und die Gruppe diese Defizite langfristig nicht ausgleichen könne. Sie sahen das Problem darin, dass ungeeignete Arbeiter am Band bei VW üblicherweise ersetzt wurden, wohingegen sie in der Gruppenarbeit trotz Leistungsschwäche verblieben. Somit sei kein korrekter Vergleich der Fertigungskosten aufgrund der unterschiedlichen Bedingungen in der Gruppenarbeit und der Fließbandproduktion bei VW möglich. Daher könne „man die Leistungsschwachen nicht drin lassen.“254 Faktisch rationalisierten die Gruppenarbeiter schwache Arbeiter weg oder versuchten es zumindest. Ihre Solidarität mit Kollegen hatte Grenzen, wenn diese durch Minderleistung den Weiterbestand der Arbeitsstruktur gefährdeten. Im Gespräch mit dem Projektleiter forderte die Gruppe daher Werker, welche eine ausreichende Leistung erbringen konnten. Der Projektleiter sah jedoch die Kritik als unbegründet an. Das Projekt sei ein Forschungsprojekt, in dem es gerade darum ginge, herauszufinden, was mit dieser Arbeitsstruktur möglich sei und welche Mindestanforderungen Werker in dieser Struktur zu erfüllen hätten.255 Aus seiner Aussage lässt sich ein Widerspruch herauslesen. Einerseits mussten die Arbeitsstruktur und das Projekt kosteneffizient sein, andererseits ging es laut dem Projektleiter aber zeitgleich darum zu prüfen, welche Anforderungen die Arbeiter für die Gruppenarbeit erfüllen mussten. Insofern sollten auch leistungsschwache 253 SEIBRING, ANNE 2011, Humanisierung, S. 109. 254 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 und G3 07./08.09.1976 I ab 50:10 Min. 255 „In diesem Projekt [ist] die Aufgabe zu definieren, welche Mindestvoraussetzungen sind denn notwendig [für die Gruppenarbeit].“ Ebd. ab 56:28 Min.

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Gruppenarbeiter in den Arbeitsstrukturen verbleiben, was allerdings deren Effizienz minderte. Die Werker hielten daher an den bestehenden betrieblichen Regelungen und den üblichen Bewertungskriterien, wie erbrachter Leistung oder Stückzahlen fest. Für sie hatten diese Bestimmungen weiterhin Bestand und wurden durch das Reformprojekt nicht aufgehoben. Das lässt sich daran erkennen, dass die Ungewissheit über die zu erreichenden Stückzahlen die gruppeninternen Probleme schürte. Die Arbeiter wollten wissen, wie viel sie produzieren mussten, um einerseits kosteneffizient zu arbeiten und andererseits die Gruppenarbeit zu erhalten. Daher setzten sie sich energisch für eine Festlegung ein: Gruppensprecher G3 (schreit): „Dann soll der Betrieb mit der Sprache rauskommen, was rentabel wäre, die Gruppenarbeit durchzuführen weiterhin. Und jetzt nicht mehr nur drumrumreden […] Der Betrieb soll wirklich auf dem Tisch die Karten aufdecken und sagen, hier, die Gruppenarbeit wäre rentabel bei soundso viel Stückzahl, bei so viel Lohn usw.“ 256

Allerdings konnte der Projektleiter zu diesem Zeitpunkt keine Aussage dazu treffen, da „zu viele betriebliche Abhängigkeiten“ und die zu geringe Laufzeit des Projektes noch keine Rückschlüsse zuließen.257 Doch diese Ungewissheit ließ den Konkurrenz- und Leistungsdruck zwischen und in den Gruppen massiv ansteigen. Es entstand ein regelrechter „Kampf um Rationalisierung“ unter den einzelnen Gruppen und Gruppenmitgliedern, da sie die Arbeitsstruktur über den Projektzeitraum hinaus unbedingt fortführen und sich gegenüber den anderen Gruppen profilieren wollten. Dies wurde unter anderem daran deutlich, dass der Gruppensprecher 3, dessen Gruppe einen eigenen Montagewagen konzipiert hatte, kein Verständnis dafür aufbrachte, dass die anderen Gruppen nicht dasselbe taten, sondern den Montagewagen von VW ausprobieren wollten. Es war laut ihm unrentabel Dinge auszuprobieren, ohne sie vorher durchdacht zu haben und daher „rausgeschmissenes“ Geld.258 Gruppensprecher 3: „Wenn die nach zwei Jahren sagen Schluss […] so soll das nicht laufen […] Das Projekt soll bleiben, soll nicht in den Glaskasten gestellt werden.“259

Das Projekt müsse für seinen Erhalt kosteneffizient sein und dafür kämpfe er, wenn notwendig auch gegen die anderen Gruppen.260 Folglich hatte die Solidarität der Arbeiter ebenfalls Grenzen, wenn es um das übergeordnete Ziel ging, die Gruppenarbeit zu erhalten. Wie sehr die Arbeiter die notwendige Kosteneffizienz und Rationalisierung aufgrund der Weiterführung der Arbeitsstrukturen vorantrieben, belegt die selbstständige Berechnung der zu produzierenden Stückzahlen durch die Gruppen. So kalkulierten die Arbeiter das notwendige Soll mit den von der Projektleitung er256 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 und G3 23.09.1976 II ab 51:21 Min. 257 Ebd. ab 01:38:49 Min. 258 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ Gruppengespräche 28.11.1975 ab 32:24 Min. 259 Ebd. ab 33:29 Min. 260 Ebd. ab 34:32 Min.

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haltenen Angaben, damit sich die Gruppenarbeit betriebswirtschaftlich rentierte.261 Auch hier übernahmen die Arbeiter Aufgaben der Unternehmensleitung und versuchten sich an einer Kostenkalkulation, um die Stückzahlen ermessen zu können. Dennoch bestand ein Widerspruch zwischen dem Anspruch „Stückzahlen zu bringen“ und der eigenen Ausbeutung.262 Demnach übernahmen die Arbeiter zwar Verantwortung und zeigten Motivation, die benötigten Stückzahlen zu fertigen, jedoch wollten sie sich dabei nicht selbst „kaputt arbeiten“.263 Als Gegenmaßnahme versuchten sich die Gruppen untereinander abzusprechen, um den bestehenden Konkurrenzdruck zu verringern, allerdings ohne die Stückzahlen bewusst zu drosseln.264 Dies gelang den Gruppen indessen nicht langfristig. Infolgedessen nahmen der Konkurrenzdruck und damit auch der Leistungsdruck zu. Jene Tatsache kam unter anderem im Gruppengespräch von Gruppe 2 zu Tage. So fertige eine andere Gruppe 26 oder 28 Motoren am Tag und „darüber wird sich aufgeregt innerhalb unserer Gruppe. Und am nächsten Tag fahren wir selbst schon 24. […] Wir hauen uns gegenseitig in die Pfanne.“265 Es offenbart den Druck, den die einzelnen Gruppenarbeiter empfanden und die geringe Solidarität, die unter ihnen herrschte. Gruppe 3 setzte sich aufgrund der zu erreichenden Wirtschaftlichkeit so sehr unter Druck, dass ihr Meister eingreifen musste: Gruppensprecher 3: „Die Gruppe hat natürlich selbst ein Bestreben eine Stückzahl zu bringen […] um das Projekt so billig wie möglich zu machen und es auch am Leben zu erhalten.“ Berater: „Es kommt nicht darauf an, wie viele Motoren gebaut werden, sondern unter welchen Voraussetzungen. Man sollte sagen: Wir sind eine Gruppe und versuchen das zu erreichen. So solle man die Stückzahlen als Versuch verstehen, um daran beurteilen zu können, was geht und was nicht.“266 Gruppensprecher 3: „[Das Projekt] muss rentabel sein, denn wir haben nicht Lust […] erst hier Spielereien mitzumachen, dem Staat seine Gelder […] zum Fenster herauszuschmeißen und nachher die ganze Sache in die Ecke legen und sagen, wir gehen wieder an die Bänder.“267 261 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G4 und G2 07./08.09.1976 I ab 08:34 Min. 262 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G4 und G2 07./08.09.1976 II ab 32:28 Min. 263 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G3 und G4 07.10.1976 I ab 19:51 Min. 264 Gruppensprecher G1: „Es ist abgeklärt, dass wir uns nicht gegenseitig aufsticheln und hochtreiben bis zum geht nicht mehr. Is ’ne Schraube ohne Ende, dass man die am Anfang nicht gleich hochdreht. […] wollen nicht bremsen, aber auch nicht gleich hochtreiben bis zum geht nicht mehr.“ Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 und G3 07./08.09.1976 I ab 15:16 Min. 265 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 und G2 12.08.1976 ab 08:26 Min.; Konkurrenzkampf in G1: Digitalisat VW-SZ G1 und Vorgespräch 27.08.1976 I ab 53:01 Min. und in G4: Digitalisat VW-SZ G4 und G2 26.08.1976 I ab 41:29 Min. 266 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G3 und G4 07.10.1976 I ab 57:09 Min.; 50:46 Min. und 59:09 Min. 267 Ebd. ab 01:29:31 Min.

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Die Gruppe zerfiel in interne Streitigkeiten, arbeitete die Pausen durch, um höhere Stückzahlen produzieren zu können und mobbte die schwächeren Arbeiter in der Gruppe, vor allem die einzig verbliebene Frau. Der Berater versuchte daher, der Gruppe zu erklären, dass es sich um ein Forschungsprojekt handele, in dem untersucht werden soll, wie viele Stückzahlen in der Gruppenarbeit unter angemessenen Arbeitsbedingungen möglich seien. Die Arbeiter hingegen konzentrierten sich stark auf die Stückzahlen und vernachlässigten dabei den eigentlichen Sinn der Arbeitsstrukturen, wie freie Pauseneinteilung oder gemeinsames Arbeiten. 268 Dies beweist, dass sich die Arbeiter aufgrund von Rationalisierung und aus Angst vor einem Scheitern der Gruppenarbeit durch die geforderte Kosteneffizienz auch selbst ausbeuteten und sich somit die Vorteile, die ihnen die neue Arbeitsstruktur bringen sollte, teilweise selbst zunichtemachten. Die Ausbeutung von Arbeitern wurde in der älteren, insbesondere der marxistisch geprägten Wirtschaftsgeschichte ausschließlich mit der Unternehmensleitung in Zusammenhang gebracht und nicht mit eigenständigem Handeln der Arbeiter verbunden.269 Die Analyse hat ergeben, dass der Unternehmenserfolg ein geteiltes Ziel der Werker und der Unternehmensleitung war, bei dem sie kooperierten. Außerdem wurde der Prozess der Rationalisierung von den Arbeitern als notwendig akzeptiert und als ein Teil ihrer Normalität anerkannt. Dieser musste jedoch mit einem Ausgleich der Interessen einhergehen und ebenso einen Nutzen für die Arbeiter über die Kosteneinsparung hinaus mit sich bringen. Die Werker sahen es als legitim an, wenn die Unternehmensleitung nach Kosten-Nutzen-Kalkül entschied und wandten diese ökonomische Rationalität selbst an. Demnach teilten die beiden Akteursgruppen die Auffassung, dass die Humanisierung in der Produktion nicht mit horrenden Kosten einhergehen sollte, da die Arbeiter andernfalls besorgt waren, dadurch ihre Arbeitsplätze zu verlieren. Darüber hinaus ließen sich ein Fortschrittsglauben und die Verinnerlichung des Leistungsprinzips bei den Arbeitern erkennen. Auch diese beiden Ansichten teilten sie mit ihren Vorgesetzten. Das erstaunlichste Ergebnis ist wohl, dass Arbeiter tatsächlich selbst als Rationalisierer in Erscheinung traten, wenn sie dazu die Möglichkeit und den Anreiz erhielten. So nahmen die Gruppenarbeiter gleichfalls wie die Projektleitung eine Kostenkontrolle und eine Kalkulation vor. Zudem wollten sie selbst Personal einsparen, um die Ausgaben der Gruppenarbeit zu senken. Vor allem waren davon aufgrund des höheren Gehalts ihre direkten Vorgesetzten und die leistungsschwachen Arbeiter betroffen, welche die Gruppenarbeit durch ihre geringere Leistung belasteten. Daher rationalisierten die Arbeiter letztlich auch gegen sich selbst, was ebenso an dem immensen Konkurrenzdruck zwischen den einzelnen Gruppen und Gruppenmitgliedern gezeigt werden konnte. Außerdem belegt das Beispiel, dass 268 Vgl. Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 und Vorgespräch 27.08.1976 I ab 28:50 Min. 269 Vgl. NELL-BREUNING, Oswald von: Kapitalismus und gerechter Lohn, Freiburg im Breisgau 1960; NOLTE, Ernst: Marxismus und industrielle Revolution (Werke zur Geschichte der modernen Ideologien 1), Stuttgart 1983; RIEDEL, Johannes/ISSLINGER, Hedwig/WENDLING, Siegfried: Arbeiter. Demokratie hinter den Werkstoren?, München 1974.

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Arbeiter in Rationalisierungsprozessen nicht per se solidarisch miteinander waren. Infolge des übergeordneten Ziels, die Gruppenarbeit über die Projektzeit hinaus fortführen zu können, beuteten sich die Arbeiter stellenweise selbst aus. In den Industrieroboter-Projekten wiederum akzeptierten die Werker den Wegfall von Arbeitsplätzen durch Technisierung, um eine Produktivitätssteigerung zu erreichen und somit zumindest den Schutz der restlichen Arbeitsplätze zu sichern. Dennoch wurden unterschiedliche Prioritätensetzungen und Herangehensweisen der Betriebsleitung und der Werker bei den Rationalisierungsmaßnahmen offenbar. So orientierte sich die Rationalisierung der Werker stark an der Praxistauglichkeit, wohingegen die Betriebsleitung eher theoretisch plante. Ferner legten die Arbeiter unterschiedliche Rationalitäten bei ihren Entscheidungen zugrunde. Demnach gewichteten sie soziale oder ideelle Rationalitäten in gewissen Situationen stärker als die Kosteneffizienz des Projektes oder der Produktion. 3.3 (QUALIFIKATIONS-)HIERARCHIEN: ANERKANNTE ORGANISATIONSSTRUKTUR Qualifikationshierarchien hatten auch im Bundesprogramm „Humanisierung des Arbeitslebens“ Bestand. Allerdings sollten sie flacher und kooperativer gestaltet werden.270 Allgemein dient Hierarchisierung dazu, das Unternehmen zu strukturieren und handlungsfähig zu machen, indem sie eine klare Ordnung und Organisation herstellt. Sie ist somit immer die Abbildung einer Rangordnung und ein Anzeiger von Machtverhältnissen in einem Unternehmen. Aus dieser Rangfolge ergibt sich eine eindeutige Befehlskette.271 Jedoch kann sie auch Struktur und Orientierung bieten. Nun stellt sich die Frage, ob die Werker in den HdA-Projekten die Hierarchisierung im Betrieb akzeptierten und darin mit ihren Vorgesetzten kooperierten. Konnte die Hierarchisierung, wie vom Programm gefordert, flacher und damit weniger strikt gestaltet werden oder scheiterte dies an den höheren Hierarchieebenen des Unternehmens oder gar den Arbeitern selbst? Die Hierarchie wurde bei VW in den 1970er Jahren vor allem anhand von unterschiedlichen Qualifikationen, sowohl angelernter oder erworbener Qualifikationen in der Praxis, als auch schulischer Bildungsqualifikationen begründet und in die Bereiche Hand- und Kopfarbeit unterteilt. Diese Zweiteilung der Arbeit perfektionierte der amerikanische Ingenieur Frederick Taylor zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Taylor erkannte in seinen Arbeitsstudien, dass eine Produktivitätssteigerung möglich war, wenn es eine Trennung zwischen ausführenden, simplen Tätig-

270 BArch, B 149/27879, Forschungsaktionsprogramm zur Humanisierung des Arbeitslebens Februar 1974, S. 36. 271 BEHRENS, Johann: Die Reservearmee im Betrieb. Machttheoretische Überlegungen zu den Konzepten der ,Kontrolle‘, der ,Eigentumsrechte‘ und der ,Sozialen Schließung‘, in: Arbeitspolitik. Materialien zum Zusammenhang von politischer Macht, Kontrolle und betrieblicher Organisation der Arbeit, hrsg. v. Ulrich JÜRGENS/Frieder NASCHOLD/Niels BECKENBACH, Opladen 1984, S. 141.

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keiten und planenden, überwachenden Tätigkeiten gab.272 Dem Automobilhersteller Henry Ford gelang es durch die Verbindung des Taylor-Systems mit dem Einsatz des Fließbandes in den 1910er Jahren, die Massenproduktion in den USA einzuleiten.273 Die fordistische Massenproduktion mit einer starken Arbeitsteilung und Zerlegung der Arbeit in viele kleine Arbeitsschritte am Fließband setzte sich bei VW flächendeckend erst nach dem Zweiten Weltkrieg mit der fortschreitenden Automation in den 1950er Jahren durch.274 VW hatte in dieser Zeit eine hierarchisch-zentralistische Struktur von Hauptabteilungen und Abteilungen. Ab den 1960er Jahren wurden die Hauptabteilungen – Entwicklung, Produktion, Inspektion, Personal, Materialwirtschaft, Verkauf, Finanzen und Rechnungswesen – zu Vorstandsbereichen erhoben. Die umfassende Richtlinienkompetenz lag allerdings beim Vorstandsvorsitzenden.275 Die Planung und Einführung neuer Produktionsmittel und Innovationen lagen bei VW also im Verantwortungsbereich des Vorstandes.276 Obwohl vergleichsweise sehr wenigen der befragten Arbeiter in den Industrieroboter-Projekten der Aufstieg durch die neuen Produktionstechnologien zu einem Straßenführer oder Gruppenführer gelang, wurde die bei VW vorherrschende Qualifikationshierarchie von ihnen nicht grundsätzlich in Frage gestellt und weitgehend akzeptiert. Sie diente ihnen vielmehr als Orientierungspunkt und Struktur. So fügten sich die Arbeiter dem Urteil und der Einteilung ihrer Vorgesetzten in der Produktion und vertrauten darauf: „Ich meine, wählen kann ich ja sowieso nicht, ich kann ja nicht sagen, ich will dort hin und nicht dort hin. Der Meister und der Vorarbeiter müssen ja die Leute dort einsetzen, was sie für eine Lohngruppe haben ... Ne ne, zu wollen habe ich hier nichts. Ich werde so eingeteilt, wie es der Vorgesetzte für richtig hält.“277

Dies wurde auch an der Beantwortung der Frage im Interviewbogen, wer die Tätigkeiten einteilte, deutlich. Alle Arbeiter antworteten mit „der Vorarbeiter“ oder „der Meister“. Keiner der Interviewten stellte diese Tatsache in Frage.278 Es

272 KLAUTKE, Egbert: Unbegrenzte Möglichkeiten. „Amerikanisierung“ in Deutschland und Frankreich (1900–1933) (Transatlantische historische Studien 14), Stuttgart 2003, S. 74f. 273 Ebd., S. 192f. 274 WELLHÖNER, VOLKER 1996, „Wirtschaftswunder“ – Weltmarkt – westdeutscher Fordismus, S. 113. 275 HAIPETER, THOMAS 2000, Mitbestimmung bei Volkswagen, S. 143. 276 WELLHÖNER, VOLKER 1996, „Wirtschaftswunder“ – Weltmarkt – westdeutscher Fordismus, S. 114. 277 eLabour-SOFI-IR01_003_009.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Presswerk, 39 Jahre am 06.09.1977, S. 9. 278 Vgl. eLabour-SOFI-IR01_003_003.pdf Gespräch mit Einleger aus dem Presswerk, 41 Jahre am 26.09.1977, S. 3; eLabour-SOFI-IR01_003_014.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Untergruppenrohbau, 35 Jahre am 11.10.1977, S. 3; eLabour-SOFI-IR01_004_011.pdf Gespräch mit Arbeiterin aus dem Untergruppenrohbau, 38 Jahre o. D., S. 2; eLabour-SOFIIR01_005_005.pdf Gespräch mit Maschinenbediener aus dem Kleinpresswerk, o. A. und o. D., S. 2.

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herrschte Einigkeit darüber, dass der Vorgesetzte die Arbeit einteilte.279 Die Verteilung der Arbeitsplätze war ebenso kein Grund zur Kritik, da diese, wie oben angesprochen, nach Lohngruppen eingeteilt wurden. Nur Arbeiter mit derselben Lohngruppe konnten den Arbeitsplatz tauschen. Zahlreiche Arbeiter waren zufrieden mit dem von ihren Vorgesetzten täglich angeordneten Wechsel der Arbeitsplätze, um nicht ständig ein und dieselbe Tätigkeit ausüben zu müssen. 280 Sie akzeptierten ebenfalls, dass ihre Vorgesetzten mehr Gehalt bezogen als sie selbst, da diese Verantwortung zu tragen hatten. Damit billigten die Werker die Aufteilung in Handarbeit und Kopfarbeit mit größeren Verantwortungs- und Kompetenzbereichen. „Die nervliche Belastung hängt ja sehr von der Arbeit ab. Was die eigentlichen Werker sind, ist es nicht so doll mit der nervlichen Belastung. Aber die Vorgesetzten, die Meister, Vorarbeiter und Gruppenführer, die stehen hier, da es Gruppenakkord gibt, natürlich unter einem gewissen Streß. Der Werker hat dagegen, wenn da mal was nicht läuft, eben so lange Pause.“281

Für sie ging die Stelle eines Meisters oder Vorarbeiters, etwa bei Störfällen in der Produktion, mit größerem Stress und erheblicher „nervlicher“ Belastung einher. Während die Arbeiter nach eigener Aussage dann pausieren konnten, trugen ihre direkten Vorgesetzten die Verantwortung, die Produktion wieder zum Laufen zu bringen.282 Dazu sei noch angemerkt, dass die Werker bei VW nach dem Vorbild des Fordismus wesentlich höhere Löhne erhielten, als Arbeiter mit denselben Qualifikationen in anderen Unternehmen oder Kleinbetrieben.283 Schon Henry Ford zahlte seinen Arbeitern mehr Lohn, um sie zu motivieren und Anreize für die monotone Fließbandfertigung zu schaffen.284 Dieser Faktor kann die Akzeptanz des Lohngefälles ebenso erklären. Außerdem respektierten die Werker die Qualifikation ihrer Vorgesetzten, für die sich diese weitergebildet hatten: „Es wird kaum vorkommen, daß jemand, der die Lohngruppe 3 b hat, die Automatik fährt. Auch wenn er sie beherrscht, er wird sie nie fahren. Das geht nicht. So eine Automatik fahren, ist gar nicht so einfach. Man muß etliche Teile kontrollieren auf einmal. Einrichter haben ihre Lehrgänge. Von heut’ auf morgen werden die auch nicht Einrichter, die müssen sich das

279 „Vorarbeiter. Das ist ganz ausgeglichen. Das kann man sich nicht aussuchen, wo man hinkommt.“ eLabour-SOFI-IR01_004_030.pdf Gespräch mit Arbeiter aus der Gießerei, 45 Jahre am 17.10.1977, S. 3. 280 „Man ist 1–2 Tage vielleicht mal an einem Platz, dann woanders. Gut so, sonst wärs echt zu eintönig. Das wissen auch die Vorgesetzten. Der Einrichter, der die Arbeiten einteilt, weiß das und weist deshalb verschiedene Arbeitsplätze zu.“ eLabour-SOFI-IR01_005_003.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Presswerk, o. A. am 08.09.1977, S. 3. 281 eLabour-SOFI-IR01_004_027.pdf Gespräch mit Inspekteur aus der Gießerei, 46 Jahre am 20.10.1977, S. 5f. 282 eLabour-SOFI-IR01_004_020.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Untergruppenrohbau, 50 Jahre am 22.09.1977, S. 3. 283 KOCH, GÜNTHER 1987, Arbeitnehmer steuern mit, S. 79; HAIPETER, THOMAS 2000, Mitbestimmung bei Volkswagen, S. 145f. 284 KLAUTKE, EGBERT 2003, Unbegrenzte Möglichkeiten, S. 193f.

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Arbeiter als Kooperationspartner auch erarbeiten. Sowas kommt ja auch bloß durch Wissen und Schulung. Man muß wissen, wie die Maschine funktioniert.“285

Die Werker bewerteten den Aufwand und das Engagement ihrer Vorgesetzten für das Erlangen einer höheren Qualifikation durch Lehrgänge oder Schulungen als sehr hoch. Daher erkannten sie diese Bemühungen an, vor allem da zahlreiche von ihnen, wie schon in Kapitel 2.2 ausgeführt, keine Lust hatten, etwas dazu zu lernen oder Angst verspürten, mehr Verantwortung zu übernehmen. Dadurch, dass die meisten Arbeiter auf eine höhere Qualifizierung verzichteten, entsagten sie der Teilhabe im Betrieb und dies führte letztlich dazu, dass die Qualifikationshierarchien im Unternehmen gestärkt wurden. Insofern beeinflussten die Werker ihr Mitspracherecht und ihren Zugang zu Wissen aufgrund ihrer Verweigerung von Qualifizierung und dem Verzicht auf einen betrieblichen Aufstieg kontraproduktiv. Selbst die wenige Kritik der Werker erkannte die Hierarchisierung von körperlicher und geistiger Arbeit an. Die Kritiker unter ihnen störte allerdings der große Abstand zwischen der Bezahlung von ungelernter, körperlicher und planender beziehungsweise qualifizierter Tätigkeit: „Es muß ja nicht immer geistige Arbeit bezahlt werden, es kann ja auch körperliche Arbeit bezahlt werden – und körperlich müssen sie hier wirklich ran. Es ist schon besser geworden hier, aber es müßte noch besser werden. Als Dreher arbeiten sie geistig, nicht körperlich, daß das gut bezahlt ist, seh ich auch ein, aber die körperliche Arbeit müßte auch besser bezahlt werden.“286

So forderten sie eine höhere Anerkennung von schwerer körperlicher Arbeit, die entsprechend vergütet werden sollte. Außerdem sah ein Arbeiter eher die Beziehungen im Betrieb und nicht ausschließlich die Qualifizierung als wichtige Karrierebeförderer an, die ausschlaggebend dafür waren, wer als Vorarbeiter ausgewählt wurde.287 Daher waren die sozialen Beziehungen gleichermaßen für die Arbeiter elementar. Die Werker erachteten es als notwendig, sich mit dem Vorarbeiter oder dem Vorgesetzten „gut zu stellen“ und respektable Leistung zu bringen. Dann müssten sie sich bei Arbeitsplatzwechseln keine Sorgen machen.288 Trotzdem fanden die meisten Arbeiter die Arbeitseinteilung und Aufteilung durch den Vorarbeiter gerecht.289 Ein Werker war sogar der Ansicht, dass viele selbst daran Schuld hatten, wenn sie schlechte Arbeitsplätze erhielten:

285 eLabour-SOFI-IR01_005_004.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Presswerk, o. A. am 14.09.1977, S. 5. 286 eLabour-SOFI-IR01_005_003.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Presswerk, o. A. am 08.09.1977, S. 8. 287 eLabour-SOFI-IR01_004_035.pdf Gespräch mit Springer aus der Lackiererei, 43 Jahre am 29.11.1977, S. 10. 288 „Wenn man mit dem Meister und Vorarbeiter gut kann und wenn man arbeitswillig ist, dann geht das schon.“ eLabour-SOFI-IR01_004_016.pdf Gespräch mit Einleger aus dem Rohbau, o. A. am 26.10.1977, S. 8. 289 Vgl. IfS Frankfurt A 117 Ordner 6 Gruppengespräch am 20.05.1980, S. 15; eLabour-SOFIIR01_005_008.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Presswerk, 41 Jahre am 12.09.1977, S. 2;

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„Das ist auch eine Frage der Kollegen, wie die sich zur Wehr setzen können. Wer also nie was gesagt hat, hat schon immer den Kürzeren gezogen. Die gehen immer den Weg des geringsten Widerstandes. […] Wenn ich von einem weiß, der sagt sowieso nichts, dem kann ich das also ruhig aufdrücken […] Und wenn ich weiß, wenn ich zu dem anderen komme, der wird also schon schreien, wenn ich bis auf 3 Meter dran bin, dann werde ich um den eine Kurve machen.“290

Es sei auch von den Arbeitern abhängig, wohin und wie oft sie versetzt wurden, je nachdem, wie sie sich gegenüber den Vorgesetzten äußerten und durchsetzen konnten. Insgesamt akzeptieren die Arbeiter die Qualifikationshierarchien im Betrieb und erkannten die unterschiedliche Leistung von ihnen und ihren Vorgesetzten an. Dem folgend kooperierten sie darin mit ihnen. Die Hierarchisierung anhand von Bildungsabschlüssen, die die Werker ansprachen, wurde bei VW vermehrt ab den 1960er Jahren vorgenommen. Das führte zu einer noch klarer definierten Organisationsstruktur, denn die Arbeiter konnten sich in der Praxis ohne weitere Qualifizierung nur noch schwer bewähren und somit war ein Aufstieg ohne Weiterbildung fast ausgeschlossen.291 Hieran zeigt sich, wie schon in Kapitel 2.2 dargelegt, die zunehmende Akademisierung und Professionalisierung, die in zahlreichen bundesdeutschen Unternehmen ab den 1960er Jahren zu beobachten war.292 Von einer flacheren Hierarchie, wie im HdA-Programm gefordert, konnte bei VW in den 1970er Jahren folglich nicht die Rede sein. Bleibt die Frage, ob die Gruppenarbeiter die Hierarchisierung trotz ihres größeren Handlungsrahmens akzeptierten und mit ihren Vorgesetzten darin kooperierten, wie die Werker in den Industrieroboter-Projekten? Tatsächlich wurde die Qualifikationshierarchie von den Gruppenarbeitern sogar bewusst gestärkt und eingefordert. Das offenbarte sich insbesondere an der Diskussion um die Gruppenautonomie. Die Gruppen 1, 2 und 4 erbaten die Anwesenheit eines Vorarbeiters sowie Meisters während der Anlernphase. Die Gruppe 3 hingegen pochte auf ihre Eigenständigkeit und äußerte den Wunsch, auf einen Vorgesetzten zu verzichten.293 Daher entbrannte eine hitzige Diskussion um die Definition der Gruppenautonomie und die Befugnisse der Arbeiter. Der Betriebsrat forderte klare Regeln, welche Aufgaben die Gruppen übernehmen durften. Daraufhin legte der Projektleiter die Ansicht der Werksleitung zur Gruppenautonomie dar: „Wir werden auch nie eine vollkommene Autonomie anstreben. […] Wir werden spätestens bei der Definition von teilautonomen Gruppen aufhören. Wie diese Teilautonomie aussieht, liegt mehr oder weniger in der Entwicklung der Gruppen. […] dass wir bei der Frage Auto-

290 291 292

293

eLabour-SOFI-IR01_006_009.pdf Gespräch mit Arbeiterin aus der Kunststoffteilefertigung, 29 Jahre am 27.10.1977, S. 3. IfS Frankfurt A 117 Ordner 6 Gruppengespräch am 06.12.1978, S. 25f. DREXEL, INGRID 1979, Qualifizierung für Industriearbeit im Umbruch, S. 20. BERGHOFF, HARTMUT 2016, Moderne Unternehmensgeschichte, S. 260; HAIPETER, Thomas: Arbeit und Kapital in der deutschen Automobilindustrie. Kontinuität und Wandel der industriellen Beziehungen, in: Automobilindustrie 1945–2000. Eine Schlüsselindustrie zwischen Boom und Krise, hrsg. v. Stephanie TILLY, München 2013, S. 333. Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ ÖPSZ 27.02.1976 II ab 15:21 Min.

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Arbeiter als Kooperationspartner nomie sagen, die Gruppen bestimmen den Arbeitsumfang innerhalb der Arbeitstage innerhalb des vorgegebenen Wochenprogramms selbst. Sind verantwortlich für die gefertigten Produkte im Hinblick auf Qualität sowie im Hinblick auf die Materialdisposition.“ 294

Es bestand also keine Gruppenautonomie, sondern nur eine Teilautonomie. Die Werks- und Projektleitung gab die Rahmenbedingungen vor, etwa wie viele Motoren in einer Woche zu fertigen waren. In diesem gesteckten Rahmen konnten die Gruppen mitbestimmen. Die Gruppensprecher hielten sich in der Diskussion um die Autonomie und die Übernahme der Meisteraufgaben durch die Gruppen im ÖPSZ auffällig zurück. Erst auf Nachfrage des Projektleiters äußerten sie, dass sie überhaupt nicht wüssten, was die Aufgaben eines Meisters seien und sie gerne einen Tätigkeitsbericht von einem Meister hätten, um dies beurteilen zu können.295 Hier verdeutlicht sich erneut, dass die Werker nicht über das Wissen der Vorgesetzten verfügten oder deren Arbeitsaufgaben und -umfang kannten und sich somit an der Diskussion nicht beteiligen konnten. Der Betriebsrat bekundete zwar Verständnis für die Situation der Werker, vertrat aber eine eindeutige Position zum Thema. So benötige die Gruppenarbeit die „Schlüsselposition“ des Meisters – „ohne Meisterhand“ ginge es nicht.296 Er forderte auch im eigenen Interesse, dass die betrieblichen Hierarchien intakt blieben, denn sollten die Gruppen selbst für sich sprechen, wäre die weitere Vertretung durch den Betriebsrat überflüssig. Das Stellvertreterprinzip musste seiner Ansicht nach gewahrt bleiben. Einigen Arbeitern war darüber hinaus unklar, was Teilautonomie überhaupt bedeutete: „Teilautonom. Das ist ein großer Begriff. Ich kann das auch nicht definieren.“297 Es zeigt sich, dass die Gruppen keinen Überblick über die von ihnen zu leistenden Tätigkeiten hatten, dass ihnen eine Einsicht in die Arbeitsaufgaben eines Meisters fehlte und dass sie selbst unsicher waren, in welchen Dingen sie autonom sein wollten und was dies genau für sie bedeutete. Daraus resultierte bei vielen nach fortgeschrittenem Projektverlauf der Wunsch, wieder einen Vorgesetzten zu haben. Zunächst blieb bei den Gruppen in der Anfangsphase jedoch unklar, wie mit einem Vorgesetzten in den Gruppen nach dem Anlernen langfristig zu verfahren war. So äußerten sich die Werker in den Gruppen durchaus unterschiedlich oder zeigten sich ambivalent. Während die einen sich eine „Aufsichtsperson“ und damit eine übergeordnete verantwortliche Stelle wünschten oder gar betriebliche Abläufe durch das Fehlen einer solchen gefährdet sahen, nahmen andere Arbeiter den Meister als Bevormundung oder als „Kinderbetreuung“ wahr.298

294 295 296 297

Ebd. ab 19:58 Min. Ebd. ab 27:26 Min. Ebd. ab 30:01 Min. Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 und G2 05./06.05.1976 II ab 51:02 Min. 298 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ ÖPSZ 05.03.1976 und G2 08.03.1976 II ab 32:08 Min.

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Gruppensprecher 1: „Dann heißt es schon nicht mehr Gruppenarbeit, da werden wir von einer fremden Person schon wieder diktiert, was wir machen. Wir wollen das doch selber einteilen.“299

Die Werker waren also zu Beginn uneins in Bezug auf eine langfristige Einstellung eines Vorgesetzten in den Gruppen. Um dieses Problem zu lösen, setzten einige Gruppen auf eine offene Kommunikation mit ihren Beratern. Der Meister der Gruppe 1 erklärte sich dazu bereit, die Aufgabe in der Gruppenarbeit zu übernehmen, allerdings nur, wenn diese länger als sechs Monate dauern werde, was die Gruppe wiederum nachvollziehen konnte.300 Sie zweifelten daran, ebenso wie die Gruppe 4, die Aufgabenfülle allein übernehmen und die größere Arbeitslast tragen zu können und sprachen sich daher eher für einen Meister aus. 301 Darüber hinaus hatten sie keine ausreichenden Befugnisse für betriebliche Unterschriften.302 Arbeiter G4: „Ganz schön Schreibarbeit dabei. Wenn man nur anfängt, morgens musste erstmal die Anwesenheit, musste alles geführt werden.“303

Vor allem der Schriftverkehr bereitete den Arbeitern Sorgen, da sie diesen noch nie bewältigen mussten und er einen gänzlich neuen Aufgabenbereich für sie darstellte. Aber sie wollten auch nicht, dass der Meister ihnen ins „Handwerk pfusche“.304 Letztlich befürworteten die Arbeiter aufgrund der Unkenntnis darüber, was genau die Aufgaben eines Meisters waren, einen Vorgesetzten in der Gruppe, solange er „keine Macht über die Gruppenarbeit“ hatte.305 Hieran wird deutlich, dass unterschiedliche Hierarchieebenen im Unternehmen auch einen ungleichen Zugang zu Wissen bedeuten. Höhere Hierarchieebenen bekamen im Vergleich zu niedrigeren leichter Zugang zu Informationen.306 Folglich hatten die Arbeiter keine umfassende Kenntnis über die Tätigkeitsfelder eines Meisters, dieser wusste aber um die Aufgaben der Arbeiter in der Produktion. Insofern reproduzierten die Arbeiter die betriebsinterne Hierarchie einerseits aufgrund ihres mangelnden Wissens und Informationszugangs und andererseits aufgrund von Unsicherheit, die Aufgaben nicht ausführen zu können. Die Gruppen 1, 2 und 4 waren trotz ihres Lernzuwachses schnell mit den umfassenden Aufgaben jenseits des Motorbaus überlastet. Aus diesem Grund wünschten sie sich einen Vorgesetzten, da sie dessen Aufgaben- und Verantwortungsbereich nicht noch zusätzlich übernehmen

299 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 09.03.1976 II ab 11:08 Min. 300 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 und G3 24.03.1976 I ab 48:10 Min. 301 Ebd. ab 01:23:48 Min. 302 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G4 10.03.1976 ab 48:12 Min. 303 Ebd. ab 52:41 Min. 304 Ebd. ab 58:43 Min. 305 Ebd. ab 01:06:42 Min. 306 BEHRENS, JOHANN 1984, Die Reservearmee im Betrieb, S. 142f.

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wollten und konnten.307 Obendrein hatten sie Angst, dass, wenn ein Gruppenarbeiter die Aufgaben des Meisters übernehme, dieser letztlich kein gleichwertiges Mitglied der Gruppe mehr sei, sondern höhergestellt, was ihrer Ansicht nach den Gruppenzusammenhalt gefährdete. Dieser käme dann einem Vorgesetzten gleich.308 Anstatt dass ein Arbeiter aus der Gruppe also die Funktion eines Meisters übernahm, setzten die Werker lieber einen Vorgesetzten ein, um die Gleichstellung der Gruppenmitglieder zu gewährleisten. Damit lehnten sie es aber zugleich ab, die Kompetenzen eines Meisters zu erwerben und sein Wissen zu erlangen. Sie bewerteten die Einheit der Gruppe höher als den Machtzuwachs und Aufstieg eines Arbeiters. Außerdem erkannten sie, wie schon die Werker in den Industrieroboter-Projekten, die Erfahrung ihrer Vorgesetzten an. Sowohl ihre Kenntnisse über betriebliche Abläufe und Entscheidungsketten als auch ihre Praxiserfahrung, die ihnen die Weitsicht über aufkommende Probleme ermöglichte, waren für die Arbeiter entscheidend: Arbeiter G1: „[…] Ich geh davon aus, ’n Meister oder Vorarbeiter hat erstmal jahrelange Erfahrung […] was wir alle nicht mitbringen. […] Ein Vorgesetzter […] müssten wir haben.“ Arbeiter II G1: „[…] der durchblicken tut … über die ganze Sache. Weil da sind Probleme, da denken wir heut noch gar nicht dran, die auf uns noch drauf zukommen.“ 309

Aber nicht nur die Erfahrung und die Unterschriftsberechtigung der Vorgesetzten waren ausschlaggebend für die Entscheidung der Gruppen, sondern auch die Frage nach Verantwortlichkeit, etwa bei einem Unfall. Am Band trugen die Meister die Verantwortung bei Unfällen, in der Gruppenarbeit seien die Arbeiter nun selbst dafür verantwortlich. Diese vollumfängliche Selbstverantwortung wollten sie, wie die Werker in den Industrieroboter-Projekten, nicht tragen und die Gruppenarbeiter erkannten gleichermaßen die höhere Qualifizierung ihrer Vorgesetzten an. Daher hielten sie es für utopisch, dass sie das Wissen eines Meisters, der jahrelang eine Ausbildung genossen hatte, innerhalb von kurzer Zeit erlernen konnten.310 Folglich reflektierten sie kritisch ihre zuvor getroffene Entscheidung, zunächst auf einen Meister verzichten zu wollen, die von ihnen vor allem aus Unkenntnis getroffen wurde: Gruppensprecher 1: „[…] Die Schulung, die die Meister alle mitgemacht haben […] das haben die in jahrelanger Erfahrung haben die das sich angesammelt und angeeignet, jetzt sollen wir innerhalb von kurzer Zeit mitkriegen, das ist überhaupt nicht möglich. Das ist gar nicht zu schaffen. Deswegen ist es auch … irgendwie ein bisschen will nicht sagen hirnverbrannt, aber wahrscheinlich eine voreilige Entscheidung in der ersten Zeit von uns, dass wir gesagt haben, 307 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ Gruppengespräche G1 und G2 05./06.05.1976 II ab 51:42 Min. 308 Gruppensprecher 1: „[…] dann müssen die Teile auch immer da sein, müssen beschaffen werden und wenn das einer aus der Gruppe machen soll, ist er ständig unterwegs, nur um Teile zu holen und da […] kristallisiert sich schon einer aus der Gruppe raus und dann ist es keine Gruppenarbeit mehr […] weitet sich da was zu ner Art Vorgesetzten oder so etwas […].“ Ebd. ab 42:22 Min. 309 Ebd. ab 43:26 Min. 310 Ebd. ab 45:17 Min.

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ohne Meister, ohne Vorarbeiter, wir können das alles alleine. Da wussten wir ja noch gar nicht, was für Tätigkeiten überhaupt alles noch dranhängen […].“311

Diesen Entschluss hätten sie vor allem aus Unwissenheit gefasst. Zudem zeigten sich die Werker verärgert darüber, warum überhaupt zur Diskussion gestellt wurde, dass sie alle Aufgaben übernehmen sollten: „Vom wem kommt das denn überhaupt, dass wir das alles selber machen sollten? […] Das kommt doch nicht von uns.“312

Aus ihrer Sicht hatten insbesondere die Wissenschaftler diese Forderung an sie herangetragen. Es wäre also nicht ihre Entscheidung gewesen, mehr Verantwortung zu tragen und sie weigerten sich, diese Anforderungen zu erfüllen. Sie vertrauten lieber auf die Kompetenzen und die Qualifikation ihrer Vorgesetzten. Somit führte sowohl die Anerkennung der Erfahrung der Vorgesetzten durch die Werker als auch ihr Verzicht, umfassend Verantwortung zu übernehmen, zur Stärkung der vorherrschenden Qualifikationshierarchien im Unternehmen. Obendrein lässt sich eine umfangreiche Abgabe von Macht des Meisters an die Arbeiter zumindest bei der Gruppenarbeit bei VW nicht bestätigten. In beiden Projekten akzeptierten die Arbeiter die bestehenden Hierarchien im Unternehmen und bestärkten sie sogar durch ihr Verhalten, entweder durch die Akzeptanz der Qualifikationshierarchien oder das Ablehnen von Verantwortung. Die Analyse stellt heraus, dass die Arbeiter infolge dieses Verhaltens eine erweiterte betriebliche Teilhabe durch Zugang zu höheren Hierarchieebenen und Wissen ablehnten und auf die eigene Selbstermächtigung im Sinne von mehr Informationen und betrieblichem Einfluss verzichteten. Gründe hierfür waren unter anderem Unsicherheit, die Aufgaben ausführen zu können oder Überforderung. Darüber hinaus vertrauten die Werker in die Kompetenzen und Qualifikationen ihrer Vorgesetzten und erkannten diese an. Daher tolerierten sie deren bessere Bezahlung. Außerdem bot die Unternehmenshierarchie für die Arbeiter eine Struktur, an der sie sich orientieren und abarbeiten konnten. Somit scheiterte eine offenere und flachere Unternehmenshierarchie in den HdA-Projekten nicht nur an den oberen Hierarchieebenen, die ihre Position erhalten wollten, sondern auch an den Arbeitern, welche die Hierarchien anerkannten, bestätigten und mit ihren Vorgesetzten darin kooperierten. 3.4 ZWISCHENFAZIT Die Kooperationen auf betrieblicher Ebene in den HdA-Projekten erwiesen sich vor allem durch drei Faktoren als erfolgreich: Im Aufbau eines Vertrauensverhältnisses zwischen Arbeitern und Vorgesetzten respektive Unternehmensleitung, in den gemeinsamen Zielvorstellungen von wachsendem Unternehmenserfolg und Rationalisierung sowie in der Akzeptanz einer hierarchisch gegliederten Unter311 Ebd. ab 45:17 Min. und 48:35 Min. 312 Ebd. ab 50:33 Min.

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nehmensstruktur. Als elementar stellte sich bei der Kooperation, wie zu Anfang des Kapitels angenommen, die Einbindung der Arbeiter in betriebliche Prozesse und ihre Partizipation daran heraus. Durch ihre Integration war ein Austausch von Meinungen und Verbesserungsvorschlägen über Hierarchieebenen hinweg möglich, was die Basis für ein Vertrauensverhältnis zwischen den betrieblichen Akteuren und somit auch für eine gelungene Kooperation darstellte. Die Akteursgruppen bei VW bildeten hierdurch eine Sinndeutungsgemeinschaft, welche Werte, Normen und Zukunftsvorstellungen teilte und daraus resultierten wiederum gegenseitiges Pflichtgefühl, Verantwortungsbewusstsein und Fürsorge. Als wichtiger Bestandteil dieser Schicksalsgemeinschaft fungierte die gemeinsame Zielvorstellung von Rationalisierung der Arbeiter und der Unternehmensleitung. So standen sich die beiden Akteursgruppen nicht, wie häufig behauptet, unversöhnlich gegenüber, sondern teilten den Wunsch eines wettbewerbsfähigen Unternehmens. Darüber hinaus hingen sowohl die Arbeiter als auch die Unternehmensleitung dem in den 1970er Jahren verbreiteten Fortschrittsglauben an, also der Annahme, dass durch fortschreitende Technisierung eine höhere Produktivität zu erreichen sei. Gleichermaßen respektierten sie das Leistungsprinzip als grundlegend. Rationalisierung wurde von den Arbeitern daher als notwendig erachtet, trotz der damit einhergehenden möglichen negativen Auswirkungen auf sie selbst oder ihre Kollegen. Letztlich zeigte sich am Beispiel der Gruppenarbeit, dass Werker in der Lage waren, selbst zu rationalisieren, wenn sie dafür entsprechende Anreize erhielten. Ebenso teilten Unternehmensleitung und Arbeiter die Ansicht, dass die Ausgaben für eine Humanisierung wirtschaftlich und mit dem Prozess der Rationalisierung verbunden sein sollten. Allerdings musste diese Rationalisierung mit einem Ausgleich der Interessen einhergehen. Ein Missverhältnis zugunsten der Unternehmensleitung löste Konflikte aus. Es handelte sich um ein System der Reziprozität. Das Vertrauen der beiden Akteursgruppen zeigte sich zudem sowohl an der offenen Kommunikation und der Gewährung von Freiräumen durch die Vorgesetzten, als auch an der Akzeptanz der Arbeiter von Hierarchien im Unternehmen. So vertrauten sie auf die Qualifikationen und Kompetenzen ihrer Vorgesetzten. Die Hierarchien boten ihnen Struktur und Orientierung. Dies beweist die vorangestellte Annahme, dass der Betrieb als kleinste Einheit der Sozialpartnerschaft nicht nur eine wichtige Rolle für die erfolgreiche Überwindung der wirtschaftlichen Krise spielte, sondern auch als Stabilisationsfaktor der industriellen Beziehungen und folglich des wirtschaftlich-gesellschaftlichen Systems fungierte. Offensichtlich wurde darüber hinaus, dass das HdA-Programm Teil des bundesdeutschen Korporatismus war und seiner Funktion als Mittel, den innerbetrieblichen Austausch und die Kooperation zwischen den Akteursgruppen und unterschiedlichen Hierarchieebenen zu stärken, gerecht wurde. Es ermöglichte mit seinen betrieblichen Projekten den direkten Austausch zwischen Arbeitern und Vorgesetzten und setzte vor allem in den Gestaltungsprojekten auf die Kreativkräfte und das Innovationspotenzial der Arbeiter. Hierfür gewährte es ihnen einen größeren Partizipationsrahmen, der sich positiv auf die betrieblichen Austauschprozesse auswirkte. Damit konnte den Arbeitern die Notwendigkeit für die Einführung von

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neuen Produktionstechnologien oder Arbeitsstrukturen nähergebracht und von den Vorgesetzten besser vermittelt werden, was Streiks und Konflikte reduzierte. Ebenso gelang dadurch die Anpassung der Arbeiter an eine technisierte und flexible Produktion. Schließlich ermöglichte das Programm in der Wirtschaftskrise, das Vertrauen in die industriellen Beziehungen zu erhalten oder zurückzugewinnen und stärkte damit gleichzeitig das wirtschaftliche und gesellschaftliche System auch gegenüber dem Sozialismus in der DDR.

4 ARBEITER ALS KONFLIKTPARTNER – AUSEINANDERSETZUNGEN ZWISCHEN BETRIEBLICHEN AKTEUREN Richtet das vorangegangene Kapitel den Fokus auf die gelungene betriebliche Kooperation in den HdA-Projekten und deren wichtige Funktion für die Bewältigung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Krisen, nimmt dieses Kapitel die betrieblichen Konflikte in den HdA-Projekten und deren Auslöser in den Blick. Schon das HdA-Programm wies auf Konfliktpotenziale hin: „Es ist zu untersuchen, warum Entscheidungen nur unzureichend delegiert werden und weshalb Knotenpunkte der Verantwortung in den oberen hierarchischen Positionen bleiben […] Es ist ferner der Frage nachzugehen, warum im Fertigungsbereich der Selbstverantwortung der Arbeiter engste Grenzen gezogen werden und warum die Einbeziehung der Mitarbeiter in die Vorbereitung von Entscheidungen oft unterbleibt.“1

Die Programmverfasser benannten die zu geringe Einbindung der Arbeitnehmer in betriebliche Entscheidungsprozesse und die Beschneidung ihrer Selbstverantwortung an den Arbeitsplätzen als Faktoren für die Entstehung von Konflikten. Diese Annahme spiegelt sich in der These der Analyse wider, die davon ausgeht, dass es zu Konflikten mit den Arbeitern in der Produktion führte, wenn Partizipation von den oberen Hierarchieebenen verweigert wurde. Insofern hatte das HdAProgramm folgende Ziele: „Untersuchungen über die Möglichkeiten einer Delegation von Entscheidungsbefugnissen, die Erweiterung der Selbstverantwortung, insbesondere bei Arbeitnehmern im Fertigungsbereich [und die] Einbeziehung der Mitarbeiter in die Entscheidungsvorbereitung und Planungsprozesse.“2

Das Programm wollte diesen potenziellen Konflikten durch die betrieblichen Projekte und eine erweiterte Mitbestimmung der Arbeiter entgegenwirken. Somit diente es zur Erneuerung und Stärkung der Sozialpartnerschaft und der industriellen Beziehungen. Der Staat und andere Wirtschaftsakteure, wie Unternehmer und Gewerkschaften, waren sich bewusst, dass die Technisierung der Produktion und die monotonen Arbeiten am Fließband Konfliktpotenzial bargen. Daher fürchteten sie, dass es aufgrund dieser Arbeitsbedingungen zu einer „Entfremdung der Gesellschaft“ kommen konnte, die „häufig“ in „Radikalität münde“, wie aus dem Programmtext hervorgeht: „Die modernen Massenfertigungstechniken haben zu […] noch stärkeren Belastungen des arbeitenden Menschen geführt. Vielfach müssen monoton anspruchslose Tätigkeiten in Taktab1 2

BArch, B 149/27879, Forschungsaktionsprogramm zur Humanisierung des Arbeitslebens Februar 1974, S. 36. Ebd., S. 37.

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hängigkeit von Maschinen und Fließbändern ausgeführt werden. Die Folgen sind Streßerscheinungen und Unzufriedenheit. Diese wiederum sind Ursachen für Spannungen im Familienleben, für psychische und physische Ausfallerscheinungen und für tiefgreifende Entfremdungen von der Gesellschaft, die häufig unmittelbar in Radikalität münden.“3

Diese Angst vor der Radikalisierung eines Teiles der bundesdeutschen Gesellschaft setzt die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und die Initiation des HdAProgramms erneut in Verbindung mit dem Sozialismus und der Systemkonkurrenz der DDR, denn Arbeiter erhielten in diesem System und seiner Propaganda besondere Anerkennung für ihre Leistungen. Zudem bediente sich die DDRFührung einer extensiven Sozialpolitik, welche den Arbeitern „soziale Sicherheit und Geborgenheit“ garantierte.4 Darunter fasste die DDR-Führung auch die „Humanisierung der Arbeit“, um die Arbeitsbedingungen in der Industrie zumindest vordergründig zu verbessern.5 Dies verstärkte sich noch einmal mit dem 1971 von der SED beschlossenen Konzept zur Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik, das die Steigerung der Lebensqualität und der Produktivität verbinden sollte.6 Infolgedessen galt es für die Bundesregierung und die Wirtschaftseliten in den 1970er Jahren umso mehr, die Einbindung der Arbeiter in das wirtschaftliche System zu erhalten und es zu legitimieren. Dies sollte etwa mittels einer attraktiveren Gestaltung der Arbeitsbedingungen durch die Erweiterung von Tätigkeitsfeldern und damit einhergehend einer stärkeren Identifizierung der Arbeiter mit ihrer Tätigkeit sowie einer umfassenderen Mitbestimmung geschehen. Damit wollten die Programmverfasser zum einen die Bindung der Arbeiter an das System und die industriellen Beziehungen weiterhin gewährleisten und zum anderen radikale Arbeitskämpfe und Politisierung vermeiden. Wie präsent die Systemkonkurrenz in den 1970er Jahren unter den wirtschaftlichen und politischen Akteuren in der BRD war, geht aus ihren öffentlichen Äußerungen hervor. So sprach die BDA in ihrem Jahresbericht 1971 von einer „bedrohlichen Lage“ aufgrund der Wirtschaftskrise und der politischen Instabilität, welche die „Gefahr einer Expansion des Kommunismus“ berge. Die BRD stünde als „Nahtstelle von Ost und West“ „unmittelbar im Sog dieser Ungewissheit“.7 Daher müssten aus Sicht der BDA die Arbeitnehmer etwa durch Mitbestimmung „noch mehr als bisher in Wirtschaft und Gesellschaft und in den Betrieb integrier[t werden].“8 Gleichermaßen thema3 4 5

6 7 8

Ebd., S. 1. BOUVIER, BEATRIX 2008, Sozialpolitik als Legitimationsfaktor?, S. 127. Vgl. BUST-BARTELS, Axel: Humanisierung der Arbeit. Einheit von Theorie und Praxis in der DDR?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte (APUZ), 43 (1977), S. 44 und S. 55; ZIMMERMANN, Wolfgang: Die industrielle Arbeitswelt der DDR unter dem Primat der sozialistischen Ideologie (Studien zur DDR-Gesellschaft 8), Münster/Hamburg 2002, S. 276ff.; Zentralinstitut für Berufsbildung in der DDR (Hrsg.): Sozialistische Arbeitswissenschaften, Berlin (DDR) 1975, S. 93. BOROWSKI, Peter: Die DDR in den 1970er Jahren, online: Bundeszentrale für politische Bildung, [02.05.2020]. Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände: Jahresbericht 1970/1971, S. 3. Arbeitskreis Mitbestimmung bei der BDA: Wirtschaftliche Mitbestimmung und Freiheitliche Gesellschaft. Stellungnahme des Arbeitskreises Mitbestimmung bei der Bundesvereinigung

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tisierten gewerkschaftliche Akteure, etwa die IG-Metall auf ihrer 1972 stattfindenden Tagung zur „Qualität des Lebens“, die Konkurrenz zum Sozialismus und die daraus resultierende notwendige Kurskorrektur der bundesdeutschen Wirtschaft hin zu mehr Ausgleich und Mitbestimmung in den industriellen Beziehungen.9 Der Vorsitzende der IG-Metall Eugen Loderer nahm explizit Bezug auf das „Recht auf Arbeit“ in der DDR. Daraus entstünden für die BRD Legitimationsdruck und die Notwendigkeit Arbeitslosigkeit zu bekämpfen sowie gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Reformen.10 Der politische Vertreter des HdA-Programms Hans Matthöfer stellt in seiner Monografie dem „Recht auf Arbeit“ sogar die „Humanisierung des Arbeitslebens“ entgegen.11 Folglich war die Humanisierung auch in den 1970er Jahren das Mittel der Wahl, um den Sozialismus einzudämmen. Die Angst der politischen und wirtschaftlichen Akteure vor einer Radikalisierung und Entfremdung bestimmter Teile der bundesdeutschen Gesellschaft wurde ferner einerseits durch die Entstehung militanter linker Terrorgruppen Ende der 1960er Jahre, wie die Bewegung 2. Juni oder den Tupamaros, aus der Studentenbewegung und andererseits durch das Aufleben der Selbstverwaltungsbewegung ab Mitte der 1970er Jahre verstärkt.12 Diese Bewegung erprobte eine „alternative Ökonomie“ als Gegenentwurf zum kapitalistischen Wirtschaftssystem. In selbstverwalteten Industriebetrieben sollte eine vollständige Demokratisierung erreicht

der Deutschen Arbeitgeberverbände zu den gewerkschaftlichen Forderungen, Köln 21966, S. 59. 9 Vgl. Wedgwood Benn, Anthony: Die Qualität des Lebens, in: Qualität des Lebens. Aufgabe Zukunft; Beiträge zur 4. internationalen Arbeitstagung der Industriegewerkschaft Metall für die Bundesrepublik Deutschland 11.–14.04.1972 in Oberhausen, Frankfurt am Main 1972, S. 50f.; Diligenski, German: Sozialismus und Probleme der Zukunft, in: Qualität des Lebens. Aufgabe Zukunft; Beiträge zur 4. internationalen Arbeitstagung der Industriegewerkschaft Metall für die Bundesrepublik Deutschland 11.–14.04.1972 in Oberhausen, hrsg. v. Günter Friedrichs, Frankfurt am Main 1972, S. 169–199; Loderer, Eugen: Qualität des Lebens und Gewerkschaften, in: Qualität des Lebens. Aufgabe Zukunft; Beiträge zur 4. internationalen Arbeitstagung der Industriegewerkschaft Metall für die Bundesrepublik Deutschland 11.–14.04.1972 in Oberhausen, hrsg. v. Günter Friedrichs, Frankfurt am Main 1972, S. 246. 10 Loderer, Eugen: Krise in Wirtschaft und Gesellschaft – eine gewerkschaftliche Stellungnahme, in: Krise und Reform der Industriegesellschaft. Protokoll der IG-Metall Tagung vom 17.–19. Mai 1976 in Köln (Bd. 2), hrsg. v. Vorstand der IG Metall, Frankfurt am Main/Köln 1972, S. 20f. 11 Matthöfer, Hans, Humanisierung, S. 43ff. 12 HAUPT, Heinz-Gerhard: Politische Gewalt und Terrorismus. Einige historiographische Anmerkungen, in: Terrorismus in der Bundesrepublik. Medien, Staat und Subkulturen in den 1970er Jahren, hrsg. v. Klaus WEINHAUER/Jörg REQUATE/Heinz-Gerhard HAUPT, Frankfurt am Main/New York 2006, S. 196f.; REICHARDT, Sven: Große und Sozialliberale Koalition (1966–1974), in: Die sozialen Bewegungen in Deutschland seit 1945. Ein Handbuch, hrsg. v. Roland ROTH/Dieter RUCHT, Frankfurt am Main 2008, S. 79.

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werden.13 Eine zentrale Zielsetzung dieser Bewegung war es den Gegensatz zwischen Lohnarbeit und Kapital und damit einhergehend den Gegensatz zwischen Hand- und Kopfarbeit in den selbstverwalteten Betrieben aufzuheben.14 Obwohl solche Betriebe bundesweit rückblickend ein Randphänomen blieben, stellten ihr Anspruch und ihre Existenz die herrschenden Produktionsverhältnisse und die Sozialpartnerschaft vor allem in der Krise der 1970er Jahre für die Zeitgenossen in Frage. Auch der Blick auf die europäischen Nachbarländer muss für die politischen und wirtschaftlichen Akteure beunruhigend gewesen sein, da die Idee der Selbstverwaltung in Frankreich oder Italien eine beachtliche Schlagkraft entwickelte. So wurde diese Wirtschaftsform in Frankreich infolge der Forderung nach mehr Teilhabe durch die Arbeiter unter dem Begriff autogestion öffentlich und besonders in den Gewerkschaften diskutiert.15 1968 kam es im Zuge mehrerer von Arbeitern landesweit initiierter Streikwellen zu Betriebsbesetzungen, nach deren Ende zumindest Formen der Selbstverwaltung Anwendung fanden, etwa beim Uhrenhersteller Lip.16 In Italien hingegen bildeten sich seit Ende der 1960er Jahre in zahlreichen Unternehmen sogenannte Basiskomitees beziehungsweise Fabrikräte, die sich aus Arbeitern des jeweiligen Betriebes zusammensetzten und mehr Teilhabe an den Unternehmensentscheidungen einforderten.17 Die Furcht der HdA-Programmverfasser vor der Unzufriedenheit der Arbeitnehmer mit ihren Arbeitsbedingungen war daher nicht unberechtigt. Dies lässt sich ebenso an der zunehmenden Anzahl wilder Streiks anstelle legaler, gewerkschaftlich geführter Arbeitskämpfe ab den späten 1950er Jahren in der BRD demonstrieren.18 Ab Ende der 1960er und zu Beginn der 1970er Jahre intensivierten sich diese Proteste noch.19 Die wilden Streiks und Betriebsbesetzungen fanden vor allem vor Ort in den Unternehmen statt. Besonders die Automobilindustrie und ihre Zulieferfirmen mit ihren monotonen Fließbandfertigungen waren hiervon betroffen, etwa Opel

13 HEIDER, Frank: Selbstverwaltete Betriebe in Deutschland, in: Die sozialen Bewegungen in Deutschland seit 1945. Ein Handbuch, hrsg. v. Roland ROTH/Dieter RUCHT, Frankfurt am Main 2008, S. 516. 14 Ebd., S. 522. 15 GEORGI, Frank: Selbstverwaltung: Aufstieg und Niedergang einer politischen Utopie in Frankreich von den 1968er Jahren bis zu den 80er Jahren, in: 1968 und die Arbeiter. Studien zum „proletarischen Mai“ in Europa, hrsg. v. Bernd GEHRKE/Gerd-Rainer HORN, Hamburg 2 2018, S. 265. 16 Ebd., S. 273 und S. 275f. oder BECKMANN, JENS 2019, Selbstverwaltung, S. 39f. 17 LANGE, Dietmar: Eine neue Art, Autos zu produzieren? Arbeitskämpfe und betriebliche Gewerkschaftsinitiativen bei FIAT-Mirafiori zu Beginn der 1970er Jahre, in: „Humanisierung der Arbeit“. Aufbrüche und Konflikte in der rationalisierten Arbeitswelt des 20. Jahrhunderts, hrsg. v. Nina KLEINÖDER/Stefan MÜLLER/Karsten UHL, Bielefeld 2019, S. 279; HORN, GerdRainer: Die Arbeiter und „1968“ in West- und Südeuropa, online: Bundeszentrale für politische Bildung, [07.01.2019]. 18 BIRKE, PETER 2007, Wilde Streiks im Wirtschaftswunder, S. 154f. 19 BERGMANN, THEODOR; ADLER, TOM 2007, Klassenkampf und Solidarität, S. 174; BIRKE, PETER 2007, Wilde Streiks im Wirtschaftswunder, S. 275ff.

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1972 in Bochum oder die Pierburg AG 1973.20 Außerdem wurden diese Protestaktionen ab den 1970er Jahren vermehrt von migrantischen Arbeitern getragen, wie der Streik bei Ford 1973 in Köln belegt.21 Die illegalen Streiks beruhten auf vielfältigen Beweggründen, beispielweise Angst vor Arbeitsplatzverlust, unzureichender Interessenvertretung der jeweiligen Arbeiter in den Betrieben und zu geringer Bezahlung oder Bezuschussung von Sonderleistungen.22 Auch VW blieb von solchen Streiks nicht verschont.23 Erneut erscheint der Betrieb als Austragungsort, an dem sich die Stabilität des sozialen und wirtschaftlichen Systems entschied. Zeitgleich zu diesen Streikaktionen kam es aufgrund von wachsender Staatsverschuldung infolge der Wirtschaftskrisen und hohen Sozialausgaben ab Mitte der 1970er Jahre zum Rückbau des Sozialstaates, durch den vor allem sozial marginalisierte Gruppen wie Arbeitslose betroffen waren.24 Auch das Subventionsvolumen der BRD sank von durchschnittlich 9 % zwischen den Jahren 1966 und 1970 auf 6,9 % in den Jahren 1976 bis 1980.25 Dies legt die schwierige politische und wirtschaftliche Lage in den 1970er Jahren eindrücklich dar. Das HdAProgramm war ein Mittel, um diese Krise abzufedern und den Wandel in der Arbeitswelt und Wirtschaftspolitik zu begleiten. Legte die Bundesregierung zu Beginn der 1970er Jahre ihrer Wirtschafts- und Konjunkturpolitik noch die Lehren des Keynesianismus zugrunde, wurden diese Ende der 1970er Jahre von der Theorie des Neoliberalismus abgelöst. Während der Keynesianismus die Steuerung der Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen sowie die Belebung der Konjunktur in Krisenzeiten durch Staatsgelder und expansive Geldpolitik vorsah, setzte der Neoliberalismus nun auf die freie Regelung der Nachfrage durch den Markt, eine

20 Vgl. TREDE, Oliver: Zwischen Misstrauen, Regulation und Integration. Gewerkschaften und Arbeitsmigration in der Bundesrepublik und in Großbritannien in den 1960er und 70er Jahren (Studien zur historischen Migrationsforschung 28), Paderborn 2015, S. 213. 21 BIRKE, PETER 2007, Wilde Streiks im Wirtschaftswunder, S. 288f.; S. 292 und S. 299; HACHTMANN, Rüdiger/SALDERN, Adelheid von: „Gesellschaft am Fließband“. Fordistische Produktion und Herrschaftspraxis in Deutschland, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History, 6 (2009), S. 202. 22 KITTNER, Michael: Arbeitskampf. Geschichte – Recht – Gegenwart, München 2005, S. 686f. 23 BIRKE, PETER 2007, Wilde Streiks im Wirtschaftswunder, S. 117. 24 MÜLLER, SEBASTIAN 2016, Der Anbruch des Neoliberalismus, S. 174; SCHMIDT, Manfred: Sozialstaat mit Sanierungsbedarf. Die Sozialpolitik der Bundesrepublik Deutschland nach dem Ende der Boomphase, in: Der deutsche Sozialstaat im 20. Jahrhundert. Weimarer Republik, DDR und Bundesrepublik Deutschland im Vergleich, hrsg. v. Klaus SCHÖNHOVEN/Walter MÜHLHAUSEN, Bonn 2012, S. 162; LEISERING, Lutz: Nach der Expansion. Die Evolution des bundesrepublikanischen Sozialstaates seit den 1970er Jahren, in: Vorgeschichte der Gegenwart. Dimensionen des Strukturbruchs nach dem Boom, hrsg. v. Anselm DOERINGMANTEUFFEL/Lutz RAPHAEL/Thomas SCHLEMMER, Göttingen 2016, S. 218f. 25 GRÜNER, Stefan: Strukturpolitik als Industriepolitik. Konzeption und Praxis in Westdeutschland, in: Wirtschaftsräume und Lebenschancen. Wahrnehmung und Steuerung von sozialökonomischem Wandel in Deutschland 1945–2000, hrsg. v. Stefan GRÜNER/Sabine MECKING, Berlin/Boston 2017, S. 56.

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Stärkung des Wettbewerbs sowie eine geringere staatliche Einmischung in die Wirtschaft.26 Darüber hinaus bot das HdA-Programm einen Vermittlungspunkt und Interessenaustausch für die unterschiedlichen wirtschaftlichen und politischen Akteure. Wichtig ist dabei zu beachten, dass innerhalb des sogenannten Neokorporatismus der 1970er Jahre auftretende Konflikte akzeptiert wurden und nicht mehr infolge der schnellen Veränderungsprozesse, auf die es zu reagieren galt, zwangsläufig beigelegt oder geregelt werden mussten. Sie galten für die politischen und wirtschaftlichen Akteure etwa in der Konzertierten Aktion vielmehr als konstitutiver Teil gesellschaftlicher Prozesse. Demnach musste nun kein gemeinsamer Konsens mehr erreicht werden, sondern ein zeitlich und inhaltlich beschränkter Kompromiss reichte aus. Nur so konnte es den diversen Akteuren gelingen, eine gemeinsame Problemlösung in der Konzertierten Aktion und im HdA-Programm zu bewerkstelligen.27 Daher müssen die Konflikte, die von Politikern, Gewerkschaften und Unternehmerverbänden im Zuge des HdA-Programms sowie innerhalb der betrieblichen HdA-Projekte geführt wurden, nicht unbedingt als Zeichen des Scheiterns angesehen werden. Obgleich die Konzertierte Aktion 1977 vor allem aufgrund der Streitigkeiten um die Ausweitung der Mitbestimmung zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften aufgelöst und auch das HdA-Programm Ende der 1970er Jahre wegen massiver Kritik einer Neustrukturierung und -ausrichtung unterworfen wurde, galt dies nicht für die gemeinsame Zielsetzung, den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Anpassungsprozess zu meistern. Dieser Prozess gelang ab Mitte der 1970er Jahre mit dem Wandel von einer Industrie- zu einer Dienstleistungsgesellschaft, der Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der BRD und dem wirtschaftlichen Aufschwung, wenn auch auf niedrigerem Niveau als zuvor, der sich in den 1980er Jahren weiter konsolidierte.28 Infolgedessen ließ der wirtschaftliche Druck auf die politischen und wirtschaftlichen Akteure nach und damit einhergehend der Zwang zum unbedingten Kompromiss. Folglich kann in einem Scheitern auch ein Erfolg liegen, etwa die gelungene Überwindung wirtschaftlicher Krisen. Das zeigt sich ebenso an anderen historischen Beispielen. Der gesellschaftliche und wirtschaftliche Druck ließ Politiker, Gewerkschaften und Unternehmer schon in der ZAG der Weimarer Republik Kompromisse eingehen,

26 GÖBEL, Stefan: Die Ölpreiskrisen der 1970er Jahre. Auswirkungen auf die Wirtschaft von Industriestaaten am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland, der Vereinigten Staaten, Japans, Großbritanniens und Frankreichs, Berlin 2013, S. 118ff.; MÜLLER, SEBASTIAN 2016, Der Anbruch des Neoliberalismus, S. 179ff. 27 REHLING, ANDREA 2011, Die konzertierte Aktion im Spannungsfeld der 1970er Jahre, S. 86. 28 REHLING, ANDREA 2011, Konfliktstrategie und Konsenssuche in der Krise, S. 432–434; AMBROSIUS, Gerold: Agrarstaat oder Industriestaat – Industriegesellschaft oder Dienstleistungsgesellschaft? Zum sektoralen Strukturwandel im 20. Jahrhundert, in: Geschichte der deutschen Wirtschaft im 20. Jahrhundert, hrsg. v. Reinhard SPREE, München 2001, S. 60f.; METZ, RAINER 2001, Expansion und Kontraktion, S. 76f.; MÜLLER, STEFAN 2016, Humanisierung der Arbeitswelt 1.0, S. 264f.; GÖBEL, STEFAN 2013, Die Ölpreiskrisen der 1970er Jahre, S. 550f.

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um die umfassende Krise gemeinsam zu bewältigen.29 Gleichermaßen verhielt es sich Anfang der 1950er Jahre, als ein neues und stabiles Wirtschaftssystem für die junge BRD gefunden werden musste und die Bewältigung der Kriegswirtschaft den Zusammenhalt aller politischen und wirtschaftlichen Akteure bedurfte.30 Die Auflösung der ZAG fand 1924 ebenso wie die der Konzertierten Aktion 1977 in einer Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs statt.31 Das Austragen von Konflikten war und ist Motor wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Veränderungen und eine Form der Aushandlung, um den Ausgleich der Akteursinteressen wiederherzustellen. Somit sind sie ein förderliches und notwendiges Mittel für das Funktionieren der industriellen Beziehungen und des Wirtschaftssystems allgemein. Dementsprechend ließ es das HdA-Programm zu, Konflikte auszutragen, um so eine Interessenannäherung bewerkstelligen zu können. Diese Tatsache findet sich gleichfalls auf der betrieblichen Ebene wieder. Konflikte waren seit jeher ein grundlegendes Element der industriellen Beziehungen und es galt für alle betrieblichen Akteure, Kompromisse zu schließen, um den Erfolg des Unternehmens nicht zu gefährden. Arbeitsbeziehungen sind wechselseitige Prozesse, die aus Kooperation und Konflikt bestehen, um letztlich ein Einverständnis über ein angemessenes Verhalten zu ermöglichen.32 Ohne den Konflikt gäbe es also folgerichtig auch keine Kooperation. Für einige Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler stellt die Sozialpartnerschaft jedoch eine „Bagatellisierung“ der weiterhin bestehenden Interessenskonflikte zwischen Arbeitnehmern und Unternehmensleitung dar. Demnach bevorzugen sie den Begriff der „Konfliktpartnerschaft“.33 Dieser Begriff fokussiert sich stark auf die konfliktorischen, trennenden Elemente innerhalb der Arbeitsbeziehungen, in denen es die grundsätzlich verschiedenen Interessen der beiden Akteursgruppen auszugleichen gäbe. Den Widerspruch von „Arbeit und Kapital“ sehen sie als kaum überwindbar an.34 Also trägt dieser Ansatz für die vorliegende Analyse nicht, da sie den Fokus auf die Austauschprozesse und die kooperatistischen Elemente der Arbeitsbeziehungen richtet. Ebenso lässt sich die Annahme, dass die Arbeiter grundsätzlich der Unternehmensleitung unterlegen und somit ausschließlich Opfer der Produktionsverhältnisse waren, nicht mit dem Ansatz des Eigen-Sinns und des akteurszentrierten Institutionalismus vereinbaren. Kapitel 29 PEUKERT, DETLEV 1987, Die Weimarer Republik, S. 113f. 30 REHLING, ANDREA 2011, Konfliktstrategie und Konsenssuche in der Krise, S. 144f. und S. 193f. 31 PEUKERT, DETLEV 1987, Die Weimarer Republik, S. 74 und S. 114; GÖBEL, STEFAN 2013, Die Ölpreiskrisen der 1970er Jahre, S. 121ff.; HERTFELDER, THOMAS 2007, „Modell Deutschland“, S. 9; REHLING, ANDREA 2011, Die konzertierte Aktion im Spannungsfeld der 1970er Jahre, S. 83f.; KNORTZ, HEIKE 2010, Wirtschaftsgeschichte der Weimarer Republik, S. 119. 32 EDWARDS, Paul: Konflikt und Konsens. Die Organisation der industriellen Beziehungen im Betrieb, in: Konfliktpartnerschaft. Akteure und Institutionen der industriellen Beziehungen, hrsg. v. Walther MÜLLER-JENTSCH, München u. a. 1991, S. 31. 33 MÜLLER-JENTSCH, Walther: Vorwort, in: Konfliktpartnerschaft. Akteure und Institutionen der industriellen Beziehungen, hrsg. v. Walther MÜLLER-JENTSCH, München u. a. 1991, S. 8. 34 Ebd., S. 9.

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2 belegt, dass die Werker trotz der im Unternehmen herrschenden Hierarchien einen eigenen Handlungsrahmen besaßen. Wie schon angedeutet, ist der Konflikt genau wie die Kooperation ein immanentes Element der betrieblichen Beziehungen. Keines dieser Elemente könnte ohne das andere funktionieren. Insofern ist die Überbetonung eines Elementes für die Analyse unbrauchbar. Bleibt noch die Frage zu beantworten, wie Konflikte entstehen und in welcher Form diese auftreten können? Zu Konflikten kommt es, wenn das Misstrauen der Akteure untereinander wächst, etwa aufgrund verweigerter Partizipation oder ungleicher Interessenberücksichtigung und sich dieses letztlich in Konflikten kanalisiert. Es gibt diverse Formen von Konflikten und unterschiedliche Eskalationsstufen auf Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite in Arbeitskämpfen, die von einer offenen Streitdiskussion über gewerkschaftliche oder illegale wilde Streiks bis hin zur Aussperrung reichen. Wenn also Vertrauen die soziale Komplexität vereinfacht und die Akteure füreinander berechenbar macht, erfüllt Misstrauen eine ähnliche Funktion. Durch die Absenz von Vertrauen wird die Komplexität betrieblicher Prozesse wiederhergestellt und Verunsicherung erzeugt. Um diese Verunsicherung wiederum handhabbar zu machen und um die Komplexität wieder zu reduzieren, misstrauen sich die Akteure nun. Misstrauen kann unter anderem zu Konflikt- oder Verzichtstrategien unter den Akteuren führen.35 Während es sich bei Vertrauen um positive Zukunftserwartungen handelt, stellt Misstrauen vor allem Verunsicherung und den Glaubensverlust an das Eintreten eines bestimmten Ereignisses oder einer Handlung dar.36 „Bei Misstrauen liegen negative Erwartungen vor, die sich etwa in Argwohn, Verschlossenheit oder Verunsicherung bei den betroffenen Akteuren äußern.“37 Allerdings verringern sich durch Misstrauen massiv die Kooperationsfähigkeit und der Informationsfluss, was letztlich bedeutet, dass die Akteure von „weniger Information stärker abhängig“ werden und somit die Möglichkeit der Täuschung oder Manipulation zunimmt.38 Misstrauen hat ebenso die Tendenz „sich im sozialen Verkehr zu bestätigen und zu verstärken“, insbesondere in Arbeitsbeziehungen.39 Es ist zudem ein funktionales Äquivalent für Vertrauen und beide können gleichzeitig nebeneinander existieren. So müssen die Akteure in den jeweiligen Situationen immer entscheiden, ob sie vertrauen oder misstrauen wollen.40 Die These des Kapitels ist, dass die Partizipation der Arbeiter in den HdAProjekten und damit die Durchsetzung ihrer Interessen an einigen betrieblichen Faktoren scheiterten und sich daraus Misstrauen und Konflikte entwickelten. Welche Faktoren die betriebliche Mitbestimmung hemmten und Konflikte entstehen ließen, wird im Folgenden erörtert.

35 36 37 38 39 40

LUHMANN, NIKLAS 1989, Vertrauen, S. 78. GILBERT, DIRK 2007, Vertrauen als Gegenstand der ökonomischen Theorie, S. 74. Ebd., S. 74. LUHMANN, NIKLAS 1989, Vertrauen, S. 79. Ebd., S. 83 oder GOULDNER, Alvin Ward: Patterns of industrial bureaucracy, New York 1964. GILBERT, DIRK 2007, Vertrauen als Gegenstand der ökonomischen Theorie, S. 74.

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4.1 MENSCHENBILDER, ORDNUNGS- UND KLASSENDENKEN IM BETRIEB: GRENZEN VON QUALIFIZIERUNGSPOTENZIAL UND VERTRAUEN Menschenführung und die ihr zugrunde liegenden Menschenbilder waren seit der Industrialisierung wichtige Elemente im Produktionsprozess und in den Arbeitsbeziehungen.41 Menschenbilder sind Konstrukte, die je nach Zielsetzung, Ordnungsvorstellung und weltanschaulicher Orientierung einer Gesellschaft entworfen werden, um Leitlinien für das Urteilen und Handeln zu ermöglichen. Sie prägen folglich ebenso das Handeln in den industriellen Beziehungen und die Interaktion der Akteure innerhalb dieser.42 Häufig dienen Menschenbilder auch als Legitimation des eigenen Handelns und sind als ein Teil von vorherrschenden Weltbildern zu verstehen.43 Außerdem ermöglichen sie es, Personen sozialen Gruppen zuzuordnen und diese letztlich ein- oder auszuschließen.44 Menschenbilder in ihrer praktischen Anwendung im Betrieb sind immer mit Macht verbunden. Sie führen dazu, dass Akteursgruppen in einer bestimmten Weise wahrgenommen und behandelt werden. So liegt die Funktion des unternehmerischen Bildes eines Arbeiters unter anderem in der Festlegung seiner Stellung im Betrieb, seiner Einordnung in eine bestimmte Sozialgruppe oder darin, ihn mithilfe von Disziplinierung zu einer höheren Produktivität zu animieren. Menschenbilder sind veränderbar, wenn sie nicht von den Akteuren als naturgegeben oder als unverrückbar angesehen oder dargestellt werden.45 Oft haben sie jedoch für den Einzelnen eine hohe Beharrungskraft, da sie einen Teil von Weltbildern oder Grundüberzeugungen darstellen. Diese Tatsache kann zu Konflikten führen, insbesondere wenn verschiedene Menschenbilder unterschiedlicher Gruppen innerhalb des Betriebes aufeinanderprallen. Ebenso wie Vertrauen reduziert die Vorstellung davon, was einen Menschen in einer spezifischen Stellung der betrieblichen Hierarchie charakterisiert, die Komplexität der Interaktion im Unternehmen. Folglich legen verschiedene theoretische Modelle eines Menschen den Umgang mit sozialen Gruppen im Unternehmen, deren Bedürfnisse und Motivationen fest. Dies ist insofern relevant, da die Leitung eines Unternehmens sich an solchen Modellen orientiert, um die Produktivität ihrer Mitarbeiter etwa durch Leistungsanreize, Motivation,

41 UHL, Karsten: Der Faktor Mensch und das Management. Führungsstile und Machtbeziehungen im industriellen Betrieb des 20. Jahrhunderts, in: Neue Politische Literatur 55 (2010), S. 233. 42 OERTER, Rolf: Einleitung. Menschenbilder als sinnstiftende Konstruktionen und als geheime Agenten, in: Menschenbilder in der modernen Gesellschaft. Konzeptionen des Menschen in Wissenschaft, Bildung, Kunst, Wirtschaft und Politik, hrsg. v. Rolf OERTER/Kurt DETZER, Stuttgart 1999, S. 1. 43 Ebd., S. 2. 44 KIRCHLER, Erich u. a.: Menschenbilder in Organisationen (Arbeits- und Organisationspsychologie 5), Wien 2004, S. 12. 45 OERTER, ROLF 1999, Einleitung, S. 1.

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Arbeitszufriedenheit oder ein gutes Betriebsklima zu erhöhen.46 Das bedeutet also, dass sich je nach zugrunde liegendem Menschenbild der Führungsstil der Vorgesetzten und der Unternehmensleitung in einem Betrieb verändert. An dieser Stelle sei angemerkt, dass es ebenso wenig „die Unternehmensleitung“, wie „die Arbeiter“ gibt. Gleichermaßen wie die Gruppe der Arbeiter setzt sich die Leitung eines Unternehmens aus individuellen Akteuren zusammen, die sich in moralischen Werten, Normen und persönlichen Motivationen unterscheiden können. Um allerdings das vorherrschende Menschenbild innerhalb der Unternehmensleitung für die Analyse greifbar machen zu können, ist eine gewisse Kollektivierung notwendig. Menschenbilder im Betrieb standen und stehen immer in engem Zusammenhang mit der Gesellschaft, deren Gesetzmäßigkeiten, Ordnungsvorstellungen und Annahmen über menschliches Verhalten. Diese werden letztlich auf die betriebliche Ebene herunter gebrochen.47 Die Annahme des Neo-Institutionalismus, dass das Unternehmen durch gesellschaftliche, politische und kulturelle Einflüsse geprägt wird, lässt sich hieran erneut verdeutlichen. Eine wichtige Grundlage dieser unternehmerischen Menschenführung bildeten seit der Industrialisierung Maßnahmen der Disziplinierung und Kontrolle von Arbeitern durch ihre Vorgesetzten, welche die Effizienz und die Produktivität steigern sollten.48 Es entwickelten sich unterschiedliche Modelle, die den Menschen charakterisierten, wie das eingangs erwähnte Modell des homo oeconomicus, als Teil eines kapitalistischen, wirtschaftlich-liberalen Weltbildes. Diesen Modellen angepasst, entstanden verschiedene Führungsstile in den Unternehmen, wie der Taylorismus mit seiner wissenschaftlichen Betriebsführung. Der homo oeconomicus ist demnach ein rationaler, auf die eigene Nutzenmaximierung ausgerichteter Akteur. Er ist nur durch finanzielle Anreize zu einer Leistungssteigerung zu motivieren und prinzipiell verantwortungsscheu, da dies für ihn erhöhte Anstrengung und Zeiteinbußen bedeutet.49 Allerdings entspricht dieses Modell kaum der Realität. Wie schon das Kapitel 2 darlegt, haben Arbeiter als Akteure mannigfaltige, auch individuelle Motivationen und Anreize für ihre Arbeit, die weit über das Finanzielle hinausgehen. Ebenso handeln sie nicht immer zweckrational, sondern entscheiden häufig zugunsten einer sozialen Rationalität. Dementsprechend steht oft nicht die eigene Gewinnmaximierung oder der eigene Nutzen im Fokus der Arbeiter. Ferner unterliegen 46 DETZER, Kurt: Homo oeconomicus und homo faber – dominierende Menschenbilder in Wirtschaft und Technik, in: Menschenbilder in der modernen Gesellschaft. Konzeptionen des Menschen in Wissenschaft, Bildung, Kunst, Wirtschaft und Politik, hrsg. v. Rolf OERTER/Kurt DETZER, Stuttgart 1999, S. 100. 47 STAEHLE, Wolfgang: Das Bild vom Arbeitnehmer im Wandel der Arbeitgeber-ArbeitnehmerBeziehungen, in: Management und Partizipation in der Automobilindustrie. Zum Wandel der Arbeitsbeziehungen in Deutschland und Frankreich, hrsg. v. Leo KIßLER, Frankfurt am Main 1992, S. 34. 48 UHL, KARSTEN 2010, Der Faktor Mensch und das Management, S. 233f.; RUPPERT, Wolfgang (Hrsg.): Die Arbeiter. Lebensformen, Alltag und Kultur von der Frühindustrialisierung bis zum „Wirtschaftswunder“, Frankfurt am Main 1988, S. 39. 49 KIRCHLER, ERICH U. A. 2004, Menschenbilder in Organisationen, S. 22.

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ihre Bedürfnisse auch Veränderungen und sind nicht stabil. Das Modell geht davon aus, dass die Arbeiter völlige Übersicht über alle verfügbaren Handlungsmöglichkeiten besitzen. Dies entspricht, wie die Analyse in Kapitel 4.2 und 4.3 offenbart, nicht der betrieblichen Realität. Die Arbeiter wurden aufgrund der unterschiedlichen Machtverteilung und den betrieblichen Hierarchien häufig nicht in wichtige Entscheidungen einbezogen und erhielten nicht den vollen sowie freien Zugang zu Informationen.50 Dies belegt, dass jenes Modell eine starke Vereinfachung eines arbeitenden Menschen darstellt. Auf diesem abstrakten, kaum wirklichkeitsnahen Menschenmodell aufbauend in Verbindung mit der kapitalistischen Wirtschaftsordnung sowie den vorherrschenden gesellschaftlichen Schichten hielt in deutschen Firmen ab den 1920er Jahren das Führungskonzept der wissenschaftlichen Betriebsführung (Scientific Management) des amerikanischen Ingenieurs Frederick Taylor Einzug. Planung und Koordination des Produktionsablaufs wurden hier in den höheren Hierarchieebenen angesiedelt und diese Aufgaben wesentlich höher entlohnt als produzierende Tätigkeiten. Die direkten Vorgesetzten in der Produktion waren für die Kontrolle der Arbeiter zuständig. Arbeiter sollten nach diesem Konzept keine planenden Tätigkeiten ausführen, sondern vielmehr durch einen nach Leistung gestaffelten Lohn und Konkurrenzdruck zu mehr Produktivität angetrieben werden.51 Daran lässt sich die eingangs erwähnte Annahme zeigen, dass Menschenbilder den Umgang und die Wahrnehmung von Akteursgruppen im Unternehmen prägen. Das abstrakte Modell des homo oeconomicus hat durch die Anwendung im Betrieb in Verbindung mit Ordnungsvorstellungen, gesellschaftlichen Normen und Werten sowie der Einbettung in eine bestimmte Weltanschauung, massive Auswirkungen auf die Stellung, Behandlung und Wahrnehmung von Arbeitern durch Vorgesetzte. Es führte letztlich zu einer strikten Hierarchisierung der Betriebe, einer starken Kontrolle der Arbeiter durch die Vorgesetzten und zu einer Zentralisierung der Entscheidungsgewalt, die eine Mitbestimmung der Arbeiter behinderten.52 Eine Annahme Taylors, welche noch bis heute in Betrieben Gültigkeit besitzt, war, dass die Arbeitskraft eine aus Sicht des Unternehmers oder Managements betriebsnotwendige Ressource darstellt, die es so intensiv wie möglich zu nutzen gilt. Dies kann entweder durch die Anhebung der Arbeitsanstrengung erreicht werden, was allerdings einen schnelleren Verschleiß der Arbeitskräfte bedeutet oder durch eine mehrheitlich angewandte Steigerung der Produktivkraft mit Hilfe des Einsatzes von verbessertem Werkzeug oder Maschinen sowie einer effizienteren Arbeitsorganisation.53 Außerdem bildet die von Taylor schon konstatierte „Leistungszurückhaltung“ der Arbeiter zur Schonung ihrer Arbeitskraft immer noch das zentrale Problem des „Produktionsfaktors Arbeit“. Damit rechtfertigte er die engmaschige Kontrolle der Arbeiter, wie sie auch bei VW in den 1970er Jah50 51 52 53

Ebd., S. 22f. UHL, KARSTEN 2010, Der Faktor Mensch und das Management, S. 234. KIRCHLER, ERICH U. A. 2004, Menschenbilder in Organisationen, S. 39. AßLÄNDER, MICHAEL 2005, Von der vita activa zur industriellen Wertschöpfung, S. 328.

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ren bestand.54 Darüber hinaus war die kontinuierliche Präzision der Maschine, die eine gleichmäßige und möglichst effiziente Produktion erreichen wollte, Vorbild für Taylor, wie auch für die Leitung von VW.55 Alle Arbeitsschritte sollten laut Taylor standardisiert und nach festen Zeitvorgaben durchgeführt werden. Bei VW finden sich diese Überlegungen in abgewandelter Form während der 1970er Jahre mit der Einführung von Methods-Time Measurement (MTM) Maßnahmen wieder, also der Analyse von Arbeitsabläufen anhand von Bewegungsstudien und der Festlegung hierfür benötigter Plan- und Vorgabezeiten.56 Erst der Tarifvertrag 1984 schaffte den Entlohnungsgrundsatz des Zeitlohns bei VW ab.57 Am Konzept der Human Relations, dem in den 1950er Jahren Aufmerksamkeit in deutschen Unternehmen zuteilwurde, zeigt sich, dass diese Führungskonzepte zumindest über einen längeren Zeitraum hinweg bedingt wandelbar waren. Es sollte erneut die Arbeitsmotivation verbessern, allerdings den vorzeitigen Verschleiß der Arbeitskraft durch monotone Belastungen zumindest abmildern. So stellte dieses Konzept im Vergleich zum Taylorismus nicht die Zentralisation und Spezialisierung von Planungsaufgaben und die strikte Hierarchisierung der Produktion in den Vordergrund, sondern gerade die Dezentralisierung und die Mitarbeiterbeteiligung.58 Außerdem sollte eine Bündelung von Arbeitsaufgaben die feingliedrige Fragmentierung der Arbeit abschwächen.59 Auch die soziale Interaktion im Unternehmen gewann hierdurch an Bedeutung, da sie als wichtige Komponente für die Steigerung der Arbeitsmotivation in diesem Konzept galt.60 Diesem Führungskonzept lag vor allem das sozialpsychologische Menschenbild des social man zugrunde, welches den Menschen im Vergleich zum homo oeconomicus weniger als rationales, sondern vielmehr als soziales Wesen ansah.61 In deutschen Betrieben fand das Human Relations-Konzept in dieser Form wenig Resonanz, wohingegen das daran anknüpfende Führungskonzept der Human Resources in den 1960er Jahren stärkere Verbreitung fand.62 In diesem Ansatz wurde der Mitarbeiter als Ressource angesehen, die durch die Berücksichtigung seiner Bedürfnisse optimal genutzt werden sollte.63 Der Fokus dieses Führungsstils richtete sich nun weniger auf die Gruppe als auf das Individuum selbst, welches allerdings 54 Ebd., S. 340. 55 WISCHERMANN, CLEMENS 2003, Unternehmenskultur, Unternehmenskommunikation, Unternehmensidentität, S. 25. 56 BIRKE, PETER 2007, Wilde Streiks im Wirtschaftswunder, S. 115. 57 HAIPETER, THOMAS 2000, Mitbestimmung bei Volkswagen, S. 346. 58 WITZEL, Morgen: Management history. Text and cases, London/New York 2009, S. 26. 59 AßLÄNDER, MICHAEL 2005, Von der vita activa zur industriellen Wertschöpfung, S. 335. 60 BONTRUP, Heinz-Josef: Arbeit, Kapital und Staat. Plädoyer für eine demokratische Wirtschaft, Köln 42011, S. 187. 61 KIRCHLER, ERICH U. A. 2004, Menschenbilder in Organisationen, S. 56f. 62 WISCHERMANN, CLEMENS 2003, Unternehmenskultur, Unternehmenskommunikation, Unternehmensidentität, S. 30; ROSENBERGER, Ruth: Experten für Humankapital. Die Entdeckung des Personalmanagements in der Bundesrepublik Deutschland (Ordnungssysteme 26), München 2008, S. 403ff. 63 WISCHERMANN, CLEMENS 2003, Unternehmenskultur, Unternehmenskommunikation, Unternehmensidentität, S. 30.

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im Vergleich zum homo oeconomicus mit einer Vielzahl von Bedürfnissen ausgestattet war. Als wichtige Elemente dieses arbeitswissenschaftlichen und psychologischen Menschenbildes, genannt self-actualizing man, traten das menschliche Streben nach Selbstverwirklichung, Weiterbildung, Entscheidungsspielraum und nach Anerkennung seiner speziellen Fähigkeiten hervor.64 Das lief dem fordistisch-tayloristischen Führungsstil mit kleinteiliger Arbeitsteilung, rigiden Betriebshierarchien und wenig Mitbestimmung zuwider. Demzufolge zielte das HdA-Programm in Anlehnung an das Human Resources-Konzept mit der Forderung nach mehr Mitbestimmung, Selbstbestimmung und der Übernahme von Verantwortung auf eine Verbesserung der Arbeitsmotivation der Arbeiter ab, da sich die monotonen Tätigkeiten am Fließband und die strikte Hierarchisierung negativ auf die Arbeitsmoral auswirkten und Unzufriedenheit entstehen ließen.65 Insofern sollte es dazu dienen, Vorurteile sowie veraltete Konzepte von Menschenbildern und Führungsstilen im Betrieb abzubauen, welche die Einführung neuer Arbeitsstrukturen, die Beteiligung sowie Selbstverwirklichung der Arbeitnehmer oder den Einsatz aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse über Ergonomie am Arbeitsplatz behinderten.66 Die Programmverfasser gingen davon aus, dass die Annahme eines liberal-demokratischen Menschenbildes und damit einhergehend eines neuen Führungsstils durch die Unternehmensleitung eine wichtige Veränderung zur „Humanisierung der Arbeit“ darstellte. Hierdurch sollte sich die Stellung, Wahrnehmung und Behandlung von Arbeitnehmern im Betrieb verändern. Damit übernahmen sie Ansätze der zeitgenössischen Arbeits- und Wirtschaftspsychologie.67 Als besonders wichtige Gruppe, die für den Abbau der Vorurteile in den Unternehmen zu gewinnen war, erschien den Programmverfassern folgerichtig die Gruppe der betrieblichen Führungskräfte einschließlich des Betriebsrates.68 Da es im Bundesprogramm auch um die „Vermittlung von Managementmethoden“ und den Eingang der „modernen Organisationslehre“ in die Betriebe ging, mussten vor allem die Vorgesetzten von diesen neuen Methoden überzeugt werden.69 Außerdem förderte das Programm gezielt die praktische Untersuchung neuer Arbeitsmotivationstheorien, wie etwa die vom Arbeitswissenschaftler Frederick Herzberg ausgearbeitete Zwei-Faktoren-Theorie in den Unternehmen.70 Diese verhaltensorientierte Theorie zielte auf die Steigerung der Arbeitsmotivation durch die Kategorisierung und das Priorisieren von Bedürfnissen und Motivationsfaktoren ab. 64 KIRCHLER, ERICH U. A. 2004, Menschenbilder in Organisationen, S. 89f. 65 BArch, B 149/27879, Forschungsaktionsprogramm zur Humanisierung des Arbeitslebens Februar 1974, S. 1. 66 Ebd., S. 60. 67 WERTHER, Simon/JACOBS, Christian: Organisationsentwicklung – Freude am Change (Die Wirtschaftspsychologie), Berlin 2014, S. 3. 68 BArch, B 149/27879, Forschungsaktionsprogramm zur Humanisierung des Arbeitslebens Februar 1974, S. 61. 69 Ebd., S. 8 und S. 36; HERZBERG, Frederick/MAUSNER, Bernard/SNYDERMAN, Barbara: The motivation to work, New York 21959. 70 BArch, B 149/27879, Forschungsaktionsprogramm zur Humanisierung des Arbeitslebens Februar 1974, S. 42.

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Herzberg teilte diese in zwei Kategorien ein: Zum einen Faktoren, die sich auf den Tätigkeitsinhalt bezogen (Motivatoren), wie die Übernahme von Verantwortung oder das Erwerben von Anerkennung und zum anderen Faktoren, die auf das Umgebungsfeld der Tätigkeit abzielten (Hygienefaktoren), wie Bezahlung oder Arbeitssicherheit.71 Zeitgleich sollte mit dem HdA-Programm auch der Ausbau der bundesdeutschen Arbeitsforschung, etwa die Arbeitspsychologie, Industriesoziologie und Arbeitswissenschaft gezielt gefördert werden und die so gewonnenen Erkenntnisse in den Betrieben im Zuge von Modellversuchen in den HdAProjekten oder Lehrgängen für betriebliche Führungskräfte Anwendung finden.72 Modelle von Menschen oder menschlichen Handelns erregten nämlich, wie erwähnt, vor allem in der Betriebs- und Volkswirtschaftslehre, den Arbeitswissenschaften oder der Industriesoziologie große Aufmerksamkeit, da durch sie eine leistungsstarke und effizientere Produktion gewährleistet werden sollte.73 Insofern galt es in diesen Bereichen neue Forschungen zur Verbesserung der Arbeitsmotivation, der Arbeitsbedingungen und zur Entwicklung neuer Modelle anzustoßen. Daran anknüpfend stellt sich die Frage, ob es gelang, neue Konzepte der Menschenführung durch das Programm im Betrieb zu installieren. Außerdem ist zu untersuchen, welche betrieblichen Faktoren bei VW deren Einführung erschwerten und damit die vom Programm geforderten erweiterten Partizipationsmöglichkeiten der Arbeiter verhinderten. Stießen diese neuen Konzepte nur bei den betrieblichen Führungskräften auf Ablehnung oder gar bei den Arbeitern selbst? In den Industrieroboter-Projekten stellte sich das in den Köpfen der Vorgesetzten vorherrschende Bild eines Arbeiters als ein großer Hemmfaktor für die vom HdA-Programm geforderte Partizipation der Arbeiter heraus, da jenes Bild die Lern- und Leistungsgrenzen von Arbeitern im Betrieb und die Überlegung bestimmte, wie man sie am besten zur Arbeit motivierte und einsetzte. Ab den 1960er Jahren waren wie erwähnt vor allem der Human Resources-Ansatz und ab den 1970er Jahren die Einführung von Personalinformationssystemen Instrumente der Vorgesetzten bei VW, um die Arbeiter zu motivieren und ihnen ihrer Leistung entsprechende Arbeitsplätze zuzuteilen.74 Bei VW, ebenso wie bei Siemens, fand im Zuge des Human Resources-Ansatzes vor allem das Harzburger Modell An-

71 HERZBERG, FREDERICK 1959, The motivation to work, S. 59f. und S. 100f. 72 BArch, B 149/27879, Forschungsaktionsprogramm zur Humanisierung des Arbeitslebens Februar 1974, S. 60 und S. 62ff. 73 Vgl. WERHAHN, Peter: Menschenbild, Gesellschaftsbild und Wissenschaftsbegriff in der neueren Betriebswirtschaftslehre. Faktortheoretischer Ansatz, entscheidungsorientierter Ansatz und Systemansatz im Vergleich, Bern 1980; MATTHIESEN, Kai: Kritik des Menschenbildes in der Betriebswirtschaftslehre. Auf dem Weg zu einer sozialökonomischen Betriebswirtschaftslehre (Sankt Galler Beiträge zur Wirtschaftsethik 14), Bern 1995; HARTFIEL, Günter: Wirtschaftliche und soziale Rationalität. Untersuchungen zum Menschenbild in Ökonomie und Soziologie, Stuttgart 1968. 74 KLEINSCHMIDT, CHRISTIAN 2002, Der produktive Blick, S. 196ff.; MEYER-DEGENHARDT, Klaus: Was sind Personalinformationssysteme? Aufbau und Funktionsweise, in: Personalinformationssysteme. Auf dem Weg zum arbeitsplatzgerechten Menschen, hrsg. v. Ulrich KLOTZ/Klaus MEYER-DEGENHARDT, Reinbek bei Hamburg 1984, S. 55f.

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wendung im Unternehmen.75 In diesem Management-Konzept ging es darum, Verantwortung an untere Hierarchieebenen zu delegieren. Jeder Mitarbeiter sollte einen eigenen Verantwortungsbereich zugewiesen bekommen. Allerdings kontrollierte und beobachtete der Vorgesetzte die Handlungen seiner Mitarbeiter und griff, wenn nötig, ein. Nur der Vorgesetzte hatte weiterhin Weisungsbefugnis. Sein Führungsverhalten sollte durch neue Methoden der Mitarbeiterführung, wie der Mitarbeiterversammlung und das Mitarbeitergespräch zum besseren Erreichen der Unternehmensziele führen.76 An diesem Ansatz wurde dennoch paradoxerweise häufig kritisiert, dass er in seiner Anwendung einen autoritär-bürokratischen Führungsstil begünstige, denn das Modell orientierte sich tatsächlich an militärischen Führungsgrundsätzen.77 Dies zeigte sich auch bei VW, was die Analyse in diesem und den nachfolgenden Kapiteln darlegen wird. Eine Erklärung für diesen Widerspruch ist, dass sich das zugrundeliegende Menschenbild bei VW kaum verändert hatte und das Harzburger Modell zahlreiche Anknüpfungspunkte für einen autoritären Führungsstil bot. So ging es dem Vorstand nach Auffassung des Historikers Thomas Haipeter nicht um die Überwindung der alten Organisationsstruktur, sondern um eine begrenzte Dezentralisierung im bestehenden funktionalen Rahmen.78 Darüber hinaus hat die militärisch-autoritäre Führung von Betrieben eine lange Tradition. Schon in der Industrialisierung orientierten Unternehmer die Fabrikorganisation an militärischen Vorbildern. Ebenso herrschten oft eine rigide Fabrikordnung und Disziplin in den Betrieben vor.79 Um die Arbeiter an den ihrer Leistung entsprechenden Arbeitsplätzen einsetzen zu können, nutzten die Vorgesetzten bei VW ab den 1970er Jahren als weiteres Mittel die Einführung von Personalinformationssystemen im Unternehmen. Diese EDV-Systeme ermöglichten es, Daten der Arbeiter zu sammeln und auszuwerten, etwa deren produzierte Stückzahlen, Pausen und Fehlzeiten, was zwangsläufig eine stärkere Kontrolle der Arbeiter zur Folge hatte.80 Die Arbeiter wurden anhand ihrer erbrachten Leistung und Zuverlässigkeit an den Arbeitsplätzen eingesetzt, welche die Vorgesetzten als für sie passend erachteten. Die Eignung eines Werkers für eine Tätigkeit war schon Anfang des 20. Jahrhunderts ein wichtiger Faktor in der Produktion. So forderte Frederick Taylor, eine wissenschaftlich fundierte Auswahl der geeignetsten Arbeiter für eine Tätigkeit zu treffen. Es gab unterschiedliche Methoden diese Tauglichkeit zu bestimmen. Eine davon war die Psychotechnik in den 1920er Jahren. Hier wurden anhand von psychologischen Gutachten und Tests die möglichen Bewerber eines Betriebes auf ihre Berufseig75 KLEINSCHMIDT, CHRISTIAN 2002, Der produktive Blick, S. 199; ROSENBERGER, RUTH 2008, Experten für Humankapital, S. 407. 76 WISCHERMANN, CLEMENS 2003, Unternehmenskultur, Unternehmenskommunikation, Unternehmensidentität, S. 31. 77 KLEINSCHMIDT, CHRISTIAN 2002, Der produktive Blick, S. 199; ROSENBERGER, RUTH 2008, Experten für Humankapital, S. 407. 78 HAIPETER, THOMAS 2000, Mitbestimmung bei Volkswagen, S. 194. 79 AßLÄNDER, MICHAEL 2005, Von der vita activa zur industriellen Wertschöpfung, S. 216f.; RUPPERT, WOLFGANG 1988, Die Arbeiter, S. 35. 80 KLEINSCHMIDT, CHRISTIAN 2002, Der produktive Blick, S. 291.

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nung, Leistungsfähigkeit und auf ihre Anpassungsfähigkeit an die Produktionsmaschinen geprüft und anschließend entsprechenden Arbeitsplätzen zugewiesen.81 In den 1970er Jahren halfen den Vorgesetzten bei VW hinsichtlich der Beurteilung der Eignung eines Arbeiters nun Maschinen selbst – die Personalinformationssysteme. Auch im Bundesprogramm war die Tauglichkeit der Arbeiter für ihre Tätigkeit ein wichtiges Element: „Jeder Arbeitnehmer sollte nach seinen Fähigkeiten, seiner Ausbildung und seinen Neigungen in den Arbeitsprozeß eingegliedert werden.“82

Im Programm standen jedoch der Arbeitnehmer und seine Talente sowie Tätigkeitswünsche im Vordergrund und nicht der Zweck, für den er in der Produktion benötigt wurde. Für welche Tätigkeiten die Arbeiter allerdings geeignet waren, entschieden deren betriebliche Vorgesetzte. Das angenommene Bild eines Arbeiters der Vorgesetzten bei VW hatte also Auswirkungen auf die zu verrichtende Tätigkeit und die Qualifizierung der Werker. So offenbart die Aussage eines Arbeiters aus der Gießerei, dass Angelernte aufgrund ihrer geringen Qualifikationen generell keine höherwertigen Tätigkeiten von ihren Vorgesetzten zugewiesen bekamen: „Eine anspruchsvollere Arbeit bekommt man meistens nicht. Entweder bekommt man, bezogen auf die Lohngruppe, schlechtere Arbeit oder eben gleich schlechte. Die sagen doch: Der Mann hat ja nur die Kurbelwelle abgestapelt. Wo soll man den denn hinstellen? Der kann doch nichts anderes.“83

Das Zitat demonstriert die von den Vorgesetzten angenommenen Grenzen der Lern- und Leistungsfähigkeit der angelernten Arbeiter. Diese seien per se nicht weiter qualifizierbar. Jene Vorstellung davon, inwieweit Arbeiter überhaupt qualifizierbar waren, prägte massiv die Aufstiegschancen der Werker sowie ihre Qualifizierungsprozesse im Betrieb und damit ihren Zugang zu Wissen und mehr Teilhabe in den Unternehmenshierarchien. Das lässt sich an den Werkern in den Industrieroboter-Projekten demonstrieren. Die meisten der interviewten Werker waren ungelernte beziehungsweise angelernte Arbeitskräfte ohne Fachausbildung oder weitere Arbeitsqualifikation. Viele stammten aus ganz anderen Berufsfeldern. Unter den in Wolfsburg befragten Arbeitern waren Maurer (15 Werker), Arbeiter aus der Landwirtschaft (12 Werker), Tischler (6 Werker) sowie Bäcker und Maler (jeweils 5 Werker) die am häufigsten genannten Berufe. Nur 9 der 133 Befragten hatten eine Fachausbildung, wie Mechaniker, Elektriker oder Maschinenschlosser. Infolgedessen wurden die Arbeiter auf ihren zugeteilten Arbeitsplätzen möglichst kurz angelernt. Das offenkundige Problem, welches hierdurch 81 PATZEL-MATTERN, Katja: Ökonomische Effizienz und gesellschaftlicher Ausgleich. Die industrielle Psychotechnik in der Weimarer Republik (Studien zur Geschichte des Alltags 27), Stuttgart 2010, S. 17f. 82 BArch, B 149/27879, Forschungsaktionsprogramm zur Humanisierung des Arbeitslebens Februar 1974, S. 5. 83 eLabour-SOFI-IR01_006_006.pdf Gespräch mit Arbeiter aus der Gießerei, 41 Jahre am 25.10.1977, S. 9.

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entstand, war, dass sie meist nur Kenntnis über einfache Tätigkeitsbereiche hatten und dadurch keine anderen anspruchsvolleren Tätigkeiten ausüben konnten. Dies wurde gleichermaßen von den Werkern als Problem erkannt: „Klar, hat sich ganz schön verstärkt. Ich meine, Leute werden ja immer gebraucht, aber man muß sich spezialisieren, mit der Volksschule kommt man ja schon gar nicht mehr klar nachher, außer vielleicht an den Bändern. ... Aber speziell bei uns im Preßwerk, wo die ganzen Anlagen sind, auch mit Computern wird schon gearbeitet, da muß man doch schon ganz schön lernen, nicht bloß das manuelle Arbeiten, sondern auch das andere, diesen ganzen technischen Vorgang.“84

Demnach wussten die Werker um die gestiegenen Qualifikationsanforderungen des Betriebes aufgrund der neuen Technologien. Dazu zählten beispielsweise eine höhere Schulbildung oder Weiterbildung, wie in Kapitel 2 beschrieben. Auch fachfremde Ausbildungen, etwa Frisör, Maurer oder Maler erkannten die Arbeiter als Nachteil für ihre Aufstiegschancen: „Da sehe ich keine Chance. Wenn ich einen Metallberuf hätte, dann wäre das besser. Aber als gelernter Maurer, das ist schlecht. Wer aus einem Metallberuf kommt, der hat es hier leichter.“85

Folgerichtig wollten sich von 133 Werkern zumindest 41 weiterbilden oder eine Versetzung mit höherem Lohn und vielfältigeren Aufgaben erwerben. Allerdings waren 36 von ihnen dabei nicht erfolgreich. Über die Hälfte von ihnen gab an, dass die Höherversetzung durch Vorgesetzte oder das Betriebsbüro abgelehnt wurde. Nur drei von den 133 Werkern konnten eine Ausbildung zum Facharbeiter erlangen und nur zwei eine Versetzung mit mehr Lohn. Diese Ergebnisse decken sich mit einer Studie des Bundesinstituts für Berufsbildung zur Weiterqualifizierung von Industriearbeitern aus dem Handelsblatt von 1986. Demzufolge entfiel auf an- und ungelernte Arbeiter und Facharbeiter in bundesdeutschen Industrieunternehmen nur ein sehr geringer Anteil der Weiterbildungskosten.86 Vor allem nahmen Führungskräfte sowie technische und kaufmännische Angestellte an Weiterbildungsmaßnahmen teil.87 Wieso war es lediglich so wenigen Arbeitern trotz ihres Engagements möglich im Betrieb aufzusteigen? Ein häufig genannter Grund für die Verwehrung des Aufstiegs war das Verhalten der Vorgesetzten. Demnach klang die Notwendigkeit von Beziehungen für den Aufstieg im Unternehmen in den Interviews immer wieder an:

84 eLabour-SOFI-IR01_003_010.pdf Gespräch mit Einleger aus dem Presswerk, 50 Jahre am 26.09.1977, S. 8. 85 eLabour-SOFI-IR01_004_015.pdf Gespräch mit Einleger aus dem Rohbau, o. A. am 05.10.1977, S. 5. 86 O. A.: Weiterbildung für wen?, in: Handelsblatt Nr. 33, 08.08.1986, S. 7. 87 PONGRATZ, Hans: Subordination. Inszenierungsformen von Personalführung in Deutschland seit 1933 (Arbeit und Leben im Umbruch 3), München u. a. 2002, S. 107.

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„Früher, nach meiner Lehre, da habe ich das schon mal gemacht. Da wollte ich Straßenführer werden. Aber ich hatte keine Chance. Da muß man Verbindungen und Beziehungen haben. Dann läßt sich vieles machen, aber sonst ist da nichts zu machen.“88

Für eine Versetzung oder Weiterbildung waren also mitnichten nur gute Leistungen entscheidend, sondern auch Verbindungen zu den jeweiligen Vorgesetzten. Ein Werker berichtete gar von Korruption und Vetternwirtschaft: „Wer gut schmieren konnte, hat die besten Arbeiten bekommen. Einer zieht den anderen nach. Beziehungen spielen eine Rolle. Ein Meister zog seine Verwandten nach.“89

Um als angelernter Werker aufsteigen zu können, war demnach eine Empfehlung des Vorarbeiters oder des Meisters nötig.90 Diese Praxis lässt sich auch in anderen historischen Studien zu Arbeitsbeziehungen im Betrieb nachweisen.91 Der Unterabteilungsleiter im Presswerk fasste den Aufstiegsweg der Arbeiter prägnant zusammen. Nach seiner Aussage waren die Werker einerseits abhängig von der Empfehlung ihres Vorgesetzten und mussten sich zunächst als kurzzeitige Vertretungen an höher qualifizierten Arbeitsplätzen beweisen. Andererseits verlangsamte der Betriebsrat den Aufstieg angelernter Arbeiter, denn dieser entschied bei Versetzung überwiegend nach der Dauer der Werkszugehörigkeit bei gleicher Qualifikation. Infolgedessen gelang ein schneller Aufstieg in der Produktion eher selten und der persönliche Wille zur höheren Qualifizierung nicht unbedingt ausschlaggebend.92 Da sich angelernte Werker nur mit Zustimmung ihrer Vorgesetzten an andere Arbeitsplätze umsetzen lassen konnten, fühlten sie sich bei einer Versetzung in manchen Fällen regelrecht machtlos, wenn die betreffenden Personen und Stellen diese verweigerten:

88 eLabour-SOFI-IR01_005_017.pdf Gespräch mit Punktschweißer aus dem Rohbau, 41 Jahre am 19.10.1977, S. 6f. 89 eLabour-SOFI-IR01_003_022.pdf Gespräch mir Arbeiter aus Halle 18, o. A. am 15.09.1977, S. 4. 90 DOMBOIS, Rainer: Arbeitsplatz Volkswagenwerk. Innerbetriebliche Berufswege und -irrwege angelernter Arbeiter, in: Wohin läuft VW? Die Automobilproduktion in der Wirtschaftskrise, hrsg. v. Reinhard DOLESCHAL, Reinbek bei Hamburg 1982, S. 140f. 91 WELSKOPP, Thomas: Soziale Kontinuität im institutionellen Wandel. Arbeits- und industrielle Beziehungen in der deutschen und der amerikanischen Eisen- und Stahlindustrie von der Jahrhundertwende bis zu den 1960er Jahren, in: Politische Zäsuren und gesellschaftlicher Wandel im 20. Jahrhundert. Regionale und vergleichende Perspektiven, hrsg. v. Matthias FRESE, Paderborn 1996, S. 223f. 92 „Das Aufstiegsmuster verläuft in der Regel in der Weise, daß diejenigen, die ihre Leistung bringen und zuverlässig arbeiten, es bei Bedarf zum Beobachter (Lohngruppe IVb) bringen. Wer als Maschinenführer vorgesehen ist, wird zunächst befristet, vor allem bei Ausfällen, an eine Presse gestellt. Der Meister entscheidet dann endgültig darüber, ob der Betreffende als Pressenführer geeignet ist. Für Meister und Unterabteilungsleiter ist es nicht einfach, einem Werker zu einem schnelleren Aufstieg zu verhelfen. Der Betriebsrat interveniert bei Versuchen in diese Richtung. […] Der BR verfahre nach der Maxime, daß bei gleicher Leistung derjenige zu bevorzugen sei, der schon länger im Werk ist.“ eLabour-SOFIIR01_001_013.pdf Gespräch mit Unterabteilungsleiter aus dem Presswerk am 15.09.1977, S. 4.

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Arbeiter als Konfliktpartner „Ich hatte mich bei der Inspektion beworben für das gleiche Geld und der Meister ließ mich nicht gehen, war nichts zu machen. War im Versetzungsbüro hoch gewesen, alles und war nichts.“93

Der Abteilungsleiter aus dem Rohbau beschrieb das Auswahlverfahren von angelernten Arbeitern noch einmal genauer. Freie Arbeitsplätze würden in der Produktion ausschließlich durch Vorgesetzte oder den Betriebsrat an die Werker herangetragen. Eine öffentliche Stellenausschreibung, auf die sich die Arbeiter bewerben konnten, gab es für Angelernte nicht. Auch höherwertige Arbeiten und höhere Lohngruppen waren für Neueingestellte prinzipiell nicht zu erlangen. Ebenso wurden „bandtaugliche“ Arbeiter bei Neueinstellung nicht in andere Produktionsbereiche versetzt.94 Das zeigt die Grenzen, welche den angelernten Arbeitern in der Produktion durch die betrieblichen Führungskräfte gesetzt wurden. Diese Einschränkungen speisten sich zum einen aus den angenommenen Leistungsmöglichkeiten und somit dem vorherrschenden Bild eines Arbeiters im Betrieb und zum anderen aus den dringend benötigten sowie zu besetzenden Tätigkeiten innerhalb der Produktion. Die individuellen Fähigkeiten oder Vorlieben der Arbeiter, welche laut HdA-Programm bestimmend bei der Arbeitsplatzwahl sein sollten, traten hierbei oft in den Hintergrund. Der Handlungsrahmen von Arbeitern war demnach begrenzt. Zahlreiche Werker, deren Versetzungs- oder Weiterbildungsanträge abgelehnt wurden, zeigten sich enttäuscht darüber: „Ja, das habe ich schon oft gemacht. Ich bin schon oft zum Personalbüro gegangen, aber die haben mich ewig wieder vertröstet. Ich wollte ja mal in die Forschung und Entwicklung, aber dann habe ich die Schnauze voll gekriegt, und in den letzten 2 Jahren habe ich mich darum überhaupt nicht mehr gekümmert. In der FE, das wäre schon eine interessante Sache gewesen. Aber daß das nicht geklappt hat, liegt auch hier an der Abteilung. Der Leiter meinte wohl immer, daß ich nicht entbehrlich bin.“95

Nach mehreren gescheiterten Versuchen resignierten die Arbeiter und entsagten ihrem Wunsch, im Unternehmen aufzusteigen, was einem Verzicht auf mehr Partizipation gleichkam.96 Ein Grund für die Ablehnung einer Versetzung durch Vor-

93 IfS Frankfurt A 117 Ordner 6 Gruppengespräch am 20.05.1980, S. 17. 94 „Eine betriebsöffentliche Stellenausschreibung existiert für die produktiven Arbeiter nicht, Informationen laufen allerdings über den Betriebsrat. Inoffiziell ist es gegenwärtig so, daß bestimmte Lohngruppen für Neueingestellte nicht möglich sein sollen. Jede Anforderung nach Arbeitskräften läuft über den Arbeitseinsatz. Diesem werden Personen gemeldet, die sich für eine höher eingruppierte Tätigkeit interessieren. Die Rolle des Betriebsrats dabei ist es, jeweils zu überprüfen, ob nicht eine gleichermaßen qualifizierte Arbeitskraft mit längerer Betriebszugehörigkeit dafür eingesetzt werden kann. Bei Neueinstellungen wird von der Personalabteilung ‚vorsortiert‘. Personen, die bandtauglich sind, werden in der Regel nicht [dem Rohbau] zugewiesen. […] Höherwertige Tätigkeiten sind für sie am Anfang nicht zu erlangen.“ eLabour-SOFI-IR01_001_026.pdf Gespräch mit Abteilungsleiter aus dem Rohbau am 08.08.1977, S. 5f. 95 eLabour-SOFI-IR01_005_024.pdf Gespräch mit Schweißer aus dem Karosseriebau, 29 Jahre am 05.10.1977, S. 8. 96 „[…] ich hatte mich mal, als ich 2 Jahre hier war, beworben. […] wollte eine andere Arbeit haben. Aber nach 3, 4 Jahren war ich über den toten Punkt hinweg. […].“ eLabour-SOFI-

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gesetzte konnte, wie im obigen Zitat dargelegt, etwa der Mangel an Arbeitskräften für bestimmte Tätigkeiten sein. Somit entschied das Personalbüro aufgrund betrieblicher Notwendigkeiten gegen eine Qualifizierung des Arbeiters. Allerdings legt das folgende Zitat dar, dass die Entscheidung gleichermaßen von Sympathie oder Antipathie zwischen Vorgesetzten und Arbeitern abhängig war. Demnach beeinflusste etwa eine unwillkommene Meinungsäußerung die Aufstiegschancen negativ: „Ich wollte damals zur technischen Entwicklung als Polsterer; Versuche machen usw. Ich wollte an was Neues, basteln, was ausprobieren. Ich habe mich da auch beworben, aber da stößt man auf Widerstand, da paßte meine Nase nicht. Wenn man hier den Mund auftut, dann ist das mit den Aufstiegsmöglichkeiten schlechter.“97

Die Aussage des Arbeiters erweckt den Eindruck, dass ein Aufstieg nur möglich war, wenn er sich an den betrieblichen Regeln und der Meinung der Vorgesetzten orientierte, wohingegen die Äußerung von Kritik oder Änderungsvorschlägen seiner Erfahrung nach Karrierechancen zunichtemachte. Außerdem deutet sich anhand der Aussagen der Werker an, dass Arbeiter, die bei VW eine Ausbildung absolviert hatten, den angelernten oder fachfremden Arbeitern bei einer Versetzung vorgezogen wurden: „Da gibt es kaum eine Chance, die müssen auch erst die, die hier gelernt haben, aus der Produktion rausziehen. Und man gibt es mit der Zeit auch auf, weil eben die noch da sind, die hier gelernt haben.“98

Folglich besetzten die betrieblichen Führungskräfte die freiwerdenden höherwertigen Tätigkeiten zunächst mit den im Werk ausgebildeten Arbeitskräften, was wiederum zu einer Binnendifferenzierung gemessen an der Qualifikation unter den Arbeitern in der Produktion führte. Diesen Wandel in der Qualifizierungsstruktur, also die Formalisierung der Ausbildung, beschrieb gleichermaßen ein Arbeiter aus der Gießerei: „Ich wollte mal in die Facharbeiterabteilung. Aber da wurde mir gesagt, es bestünde kein Bedarf. Das war so ungefähr 1966/67. Na und heute ist es wohl aussichtslos. Die haben jetzt ja ihren eigenen Nachwuchs. […] Ja, die Jüngeren, die Interesse haben, die haben es wohl leichter. Die können Kurse belegen und so. […] Aber Möglichkeiten gibt’s wohl nicht, da es soviel Auszubildende gibt.“99

Durch die schon in Kapitel 2.2 beschriebene Formalisierung der Ausbildung ab den 1970er Jahren kam es vor allem zu einer Diskriminierung von älteren, ungelernten Arbeitern in Bezug auf Weiterbildungsmöglichkeiten. Entscheidend war IR01_006_008.pdf Gespräch mit Maskenfahrer aus der Gießerei, 43 Jahre am 20.10.1977, S. 10. 97 eLabour-SOFI-IR01_006_010.pdf Gespräch mit Arbeiter aus der Kunststoffteilefertigung, 50 Jahre am 27.10.1977, S. 8. 98 eLabour-SOFI-IR01_005_021.pdf Gespräch mit Punktschweißer aus Karosserierohbau, 35 Jahre am 25.10.1977, S. 9. 99 eLabour-SOFI-IR01_004_030.pdf Gespräch mit Arbeiter aus der Gießerei, 45 Jahre am 17.10.1977, S. 7.

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hierbei erneut das vorherrschende Menschenbild. Der Abteilungsleiter des Nutzfahrzeugbaus hielt Werker, die jahrelang derselben Tätigkeit nachgingen, für nicht mehr weiter qualifizierbar. Sie seien „festgefahren“ und nicht mehr fähig, „kompliziertere Denkaufgaben“ zu übernehmen.100 Die Lerngrenzen hingen laut Vorgesetzten also auch vom Alter der Werker ab. So sahen sie jüngere Arbeiter noch in gewisser Weise als qualifizierbar und formbar an, wohingegen ältere Arbeiter kaum mehr weiterzubilden seien.101 Personalleiter: „Ein jüngerer Mitarbeiter, wenn er gut aufgepaßt hat in der Schule, sich selbst ein bißchen weiterbildet, dann ist er sehr schnell besser als die älteren Mitarbeiter, die ein gewisses Phlegma haben. […] einfach mit der Bequemlichkeit, ständig den gleichen Job zu haben.“102

Dies führte zu einer Binnendifferenzierung der Arbeiter in der Produktion anhand ihres Alters und damit auch ihrer Qualifizierbarkeit. Daher wurden die an VW gerichteten Bewerbungen älterer Arbeiter in den 1970er Jahren gezielt von der Unternehmensleitung aussortiert. Der Betriebsratsvorsitzende aus Hannover gab an, dass die Werksleitung eine Verjüngung der Produktion durchführen wollte und aus diesem Grund nur Arbeiter zwischen 18 und 40 Jahren neu einstellte.103 Dies legt nahe, dass ältere Arbeiter bei ihrer Bewerbung unter anderem aufgrund des angenommenen Arbeiterbildes der Vorgesetzten und damit einhergehenden Qualifizierungsgrenzen diskriminiert wurden. Doch nicht nur sie waren davon betroffen, sondern auch andere soziale Gruppen im Unternehmen, wie Frauen und Migranten. Am Beispiel der arbeitenden Frauen lässt sich die Wirkung des vorherrschenden Geschlechterbildes in der bundesdeutschen Gesellschaft auf die von ihnen ausgeübten Tätigkeiten abbilden. Anfang der 1960er Jahre herrschte ein breiter Konsens darüber, dass Ehe und Mutterschaft statt einer Karriere den weiblichen Lebensplan strukturieren sollten. Darunter litten sowohl die konstante Erwerbstätigkeit der Frauen als auch deren Berufsausbildung.104 Demgemäß waren Frauen häufig in Teilzeitbeschäftigungen tätig und standen ihren männlichen Kollegen nicht nur in der Entlohnung, sondern auch in der Anerkennung ihrer Arbeit und ihrer Stellung im Betrieb nach.105 Darüber hinaus wurde der Arbeitsschutz von Frauen auf ihre vorgesehene Rolle als zukünftige oder wirkliche Mutter zuge100 IfS Frankfurt A 117 Ordner 8 Gespräch mit Abteilungsleiter im Nutzfahrzeugbau am 22.04.1980, S. 21. 101 „Ein Werker kann eine routinierte Tätigkeit oftmals bis zum hohen Alter ausführen, eine Umsetzung in einen anderen Fertigungsgang – auch wenn er physisch weniger belastend ist – wird hingegen problematisch.“ IfS Frankfurt A 117 Ordner 7 Gespräch mit Personalleiter o. D., S. 5. 102 IfS Frankfurt A 117 Ordner 7 Gespräch mit Leiter der Instandhaltung Elektrobetriebe Teil II o. D., S. 10. 103 IfS Frankfurt A 117 Ordner 7 Gespräch mit Betriebsratsvorsitzendem am 01.12.1978, S. 23. 104 MATTES, Monika: „Gastarbeiterinnen“ in der Bundesrepublik. Anwerbepolitik, Migration und Geschlecht in den 50er bis 70er Jahren (Reihe Geschichte und Geschlechter 48), Frankfurt am Main/New York 2005, S. 206. 105 HAUSEN, KARIN 1997, Frauenerwerbstätigkeit und erwerbstätige Frauen, S. 24f.; MATTES, MONIKA 2011, Krisenverliererinnen?, S. 128f.

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schnitten, was sich unter anderem an der geschlechtsspezifischen Trennung von Tätigkeitsfeldern im Unternehmen erkennen lässt.106 Prinzipiell waren die Aufstiegschancen im Betrieb für Frauen daher wesentlich geringer als für ihre männlichen angelernten Kollegen.107 „Als Frau ist es gar nichts mit dem Weiterkommen im Betrieb; bei VW gibt es keine einzige Vorarbeiterin in der Produktion. Die einzige Vorarbeiterin gibt es in der Hausmeisterei beim Putzen.“108

Auch die geringen Ausbildungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten der Frauen trugen dazu bei, dass ihnen ein Aufstieg wie bei VW im Betrieb verwehrt blieb.109 Dies verdeutlicht die Äußerung des Abteilungsleiters der Montagen: „Der Einstelllohn in den Montagen beträgt bei Frauen 3a und bei Männern 3b. Man kommt relativ schnell auf eine höhere Lohngruppe; so ist es zum Beispiel möglich nach einem ½ Jahr auf die Lohngruppe 4a oder 4b zu kommen, jedoch ein weiterer Aufstieg liegt dann erst einmal nicht mehr an. Ab Lohngruppe 5a sind die Bandarbeiten als ‚qualifiziert‘ zu verstehen. Nach Aussagen [des Abteilungsleiters] geht in die Lohngruppe 5a Verantwortung und körperliche Anforderung ein, wobei über 50 % der Verantwortung zuzuschreiben sind.“110

Männer erhielten von Beginn an einen höheren Einstellungslohn als Frauen.111 Darüber hinaus war für Arbeiterinnen im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen ab der Lohngruppe 5 kein weiterer Aufstieg mehr möglich, da ab dieser Lohngruppe Tätigkeiten als „qualifiziert“ eingestuft wurden.112 Dies legt nahe, dass die Vorgesetzten Werkerinnen weder körperlich schwere Tätigkeiten noch die Übernahme von größerer Verantwortung zutrauten. Jene Tatsache war den Arbeiterinnen bei VW bewusst, wie die Aussage einer Einlegerin darlegt: „Der Arbeitsplatz von einer Frau wird immer geringer bewertet als der von einem Mann. Frauen werden benachteiligt. Wenn die Lohnkommission durchgeht, dann wenn ein Mann am Arbeitsplatz steht, dann wird ein höherer Lohn für diesen Arbeitsplatz herausgehandelt, als wenn dort eine Frau steht.“113

106 NUNNER-WINKLER, Gertrud: Menschenbildannahmen in der Geschlechterforschung, in: Menschenbilder in der modernen Gesellschaft. Konzeptionen des Menschen in Wissenschaft, Bildung, Kunst, Wirtschaft und Politik, hrsg. v. Rolf OERTER/Kurt DETZER, Stuttgart 1999, S. 88; NIEHUSS, Merith: Verhinderte Frauenarbeit? Arbeitsschutzmaßnahmen für Frauen in den 1950er Jahren, in: Von der Arbeiterbewegung zum modernen Sozialstaat. Festschrift für Gerhard A. Ritter zum 65. Geburtstag, hrsg. v. Jürgen KOCKA/Hans-Jürgen PUHLE/Klaus TENFELDE, München u. a. 1994, S. 761. 107 Vgl. „Als Frau hier weiterkommen? Das geht nicht. Das ist bei VW noch Utopie. Die Männer haben es da wohl leichter.“ eLabour-SOFI-IR01_006_019.pdf Gespräch mit Arbeiterin aus der Vormontage, 46 Jahre am 15.12.1977, S. 9. 108 eLabour-SOFI-IR01_004_023.pdf Gespräch mit Einlegerin, 42 Jahre am 10.10.1977, S. 9. 109 ATZMÜLLER, Roland/HÜRTGEN, Stefanie/KRENN, Manfred: Die zeitgemäße Arbeitskraft. Qualifiziert, aktiviert, polarisiert, Weinheim 2015, S. 65. 110 eLabour-SOFI-IR01_001_079.pdf Gespräch mit Abteilungsleiter aus den Montagen am 08.11.1978, S. 1. 111 Ebd., S. 1. 112 Vgl. DOMBOIS, RAINER 1982, Arbeitsplatz Volkswagenwerk, S. 133f. 113 eLabour-SOFI-IR01_004_023.pdf Gespräch mit Einlegerin, 42 Jahre am 10.10.1977, S. 4.

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Nicht nur die betrieblichen Führungskräfte, sondern auch die Gewerkschaften gingen davon aus, dass Frauen weniger als ihre männlichen Kollegen leisten konnten, insbesondere bezogen auf körperliche Arbeit.114 Die Vorstellung davon, wozu eine Frau fähig war oder wozu nicht, entschied über ihren Verbleib in niedrig bewerteten Tätigkeiten. An diesem Beispiel ließ sich das Einwirken von gesellschaftlichen Ordnungsvorstellungen, Normen und Werten auf den Betrieb darlegen. In Verbindung mit diesen wurde es von den Vorgesetzten zu einem wirkmächtigen Bild einer Arbeiterin zusammengefügt. Diese Vorstellung bestimmte wiederum den betrieblichen Alltag der Arbeiterinnen, ihre Verdienst- und Aufstiegsmöglichkeiten, ihren zugebilligten Handlungsrahmen sowie das Verhalten der Vorgesetzten und männlichen Kollegen ihnen gegenüber. Die nicht vorhandenen Aufstiegschancen und der geringe Verdienst für Frauen in der Produktion bei VW waren zudem Spiegel der westdeutschen Industrie. Frauen dienten in den 1960er und 1970er Jahren als flexibles Arbeitskräftereservoir, das insbesondere in nicht-qualifizierten Tätigkeitsbereichen eingesetzt wurde.115 Dies war wohl auch den Programmverfassern bewusst. Daher schenkte das Bundesprogramm der beruflichen Situation von arbeitenden Frauen besondere Beachtung. Frauen seien von zahlreichen Arbeiten ob ihrer angenommenen geringeren Belastbarkeit und damit einhergehend durch die notwendige Gewährleistung von besserem Arbeitsschutz für diese Gruppe am Arbeitsplatz generell ausgeschlossen.116 Zudem übernähmen viele Frauen die Kinderbetreuung oder Pflege von Angehörigen und arbeiteten daher hauptsächlich in Teilzeitbeschäftigungen mit wenig Abwechslung und geringem Gehalt.117 Demnach forderte das Programm etwa die vermehrte Schaffung qualifizierter Teilzeitarbeitsplätze für sie und finanzierte Studien, um Daten zur Arbeitssituation von Frauen und deren speziellen Arbeitsbelastungen zu erhalten.118 Aber nicht nur ältere Arbeiter und Frauen waren in besonderer Weise von den verbreiteten Vorstellungen der Vorgesetzten betroffen, sondern auch migrantische Arbeiter, wie die Aussage des Abteilungsleiters des Nutzfahrzeugbaus aufzeigt: „Es gibt also Anlagen […] wo der Straßenführer oder auch Einrichter dann selbst die Prüfung übernimmt. […] Wenn sie Ausländer nehmen, dann sind einfach die Qualifikationen der Leute auch teilweise nicht dazu geeignet, denen jetzt […] verantwortungsvolle Prüfarbeit zu übertragen.“119

Es ist augenscheinlich, dass die angenommenen Lerngrenzen bei migrantischen Arbeitern sehr eng gezogen wurden. Ihnen traute der Abteilungsleiter keine verantwortungsvolle Prüfarbeit zu. Ebenso wie Frauen gehörten „Gastarbeiter“ zu 114 MATTES, MONIKA 2005, „Gastarbeiterinnen“ in der Bundesrepublik, S. 204. 115 ATZMÜLLER, ROLAND 2015, Die zeitgemäße Arbeitskraft, S. 64. 116 BArch, B 149/27879, Forschungsaktionsprogramm zur Humanisierung des Arbeitslebens Februar 1974, S. 46. 117 Ebd., S. 47. 118 Ebd., S. 48. 119 IfS Frankfurt A 117 Ordner 8 Gespräch mit Abteilungsleiter im Nutzfahrzeugbau am 22.04.1980, S. 18.

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den marginalisierten Gruppen im Betrieb.120 VW beschäftigte in den 1960er und 1970er Jahren Zehntausende „Gastarbeiter“ aus Italien, Spanien, der Türkei und Tunesien.121 Sie verrichteten meist schwerste körperliche Arbeiten sowie geringqualifizierte Tätigkeiten.122 Zugleich waren sie häufig in prekären Beschäftigungsverhältnissen angestellt und wie Frauen unter den ersten, die bei einer Krise ihre Arbeit verloren, wie bei VW 1973.123 Durch die schon erwähnte Formalisierung von Qualifikation in den 1970er Jahren und das betriebliche Arbeiterbild verschärfte sich sowohl die Trennung zwischen angelernten Arbeitern und Facharbeitern als auch zwischen den verschiedenen sozialen Gruppen der angelernten Arbeiter.124 Die migrantischen Arbeitskräfte wurden nur in seltenen Fällen zu Facharbeitern ausgebildet und selbst nach jahrzehntelanger Bandarbeit folgte nur äußert selten ein Aufstieg.125 Die Binnendifferenzierungen innerhalb der Arbeitergruppe nahmen also erheblich zu. Dies verdeutlichen die unterschiedlichen Aufstiegsmöglichkeiten von Facharbeitern und angelernten Werkern. So konnten auch ungelernte Arbeiter noch in den 1950er und 1960er Jahren innerhalb der Produktion aufsteigen, wohingegen dies ab Anfang der 1970er Jahre zunehmend schwieriger wurde.126 Nun wuchs die Nachfrage nach spezialisierten Facharbeitern und höheren Qualifikationen im Betrieb, VW sah aber keine umfassenden Weiterbildungsmaßnahmen für ungelernte Werker vor und häufig erfüllten die Arbeiter die Auswahlkriterien nicht.127 Für eine höhere Qualifizierung waren laut dem stellvertretenden Rohbauleiter vor allem Flexibilität, Interesse und Aufnahmebereitschaft erforderlich: „[…] Wir trachteten danach, Leute auszubilden, wo wir meinen, daß sie diese Anforderungen durchaus erfüllen. Das waren zum größten Teil […] Leute, die wir für sehr flexibel hielten. […] Adaptionsfähig. Die auch jetzt eine ganze Reihe von Arbeitsgängen können, die sich immer interessiert gezeigt haben, was anderes aufzunehmen.“128

Allerdings ist fraglich, ob ein Bandarbeiter aufgrund seiner monotonen Tätigkeit überhaupt die Möglichkeit hatte, die geforderte Flexibilität und das Beherrschen 120 ATZMÜLLER, ROLAND 2015, Die zeitgemäße Arbeitskraft, S. 67. 121 OSWALD, Anne: „Venite a lavorare con la Volkswagen!“. „Gastarbeiter“ in Wolfsburg 1962– 1974, online: Deutsches Historisches Museum, [29.05.2017] . 122 ATZMÜLLER, ROLAND 2015, Die zeitgemäße Arbeitskraft, S. 68. 123 Ebd., S. 70; SCHÄFER, Hermann: Das Ende der „Gastarbeiterära“. Zur Arbeitsmarktsituation ausländischer Arbeitnehmer, in: „Wir sind nicht nur zum Arbeiten hier …“. Ausländische Arbeiterinnen und Arbeiter in Betrieb und Gewerkschaft, hrsg. v. Peter KÜHNE, Hamburg 1988, S. 37 oder vgl. eLabour-SOFI-IR01_001_021.pdf Gespräch mit Betriebsrat aus dem Presswerk am 08.09.1977, S. 2. 124 eLabour-SOFI-IR01_001_012.pdf Gespräch mit Meister aus dem Presswerk am 07.09.1977, S. 4. 125 MATTES, MONIKA 2005, „Gastarbeiterinnen“ in der Bundesrepublik, S. 202; HUNN, KARIN 2005, „Nächstes Jahr kehren wir zurück …“, S. 215f. 126 HAIPETER, THOMAS 2013, Arbeit und Kapital in der deutschen Automobilindustrie, S. 333. 127 REUBER, CHRISTIAN 2012, Der lange Weg an die Spitze, S. 304. 128 IfS Frankfurt A117 Ordner 7 Gespräch mit Stellvertreter der Rohbauleitung am 29.11.1978, S. 25.

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unterschiedlicher Arbeitsgänge vorzuweisen. Daher profitierten insbesondere Facharbeiter hinsichtlich ihrer Karrieremöglichkeiten von den neuen Produktionstechnologien.129 Der großen Masse an unqualifizierten Arbeitskräften stand eine schmale Schicht meist gewerkschaftlich organisierter, männlicher Facharbeiter gegenüber, die durch neue Produktionstechnologien teilweise eine Aufwertung ihrer Tätigkeit erfuhren. Diese Facharbeiter rückten näher an die technischen Angestellten heran, während sich die Kluft zwischen ihnen und den angelernten Arbeitern vergrößerte.130 Jedoch waren wiederum nicht alle Facharbeiter gleichermaßen beim Einsatz der neuen Technologie gefragt. Überwiegend wurden Elektriker und Techniker benötigt, wie die Aussage des Hauptabteilungsleiters der Elektrobetriebe verdeutlicht: „Für die Spezialeinheiten der IR-Instandhalter soll ein eigenes Ausbildungsprogramm konzipiert werden. Im Grunde ist hierfür eine Technikerausbildung erforderlich. Elektriker sind besser geeignet als Mechaniker, da logisches Denken erforderlich ist und weniger handwerkliche Fähigkeiten, um Instandhaltungsaufgaben […] zu gewährleisten. Aus diesem Grund wurden auch bisher Techniker, die früher eine Elektrikerausbildung absolviert haben, für den Einsatz in der Instandhaltung bevorzugt. Einfache Facharbeiter sind bei der Wartung schon überfordert.“131

Er spricht von „Spezialeinheiten“, also besonders qualifizierten Arbeitskräfte, die ein eigenes Ausbildungsprogramm erhielten. Deutlich wird auch, dass etwa Facharbeiter der Mechanik weniger nachgefragt waren, da sie die Wartung der Industrieroboter der Aussage des Hauptabteilungsleiters nach überforderte. Das offenbart die durch die Vorgesetzten angenommenen Grenzen der Qualifizierbarkeit bei bestimmten Facharbeitern. Demnach differenzierte sich – ebenso wie bei den Arbeitern – die Schicht der Facharbeiter in für die neue Technologie gezielt geschulte Fachkräfte und „normale“ Facharbeiter, die aufgrund ihrer handwerklichen Ausrichtung jene Aufgaben laut ihren Vorgesetzten nicht übernehmen konnten. Dies verweist erneut auf den Bedeutungsgewinn von Kopfarbeit gegenüber der Handarbeit und nimmt auf den betrieblichen Wandel von Qualifizierung Bezug, der etwa in Kapitel 2.2 dargelegt ist. Für die Wartung der Industrieroboter wurde speziell ein junges Wartungsteam im Werk ausgebildet und keine älteren Facharbeiter qualifiziert.132 Folglich lässt sich, ebenso wie bei den Werkern, eine Diskriminierung älterer Facharbeiter bei der Weiterbildung für die neuen Produktionstechnologien erkennen. Während die ungelernten Arbeiter lediglich an den neuen Maschinen angelernt wurden, erhielten die Einrichter, Prüfer, Straßen- oder Gruppenführer, welche mehr Verantwortung und höhere Lohngruppen hatten, eine höhere Qualifizie-

129 ANDRESEN, KNUD 2011, Strukturbruch in der Berufsausbildung?, S.160. 130 HACHTMANN, RÜDIGER 2015, Rationalisierung, Automatisierung, Digitalisierung, S. 189f. 131 eLabour-SOFI-IR01_009_033.pdf Gespräch mit Hauptabteilungsleiter der Elektrobetriebe am 01.06.1977, S. 10. 132 eLabour-SOFI-IR01_001_102.pdf Gespräch mit einer nicht spezifizierten Führungskraft am 01.12.1977, S. 3.

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rung.133 Die als Straßenführer zu qualifizierenden Werker für die neuen RoboterAnlagen wurden meist aus dem Bestand der Gruppenführer rekrutiert, die noch einige Berufsjahre vor sich hatten. Ältere Arbeiter waren hierbei erneut ausgeschlossen: „Da hat man dann also von dem Stamm dieser Gruppenführer geeignete Leute ausgesucht. Das wichtigste ist ja eigentlich, daß die Leute den guten Willen mitbringen, daß sie also Einsatz zeigen, daß sie etwas lernen wollen. Für einen, der jetzt meinetwegen 55 Jahre alt ist, das wäre also witzlos, den Mann noch zum Straßenführer zu machen, nur weil das ein guter Gruppenführer, ein guter Fachmann war. Das bezog sich also auch schon auf eine gewisse Altersgruppe, die also von sich aus den Willen mitgebracht haben, eben noch umzulernen, umzuschulen.“134

Ferner erhielten die Prüfer, häufig Facharbeiter, eine mehrmonatige Ausbildung vom Betrieb, damit sie die technischen Zeichnungen lesen konnten und wurden in Mathematik, Zeichnungswesen und Fertigungsverfahren unterwiesen.135 Letztlich bekamen also insbesondere Facharbeiter die Chance sich weiterzubilden oder waren auch gezwungen dies zu tun, um an den neuen Anlagen arbeiten zu können, ebenso wie die betroffenen Meister und Vorarbeiter.136 Interessanterweise waren es nach Aussage des Personalleiters vermehrt vor allem jüngere Abteilungsleiter und Vorgesetzte, welche die Initiativen zur Verbesserung des Arbeitsplatzes durchführten und sich für abwechslungsreichere und ergonomische Arbeitsplätze in der Produktionsplanung einsetzten.137 Dies verweist auf die schon in Kapitel 3.1 herausgestellte Beobachtung, dass eine jüngere Generation von Vorgesetzten neuen Methoden zur Arbeitsmotivation und Menschenführung offener gegenüberstand. Diesen Generationenwandel von der Kriegsgeneration zu einer weniger autoritär-militärisch erzogenen Nachkriegsgeneration stellen auch einige soziologische Studien in Zusammenhang mit einer neuen Menschenführung in den Unternehmen heraus.138 Die Kriegsgeneration war, wie in anderen Unternehmen, noch bis Ende der 1960er Jahre bei VW vorherrschend. Dies kann exemplarisch am Vorstandsvorsitzenden Heinz Nordhoff gezeigt werden. Schon im Nationalsozialismus erfolgreiches Mitglied des Vorstandes bei Opel in Rüsselsheim, leitete er ab 1942 in Brandenburg das OpelLastwagenwerk, dessen Produktion für die Wehrmacht bestimmt war.139 Ab 1947

133 KOHL, Werner: Qualifizierung von Industriearbeitern, in: Perspektive: Gruppenarbeit, hrsg. v. Siegfried ROTH/Heribert KOHL, Köln 1988, S. 297; eLabour-SOFI-IR01_001_073.pdf Gespräch mit Abteilungsleiter aus der Kabelfertigung am 21.11.1977, S. 3. 134 IfS Frankfurt A 117 Ordner 8 Gespräch mit Leiter des Rohbaus am 24.04.1980, S. 40. 135 IfS Frankfurt A 117 Ordner 7 Gespräch mit Leiter der Qualitätssicherung am 29.11.1978, S. 10. 136 IfS Frankfurt A 117 Ordner 7 Gespräch mit Leiter der Instandhaltung Elektrobetriebe Teil I o. D., S. 16. 137 IfS Frankfurt A 117 Ordner 7 Gespräch mit Personalleiter o. D., S. 2. 138 PONGRATZ, HANS 2002, Subordination, S. 83f. 139 EDELMANN, HEIDRUN 2003, Heinz Nordhoff und Volkswagen, S. 49f.

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übernahm er schließlich die Leitung des Wolfsburger VW Werks.140 Dies bietet eine mögliche Erklärung für den autoritären Führungsstil bei VW, den der zum Wehrwirtschaftsminister ausgezeichnete Nordhoff auch nach Kriegsende beibehielt.141 Die Kontinuität von leitendem Personal in wichtigen Positionen der Unternehmen nach dem Ende des Nationalsozialismus ist historisch umfangreich belegt.142 Die Werksleitung versuchte in den 1970er Jahren also den Bedarf an qualifiziertem Personal aus den eigenen Reihen zu rekrutieren und durch Ausbildungsmaßnahmen zu qualifizieren. Allerdings offenbart die Analyse, dass angelernte Arbeiter, die sich gerne weitergebildet hätten, zahlreichen Hürden im Betrieb gegenüberstanden, wie der stärkeren Formalisierung der Ausbildung und dem vorherrschenden betrieblichen Arbeiterbild der Vorgesetzten, wodurch diese den Werkern Aufstiegs- und Partizipationsmöglichkeiten verwehrten. Dies resultierte unter anderem aus ihrem Alter oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Sozialgruppe. Nach einem oder mehreren gescheiterten Versuchen, eine höhere Qualifizierung zu erreichen, gaben die meisten Werker auf, obwohl das HdAProgramm eigentlich ihre (Weiter-)Bildungsmaßnahmen verbessern und einen leichteren Zugang zu Aufstiegsmöglichkeiten gewährleisten wollte.143 Besonderes Augenmerk legte das Programm hierbei auf die Personengruppen der weiblichen, älteren sowie ungelernten Arbeitnehmer.144 Für all diese Gruppen lässt sich anhand der Analyse eindeutig feststellen, dass sich ihre Aufstiegschancen bei VW keinesfalls verbesserten. Diese Tatsache ist insofern brisant, da die Qualifizierungsstruktur bei VW der der bundesdeutschen Industrie während den 1970er Jahren entsprach. So kam eine Untersuchung des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft zu dem Ergebnis einer bundesweit beträchtlichen Ausweitung von un- und angelernten Tätigkeiten, insbesondere bei Maschinenbedienungen und einfachen Hilfstätigkeiten.145 Zeitgleich gab es einen Verlust der Facharbeitertätigkeiten allgemein, jedoch einen Anstieg der qualifizierten Arbeitskräfte bei der Instandhaltung und Wartung der neuen Produktionstechnologien.146 In der Industrie waren also weiterhin die Ungelernten in der Mehrzahl.147 Dies zeigte sich gleichermaßen bei VW. Im Einklang mit früheren Industriestudien sorgte die Einführung neuer Technologien demnach nicht für eine Reduzierung von unquali140 GRUNENBERG, Nina: Die Wundertäter. Netzwerke der deutschen Wirtschaft 1942 bis 1966, München 22006, S. 101f. 141 Vgl. EDELMANN, HEIDRUN 2003, Heinz Nordhoff und Volkswagen, S. 65f. oder GRUNENBERG, NINA 2006, Die Wundertäter, S. 104. 142 Vgl. FIEDLER, Martin/LORENTZ, Bernhard: Kontinuitäten in den Netzwerkbeziehungen der deutschen Wirtschaftselite zwischen Weltwirtschaftskrise und 1950. Eine quantitative Analyse, in: Die deutsche Wirtschaftselite im 20. Jahrhundert. Kontinuität und Mentalität, hrsg. v. Volker BERGHAHN/Stefan UNGER/Dieter ZIEGLER, Essen 2003, S. 71 und S. 74. 143 BArch, B 149/27879, Forschungsaktionsprogramm zur Humanisierung des Arbeitslebens Februar 1974, S. 39f. 144 Ebd., S. 45–55. 145 HENNINGES, HASSO 1977, Entwicklungstendenzen, S. 29. 146 Ebd., S. 83. 147 Ebd., S. 29 und S. 40.

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fizierten Arbeitsplätzen.148 Folglich wurden durch die Industrieroboter sowohl neue unqualifizierte Arbeitsplätze geschaffen, als auch neue höher qualifizierte eingerichtet. Es wandelten sich die Qualifizierungswege und –vorgaben, aber die quantitative Qualifizierungsstruktur im Betrieb blieb weitgehend gleich.149 Daher liegt die Vermutung nahe, dass die schlechten Aufstiegsmöglichkeiten angelernter Arbeiter bei VW kein Einzelfall in der deutschen Industrie der 1970er Jahre waren. Allerdings hatten nicht nur die Vorgesetzten feste Vorstellungen davon, wozu ein Arbeiter in der Lage war und wozu nicht. Auch die Arbeiter selbst sahen Grenzen der eigenen Qualifizierung: „Das ist aber doch nicht derselbe Mann, der frei wird, der wird ja keinen Robby bauen. […] Das liegt ja nicht drin. Das kann ich mir nicht vorstellen. Aus dem Arbeiter kann man keinen Direktor machen. Eine anspruchsvolle Arbeit haben wir gar nicht.“ 150

Letztlich zweifelten die Arbeiter selbst daran, eine anspruchsvollere Tätigkeit an den neuen Produktionstechnologien übernehmen und hierfür umfassende neue Kenntnisse erwerben zu können. Demnach seien „einfache“ Arbeiter nicht in der Lage höhere oder technisch versierte Angestellte zu werden. „Anspruchsvoller, das glaube ich nicht. Was versteht man unter anspruchsvoll? Daß er mehr denken muß? Der Mann hat ja schon etliche Jahre die Kurbelwellen gestapelt. Die Vorgesetzten haben den Mann dort hingesetzt, weil es ne einfache Arbeit ist, wo man nicht zu denken braucht. Meiner Ansicht nach kommen immer solche Leute an die Arbeit, weil sie keine anderen Arbeiten können, das ist meine Ansicht.“151

Somit findet sich in den Aussagen der Arbeiter die Annahme wieder, dass Werker, die lange eine Tätigkeit ohne Abwechslung ausübten, nicht mehr weiter qualifizierbar seien. Sie hingen also derselben Vorstellung wie ihre Vorgesetzten an. Dies zeigt sich gleichfalls in ihrer Selbstwahrnehmung und in der Wahrnehmung ihrer Kollegen. Sie redeten von sich als „dressierte Affen“152 oder verglichen sich mit Stalltieren, die bei Krankheit normalerweise geschlachtet würden. „Die Füße leiden auf dem Rost doch gewaltig. Ich meine, wenn das Vieh früher an den Füßen krank war, dann hat man es abgeschlachtet, aber das kann man ja beim Menschen nicht ohne weiteres.“153

148 BAETHGE, MARTIN 1974, Produktion und Qualifikation, S. 45. 149 MICKLER, OTFRIED 1981, Industrieroboter, S. 257 und S. 268–270; EGGEBRECHT, ARNE U. A. 1980, Geschichte der Arbeit, S. 326f. 150 eLabour-SOFI-IR01_004_015.pdf Gespräch mit Einleger aus dem Rohbau, o. A. am 05.10.1977, S. 5. 151 eLabour-SOFI-IR01_005_018.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Untergruppenrohbau, 49 Jahre am 12.10.1977, S. 11. 152 „Früher haben wir immer gesagt Bandaffe … Mit dem Bandaffen meint man die Gebundenheit am Band und immer das dressierte Gleiche.“ eLabour-SOFI-IR01_004_017.pdf Gespräch mit Punktschweißer aus dem Rohbau, o. A. am 04.10.1977, S. 11. 153 eLabour-SOFI-IR01_005_019.pdf Gespräch mit Maschinenführer aus dem Untergruppenrohbau, 53 Jahre am 28.09.1977, S. 6.

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Schließlich gingen sie davon aus, keine Handlungsfreiheit in Bezug auf ihre Aufstiegschancen und Tätigkeitsausübung zu besitzen, da sie lediglich Anweisungen auszuführen hätten, wie Tiere, die für bestimmte Zwecke von Menschen gehalten und trainiert werden. Sie sahen sich selbst, wie im Konzept des Taylorismus vorgesehen, nur als ausführende und ersetzbare Akteure an. Folglich lernten sie also nur das, wozu sie die Vorgesetzten anwiesen und was für ihre Arbeit zweckdienlich war. Sie stimmten also bezüglich dieser Vorstellung mit ihren Vorgesetzten überein. Außerdem beschrieben sie, dass ihre Anerkennung im Werk lediglich an die korrekte Ausführung ihrer Tätigkeit gekoppelt war. Sollten sie diese Funktion nicht mehr ausüben können, büßten sie ihre Nützlichkeit ein. Auch die im Fordismus übliche kleinteilige Arbeitsteilung sprachen die Arbeiter an. So berichtete ein Arbeiter, dass die Arbeit im Werk den Menschen schadete, wenn sie sich zu sehr darauf konzentrierten. „Man will im Werk ja auch gar nicht soviel sehn, man ist ja immer froh, wenn man seine 8 Stunden hinter sich hat. Dann ist man ja wieder ein ganz anderer Mensch, wenn man draußen ist, man muß ja hier förmlich abschalten.“154

Demnach seien einige seiner Kollegen „irgendwie wie Kinder geworden.“ 155 Dies bringt zum Ausdruck, wie wenig der Arbeiter von seiner Tätigkeit hielt und dass sie nach seiner Einschätzung großes Potenzial hegte, ihm sowohl mental als auch körperlich Schaden zuzufügen – ihn also praktisch entmündigte. Außerdem geht daraus die empfundene Entfremdung des Arbeiters von seiner ausgeübten Tätigkeit hervor. Genau dieser Tatsache wollte das HdA-Programm eigentlich entgegenwirken, wie aus dem Programmtext hervorgeht: „Es ist eine sehr bedenkliche Entwicklung, daß heute eine Vielzahl von Arbeitnehmern ihre Tätigkeit lediglich als ein Mittel zum Erwerb ansieht, der das Leben außerhalb des betrieblichen Bereichs angenehmer macht.“

Der Monotonie der Arbeit, aus der Fluktuation und Absentismus resultieren, müsse mit der Steigerung der Arbeitszufriedenheit und Selbstverwirklichung entgegengetreten werden.156 Diese Zielsetzung scheint, zumindest laut Aussagen der Arbeiter, in den Industrieroboter-Projekten – wenn überhaupt – nur teilweise geglückt zu sein. Die Werker äußerten aber auch Kritik am Verhalten einiger Vorgesetzter, welche die Arbeiter wie geringer gestellte Menschen behandelten und aufgrund dessen leichtfertig deren Gesundheit aufs Spiel setzten, um Kosten einzusparen: „Für die Gase ist eine Absauganlage da. Die stellt der Meister in den Pausen manchmal ab, was nicht gut ist, denn das ist für die Leute nicht gut. Die Gesundheit kann mir keiner erset-

154 eLabour-SOFI-IR01_004_024.pdf Gespräch mit Maschinenführer aus dem Untergruppenrohbau, 34 Jahre am 14.09.1977, S. 3. 155 Ebd., S. 3. 156 BArch, B 149/27879, Forschungsaktionsprogramm zur Humanisierung des Arbeitslebens Februar 1974, S. 4f.

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zen aber es heißt, Energie sparen. Es gibt Leute, die denken, die Leute am Band sind die letzten Menschen. Das ist nicht gut, wenn Vorgesetzte so denken.“157

Es offenbart sich eine Entfremdung zwischen Arbeitern und ihren Vorgesetzten, die jene infolge ihres eigenen Arbeiterbilds herabwürdigten.158 Die angenommene Minderwertigkeit der Werker resultierte unter anderem aus deren mutmaßlich geringerem Lernpotenzial. Nicht nur am Beispiel von VW lässt sich nachvollziehen, dass Teile des tayloristischen Arbeiterbildes und des Konzepts der wissenschaftlichen Betriebsführung in den 1970er Jahren bei den Führungsriegen immer noch gegeben waren. Auch andere Forschungen kamen zum Ergebnis, dass trotz der Lehren der Human Relations und der Human Resources tayloristische Elemente in Unternehmen fortbestanden.159 Außerdem offenbaren die Aussagen eine im Betrieb präsente Dichotomie zwischen Vorgesetzten und Arbeitern, die kaum überwindbar schien. Dies legt dar, dass Menschenbilder insbesondere im Zusammenspiel mit einer strikten Hierarchisierung als Legitimation für Diskriminierung, Abwertung und Missachtung fungieren können. Die von den Arbeitern geäußerte Wahrnehmung, Menschen „zweiter Klasse“ zu sein, findet sich in zahlreichen Aussagen wieder: „Heute morgen hatten wir Unfall-Märchenstunde, da sagte ein Vorgesetzter […]: Wir sind alles mündige Staatsbürger. Da habe ich nur mit dem Kopf geschüttelt. Da habe ich ihn denn drauf aufmerksam gemacht, daß wir hier keine mündigen Staatsbürger mehr sind, da wir unseren Staatsbürger draußen vor dem Tor lassen und wir hier drin nur noch eine Nummer sind. Und dementsprechend wird man auch behandelt hier.“160

Der Arbeiter deutet eine Entmündigung der Werker durch die Betriebsleitung an. Im Werk seien sie keine Staatsbürger oder gar Menschen mehr, sondern nur noch eine Zahl. Tatsächlich erhielten alle Arbeiter bei der Einstellung im VW-Werk eine Nummer, unter der sie im Unternehmen geführt wurden.161 Ihr Name und ihre Persönlichkeit traten nach Auffassung der Arbeiter hinter dieser Nummer im Werk zurück. Sie hätten sich den Regeln des Unternehmens zu unterwerfen. Dem Menschen als Individuum und als Staatsbürger mit Rechten käme im Werk keine Relevanz zu. Vorgesetzte würden Arbeiter nur auf die Ausführung ihrer Tätigkeit reduzieren. Das Gefühl der Arbeiter, ersetzbar zu sein, legen ebenso andere historische Forschungsarbeiten dar.162 Immer wieder thematisierten die Arbeiter in Verbindung mit der Kritik am Verhalten ihrer Vorgesetzten auch den von ihnen angenommenen Konflikt zwi157 eLabour-SOFI-IR01_006_010.pdf Gespräch mit Arbeiter aus der Kunststoffteilefertigung, 50 Jahre am 27.10.1977, S. 4. 158 „Auch die Vorgesetzten sollten das können. Die sollten das ruhig mal machen. Gut reden und mosern kann jeder; wenn sie selber mal die Arbeit hier machen würden, dann könnten sie auch beurteilen, wie das ist. Es ist aber leichter, immer auf die Kleinen da unten von oben her Druck auszuüben.“ Ebd., S. 5. 159 UHL, KARSTEN 2014, Humane Rationalisierung?, S. 137; BRAVERMAN, Harry: Die Arbeit im modernen Produktionsprozeß, Frankfurt am Main/New York 1977, S. 74f. 160 IfS Frankfurt A 117 Ordner 6 Gruppengespräch am 05.12.1978, S. 33. 161 NOLL, PAUL 1982, „Das alles frisst – 25 Jahre Arbeit bei VW“, S. 57. 162 Vgl. RUPPERT, WOLFGANG 1988, Die Arbeiter, S. 32.

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schen Kapital und Arbeit auf vielfältige Weise. Obwohl die „Arbeiterklasse“ in den 1970er Jahren nicht mehr als geschlossene Einheit bestand, war der Begriff dennoch unter den Arbeitern in den HdA-Projekten präsent. Er drückte sich vor allem in einer sozialen Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe aus. Darüber hinaus besaß ebenso die Vorstellung des in der marxistischen Ideologie entworfenen Konflikts zwischen „Arbeit und Kapital“ unter den Arbeitern noch Gewicht. Dadurch reproduzierten die Arbeiter gleichermaßen die Dichotomie zwischen Vorgesetzten und Werkern im Unternehmen. Dies geht sowohl aus ihrer Wortwahl hervor – etwa, dass sich die Arbeiter „wehren“ müssten – als auch aus der Aussage, dass die Arbeiter der Betriebsleitung unterstellten, Ausbeutung oder bewusste Strategien anzuwenden, um sie ruhig zu stellen oder zu disziplinieren. Folglich war etwa ein Werker der Auffassung, dass die Betriebsleitung von ungebildeten Arbeitern profitierte und ausschließlich qualifiziertere Arbeitskräfte auf geistig fordernde Arbeitsplätze versetzte, um diese besser ins Unternehmen einzubinden und um die Gefahr eines Konfliktes wegen Arbeitsunzufriedenheit oder Streiks so zu verhindern: „Größtenteils sind das alles einfache Arbeiter. Stellen Sie sich vor, wenn alle wirklich gebildet wären. Von der Abendschule runterkämen, 10. Schuljahr usw. Die wären ihr Leben lang mit den Arbeiten nicht zufrieden. Die würden sich stärker wehren. Diese Leute, die mehr wissen, werden wieder rausgenommen für andere Aufgaben. Sortieren der Leute kann man das nennen.“163

Die Vorgesetzten würden solche qualifizierten Arbeiter also bewusst “[aus]sortieren“, um den Betriebsfrieden zu wahren. Diese Arbeiter akzeptierten laut Zitat im Vergleich zu ihren geringqualifizierten Kollegen die monotonen Arbeitsbedingungen nicht und würden sich daher dagegen auflehnen. Zugleich schwingt die Selbstwahrnehmung des Arbeiters mit, der sich und seine Kollegen als „ungebildet“ und daher als leicht steuerbar beschrieb. Es zeigt sich zudem, dass Elemente des Klassendenkens im Betrieb fortbestanden und auch der „Kampf von Arbeit und Kapital“, wie etwa die Ausbeutung der Arbeiter durch die Unternehmensleitung, im Weltbild der Werker präsent waren. Dieses „Klassenbewusstsein“ geht auf die Zeit der Industrialisierung mit der Ablösung der Ständegesellschaft durch die Klassengesellschaft zurück. Als gemeinsames Merkmal der Fabrikarbeiter gelten seit diesem Zeitpunkt die Lohnabhängigkeit und damit auch die Abhängigkeit von konjunkturellen Schwankungen sowie den Eigentumsund Produktionsverhältnissen.164 Darüber hinaus stellten etwa die soziale und regionale Herkunft, die begrenzten Möglichkeiten zum gesellschaftlichen Aufstieg, ähnliche politische Interessen und gemeinsame Lebens- und Arbeitserfahrungen ein verbindendes Element der Arbeiterschaft zur Zeit der Industrialisierung dar.165 163 eLabour-SOFI-IR01_005_016.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Presswerk, o. A. am 13.09.1977, S. 6. 164 AßLÄNDER, MICHAEL 2005, Von der vita activa zur industriellen Wertschöpfung, S. 219. 165 MOOSER, Josef: Arbeiterleben in Deutschland 1900–1970. Klassenlagen, Kultur und Politik, Frankfurt am Main 1984, S. 104f.; RUPPERT, WOLFGANG 1988, Die Arbeiter, S. 25 und S. 41; KOCKA, JÜRGEN; SCHMIDT, JÜRGEN 2015, Arbeiterleben und Arbeiterkultur, S. 248f.

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Mit dem kommunistischen Manifest und seiner Abhandlung „Das Kapital“ stellte Karl Marx Mitte des 19. Jahrhunderts das Klassendenken auf eine neue ideologische Grundlage. Das sogenannte Proletariat sollte sich gegen die Herrschaft des Kapitals erheben und sich von seiner Abhängigkeit und der Profitgier der „unternehmerischen Klasse“ befreien.166 Um dieses Ausbeutungsverhältnis überwinden zu können, benötigten die Arbeiter nach Ansicht Marx’ ein „Klassenbewusstsein“. Dadurch würden sie ihre soziale Situation und die damit verbundene Ungerechtigkeit erkennen und letztendlich die Verhältnisse mit einer „proletarischen Revolution“ umstoßen.167 Obwohl die marxistisch-kommunistische Ideologie in den 1970er Jahren wenig Anklang bei der Mehrheit der bundesdeutschen Gesellschaft fand, erwiesen sich einige Thesen und Bilder als weiterhin wirkmächtig, wie an den Äußerungen der Arbeiter zu erkennen ist.168 Überdies zeigt die Analyse, dass die Arbeiter sich als soziale Gruppe immer noch als zusammengehörig empfanden, denn auch in den 1970er Jahren teilten sie gemeinsame Erfahrungsräume und unterschieden sich von anderen betrieblichen Gruppen, etwa dem Management, in ihren Bildungswegen oder ihren Lebenswelten.169 So absolvierten die meisten betrieblichen Führungskräfte ein Studium, häufig Ingenieurswissenschaften oder Betriebswirtschaftslehre, gingen anderen Freizeitbeschäftigungen nach und erlernten andere Verhaltensmuster.170 Hatten diese sozialen Gruppen außerhalb des Betriebes also kaum Berührungspunkte, prallten sie hier unweigerlich aufeinander. Folglich können seitens der Werker aus den Zitaten eine Abgrenzung und Zweiteilung des Betriebes zwischen Vorgesetzten und Arbeitern, etwa durch die Bezeichnung „die“ und „wir“, bezogen auf die Gruppe der Arbeiter, herausgelesen werden. „Die versuchen, den Arbeiter zur Maschine zu machen. Er soll nicht denken.“ 171

Diese Aussage bekräftigt die Ansicht der Arbeiter erneut, dass die Unternehmensleitung keine umfassende Bildung der Arbeiter wünschte, sondern eher von ungelernten Arbeitern profitierte, die stupide Aufgaben auf Befehl erledigten. Sie sollten wie bloße Maschinen handeln und die betrieblichen Abläufe nicht hinterfragen. Dieses mechanistische Menschenbild stammt aus dem Konzept des Taylorismus, worin der Arbeiter als ineffiziente Maschine angesehen wird. Seine Unzulänglichkeiten galt es mithilfe von Werkzeugen, Maschinen und Arbeitsab-

166 AßLÄNDER, MICHAEL 2005, Von der vita activa zur industriellen Wertschöpfung, S. 253f.; Marx, Karl/Zehnpfennig, Barbara: Ökonomisch-philosophische Manuskripte, Hamburg 2005, S. XIIII und S. 50; BONTRUP, HEINZ-JOSEF 2011, Arbeit, Kapital und Staat, S. 177. 167 FÜLLSACK, MANFRED 2009, Arbeit, S. 65. 168 Bezgl. geringer Verbreitung des Kommunismus und Sozialismus in der BRD in den 1970er Jahren vgl. EGGEBRECHT, ARNE U. A. 1980, Geschichte der Arbeit, S. 346f. 169 RUPPERT, WOLFGANG 1988, Die Arbeiter, S. 41. 170 BERGHOFF, HARTMUT 2016, Moderne Unternehmensgeschichte, S. 261; HAIPETER, THOMAS 2013, Arbeit und Kapital in der deutschen Automobilindustrie, S. 333. 171 eLabour-SOFI-IR01_004_004.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Presswerk, o. A. am 12.09.1977, S. 9.

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läufen auszugleichen.172 Das Zitat demonstriert, wie wenig Menschlichkeit die Arbeiter ihren Vorgesetzten zutrauten und dass auch sie selbst die Vorstellung eines Vorgesetzten in ihren Köpfen erschufen. Diese Vorstellungen der Werker speisten sich einerseits daraus, wie ihre Vorgesetzten sie infolge deren Arbeiterbilds behandelten und andererseits aus dem so entstandenen Misstrauen und der Partizipationsverweigerung. Wenn Werker sich gegen diese Praxis zur Wehr setzten, liefen sie ihrer Ansicht nach Gefahr, als „Sozialist“ oder „Roter“ im Betrieb angeprangert zu werden: „Ja, wenn man selbst etwas tun würde, dann wär’ man ja schnell verschrien als Roter oder sonst was, also das kann man gar nicht. Du bist ein Roter, sagen sie dann, was will der Rote hier, der soll doch nach drüben gehen. Das haben sie mir ja schon geantwortet. Dabei sind meine Meinungen doch nur so ganz menschlich gesehen. Ich sehe es so, daß die Automatisierung uns die Arbeitsplätze nimmt, und die Arbeitsplätze sind ja nun mal das einzige Kapital des Arbeiters. ... Dafür, daß die Jugendlichen zu Kriminellen gezüchtet werden, das sage ich immer wieder, da sind die Großindustriellen mit schuld daran. Und da gehört auch das VWWerk dazu. […] Wir als Arbeiter sind ja zum Arbeiten geboren […].“173

Dieses Zitat enthält mehrere aussagekräftige Elemente. Zunächst bestätigt es die Angst der Vorgesetzten bezüglich der Präsenz des Sozialismus im Betrieb und die Befürchtung der Arbeiter, bei Widerworten als Sozialist gebrandmarkt zu werden. Jene Tatsache lässt sich gleichfalls an den Reaktionen der Unternehmensleitung in Wolfsburg auf den wilden Streik italienischer Gastarbeiter 1962 nachvollziehen. Diesen stießen ihrer Ansicht nach kommunistische Agenten oder Drahtzieher an, obwohl es dafür keinerlei Beweise gab. Um dieser angenommenen Gefahr zu begegnen, baute die Unternehmensleitung ein Informations- und Kontrollsystem auf, in dem vor allem die Hauswarte und der Werksschutz als „Berichterstatter“ fungierten.174 Trotz dieser Maßnahmen bildeten sich in den 1960er und 1970er Jahren in einigen Werken kommunistische Betriebsgruppen, die sowohl die Vorgesetzten, als auch die etablierte Gewerkschaft IG Metall als Bedrohung empfanden.175 Die politische Systemkonkurrenz hatte also erneut Einfluss auf den Betrieb.176 172 KIRCHLER, ERICH U. A. 2004, Menschenbilder in Organisationen, S. 26; HACHTMANN, Rüdiger/SALDERN, Adelheid von: Das fordistische Jahrhundert. Eine Einleitung, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History, 2 (2009), S. 177. 173 eLabour-SOFI-IR01_003_025.pdf Gespräch mit Springer aus Halle 18, 50 Jahre am 12.09.1977, S. 24f. 174 RICHTER, HEDWIG; RICHTER, RALF 2012, Die Gastarbeiter-Welt, S. 157f.; Wiborg, Klaus: Die großen Kinder aus dem Süden sind vereinsamt. Über die Hintergründe des Streiks in Wolfsburg/Auch Drahtzieher unter den Italienern vermutet, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung am 09.11.1962, S. 6. 175 ARPS, Jan Ole: Frühschicht. Linke Fabrikintervention in den 70er Jahren, Berlin/Hamburg 2011, S. 86f.; OWETSCHKIN, Dimitrij: Vom Verteilen zum Gestalten. Geschichte der betrieblichen Mitbestimmung in der westdeutschen Automobilindustrie nach 1945 (Forschung aus der Hans-Böckler-Stiftung), Bielefeld 2016, S. 181. 176 Ebd., S. 165; LAUSCHKE, Karl: Industrielle Beziehungen im Betrieb nach 1945. Das Beispiel der Dortmunder Westfalenhütte, in: Unternehmen zwischen Markt und Macht. Aspekte deutscher Unternehmens- und Industriegeschichte im 20. Jahrhundert, hrsg. v. Werner PLUMPE/Christian KLEINSCHMIDT, Essen 1992, S. 133f.

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Wer sich der Technik verweigerte und für den Erhalt der Arbeitsplätze einsetzte, konnte nach der Meinung des zitierten Arbeiters bei VW also schnell Gefahr laufen in die „rote Ecke“ gestellt zu werden. Er deutet an, dass die Vorgesetzten die Beschimpfung „Sozialist“ nutzten, um Arbeiter mundtot zu machen. Außerdem geht aus seiner Äußerung die tatsächliche Nähe der Systemkonfrontation im Werk hervor – geografisch lag VW in Wolfsburg nahe der Ostzone und viele Arbeitskräfte drängten in den 1950er Jahren von dort ins Unternehmen.177 Zudem beweist die Aussage den von den Werkern selbst immer noch angenommenen Unterschied zwischen Arbeitern und Unternehmensleitung. Sie seien zum Arbeiten geboren und obwohl VW seit den 1950er Jahren als managergeführtes Unternehmen bestand, zog der Werker den Vergleich zu großindustriellen Unternehmern. Dieser Unterschied erscheint ihm als naturgegeben sowie von Geburt an festgelegt und somit als unüberwindbar. Dadurch bezieht sich das Zitat nicht auf die Klassengesellschaft der Industrialisierung, in welcher ein sozialer Aufstieg prinzipiell im Bereich des Möglichen liegt. Stattdessen rekurriert es auf die noch vorhandene Ständegesellschaft zu Beginn der Industrialisierung, wo ein Mensch in einen Stand hineingeboren wurde, der mit bestimmten Rechten und Pflichten einherging und den er kaum mehr verlassen konnte.178 Folglich sah dieser Arbeiter wohl keine Möglichkeit, sein Arbeiterdasein zu verändern. Darüber hinaus wecken seine Äußerungen auch Assoziationen zum protestantischen Arbeitsethos im Sinne des Soziologen Max Weber, der annahm, dass dieser die kapitalistische Handlungsund Wirtschaftsweise beförderte. Schon der Reformator Martin Luther war der Ansicht, dass der Mensch zum Arbeiten geboren sei.179 Arbeit wurde damit zur christlichen Pflichterfüllung, eingebettet in eine ständische Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung.180 Wie im Zitat beschrieben, sahen auch einige Arbeiter das bei VW vorherrschende Arbeiter- und Weltbild als unveränderlich an. Darüber hinaus erschienen zahlreichen Arbeitern die Roboter als Bestandsteil der Profitgier der Unternehmensleitung, welche die Wirtschaftlichkeit wesentlich höher priorisierte als die Belange der Arbeiter.181 „Die wollen mehr verkaufen und an den Menschen denken sie zuletzt. Das ist doch alles Rederei, das ist doch zufällig, daß dadurch die Arbeit leichter wird. Das Ziel ist doch das Geld. Deshalb muß mehr produziert werden, deshalb steigen die Stückzahlen. Der Mensch spielt dabei keine Rolle.“182

177 BIRKE, PETER 2007, Wilde Streiks im Wirtschaftswunder, S. 109. 178 AßLÄNDER, MICHAEL 2005, Von der vita activa zur industriellen Wertschöpfung, S. 185f.; EGGEBRECHT, ARNE U. A. 1980, Geschichte der Arbeit, S. 259ff. 179 AßLÄNDER, MICHAEL 2005, Von der vita activa zur industriellen Wertschöpfung, S. 148 und S. 200f. 180 FÜLLSACK, MANFRED 2009, Arbeit, S. 56. 181 Vgl. eLabour-SOFI-IR01_004_022.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Rohbau, 28 Jahre am 12.10.1977, S. 8.; eLabour-SOFI-IR01_007_003.pdf Gespräch mit Arbeiter aus der Endmontage, 42 Jahre o. D., S. 8f.; eLabour-SOFI-IR01_006_017.pdf Gespräch mit Arbeiter aus der Endmontage, 20 Jahre o. D., S. 9. 182 eLabour-SOFI-IR01_007_007.pdf Gespräch mit Arbeiterin aus der Endmontage, 26 Jahre o. D., S. 8.

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Aus diesen Aussagen geht die mutmaßliche Ausbeutung der Arbeiter durch die Unternehmensleitung offen hervor. Sie unterstellten ihr, lediglich auf die Kosten und den Profit zu achten und den Faktor Mensch in ihren Kalkulationen nicht zu berücksichtigen. Hier sahen die Arbeiter eher den Betriebsrat in der Pflicht, der die „Unternehmer“ von der Nützlichkeit der Humanisierung auch für den Betrieb überzeugen müsse: „Die (der BR) müssen dem Unternehmer klar machen, daß die Unternehmer auch was von der Humanisierung haben. Daß wir z. B. nicht so viel Frührentner haben oder daß wir nicht so viel Kranke haben und daß nicht so viel Leute fehlen. Aber das will der Unternehmer ja nicht einsehen. Der will nur die Kosten sparen und möglichst hohe Produktionszahlen sehen.“ 183

Der Arbeiter spricht die beachtliche Zahl der Berufskrankheiten, Frührentenanträge und die hohe Fluktuation in der Produktion an. Diese interessierten die Unternehmensleitung nach Auffassung der Werker nicht.184 So müsse der Betriebsrat intervenieren, um der Unternehmensleitung zu verdeutlichen, dass Humanisierung sich auszahlen könne. Die Aussage demonstriert, dass die Bilder eines Arbeiters oder eines Vorgesetzten und die noch bestehenden Klassenvorurteile sowohl in den Köpfen der Arbeiter als auch in denen der Vorgesetzten eine Kooperation erschwerten und starkes Misstrauen auf beiden Seiten erzeugten. Insbesondere, wenn die Zweiteilung des Betriebes in Kapital und Arbeit als unüberwindbar angesehen wurde. Dies führte zwangsläufig zu einer Abgrenzung und Distanzierung der beiden Akteursgruppen, was einer Kooperation und gegenseitigem Vertrauen zuwider lief. Die Analyse offenbart, dass das Arbeiterbild der Vorgesetzten massive Auswirkungen auf die Qualifizierung der Werker hatte, da es für die Beurteilung der Lernfähigkeit und somit auch für die Vergabe der Qualifizierungschancen herangezogen wurde. Die angenommene Qualifizierungsgrenze von Arbeitern erschwerte wiederum ihre betriebliche Partizipation im Sinne einer Weiterbildung und damit den Zugang zu höheren Hierarchieebenen, Wissen oder der Mitbestimmung über die Ausübung ihrer Tätigkeiten. Darüber hinaus führten die angenommenen Lerngrenzen durch Vorgesetzte einerseits zu einer stärkeren Binnendifferenzierung der Arbeitergruppe bezogen auf ihre Qualifikationen sowie zu einer Diskriminierung von bestimmten sozialen Gruppen wie Frauen, Migranten oder älterer Arbeiter und andererseits zur Abwertung von Arbeitern und deren Tätigkeiten. Diese Tatsache schürte erneut Misstrauen zwischen den beiden Akteursgruppen und beförderte bei den Arbeitern Klassenvorurteile. Dennoch sahen die Arbeiter ebenfalls eigene Leistungsgrenzen und stimmten hierbei mit den Ansichten ihrer Vorgesetzten teilweise überein. Auch in der Gruppenarbeit hatte die Projektleitung aufgrund ihres Arbeiterbildes Zweifel daran, ob diese den Anlernprozess tatsächlich bewältigen konnten. Sie beabsichtigten daher, die Werker für die Gruppenarbeit zunächst selbst auszuwählen und die Gruppen mit „Spitzenleuten“ zu besetzen. Dies rekurriert erneut 183 eLabour-SOFI-IR01_007_014.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Untergruppenrohbau, 21 Jahre o. D., S. 7. 184 „Im großen und ganzen sehen sie ja zu, daß sie was rausholen aus uns.“ eLabour-SOFIIR01_005_032.pdf Gespräch mit Springer aus dem Rohbau, 39 Jahre am 13.10.1977, S. 12.

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auf die angenommene spezielle Eignung der Arbeiter für eine bestimmte Tätigkeit und die damit verbundene Entscheidungsgewalt der Vorgesetzten. Dem verwehrten sich allerdings die Wissenschaftler aus Zürich, die den Werkern wesentlich mehr Lernpotenzial und Selbstständigkeit zutrauten: Wissenschaftler: „Am Anfang […] da haben wir uns unterhalten in der Werksleitung über das Projekt und da gings schon drum, wie das später mal mit dem Lernen wird und da war dort die Neigung groß zu sagen: Es gibt hier so viele die lernen das nie und wir wollen uns heute die besten aussuchen und dann klappt das. Dann haben wir gesagt […], das machen wir nicht so. […] Damals schon [nach der Gruppenfindung] hat uns die Werksleitung erklärt […]: Mensch, das ist kritisch und da gibt es Gruppen, da sind also zum größten Teil welche drin, die lernen das doch nie […].“185

Das Zitat legt zwei Dinge nahe: Einerseits hielt die Werksleitung viele Werker für nicht ausreichend qualifizierbar und somit für nicht genügend lernfähig, andererseits offenbart sich das gesetzte Ziel der Wissenschaftler, jeden Arbeiter zur Höchstform zu qualifizieren. Es ging also in der Gruppenarbeit um wesentlich mehr als den Bau von Motoren. Vielmehr spielten unterschiedliche Bilder oder Vorstellungen eines Arbeiters und die daraus resultierenden generellen Unterschiede des möglich Erlernbaren eine wichtige Rolle. Diese beiden Vorstellungen gerieten im Gruppenarbeits-Projekt in Konflikt miteinander. Während die Projektleitung dem im Betrieb vorherrschenden Arbeiterbild anhing, vertraten die Arbeitspsychologen aus Zürich ein gänzlich anderes. Sie begriffen den Menschen als Subjekt, das „aktiv am praktischen und kulturellen Leben teilnimmt, bewußt entsprechende Aufgaben in Angriff nimmt und sie zusammen mit anderen eigenständig und schöpferisch realisiert.“186 Demnach sahen die Wissenschaftler die Arbeiter als selbstverantwortlich an und billigten ihnen umfassende Partizipationsmöglichkeiten und Mitbestimmungsrechte zu. Darüber hinaus nahm die Arbeit bei ihnen als „wichtigstes Mittel zur Formung der Persönlichkeit“ einen viel höheren Stellenwert ein als bei der Werksleitung.187 Die Wissenschaftler plädierten folglich von Beginn an für eine Höherqualifizierung der Arbeiter, die nicht durch die auszuübende Tätigkeit begrenzt werden dürfe.188 Darin offenbart sich eine Vorstellung von Arbeit, die nicht nur den Zweck der Existenzsicherung beinhaltete, sondern zeitgleich geistig erfüllend sein sollte. Diese Annahme lässt sich in den 1960er und 1970er Jahren in den aufkommenden Konzepten des Human Resources Management wiederfinden. Mittels dieser Unternehmensführung sollten die Mitarbeiter zu einer höheren Motivation gelangen, indem sie im Sinne des „lebenslangen Lernens“ dazu angehalten wurden über sich hinauszuwachsen und die eigene Selbstoptimierung voranzutreiben. Allerdings verblieb auch in diesem Konzept die Entscheidungsgewalt bei den Vorgesetzten.189 Darüber hinaus dien185 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G2, G4, G1 und G3 21./22.04.1976 I ab 55:17 Min. 186 GRANEL, MICHAEL 1980, Gruppenarbeit, S. 103. 187 Ebd., S. 103. 188 Ebd., S. 103f. 189 BONTRUP, HEINZ-JOSEF 2011, Arbeit, Kapital und Staat, S. 189; DONAUER, SABINE 2015, Faktor Freude, S. 59f.

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ten diese Methoden nicht primär dazu, die Industriearbeit für die Werker erträglicher zu machen, sondern bargen in erster Linie großes Einsparungspotenzial von Kosten und Mitarbeitern.190 Es galt nun nicht mehr, die Arbeitsumstände so förderlich wie möglich zu konzipieren, etwa durch die Gestaltung von Fabrikräumen oder Sozialleistungen, sondern das gesamte „Entwicklungspotential“ des Arbeiters auszuschöpfen und seine „Anpassungsfähigkeit“ zu trainieren.191 Eindeutig verfolgten beide Vorstellungen schon in ihrer Anlage grundsätzlich diverse Ansätze. Insofern war Qualifizierung im Betrieb immer abhängig von den jeweils angelegten Wertmaßstäben und den angenommenen Lerngrenzen, die letztendlich die Betriebsleitung bestimmte.192 Allerdings stellte sich heraus, dass nicht nur ein Teil der Werksleitung annahm, die Arbeiter könnten die neuen Herausforderungen nicht meistern und das ehrgeizige Lernprogramm absolvieren, sondern auch einige Werker sprachen es den Vorarbeitern und Meistern ab, ausreichend flexibel und lernfähig für die Gruppenarbeit zu sein. Abermals zeigt sich die auf beiden Seiten angenommene Dichotomie des Betriebes. Dies kann an Gruppe 3 dargelegt werden, die als einzige einen Vorarbeiter in der Gruppe ablehnte: Arbeiter G3: „Es gibt das Sprichwort, einen jungen Baum kann man biegen, einen alten Baum kann man nicht mehr biegen und die Meister und die Vorarbeiter sind also dermaßen lange schon in einer ganz bestimmten Richtung […] Der Meister ist sowieso der Handlanger des Unternehmers, grundsätzlich. VW hat nun vor einigen Jahren damit angefangen den Vorarbeiter aus den eigenen Kollegen heraus zu suchen, um hier schon ein bisschen Humanisierung am Arbeitsplatze zu schaffen, aber das ist nicht gelungen. Denn in dem Moment, wenn jemand von unseren Kollegen einen blauen Kittel anhatte, so hat dieser Kollege mit dem Meister zusammengearbeitet und gegen seine Kollegen, mit dem er früher zusammengearbeitet hat […] Darum glaube ich, dass die Meister […] und Vorarbeiter, wie sie jetzt hier im Werke vorhanden [sind] für dieses Projekt […] sich nicht eignen würden, weil seine Denkrichtung ganz anders aufgebaut ist. […] Das Gedankengut, [das] diese Meister hier haben in VW […] und diese Richtung kriegst du aus diesen Menschen nicht [heraus] […] weil die Beeinflussung schon von Seiten des Unternehmers viel zu groß ist.“193

Das Zitat enthält vielfältige Gründe der Gruppe, keinen Meister zu wollen. Sie sprachen sich gegen einen erfahrenen Vorgesetzten aus, da dieser ihrer Meinung nach nicht mehr flexibel in seiner Denkweise sei und schon vorgefertigte Meinungen der Betriebsleitung übernommen hätte. Der Vorgesetzte zeige sich zudem nur noch mit den oberen Hierarchien solidarisch und nicht mehr mit den Arbeitern. Selbst rekrutierte Vorarbeiter aus den eigenen Reihen wechselten nach Ansicht der Gruppe nach ihrer Beförderung die Seiten. Die Aussage rekurriert auf die doppelte Funktion des Meisters in der Produktion. Zum einen stellt er für die Arbeiter „die Verkörperung der unternehmerischen Macht“ dar und zum anderen teilt er in aller Regel die Herkunft und ein Stück weit den Bildungs- und Arbeits190 191 192 193

Ebd., S. 60f. Ebd., S. 67. Vgl. KOLB, MEINULF 1980, Gestaltung von Arbeitsstrukturen, S. 35f. Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G3 spezial mit Muster und Betriebsrat Anlernen 11.05.1976 I ab 17:51 Min.

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weg mit den ihm unterstellten Werkern, bevor er durch eine Weiterbildung und Beförderung zum Leitungspersonal des Unternehmens aufstieg.194 Allerdings erkannten einige Gruppenarbeiter ihn nicht mehr als einen von den ihren an und nahmen demnach eine Zweiteilung des Betriebes in Kapital und Arbeit vor, infolge derer sich die beiden Gruppen unversöhnlich gegenüberstünden. Sie gingen, ebenso wie ihre Vorgesetzten, die langjährige Arbeiter als nicht mehr qualifizierbar ansahen, nicht davon aus, dass diese Führungskräfte noch ausreichend lernfähig seien. So müsse der Meister innerhalb des Projektes „groß werden“, um später die Funktion eines Beraters erfüllen zu können. Auch zeigten sich die Werker der Gruppe 3 unbeeindruckt gegenüber dem Einwand der Wissenschaftler, dass der Meister doch genau wie sie selbst noch lernen könne, dass darüber hinaus die in der Gruppenarbeit tätigen Meister erst ein bis zwei Jahre in ihrer Position als Vorgesetzte eingesetzt und damit weniger in ihrer Stellung sozialisiert seien, wie die meisten am Projekt teilnehmenden Arbeiter mit deutlich längeren Werkszugehörigkeiten.195 Arbeiter G3: „Weil […] die Gesinnung des Geistes […] bei diesen Leuten viel ausgeprägter ist. (Zuruf Arbeiter II: „Vetternwirtschaft ist zu groß.“) Der Meister weiß ganz genau ich kriege von meinem Unternehmer 4000 Mark dafür, der sagt mir das und das und Schluss.“ 196

Die Werker unterstellten dem Meister aufgrund seines hohen Lohns, als loyaler Handlanger der Werksleitung zu fungieren. Gruppensprecher 3: „Die Meister hier im VW-Werk kann man nicht mehr umschulen […] da diese Leute ihr Endziel erreicht haben, nämlich dass sie […] über anderen Leuten stehen. […] sie jedem etwas sagen können […] ob das richtig oder falsch ist […] es muss so gemacht werden. Und so einen Menschen […] kann man nicht mehr umschulen […] Die Werksleitung schreibt dem Meister vor, was er zu tun hat.“197

Der Meister erscheint in den Aussagen der Gruppe als ein Machtmensch, der sich gegenüber den Arbeitern herrisch verhalte, nachdem er sein „Endziel“ erreicht habe, nämlich die Macht über andere zu erlangen. Demnach poche er auf seinen Machterhalt sowie die Ausübung und Demonstration seiner Stellung gegenüber den Arbeitern. Er sei daher nicht in der Lage, Verantwortung abzugeben und sich den neuen Arbeitsstrukturen anzupassen. Diese Aussage birgt eine Diskrepanz. Einerseits hing der Meister laut Arbeitern von der Werksleitung ab und andererseits übte er willkürlich Macht aus. Die Gruppenarbeiter folgten in ihrer Argumentationsweise den tayloristischen Annahmen zum einen, dass die Produktion hierarchisch gegliedert war und auch der Meister sich diesem unterzuordnen hatte, zum anderen deuten ihre Worte auf die Tradition des Werkmeisters im 19. Jahrhundert hin, der als „Stellvertreter des Unternehmers“ in der Produktion eine gro194 FISCHER, Joachim: Der Meister. Ein Arbeitskrafttypus zwischen Erosion und Stabilisierung (Veröffentlichungen aus dem Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung e.V., ISF München), Frankfurt am Main u. a. 1993, S. 32f. 195 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G3 spezial mit Muster und Betriebsrat Anlernen 11.05.1976 I ab 16:50 Min. 196 Ebd. ab 21:22 Min. 197 Ebd. ab 26:48 Min.

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ße Machtfülle und umfassende Kontrollrechte besaß.198 Tatsächlich durchlief die Stellung der Meister aber schon in der Weimarer Republik durch die Einführung des Taylorismus und die damit einhergehende Beschränkung der Kompetenzen der Meister aufgrund neueingeführter Hierarchieebenen eine Veränderung. 199 Seit den 1960er Jahren unterlag sie abermals einem Wandel. Infolge der Produktionsumstellungen erhöhten sich die Qualifikationsanforderungen an den Meister. Außerdem büßte er durch die neuen Produktionstechnologien und EDV-Systeme weiter an Kontrollmacht und -funktion ein. Gleichzeitig wurde er durch diese und die fortschreitende Zentralisierung der Kontrollmacht bei VW von seinen Vorgesetzten zunehmend selbst überwacht.200 Das obige Zitat bezieht sich auf diese Ambivalenz der Meisterposition zwischen der Machtposition als direkter Vorgesetzter in der Produktion und der Beschneidung seines Handlungsraums durch die höheren Hierarchieebenen. Interessanterweise war Gruppe 3 die einzige, welche einen Vorarbeiter ablehnte und zahlreiche Auseinandersetzungen sowohl innerhalb der Gruppe als auch mit anderen Gruppen und Vorgesetzten hatte. Dies legt nahe, dass die Vorstellung von der angenommenen unüberwindbaren Trennung der Sphären von Arbeitern und Vorgesetzten sowie das daraus resultierende Misstrauen eine erhebliche Rolle bei diesen Konflikten spielte und für die mangelnde Kooperationsbereitschaft mit verantwortlich war. Ebenso zeigt es, dass einige Arbeiter das im Betrieb vorherrschende Menschenbild reproduzierten und es auf ihre Vorgesetzten übertrugen. Auch sie sahen Lerngrenzen bei ihren Vorgesetzten und beurteilten ihr Verhalten anhand dieses Bildes und ihren Ordnungsvorstellungen. Zudem legitimierten sie ihr Handeln anhand dieser Vorstellung. Gruppensprecher 3: „Im VW-Werk […] oben sind die Herren und wir sind die unteren Herren. Das ist eine Lücke von etlichen tausend Metern, die dazwischen klafft und wenn wir jetzte etwas möchten […] gemacht wird nichts.“201

Nach Meinung des Gruppensprechers respektierten die Vorgesetzten die Meinung der Arbeiter nicht. Außerdem stellt die Aussage erneut eine unüberwindbare Trennung der beiden Akteursgruppen im Betrieb heraus. Die Menschenbilder erwiesen sich bei VW als hinderlich für die betriebliche Kooperation und schadeten daher der Umsetzung des HdA-Projektes. Ebenso beförderten sie das Klassendenken und schürten somit Misstrauen zwischen den beiden Akteursgruppen. Erkennbar ist, dass sowohl die Werksleitung als auch einige Werker dem jeweils anderen absprachen, ausreichend dazulernen zu können, ganz im Gegensatz zu den Wissenschaftlern, die durch die angenommene umfassende Lernfähigkeit sogar feste Strukturen für fluide hielten, wie etwa die Qualifikationshierarchien im Unternehmen.

198 199 200 201

FISCHER, JOACHIM 1993, Der Meister, S. 16. Ebd., S. 15f. Ebd., S. 13f. Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ Gruppengespräche 24./25.05.1976 II ab 01:41:18 Min.

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Auch in der Gruppenarbeit fanden sich, wie bei den Arbeitern im Industrieroboter-Projekt, die Elemente des „profitgierigen Unternehmers“ und dessen Ausbeutung der Arbeiter wieder. So unterstellte Gruppe 3 der VW-Leitung, nur Geld aus dem HdA-Programm abkassieren zu wollen, um sich dieses in die eigene Tasche zu wirtschaften: Gruppensprecher 3 (schreit): „Es geht doch nur ums Geld. Es dreht sich nur, wer jetzte den größten Teil von dem Kuchen, von den 12 Millionen Mark sich in die Tasche steckt […] und das versucht VW.“202

Sie entwarfen das Bild eines „profitorientierten Unternehmers“, der kein Interesse an einer Humanisierung für die Arbeiter habe. Ebenso geht daraus hervor, wie emotional diese Konflikte geführt wurden, was seinen Ausdruck im gezeigten Verhalten der Werker wie Schreien findet. Die Arbeiter meinten, dass die VWLeitung einen „Schildbürgerstreich“ mit dem Projekt durchführte, um Gelder einzustreichen und Werbung für VW zu machen.203 Es ginge letztlich nur um deren Gewinn: Arbeiter G2: „Die wollen auf irgendeine Art und Weise Profit rausholen, entweder an Motoren oder […] Werbung.“204

Für die Werker im Gruppenarbeits-Projekt hatte dieser Profit allerdings Grenzen. Nachdem die Stückzahlen in der Gruppenarbeit stiegen und der Leistungsdruck zunahm, wollten sich daher einige Werker dagegen wehren: Arbeiter G1: „Ich bin der Meinung, man müsste darum kämpfen. Jede Schraube, die wir mehr anschrauben müssen, da muss ein Kampf drum geben. […] Es müssen Schranken gesetzt werden [klopft auf den Tisch und brüllt]. Das ist immer eine Schraube ohne Ende und wenn sich der kleine Mann dagegen nicht wehrt und er fällt darauf rein und hier ist es schon passiert.“205

Der Arbeiter forderte seine Gruppe energisch dazu auf zu „kämpfen“ und sich gegen die steigenden Produktionszahlen und das Austricksen „des kleinen Mannes“ durch die Betriebsleitung zu „wehren“. Das Zitat verweist auf die Präsenz und die Prägekraft bestimmter marxistischer Ideen, wie die Ausbeutung der Arbeiter durch den Unternehmer oder den „Kampf zwischen Arbeit und Kapital“. Dieser „Kampf“ war auch in Gruppe 3 existent. Die meisten Gruppenmitglieder teilten die Ansicht, dass, wenn der Gruppensprecher „oben kriechen würde“, die Gruppe nicht bekäme, was sie fordere.

202 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt 24.03.1976 I ab 01:47:30 Min. 203 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt 07./08.09.1976 II ab 42:38 Min. 204 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt 05./06.05.1976 I ab 54:32 Min. 205 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt 28.10.1976 II ab 01:23:17 Min.

Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 und G3 Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G4 und G2 Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 und G2 Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 und G4

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Arbeiter als Konfliktpartner „Wenn man einmal diesen Leuten da oben […] ihre Meinung ohne Gegenmeinung überlässt, dann kann man niemals mehr etwas erreichen.“206

Es zeichnen sich regelrechte Grabenkämpfe um jede montierte Schraube und jede geäußerte Meinung ab, wobei sich die Arbeiter gegenüber denen „da oben“, also ihren Vorgesetzten und der Werksleitung, behaupten müssten. Ansonsten drohe den Arbeitern folgendes Schicksal: „Wenn wir denen den kleinen Finger geben, nehmen die die ganze Hand […] Wir stehen wieder unter der Knute der Herrschaften der Planung.“207

Es klingt, als wollten die Arbeiter ihre Stellung im Betrieb nun geltend machen, da sie die Chance dazu bekamen und sich der von ihnen wahrgenommenen Vormundschaft der Werksleitung und der Planung entziehen. Ganz offensichtlich ging es ihnen um die zumindest zeitweise Umkehrung oder das Neutarieren der Machtverhältnisse im Betrieb und darum, aus der Disziplinierung der Betriebsleitung, die sich im Wort „Knute“ niederschlägt, auszubrechen. Sie wollten die gesetzten Leistungsgrenzen und das Bild eines Arbeiters der Projektleitung einreißen und demonstrieren, dass sie ebenbürtig mit der Planung waren. Die empfundene Ausbeutung und Abwertung der Arbeiter durch die Betriebsleitung wird noch einmal deutlich an der scherzhaften Beschreibung der Arbeitssituation in der Gruppenarbeit eines Werkers aus Gruppe 3: „Was fehlt in der Gruppenmontage? Die Gitter, dann fehlen noch ein paar Wachtürme und vier Maschinenpistolen (alle lachen), für jeden eine Pulle Rum, dass er nicht merkt, dass er malochen muss.“208

Letztendlich würden die Arbeiter von der Unternehmensleitung und ihren Vorgesetzten überwacht und eingesperrt wie im Gefängnis. Um die Strapazen der Arbeit zu überstehen, sich davon abzulenken oder zu betäuben, bräuchten die Arbeiter Alkohol. Dieser Vergleich versinnbildlicht die wahrgenommene Ausbeutung der Arbeiter durch die Projektleitung eindrücklich. Solche Anspielungen auf VW als Metapher für Internierung kamen gleichermaßen häufig in den Interviews zur Sprache, die zur Einführung der Industrieroboter geführt wurden. So war hier vom „Knast“ oder von „Gefängnisarbeit“ die Rede.209 Das alles deutet auf die von den Arbeitern wahrgenommene Unfreiheit ihrer Tätigkeit und Ausbeutung durch die Unternehmensleitung in allen drei HdA-Projekten hin. Außerdem äußerten die Gruppenarbeiter, ebenso wie die Arbeiter in den Industrieroboter-Projekten, den Verdacht, dass die Vorgesetzten sie absichtlich „dumm halten“ würden, um ihre eigene Stellung zu bewahren:

206 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ Gruppengespräche 24./25.05.1976 II ab 01:34:31 Min. 207 Ebd. ab 01:48:19 Min. 208 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G3 29.10.1976 I ab 01:46:56 Min. 209 eLabour-SOFI-IR01_006_002.pdf Gespräch mit Arbeiter aus der Gießerei, 40 Jahre am 24.10.1977, S. 10.

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Arbeiter G1: „Es mag darum gehen […] je dümmer wir sind, je mehr brauchen wir die und je schlauer wir sind, je weniger sind die gebraucht.“210

Die Werksleitung habe somit kein Interesse daran, die Arbeiter weiterzubilden. Es zeigt sich ein starkes Misstrauen gegenüber den Vorgesetzten, welches aus deren Verhalten gegenüber den Werkern und deren Bild eines Arbeiters resultierte. Dieses Misstrauen wendete sich jedoch nicht nur gegen ihre Vorgesetzten, sondern auch gegen die im Projekt tätigen Wissenschaftler: Arbeiter G3: „Das Institut ist dafür da […] dass wir Humanisierung der Arbeit lernen […] aber […] dass das Institut von Zürich oder von Darmstadt dazu da sind, um ihre Doktortitel […] zu machen. Da können sie nur Versuchskaninchen brauchen – das sind wir. […] Wir brauchen so was nicht.“211

Auch ihnen unterstellten die Werker, sie lediglich für ihre Forschungen zu missbrauchen und auszubeuten. Diese Wahrnehmung der Arbeiter ergab sich aus ihren Erfahrungen mit den Wissenschaftlern im Verlauf des Gruppenarbeits-Projekts. Jene wollten die Arbeiter ähnlich wie die Unternehmensleitung erziehen und disziplinieren, indem sie diese etwa anhielten, Dinge zu lernen, die die Werker jedoch als sinnlos erachteten. Ein Beispiel dafür war die erwähnte Problematik des Protokollschreibens. Die Gruppen wollten keine Protokollierung der Gruppengespräche vornehmen oder die Aufgabe des Gruppensprechers rotieren lassen, aber die Wissenschaftler berücksichtigten diese Meinungsäußerung der Werker nicht. Sie argumentierten bei jeder aufkeimenden Kritik gegen die Verweigerung der Werker: Wissenschaftler: „Könnt man nicht aber auch sagen, […] da trainiert man eine Fähigkeit, die hat man überhaupt nicht als Arbeiter ja […] ist nicht mit des der Grund, dass es eben heißt, der Arbeiter […] vieles kann er sowieso nicht erreichen. Da braucht er irgendjemand, ders für ihn macht. […] Weil er eben nie die Möglichkeit erhält, so etwas selber zu lernen und es dann auch selber zu machen und als Arbeiter ist man meistens grad in so was, also in so Sitzungen und Besprechungen und überhaupt im Sich-Ausdrücken, da hat man einen Nachholbedarf. […] Die anderen, sie sind oft überhaupt nicht besser oder schlauer, die haben nur gerade das gelernt, sich geschickt ausdrücken. […] Und von daher kommts, dass die sich immer überlegen fühlen und dass man als Arbeiter immer das Gefühl hat, die beschließen sowieso was sie wollen. […] könnte man doch auch sagen, ist Humanisierung des Arbeitslebens […] ein Arbeiter ist nämlich dafür nicht zu blöd, der hat bloß die Übung nicht.“ 212 Arbeiter G1: „[…] ist unsere Meinung, dem kleinen Mann seine Meinung hierbei überhaupt gefragt? Wird das überhaupt akzeptiert? Wir schreiben hier Protokolle […] im Großen und Ganzen wo sollen wir da den Sinne da drinne sehen? […] Wie weit werden wir als Mittel zum Zweck vielleicht jetzte hier genommen?“213

210 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 und G4 am 28.10.1976 II ab 01:02:01 Min. 211 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G3 29.10.1976 I ab 49:33 Min. 212 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 und G4 28.10.1976 II ab 04:22 Min. 213 Ebd. ab 06:24 Min.

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Für die Werker hatte das Protokollschreiben im Gegensatz zu den Wissenschaftlern keine Priorität. Vielmehr beschäftigten sie Themen wie Arbeitsaufgaben und Arbeitsbelastung in der Gruppenarbeit. Sie fühlten sich in dieser Situation von den Wissenschaftlern bevormundet und für deren Zwecke instrumentalisiert. Darüber hinaus wird deutlich, dass die Wissenschaftler in ihrem sozialreformerischen Bestreben die Arbeiter zwangen, Tätigkeiten zu erlernen oder auszuüben, selbst gegen deren ausdrücklichen Willen, im Bestreben, sie mit den Vorgesetzten gleichzustellen. Die Wissenschaftler konstruierten somit ebenfalls eine Art Klassenkampf und übertrugen ihr Bild eines Arbeiters auf die betriebliche Umsetzung des Gruppenarbeits-Projektes. In der Aussage des Wissenschaftlers schwingt die Bemühung mit, den Arbeiter auf Augenhöhe mit den höheren Angestellten zu bringen. Für ihn existierten Lerngrenzen anscheinend nicht, vielmehr sei alles eine Sache der Übung. Jeder Arbeiter könne sich ebenso wie ein Vorgesetzter artikulieren, er benötige nur den Willen, es zu lernen. Die am Projekt beteiligten Arbeitspsychologen setzten die Entwicklung der Persönlichkeit in direkten Zusammenhang mit der Ausübung der Arbeitstätigkeit, wodurch diese zwingend anspruchsvoller zu konzipieren war.214 Letztendlich mussten die Werker der Argumentation und dem Druck der Wissenschaftler nachgeben, die ihnen erklärten, dass sie nur gehört und für kompetent erachtet werden, wenn sie sich artikulieren und dadurch selbstbewusster auftreten könnten.215 Dieses Beispiel zeigt, dass die Wissenschaftler mit ihrem sozialreformerischen Ansatz die Werker disziplinierten und ihre Äußerungen aufgrund ihres zugrundeliegenden Menschenbildes nicht akzeptierten. Sowohl das Menschenbild der Wissenschaftler als auch das der Betriebsleitung hatten folglich immense Auswirkungen einerseits auf den Arbeitsalltag der Arbeiter in den HdA-Projekten und andererseits auf ihre Eigenwahrnehmung, da sie teilweise diese Bilder übernahmen. Doch nicht nur die Wissenschaftler oder Vorgesetzten disziplinierten die Werker, sondern jene taten dies auch untereinander. In Gruppe 3 entstand durch das Klassendenken und den angenommenen Dualismus des Betriebes – insbesondere des Gruppensprechers – ein schwerer gruppeninterner Konflikt. Die Gruppenmitglieder kritisierten, dass er sie immer bevormunde. Darauf teilte der Gruppensprecher mit, dass er sich bei den Vorarbeitern und Meistern über die einzelnen Gruppenmitglieder informiert hätte.216 Er übte Kontrolle aus und bedrohte faktisch die anderen Arbeiter damit, zu wissen, wer von ihnen keine ausreichende Leistung erbringe. Das stieß bei den anderen Gruppenmitgliedern auf Protest. Dann hätten letztlich auch die „oberen Herren“ die Arbeiter für die Gruppenarbeit auswählen können, anstatt dass sich die Gruppen freiwillig finden durften.217 Der Gruppensprecher meinte hingegen, die Gruppe müsse „gleichgeschaltet“ werden 214 GRANEL, MICHAEL 1980, Gruppenarbeit, S. 103f. 215 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 und G4 28.10.1976 II ab 11:30 Min. 216 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1, G2, G3, G4 08./09.04.1976 III ab 32:28 Min. 217 Ebd. ab 33:36 Min.

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und bedingungslos füreinander eintreten. Es ginge ihm darum, die Teamfähigkeit zu prüfen, da Einzelgänger in der Gruppe nichts zu suchen hätten. Es gebe seinen Recherchen zufolge einen „schwarzen Mann“ in der Gruppe. Der Gruppensprecher setzte jeden unter Generalverdacht und war der Auffassung, dass jedes Gruppenmitglied darüber nachdenken solle, ob es sich richtig verhielte und eine angemessene Leistung bringe.218 Letztlich wendete er die gleichen Taktiken an, die er bei seinen Vorgesetzten kritisierte: Aufbau von Druck und Disziplinierung, Ausübung von Kontrolle und Macht. Dies beweist, dass der Gruppensprecher das Arbeiterbild der Vorgesetzten übernahm und danach handelte. Folglich waren auch Arbeiter in der Lage, sich über ihre Kollegen zu stellen und sie zu kontrollieren, wenn sie eine entsprechende Machtposition innehatten. Die Schuld am schlechten Zustand der Gruppe sah der Gruppensprecher allerdings nicht in seinem Verhalten begründet. Vielmehr hätten die anderen Gruppen keine Probleme, weil sie sich keine Gedanken machten und sie die Vorgaben „von oben“ als richtig empfänden. Er akzeptiere hingegen nicht einfach deren Meinung und würde dem Projektleiter nicht „nach der Schnauze reden“ wie die anderen Gruppen. Als Schuldige des Konfliktes sah er demnach die Projektleitung und die Vorgesetzten an, welche die Gruppe boykottierten und sabotierten.219 Letztlich übernahm er die Ansichten der Vorgesetzten, dass Arbeiter diszipliniert sowie kontrolliert werden müssten und demgemäß deren Arbeiterbild. Obwohl er gegenüber seinen Kollegen bestimmende Verhaltensweisen zeigte, nutzte er die innerhalb der Gruppe herrschenden Vorurteile gegenüber Vorgesetzten, um sein Handeln zu rechtfertigen. So argumentierte er, dass er sich nur auf diese Weise zum Wohle der Gruppe durchsetzen und eigene Handlungsmacht beanspruchen könne. Dies rekurriert abermals auf die Überlappung von Rationalitäten. Der Gruppensprecher bewertete die Durchsetzung der Gruppenmeinung in den oberen Führungsetagen höher als die Solidarität mit seinen Kollegen. Darüber hinaus zeichnete sich wie bei den Industrieroboter-Projekten die Diskriminierung der einzig verbliebenen Gruppenarbeiterin aufgrund des vorherrschenden Frauenbilds im Betrieb ab. Das zeigte sich vor allem an der schon in Kapitel 2.2 dargelegten Diskussion um ihre Leistungsfähigkeit im Vergleich mit ihren männlichen Kollegen. Die Arbeiter aus Gruppe 3 meinten, dass die Frau aufgrund der körperlichen Schwere der Arbeit nicht in der Lage sei, die geforderte Stückzahl zu erbringen und Verantwortung zu übernehmen.220 Dies belegt, dass ihre männlichen Kollegen die gleichen Leistungsgrenzen annahmen und demselben Geschlechterbild anhingen wie ihre Vorgesetzten. Jene Vorstellung leitete die Arbeiter in ihrem Handeln, selbst gegenüber Kolleginnen. Aus der Analyse geht hervor, dass die vorherrschenden Menschenbilder im Betrieb massive Auswirkungen auf den Umgang der betrieblichen Akteursgruppen miteinander hatten und insbesondere die Qualifizierungspotenziale und damit 218 Ebd. ab 42:49 Min. 219 Ebd. ab 48:21 Min. 220 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ Gruppengespräche 24./25.05.1976 II ab 01:53:13 Min.

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die Teilhabe der Arbeiter im Unternehmen begrenzten. Die vom HdA-Programm geforderte Selbstverwirklichung und der Einsatz an Arbeitsplätzen, welche den individuellen Neigungen entsprachen, konnte in den Projekten nicht oder nur teilweise erreicht werden. Allerdings setzten nicht nur die Vorgesetzten angenommene Leistungsgrenzen fest, sondern die Werker reproduzierten diese auch selbst. Sie wandten jene Annahmen bei sich selbst oder gegenüber Kollegen und Vorgesetzten an. Durch die angenommene Trennung des Betriebes in die beiden Sphären „Kapital und Arbeit“ war die Überwindung jener Kluft für eine gelungene Kooperation in den Projekten schwierig. Außerdem erzeugten das Arbeiterbild der Vorgesetzten und die von beiden Seiten geteilte Idee eines bestehenden Dualismus zwischen Führungskräften und Werkern Misstrauen zwischen den beiden Akteursgruppen und behinderten eine gemeinsame Vertrauensbasis. Es wurde offenbar, dass einige Bilder und Vorstellungen der marxistischen Klassenideologie und des Klassendenkens weiterhin Prägekraft in beiden Akteursgruppen besaßen. Diese konnten auch durch die HdA-Projekte nicht abgebaut werden. Darüber hinaus beförderte das betriebliche Arbeiterbild im Zusammenspiel mit der Formalisierung der Ausbildung und mit der Einführung neuer Produktionstechnologien seit den 1970er Jahren eine stärkere Binnendifferenzierung der Arbeitergruppe und die Diskriminierung von bestimmten Sozialgruppen im Unternehmen wie Frauen, Migranten und älteren Arbeitern. Was ebenso augenscheinlich wurde war, dass ein Menschenbild wie das der Züricher Wissenschaftler, welches kaum Grenzen der Lernfähigkeit beinhaltete und die Unternehmensstrukturen und Hierarchien eher als fluide ansah, sich im Betrieb weder in der Gruppe der Vorgesetzten noch in der der Arbeiter als durchsetzbar erwies. Darüber hinaus mussten die Wissenschaftler wiederum auf Praktiken der Disziplinierung zurückgreifen, um ihre Sozialreformen und die angestrebte „Hebung der Arbeiter“ im Betrieb zu verwirklichen. Die Vorgesetzten lehnten nicht nur das neue Menschenbild im Modellversuch der Gruppenarbeit des HdA-Programms ab, sondern auch die flächendeckende Durchsetzung neuer Konzepte der Menschenführung im Unternehmen. Demnach existierten in den Köpfen der Vorgesetzten teilweise immer noch die taylorschen Ordnungsvorstellungen und das von Taylor konzipierte Arbeiterbild. Damit ist die vom Historiker Anselm Doering-Manteuffel formulierte Strukturbruchthese, welche einen Abschied vom tayloristisch-fordistischen Fabriksystem konstatierte, für das betriebliche Arbeiterbild und Ordnungsdenken in Frage zu stellen.221 Überdies legte die Analyse dar, dass solche Bilder und Vorstellungen von beiden Akteursgruppen als Legitimation ihres Handelns genutzt wurden und dass diese in Verbindung mit Hierarchien immer eine Machtkomponente beinhalten. Dennoch offenbarten die HdA-Projekte, dass der Menschenführung Bedeutung für die Arbeitsunzufriedenheit im Unternehmen zukam und das vorherrschende Menschenbild bei VW nicht gänzlich unveränderlich war. Im Gruppenarbeits-Projekt konnte beispielsweise die angenommene Lerngrenze der Arbeiter angehoben werden. Auch ein neues Bewusstsein für eine kooperative Menschen221 DOERING-MANTEUFFEL, ANSELM; LUTZ, RAPHAEL 2008, Nach dem Boom, S. 9.

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führung im Sinne der Human Relations- und Human Resources-Konzepte stellte sich insbesondere bei einer jüngeren Generation von Vorgesetzten heraus.222 Allerdings stieß die Veränderung des Menschenbildes an Grenzen, sowohl bei den Führungskräften als auch bei den Arbeitern, die jenes teilweise als naturgegeben ansahen. Gleichermaßen wurde das (Geschlechter-)Bild der Frau durch das HdAProgramm in den Projekten hinterfragt und problematisiert. Dessen ungeachtet hatte dies kaum Auswirkungen auf die Arbeiterinnen in den betrieblichen HdAProjekten. Jedoch sensibilisierten die im Programm durchgeführten Studien und ihre Publikation die Öffentlichkeit für die spezifische Situation der Arbeiterinnen auf dem Arbeitsmarkt und in den Unternehmen. 4.2 BETRIEBLICHE MACHTSTRUKTUREN: ERWEITERTE KONTROLLE, DISZIPLINIERUNG UND VERWEIGERUNG VON PARTIZIPATION Mehr Mitbestimmung für die Arbeiter in der Industrie war eine Kernforderung des politischen HdA-Programms. So verlangte der Programmtext die Partizipation der Arbeiter an den Entscheidungsprozessen im Unternehmen und verknüpfte diese Forderung zugleich mit dem im Grundgesetz verankerten Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, das nun auch in der Arbeitswelt Anwendung finden müsse223: „Das im Grundgesetz verbürgte Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit wäre weitgehend eine Leerformel, wenn man die Arbeitswelt nicht mit einschließen würde. Unsere freiheitlich demokratische Ordnung sollte gerade hier entscheidende Akzente setzen.“ 224

Damit war das HdA-Programm durch das Element der Mitbestimmung laut Bundesregierung ein entscheidender Eckpfeiler der demokratischen Grundordnung der BRD und der Einbindung der Arbeiter ins Unternehmen. Doch die politischen Akteure sahen in der monotonen Fließbandfertigung Konfliktpotenzial und wollten dieses durch Aufgabenerweiterung, stärkere Teilhabe und Anerkennung der Tätigkeiten reduzieren: „Das Aufbegehren gegen die Monotonie der täglichen Arbeit, die wenig Gelegenheit bietet, Initiative und Verantwortungsbewußtsein zu zeigen, nimmt immer mehr zu. Dieser Entwicklung muß durch eine Gestaltung der Arbeit entgegengetreten werden, die Raum für Arbeitszufriedenheit und Selbstverwirklichung lässt.“225

Mehr Verantwortung, Entscheidungsfreiraum und Wertschätzung für die geleistete Arbeit waren laut Programm die Mittel, um die Unzufriedenheit mit den Ar-

222 Vgl. PONGRATZ, HANS 2002, Subordination, S. 98. 223 BArch, B 149/27879, Forschungsaktionsprogramm zur Humanisierung des Arbeitslebens Februar 1974, S. 2. 224 Ebd., S. 5. 225 Ebd., S. 5.

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beitsbedingungen unter den Arbeitern in der Industrie zu verringern. 226 Der Mensch und seine „Kooperationschancen“ sollten damit wieder mehr in den Mittelpunkt der Produktion rücken. Demnach forderten die Programmverfasser, „die Arbeit stärker den Bedürfnissen des Menschen“ anzupassen und diese somit „menschlicher“ zu gestalten.227 Die politische Forderung nach mehr Teilhabe der Arbeiter in den Betrieben war auch, wie bereits in Kapitel 3 und 4 erwähnt, bedeutend infolge der Systemkonkurrenz mit dem herrschenden Sozialismus in der DDR. Daher versuchte die Bundesregierung durch das Einbinden von Interessenverbänden, wie Arbeitgebervereinen und Gewerkschaften, bereits in den 1960er Jahren mittels der Konzertierten Aktion in politischen Entscheidungen eine Befriedung der Konflikte zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften voranzutreiben und damit gleichzeitig gesellschaftliche sowie wirtschaftliche Stabilität und Orientierung zu bieten.228 Jene „zweite Phase der sozialen Marktwirtschaft“ sollte durch die Stärkung der Integrationskraft des politischen und wirtschaftlichen Systems ebenso ein Abwehrmechanismus gegenüber Ideologien und Totalitarismus sein.229 Das HdA-Programm fokussierte in den 1970er Jahren im Anschluss daran vor allem die Arbeitsbeziehungen und Arbeitsbedingungen, die unter anderem durch die Wirtschaftskrise, die erhöhten Streikzahlen und die 68er Bewegung an Bedeutung für diese Integrationskraft gewannen. Aus der Studentenbewegung waren für die Konzertierte Aktion Ende der 1960er Jahre und für die sozialliberale Bundesregierung vor allem zwei Faktoren relevant: Die Rolle von (sozialistischen) Ideologien in Politik und Gesellschaft sowie der Wunsch nach mehr Teilhabe und „Lebensqualität“.230 Die Angst der Politik und Wirtschaftseliten vor einer Ausbreitung sozialistischer Ideen in der Bevölkerung wurde besonders durch die 68er Bewegung und die aus ihr hervorgegangenen radikalisierten, militanten Terrorzellen befördert.231 Außerdem waren Kernforderungen der 68er Bewegung mehr Mitbestimmung, Chancengleichheit und Selbstverwaltung zu erlangen.232 Diese Ideen diffundierten wie in Kapitel 4 dargelegt europaweit in die Betriebe.233 Während der Septemberstreiks, einer bundesdeutschen Streikwelle von Arbeitern ohne offizielle Zustimmung der Gewerkschaften für höhere Löhne, gab es 1969 eine punktuell erfolgreiche Verbindung zwischen studentischen und be226 „Wesentlich für [den Menschen] ist es, welcher Einblick in die Bedeutung seiner Arbeit ihm eingeräumt wird, inwieweit er seine Arbeit selbst disponieren und verantworten darf, welche Kooperationschancen sich für ihn bei der Arbeit ergeben und welche Achtung ihm entgegengebracht wird.“ Ebd., S. 33. 227 Ebd., S. 3. 228 REHLING, ANDREA 2011, Die konzertierte Aktion im Spannungsfeld der 1970er Jahre, S. 306ff. 229 Ebd., S. 310. 230 REHLING, ANDREA 2011, Konfliktstrategie und Konsenssuche in der Krise, S. 377. 231 GILCHER-HOLTEY, Ingrid: Die 68er Bewegung. Deutschland – Westeuropa – USA (Beck’sche Reihe 2183), München 42008, S. 122f.; TERHOEVEN, Petra: Deutscher Herbst in Europa. Der Linksterrorismus der siebziger Jahre als transnationales Phänomen, München 2014, S. 66. 232 GILCHER-HOLTEY, INGRID 2008, Die 68er Bewegung, S. 113. 233 Ebd., S. 120; TERHOEVEN, PETRA 2014, Deutscher Herbst in Europa, S. 147.

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trieblichen Protesten.234 Eine derartige Verschmelzung der 68er Bewegung und ihrer Ziele mit der Arbeiterschaft wie in Italien blieb hingegen aus.235 Diese Entwicklung war für die damaligen Zeitgenossen jedoch nicht abzusehen. Insofern galt es sowohl für die bundesdeutsche Politik als auch für die Wirtschaftseliten und die Gewerkschaften eine Befriedung innerhalb des Systems der sozialen Marktwirtschaft zu erreichen, um die Systemstabilität aufrecht zu erhalten.236 Daher forderten die Gewerkschaften, allen voran die IG-Metall mit ihrem Programm zur „Qualität des Lebens“, einen gemäßigteren aber dennoch gesamtgesellschaftlichen Wandel.237 Die IG Metall stellte sogar ihre vierte internationale Arbeitstagung 1972 unter das Motto „Qualität des Lebens.“ Darunter verstand sie „die Schaffung und Erhaltung einer Gesellschaftsordnung, die alle Menschen bereichert und ihnen größtmögliche Aussichten auf ein befriedigendes Leben gewährt.“238 Damit bettete die IG Metall ihr Konzept in einen umfassenden politischen und gesellschaftlichen Kontext ein. Die Gewerkschaft wollte unter anderem für eine „bessere Qualität“ der Bildung, der Arbeitsbedingungen und vor allem für größere gesamtgesellschaftliche Mitbestimmung, also die „Demokratisierung aller Lebensbereiche“ eintreten.239 Diese Forderung nach Teilhabe bezog sich folglich nicht nur auf die Arbeiter in den Betrieben, sondern auch auf die Arbeitnehmer als Staatsbürger in einer demokratischen Gesellschaftsordnung. Das HdA-Programm berücksichtigte zahlreiche Teilaspekte der gewerkschaftlichen Forderungen. So beinhaltete das Programm die Teilhabe der Arbeiter im Unternehmen als Kernforderung, welche die Integration der Arbeiter ins Unternehmen, aber auch in das politische System vertiefen sollte. „Humanisierung des Arbeitslebens ist ein wichtiges Reformziel sozialliberaler Politik. Hier liegt ein wesentlicher Ansatz für gesellschaftlichen Fortschritt, verstanden als mehr Selbstbestimmungs- und Mitentscheidungsmöglichkeiten, mehr soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit.“240

Diese erweiterte auch gesamtgesellschaftlich gedachte Partizipation war von den Programmverfassern einerseits dafür bestimmt, politische Ideologien abzuwehren und andererseits eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen und dem folgend der Lebensbedingungen der Arbeiter zu erreichen.241 Den Programmverfassern war allerdings bewusst, dass es bei der Umsetzung dieser Mitbestimmung in den Unternehmen Schwierigkeiten gab und meist die Verantwortung und Entscheidungs234 BIRKE, Peter: Der Eigen-Sinn der Arbeitskämpfe. Wilde Streiks und Gewerkschaften in der Bundesrepublik vor und nach 1969, in: 1968 und die Arbeiter. Studien zum „proletarischen Mai“ in Europa, hrsg. v. Bernd GEHRKE/Gerd-Rainer HORN, Hamburg 22018, S. 73. 235 Ebd., S. 73f. 236 GILCHER-HOLTEY, INGRID 2008, Die 68er Bewegung, S. 116; BIRKE, PETER 2018, Der EigenSinn der Arbeitskämpfe, S. 76. 237 Friedrichs, Günter, Qualität des Lebens. 238 Wedgwood Benn, Anthony, Die Qualität des Lebens, S. 27. 239 Loderer, Eugen, Qualität des Lebens und Gewerkschaften, S. 244f. 240 BArch, B 196/31215, Protokoll der konstituierenden Sitzung des Fachausschusses „Humanisierung des Arbeitslebens“ am 09.07.1975 in Bonn, S. 2. 241 REHLING, ANDREA 2011, Konfliktstrategie und Konsenssuche in der Krise, S. 429.

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gewalt bei den oberen Hierarchieebenen verblieb.242 Daher sollte das Programm ergründen, wieso der Selbstverantwortung und Einbeziehung der Arbeiter in Betriebsentscheidungen „engste Grenzen gezogen“ wurden.243 Für den prominenten politischen Vertreter des Programms Hans Matthöfer war diese Tatsache untragbar: „Menschengerechte Gestaltung der Arbeit kann […] weder über die Köpfe der Arbeitnehmer, ihrer Interessensvertreter und Organisationen hinweg betrieben werden, noch kann sie ohne das volle Engagement der Mitbestimmungsträger erfolgreich sein.“ 244

Die Arbeiternehmer sollten seiner Meinung nach mehr Mitsprache erhalten und sich im Gegenzug engagierter in die Unternehmenspolitik einbringen. Diese Maßnahme zielte auf die Integration der Arbeiter in die Unternehmen und somit in die bundesdeutsche Gesellschaft ab. Um die Mitbestimmung der Arbeiter durch ihre Interessenvertretungen, nämlich Betriebsrat und Gewerkschaft, flächendeckend in deutschen Betrieben zu gewährleisten, erließ die sozialliberale Bundesregierung 1972 eine Neufassung des Betriebsverfassungsgesetzes. Dieses stellte laut Bundesregierung einen Meilenstein zur Partizipation der Arbeiter in den Unternehmen sowie im wirtschaftlichen System dar und flankierte die Bemühungen des HdAProgramms. Doch welche Partizipationsmöglichkeiten schuf das politische Programm nun tatsächlich für die Arbeiter in den betrieblichen HdA-Projekten? Gelang der Vorsatz, Verantwortung und Entscheidungsgewalt von den oberen Hierarchieebenen an sie abzugeben oder scheiterte dies an der strikten Hierarchisierung des Betriebes, die mit Kontrolle und Disziplinierung der Arbeiter einherging? Weiterhin stellt sich die Frage, ob durch das HdA-Programm tatsächlich der Mensch in den Fokus der Produktion rückte oder nicht doch die neuen Produktionstechnologien und Leistungsvorgaben der Unternehmensleitung den Takt vorgaben. 4.2.1 Arbeiter und ihre Vorgesetzten Schon das Kapitel 3.3 belegt die rigiden Betriebshierarchien, die bei VW herrschten. Daher ist zu hinterfragen, ob eine erweiterte Teilhabe der Arbeiter in den Industrieroboter-Projekten überhaupt in Betracht kam und die Roboter durch die Produktionsumstellung nicht in Konkurrenz mit dem Menschen traten. Obwohl die Arbeiter die Hierarchien mehrheitlich anerkannten, kristallisierte sich in den Industrieroboter-Projekten heraus, dass das in Kapitel 3.1 dargelegte Vertrauen der Arbeiter in ihre Vorgesetzten durch die Umsetzungen angesichts der Robotereinführung schwand oder zumindest teilweise verspielt wurde. Die Zuversicht der Arbeiter, aufgrund von guter Leistung oder Fleiß einen für sie angemessenen Arbeitsplatz zu erhalten, erfüllte sich in vielen Fällen nicht. Darüber hinaus hatten 242 BArch, B 149/27879, Forschungsaktionsprogramm zur Humanisierung des Arbeitslebens Februar 1974, S. 36. 243 Ebd., S. 36. 244 Matthöfer, Hans, Humanisierung, S. 155.

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sie kaum Einflussmöglichkeiten auf die Entscheidung und sahen ihre erworbenen Qualifikationen bei der Produktionsumstellung nicht berücksichtigt: „[…] es spielt keine Rolle, wie lange man hier ist, es spielt keine Rolle, welche Erfahrungen man hat. Z. B. habe ich früher autogen geschweißt, elektrisch geschweißt, habe gelötet, gepunktet, Springer gemacht, Gruppenführervertretung gemacht. Und plötzlich bei dieser Umstellung spielte das alles keine Rolle mehr. Das hat uns eigentlich gewundert. So ging es sehr vielen alten Kollegen. […] Das war für mich eigentlich unverständlich, daß man nicht gesagt hat: Gut, das ist ein zuverlässiger Kollege, […] dem geben wir mal vielleicht Arbeit in der Kabine, der kann sich sein Geld verdienen.“245

Insbesondere ältere Arbeiter sahen sich aufgrund ihres Alters diskriminiert, da sie dem Arbeitgeber unterstellten, „lieber jüngere Arbeitskräfte“ einzustellen, was im vorangegangenen Kapitel 4.1 dargelegt werden konnte.246 So entfielen durch die Einführung der Roboter zahlreiche sogenannte Schonarbeitsplätze (AL-Plätze). Ein Arbeiter beschrieb diesen Vorgang eindrücklich. An seinem Schonarbeitsplatz sei ein Roboter eingesetzt worden, da sich die körperlich eingeschränkten Arbeiter geweigert hätten, noch höhere Stückzahlen zu fertigen wie zuvor.247 Seiner Meinung nach waren die Schonarbeitsplätze trotz der geringeren Arbeitsbelastung anstrengend und die geforderten Stückzahlen kaum erreichbar. Durch die Einführung der Roboter verloren sie allerdings diese Arbeitsplätze und mussten zunächst wieder an den üblichen Plätzen fertigen, solange bis neue AL-Plätze eingerichtet wurden.248 Auch dies führte zu einem Vertrauensverlust gegenüber den Vorgesetzten und demonstrierte die empfundene Ohnmacht der betroffenen Arbeiter. Dennoch scheint diese Ohnmacht ein Teil ihrer Alltagsrealität gewesen zu sein, wie die Aussage eines Werkers aus der Endmontage nahelegt: „Hier im Werk ist das normal. Da kann man sich nicht gegen wehren. Der Mann wird irgendwo anders hingesteckt. Der Vater in der Lackiererei ist auch weggekommen und mußte sich damit abfinden, daß er woanders hinkam. Der Roboter ist eine Maschine wie jede andere auch.“249

Das Zitat zeigt, dass die Arbeiter daran gewöhnt waren, ihren Arbeitsplatz aufgrund von Mechanisierung zu verlieren und infolgedessen an eine andere Stelle im Werk versetzt wurden. Sie müssten dies akzeptieren, ohne sich zu „wehren“. Während das HdA-Programm forderte, den Menschen in den Mittelpunkt der Produktion zu stellen und die Maschinen an seine Bedürfnisse anzupassen, geht aus diesem Zitat das genaue Gegenteil hervor. Die Arbeiter mussten sogar von extra geschaffenen Schonarbeitsplätzen weichen, um die Produktion ausreichend

245 IfS Frankfurt A 117 Ordner 6 Gruppengespräch am 21.05.1980, S. 3. 246 eLabour-SOFI-IR01_003_005.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Presswerk, 55 Jahre am 28.09.1977, S. 8. 247 eLabour-SOFI-IR01_003_016.pdf Gespräch mit CO2-Schweißer aus dem Rohbau, o. A. am 11.10.1977, S. 3. 248 Ebd., S. 3. 249 eLabour-SOFI-IR01_006_017.pdf Gespräch mit Arbeiter aus der Endmontage, 20 Jahre o. D., S. 5.

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hoher Stückzahlen zu ermöglichen.250 Wer es nicht schaffte „im Takt der Maschine zu bleiben“, wurde an einen anderen Arbeitsplatz versetzt.251 Außerdem bestimmte nicht mehr die Leistungsfähigkeit des einzelnen Werkers die Stückzahlen, sondern die Roboter. Insofern gab nun das Leistungsvermögen der Maschine die Soll-Vorgaben für die Stückzahlen vor und nicht die individuelle, menschliche Leistungsfähigkeit.252 Die Werker hatten bei all diesen Prozessen kaum Mitspracherechte. Dieses Maschinenparadigma und die Maschinenordnung im Betrieb lassen sich aber schon in früheren Jahrzehnten in Unternehmen der Weimarer Republik nachweisen, wenngleich der Mechanisierungs- und Automationsgrad mit dem der 1970er Jahre nicht vergleichbar war.253 Auch in den Betrieben der Weimarer Republik ging es um die Optimierung der menschlichen Leistungsfähigkeit im Zusammenspiel mit der Maschine.254 Der Mensch galt als ein Maschinenteil, das bestmöglich in die Produktion zu integrieren war.255 Durch das Human Relations-Konzept ab der Mitte des 20. Jahrhunderts gewann jedoch der Mensch in bundesdeutschen Unternehmen als soziales Wesen wieder an Bedeutung und damit einhergehend die sozialen Beziehungen im Betrieb.256 Allerdings ging es nicht primär darum, den Produktionsprozess an den Menschen und seine Bedürfnisse anzupassen, sondern die Ressource Mensch effizienter zu nutzen, um deren Arbeitsbereitschaft und Leistung zu steigern, etwa durch soziale Bindungen oder umfangreiche betriebliche Sozialpolitik.257 Die soziale Einbindung gestaltete sich wegen der neuen Produktionstechnologien jedoch schwierig, denn die Arbeiter äußerten häufig die von ihnen empfundene soziale Isolation aufgrund der neuen Produktionstechnologien und der Produktionsumstellungen. Dadurch, dass die Arbeitsplätze nun weiter voneinander entfernt lagen und häufig nur noch Einzelarbeit an den Maschinen verrichtet wurde, ging der persönliche Kontakt zu Kollegen verloren.258 Es fand eine Individualisierung und eine Herauslösung aus kollegialen Verbänden der Arbeiter statt.259 Gegenseitige Unterstützung oder Hilfe gestalteten sich durch den Produktionsaufbau und die hohen Taktzeiten zunehmend schwierig: 250 BArch, B 149/27879, Forschungsaktionsprogramm zur Humanisierung des Arbeitslebens Februar 1974, S. 10f. 251 eLabour-SOFI-IR01_003_025.pdf Gespräch mit Springer aus Halle 18, 50 Jahre am 12.09.1977, S. 9. 252 IfS Frankfurt A 117 Ordner 6 Gruppengespräch am 21.05.1980, S. 15f. 253 LUKS, TIMO 2010, Der Betrieb als Ort der Moderne, S. 138–145. 254 PATZEL-MATTERN, Katja: Menschliche Maschinen – Maschinelle Menschen? Die industrielle Gestaltung des Mensch-Maschine-Verhältnisses am Beispiel der Psychotechnik und der Arbeit Georg Schlesingers mit Kriegsversehrten, in: Würzburger medizinhistorische Mitteilungen 24 (2005), S. 386. 255 LUKS, TIMO 2010, Der Betrieb als Ort der Moderne, S. 140f. 256 Ebd., S. 147. 257 Ebd., S. 147 und S. 153; UHL, KARSTEN 2014, Humane Rationalisierung?, S. 350. 258 Vgl. RUPPERT, WOLFGANG 1988, Die Arbeiter, S. 33; AßLÄNDER, MICHAEL 2005, Von der vita activa zur industriellen Wertschöpfung, S. 340f.; eLabour-SOFI-IR01_003_016.pdf Gespräch mit CO2-Schweißer aus dem Rohbau, o. A. am 11.10.1977, S. 4. 259 RUPPERT, WOLFGANG 1988, Die Arbeiter, S. 33.

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„Früher hat man besseren Kontakt gehabt mit den Kollegen. Das muß ich ganz ehrlich sagen. Wir mußten 50 Teile machen und da hat man dem anderen geholfen. Das liegt heute nicht mehr drin. Da heißt es, Vogel friß oder stirb. Da ist jeder froh, wenn er seine Arbeit fertig hat. Früher war es besser.“260

Das Zitat erweckt den Eindruck, dass durch die Produktionsumstellung und die hohen Stückzahlen jeder Arbeiter nur noch für sich allein tätig sein konnte. Die Wortwahl „friß oder stirb“ offenbart, wie sehr die Werker unter Druck standen, die geforderte Leistung zu bringen. Daher war ihrer Ansicht nach Hilfe für andere kaum mehr möglich. Im Gegensatz zu ihren Kollegen boten die Maschinen den Arbeitern jedoch keine Solidarität: „Den Roboter kann man ja auch nicht in die Gewerkschaft aufnehmen, der zahlt nicht mit.“261 Infolgedessen stellte die Robotereinführung einen massiven Eingriff in die sozialen Beziehungen und Interaktionen der Arbeiter untereinander dar. Vor allem konnten die Werker aber weniger selbst bestimmen, wie schnell sie produzierten, denn der Roboter forderte nun eine kontinuierliche und gleichmäßige Produktion.262 War es in den 1960er Jahren noch möglich einzelne Bandabschnitte langsamer fahren zu lassen oder in Intervallen, war dies an den Roboterstraßen nicht mehr gegeben. Bei Schwierigkeiten musste die gesamte Anlage abgestellt werden.263 Auch daran offenbart sich, dass die Maschinen die Produktion bestimmten und den Takt vorgaben.264 „Der Roboter ist in puncto Ausdauer ganz eindeutig überlegen kann man sagen. Außerdem ist er gleichmäßiger als der Mensch. Der Mensch versucht mal schnell zu arbeiten, um Pausen rauszuholen.“265

Die Werker beschrieben, dass der Roboter im Vergleich zum Menschen nicht in seiner Leistung nachlasse oder ermüde.266 Daher wurden die Arbeiter einerseits durch die Vorgaben und Erfordernisse der Roboter in ihrer Handlungsfreiheit eingeschränkt sowie durch sie diszipliniert. Andererseits entstand zugleich eine Art Konkurrenzsituation zwischen Mensch und Maschine. Resultierend daraus gerieten besonders die Arbeiter, die mit der Maschine „nicht mithalten“ konnten, unter massiven Leistungsdruck.267

260 eLabour-SOFI-IR01_004_019.pdf Gespräch mit Straßenführer aus Halle 4, 50 Jahre am 24.10.1977, S. 4. 261 eLabour-SOFI-IR01_003_003.pdf Gespräch mit Einleger aus dem Presswerk, 41 Jahre am 26.09.1977, S. 5. 262 IfS Frankfurt A 117 Ordner 6 Gruppengespräch 07.12.1978, S. 21; eLabour-SOFIIR01_003_002.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Presswerk, 54 Jahre am 28.09.1977, S. 6. 263 IfS Frankfurt A 117 Ordner 6 Gruppengespräch am 21.05.1980, S. 15. 264 LUKS, TIMO 2010, Der Betrieb als Ort der Moderne, S. 228. 265 eLabour-SOFI-IR01_003_003.pdf Gespräch mit Einleger aus dem Presswerk, 41 Jahre am 26.09.1977, S. 5. 266 eLabour-SOFI-IR01_003_023.pdf Gespräch mit Arbeiter aus Halle 18, 25 Jahre am 19.09.1977, S. 5; IfS Frankfurt A 117 Ordner 6 Gruppengespräch am 20.05.1980, S. 20. 267 eLabour-SOFI-IR01_003_009.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Presswerk, 39 Jahre am 06.09.1977, S. 11; eLabour-SOFI-IR01_003_006.pdf Gespräch mit Arbeiterin aus dem

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Arbeiter als Konfliktpartner „Besser ist er wohl nicht, aber der hat mehr Ausdauer, der wird nicht müde, denn das geht ihm nicht in die Knochen.“268

Allerdings ist aus dieser und auch der Mehrheit der gegebenen Antworten der Arbeiter herauszulesen, dass sie nicht glaubten, der Roboter könne den Menschen in der Produktion vollständig ersetzen. Dazu seien die Aufgaben zu vielfältig und die Maschinen zu fehleranfällig. Dennoch gab es unter ihnen eine latente Angst vor der eigenen Ersetzbarkeit.269 Die Unternehmensleitung wusste um die höhere Taktgebundenheit infolge der neuen Fertigung.270 Ausschlaggebend für den Einsatz der neuen Produktionstechnologie war, dass Fertigungspersonal eingespart und manuelle Arbeit verringert werden konnten.271 Aufgrund der erhöhten Taktzeit und Stückzahl, der Konkurrenz mit dem Roboter und den dadurch eingeschränkten Handlungsrahmen nahm die Arbeitsunzufriedenheit der Werker zu.272 Die Arbeitsabläufe und die Zeit, in der sie ihre Tätigkeiten ausüben mussten, wurden nun vollständig durch die Maschine bestimmt.273 So gestaltete sich schon das „Austreten“ außerhalb der geregelten Pausen für die Arbeiter schwierig. Waren früher ausreichend Kollegen vor Ort, um die Arbeit für wenige Minuten zu übernehmen, konnten die Arbeiter nun nicht mehr so leicht ihren Platz verlassen. Sie mussten den Vorarbeiter um eine Ablöse oder einen Springer bitten, damit sie auf die Toilette gehen konnten.274 Außerdem hatten einige Arbeiter das Gefühl, dass sie selbst zu Robotern werden sollten: „Der Mensch ist ein Roboter bei der Bandarbeit. Es wird einem vorgeschrieben, wieviel man machen muß.“275

Die neuen Technologien restringierten alles, was „menschlich“ war, wie unterschiedliches Arbeitstempo, Leistungsspitzen, Herausarbeiten von kleineren Pausen, Vorarbeiten für einen früheren Feierabend oder Zeit für Toilettengänge au-

268 269 270 271 272

273 274

275

Presswerk, 48 Jahre am 08.09.1977, S. 10; eLabour-SOFI-IR01_003_004.pdf Gespräch mit Maschinenbedienerin aus dem Presswerk, o. A. am 08.09.1977, S. 3. eLabour-SOFI-IR01_004_026.pdf Gespräch mit Straßenführer aus dem Rohbau, o. A. am 07.10.977, S. 5. Vgl. eLabour-SOFI-IR01_004_008-014.pdf. IfS Frankfurt A 117 Ordner 8 Gespräch mit Mitarbeiter des Qualitätswesens am 22.04.1980, S. 1f. IfS Frankfurt A 117 Ordner 7 Gespräch mit Werksleiter o. D., S. 4. eLabour-SOFI-IR01_003_002.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Presswerk, 54 Jahre am 28.09.1977, S. 7; eLabour-SOFI-IR01_004_023.pdf Gespräch mit Einlegerin aus dem Untergruppenrohbau am 10.10.1977, S. 3. eLabour-SOFI-IR01_004_014.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Untergruppenrohbau, 45 Jahre am 07.10.1977, S. 3. Vgl. eLabour-SOFI-IR01_003_022.pdf Gespräch mit Arbeiter aus Halle 18, o. A. am 15.09.1977, S. 7f.; IfS Frankfurt A 117 Ordner 6 Gruppengespräch am 21.05.1980, S. 22; eLabour-SOFI-IR01_007_013.pdf Gespräch mit Bereitsteller aus der Montage, o. A. und o. D., S. 5. eLabour-SOFI-IR01_003_019.pdf Gespräch mit Abstapler aus Halle 18, o. A. am 12.09.1977, S. 7.

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ßerhalb der geregelten Pausen. Die Werker fühlten sich somit in Konkurrenz mit der Maschine und nahmen an, dass ihre Vorgesetzten sie zu Robotern erziehen wollten276: „Ja, die Leute müssen sich ja der Maschine unterwerfen. Die kriegen ja das Tempo von der Maschine und machen ein paar tausend mal die gleiche Handbewegung. Die Roboter sind irgendwie, wie schon gesagt, eine Nachbildung des Menschen. Und umgedreht kann man das genauso sehen, daß der Mensch zum Roboter wird.“ 277

So müssten sie sich der Maschine gar „unterwerfen“ und entwickelten sich durch die Arbeit an ihr selbst zu einer Maschine. Die Aussage beweist, dass die Arbeiter den Einschnitt in ihre Selbstbestimmung durch die neuen Produktionstechnologien als massiv empfanden. Wie zeitlich dicht getaktet die Straßen waren und wie sehr der Leistungsdruck für die Arbeiter anstieg, lässt sich ebenso an dem immer wieder geäußerten Umstand erahnen, dass „nichts passieren dürfe“ bis zum Schichtende.278 Schon eine kleine Störung konnte dazu führen, dass die Arbeiter das Soll nicht mehr erreichten und sie dadurch immens unter Stress gerieten. Zudem erhöhte sich der Leistungsdruck aufgrund der schnelleren Bandgeschwindigkeit und der Kontrolle durch die Vorgesetzten. Zahlreiche der interviewten Werker gaben an, dass die Arbeitsbelastung durch die verkürzten Taktzeiten zugenommen habe und die Arbeit somit eine „richtige Knüppelei“ sei.279 Dadurch könnten die Arbeiter nicht mehr kleinere „Klönpausen“ zum „Zeitunglesen“ oder für Gespräche mit Kollegen herausarbeiten.280 Es gab nun festgesetzte Pausenzeiten, die sie einhalten mussten und welche insbesondere von den Werksärzten begrüßt wurden.281 Früher hatten die Arbeiter nach Aussage eines Werksarztes die Pausen durchgearbeitet, „um hinterher diese unsinnigen Zeiten herauszuholen, wo dann Skat gespielt wird oder so.“282 Insofern sahen die Werksärzte den gesundheitlichen Vorteil der geregelten Pausenzeiten, da die Werker nun gezwungen waren sich zeitig von der Arbeit zu erholen und somit ihre Gesundheit schonten, was aber wiederum bedeutete, dass dies mit einer Disziplinierung der Werker einherging und ihr Handlungsrahmen damit erneut beschnitten wurde. Das stellte eine von zahlreichen auch politisch erzwungenen Arbeitsschutzmaßnahmen in bundesdeutschen Unternehmen der 1970er Jahre dar.283 Allein die Existenz von Werksärzten in Betrieben war Teil des neuen Arbeitssicherheitsgesetzes von

276 eLabour-SOFI-IR01_003_005.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Presswerk, 55 Jahre am 28.09.1977, S. 6. 277 eLabour-SOFI-IR01_005_014.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Presswerk, 21 Jahre am 13.09.1977, S. 9. 278 eLabour-SOFI-IR01_006_008.pdf Gespräch mit Maskenfahrer aus der Gießerei, 43 Jahre am 20.10.1977, S. 6. 279 IfS Frankfurt A 117 Ordner 6 Gruppengespräch am 20.05.1980, S. 4; S. 6f. und S. 9. 280 Ebd., S. 13; eLabour-SOFI-IR01_004_023.pdf Gespräch mit Einlegerin aus dem Untergruppenrohbau am 10.10.1977, S. 4. 281 IfS Frankfurt A 117 Ordner 7 Gespräch mit Werksarzt am 30.11.1978, S. 10. 282 Ebd., S. 10. 283 WEBER, WOLFHARD 1988, Arbeitssicherheit, S. 203–209.

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1973.284 Darüber hinaus erweiterten das Betriebsverfassungsgesetz und die Arbeitsstättenverordnung von 1976 den Arbeitsschutz nicht nur um den umfassenden Schutz vor Gefahren im Arbeitsprozess, sondern auch um die Berücksichtigung „arbeitswissenschaftlicher Erkenntnisse“ bei der Arbeitsplatzgestaltung.285 Das HdA-Programm und die dadurch finanzierten Forschungsprojekte zur ergonomischen Arbeitseinrichtung sowie zur Beseitigung schädlicher Umgebungseinflüsse in der Industrie trugen ebenfalls zu diesem politisch verordneten Arbeitsschutz bei. Eine Erklärung für den Wandel in der Arbeitsschutzpolitik findet sich im Programmtext: „Die Erhaltung der Arbeitskraft und die Nutzung der Fähigkeiten des Menschen im Arbeitsleben ist zwar vor allem ein sozialpolitisches Ziel, das jedoch auch aus volkswirtschaftlicher und betriebswirtschaftlicher Sicht verfolgt werden muß: Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen führt zu einer Senkung der unfall- und berufsbedingten Krankheitskosten. Die Folgekosten für alle Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten werden auf über 10 Milliarden DM pro Jahr geschätzt.“286

Daraus geht hervor, dass die Bundesregierung sich durch die neue Arbeitsschutzpolitik inklusive Gesundheitsprävention und die neuen arbeitswissenschaftlichen Erkenntnisse mittels der HdA-Projekte eine deutliche Senkung der Kosten für Berufskrankheiten und Arbeitsunfälle erhoffte. Infolge des Erhalts und der Förderung der Gesundheit des Arbeiters wollten die Programmverfasser die Steigerung seiner Leistungsfähigkeit bis ins hohe Alter erreichen. Dies sollte wenn nötig durch den Aspekt der Disziplinierung in den Betrieben mit Hilfe von Verhaltensvorschriften, Schutzmaßnahmen und einer ergonomischen Arbeitsplatzgestaltung erreicht werden.287 Denn wie das obige Beispiel bezüglich der Pausen im Arbeitsprozess verdeutlicht, setzten die Arbeiter andere Prioritäten als die Werksärzte, Politiker und ihre Vorgesetzten. Während die Arbeiter lieber „vorarbeiteten“, um früher Feierabend zu haben und somit Pausen teilweise nicht einhielten, befürworteten die Programmverfasser, Ärzte und Vorgesetzten, dass die Werker ihre Erholzeiten288 wahrnahmen, um ihre körperliche Gesundheit zu erhalten und somit langfristig leistungsfähig zu bleiben. Um dieses Ziel zu erreichen, galt es, die Arbeiter durch Zwang umzuerziehen. 284 KLEINÖDER, Nina: Risikoregulierung am Arbeitsplatz – Zwischen Rationalisierung und Gesundheitsschutz. Ein Problemaufriss zur Geschichte des Arbeitsschutzes am Beispiel der Eisen- und Stahlindustrie zum Ende des 20. Jahrhunderts, in: Kontrollierte Arbeit – disziplinierte Körper? Zur Sozial- und Kulturgeschichte der Industriearbeit im 19. und 20. Jahrhundert, hrsg. v. Lars BLUMA/Karsten UHL, Berlin 2012, S. 170. 285 Ebd., S. 170. 286 BArch, B 149/27879, Forschungsaktionsprogramm zur Humanisierung des Arbeitslebens Februar 1974, S. 9. 287 KLEINÖDER, NINA 2012, Risikoregulierung am Arbeitsplatz, S. 187. 288 Die Erholzeit legt die Zeit fest, die ein Mensch für die Erholung von seiner erbrachten Arbeitsleistung und nach der Ausübung verschiedener Arbeitsschritte benötigt, um seine Dauerleistungsgrenze nicht zu überschreiten. Diese ist verbindlich und kann nicht wie die persönliche Verteilzeit vom Arbeitnehmer frei gelegt werden. Vgl. LUCZAK, Holger: Arbeitswissenschaft, Berlin/Heidelberg 21998, S. 655.

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Außerdem wirkte sich die Einführung der Roboter negativ auf den Umgang zwischen Arbeitern und Vorgesetzten aus. So reagierten die Vorgesetzten, welche die Arbeiter bemerkenswerterweise auch als „Vizepräsidenten“ bezeichneten, aus ihrer Sicht häufig gereizt auf Störungen an den Maschinen.289 „Du hast ein falsches Teil aufgelegt, du mußt das Teil auswechseln, was meinst du wohl, was dann los ist. Entweder wirst du angebrüllt […] dann wirst du ausgewechselt, da brauchen wir uns doch gar nichts vormachen.“290

Somit erscheint der Mensch als regelrechter Störfaktor in der Produktion. Schon der Einsatz des Fließbandes in der Weimarer Republik und die fortschreitende Automatisierung seit den 1950er Jahren in den Betrieben sollten dazu dienen, unkontrollierte Interventionen des Menschen zu eliminieren.291 Aus Sicht der Arbeiter fungierten sie nun als Blitzableiter für die Wut ihrer Vorgesetzten, wenn die Roboter nicht funktionierten, „denn die Maschine können sie nicht anschreien, die wird ja keine Antwort geben.“292 Daran offenbart sich, dass die Einführung der neuen Produktionstechnologien nicht nur erhebliche Auswirkungen auf die sozialen Beziehungen der Arbeiter untereinander hatte, sondern auch auf die zwischen Arbeitern und Vorgesetzten. Überdies gehen aus den Bemerkungen der Arbeiter die Erzeugung von Leistungsdruck, Disziplinierung und Kontrolle durch ihre Vorgesetzten hervor. Aus ihrer Sicht übten die Vorgesetzten massiven Druck auf sie aus, die gesetzten Stückzahlen zu erreichen: „[Der] Vorarbeiter, der drückt unwahrscheinlich. Die Leute beschweren sich. Wenn der Vorarbeiter weg ist, werden die Leute auch arbeiten. Der ist ständig hinter einem her.“ 293

Die Werker bezeichneten ihre Arbeit daher als „Zwang“ und sich selbst als unfrei: „Der ganze Druck, der hier so drauf liegt; man muß arbeiten, man kann sich keine Arbeit aussuchen, das ist schon ein Zwang. Jeder kann das wohl nicht aushalten. Einer, der frei war, der sagt vielleicht, so unter Aufsicht kann ich nicht arbeiten.“294

Ihrer Wahrnehmung nach konnten sie keine eigenen Entscheidungen in Bezug auf die Ausübung ihrer Tätigkeit und ihr Arbeitspensum treffen. Insofern fühlten sich zahlreiche von ihnen handlungsunfähig, da die Vorgesetzten die Entscheidungsgewalt weiterhin in ihrem Einflussbereich hielten. Es wird deutlich, dass die Arbeiter kaum über Mitspracherecht verfügten, an welche Arbeitsplätze sie versetzt wurden und es letztlich den Vorgesetzten oblag, sie neu einzuteilen und ihre Eignung für die Ausübung einer Tätigkeit einzuschätzen. Dies stand im Gegensatz zu den Forderungen im HdA-Programm, das den Arbeitern Mitsprache an der Aus289 IfS Frankfurt A 117 Ordner 6 Gruppengespräch am 21.05.1980, S. 22.; IfS Frankfurt A 117 Ordner 6 Gruppengespräch am 22.05.1980, S. 13f. 290 IfS Frankfurt A 117 Ordner 6 Gruppengespräch am 21.05.1980, S. 26. 291 LUKS, TIMO 2010, Der Betrieb als Ort der Moderne, S. 220f. 292 IfS Frankfurt A 117 Ordner 6 Gruppengespräch am 21.05.1980, S. 27. 293 eLabour-SOFI-IR01_004_026.pdf Gespräch mit Straßenführer aus dem Rohbau, o. A. am 07.10.1977, S. 3. 294 eLabour-SOFI-IR01_004_014.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Untergruppenrohbau, 45 Jahre am 07.10.1977, S. 10.

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übung ihrer Tätigkeit sowie Selbstverwirklichung ermöglichen wollte. Für die im Industrieroboter-Projekt befragten Arbeiter hatten die Betriebshierarchien und die Befehlskette also Bestand und wirkten sich somit negativ auf ihre Arbeitsumstände aus. Sie mussten sich ihren Vorgesetzten unterordnen und in ihrer persönlichen Freiheit einschränken: „Das totale Unterordnen. Wer hier ins Werk reingeht, der ist eine Nummer, das ist klar.“ 295

Die Arbeiter wussten folglich um ihre Ersetzbarkeit. Tatsächlich wecken ihre Beschreibungen Assoziationen mit dem Militär, etwa die Anmerkung, im Zweifelsfall immer lieber den Anweisungen der Betriebsleitung zu folgen, selbst wenn sie unsinnig erschienen. Beging diese einen Fehler, sei jener im Nachhinein noch zu verhandeln. Für den Arbeiter hätte eine Zuwiderhandlung gegen die Werksordnung oder gegen Befehle der Vorgesetzten allerdings schwerwiegende Folgen.296 Wer Befehle von Vorgesetzten missachtete, musste demnach mit Strafmaßnahmen rechnen. Daher fühlten sich die Arbeiter in ihren Entscheidungen nicht frei. Ebenso ist es bemerkenswert, dass alle Arbeiter zwischen „drinnen“, also dem Werk und „draußen“ unterschieden, als Vergleich zweier Welten, in denen für sie unterschiedliche Rechte und Pflichten galten, wobei die Betriebswelt immer sehr negativ konnotiert wurde. Das schlägt sich auch in anderen Forschungsarbeiten über Arbeitserfahrungen von Werkern bei VW nieder.297 Häufig assoziierten die Arbeiter mit dem Betrieb „Unfreiheit“ und bezeichneten ihn etwa als „Klapsmühle“ oder „Gefängnis“.298 „Der Meister sagt dies, sagt das, sagt jenes, geh mal da hin, mach mal das, oder heute arbeitest du mal da ... das sind die Leute da draußen ja nicht gewohnt. Deswegen sagen die, ich laß mir von keinem etwas sagen, hier draußen bin ich mein freier Herr.“299

Die Arbeiter berichteten von einer permanenten Beaufsichtigung, Gängelung und Kontrolle, der sie sich nicht entziehen konnten. Daher fühlten sie sich wie „im Knast“ und „eingesperrt“.300 Ebenso beschrieben sie ein Klima der Angst im Betrieb, insbesondere bei der Umstellung der Produktion in Folge der neuen Techno295 eLabour-SOFI-IR01_004_007.pdf Gespräch mit Arbeiter aus Halle 18, o. A. am 15.09.1977, S. 13. 296 „Vor allen Dingen: Nicht gegen die Werksordnung verstoßen und den Anordnungen der Vorgesetzten Folge leisten. Auch diese Leute können sich mal irren, aber dann kann man darüber reden.“ eLabour-SOFI-IR01_005_004.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Presswerk, o. A. am 14.09.1977, S. 11. 297 NOLL, PAUL 1982, „Das alles frisst – 25 Jahre Arbeit bei VW“, S. 56. 298 eLabour-SOFI-IR01_005_019.pdf Gespräch mit Maschinenführer aus dem Untergruppenrohbau, 53 Jahre am 28.09.1977, S. 10; eLabour-SOFI-IR01_003_007.pdf Gespräch mit italienischem Arbeiter aus dem Presswerk, 38 Jahre am 12.09.1977, S. 18. 299 eLabour-SOFI-IR01_005_020.pdf Gespräch mit Punktschweißer aus dem Untergruppenrohbau, 46 Jahre am 27.09.1977, S. 18. 300 „Die fühlen sich wie im Knast, wenn die ins Werk reinkommen. Ständig beaufsichtigt. Man kann noch nicht mal aus dem Werk rausgehen, wenn man will. Hier sind wir quasi eingesperrt.“ eLabour-SOFI-IR01_004_004.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Presswerk, o. A. am 12.09.1977, S. 13.

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logien. Nach ihren Schilderungen trauten sich ihre Kollegen nicht, Kritik an die Vorgesetzten heranzutragen aus Angst, ihren Arbeitsplatz zu verlieren oder bei der Umsetzung durch die Roboter schlechtere Arbeitsplätze zu erhalten.301 „Die Kollegen sind doch alle mucksmäuschenstill. Da will sich doch, auf deutsch gesagt, keiner die Schnauze verbrennen. Das müßte eigentlich auch die Aufgabe vom Vorarbeiter sein, daß der Arbeitsplatz mal gewechselt wird. Aber die sagen ja auch nichts.“ 302

Außerdem offenbart das Zitat, dass auch die direkten Vorgesetzten, wie Meister und Vorarbeiter, beim Umstellungsprozess in der Produktion unter Druck standen und sich ebenso mit Kritik an ihren Vorgesetzten, den Abteilungsleitern, zurückhielten, was abermals auf die strikten Betriebshierarchien rekurriert. Obwohl einige Arbeiter mit ihren neuen Arbeitsplätzen oder den Arbeitsbedingungen unzufrieden waren, verzichteten sie aus Angst vor Tätigkeitsverlust darauf, mit den Vorgesetzten darüber zu sprechen oder sich darüber zu beschweren. Die Umstellung der Produktion stellte demnach für die Arbeiter eine besondere Belastungssituation dar.303 Die Angst vor dem „Ärger mit dem Vorgesetzten“ und vor dem Arbeitsplatzverlust führte zu einer gesteigerten Arbeitsleistung. So schafften die Arbeiter das neue Soll, obwohl die Betriebsleitung bei der Einführung der Industrieroboter höhere Stückzahlen als zuvor festgelegt hatte: „Das Komische bei allem ist, wenn eine neue Technik mit immer höherer Stückzahl kommt, dann wird neu abgestoppt und die Leute die schaffen das neue Soll denn auch. Das liegt wohl daran, daß keiner Ärger mit dem Vorgesetzten haben will, daß keiner belästigt werden will von seinem Vorgesetzten, deshalb wollen alle ihr Soll schaffen. […] So kommt es, daß man auch mal früher anfängt, so 10 Minuten, damit man dann auch etwas noch vor dem Feierabend oder praktisch mit dem Feierabend fertig ist.“304

Die Arbeiter selbst führten das bewältigte Soll auf die Angst vor ihren Vorgesetzten zurück. Ihre Furcht reichte sogar so weit, dass sie teilweise schon vor ihrem Schichtbeginn mit der Produktion anfingen, um zu gewährleisten, dass sie ausreichend hohe Stückzahlen herstellen konnten. Die rigiden Betriebshierarchien bei VW lassen sich auch daran erkennen, dass zahlreiche Werker den Wunsch nach einer kooperativeren Arbeitsatmosphäre und einem respektvolleren Umgang der Vorgesetzten mit ihnen äußerten:

301 Vgl. eLabour-SOFI-IR01_006_004.pdf Gespräch mit Kerneeinleger aus der Gießerei, 50 Jahre am 26.10.1977, S. 10. 302 eLabour-SOFI-IR01_004_019.pdf Gespräch mit Straßenführer aus Halle 4, 50 Jahre am 24.10.1977, S. 8. 303 „Man hat es ja immer schon an ihren Gesichtern gesehen, sie hatten ja schon irgendwie einen ängstlichen Ausdruck. Die haben ja schon ängstlich gefragt, Mensch, wo komme ich hin, was muß ich machen.“ eLabour-SOFI-IR01_004_024.pdf Gespräch mit Maschinenführer aus dem Untergruppenrohbau, 34 Jahre am 14.09.1977, S. 5. 304 eLabour-SOFI-IR01_006_008.pdf Gespräch mit Maskenfahrer aus der Gießerei, 43 Jahre am 20.10.1977, S. 4.

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Arbeiter als Konfliktpartner „Die Vorgesetzten müssen sich auch hineinversetzen in die Arbeiter. Die müssen nicht nur immer draufschlagen und sagen: Hauptsache die Stückzahlen stimmen.“305

Allein die Wortwahl „draufschlagen“ zeigt, wie die Arbeiter ihre Lage empfanden. Sie standen in der Befehlskette unten und bezogen daher „Schläge“ von den oberen Hierarchieebenen. Laut den Arbeitern fehle den Vorgesetzten bei VW das „Menschliche“. Der Ton war rau untereinander. Doch die Werker blieben nicht nur passiv, sondern erwiderten die verbalen Angriffe, indem sie „zurückbrüllten“.306 Es scheint, dass es durch die Produktionsumstellung zu Spannungen zwischen den Arbeitern und ihren direkten Vorgesetzten kam, obgleich sich die sozialen Beziehungen als essenziell für den erfolgreichen betrieblichen Wandel im Kapitel 3.1 herauskristallisierten. Die Werker warfen ihren Vorgesetzten vor, ihnen oft abwertend gegenüberzutreten und ihnen absichtlich ihre Ersetzbarkeit vor Augen zu führen: „Das gilt auch für das leitende Personal. Die sollten sich auch humaner einstellen. Nicht immer nur: Ich bin der Chef, und ihr seid die Nummern. Das ist Mist. Wenn man den ganzen Tag nur angefaucht wird, macht die Arbeit auch keinen Spaß.“307

Dieses schlechte Arbeitsklima wirkte sich demnach massiv auf die Arbeitszufriedenheit und -motivation der Werker aus. Darüber hinaus lässt sich aus den Äußerungen der Arbeiter nach Einführung der Industrieroboter eine zunehmende Kontrolle der Vorgesetzten herauslesen. So sei deren Präsenz in der Produktion nun stärker als früher.308 „Wenn ich mit [einem] Mann da vorne an der Maschine und dem einen geht es nicht so, d. h. der andere macht die Arbeit mit, aber die Stückzahl kommt nicht raus. Dann kommt der Vorgesetzte und sagt: Was ist hier los? Die Stückzahl. Der Tacho ist da oben, da oben steht die Zahl. In einer Stunde, das und das müßt ihr bringen. Wieviel habt ihr rausgekriegt? Was war los hier?“309

Die Vorgesetzten kontrollierten schon bei kleinen Unregelmäßigkeiten die Störquellen in der Produktion und stellten die dafür verantwortlichen Arbeiter zur Rede. Die Bewegungs- und Handlungsfreiheit der Werker wurde dadurch weiter begrenzt. So löste, wie das Zitat oben beschreibt, schon eine vorübergehende gesundheitliche Einschränkung, die mit temporärem Leistungsabfall einherging, ein Nachfragen der Vorgesetzten aus. Diese erweiterte Kontrolle schlug sich ebenso im Aufbau der Produktion nieder. Demzufolge wurden transparente „Zwischen-

305 eLabour-SOFI-IR01_004_032.pdf Gespräch mit Arbeiter aus der Gießerei, 33 Jahre am 20.10.1977, S. 9. 306 „Die sollten eine bessere mitarbeiterliche Atmosphäre schaffen, das ist meine größte Bitte. Hier sind so viele Leute als Vorgesetzte eingesetzt, denen das Menschliche fehlt. Wenn die Vorgesetzten brüllen, dann ist das nicht gut. Dann muß man zurückbrüllen.“ eLabour-SOFIIR01_004_035.pdf Gespräch mit Springer aus der Lackiererei, 43 Jahre am 29.11.1977, S. 12. 307 eLabour-SOFI-IR01_006_009.pdf Gespräch mit Arbeiterin aus der Kunststoffteilefertigung, 29 Jahre am 27.10.1977, S. 8. 308 IfS Frankfurt A 117 Ordner 6 Gruppengespräch am 20.05.1980, S. 7. 309 Ebd., S. 14.

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decken“ über die Produktionshallen eingezogen, die es den Vorgesetzten ermöglichten, die Arbeiter von oben bei ihrer Tätigkeit zu beobachten. „Bei uns hat man so eine Art Zwischendecke gezogen, so mit Maschendraht, und da laufen dann oben die Vorgesetzten rum und können uns da herrlich beobachten. […] da ist es ja noch schlimmer. Die gucken von oben direkt runter im Glaskasten.“ 310

Diese Beschreibung erscheint als Sinnbild für die betrieblichen Hierarchien. Demnach unterschied dieser Aufbau der Produktionshalle zwischen „oben“ und „unten“ und bildet die einseitige Kontrolle durch die Vorgesetzten ab, welche die Arbeiter im Blick behalten konnten. Diese Konstruktion weckt Assoziationen mit einem Panoptikum. Jenes Baukonzept fand im 19. Jahrhundert zunächst Anwendung in Gefängnissen und später in Fabriken, um eine umfassende Sicht auf die Insassen oder Arbeiter und deren Kontrolle für die Gefängnis- und Unternehmensleitung zu gewährleisten.311 Die Arbeiter fühlten sich dadurch bei der Ausübung ihrer Tätigkeiten permanent beobachtet und zur Schau gestellt. Außerdem drücken sich Hierarchien ebenso in der Asymmetrie von Wissen aus. Diese Asymmetrie von Wissen findet sich in der Aussage eines Abteilungsleiters der Fertigungsplanung wieder: „Darüber hinaus wird in Abständen jeder einzelne Werker, ohne daß er es weiß, kontrolliert.“312

Zusätzlich zur normalen Qualitätskontrolle wurden also die Tätigkeiten jedes einzelnen Arbeiters in unregelmäßigen Zeitabschnitten von der Betriebsleitung ohne sein Wissen kontrolliert. Da den Werkern diese Information fehlte, konnten sie sich auch nicht dagegen wehren. Ferner wurden nicht alle Werker in gleicher Weise überprüft. Die Äußerung eines Abteilungsleiters macht klar, dass vor allem die leistungsschwachen Arbeiter unter engmaschiger Beobachtung standen: „Man darf nicht den „schwarzen Peter“ fahren in der Kette und die schwächsten Glieder stehen also unter besonderer Beobachtung.“313

Folglich wurden die Arbeiter mit geringer Leistung aufmerksam beäugt und wenn nötig an andere Arbeitsplätze versetzt. Aber noch ein anderer Faktor steigerte die Kontrolle in der Produktion. Zeitgleich zu den Industrierobotern wurden, wie schon in Kapitel 4.1 erwähnt, elektronische Personalinformationssysteme im Unternehmen eingeführt. Durch sie war es möglich, die Produktionszahlen in Echtzeit zu überprüfen und die Leistungen jedes einzelnen Arbeiters zu erfassen. So gab der Werksleiter von Hannover an, mit der Einführung des Personalinformationssystems „die Überwachung der Produktion“, die „heute in vielfach unzulängli310 Ebd., S. 7. 311 FOUCAULT, Michel: Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses, Frankfurt am Main 21977, S. 256ff.; ORTMANN, Günther: Der zwingende Blick. Personalinformationssysteme – Architektur der Disziplin, Frankfurt am Main 1984, S. 130f. 312 eLabour-SOFI-IR01_009_030.pdf Gespräch mit Abteilungsleiter aus der Fertigungsplanung Rohbau am 21.02.1978, S. 4. 313 IfS Frankfurt A 117 Ordner 8 Gespräch mit Abteilungsleiter im Nutzfahrzeugbau am 22.04.1980, S. 20.

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chem Maße mit manuellen Mitteln, mit Bleistift und Block in der Hand erfolgt“ mit den EDV-Systemen verbessern zu wollen.314 Die Einführung von EDVSystemen zur engmaschigen Überwachung der Produktion war in den 1970er Jahren allerdings kein spezifischer Einzelfall bei VW. Zahlreiche bundesdeutsche Großunternehmen, wie die Mannesmann AG, führten diese Systeme in ihren Produktionen ein.315 Eine stärkere Kontrolle durch die automatisierte Fertigung lag also eindeutig im Interesse der Führungsebenen. Diese Tatsache war wiederum den Arbeitern bei VW bewusst, welche sich durch die Einführung des Personalinformationssystems in ihrer Freiheit massiv eingeschränkt sahen: „Dann die Computer, die das überwachen, das Soll. Die verfluchten Computer spionieren uns aus. (Einschub Wissenschaftler: Er meint die zentrale Überwachung im Presswerk 1.) Jeder liebt aber ein bißchen Freiheit, daß man mal Pause machen kann, wir werden aber zentral überwacht. Wenn wir mal ein bißchen rumstehen, weil wir schon vorgearbeitet haben, dann wird von oben telefoniert und gefragt, was mit uns los ist.“ 316

Die Arbeiter fühlten sich „überwacht“ und „ausspioniert“. Erneut wecken ihre Äußerungen Assoziationen mit einem Gefängnis oder einem totalitären System, indem sie kontrolliert und diszipliniert wurden. Dieses Zitat beschreibt erneut das sofortige Eingreifen der Vorgesetzten, wenn sie einen Leerlauf in der Produktion erkannten. Tatsächlich ermöglichten die neuen EDV-Systeme die Erfassung und Speicherung von individuellen Mitarbeiterdaten und in Verbindung mit Arbeitsplatzdaten konnten Arbeitsplatzprofile erstellt werden. Diese machten eine Besetzung der jeweiligen Arbeitsplätze unter Berücksichtigung persönlicher Voraussetzungen und Eignung der Arbeiter durch die Vorgesetzten möglich.317 Jedoch waren nicht nur die un- oder angelernten Arbeiter von dieser erweiterten Kontrolle betroffen. Auch die „Spezialarbeiter“ und Facharbeiter, die für den Robotereinsatz ausgebildet waren, standen unter der Kontrolle der Werksleitung. Dies geht aus den Äußerungen eines Mitarbeiters der Instandhaltungsabteilung der Roboter hervor: „Wir haben festgestellt, daß unser Wartungspersonal nicht in der Lage ist, richtige Prioritäten zu setzen. […] Sie sind in manche Störungen so verliebt, daß sie unbedingt die Störung beseitigen wollen und nicht daran denken, daß hinten Autos rauskommen müssen. Wenn Sie also einen Elektriker haben, der sich jetzt richtig reinfrißt in ein Problem, dann hört und sieht der nichts mehr. Und wir haben erkannt, daß wir mehr Führungspersonal einsetzen müssen, um diese Prioritäten zu setzen und um koordinierend zu wirken.“ 318

Das bedeutet, dass auch die Facharbeiter unter enormem Zeitdruck standen, die Störungen an den Produktionstechnologien schnellstmöglich zu beheben und von ihren Vorgesetzten dazu angehalten und somit diszipliniert wurden. Ebenso wie 314 IfS Frankfurt A 117 Ordner 7 Gespräch mit Werksleiter o. D., S. 10. 315 KLEINÖDER, NINA 2012, Risikoregulierung am Arbeitsplatz, S. 179. 316 eLabour-SOFI-IR01_003_005.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Presswerk, 55 Jahre am 28.09.1977, S. 9. 317 OWETSCHKIN, DIMITRIJ 2016, Vom Verteilen zum Gestalten, S. 157. 318 IfS Frankfurt A 117 Ordner 8 Gespräch mit Mitarbeiter der Instandhaltung am 25.04.1980, S. 11.

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bei den un- und angelernten Arbeitern reduzierte sich ihre Handlungsfreiheit, indem nun Vorgesetzte entschieden, wie lange sie an einer Störung arbeiten durften und welche Störungen anderen in der Behebung vorzuziehen waren. Doch die Kontrolle beschränkte sich nicht nur auf die Gesamtgruppe der Arbeiter, sondern auch ihre direkten Vorgesetzten in der Produktion waren davon betroffen. Demzufolge erklärte der Stellvertreter der Rohbauleitung, dass „die hierarchische Kontrolle […] eigentlich auf allen Ebenen praktiziert [wird].“ Mittels Betriebsbegehungen und Treffen der Meister mit ihren Abteilungsleitern konnte diese Überwachung ihre Wirkung entfalten.319 Das bedeutet, dass die Kontrolle von den oberen Hierarchieebenen in die Produktion hineinwirkte und diese sich entlang der Befehlskette verstärkte. Selbst die Werksleitung in Hannover wurde von der Unternehmensleitung in Wolfsburg beaufsichtigt, sodass sich die Kontrollmacht durch die neuen Produktionstechnologien und EDV-Systeme ab den 1970er Jahren bei einer kleinen Gruppe von Personen konzentrierte. Folglich blieb die zentralistischhierarchische Gliederung VWs bestehen und verstärkte sich in den Produktionsbereichen noch.320 Der Werksleiter in Hannover versuchte, die Kontrolle und die Anspannung der Vorgesetzten bei der Umstellung der Produktion zu erklären und beschrieb die Situation wie folgt: „[…] für die Führungskräfte vor Ort, daß wir in der Anlaufphase einem enormen Stückzahldruck unterliegen. D. h. es wird ja von mir und von Wolfsburg jeden Tag kontrolliert, habt ihr auch eure Stückzahl gebracht? Liegt ihr in der Anlaufkurve und bringt ihr eure Leistung? Das muss auch sein. Wenn wir erst mal anfangen zu sagen, nun macht mal was ihr wollt, wenn ihr Schwierigkeiten habt, dann fahrt mal weniger, dann ist erst mal der Dampf aus dem Laden raus und dann kriegen sie jeden Tag eine andere Stückzahl und die Leistung ist weg.“ 321

Nach der Robotereinführung hatte das Werk Hannover – aus Sicht des Vorstandes in Wolfsburg – die Vorgabe eines bestimmten Solls zu erreichen. Um dies zu gewährleisten, frage die Unternehmensleitung in Wolfsburg täglich die Stückzahlen im Werk Hannover ab. Daher stand schon die Werksleitung in Hannover enorm unter Stress, die geforderte Leistung zu bringen und gab diesen an die unteren Hierarchieebenen weiter. Außerdem sei es laut Werksleiter notwendig, den Druck in der Anlaufphase der neuen Produktionstechnologien hoch zu halten, um die Leistungsvorgaben konstant zu erreichen. Folglich versuchte die Betriebsleitung durch die Erzeugung von Leistungsdruck und die dadurch hervorgerufene Angst vor dem Arbeitsplatzverlust bei den Arbeitern sowie ihren direkten Vorgesetzten die hohen Stückzahlen zu erreichen. Von einer flacheren Hierarchisierung, einer Dezentralisierung von Kontrolle oder Abgabe von Verantwortung, wie im HdAProgramm gefordert, konnte bei VW in den 1970er Jahren also nicht die Rede sein. Letztlich durften die Werker bei der Einführung neuer Produktionstechnologien nicht mitbestimmen, an welchen Arbeitsplatz sie versetzt wurden, mit wem 319 IfS Frankfurt A 117 Ordner 7 Gespräch mit dem Stellvertreter der Rohbauleitung am 29.11.1978, S. 51. 320 HAIPETER, THOMAS 2000, Mitbestimmung bei Volkswagen, S. 147. 321 IfS Frankfurt A 117 Ordner 8 Gespräch mit Werksleitung am 25.04.1980, S. 51f.

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sie zusammenarbeiteten oder welche Tätigkeit sie ausführten. Die Betriebshierarchien blieben intakt und wurden sogar durch die Einführung der Roboter noch gefestigt. So gingen die neuen Produktionstechnologien mit einer umfassenderen Kontrolle und Disziplinierung der Arbeiter sowie einem gesteigerten Leistungsdruck einher. Dies betraf allerdings nicht nur die Arbeiter, sondern auch ihre Vorgesetzten. Eine erweiterte Partizipation oder Selbstverwirklichung der angelernten Arbeiter durch die Umstellung der Produktion konnte in den HdA-Projekten zur Einführung von Industrierobotern nicht nachgewiesen werden. Vielmehr gerieten die Arbeiter in zunehmende Konkurrenz mit den neuen Maschinen, denen sie sich anpassen mussten, was erhebliche Auswirkungen auf ihre Arbeitszufriedenheit, ihre sozialen Bindungen in der Produktion und auf das Verhältnis zu ihren Vorgesetzten hatte. Demnach rückte folglich gerade nicht der Mensch in den Mittelpunkt der Produktion, sondern die neuen Produktionstechnologien. Wie verhielt es sich nun mit der Teilhabe im Gruppenarbeits-Projekt? War es hier möglich, die betrieblichen Hierarchien zu flexibilisieren und die Arbeiter stärker an Wissen und Entscheidungen partizipieren zu lassen? Ein Schlüsselfaktor, an dem sich die betrieblichen Hierarchien und Machtverhältnisse negativ auf den Projektverlauf auswirkten, war die Ausdifferenzierung der Gruppenautonomie. Projektleitung, Betriebsrat und Wissenschaftler waren sich darin einig, dass die Autonomie der Gruppe begrenzt werden müsse. Es sollte also keine Selbstverwaltung der Gruppen geben. So handelte es sich nicht um eine vollständige Autonomie, sondern um eine Teilautonomie, die an betriebliche Rahmenbedingungen gebunden war. Dies begründet der Vertreter der Personalabteilung im ÖPSZ wie folgt: „Man versetzt die Gruppen in eine ganz unglückliche Lage […] Aufgrund der fehlenden Kenntnisse der Gruppen […] begeben sie sich möglicherweise in Situationen, die ihnen zwar heute aufgrund des Anlaufs noch verziehen werden, aber ich meine, dass nicht die Gruppen selbst ihre Grenzen setzen können.“322

Er äußerte Bedenken darüber, dass die Gruppen zu wenig Wissen über betriebliche Abläufe, Tarifverträge und Funktionen respektive Hierarchien hatten und sie daher die Probleme und deren Auswirkungen nicht abschätzen konnten.323 Zwar würden ihnen diese Fehler in der Anlaufphase noch von ihren Vorgesetzten verziehen, aber später entstünden im Projekt daraus Probleme. Außerdem hielt er es für fahrlässig und ausgeschlossen, dass die Gruppen selbst ihren Handlungsrahmen festlegen durften. Folglich argumentierte er dafür, die betrieblichen Hierarchien zu erhalten. Dadurch verblieb das Wissen über betriebliche Abläufe weiterhin in den oberen Unternehmensebenen und diese gaben demgemäß auch die Rahmenbedingungen für die unteren Hierarchieebenen vor. Die Arbeiter sollten nicht ausführlich darüber in Kenntnis gesetzt werden, wie sie sich in diesen Hierarchien zu bewegen und zu verhalten hatten. Damit blieb ihnen die Möglichkeit verwehrt, mit dem Wissensstand ihrer direkten Vorgesetzten gleichzuziehen. 322 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ ÖPSZ 09.04.1976 II ab 01:39 Min. 323 Ebd. ab 14:18 Min.

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Gleichfalls hielten die im Betrieb anwesenden Wissenschaftler eine Autonomie der Gruppen für „gefährlich“.324 Die konkrete Sorge bezog sich vor allem auf den Vorfall in Gruppe 3, welche selbstständig Mitglieder ihrer Kerngruppe abgewählt hatte, die ihrer Meinung nach nur noch als Ersatzmänner fungieren sollten. Ihr Gruppensprecher argumentierte damit, dass es möglich sei, den Gruppensprecher abzuwählen, insofern sollte die Gruppe auch die Möglichkeit haben die Gruppenmitglieder zu ernennen.325 Die Diskussion über die Gruppenautonomie führte zu großen Verwerfungen zwischen den Arbeitern und den Vorgesetzten im ÖPSZ. Gruppe 3 hatte klare Vorstellungen von ihrer Autonomie: Gruppensprecher 3: „Wir fordern den vollen Autonom unserer Gruppe. Das heißt, dass wir auch bestimmen können, dass das Modell so gebaut wird, wie wirs haben wollen […] Und wenn man uns von oben […] terminliche Schwierigkeiten einräumt […] zu Unrecht uns von der Planung hier widerspricht und mit Tatsachen fungiert, das wäre zu teuer […] Man versucht uns […] vom Betrieb […] zu untergraben […] um uns zu erpressen, dass wir mit dem ihren Modell arbeiten. Und das läuft nicht.“326

Die Gruppe forderte nicht weniger als die volle Selbstbestimmung und begründete dies damit, dass sie sich von der Planung und der Projektleitung unterdrückt und erpresst fühlte. Demnach versuchte die Planung nach Ansicht der Gruppe zum einen, die Fertigung des von den Gruppenmitgliedern entworfenen Montagewagens mit dem Argument zu verhindern, dass er zu teuer für die Gruppenarbeit sei und zum anderen die Gruppe durch Terminverzögerungen zu zermürben, um sie dazu zu bringen, mit dem Montagewagen VWs zu arbeiten. Daher drohte Gruppensprecher 3 sich zu wehren, „wenn man versucht“, ihm „Handschellen anzulegen.“327 Hier manifestierte sich das in Kapitel 4.1 beschriebene und teilweise im Betrieb noch präsente Klassendenken abermals und wirkte sich negativ auf das Projekt aus. Das Misstrauen gegenüber den Vorgesetzten führte zu einer radikalen Haltung und zur Beanspruchung der vollen Autonomie der Gruppe. Letztlich unterstellten sie der Projektleitung verhindern zu wollen, dass die Gruppenarbeiter den „Beweis erbringen, dass dieses Gerät in Serie […] sich nachher besser arbeiten lässt“ und die Werker dann tatsächlich in der Lage seien „ein bisschen zu denken.“328 Durch das von ihnen verfolgte Ideal, die Arbeiter den Vorgesetzten im Betrieb in gewisser Weise gleichzustellen, gefährdeten die Arbeiter jedoch zugleich die Kooperation und damit das Projekt. Den Beweis zu erbringen, als Arbeiter Planungsaufgaben übernehmen und ähnliche Kompetenzen wie die Vorgesetzten vorweisen zu können, hatte für sie hierbei eine übergeordnete Priorität. Aber auch die Vorgesetzten beförderten das Konfliktpotenzial und das Scheitern des Projektes durch die eingeschränkte Mitbestimmung der Arbeiter. Um sich 324 Ebd. ab 05:53 Min. und 07:37 Min. 325 Ebd. ab 11:50 Min. 326 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G3 09.03.1976 I ab 21:57 Min. und 25:18 Min. 327 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G2, G4, G1, G3 21./22.04.1976 IV ab 21:18 Min. und 23:58 Min. 328 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G3 09.03.1976 I ab 25:44 Min. und ab 26:18 Min.

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durchzusetzen, musste Gruppe 3 ihrer Meinung nach gemeinsam mit Gruppe 2 einen „Schlachtplan ausarbeiten“.329 Begrifflichkeiten wie „Schlachtplan“ stellen eine Verbindung zwischen den betrieblichen Auseinandersetzungen und militärischer Kriegsführung her, welche eine Strategie benötigte. Dies offenbart die entstandenen Gräben zwischen den Akteursgruppen im Verlaufe des Projektes. Augenscheinlich herrschte unter den Arbeitern ein großes Misstrauen gegenüber der Werksleitung. Es wird erkennbar, dass die Werker in eine Art Konkurrenz mit der Planung traten und versuchten, sich mit radikalen Mitteln Handlungsraum anzueignen, da ihnen dieser von ihren Vorgesetzten teilweise verweigert wurde. Die zunehmende Ablehnung der strikten Hierarchie durch die Arbeiter demonstriert ferner die Emotionalität, mit der die Diskussionen geführt wurden: Gruppensprecher 3: „Wir werden hier ein bisschen verschaukelt“ Arbeiter G3 (schreit): „Von oben nach unten runter.“ 330

Die Werker hatten das Gefühl von der Projektleitung getäuscht zu werden. Dennoch trat die Gruppe 3 in Kommunikation mit dem Projektleiter und äußerte ihre Forderungen und Kritik in ihrem Gruppengespräch. Es bestand also noch Verhandlungsbereitschaft. Der Projektleiter antwortete, dass es die Entscheidung der Gruppe gewesen sei, nur mit ihrem Montagewagen arbeiten zu wollen und auf dessen Fertigstellung zu warten. Zudem bezog er klar Stellung zur Frage der Autonomie der Gruppe: „Ich vertrete die Auffassung, dass wir bei der Gruppenmontage zumindest die Rahmenbedingungen setzen […] Unter diesen Rahmenbedingungen […] plädiere ich dafür, dass die Gruppen weit möglichst über ihre Geschicke selbst bestimmen. […] ich sage so wenig wie möglich Reglementierung am Anfang, möglichst viel Beratung und wenn wir merken, dass es irgendwo nicht mehr geht, dann müssen wir gemeinsam Kompromisse finden.“ 331

Er gewährte keine vollständige Gruppenautonomie, aber eine Teilautonomie und sah in dieser einen Entwicklungsprozess, in dem die Handlungsoptionen ausgelotet werden müssten. Allerdings bewies er in seiner Antwort zu den Terminverschiebungen der Fertigstellung des Montagewagens, dass der Handlungsrahmen für die Arbeiter eng gesteckt war und es dennoch die Befehlshierarchie einzuhalten galt. So hätte die Gruppe an ihn herantreten müssen, damit er die Termine mit der Planung vorantreiben könne. Es gehe nicht, dass „jemand aus der Gruppe in der Schlosserei auftaucht und Anweisungen gibt.“ Die Gruppe hätte die geregelten Kommunikationswege nicht genutzt und somit selbst die Zeitverzögerung verursacht. Daher bedauerte er zwar die zeitliche Verschiebung, fand jene aber ebenso vermeidbar.332 Dies beweist, dass die Gruppe, weil sie sich über die betrieblichen Hierarchien hinwegsetzte, Nachteile davontrug und ihre Mitbestimmung im Projekt begrenzt war.

329 330 331 332

Ebd. ab 32:09 Min. Ebd. ab 12:29 Min. Ebd. ab 01:11:14 Min. Ebd. ab 01:23:11 Min.

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Auch in der Gruppe 4 wurde über die Gruppenautonomie debattiert. Bemerkenswerterweise diskutierte der migrantische Gruppensprecher mit dem leitenden Wissenschaftler aus Zürich über dessen Theorie zur Autonomie und gab an, in Vorbereitung auf die Sitzung einige Bücher des Wissenschaftlers gelesen zu haben. Letztlich zog er folgendes Resümee: „Dieses Vorstellung und die Theorie werden niemals verwirklichen. Wenn unsere Freiheit wird abhängig von den Vorgesetzten, d. h. Arbeitsverteilung der Gruppe […] Am liebsten, dass sich der Berater nicht eingreifen, wie die Gruppe arbeitet oder wer macht was.“ 333

Für den Gruppensprecher passten die theoretischen Ansprüche der Wissenschaftler nicht mit den realen betrieblichen Handlungsmöglichkeiten der Arbeiter zusammen. Deren Handlungsoptionen waren seiner Meinung nach stark durch die betrieblichen Hierarchien begrenzt und bestimmt. Das erstellte Papier zu den Berateraufgaben beschränke die Gruppenautonomie noch einmal deutlich. Nun sei die letzte verbliebende Freiheit der Gruppe, die Arbeit selbst einzuteilen. Der Gruppensprecher hoffte, dass dies nicht auch noch „abgeschafft“ werde, denn sonst sah er die „Zufriedenheit“ und den „Zusammenhalt“ der Gruppe gefährdet.334 Solange die Gruppe ihre Stückzahlen brachte, solle der Berater sie nicht drangsalieren.335 Auch die Gruppe 1 war der Überzeugung, dass die Wissenschaftler sich verschätzt hatten, denn Teilautonomie in einem so großen Werk „liegt einfach nicht drin […] das wollen die oben gar nicht. [Der] Arbeiter wird sonst zu mächtig. […] [Der] Arbeiter ist dumm und soll nur arbeiten.“336 Genauso wie Gruppe 4 sahen die Werker vor allem die betrieblichen Hierarchien und das Beharren der Vorgesetzten darauf als Hindernis für ihre freie Entfaltung an. Außerdem nahmen sie erneut Bezug auf das Ordnungsdenken ihrer Vorgesetzten, das den Werkern einen eindeutigen Platz zuwies, den sie nicht verändern konnten, solange jene dies nicht zuließen. Demnach gingen für alle Gruppen die Vorstellungen der Wissenschaftler von durchlässigen Hierarchien an der betrieblichen Realität vorbei. Die Partizipationsmöglichkeiten wurden also auch in einem HdAGestaltungsprojekt durch die betrieblichen Hierarchien begrenzt. Einen weiteren großen Konflikt zwischen Arbeitern und Vorgesetzten stellten – gleichermaßen wie in den Industrieroboter-Projekten – die geforderten Leistungsvorgaben und Stückzahlen dar. So sorgten die Leistungsvorstellungen der Projektleitung für großen Unmut bei den Gruppenarbeitern: Gruppensprecher 1: „Wenn man da hört, was die für Vorstellungen haben, was da gefahren werden soll […] ob se gleich das Projekt kaputt machen wollen. […] Man drängt auch immer

333 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G3 und G4 07.10.1976 II ab 07:31 Min. 334 Ebd. ab 07:22 Min. 335 Ebd. ab 13:05 Min. 336 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ alle Gruppen nach GIAT 30.03.1977 ab 01:52:53 Min.

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Arbeiter als Konfliktpartner weiter, dass wir auf Leistung kommen … Da haben wir doch keinen großen Lernzweck mit.“337

Die Arbeiter fühlten sich unter „Druck gesetzt“ und hatten das Gefühl, dass „das Projekt gar nicht ernst genommen wird.“338 Darüber hinaus ärgerten sie sich, dass die Werksleitung ihre Lernerfolge nicht zu schätzen wusste, sondern lediglich auf die Produktion der geforderten Stückzahlen poche.339 Das Lernen hatte für die Arbeiter selbst also einen wesentlich höheren Stellenwert als für ihre Vorgesetzten. Daraus folgt, dass die Arbeiter ihre Lernerfolge höher bewerteten als ihre Vorgesetzten und sie sich daher von jenen mehr Anerkennung für ihre Leistung erhofft hatten. Dies kann an folgendem Beispiel belegt werden. Da es am Anfang der Gruppenarbeit zu wenige verfügbare Inspekteure gab, sollten die Werker wieder zurück ans Band, bis ausreichend Prüfer vorhanden waren. Allerdings empfanden die Gruppenarbeiter dies als Missachtung ihrer erlernten Fähigkeiten und äußerten harsche Kritik daran im ÖPSZ340: Gruppensprecher 4: „Ja, wenn ich jetzt höre, dass die Inspektion überhaupt kein Vertrauen in die Mitarbeiter hat. Ich möchte die Frage stellen, was haben wir in den vergangenen vier Wochen gemacht? Das heißt, wir haben überhaupt nichts gelernt.“341

Die Arbeiter zeigten sich enttäuscht darüber, dass die Werksleitung nicht auf ihre Fähigkeiten vertraute. Das belegt, dass die Arbeiter gerne einen größeren Handlungsrahmen gehabt hätten und mehr Verantwortung tragen wollten, dies aber mit den betrieblichen Hierarchien in Konflikt stand und die Vorgesetzten diese Möglichkeit daher verweigerten. Außerdem waren die Werker der Meinung, dass die Projektleitung das Projekt mit ihrer Vorstellung von den zu produzierenden Stückzahlen zum Scheitern verurteilte. Der zunehmende Leistungsdruck führte also zu einem massiven Vertrauensverlust der Werker gegenüber dem Projekt, der Projektleitung und der Arbeitsstruktur. So fühlten sie sich von den Vorgesetzten „verschaukelt“, da die Versprechungen zu Beginn der Gruppenarbeit nicht eingehalten worden seien.342 Sie bezweifelten zudem, die geforderte Leistung erbringen zu können, ohne sich selbst zu schaden. Durch den Leistungsdruck entstünden ebenso wesentlich mehr Fehler, die ihnen die Inspektion wiederum zur Last lege. Infolgedessen sank die Arbeitsmoral bei den Werkern „unter den Tisch“. Einige wollten sogar lieber wieder ans Band zurück, als in der Gruppenarbeit zu verbleiben.343 Die Enttäuschung der 337 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G4 und G1 23.06.1976 II ab 16:39 Min. 338 Ebd. ab 20:51 Min. 339 Ebd. ab 42:51 Min. 340 Gruppensprecher 1: „Ein bisschen Vertrauen muss man in uns aber auch haben, Menschenskind nochmal.“ Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VWSZ ÖPSZ Besprechung 21.05.1976 I ab 01:47:41 Min. 341 Ebd. ab 01:50:14 Min. 342 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G3 und G2 24.06.1976 II ab 33:51 Min. und 36:04 Min. 343 Ebd. ab 45:17 Min.; 56:38 Min. und 59:31 Min.

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Werker über die hohen Stückzahlen und die dadurch entstandenen negativen Auswirkungen auf ihre Arbeitsbedingungen gingen desgleichen aus ihren Antworten auf die Frage der Wissenschaftler zur Humanisierung in der Gruppenarbeit hervor. Gruppensprecher 4 verstand unter Humanisierung, „dass die Arbeit nicht mehr so anstrengend ist. Der Mensch wird hier geachtet, […] ohne dass man zu Hause nach Feierabend kaputt ist.“ Davon sei die Gruppenarbeit aber weit entfernt. Die Stückzahlen waren seiner Einschätzung nach nicht zu erreichen, insbesondere nicht mit Leistungsschwachen.344 Daran wird deutlich, dass die Produktion der geforderten hohen Stückzahlen laut Gruppensprecher 4 zu Lasten der Gesundheit und insbesondere der Leistungsschwächeren ging und er die Humanisierung daher als gescheitert ansah. Auch die anderen Gruppenarbeiter äußerten sich ähnlich zu den Arbeitsbedingungen in der Gruppenarbeit.345 Gruppensprecher 1 fand es „beinahe unerträglich dort zu arbeiten.“ Die Arbeiter könnten sich aufgrund der hohen Stückzahl nicht mehr mit ihren Kollegen unterhalten. „Man malocht nur noch von Pause zu Pause. Das ist keine Humanisierung und auch kein Arbeiten mehr.“346

Der steigende Leistungsdruck und die zunehmende Kontrolle durch die Vorgesetzten wirkten sich laut den Arbeitern extrem nachteilig auf die Arbeitsbedingungen und ihre Arbeitsmotivation aus. Um die geforderten 7 Motoren pro Mann fertigen können, müssten sie die Pausen durcharbeiten und abends „schläft man dann wie ein Ochse.“347 Ebenso sahen sich die Arbeiter nicht mehr dazu in der Lage, über die einzelnen Produktionsschritte nachzudenken, wenn sie die geforderten Stückzahlen fertigen und der Kontrolle durch die Berater entgehen wollten. Arbeiter G4: „Was wir machen ist Einzelarbeit. Aber es heißt Gruppenarbeit, dass der eine dem anderen hilft.“348

Wie bei den Industrieroboter-Projekten sorgten die geforderten Stückzahlen für eine soziale Isolation der Gruppenarbeiter und ließen gerade die positiven Effekte dieser Arbeitsstrukturen, wie gemeinsames Arbeiten, verblassen. Arbeiter G1: „Wir [sehen] keine Humanisierung darin, bei dieser Stückzahl, die gefordert wird und bei der Arbeit, die wir momentan machen müssen. […] Humanisierung ist voll über

344 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G3 und G4 07.10.1976 II ab 46:06 Min. 345 „Das ist keine Humanisierung mehr. Teilweise ist man schon verrückt.“ Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 und G4 28.10.1976 II ab 59:43 Min. 346 Ebd. ab 09:54 Min. 347 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G4 und G2 07./08.09.1976 I ab 01:57:47 Min.; Digitalisat VW-SZ G1 und G4 28.10.1976 II ab 54:31 Min. 348 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G2 und G4 10.11.1976 I ab 45:26 Min.

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Arbeiter als Konfliktpartner den Haufen gegangen […] weil man nicht mehr die Zeit hat […] sich zu unterhalten oder mal zu fragen, wie machst du den Handgriff da […] Die Zeit fehlt einfach.“349

Der Aussage folgend war ein Austausch über die Arbeitsgänge und eine Hilfestellung ebenso wie bei den Werkern in den Industrieroboter-Projekten nicht mehr möglich. Daher leide unter diesem Druck auch die Qualität der Motoren und damit sei die Arbeitsstruktur letztlich mit der Bandarbeit nicht konkurrenzfähig.350 Zahlreiche der Arbeiter sahen die Humanisierung und somit das GruppenarbeitsProjekt daher als gescheitert an.351 Es wird deutlich, dass der Sinn der Arbeitsstrukturen für die Werker unter dem Leistungsdruck und der strikten Hierarchisierung des Betriebes verloren ging. Ein Arbeiter sprach nunmehr von „Gruppenakkord“ anstatt von Gruppenarbeit und zog damit einen Vergleich zwischen der Fließbandfertigung und der Fertigung von Motoren in der Gruppenarbeit.352 Insofern unterschieden sich die beiden Arbeitsstrukturen aus Sicht der Werker kaum mehr voneinander. Um die Stückzahl zu schaffen, welche die Werksleitung „hochpeitscht“, bräuchte der Arbeiter „’n Paar Rollschuhe.“353 Die Arbeiter hielten die Stückzahlen für nicht machbar, hatten aber kaum Handhabe, sich dagegen zu wehren. Sie äußerten zwar Kritik im ÖPSZ und gegenüber ihren Vorgesetzten, aber dies war nicht von Erfolg gekrönt. Außerdem führte der massive Druck, den die Vorgesetzten nach der Anlernphase ausübten, zu vermehrtem Misstrauen unter den Arbeitern und damit zu einer Verschlechterung des Arbeitsklimas: Arbeiter G4: „Entweder die haben was gewusst von oben […] was gemacht wird oder die müssen als Sicherheit für ihnen selbst, damit sie ihre Stelle nicht verlieren oder sie [üben] eine Machtaufgabe zu übernehmen. […] ein Zurücktreten in die alte Zeit.“354

Die Arbeiter mutmaßten, dass ihre direkten Vorgesetzten vom Leistungsanstieg schon vorab gewusst und sie nicht eingeweiht hätten. Darüber hinaus unterstellten sie ihnen, durch die Einforderung der Stückzahlen ihre eigene Position sichern und ihre Macht gegenüber den Arbeitern demonstrieren zu wollen. Folglich sahen sie den Meister als Sinnbild für die hierarchisch organisierte Arbeitsteilung im Betrieb an. Allerdings macht das Zitat auch deutlich, dass die Meister unter einem erheblichen Druck standen, die von der Werksleitung festgesetzten Stückzahlen in ihren Bereichen zu liefern. Zudem mussten sie durch die neuen Produktionstech349 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 und G4 28.10.1977 II ab 02:15:40 Min. 350 Ebd. ab 32:16 Min. 351 Arbeiter G2: „Ist in die Hose gegangen, das ganze Projekt.“ Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ alle Gruppen nach GIAT 30.03.1977 ab 01:57:32 Min. 352 Arbeiter G2: „Dann ist das ganze Projekt in meinen Augen keine Gruppenarbeit mehr, sondern Gruppenakkord. […] Dann können wir ja gleich zurück ans Band.“ Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G4 und G2 07./08.09.1976 II ab 30:06 Min. 353 Ebd. ab 35:38 Min. 354 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G4 und G2 07./08.09.1976 I ab 01:55:44 Min.

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nologien und die damit einhergehende Formalisierung der Qualifikationshierarchien im Unternehmen einerseits einen Macht- und Funktionsverlust gegenüber ihren Vorgesetzten, also den Abteilungsleitern und andererseits zumindest teilweise durch die neuen Arbeitsstrukturen der Gruppenarbeit gegenüber den teilautonomen Gruppen hinnehmen.355 Diesen Machtverlust sahen die Arbeiter bei VW jedoch nicht gegeben und fühlten sich daher „in die alte Zeit“ vor der Gruppenarbeit versetzt. Darin offenbart sich die mit dem Projekt verbundene Hoffnung der Werker, eine „neue Zeit“ einzuläuten, in der die Vorgesetzten weniger mächtig seien. Diese Hoffnung erfüllte sich nach ihrer Einschätzung nicht. Sie unterstellten der Projektleitung gar einen Vertragsbruch, da sie weit mehr als die im Projektantrag vereinbarten 25 Motoren pro Gruppe am Tag verlange. 356 Das für die Kooperation benötigte Vertrauen und die geteilten Ziele wie der Projekterfolg schienen sich im Verlauf des Projektes zu verflüchtigen und an den betrieblichen Hierarchien zu scheitern. Wie sehr die Werksleitung auf Effizienz setzte, zeigt sich unter anderem daran, dass sie aufgrund der Erkenntnisse der Wissenschaftler in Darmstadt, welche beobachtet hatten, dass die Arbeiter unterschiedliche Methoden beim Motorenbau entwickelt hatten, nun stoppen ließ, welche Technik zeitlich am effektivsten war.357 Infolgedessen sollten die Arbeiter nur noch nach dieser einen Methode produzieren. Die Aussage eines Inspekteurs macht klar, worauf es der Werksleitung ankam: „[…] die haben jetzt noch zu große Leistungsschwankungen, d. h. einmal da geht’s hoch bis wirklich an die Grenze des Leistbaren und einmal hat man den Eindruck, dass die Leute sagen, heute haben wir unseren sozialen Tag. […] und diese Leistungsschwankungen will man auf eine Ebene bringen.“358

Die Werksleitung wollte wie bei den Industrierobotern eine gleichmäßige, reibungslose Produktion mit konstanter Stückzahl erreichen. Ein Ziel, das es für Unternehmensleitungen seit der Einführung des Fließbandes zu verwirklichen galt.359 Allerdings variierten die Arbeiter in ihrer Leistung und ihren Fertigungsmethoden. So schlussfolgerten die Arbeiter: Arbeiter G3: „Die wollen ’nen ganz sturen Menschen.“360

Nach Meinung der Gruppen lehnte die Werksleitung individuelle Leistungen und Fähigkeiten ab. Vielmehr forcierte sie universal einheitliche Arbeitsabläufe. Auch 355 FISCHER, JOACHIM 1993, Der Meister, S. 40; UHL, KARSTEN 2014, Humane Rationalisierung?, S. 346f. 356 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 und G4 28.10.1976 II ab 40:33 Min. 357 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G4 und G3 23./24.11.1976 II ab 07:48 Min. 358 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G2 und G1 23.11.1976 I ab 54:27 Min. 359 LUKS, TIMO 2010, Der Betrieb als Ort der Moderne, S. 229. 360 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G4 und G3 23./24.11.1976 II ab 07:51 Min.

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hier zeigt sich, dass sich die Produktion nicht, wie im Programm gefordert, am Menschen orientierte, sondern immer noch der tayloristische Gedanke „des einzig besten Weges“ zur Verrichtung einer Tätigkeit vorherrschte.361 Demnach schlug schon Taylor in seinem Konzept der wissenschaftlichen Betriebsführung vor, jeden einzelnen Arbeitsschritt wissenschaftlich zu entwickeln und zu prüfen, um die beste Art der Ausführung als Standard festzulegen.362 Darüber hinaus verwendete die Werksleitung den Leistungsdruck auch als Mittel zur Disziplinierung. So wollten die Gruppen noch die Tätigkeit an den Prüfständen als Arbeitsinhalt übernehmen. Allerdings knüpfte der Projektleiter dies an Bedingungen. So müssten zunächst „Leistung“ und „Moral“ stimmen. Es sollte also keine Schwankungen in der Stückzahl und keine Leistungsverweigerung mehr geben.363 Die Enttäuschung der Arbeiter über diese Zustände im Projekt war immens: Arbeiter G1: „Die Arbeit wird immer noch schlimmer […] Es wird immer noch mehr gefordert. […] Wir waren in dem Glauben für ’ne gute Sache […] das hat sich auf die Gegenseite geändert […] Da muss man sich ernsthaft überlegen, ob man sich dafür noch hergibt und weitermacht.“364

Die Vorstellungen der Arbeiter erfüllten sich nicht und das führte zu einer massiven Ablehnung der Gruppenarbeit und des Projektes insgesamt. Viele Arbeiter waren der Auffassung, dass die Humanisierung im Projekt von ihren Vorgesetzten „falsch verstanden“ wurde. Ihre Desillusionierung über diese Entwicklung äußerten die Arbeiter eindrücklich. Aber auch ihre selbst empfundene Handlungsohnmacht wird offenbar: Arbeiter G2: „Vor allen Dingen, wenn wir jetzt Bedingungen stellen, ist ja alles schön und gut. Aber was können wir denn für Gegenargumente bringen, kündigen wir oder was? Wir haben doch praktisch gar nichts in der Hand.“ 365

Die Arbeiter nahmen an, kein Druckmittel gegenüber der Werksleitung zu haben, um ihre Vorstellung von Humanisierung durchzusetzen. Dies belegt, dass der Mitbestimmung der Werker im Gruppenarbeits-Projekt Grenzen gesetzt waren und sie bei elementaren Entscheidungen, die ihre Arbeitsbedingungen betrafen, nicht mitreden durften. Da die Betriebsleitung sich weigerte, mit den Arbeitern über die Machbarkeit der Stückzahlen in Verhandlung zu treten, empfanden die Werker die Humanisierung gar als Deckmantel für die Ausbeutung der Arbeiter: Arbeiter G4: „Unter dem Stichwort Humanisierung der Arbeit werden VW-Arbeiter brutal ausgebeutet.“366

361 KIRCHLER, ERICH U. A. 2004, Menschenbilder in Organisationen, S. 27. 362 AßLÄNDER, MICHAEL 2005, Von der vita activa zur industriellen Wertschöpfung, S. 331. 363 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G4 und G3 23./24.11.1976 II ab 11:12 Min. 364 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 und G4 28.10.1976 II ab 07:51 Min. 365 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G3 und G2 24.06.1976 II ab 59:41 Min.

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Der Begriff „Ausbeutung“ oder „Ausnutzen“ fiel in den Gruppengesprächen nun im fortschreitenden Verlauf des Projektes immer öfter. Dies weist einerseits auf die zunehmenden Konflikte und verhärteten Fronten zwischen Werkern und ihren Vorgesetzten und andererseits auf die Verstärkung der noch bestehenden Klassenvorurteile durch das wachsende Misstrauen zwischen den beiden Akteursgruppen hin. Die empfundene Ausbeutung gewann zudem Brisanz im Zusammenhang mit den Schwierigkeiten bei der Festlegung eines einheitlichen Lohns für die Gruppenarbeiter. Für ihre Tätigkeit, die sie seit mehr als einem Jahr in der Gruppenarbeit verrichteten, erhielten sie aufgrund der Auseinandersetzungen der Tarifparteien, also Unternehmensleitung, Betriebsrat und IG Metall, trotz vorheriger Zusagen der Verantwortlichen keinen angemessenen Lohn. Daher empfanden die Arbeiter die hohen Leistungsanforderungen als unangemessen und dies führte ihnen zufolge zu einem „ungesunden Verhältnis“ zwischen den Gruppen und ihren Vorgesetzten.367 Die Frustration über die Situation brach sich in den Gruppengesprächen Bahn: Arbeiterin G3: „Ich finde das ein Unding, auf der einen Seite wird in der Gruppenmontage betrieblich verfahren (schreit). […] und auf der anderen Seite, wenns mal um Lohngruppen geht, stehen sie auf einmal in einem Forschungsprojekt, wo alles erforscht werden muss und man darüber nichts aussagen kann.“368

Die Arbeiterin war der Auffassung, dass die Werksleitung bei der Erreichung von Stückzahlen und ihrer Kontrolle betriebsüblich verfuhr, sich aber etwa bei der Lohneinstufung auf den Projektcharakter berief. Sie unterstellte der Werksleitung daher ein gewisses Kalkül. Der eigentlich für beide Seiten notwendige Nutzen, der sich für die Kooperation in Kapitel 3 als elementar erwiesen hat, beschränkte sich aus Sicht der Werker nun vor allem auf die Werksleitung, was den Konflikt weiter vorantrieb. Aber auch die Arbeiter selbst förderten die erhöhte Kontrolle und den Leistungsdruck der Betriebsleitung – einerseits, wie in Gruppe 2, aufgrund der Zurückhaltung von Leistung als Druckmittel gegenüber der Projektleitung und andererseits durch die vorzeitige Beendigung der Arbeit vor dem regulären Feierabend. Gruppe 2 hatte sich auf Anraten der Wissenschaftler dazu entschieden, wegen der geforderten Stückzahlen und der ausbleibenden Bezahlung anstatt der geforderten sieben Motoren nur noch sechs zu bauen, um ein Druckmittel bei den Lohnverhandlungen mit der Projektleitung zu haben.369 Dies beförderte allerdings die Konfrontation noch zusätzlich und blieb erfolglos. Auch die freie Einteilung der Arbeitszeit geriet zu einem Konfliktfeld zwischen Projektleitung und Arbeitern. Die Berater der Gruppen berichteten im ÖPSZ, dass die Gruppen häufig eine 366 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G2 und G4 10.11.1976 I ab 57:13 Min. 367 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G3 29.10.1976 I ab 48:27 Min. und ab 01:30:29 Min. 368 Ebd. ab 01:42:46 Min. 369 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 und G4 28.10.1977 II ab 01:22:32 Min.

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Stunde vorher Feierabend machten. Die Gruppensprecher rechtfertigen sich daraufhin: Gruppensprecher 1: „Höchstens ’ne halbe Stunde vorher, dass wir aufhören zu produzieren. Dann sind wir dabei mal nachzufüllen, […] bestücken, sauber machen, Motornummern eintragen […] Die viertel Stunde früher gehen wir runter, da liegt ja unsere persönliche Verteilzeit, die nicht aufgebraucht wurde. […] kann man eher früher Feierabend machen.“370

Während die Berater ein unrechtmäßiges Verstreichen der Arbeitszeit und eine nicht angemessene Sauberkeit des Arbeitsplatzes bemängelten, argumentierten die Gruppen im Gegenzug, dass neben dem Motorenbau auch noch andere Tätigkeiten ausgeführt werden müssten und wiesen zudem auf die persönliche Verteilzeit371 hin, die sie laut Projektleitung frei einteilen durften. Genau an dieser Thematik entbrannte nun der Streit um die Einteilung der Arbeitszeit und der Verteilzeit; denn einerseits sagten die Arbeiter, dass die Stückzahlen nicht zu schaffen waren und auf der anderen Seite machten sie vorzeitig Feierabend, weil sie Pausen nicht eingehalten hatten. Das entsprach zwar, wie das Kapitel 2 zeigt, ihren Handlungsrationalitäten, war der Werks- und Projektleitung ebenso wie den Beratern jedoch nicht vermittelbar. An einem Gruppengespräch kann dieser Konflikt exemplarisch dargelegt werden. Die Gruppe 4 beschwerte sich bei ihrem Berater über die hohen Stückzahlen und die zunehmende Kontrolle. Dieser vertrat dazu aber eine völlig andere Auffassung: „Ihr könnt Euch weiter auf die Hinterbeine stellen und sagen […] es sind zu viel Motoren usw. Aber auf der anderen Seite besteht dann für mich die Verpflichtung, dass ich hundert Prozent auf jede Minute achten muss […] hundertprozentige Einhaltung der Arbeitszeit.“372

Wenn die Werker die Stückzahlen brächten, müsse er ihnen auch nicht „auf den Füßen stehen“ und sie könnten früher Schluss machen.373 Die Vorgesetzten knüpften also die Freiheiten in der Gruppenarbeit vor allem an die zu erbringende Leistung. Wenn die Gruppenarbeiter diese nicht erfüllten, hätten sie keinen Anspruch auf diese Freiheiten. Sie müssten dann wiederum die Kontrolle der Meister hinnehmen. Dies stellt ein klassisches Anreizsystem dar, welches die Arbeiter zu mehr Leistung antreiben sollte. Um dem Vorwurf der frühzeitigen Arbeitseinstellung zu begegnen, suchten die Arbeiter nun eine andere Lösung. Arbeiter G1: „Man sollte zwischendrin auffüllen und gerade die Zeit am Feierabend, da sollte man sich […] einen Motorblock vorknöpfen und irgendetwas machen. Denn das ist nämlich

370 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 und G3 09./10.11.1976 I ab 01:41:39 Min. 371 Die persönliche Verteilzeit enthält alle Zeiten für ein persönlich bedingtes Unterbrechen der Tätigkeit, beispielsweise zum Trinken oder den Gang zur Toilette. Sie ist Teil der Arbeitszeitfestlegung für bestimmte Arbeitsschritte in der Produktion. Vgl. LANDAU, Kurt (Hrsg.): Lexikon Arbeitsgestaltung. Best practice im Arbeitsprozess, Stuttgart 2007, S. 1292. 372 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G2 und G4 10.11.1976 I ab 01:05:32 Min. 373 Ebd. ab 01:05:48 Min.

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die Zeit, wo das ganze Werk drauf guckt […] das sollte man ausschalten. […] Auf diesem Projekt […] da liegen die Augen drauf und da sollte man ganz vorsichtig sein.“ 374

So kämen nämlich gerade zur Mittagszeit am Ende der Schicht wichtige Leute aus dem Werk zusammen, um die Gruppenarbeit zu sehen. Demnach verlagerten die Arbeiter die weniger anstrengenden Aufgaben nun vom Ende der Arbeitszeit auf die Mitte, so dass sie am Schluss noch Motoren bauten und die Vorgesetzten bei ihrem Rundgang keine verwaisten Produktionsanlagen vorfanden. Es ging also darum, den Bau der Motoren „bis zum Feierabend zu ziehen“ und dies „nicht zu auffällig zu machen.“ „Man sollte zeigen, es ist schwer 7 Motoren zu bauen und nicht, wie leicht es ist, indem man Pausen weglässt und trickst.“375 Ansonsten bestand laut Gruppensprecher 4 die Gefahr, dass die Arbeiter sich damit selbst schadeten, da die Werksleitung infolgedessen die zu produzierende Stückzahl noch einmal erhöhe. „Die warten auf die Gelegenheit“, „die rechnen“, „die beobachten“.376 Dieses Beispiel offenbart einerseits die empfundene Kontrolle und Disziplinierung durch die Vorgesetzten und andererseits den Eigen-Sinn der Arbeiter. Trotz der Kontrolle ihrer Vorgesetzten fanden sie Lösungen, um sich Freiheiten zu erhalten. Allerdings mussten sie hierfür ihre Handlungsrationalitäten anpassen. Anstatt „immer zu knüppeln, um was rauszuschinden“, versuchten sie die Pausen nun einzuhalten und die Arbeit anders zu verteilen, um nicht früher Schluss zu machen.377 Sie waren sich über die Ziele der Werksleitung und deren Folgen für sie bewusst und versuchten diese durch taktisches Vorgehen abzumildern oder zu umgehen. Arbeiter G3: „Dass wir uns dann wirklich humanisiert haben und nicht uns weg humanisieren.“378

Somit oblag es zumindest teilweise den Werkern selbst, ihre Arbeit „zu humanisieren“, indem sie ihre Handlungsweisen anpassten und dem Leistungsdruck der Betriebsleitung nicht vollständig nachgaben. Zugleich wird deutlich, dass dieser Konflikt eine weitere Distanzierung zwischen Arbeitern und Vorgesetzten begünstigte, wie die Bezeichnung „die“ für die oberen Hierarchieebenen beweist. Wie sehr sich diese Situation vor allem auf das Verhältnis zwischen Arbeitern und Beratern auswirkte, demonstriert ebenso die folgende Aussage: Gruppensprecher 1: „Es heißt immer Stückzahl fahren, Stückzahl fahren, ihr müsst soundso viel rausbringen. […] ist nicht immer schön. Man gibt sich ja Mühe was zu schaffen, ist ja

374 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei 09./10.11.1976 I ab 01:49:15 Min. 375 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit 29.10.1976 I ab 31:59 Min. 376 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei 23./24.11.1976 I ab 33:08 Min. 377 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit 29.10.1976 I ab 38:52 Min. 378 Ebd. ab 31:35 Min.

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Arbeiter als Konfliktpartner nicht, dass wir da rumfaulenzen. […] Wenn man dann jeden Tag gehört kriegt […] müsst ihr mal zusehen, dass ihr was schafft, dann zermürbt man dran oder man kriegt Durchzug.“ 379

Sie legt nahe, dass der erhöhte Leistungsdruck letztlich dazu führte, dass die Arbeiter sich weniger mit ihrer Arbeit identifizieren konnten und ihre Arbeitsmoral massiv sank. Auch die schon von Taylor bekannte Annahme, die Arbeiter würden bewusst bummeln oder Leistung zurückhalten, empfanden die Werker als unangebracht. Das Gängeln und Anhalten zum Produzieren beschrieben sie als „zermürbend“. Der Berater sei nun noch schlimmer als ein Meister und würde sich fühlen wie der „oberste Boss“.380 Die Werker nahmen das Verhalten der Berater gegenüber den Gruppen als verändert wahr, möglicherweise unter anderem, da sie vorher in der Anlernphase mehr Freiraum genossen hatten. Der Berater versuchte ihrer Ansicht nach, Fertigungszeiten „herauszuholen“ und „mauschelt[e]“ in der Abrechnung, um Stückzahlen möglich zu machen.381 Arbeiter G1: „Man will uns vermutlich aufs Abstellgleis stellen, ne. […] Ist doch unser Bier, wie wir unsere Arbeit einteilen […] das ist schon eine Herabstufung des Mitdenkens. […] Die brauchen uns, um überhaupt arbeiten zu können und das wollen wir widerlegen. […] dass man auch als Arbeiter teilweise mitdenken kann und sich seine Arbeit auch selbst einteilen kann.“382

Dadurch fühlten sich die Arbeiter in ihren Handlungsfreiheiten beschnitten. Gruppe 1 wollte daher den Vorgesetzten beweisen, dass die Arbeiter die Aufgaben gleich gut ausführen konnten und die Vorgesetzten folglich nicht gebraucht wurden. Sie seien ebenso in der Lage mitzudenken und Aufgaben einzuteilen. Dieses Ideal der Arbeiter, sich selbst zu beweisen, führte in Kombination mit den rigiden Betriebshierarchien immer wieder zu Konflikten mit den Führungskräften. Als Reaktion auf den Vertrauensverlust entstand auch bei den Werkern der Wunsch nach Kontrolle, obwohl für sie kaum eine Möglichkeit bestand, ihre Vorgesetzten zu überwachen. Die Gruppen etwa wussten nicht, was die Berater bei der Werksleitung jeweils den Gruppen „ankreiden“ würden, da sie nicht sehen konnten, was der Berater in seinem Schichtbuch notierte.383 Dies belegt, dass nicht nur die Projektleitung mehr Kontrolle über die Arbeiter erlangen wollte, sondern diese ebenso über ihre Vorgesetzten. Jene Tatsache verweist gleichfalls auf das wachsende Misstrauen im Projekt und die gescheiterte Kooperation. So meinten die Arbeiter aus Gruppe 3, welche die „Praktiken des Betriebes“ kennen würden, dass die Berater als „Kontrolleure“ der Werksleitung fungierten und herausgearbeitete Freizeiten an die Werksleitung weitergäben.384 Die Berater er379 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 und G3 23.09.1976 I ab 30:45 Min. 380 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 und G4 28.10.1977 II ab 01:34:04 Min. 381 Ebd. ab 01:59:13 Min. 382 Ebd. ab 02:00:23 Min. 383 Ebd. ab 02:01:52 Min. 384 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G3 29.10.1976 II ab 15:28 Min.

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scheinen hier gar als Spitzel der Werksleitung. Abermals wird deutlich, dass die Arbeiter den Meister in dieser Situation ausschließlich in seiner Leitungsposition und damit als Vertreter der Werksleitung in der Produktion begriffen. Das Vertrauen war durch die zunehmende Kontrolle und Disziplinierung der Vorgesetzten, die stark beschnittenen Partizipationsmöglichkeiten der Arbeiter und das daraus resultierende Misstrauen auf beiden Seiten schwer beschädigt. Arbeiter G3:„Das Vertrauen zu diesem Berater ist missbilligt […] Das ist genauso, wenn man was an die Wand spucken tut.“385

Die regelmäßigen Besprechungen der Berater mit der Werksleitung, von deren Inhalten die Arbeiter nichts erfuhren, nährten ihr Misstrauen zusätzlich.386 Hier führten also nachweislich die fehlende Informationsweitergabe und die Verweigerung von Partizipation zu Misstrauen der Arbeiter gegenüber ihren direkten Vorgesetzten. Die Gruppen gingen sogar soweit, den Meistern ihren „Beraterstatus“ abzuerkennen. Arbeiter G3: „Wir haben keine Berater […] Nur eine Veränderung des Namens ... aber gleiche Macht wie früher.“387

Sie seien wieder „betriebstreue“ Meister, die wie am Band die Entscheidungs- und Kontrollmacht innehätten. „Es dreht sich alles nur ums Geld […] das Interesse ist gar nicht mehr. Wenn man schon morgens kommt und man wird schon vom Vorgesetzten, also Berater, das Wort können Sie sich streichen […] das ist ein Vorgesetzter [schreit, haut auf den Tisch] und solange der die Macht hat, da haben wir nichts zu tun. Wir haben nur die Arbeit auszuführen […] wenn er sagt, du gehst jetzt runter […] Du putzt das Scheißhaus […] dann müssen sie das machen […] sonst sagt der Arbeitsverweigerung und da haben sie noch Lust und Interesse?“388

Wie emotional die Situation teilweise eskalierte, lässt sich an den Verhaltensweisen der Arbeiter, wie Schreien, auf den Tisch hauen oder an der derben Wortwahl wie „Scheißhaus“ nachvollziehen. Die Arbeiter verloren aufgrund der erweiterten Kontrolle der Meister das Interesse an der Gruppenarbeit. Diese Beaufsichtigung empfanden sie, da sie zuvor in der Anlernphase mehr Freiheiten genossen hatten und keine festgelegten Stückzahlen produzieren mussten, nun als noch einschneidender. Auch in anderen Studien zur Gruppenarbeit wird immer wieder angeführt, dass sich eine strikte Hierarchisierung kontraproduktiv auf die Ausführung von Gruppenarbeit auswirkt.389 Wie schlecht sich etwa das Verhältnis zwischen dem 385 Ebd. ab 14:14 Min. 386 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 und G4 28.10.1977 II ab 01:56:36 Min. 387 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G4 und G3 23./24.11.1976 I ab 37:47 Min. 388 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 und G3 09./10.11.1976 II ab 41:48 Min. 389 Vgl. STÖTZEL, Berthold: Gruppenarbeit im Kräftefeld organisatorischer Widerstände, in: Gruppenarbeit in der Industrie. Praxiserfahrungen und Anforderungen an die Unternehmen, hrsg. v. Erich BEHRENDT, Göttingen 1996, S. 75f.

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Berater und Gruppe 3 im fortschreitenden Projekt entwickelte, schilderte dieser in einem Gespräch mit einer anderen Gruppe. Ihm seien „Schläge angedroht“ und er als „Schwein“ beschimpft worden, weil er einem Arbeiter eine andere Arbeitseinteilung nahelegte. Er habe zwar von einer Abmahnung abgesehen, aber er sähe die Entwicklung in Gruppe 3 kritisch.390 Die Arbeiter aus Gruppe 3 griffen demnach zu radikalen Methoden, um ihre verbliebenen Freiheiten wie die Arbeitseinteilung zu verteidigen, selbst wenn sie damit teilweise gegen die Werksordnung verstießen. Diese Situation offenbart die Grenzen der Kooperation zwischen Arbeitern und ihren Vorgesetzten. Sie resultierte in mehr Kontrolle seitens der Betriebsleitung, in beiderseitig wachsendem Misstrauen, in teilweiser radikaler Gegenwehr der Arbeiter und in Verwerfungen. Doch der wachsende Leistungsdruck verschlechterte nicht nur das Verhältnis zwischen Beratern und Arbeitern, sondern auch die Beziehungen zwischen den Gruppen und deren Mitgliedern untereinander. Der Druck erzeugte eine Konkurrenzsituation, die die Projektleitung beabsichtigte. Exemplarisch kann hierfür das Aufstellen von Tafeln mit Fehler- und Stückzahlangaben jeder Gruppe in der Produktion herangezogen werden. Im ÖPSZ hatten sich die Mitglieder geeinigt, dass jede Gruppe eine Tafel bekam, auf der die Fehler und die produzierte Stückzahl am Tag und pro Woche angegeben waren. Damit sollte die Gruppenarbeit für die Arbeiter „transparent“ gestaltet und ihnen ein Überblick über ihre erbrachte Leistung sowie die noch zu leistende Stückzahl gegeben werden.391 Einige Gruppenarbeiter waren damit aber nicht einverstanden, da sie hierin die Erzeugung von Konkurrenz sahen: Gruppensprecher 1: „Das ist dann dieses Gegeneinanderarbeiten. Dieses Wetteifern.“ 392

Der Projektleiter hingegen fand diesen Wettstreit durchaus förderlich: „Dieser Gedanke der Konkurrenz […] ist ein wertvoller Gesichtspunkt des Projektes. Das heißt, es ist von allen am Anfang als notwendig gesehen worden, die Konkurrenzsituation in diesen Gruppen vorzusehen, sonst hätten wir ja eine große Gruppe machen können.“393

Insofern schürte die Werksleitung bewusst die Konkurrenz unter den Arbeitern, um höhere Stückzahlen zu erreichen, beförderte damit aber zugleich Verwerfungen und Misstrauen im Projekt. Auch diese Vorgehensweise der Projektleitung stellte ein klassisches Anreizsystem wie im Taylorismus dar und steht in Verbindung mit dem angenommenen Bild eines Arbeiters in der Vorstellung der Vorgesetzten. Um die Leistung der Arbeiter zu steigern, müssten sie demnach Anreize erhalten, damit sie die von den Vorgesetzten unterstellte Leistungszurückhaltung

390 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G2 und G4 10.11.1976 I ab 01:22:30 Min. 391 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G2 und G4 22.09.1976 II ab 18:39 Min. 392 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 und G3 23.09.1976 I ab 52:20 Min. 393 Ebd. ab 52:29 Min.

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aufgeben. Die Arbeiter hingegen sahen in einer ungezügelten Konkurrenz zahlreiche Probleme: Gruppensprecher 1: „Ja bloß, es darf dann nicht soweit ausarten, dieser Konkurrenzkampf, man muss dann einige Sachen mit berücksichtigen, wir sind unterschiedlich im Alter in den Gruppen […] Es gibt auch welche, die sind halt schnell, es gibt welche, die können sich noch so viel Mühe geben, die packen das nie […] Wenn man dann so ein Konkurrenzdenken hat, so ein Konkurrenzkampf, das wird echt schwierig […] Wir verlangen jetzt 6 ½ Motore pro Werker. Wenn einer nun wirklich, der gibt sich Mühe bis zum Äußersten, der schwitzt, wenns sein muss, arbeitet er die Pausen durch, nur damit er die Stückzahl schaffen würde. Das ist ewig ein Zurückhängen. Diese Verluste, die in einem Monat, Woche, Tage auftreten. Die anderen Mitglieder müssten die restlichen Motoren bauen.“394

Der Gruppensprecher beschreibt die in den Gruppen auftretenden Folgen dieses Konkurrenzkampfes. Einerseits würden die Arbeiter sich bis zum Äußersten treiben, um die Stückzahlen zu erreichen und hierfür sogar ihre Pausen durcharbeiten und andererseits lägen die Gruppen mit leistungsgeminderten Arbeitern gegenüber den anderen Gruppen zurück. Auf Dauer wäre es für die Gruppe nicht möglich, diese „Verluste“ auszugleichen. Der Projektleiter erwiderte zwar, dass der „Konkurrenzkampf nicht ausarten dürfe“ und es sich um ein Projekt handle, in dem das Mögliche erprobt werden solle, eine konkrete Lösung bot er den Arbeitern jedoch nicht an. Die Gruppe hätte in einem solchen Fall eine permanente „Minderleistung“, die im ÖPSZ begründet werden müsste.395 Projektleiter: „Nicht, dass sie sich da eine moralische Schuld aufladen, die sie nicht können. Ich könnte es mir ganz einfach machen: Warum haben wir Gruppenarbeit? Damit einfach der Leistungsstärkere dem Leistungsschwächeren hilft. Das heißt, sie machen nicht 6 ½ Motore sondern 8.“396

Der Projektleiter setzte die Gruppe mit dieser Aussage immens unter Druck. Entweder sie hätte sich vor dem ÖPSZ zu rechtfertigen, wieso sie eine geringere Leistung als andere Gruppen ablieferte und wären somit gezwungen, ihre leistungsschwächeren Kollegen bloßzustellen oder die anderen Gruppenmitglieder müssten permanent mehr Motoren in der gleichen Zeit bewerkstelligen, um das durch die leistungsschwächeren Gruppenmitglieder entstandene Defizit auszugleichen. Eine Reduzierung der Stückzahlenforderung seitens der Werksleitung stand für den Projektleiter hingegen nicht zur Diskussion. Allerdings verwahrte sich der Gruppensprecher gegen diese Einstellung. So müssten die anderen Arbeiter folglich acht Motoren am Tag produzieren und das war seiner Einschätzung nach kaum konstant zu leisten; darüber hinaus stünde im Projektantrag, dass die Arbeit bis ins hohe Alter durchführbar sein solle.397 Als Antwort gab der Projektleiter zu bedenken, dass eine Minderleistung der Gruppe das Projekt gefährde: Projektleiter: „Das sind natürlich Probleme, die wir erst beurteilen müssen. […] Es geht darum, dass die Arbeitsstruktur Gruppenarbeit im Vergleich zur Konkurrenz zur Montagestruk394 395 396 397

Ebd. ab 52:49 Min. Ebd. ab 54:22 Min. Ebd. ab 59:04 Min. Ebd. ab 59:20 Min.

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Arbeiter als Konfliktpartner tur Transfermontage liegt. […] und die Frage ist nur, wenn sie durch Minderleistung das Ergebnis der Gruppenmontage negativ beeinflussen, auch mehr Kosten verursachen […] dann wird das Ergebnis schlechter und die Chancen für die Arbeitsstruktur schlechter.“ 398

Es wird deutlich, dass die Projektleitung nicht auf die Belange der Arbeiter und ihre Nöte reagierte. Sie senkte nicht den Druck höhere Stückzahlen zu produzieren und sie lieferte auch keine für die Arbeiter tragbare Lösung, wie mit den geringeren Leistungen der leistungsschwachen Arbeiter umzugehen sei, die auf Wunsch der Projektleitung explizit in der Gruppenarbeit eingesetzt wurden. Stattdessen erhöhte die Leitung zusätzlich den Druck auf die Arbeiter, die Fortführung der Gruppenarbeit durch die gesteigerte Produktion von Stückzahlen in der Hand zu haben. Offensichtlich war die Werksleitung in diesem Punkt nicht verhandlungsbereit und setzte ihre Vorstellungen ohne Rücksicht auf die Probleme der Gruppenarbeiter durch. Sie nahm sogar bewusst die Probleme der Arbeiter in Kauf. Für die Arbeiter war die Haltung der Werksleitung unverständlich: Gruppensprecher 1: „Soll ja keine Leistung bis zum Umfallen gebracht werden, sondern so, wie er es sich zumuten kann.“399

Der Projektleiter sah auch dieses Problem pragmatisch: „Das ist ein Problem […] [das] heute die gesamte Industrie zu tragen hat.“ Demnach versuche man Arbeitsplätze zu finden, wo diese „Leistungsschwäche“ nicht so stark zum Tragen komme. Aber es bestünde keine Regel, dass jemand, der diese gesundheitlichen Schäden habe, weniger Leistung bringen müsse. „Der normale betriebliche Alltag sieht hierfür keinen Bonus vor.“400 Üblicherweise behelfe sich die Produktion damit, die betroffenen Arbeiter an Schonarbeitsplätze zu versetzen, um das Problem und den gesundheitlichen Schaden „zu kaschieren“.401 Die Problematik der Weiterbeschäftigung leistungsgeminderter Arbeiter infolge des Alterungsprozesses, körperlichem Verschleiß oder infolge von Arbeitsunfällen bestand in den 1970er Jahren in allen bundesdeutschen Industrieunternehmen.402 Es war ein von der Politik ungelöstes Problem, dem Unternehmen wie VW etwa durch die Einrichtung von sogenannten Schonarbeitsplätzen zu begegnen versuchten. Letztlich lebten die Arbeiter in der Gefahr, dass, wenn sie als ungeeignet für ihre Tätigkeit eingestuft wurden und es keine Schonarbeitsplätze im Unternehmen gab, sie für den Rest ihres Lebens überzählig waren und sich mit einer Früh- oder Invalidenrente abfinden mussten.403 In der Gruppenarbeit bei VW stellte sich nun das Problem, dass leistungsgeminderte oder körperlich eingeschränkte Arbeiter fortan dieselben

398 Ebd. ab 01:01:10 Min. 399 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G2 und G1 23.11.1976 II ab 26:24 Min. 400 Ebd. ab 28:38 Min. 401 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G2 und G1 23.11.1976 I ab 34:21 Min. 402 BETHGE, Dietrich: Arbeitsschutz, in: 1966–1974. Bundesrepublik Deutschland – Eine Zeit vielfältigen Aufbruchs, hrsg. v. Hans Günter HOCKERTS, Baden-Baden 2006, S. 288. 403 Ebd., S. 288.

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Aufgaben zu verrichten hatten wie ihre gesunden Kollegen.404 Infolgedessen mussten also die anderen Gruppenmitglieder diese Schwächen ausgleichen. Aber nicht nur ältere Arbeiter mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen gerieten durch den Leistungsdruck und die geforderte Stückzahl massiv in Bedrängnis.405 Auch die einzige Gruppenarbeiterin in Gruppe 3, die anstatt der geforderten 7 Motoren nur 5 bauen konnte, war diesem Druck verstärkt ausgesetzt. Arbeiter G3: „Sie will ja vollwertig im Nest stehen und das geht natürlich nicht […] weil sie schafft keine 7. Ich weiß nicht, wie wir die Frau noch beschäftigen sollen. […] das ist ’ne Bremse für uns.“406

Sie wurde von ihrer Gruppe als „Bremse“ bezeichnet, welche die gesamte Gruppenleistung mindere. Es zeigt sich, dass durch die Konkurrenzsituation vor allem die schwächeren Arbeiter in den Gruppen ausgegrenzt oder gemobbt wurden, besonders, wenn sich der Gruppenfrieden nur auf der Leistung der Gruppenmitglieder aufbaute, wie etwa in Gruppe 3: „Jeder Einzelne ist wie so ’n Zahnrad. […] der Frieden ist ja auch nur auf Leistung aufgebaut. Jeder weiß, […] was er bringen muss und dann wird er eben akzeptiert als vollwertig oder gleichwertig.“407

Aber auch die anderen Gruppen verinnerlichten das Leistungsprinzip und den Leistungsdruck der Vorgesetzten: Arbeiter G1: „Wer nicht mitkommt in den Gruppen und einen Motor weniger baut, der ist unerwünscht. […] soweit die Atmosphäre in der Gruppe.“ 408

So stellte die Gruppenarbeit mitnichten den Menschen in den Mittelpunkt der Produktion und verhalf nicht, wie im HdA-Programm gefordert, schwächeren Arbeitern zu besseren Arbeitsbedingungen. Auch in dieser Arbeitsstruktur galt es, Leistung zu erbringen und wer dies nicht konnte, wurde ausgeschlossen. Daher wollten die Arbeiter „nicht als Buhmann dastehen“ und „maloch[t]en bis zum Umfallen“, um die geforderte Stückzahl zu erreichen.409 Diese Aussagen zeigen, dass nur die Arbeiter, die angemessene Stückzahlen produzierten, von den anderen Gruppenmitgliedern Anerkennung erhielten und der Zusammenhalt der Gruppe nur durch die vollwertig erbrachte Leistung des Einzelnen gewährleistet wurde. Insofern machten nun auch die Arbeiter die Stückzahl zum bestimmenden Faktor und gaben den von oben erzeugten Druck an die schwächeren Mitglieder weiter. 404 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G2 und G1 23.11.1976 I ab 34:42 Min. 405 Älterer Arbeiter mit Bandscheibenschaden G1: „Schaffe das [die Stückzahl] nicht, egal wie sehr ich mich anstrenge.“ Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 und G4 28.10.1977 II ab 01:26:37 Min. 406 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G4 und G3 23./24.11.1976 II ab 21:53 Min. 407 Ebd. ab 01:19:52 Min. 408 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 und G4 28.10.1977 II ab 01:19:39 Min. 409 Ebd. ab 01:21:30 Min.

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Dementsprechend folgerten die Arbeiter, dass die Gruppenarbeit „nur für außergewöhnlich Schnelle“ zu schaffen und daher „die ganze Moral“ für das Projekt „dahin sei“.410 Die Arbeiter wussten, dass nur die Leistungsstärksten in der Gruppenarbeit Bestätigung erhielten, was nicht ihrer Vorstellung von Gruppenarbeit zu Beginn des Projektes entsprach und sie waren durch diese Entwicklung nun völlig demotiviert. Dennoch hatte ihre Solidarität mit den schwächeren Kollegen Grenzen und die Arbeiter trieben den Konkurrenzkampf zwischen Gruppen auch selbst voran, wie folgendes Zitat belegt: Arbeiter G2: „Motoren, Motoren. Jeder ’n Messer zwischen den Zähnen.“411

Ebenso stellte sich im Konkurrenzkampf zwischen den einzelnen Gruppen heraus, dass insbesondere sozial marginalisierte Arbeiter ausgegrenzt wurden. Die einzige Gruppe, die die geforderten Stückzahlen regelmäßig produzierte, war Gruppe 4, in der überwiegend migrantische Arbeiter waren. Sie standen unter einem besonderen Leistungsdruck, da sie sich als „Gastarbeiter“ beweisen wollten. Dafür kritisierte sie Gruppe 3 allerdings scharf: Arbeiter G3: „Die haben von vornherein den Fehler gemacht, das VW Werk hier, dass sie die Tunesier, dass davon eine Gruppe existiert. Weil die Leute glaube ich, gar nicht das Interesse haben, um wirklich was durchzusetzen. Denen ist das ganz egal, was damit passiert, denn die fahren früher oder später sowieso wieder zurück […] Hauptsache, die sind vom Band weg und können so ’n bisschen rumpockeln und können sich zu Hause feiern lassen. […] für so was sind die nicht geeignet.“412

Demnach hätte die Gruppe 4 gar kein Interesse daran, die Arbeitsstruktur langfristig zu erhalten, da sie als „Gastarbeiter“ ohnehin wieder in ihre Heimat zurückkehren würden. Daher zählte für sie angeblich nur, dass sie nicht mehr am Band stehen müssten. Außerdem stellte der Gruppensprecher die Eignung der migrantischen Arbeiter für die Gruppenarbeit allgemein in Frage und übernahm damit ähnliche Verhaltensmuster wie seine Vorgesetzten, wie in Kapitel 4.1 dargelegt. Er sprach der Gruppe 4 ab, ausreichend qualifiziert zu sein und umfassende Kenntnisse über den Motorenbau zu haben: Gruppensprecher G3: „Dabei haben die von Motoren keine Ahnung, wie die Teile funktionieren.“413

Die Gruppe 4 „pfusche“ nach Ansicht des Gruppensprechers 3 und „die machen Knüppelmann und Söhne, ohne zu wissen, wie der Motor funktioniert“.414 Folglich wurde Gruppe 4 insbesondere von Gruppe 3 aufgrund ihrer guten Leistungen in Verbindung mit ihrer Herkunft ausgegrenzt. Dies belegt, dass durch den Leistungsdruck auch die sozialen Bindungen zwischen den Arbeitern Schaden nah410 Ebd. ab 01:28:07 Min. 411 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G2, G4, G1 und G3 21./22.04.1976 II ab 11:39 Min. 412 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1, G3, G4, G2 08./09.04.1976 II ab 01:09:16 Min. 413 Ebd. ab 01:24:50 Min. 414 Ebd. ab 01:24:55 Min.

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men. Trotz der Unzufriedenheit und der Demotivation bemühten sich die Gruppen paradoxerweise, die geforderte Mehrleistung im Projekt zu erbringen in der Hoffnung, die Arbeitsstrukturen dadurch zu erhalten, um die vielseitigen Arbeitsaufgaben und den zumindest etwas größeren Freiraum gegenüber der Arbeit am Band zu sichern. Auch diese Tatsache spiegelt sich in anderen soziologischen Studien zur Gruppenarbeit wider. Ungeachtet der großen Unzufriedenheit bevorzugten die Arbeiter im Vergleich zur konventionellen Fertigung dennoch die neuen Arbeitsstrukturen.415 Dies zeigt abermals die Überlappung von Rationalitäten und die Widersprüchlichkeiten des Arbeiterhandelns auf. Die Analyse legt dar, dass in beiden Projekten die betrieblichen Hierarchien Bestand hatten. Darüber hinaus fand ein Ausbau von Kontrolle durch die Vorgesetzten statt: Bei den Industrieroboter-Projekten im Zuge der Einführung neuer Produktionstechnologien sowie Personalinformationssysteme und in der Gruppenarbeit durch die gestiegenen Leistungsvorgaben, welche es zu erreichen galt. Die zunehmende Kontrolle und Disziplinierung der Arbeiter hatten in beiden Projekten negative Auswirkungen auf das Betriebsklima und das Verhältnis zwischen Arbeitern und Vorgesetzten. Bei der Umstellung der Produktion durch die Roboter sprachen die Arbeiter von einem „Klima der Angst“ im Betrieb. Dies betraf allerdings nicht nur sie selbst, sondern auch ihre direkten Vorgesetzten in der Produktion sowie die oberen Hierarchie-Ebenen des Unternehmens. Die Kontrollmacht bündelte sich also seit den 1970er Jahren bei immer weniger verantwortlichen Personen. Dieser Ausbau von Kontrolle im Zuge der Automatisierung der Produktion war ein vielfach angestoßener Prozess in bundesdeutschen Unternehmen zu dieser Zeit.416 Darüber hinaus hatten die Werker kein Mitspracherecht, an welche Arbeitsplätze sie versetzt wurden, was zu einem Vertrauensverlust gegenüber ihren Vorgesetzten führte. Auch im Gruppenarbeits-Projekt beschränkte die Projektleitung die Mitbestimmung der Arbeiter durch die Vorgabe der Rahmenbedingungen und die Festlegung einer Teilautonomie. Die Einführung neuer Produktionstechnologien respektive Arbeitsstrukturen ging sowohl für die Arbeiter im Gruppenarbeits-Projekt als auch für die Werker in den Industrieroboter-Projekten mit einer sozialen Isolation einher, die dem Aufbau der neuen Produktionsanlagen, der Funktionsweise der Roboter sowie den hohen Stückzahlforderungen durch die Betriebsleitung geschuldet waren. Individuelle Fertigungsmethoden oder Leistungsschwächen wurden als Störfaktor in der Produktion angesehen. Aber auch die Arbeiter in den Projekten verinnerlichten das Leistungsprinzip, grenzten in der Konsequenz schwächere Kollegen aus und zeigten stellenweise keine Solidarität. Die Analyse ergab zudem, dass bei allen drei HdA-Projekten nicht der Mensch im Mittelpunkt der Produktion stand, sondern die Maschinen den Takt vorgaben und die Produktivität bei der Unterneh415 PEKRUHL, Ulrich: Macht Gruppenarbeit glücklich? Arbeitsstrukturen, Belastungssituationen und Arbeitszufriedenheit von Beschäftigten, in: Arbeiten in neuen Strukturen? Partizipation, Kooperation, Autonomie und Gruppenarbeit in Deutschland, hrsg. v. Jürgen NORDHAUSEJANZ, München u. a. 2000, S. 197f. 416 KLEINÖDER, NINA 2012, Risikoregulierung am Arbeitsplatz, S. 179.

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mensleitung Vorrang hatte. Diese Verstärkung der Technikdominanz bezogen auf das Mensch-Maschine-Verhältnis in der Produktion lässt sich ebenso bei zahlreichen anderen Unternehmen in den 1970er Jahren nachweisen.417 Außerdem ergaben sich für die Arbeiter in den Projekten Nachteile, wenn sie die betrieblichen Hierarchien und die festgelegte Befehlskette nicht einhielten. Ferner wurden sie bewusst von den Vorgesetzten an der Teilhabe in diesen Hierarchien gehindert. Hierfür war einerseits der Wunsch des Machterhalts seitens der Vorgesetzten ausschlaggebend und andererseits das vorherrschende betriebliche Menschenbild beziehungsweise Ordnungsdenken, welches den Arbeitern in der Vorstellung der betrieblichen Führungskräfte einen festen Platz zuwies. Weiterhin hatten die hohen Leistungsvorgaben der Werksleitung einen negativen Effekt auf die Arbeitsbedingungen und –motivation der Werker. In der Gruppenarbeit machten sie sogar die vom HdA-Programm angepriesenen Vorteile der Arbeitsstruktur wie soziale Interaktion, gemeinsames Arbeiten und freie Arbeitseinteilung zunichte. Sowohl in den Industrieroboter-Projekten als auch bei der Gruppenarbeit beförderten die Vorgesetzten durch die gestiegene Kontrolle und Disziplinierung der Werker sowie durch die Verweigerung von Partizipation angesichts rigider Betriebshierarchien Konflikte und wachsendes Misstrauen. Aufgrund dessen sahen zahlreiche Arbeiter die Humanisierung als gescheitert an. Um ihre Handlungsfreiheit zu verteidigen, griffen einige Gruppenarbeiter wiederum auf radikale Methoden zurück, wie etwa die Zurückhaltung von Leistung oder gar Bedrohung ihrer Vorgesetzten und trugen damit zu einer weiteren Eskalation der Konflikte bei. Das Vertrauen, die sozialen Beziehungen und der Interessenausgleich, welche sich in Kapitel 3 als elementar für eine erfolgreiche Kooperation und Umsetzung der Projekte herauskristallisierten, gerieten durch die betriebliche Hierarchisierung, einhergehend mit der erweiterten Kontrolle und Disziplinierung sowie durch die verweigerte Partizipation der Arbeiter zunehmend unter Druck. Die Analyse offenbart, dass das Modell der fordistisch-tayloristischen Massenproduktion nicht, wie in älteren Forschungsarbeiten häufig behauptet, in den 1960er und zu Beginn der 1970er Jahre sein Ende fand.418 Zahlreiche Elemente dieses Konzeptes erwiesen sich als äußert anpassbar und stabil, selbst bei der Produktionsumstellung von einer fordistischen zu einer flexiblen Massenproduktion. Damit gliedert sich die Arbeit an neue wirtschaftshistorische Forschungen an, die

417 Ebd., S. 185; CRAMER, Stephan/WEYER, Johannes: Interaktion, Risiko und Governance in hybriden Systemen, in: Gesellschaft und die Macht der Technik. Sozioökonomischer und institutioneller Wandel durch Technisierung, hrsg. v. Ulrich DOLATA/Raymund WERLE, Frankfurt am Main 2007, S. 278ff. 418 Vgl. DOERING-MANTEUFFEL, ANSELM; LUTZ, RAPHAEL 2008, Nach dem Boom, S. 9; SEIBRING, ANNE 2011, Humanisierung, S. 111; WELLHÖNER, VOLKER 1996, „Wirtschaftswunder“ – Weltmarkt – westdeutscher Fordismus, S. 305; HIRSCH, Joachim/ROTH, Roland: Das neue Gesicht des Kapitalismus. Vom Fordismus zum Post-Fordismus, Hamburg 1986, S. 104f.; HAIPETER, THOMAS 2000, Mitbestimmung bei Volkswagen, S. 149f.

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den Fortbestand dieses Konzeptes und seiner Ideen, wenn auch in veränderter Form, in den Betrieben bis weit in die 1970er Jahre hinein aufzeigen.419 4.2.2 Arbeiter und ihre Interessenvertretungen Bei der Umstellung der Produktion infolge der neuen Technologien und Arbeitsstruktur konnten die Arbeiter selbst bisweilen nicht ihre Interessen gegenüber der Betriebsleitung durchsetzen. Nun bleibt die Frage, ob dies den Interessenvertretungen, wie Betriebsrat oder Gewerkschaften, in besserer Weise gelang und die Arbeiter sich von diesen ausreichend unterstützt fühlten. Hierbei ist auch zu klären, ob die Werker in ihren Vertretungen selbst ausreichend Mitbestimmungsmöglichkeiten hatten. Der Forschungsliteratur zur Mitbestimmung bei VW zufolge, welche sich insbesondere auf Quellen des Betriebsrates und der IG-Metall stützt, war die Interessenvertretung der Arbeiter bei VW in den 1970er und 1980er Jahren über die Maßen erfolgreich.420 Diesen Befund gilt es nun in Bezug auf die wahrgenommene Interessenvertretung und auf die Mitbestimmungsmöglichkeiten der Arbeiter in ihren Vertretungen zu überprüfen. Außerdem ist zu klären, ob die Interessenvertretungen zugunsten ihrer eigenen Ziele nicht auch Macht über die Arbeiter ausübten und ob daraus Konflikte mit den Werkern entstanden. Als ein Meilenstein der Arbeitnehmerinteressenvertretung gilt das 1972 erlassene Betriebsverfassungsgesetz. Durch dieses erhielten die Gewerkschaften und der Betriebsrat umfassendere Mitbestimmungsrechte im Unternehmen. Die Differenzierung zwischen Angestellten und Arbeitern wurde aufgelöst und die Verlängerung der Amtszeit des Betriebsrates von zwei auf vier Jahre beschlossen. Im Bereich der Mitsprache in sozialen Angelegenheiten bedurften nun Maßnahmen, die der Überwachung der Arbeitnehmer und deren Leistung dienten, einer Zustimmung des Betriebsrates. In personellen Angelegenheiten bekam er das Recht, bei Kündigungen mitzubestimmen sowie in besonderen Fällen einer Kündigung zu widersprechen.421 Zusätzlich wurde in § 80 die Inklusion von älteren und ausländischen Arbeitnehmern als Aufgabe des Betriebsrates festgehalten und den Arbeitnehmern standen ein explizites Beschwerderecht sowie das Recht auf Einsichtnahme in die Personalakte zu.422 Für die „humane Gestaltung der Arbeit“ erhielt der Betriebsrat sogar ein Initiativrecht mit erzwingbarer Mitbestimmung.423 Somit war die Rolle des Betriebsrates als möglicher Initiator für die „Humanisierung des Arbeitslebens“ oder HdA-Projekte in den Betrieben festgelegt. Das Ge419 Vgl. LUKS, TIMO 2010, Der Betrieb als Ort der Moderne, S. 273f.; UHL, KARSTEN 2014, Humane Rationalisierung?, S. 350 und S. 361. 420 HAIPETER, THOMAS 2000, Mitbestimmung bei Volkswagen, S. 202f.; OWETSCHKIN, DIMITRIJ 2016, Vom Verteilen zum Gestalten, S. 232 und S. 210ff. 421 BetrVG 1972 § 102 Abs. 3. 422 Ebd. § 80 Abs. 6 und 7; § 83f. 423 Ebd. § 91; Vgl. HEESER, Günther: Die Mitbestimmung des Betriebsrats. Vergleich zwischen der früheren Rechtslage und der nach dem Betriebsverfassungsgesetz 1972, Köln 1973, S. 169.

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setz stellte zugleich eine Stärkung der demokratischen Strukturen im Betrieb infolge der Reformen bei der Wahl und Besetzung des Betriebsrates dar. So wurde das passive Wahlrecht bei der Betriebsratswahl auf Personen ab 18 Jahren herabgesetzt und es durften nun auch nichtdeutsche Staatsbürger, etwa „Gastarbeiter“, als Betriebsräte gewählt werden.424 Überdies legte das Gesetz eine verbindliche Geschlechterquote für den Betriebsrat fest. Die Anzahl der Betriebsratsmitglieder wurde anhand der Größe eines Unternehmens bestimmt sowie Mindestzahlen für freizustellende Betriebsräte eingeführt.425 Eine vollständige Umsetzung paritätischer Mitbestimmung entfiel jedoch, da der Primat der Unternehmensleitung in wirtschaftlichen Fragen nahezu uneingeschränkt fortbestand. Weiterhin blieb die Formulierung in § 111, nach welcher dem Betriebsrat bei „Betriebsänderungen, die wesentliche Nachteile […] für erhebliche Teile der Belegschaft zur Folge“ hatten, eine Mitsprache einzuräumen sei, nicht nur unbestimmt und damit Auslegungssache, sondern die Unternehmensleitung konnte sich nach § 113 auch aus „zwingenden Gründen“ über die Beschlüsse des Betriebsrates hinwegsetzen. Darüber hinaus regelte der überarbeitete Paragraf 2 erstmals die Stellung und die Rechte der Gewerkschaften im Betrieb. So erhielten die Gewerkschaften Zugangsrecht in die Betriebe.426 Jedoch blieb ungeachtet der Kritik des DGB die grundsätzliche Trennung zwischen Betriebsrat und Gewerkschaften sowie deren eingeschränktes Initiativrecht erhalten.427 Trotz dieser Trennung kontrollierte die im Betrieb vertretene Gewerkschaft den Betriebsrat. So konnte sie eine Betriebsratswahl, wenn dabei gegen das Betriebsverfassungsgesetz verstoßen wurde, vor dem Arbeitsgericht anfechten oder bei grober Verletzung der gesetzlichen Pflichten ein Betriebsratsmitglied oder den gesamten Betriebsrat vor Gericht verklagen.428 Weiterhin bekamen sie das Recht zur Beratung des Betriebsrates und der Teilnahme an dessen Sitzungen.429 Sie konnten ebenso eine Betriebsversammlung einberufen, sofern der Betriebsrat dies nicht im vorangegangen Halbjahr getan hatte und erhielten hierbei ein Teilnahmerecht.430 Der Einfluss der Gewerkschaften im Betrieb war also beachtlich, insbesondere durch die Vertrauensleutearbeit431, die Betriebsräteschulung in von den Gewerkschaften durchgeführten Bil424 Wahlrecht: BetrVG 1972 § 7f.; zu den veränderten gesellschaftlichen Bedingungen: HINKEN, Günter: Vom „Gastarbeiter“ aus der Türkei zum gestaltenden Akteur. Mitbestimmung und Integration von Arbeitsmigranten bei Ford Köln, in: Geschichte und Gedächtnis in der Einwanderungsgesellschaft. Migration zwischen historischer Rekonstruktion und Erinnerungspolitik, hrsg. v. Jan MOTTE/Rainer OHLIGER, Essen 2004, S. 265–269. 425 BetrVG 1972 § 9; § 60–73 und § 38. 426 Ebd. § 2. 427 Ebd. § 2 Abs. 1 und 2; § 31. 428 Ebd. § 19 Abs. 1 und 2; § 23 Abs. 1; vgl. CASPAR, Richard: Die gesetzliche und verfassungsrechtliche Stellung der Gewerkschaften im Betrieb (Erlanger juristische Abhandlungen 24), Köln 1980, S. 7; S. 10 und S. 12. 429 BetrVG 1972 § 31. 430 Ebd. § 43 Abs. 4; § 46 und § 53 Abs. 3. 431 Vertrauensleute sind ehrenamtlich tätige Personen für die Gewerkschaft in einem Betrieb. Ihre gewerkschaftlichen Funktionen umfassen die Information und Aufklärung der Mitglieder, Mitgliederwerbung und die Verteilung von gewerkschaftlichem Informationsmaterial

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dungsanstalten und ihrem Auftreten in der Betriebsratswahl. Der Betriebsrat wurde im Betriebsverfassungsgesetz angewiesen, alle Arbeitnehmer gleich zu behandeln, egal ob sie Gewerkschaftsmitglied waren oder nicht. So sollte eine Diskriminierung von Gewerkschaftsmitgliedern verhindert werden.432 Darüber hinaus vertrat der Betriebsrat nicht die Gewerkschaften im Betrieb.433 Folglich bestand in der Theorie ein Dualismus der beiden Institutionen. Anders als die Gewerkschaften war der Betriebsrat dazu angehalten, zum Wohle der Arbeitnehmer und des Betriebes vertrauensvoll mit den Arbeitgebern zusammenzuarbeiten. Hierbei musste er einen „ernsten Willen“ zur Einigung zeigen. Überdies durfte er im Gegensatz zu den Gewerkschaften keine Arbeitskämpfe organisieren oder sich parteipolitisch betätigen, wobei „die Behandlung von Angelegenheiten tarifpolitischer, sozialpolitischer, umweltpolitischer und wirtschaftlicher Art, die den Betrieb oder seine Arbeitnehmer unmittelbar betreffen“ darin nicht eingeschlossen waren.434 Zwischen den Vertretungen bestand ein Verhältnis der Kooperation, nicht der Konkurrenz.435 Was die Anwerbung von Gewerkschaftsmitgliedern im Betrieb anging, gab es im Betriebsverfassungsgesetz § 2 Abs. 3 eine Lücke: „Die Aufgaben der Gewerkschaft und der Vereinigungen der Arbeitgeber, insbesondere die Wahrnehmung der Interessen ihrer Mitglieder, werden durch dieses Gesetz nicht berührt.“ Die gewerkschaftliche Werbung im Betrieb blieb vom politischen Gesetz daher ausgeklammert.436 Die bestimmende Gewerkschaft bei VW ab den 1970er Jahren war die IG Metall. In den 1960er Jahren konnte sie ihre Position im Unternehmen massiv ausbauen. Einerseits traten immer mehr Betriebsratsmitglieder in die Gewerkschaft ein und bei Betriebsratswahlen setzten sich bei den Arbeitnehmern oft IG Metall-Kandidaten durch, andererseits dominierten die Vertreter der IG Metall ebenso den Aufsichtsrat.437 Ein funktionsfähiger gewerkschaftlicher Vertrauenskörper wurde installiert.438 Insbesondere durch die Vertrauensleute in der Produktion ab den 1950er Jahren, welche die Anwerbung von neuen Mitgliedern, etwa Kollegen aus der Produktion, vereinfachten und konkrete Problemhilfen an der Basis übernahmen, gewann die IG Metall zunehmend Mitglieder.439 Die Vertrauensleute, Gewerkschaftsmitglieder, welche ehrenamtliche Gewerkschaftsarbeit im Betrieb ihres Arbeitgebers leisteten, waren überwiegend als Mittler bei Konflikten zwischen Arbeitnehmern und ihren Vorgesetzten in der Produktion tätig und ga-

432 433 434 435 436 437 438 439

vgl. KOOPMANN, Klaus: Vertrauensleute. Arbeitervertretung im Betrieb, Hamburg 1981, S. 8f. oder KOCH, GÜNTHER 1987, Arbeitnehmer steuern mit, S. 64. BetrVG 1972 § 75 Abs. 1. Ebd. § 2 Abs. 3; vgl. DÄUBLER, Wolfgang: Gewerkschaftsrechte im Betrieb, Baden-Baden 12 2017, S. 58. BetrVG 1972 § 74 Abs. 1; § 2 Abs. 1; vgl. DÄUBLER, WOLFGANG 2017, Gewerkschaftsrechte, S. 58. Ebd., S. 60. Ebd., S. 128. KOCH, GÜNTHER 1987, Arbeitnehmer steuern mit, S. 180. Ebd., S. 18. Ebd., S. 64.

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ben die Informationen des Betriebsrates an die Beschäftigten weiter. Sie dienten als Hilfsfunktion des Betriebsrates, der in den 1960er Jahren im Vergleich zu den tausenden Beschäftigten relativ wenige Mitglieder zählte.440 Allerdings konnte die Gewerkschaft durch ihre zunehmende Machtbasis ebenso Einfluss im Betriebsrat ausüben. In den Zeiten des Wirtschaftswunders trug die IG Metall durch die Aushandlung von Haus- und Tarifverträgen zu einem umfassenden Sicherungs- und Gratifikationssystem für die Arbeitnehmer bei, was ihr hohe Mitgliederzahlen verschaffte.441 So verzeichnete die IG Metall exemplarisch in der Verwaltungsstelle Wolfsburg von 1953 mit 7.493 Mitgliedern einen massiven Anstieg bis 1968 mit 29.808 Mitgliedern.442 1968 gab es in Wolfsburg circa 800 Vertrauensleute in der Produktion.443 Zunehmend verdrängte die IG Metall auch den Christlichen Metaller-Verband (CMV) und sogar die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft.444 1981 hatte die IG Metall im Werk Wolfsburg einen Organisationsgrad unter der Arbeiterschaft von 78 %.445 Das spiegelt sich auch bei den 133 im Industrieroboter-Projekt befragten Arbeitern wider. So waren 92 von ihnen Mitglieder in der IG Metall, 4 CMV-Mitglieder, 14 Arbeiter ohne Gewerkschaftsmitgliedschaft und bei 23 wurde die Frage nach einer Gewerkschaftsmitgliedschaft nicht gestellt. Also waren mindestens 72 % der befragten Arbeiter IG MetallMitglieder. Außerdem ist wichtig festzuhalten, dass die IG Metall als Organisation selbst stark hierarchisch gegliedert war. Es gab eine Befehlskette der Leitungsorgane bis hin zu den lokalen IG Metall-Vertretungen. Ebenso verhielt es sich mit dem Vertrauenskörper, der sich aus einem von VW bezahlten Leitungsgremium bis hin zu den ehrenamtlichen Vertrauensleuten in der betrieblichen Produktion strukturierte, ähnlich wie die Formalhierarchie des Unternehmens.446 Nicht nur im Betriebsrat konnte die IG Metall ihren Einfluss geltend machen. Auf der Basis des neuen Betriebsverfassungsgesetzes wurde am 21.06.1972 ein Gesamtbetriebsrat konstituiert. Er umfasste 21 Mitglieder, die von Betriebsräten der einzelnen Werke gewählt wurden. Der Gesamtbetriebsrat verhandelte direkt mit dem Vorstand und tagte einmal im Jahr. Alle Mitglieder des Gesamtbetriebsrates gehörten der IG Metall an.447 Ein weiteres wichtiges Gesetz war das Mitbestimmungsgesetz von 1976. Es setzte die paritätische Vertretung der Arbeitnehmer in Aufsichtsräten von größeren Unternehmen fest. In der Tat stellte die IG Metall die meisten Arbeitnehmervertreter bei VW.448 Folglich waren all diese Gremien im Unternehmen mehrheitlich mit Gewerkschaftern besetzt.

440 441 442 443 444 445 446

Ebd., S. 130f. Ebd., S. 78f. Ebd., S. 91. Ebd., S. 92. Ebd., S. 92. Ebd., S. 162. BIRKE, PETER 2007, Wilde Streiks im Wirtschaftswunder, S. 99; CASPAR, RICHARD 1980, Stellung der Gewerkschaften im Betrieb, S. 40. 447 KOCH, GÜNTHER 1987, Arbeitnehmer steuern mit, S. 164. 448 Ebd., S. 180.

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Konnten der Betriebsrat und die IG Metall nun durch ihre erweiterten Mitbestimmungsrechte die Arbeiter bei der Einführung der neuen Produktionstechnologien ausreichend vertreten und waren jene mit der Leistung ihrer Interessenvertretungen zufrieden oder kam es auch zwischen den beiden Akteursgruppen aufgrund von Hierarchien und ungleicher Machtverteilung zu Konflikten? Nach der Auswertung der geführten Interviews in den Industrieroboter-Projekten zeigte sich, dass zahlreiche Werker unzufrieden mit der Arbeit des Betriebsrates und der IG Metall waren. Diese Kritik bezog sich auf vier Faktoren: Erstens die zu geringe Präsenz in der Produktion und die Entfernung von der eigenen Basis; zweitens zu wenig betriebliche Einflussnahme und ungenügende Verhandlungsergebnisse; drittens die zu geringe Unabhängigkeit vom Unternehmen und die daraus entstehende Korruption sowie viertens die Bevorzugung bestimmter Gruppen. Diese vier Faktoren werden im Folgenden veranschaulicht. Der erste Kritikpunkt bezog sich auf die zu geringe Präsenz des Betriebsrates in den Produktionshallen. So gaben zahlreiche Werker an, den Betriebsrat noch gar nicht oder nur kurz vor den Betriebsratswahlen in der Produktion gesehen zu haben.449 „Der sollte sich ganz allgemein um die Leute kümmern und sich für ihre Probleme einsetzen. Das sollte er schon machen. Aber das läuft ja überhaupt nicht. Bei uns hat sich jedenfalls noch keiner darum gekümmert. […] von denen lässt sich hier ja keiner blicken.“ 450

Außerdem zeichnete sich anhand der Äußerungen der Arbeiter eine Entfremdung zwischen ihnen und ihren Interessenvertretungen ab: „Bei denen sind auch schon viele dabei, die vergessen haben, daß sie auch mal gearbeitet haben. Das fängt schon mit den Vertrauensleuten an. Die meinen ja auch schon, daß sie was Bessres sind. Und außerdem können die einen auch gar nicht richtig informieren, wenn sie von einer Sitzung kommen. Die machen sich keine Notizen und sehen nur die Zeit, wo sie nicht gearbeitet haben.“451

Die Werker meinten, dass die Vertrauensleute sich über sie stellen würden. Sie legten ihnen zur Last, die Freistellung für die Betriebsratsarbeit oder Vertrauensarbeit als Möglichkeit zu nutzen, um sich vor ihrer Arbeit zu drücken. Darüber hinaus fühlten sie sich von der Gewerkschaft und den Vertrauensleuten nicht ausreichend über die aktuellen Entwicklungen im Unternehmen unterrichtet. So äußerten die Werker auch Kritik an den Informationsmedien ihrer Interessenvertretungen:

449 Vgl. „Sie werden lachen, gestern habe ich den Betriebsrat überhaupt zum ersten Mal gesehen.“ eLabour-SOFI-IR01_003_009.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Presswerk, 39 Jahre am 06.09.1977, S. 16; IfS Frankfurt A 117 Ordner 6 Gruppengespräch am 07.12.1978, S. 12; eLabour-SOFI-IR01_003_014.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Untergruppenrohbau, 35 Jahre am 11.10.1977, S. 10. 450 eLabour-SOFI-IR01_007_015.pdf Gespräch mit Kettenanhänger aus dem Rohbau, 29 Jahre o. D., S. 9f. 451 eLabour-SOFI-IR01_006_009.pdf Gespräch mit Arbeiterin aus der Kunststoffteilefertigung, 29 Jahre am 27.10.1977, S. 8.

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Arbeiter als Konfliktpartner „Man weiß von der Gewerkschaft noch viel zu wenig Bescheid. Die müssen da vielmehr veröffentlichen in der Zeitung der IG Metall, die andere Zeitung lese ich ja erst gar nicht [Zeitung des BR]. Die bringt ja nichts, das ist ja eine grausame Aufmachung. […] Vor allen Dingen Leute, die sich schlecht ausdrücken können. Die können ja nicht reden wie ein Akademiker. Vor allem dem Mann auch das Gefühl der Zusammengehörigkeit geben, das ist das Entscheidende. Die Betriebsräte müßten auch mehr in Erscheinung treten.“452

Das Zitat geht auf die bestehenden Sprachbarrieren und Verständigungsschwierigkeiten zwischen den Arbeitern und dem Betriebsrat ein, die zu einer Distanzierung und Abgrenzung führten. So würde die Betriebsratszeitung nicht verständlich für die Arbeiter formuliert und die IG Metall vermittle in ihren Publikationen zu wenig Informationen. Beide Publikationsorgane konnten die Arbeiter anscheinend nicht zu einer stärkeren Identifikation mit ihren Interessenvertretungen bewegen, sondern verstärkten durch die „akademische“ Sprache noch die wahrgenommene Entfremdung. Die Arbeiter forderten daher, dass die Betriebsräte häufiger auf sie zukommen und nachfragen sollten, welche Probleme bestünden. Außerdem trauten die Werker dem Betriebsrat nicht mehr zu, die Arbeit in der Produktion beurteilen zu können. Zu lange seien sie nicht mehr an diesen Arbeitsplätzen gewesen und zu wenig präsent in der Produktion. Das beweist eine große Distanz der Werker zu ihren gewählten Betriebsräten, die sie als „Oberbonzen“ bezeichneten: „Und ich glaube, er [der Betriebsrat] hat auch gar keine Ahnung, ob die Arbeit schwer oder leicht ist. Wenn man da nicht arbeitet, kann man dazu gar nichts sagen. Manchmal sieht das so einfach aus. Aber ich habe vor kurzem an den Pufferstangen gearbeitet. Und da habe ich mir gedacht, wenn jetzt einer von den Oberbonzen kommt, dann gebe ich ihm ein Teil in die Hand und sage ihm, daß er die Arbeit mal machen soll. Dann würde er merken, wie schwer diese Arbeit ist.“453

Die Betriebsräte erscheinen in dieser Aussage aufgrund ihrer Privilegien und ihrer Stellung fernab der Welt der Arbeiter und ihren Problemen. Durch das häufig verwendete Wort „Bonze“ unterstellten die Arbeiter ihren Vertretern zudem Scheinheiligkeit. Schon seit dem späten 19. Jahrhundert wurde dieser Begriff innerhalb der Arbeiterbewegung als spöttische Bezeichnung für sozialdemokratische Amtsinhaber oder Gewerkschaftsfunktionäre genutzt.454 Laut dem zitierten Arbeiter könnten ihre Vertreter die körperlichen Strapazen der Tätigkeiten in der Produktion nicht mehr nachvollziehen, da sie nur noch Verwaltungsarbeit verrichteten. Diese Entfremdung zwischen Betriebsrat und Belegschaft konstatieren auch andere Forschungsarbeiten zu diesem Themenfeld.455 Jene Distanz findet in der folgenden Aussage erneut ihren Ausdruck: 452 eLabour-SOFI-IR01_004_037.pdf Gespräch mit Arbeiter aus der Lackiererei, 35 Jahre o. D., S. 13. 453 eLabour-SOFI-IR01_005_009.pdf Gespräch mit Arbeiterin aus dem Presswerk, 52 Jahre am 12.09.1977, S. 8. 454 STORFER, Adolf: Wörter und ihre Schicksale, Berlin/Zürich 1935, S. 72. 455 DYBOWSKI-JOHANNSON, Gisela: Die Interessenvertretung durch den Betriebsrat. Eine Untersuchung der objektiven und subjektiven Bedingungen der Betriebsratstätigkeit (Campus Forschung 155), Frankfurt am Main 1980; KOTTHOFF, Hermann: Betriebliche Interessenvertre-

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„Ich gehe da auch schon gar nicht mehr hin. Der Ehlers soll mal eine Schicht die Kurbelwelle abstapeln. Die sitzen da oben und wissen ja gar nicht, was hier vor sich geht. Ich hab die Erfahrung gemacht, daß einer zu mir gesagt hat: Ich hab die Macht, wenn ich es will, daß du gehst. So was kann ich nicht ab, daß die sagen, was ihr da unten habt, geht uns nichts an.“ 456

Der Arbeiter bezieht sich im Zitat auf den damaligen Betriebsratsvorsitzenden bei VW Wolfsburg, Siegfried Ehlers, der in der oberen Etage des Unternehmens in seinem Büro sitze und mit der Arbeitswelt in der Produktion keine Berührung mehr habe. Tatsächlich nahmen Betriebsräte an etlichen Sitzungen sowie Besprechungen mit dem Management teil und auch die Institution Betriebsrat war bei VW zentralistisch-hierarchisch gegliedert.457 So erhielten Hallenbetriebsräte eine deutlich geringere Bezahlung als Mitglieder des Betriebsratsausschusses und als der Vorstand des Betriebsrates. Ebenfalls gab es eine differenzierte Handhabung von Freistellungen für Aufgaben, die in den oberen Hierarchieebenen großzügiger einsetzbar waren. Den Betriebsräten wurden also je nach Stellung unterschiedliche Privilegien zuteil.458 Besonders aktive oder für das Unternehmen wertvolle Betriebsräte, etwa aufgrund ihrer Beziehungen oder Kenntnisse über bestimmte Themengebiete, konnten ins Management überwechseln und von der Interessenvertretung abgeworben werden, was die enge Verbindung zwischen den beiden Parteien belegt.459 Die Entfremdungserscheinungen zwischen den beiden Akteursgruppen Arbeiter und Betriebsrat stellten sich auch in anderen soziologischen Studien in Industriebetrieben heraus.460 Zudem geht aus dem Zitat hervor, dass eine klare Hierarchie bestand und der Betriebsrat über die Arbeiter Macht ausübte. So mussten letztendlich die Arbeiter nicht nur ihre Vorgesetzten fürchten, wenn sie gegen deren Bestimmungen handelten, sondern auch den Betriebsrat, welcher über die Macht verfügte, für ihn unangenehme Werker loszuwerden, etwa durch Versetzung oder verhinderte Beförderung. Diese Machtausübung offenbarte sich auch an anderer Stelle. Demnach waren Betriebsräte gleichermaßen der Auffassung, dass Arbeiter zum Wechsel an verschiedenen Arbeitsplätzen regelrecht gezwungen werden müssten, um monotonen Bewegungsabläufen entgegenzuwirken und gestalteten diese Disziplinierung aktiv mit.461

456 457 458 459 460 461

tung durch Mitbestimmung des Betriebsrates, in: Handbuch der Arbeitsbeziehungen. Deutschland, Österreich, Schweiz, hrsg. v. Günter ENDRUWEIT u. a., Berlin 1985, S. 80. eLabour-SOFI-IR01_004_033.pdf Gespräch mit Maschinenführer aus dem Rohbau, o. A. und o. D., S. 9f. HAIPETER, THOMAS 2000, Mitbestimmung bei Volkswagen, S. 147. Ebd., S. 147. OWETSCHKIN, DIMITRIJ 2016, Vom Verteilen zum Gestalten, S. 127f.; KOCH, GÜNTHER 1987, Arbeitnehmer steuern mit, S. 101ff. und S. 132–137. Vgl. SURKEMPER, Klaus-Peter: Inoffizielle Streiks, informelle Systeme und betriebliche Gegenmacht, Hannover 1981, S. 101f. „Wenn kein Wille da ist oder nicht der Zwang dahinter steht, dann wird’s also nicht gemacht. Das sei ein „Erziehungsprozeß.“ IfS Frankfurt A 117 Ordner 7 Gespräch mit Betriebsräten aus dem Rohbau am 08.12.1978, S. 21.

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Der zweite Kritikpunkt der Arbeiter am Betriebsrat und an der IG-Metall waren deren zu geringe Beteiligung bei Unternehmensentscheidungen und der als zu gering empfundene Erfolg oder Einsatz bei Problemlagen der Arbeiter. „Der Betriebsrat und die Gewerkschaften, die tun nicht so viel. Es wird zwar viel geredet, aber erst wird geredet und dann wird doch zugestimmt.“ 462

Sie würden zwar öffentlichkeitswirksam häufig der Position der Arbeitgeber widersprechen, aber letztlich doch deren Bedingungen zustimmen. Als Beispiel führten die Werker oft die Einführung der Roboter an. Die Gewerkschaften und der Betriebsrat hätten sich zwar kritisch gegenüber den neuen Technologien geäußert, aber letztlich fanden sie dennoch im Unternehmen Anwendung.463 Insbesondere dem Betriebsrat, dessen Mitglieder vom Unternehmen bezahlt wurden, trauten die Arbeiter wenig Einfluss und Eigenständigkeit zu. Die Werker zeigten sich enttäuscht darüber, dass er der Einführung der Roboter zugestimmt hatte und sie befürchteten, dass dem massenhaften Einsatz der neuen Technologie nun nichts mehr entgegenzusetzen sei464: „Die Kollegen können einfach nicht begreifen, daß die Gewerkschaft und der Betriebsrat da ihre Zustimmung geben, wo wir so viele Arbeitslose haben.“465

Die Werker fühlten sich folglich vom Betriebsrat und der Gewerkschaft im Stich gelassen. Sie hatten Angst davor, dass der Einsatz von Robotern zu wenig reguliert oder kontrolliert wurde und sie deswegen ihre Arbeitsplätze verlören. Daher kritisierten sie das Verhalten des Betriebsrates und der IG-Metall.466 Hieran wird

462 eLabour-SOFI-IR01_004_021.pdf Gespräch mit Nacharbeiter aus Halle 18, o. A. am 12.09.1977, S. 4. 463 Vgl. Brenner, Otto, Automation und technischer Fortschritt, S. 15ff.; SOFI Göttingen IRProjekt Ordner 12 BR Kontakt – Aktuelle Informationen des Gesamtbetriebsrates der Volkswagen AG: Neue Technik vernichtet Arbeitsplätze, (08/1984), S. 2; SOFI Göttingen IRProjekt Ordner 12 BR Kontakt – Aktuelle Informationen des Gesamtbetriebsrates der Volkswagen AG: Neue Fertigung kostet Arbeitsplätze, (07/1983), S. 4; SOFI Göttingen IR-Projekt Ordner 12 BR Kontakt – Aktuelle Informationen des Gesamtbetriebsrates der Volkswagen AG: Rationalisierung gefährdet Arbeitsplätze, (06/1983), S. 1; O. A.: „Uns steht eine Katastrophe bevor“, in: Der Spiegel 17.04.1978, S. 80f.; Industriegewerkschaft Metall für die Bundesrepublik: „Maschinen wollen sie – und Menschen nicht“, Frankfurt am Main 1983, S. 7–8 und S. 13–26; BIRKE, PETER 2007, Wilde Streiks im Wirtschaftswunder, S. 113f.; HACHTMANN, Rüdiger: Gewerkschaften und Rationalisierung. Die 1970er Jahre – ein Wendepunkt?, in: „Nach dem Strukturbruch“? Kontinuität und Wandel von Arbeitsbeziehungen und Arbeitswelt(en) seit den 1970er-Jahren, hrsg. v. Knud ANDRESEN/Ursula BITZEGEIO/Jürgen MITTAG, Bonn 2011, S. 195f. 464 „Der Betriebsrat sollte abwägen, ob die Sachen nur dem Betrieb oder auch noch dem Arbeiter nützen. Er sollte die Entscheidung nicht dem Betrieb allein überlassen. Er hat ja ein Mitspracherecht oder Einspruchsrecht glaube ich.“ eLabour-SOFI-IR01_004_022.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Rohbau, 28 Jahre am 12.10.1977, S. 8. 465 eLabour-SOFI-IR01_005_019.pdf Gespräch mit Maschinenführer aus dem Untergruppenrohbau, 53 Jahre am 28.09.1977, S. 5. 466 Vgl. „Gerade bei Robotern. Das müßte auch vom Betriebsrat überlegt werden und dann müßte er auch mitreden.“ eLabour-SOFI-IR01_003_018.pdf Gespräch mit Arbeiter aus der

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deutlich, dass der Betriebsrat bei VW seit den 1950er Jahren eine konsensorientierte Politik mit der Unternehmensleitung betrieb und es daher keine ernsthaften Auseinandersetzungen bezüglich der Einführung neuer Produktionstechnologien gab.467 Gleichfalls führte auch die Etablierung der Personalinformationssysteme in den 1970er Jahren nicht zu größeren Konflikten.468 Bemerkenswert ist zudem, dass zahlreiche Werker nicht wussten, welche Aufgaben und Befugnisse der Betriebsrat hatte und welche Unternehmensentscheidungen er wie beeinflussen konnte: „Ich weiß gar nicht genau, welche Kompetenzen der Betriebsrat hat. Er sollte in jedem Fall die Möglichkeiten, die er hat, ausnutzen. Ich kenne keinen vom Betriebsrat.“ 469

Dies ist wiederum ein Hinweis darauf, dass der Betriebsrat zu wenig Präsenz in der Produktion zeigte und nicht ausreichend Aufklärungsarbeit bei den Arbeitern leistete, welche Rechte er als Vertretung besaß und sie als Arbeiter im Betrieb hatten.470 Daher über- oder unterschätzten die Arbeiter die Handlungsmöglichkeiten des Betriebsrates in ihren Äußerungen. Dieses Problem war den Werkern bewusst: „Ich habe aber bisher noch nichts mit dem Betriebsrat zu tun gehabt. Man ist ja gar nicht informiert, welche Möglichkeiten man hat, etwa zum Betriebsrat zu gehen. Zum Beispiel, wenn einen mal der Meister anschreit, dann weiß man nicht, was man dann machen kann. Da ist man dann lieber ruhig.“471

Es offenbart sich erneut eine asymmetrische Verteilung des Wissens im Betrieb zu Gunsten der oberen Hierarchieebenen, wozu auch der Betriebsrat zählte. Für die Werker bedeutete dies, dass sie in Ermangelung passender Ansprechpartner sowie rechtlicher Kenntnisse und aufgrund der Angst vor Vorgesetzten oft keine Beschwerden vorbrachten. Nicht nur das Verhalten des Betriebsrates bei der Umstellung der Produktion wurde kritisiert, sondern auch seine geringen Erfolge bei Problemfällen, mit denen die Arbeiter ihn explizit beauftragt hatten:

467 468 469 470

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Hinterachsenfertigung, 44 Jahre am 16.09.1977, S. 10; eLabour-SOFI-IR01_003_017.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Untergruppenrohbau, 47 Jahre am 12.09.1977, S. 13. HAIPETER, THOMAS 2000, Mitbestimmung bei Volkswagen, S. 156. OWETSCHKIN, DIMITRIJ 2016, Vom Verteilen zum Gestalten, S. 159. eLabour-SOFI-IR01_005_014.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Presswerk, 21 Jahre am 13.09.1977, S. 10f. „Ich meine, man sagt ja immer, der Betriebsrat und die Gewerkschaft, die haben Einfluß darauf, aber wie hier zu merken ist, scheinbar ja doch nicht. Sonst würden die ja solche Dinger hier gar nicht zulassen. Ich meine, der Betriebsrat hat wohl etwas Einfluß darauf, aber was kann er machen, er könnte vielleicht protestieren, aber daß er einen Rechtsanspruch hat, daß seine Bedenken berücksichtigt werden, das glaube ich nicht. Soviel Freiheiten haben die wohl auch nicht.“ eLabour-SOFI-IR01_004_024.pdf Gespräch mit Maschinenführer aus dem Untergruppenrohbau, 34 Jahre am 14.09.1977, S. 10f. eLabour-SOFI-IR01_006_017.pdf Gespräch mit Arbeiter aus der Endmontage, 20 Jahre o. D., S. 9f.

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Arbeiter als Konfliktpartner „Der sollte sich dafür einsetzen, daß hier in verschiedene Bereiche Springer reinkommen, oder daß, wo es so heiß war im Sommer, mal ’ne Ablösung kommt – an meiner Maschine waren ja im Hochsommer schon 40 Grad. Aber was haben sie erreicht? Zehn Minuten konnten wir uns duschen gehen.“472

Die Forderung zur Bereitstellung von Springern in den heißen Werkshallen, um die Arbeiter kurzfristig zu entlasten, setzte der Betriebsrat nicht um. Stattdessen konnten die Arbeiter sich nun zehn Minuten in der Pause duschen. Dies traf allerdings nicht den Kern ihrer Forderung, durch Springer eine kurzfristige Entlastung im Arbeitsprozess zu haben. Zahlreiche Werker hatten konkrete Kritikpunkte, wie die Einrichtung von Sitzgelegenheiten in den Produktionshallen, die sie dem Betriebsrat aber aus Angst oder Scheu nicht vorbrachten, was aus der beschriebenen Distanz zwischen Werkern und Betriebsrat resultierte.473 Die Arbeiter hatten folglich konkrete Verbesserungs- und Änderungsvorschläge, konnten diese allerdings aufgrund der Abwesenheit der Betriebsräte in den Produktionshallen und ihren Berührungsängsten gegenüber dem Betriebsrat nicht vortragen. „Die Pausen werden nicht eingehalten. Zwei Lagerdeckel sollen nicht hintereinander gegossen werden, weil es so heiß ist, aber die Vorarbeiter sagen: Weiter gießen. Wir haben bis jetzt immer weitergegossen. Es soll irgendwo schwarz auf weiß stehen: 2 Lagerdeckel hintereinander, das gibt es nicht. Die sollen nicht hintereinander gegossen werden. Aber ich habe das Papier, wo das stehen soll, noch nicht gesehen ... Ich beschwere mich auch nicht, ich will mich mit keinem anlegen ... In meiner Kolonne haben wir keinen Vertrauensmann in unserer Schicht.“474

Demgemäß verhielten sich die Werker bei Problemen oft passiv, da sie zu wenig Kenntnis über ihre Arbeitsrechte besaßen und keinen Ärger oder Unannehmlichkeiten bekommen wollten. Durch die Distanz zu den Betriebsräten verblieben die Arbeiter meist in diesen Situationen und folglich gab es keinen eindeutigen Ansprechpartner bei Problemen. Jeder Arbeiter entschied für sich, an wen er sich bei Schwierigkeiten wandte: Entweder an den direkten Vorgesetzten in der Produktion, die Vertrauensleute oder den Betriebsrat.475 Allerdings waren dem Betriebsrat auch oft die Hände gebunden, da die Personen, die ein Problem gemeldet oder eine Beschwerde eingereicht hatten, häufig nicht benannt werden wollten: 472 eLabour-SOFI-IR01_003_025.pdf Gespräch mit Arbeiter aus Halle 18, 50 Jahre am 12.09.1977, S. 20f. 473 Vgl. „Ich bin schon so lange hier und habe mit dem Betriebsrat noch nichts zu tun gehabt. […] Z. B. in den Pausen müßte man eine bessere Möglichkeit haben, sich hinzusetzen und sein Brot zu essen. Ich muß mich immer noch auf eine Kiste setzen und damit ist es ja nicht getan.“ eLabour-SOFI-IR01_004_018.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Rohbau, 44 Jahre am 13.10.1977, S. 7; eLabour-SOFI-IR01_004_024.pdf Gespräch mit Maschinenführer aus dem Untergruppenrohbau, 34 Jahre am 14.09.1977, S. 10f. 474 eLabour-SOFI-IR01_006_002.pdf Gespräch mit Arbeiter aus der Gießerei, 40 Jahre am 24.10.1977, S. 8f. 475 Vgl. eLabour-SOFI-IR01_003_009.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Presswerk, 39 Jahre am 06.09.1977, S. 16; eLabour-SOFI-IR01_004_010.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Rohbau, 38 Jahre am 21.10.1977, S. 9; eLabour-SOFI-IR01_004_011.pdf Gespräch mit Arbeiterin aus dem Untergruppenrohbau, 38 Jahre o. D., S. 6; eLabour-SOFI-IR01_004_017.pdf Gespräch mit Punktschweißer aus dem Rohbau, o. A. am 04.10.1977, S. 9.

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„Wir haben Informationen bekommen von draußen, wo wirklich auch dicke Sachen sind […] Mißstände werden uns also gesagt hier, aber die stehen nicht dazu […] wo es herkommt und dann ist man oft gezwungen, hier nichts zu unternehmen […] Wie soll ich denn was unternehmen, wenn ich ihn nicht nennen darf. Dann bin ich ja zur Untätigkeit gezwungen. […] Also das Problem, diese Angst geht also bis zur Werksleitung […] Wir kriegen oft Dinge zugesteckt, ob das vom Vorarbeiter oder vom Meister oder vom Abteilungsleiter […] Aber bitte für Sie nur zur Information, behalten Sie das für sich, geben Sie das nicht an die übergeordnete Stelle weiter. Das Angstgefühl hat nicht nur der Kumpel am Band, nur bei dem tritt es verstärkter auf, weil er eben von der Masse her größer da ist.“ 476

Diese Aussage offenbart, wie stark das „Klima der Angst“ im Betrieb tatsächlich war und dass dieses in allen Betriebshierarchien existierte. Zahlreiche Missstände konnten nicht vom Betriebsrat angeprangert werden, da die Personen, welche die Beschwerden vorbrachten, aus Angst vor negativen Konsequenzen anonym bleiben wollten. Diese Tatsache beschränkte sich bezeichnenderweise laut Betriebsrat nicht nur auf die Arbeiter, sondern auch auf die höheren Angestellten. Damit lassen sich die Ergebnisse der vorangegangenen Analyse erneut bestätigen. Es gab eine klare Befehlskette im Unternehmen, welche in den 1980er Jahren weiterhin bestehen blieb und das Fehlverhalten von Vorgesetzten wurde aus Angst vor Repression nicht öffentlich gemacht. Ein weiterer Kritikpunkt der Arbeiter gegenüber ihren Interessenvertretungen war, dass sie nicht alle Arbeiter gleich vertraten. Darauf zielte auch eine Frage aus dem Interviewbogen der Soziologen aus Göttingen zur Einführung der Industrieroboter ab. Die Frage bezog sich auf die Unterstützung des Betriebsrates für die Arbeiterbelange: „Vertritt der Betriebsrat Ihrer Erfahrung nach alle Kollegen gleich oder gibt es Gruppen, die besser oder schlechter wegkommen? Woran merkt man das? Worauf führen Sie das zurück?“477 Zahlreiche Werker gaben daraufhin an, dass Gewerkschaftsmitglieder bevorzugt würden: „Ich meine, der Betriebsrat ist für jeden da, ob er organisiert ist oder nicht. Das ist ein wichtiger Punkt. Er wird vom Betrieb gewählt und ist daher für alle da. Viele Betriebsräte vergessen das. Das ist nicht richtig.“478

Obwohl der Betriebsrat rechtlich gesehen alle Arbeiter gleich vertreten sollte, äußerten die Werker oft andere Erfahrungen, nämlich dass Gewerkschaftsmitglieder der IG Metall und insbesondere Vertrauensleute im Vergleich zu CMV-Mitgliedern oder Nicht-Gewerkschaftsmitgliedern bevorzugt behandelt wurden.479

476 IfS Frankfurt A 117 Ordner 7 Gespräch mit Betriebsräten aus dem Rohbau 08.12.1978, S. 39f. 477 KLEINÖDER, NINA 2012, Risikoregulierung am Arbeitsplatz, S. 15. 478 eLabour-SOFI-IR01_006_010.pdf Gespräch mit Arbeiter aus der Kunststoffteilefertigung, 50 Jahre am 27.10.1977, S. 9. 479 Vgl. eLabour-SOFI-IR01_004_004.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Presswerk, o. A. am 12.09.1977, S. 11; eLabour-SOFI-IR01_005_006.pdf Gespräch mit Maschinenbedienerin aus dem Kleinpresswerk, o. A. am 22.09.1977, S. 7; eLabour-SOFI-IR01_007_013.pdf Gespräch mit Bereitsteller aus der Montage, o. A. und o. D., S. 8.

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Arbeiter als Konfliktpartner „Ja, Gewerkschaftsmitglieder werden vorgezogen. Ich bin nicht in der Gewerkschaft. Man muß immer gleich beim Eintritt in das VW-Werk in die Gewerkschaft auch eintreten. Und wenn man zum Betriebsrat geht, sagt der, tritt erst mal in die Gewerkschaft ein.“ 480

Nicht-Gewerkschaftsmitglieder hätten massive Nachteile, etwa bei der Einstellung oder bei Versetzungen. Einige Werker berichteten darüber, dass ihnen von Vertrauensmännern nahegelegt wurde, in die IG Metall einzutreten, damit ihre Versetzung erfolgreich sei.481 Das Zitat deutet zudem eine Verquickung der Institutionen Betriebsrat und Gewerkschaft bei VW an, da wohl Betriebsräte Arbeiter zum Einstieg in die Gewerkschaft bewegen wollten. Dies ist allerdings laut Betriebsverfassungsgesetz unzulässig. Dennoch berichteten die meisten Werker von einem ähnlichen Vorgehen der Gewerkschaftsfunktionäre bei ihrer Einstellung, was darauf hindeutet, dass die IG-Metall ihre starke Position im Betrieb für ihren Machterhalt und die Rekrutierung von Mitgliedern nutzte482: „Man kommt ja gar nicht ins Werk, wenn man nicht gleichzeitig in die Gewerkschaft eintritt. Darin zeigt sich doch schon der Einfluß.“483

Demnach hatten zahlreiche Arbeiter Angst, dass sie nicht eingestellt würden, sollten sie nicht in die Gewerkschaft eintreten. Auch das legt nahe, dass die im Betriebsverfassungsgesetz festgelegte Trennung von Gewerkschaft und Betriebsrat nicht der Realität entsprach, da die meisten Betriebsräte zur selben Zeit auch IG Metall-Mitglieder waren und es dadurch zu einer Interessensüberlagerung kam. Außerdem deuten die Äußerungen der Werker darauf hin, dass bei VW ab den 1970er Jahren nicht, wie durch das Betriebsverfassungsgesetz eigentlich vorgesehen, der Schutz von Gewerkschaftern nötig war, sondern dass gerade NichtGewerkschaftsmitglieder von der betrieblichen Interessenvertretung benachteiligt wurden.484 Laut den Berichten der Arbeiter verstießen einige Betriebsräte demnach gegen den § 75 des Betriebsverfassungsgesetzes, der Arbeitgeber und Betriebsrat dazu verpflichtet, „jede Benachteiligung von Personen aus Gründen ihrer Rasse oder wegen ihrer ethnischen Herkunft, ihrer Abstammung oder sonstigen Herkunft, ihrer Nationalität, ihrer Religion oder Weltanschauung, ihrer Behinderung, ihres Alters, ihrer politischen oder gewerkschaftlichen Betätigung oder Einstellung oder wegen ihres Geschlechts“ zu untersagen. Sie hatten die „freie Entfaltung der Persönlichkeit der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer zu schützen und zu för480 eLabour-SOFI-IR01_003_004.pdf Gespräch mit Maschinenbedienerin aus dem Presswerk, o. A. am 08.09.1977, S. 6. 481 eLabour-SOFI-IR01_005_002.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Kleinpresswerk, 52 Jahre am 22.09.1977, S. 6. 482 „Bei der Einstellung kam nur ein Funktionär, der mich in die IG-Metall geholt hat. Aber das ist das einzige Mal, daß ich mit der Gewerkschaft in Berührung gekommen bin.“ eLabourSOFI-IR01_006_006.pdf Gespräch mit Arbeiter aus der Gießerei, 41 Jahre am 25.10.1977, S. 9. 483 eLabour-SOFI-IR01_007_012.pdf Gespräch mit Arbeiter aus der Endmontage, 40 Jahre o. D., S. 8. 484 DÄUBLER, WOLFGANG 2017, Gewerkschaftsrechte, S. 62.

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dern.“485 In der Wahrnehmung der Arbeiter erfüllte der Betriebsrat diese Aufgaben unzureichend. Dies deutet auf eine schwerwiegende Vermischung der beiden Institutionen Betriebsrat und Gewerkschaft bei VW hin, die sich nach Meinung der befragten Werker teilweise gemeinsam gegen die Interessen der Arbeiter im Betrieb stellten und in ihren Augen eine unzulässige Vorteilsnahme für die IG Metall erkennen ließen. Diese mitunter problematische Machtverquickung wurde in einzelnen Forschungsarbeiten zumindest angerissen.486 Andere Aussagen beziehen sich auf die Benachteiligungen von NichtGewerkschaftsmitgliedern bei der Einstufung von Lohngruppen: „Also ich meine, der Betriebsrat soll ja für alle da sein, der wird ja von allen gewählt. Also ich habe schon festgestellt, manche sind organisiert, ich bin nicht organisiert, andere haben dort schon mehr erreicht als ich. Da hatten wir 1964 mal ’ne Eingabe gemacht wegen der Lohngruppe, da haben wir ja zuerst autogen geschweißt und später dann CO 2-geschweißt. Und dann wollten wir mal die Lohnkommission nach unten haben, haben da also eine Eingabe gemacht, aber nach einem halben Jahr war die immer noch nicht bei uns gewesen. Und dann bin ich wieder hoch, der Schrieb lag da, und der vom Betriebsrat sagt, hör mal zu, da is gar nichts auf dem Brief drauf, kein Datum usw. Und ich habe gesagt, hör mal zu, Kollege, weshalb sitzt du eigentlich da?! ... Das hat mich so fürchterlich verärgert. Und später, wo ich die Lohngruppe 5 bekommen habe, da haben sie dann gesagt, hör zu, jetzt hast du die 5, jetzt trittst du auch in die Gewerkschaft ein, sonst kann die Lohngruppe schnell wieder weg sein. Das war ein glatter Erpressungsversuch.“487

Demzufolge bearbeite der Betriebsrat Eingaben zur Lohneinstufung von NichtGewerkschaftsmitgliedern nicht zeitig oder verzögere sie. Darüber hinaus fordere er von den Arbeitern, in die IG Metall einzutreten, um in Aktion treten zu können. Der Werker wertete das Verhalten des Betriebsrates und der Gewerkschaft als „Erpressung“ und fühlte sich unter Zugzwang gesetzt, in die Gewerkschaft eintreten zu müssen. Aus allen Antworten der Werker geht hervor, dass die klare Trennung von Betriebsrat und Gewerkschaft im Betriebsverfassungsgesetz für sie in ihrer Arbeitsrealität nicht bestand. Anhand der Aussagen der Arbeiter lässt sich ebenso erkennen, welche Machtfülle die Gewerkschaft innerhalb des VW Konzerns und im Betriebsrat gewonnen hatte. Folglich erhielten die Arbeiter rasche Hilfe bei ihren Problemen oft nur, wenn sie in die Gewerkschaft eintraten. Einige Werker waren in der IG Metall ausschließlich Mitglied, da sie ohne den Beitritt Nachteile befürchteten.488 Diese Kritik wurde bezeichnenderweise nicht nur von Nicht-Gewerkschaftsmitgliedern geäußert, sondern auch von IG Metallern selbst:

485 BetrVG 1972 § 75. 486 Vgl. HAIPETER, THOMAS 2013, Arbeit und Kapital in der deutschen Automobilindustrie, S. 330f.; LORENZ, Robert: Gewerkschaftsdämmerung. Geschichte und Perspektiven deutscher Gewerkschaften (Studien des Göttinger Instituts für Demokratieforschung zur Geschichte politischer und gesellschaftlicher Kontroversen 6), Bielefeld 2013, S. 59f. 487 eLabour-SOFI-IR01_003_017.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Untergruppenrohbau, 47 Jahre am 12.09.1977, S. 14. 488 eLabour-SOFI-IR01_006_017.pdf Gespräch mit Arbeiter aus der Endmontage, 20 Jahre o. D., S. 9f.

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Arbeiter als Konfliktpartner „Vielleicht kommen ja die, die nicht in der Gewerkschaft sind, auch mal zu der Einsicht, da rein zu gehen. Man kann diese Leute aber nicht wie Ausgestoßene behandeln.“ 489

Gleichermaßen stellt der Historiker Günther Koch in seiner Monografie zur Mitbestimmung bei VW heraus, dass dieses Geschlossenheitsprinzip der Gewerkschaft als Sanktionsmittel und zur Stärkung der eigenen Machtposition eingesetzt wurde. So drängte das gewerkschaftliche Leitungspersonal bei VW Opponenten in den 1970er Jahren gezielt in die Außenseiterrolle und grenzte diese aus, um die eigene Stellung zu sichern.490 Der Historiker Günter Hinken kommt in seinem Aufsatz zu „Gastarbeitern“ und ihrer Interessenvertretung durch die IG Metall zu ähnlichen Befunden. Einerseits sieht er eine Vernachlässigung der spezifischen Probleme dieser Beschäftigtengruppe und andererseits thematisiert er den Druck der IG Metall-Funktionäre, bei der Einstellung im Unternehmen der Gewerkschaft beitreten zu müssen.491 Die Vernachlässigung bestimmter Beschäftigtengruppen zeigt sich ebenso in den Interviews bei VW. Wenn also schon männliche deutsche Nicht-Gewerkschaftsmitglieder aus ihrer Sicht vom Betriebsrat oder der Gewerkschaft diskriminiert wurden, galt dies für die im Betrieb marginalisierten Gruppen wie Frauen und Migranten ganz besonders: „Die Gewerkschaft hat uns auch gesagt, erst kommen die Deutschen, dann die Ausländer.“492

Tatsächlich sahen der Betriebsrat und die IG Metall bei VW Wolfsburg die migrantischen Arbeiter in den 1960er Jahren nicht als ihre Klientel an. Obwohl es, wie oben erwähnt, die Pflicht des Betriebsrates ist, Arbeitnehmer unabhängig ihrer ethnischen Herkunft gleich zu behandeln im Gegensatz zu den Gewerkschaften, die sich nach ihren Mitgliederinteressen ausrichten konnten.493 So gingen die Gewerkschaften, wie auch zahlreiche andere wirtschaftliche und politische Akteure davon aus, dass die Beschäftigung ausländischer Arbeiter eine vorübergehende Maßnahme sei, die sich langfristig erübrigen würde.494 Mit dem Anwerbestopp 1973, welche den in der BRD beschäftigten Migranten keine Wiederkehroption mehr bot, holten diese allerdings vermehrt ihre Familien ins Land. Bis Anfang der 1970er Jahre beschränkte sich das gewerkschaftliche Engagement für Migranten weitgehend auf die Verteilung von Informationsmaterial in deren Muttersprache, auf Werbung von Mitgliedern und auf die Schulung migrantischer Vertrauensleute.495 Von den damals ca. 2,6 Millionen in der BRD beschäftigten Migranten war

489 eLabour-SOFI-IR01_004_032.pdf Gespräch mit Arbeiter aus der Gießerei, 33 Jahre am 20.10.1977, S. 10f. 490 KOCH, GÜNTHER 1987, Arbeitnehmer steuern mit, S. 208. 491 HINKEN, GÜNTER 2004, Vom „Gastarbeiter“ aus der Türkei zum gestaltenden Akteur, S. 264. 492 IfS Frankfurt A 117 Ordner 6 Gruppengespräch am 06.12.1978, S. 30. 493 RICHTER, HEDWIG; RICHTER, RALF 2012, Die Gastarbeiter-Welt, S. 105. 494 HERBERT, ULRICH 2001, Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland, S. 212; LORENZ, ROBERT 2013, Gewerkschaftsdämmerung, S. 63. 495 KÜHNE, Peter/ÖZTÜRK, Nihat/ZIEGLER-SCHULTES, Hildegard: Einleitung, in: „Wir sind nicht nur zum Arbeiten hier …“. Ausländische Arbeiterinnen und Arbeiter in Betrieb und Gewerkschaft, hrsg. v. Peter KÜHNE, Hamburg 1988, S. 14.

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1971 knapp ein Fünftel in Gewerkschaften eingetreten.496 Doch schon 1984 blieb der Organisationsgrad von Migranten in der IG Metall nur noch geringfügig hinter dem der deutschen Arbeitnehmer zurück. Somit stieg die Zahl der migrantischen Mitglieder in der IG Metall massiv an, wohingegen sie in den gewerkschaftlichen Leitungsorganen meist nicht anzutreffen waren.497 Bis 1981 wuchs die Anzahl migrantischer Betriebsräte verhältnismäßig gering.498 Migrantische Arbeiter verblieben daher in den 1970er und 1980er Jahren meist in prekären Beschäftigungsverhältnissen und ihre spezifischen Probleme waren in den oberen Hierarchien der Interessenvertretungen unterrepräsentiert. Trotz aller gewerkschaftlichen Bekundungen zur vollen Integration der migrantischen Arbeiter in die Gewerkschaftsstrukturen klafften insbesondere in Krisenzeiten Anspruch und Realität weit auseinander. Wie das obige Zitat belegt, galt hier die Solidarität zunächst den deutschen Kollegen. Folglich verließen während der Wirtschaftskrise 1973/74 und auch danach überproportional viele migrantische Arbeiter VW. In Wolfsburg reduzierte sich ihre Zahl von 114.000 im Jahre 1971 auf 88.000 im Jahre 1977.499 Ähnlich sah es auf der betrieblichen Ebene bei Beschäftigungs-, Qualifizierungsund Aufstiegschancen für migrantische Arbeiter aus.500 Häufig bevorzugten Betriebsräte besonders in Krisensituationen ihre deutschen Landsleute bei der Vergabe und Erhaltung von Arbeitsplätzen.501 „Wir hatten Fälle, als die Leute aus Polen gekommen sind. Da sollte er sich drum kümmern. Oder auch, wenn Ausländer kommen. Die können ja kein Deutsch und laufen manchmal rum wie Falschgeld. Denen sollte mehr geholfen werden.“502

Die Beschreibung eines Reparaturmanns spiegelt die Benachteiligung von migrantischen Arbeitern aufgrund von Sprachbarrieren wider. So konnten sie anspruchsvollere Tätigkeiten häufig nicht übernehmen, da hierfür gute Sprachkenntnisse erforderlich waren. Diese Sprachbarriere behinderte gleichermaßen die Einbeziehung der migrantischen Arbeiter in die betrieblichen Interessenvertretungen. Daher benötigten sie besonders die Hilfe des Betriebsrates, welche ihnen jedoch laut Zitat nicht immer widerfuhr.503 496 Ebd., S. 14. 497 KÜHNE, Peter: Gewerkschaftliche Organisationsarbeit mit ausländischen Kollegen(innen), in: „Wir sind nicht nur zum Arbeiten hier …“. Ausländische Arbeiterinnen und Arbeiter in Betrieb und Gewerkschaft, hrsg. v. Peter KÜHNE, Hamburg 1988, S. 131 und S. 136f. 498 Ebd., S. 134. 499 DOMBOIS, Rainer: Beschäftigungspolitik in der Krise. VW als Modell großbetrieblichen Krisenmanagements, in: Wohin läuft VW? Die Automobilproduktion in der Wirtschaftskrise, hrsg. v. Reinhard DOLESCHAL, Reinbek bei Hamburg 1982, S. 277f.; RICHTER, HEDWIG; RICHTER, RALF 2012, Die Gastarbeiter-Welt, S. 98ff. 500 Ebd., S. 98. 501 KÜHNE, PETER 1988, Einleitung, S. 15f. 502 eLabour-SOFI-IR01_005_026.pdf Gespräch mit Reparaturmann aus dem Rohbau am 18.10.1977, S. 7. 503 BLANK, Michael: Alltagsprobleme der betrieblichen Interessenspolitik, in: „Wir sind nicht nur zum Arbeiten hier …“. Ausländische Arbeiterinnen und Arbeiter in Betrieb und Gewerkschaft, hrsg. v. Peter KÜHNE, Hamburg 1988, S. 89 und S. 92.

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Frauen stellten eine andere von Betriebsrat und Gewerkschaft diskriminierte Gruppe dar, was sich unter anderem bei der ungleichen Einstufung des Lohns an sogenannten „Frauenarbeitsplätzen“ offenbarte, wie eine Einlegerin im Untergruppenrohbau berichtete: „‚Frauen, die sind immer noch so ein bißchen benachteiligt.‘ (Wiedergabe Wissenschaftler: Sie ist zum Beispiel vor sechs oder sieben Jahren Vertrauensfrau geworden; als Schriftführerin war sie in der Leitung der Vertrauensleute und damit auch einmal in der Woche in der Besprechung im Hauptbetriebsrat. Da trifft sich die Leitung der Vertrauensleute mit dem Hauptbetriebsrat. Und da hat sie es dann schon schwierig gehabt mit den Männern. Zum Beispiel ist es auch so ein Problem mit der Beurteilung von Frauenarbeit an den Arbeitsplätzen.) ‚Ein Mann kann das nie so beurteilen; auf der Frau da ruht doch noch ganz was anderes; der Haushalt, der Mann, die Kinder. Das alles muß man bei der Beurteilung von Frauenarbeitsplätzen berücksichtigen.‘ Und dabei gab es offensichtlich Knatsch mit Jungen.“504

Dementsprechend fühlten sich auch Frauen von und in der Gewerkschaft diskriminiert: Zum einen, da gewerkschaftliche Treffen in der Regel außerhalb der Arbeitszeit stattfanden, was für Frauen, die häufig noch die Versorgung der Familie und die Erledigung des Haushaltes übernahmen, problematisch war und zum anderen weil, wie das Zitat andeutet, in Kernbereichen gewerkschaftlicher Willensbildung geschlechterdiskriminierende Vorstellungen und Verhaltensweisen existierten.505 So bewerteten Betriebsrat und Lohnkommission, in der auch die Gewerkschaft vertreten war, Frauenarbeitsplätze meist im Lohn deutlich niedrigerer als vergleichbare Arbeitsplätze männlicher Kollegen.506 Diese sogenannten Leichtlohngruppen erhielten also die Zustimmung der Gewerkschaften. Hierbei handelte es sich um Niedriglohngruppen, die „körperlich leichte“ und „einfache“ Tätigkeiten beinhalteten.507 Den männlichen Arbeitern, die Hilfsarbeiten verrichteten, wurden hingegen die „besonderen körperlichen Kräfte“ angerechnet, womit sie weit mehr verdienten als ihre angelernten Kolleginnen.508 Dies belegt, dass auch die Interessenvertretungen dem im Betrieb und der Gesellschaft vorherrschenden Bild von Frauen anhingen, wie das Kapitel 4.1 dargelegt. Die Diskriminierung dieser Arbeitnehmergruppe, insbesondere von verheirateten Frauen, lässt sich zugleich an den Entlassungen und dem Ausscheiden aus dem Betrieb im Krisenzeitraum von 1971–1975 belegen. So verringerte sich die Zahl der Frauen von 16.824 im Jahre 1971 im Werk Wolfsburg auf 6.913 im Jahre 1975. „Vor allem die Frauenarbeit. Die wird ja immer weniger. Es wird noch soweit kommen, daß die ganzen Frauen nach Hause gehen müssen.“509 504 eLabour-SOFI-IR01_004_023.pdf Gespräch mit Einlegerin aus dem Untergruppenrohbau, 42 Jahre am 10.10.1977, S. 10f. 505 PUST, Carola/REICHERT, Petra/WENZEL, Anne: Frauen in der BRD. Beruf, Familie, Gewerkschaften, Frauenbewegung, Hamburg 1983, S. 166f. 506 FRERICHS, PETRA 1989, Fraueninteressen im Betrieb, S. 52 und S. 122. 507 PINL, Claudia: Das Arbeitnehmerpatriarchat. Die Frauenpolitik der Gewerkschaften, Köln 1977, S. 32f. 508 Ebd., S. 33f. 509 eLabour-SOFI-IR01_005_009.pdf Gespräch mit Arbeiterin aus dem Presswerk, 52 Jahre am 12.09.1977, S. 5.

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Die Aussage einer Arbeiterin rekurriert auf die massenhafte Entlassung von Frauen bei VW in der Krise ab 1973. Aber auch die Einführung der Roboter barg insbesondere für Frauen Gefahren: „Die [BR und Vertrauensleute] hätten sich darum kümmern sollen, wo der Robbi Frauenarbeit wegnimmt.“510

Es ist bemerkenswert, dass dieser Umstand von einem Werker vorgetragen wurde. Tatsächlich standen Frauen und deren besondere Arbeitsproblematik auf der Prioritätenliste der Gewerkschaft und des Betriebsrates weit unten.511 Da die meisten Frauen in der Industrie simple Handgriffe mit kurzer Anlernzeit verrichteten, betraf die Automatisierung besonders ihre Arbeitsplätze.512 Überdies war es Usus, dass eine Frau, deren Ehemann ebenso bei VW arbeitete, zuerst entlassen wurde, da sie als „Doppelverdienerin“ galt. Aufgrund der Krise und der wachsenden Arbeitslosigkeit in den 1970er Jahren wurden überwiegend Frauen zugunsten der Arbeitsplatzsicherung für männliche „Ernährer“ entlassen.513 Da sich die Gewerkschaften und die Betriebsräte nicht für einen besseren Kündigungsschutz der Frauen eingesetzt hatten, betrafen Entlassungen durch die vom Kündigungsschutzgesetz vorgeschriebene Prüfung der „sozialen Gesichtspunkte“ meist nur die Ehefrauen der im Werk beschäftigten Männer.514 Aber nicht nur das, laut der Historikerin Hedwig Richter verfolgte der Betriebsrat in Wolfsburg, ebenso wie der katholisch geprägte Vorstandsvorsitzende Heinrich Nordhoff in den 1960er Jahren den Grundsatz, keine verheirateten Frauen einzustellen.515 Demnach wurde diese Arbeitnehmergruppe besonders bei VW diskriminiert. Ferner bestanden die Interessenvertretungen überwiegend aus Männern. 1981 waren nur 14,4 % aller IG Metall-Mitglieder weiblich. Ihre Anzahl im Vertrauenskörper belief sich auf 10,3 % 1979 und in Betriebsräten auf 10,3 % 1978.516 Obwohl die Zahlen in den 1970er Jahren stiegen, blieben Frauen in den Interessenvertretungen unterrepräsentiert. Dies hing wie erwähnt unter anderem mit ihrer besonderen sozialen Situation zusammen, da Frauen durch die vorherrschende geschlechtliche Arbeitsteilung sowohl ihre Erwerbstätigkeit als auch die Familienarbeit in Einklang zu bringen und dadurch weniger Zeit für anderweitige Verpflichtungen zur Verfügung hatten. Zudem waren die gewerkschaftlichen Strukturen in den 1970er Jahren hauptsächlich männlich geprägt, was Berührungsängste förderte, aber auch eine erfolgreiche Kandidatur etwa zu einer Betriebsrätin eher aussichtslos erscheinen ließ.517 Folglich hatten sowohl Frauen als auch Migranten keine ausreichende 510 eLabour-SOFI-IR01_004_020.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Untergruppenrohbau, 50 Jahre am 22.09.1977, S. 7. 511 BIRKE, PETER 2007, Wilde Streiks im Wirtschaftswunder, S. 121. 512 PINL, CLAUDIA 1977, Das Arbeitnehmerpatriarchat, S. 7. 513 MATTES, MONIKA 2011, Krisenverliererinnen?, S. 132. 514 PINL, CLAUDIA 1977, Das Arbeitnehmerpatriarchat, S. 23. 515 RICHTER, HEDWIG; RICHTER, RALF 2012, Die Gastarbeiter-Welt, S. 106 oder UVW, Z 119, Nr. 22/2 Protokoll der Betriebsratssitzung am 15.12.1961 in Wolfsburg. 516 PUST, CAROLA 1983, Frauen in der BRD, S. 164. 517 FRERICHS, PETRA 1989, Fraueninteressen im Betrieb, S. 215ff.

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Interessenvertretung und wurden in Krisenzeiten als Randgruppen aus dem Unternehmen gedrängt, wohingegen männliche deutsche Arbeiter über 40 Jahre kaum Entlassungen hinnehmen mussten, da sie zur Stammbelegschaft und somit zur Gruppe der vom Betriebsrat- und der IG Metall-Vertretenen zählten.518 Außerdem dienten Frauen und Migranten der Unternehmensleitung als „flexibles Arbeitskräftereservoir“, wie in der gesamten Wirtschaft der BRD während der 1960er und 1970er Jahre.519 Auch diese Tatsache trugen die Interessenvertretungen durch ihre Politik und die Vernachlässigung dieser beiden Gruppen mit. Wie mächtig die IG Metall in den 1970er Jahren bei VW wurde, belegt ebenfalls ihre Dominanz gegenüber der mit ihr konkurrierenden Gewerkschaft CMV. Der CMV war bei VW deutlich geringer vertreten als die IG Metall. Ein CMVMitglied schilderte die Situation aus seiner Sicht: „Das ist ja hier der reine Gewerkschaftsstaat. Die sind so mächtig und nutzen ihre Macht so voll aus. Bis zu einem Zwang für Beitragserhöhung.“520

Der Arbeiter spricht gar von einem „Gewerkschaftsstaat“ bei VW. Demnach setze die IG Metall ihre Macht für eigene Zwecke ein, etwa zur Erhöhung der Pflichtbeiträge, um sich ihren Einfluss auch weiterhin zu sichern. Der Begriff des „Gewerkschaftsstaates“ fiel in der bundesweiten Diskussion vor allem im Zusammenhang mit der Ausweitung des Mitbestimmungsrechts der Gewerkschaften seitens der Arbeitgeberverbände in den 1970er Jahren.521 Dieses Argument der Unternehmerverbände war allerdings nicht neu. Schon in der Weimarer Republik argumentierten Unternehmer mit diesem Begriff gegen eine Demokratisierung der Wirtschaft.522 Damals wie auch in den 1970er Jahren hatten die Unternehmer Angst, durch die erweiterten Mitbestimmungsrechte der Gewerkschaften Einfluss und Entscheidungsfreiraum einzubüßen.523 Überdies offenbart sich der Einfluss der IG Metall am installierten Vertrauenskörper bei VW. So wurden Vertrauensleute für ihre Sitzungen von ihrer Arbeit im Betrieb freigestellt und die Vertrauenskörperleitung durch das Unternehmen bezahlt. Der Vertrauenskörper stellte 518 KOCH, GÜNTHER 1987, Arbeitnehmer steuern mit, S. 143f.; PINL, CLAUDIA 1977, Das Arbeitnehmerpatriarchat, S. 8f. 519 BIRKE, PETER 2007, Wilde Streiks im Wirtschaftswunder, S. 109. 520 eLabour-SOFI-IR01_003_016.pdf Gespräch mit CO2 Schweißer aus dem Rohbau, o. A. am 11.10.1977, S. 9. 521 RAEHLMANN, Irene: Ideologiekritische Untersuchung des Interessenstreites zwischen dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) und der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) um die Erweiterung der qualifizierten Mitbestimmung (1963 bis 1974), Köln 1975, S. 114; BÜHRER, Werner: Wirtschaftliche Entwicklungen in der Bundesrepublik, online: Bundeszentrale für politische Bildung,

[14.12.2018]. 522 Vgl. PEUKERT, DETLEV 1987, Die Weimarer Republik, S. 130; HEMMER, Hans/BORSDORF, Ulrich: „Gewerkschaftsstaat“ – Zur Vorgeschichte eines aktuellen Schlagworts, online: Friedrich-Ebert-Stiftung, [21.12.2018]. 523 REHLING, ANDREA 2011, Konfliktstrategie und Konsenssuche in der Krise, S. 430f.

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praktisch ein eigenes Organ neben dem Betriebsrat dar, das mit ihm kooperierte.524 Warum der Vertrauenskörper so wichtig für den Betriebsrat bei VW war, erklärte ein Hallenbetriebsrat aus dem Presswerk: „Problem der [Betriebsrats]-Arbeit in WOB: Nur 59 [Betriebsräte] stehen 52000 Beschäftigten gegenüber. Daher werden in starkem Maße Vertrauensleute zur Unterstützung herangezogen. Stillschweigende Übereinkunft mit Werk.“525

Der Betriebsrat hing bei der Ausübung seiner Aufgaben also von der Gewerkschaft ab.526 Auch die IG Metall-Fraktion, das zentrale Gremium gewerkschaftlicher Entscheidungsfindung, demonstriert den gewerkschaftlichen Einfluss im Betrieb und die Verquickung der Interessen von Betriebsrat und Gewerkschaft. In der Fraktion, welche einmal monatlich in Wolfsburg tagte, saßen die in der IG Metall organisierten Betriebsräte, die Vertrauenskörperleitung und die hauptverantwortlichen Mitarbeiter der IG Metall-Verwaltungsstelle Wolfsburg. Die Beschlüsse dieses Gremiums waren verbindliche Grundlage für die betriebliche Politik von Betriebsrat und Vertrauensleuten.527 Solche hierarchischen Strukturen wie die des Betriebsrates oder der IG Metall bargen darüber hinaus immer die Gefahr von Korruption.528 Daran knüpft auch der letzte große Kritikpunkt der Werker an. Einige Arbeiter warfen dem Betriebsrat Seilschaften und Bestechlichkeit vor529: „Entweder für alle oder für gar keinen. Aber es ist ja so, wer gut schmiert, der gut fährt.“530

In diesen Fällen vermuteten die Werker eine Bevorzugung bestimmter Arbeiter aufgrund persönlicher Beziehungen zum Betriebsrat oder eine Art von Bestechung, welche etwa einen besseren Arbeitsplatz sichern sollte. Auch die als zu gering empfundene Unabhängigkeit des Betriebsrats und der Gewerkschaften von der Unternehmensleitung war Anlass zur Kritik. Die Arbeiter sahen vielfache Interessenskonflikte und Interessensüberlagerungen bei ihren Vertretungen, die ihrer Meinung nach eine ausreichende Vertretung der Arbeiterinteressen erschwerte. 531 „Andererseits werden die doch auch von VW bezahlt und haben auch Angst, ihre Arbeit zu verlieren. Da warten doch schon die nächsten, um Betriebsrat zu werden. Daß die Angst ha524 CASPAR, RICHARD 1980, Stellung der Gewerkschaften im Betrieb, S. 44f. 525 eLabour-SOFI-IR01_001_021.pdf Gespräch mit Betriebsrat aus dem Presswerk am 08.09.1977, S. 3. 526 SURKEMPER, KLAUS-PETER 1981, Inoffizielle Streiks, S. 104. 527 HAIPETER, THOMAS 2000, Mitbestimmung bei Volkswagen, S. 161. 528 DÄUBLER, WOLFGANG 2017, Gewerkschaftsrechte, S. 62. 529 „Der soll sich für jeden gleich einsetzen und nicht nach dem Motto: Jeder Herr hat seine Schäfchen. Das sollte er nicht machen. Für alle gleich. Das ist besser.“ eLabour-SOFIIR01_007_019.pdf Gespräch mit Kettenbestücker aus dem Untergruppenrohbau, 56 Jahre o. D., S. 9. 530 eLabour-SOFI-IR01_006_009.pdf Gespräch mit Arbeiterin aus der Kunststoffteilefertigung, 29 Jahre am 27.10.1977, S. 8. 531 eLabour-SOFI-IR01_006_010.pdf Gespräch mit Arbeiter aus der Kunststoffteilefertigung, 50 Jahre am 27.10.1977, S. 9; IfS Frankfurt A 117 Ordner 6 Gruppengespräch am 06.12.1978, S. 12–14.

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Arbeiter als Konfliktpartner ben, das hat man auch beim Streik gesehen. Da trommeln sie zuerst groß rum und am Ende haben wir uns für 1,4 % die Hacken wundgelaufen. Die haben sich immer die Hintertür offengelassen.“532

Die Betriebsräte mussten, um ihre Position zu halten, alle vier Jahre wiedergewählt werden. Insofern unterstellten die Arbeiter ihren Vertretern, dass sie lieber Konflikte mit der Unternehmens- und Betriebsleitung vermieden, um dort nicht anzuecken, anstatt sich für die Arbeiterinteressen einzusetzen. Diese Aussage weist erneut auf das enge Verhältnis zwischen Betriebsrat und Unternehmensleitung beziehungsweise den einzelnen Werksleitungen hin. Tatsächlich deutet etwa ein Protokoll von einer Besprechung zwischen Vorstand und dem Gesamtbetriebsrat darauf hin, dass bei geplanten Streikaktionen der IG Metall, wie am 06.03.1981, die Unternehmensleitung den Gesamtbetriebsrat unter Druck setzte und ein Einlenken aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Lage von ihm forderte.533 Demnach gab es einen engen Austausch zwischen Unternehmensleitung, Betriebsrat und Gewerkschaften, der zu Interessensüberlagerungen führen konnte. Darum zeigten sich viele Arbeiter besorgt ob der Abhängigkeit des Betriebsrates und der Gewerkschaft vom Unternehmen: „Wir reden immer von Betriebsrat, Gewerkschaft, Mitbestimmung. Wenn eine Gewerkschaft mitbestimmen muß, dann muß sie an einem Strick ziehen, entweder verkaufen oder untergehen. […] Aber sie muß ja mitziehen mit dem Unternehmen, wenn sie die Mitbestimmung hat […] Also, Gewerkschaft ist ja nicht mehr Gewerkschaft. […] Ein Betriebsrat, der vom Werk bezahlt wird, der muß immer mitziehen. Normalerweise müßte der Betriebsrat, wenn er ein bißchen wach wäre, diese Sache bekämpfen. Aber die befürworten ja das. Haben ein schönes Gehalt, könnte ja sein, daß sie nicht mehr so geduldet sind. […] Die haben alle ’ne große Klappe bei Betriebsversammlungen. Aber wenn es nachher um Lohnerhöhungen geht, dann tun sie so, als wenn was ist, und nachher sind sie sich doch einig. Bis jetzt konnte ich immer im Voraus sagen, wie viel Prozent es gibt.“534

Sowohl der Betriebsrat als auch die Gewerkschaft hingen laut dem Arbeiter vom Unternehmenserfolg ab. Keiner von beiden setze daher der Unternehmensleitung ernsthaft etwas entgegen. Die Betriebsräte bezögen ihren Lohn vom Unternehmen und seien diesem gegenüber auch verpflichtet. Ebenso nehme die Gewerkschaft mittlerweile im Unternehmen eine derart wichtige Stellung ein, dass sie kein Interesse daran habe, eine Eskalation mit der Unternehmensleitung herbeizuführen. Insofern fühlten sich die Arbeiter in ihren Interessen nicht ausreichend vertreten und zeigten sich mit den Verhandlungsergebnissen in Lohnfragen auch nicht einverstanden. Um ihre politische Mitsprache etwa in der Konzertierten Aktion zu sichern und um ihre Position als politischer Verhandlungspartner zu stärken, betrieben die Gewerkschaften Ende der 1960er Jahre eine gemäßigte Lohnpolitik, die sie in den 1970er Jahren aufgrund der Wirtschaftskrise fortsetzten. Dies führte 532 eLabour-SOFI-IR01_007_008.pdf Gespräch mit Arbeiterin aus der Vormontage, 33 Jahre o. D., S. 9. 533 UVW, Z 119, Nr. 91/1 Protokoll von der Besprechung zwischen Vorstand und Gesamtbetriebsausschuss am 05.03.1981, S. 1–4. 534 eLabour-SOFI-IR01_003_025.pdf Gespräch mit Springer aus Halle 18, 50 Jahre am 12.09.1977, S. 20f.

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jedoch zu großer Unzufriedenheit an der Basis.535 Außerdem übte der Betriebsrat bei VW seit den 1950er Jahren eine konsensorientierte Politik gegenüber der Unternehmensleitung aus, was allerdings bei den Arbeitern Ende der 1960er Jahre zu Unmut und zur Entfremdung von der eigenen Interessenvertretung führte.536 Diese Unzufriedenheit der Werker kanalisierte sich unter anderem in wilden Streiks. Ein wilder Streik ist ein nicht von der Gewerkschaft geführter Streik und laut dem Arbeitsgesetz unzulässig.537 Legal ist hingegen der Streik zwischen gewerkschaftlich geführter Arbeiterschaft und der Unternehmensleitung.538 Dennoch waren wilde Streiks in den 1960er, 1970er und 1980er Jahren nicht selten bei VW.539 Dieser offensichtliche Unmut der Arbeiter stellt einen Gegensatz zu Annahmen älterer Fachliteratur dar, die von einer umfänglichen und erfolgreichen Interessenvertretung der Arbeiter durch ihre Institutionen vor allem in den 1960er Jahren spricht.540 Trotz der harten Strafen, die ihnen für einen solchen Streik drohten, griffen die Arbeiter zu jenem Mittel. Dies deutet darauf hin, dass sie sich nicht ausreichend in ihren Belangen vertreten sahen. Das trifft insbesondere auf bestimmte Gruppen von Arbeitern wie Frauen und Migranten zu, die in den 1970er Jahren überproportional oft an wilden Streiks beteiligt waren.541 Jene Annahme wird zudem vom Historiker Peter Birke in seiner Monografie zu „Wilden Streiks im Wirtschaftswunder“ und der Historikerin Hedwig Richter in ihrer Untersuchung zu italienischen „Gastarbeitern“ bei VW bestätigt. 542 Die Gewerkschaften konzentrierten sich hauptsächlich auf Belange der Tarifpolitik. Die wilden Streiks hingegen hatten nicht nur tarifpolitische Bezüge, sondern berührten auch Forderungen, die aus der spezifischen Situation der Arbeiter erwuchsen, wie etwa Diskriminierung, keine Bezuschussung des Fahrgelds oder die Zustände in den Werksunterbringungen.543 535 BIRKE, PETER 2007, Wilde Streiks im Wirtschaftswunder, S. 238 und S. 326. 536 GRIEGER, MANFRED 2013, Die „geplatzte Wirtschaftswundertüte“, S. 73 und S. 75; HAIPETER, THOMAS 2000, Mitbestimmung bei Volkswagen, S. 147; S. 154 und S. 156; OWETSCHKIN, DIMITRIJ 2016, Vom Verteilen zum Gestalten, S. 166; KOCH, GÜNTHER 1987, Arbeitnehmer steuern mit, S. 71 und S. 99. 537 Gabler Wirtschaftslexikon: Definition wilder Streik, online: Gabler Wirtschaftslexikon, [11.01.2018]. 538 Gabler Wirtschaftslexikon: Definition Streik, online: Gabler Wirtschaftslexikon, [11.01.2018]. 539 BIRKE, PETER 2007, Wilde Streiks im Wirtschaftswunder, S. 107ff. 540 KOCH, GÜNTHER 1987, Arbeitnehmer steuern mit, S. 18. 541 BLANK, MICHAEL 1988, Alltagsprobleme der betrieblichen Interessenspolitik, S. 89ff.; KONTOS, Maria: Migrantinnen zwischen Patriarchat und kapitalistischem Arbeitsverhältnis. Zur sozialen Lage ausländischer Arbeiterinnen in der BRD, in: „Wir sind nicht nur zum Arbeiten hier …“. Ausländische Arbeiterinnen und Arbeiter in Betrieb und Gewerkschaft, hrsg. v. Peter KÜHNE, Hamburg 1988, S. 116f.; KIßLER, LEO; GREIFENSTEIN, RALPH; SCHNEIDER, KARSTEN 2011, Die Mitbestimmung in der Bundesrepublik Deutschland, S. 57; PINL, CLAUDIA 1977, Das Arbeitnehmerpatriarchat, S. 118f. 542 BIRKE, PETER 2007, Wilde Streiks im Wirtschaftswunder, S. 106ff; RICHTER, HEDWIG; RICHTER, RALF 2012, Die Gastarbeiter-Welt, S. 80f. 543 BIRKE, PETER 2007, Wilde Streiks im Wirtschaftswunder, S. 108; RICHTER, HEDWIG; RICHTER, RALF 2012, Die Gastarbeiter-Welt, S. 88; PINL, CLAUDIA 1977, Das Arbeitnehmerpatri-

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Die Folgen eines wilden Streiks konnten für die Arbeiter von Versetzung, Lohnkürzung und Aussperrung bis zur Entlassung reichen, wie einige betroffene Arbeiter berichteten544: „1973 bin ich dann in die Gießerei gekommen, weil ich ne Auseinandersetzung mit dem Betriebsrat hatte. […] Ich bin nach dem wilden Streik versetzt worden. […] nach dem wilden Streik, von einem Tag auf den anderen in die Gießerei. Früher habe ich in Wechselschicht gearbeitet, jetzt arbeite ich in drei Schichten.“545

Allerdings war die Bereitschaft der in den Industrieroboter-Projekten befragten Arbeiter, sich an einem wilden Streik zu beteiligen, nach eigenen Angaben nicht sonderlich hoch, entweder, weil sie schon schlechte Erfahrungen mit wilden Streiks bei VW gemacht hatten oder die Solidarität sowie die Einigkeit der Interessen unter den Arbeitern trotz des hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrades nicht groß genug war.546 Aufschlussreich ist hierfür ein Gespräch zwischen zwei Werkern, die darüber debattierten, wann ein wilder Streik überhaupt zustande kommen kann und wieso es wahrscheinlich ist, dass er nicht begonnen wird: Arbeiter I: „Das ist das Entscheidende, daß wir uns dazu aufraffen, so etwas zu unternehmen, da muß man ma1 in den sauren Apfel beißen, da muß man das eben mal riskieren, daß man mal eine oder was weiß ich wie viele Stunden abgezogen kriegt. Das Risiko muß man eingehen, wenn es im Endeffekt für den Kollegen was bringen soll.“ Arbeiter II: „Du kriegst ja so die Leute noch nicht mal zusammen, weil sie sich selber nicht einig sind.“547

Die Interessen der Arbeiter schienen divers zu sein und die Arbeiterschaft im Werk war trotz des hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrades keine geschlossene Einheit. Daher fiel es den Arbeitern schwer, einzuschätzen, wann oder ob ein wilder Streik stattfand. Es hinge vor allem davon ab, wie schwer die Arbeiter von den Umstellungen, etwa durch Lohnkürzungen oder Tätigkeitsverlust und damit von einem „sozialen Abstieg“ betroffen wären.548 Allerdings berichteten einige Arbeiter von Möglichkeiten eines legalen Streiks ohne die Gewerkschaft:

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archat, S. 118f.; TREDE, OLIVER 2015, Zwischen Misstrauen, Regulation und Integration, S. 123f. „Betroffen wurden sie fast alle. Ich wurde selber auch verborgt an andere Abteilungen. […] Ich habe einen wilden Streik mitgemacht und dafür wurden 2 Stunden abgezogen. Heute würde ich das nicht noch mal machen.“ eLabour-SOFI-IR01_004_010.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Rohbau, 38 Jahre am 21.10.1977, S. 9f. eLabour-SOFI-IR01_004_033.pdf Gespräch mit Maschinenführer aus dem Rohbau, o. A. am 17.10.1977, S. 2. „Da war mal ein Streik, aber durchsetzen konnten wir uns nicht, sondern mußten den Kompromiß annehmen. Hier in Wolfsburg wird ja wohl auch nicht gestreikt. Da ist die Einigkeit unter den Arbeitern nicht groß genug.“ eLabour-SOFI-IR01_003_004.pdf Gespräch mit Maschinenbedienerin aus dem Presswerk, o. A. am 08.09.1977, S. 5. IfS Frankfurt A 117 Ordner 6 Gruppengespräch am 05.12.1978, S. 36f. „Es kommt vielleicht auch drauf an, inwieweit der soziale Abstieg […] den einzelnen Kollegen betrifft. Wenn der Sprung zu tief ist, den er machen muß, kann ich mir vorstellen, daß er sich dann stark machen und irgendetwas unternehmen wird.“ Ebd., S. 35f.

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„Ach Gott, da gibt es viele Möglichkeiten. Ich meine bishin – ja ich will mal etwas Legales sagen – da gibt es die Möglichkeit der Information, daß ein bestimmter Bereich ganz geschlossen zum Betriebsrat hingeht und sich informiert und da praktisch die ganze Anlage eine Stunde oder was weiß ich wie lange steht. Ganz legal. Weniger legal ist, die Klamotten einfach hinschmeißen und nicht eher wieder anzufangen, bis da irgendwelche Zusagen ...“ 549

Aus dem Zitat geht hervor, dass es nicht nur den wilden Streik als Protestmöglichkeit ohne Gewerkschaften gab, sondern auch Formen des Protestes, die in einer rechtlichen Grauzone lagen. Ein Beispiel hierfür war, „sich eine Auskunft beim Betriebsrat“ einzuholen, sprich die Werker eines Bandes oder einer Produktionshalle gingen geschlossen zum Betriebsrat, um sich zu „informieren“, wodurch dort die Produktion zum Erliegen kam. Diese Taktiken lagen außerhalb der gewerkschaftlichen Politik und nahmen den Arbeitern gleichzeitig das Risiko eines wilden Streikes.550 Sowohl diese Taktiken als auch die wilden Streiks stellen eine Aushöhlung des gewerkschaftlichen Streikmonopols und damit eine Form von Emanzipation der Arbeiter dar.551 Dies belegt zudem den Eigen-Sinn der Arbeiter. Da sie ihre Interessen nicht ausreichend von ihren Vertretungen durchgesetzt sahen, suchten sie neue Möglichkeiten für den Ausdruck ihrer Unzufriedenheit, ohne Gefahr zu laufen, dafür von der Unternehmensleitung abgestraft zu werden.552 Der Rohbau nahm bezüglich wilder Streiks in den 1950er–1970er Jahren bei VW eine Schlüsselrolle ein. Wie oben schon darlegt, arbeiteten im Rohbau vor allem männliche deutsche „Spezialkräfte“, die schwere körperliche Arbeit verrichteten. Bis in die 1970er Jahre, vor der großen Umstellung durch die Robotereinführung, war der Rohbau eine eher geschlossene Abteilung, was unter den Arbeitern einen größeren Zusammenhalt entstehen ließ.553 Außerdem besaßen die Rohbauer großes Prestige bei VW, da sie aufgrund ihrer anspruchsvollen Tätigkeiten für die Betriebsleitung Bedeutung besaßen. Aber diese Arbeiter wussten auch um ihren Wert. Infolgedessen hatten sie ein größeres Selbstvertrauen und einen besseren Stand bei wilden Streiks. Die Betriebsleitung musste genau abwägen, ob sie den Forderungen nicht lieber entgegenkam als zu riskieren, dass schwer ersetzbare Arbeitskräfte die Produktion lahmlegten oder sich einen neuen Arbeitsplatz suchten.554 Das zeigt sich etwa an den Aussagen von Werkern zu einem wilden Streik in den 1970er Jahren im Werk Hannover, der im Rohbau begann und sich auf eine höhere Lohngruppe bezog.555 549 550 551 552 553 554 555

Ebd., S. 36f. BIRKE, PETER 2007, Wilde Streiks im Wirtschaftswunder, S. 108. OWETSCHKIN, DIMITRIJ 2016, Vom Verteilen zum Gestalten, S. 121. BIRKE, PETER 2007, Wilde Streiks im Wirtschaftswunder, S. 108f. NOLL, PAUL 1982, „Das alles frisst – 25 Jahre Arbeit bei VW“, S. 65f. BIRKE, PETER 2007, Wilde Streiks im Wirtschaftswunder, S. 110. „Hier in Hannover das war, ich würde sagen, wie so ein Flächenbrand. Das ging unten in der Fertigmontage, in der Gießerei fing das an und ging dann bis oben hoch. Und dann haben die Bänder gestanden. Aufgrund dieser Arbeitsniederlegung sind dann die B-Lohngruppen eingeführt worden, war plötzlich auch die Unternehmensseite verhandlungsbereit. Das ging auch dann ziemlich schnell über die Bühne.“ IfS Frankfurt A 117 Ordner 6 Gruppengespräch am 05.12.1978, S. 37f.

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Arbeiter als Konfliktpartner „Wir haben das hier gehabt, daß also das ganze Putzerband mit einem Schlag gestanden hat von 10 Minuten und das hat keine halbe Stunde gedauert, da hat die ganze Halle stillgestanden. […] da das zu einer Zeit war der Hochkonjunktur, die also keinen Streik oder Krawall wollten, da haben sie also innerhalb von 2 Tagen gesagt, alle kriegen grundsätzlich ½ Lohngruppe mehr.“556

Die Betriebsleitung kam also in einigen Fällen den Forderungen der Rohbauer relativ schnell entgegen, um einen Ausfall der Produktion abzuwenden. Die Gewerkschaft hatte jene in der Tarifpolitik offensichtlich nicht ausreichend vertreten. Die Robotereinführung brachte für die Werksleitung den Vorteil, dass der Rohbau umgestellt und damit der Zusammenhalt der Arbeiter in den Arbeitsverbänden teilweise aufgelöst wurde. Auch ein Hallenbetriebsrat beschrieb die Sonderstellung der Rohbauer, verwies aber gleichzeitig auf das nun höhere Alter dieser Arbeiter. Der Altersdurchschnitt lag in Wolfsburg Anfang der 1970er Jahre etwa bei 40 Jahren und in manchen Abteilungen noch deutlich höher557: „Das stimmt, daß der Rohbau also an sich immer der Stoßteil gewesen ist, wenn es also darum ging, bestimmte Dinge durchzusetzen … Speerspitze, immer schon … Inzwischen sind die Jungens auch keine 35 oder 28 mehr, inzwischen sind die auch 45 geworden.“ 558

Demnach seien die Rohbauer aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters nun deutlich ruhiger geworden. Möglicherweise spielt der Betriebsrat darauf an, dass sie aufgrund ihres Alters nicht mehr riskieren wollten, ihren Arbeitsplatz durch einen illegalen Streik zu verlieren. Wilde Streiks sind die extremste Form der Arbeiter, sich für ihre Belange einzusetzen. Doch die Analyse beweist, dass diese Vorgehensweise nur als äußerstes Mittel eingesetzt wurde und nicht immer Erfolg hatte. Dennoch ist sie als eine Form der Mitbestimmung anzusehen. Das erlebte Gefühl der Ohnmacht zahlreicher Werker aufgrund der neuen Produktionstechnologien und die als gering wahrgenommenen Partizipationsmöglichkeiten innerhalb ihrer Interessenvertretungen stehen im Kontrast zum wachsenden Einfluss der IG Metall und den erweiterten Mitbestimmungsrechten des Betriebsrates. Zahlreiche Forschungsarbeiten bilanzieren trotz der Krise bei VW in den 1970er Jahren eine erweiterte Mitbestimmung im Unternehmen, allerdings beziehen sich diese Studien nur auf die Interessenvertretungen, nicht auf die Arbeiter selbst.559 Dass jedoch ein Dissens zwischen der gewerkschaftlichen Basis in der Produktion mit ihrer Leitung und den Arbeitern mit ihren gewählten Betriebsräten bestand, wird kaum thematisiert, obwohl sich diese Unzufriedenheit auch bei den Betriebsratswahlen offenbarte. So wählten etwa viele IG Metall-Mitglieder bei der Betriebsratswahl von 1975 in 556 IfS Frankfurt A 117 Ordner 6 Gruppengespräch (Sprecher Vertrauensmann) am 06.12.1978, S. 27. 557 VWW: Menschen im Blickpunkt. Sozialbericht der Volkswagen Aktiengesellschaft für das Jahr 1982, S. 165. 558 IfS Frankfurt A 117 Ordner 6 Gespräch mit Hallenbetriebsräten aus dem Rohbau am 08.12.1978, S. 43–44. 559 Vgl. KOCH, GÜNTHER 1987, Arbeitnehmer steuern mit, S. 162; HAIPETER, THOMAS 2000, Mitbestimmung bei Volkswagen, S. 152.

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Wolfsburg nicht ihre Funktionäre, sondern die Liste des CMV. Der CMV erhielt bei der Wahl einen Stimmenanteil von 17,75 %. Bei einem Organisationsgrad von 83,9 % hätte die IG Metall 32.419 Stimmen erhalten können, letztendlich bekam sie allerdings nur 24.199 Stimmen. Folglich hatten sich 8.220 IG MetallMitglieder an der Wahl nicht beteiligt oder eine oppositionelle Liste gewählt.560 Wahlen stellten ebenso eine Möglichkeit für die Arbeiter dar, ihre Unzufriedenheit mit ihrer Interessenvertretung auszudrücken. Es scheint, als wäre das Missfallen der Arbeiter über ihre Interessenvertretungen in den 1960er–1980er Jahren bei VW, aber auch in anderen bundesdeutschen Unternehmen, ein blinder Fleck in der Geschichtswissenschaft. Zu stark konzentrierte sie sich bisher auf die Gewerkschaftsgeschichte oder die betrieblichen Interessenvertretungen, zu wenig rückten die eigentlichen Betroffenen – die Arbeiter – in den Fokus der Untersuchungen. Letztlich blieben also die betrieblichen Hierarchien und Machtverhältnisse nicht nur zwischen den Arbeitern in den Industrieroboter-Projekten und ihren Vorgesetzten bestehen, sondern auch zwischen ihnen und ihren Interessenvertretungen. Die Arbeiter fühlten sich aufgrund vieler Faktoren nicht ausreichend von ihnen vertreten und darüber hinaus unter Druck gesetzt. Demnach fürchteten die Werker die Macht des Betriebsrates und der IG Metall, die erheblichen Einfluss auf ihre Arbeitsplätze hatten. Die wichtigsten Faktoren für die Unzufriedenheit der Arbeiter mit ihren Vertretungen waren ihre zu geringe Präsenz in der Produktion und die Entfernung von der eigenen Basis, die ungenügenden Verhandlungsergebnisse und der als mangelhaft empfundene Einsatz für die Arbeiterinteressen, die zu geringe Unabhängigkeit vom Unternehmen und die daraus entstehende Korruption sowie die Bevorzugung von IG Metall-Mitgliedern. Aus der Analyse wird deutlich, dass die Vertretungen durchaus zugunsten ihrer eigenen Interessen handelten, etwa um ihre Macht zu sichern und hierbei auch gegen die Anliegen der Arbeiter agierten, wie an dem Beitrittszwang bei der Einstellung im Unternehmen zu sehen ist. Die im Betriebsverfassungsgesetz klar formulierte Trennung zwischen Gewerkschaft und Betriebsrat bestand für die Werker in ihrem Arbeitsalltag nicht. Ihre Berichte ließen hingegen auf eine Benachteiligung von NichtGewerkschaftsmitgliedern schließen. Diese Faktoren beförderten die Entfremdung der Arbeiter von ihren Vertretungen und ließen Konflikte entstehen. Jene fanden in extremer Form durch wilde Streiks ihren Ausdruck. Während Protestformen in legalen Grauzonen, wie das gemeinsame Einholen von Informationen eines gesamten Produktionsbereichs beim Betriebsrat, eine niedrige Wahlbeteiligung oder das Wählen von konkurrierenden Listen bei der Betriebsratswahl mildere Ausdrucksweisen ihres Unmuts darstellten. Dadurch eigneten sich die Arbeiter Handlungsraum unabhängig von ihren Interessenvertretungen an, drückten ihre Unzufriedenheit mit ihnen aus und bewiesen somit ihren Eigen-Sinn. Wie gestaltete sich nun die Interessenvertretung der Arbeiter im Gruppenarbeits-Projekt? Hatten sie hier mehr Mitbestimmungsmöglichkeiten in ihren Vertretungen oder kam es auch dort zu Konflikten mit dem Betriebsrat und der IG 560 KOCH, GÜNTHER 1987, Arbeitnehmer steuern mit, S. 168.

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Metall? Im Gruppenarbeits-Projekt war der Betriebsrat durch die Neufassung des Betriebsverfassungsgesetzes 1972 befugt, über die „Grundsätze zur Durchführung von Gruppenarbeit“ mitzuentscheiden, die wie folgt definiert wurden: „Gruppenarbeit im Sinne dieser Vorschrift liegt vor, wenn im Rahmen des betrieblichen Arbeitsablaufs eine Gruppe von Arbeitnehmern eine ihr übertragene Gesamtaufgabe im Wesentlichen eigenverantwortlich erledigt“.561 Das Betriebsverfassungsgesetz erhielt sogar einen eigenen Passus für die Gruppenarbeit, was ihre Bedeutung als alternatives Produktionsmodell in den 1970er Jahren hervorhebt. Doch auch in diesem Projekt wurde der Zwang, der Gewerkschaft beizutreten, von den Gruppenarbeitern thematisiert: Arbeiter G3: „[…] Wenn sie eingestellt werden wolln […] dann gehen sie zur Gewerkschaft, da sitzen dann zwei im grauen Kittel. Wenn sich die Werker weigern würden: ‚Ja müssen wir mal sehen, wir haben ja so viele Bewerber.‘ Da kommst du gar nich rein hier in den Betrieb. […] Das ist ’ne Vergewaltigung ist das.“562

Sie gaben gleichermaßen an, bei der Einstellung dem Druck der Gewerkschaft im Hinblick auf eine einzugehende Mitgliedschaft ausgesetzt gewesen zu sein, mit der Drohung, ansonsten keinen Arbeitsplatz im Werk zu bekommen. Das Wort „Vergewaltigung“ rekurriert auf ihre ohnmächtige Position und auf den von ihnen wahrgenommenen Missbrauch durch den Betriebsrat und die Gewerkschaften. Ein Werker stellt die Gewerkschaft gar als „Rattenfänger“ dar, welche bei den Arbeitern bewusst Ängste schüre mit dem Ziel, neue Mitglieder zu werben, um damit die eigene Machtposition im Betrieb zu sichern.563 Folglich schilderten auch sie das Ausnutzen der gewerkschaftlichen Position im Unternehmen zum Zwecke ihrer Machterhaltung und -ausdehnung. Diese Tatsache spiegelt sich ebenso im Verhalten der Interessenvertretungen im Gruppenarbeits-Projekt wider. Da jenes den Arbeitern umfassendere Mitbestimmungsrechte und Handlungsspielräume ermöglichte, war die Machtsicherung des Betriebsrates, seiner Mitbestimmungsrechte und Einflussnahme, ebenfalls wie von der IG Metall von Beginn des Projektes an ein wiederkehrendes Element, das zu heftigen Konflikten mit den Arbeitern führte. Die Machtdemonstration bezog sich allerdings nicht nur auf die Sicherung des eigenen Einflusses gegenüber den Arbeitern, sondern auch gegenüber der Werks- und Projektleitung. Dennoch hatte dies massive negative Konsequenzen für die Werker zur Folge. Der Betriebsrat demonstrierte von Anfang an seine Stellung im ÖPSZ. Das resultierte in einigen Auseinandersetzungen zwischen Betriebsrat und Werksleitung. Demnach gab es Diskussionen über die kurzfristig anberaumten Besprechungstermine, da der Betriebsrat sich weigerte, die Termine von der Werksleitung „bestimmt“ zu bekommen, ohne dabei mitreden zu können. An der Aussage: „Wir üben das hier so lange, bis es läuft“, wird klar, wie sehr der Betriebsrat auf seine Machtposition poch561 BetrVG 1972 § 87 Abs. 13. 562 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat G3 nach GIAT 30.03.1977 ab 25:24 Min. 563 Arbeiter G3 „So haben sie uns […] gefangen. Mit der Angst der einzustellenden Leute, da machen die Kapital mit.“ Ebd. ab 26:26 Min.

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te.564 Außerdem kam es vor, dass der Betriebsrat in seltenen Fällen über Sondersitzungen nicht informiert und daher nicht anwesend war, was wiederum zu Auseinandersetzungen mit den Werksvertretern führte: „Wenn der Kollege draußen das eher kennt wie wir, dann sehen wir ganz ganz schlecht aus. […] Wir können auch anders.“565

Daher forderte der Betriebsrat, dass die betrieblichen Hierarchien und das Stellvertreterprinzip auch in der Gruppenarbeit intakt blieben. Vor den Arbeitern müsse der Betriebsrat informiert werden, obwohl die Gruppensprecher mit im Entscheidungsgremium saßen und sie daher direkt über Neuigkeiten unterrichtet wurden. Ebenso schwingt im Zitat die Drohung mit, das Gremium zu blockieren, wenn die Forderungen des Betriebsrates keine Berücksichtigung fänden. Es gab vielfache Streitpunkte zwischen der Werksleitung und dem Betriebsrat, wie etwa die unterschiedliche Beurteilung von Kosten. So war die Platzierung von mehr Vorgesetzten in der Gruppenarbeit dem Betriebsrat wichtiger als die Rentabilität des Projektes, wohingegen die Betriebsleitung dies kritisch sah und Sorge um die Kosteneffizienz äußerte.566 Der Betriebsrat zielte durch den Einsatz von direkten Vorgesetzten in der Produktion darauf ab, die Wahrung der betrieblichen Hierarchien sicherzustellen. Damit verweigerte er den Arbeitern zugleich von Beginn an eine selbstständige Partizipation am Projekt. Diese wollten, wie in Kapitel 3.3 erwähnt, zunächst auf Vorgesetzte verzichten und sprachen sich erst im weiteren Projektverlauf für einen Meister in den Gruppen aus. Wie sehr der Betriebsrat auf die Unternehmensstrukturen und damit auf seine eigene Machtbasis beharrte, belegt gleichermaßen die Einforderung seines im Betriebsverfassungsgesetz festgelegten Vetorechts, das allerdings in vielen Entscheidungen des ÖPSZ nicht anwendbar war: „Wir haben immer noch ein Betriebsverfassungsgesetz. […] Wir lassen uns hier nicht vergewaltigen.“567

Auch der Betriebsrat nutzt das Wort „Vergewaltigung“. Er versuchte durch die erst wenige Jahre zuvor erweiterten Mitbestimmungsrechte infolge des Betriebsverfassungsgesetzes 1972 seine Stellung gegenüber der Werksleitung zu behaupten. Dies lässt den Eindruck entstehen, dass der Betriebsrat sich im Projekt gegenüber der Werksleitung beweisen wollte und mehrheitliche Beschlüsse vom ÖPSZ nicht mittrüge, sollte er dabei überstimmt werden. Der Projektleiter reagierte irritiert auf dieses Betragen, da für ihn die Übertretung von gesetzlichen Regelungen

564 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ ÖPSZ 20.11.1975 I ab 45:43 Min. und ab 49:47 Min. 565 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW 16.01.1976 ab 02:45 Min. 566 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ ÖPSZ Besprechung 21.05.1976 I ab 01:07:05 Min. und ab 01:09:23 Min. 567 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ ÖPSZ 27.02.1976 II ab 54:28 Min.

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nicht zur Debatte stand und der ÖPSZ das Betriebsverfassungsgesetz seiner Meinung nach nicht aushebelte.568 Anlass für eine weitere Auseinandersetzung zwischen Werksleitung und Betriebsrat bot das Protokoll der ÖPSZ-Sitzungen, wobei der Betriebsrat annahm, dass die Werksleitung das Protokoll zum eigenen Vorteil verfälschte.569 Dies beweist, dass der Betriebsrat der Werksleitung misstraute. Darüber hinaus setzte sich der Betriebsrat zwar dafür ein, dass die Gruppen ausreichend Zeit für ihre Gruppengespräche eingeräumt bekamen, allerdings sollten diese ohne die Anwesenheit der Arbeitspsychologen aus Zürich abgehalten werden.570 Auf die Erwiderung des Projektleiters, dass die Teilnahme an den Gesprächen eine elementare Grundforderung der Wissenschaftler zur Durchführung des Gruppenarbeits-Projektes darstellte, antwortete der Betriebsrat, dass er dann ebenso an den Gruppengesprächen beteiligt sein müsse, da dort „viel Politik gemacht“ werde.571 Der Betriebsrat beanspruchte demzufolge die Kontrolle über möglichst viele Prozesse in der Gruppenarbeit, um in eigenem Interesse eingreifen zu können. Außerdem unterstellte er den Arbeitspsychologen in den Gruppengesprächen „Politik zu machen“, um den Arbeitern ihre Ansichten zu vermitteln oder sie gar für ihre Zwecke einzubinden. Der Betriebsrat misstraute folglich sowohl der Projektleitung als auch dem Institut aus Zürich. Selbst nachdem ein Gruppensprecher nach andauernder Diskussion um die Regelmäßigkeit der Gruppengespräche in der ÖPSZ-Sitzung anmerkte, dass die Gruppengespräche alle zwei Wochen doch gewährleistet wären, reagierte der Betriebsrat belehrend: „Merkst Du das nicht […] wie lange darum gekämpft wird? […] Das ist einfach wichtig, die feinsten Details herauszupauken.“572

Der Betriebsrat konstruierte einen Konflikt zwischen Werksleitung und den Interessen der Arbeiter, den sie selbst nicht zu sehen oder zu verstehen schienen und daher auf ihn angewiesen seien. Die Arbeiter sollten im Projekt auf den Betriebsrat vertrauen und damit auf eine Selbstvertretung verzichten. Das Misstrauen des Betriebsrates verdeutlichte zudem seine Anschuldigung gegenüber der Werksleitung, Vertrauensleute aus den Gruppen bewusst heraushalten zu wollen. Zwei Vertrauensleute verließen die Gruppenarbeit aus persönlichen Gründen, dennoch beschuldigte der Betriebsrat die Betriebsleitung, dies forciert zu haben.573 Dieses Misstrauen und das daraus resultierende Verhalten wirkten sich auf die Gruppen aus. Einerseits weil der Betriebsrat die Kontrolle seiner 568 Ebd. ab 56:16 Min. 569 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 und G3 09./10.11.1976 II ab 19:13 Min. 570 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ ÖPSZ 27.02.1976 II ab 01:48:45 Min. 571 Ebd. ab 01:49:16 Min. 572 Ebd. ab 01:55:34 Min. 573 „Wenn man das versucht aus betrieblicher Sicht hier dort einzusteigen, um Leute zu beeinflussen […] dann finde ich das nicht gut.“ Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ ÖPSZ 05.03.1976 und G2 08.03.1976 I ab 13:56 Min.

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Aufgabenbereiche auch nicht in Teilen an die Arbeiter abgab und andererseits weil die Arbeiter ihre Themenwünsche häufig im ÖPSZ nicht zur Sprache bringen konnten, da ihre Probleme meist unter dem letzten Tagesordnungspunkt „Verschiedenes“ subsummiert wurden. Aufgrund der Konflikte zwischen Betriebsrat und Projektleitung in den Sitzungen, welche viel Zeit verschlangen, blieben die Probleme der Arbeiter häufig ungehört. Die Unzufriedenheit darüber äußerten die Werker insbesondere in ihren Gruppengesprächen: Gruppensprecher 1: „Da ging die Streiterei wieder los. Jeder hat seine Findigkeiten […] Dann hat er das so gesagt. Dann er das Gegenteil gesagt […] jedes Wort auf die Goldwaage […] vom Betriebsrat und dem [Projektleiter].“574 Arbeiter G1: „Verschiedenes kam überhaupt nicht zur Diskussion.“ 575

Demnach würden sich die Vorgesetzten untereinander „beharken“. Die empfundene Hilflosigkeit der Arbeiter schlug sich in ihrem Verhalten innerhalb der ÖPSZ-Sitzungen nieder. Sie schweiften mit ihren Gedanken ab oder beteiligten sich nicht mehr an den Diskussionen: Arbeiter G4: „Gucke dann aus dem Fenster.“576

Selbst wenn sie sich äußern wollten, kamen sie trotz Meldung in den Streitgesprächen zwischen Werksleitung und Betriebsrat oft nicht zu Wort.577 Aber auch der unterschiedliche Bildungsstand machte den Arbeitern in diesen Auseinandersetzungen zu schaffen. Arbeiter G4: „Muss ja auch bedenken, dass wir nun alles gute Volksschüler waren, jedenfalls keine höhere Schule besucht haben. Wir haben manchmal mit den Worten, die da rumgeschmissen haben, das sind für uns alle böhmische Dörfer.“ 578

Häufig verstanden die Arbeiter die Diskussionen zwischen Betriebsrat und Werksleitung aufgrund der verwendeten Sprache und der betriebswirtschaftlichen Begriffe nicht. Dies stellt eine Behinderung von Partizipation der Werker dar, denn das Wissen wurde nicht mit ihnen geteilt oder ihnen die Begriffe erklärt, sondern es verblieb in den höheren Hierarchieebenen des Unternehmens. Die Arbeiter gerieten demnach bei der Auseinandersetzung um Einflussmöglichkeiten und Interessensdurchsetzung zwischen die Fronten von Betriebsrat und Werksleitung. Doch wie gestaltete sich das Verhältnis der Gruppenarbeiter und ihren Interessenvertretungen abseits der Konflikte mit der Werksleitung? Fühlten sie sich vom Betriebsrat und der Gewerkschaft in ihren Anliegen unterstützt oder handelten ihre Vertretungen, wie in den Industrieroboter-Projekten auch, nach eigenen 574 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 09.03.1976 II ab 01:18:22 Min. 575 Ebd. ab 01:30:21 Min. 576 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ alle Gruppen nach GIAT 30.03.1977 ab 58:43 Min. 577 Ebd. ab 58:18 Min. 578 Ebd. ab 59:14 Min.

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Interessen, die nicht unbedingt mit denen der Arbeiter kongruent sein mussten oder teilweise sogar konkurrierten? Wie oben dargelegt versuchte der Betriebsrat die Kontrolle über das Gruppenarbeits-Projekt zu erlangen. Die vom Betriebsrat ausgeübte Kontrolle beschränkte sich aber nicht nur auf die ÖPSZ-Sitzungen. Bezeichnenderweise war ab Mitte des Projektes, also ab August 1976, immer häufiger ein Mitglied des Betriebsrats in den Gruppengesprächen zugegen, obwohl die Gruppen in den häufigsten Fällen dieses nicht explizit eingeladen hatten. Es ging um die Kontrolle und teilweise um die Steuerung der Gruppen und ihrer Gespräche, denn der anwesende Betriebsrat beanspruchte einen Großteil der Redezeit für sich, übernahm oft die Gesprächsführung und versuchte, sowohl die Diskussion der bestehenden Probleme als auch deren Lösung an sich zu reißen. Darüber hinaus erteilte er den Arbeitern Anweisungen, wie sie sich in bestimmten Situationen verhalten sollten.579 Infolgedessen übertrugen die Gruppen in ihren Sitzungen nun teilweise dem Betriebsrat Aufgaben, die sie vorher selbst übernommen hatten. Sie akzeptierten damit zunächst wieder das im Betrieb übliche Stellvertreterprinzip und verzichteten vorerst darauf, ihre Probleme eigenständig zu lösen. Zu diesem Ergebnis kommen auch andere Betriebsstudien über VW, in denen sich Werker aufgrund von „Gewohnheit“ oder „Bequemlichkeit“ lieber an die Gewerkschaft oder den Betriebsrat wandten, als selbst aktiv zu werden.580 Die Gruppenarbeiter beauftragten den Betriebsrat nun beispielsweise damit, die Pauseneinhaltung in den anderen Gruppen zu kontrollieren, da einige Gruppen die Pausen durcharbeiteten, um mehr Stückzahlen zu produzieren. Zuvor hatte der Gruppensprecher 1 solche Probleme im ÖPSZ selbst angesprochen.581 Sie gaben also ihre Verantwortung an den Betriebsrat ab. Diesen Umstand prangerten insbesondere die beteiligten Wissenschaftler an und formulierten ihre Kritik gegenüber dem Betriebsrat. Die Gruppengespräche seien für die Gruppen zum Austausch gedacht und nicht für den Betriebsrat.582 Außerdem merkten sie an, dass der Betriebsrat die meiste Redezeit in den Gesprächen für sich beanspruchte und die Arbeiter nicht mehr richtig diskutieren konnten. Desgleichen hatte sie die Werksleitung darauf hingewiesen, dass, wenn der Betriebsrat an den Gruppengesprächen teilnahm, auch ein Vertreter von ihnen dabei sein musste, so die Wissenschaftler.583 Es zeigt sich, dass der Betriebsrat mit seinem Verhalten Konflikte schürte und das Misstrauen zwischen den Arbeitern und Vorgesetzten ausnutzte. Der Konflikt über Kontrolle und Machtausübung zwischen Werksleitung und Betriebsrat wurde in die Gruppen getragen und es musste ein ausgeglichenes Kräfteverhältnis zwischen beiden Instanzen in der Gruppenarbeit herrschen. Die Gruppen reagierten wiederum un579 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G4 und G2 26.08.1976 I ab 25:52 Min. 580 NOLL, PAUL 1982, „Das alles frisst – 25 Jahre Arbeit bei VW“, S. 77. 581 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 und Vorgespräch 27.08.1976 I ab 27:53 Min. 582 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G4 und G2 26.08.1976 II ab 21:55 Min. 583 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G2 27.10.1976 I ab 01:57:04 Min.

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terschiedlich auf die Anwesenheit des Betriebsrates. Während Gruppe 1 die Anwesenheit des Betriebsrats und des Beraters in ihren Gesprächen nicht grundsätzlich befürwortete, sondern nur bei Bedarf, sprach sich etwa Gruppe 2 für eine permanente Beteiligung des Betriebsrats an ihren Gruppengesprächen aus.584 Arbeiter G2: „Da das Institut immer dabei ist […] da kann uns das Institut einen einimpfen. Wir glauben das nicht, vielleicht […] aber wenn jetzt einer dabei ist, der wirklich Ahnung hat, der dahinter gucken kann […] das finde ich besser.“ 585

Dies belegt, dass sich bei einigen Gruppenarbeitern nach fortschreitendem Projektverlauf Misstrauen gegenüber dem Institut aus Zürich aufbaute und sie Angst vor Manipulation hatten. Sie trauten es dem Betriebsrat eher als sich selbst zu, die von ihnen angenommene Täuschung zu durchschauen. Daher war der Betriebsrat, den sie für qualifizierter hielten, ihr Hilfsmittel und ihre legitime Vertretung. Die anderen Gruppen verweigerten dem Betriebsrat die Kontrolle über die Gruppengespräche, indem sie ihm die Teilnahme auch mit Unterstützung der Wissenschaftler ohne explizite Einladung untersagten.586 Hier konnten sich die Gruppenarbeiter gegenüber dem Betriebsrat durchsetzen. Das Beispiel belegt zudem, dass die Arbeiter ein zwiespältiges Verhalten gegenüber dem Betriebsrat an den Tag legten. Während einige seine Unterstützung einforderten, wollten andere seine Vertretung nicht in Anspruch nehmen. Ein weiterer großer Streitpunkt zwischen den Arbeitern, der Werksleitung und ihren Interessenvertretungen war die Eingruppierung und Festlegung der Lohngruppen für die Arbeiter. Die stockenden Lohnverhandlungen, welche sich fast über den gesamten Projektverlauf hinzogen, sorgten für großen Unmut unter den Werkern, besonders in Bezug auf ihre Vertretung. Die Lohnverhandlungen wurden im Gesamtprojektausschuss ausgetragen. Dieser war dem ÖPSZ übergeordnet und in ihm saßen die wichtigsten Vertreter des Tarifwesens von VW Wolfsburg, was die Einigung über den Lohn im Projekt erschwerte. Daher kam eine schnelle, werksinterne Vereinbarung nicht in Frage, sondern die Verhandlungen mussten offiziell über die Zentrale in Wolfsburg laufen. Der Betriebsrat begründete die Verzögerung der Verhandlungen stets damit, dass er erst den Arbeitsplatz bewerten wollte, wenn die Gruppen alle Aufgaben, wie etwa die Einlaufstände, übernommen hätten, da die Arbeiter dadurch mehr Geld bekämen. Allerdings war die Übernahme aller Aufgaben erst in den letzten Monaten des Projektes geplant und die Gruppenarbeiter waren mit dieser Vorgehensweise nicht einverstanden.587 Folglich äußerten sie immer wieder ihre Unzufriedenheit über die ungleichen Lohngruppen: 584 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei 28.10.1976 II ab 02:06:00 Min. 585 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit 27.10.1976 I ab 02:02:58 Min. 586 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei 28.10.1976 II ab 02:06:00 Min. 587 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei 26.08.1976 I ab 13:48 Min.

VW Digitalisat VW-SZ G1 und G4 bei VW Digitalisat VW-SZ G2 VW Digitalisat VW-SZ G1 und G4 VW Digitalisat VW-SZ G4 und G2

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Arbeiter als Konfliktpartner Arbeiter G3: „Viele Kollegen verlieren das Interesse aufgrund der unterschiedlichen Lohngruppen und in dem Punkt müsste schleunigst was getan werden, um überhaupt den Versuch zum Erfolg zu bringen.“588

Die Differenz in der Bezahlung führte bei den Arbeitern in den niedrigen Lohngruppen zu nachlassender Arbeitsmotivation, da sie für wesentlich weniger Geld die gleichen Aufgaben wie ihre Kollegen mit deutlich höheren Lohngruppen ausführen sollten. Aufgrund dessen und angesichts der Lohnunsicherheit verloren die Arbeiter an Arbeitsmotivation und hatten demnach Angst, dass das Projekt insgesamt scheiterte.589 Zudem bestand generell die Unsicherheit, ob die Arbeitsstrukturen weiter fortbestanden, wodurch die Arbeiter befürchteten, den Lohn bei Einstellung der Gruppenarbeit nicht mehr zu erhalten. Jedoch stieß diese Sorge beim Betriebsrat auf Unverständnis und er hielt die vorzeitige Einstufung strategisch für falsch: „Wenn ihr wollt, machen wir das. Aber da müssen die anderen Gruppen mitspielen, dass eine Entlohnung zum jetzigen Zeitpunkt gemacht wird. Nur ich empfehle es euch nicht, weil ihr dabei schlechter fahrt vom Tarifvertrag her […] Entweder ihr bekommt jetzt die 5 oder später mit Nacharbeit die 7 Akkord. Das ist ja wohl interessant.“590

Die Gewerkschaft und der Betriebsrat wollten alle Aufgaben der Gruppenarbeit in der Hoffnung bündeln, durch die vielfältigen Aufgabenbereiche eine höhere Lohngruppe für alle Arbeiter zu erreichen. Allerdings wurden die Arbeitsaufgaben gestaffelt eingeführt, je nach Lernerfolg und Produktionszahlen der Gruppen. Bis sechs Monate vor Ende des Gruppenarbeits-Projekts übernahmen die Arbeiter noch neue Tätigkeiten. Außerdem war die Übernahme von Arbeiten, abgesehen vom Motorenbau, auch immer eine Verhandlungssache. Wie oben dargestellt wollten die Werker etwa die Verwaltungsarbeit nicht übernehmen. Folglich war die Bündelung der Aufgaben, wie der Betriebsrat dies forderte, bis zum Projektende kaum möglich. Sechs Monate vor Beendigung der Gruppenarbeit stand eine einheitliche Lohngruppe für die Gruppenarbeiter immer noch nicht fest.591 Da der Betriebsrat keine andere Lösung anbot, schlug der Gruppensprecher 4 eine provisorische Lösung vor, wodurch zunächst alle Gruppenarbeiter auf eine bestimmte Lohngruppe (Lohngruppe 4) angehoben werden sollten. Die Gruppen stimmten diesem Vorschlag zu.592 Der Betriebsrat hingegen lehnte ihn ab, da er nicht davon ausging, dass der Gruppensprecher die Situation begriffen habe. Dies stellte eine 588 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 und G3 09./10.11.1976 II ab 45:30 Min. 589 Gruppensprecher G4: „Die Unsicherheit über Lohn macht die Leute nervös. Wie lange sollen wir jetzt so bleiben? […] Wir wissen nicht, ob das Experiment weiterläuft.“ Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G4 und G2 26.08.1976 I ab 31:58 Min. 590 Ebd. ab 34:11 Min. 591 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ alle Gruppen nach GIAT 30.03.1977 ab 44:30 Min. 592 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G4 und G2 26.08.1976 I ab 35:24 Min. und Digitalisat VW-SZ G1 und G3 23.09.1976 II ab 01:02:09 Min.

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Herabsetzung des Arbeiters durch den Betriebsrat dar, der ihm anscheinend nicht zutraute, die Situation richtig einzuschätzen, obwohl der Arbeiter sie nur anders beurteilte und eine andere Lösung präferierte. Für diese Auffassung des Betriebsrates kann erneut das Menschenbild eines Arbeiters im Betrieb herangezogen werden. Der Betriebsrat sprach dem Arbeiter grundsätzlich ab, komplexere Strukturen und Prozesse im Unternehmen verstehen zu können. Außerdem war er der Ansicht, dass nur er selbst über die Kompetenz verfüge, Lohneinstufungen beurteilen und über diese entscheiden zu können. Die provisorische Einstufung gelte laut Betriebsrat dann nur für ein Jahr, wohingegen die Lohngruppe 7 für das gesamte Projekt Gültigkeit besitze.593 Allerdings stand bis zu diesem Zeitpunkt die Einigung zwischen Werksleitung und Betriebsrat über die Festlegung der Lohngruppe noch aus. Überdies verhandelte die Tarifkommission nicht über die Lohngruppe 7, sondern es gab nur Diskussionen zwischen Lohngruppe 5b oder 6b.594 Es stellt sich klar heraus, dass der Betriebsrat sich den geäußerten Wünschen der Arbeiter widersetzte. Dies tat er aufgrund eigener Interessen. Da die Öffentlichkeit das Gruppenarbeits-Projekt verfolgte, wäre es ein großer Erfolg des Betriebsrates und der IG Metall gewesen, für die Gruppenarbeiter eine derart hohe Lohngruppe auszuhandeln, die sonst eigentlich nur geschulte Facharbeiter erhielten.595 Die Gruppen hingegen zeigten sich enttäuscht und wütend darüber, dass der Betriebsrat immer noch keine Einigung in der Lohnthematik erzielt hatte, sie immer wieder vertröstete und ihre Meinung nicht akzeptierte. Ihrer Ansicht nach war die Anhebung der niedrigen Lohngruppen „das Mindeste, was die Gewerkschaft für sie hätte tun können“.596 Die Gruppen wussten, dass die Betriebsleitung sofort die Lohngruppe 5 für alle Gruppenarbeiter festgelegt hätte, wohingegen die Gewerkschaft eine höhere Lohngruppe forderte.597 Die Aussage der Werkerin aus Gruppe 3 offenbart, dass dies nicht im Interesse der Arbeiter lag und sich diese daher von der Gewerkschaft im Stich gelassen fühlten: Arbeiterin G3: „Auf die Scheiß-Gewerkschaft, da scheiß ich drauf.“598

Die Arbeiter fürchteten, dass sie ihren Lohn nicht wie von dem Betriebsrat versprochen, rückwirkend erhalten würden und wollten daher eine schnelle Einstufung: 593 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G4 und G2 26.08.1976 I ab 36:12 Min. 594 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 und G3 09./10.11.1976 I ab 01:06:30 Min. 595 Vgl. StA WOB: Wolfsburger Nachrichten: Mit Bonner Hilfe wird bei VW-Salzgitter Motorenmontage in der Gruppenarbeit erprobt, 01.04.1976, S. 9; StA WOB: Wolfsburger Nachrichten: Forschen nach humanen Arbeitsplätzen. Matthöfer besucht VW-Werk Salzgitter – 18 Forschungsprojekte mit 125 Millionen, 01.07.1976, S. 3; O. A.: „Selbstbedienungsladen der Großindustrie“. Bonn verplempert Millionen für umstrittene Forschungsprojekte, in: Der Spiegel, 10.01.1977, S. 55–60. 596 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 und G3 09./10.11.1976 II ab 01:01:02 Min. 597 Ebd. ab 01:06:36 Min. 598 Ebd. ab 01:04:53 Min.

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Arbeiter als Konfliktpartner Arbeiter G3: „Ich kann da nirgends mit angehen. Ich möchte gerne eine Unterschrift haben, was garantiert dafür, dass ich das dann auch nachgezahlt kriege und nicht nur Rederei […].“599

Die Werker regten sich darüber auf, dass der Betriebsrat sie gar nicht gefragt habe, ob sie mit der Lohngruppe 5 zufrieden seien und dass er ihre Meinungen im Projekt nicht akzeptiere. Ihnen war bewusst, dass er ihre Mitbestimmung behinderte: Arbeiter G3: „Die unterschreiben das nicht, weil es nicht in ihr Konzept passt.“ 600 Arbeiter II G3: „Die Gewerkschaft will ihren Kopf durchsetzen. Will ihre Macht ausspielen und der Betrieb. Sie suchen beide jetzt ihre Grenzen soweit es geht und die Gruppenmontage ist natürlich das beste Objekt.“601

Während der Betriebsrat und die Gewerkschaft also eher auf die öffentlich wirksame Präsentation der Verhandlungsergebnisse schielten, wollten die Arbeiter einen garantierten, kurzfristig verhandelten Lohn, der ihnen Sicherheit gab. Den Arbeitern war überdies bewusst, dass das Gruppenarbeits-Projekt als Prestigeprojekt sowohl der Unternehmensleitung als auch den Interessenvertretungen die Möglichkeit bot, sich zu profilieren. Die Tatsache der ungleichen Bezahlung in den Gruppen führte fast über das gesamte Projekt hinweg zu massiver Aufregung in den Gruppen: Arbeiter G3 (schreit): „Das ist ’n Betrug.“602

Die Arbeiter fühlten sich um ihren Lohn geprellt, was sich immens auf die Zusammenarbeit im Projekt und ihre Arbeitsmotivation auswirkte. Aufgrund dessen beschloss die Betriebsleitung die Höhereinstufung der niedrigen Lohngruppen auf 4b Mitte November 1976, da die Unzufriedenheit der Arbeiter mit niedrigen Lohngruppen zunahm und die Betriebsleitung dadurch die Motivation im Projekt gefährdet sah. Letztlich stimmte auch der Betriebsrat dieser Vorgehensweise zu.603 Der Streit zwischen den beteiligten Tarifparteien, Betriebsrat und Betriebsleitung, führte zu großem Frust unter den Arbeitern bis hin zur Resignation, wie die Wortmeldung zum Thema Lohn in Gruppe 3 beweist: „Lohn wird sowieso nichts. […] Da laufen die rum wie die Katze um den heißen Brei. […] Können wir streichen.“604

599 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 und G3 23.09.1976 II ab 56:17 Min. und ab 59:27 Min. 600 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat G3 nach GIAT 30.03.1977 ab 11:10 Min. 601 Ebd. ab 09:31 Min. 602 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 und G3 23.09.1976 II ab 01:01:46 Min. 603 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G2 und G1 23.11.1976 I ab 02:10 Min. 604 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G3 29.10.1976 I ab 07:19 Min.

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Das Thema wurde demnach in Gruppe 3 nicht mehr im Gruppengespräch behandelt, da die Werker sich machtlos fühlten, darauf Einfluss nehmen zu können. Die Gruppenarbeiter wiesen jedoch einen unterschiedlichen Umgang mit dem Problem auf: Entweder Wut, Resignation oder Protest. Arbeiter G4: „Dann ist das Projekt zu Ende und du hast immer noch keinen Pfennig gesehen.“605 Arbeiter G2: „Treffen sich jede Woche und trinken Kaffee da.“606

Die Frustration über die Situation ist aus beiden Äußerungen herauszulesen. Gruppe 2 entschied sich schließlich für den Protest und fertigte statt der geforderten 7 nur 6 Motoren pro Mann, um vor allem die Betriebsleitung unter Zugzwang zu setzen: „Solange das mit dem Geld nicht ist, behalten wir die Stückzahl, die wir uns vorgenommen haben, bei.“607

Die Gruppe wollte ihre Leistung drosseln, um somit Druck auf die Unternehmensleitung auszuüben, die Lohnverhandlungen zeitig abzuschließen. In drei Gruppen führte die Lohnsituation zur Ablehnung des Betriebsrates, wohingegen die Gruppe 2 nun stark mit ihm kooperierte. Dies hatte zur Folge, dass nun an allen Gruppengesprächen der Gruppe 2 auch ein Betriebsratsmitglied teilnahm. Gleichzeitig zu dieser Entwicklung wuchs das Misstrauen in der Gruppe 2 gegenüber der Betriebsleitung und den Wissenschaftlern. Demnach forderte sie, dass das Tonband ausgeschaltet wurde und die Wissenschaftler den Raum verlassen sollten, wenn sie über Stückzahlen und Leistung mit dem Betriebsrat sprachen, da sie mutmaßten, die Wissenschaftler würden in diesen Themen mit der Betriebsleitung kooperieren.608 „Wir haben kein Vertrauen mehr zum Institut […] Seitdem die Werksführung mal in Zürich war, ist das Institut auch ein bisschen umgeschwenkt […] praktisch umgefallen.“ 609

Hier zeigt sich erneut, dass sich durch den Einfluss des Betriebsrates das Misstrauen gegenüber den anderen Akteuren im Projekt, wie Werksleitung und Wissenschaftlern, bei den Arbeitern verstärkte. Die Gruppe 3 hingegen wollte dem Protest der Gruppe 2, weniger Stückzahlen zu produzieren, um die Betriebsleitung unter Druck zu setzen, nicht folgen. Das wäre „Erpressung“, „die schalten dann auf stur“ und das Projekt „scheitert“. Die Arbeiter würden sich damit selbst ein

605 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G2 und G4 10.11.1976 I ab 35:54 Min. 606 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ alle Gruppen nach GIAT 30.03.1977 ab 01:45:00 Min. 607 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G2 und G4 10.11.1976 II ab 14:00 Min. 608 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G2 und G1 23.11.1976 I ab 04:12 Min. und ab 09:43 Min. 609 Ebd. ab 09:54 Min.

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„Loch buddeln“.610 Ihnen war bewusst, dass sie eine gemeinsame Kooperation mit ihren Vorgesetzten benötigten, wenn das Projekt gelingen sollte und strebten daher danach eine weitere Eskalation zu vermeiden. Daher wollte die Gruppe 3 dieses Risiko, weniger Motoren zu bauen, nicht eingehen. Allerdings führte die Tatsache, dass die Meistergehälter für die Berater in der Gruppenarbeit schnell feststanden, sich jedoch die Lohnfindung der Gruppenarbeiter zeitlich immer wieder durch die Uneinigkeit der Tarifpartner verzögerte, zur Bestätigung ihrer Klassenbilder: Gruppensprecher 3: „Ist es wieder dasselbe, dass die unten getreten werden und die oberen mit Flügelschlägen.“611

Bei den Meistertätigkeiten waren jedoch keine umfassenden neuen Tätigkeitsfelder zu bewerten und die Gewerkschaften sahen darin kein Prestigeprojekt. Sie konnten werksintern mit den üblichen Lohngruppen und Tätigkeitsbeschreibungen eingestuft werden. Insofern war die Festlegung des Meisterlohns deutlich unkomplizierter. Wie sehr sich der Betriebsrat um die im Projekt vorgesehene Gruppenautonomie sorgte und damit auch um den eigenen Machterhalt, belegt sein Verhalten in der Diskussion darüber. Folglich stellte der Vertreter des Betriebsrats klar, dass „hierbei die Mitbestimmung des Betriebsrates eine sehr große Rolle spielt […].“ „Wir werden als Betriebsrat bestimmt nicht sagen, lass mal die Gruppen machen, sondern wir wollen da mitmischen. […] Wir werden uns nicht aus den Dingen herausdrängen lassen, sondern wir werden kräftig mitmischen.“612

Der Betriebsrat bekräftigte also seine Machtposition und tolerierte auch nicht, dass die Gruppen Teile seines Aufgabenbereichs übernahmen, obwohl er eigentlich für die Wahrung und Stärkung der Arbeitnehmerrechte im Betrieb zuständig war. Dies stellte für den Betriebsrat augenscheinlich keinen Widerspruch dar und er bekräftigte noch einmal seinen Anspruch, auf die Gruppenarbeit Einfluss zu nehmen. Wie eng der Betriebsrat die Grenzen für die Gruppen stecken wollte, offenbart exemplarisch sein Einspruch gegenüber der frei gestaltbaren Pausenregelung durch die Arbeiter. Seiner Ansicht nach könnten die Werker die Pausen an den Schluss legen und früher Feierabend machen, was nicht der Sinn von den Erholpausen sei.613 Der Betriebsrat wollte also die Arbeiter im ÖPSZ dazu zwingen, ihre Pausen einzuhalten, was erneut eine Form der Disziplinierung darstellte. Die Projektleitung hingegen bestand lediglich darauf, dass die Arbeiter ihre festgesetzten Zeiten wie die Mittagspause einhielten, wohingegen sie die 10-Minuten610 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 und 09./10.11.1976 II ab 01:11:22 Min. 611 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ 29.10.1976 I ab 01:06:01 Min. 612 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G2 und 22.09.1976 I ab 44:48 Min. 613 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G2 und 22.09.1976 II ab 01:33:48 Min.

G3 G3 G4 G4

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Pausen, die sogenannten Verteilzeiten, frei ausrichten dürften.614 Es entbrannte ein „schwerer Streit“ zwischen Gewerkschaft, Betriebsrat und Projektleitung in der ÖPSZ-Sitzung über das Thema der Autonomie. Nach Schilderungen der Gruppensprecher hätten die Vertreter der Gewerkschaft und des Betriebsrates die Sitzung verlassen, da sie mit den Ansichten der Werksleitung nicht einverstanden waren.615 Nicht nur die Pausenregelung, sondern auch die Frage, ob die Gruppen ein Wochenprogramm oder ein Tagesprogramm fahren sollten, geriet zum Gegenstand jener Auseinandersetzung. Die Werksleitung sprach sich für ein Wochenprogramm aus, da die Werker ihre Arbeit so freier gestalten konnten; die Interessenvertretungen bevorzugten hingegen ein Tagesprogramm, wodurch die Pausen besser einzuteilen seien und verhindert werden sollte, dass die Gruppen durcharbeiteten und freitags früher Feierabend machten. Der Betriebsrat ging davon aus, dass die Betriebsleitung als Reaktion darauf die Stückzahlen erhöhe. Ebenso forderte die Gewerkschaft im Gegensatz zur Werksleitung eine festgelegte Stückzahl und keine Mindeststückzahl mit offener Grenze nach oben.616 In der Gruppenarbeit waren im Projektantrag 100 Motoren am Tag veranschlagt, welche die Gruppen produzieren sollten.617 Allerdings stand die Arbeitsstruktur der Gruppenarbeit im Projekt in Konkurrenz zur Transfermontage und Fließbandproduktion.618 Dadurch entstand bei den Gruppenarbeitern, welche die Arbeitsstruktur über die Projektzeit hinaus erhalten wollten, der Druck, höhere Stückzahlen zu fertigen, welcher, wie in Kapitel 4.1 dargelegt, von der Werksleitung weiter aufgebaut wurde. Mit ihrer vorläufigen Berechnung, die eine geringere Kosteneffizienz der Gruppenarbeit gegenüber anderen Fertigungsmethoden ergab, setzte sie die Werker diesbezüglich unter Zugzwang, mehr zu produzieren. Dennoch konnte die Betriebsleitung die im Projekt offiziell veranschlagte Stückzahl nicht einfach erhöhen. Es fällt auf, dass gerade der Betriebsrat bis zum Wendepunkt der Gruppenarbeit Anfang 1977 „betriebsübliche“ Bedingungen im Projekt anstrebte – also den Einsatz von Vorgesetzten, feste Pausenregelungen, klare Angaben von Stückzahlen und ein Tagesprogramm statt eines Wochenprogramms, das sich die Werker selbst einteilen konnten. Damit erhielt der Betriebsrat die betrieblichen Hierarchien aufrecht, die mit der Disziplinierung und Kontrolle der Arbeiter einhergingen.

614 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 und G3 07./08.09.1976 I ab 14:16 Min. 615 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G3 29.10.1976 I ab 14:43 Min. 616 Vgl. Ebd. ab 13:01 Min.; Digitalisat VW-SZ G1 und G4 28.10.1976 II ab 01:05:36 Min. oder Digitalisat VW-SZ G1 und G3 am 09./10.11.1976 I ab 19:42 Min. 617 ZIPPE, Bernd-Holger/WELLER, Bernd/SAUER, Hans: Betriebswirtschaftlicher Vergleich bestehender Arbeitsstrukturen im Bereich Aggregatefertigung im Werk Salzgitter der Volkswagenwerk AG (Forschungsbericht / Bundesministerium für Forschung und Technologie HA, Humanisierung des Arbeitslebens 80–021), Eggenstein-Leopoldshafen 1980, S. 11. 618 Ebd., S. 9ff.

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Um seine Kontrolle in den Gruppen auszubauen und die Stellung des Gruppensprechers im Projekt zu schwächen beziehungsweise in seinen Einflussbereich zu integrieren, bestand der Betriebsrat darauf, dass Vertrauensleute in den Gruppen bestimmt wurden. Die Gruppen hingegen wünschten nur einen Vertrauensmann pro Schicht.619 Doch grundsätzlich sprachen sich die meisten von ihnen gleichermaßen für Vertrauensleute aus, denn sollte es zu einem Konflikt kommen, „können sie einen nicht so schnell reinlegen.“620 Das rekurriert erneut auf das vorhandene Misstrauen der Arbeiter gegenüber der Werksleitung und den Wissenschaftlern. Die Arbeiter hatten Angst davor, „getäuscht“ oder „reingelegt“ zu werden und wandten sich daher an den Betriebsrat und die Gewerkschaft. Eine Tatsache, die der Betriebsrat für sich nutzte und dieses Misstrauen auch immer wieder bei den Arbeitern schürte, wie die vorangegangene Analyse darlegt. Folglich sollten nun die Gruppensprecher gleichzeitig die Funktion des Vertrauensmanns übernehmen und rückten damit stärker in die Einflussbereiche der IGMetall und des Betriebsrates.621 Ein weiteres Beispiel, bei dem die Arbeiter erneut zwischen die Fronten von Betriebsrat und Projektleitung gerieten, war die Produktion der Stückzahlen. Folglich gab es laut Gruppe 4 eine „Missverständigung“ zwischen der Projektleitung und dem Betriebsrat bezüglich Leistungsvorgaben, da über einen längeren Zeitraum nicht klar war, ob nun alle betreffenden betrieblichen Stellen damit einverstanden waren. Hier geriet die Gruppe in die Bredouille, entweder den Angaben der Berater zu folgen, die klare Leistungsvorgaben kommunizierten oder dem Betriebsrat, der sagte, dass die endgültige Stückzahl noch nicht abschließend verhandelt sei beziehungsweise sich erst im Projektverlauf herausstellen müsse. Die Gruppe hatte ihrer Meinung nach die Möglichkeit, aufgrund von „Arbeitsverweigerung“, also Zurückhaltung von Leistung, der Kritik ihrer Vorgesetzten ausgesetzt zu sein oder das Projekt durch die Produktion geringerer Stückzahlen zu gefährden. Für die Gruppe ging dieser Konflikt daher „auf ihre Knochen“.622 Arbeiter G4: „[Werksleitung] sagt es, muss langsam mal Leistung kommen und der Betriebsrat sagt wieder, wir wissen nichts von Leistung […] macht so weit, wie ihr kommt. […] Wir hängen in der Luft.“623

Obwohl die Gruppe ihre Bedenken mit dem Betriebsrat besprach, sah dieser sich nicht verpflichtet den Fertigungsplan zu überprüfen, da die Werksleitung diesen allein aufgestellt habe. Daher sollten die Vorgesetzten die Zeiten kontrollieren und falls die Gruppen die angesetzte Leistung nicht erbringen konnten, müsse nach den Gründen gesucht werden, wodurch die Werker in der Schwebe hin619 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G2 und G4 22.09.1976 I ab 17:04 Min. 620 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 09.03.1976 II ab 01:23:31 Min. 621 GRANEL, MICHAEL 1980, Gruppenarbeit, S. 31. 622 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G3 und G4 07.10.1976 II ab 21:02 Min. 623 Ebd. ab 01:18:14 Min.

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gen.624 Ebenso zeigte der Betriebsrat wenig Verständnis für die Sorge der Arbeiter, nicht „richtig“ zu produzieren. Betriebsrat: „Die Werksleitung legte Stückzahlen fest, weil einige Arbeiter Leistung zurückgehalten haben und die volle Arbeitszeit nicht genutzt haben.“625

Obgleich der Betriebsrat Gruppe 2 bei ihrer Leistungszurückhaltung begleitete, prangerte er nun dieses Verhalten an und legte es auch allen anderen Gruppen zur Last. Selbst als Gruppe 4 dieser Aussage entschieden widersprach – sie hätten ihre Aufgaben immer ausgeführt und wollten lediglich wissen, ob sie ihre Arbeit „richtig“ erledigen würden – antwortete der Betriebsrat: „Die Unsicherheit kann gar nicht da sein, wenn ihr zugehört hättet.“626 Die Arbeiter fühlten sich vom Betriebsrat in dieser Situation erneut alleingelassen, da er ihre Sichtweise nicht akzeptierte und sich dieser verwehrte. Auch die Gruppe 2 geriet in ihrem Gruppengespräch mit dem anwesenden Betriebsrat in Konflikt, da sie ebenso von ihm forderte, den Fertigungsplan und die dort angesetzten Zeiten zu prüfen. Die Gruppe war der Meinung, dass die geforderte Leistung zu hoch angesetzt wurde.627 Auf die Aussage, dass sich der Betriebsrat dafür Zeit nehmen müsse, antwortete dieser: „Soll ich Dir meine Stempelkarte zeigen? […] ich bin ausgelastet. […] Dazu bin ich gar nicht verpflichtet. Das sind Aufgaben anderer Leute, sich mit uns in Verbindung zu setzen […] wir müssen die Informationen [nicht] alleine nachvollziehen. Das sehe ich gar nicht ein als Betriebsrat. Hab ich gar nicht nötig. Wenn andere meinen, sie müssen das reingeben, dann müssen sie auch beweisen, dass die Zeit als solche zu schaffen, ist aber nicht als Betriebsrat.“ 628

Der Konflikt zwischen Betriebsrat und Werksleitung beziehungsweise Planung wurde also über die Werker ausgetragen. Sie mussten in der Produktion nachweisen, dass die Zeiten nicht zu schaffen waren, weil sie das Soll nicht erreichten. Dies setzte die Arbeiter aber massiv unter Druck, erzeugte Stress und schürte die Angst, dass bei Minderleistung die Gruppenarbeit eingestellt würde. Zumindest die Berater der Gruppenarbeit hatten den Fertigungsplan begutachtet und ihre Kritik daran an die Planung weitergegeben.629 Die Gruppen zeigten sich ausgesprochen enttäuscht vom Betriebsrat.630 Sie fühlten sich von ihm alleingelassen: „Der Betriebsrat ist sowieso gegen uns.“631 Damit meinten sie nichts weniger, als dass ihre Interessenvertretung gegen sie und ihre Forderungen handelte und sie sich

624 625 626 627 628 629 630 631

Ebd. ab 23:09 Min. Ebd. ab 01:19:26 Min. Ebd. ab 01:20:01 Min. und ab 01:23:58 Min. Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 und G2 07.10.1976 II ab 35:29 Min. Ebd. ab 35:32 Min. Ebd. ab 37:14 Min. Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 und G4 28.10.1977 II ab 01:30:45 Min. Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G2 und G4 10.11.1976 I ab 50:09 Min.

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nicht auf den Betriebsrat verlassen konnten.632 Mit fortschreitendem Projekt nahm die von den Arbeitern empfundene Ohnmacht daher noch zu. Arbeiter G1: „Ist unsere Meinung. Dem kleinen Mann seine Meinung hierbei überhaupt gefragt? […] Wie weit wird er gefragt – der kleine Mann. Wie weit werden wir als Mittel zum Zweck hierbei genommen.“633

Das Zitat belegt einerseits die gestiegene Verunsicherung und Resignation der Arbeiter hinsichtlich ihrer Partizipationsmöglichkeiten sowie ihrer Einflussnahme im Projekt und andererseits die Sorge, von den Vorgesetzten, Wissenschaftlern und Interessenvertretungen ausgenutzt zu werden. Es beweist, dass das wachsende Misstrauen der Arbeiter im Verlauf des Projektes angesichts der kaum durchlässigen Hierarchien im Unternehmen und dem Beharren von Vorgesetzten und Betriebsrat auf ihren Kompetenzen die Kooperation im Projekt massiv behinderte. Doch nicht nur die Kooperation zwischen Arbeitern und Vorgesetzten hatte Grenzen, sondern auch die zwischen Werksleitung und Betriebsrat. So wurden ab Mitte des Projektes die Gräben des Misstrauens immer größer und kulminierten letztendlich im Wandel der Gruppenarbeit „unter betriebsüblichen Bedingungen“. An diesem Beispiel offenbart sich abermals, dass unter dem Konflikt zwischen der Werksleitung und dem Betriebsrat sowie dem Beharren des Betriebsrates auf seinen Einfluss insbesondere die Arbeiter im Projekt litten. Als Eskalationspunkt des Konfliktes zwischen Werksleitung und Betriebsrat werteten die Gruppenarbeiter das schon seit September 1976 geplante Seminar des Betriebsrates, an dem alle vier Gruppen teilnehmen sollten.634 Der Betriebsrat kündigte in den Gruppengesprächen an, mit den Arbeitern ein Wochenendseminar zum Thema Gruppenarbeit machen zu wollen: „Dass etwas näher gebracht wird, warum Gruppenmontage […] Gewerkschaftspolitisch und gesellschaftspolitisch […] Es hat ja Auswirkungen auf den Menschen, dieses Forschungsvorhaben hier und […] da guckt nicht nur Salzgitter drauf, sondern hier die ganze Welt guckt da drauf.“635

Die Aussage deutet darauf hin, dass der Betriebsrat die Gruppenarbeiter für seine Gewerkschaftspolitik gewinnen wollte, denn er verwies auf die öffentliche Aufmerksamkeit, die das Projekt auf sich zog. Die Schulung sollte daher außerhalb des Werkes stattfinden. Der Betriebsrat führte das Seminar am 04.12.1976 durch, obwohl sich die Werks- und Projektleitung im Vorhinein dagegen ausgesprochen hatten und riskierte damit bewusst den Vertrauensbruch mit der Werksleitung. Dieser Umstand geht eindeutig aus der Aussage des Betriebsrates hervor: „Am 4. Dezember machen wir diese Zusammenkunft, die das Werk nicht will, machen 632 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G3 und G2 24.06.1976 II ab 36:09 Min. 633 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 und G4 28.10.1976 II ab 06:40 Min. 634 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G4 und G2 07./08.09.1976 I ab 16:15 Min. 635 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW- SZ G1 und G2 07.10.1976 II ab 01:45:43 Min.

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wir trotzdem.“636 Nicht alle Gruppenarbeiter nahmen teil und viele sprachen sich zuvor ebenso wie die Projektleitung für die Beteiligung der Vorgesetzten am Seminar aus. So schlug etwa Gruppe 1 dem Betriebsrat vor, die Berater auf das Seminar mitzunehmen: „Wir sind alle mit dem Projekt verbunden.“637 Die Gruppe wollte das Seminar zur Aussprache mit den Vorgesetzten nutzen, um eine bessere Kooperation für den restlichen Verlauf des Projektes erarbeiten zu können. Der Betriebsrat lehnte dies ab: „Einladungen kommen von der IG Metall. Uns geht es überwiegend um Euch als Gruppen, damit ihr eine gemeinsame Sprache sprecht. […] Damit ihr endlich mal eine Tagung für euch bekommt mit allen 4 Gruppen und nicht immer nur einzeln.“ 638

Überdies sei der Berater auf der Position eines „VW-Meisters“ und gehöre demnach nicht zur Gruppe, sondern zu den Vorgesetzten.639 Diese Aussagen legen nahe, dass die IG Metall und der Betriebsrat dieselben Ansichten teilten, für die Erreichung ihrer gemeinsamen Ziele zusammenarbeiteten und jene Interessen denen der Arbeiter in dieser Situation diametral gegenüberstanden. Allerdings nutzte der Betriebsrat die offizielle Trennung der beiden Institutionen, um den Arbeitern zu vermitteln, dass der Betriebsrat keinen Einfluss auf die Einladung der Vorgesetzten habe, sondern nur die IG Metall. Das ist jedoch aufgrund der engen Verzahnung der beiden Institutionen bei VW und der überwiegend gewerkschaftlich organisierten Betriebsräte zu bezweifeln. Zudem stilisierte sich der Betriebsrat zum Einiger der Gruppen, der es nun endlich möglich mache, dass sie sich ohne fremden Einfluss untereinander austauschen könnten. Zwar hatten die Gruppen den Wunsch nach einem gemeinsamen Treffen aller Gruppenmitglieder geäußert, jedoch war zumindest der Austausch zwischen den vier Gruppensprechern untereinander vor oder nach jeder ÖPSZ-Sitzung gewährleistet. Die Gruppen sahen im Gegensatz zum Betriebsrat auch einen Unterschied zwischen einem klassischen Meister und ihrem Berater in den Gruppen. Daher wollten sie ihn zum Seminar einladen, um die Möglichkeit zu haben, sich mit den Beratern auszusprechen und die Konflikte und Verwerfungen zu beseitigen. Sie widersprachen damit der Trennung von Gruppe und Berater.640 Der Betriebsrat lehnte diesen Einspruch ab und wiederholte, dass nur die IG Metall einladen könne, obwohl der Betriebsrat die Kosten für das Seminar trug.641 Erneut verweigerte er die Mitsprache der Arbeiter und setzte sich zugunsten seiner Interessen über ihre Einwände hinweg. Die Reaktion der Werksleitung auf das Stattfinden des Seminars folgte umgehend. Drei Tage nach dem Seminar fand im Werk Salzgitter eine Aussprache statt, 636 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 und G3 09./10.11.1976 I ab 01:04:14 Min. 637 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G2 und G1 23.11.1976 I ab 59:23 Min. 638 Ebd. ab 59:21 Min. 639 Ebd. ab 59:39 Min. 640 Ebd. ab 01:00:48 Min. 641 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G4 und G3 23./24.11.1976 I ab 05:58 Min.

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an der Vertreter des BMFT, die Wissenschaftler, der Betriebsrat, die IG Metall und Vertreter der Unternehmensleitung teilnahmen.642 In dieser Besprechung erklärten die Interessenvertretungen laut Werksleitung, dass die Teilautonomie der Gruppen „nicht mit den bestehenden Gesetzen und Vereinbarungen in Einklang zu bringen sei.“ „Im Interesse praxisbezogener Ergebnisse muß eine Weiterführung des Projektes abgelehnt werden.“ Die Interessenvertretungen machten deutlich, „dass eine Veränderung der im Betriebsverfassungsgesetz eindeutig geregelten Vertretungs- und Mitwirkungsrechte nicht in Betracht komme.“ Daher forderten sie, „die Teilautonomie aufzugeben und zu normalen betrieblichen Gegebenheiten zurückzukehren.“643 Daraus geht eindeutig hervor, dass der Betriebsrat die Sicherung seines Einflusses und seiner Machtposition im Unternehmen über die Wünsche der Arbeiter stellte. Er verweigerte ihnen die erweiterten Partizipationsrechte und forderte zugleich, die Gruppenarbeit nach Beendigung des Forschungsprojektes nicht fortzuführen. Bis dahin sollte die Gruppenarbeit „betriebsüblich“ ablaufen. Trotz Einwänden seitens der Wissenschaftler willigte die Werksleitung ein.644 Ein Grund hierfür war, dass das Vertrauen und damit die Kooperationsmöglichkeit zwischen Werksleitung und Betriebsrat durch dessen Betragen erheblichen Schaden genommen hatten. Die jeweils separate Veröffentlichung eines Abschlussberichts zum Projekt von der Werksleitung und dem Betriebsrat belegt das bis zum Projektende angespannte Verhältnis der beiden Akteure, da sie sich nicht mehr auf eine gemeinsame Darstellung verständigen konnten.645 Aber nicht nur die Werksleitung prangerte in ihrem Bericht das Verhalten des Betriebsrates an, sondern auch der Betriebsrat selbst rechtfertigte die Beendigung seiner Kooperation mit der Werksleitung aufgrund der Sicherung seiner Rechte: „[…] der Rückzug des Betriebsrates aus dem ÖPSZ [war] unvermeidlich, weil wir den ständigen Versuch der Werksleitung, in diesem Gremium Entscheidungen mit Mehrheitsbeschlüssen herbeiführen zu wollen, nicht akzeptieren konnten. Eine solche Praxis hätte einen klaren Verstoß gegen die im Betriebsverfassungsgesetz garantierten Rechte des Betriebsrates bedeutet. Die Werksleitung hatte daraufhin alle mit der Durchführung des Projektes zusammenhängenden und die Mitbestimmung des Betriebsrates berührenden Fragen mit dem dafür bestehenden Ausschuss des Betriebsrates zu behandeln.“646

Daraus geht klar hervor, dass der Betriebsrat die Entscheidungen, die im ÖPSZ gemeinsam mit den Gruppensprechern und Vertretern der unterschiedlichen Abteilungen getroffen wurden, nicht mittragen, sondern seine Sonderposition aufrechterhalten wollte. Aufgrund dessen löste sich der ÖPSZ auf und die Werksleitung sowie die Vorgesetzten in der Produktion waren nun wieder uneingeschränkt weisungsbefugt. Alle Änderungen in der Gruppenarbeit, welche der Zustimmung des Betriebsrates bedurften, mussten nun im Betriebsratsausschuss besprochen und jeweils vom Betriebsrat bewilligt werden. Die Gruppengespräche fanden 642 643 644 645 646

GRANEL, MICHAEL 1980, Gruppenarbeit, S. 31. Ebd., S. 32. Ebd., S. 32. Ebd., S. 14 und S. 55. Ebd., S. 61.

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nicht mehr statt und die Mitbestimmungsrechte der Gruppen wurden massiv beschnitten.647 Aus Sicht der Gruppen trugen an diesen Entwicklungen vor allem der Betriebsrat und die Gewerkschaft Schuld. Diese hätten zu hohe Lohnforderungen gestellt und mit dem Seminar im Dezember, an dem die Werksleitung trotz deren ausdrücklichen Wunsches nicht teilnehmen durfte, die Eskalation heraufbeschworen.648 Die Gruppen fanden es falsch, die Werksleitung und die Projektleitung nicht zum Seminar geladen zu haben, denn dadurch erfolgte der Austausch nur mit einer Seite. Sie verstanden die Reaktion der Werksleitung als „Strafaktion“ nach dem Motto „wer hat den längeren Arm“, unter der sie nun zu leiden hätten.649 Gruppensprecher 3: „Die Machtkämpfe werden auf unserem Rücken ausgetragen.“ 650

Zusätzlich zum Seminar erschien in der Zeitung der Gewerkschafter im Januar 1977 noch ein Artikel über die Gruppenarbeit und die Tagung des Betriebsrates, in dem sich der Betriebsrat und die IG-Metall stark negativ über das Gruppenarbeits-Projekt bei VW äußerten.651 Der Artikel kritisierte zunächst allgemein massiv Arbeitgeber, welche die Humanisierung nur durchführten, wenn sie ihre wirtschaftlichen Zielvorstellungen nicht tangiere.652 Als Paradebeispiel diente dem Autor jedoch das Gruppenarbeits-Projekt bei VW: „Der Eindruck, die Werksleitung wolle sich bescheinigen lassen, daß die derzeitige Art der Montage von Motoren nur so richtig ist und nicht anders, drängt sich auf.“653 Auch der Betriebsrat wandte sich in dem Artikel offen gegen die Werksleitung: „So bescheinigte der Betriebsrat, in einigen Fällen seien die Formulierungen ‚eine Verdrehung der Tatsachen, die an Überheblichkeit und Anmaßung dem Betriebsrat bisher noch nicht geboten wurde‘.“654

Letztlich resümierte der Bericht, dass der Betriebsrat den Arbeitern gemeinsam mit der Gewerkschaft endlich einen Ort geboten hatte, um sich über die bestehenden Probleme auszutauschen. „Dabei entstand der Eindruck, daß es bei diesem Versuch nicht mehr um Gruppenarbeit, sondern um die Einführung von Einzelakkord geht.“ Außerdem „überwachten einige der zu Beratern umgetauften Vorgesetzten die Leistungen der Gruppe.“655 Der Artikel endete mit einer wiedergegebenen Aussage eines Arbeiters: „Viel Positives gab es auf der Altenauer Tagung nicht zu hören, so bleibt als Zusammenfassung wohl nur die Feststellung eines Kollegen, der meinte, diese Humanisierung bringe ihm nichts, da er am Abend 647 Ebd., S. 33. 648 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ alle Gruppen nach GIAT 30.03.1977 ab 03:28 Min. 649 Ebd. ab 23:02 Min. 650 Ebd. ab 06:54 Min. 651 Möller, Edmund: Bleibt die Humanisierung im Nest, in: Der Gewerkschafter – Monatszeitschrift für die Funktionäre der IG-Metall, Nr. 1 (1977), S. 6–9. 652 Ebd., S. 7. 653 Ebd., S. 8. 654 Ebd., S. 8. 655 Ebd., S. 8.

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genauso todmüde nach Hause komme, als ob er am Band gearbeitet hätte.“656 Dieser Bericht stellte eine Kampfansage gegenüber der Werks- und Projektleitung dar und stilisierte den Betriebsrat und die IG Metall als Retter der Arbeiterbelange im Projekt. Die Arbeiter hingegen distanzierten sich von dem Artikel, als die Wissenschaftler diesen in den letzten Gruppengesprächen zitierten. Zwar sei die Gruppenarbeit eine „enorme nervliche Belastung“ und es gäbe ständig Konflikte mit den Vorgesetzten, dennoch zogen alle Werker die Gruppenarbeit der Arbeit am Band vor, da man nur „geistig kaputt“ sei und nicht körperlich. Der Bericht würde alles „verallgemeinern“.657 Außerdem leide der im Artikel zitierte Werker an einem Bandscheibenschaden. Der betroffene Arbeiter wollte die Gruppenarbeit verlassen, da die Arbeit für ihn zu schwer wurde.658 Jedoch gab es keinen passenden Schonarbeitsplatz für ihn.659 Es sei vor allem um Problembesprechung gegangen und der Journalist hätte diese aus dem Kontext gerissen.660 Die Werker fühlten sich missverstanden und stimmten der Darstellung der Gruppenarbeit im Artikel nicht zu. Hier zeigt sich gleichermaßen, dass die Interessenvertretungen nicht nur das Scheitern des Projektes im Betrieb beförderten, sondern auch die Außenwahrnehmung der Arbeitsstrukturen durch schlechte Presse schädigten. Ebenso konstruierten sie erneut eine Zweiteilung des Betriebes zwischen Kapital und Arbeit und versuchten damit, ihre Position zu rechtfertigen und zu festigen. Darüber hinaus verstärkte der Artikel zugleich das Misstrauen zwischen Vorgesetzten und Arbeitern. Demnach berichtete die Gruppe 4, dass ihr Berater „schockiert“ über den Artikel gewesen sei, in dem er als „Aufpasser“ bezeichnet wurde.661 Dies legt nahe, dass der Bericht das Vertrauen der Berater in die Gruppen zumindest beeinträchtigte. Die Eskalation und die schwerwiegenden Folgen für die Arbeiter, welche nun eine „betriebsübliche“ Gruppenarbeit verrichten sollten, führten aber auch zu einem massiven Vertrauensverlust der Gruppen gegenüber der Werksleitung und ihren Vertretungen: Arbeiter G4: „Mit der Gewerkschaft […] interessiert mich gar nicht mehr. Also die Hunde, die lügen von vorn bis hinten, denen glaube ich gar nichts mehr.“ Gruppensprecher 4: „Egal wie stark die Gewerkschaft oder Betriebsrat ist, der Arbeitgeber macht nur, was ihm gefällt.“ Arbeiter II G4: „Da bin ich vom Betriebsrat noch mehr enttäuscht als wie von der Werksleitung. Die haben nichts gemacht, aber auch gar nichts.“662

656 Ebd., S. 9. 657 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ alle Gruppen nach GIAT 30.03.1977 ab 29:58 Min. 658 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G2 und G1 23.11.1976 II ab 53:00 Min. 659 BRUGGEMANN, AGNES 1980, Arbeits- und sozialpsychologische Untersuchungen, S. 169. 660 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ alle Gruppen nach GIAT 30.03.1977 ab 01:04:38 Min. und ab 01:08:34 Min. 661 Ebd. ab 01:10:15 Min. 662 Ebd. ab 01:12:04 Min. und ab 01:15:36 Min.

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Das Verhalten des Betriebsrats wurde von allen Gruppen kritisch bewertet. So unterstellten sie ihm von Projektanfang an gegen die Gruppenarbeit gewesen zu sein, da sie nicht „betriebsüblich“ war und gegen den Willen der Werker höhere Lohngruppen verhandelt zu haben, was die Eskalation und den Stillstand des Projektes befördert hatte.663 Letztlich legten sie ihm auch das Scheitern der Gruppenarbeit zur Last. Lediglich sieben Gruppenarbeiter durften nach Abschluss des Projektes die Montage des Sechs-Zylinder-Motors übernehmen. Die übrigen Werker wurden auf andere Arbeitsplätze versetzt.664 Die Arbeiter fühlten sich vom Betriebsrat übergangen und nicht ernst genommen. Er folge seiner Parteipolitik sowie den eigenen Interessen und vertrete nicht die Belange der Werker. Letztlich waren sich die Gruppenarbeiter einig, dass sie die Zeche für den Konflikt um Macht zwischen Werksleitung und Betriebsrat zahlten: Arbeiter G3: „Hier ist die Gewerkschaft, da ist der Betrieb und in der Mitte, da ist unser Buckel. […] Das sind Machtprobleme und unser Buckel ist dazwischen und da kracht das drauf.“665 Arbeiter G4: „Wir können da sowieso nichts dran machen […] Wir sind jetzt praktisch das Kanonenfutter für die.“666

Die Arbeiter empfanden vor allem Ohnmacht zwischen den Fronten. Der Begriff „Kanonenfutter“ deutet auf den von ihnen wahrgenommenen Grabenkampf hin, in dem die Gruppenarbeiter für die Interessen der höheren Hierarchieebenen geopfert würden. Sie erscheinen als Spielbälle des Geschehens. Auf die Frage der Wissenschaftler im Gruppengespräch, was denn dieser Wandel nun für die Werker bedeute, antwortete ein Arbeiter resigniert: Arbeiter G3: „Ein paar werden in etwa auf ihre alten Arbeitsplätze gesetzt und die anderen werden verballert. Auf ein fortführendes Projekt haben wir keinen Einfluss, wir sind hier nur die Puhler.“667

Daraus geht hervor, dass die Arbeiter alle Hoffnung verloren hatten, das Projekt aus eigener Kraft noch zum Erfolg führen zu können. Sie erscheinen schicksalsergeben und in der Entscheidungsgewalt ihrer Vorgesetzten und Interessenvertretungen. Durch das Wort „verballert“ wird klar, dass die Arbeiter nicht davon ausgingen, dass ihre Vorgesetzten besonders rücksichtsvoll bei ihrer Versetzung an andere Arbeitsplätze vorgehen würden. Allerdings sah Gruppe 4 die Entwicklungen pragmatisch.668 So hätten sie nun weniger Probleme und Konflikte, klare An-

663 Ebd. ab 01:16:01 Min. 664 GRANEL, MICHAEL 1980, Gruppenarbeit, S. 34. 665 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat G3 nach GIAT 30.03.1977 ab 10:08 Min. 666 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ alle Gruppen nach GIAT 30.03.1977 ab 01:18:56 Min. 667 Ebd. ab 16:01 Min. 668 Arbeiter G4: „Die einzige Veränderung ist, dass wir keine Gedanken mehr haben über die Probleme, die auf uns zukommen. Denn die gesamte Verantwortung haben die Vorgesetzten. […] Davon sind wir frei geworden.“ Ebd. ab 47:19 Min.

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gaben sowie geringere Verantwortung zu tragen.669 Im Vergleich zu der teilweise leidenschaftlich geführten Diskussion um die Teilautonomie der Gruppen ein Jahr zuvor wirkten die Gruppen resigniert und zermürbt. Teilautonomie oder die Arbeitseinteilung erschienen ihnen nicht mehr wichtig. Nun hätten sie „ihre Ruhe“, wenn sie die geforderte Motorenstückzahl bauten.670 Es ist augenscheinlich, dass die Arbeiter keine Konflikte mehr austragen wollten. Das zeigte sich zudem daran, dass der Gruppensprecher aus Gruppe 4 auch gegen den ausdrücklichen Wunsch der anderen Gruppenmitglieder von seiner Funktion zurücktrat. Als Begründung nannte er die mit dieser Funktion einhergehenden häufigen Konflikte mit Vorgesetzten und der Gewerkschaft, welche ihn in der Freizeit beschäftigt hätten, seine Ablehnung, die Funktion eines Vertrauensmanns zu übernehmen und der Wunsch, nach der Gruppenarbeit keine Probleme beim Arbeitsplatzwechsel zu haben.671 Aus all diesen Äußerungen geht hervor, dass die Arbeiter sieben Monate vor Ende der Gruppenarbeit realisierten, dass das Projekt gescheitert war. Daher fügte sich nun auch Gruppe 3 in ihr Schicksal: Gruppensprecher 3: „Was gemacht werden soll, das wird sowieso gemacht wie’s die Betriebsleitung will. Was brauchen wir uns da überhaupt Kopfschmerzen zu machen.“ 672

Demnach fiel das Resümee eines Arbeiters über die Gruppenarbeit wie folgt aus: Die Gruppen genossen „zu viel Narrenfreiheit“. „Wir durften uns zu viel erlauben und das hat VW nicht mehr gepasst.“673 Nach Ansicht der Arbeiter hätten die oberen Hierarchieebenen einschließlich des Betriebsrats und der Gewerkschaft bei VW ihre Freiheiten und Ansichten nur vorübergehend für das Projekt geduldet, nicht aber tatsächlich respektiert, was sich in dem Wort „Narrenfreiheit“ zeigt. Der Verlauf des Gruppenarbeits-Projektes belegt, dass die Kooperation der betrieblichen Akteursgruppen unter anderem durch die bestehenden betrieblichen Hierarchien scheiterte. Die Verhandlungen im ÖPSZ waren überschattet von den Konflikten zwischen Betriebsrat und Werksleitung, da Ersterer auf seiner Position und seinen Einfluss im Projekt pochte. Darunter hatten vor allem die Arbeiter zu leiden, deren Anliegen und Entscheidungen darüber immer mehr ins Hintertreffen gerieten und die Machtdemonstration des Betriebsrats schränkte ihre Teilhabe am Projekt zunehmend ein. Dies führte bei den Arbeitern zu großer Frustration und Misstrauen gegenüber den höheren Hierarchieebenen. Die Gruppenarbeiter äußerten gegenüber dem Betriebsrat und der Gewerkschaft harsche Kritik, welche vom Vorwurf der Ignoranz der Arbeiterinteressen bis zur Höherpriorisierung der eigenen Interessen über die der Werker reichte. In vielen Bereichen wie beispielsweise der Lohnfindung oder der Teilautonomie handelten der Betriebsrat und die IG Metall nicht nach den geäußerten Wünschen der Gruppenarbeiter. Daher fühlten 669 Ebd. ab 47:19 Min. 670 Ebd. ab 52:31 Min. 671 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G4 und G3 23./24.11.1976 I ab 01:10:52 Min. 672 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ alle Gruppen nach GIAT 30.03.1977 ab 01:53 Min. 673 Ebd. ab 01:38:54 Min.

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sich jene von ihren Interessenvertretungen im Stich gelassen und teilweise betrogen. Außerdem zeigte sich, dass der Betriebsrat die Kontrolle über die Gruppenarbeit erlangen und die erweiterten Mitbestimmungsrechte der Arbeiter unterbinden wollte. Er versuchte eigene Einflusssphären zu sichern, selbst wenn dies zu Ungunsten der Arbeiter geriet. So beharrte der Betriebsrat auf seinem alleinigen Vertretungsrecht und seinen betrieblichen Rechten, wodurch er Konflikte sowohl mit der Werksleitung als auch mit den Arbeitern förderte. Zugleich trug er dazu bei, dass sowohl auf Seiten der Arbeiter als auch der Betriebsleitung und der Vorgesetzten das Misstrauen gegenüber den Akteursgruppen im Projekt wuchs und erschwerte somit die gemeinsame Kooperation. Ferner sah die IG Metall im Projekt die Möglichkeit, ihre Machtposition zu sichern und sich zu Lasten der Arbeiter zu profilieren. Letztlich waren sich die Werksleitung und die Arbeiter einig, dass die Interessenvertretungen am offiziellen Scheitern des GruppenarbeitsProjektes erheblichen Anteil hatten. Die Analyse der Industrieroboter-Projekte und der Gruppenarbeit zeigt, dass die betrieblichen Hierarchien auch im Hinblick auf die Interessenvertretungen intakt blieben und diese sogar aktiv die Partizipation und selbstständige Vertretung der Arbeiter verhinderten. Durch ihre Machtpolitik beförderten die Vertretungen massive Konflikte mit den Werkern und der Betriebsleitung, die häufig negative Konsequenzen für die Arbeiter mit sich brachten und das Misstrauen zwischen den Akteursgruppen in den Projekten schürten. Hierdurch wurde eine erfolgreiche Kooperation erheblich erschwert. Es stellte sich heraus, dass sie – genau wie die Vorgesetzten – die Werker kontrollierten und disziplinierten. Überdies offenbarte die Untersuchung, dass die Unzufriedenheit der Arbeiter mit ihren Vertretungen und ihre teilweise als ohnmächtig empfundene Position gegenüber diesen in der Geschichtswissenschaft noch nicht ausreichend untersucht worden ist. Ein Defizit, das mit Hilfe dieser Analyse zumindest verringert werden soll. 4.3 MISSTRAUEN: UNZUREICHENDE KOMMUNIKATION UND ZURÜCKHALTUNG VON INFORMATION Mit dem Bundesprogramm sollten die Arbeiter mehr Mitbestimmung bei der Gestaltung ihrer Arbeitsbedingungen erhalten und mehr „Selbstverantwortung“ übernehmen.674 Um diese Verantwortung und Beteiligung allerdings wahrnehmen zu können, war es unabdingbar, die aktuelle Informationslage im Betrieb zu kennen und in die Unternehmenskommunikation eingebunden zu sein, also im Austausch mit anderen betrieblichen Hierarchieebenen, etwa Vorgesetzten und Betriebsrat, zu stehen. Ansonsten erwies es sich für die Arbeiter als unmöglich, fundierte Entscheidungen zu treffen oder sich im Betrieb zu beteiligen. Daher stellt sich die Frage, inwieweit die Arbeiter bei VW in den HdA-Projekten über die Innovationen wie Gruppenarbeit oder die Einführung von Industrierobotern vorab 674 BArch, B 149/27879, Forschungsaktionsprogramm zur Humanisierung des Arbeitslebens Februar 1974, S. 2; S. 5 und S. 36.

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informiert wurden und ob sie überhaupt die Möglichkeit bekamen, darauf zu reagieren und daran zu partizipieren. Die Entscheidung über die Einführung neuer Produktionstechnologien traf ausschließlich die Produktionsplanung. Weder die Werker, ihre direkten Vorgesetzten oder Interessenvertretungen, noch andere Abteilungen hatten auf diese Entscheidung Einfluss.675 Lediglich die Technische Betriebswirtschaft, welche die von der Produktionsplanung vorgelegte Kostenkalkulation und Finanzierungsmöglichkeiten einer solchen Investition beurteilte sowie die Finanz- und Investitionsplanung waren am Entscheidungsprozess beteiligt.676 Schon seit 1970 beschäftigte sich die Planung bei VW Wolfsburg mit dem Einsatz von Robotern.677 Der Betriebsrat musste im weiteren Verlauf über diese Entwicklungen lediglich informiert werden. Den Prozess beschrieb der Werksleiter in Hannover folgendermaßen: „[…] bevor überhaupt der erste Handschlag hier im Werk getan worden ist, bevor die erste Maschine angefaßt worden ist, [musste] erst mal ein großer Teil des Rohbaus ausgeräumt werden von den alten Fertigungsanlagen. Natürlich ist der Betriebsrat anhand von Zeichnungen, von Plänen informiert worden über das, was wir vorhaben. Es haben auch mehrere intensive Diskussionen über Vor- und Nachteile, Konsequenzen dieses Schrittes stattgefunden. Wir haben die ganze Zeit im engen Zusammenhang mit dem Betriebsrat gestanden, in enger Kommunikation und der Betriebsrat billigt im Prinzip dieses Vorhaben […].“678

Seinem Bericht zufolge herrschte ein reger Austausch zwischen Betriebsrat und der Produktionsplanung bezüglich der Einführung der neuen Technologien. Insofern müssten folgerichtig auch die Arbeiter frühzeitig durch ihre Interessenvertretungen über die Produktionsumstellung informiert worden sein. Tatsächlich erfuhr die Mehrzahl der Werker aber erst sehr kurz vor der Einführung der Roboter von dem Produktionswechsel. Daher bestanden für sie kaum Möglichkeiten, auf die Umstellung zu reagieren: „Gar nicht haben wir erfahren, daß da ein Roboter hingesetzt wird. Ich kann mich nicht daran erinnern, daß uns das jemand vorher gesagt hat. Ein Kollege hat mir nur mal gesagt, daß die Straße teilweise mechanisiert wird, aber wie weit und so, das wußte er auch nicht.“ 679

Nach Aussage des Arbeiters wurden sie vorab nicht konkret über die Robotereinführung unterrichtet. Dies geht ebenso aus den Protokollen der Betriebsversammlungen in Wolfsburg hervor. Auf der Versammlung im März 1979 sprachen der Vorstandsvorsitzende und der Betriebsratsvorsitzende lediglich von „neuen Tech675 eLabour-SOFI-IR01_001_037.pdf Gespräch mit Abteilungsleiter aus der Vorplanung Rohbau am 22.06.1977, S. 3 oder vgl. BetrVG 1972 § 111. 676 eLabour-SOFI-IR01_009_032.pdf Gespräch mit Abteilungsleiter Vorplanung Rohbau am 13.12.1977, S. 2. 677 eLabour-SOFI-IR01_009_027.pdf Gespräch mit Abteilungsleiter der Projekt- und Wirtschaftlichkeitsberechnung aus dem Bereich der Technischen Betriebswirtschaft am 21.02.1978, S. 4. 678 IfS Frankfurt A 117 Ordner 7 Gespräch mit Werksleiter o. D., S. 22. 679 eLabour-SOFI-IR01_003_002.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Presswerk, 54 Jahre am 28.09.1977, S. 8.

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nologien“, einem „technischen Wandel“ sowie „Umstrukturierungsmaßnahmen“ innerhalb des Werkes.680 Die Roboter wurden in der Rede des Betriebsratsvorsitzenden nur als Allgemeinplatz im Zuge der Automatisierung und der Wettbewerbsfähigkeit genannt.681 Ein anderer Redner des Betriebsrates erklärte zwar die Tätigkeiten, welche die Roboter übernehmen könnten, aber nicht die konkreten Einsatzbereiche im Werk: „Die größte Gefahr für die Erhaltung von Arbeitsplätzen wird dort erwartet, wo sogenannte Fertigungsautomaten eingesetzt werden. Ob es sich um die Bedienung von Werkzeugmaschinen, um Schweiß- und Lackierarbeiten, um Montage- oder Transportarbeiten handelt, überall wo Roboter eingesetzt werden, werden Arbeitsplätze vernichtet.“ 682

Zudem zeichnete er ein düsteres Bild vom Ersatz menschlicher Arbeitskräfte durch die Technologie und schürte damit Ängste unter den Werkern. Allerdings setzte VW schon seit 1977 Jahren Roboter in der Fertigung im Werk Wolfsburg ein. Das heißt, die Arbeiter erfuhren zwar von Umstrukturierungs- und Rationalisierungsmaßnahmen, aber erhielten keine konkreten Angaben, an welchen Arbeitsplätzen Roboter geplant waren. Dies führte zu einer diffusen Angst unter den Arbeitern, da sie über die anstehenden Veränderungen nur mutmaßen konnten.683 Durch die Mitarbeiterzeitung „autogramm“ erhielten die Arbeiter lediglich allgemeine Informationen zu den Robotern. Die Zeitung stellte sie jedoch als Maßnahme zur Humanisierung der Arbeit dar. Demnach übernehme die neue Technologie etwa schwere Hebetätigkeiten, unterbreche Bandzwänge und bedeute den Wegfall von ungünstigen Umgebungseinflüssen wie Dämpfen sowie eine Verringerung der Unfallgefahren.684 Sicherheit über ihre Vermutungen erhielten die Arbeiter nach eigener Aussage erst, als die „Herren Ingenieure“ in der Produktion erschienen: „Ich habe dann nur gesehen, daß da einige Herren Ingenieure rumgelaufen sind und haben ausgemessen, mal hier und mal dort. Aus Erfahrung weiß man ja, hier rührt sich was, hier kommt was. Aber wenn wir so etwas sehen, dann wissen wir ganz genau, aha, jetzt wird die Straße mechanisiert, wir kommen automatisch weg. Das ist uns schon von früher her bekannt, und dann machen wir uns auch gar keine Gedanken mehr darüber.“ 685

Die Bezeichnung „Herren Ingenieure“ offenbart eine Distanz zwischen Arbeitern und Ingenieuren, die sich auch in der nicht stattfindenden Interaktion der beiden 680 UVW, Z 373, Nr. 421/2 Protokoll der Betriebsversammlung am 27.03.1979 in Wolfsburg, S. 10. 681 „So denke ich zum Beispiel an die Handhabungsautomaten, auch Robbys genannt. Auf diesem Gebiet nimmt VW eine führende Stellung in der Bundesrepublik ein.“ Ebd., S. 20. 682 Ebd., S. 51. 683 Vgl. eLabour-SOFI-IR01_004_020.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Untergruppenrohbau, 50 Jahre am 22.09.1977, S. 4; eLabour-SOFI-IR01_004_004.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Presswerk, o. A. am 12.09.1977, S. 4; eLabour-SOFI-IR01_003_019.pdf Gespräch mit Abstapler aus Halle 18, o. A. am 12.09.1977, S. 5. 684 StA WOB: Autogramm – Mitarbeiter-Zeitung der Volkswagenwerk Aktiengesellschaft Wolfsburg: Humanisierung der Arbeitswelt, 14.07.1978, 8. JG Nr. 7, S. 8. 685 eLabour-SOFI-IR01_003_002.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Presswerk, 54 Jahre am 28.09.1977, S. 8.

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Akteure ausdrückte. Einzig die Anwesenheit der Ingenieure und ihre Handlungen, wie das Ausmessen der Produktionshallen, machten den Arbeitern bewusst, dass eine Umstellung der Produktion folgen musste. So wussten ältere Werker schon aus Erfahrung, dass sie in naher Zukunft wegen Mechanisierung von ihrem Arbeitsplatz weichen mussten, wenn die Fachleute in der Produktion in Erscheinung traten. Auch das schien zum normalen Arbeitsalltag der Arbeiter zu gehören, in unterschiedlichen Zyklen mit Neuerungen und den entsprechenden Folgen wie Arbeitsplatzwechsel konfrontiert zu sein. Da es zu ihrer Normalität zählte, „mach[t]en sie sich keine Gedanken mehr darüber“, wohin sie die Vorgesetzten versetzten. Das galt insbesondere für ältere, lange Zeit im Werk tätige Arbeiter. Ihnen war klar, dass sie aufgrund der Länge ihrer Werkszugehörigkeit und den damit verbundenen Absicherungen nicht entlassen, sondern lediglich umgesetzt wurden und dass sie hierbei kaum Handlungsspielraum besaßen. Die Berührungsängste mit den Ingenieuren und Planern in der Produktion sind ein wiederkehrendes Element in den Arbeiteraussagen, die sie etwa als „Prominenz“ bezeichneten.686 Die Arbeiter belauschten nach eigenen Angaben die Gespräche der Planer, um Informationsfetzen zu erhaschen. Allerdings trauten sich die wenigsten, in eine direkte Kommunikation mit ihnen zu treten und nachzufragen, was vor sich ging.687 „Ich bin mal an einen herangetreten aus dem Büro, die die Dinger aufstellen, die haben da gemessen, und dann habe ich die gefragt: ‚Was ist denn, kommt denn hier ein Roboter her?’ ‚Ja‘, hat der gesagt, im November‘. Wie ich das nun wußte von denen, da habe ich natürlich den Meister angesprochen und da sagt der: ‚Ja, das ist vorgesehen‘.“688

Durch das Nachfragen gewannen einige Arbeiter jedoch einen Informationsvorsprung. Das machte es ihnen möglich, gezielt Erkundigungen bei ihren Vorgesetzten einzuholen. Erst auf diese Weise erhielten sie von jenen weitere Auskünfte. Häufiger als die Ingenieure befragten die Werker hingegen die Facharbeiter, welche die Roboter einbauten und ihnen in der Hierarchieebene näher standen. 689 Aus den Berichten der Arbeiter geht hervor, dass der Umstellungsprozess nicht während des laufenden Betriebs durchgeführt wurde, sondern der Abbau der alten Produktionsanlagen und der Aufbau der neuen Straßen vor allem während des Werksurlaubs stattfanden. Auch die Überschussproduktion oder die Aufforderung der Vorgesetzten, den Resturlaub vor dem Werksurlaub zu nehmen, waren Anzei686 „Na ja, von der ganzen Prominenz, die da herumlief, die haben da ausgemessen […] Also, persönlich angesprochen hat man mich nicht. Ich habe das nur gehört, die haben sich ja unterhalten.“ eLabour-SOFI-IR01_003_017.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Untergruppenrohbau, 47 Jahre am 12.09.1977, S. 5. 687 „Wenn die Leute so kommen mit Zeichnungen, dann kriegt man das so mit und fragt auch mal.“ eLabour-SOFI-IR01_003_021.pdf Gespräch mit Arbeiter aus Halle 18, o. A. und o. D., S. 5. 688 eLabour-SOFI-IR01_003_025.pdf Gespräch mit Springer aus Halle 18, 50 Jahre am 12.09.1977, S. 10. 689 „14 Tage vor dem Urlaub haben wir dann durch die Handwerker erfahren, die die Dinger dahingestellt und installiert haben, daß der und der Arbeitsplatz wegfällt.“ eLabour-SOFIIR01_003_010.pdf Gespräch mit Einleger aus dem Presswerk, 50 Jahre am 26.09.1977, S. 9.

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chen für die Arbeiter, dass eine Produktionsumstellung folgen sollte.690 Deutlich zeigt sich aber ebenfalls, dass die Werker meist von den konkreten Maßnahmen keine Vorstellung hatten und nicht explizit darüber informiert wurden. Letztlich kamen sie aus dem Urlaub in die Produktionshallen zurück und standen vor vollendeten Tatsachen: „Erfahren haben wir davon erst, als sie da standen. Wir mußten Vorrat fahren. Wir haben sie getauft: Flakgeschütze. Man hat uns gesagt, es soll eine Mechanisierung werden.“691

Interessant ist, wie die Werker die neue, ihnen unbekannte Produktionstechnologie benannten, zum Beispiel „Flakgeschütze“. Diese waren Flugabwehrkanonen, kurz Flak, im Ersten und Zweiten Weltkrieg. Es stellt sich die Frage, wieso die Arbeiter die neue Technologie nach einer militärischen Abwehrwaffe benannten. Möglicherweise bezog es sich darauf, dass die neue Technologie die wirtschaftliche Rezession bei VW „bekämpfen“ sollte. Da das Werk häufig von den Arbeitern mit dem Militär verglichen wurde, könnte es sich ebenso um die „neue Waffe“ der Unternehmensleitung handeln, die sie einführte, um die Produktionszahlen zu erhöhen. Einige Werker erlangten indes aufgrund von Werbekampagnen der Unternehmensleitung für die neue Technologie Kenntnis über die Robotereinführung, wie eine Maschinenbedienerin erzählt: „Ja, das war damals so, da war mal Funk- und Fernsehen und ganz grelles Licht da. Das war da, als die Industrieroboter gelaufen sind. Sonst habe ich eigentlich nichts vorher von erfahren.“692

Es gab demnach unterschiedliche Quellen, durch die die Arbeiter von den Robotern erfuhren. Entscheidend ist, dass nur einige und nicht die Mehrheit der Befragten diese Informationen über ihre direkten Vorgesetzten, sprich Vorarbeiter und Meister, erhielten, obwohl diese gemeinsam mit den Vertrauensleuten und den Hallenbetriebsräten in unmittelbarem Kontakt mit den Werkern standen. 693 Die Ankündigung der Robotereinführung verbreitete sich nach dem Hinweis des Vorgesetzten unter den Arbeitern wie ein „Lauffeuer“.694 Dies legt nahe, dass die Arbeiter sich vor allem untereinander über Neuerungen informierten. 690 „Die haben da rumgebaut, und da habe ich gewußt, daß es automatisch wird. Das war nach dem Urlaub. Vor dem Urlaub haben wir ja schon Teile auf Vorrat gefahren. Da konnte man schon vorher etwas ahnen. Dann sind die Herren mit den Plänen angekommen und so, und dann merkt man schon, was da passiert. […] Direkt gesagt hat mir keiner was.“ eLabourSOFI-IR01_003_005.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Presswerk, 55 Jahre am 28.09.1977, S. 4. 691 eLabour-SOFI-IR01_005_012.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Presswerk, o. A. am 08.09.1977, S. 4. 692 eLabour-SOFI-IR01_003_004.pdf Gespräch mit Maschinenbedienerin aus dem Presswerk, o. A. am 08.09.1977, S. 3. 693 eLabour-SOFI-IR01_003_022.pdf Gespräch mit Arbeiter aus Halle 18, o. A. am 15.09.1977, S. 5. 694 „Der Meister hat uns das gesagt. Es ging wie ein Lauffeuer durch die Reihen.“ eLabourSOFI-IR01_003_016.pdf Gespräch mit CO2-Schweißer, o. A. am 11.10.1977, S. 5.

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Arbeiter als Konfliktpartner „[Der Vorarbeiter] sagte, in Zukunft kommt der Roboter, ihr seid sowieso zu viele. Viele sind dann weggegangen, der Rest ist geblieben.“695

Anhand dieser Aussage stellt sich zudem die Frage, wie die Vorgesetzten bei der Umstellung mit den Werkern umgingen. Zumindest im vorliegenden Fall offenbart sich, dass die Werker den Vorgesetzten ausgeliefert waren und diese sie wiederum für ersetzbar hielten. Es liegt eine gewisse Geringschätzung in den zitierten Worten des Vorarbeiters. Einige Arbeiter wechselten aus Angst vor der Ungewissheit schon vor ihrer „gezwungenen“ Umsetzung ihren Arbeitsplatz, etwa in andere Abteilungen. So hatten sie zumindest ein wenig Handlungsmacht und Kontrolle über die Situation. Auch aus anderen Äußerungen ist der harsche und raue Umgang der Vorgesetzten mit den Arbeitern herauszulesen. 696 Die Werker mussten der Maschine weichen und konnten dies nicht beeinflussen. Ihr Befinden war bei der Umstellung zumindest für einige Vorgesetzte zweitrangig. Durch den niedrigen Informationsgrad bestand eine große Unsicherheit bei den Werkern, da sie nicht wussten, was genau auf sie zukam und wo sie zukünftig arbeiten würden. Die wenigsten hatten eine Vorstellung davon, wie ein Roboter überhaupt aussah.697 Um die unsichere Situation zu bewältigen, versuchten sie sich vorzustellen, wie ein Roboter aussehen könnte, da ihnen keine verlässlichen Informationen über die Maschine vorlagen. Diese Abneigung oder Unsicherheit gegenüber der neuen Technologie manifestierte sich auch in der Bezeichnung des Roboters als „Biest“ oder „Körperatismus“: „Das sehen viele Kollegen und die haben Angst um ihren Arbeitsplatz. Die wissen nicht, was kommt. Und diese Unsicherheit, das ist das Schlimmste, was gemacht wird im Moment, hier auch im Unternehmen. Denn kein Mensch weiß oder die wenigsten wissen, wer an diesem Körperatismus da arbeiten darf und wer dann nachher irgendwo hingeht […] Und diese Unsicherheit, das ist das, was an allen so ein bißchen nagt.“698

Eindrücklich beschreibt der Arbeiter seine Zukunftssorgen, mit denen er sich von der Unternehmensleitung allein gelassen fühlte. Er äußerte harsche Kritik an den Vorgesetzten, die Arbeiter bewusst im Ungewissen über die Vorgänge zu lassen.

695 eLabour-SOFI-IR01_003_015.pdf Gespräch mit Arbeiter aus Halle 18, o. A. am 16.09.1977, S. 4. 696 Vgl. „Der Vorarbeiter hat uns das gesagt und auch der Meister. […] Man hat gesagt, jetzt verlierst Du den Arbeitsplatz hier, jetzt kommt ein Roboter, der macht das alles alleine.“ eLabour-SOFI-IR01_003_020.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Untergruppenrohbau, 36 Jahre o. D., S. 6. 697 „Das war nur kurz vorher. Da wurde gemunkelt. Da kommen Leute, die messen etwas aus, die fotographieren […] Irgendetwas war im Busche und da hat man sich ein Bild zusammengeschustert. Aber informiert wurden wir nicht richtig. So direkt gefragt haben wir auch nicht. Ich glaube nicht, daß die Leute einem dann eine genaue Auskunft geben. Als wir dann etwas von dem Roboter hörten, wurde er auch bald aufgestellt. Wie das Biest aussehen sollte, wußte sowieso keiner. Die könnten das ruhig vorher sagen, auch die Plätze bestimmen. Sonst hängt man ja immer in der Luft.“ eLabour-SOFI-IR01_003_018.pdf Gespräch mit Arbeiter aus der Hinterachsenfertigung, 44 Jahre am 16.09.1977, S. 4f. 698 IfS Frankfurt A 117 Ordner 6 Gruppengespräch am 05.12.1978, S. 23.

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Ein Werker sprach gar von einer „geheimen Kommandosache“. 699 Sie unterstellten der Unternehmensleitung, bewusst Informationen über den Umstellungsprozess zurückzuhalten. Die Zitate legen nahe, dass die Arbeiter unter diesem mangelnden Wissen litten. Allerdings erlangten ihre direkten Vorgesetzten in der Produktion häufig nicht viel früher Kenntnis davon als sie: „An der Planung des Einsatzes von Industrierobotern an der Golf-Hinterachse war [ich] praktisch gar nicht beteiligt. […] Das fällt ja auf, wenn die Planer und Meßleute kommen. Aber dann ist die Entscheidung meistens schon gefallen.“700

Bemerkenswerterweise bewerteten die direkten Vorgesetzten ebenso wie die Arbeiter das Erscheinen von Ingenieuren in den Produktionshallen als Anzeichen für eine bevorstehende Umstellung durch die Einführung technischer Neuerungen. Letztlich erweckten die Meister und Vorarbeiter gleichermaßen den Anschein von Ratlosigkeit und Unwissenheit wie die Arbeiter. Das verdeutlicht die folgende Schilderung eines Werkers: „Die [Meister] haben uns das nicht genau erklärt, denn sie wußten es selber nicht.“ 701

Dies legt nahe, dass die Kommunikation im gesamten Unternehmen über die Einführung der neuen Produktionstechnologien nicht hinreichend funktionierte oder diese bewusst von der Unternehmensleitung und dem Vorstand des Betriebsrates zurückgehalten wurde. Darüber hinaus verweist dieser Umstand ebenso auf die Funktionsabwertung des Meisters und Vorarbeiters im Vergleich zu früheren Jahrzehnten, denn sie wurden nicht mehr in wichtige Entscheidungsprozesse im Unternehmen einbezogen.702 Diese Funktion übernahmen nun die ihnen übergeordneten Abteilungsleiter.703 Doch auch Funktionsträger der Interessenvertretung schienen weitgehend ahnungslos von den Details der Umstellung zu sein. So äußerten etwa einige Hallenbetriebsräte und Vertrauensleute ihren Unmut darüber, nicht über die neuen Produktionstechnologien informiert worden zu sein: Hallenbetriebsrat: „Der wurde einfach hingestellt und war einfach da.“ 704 Vertrauensmann: „Mit dem Informationsfluß sind wir überhaupt nicht zufrieden. Das Problem ist, daß hier immer auf die Basis gepocht wird, daß der Basis, also uns hier unten, im Grunde genommen immer etwas verkauft werden soll von oben. Aber das läuft nicht. […] Wir haben hier einen Planungsausschuß, der sich auch mit technischen Umstellungen befaßt, der wird informiert, dessen Koordinator wiederum informiert die Betriebsratsmitglieder in den einzelnen Bereichen, die führen Gespräche mit den Hauptabteilungsleitern und den Ab699 „Man weiß wirklich nicht, wie das Ding aussieht und wie das Ding funktioniert. Das wird ja wie so eine geheime Kommandosache teilweise behandelt.“ Ebd., S. 22. 700 eLabour-SOFI-IR01_001_028.pdf Gespräch mit Meister aus dem Untergruppenrohbau am 19.09.1977, S. 3. 701 eLabour-SOFI-IR01_003_020.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Untergruppenrohbau, 36 Jahre o. D., S. 6. 702 UHL, KARSTEN 2014, Humane Rationalisierung?, S. 346. 703 FISCHER, JOACHIM 1993, Der Meister, S. 80f. 704 eLabour-SOFI-IR01_001_056.pdf Gespräch mit Betriebsrat aus der Gießerei am 18.10.1977, S. 2.

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Arbeiter als Konfliktpartner teilungsleitern und dann kriegen wir also im Nachhinein zum Beispiel die Information, daß am Tage soundso die Straße mit Robotern läuft. Das heißt also, daß wir schlicht und einfach vor vollendete Tatsachen gestellt werden. Wir können dann zwar noch die Kollegen darauf vorbereiten, daß da etwas geschieht, aber wir können nichts mehr dagegen unternehmen.“ 705

Hier deutet sich ein Konflikt aufgrund des unterschiedlichen Informationszugangs an, welcher von der Zugehörigkeit zu einer Hierarchieebene im Unternehmen abhing. Die Zusammenarbeit zwischen Vertrauenskörper- und Betriebsratsleitung und ihrer jeweiligen Basis in den Produktionshallen funktionierte nicht effektiv. Die Aussagen erwecken den Eindruck, dass es in der Gewerkschaft und beim Betriebsrat gleichermaßen einen Informationsstau nach unten in die Produktion gab. Wie erwähnt waren sowohl der Vertrauenskörper als auch der Betriebsrat bei VW hierarchisch gegliedert. Nach den Aussagen der Hallenbetriebsräte und Vertrauensleute in der Produktion erhielt die Basis nicht genügend und vor allem nicht rechtzeitig Informationen von ihrer jeweiligen Leitung. Damit hatten sie keine Möglichkeit, Einfluss auf die Entscheidung zu nehmen und wurden vor vollendete Tatsachen gestellt. Dies führte einerseits zu großer Unzufriedenheit an der Basis und andererseits konnten Funktionsträger der Interessenvertretungen in der Fertigung die Arbeiter aufgrund des Informationsdefizits nicht ausreichend aufklären und unterstützen. Das gesamte Ausmaß dieses Umstands beschrieb ein Vertrauensmann in der Produktion: „Ich bringe jetzt hier den Leuten die ersten Informationen bei, daß eben hier im Rohbau, im Gesamtrohbau, 260 Mann über sind. […] Ich bin unter Druck, ich werde dauernd angesprochen. Muß das sein, muß ich meinen Urlaub nehmen? Tagelang war ein Vorarbeiter unterwegs, der bis 1980 die roten Kärtchen hatte für diese Erholungsverschickung und dauernd kamen auch die Leute an und fragten: Muß ich meinen Urlaub nehmen? Und der sagte, du brauchst keinen Urlaub nehmen. Es heißt aber, nach den Werksferien wird also kein Urlaub gewährt. Man soll das alles vorweg ziehen, weil das hier sich über Wochen, es kann sich auch über Monate hinziehen, man weiß ja nicht, wie das auf uns zukommt. Es wird ja viel gesagt. Plötzlich wird das wieder geändert. […] Das ist eben […] was nicht richtig ist, daß von den zuständigen Betriebsräten relativ wenig Information runterkommt. […] Praktisch gar nichts. Wir tappen im Dunkeln. Wissen von nichts.“706

Es ist offenkundig, dass die Vertrauensleute in der Produktion Schwierigkeiten hatten, die Arbeiter über die Umstellung zu informieren. Der Vertrauensmann beschreibt unterschiedliche Informationsstände zwischen Vertrauensleuten und direkten Vorgesetzten in der Produktion. Für die Betroffenen und die Vertrauensleute war kaum festzustellen, welche Informationen stimmten. Hier zeigt sich abermals eine mangelnde Kommunikation. Die Unzufriedenheit und die empfundene Hilflosigkeit der Vertrauensleute in der Produktion stellt er eindrücklich heraus. Außerdem legt die Aussage nahe, dass die Basen der Interessenvertretungen ebenso wie die Arbeiter und ihre direkten Vorgesetzten in der Produktion keine hinreichenden und rechtzeitigen Informationen von ihren Leitungen erhielten und

705 eLabour-SOFI-IR01_001_022.pdf Gespräch mit Vertrauensleuten aus dem Presswerk am 27.09.1977, S. 11. 706 IfS Frankfurt A 117 Ordner 6 Gruppengespräch am 06.12.1978, S. 16–18.

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somit in ihrem Handeln beschränkt wurden. Der Werksleiter hingegen beurteilte die Situation wesentlich pragmatischer: „Es ist richtig, dass der letzte i-Punkt von Informationen nicht bei der Belegschaft angekommen ist, im Prinzip weiß die Belegschaft, was auf sie zukommt, ohne dass wir ihr bisher im Einzelnen gesagt haben, das ist Dein alter Arbeitsplatz und das ist Dein neuer Arbeitsplatz. Das können wir auch noch gar nicht. Das ist eine Sache, die in den nächsten Monaten erfolgen muß, wenn wir diese Arbeitsplätze, zumindest versuchsweise, in Betrieb nehmen. Das, was auf einer solchen Belegschaftsversammlung gesagt wird, muß man auch nicht immer für bare Münze nehmen: Manches wird vorgetragen, was zwar heiß gekocht aber nicht so heiß gegessen wird.“707

Demnach nahm die Werksleitung die Ängste und Befürchtungen der Werker nicht ernst und identifizierte sich nicht mit ihnen, was sich in den allgemeinen Aussagen „im Prinzip weiß die Belegschaft, was auf sie zukommt“ äußert. Die Betriebsversammlung, die eigentlich den Arbeitern die Möglichkeit geben sollte, ihren Sorgen Ausdruck zu verleihen, hatte für den Werksleiter keine sonderliche Relevanz. Für ihn war das alles Teil eines normalen Anpassungsprozesses, der frühzeitige Personalplanung nicht zuließ. Die Aussage des stellvertretenden Rohbauleiters bestätigt, dass Informationen sogar bewusst von der Werksleitung zurückgehalten wurden: „Wir haben das mit den Werkern nicht besprochen. Wir sind einfach der Meinung, daß wir das Gesamtkonzept hier erst mal mit dem Betriebsrat durchsprechen müssen, bevor wir da unsere Überlegungen auf die Werker geben. Da gibt es im Grunde genommen nur Rückfragen und ich bin auch der Meinung, daß wir den Betriebsrat da zuerst zu informieren haben, was überhaupt Absicht hier ist.“708

Die Werker erhielten seiner Aussage nach also als Letzte die Informationen, obwohl sie die direkt Betroffenen waren. Überdies lässt seine Äußerung auf eine bewusste Taktik der Betriebsleitung schließen, Informationen so spät wie möglich an die Arbeiter zu kommunizieren, um Rückfragen oder Widerstand zu vermeiden. Schlussendlich wollte die Werksleitung also keinen Dialog mit den Arbeitern. Sie sollten mit den geschaffenen Fakten konfrontiert werden, um ihren Einspruch und ihre Mitsprache zu minimieren respektive von vornherein auszuschließen. Seine Äußerung deutet darauf hin, dass der Vorstand des Betriebsrates und die Vertrauenskörperleitung diese Taktik gleichermaßen praktizierten, da ihre jeweilige Basis von den konkreten Folgen der Umstellung ahnungslos war. Letztlich behielten also die Leitungen Kontrolle und Macht über die Umstellungsprozesse. Auf die schwierige Informationslage der Werker von den Wissenschaftlern angesprochen, schoben sich Betriebsrat, Vertrauensleute und Unternehmensleitung gegenseitig die Schuld zu. Demnach kritisierte ein Vertrauensmann, dass die Unternehmensleitung gezielt Informationen zurückhalte, um den Effekt der Ungewissheit und der Angst im Hinblick auf den Verlust des Arbeitsplatzes auszu707 IfS Frankfurt A 117 Ordner 7 Gespräch mit Werksleiter o. D., S. 22. 708 IfS Frankfurt A 117 Ordner 7 Gespräch mit Stellvertreter der Rohbauleitung am 29.11.1978, S. 32.

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nutzen. Die Werker hätten Angst um ihre Arbeit und würden daher versuchen, so gut und so viel wie möglich zu produzieren, wovon die Unternehmensleitung profitiere. Seiner Meinung nach reizte die Unternehmensleitung ihre Informationspflicht, die im Betriebsverfassungsgesetz festgeschrieben war, möglichst weit aus, um so solange wie möglich Informationen zurückhalten.709 Darüber hinaus seien – rechtlich gesehen – die Vertrauensleute oder der Betriebsrat gar nicht in der Informationspflicht. Ausschließlich die Werksleitung müsse über die Umstellung informieren. Doch stattdessen schiebe diese lieber dem Betriebsrat „den Schwarzen Peter“ zu.710 Diese Aussage entspricht allerdings nicht der Wahrheit. Sowohl die Unternehmensleitung als auch der Betriebsrat waren per Betriebsverfassungsgesetz dazu angewiesen, die Arbeitnehmer über Umstellungen im Betrieb zu unterrichten.711 Die Leitung des Rohbaus wiederum schob die Verantwortung dem Betriebsrat zu, da er über alle Vorgänge frühzeitig informiert gewesen sei. Demnach beziehe die Werksleitung den Betriebsrat schon frühzeitig mit in die Planung ein und er verfüge durch seine Beteiligung an den Planungsgremien über den aktuellsten Informationsstand. Außerdem teile die Unternehmensleitung wesentlich mehr Informationen mit dem Betriebsrat, als im Betriebsverfassungsgesetz vorgeschrieben, um spätere Protestaktionen zu vermeiden.712 Diesen engen Dialog der beiden Akteursgruppen legt auch der Historiker Günther Koch in seiner Monografie dar.713 Zudem bekräftigte der Stellvertreter der Rohbauleitung den permanen709 „Also fast 1 ½ Jahre hat man uns, obwohl ich da häufiger nachgehakt habe, hat man uns da immer so ein bißchen so schwimmen lassen. Das ist so die rechtzeitige Unterweisung oder Benachrichtigung der Unternehmer laut Betriebsverfassungsgesetz, dieser Gummiparagraph, der da drinnen ist. Der wird hier voll zugunsten von VW bzw. von seiten des Unternehmens vollfristig ausgeschlachtet. Diese Unruhe unter den Kumpels, das ist immer so ein gutes Geschäft für das Unternehmen. Jeder klopft auf Teufel komm raus, jeder versucht, sein Bestes zu geben, um nicht aufzufallen und keiner wagt zu mucksen, und wenn es dann heißt, die ersten Versetzungen stehen an, dann will man natürlich sich so gut wie möglich profilieren, verständlich.“ IfS Frankfurt A 117 Ordner 6 Gruppengespräch (Sprecher Vertrauensmann) am 05.12.1978, S. 25. 710 „[…] an sich die Vertrauensleute bzw. der Betriebsrat darüber, es gar nicht notwendig hätte, vom Betriebsverfassungsgesetz her, darüber die Informationen rauszugeben. Das ist einzig und allein Sache des Unternehmens. Das hütet sich, darüber was zu sagen. Die schieben dann den Schwarzen Peter lieber dem Betriebsrat zu, das ist eine einfachere Lösung, wollen wir mal sagen.“ Ebd., S. 26. 711 Vgl. BetrVG § 43; § 81 und § 90. 712 „Der [Betriebsrat] bei uns hat hier eine Planungsgruppe gebildet und mit diesem Planungsausschuß sind alle Neuanlagen zu beraten. Vor Erstellung. Und es geht bei uns jetzt hier so ab, daß wir jede größere Anlage, die Auswirkungen auf die Beschäftigungslage der betroffenen Arbeitnehmer hat, vom Betriebsrat unterschreiben lassen. Also jeden Aufstellungsplan, das ist zwar noch nicht aus dem BVG abzuleiten, da steht nur, der [Betriebsrat] ist zu informieren über die Neuanlagen und er kann seine Bedenken dagegen äußern. Wir machen es also schon weiter, wir haben eine quasi Mitbestimmung auf diesem Gebiet, weil wir uns einfach sagen, wenn wir hinterher den Ärger haben, was nutzt es dann, dann lieber gleich Nägel mit Köpfen machen und vom [Betriebsrat] bestätigen lassen auf den Aufstellungsplänen, sprich Zeichnungen, daß wir das so machen können.“ IfS Frankfurt A 117 Ordner 7 Gespräch mit Leiter des Rohbaus o. D., S. 14–15. 713 KOCH, GÜNTHER 1987, Arbeitnehmer steuern mit, S. 176.

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ten Austausch. So gebe es eine wöchentliche Besprechung mit dem Betriebsrat und „oftmals ein Telefonat zwischendurch für irgendwelche Sonderprobleme.“714 Aus diesen und den oben zitierten Aussagen kann abgeleitet werden, dass sowohl die Leitung des Unternehmens als auch die des Betriebsrates und des Vertrauenskörpers konkrete Informationen zur Umstellung zurückhielten. Unzweifelhaft ist jedoch, dass alle Parteien ihrer Pflicht, die Arbeiter ausreichend zu unterrichten, nicht nachkamen. Den Bekundungen über eine reibungslose Informationspolitik auf allen Ebenen zum Trotz, bestanden eindeutige Kommunikationsprobleme und Informationsunterschiede zwischen den einzelnen Hierarchieebenen. Allerdings erschwerten die Rahmenbedingungen der Planung es der Unternehmensleitung, konkrete Zahlen der Freisetzung von Arbeitern in einem frühen Stadium zu benennen. Zuerst müsste die Kostenkalkulation feststehen, bevor eine eindeutige Personalplanung möglich sei. Es wurde also über „große Zusammenhänge“ informiert, aber nicht über genaue Details.715 Für die Leitung stand die Planung der Maschinen und der Anlagen im Fokus, erst danach teilte sie die Werker den Arbeitsplätzen zu. Folglich musste sich hier der Mensch erneut an die Maschinen anpassen und war beim Umstellungsprozess zweitrangig. Hatten die Werker also offiziell kein Mitbestimmungsrecht bei der Einführung der Industrieroboter, wie oben und in Kapitel 2.2 dargestellt, bleibt die Frage offen, ob sie bei der Versetzung an einen anderen Arbeitsplatz Einfluss nehmen konnten. Die Aussagen der Arbeiter offenbaren, dass sie in den meisten Fällen diese Möglichkeit nicht hatten.716 „Hier gibt’s ja kein ‚Einverstanden‘. Das heißt hier, die und die Arbeit machst du und dann wird die gemacht.“717

Sie waren der Überzeugung, keine Wahlmöglichkeiten zu besitzen. Die Werker wurden von ihren Vorgesetzten den neuen Arbeitsplätzen zugeteilt und mussten dieser Anweisung Folge leisten. Diese Vorgehensweise stellten sie auch nicht in Frage. „Zu wollen“ hatten die Arbeiter bei der Umsetzung ihrer Meinung nach 714 IfS Frankfurt A 117 Ordner 7 Gespräch mit Stellvertreter der Rohbauleitung am 29.11.1978, S. 33. 715 „[…] dazu eine Aussage zu machen in der Phase, als wir noch nicht mal die Kredite dafür kannten und uns das auch nur grob vorstellen konnten, das ist natürlich außerordentlich schwierig. Das vitale Interesse wiederum der Betriebsratsmitglieder, das nun möglichst früh zu haben und daraus ableiten zu können, welche personellen Konsequenzen ergeben sich? Welche Schwierigkeiten kommen auf sie zu? Ist mir völlig klar. Man kann die Zahlen natürlich auch erst, wenn sie einer logischen Überprüfung standhalten, kann man sie erst mal von sich geben. Hier ist aber doch, möchte ich sagen, sehr frühzeitig informiert worden.“ Ebd., S. 33f. 716 Vgl. „Nein, keine Wahl. Wo der Meister einen hinstellt, da geht man hin.“ eLabour-SOFIIR01_003_005.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Presswerk, 55 Jahre am 28.09.1977, S. 4; eLabour-SOFI-IR01_003_006.pdf Gespräch mit Arbeiterin aus dem Presswerk, 48 Jahre am 08.09.1977, S. 9; eLabour-SOFI-IR01_003_007.pdf Gespräch mit italienischem Gastarbeiter aus dem Presswerk, 38 Jahre am 12.09.1977, S. 11. 717 eLabour-SOFI-IR01_003_025.pdf Gespräch mit Springer aus Halle 18, 50 Jahre am 12.09.1977, S. 11.

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„nichts“.718 Diese Aussagen wecken erneut Assoziationen mit einer militärischen Befehlskette und belegen die rigiden betrieblichen Hierarchien. Bemerkenswert ist ebenfalls, wie den Arbeitern ihre Versetzung mitgeteilt wurde: „Man hat gesagt, mach alles schön sauber, der Robi kommt bald. Ich kam dann auf die andere Seite der Maschine.“719

Die Wortwahl ihrer Vorgesetzten führte ihnen ihre Ersetzbarkeit vor Augen. So seien sie aufgrund des Roboters „überflüssig“ und sie mussten obendrein die Produktionshallen für die Ankunft der Maschinen säubern.720 Die Vorgesetzten werteten die Arbeiter damit im Vergleich zur Maschine ab und ließen es den Schilderungen der Werker nach an Respekt und Anerkennung mangeln. Darüber hinaus erstellten sie Listen, welche die Arbeiter ihren neuen Arbeitsplätzen zuordneten. Wer an welchen Platz gesetzt wurde, war den Werkern zufolge vom Wohlwollen des Vorgesetzten abhängig. Geäußerte Wünsche hatten hierbei kaum Priorität und waren aus Sicht der Werker somit sinnlos: „Ja, man konnte sie [die Wünsche] woh1 vortragen, aber das war an und für sich verlorene Zeit. Das war alles vorher festgelegt.“721

Auch hier offenbart sich eine gewisse Machtlosigkeit der Arbeiter. Sie hatten durch die späte Information, wo sie zukünftig arbeiteten, kaum Reaktionszeit.722 Teilweise erfuhren sie davon einen Tag vor ihrem Urlaub. Außerdem äußerten die Arbeiter den Verdacht, dass die Vorgesetzten sie aufgrund von Sympathie und nicht nur wegen ihrer Leistung einteilten.723 „[…] also mein Eindruck und ich werde mich sicherlich auch nicht irren, diese Listen, die wurden einmal nach Gefühl und Wellenschlag gemacht, das heißt, wie beliebt man war und zum zweiten natürlich auch unter dem Gesichtspunkt der Lohngruppen.“ 724

Die Umstellung bot den Vorgesetzten nach Ansicht der Werker mittels der Listen die Möglichkeit, „Leute loszuwerden, die sie nicht haben wollten.“725 Folglich 718 „Ich meine, wählen kann ich ja sowieso nicht, ich kann ja nicht sagen, ich will dort hin und nicht dort hin. Der Meister und der Vorarbeiter müssen ja die Leute dort einsetzen, was sie für eine Lohngruppe haben ... Ne ne, zu wollen habe ich hier nichts. Ich werde so eingeteilt, wie es der Vorgesetzte für richtig hält.“ eLabour-SOFI-IR01_003_009.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Presswerk, 39 Jahre am 06.09.1977, S. 9. 719 eLabour-SOFI-IR01_003_022.pdf Gespräch mit Arbeiter aus Halle 18, o. A. am 15.09.1977, S. 5. 720 „Nein, uns wurde nur gesagt, jetzt sind die Robbies da, da seid ihr hier überflüssig, du gehst jetzt in den Keller, du gehst jetzt dort hin“ eLabour-SOFI-IR01_003_010.pdf Gespräch mit Einleger aus dem Presswerk, 50 Jahre am 26.09.1977, S. 9. 721 IfS Frankfurt A 117 Ordner 6 Gruppengespräch am 22.05.1980, S. 4–5. 722 „[…] an meinem letzten Arbeitstag kam die Liste und da stand drauf, wer wo hinkommt. Ohne uns vorher zu fragen wurde einfach bestimmt, wo wir hin müssen.“ IfS Frankfurt A 117 Ordner 6 Gruppengespräch am 21.05.1980, S. 4. 723 „[…] diese Listen, die aufgestellt worden sind vom jeweiligen Vorarbeiter […] daß da die persönliche Sympathie eine große Rolle mitspielt, das wollen wir doch gar nicht ausschließen.“ Ebd., S. 5. 724 Ebd., S. 4.

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blieben die meisten von ihnen schon im Vorhinein passiv, da sie ihre Einflussmöglichkeiten als gering einschätzten. Doch auch die Zuteilung der neuen Arbeitsplätze verlief oft nicht reibungslos. Teilweise fehlten die erstellten Listen, welche den Arbeitern ihre neuen Plätze zuwiesen. Die Werker waren orientierungslos und wurden von Abteilung zu Abteilung weitergeschickt: „[…] Da sollte man sich in den einzelnen Abteilungen melden. Als es soweit war, da lief alles rum wie ein aufgescheuchter Hühnerschwarm. Listen waren verlegt. Keiner wußte wo er hin kam. Ich meine, ich habe das ziemlich gelassen hingenommen, aber einige Kollegen, die waren echt schockiert. Ich glaube, die haben keine ruhige Minute mehr gehabt, weil sie nicht wußten, was mit ihnen geschieht.“726

Es ist deutlich herauszulesen, unter welchem Stress die Arbeiter aufgrund der Ungewissheit, dem schlechten Informationsstand und der ungenügenden Kommunikation zwischen den einzelnen Abteilungen, aber auch zwischen direkten Vorgesetzten und Arbeitern in der Produktion standen. Daher äußerten die Werker massive Kritik an dieser Entwicklung und zeigten sich enttäuscht: „Sowas hätte meines Erachtens nicht passieren dürfen. Die wurden ja zum Teil hin und her gescheucht, das war unwahrscheinlich.“727

Rechtlich gesehen mussten die Arbeiter nicht jeden neuen Arbeitsplatz annehmen, den sie zugewiesen bekamen.728 Allerdings war klar, dass sich der Betriebsrat bei einer Umsetzung von mehreren hundert Werkern nicht um jeden Einzelnen und dessen Versetzungsantrag kümmern konnte. Diese Umstände und die unterschiedliche Informationslage im Vergleich zu den höheren Hierarchieebenen schürten das Misstrauen gegenüber Vorgesetzten und hemmten die Kooperationsbereitschaft der Arbeiter. Das wirkte sich wiederum nachteilig auf die Durchführung der HdA-Projekte aus. Wie gestaltete sich nun die Informationsweitergabe im Gestaltungsprojekt zur Gruppenarbeit, in dem die Arbeiter laut Projektvorgabe stärker in die Entscheidungsprozesse eingebunden werden sollten? Die rechtzeitige und umfangreiche Einbeziehung aller beteiligten Akteure stellte hierbei eine große Herausforderung dar. Es galt eine Koordination zwischen den Wissenschaftlern, dem Betriebsrat, allen Vertretern der beteiligten Abteilungen und den Gruppensprechern zu gewährleisten. Um den Austausch aller Akteure zu ermöglichen, fand jeden Freitag eine Besprechung des ÖPSZ über den aktuellen Stand des Projektes und auftretende Probleme statt. Die Arbeitspsychologen aus Zürich waren meist nur alle zwei Wochen bei diesen Besprechungen anwesend, daher wurde die Diskussion der wichtigen Besprechungspunkte auf die zweiwöchigen Sitzungen gelegt.729 725 726 727 728 729

IfS Frankfurt A 117 Ordner 6 Gruppengespräch am 22.05.1980, S. 5. Ebd., S. 4. Ebd., S. 4. Vgl. BetrVG 1972 § 82 und § 84. Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ ÖPSZ erweiterte Planung 31.03.1975 ab 28:23 Min.

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Darüber hinaus sollten bis spätestens zwei Tage vor der ÖPSZ-Sitzung alle betreffenden Parteien, also Gruppensprecher, Betriebsrat, Wissenschaftler und Vertreter der einzelnen Produktionsbereiche eine Zusammenstellung der Besprechungspunkte erhalten. Die Gruppen bekamen die Möglichkeit, alle vier Wochen ein meist einstündiges Gruppengespräch abzuhalten, um sich über den Projektverlauf, das Anlernprogramm, später den Arbeitsprozess und auftretende Probleme austauschen zu können. Seien weitere Gruppenbesprechungen aus aktuellem Anlass nötig, mussten die Werker dies zuvor im ÖPSZ kommunizieren.730 Dies gewährleistete jederzeit die Informationsweitergabe des Gruppensprechers über die Sitzungen an seine Gruppe. Insgesamt wurden die Gruppenarbeiter wesentlich besser in die Informationsabläufe integriert, als die Werker in den IndustrieroboterProjekten, zumindest bis zum Wandel zu einer „betriebsüblichen“ Gruppenarbeit, durch den sie ihre Mitspracherechte einbüßten, wie in Kapitel 4.2.2 dargestellt. Trotz der großen Anstrengungen, eine reibungslose Kommunikation im Gruppenarbeits-Projekt von Beginn an zu gewährleisten, fühlten sich die Gruppen nicht über alle Abläufe umfassend informiert. Demnach erfolgte die Übermittlung des Papiers mit den Besprechungspunkten zu den jeweiligen ÖPSZ-Sitzungen an die Gruppen häufig nicht rechtzeitig. Daher kritisierte Gruppe 1, dass sie sich aufgrund der knappen Zeit, die ihnen für die Vorbereitung der Besprechungspunkte zur Verfügung stand, manchmal nur einen Tag vor der Sitzung, nicht genügend damit beschäftigen konnte. Das sei wie eine „halbe Vergewaltigung.“731 Hier nutzte die Gruppe abermals den Begriff der „Vergewaltigung“, welcher auf ihre machtlose Situation rekurrierte. An der Diskussion in den Gruppen, einen Vertrauensmann zu wählen, lässt sich erkennen, dass der Informationsfluss aus Sicht der Werker auch an anderer Stelle nicht vollumfänglich gegeben war, da sie befürchteten, kaum Informationen zur Lohnfindung zu bekommen. Dieses Informationsdefizit lasteten sie zum einen der Werksleitung und zum anderen dem Betriebsrat an. Der Vertrauensmann wurde als Mittelsmann zwischen den Gruppen und dem Betriebsrat bezeichnet, was zudem auf die Kluft zwischen Arbeitern und Betriebsrat hindeutet.732 Weiterhin legt die Wahl eines Vertrauensmannes den Umstand nahe, dass auch bei den Gruppenarbeitern das Misstrauen gegenüber den höheren Hierarchieebenen mit fortschreitendem Projekt wuchs. Ein anderes Beispiel hierfür stellte der Bruch von Vereinbarungen seitens der Werksleitung dar. Die Gruppen äußerten ihren Unmut darüber, dass die Produktionsleitung die festgelegten Termine nicht einhielt, obwohl diese gemeinsam beschlossen und kommuniziert worden waren. So verschob sich etwa der Beginn der Gruppenarbeit immer wieder nach hinten, weil der Aufbau der Produktionsanlagen schleppend voran ging, diese aufwendig zu fertigen waren oder Inspekteure und Meister fehl730 Ebd. ab 33:05 Min. 731 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 und G3 23.09.1976 I ab 01:26:09 Min. 732 Vgl. Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G2 und G4 25.03.1976 I ab 56:24 Min.; Digitalisat VW-SZ G2 und G4 am 25.03.1976 II ab 01:32:11 Min. und Digitalisat VW-SZ G1, G3, G4, G2 am 08./09.04.1976 I ab 50:23 Min.

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ten. Das bedeutete allerdings für die Gruppen längere Bandarbeitsphasen. 733 Die Werksleitung hatte dies aus Sicht der Gruppen nicht rechtzeitig kommuniziert und begünstigte dadurch Spannungen mit den Werkern: Gruppensprecher 2: „Wenn ich jetzt meiner Gruppe sage, dass sie wieder ans Band sollen, lachen die mich aus. Wir werden andauernd hin und hergeschoben. Langsam langts aber.“ 734

Ein großes Problem entstand demgemäß, wenn die Arbeiter an den Arbeitsplätzen „hin und hergeschoben“ und die Absprachen oder Termine von den Vorgesetzten nicht eingehalten wurden. Das obige Zitat macht den Vertrauensverlust der Werker gegenüber ihren Vorgesetzten dadurch deutlich. Es werde immer „viel zu viel gequatscht“ und letztlich ist doch „nix daraus geworden.“735 Diese Umstände führten zu einem erschwerten Austausch zwischen Arbeitern und Projektleitung und zu einem mangelnden Kooperationswillen seitens der Arbeiter, was wiederum die Projektentwicklung belastete. Darüber hinaus konnten die Werker zwar mitreden, hatten jedoch nach eigener Aussage kaum Einfluss darauf, was letztendlich umgesetzt wurde. Daher waren sie frustriert, wenn die Vorgesetzten ihre Anregungen und ihre Kritik nicht hörten oder annahmen: „Da rührt sich gar nichts.“ Im Entscheidungsgremium ÖPSZ würden zwar Beschlüsse gefasst, aber diese nicht in die Tat umgesetzt.736 Folglich bekamen die Arbeiter im Gruppenarbeits-Projekt zwar die Möglichkeit ihre Meinung zu äußern, allerdings hatten sie häufig das Gefühl, dass diese nicht berücksichtig wurde, was den Projektverlauf negativ beeinflusste. Ferner funktionierte die Abstimmung zwischen den Gruppen und der Planung in ihren Augen nicht. So beschwerte sich Gruppe 1 beim Projektleiter über die schwierige Zusammenarbeit mit der Planung: Gruppensprecher 1: „Die Zusammenarbeit […] lässt zu wünschen übrig. Ich habe schon ein paar Mal einen Vorschlag gehabt und hab den weitergegeben an den Vorgesetzten […] an die Planung.“737

Die Planung reagiere zunächst nicht auf die Vorschläge der Arbeiter und fordere letztlich Zeichnungen von der Gruppe ein, die diese allerdings aufgrund des mangelnden Wissens darüber nicht anfertigen konnte. Die Gruppe drängte darauf, dass sich die Planer erst mit ihr abstimmen sollten, bevor sie den Montagewagen in die Fertigung gaben. Es offenbart sich, dass die Planer die Zeichnungen nicht gemeinsam mit den Gruppen anfertigten und diese anschließend besprachen – also eine gemeinsame Kommunikationsebene fanden – sondern dass die Planung, wenn überhaupt, nur das umsetzte, was sie aus den an sie weitergegebenen Äuße733 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ ÖPSZ Besprechung 21.05.1976 I ab 01:28:45 Min. 734 Ebd. ab 01:41:51 Min. 735 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ Gruppengespräche G4 und G3 24./25.05.1976 II ab 14:03 Min.; ab 19:35 Min. und ab 24:18 Min. 736 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G4 und G1 23.06.1976 II ab 25:54 Min. 737 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 und G3 23.09.1976 I ab 01:19:03 Min.

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rungen der Gruppen verstand. Einerseits ärgerten sich die Gruppen über die schlechte Kommunikation und andererseits, wie im Kapitel 3.2 dargestellt, über die dadurch entstandene Verschwendung von Projektgeldern.738 Der aufgrund des Konflikts zwischen Betriebsrat und Projektleitung ausgelöste Wandel zu einer „betriebsüblichen“ Gruppenarbeit führte zum Ausschluss der Gruppenarbeiter aus den Entscheidungsprozessen. Gleichfalls wie die Arbeiter bei der Produktionsumstellung in den Industrieroboter-Projekten waren die Gruppenarbeiter daher gegen Ende der Projektzeit wegen mangelnder Kommunikation und ungenügender Informationsweitergabe durch ihre Vorgesetzten von Existenzängsten geplagt. Folglich wussten sie bis Mitte des Jahres 1976 nicht, was mit ihnen Ende Dezember nach Abschluss der Projektlaufzeit passierte und an welchen Arbeitsplatz sie versetzt werden würden: Arbeiter G3: „Ich muss Familie ernähren. Will Gewissheit für die Zukunft.“ 739

Durch die dürftigen Informationen gerieten sie in Ungewissheit. Daher meinten die Arbeiter, „wieder Freiwild“ zu sein.740 Diese Unsicherheit über den eigenen Arbeitsplatz beförderte, wie gleichermaßen in den Industrieroboter-Projekten, das Misstrauen und den nachlassenden Kooperationswillen der Werker. Die Analyse kommt zum Ergebnis, dass die betrieblichen Hierarchien immensen Einfluss auf den Zugang zu Informationen hatten. So wurden die Arbeiter in den Industrieroboter-Projekten sowohl von ihren direkten Vorgesetzten als auch von ihren Interessenvertretungen nicht ausreichend über den Umstellungsprozess in Kenntnis gesetzt. Bemerkenswerterweise erhielten auch die Hallenbetriebsräte, die direkten Vorgesetzten in der Produktion sowie die Vertrauensleute von ihren Leitungen ebenfalls nur ungenügende Informationen. Das Wissen über die Umstellung verblieb also in den oberen Hierarchieebenen des Unternehmens. Der Vorstand des Betriebsrates, die Vertrauenskörperleitung und die Werksleitung hielten Informationen zurück, um den Handlungsspielraum der Arbeiter zu beschneiden. Die Werker hatten daher keine Möglichkeit zur Mitbestimmung und kaum Einfluss darauf, an welchen Arbeitsplätzen sie in Zukunft arbeiteten – ganz im Gegensatz zu den Zielen des HdA-Programms. All diese Faktoren schürten das Misstrauen der Arbeiter gegenüber den höheren Hierarchieebenen und reduzierten massiv ihre Kooperationsbereitschaft. Obwohl die Einbindung der Gruppenarbeiter in die Informationsabläufe besser funktionierte als bei den Werkern in den Industrieroboter-Projekten und ihre Meinungen auch gehört wurden, konnten sie dennoch im fortschreitenden Projektverlauf immer weniger bei Entscheidungen mitwirken. In beiden Projekten waren die Arbeiter mit Unsicherheiten durch die Produktionsumstellungen und die geringe Auskunftsbereitschaft der höheren Hie-

738 Arbeiter G1: „Da sind Gelder rausgeschmissen worden, die nicht nötig waren.“ Ebd. ab 01:19:47 Min. 739 Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ alle Gruppen nach GIAT 30.03.1977 ab 21:13 Min. 740 Ebd. ab 02:03:46 Min.

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rarchieebenen zu diesen Prozessen konfrontiert – insofern fühlten sie sich häufig machtlos. 4.4 ZWISCHENFAZIT Das Kapitel spürt der Frage nach, welche betrieblichen Faktoren zu Konflikten in den HdA-Projekten bei VW führten. Die These, dass insbesondere die Verweigerung von Partizipationsmöglichkeiten für die Entstehung von Konflikten verantwortlich war, kann die Analyse belegen. Diese Partizipationsverweigerung und das daraus resultierende Misstrauen der Werker gegenüber den höheren Hierarchieebenen im Unternehmen ließ sich an drei Faktoren festmachen: Erstens anhand der bestehenden Menschenbilder und des Klassendenkens im Betrieb, zweitens angesichts der weiterhin wirkmächtigen betrieblichen Machtstrukturen und drittens am Zurückhalten von Informationen durch Vorgesetzte und die Leitungen der Interessenvertretungen. So wurde offensichtlich, dass die bestimmende Vorstellung eines Arbeiters in den Köpfen der Vorgesetzten und das in Teilen noch wirksame Klassendenken auf beiden Seiten insbesondere das Qualifizierungspotenzial der Arbeiter und damit ihre Teilhabe in den Unternehmenshierarchien begrenzten. Das Klassendenken machte darüber hinaus eine Annäherung der beiden Akteursgruppen in den HdA-Projekten schwierig, denn durch die Vorurteile existierte von Anfang an ein latentes Misstrauen. Dies potenzierte sich noch in Situationen, in denen diese Vorannahmen augenscheinlich bestätigt wurden. Der Versuch, mit dem HdA-Programm ein Umdenken der Vorgesetzten bezüglich ihres Arbeiterbilds zu erreichen, scheiterte in den Projekten nahezu gänzlich. Demnach erkannten die Vorgesetzten im Gruppenarbeits-Projekt zwar die Lernerfolge der Arbeiter an, stellten aber die strikte Hierarchisierung des Betriebes nicht grundsätzlich in Frage. Folglich bekamen die Arbeiter keine umfassende Verantwortung zugewiesen. Die betrieblichen Hierarchien begrenzten ebenso die Mitbestimmung der Arbeiter über ihre Arbeitsbedingungen. Sowohl Vorgesetzte als auch Interessenvertretungen sicherten ihren Einfluss nach unten hin ab, was im Gegensatz zu den Anforderungen des Programms nach mehr Teilhabe der Arbeiter in Entscheidungsprozessen stand. Diese Partizipationsverweigerung zeigte sich auch an anderer Stelle. In allen Projekten ließ sich nachweisen, dass die Vorgesetzten ihre Kontrolle erweiterten und die Disziplinierung der Werker zunahm, etwa durch den Einsatz neuer Technologien oder höhere Leistungsvorgaben. Infolgedessen wurden die Handlungsmöglichkeiten der Werker massiv beschnitten. Anstatt, dass die Unternehmensleitung den Mensch und seine Bedürfnisse in den Mittelpunkt der Produktion rückte, wie vom Programm gefordert, hatte er sich vielmehr den neuen Produktionstechnologien anzupassen und sollte ferner durch neue Methoden der Menschenführung zu mehr Leistung angetrieben zu werden.741 Außerdem hielten die höheren Hierarchieebenen Informationen zur Produktionsumstellung zurück. 741 UHL, KARSTEN 2014, Humane Rationalisierung?, S. 326f.; DONAUER, SABINE 2015, Faktor Freude, S. 145f.

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Die Werker wurden demnach nicht hinreichend über die Prozesse im Unternehmen informiert und konnten somit nicht rechtzeitig auf die geplanten Veränderungen reagieren. Es stellte sich heraus, dass die Interessen der Arbeiter durch ihre gewählten Vertreter nicht genügend berücksichtigt und teilweise bewusst zugunsten des Machterhalts übergangen wurden. Diese Umstände schürten bei den Arbeitern Misstrauen gegenüber ihren Vorgesetzten sowie Vertretungen und entfachten bei ihnen das Gefühl der Ohnmacht und des Ausgeliefertseins. Das wirkte sich wiederum negativ auf das Arbeitsklima und die Arbeitsbeziehungen im Unternehmen aus, denn diese Faktoren provozierten Widerstand bei den Arbeitern, der von Leistungsverweigerung bis hin zum wilden Streik reichte. Die Kooperationsbereitschaft der Arbeiter mit den höheren Hierarchieebenen im Unternehmen nahm daher im Verlauf der Projekte stetig ab. Folglich blieben die Forderungen des HdA-Programms nach mehr Selbstverantwortung, Teilhabe und Einbeziehung der Werker in Entscheidungsprozesse im Unternehmen letztlich weitestgehend erfolglos. Obwohl es gelang, die Arbeiter im Gruppenarbeits-Projekt in die Informationsflüsse zu integrieren, konnte dies im fortschreitenden Projektverlauf vor allem aufgrund des Konflikts zwischen Werksleitung und Betriebsrat sowie der Machterhaltung der Interessenvertretungen immer weniger gewährleistet werden. Auch wenn es der Bundesregierung in Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften und den Unternehmerverbänden glückte, die Arbeiter weiterhin in das wirtschaftliche System einzubinden und in den 1980er Jahren eine weitgehende Befriedung der industriellen Beziehungen sowie ein Ende der wilden Streiks zu erreichen, lag das Ziel einer abwechslungsreichen und selbstbestimmten Tätigkeit für zahlreiche Arbeiter in der Produktion immer noch in weiter Ferne. 742 Zudem misslang das Vorhaben, die direkte Mitbestimmung der Arbeiter an Entscheidungen umzusetzen. Lediglich die Stellung ihrer Interessenvertretungen im wirtschaftlichen System wurde gestärkt. Doch wie die Analyse offenbarte, verfolgten diese Vertretungen ebenso eigene Interessen, die teilweise denen der Arbeiter entgegenliefen. Dennoch – das wurde in diesem Kapitel ersichtlich – kam dem Austragen von Konflikten eine wichtige Bedeutung zu. Die Interessenvertretungen und die Unternehmensleitung mussten auf die vehement geäußerte Kritik der Arbeiter an den gegenwärtigen Zuständen reagieren und Kompromisse eingehen, andernfalls riskierten sie Protestaktionen wie wilde Streiks. Obwohl nicht alle ambitionierten politischen Ziele des Programms erreicht werden konnten, gelang es den Akteuren in den 1980er Jahren doch zumindest einen Ausgleich zu erzielen, der für die weitgehende Befriedung der Konflikte sorgte. Sicherlich spielten hierbei auch die sich erholende Konjunktur und die damit einhergehende Drosselung der Rationalisierungsmaßnahmen im Unternehmen eine entscheidende Rolle.743 Wichtige Faktoren dieser Befriedung könnten ein direkter Erfolg des Programms sein, nämlich die Begleitung und Anpassung der Arbeiter an die neue Produktionsweise und Technologien in den betrieblichen Projekten. 742 KITTNER, MICHAEL 2005, Arbeitskampf, S. 710. 743 METZ, RAINER 2001, Expansion und Kontraktion, S. 76f.; GÖBEL, STEFAN 2013, Die Ölpreiskrisen der 1970er Jahre, S. 550f.

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Gleichfalls lässt sich festhalten, dass nicht nur Kooperation, sondern auch das Austragen von Konflikten einen Motor für wirtschaftliche Veränderungen und die Freisetzung von Innovationspotenzial darstellt, wie in der Analyse vielfach gezeigt werden konnte. Demnach suchten die Arbeiter nach Möglichkeiten, ihren Handlungsrahmen trotz der gegebenen Einschränkungen zu erweitern, zum Beispiel durch den Protest in Grauzonen oder die Anpassung ihrer Handlungsrationalitäten. Aber die Annahme lässt sich ebenfalls auf der Makroebene demonstrieren. Die Wirtschaftskrise in den 1970er Jahren konnte von Staat, Gewerkschaften und Unternehmern gemeinsam etwa in der Konzertierten Aktion bewältigt werden.744 Hierfür mussten die Akteure allerdings Kompromisse eingehen, die ihren Ausdruck unter anderem im novellierten Betriebsverfassungsgesetz oder dem Mitbestimmungsgesetz fanden. Dieser Zwang zum unbedingten Kompromiss nahm jedoch durch die wenn auch langsame wirtschaftliche Erholung ab.745 Insofern mag das „Scheitern“ der Konzertierten Aktion und der ersten Phase des HdA-Programms nicht unbedingt überraschen. Dennoch konsolidierten sich nach den Verwerfungen am Ende der Konzertierten Aktion in den 1980er Jahren die Beziehungen zwischen Gewerkschaften und Unternehmerverbänden und bestätigen damit die gelungene Stabilisierung der industriellen Beziehungen sowie die fortschreitende wirtschaftliche Anpassung der BRD.746 Das HdA-Programm stellte sich durch seine Austauschfunktion als ein elementarer Bestandteil in diesem Prozess heraus. Gleichsam wie in den HdA-Projekten im Betrieb erwiesen sich Konflikte auf der Makroebene im HdA-Programm als Triebfeder wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Veränderung.

744 REHLING, ANDREA 2011, Konfliktstrategie und Konsenssuche in der Krise, S. 446f.; HOCKERTS, HANS GÜNTER 2008, Vom Problemlöser zum Problemerzeuger?, S. 16f. 745 METZ, RAINER 2001, Expansion und Kontraktion, S. 76f.; MÜLLER, STEFAN 2016, Humanisierung der Arbeitswelt 1.0, S. 264f. 746 SCHROEDER, Wolfgang/GREEF, Samuel: Gewerkschaften und Arbeitsbeziehungen nach dem Boom, in: Vorgeschichte der Gegenwart. Dimensionen des Strukturbruchs nach dem Boom, hrsg. v. Anselm DOERING-MANTEUFFEL/Lutz RAPHAEL/Thomas SCHLEMMER, Göttingen 2016, S. 261.

5 FAZIT: SCHULTERSCHLUSS VON ARBEITER- UND UNTERNEHMENSGESCHICHTE Die Analyse vermag eine präzisere Beschreibung des Akteurs Arbeiter und seines Handlungsrahmens im Betrieb zu geben. Ferner konkretisiert sie den Verlauf der Wirtschaftsgeschichte der 1970er Jahre in der BRD und die erfolgreiche Überwindung wirtschaftlicher Krisen durch politische Reformen. Die Untersuchung stellt, wie in der ersten These angenommen, die Arbeiter in den HdA-Projekten als Mitgestalter in Krisen, als Beförderer von Innovation und als Träger von Kreativpotenzial heraus. Demzufolge wirkten sie entscheidend dabei mit, die Anpassungskrise von VW erfolgreich zu überwinden und damit einhergehend den Strukturwandel in den 1970er Jahren zu bewältigen. Maßgeblich für das Vorantreiben von Innovation in der neuen Arbeitsstruktur der Gruppenarbeit oder der technisierten Produktion war, dass ihnen Freiräume gewährt, Verantwortung übertragen und ein gutes Betriebsklima geschaffen wurde. Darüber hinaus befürworteten Werker Produktionsveränderungen, wenn diese ihre Gesundheit schützten, ihre Aufgabenbereiche erweiterten, sie bei der Arbeit entlasteten und die Produktionsumstellung ihnen selbst sowie dem Unternehmen gleichermaßen nutzten. Indes verweigerten sie Innovationen, wenn ein Ungleichgewicht durch die Produktionsveränderungen zugunsten der Unternehmensleitung entstand und Handlungsfreiräume sowie Verantwortungsbereiche beschnitten wurden. Als Reaktion darauf missachteten die Arbeiter etwa betriebliche Regelungen und sabotierten Maschinen oder Produkte. Ebenso ergab die Analyse, dass Arbeiter unterschiedlichen Handlungsrationalitäten weit über die eigene Kosten-Nutzen-Maximierung hinaus folgten und „Notwendigkeitskooperationen“ eingingen, die situationsabhängig und veränderbar waren. Sowohl das Konzept des Eigen-Sinns als auch das des akteurszentrierten Institutionalismus gestatteten es, diese Rationalitäten herauszuarbeiten und Arbeiterhandeln im Betrieb zu erfassen. Durch sie war es möglich, die einzelnen Akteure und ihr Handeln greifbar zu machen sowie die Motivationen der Arbeiter analytisch zu bündeln. Der akteurszentrierte Institutionalismus stellt hierbei das beschränkte Handlungsmodell des homo oeconomicus in Frage und fokussiert persönliche Motivationen der Akteure, die Werte und Normen bestimmen. Das Konzept des Eigen-Sinns hebt zwar die Bedeutung von Machthierarchien im Betrieb hervor, weist aber zugleich auch den unteren Hierarchieebenen, etwa den Arbeitern, einen eigenen Handlungsraum zu. Durch die Verknüpfung beider Theorien ist es möglich, sowohl das eigenständige Handeln der Arbeiter, als auch ihre Einbettung in betriebliche Strukturen zu analysieren. Die Arbeit stellt mit ihrer besonderen Quellenbasis eine Ergänzung zu anderen unternehmensgeschichtlichen Forschungen dar, welche Einsichten über das Handeln von Arbeitern meist mittels Berichten Dritter gewannen, etwa Vorgesetz-

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ten oder ihren Vertretungen.1 Im Rahmen der Untersuchung wurden neue Quellen für die Geschichte der Arbeit erschlossen und Quellengattungen, wie Tonbandaufnahmen und soziologische Experteninterviews, historisch nutzbar gemacht. Die Tonbandaufnahmen wurden digitalisiert und im Universitätsarchiv Heidelberg archiviert, um sie der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Der Mehrwert dieser Quellen, trotz ihrer Grenzen, wie etwa die intentionale Anlage der Interviews durch die befragenden Wissenschaftler oder das Problem von Vorstellungen sozialer Erwünschtheit bei den Antwortenden, konnte in den einzelnen Analysekapiteln dargelegt werden. Sie fassen die Arbeiter als eigenständige Akteure und ermöglichen darüber hinaus Emotionen, Lautäußerungen und Pausen in die Interpretation der Quellen mit einzubeziehen. Solche Elemente ließen Rückschlüsse auf das Arbeitsklima, also den Umgang der Akteure miteinander, aktives oder passives Verhalten der Arbeiter sowie deren Interesse oder Desinteresse an einem Ereignis oder Thema über das gesprochene Wort hinaus zu. Die Analyse zeigt auf unter welchen Arbeitsbedingungen Arbeiter produktiv und motiviert ihre Tätigkeit verrichten und welche Umstände dies verhindern. Insofern liefert die Analyse wichtige Erkenntnisse darüber, welche Bedingungen notwendig sind, damit die Arbeiter innovativ wirken können. Die zweite These der Arbeit, dass Partizipationsmöglichkeiten und Einfluss der Arbeiter letztlich über Kooperation oder Konflikt im Unternehmen entscheiden, konnte ebenso belegt werden. Gaben die Vorgesetzten Verantwortung sowie Handlungsspielraum an die Arbeiter ab und zeigten sie sich ihren Vorschlägen und ihrer Kritik gegenüber offen, war dies die Grundlage einer vertrauensvollen Kooperation. Dieses Vertrauensverhältnis vertiefte sich durch gemeinsame Werte, Normen und Interessen. So strebten etwa beide Akteursgruppen danach, den Unternehmenserfolg unter anderem durch Rationalisierungsmaßnahmen und die Einführung neuer Produktionstechnologien zu mehren. Beide sahen, wie in Kapitel 3.2 herausgestellt, die Konkurrenzfähigkeit des Unternehmens gegenüber anderen Wettbewerbern gefährdet, wenn sie die neusten technologischen Entwicklungen nicht in der Produktion einsetzten. Demnach fürchteten die Arbeiter um ihren Arbeitsplatz, sollte der „technologische Fortschritt“ nicht im Unternehmen Einzug halten und kooperierten daher mit der Unternehmensleitung, um neue Technologien einzuführen. Auch dieses Ergebnis, dass die Arbeiter Rationalisierung in einem gewissen Umfang befürworteten und ihrerseits selbst vorantrieben, ergänzt die Wirtschafts- und Rationalisierungsgeschichte. Bisher wurde die Umsetzung von Rationalisierungsmaßnahmen lediglich der Unternehmensleitung zugeschrie-

1

HAIPETER, Thomas: Mitbestimmung bei Volkswagen. Neue Chancen für die betriebliche Interessenvertretung? (Schriftenreihe Hans-Böckler-Stiftung), Münster 2000; KOCH, Günther: Arbeitnehmer steuern mit. Belegschaftsvertretung bei VW ab 1945 (Mitbestimmung in Theorie und Praxis), Köln 1987; ENGELEN, Ute: Demokratisierung der betrieblichen Sozialpolitik? Das Volkswagenwerk in Wolfsburg und Automobiles Peugeot in Sochaux 1944–1980 (Wirtschafts- und Sozialgeschichte des modernen Europa 2), Baden-Baden 2013.

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ben.2 Um eine erfolgreiche Kooperation zu erreichen, galt es für die Akteure, zwischen den diversen Interessenlagen und dem Nutzen der jeweiligen Maßnahmen für beide Gruppen auszugleichen. Hierfür waren vor allem ein respektvolles Arbeitsklima und eine funktionierende Kommunikation notwendig. Solange den Arbeitern Handlungsräume durch ihre Vorgesetzten gewährt wurden, etwa bei der Ausübung ihrer Tätigkeiten oder der Mitgestaltung ihrer Arbeitsbedingungen, akzeptierten sie die Unternehmenshierarchien und erkannten die Mehrleistung ihrer Vorgesetzten aufgrund größerer Verantwortung und höherer Qualifikation an. Dadurch blieb das Unternehmen handlungsfähig, was wiederum im Interesse aller Akteure lag. Eine Besonderheit dieser Untersuchung besteht darin, konkrete Kooperationen in einem Unternehmen fassen zu können. Oftmals bleiben jene in der Betrachtung der jeweiligen Unternehmenskultur und -kommunikation verhaftetet oder aufgrund des Mangels an Quellen über kooperative Prozesse im Betrieb unbeachtet.3 Durch die Tonbandaufnahmen sind Kompromissfindung und Problemlösung nachvollziehbar. Sie unterscheiden sich damit von Ergebnisprotokollen, die diese Prozesse nicht abbilden. Verweigerten die oberen Hierarchieebenen des Unternehmens die Möglichkeit zu partizipieren, führte dies, hingegen zu Konflikten und ließ Misstrauen zwischen Vorgesetzten und Arbeitern entstehen. Diese Verweigerung gründete sich auf mehreren Faktoren, etwa auf dem vorherrschenden Bild eines Arbeiters in den Köpfen der Vorgesetzten, welches unter anderem die Vorstellung von den begrenzten (intellektuellen) Fähigkeiten und Fertigkeiten eines Arbeiters beinhaltete. So gingen Vorgesetzte etwa davon aus, dass Arbeiter ab einem Punkt nicht mehr weiter qualifizierbar seien, da dies ihre geistigen Fähigkeiten übersteigen würde. Infolge dieser Vorstellung wurden die Aufstiegschancen und Tätigkeitsbereiche der Arbeiter deutlich beschränkt. Allerdings erwiesen sich nicht nur die Vorurteile und Annahmen der Vorgesetzten als Hindernisse für eine gelungene Kooperation. Auch unter den Arbeitern waren Elemente des Klassendenkens noch immer wirkmächtig, was die betriebliche Kooperation erschwerte. Demnach unterstellten sie ihren Vorgesetzten „Profitgier“ oder gezielte „Ausbeutung“ und sprachen es ihnen pauschal ab, auf Macht verzichten zu können. Die Arbeiter schürten somit selbst Misstrauen und setzten der betrieblichen Kooperation Grenzen. Weitere Gründe dafür, dass Werker sich verweigerten und Konflikte aufkamen, bestanden in den gestiegenen Leistungsanforderungen infolge der Produktionsumstellung und neuen Technologien sowie dem damit einhergehenden Ausbau von Kontrolle und Disziplinierung. In Zuge dessen wurde der Handlungsspielraum der Werker beschnitten, was bei ihnen zu Ablehnungsreaktionen führte. 2

3

Vgl. KLEINSCHMIDT, Christian: Rationalisierung als Unternehmensstrategie. Die Eisen- und Stahlindustrie des Ruhrgebiets zwischen Jahrhundertwende und Weltwirtschaftskrise (Bochumer Schriften zur Unternehmens- und Industriegeschichte 2), Essen 1993. Vgl. WISCHERMANN, Clemens (Hrsg.): Unternehmenskommunikation deutscher Mittel- und Großunternehmen. Theorie und Praxis in historischer Perspektive (Untersuchungen zur Wirtschafts-, Sozial- und Technikgeschichte 23), Dortmund 2003.

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Als ein weiteres wichtiges Ergebnis der Untersuchung von Konflikten im Unternehmen stellte sich das ambivalente Verhältnis zwischen Arbeitern und ihren Interessenvertretungen heraus. So wurde offenbar, dass sich zahlreiche Arbeiter von diesen nicht ausreichend repräsentiert fühlten und auch die Interessenvertretungen, wie Betriebsrat oder IG Metall, auf Machtstrukturen fußten, die sich für die Arbeiter nachteilig auswirken konnten. Diese Thematik scheint in der Geschichtswissenschaft noch nicht hinreichend aufgearbeitet zu sein, da vor allem die 1970er Jahre bisher eher als gefeiertes Jahrzehnt der Mitbestimmung in der BRD gelten.4 Allerdings konzentrieren sich die Studien, welche das Thema Mitbestimmung behandeln, häufig auf die Interessenvertretungen und die von ihnen selbst erzeugten Quellenbestände. Daher sind weitere historische Forschungen in Betrieben notwendig, in denen sich von Arbeitern selbst produzierte Quellen erhalten haben oder solche, die es erlauben, sie als Akteure zu fassen, um eine fundierte und vor allem eine perspektivisch erweiterte Geschichte der Mitbestimmung in der BRD schreiben zu können. Obwohl Konflikte zunächst den Eindruck des Scheiterns suggerieren, legt diese Forschungsarbeit ihre wichtige Bedeutung für die langfristige Stabilität sowie die Erneuerungskraft der industriellen Beziehungen und damit für die Gesamtwirtschaft und die Gesellschaft dar, etwa mit der betrieblichen Beilegung von wilden Streiks bei VW. Da die Unternehmensleitung mit den streikenden Arbeitern kurzfristig Kompromisse fand, konnte sowohl die Dauer als auch die Ausweitung der Konflikte deutlich begrenzt werden. Damit sicherte die Unternehmensleitung einerseits die Produktivität des Betriebes und andererseits den sozialen Frieden im Unternehmen und darüber hinaus. Die Untersuchung folgt demnach in ihrer theoretischen Ausrichtung der Annahme des Historikers Timo Luks, welcher den Betrieb als „Brennpunkt und Katalysator“ von gesellschaftlichen Entwicklungen und Verwerfungen beschreibt.5 Anknüpfend an die Auffassungen des NeoInstitutionalismus wirkte sich die Gestaltung des Betriebes und der Arbeitsbeziehungen also auf die Gesellschaft aus und umgekehrt. Demgemäß entschieden sich sowohl der wirtschaftliche Wandlungsprozess als auch die Überwindung der gesellschaftlichen Konfliktthemen, wie etwa die Gleichstellung von Frauen oder der Abbau von schädlichen Umwelteinflüssen, in der kleinsten gesellschaftlichen Einheit – dem Betrieb. Ebenso wurden hier die Fragen nach mehr Teilhabe, einer besseren Arbeits- und Lebensqualität sowie der Solidarität zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten aufgeworfen und durch das Handeln der betrieblichen Akteure mit beantwortet. Dem folgend war VW in den 1970er Jahren 4

5

Vgl. HAIPETER, Thomas: Mitbestimmung bei Volkswagen. Neue Chancen für die betriebliche Interessenvertretung? (Schriftenreihe Hans-Böckler-Stiftung), Münster 2000; KOCH, Günther: Arbeitnehmer steuern mit. Belegschaftsvertretung bei VW ab 1945 (Mitbestimmung in Theorie und Praxis), Köln 1987; GRIEGER, MANFRED 2013, Die „geplatzte Wirtschaftswundertüte“, S. 75; OWETSCHKIN, DIMITRIJ 2016, Vom Verteilen zum Gestalten, S. 211; MILERT, Werner/TSCHIRBS, Rudolf: Die andere Demokratie. Betriebliche Interessenvertretung in Deutschland, 1848 bis 2008 (Veröffentlichungen des Instituts für soziale Bewegungen – Schriftenreihe A: Darstellungen 52), Essen 2012, S. 499ff. LUKS, TIMO 2010, Der Betrieb als Ort der Moderne, S. 266.

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Spiegelbild und Austragungsort aktueller wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Auseinandersetzungen. Konflikte vor Ort auszufechten, stellte sich als unabdingbar heraus, um eine Kompromisslösung zu erzielen. Damit gliedert sich diese Untersuchung an zahlreiche wirtschaftshistorische Studien an, die Kooperation und Konflikt als elementares Moment in den industriellen Beziehungen ansehen.6 Unternehmensgeschichtlich betritt die Analyse Neuland. Bisher liegen Erkenntnisse darüber, wie Angehörige unterschiedlicher Hierarchieebenen im Unternehmen miteinander interagieren, vor allem im Rahmen von Studien zur Unternehmenskultur oder –kommunikation vor. Die vorliegende Arbeit leistet einen Beitrag dazu, die Wissenslücke für den Bereich der Produktion zu schließen und zeigt, dass die Gestaltung von betrieblichen wie gewerkschaftlichen Hierarchien relevant ist für den unternehmerischen aber auch für den gesamtwirtschaftlichen Erfolg und gesellschaftlichen Frieden. Wenn sie zu rigide und wenig durchlässig sind, hemmt dies Innovation und lässt Konflikte entstehen. Mit dem HdA-Programm, so die dritte These der Forschungsarbeit, sollten der Umbruch in der Arbeitswelt und der wirtschaftliche Anpassungsprozess abgefedert werden. Einerseits diente das Programm dazu, die Rationalisierungsmaßnahmen in den Betrieben abzumildern und, anders als in der Weimarer Republik, jene Maßnahmen sozial zu begleiten, die gesellschaftliche Verwerfungen nach sich zogen. Andererseits beförderte das HdA-Programm den Anpassungsprozess der Arbeitnehmer an neue Technologien und gewöhnte sie in den Projekten an neue Arbeitsstrukturen und die zunehmende Arbeit mit Robotern. Folglich gelang dem Programm der Spagat zwischen der Einführung neuer Produktionstechnologien, um die Wettbewerbsfähigkeit der BRD zu sichern sowie voranzutreiben und der Heranführung der Arbeiter in den HdA-Projekten an die technisierte und flexible Produktionsumstellung. Aber das Programm begleitete nicht nur den Wandel der Produktion, sondern auch die Veränderungen in der Wirtschaftspolitik – von dem in den 1970er Jahren vorherrschenden Keynesianismus hin zum in den 1980er Jahren aufkommenden Neoliberalismus. Infolgedessen war eine Zielsetzung des Programms, die Zugänge zur Arbeiterrentenversicherung aufgrund von Berufs6

Vgl. FRANZ, Albrecht: Kooperation statt Klassenkampf? Zur Bedeutung kooperativer wirtschaftlicher Leitbilder für die Arbeitszeitsenkung in Kaiserreich und Bundesrepublik (Perspektiven der Wirtschaftsgeschichte 4), Stuttgart 2014; WISCHERMANN, Clemens: Kooperation, Vertrauen und Kommunikation. Ein Rahmenmodell des Unternehmens auf institutionenökonomischer Grundlage oder was macht ein Unternehmen handlungsfähig?, in: Unternehmenskommunikation deutscher Mittel- und Großunternehmen. Theorie und Praxis in historischer Perspektive, hrsg. v. Clemens WISCHERMANN, Dortmund 2003, S. 76–92; BOHNET, Iris: Kooperation und Kommunikation. Eine ökonomische Analyse individueller Entscheidungen (Die Einheit der Gesellschaftswissenschaften 98), Tübingen 1997; EDWARDS, Paul: Konflikt und Konsens. Die Organisation der industriellen Beziehungen im Betrieb, in: Konfliktpartnerschaft. Akteure und Institutionen der industriellen Beziehungen, hrsg. v. Walther MÜLLER-JENTSCH, München u. a. 1991, S. 31–56; PETER, Gerd (Hrsg.): Grenzkonflikte der Arbeit. Die Herausbildung einer neuen europäischen Arbeitspolitik, Hamburg 2007; REHLING, Andrea: Konfliktstrategie und Konsenssuche in der Krise. Von der Zentralarbeitsgemeinschaft zur Konzertierten Aktion (Historische Grundlagen der Moderne Historische Demokratieforschung 3), Baden-Baden 2011.

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und Erwerbsunfähigkeit zu reduzieren. Bis 1972 erfolgten noch mehr als die Hälfte der Arbeiterrentenzugänge aus diesen Gründen.7 Auch die Konzertierte Aktion zielte ab 1977 auf eine „Kostendämpfung“ im Gesundheitsbereich.8 Seit 1978 sank im Gegensatz zu der Zahl der Arbeitsunfälle zumindest die der angezeigten Berufskrankheiten.9 Damit war das HdA-Programm gleichermaßen Teil der Beschränkung und des Rückbaus des deutschen Sozialstaates, denn durch den mittels des Programms angestoßenen Arbeits- und Gesundheitsschutz sollte es zugleich zu einer Verringerung von Unfällen und Berufskrankheiten kommen.10 Demnach beantwortet die Untersuchung sogleich die Frage, ob Humanisierung und Rationalisierung als Gegenpole im politischen Programm und in den betrieblichen Projekten auftraten. Tatsächlich zeigte sich, dass beide Prozesse sowohl vom politischen Programm als auch von den betrieblichen Akteuren als Symbiose begriffen wurden – sogar von den Arbeitern in der Produktion. Die Tradition, wirtschaftliche Umbruchsituationen durch Rationalisierung zu überwinden, blieb auch in den 1970er Jahren ungebrochen. Allerdings sollte die Rationalisierung sozial gestaltet werden und mit einem gesellschaftlichen Ausgleich einhergehen. Insofern umfasste das Programm einen massiven Ausbau des Arbeitsschutzes, der Mitbestimmungsrechte und zugleich eine aktive Innovations- und Wissenschaftspolitik, um Kreativpotenziale in den Betrieben freizulegen beziehungsweise zu fördern.11 Das HdA-Programm war somit ein Instrument, den wirtschaftlichen Wandel mithilfe von Rationalisierung zu bewältigen und die Härten dieser Entwicklung durch Humanisierung abzumildern. Desgleichen bestätigt sich die vierte These, welche sich auf die Makroebene sowie die Kontextualisierung des HdA-Programms bezieht. Sie versteht das Programm zum einen als Antwort auf die wirtschaftliche und gesellschaftliche Umbruchsituation und zum anderen auf die bestehende Systemkonkurrenz mit dem Sozialismus in der DDR. Das Programm wurde seiner Funktion als Teil des bundesdeutschen Korporatismus gerecht, indem es den Austausch der wirtschaftlichen und politischen Akteure auf der Makroebene in den Fachausschüssen und Entscheidungsgremien des HdA-Programms, aber auch auf der Mikroebene in den Betrieben durch die HdA-Projekte ermöglichte. Damit trug es dazu bei, die wirtschaftlichen Konflikte in den 1970er Jahren zu befrieden und gleichzeitig weiteren Auseinandersetzungen vorzubeugen. Der Angst vor dem Einsatz neuer Pro7

PÖHLER, Willi/PETER, Gerd: Erfahrungen mit dem Humanisierungsprogramm. Von den Möglichkeiten und Grenzen einer sozial orientierten Technologiepolitik (Wissenschaft im Arbeitnehmerinteresse 2), Köln 1982, S. 17. 8 LEISERING, LUTZ 2016, Nach der Expansion, S. 229. 9 HERZOG, HENNING 1981, Das Programm „Forschung zur Humanisierung des Arbeitslebens“, S. 13f. 10 SEIBRING, ANNE 2011, Humanisierung, S. 110f. 11 KLEINÖDER, NINA 2015, Unternehmen und Sicherheit, S. 19; WELSCH, Johann: Innovationspolitik. Eine problemorientierte Einführung, Wiesbaden 2005, S. 214; VILMAR, Fritz/WEBER, Wolfgang: Demokratisierung und Humanisierung der Arbeit – ein Überblick, in: Wirtschaft, Demokratie und soziale Verantwortung. Kontinuitäten und Brüche, hrsg. v. Wolfgang G. WEBER, Göttingen 2004, S. 111ff.

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duktionstechnologien und der daraus folgenden Entwertung der menschlichen Arbeitskraft in der Gesellschaft setzte die Bundesregierung das „Modell Deutschland“ und die Erleichterung der menschlichen Arbeit durch die Unterstützung neuer Technologien auch mittels des HdA-Programms entgegen. So wollte die sozialliberale Bundesregierung Sozialstaatlichkeit mit ökonomischen Erfolgen ermöglichen. Das „Modell Deutschland“ diente der Politik als idealisiertes Bild, um den Bürgern die ökonomischen und politischen Reformen sowie die damit verbundenen Zumutungen vermitteln zu können.12 Ein Teil dieser Vermittlung war das HdA-Programm. Überdies ließ das Programm die Arbeiter und ihre Erfahrungen durch die zahlreichen Projekte und Studien zur Industriearbeit für die Öffentlichkeit sichtbar werden. Zu diesem Zweck sammelten Wissenschaftler im Programm umfangreiche Daten über den Arbeitsalltag, die Arbeitsbedingungen und -erfahrungen. Durch die Studienergebnisse rückten etwa die spezifischen Probleme der Frauenarbeit stärker in den Fokus öffentlicher Debatten. Die gesammelten Daten waren ebenso als Grundlage neuer politischer Regelungen, wie Grenzwerte für Lärm oder giftige Arbeitsstoffe, relevant. Schließlich trugen diese Befunde dazu bei, dass sich die Arbeitswissenschaften in der BRD langfristig etablieren konnten. Sie hatten sich mit den HdA-Projekten ein Wirkungsfeld geschaffen, das sie sich mit den in den Projekten gewonnen Daten über lange Zeit erhielten.13 Die von der Politik befürchtete „Entfremdung“ oder „Radikalisierung“ der Gesellschaft trat nicht ein. Somit hatte das Programm Anteil am Fortbestand der gesellschaftlichen Stabilität und war, wie die Analyse belegt, eine Antwort auf die Systemkonkurrenz mit dem Sozialismus in der DDR. In der öffentlichen Debatte um die Gestaltung der Nachkriegsgesellschaft und -wirtschaft wurde seit den 1950er Jahren der Begriff Humanisierung mit dem Konzept der sozialen Marktwirtschaft sowie der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der BRD verbunden. Die Humanisierung diente dazu, das kapitalistische Wirtschaftssystem zu legitimieren und stellte einen Gegenentwurf zur umfassenden „Demokratisierung“ in der DDR dar.14 Grundlegend hierfür war die (Neu-)Gestaltung der industriellen Beziehungen in der BRD, welche die Kooperation zwischen Arbeitnehmern und Unternehmensleitung stärken und damit die betrieblichen Sozialbeziehungen harmonisieren sollte.15 Demnach hatte der Betrieb große Relevanz für den „Kampf gegen den Sozialismus“. Dies änderte sich auch in den 1970er Jahren nicht, als die BRD durch vermehrte gewerkschaftliche Protestaktionen und wilde 12 HERTFELDER, THOMAS 2007, „Modell Deutschland“, S. 9. 13 HERZOG, HENNING 1981, Das Programm „Forschung zur Humanisierung des Arbeitslebens“, S. 13f.; Beispielstudien: REGER, Herbert: Entkoppelung von Fließarbeit. Techniken in der teilautomatisierten Montage (Schriftenreihe „Humanisierung des Arbeitslebens“ 2), Frankfurt am Main 1980 oder WOLF, Ernst: Schichtarbeit. Umsetzung arbeitswissenschaftlicher Erkenntnisse für Schichtarbeiter und Interessenvertreter (Schriftenreihe Humanisierung des Arbeitslebens 57), Frankfurt am Main 1985. 14 Vgl. Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Gedanken zur sozialen Ordnung, S. 7f.; Vetter, August, Der Mensch im Umbruch unserer Zeit, S. 6. 15 KASTE, HERMANN 1981, Arbeitgeber und Humanisierung der Arbeit, S. 19.

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Streiks der Arbeiterschaft erschüttert wurde. Die Arbeitsbeziehungen gerieten durch die wirtschaftliche Krise, steigende Arbeitslosigkeit, die Folgen der Automation der Produktion seit den 1960er Jahren und gesundheitliche Belastungen der industriellen Arbeit zunehmend unter Druck.16 Erneut konkurrierte die bundesdeutsche Wirtschafts- und Sozialpolitik mit dem Sozialismus in der DDR, denn Arbeiter erhielten in diesem System und seiner Propaganda besondere Anerkennung für ihre Leistungen. Zudem bediente sich die DDR-Führung einer extensiven Sozialpolitik, welche den Arbeitern „soziale Sicherheit und Geborgenheit“ garantieren sollte.17 Dies verstärkte sich noch einmal mit dem 1971 von der SED beschlossenen Konzept zur Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik, das die Steigerung der Lebensqualität und der Produktivität verbinden sollte.18 Daher fanden sich der Vergleich mit der DDR und die Hervorhebung der Humanisierung auch in den 1970er Jahren in öffentlichen Äußerungen von bundesdeutschen Politikern und Wirtschaftsakteuren zur wirtschaftlichen Entwicklung und des sozialen Zusammenhalts wieder.19 Darüber hinaus schürte in der BRD eine kleine Minderheit radikalisierter linksterroristischer, aus der Studentenbewegung entstandener Vereinigungen sowie die erstarkende Selbstverwaltungsbewegung die Angst der politischen und wirtschaftlichen Akteure vor der Ausbreitung sozialistischer Ideologien in der Gesellschaft.20 Darum versuchte die Bundesregierung gemeinsam mit den Gewerkschaften und den Unternehmerverbänden mit Hilfe des HdAProgramms den Zusammenhalt der Gesellschaft durch den sozialen Ausgleich in den Arbeitsbeziehungen zu gewährleisten. Mit dem Programm versprach sie bessere Arbeitsbedingungen im Sinne von Tätigkeitserweiterung, Arbeits- und Unfallschutz und mehr Teilhabe.21 Die Humanisierung diente auch auf europäischer Ebene und in den westlichen Staaten als Antwort auf die globale Wirtschaftslage. Dies zeigt sich unter anderem an zahlreichen ähnlichen beschäftigungspolitischen Programmen in Ländern wie Norwegen, Schweden, Frankreich und Italien sowie dem Beschluss eines gemeinsamen europäischen sozialpolitischen Aktionsprogramms, das die „Humanisierung des Arbeitslebens“ fokussierte. All diese Programme stellten die Mitbestim-

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HACHTMANN, RÜDIGER 2015, Rationalisierung, Automatisierung, Digitalisierung, S. 123. BOUVIER, BEATRIX 2008, Sozialpolitik als Legitimationsfaktor?, S. 127. BOROWSKI, PETER 2002, Die DDR in den 1970er Jahren. Arbeitskreis Mitbestimmung bei der BDA, Wirtschaftliche Mitbestimmung und Freiheitliche Gesellschaft, S. 59; Wedgwood Benn, Anthony, Die Qualität des Lebens, S. 50f.; Diligenski, German, Sozialismus und Probleme der Zukunft, S. 169–199; Loderer, Eugen, Qualität des Lebens und Gewerkschaften, S. 246; Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Jahresbericht 1970/1971, S. 3; KASTE, HERMANN 1981, Arbeitgeber und Humanisierung der Arbeit, S. 69–81; Matthöfer, Hans, Humanisierung, S. 43ff. 20 HAUPT, HEINZ-GERHARD 2006, Politische Gewalt und Terrorismus, S. 66; SCHEIPER, Stephan: Der Wandel staatlicher Herrschaft in den 1960er/1970er Jahren, in: Terrorismus in der Bundesrepublik. Medien, Staat und Subkulturen in den 1970er Jahren, hrsg. v. Klaus WEINHAUER/Jörg REQUATE/Heinz-Gerhard HAUPT, Frankfurt am Main/New York 2006, S. 196f. 21 KASTE, HERMANN 1981, Arbeitgeber und Humanisierung der Arbeit, S. 85.

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mung oder die „Demokratisierung“ in den Mittelpunkt.22 Der Zusammenschluss der OECD-Staaten zu einer gemeinsamen Strategie für die „Humanisierung des Arbeitslebens“ bestätigt dies.23 Möglicherweise waren diese Bündnisse westlicher Staaten ebenso eine Reaktion auf die Systemkonkurrenz mit dem Sozialismus, der durch Wettbewerbsfähigkeit und wirtschaftliche Stärke eingedämmt werden und an Anziehungskraft verlieren sollte. Das bietet einen interessanten Anknüpfungspunkt für weitere Forschungen zur „Humanisierung des Arbeitslebens“. Gleichfalls vielversprechend wäre ein innerdeutscher Vergleich von „Humanisierungsbemühungen“ und deren Bedeutung zwischen der DDR und der BRD, denn innerhalb der DDR wurde in den 1970er Jahren die „Humanisierung des Arbeitslebens“ genauso propagiert, wie im Westen.24 Aus der Analyse des HdA-Programms geht hervor, dass von einem Scheitern insgesamt, aber auch auf Projektebene nicht gesprochen werden kann, obgleich nicht alle Ziele erreicht wurden. Insbesondere die direkte und erweiterte Mitbestimmung von Arbeitern im Betrieb gelang nicht. Zwar bot das Gestaltungsprojekt den Arbeitern mehr Handlungsspielraum, aber die betrieblichen Machtstrukturen konnten durch das Programm nicht aufgebrochen oder abgebaut werden. Ebenso ließen die strikte betriebliche Hierarchisierung und die Beharrungskraft eines bestimmten Arbeiterbildes der Vorgesetzten die Entfaltung des Kreativpotenzials und der Selbstverantwortung von Arbeitern nur begrenzt zu. Allerdings fügten sich auch einige Werker diesem Bild und den damit verbundenen Ordnungsvorstellungen. Ausschließlich die Mitbestimmungsrechte der Interessenvertretung der Arbeiter konnten durch das Betriebsverfassungsgesetz und das Mitbestimmungsgesetz nachhaltig gestärkt werden. Die Individualrechte des einzelnen Arbeiters und seine Selbstbestimmung ließ das Gesetz hingegen außer Acht – das Stellvertreterprinzip blieb weiterhin in Kraft. Außerdem gelang es nicht, die Bedürfnisse der Arbeiter nach einer anspruchsvolleren oder verantwortungsvolleren Tätigkeit mit den Anforderungen der Maschinen in Einklang zu bringen. Die Arbeiter hatten sich weiterhin an die neuen Produktionsprozesse und die Tätigkeitsvorgaben durch die neuen Technologien anzupassen, wie die Analyse zur Einführung der Industrieroboter bei VW verdeutlichte. Für die wenigsten Arbeiter in der Industrie wurde die vom Programm geforderte Höherqualifizierung und Tätigkeitserweiterung Realität. Das Ziel einer abwechslungsreichen, selbstbestimmten und erfül22 SCHUCHARDT, Wilgart: Beteiligung und Einflussnahme von Arbeitnehmern im Betrieb – ein Problem- und Diskussionsüberblick, in: Beteiligung als Element gewerkschaftlicher Arbeitspolitik. Erfahrungen aus Norwegen, Italien, Schweden und der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. v. Werner FRICKE, Bonn 1984, S. 13. 23 BArch, B 149/27879, Aktionsprogramm der Bundesregierung zur Erforschung und Entwicklung der Möglichkeiten zur Humanisierung des Arbeitslebens Oktober 1973, S. 2; KARRASCH, Arne: Sozialpolitik als Bestandteil des europäischen Integrationsprozesses, online: Universität Potsdam, [24.08.2018]. 24 Vgl. BUST-BARTELS, AXEL 1977, Humanisierung der Arbeit, S. 44 und S. 55; ZIMMERMANN, WOLFGANG 2002, Die industrielle Arbeitswelt der DDR, S. 276ff.; Zentralinstitut für Berufsbildung in der DDR (Hrsg.): Sozialistische Arbeitswissenschaften, Berlin (DDR) 1975, S. 93.

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lenden Tätigkeit blieb der Mehrzahl von ihnen auch nach dem HdA-Programm verwehrt. Daher überrascht die Einschätzung des eingangs zitierten Arbeiters sowie zahlreicher seiner Kollegen in den untersuchten HdA-Projekten nicht, welche die Humanisierung und damit ebenso das Programm als gescheitert ansahen. Die differenzierte Untersuchung des HdA-Programms ermöglicht es, seine konkreten Erfolge und sein punktuelles Scheitern aufzuzeigen. Damit liefert die Untersuchung ein umfassenderes Bild des ehrgeizigen Reformprogramms und trägt zu einer präziseren wirtschaftsgeschichtlichen Beschreibung der 1970er Jahre bei. So konnte etwa die Forschungsthese eines Strukturbruchs in den 1970er Jahren in der Analyse nicht nachgewiesen werden. Vielmehr kulminierten in den 1970er Jahren Veränderungen, die schon in den 1950er oder 1960er Jahren begannen und neue wurden angestoßen, welche vor allem in den 1980er Jahren ihre Wirkung entfalteten. Damit ist der Begriff eines „Bruchs“ nicht zutreffend – ein langfristiger Wandel mit Kulminationspunkt beschreibt den Prozess passender. Die Arbeit schließt sich folglich an die Strukturbruch-Kritik neuerer wirtschaftsgeschichtlicher Forschungen an.25 Die 1970er Jahre erscheinen in dieser Perspektive vielmehr als eine Übergangs- oder Scharnierzeit, in welcher einerseits der wirtschaftliche und gesellschaftliche Wandel vergangener Jahrzehnte sichtbarer wurde, etwa anhand der gestiegenen Qualifikationsanforderungen in den Betrieben und andererseits neue Entwicklungen begannen, wie die Flexibilisierung der Produktion oder die stärkere Individualisierung von Arbeit.26 Diese Individualisierung zeigte sich unter anderem darin, dass einzelne Arbeiter aufgrund der zunehmenden Automatisierung der Produktion, die häufig mit Einzelarbeit an Maschinen einherging, aus ihren Kollegenverbänden herausgelöst wurden. Charakteristisch für eine solche Übergangszeit sind Gleichzeitigkeiten und Parallelitäten. Die Analyse legt, ebenso wie andere aktuelle wirtschaftshistorische Forschungsarbeiten, dar, dass im Betrieb Teile des fordistisch-tayloristischen Produktionskonzeptes trotz der beginnenden Flexibilisierung der Produktion bis weit in die 1970er Jahre hinein fortbestanden.27 Dies zeigte sich etwa an der fortschreitenden Trennung von Hand- und Kopfarbeit oder der erweiterten Kontrolle der Arbeiter mittels neuer Technologien. Überdies trägt die historische, detaillierte Betrachtung des HdA-Programms dazu bei, die Wirtschaftsgeschichte der 1970er Jahre aufzuarbeiten. So konstatierte der Historiker Hartmut Berghoff etwa, dass die „Reaktion des Staates […] kreditfinanzierte Beschäftigungsprogramme aufzulegen“, wozu er das HdA-Programm zählte, „nur eine kurzfristige Lösung dar[stellte]“ und „sich langfristig als finanzpolitische Zeitbombe und wirtschaftspolitische Illusion 25 Vgl. UHL, KARSTEN 2014, Humane Rationalisierung?, S. 361; HACHTMANN, RÜDIGER 2011, Gewerkschaften und Rationalisierung, S. 197. 26 ARTUS, Ingrid: Mitbestimmung versus Rapport de force. Geschichte und Gegenwart betrieblicher Interessenvertretung im deutsch-französischen Vergleich, in: „Nach dem Strukturbruch“? Kontinuität und Wandel von Arbeitsbeziehungen und Arbeitswelt(en) seit den 1970er-Jahren, hrsg. v. Knud ANDRESEN/Ursula BITZEGEIO/Jürgen MITTAG, Bonn 2011, S. 241. 27 Vgl. UHL, KARSTEN 2014, Humane Rationalisierung?, S. 361; WISCHERMANN, CLEMENS 2003, Unternehmenskultur, Unternehmenskommunikation, Unternehmensidentität, S. 32.

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erwies.“28 Die Forschungsarbeit kann durch die Analyse des Programms diese Aussage differenzieren. Zwar war das HdA-Programm das bisher erste und teuerste Aktions- und Forschungsprogramm der Bundesregierung, aber verglichen mit anderen strukturpolitischen Fördermaßnahmen verfügte es über verhältnismäßig geringe Finanzmittel.29 Für diese beschränkte finanzielle Ausstattung erscheinen seine Erfolge, wie ein verbesserter Arbeitsschutz und seine Vermittlungsfunktion zum Ausgleich der industriellen Beziehungen durch die Vermeidung kostspieliger Streiks und Protestaktionen bemerkenswert. Letztlich leistete das HdAProgramm einen entscheidenden Beitrag, um die Krise der 1970er Jahre zu überwinden. Durch die Einbettung des Programms in die Wirtschaftsgeschichte der 1970er Jahre löst die Analyse es zudem aus seiner bisherigen begrenzten Einordnung als Teil der sozialliberalen Reformpolitik heraus.30 Somit erweitert die Untersuchung die Perspektiven auf das Programm. Obwohl sich die Forschungsarbeit auf ein Großunternehmen in der BRD der 1970er Jahre konzentriert, wird anhand des Vergleichs mit anderen unternehmensgeschichtlichen Untersuchungen dieses Zeitraums offensichtlich, dass VW als Fallbeispiel jenseits der spezifischen Unternehmensgeschichte vielfach ähnlichen Problemlagen oder Wandlungsprozessen unterworfen war, wie andere bundesdeutsche Betriebe in dieser Zeit.31 So zeigte die Analyse, dass VW gleichsam wie viele andere Großunternehmen mit der Wirtschaftskrise, den gesellschaftlichen Verwerfungen, neuen politischen Regelungen und Reformen, der Systemkonkurrenz mit dem Sozialismus in der DDR oder den Veränderungen der industriellen Beziehungen konfrontiert war. Daher ließen sich etwa der Zeitraum für die Einführung von neuen Produktionstechnologien und die daraus resultierenden Konsequenzen für die Arbeiter mit anderen Unternehmen wie Mannesmann vergleichen.32 Die Arbeit leistet damit einerseits einen Beitrag zur bundesdeutschen Wirtschaftsgeschichte insbesondere der 1970er Jahre und andererseits zur Geschichte der politisch-wirtschaftlichen Krisenbewältigung in Demokratien. Folglich kann 28 BERGHOFF, HARTMUT 2016, Moderne Unternehmensgeschichte, S. 242. 29 MÜLLER, STEFAN 2016, Humanisierung der Arbeitswelt 1.0, S. 267. 30 Vgl. BÖKENKAMP, GÉRARD 2010, Das Ende des Wirtschaftswunders, S. 58–64 und S. 108–112. 31 Vgl. Zum Niedergang der körperlichen Arbeit in der gesamten Industrie: HINDRICHS, Wolfgang: Der lange Abschied vom Malocher. Sozialer Umbruch in der Stahlindustrie und die Rolle der Betriebsräte von 1960 bis in die neunziger Jahre, Essen 2000; zur Einführung eines neuen Unfall- und Arbeitsschutzes: KLEINÖDER, Nina: Unternehmen und Sicherheit. Strukturen, Akteure und Verflechtungsprozesse im betrieblichen Arbeitsschutz der westdeutschen Eisen- und Stahlindustrie nach 1945 (Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Beihefte 234), Stuttgart 2015; zu Produktionsumstellungen und Veränderung der Arbeitsbedingungen: UHL, Karsten: Humane Rationalisierung? Die Raumordnung der Fabrik im fordistischen Jahrhundert, Bielefeld 2014; ANDRESEN, Knud/BITZEGEIO, Ursula/MITTAG, Jürgen (Hrsg.): „Nach dem Strukturbruch“? Kontinuität und Wandel von Arbeitsbeziehungen und Arbeitswelt(en) seit den 1970er-Jahren (Politik- und Gesellschaftsgeschichte 89), Bonn 2011. 32 KLEINÖDER, NINA 2012, Risikoregulierung am Arbeitsplatz, S. 174–184.

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die Untersuchung die Gründe für den eher friedvollen Verlauf des wirtschaftlichen Anpassungsprozesses in den industriellen Beziehungen der BRD, ähnlich wie in Schweden, im Vergleich zu anderen europäischen Ländern, etwa Großbritannien und Italien, erweitern und damit für die Komplexität ökonomischer Gestaltungsprozesse sensibilisieren.33 Es gelang den wirtschaftlichen und politischen Akteuren Kompromisse zu schließen, Ressourcen umzuverteilen, die industriellen Beziehungen durch erweiterte Mitbestimmungsrechte zu stärken und Konflikte als wichtiges Moment gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Veränderungen in das Wirtschaftssystem zu integrieren. Die im Vergleich zu anderen Ländern moderaten wirtschaftlichen Einschnitte, die relativ rasche, schrittweise Erholung der Konjunktur, wenn auch auf niedrigerem Niveau als in den Jahrzehnten zuvor und die Stabilität der Sozialpartnerschaft waren hierfür wichtige Faktoren.34 Außerdem konnten durch die historische Einbettung der Wirtschaftskrisen der 1970er Jahre in die Geschichte vorheriger Krisen, wie der zu Beginn der Weimarer Republik oder nach dem Zweiten Weltkrieg, trotz des jeweils spezifischen historischen Kontextes wichtige Elemente oder Parallelitäten für die erfolgreiche Überwindung dieser Krisen ermittelt werden. Die stückweise Erweiterung der Mitbestimmung und die immer wieder verhandelte und neugestaltete Sozialpartnerschaft stellten sich hierbei als essenzielle Faktoren heraus. Der größte Mehrwert dieser Analyse liegt allerdings im Schreiben einer neuen Geschichte der Arbeit. Durch die Verbindung zweier meist strikt getrennter Fachdisziplinen, der Unternehmensgeschichte und der Arbeitergeschichte, konnte sie neue Erkenntnisse generieren und diese für die Geschichte der Arbeit fruchtbar machen. Mithilfe dieses Schulterschlusses ist es möglich einerseits Arbeiter als handelnde Akteure im Unternehmen herauszustellen sowie ihren Einfluss sichtbar zu machen und andererseits Kooperation und Konflikt in unterschiedlichen Hierarchieebenen aufzuzeigen. Damit hebt die Untersuchung die Bedeutung von Arbeitern und ihrem Handeln für den Unternehmens- und gesamtwirtschaftlichen Erfolg der 1970er Jahre auch unabhängig ihrer Interessenvertretungen hervor. Sie erweitert hiermit perspektivisch die klassische Unternehmensgeschichte, die sich vorwiegend auf das Handeln der Unternehmensleitung konzentriert. Zudem befreit sich die Analyse von der älteren arbeitsgeschichtlichen Dichotomie von Kapital und Arbeit, da sie sowohl Kooperation als auch Konflikt als Gestaltungselemente der industriellen Beziehungen erfasst. Dadurch gelingt es der Untersuchung, aus dem angenommenen Kollektiv der Arbeiterklasse auszubrechen und 33 Vgl. Zur geringen Militanz der Arbeitskämpfe in der BRD: BERGHOFF, HARTMUT 2016, Moderne Unternehmensgeschichte, S. 241; zum Vergleich mit Schweden: LUND, REINHARDT 1985, Arbeitsbeziehungen in Skandinavien, S. 449–463; zum Vergleich mit GB, Italien und den USA: PRIGGE, Wolfgang-Ulrich: Großbritannien und USA, in: Handbuch der Arbeitsbeziehungen. Deutschland, Österreich, Schweiz, hrsg. v. Günter ENDRUWEIT u. a., Berlin 1985, S. 409–421; JENTSCH-MÜLLER, Walther: Frankreich und Italien, in: Handbuch der Arbeitsbeziehungen. Deutschland, Österreich, Schweiz, hrsg. v. Günter ENDRUWEIT u. a., Berlin 1985, S. 421–448. 34 METZ, RAINER 2001, Expansion und Kontraktion, S. 76f.; GÖBEL, STEFAN 2013, Die Ölpreiskrisen der 1970er Jahre, S. 550f.

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Binnendifferenzierungen innerhalb dieser Gruppe, etwa anhand von Alter, Herkunft, Geschlecht, aber auch anhand von Qualifikation herauszustellen. Dies offenbart, wie fruchtbar der Schulterschluss der beiden Fachdisziplinen wirken kann. Die Thematik der Gestaltung der Arbeitsbeziehungen in wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandlungsprozessen ist heute ebenso aktuell wie in den 1970er Jahren. Im Moment steht die BRD vor der Herausforderung, den Wandel von einer Dienstleistungsgesellschaft zu einer digitalen Arbeitsgesellschaft im globalen Wettbewerb zu meistern. Themen wie Senkung der Arbeitslosigkeit, Einführung neuer Produktionstechnologien, Verbesserung der Arbeitsbedingungen und Mitbestimmung sind aufgrund der zunehmenden Spaltung des Arbeitsmarktes infolge eklatanter Qualifikationsgefälle und ungleicher Vertragsverhältnisse, etwa der Leiharbeit, weiterhin hochbrisant und bergen gesellschaftliches Konfliktpotenzial. Ebenso bleibt die Frage nach der ausreichenden Interessenvertretung der Arbeitnehmer durch die Gewerkschaften, die Leiharbeiter oder Arbeiter mit Werkverträgen nicht miteinschließen, bestehen. Die Analyse offenbart, dass die Beschäftigtengruppe der Arbeiter sowohl durch den Wandel in den 1970er Jahren als auch durch die Digitalisierung keinesfalls verschwand.35 Folglich sollte der zweitgrößten Beschäftigtengruppe in der BRD und ihrer spezifischen Situation erneut mehr wissenschaftliche Aufmerksamkeit gewidmet werden. Die historische Auseinandersetzung mit wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umbruchsituationen und deren Lösungsversuchen, wie dem HdAProgramm, legt politische und wirtschaftliche Handlungsmöglichkeiten offen, um die aktuelle Krise erfolgreich zu überwinden und lässt vermeidbare Fehlerquellen erkennen. Einen solchen Anknüpfungspunkt stellt die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Unternehmen dar. So offenbarte sich sowohl in der Wirtschaftskrise zu Beginn der Weimarer Republik als auch in den Krisen der 1950er und 1970er Jahre, dass durch die Beförderung der Partizipation von Arbeitnehmern einerseits neues Kreativ- und Innovationspotenzial freigesetzt und andererseits die gesellschaftliche Stabilität erhalten werden konnte. Als mögliche Fehlerquellen indes erwiesen sich die von den Programmverfassern unterschätzte Beharrungskraft betrieblicher Machthierarchien und somit die unterlassene konsequente Einbindung und Schulung der betrieblichen Führungskräfte. Es stellte sich heraus, dass ein Umdenken in den Führungsetagen inklusive Betriebsrat und die Abgabe von Macht sowie Kontrolle nicht allein durch neue Gesetze oder Projekte zur Stärkung der Arbeitnehmerpartizipation im Unternehmen erreicht werden konnten. Vielmehr müssen die oberen Hierarchieebenen vom beidseitigen Gewinn dieser direkten Partizipation überzeugt sein. Die daraus entstehenden Vorteile, wie geringere Streikzahlen, seltenere Produktionsstillstände, ausbleibende Sabotage 35 Bundeszentrale für politische Bildung 2013, Zahlen und Fakten – Die soziale Situation in Deutschland,; Bundeszentrale für politische Bildung: Zahlen und Fakten – Die soziale Situation in Deutschland. Erwerbstätige nach Stellung im Beruf, online: Bundeszentrale für politische Bildung, [29.11.2018].

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und ein produktiveres Arbeitsklima, relativieren den Machtverlust der Führungskräfte. Darüber hinaus fehlt heute im Vergleich zu den 1970er Jahren der übergreifende politische und wirtschaftliche Konsens der Akteure für ehrgeizige Reformen und Gesetze. Dies mag wohl auch daran liegen, dass die BRD die Finanzund die sich daran anschließende Wirtschaftskrise ab 2008 relativ stabil überstand und deren Auswirkungen sich im Vergleich zu anderen europäischen Staaten in Grenzen hielten. So ist der wirtschaftliche und gesellschaftliche Druck, eine Einigung zu erzielen, im Vergleich zur Weimarer Republik, der Nachkriegszeit oder der umfassenden Krise in den 1970er Jahren möglicherweise (noch) nicht hoch genug. Die Analyse offenbarte jedoch, dass eine Krise nur erfolgreich überwunden werden kann, wenn möglichst viele Akteure an ihrer Bewältigung mitwirken – insbesondere die Gruppen, welche am meisten von ihr betroffen sind. In den 1970er Jahren infolge der fortschreitenden Automation und Einführung von Industrierobotern waren es wie bei der heutigen Digitalisierung und fortschreitenden Robotisierung der Produktion insbesondere die Arbeiter. Ihre Arbeitsplätze verändern sich durch neue Technologien immens oder entfallen gänzlich. Dennoch werden politische Wirtschaftsreformen meist über ihre Köpfe hinweg entschieden. Das HdA-Programm war ein historisch bis dahin einzigartiger Versuch Arbeiter direkt an der Krisenbewältigung zu beteiligen. Es ist ein Lehrstück darüber, wie Innovationen in Unternehmen gefördert oder gehemmt werden und welche Konflikte bei der Umgestaltung der Produktion durch neue Technologien entstehen können. Die historische Aufarbeitung des HdA-Programms liefert somit zahlreiche Anregungen für den heutigen Produktionswandel. So ist der Interessensausgleich im Unternehmen und in der Wirtschaft elementar, da die einseitige Belastung einer Gruppe durchaus weitreichende Folgen für den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Zusammenhalt haben kann. Ist der soziale Ausgleich in den Arbeitsbeziehungen zu gering und fehlt die Anerkennung für den Wert der Arbeit, könnte der gesellschaftliche Konflikt eskalieren. Dies sollte bei der Gestaltung neuer Arbeitsprogramme für die digitalisierte Wirtschaft bedacht werden.

6 ANHANG 6.1 ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS BDA BMFT BRD CMV DDR HdA IG Metall IR ÖPSZ RKW VW ZAG

Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände Bundesministerium für Forschung und Technologie Bundesrepublik Deutschland Christlicher Metaller-Verband Deutsche Demokratische Republik Humanisierung des Arbeitslebens Industriegewerkschaft Metall Industrieroboter Örtlicher Projektausschuss Salzgitter Rationalisierungs-Kuratorium der Deutschen Wirtschaft Volkswagen Zentralarbeitsgemeinschaft der industriellen und gewerblichen Arbeitgeber und Arbeitnehmer 6.2 QUELLENVERZEICHNIS Universitätsarchiv Heidelberg

Digitalisierte Tonbänder und Kassetten: Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ ÖPSZ erweiterte Planung 31.03.1975. Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ ÖPSZ 24.09.1975. Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ Gruppenfindung 23.10.1975 I und II. Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ Orientierung Gruppensprecher Nov. 1975. Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW ÖPSZ 20.11.1975 I. Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ Gruppensprecher und Planung 24.11.1975. Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ ProjektGruppengespräche 28.11.1975. Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW 16.01.1976. Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ ÖPSZ 06.02.1976.

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Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ ÖPSZ 20.02.1976 I und II. Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ ÖPSZ 27.02.1976 I und II. Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ ÖPSZ 05.03.1976 und G2 08.03.1976 I und II. Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ ÖPSZ 08.03.1976 II. Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G3 09.03.1976 I und II. Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 09.03.1976 II. Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G4 10.03.1976. Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ ÖPSZ 12.03.1976 I und II. Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZGruppengespräche G1 und G3 24.03.1976 I und II. Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G2 und G4 25.03.1976 I und II. Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ ÖPSZ 26.03.1976 I. Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1, G3, G4 und G2 08./09.04.1976 I, II, IV und V. Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ ÖPSZ 09.04.1976 I und II. Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G2, G4, G1 und G3 21./22.04.1976 I, II, III und IV. Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ ÖPSZ 23.04.1976 I. Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 und G2 05./06.05.1976 I und II. Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ ÖPSZ 07.05.1976. Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G3 spezial mit Muster und Betriebsrat Anlernen 11.05.1976 I und II. Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ ÖPSZ Besprechung 21.05.1976 I. Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ Gruppengespräche G4 und G3 24./25.05.1976 I und II. Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ Gruppengespräche 24./25.05.1976 II. Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G4 und G3 23.06.1976 I. Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G4 und G1 23.06.1976 II. Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G3 und G2 24.06.1976 II. Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 und G2 12.08.1976. Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G4 und G2 26.08.1976 I und II.

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Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 und Vorgespräch 27.08.1976 I und II. Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 und G3 07./08.09.1976 I und II. Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G4 und G2 am 07./08.09.1976 I und II. Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G2 und G4 22.09.1976 I und II. Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 und G3 23.09.1976 I und II. Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G3 und G4 07.10.1976 I und II. Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 und G2 07.10.1976 I. Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G2 27.10.1976 I. Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 und G4 28.10.1976 II. Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G3 29.10.1976 I und II. Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G1 und G3 09./10.11.1976 I und II. Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G2 und G4 10.11.1976 I und II. Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G2 und G1 23.11.1976 I und II. Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ G4 und G3 23./24.11.1976 I und II. Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat VW-SZ alle Gruppen nach GIAT 30.03.1977. Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat G3 nach GIAT 30.03.1977. Universitätsarchiv Heidelberg Projekt Gruppenarbeit bei VW Digitalisat Probleme Wissenschaftler II.

Soziologisches Forschungsinstitut Göttingen Dokumente: SOFI Göttingen IR-Projekt Ordner 11 Jahresbericht 1977 Produktion Werk Wolfsburg RohbauUntergruppen II. SOFI Göttingen IR-Projekt Ordner 12 BR Kontakt – Aktuelle Informationen des Gesamtbetriebsrats der Volkswagen AG: Arbeitsplätze humaner gestalten, (09/1980), S. 1–2. SOFI Göttingen IR-Projekt Ordner 12 BR Kontakt – Aktuelle Informationen des Gesamtbetriebsrates der Volkswagen AG: Rationalisierung gefährdet Arbeitsplätze, (06/1983), S. 1. SOFI Göttingen IR-Projekt Ordner 12 BR Kontakt – Aktuelle Informationen des Gesamtbetriebsrates der Volkswagen AG: Neue Fertigung kostet Arbeitsplätze, (07/1983), S. 4. SOFI Göttingen IR-Projekt Ordner 12 BR Kontakt – Aktuelle Informationen des Gesamtbetriebsrates der Volkswagen AG: Neue Technik vernichtet Arbeitsplätze, (08/1984), S. 4. SOFI Göttingen IR-Projekt Ordner 20 Leitfaden für Arbeiterinterviews August 1977. SOFI Göttingen IR-Projekt Ordner 26 VW-Broschüre „Arbeiten bei VW“ 1975.

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SOFI Göttingen IR-Projekt Ordner 32 BR Kontakt – Aktuelle Informationen des Gesamtbetriebsrats der Volkswagen AG: Die Arbeitsplätze müssen menschengerechter werden, (04/1978), S. 2. Digitalisierte Interviews: eLabour-SOFI-IR01_001_002.pdf Gespräch mit Vorarbeiter aus dem Presswerk am 13.09.1977. eLabour-SOFI-IR01_001_006.pdf Gespräch mit Meister aus der Blechzuschneiderei am 12.09.1977. eLabour-SOFI-IR01_001_007.pdf Gespräch mit Meister aus dem Presswerk am 14.09.1977. eLabour-SOFI-IR01_001_009.pdf Gespräch mit Unterabteilungsleiter aus dem Presswerk am 15.09.1977. eLabour-SOFI-IR01_001_012.pdf Gespräch mit Meister aus dem Presswerk am 07.09.1977. eLabour-SOFI-IR01_001_013.pdf Gespräch mit Unterabteilungsleiter aus dem Presswerk am 15.09.1977. eLabour-SOFI-IR01_001_014.pdf Gespräch mit Hauptabteilungsleiter des Presswerks am 06.09.1977. eLabour-SOFI-IR01_001_016.pdf Gespräch mit Abteilungsleiter aus dem Presswerk am 14.12.1977. eLabour-SOFI-IR01_001_021.pdf Gespräch mit Betriebsrat aus dem Presswerk am 08.09.1977. eLabour-SOFI-IR01_001_022.pdf Gespräch mit Vertrauensleuten aus dem Presswerk am 27.09.1977. eLabour-SOFI-IR01_001_024.pdf Gespräch mit Abteilungsleiter und mit Unterabteilungsleiter aus dem Rohbau am 21.09.1977. eLabour-SOFI-IR01_001_026.pdf Gespräch mit Abteilungsleiter aus dem Rohbau am 08.08.1977. eLabour-SOFI-IR01_001_028.pdf Gespräch mit Meister aus dem Untergruppenrohbau am 19.09.1977. eLabour-SOFI-IR01_001_029.pdf Gespräch mit Meister aus dem Untergruppenrohbau am 16.09.1977. eLabour-SOFI-IR01_001_037.pdf Gespräch mit Abteilungsleiter aus der Vorplanung Rohbau am 22.06.1977. eLabour-SOFI-IR01_001_056.pdf Gespräch mit Betriebsrat aus der Gießerei am 18.10.1977. eLabour-SOFI-IR01_001_066.pdf Gespräch mit Leiter der Abteilung Elektroplanung und designierter Hauptabteilungsleiter der Elektrobetriebe am 21.11.1978. eLabour-SOFI-IR01_001_073.pdf Gespräch mit Abteilungsleiter aus der Kabelfertigung am 21.11.1977. eLabour-SOFI-IR01_001_079.pdf Gespräch mit Abteilungsleiter aus den Montagen am 08.11.1978. eLabour-SOFI-IR01_001_096.pdf Gespräch mit Hauptabteilungsleiter der Elektrobetriebe am 01.06.1977. eLabour-SOFI-IR01_001_097.pdf Gespräch mit Hauptabteilungsleiter der Standardabteilung am 23.06.1977. eLabour-SOFI-IR01_001_102.pdf Gespräch mit einer nicht spezifizierten Führungskraft am 01.12.1977. eLabour-SOFI-IR01_003_002.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Presswerk, 54 Jahre am 28.09.1977. eLabour-SOFI-IR01_003_003.pdf Gespräch mit Einleger aus Presswerk, 41 Jahre am 26.09.1977. eLabour-SOFI-IR01_003_004.pdf Gespräch mit Maschinenbedienerin aus dem Presswerk, o. A. am 08.09.1977. eLabour-SOFI-IR01_003_005.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Presswerk, 55 Jahre am 28.09.1977. eLabour-SOFI-IR01_003_006.pdf Gespräch mit Arbeiterin aus dem Presswerk, 48 Jahre am 08.09.1977.

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eLabour-SOFI-IR01_003_007.pdf Gespräch mit italienischem Arbeiter aus dem Presswerk, 38 Jahre am 12.09.1977. eLabour-SOFI-IR01_003_008.pdf Gespräch mit italienischem Arbeiter aus dem Presswerk, 27 Jahre am 12.09.1977. eLabour-SOFI-IR01_003_009.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Presswerk, 39 Jahre am 06.09.1977. eLabour-SOFI-IR01_003_010.pdf Gespräch mit Einleger aus dem Presswerk, 50 Jahre am 26.09.1977. eLabour-SOFI-IR01_003_014.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Untergruppenrohbau, 35 Jahre am 11.10.1977. eLabour-SOFI-IR01_003_015.pdf Gespräch mit Arbeiter aus Halle 18, o. A. am 16.09.1977. eLabour-SOFI-IR01_003_016.pdf Gespräch mit CO2-Schweißer aus dem Rohbau, o. A. am 11.10.1977. eLabour-SOFI-IR01_003_017.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Untergruppenrohbau, 47 Jahre am 12.09.1977. eLabour-SOFI-IR01_003_018.pdf Gespräch mit Arbeiter aus der Hinterachsenfertigung, 44 Jahre am 16.09.1977. eLabour-SOFI-IR01_003_019.pdf Gespräch mit Abstapler aus Halle 18, o. A. am 12.09.1977. eLabour-SOFI-IR01_003_020.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Untergruppenrohbau, 36 Jahre o. D. eLabour-SOFI-IR01_003_021.pdf Gespräch mit Arbeiter aus Halle 18, o. A. und o. D. eLabour-SOFI-IR01_003_022.pdf Gespräch mit Arbeiter aus Halle 18, o. A. am 15.09.1977. eLabour-SOFI-IR01_003_023.pdf Gespräch mit Arbeiter aus Halle 18, 25 Jahre am 19.09.1977. eLabour-SOFI-IR01_003_024.pdf Gespräch mit Nacharbeiter aus dem Untergruppenrohbau, 43 Jahre am 25.10.1977. eLabour-SOFI-IR01_003_025.pdf Gespräch mit Springer aus Halle 18, 50 Jahre am 12.09.1977. eLabour-SOFI-IR01_004_004.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Presswerk, o. A. am 12.09.1977. eLabour-SOFI-IR01_004_006.pdf Gespräch mit Arbeiterin aus dem Rohbau, 40 Jahre am 10.10.1977. eLabour-SOFI-IR01_004_007.pdf Gespräch mit Arbeiter aus Halle 18, o. A. am 15.09.1977. eLabour-SOFI-IR01_004_008.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Rohbau, 52 Jahre am 04.10.1977. eLabour-SOFI-IR01_004_009.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Rohbau, 25 Jahre am 13.10.1977. eLabour-SOFI-IR01_004_010.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Rohbau, 38 Jahre am 21.10.1977. eLabour-SOFI-IR01_004_011.pdf Gespräch mit Arbeiterin aus dem Untergruppenrohbau, 38 Jahre o. D. eLabour-SOFI-IR01_004_12.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Karosserierohbau, 47 Jahre am 11.10.1977. eLabour-SOFI-IR01_004_014.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Untergruppenrohbau, 45 Jahre am 07.10.1977. eLabour-SOFI-IR01_004_015.pdf Gespräch mit Einleger aus dem Rohbau, o. A. am 05.10.1977. eLabour-SOFI-IR01_004_016.pdf Gespräch mit Einleger aus dem Rohbau, o. A. am 26.10.1977. eLabour-SOFI-IR01_004_017.pdf Gespräch mit Punktschweißer aus dem Rohbau, o. A. am 04.10.1977. eLabour-SOFI-IR01_004_018.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Rohbau, 44 Jahre am 13.10.1977. eLabour-SOFI-IR01_004_019.pdf Gespräch mit Straßenführer aus Halle 4, 50 Jahre am 24.10.1977.

Anhang

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eLabour-SOFI-IR01_004_020.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Untergruppenrohbau, 50 Jahre am 22.09.1977. eLabour-SOFI-IR01_004_021.pdf Gespräch mit Nacharbeiter aus Halle 18, o. A. am 12.09.1977. eLabour-SOFI-IR01_004_022.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Rohbau, 28 Jahre am 12.10.1977. eLabour-SOFI-IR01_004_023.pdf Gespräch mit Einlegerin aus dem Untergruppenrohbau, 42 Jahre am 10.10.1977. eLabour-SOFI-IR01_004_024.pdf Gespräch mit Maschinenführer aus dem Untergruppenrohbau, 34 Jahre am 14.09.1977. eLabour-SOFI-IR01_004_026.pdf Gespräch mit Straßenführer aus dem Rohbau, o. A. am 07.10.1977. eLabour-SOFI-IR01_004_027.pdf Gespräch mit Inspekteur aus der Gießerei, 46 Jahre am 20.10.1977. eLabour-SOFI-IR01_004_028.pdf Gespräch mit Arbeiter aus der Gießerei, 43 Jahre am 20.10.1977. eLabour-SOFI-IR01_004_029.pdf Gespräch mit Arbeiter aus der Gießerei, 43 Jahre am 14.10.1977. eLabour-SOFI-IR01_004_030.pdf Gespräch mit Arbeiter aus der Gießerei, 45 Jahre am 17.10.1977. eLabour-SOFI-IR01_004_031.pdf Gespräch mit Arbeiter aus der Gießerei, 40 Jahre am 14.10.1977. eLabour-SOFI-IR01_004_032.pdf Gespräch mit Arbeiter aus der Gießerei, 33 Jahre am 20.10.1977. eLabour-SOFI-IR01_004_033.pdf Gespräch mit Maschinenführer aus dem Rohbau, o. A. am 17.10.1977. eLabour-SOFI-IR01_004_035.pdf Gespräch mit Springer aus der Lackiererei, 43 Jahre am 29.11.1977. eLabour-SOFI-IR01_004_037.pdf Gespräch mit Arbeiter aus der Lackiererei, 35 Jahre o. D. eLabour-SOFI-IR01_005_002.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Kleinpresswerk, 52 Jahre am 22.09.1977. eLabour-SOFI-IR01_005_003.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Presswerk, o. A. am 08.09.1977. eLabour-SOFI-IR01_005_004.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Presswerk, o. A. am 14.09.1977. eLabour-SOFI-IR01_005_005.pdf Gespräch mit Maschinenbediener aus dem Kleinpresswerk, o. A. und o. D. eLabour-SOFI-IR01_005_006.pdf Gespräch mit Maschinenbedienerin aus dem Kleinpresswerk, o. A. am 22.09.1977. eLabour-SOFI-IR01_005_007.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Presswerk, 55 Jahre am 09.09.1977. eLabour-SOFI-IR01_005_008.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Presswerk, 41 Jahre am 02.09.1977. eLabour-SOFI-IR01_005_009.pdf Gespräch mit Arbeiterin aus dem Presswerk, 52 Jahre am 12.09.1977. eLabour-SOFI-IR01_005_012.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Presswerk, o. A. am 08.09.1977. eLabour-SOFI-IR01_005_014.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Presswerk, 21 Jahre am 13.09.1977. eLabour-SOFI-IR01_005_015.pdf Gespräch mit Arbeiterin aus dem Kleinpresswerk, 36 Jahre am 23.09.1977. eLabour-SOFI-IR01_005_016.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Presswerk, o. A. am 13.09.1977.

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eLabour-SOFI-IR01_005_017.pdf Gespräch mit Punktschweißer aus dem Rohbau, 41 Jahre am 19.10.1977. eLabour-SOFI-IR01_005_018.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Untergruppenrohbau, 49 Jahre am 12.10.1977. eLabour-SOFI-IR01_005_019.pdf Gespräch mit Maschinenführer aus dem Untergruppenrohbau, 53 Jahre am 28.09.1977. eLabour-SOFI-IR01_005_020.pdf Gespräch mit Punktschweißer aus dem Untergruppenrohbau, 46 Jahre am 27.09.1977. eLabour-SOFI-IR01_005_021.pdf Gespräch mit Punktschweißer aus Karosserierohbau, 35 Jahre am 25.10.1977. eLabour-SOFI-IR01_005_024.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Karosserierohbau, 29 Jahre am 05.10.1977. eLabour-SOFI-IR01_005_026.pdf Gespräch mit Reparaturmann aus dem Rohbau am 18.10.1977. eLabour-SOFI-IR01_005_027.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Rohbau, o. A. am 24.10.1977. eLabour-SOFI-IR01_005_031.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Rohbau, 34 Jahre am 21.10.1977. eLabour-SOFI-IR01_005_032.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Rohbau, 39 Jahre am 13.10.1977. eLabour-SOFI-IR01_006_002.pdf Gespräch mit Arbeiter aus der Gießerei, 40 Jahre am 24.10.1977. eLabour-SOFI-IR01_006_004.pdf Gespräch mit Kerneeinleger aus der Gießerei, 50 Jahre am 26.10.1977. eLabour-SOFI-IR01_006_006.pdf Gespräch mit Arbeiter aus der Gießerei, 41 Jahre am 25.10.1977. eLabour-SOFI-IR01_006_007.pdf Gespräch mit Maschinenbediener aus der Gießerei, 46 Jahre am 26.10.1977. eLabour-SOFI-IR01_006_008.pdf Gespräch mit Maskenfahrer aus der Gießerei, 43 Jahre am 20.10.1977. eLabour-SOFI-IR01_006_009.pdf Gespräch mit Arbeiterin aus der Kunststoffteilefertigung, 29 Jahre am 27.10.1977. eLabour-SOFI-IR01_006_010.pdf Gespräch mit Arbeiter aus der Kunststoffteilefertigung, 50 Jahre am 27.10.1977. eLabour-SOFI-IR01_006_014.pdf Gespräch mit Lackierer aus Halle 12, o. A. am 29.11.1977. eLabour-SOFI-IR01_006_015.pdf Gespräch mit PVC-Unterbodenschutzspritzer aus der Lackiererei, 52 Jahre am 30.11.1977. eLabour-SOFI-IR01_006_017.pdf Gespräch mit Arbeiter aus der Endmontage, 20 Jahre am 16.02.1978. eLabour-SOFI-IR01_006_019.pdf Gespräch mit Arbeiterin aus der Vormontage, 46 Jahre am 15.12.1977. eLabour-SOFI-IR01_006_020.pdf Gespräch mit Arbeiterin an der Montagelinie, 27 Jahre am 15.12.1977. eLabour-SOFI-IR01_006_021.pdf Gespräch mit Himmeleinzieher aus der Endmontage, o. A. am 15.12.1977. eLabour-SOFI-IR01_007_003.pdf Gespräch mit Arbeiter aus der Endmontage, 42 Jahre o. D. eLabour-SOFI-IR01_007_005.pdf Gespräch mit Beanstander aus der Endmontage, 41 Jahre o. D. eLabour-SOFI-IR01_007_007.pdf Gespräch mit Arbeiterin aus der Endmontage, 26 Jahre o. D. eLabour-SOFI-IR01_007_008.pdf Gespräch mit Arbeiterin aus der Vormontage, 33 Jahre o. D. eLabour-SOFI-IR01_007_009.pdf Gespräch mit Springer aus der Endmontage, 37 Jahre o. D. eLabour-SOFI-IR01_007_012.pdf Gespräch mit Arbeiter aus der Endmontage, 40 Jahre o. D. eLabour-SOFI-IR01_007_013.pdf Gespräch mit Bereitsteller aus der Montage, o. A. und o. D. eLabour-SOFI-IR01_007_014.pdf Gespräch mit Arbeiter aus dem Untergruppenrohbau, 21 Jahre o. D.

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eLabour-SOFI-IR01_007_015.pdf Gespräch mit Kettenanhänger aus dem Rohbau, 29 Jahre o. D. eLabour-SOFI-IR01_007_019.pdf Gespräch mit Kettenbestücker aus dem Untergruppenrohbau, 56 Jahre o. D. eLabour-SOFI-IR01_007_020.pdf Gespräch mit Lackierer aus Halle 9, 44 Jahre o. D. eLabour-SOFI-IR01_007_026.pdf Gespräch mit Lackspritzer aus Halle 9, 42 Jahre o. D. eLabour-SOFI-IR01_007_027.pdf Gespräch mit Facharbeiter der Straße 8, 50 Jahre o. D. eLabour-SOFI-IR01_009_027.pdf Gespräch mit Abteilungsleiter der Projekt- und Wirtschaftlichkeitsberechnung aus dem Bereich der Technischen Betriebswirtschaft am 21.02.1978. eLabour-SOFI-IR01_009_030.pdf Gespräch mit Abteilungsleiter aus der Fertigungsplanung Rohbau am 21.02.1978. eLabour-SOFI-IR01_009_032.pdf Gespräch mit Abteilungsleiter Vorplanung Rohbau am 13.12.1977. eLabour-SOFI-IR01_009_033.pdf Gespräch mit Hauptabteilungsleiter der Elektrobetriebe am 01.06.1977. eLabour-SOFI-IR01_009_035.pdf Gespräch mit Leiter der Abteilung Vorplanung Rohbau am 22.06.1977.

Institut für Sozialforschung Frankfurt IfS Frankfurt A 117 Ordner 3 DFVLR – Leiter der Projektträgerschaften Humanisierung des Arbeitslebens und Produktions- und Fertigungstechnik: Förderungsmaßnahmen des Bundesministers für Forschung und Technologie im Rahmen des Programms „Humanisierung des Arbeitslebens“ Stand 01. Januar 1978. IfS Frankfurt A 117 Ordner 6 Papier zum Problem der Gruppengespräche. IfS Frankfurt A 117 Ordner 6 Papier zu Themenbereichen für die Gruppendiskussionen bei VWHannover und zum Problem der Gruppengespräche. IfS Frankfurt A 117 Ordner 6 Gruppengespräch am 05.12.1978. IfS Frankfurt A 117 Ordner 6 Gruppengespräch am 06.12.1978. IfS Frankfurt A 117 Ordner 6 Gruppengespräch am 07.12.1978. IfS Frankfurt A 117 Ordner 6 Gruppengespräch am 20.05.1980. IfS Frankfurt A 117 Ordner 6 Gruppengespräch am 21.05.1980. IfS Frankfurt A 117 Ordner 6 Gruppengespräch am 22.05.1980. IfS Frankfurt A 117 Ordner 6 Gruppendiskussion am 20./21./22.05.1980. IfS Frankfurt A 117 Ordner 7 Gespräch mit Werksleiter o. D. IfS Frankfurt A 117 Ordner 7 Gespräch mit Leiter des Rohbaus o. D. IfS Frankfurt A 117 Ordner 7 Gespräch mit Personalleiter o. D. IfS Frankfurt A 117 Ordner 7 Gespräch mit Leiter der Instandhaltung Elektrobetriebe Teil I und Teil II o. D. IfS Frankfurt A 117 Ordner 7 Gespräch mit Stellvertreter der Rohbauleitung am 29.11.1978. IfS Frankfurt A 117 Ordner 7 Gespräch mit Leiter der Qualitätssicherung am 29.11.1978. IfS Frankfurt A 117 Ordner 7 Gespräch mit Werksarzt am 30.11.1978. IfS Frankfurt A 117 Ordner 7 Gespräch mit Betriebsratsvorsitzendem am 01.12.1978. IfS Frankfurt A 117 Ordner 7 Gespräch mit Betriebsräten aus dem Rohbau am 08.12.1978. IfS Frankfurt A 117 Ordner 8 Gespräch mit Leitung des Sozial- und Personalwesens am 21.04.1980. IfS Frankfurt A 117 Ordner 8 Gespräch mit Mitarbeiter des Qualitätswesens am 22.04.1980. IfS Frankfurt A 117 Ordner 8 Gespräch mit Abteilungsleiter im Nutzfahrzeugbau am 22.04.1980. IfS Frankfurt A 117 Ordner 8 Gespräch mit Betriebsrat am 23.04.1980. IfS Frankfurt A 117 Ordner 8 Gespräch mit Leiter des Rohbaus am 24.04.1980. IfS Frankfurt A 117 Ordner 8 Gespräch mit Mitarbeiter der Instandhaltung am 25.04.1980. IfS Frankfurt A 117 Ordner 8 Gespräch mit Werksleitung am 25.04.1980.

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Bundesarchiv Koblenz BArch, B 149/27879, Aktionsprogramm der Bundesregierung zur Erforschung und Entwicklung der Möglichkeiten zur Humanisierung des Arbeitslebens Oktober 1973. BArch, B 149/27879, Forschungsaktionsprogramm zur Humanisierung des Arbeitslebens Februar 1974. BArch, B 149/41675, Forschung zur Humanisierung des Arbeitslebens. BArch, B 196/31215, Protokoll der konstituierenden Sitzung des Fachausschusses „Humanisierung des Arbeitslebens“ am 09.07.1975 in Bonn. BArch, B 196/57424, Entwurf eines Konzeptes zur Bewertung und Auswahl von Fördervorhaben im Rahmen des Programms „Neue Technologien“ des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft vom 24.09.1970. BArch, B 196/107951, Programm Fertigungstechnik 1984–87 der Bundesregierung vom 26.08.1983. BArch, B 196/127493, Programm „Humanisierung des Arbeitslebens“ – Anhörung im FTAusschuß am 11.10.1982. BArch, B 228/7649, Projekt zur Entwicklung keramischer Turbinenbauteile für Autogasturbinen bei VW Wolfsburg.

Unternehmensarchiv VW Wolfsburg UVW, Z 119, Nr. 22/2 Protokoll der Betriebsratssitzung am 15.12.1961 in Wolfsburg. UVW, Z 119, Nr. 91/1 Protokoll von der Besprechung zwischen Vorstand und Gesamtbetriebsausschuss am 05.03.1981. UVW, Z 119, Nr. 1259/1 Protokoll der Betriebsversammlung am 17.12.1973 in Wolfsburg. UVW, Z 373, Nr. 411/3 Protokoll der Betriebsversammlung am 31.03.1977 in Wolfsburg. UVW, Z 373, Nr. 412/2 Protokoll der Betriebsversammlung am 27.03.1979 in Wolfsburg. UVW, Z 373, Nr. 421/2 Protokoll der Betriebsversammlung am 27.03.1979 in Wolfsburg. UVW, Z 652, Nr. 103/1 „Wir Metaller“ im Volkswagenwerk Hannover Informationen der IG Metall: Eine humane Idee, Juli 1980, S. 2. UVW, Z 652, Nr. 103/2 „Wir Metaller“ im Volkswagen-Konzern Nachrichtenblatt für die Mitglieder der IG-Metall: Humanisierung nicht mit der linken Hand, 1976, S. 4. UVW, Z 652, Nr. 103/2 „Wir Metaller“ im Volkswagenwerk Wolfsburg Informationen der IG Metall: 19 Millionen DM für Forschungsprojekte bei VW, Juli 1976, S. 2.

Stadtarchiv Wolfsburg Druckschriftensammlung: StA WOB: Wolfsburger Nachrichten: Mit Bonner Hilfe wird bei VW-Salzgitter Motorenmontage in der Gruppenarbeit erprobt, 01.04.1976, S. 9. StA WOB: Autogramm – Mitarbeiter-Zeitung der Volkswagenwerk Aktiengesellschaft Wolfsburg: Der Mensch muß im Mittelpunkt stehen, 28.04.1976, 6. JG Nr. 2, S. 1–3. StA WOB: Wolfsburger Nachrichten: Forschen nach humanen Arbeitsplätzen. Matthöfer besucht VW-Werk Salzgitter – 18 Forschungsprojekte mit 125 Millionen, 01.07.1976, S. 3. StA WOB: Autogramm – Mitarbeiter-Zeitung der Volkswagenwerk Aktiengesellschaft Wolfsburg: Humanisierung der Arbeitswelt, 14.07.1978, 8. JG Nr. 7, S. 8–9. StA WOB: Autogramm – Mitarbeiter-Zeitung der Volkswagenwerk Aktiengesellschaft Wolfsburg: Die Technik wird dem Menschen angepasst, 16.07.1979, 9. JG Nr. 8, S. 5–6.

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Gedruckte Quellen Arbeitskreis Mitbestimmung bei der BDA: Wirtschaftliche Mitbestimmung und Freiheitliche Gesellschaft. Stellungnahme des Arbeitskreises Mitbestimmung bei der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände zu den gewerkschaftlichen Forderungen, Köln 21966. BetrVG 1972 §. Brandt, Willy: Regierungserklärung vor dem Deutschen Bundestag am 28.10.1976, in: Die großen Regierungserklärungen der deutschen Bundeskanzler von Adenauer bis Schröder, hrsg. v. Klaus Stüwe, Opladen 2002, S. 161–180. Brenner, Otto: Automation und technischer Fortschritt in der Bundesrepublik, in: Automation – Risiko und Chance. Beiträge zur zweiten internationalen Arbeitstagung der Industriegewerkschaft Metall für die Bundesrepublik über Rationalisierung, Automatisierung und technischen Fortschritt 16. bis 19. März 1965 in Oberhausen, hrsg. v. Günter Friedrichs (Bd. 1), Frankfurt am Main 1965, S. 15–30. Brenner, Karsten: Humanressourcen und Weiterbildungspolitik der OECD, in: Technischer Wandel und Qualifizierung: Die neue Synthese, hrsg. v. Peter Meyer-Dohm, Frankfurt am Main u. a. 1987, S. 33–40. Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung/Bundesminister für Forschung und Technologie: Forschung zur Humanisierung des Arbeitslebens. Aktionsprogramm des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung und des Bundesministeriums für Forschung und Technologie, Bonn 1974. Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (Hrsg.): Gedanken zur sozialen Ordnung, Köln 1953. Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände: Jahresbericht 1952/1953. Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände: Jahresbericht 1953/1954. Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände: Jahresbericht 1970/1971. Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände: Jahresbericht 1973/1974. Cattepoel, Dirk: Die gesellschaftsordnende Aufgabe des modernen Betriebes, in: Bundesarbeitsblatt, Nr. 11 (1955), S. 442–443. Diligenski, German: Sozialismus und Probleme der Zukunft, in: Qualität des Lebens. Aufgabe Zukunft; Beiträge zur 4. internationalen Arbeitstagung der Industriegewerkschaft Metall für die Bundesrepublik Deutschland 11.–14.04.1972 in Oberhausen, hrsg. v. Günter Friedrichs, Frankfurt am Main 1972, S. 169–199. Friedrichs, Günter (Hrsg.): Automation und technischer Fortschritt in Deutschland und den USA; Ausgewählte Beiträge zu einer internationalen Arbeitstagung der Industriegewerkschaft Metall für die Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt am Main 1963. Friedrichs, Günter (Hrsg.): Automation: Risiko und Chance. Beiträge zur zweiten internationalen Arbeitstagung der Industriegewerkschaft Metall für die Bundesrepublik über Rationalisierung, Automatisierung und technischen Fortschritt 16. bis 19. März 1965 in Oberhausen (2 Bd.), Frankfurt am Main 1965. Friedrichs, Günter (Hrsg.): Qualität des Lebens. Aufgabe Zukunft; Beiträge zur 4. internationalen Arbeitstagung der Industriegewerkschaft Metall für die Bundesrepublik Deutschland 11.– 14.04.1972 in Oberhausen, Frankfurt am Main 1972. Heilbronner, Robert: Hat der Kapitalismus eine Zukunft?, in: Qualität des Lebens. Aufgabe Zukunft; Beiträge zur 4. internationalen Arbeitstagung der Industriegewerkschaft Metall für die Bundesrepublik Deutschland 11.–14.04.1972 in Oberhausen, Frankfurt am Main 1972, S. 146–168. Industriegewerkschaft Metall für die Bundesrepublik: „Maschinen wollen sie – und Menschen nicht“, Frankfurt am Main 1983. Loderer, Eugen: Krise in Wirtschaft und Gesellschaft – eine gewerkschaftliche Stellungnahme, in: Krise und Reform der Industriegesellschaft. Protokoll der IG-Metall Tagung vom

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17.–19. Mai 1976 in Köln (Bd. 2), hrsg. v. Vorstand der IG Metall, Frankfurt am Main/Köln 1972, S. 13–22. Loderer, Eugen: Qualität des Lebens und Gewerkschaften, in: Qualität des Lebens. Aufgabe Zukunft; Beiträge zur 4. internationalen Arbeitstagung der Industriegewerkschaft Metall für die Bundesrepublik Deutschland 11.–14.04.1972 in Oberhausen, hrsg. v. Günter Friedrichs, Frankfurt am Main 1972, Frankfurt am Main 1972, S. 244–255. Marx, Karl/Zehnpfennig, Barbara: Ökonomisch-philosophische Manuskripte, Hamburg 2005. Matthöfer, Hans: Humanisierung der Arbeit und Produktivität in der Industriegesellschaft (Demokratischer Sozialismus in Theorie und Praxis), Frankfurt am Main 1977. Meyer-Dohm, Peter (Hrsg.): Technischer Wandel und Qualifizierung: Die neue Synthese (Schriftenreihe Humanisierung des Arbeitslebens 90), Frankfurt am Main u. a. 1987. Mitteilungen des Bundesverbands der Deutschen Industrie: Entschließung des 2. internationalen Industriellenkongresses, Nr. 6 (1954). Möller, Edmund: Bleibt die Humanisierung im Nest, in: Der Gewerkschafter – Monatszeitschrift für die Funktionäre der IG-Metall, Nr. 1 (1977), S. 6–9. O. A.: „Selbstbedienungsladen der Großindustrie“. Bonn verplempert Millionen für umstrittene Forschungsprojekte, in: Der Spiegel, 10.01.1977, S. 55–60. O. A.: „Uns steht eine Katastrophe bevor“, in: Der Spiegel, 17.04.1978, S. 80–100. O. A.: Zukunft in menschenleeren Hallen. Personal-Denkspiele im Volkswagen-Konzern, in: Der Spiegel, 28.05.1984, S. 18. O. A.: Weiterbildung für wen?, in: Handelsblatt Nr. 33, 08.08.1986, S. 7. Schindler, Rudolf: Das Problem der Berufsauslese für die Industrie (Auftragsarbeit des RKW) Jena 1929. Schütze, Hans: Das OECD-Forschungsprogramm „Entwicklung und Einsatz von Humanressourcen im Zusammenhang mit strukturellem und technischem Wandel“, in: Technischer Wandel und Qualifizierung: Die neue Synthese, hrsg. v. Peter Meyer-Dohm, Frankfurt am Main u. a. 1987, S. 41–59. Vetter, August: Der Mensch im Umbruch unserer Zeit, Heidelberg 1952. Vetter, Heinz Oskar: Referat, in: Humanisierung der Arbeit als gesellschaftspolitische und gewerkschaftliche Aufgabe. Protokoll der Konferenz des Deutschen Gewerkschaftsbundes vom 16.–17.05.1974 in München, hrsg. v. Heinz Oskar Vetter, Frankfurt am Main u. a. 1974, S. 25–38. VWW: Bericht über das Geschäftsjahr 1977. VWW: Bericht über das Geschäftsjahr 1978. VWW: Bericht über das Geschäftsjahr 1984. VWW: Menschen im Blickpunkt. Sozialbericht der Volkswagenwerk Aktiengesellschaft für das Jahr 1980. VWW: Menschen im Blickpunkt. Sozialbericht der Volkswagenwerk Aktiengesellschaft für das Jahr 1981. VWW: Menschen im Blickpunkt. Sozialbericht der Volkswagenwerk Aktiengesellschaft für das Jahr 1982. Wedgwood Benn, Anthony: Die Qualität des Lebens, in: Qualität des Lebens. Aufgabe Zukunft; Beiträge zur 4. internationalen Arbeitstagung der Industriegewerkschaft Metall für die Bundesrepublik Deutschland 11. –14.04.1972 in Oberhausen, Frankfurt am Main 1972, S. 27–52. Wiborg, Klaus: Die großen Kinder aus dem Süden sind vereinsamt. Über die Hintergründe des Streiks in Wolfsburg/Auch Drahtzieher unter den Italienern vermutet, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung am 09.11.1962, S. 6. Zentralinstitut für Berufsbildung in der DDR (Hrsg.): Sozialistische Arbeitswissenschaften, Berlin (DDR) 1975.

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6.3 LITERATURVERZEICHNIS ADAM, Thomas: Arbeitermilieu und Arbeiterbewegung in Leipzig 1871–1933 (Demokratische Bewegungen in Mitteldeutschland 8), Köln 1999. ALTMANN, Norbert: Bedingungen und Probleme betrieblich initiierter Humanisierungsmaßnahmen (Forschungsbericht/Bundesministerium für Forschung und Technologie, Humanisierung des Arbeitslebens 81), Eggenstein-Leopoldshafen 1981. AMBROSIUS, Gerold: Agrarstaat oder Industriestaat – Industriegesellschaft oder Dienstleistungsgesellschaft? Zum sektoralen Strukturwandel im 20. Jahrhundert, in: Geschichte der deutschen Wirtschaft im 20. Jahrhundert, hrsg. v. Reinhard SPREE, München 2001, S. 50–69. ANDRESEN, Knud: Strukturbruch in der Berufsausbildung? Wandlungen des Berufseinstiegs von Jugendlichen zwischen den 1960er- und den 1980er Jahren, in: „Nach dem Strukturbruch“? Kontinuität und Wandel von Arbeitsbeziehungen und Arbeitswelt(en) seit den 1970er-Jahren, hrsg. v. Knud ANDRESEN/Ursula BITZEGEIO/Jürgen MITTAG, Bonn 2011, S. 159–180. ANDRESEN, Knud u. a. (Hrsg.): Der Betrieb als sozialer und politischer Ort. Studien zu Praktiken und Diskursen in den Arbeitswelten des 20. Jahrhunderts (Reihe Politik- und Gesellschaftsgeschichte 98), Bonn 2015. ANDRESEN, Knud/APEL, Linde/HEINSOHN, Kirsten: Es gilt das gesprochene Wort. Oral History und Zeitgeschichte heute, in: Es gilt das gesprochene Wort. Oral History und Zeitgeschichte heute, hrsg. v. Knud ANDRESEN/Linde APEL/Kirsten HEINSOHN, Göttingen 2015, S. 7–23. ANDRESEN, Knud/BITZEGEIO, Ursula/MITTAG, Jürgen (Hrsg.): „Nach dem Strukturbruch“? Kontinuität und Wandel von Arbeitsbeziehungen und Arbeitswelt(en) seit den 1970er-Jahren (Politik- und Gesellschaftsgeschichte 89), Bonn 2011. ARENDT, Walter: Humanisierung des Arbeitslebens. Symposium des RKW zu Möglichkeiten neuer Formen der Arbeitsorganisation, Frankfurt am Main 1973. ARPS, Jan Ole: Frühschicht. Linke Fabrikintervention in den 70er Jahren, Berlin/Hamburg 2011. ARTUS, Ingrid: Mitbestimmung versus Rapport de force. Geschichte und Gegenwart betrieblicher Interessenvertretung im deutsch-französischen Vergleich, in: „Nach dem Strukturbruch“? Kontinuität und Wandel von Arbeitsbeziehungen und Arbeitswelt(en) seit den 1970er-Jahren, hrsg. v. Knud ANDRESEN/Ursula BITZEGEIO/Jürgen MITTAG, Bonn 2011, S. 213–244. ASHTON, Owen/FYSON, Robert/ROBERTS, Stephen: The Chartist legacy, Woodbridge Suffolk 1999. ASPINWALL, Mark/SCHNEIDER, Gerald: Institutional Research on European Union. Mapping the field, in: The rules of integration. Institutionalist approaches to the study of Europe, hrsg. v. Gerald SCHNEIDER/Mark ASPINWALL, Manchester 2001, S. 1–18. AßLÄNDER, Michael: Von der vita activa zur industriellen Wertschöpfung. Eine Sozial- und Wirtschaftsgeschichte menschlicher Arbeit, Marburg 2005. ATZMÜLLER, Roland/HÜRTGEN, Stefanie/KRENN, Manfred: Die zeitgemäße Arbeitskraft. Qualifiziert, aktiviert, polarisiert, Weinheim 2015. AUER, Peter/PENTH, Boris/TERGEIST, Peter: HdA im Ländervergleich. Schweden, in: Humanisierung der Arbeit zwischen Staat und Gewerkschaft. Ein internationaler Vergleich; Kongreßbericht des Internationalen Instituts für Vergleichende Gesellschaftsforschung Wissenschaftszentrum Berlin, hrsg. v. Peter AUER/Boris PENTH, Frankfurt am Main/New York 1981, S. 116–122. BAETHGE, Martin: Produktion und Qualifikation. Eine Vorstudie zur Untersuchung von Planungsprozessen im System der beruflichen Bildung (Schriften zur Berufsbildungsforschung 14), Hannover 1974. BAJOHR, Stefan: Vom bitteren Los der kleinen Leute. Protokolle über den Alltag Braunschweiger Arbeiterinnen und Arbeiter 1900–1933, Köln 1984. BARTÖLKE, Klaus (Hrsg.): Humanisierung und Begleitforschung. Probleme der Begleitforschung in Projekten zur Humanisierung des Arbeitslebens (Schriften zu Macht, Konflikt, technischem und sozialem Wandel in Organisationen 2), Spardorf 1982.

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p e r s p e k t i v e n d e r w i rt s c h a f t s g e s c h i c h t e

Herausgegeben von Clemens Wischermann und Katja Patzel-Mattern

Franz Steiner Verlag

1.

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ISSN 2191-7620

Martin Lutz Siemens im Sowjetgeschäft Eine Institutionengeschichte der deutschsowjetischen Beziehungen 1917–1933 2011. 391 S., 23 Abb., 8 Tab., geb. ISBN 978-3-515-09802-1 Armin Müller Kienzle Ein deutsches Industrieunternehmen im 20. Jahrhundert 2011. 311 S., 12 Abb., 124 Fotos, geb. ISBN 978-3-515-09845-8 Thilo Jungkind Risikokultur und Störfallverhalten der chemischen Industrie Gesellschaftliche Einflüsse auf das unternehmerische Handeln von Bayer und Henkel seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts 2013. 332 S., 12 Abb., kt. ISBN 978-3-515-10345-9 Albrecht Franz Kooperation statt Klassenkampf? Zur Bedeutung kooperativer wirtschaftlicher Leitbilder für die Arbeitszeitsenkung in Kaiserreich und Bundesrepublik 2014. 280 S., kt. ISBN 978-3-515-10818-8

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Daniel Wilhelm Die Kommunikation infrastruktu­ reller Großprojekte Die Elektrifizierung Oberschwabens durch die OEW in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts 2014. 365 S., 2 Abb., 3 Tab., kt. ISBN 978-3-515-10860-7 Clemens Wischermann / Katja Patzel-Mattern / Martin Lutz / Thilo Jungkind (Hg.) Studienbuch institutionelle Wirtschafts­ und Unternehmens­ geschichte 2015. 292 S., 3 Abb., kt. ISBN 978-3-515-11122-5 Rabea Limbach Die Briefkopierbücher der Speyerer Handelshäuser Joh. Hein. Scharpff und Lichtenberger & Co. (1815–1840) Handeln in institutioneller Unsicherheit 2018. 346 S., 10 Abb., kt. ISBN 978-3-515-12047-0

Wie arbeiten wir morgen? Diese Frage stellten sich Politik, Wirtschaft und Gesellschaft bereits in der ökonomischen Krise der 1970er Jahre – Antworten sollte das Bundespro­ gramm „Humanisierung des Arbeitslebens“ liefern. Unternehmen erhielten Förder­ mittel, um in Projekten neue Technologien und Verfahren der Beteiligung einzufüh­ ren sowie Arbeiterinnen und Arbeiter zu qualifizieren. Gina Fuhrich untersucht Erfolge und Grenzen dieses Reformvorhabens anhand von drei Projekten beim Automobilhersteller V W. Mittels neu erschlossener Tonbandquellen werden vor allem das Handeln von Arbei­

ISBN 978-3-515-12849-0

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7835 1 5 1 28490

terinnen und Arbeitern und deren Beiträge zum wirtschaftlichen Erfolg des Unterneh­ mens analysiert. Es zeigt sich: Sie gestalteten innerbetrieblichen Wandel mit und förder­ ten Innovationen, wenn sie in Veränderungs­ prozesse einbezogen wurden. Die Sozial­ partnerschaft und der Interessenausgleich in den Arbeitsbeziehungen waren elemen­ tar, um den Strukturwandel in den 1970ern zu bewältigen und den sozialen Frieden zu sichern. Der Blick in die Geschichte des Programms und seine Umsetzung bei VW liefern Orientierungswissen für die Gegen­ wart. Aktuelle Transformationsprozesse können besser verstanden und Fehler der Vergangenheit vermieden werden.

www.steiner-verlag.de Franz Steiner Verlag