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German Pages 538 [546] Year 2018
Michael Dreyer
Hugo Preuß Biografie eines Demokraten
Weimarer Schriften zur republik
Franz Steiner Verlag
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Michael Dreyer Hugo Preuß
weimarer schriften zur republik Herausgegeben von Michael Dreyer und Andreas Braune
Wissenschaftlicher Beirat: Prof. Dr. Ursula Büttner Prof. Dr. Alexander Gallus Prof. Dr. Kathrin Groh Prof. Dr. Christoph Gusy Prof. Dr. Marcus Llanque Prof. Dr. Walter Mühlhausen
Band 4
Michael Dreyer
Hugo Preuß Biografie eines Demokraten
Franz Steiner Verlag
Der Druck wurde ermöglicht dank Mitteln des Thüringer Ministeriums für Migration, Justiz und Verbraucherschutz.
Umschlagabbildung: Minister Preuß begibt sich in das Aula-Gebäude der Universität Berlin auf dem KaiserFranz-Joseph-Platz, wo am 12. Mai 1919 die Sitzung der Nationalversammlung zum Versailler Vertrag stattfand. Bundesarchiv, Bild 183-H27576 / Fotograf unbekannt
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2018 Druck: Hubert & Co., Göttingen Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany ISBN 978-3-515-12168-2 (Print) ISBN 978-3-515-12170-5 (E-Book)
INHALT Vorwort ....................................................................................................................................... IX HUGO PREUSS – DIE WIEDERGEBURT EINES UNZEITGEMÄSSEN ........ XI I. HUGO PREUSS – EINE BIOGRAPHISCHE EINFÜHRUNG.............................. 1 II. DAS STAATSRECHTLICH-POLITISCHE DENKEN HUGO PREUSS’ ..... 16 1. Die Staatslehre des Kaiserreiches ................................................................................... 16 1.1 Der Rechtspositivismus und Labands ‚Staatsrecht‘............................................................. 16 1.2 Der Naturalismus Seydels ................................................................................................... 27 1.3 Der organische Genossenschaftsgedanke Gierkes ............................................................... 30
2. Die demokratische Genossenschaftstheorie ................................................................ 38 2.1 Das Problem der Souveränität ............................................................................................. 2.2 Genossenschaft und Anstalt................................................................................................. Verfassungsgeschichte und staatsrechtliche Methode......................................................... Person und Körperschaft ..................................................................................................... Genossenschaft, Anstalt und Organismus ........................................................................... 2.3 Die staatsrechtliche Konstruktion des Deutschen Reiches ..................................................
38 50 50 61 70 83
3. Die Idee der Selbstverwaltung......................................................................................... 91 3.1 Selbstverwaltungstheorien und Liberalismus ...................................................................... 91 3.2 Selbstverwaltung oder Selfgovernment? ............................................................................. 97 Die Theorie des Selfgovernment bei Preuß ......................................................................... 97 Das Musterland des Selfgovernment: England ................................................................. 107 Die Theorie des Bundesstaates .......................................................................................... 111 3.3 Hugo Preuß als Geschichtsschreiber der Selbstverwaltung ............................................... 115 Selbstverwaltung in geschichtlicher und juristischer Betrachtung .................................... 115 Die preußischen Reformen und der Freiherr vom Stein .................................................... 120 3.4 Der organische Aufbau von der Gemeinde bis zur Völkergemeinschaft........................... 130
4. Genossenschaftstheorie und Pluralismus ................................................................... 137 4.1 Gierkes Einfluß auf den englischen Pluralismus ............................................................... 137 4.2 Demokratischer Pluralismus bei Preuß .............................................................................. 150
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Inhalt
III. HUGO PREUSS ALS POLITIKER ......................................................................... 154 5. Der politische Publizist .................................................................................................... 154 5.1. Das Verhältnis von Wissenschaft, Politik und Publizistik................................................ 5.2 Liberalismus und Sozialismus ........................................................................................... 5.3 Der Kampf gegen den Wilhelminismus ............................................................................ 5.4 Die Verteidigung der Republik.......................................................................................... Um die ‚undeutsche‘ Reichsverfassung ............................................................................ Der Einsatz für die Weimarer Koalition............................................................................ Der Kampf gegen den Antisemitismus .............................................................................
154 172 184 197 197 206 211
6. Der „politische Professor“ im Kaiserreich ................................................................. 220 6.1 Die Bemühungen um eine Professur an der Universität Berlin ......................................... 220 6.2 Die Berliner Handelshochschule ....................................................................................... 238
7. Der Berliner Kommunalpolitiker.................................................................................. 249 7.1 Die Lage Berlins in Preußen-Deutschland ........................................................................ Berlin als Hauptstadt des Wilhelminismus und des Kommunalfreisinns .......................... Parteien in der Kommunalpolitik ...................................................................................... 7.2 Hugo Preuß als Stadtverordneter ....................................................................................... Das Problem „Groß-Berlin“ .............................................................................................. Städtische Beamte und Lehrer........................................................................................... Kommunale Wirtschaftsbetriebe ....................................................................................... 7.3 Hugo Preuß als ehrenamtlicher Stadtrat ............................................................................
249 249 255 258 258 262 271 276
8. Politiker in Erwartung einer Aufgabe in Preußen und im Reich ......................... 282 8.1 Vergebliche Bemühungen um ein Mandat ........................................................................ 8.2 Das Reich als Monarchie und Demokratie ........................................................................ 8.3 Die preußische Verwaltungsreform ................................................................................... 8.4 Hugo Preuß im Weltkrieg .................................................................................................. Militär und Politik ............................................................................................................. Vorschläge zur Verfassungsreform ................................................................................... Die Demokratisierung vom Oktober 1918 ........................................................................
282 291 311 316 316 320 325
9. Das Verfassungswerk von Weimar .............................................................................. 329 9.1 Revolution und Bürgertum ................................................................................................ 9.2 Die Berufung zum Staatssekretär ...................................................................................... Die Vorbereitung der Wahlen zur Nationalversammlung ................................................. Der Verfassungsentwurf.................................................................................................... 9.3 Die Verfassungsberatungen in der Nationalversammlung ................................................ Das ‚Problem Preußen‘ und der Föderalismus .................................................................. Rätegedanke und Liberalismus ......................................................................................... Bipolare Exekutive und Parlamentarismus ....................................................................... Die Grundrechte ................................................................................................................ 9.4 Weimar und Versailles ...................................................................................................... 9.5 Die Weimarer Reichsverfassung und Hugo Preuß ............................................................ 9.6 Probleme (mit) einer Verfassung .......................................................................................
329 336 336 347 361 371 377 380 383 388 396 401
Inhalt
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10. Als Politiker in der Weimarer Republik ................................................................... 404 10.1 Die politische Entwicklung Weimars ............................................................................ 10.2 Die DDP zwischen Erneuerung und Kontinuität........................................................... 10.3 Hugo Preuß als Abgeordneter im Preußischen Landtag ................................................ Die preußische Verfassung............................................................................................ Koalitionen und Regierungen........................................................................................ Preußische Frage und Verwaltungsreform .................................................................... Das Prinzip der wehrhaften Demokratie .......................................................................
404 411 420 420 428 433 442
IV. EPILOG – SPUREN EINES LEBENS .................................................................... 449 Quellen- und Literaturverzeichnis .................................................................................... 455 A. Schriften von Hugo Preuß .................................................................................................. 455 1. Bücher und selbständige Schriften.................................................................................. 455 2. Aufsätze, Beiträge in Sammelwerken und Zeitungsartikel ............................................. 456 B. Ungedruckte Quellen .......................................................................................................... 462 C. Dokumentarische Quellen................................................................................................... 463 D. Literarische Quellen und Sekundärliteratur ........................................................................ 465
Sach- und Personenregister ................................................................................................. 507
VORWORT Dissertationen und Habilitationen sind die Prüfschriften, die das akademische Leben eines Wissenschaftlers in die Bahn setzen. In diesem Fall ergab sich die zweite Schrift direkt aus der ersten; bei der Beschäftigung mit der deutschen Föderalismustheorie im 19. Jahrhundert konnte ich nicht übersehen, daß Hugo Preuß ein bei weitem unterschätzter politischer Denker und Praktiker war. Das war 1985, und seither ist diese Unterschätzung längst der verdienten Wertschätzung gewichen. Aber die Beschäftigung mit Hugo (er ist schon so lange mein Hausgast, daß ich, wenn auch respektvoll und wissenschaftlich distanziert, das Recht auf eine familiäre Anrede reklamiere) ist unverändert anregend und bereichernd, und das heraufziehende Jubiläum der Weimarer Republik und ihrer Verfassung ist ein passender Anlaß, durch die endliche Publikation dieser Arbeit meinen Teil dazu beizutragen, daß neben dem Ereignis auch der Akteur – vielleicht nicht der wichtigste, aber einer der wichtigen – gewürdigt wird. Im Laufe der Jahre, in denen ich immer wieder (und dann immer wieder nicht) an diesem Thema gearbeitet habe, waren viele Freunde und Kollegen beteiligt. Ihnen allen sei gedankt, auch wenn ich mir sicher bin, nicht alle Namen nennen zu können. Von Anfang an haben Ulrich Sieg, Ewald Grothe und Anne Nagel das Projekt begleitet. In der kritischen Phase der Habilitation war die Hilfe von Andreas Eis und Thomas Nitzsche essentiell – damals Hiwis und Freunde, heute längst arriviert in ihren beruflichen Wegen, aber immer noch Freunde. Später, bei einem früheren Versuch, das Projekt zur Publikation zu bringen, haben Benjamin Bock, Andreas Braune, Jasmin Elshamy, Nils Fröhlich und Christian Langehenke daran gearbeitet, das Werk über die Ziellinie zu bringen. Daß diese jetzt erreicht wurde, ist auch Verdienst meines Mitstreiters in der Forschungsstelle Weimarer Republik an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Andreas Braune. Er hat gedrängt und gedroht und gearbeitet (vor allem an der Formatierung), und daß es jetzt ein fertiges Buch gibt, liegt nicht zuletzt an ihm. In der Schlußphase habe ich auch Tim Haas, Jonathan Overmeyer und Max Streckhardt für ihre Hilfe zu danken. Dies ist ein dickes Buch geworden, und dicke Bücher kosten Geld. Ein erheblicher Druckkostenzuschuß aus Lottomitteln des Freistaates Thüringen hat die Publikation möglich gemacht. Dank für die wohlwollende Behandlung des entsprechenden Antrages gebührt Justizminister Dieter Lauinger und seinem Mitarbeiter Pascal Mauf. In einer früheren Phase ihres Lebens hat diese Arbeit den Preis der Wolf-Erich-Kellner-Stiftung 2003 für „herausragende Arbeiten zur Geschichte und den geistigen Grundlagen des Liberalismus“ erhalten; es ist schön, sich daran dankbar zu erinnern. Das Buch erscheint jetzt in unserer (also der Forschungsstelle) eigenen Schriftenreihe, die wir beim Franz-Steiner-Verlag haben einrichten dürfen; für die gute Zusammenarbeit sind wir sehr dankbar.
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Hugo Preuß – Die Wiedergeburt eines Unzeitgemäßen
Es ist ein guter akademischer Brauch, die Dissertation den Eltern zu widmen und die Habilitation den Lehrern, denen man Anregung und Ausbildung verdankt. Letzteres ist in diesem Fall nicht ganz einfach, denn mein erster Chef, Kollege und Freund Klaus Dicke, der das Habilitationsverfahren in Jena betreute, war nicht im eigentlichen Sinne akademischer Lehrer. Dafür waren wir beide schon zu alt, als wir uns 1988 an der Harvard University trafen und uns über die UNO und die USA, über Kant und Popper wunderbar gestritten haben. Aber natürlich bin ich für die vielfältige Förderung, die ich von ihm erfahren habe, außerordentlich dankbar. Mein akademischer Lehrer im eigentlichen Sinne ist zweifellos mein Kieler Doktorvater Ulrich Matthée, in dessen vielen Vorlesungen, Seminaren und Exkursionen ich den Zauber der Ideengeschichte kennenlernte. Auch drei schon (lange) verstorbene Lehrer möchte ich dankbar erwähnen. Werner Kaltefleiter war in Kiel sicherlich nicht ohne Kontroversen, aber man konnte sehr viel von ihm lernen, und inzwischen weiß ich, wieviel ich vor allem methodisch von ihm gelernt habe. Von Peter Nißen habe ich schlichtweg gelernt, was Wissenschaft bedeutet; als Politikwissenschaftler und als Freund. Und Peter Brickmann war über mehrere Jahre hinweg mein Geschichtslehrer in Timmendorfer Strand. Wäre er Physiker gewesen, wäre ich heute vermutlich ebenfalls Physiker. Aber er war nun mal Historiker; Schüler von Fritz Fischer. Und er hat als erster den Pfad gelegt, dem ich dann (mit gewissen Seitenwegen) gefolgt bin. „Honorig läßt sich unter Arkaden wandeln“ lautete einer seiner Merksprüche zur Alten Geschichte, den ich seither nie wieder gehört, aber auch nie vergessen habe. All diesen akademischen Lehrern danke ich von Herzen, und ihnen ist dieses Buch gewidmet. Jena, im Juni 2018 Michael Dreyer
HUGO PREUSS – DIE WIEDERGEBURT EINES UNZEITGEMÄSSEN Als im Jahr 2000 die 45 Jahre zuvor geschriebene Freiburger Dissertation von Günther Gillessen veröffentlicht wurde, hielten es sowohl der Verfasser wie auch der Herausgeber der Schrift, der Göttinger Politikwissenschaftler Manfred Friedrich, für erforderlich, diese ungewöhnliche Edition zu rechtfertigen. In der ersten Zeile des Vorworts nannte Gillessen die Publikation „ein Unternehmen, bei dem der Verfasser eines gewissen Wohlwollens der Fachkundigen bedarf“1. Der Bezug von Gillessens captatio benvolentiae zum hier einzuleitenden Buch liegt auf der Hand. Auch in diesem Fall sind zwischen der Fertigstellung des Manuskripts sowie der Einreichung als Habilitationsschrift im Sommersemester 2002 und der Veröffentlichung der Studie viele Jahre vergangen; zwar nicht ganz so viele wie bei Gillessen, aber immerhin doch deutlich mehr als gewöhnlich in solchen Fällen. Die Verzögerung hat viele Ursachen, auf die hier nicht weiter eingegangen werden soll. Gleichwohl scheint das Interesse an dem Band nicht erloschen zu sein, denn es kamen immer wieder Anfragen an den Verfasser. Auch die Berechtigung für die Veröffentlichung scheint nach wie vor zu bestehen, denn bei aller neuen Literatur über Hugo Preuß und seine Zeit fehlt die umfassende Biographie, die Gillessen anmahnte, weiterhin. Das soll nicht reklamieren, daß hier die endgültige Biographie vorgelegt würde, so wie inzwischen (und im Gegensatz zu 2002) Friedrich Ebert und Paul von Hindenburg endlich umfassende Gesamtwürdigungen ihrer so unterschiedlichen, aber in die gleiche Position führende Leben gefunden haben2. Eine vergleichbare Biographie von Hugo Preuß wird es schon deshalb nicht geben könne, weil es in seinem Fall keinen nennenswerten Nachlaß gibt. Das hat bereits Gillessen beklagt, und seither hat sich diese Sachlage nicht verbessert. Daher ist dieser Band auch keine klassische Biographie, sondern eine politische Biographie; die die vita activa eines öffentlichen Lebens nachzeichnet. Es ist vielleicht kein Zufall, daß die Wiederentdeckung von Preuß wesentlich von Politikwissenschaftlern und Juristen vorangetrieben wurde, die sich, anders als Historiker, vom Fehlen eines Nachlasses anscheinend weniger abschrecken lassen. Unter den elf Gründungsmitgliedern der im Jahr 2000 begründeten Hugo-Preuß-Gesellschaft waren zwei Historiker, aber 1 2
Günther Gillessen, Hugo Preuß. Studien zur Ideen- und Verfassungsgeschichte der Weimarer Republik. Mit einem Nachwort von Manfred Friedrich, Berlin 2000, 5. Walter Mühlhausen, Friedrich Ebert 1871–1925. Reichspräsident der Weimarer Republik, Bonn 2006; Wolfram Pyta, Hindenburg. Herrschaft zwischen Hohenzollern und Hitler, München 2007.
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Hugo Preuß – Die Wiedergeburt eines Unzeitgemäßen
drei Juristen und nicht weniger als sechs Politikwissenschaftler, was bei einer bereits 1925 gestorbenen Figur der deutschen Geschichte immerhin eine ungewöhnliche Verteilung ist3. Auch ohne Nachlaß hat sich die von Gillessen beklagte Literaturlage aber inzwischen auch im Vergleich zu 2002 grundlegend geändert, und das gilt sowohl für die historischen Zeitumstände, aber noch mehr für die Person, das Wirken und das Denken von Hugo Preuß im engeren Sinne. Die wichtigste Veränderung ist die Erfüllung des primären Auftrages der Hugo-Preuß-Gesellschaft, nämlich die Edition und Publikation der Gesammelten Schriften4. In seinem Geleitwort von 2005 traf der damalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse die Bedeutung dieses Vorhabens sehr genau: Hier geht es nicht primär darum, verschollene oder schwer zugängliche Texte zusammenzutragen. Vielmehr sollen eine verfassungsgeschichtliche und allgemein zeitgeschichtliche Lücke geschlossen und Werk wie Persönlichkeit des Wissenschaftlers und Politikers Preuß wieder ins öffentliche Bewusstsein gerückt werden. Hugo Preuß gedachte nicht zufällig im Jahr 1889 als einer der wenigen des 100. Jahrestages der Französischen Revolution und würdigte ihre Staatsidee als ein Leitmotiv der zeitgenössischen Entwicklung, die darauf gerichtet sei, im Untertanen den Bürger zu erwecken. Das Werk von Hugo Preuß macht exemplarisch das langwierige und mühsame Ringen um die Durchsetzung der politischen Leitidee der Verfassungsdemokratie als Organisationsform einer Bürgergesellschaft sichtbar und das Ethos, das zu diesem beharrlichen Ringen befähigt.5
Es läßt sich kaum besser ausdrücken, worin die übergreifende und anhaltende Bedeutung von Preuß, aber auch die seiner Schriften liegt. Die deutsche Geistesgeschichte ist nicht eben überreich mit herausragenden Vordenkern des demokratischen Verfassungsstaates gesegnet, und Hugo Preuß ist zweifellos einer von ihnen. Seine Reise beginnt im Kaiserreich in der Ära seines Gründungs-Übervaters Bismarck und führt ihn über die späteren Reichskanzler (man ist versucht, hinzuzufügen: in ihrer wachsenden Unbedeutendheit), über die Zeit des Weltkrieges und der Revolution bis in die Weimarer Republik hinein. Vom Katheder des Staatsrechtlers über die Schriften des politischen Theoretikers und Pamphletisten, von der Vision des Kommunalpolitikers, des Reichsministers, des preußischen Abgeordneten und des Parteipolitikers – immer bleibt der demokratische Verfassungsstaat, den Preuß als Volksstaat im Vergleich zum Obrigkeitsstaat bezeichnet, im Visier. In gewisser Weise ist Preuß damit das Gegenstück zu Carl Schmitt, der ebenso konsequent seinen Mantel opportunistisch ausgerichtet hatte und stets das unterstützte,
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Die Historiker waren Lothar Albertin und Elfi Bendikat, die Juristen Christoph Müller, Dian Schefold und Christoph Schönberger und die Politikwissenschaftler Detlef Lehnert, Manfred Friedrich, Gerhard Göhler, Marcus Llanque, Karsten Malowitz und der Autor dieser Zeilen. Hugo Preuß, Gesammelte Schriften, hrsg. von Detlef Lehnert und Christoph Müller, 5 Bde., Tübingen 2007–2015. Wolfgang Thierse, Geleitwort, in: ebd. Dieses Geleitwort ist jedem der fünf Bände vorangestellt.
Hugo Preuß – Die Wiedergeburt eines Unzeitgemäßen
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was gerade en vogue zu sein schien, ohne allerdings jemals direkte politische Verantwortung zu übernehmen6. In Ergänzung zu den Bemerkungen des Bundestagspräsidenten muß man allerdings auch hinzufügen, daß der Aspekt, schwer zugängliche Texte auf einmal einfach an der Hand zu haben, für den interessierten Forscher nicht zu unterschätzen ist. Bis zu den Gesammelten Schriften mußte sich jeder Preuß-Forscher auf die Suche begeben, und gerade die publizistischen Arbeiten waren oft nur mit Mühe aufzutreiben. Alles dies gehört der Vergangenheit an. In Zukunft werden die fünf blauen Bände beinahe den einzig erforderlichen, zugleich aber auch den einzig korrekten Ort des Nachweises darstellen – abgesehen von vier gewichtigen Monographien, die in Nachdrucken vorliegen und deshalb (und weil sie vermutlich zwei weitere Bände Gesammelte Schriften notwendig gemacht hätten) nicht in diese Sammlung aufgenommen wurden7. Damit entsteht jedoch für eine Arbeit, die vor dieser Edition geschrieben wurde, wieder ein neues Problem. Streng genommen müßten die mehr als 1500 Fußnoten mit Tausenden von Nachweisen aus den Schriften, Aufsätzen, Zeitungsartikeln und Reden von Preuß allesamt mit den Gesammelten Schriften verglichen und aktualisiert werden, mit der nicht unerheblichen Ausnahme der erwähnten vier Monographien. Das ist schlicht unmöglich. Zum Glück hat Hugo Preuß selbst eine Hintertür eröffnet, als er in einem seiner Hauptwerke, der Entwicklung des deutschen Städtewesens, 1906 auf 379 Seiten komplett auf Fußnoten oder ein Literaturverzeichnis verzichtete. Mit einer gewissen Nonchalance schrieb er im Vorwort: Nicht ganz leicht habe ich mich zum völligen Verzicht auf die Beibringung des literarischen Apparats und auf jede literarische Polemik entschlossen. Vielleicht wird dadurch der Wert des Buches für literarische Selbstproduzenten einigermaßen beeinträchtigt; aber bei der Natur des Gegenstandes und bei der Beschaffenheit der Literatur war es nur so möglich, die Lesbarkeit für bloße Konsumenten, an die das Buch sich doch auch wenden möchte, zu erhalten. Hoffentlich werden gelehrte Kritiker auch ohne einen Wust von Anmerkungen den ‚häuslichen Fleiß‘ in der Benutzung der Literatur nicht verkennen; und ungelehrte Leser es zu würdigen wissen, daß ich ihnen den Nachweis dieses Fleißes erspare. Immerhin habe ich mich gegen den
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Damit stand Schmitt vorübergehend sogar auf Seiten der Weimarer Republik; Carl Schmitt, Verfassungslehre, München 1928. Daß der begnadete Opportunist hier der Weimarer Republik gleichsam Dauerhaftigkeit verlieh und insbesondere grundlegende Verfassungsänderungen ausschloß, kann als Beleg für die Zeitstimmung in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre gelten. Dabei handelt es sich um die Habilitationsschrift „Gemeinde, Staat, Reich als Gebietskörperschaften. Versuch einer deutschen Staatskonstruktion auf Grundlage der Genossenschaftstheorie“, Berlin 1889 (ND Aalen 1965); „Das städtische Amtsrecht in Preußen“, Berlin 1902 (ND 2010); „Die Entwicklung des deutschen Städtewesens“. 1. Bd.: Entwicklungsgeschichte der deutschen Städteverfassung, Leipzig 1906 (mehr nicht erschienen) (ND 1965); „Verfassungspolitische Entwicklungen in Deutschland und Westeuropa. Historische Grundlegung zu einem Staatsrecht der Deutschen Republik.“ Aus dem Nachlaß von Dr. Hugo Preuß, ehem. Reichsminister. Hrsg. u. eingel. von Dr. Hedwig Hintze, Berlin 1927 (ND 1983).
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Hugo Preuß – Die Wiedergeburt eines Unzeitgemäßen
Vorwurf des Plagiats durch gewissenhafte Nennung des Autors bei jedem wörtlichen Zitat gedeckt; Band und Seitenzahl wird der Gelehrte auch so finden, der Ungelehrte nicht suchen.8
Ganz so weit will ich nicht gehen; Anmerkungen und Nachweise enthält die nachfolgende Arbeit jede Menge, aber eben zusammengeführt aus zahllosen verstreuten Orten und nicht aus einer einzigen, in jeder guten Bibliothek vorhandenen Quelle. Aber der Gelehrte wird die Konkordanz auch so finden, der Ungelehrte nicht suchen… Ein ernsteres Problem ist es, daß auch die „literarische Polemik“, wie Preuß es nennt, 2002 aufhört. In den Jahren seither habe ich die literarische Entwicklung natürlich sorgfältig verfolgt und auch zu ihr beigetragen. An den grundsätzlichen Positionen, die in dieser Arbeit vertreten werden, mußten keine Korrekturen vorgenommen werden. Aber allein die Literatur, die sich im engeren biographischen Sinne mit den Ideen und dem Wirken von Hugo Preuß beschäftigt, ist in den letzten Jahren erheblich angewachsen; auch im Umfeld der Edition der Gesammelten Schriften. Das beginnt bereits mit dieser Edition selbst; alle fünf Bände enthalten, wie üblich, eine „Einleitung“. Aber hinter diesem bescheidenen Titel verbergen sich immerhin nicht weniger als 370 Seiten aus der Feder von vier Autoren, die zusammen durchaus als Auseinandersetzung in Buchlänge gelten dürfen9. In allen fünf Bänden gehen die Einleitungen deutlich über eine bloße Vorstellung der im Bande enthaltenen Schriften hinaus und bieten eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem jeweils vorgestellten Abschnitt im Denken und Schaffen von Hugo Preuß. Als Nachfolger der Hugo-Preuß-Gesellschaft gibt es inzwischen eine von dem Berliner Politikwissenschaftler Detlef Lehnert geleitete Hugo-Preuß-Stiftung, die zusammen mit der gleichfalls mit Lehnert verbundenen Paul-Löbe-Stiftung unter dem Titel „Historische Demokratieforschung“ seit 2011 eine Buchreihe herausgibt. Bis 2017 sind zwölf Bände erschienen, von denen elf als Sammelband von Lehnert herausgegeben wurden10. Von diesen Bänden ist nur der zweite unmittelbar Preuß gewidmet11, aber auch in den anderen Bänden spielt Preuß sehr wohl eine Rolle, und mehr noch das politische Umfeld seines Wirkens. Die Beschäftigung mit Hugo Preuß hat 8
Hugo Preuß, Die Entwicklung des deutschen Städtewesens, 1. Band (mehr nicht erschienen), Leipzig 1906, IV. 9 Die Einleitungen stammen von Lothar Albertin (Bd. 1, 1–65), Dian Schefold (Bd. 2, 1–76), Detlef Lehnert und Dian Schefold (Bd. 3, 1–78), Detlef Lehnert (Bd. 4, 1–70) sowie Christoph Müller (Bd. 5, 1–78). 10 Einen Überblick über die Publikationsreihe und weitere Informationen gibt es unter http://www.historische-demokratieforschung.com/publikationen.html (aufgerufen am 26.5. 2018). Der einzige Band mit einer anderen Autorin ist Anke John, Der Weimarer Bundesstaat. Perspektiven einer föderalen Ordnung (1918–1933), Köln 2012; eine umfassende Studie, die sich natürlich auch mit Preuß‘ Neugliederungsplan auseinandersetzt. 11 Detlef Lehnert (Hrsg.), Hugo Preuß 1860–1925. Genealogie eines modernen Preußen, Köln, Weimar, Wien 2011. Hierin auch ein Aufsatz des Verfassers dieser Zeilen, nämlich Michael Dreyer, Der Preußsche Neugliederungsplan von 1919 und sein Scheitern, 279–300.
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inzwischen Forschungsfragen angeregt, die über seine Person hinausgehen, aber gleichwohl direkt mit seinem Wirken verbunden sind.12 Lehnert hat sich in den letzten Jahren außer in den bisher genannten Schriften auch in weiteren Monographien und Aufsätzen mit Preuß auseinandergesetzt13 sowie auch generell mit der Weimarer Republik14. Sein umfangreiches Werk ist Teil einer noch umfangreicheren transdisziplinären Bewegung, die seit einigen Jahren die Weimar-Forschung durchzieht und vorantreibt: der Versuch einer Neuinterpretation, die die Chancen und Möglichkeiten der Republik in den Vordergrund stellt und nicht versucht, die Katastrophe von 1933 für unausweichlich zu erklären und damit die erste deutsche Demokratie traditionell von ihrer Zerstörung her zu verstehen15. Diese Entwicklungslinie läßt sich im großen an der fortschreitenden Forschung zeigen. Aber auch im kleinen wird es deutlich, wenn man sich etwa den Umgang mit den Jubiläen ansieht – also mit Weimar als ‚Event‘. Die Stadt Weimar hat in den letzten 20 Jahren eine bemerkenswerte Wandlung durchgemacht. Noch 1999 stand das damalige Kulturhauptstadtjahr ganz im Zeichen von Goethe, dessen 250. Geburtstag in diesem Jahr nicht zufällig zu feiern war. Selbst Schiller, Herder und Wieland, normalerweise gemeinsam mit Goethe das Viergestirn der Weimarer Klassik, mussten aus diesem Anlass deutlich hintanstehen. Wie sollte es da Raum für die Weimarer Republik und ihren 80. Geburtstag geben? Für das schlechte Gewissen, für die dunkle Seite der deutschen Geschichte gab es Buchenwald (wo 1998 die Kunstausstellung eröffnet wurde und 1999 die Ausstellung zur Geschichte der Gedenkstätte), für die Öffnung zur klassischen Moderne das Bauhaus, das im heutigen Weimar weit positiver gesehen wurde und wird als das reale historische Bauhaus in den 1920er Jahren. Mit dieser Nicht-Beachtung der Weimarer Republik stand die Stadt Weimar keineswegs allein; die bundesdeutsche Aufmerksamkeit war 1998 fast vollständig auf das 150. Jubiläum der Paulskirche gerichtet, während die 80. Wiederkehr der Revolution von 1918 und dann der Weimarer Verfassung 12 Etwa Bd. 8 der Reihe; Detlef Lehnert (Hrsg.), Vom Linksliberalismus zur Sozialdemokratie. Politische Lebenswege in historischen Richtungskonflikten 1890–1945, Köln 2015 – Preuß selbst hat diesen Weg nie gefunden; sehr wohl aber viele seiner Weggefährten. Und jeder Preuß-Forscher wird sich die Frage vorgelegt haben, warum Preuß nie den Weg von der DDP (in der er wenige politische Freunde hatte) zur SPD gegangen ist. 13 Vgl. neben weiteren Schriften Detlef Lehnert, Das pluralistische Staatsdenken von Hugo Preuß, Baden-Baden 2012; ders., Ein ‚obskurer‘ Weimarer Verfassungsvater? Oder: Wie Hugo Preuß seinen Auftrag bekam und ihn nutzte, in: ZParl 43 (2012), 901–914; ders., Hugo Preuß in der europäischen Verfassungsgeschichte, Hagen 2009; ders., Hugo Preuß und Hans Kelsen als ‚linke Juristen‘ in der Weimarer Republik?, in: Manfred Gangl (Hrsg.), Linke Juristen in der Weimarer Republik, Frankfurt a.M. usw. 2003, 75–99. 14 Statt vieler Nachweise nur Detlef Lehnert, „Weimars“ Chancen und Möglichkeiten, Strukturen und Normen – eine Problemskizze, in: Michael Dreyer, Andreas Braune (Hrsg.), Weimar als Herausforderung. Die Weimarer Republik und die Demokratie im 21. Jahrhundert, Stuttgart 2016, 103–121. 15 Für einen Literaturbericht mit dem Stand 2010 siehe Nadine Rossol, Chancen der Weimarer Republik, in: Neue Politische Literatur 55 (2010), 393–419.
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Hugo Preuß – Die Wiedergeburt eines Unzeitgemäßen
von 1919 weitgehend unbeachtet blieb. Man muß es sich vor Augen halten: die gescheiterte Revolution mit ihren gemäßigt liberalen, aber keineswegs demokratischen Zielen wird gefeiert, die gelungene Revolution, die zur ersten deutschen Demokratie führt, wird weitgehend beschwiegen16. Im Jahr 1999 gab es immerhin in Weimar eine Ausstellung zur Weimarer Republik, zu der auch ein begleitender wissenschaftlicher Band produziert wurde – nur war die Stadt Weimar in beiden Fällen unbeteiligt. Die in den ehemaligen Verwaltungsgebäuden des Gauforums gezeigte Ausstellung war eine Landesausstellung, die gemeinsam von der Regierung des Freistaats Thüringen und dem Deutschen Historischen Museum realisiert wurde17 Auch der Thüringer Landtag ließ das Jubiläum in einem wissenschaftlichen Band untersuchen18, und gleiches gilt für die Juristische Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena19. Besser sieht die Sache zehn Jahre später aus. 2009 war das nächste Jubiläum; mit 90 Jahren ein etwas krummes Jubiläum, aber immerhin bemerkenswert und zugleich die erste Gelegenheit, den Anlauf auf das Zentenarium zu beginnen. Und diesmal nahm auch die Stadt von ihrer Republik Kenntnis. Das wichtigste wissenschaftliche Ereignis des Jahres fand ebenfalls in Weimar statt, organisiert vom Bundesjustizministerium und der Friedrich-Ebert-Stiftung. Hierbei handelte es sich um eine transdisziplinär besetzte Konferenz, die für die Verfassung die Frage nach „Wert und Wirkung für die Demokratie“ stellte. Hier wurde erstmals in Weimar selbst die immer noch relativ neue Forschungsperspektive eingenommen, Weimar von seinem Anfang und nicht vom Ende her zu denken. Michael Schultheiß, damals Leiter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Thüringen, hatte Historiker, Juristen und Politikwissenschaftler zu einer stimulierenden Tagung versammelt, deren Ergebnisse mehr Reichweite verdient hätten als eine relativ unscheinbare und wenig verbreitete 16 Auch das hat sich inzwischen geändert; die Forschung zur Revolution von 1918 hat bemerkenswerte Ergebnisse vorgelegt. Vgl. nur Alexander Gallus (Hrsg.), Die vergessene Revolution von 1918/19, Göttingen 2010; Klaus Weinhauer, Anthony McElligott, Kirsten Heinsohn (Hrsg.), Germany 1916–23: A Revolution in Context, Bielefeld 2015; Wolfgang Niess, Die Revolution von 1918/19 – Der wahre Beginn unserer Demokratie, München 2017; Mark Jones, Founding Weimar. Violence and the German Revolution of 1918–1919, Cambridge 2016 (auch deutsch als „Am Anfang war Gewalt. Die deutsche Revolution 1918/19 und der Beginn der Weimarer Republik“, Berlin 2017). Zum Konzept des „Beschweigens“ vgl. Gesine Schwan, Politik und Schuld. Die zerstörerische Macht des Schweigens, Frankfurt a.M. 1997. Schwan meint einen anderen Zusammenhang, aber das Konzept ist breiter anwendbar und paßt sicherlich auch auf die Revolution von 1918. 17 Der Ausstallungsband war Hans Wilderotter, Michael Dorrmann (Hrsg.), Wege nach Weimar. Auf der Suche nach der Einheit von Kunst und Politik, Berlin 1999. 18 Der Band des Landtags war Harald Mitteldorf (Red.), 80 Jahre Weimarer Reichsverfassung (1919–1999), Weimar 1999. Der Band enthielt Aufsätze von Hans-Werner Hahn zur Gesamtinterpretation der Verfassung, von Michael Dreyer zur Entstehungsgeschichte der Verfassung, von Jürgen John zur Verfassunggebung in Thüringen und Burkhard Stenzel zu Verfassungsfeiern in Weimar. Alle Autoren kamen von der FSU Jena. 19 Eberhard Eichenhofer (Hrsg.), 80 Jahre Reichsverfassung – Was ist geblieben?, Tübingen 1999. Alle neun Autorinnen und Autoren gehörten auch bei diesem Band der FSU Jena an.
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Eigenpublikation der FES20. Auf immerhin 280 Seiten wurden von Juristen wie Franz Josef Düwell, Eberhard Eichenhofer, Christoph Gusy und Heiko Holste, von Historikern wie Wolfram Pyta und Ursula Büttner und von Politikwissenschaftlern wie Detlef Lehnert, Marcus Llanque und dem Autor dieser Zeilen (sowie weiteren Kollegen) die Weimarer Republik von 1919 her gedacht und nicht von 1933. Alle diese Autoren haben auch im weiteren Verlauf aktiven Anteil an der Neuinterpretation der Weimarer Republik genommen. Aber inzwischen war auch die Stadt Weimar in der ersten Reihe angekommen. Im Stadtmuseum wurde ebenfalls 2009 eine von Justus H. Ulbricht kuratierte Ausstellung gezeigt, die den programmatischen Titel der „Chancen einer Republik“ trug. Der begleitende Ausstellungsband war kein Katalog, sondern ein wissenschaftlicher Begleitband21. Doch das Jahr 2009 verging, und damit wurde auch die Ausstellung wieder abgebaut und die Weimarer Republik verschwand wieder völlig aus dem Stadtbild – mit Ausnahme der gut versteckten Gropius-Plakette an der Seite des Nationaltheaters. Erst der nächste Schritt brachte Permanenz in das Weimarer Engagement für die Weimarer Republik. Fünf Jahre sind nicht unbedingt eine lange Zeit, aber zwischen 2009 und 2014 scheint der Beginn einer neuen Ära zu liegen. In diesem Jahr eröffnete das Stadtmuseum Weimar unter der Führung und der kuratorischen Sorge von Alf Rößner eine neue Ausstellung mit dem Titel „Demokratie aus Weimar. Die Nationalversammlung 1919“, zu der diesmal auch ein reich bebilderter Ausstellungskatalog erstellt wurde22. Der Titel der Ausstellung erinnerte sicherlich nicht zufällig an eine Ausstellung der Klassikstiftung von 2009, die unter dem Titel „Das Bauhaus kommt aus Weimar“ wesentlich mehr Aufmerksamkeit für sich beanspruchte als die Weimarer Republik23. Aber das war zugleich ein kühner Anspruch seitens des Stadtmuseums, und das Wagnis scheint sich auszuzahlen. Nicht nur verzeichnet die Ausstellung – bei minimalem Einsatz von Mitteln – außerordentlich gute Besucherzahlen. Vor allem ist inzwischen die Verbindung der Stadt Weimar zu ‚ihrer‘ Republik so eng geworden, wie es 1919 niemals gewesen ist. Es ist stimmig, daß inzwischen auch eine umfangreiche Monographie zu der Frage erschienen ist, warum die Weimarer Republik ausgerechnet in Weimar aus der 20 Michael Schultheiß, Sebastian Lasch (Hrsg.), Die Weimarer Verfassung – Wert und Wirkung für die Demokratie, Erfurt 2009. 21 Justus H. Ulbricht (Hrsg.), Weimar 1919. Chancen einer Republik, Köln, Weimar und Wien 2009. 22 Alf Rößner (Hrsg.), Demokratie aus Weimar. Die Nationalversammlung 1919. Ausstellung des Stadtmuseums Weimar zur Nationalversammlung, Weimar 2015. 23 Ute Ackermann, Ulrike Bestgen (Hrsg.), Das Bauhaus kommt aus Weimar, Berlin und München 2009. Der Ausstellungskatalog ist wesentlich umfangreicher als der des Stadtmuseums von 2014, und der Präsident der Klassikstiftung, Hellmut Seemann konstatiert im ersten Satz des Vorwortes: „Weimar steht am Beginn des Jahres 2009 unter einer Losung: Das Bauhaus kommt.“ (10). Seemann fährt fort: „Ein schlichter Aussagesatz, an dessen Ende allerdings auch ein Ausrufezeichen stehen kann.“
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Taufe gehoben wurde und nicht in einer der vielen anderen Städte, die sich 1919 für die Nationalversammlung interessierten24. Die institutionelle Verankerung der neuen Sicht auf die erste deutsche Demokratie (und des neuen öffentlichen und auch politischen Interesses an ihr) zeigt sich unter anderem in der Gründung des „Vereins Weimarer Republik“ von 2013 – es ist bezeichnend, daß seit der Gründung der Weimarer Republik 94 Jahre vergehen mußten, bevor sich ein Verein mit diesem spezifischen Interesse gründete. Zielvorstellungen sind die museale Präsentation der Weimarer Republik, die pädagogische Auseinandersetzung mit der Demokratie und ihrer Gefährdung sowie die wissenschaftliche Forschung. In dieser dritten Säule des Vereins besteht eine enge Zusammenarbeit mit der gleichfalls noch jungen, 2016 gegründeten Forschungsstelle Weimarer Republik an der Friedrich-Schiller-Universität Jena25. Im Jubiläumsjahr 2019 wird die Weimarer Republik schließlich an prominenter Stelle in ihrer Geburtsstadt angekommen sein, wenn direkt am Theaterplatz auf Betreiben des Vereins und mit Unterstützung der Stadt und des Bundes das „Haus der Weimarer Republik. Forum für Demokratie“ im Gebäude des ehemaligen Bauhaus-Museums eröffnet werden wird. Was für Weimar im lokalen Blickwinkel gilt, ist inzwischen auch auf der großen Bühne der Bundesrepublik angekommen. Weimar ist nicht nur ein Vorspiel zu Hitler, sondern ein ‚Event‘ aus eigenem Recht. In der populären Kultur ist der Erfolg der Kriminalromane um den Berliner Kommissar Gereon Rath aus der Feder von Volker Kutscher – seinerseits übrigens, zumindest im Nebenfach, studierter Historiker – bemerkenswert, und gleiches gilt für die auf den Romanen basierende Fernsehserie „Babylon Berlin“, die schon von sich reden machte, als sie lediglich im Bezahlfernsehen ausgestrahlt wurde. Für die Jubiläumsjahre 2018/19 sind durch die gesamte Bundesrepublik hindurch eine Vielzahl von Ausstellungen geplant, und schon die erste, „Glanz und Elend der Weimarer Republik“, die in der Frankfurter Kunsthalle Schirn zu sehen war, war ein bemerkenswerter Publikumserfolg26. 24 Vgl. Heiko Holste, Warum Weimar? Wie Deutschlands erste Republik zu ihrem Geburtsort kam, Köln 2017. 25 Vgl. zum Verein www.weimarer-republik.net und www.weimarforschung.uni-jena.de zur Forschungsstelle (beide eingesehen 4.6.2018). Vgl. auch Michael Dreyer, Stephan Zänker, Das Haus der Weimarer Republik. Zentraler Erinnerungsort an die erste deutsche Demokratie, in: Thüringer Museumshefte, Bd. 26 (2017) 2, 48–51. Die Forschungsstelle hat bislang vorgelegt Michael Dreyer, Andreas Braune (Hrsg.), Weimar als Herausforderung. Die Weimarer Republik und die Demokratie im 21. Jahrhundert, Stuttgart 2016; dies. (Hrsg.), Republikanischer Alltag. Die Weimarer Republik und die Suche nach Normalität, Stuttgart 2017; dies., Weimarer Republik. Nationalversammlung und Verfassung, Erfurt 2016. Die ersten beiden Bände sind, ebenso wie diese Preuß-Monographie, Teil der Schriftenreihe der Forschungsstelle. Weitere Bände sind in Planung. 26 Ingrid Pfeiffer (Hrsg.), Glanz und Elend in der Weimarer Republik. Von Otto Dix bis Jeanne Mammen, München 2017. Hierin zum spezifisch politischen Aspekt Andreas Braune, Chancen und Errungenschaften der Weimarer Republik, in: ebd., 255–260.
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Dies sind jedoch kulturelle Annäherungen, und Titel wie „Babylon“ oder „Glanz und Elend“ beziehen sich direkt auf den einzigen Aspekt der Weimarer Republik, der nie in Frage stand: die Bedeutung der Epoche der Weimarer Republik für die deutsche Kultur im 20. Jahrhundert. Wie sieht es mit der wissenschaftlichen Betrachtung außerhalb der Kulturwissenschaft aus? Die Entwicklung ist oben bereits angedeutet worden, und sie gilt sowohl für den großen Überblick wie für viele Detaildarstellungen. Im bereits zitierten Ausstellungsband „Wege nach Weimar“ hat Heinrich August Winkler, selbst durch zahlreiche Arbeiten ausgewiesen, noch 1999 die klassische Sichtweise zusammengefaßt, als er schrieb: Im Westen wurde aus Weimar gelernt, um eine neue, diesmal funktionstüchtige parlamentarische Demokratie aufzubauen. … Nie wieder sollte es möglich sein, die demokratische Ordnung auf legalem Weg zu beseitigen, nie wieder sollte ein republikanisches Staatsoberhaupt die Rolle des Ersatzgesetzgebers übernehmen und das Parlament ausschalten können, nie wieder eine negative, nicht regierungsfähige Mehrheit das Recht haben, einen Kanzler zu stürzen. Der Parlamentarische Rat ersetzte daher die relativistische durch eine wertgebundene Demokratie, die ihren Feinden vorsorglich den Kampf ansagte.27
Das faßt die klassische Sichtweise noch einmal perfekt zusammen, nach der es die Weimarer Konstruktionsfehler waren, die das Ende der Republik verursachten. Nicht nur ist der Ermordete selbst schuld; einen Mörder gibt es nach dieser Lesart, nur leicht überspitzt gesagt, überhaupt nicht. Man kann mit einiger Sicherheit sagen, daß heute kaum jemand mehr eine solche Einschätzung unterschreiben würde. Hier soll und kann nicht die ganze Forschungsliteratur referiert werden; dies ist eine Einleitung für ein Buch über Hugo Preuß und keine Sammelrezension. Aber schon der Weg von Winklers monumentaler Weimar-Monographie von 199328 zu der ebenso umfangreichen Arbeit von Ursula Büttner von 200829 zeigt den Paradigmenwechsel. Es ist vielleicht bezeichnend, daß über ein Jahrzehnt nach Büttners Buch noch niemand eine neue Gesamtdarstellung mit gleichem Anspruch für nötig befunden hat oder auch nur gewagt hat. Fast zeitgleich mit diesem Werk erschien in den USA eine weniger umfassend konzipierte Monographie des New Yorker Historikers Eric D. Weitz, die aber gleichfalls konstatierte, daß die Weimarer Republik „a moment of great political … achievement“ war, in der „Germans created a highly liberal political
27 Heinrich August Winkler, Aus Weimar lernen? Über Deutschlands noch immer gespaltene Geschichtskultur, in: Wilderotter/Dorrmann (Hrsg.), Wege nach Weimar, 291–295, hier 291. 28 Heinrich August Winkler, Weimar 1918–1933. Die Geschichte der ersten deutschen Demokratie, München 1993. Im Anschluß hieran erfolgte Winklers Auseinandersetzung „Der lange Weg nach Westen“, 2 Bde., München 2000. 29 Ursula Büttner, Weimar. Die überforderte Republik. 1918–1933. Leistung und Versagen in Staat, Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur, Stuttgart 2008.
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order with very substantial social welfare programs“30. Diese Auffassung hat sich inzwischen auch von der Wissenschaft in den Journalismus weiter verbreitet31 Das Paradigma ist der Versuch, Weimar gewissermaßen in Fahrtrichtung zu denken32. Das ist kein „teleologisch argumentiert[er] … Chancendiskurs“, dessen „Fluchtpunkt … die bundesdeutsche Nachkriegsdemokratie“ sei33, sondern gerade der Versuch, der Teleologie zu entgehen und die Weimarer Republik zu historisieren und vor einem offenen Zukunftshorizont zu betrachten34. Weder eine teleologische Ausrichtung auf das Jahr 1933 noch die „Bonn ist nicht Weimar“-Fixierung der Nachkriegszeit sind hilfreich. Weimar als Chancendiskurs hätte, wenn die Chancen wahrgenommen worden wären, die nachfolgenden politischen Systeme überflüssig gemacht. Ursula Büttner hat unlängst in einem souveränen Überblick deutlich gemacht, daß die Weimar-Forschung in dieser Hinsicht noch lange nicht am Ende ist, sondern eher an einem neuen Anfang steht35. Nur ein Politikfeld, das erst kürzlich intensiv in das Blickfeld der Forschung gekommen ist, sei hier beispielhaft erwähnt: Weimar im internationalen Kontext. Es ist bemerkenswert, wie lange die Weimar-Forschung in ihrer beinahe hypnotischen Starre vor dem Jahr 1933 die einfache vergleichende Frage unberücksichtigt ließ, welche Entwicklungslinie die anderen 1918/19 frisch gegründeten demokratisch-republikanischen Staatsgebilde nahmen – die Frage, ob Weimar und seine Zerstörung ein Einzelfall oder gar nicht so ungewöhnlich waren, hätte einen vergleichenden Ansatz gut vertragen können. Denn schon ein kursorischer Überblick zeigt, daß Weimar keineswegs einen „Sonderweg“ ging36, sondern eine weitgehend typische Entwicklung durchmachte. Keine einzige der neuen Nachkriegsdemokratien hat Bestand gehabt, und während allein die Tschechoslowakei 1938 von außen
30 Eric D. Weitz, Weimar Germany. Promise and Tragedy, Princeton 2007, 2 (beide Stellen). 31 Vgl. Eva-Maria Schnur, Vision einer besseren Zukunft. Weimar war mehr als das Vorspiel zur Nazidiktatur, in: Uwe Klaßmann, Joachim Mohr (Hrsg.), Die Weimarer Republik. Deutschlands erste Demokratie, München 2015, 17–25. Die Autoren des Bandes sind ganz überwiegend Journalisten beim Spiegel; der Band erschien zuerst als Heft der Reihe Spiegel Geschichte. 32 Dieser glückliche Ausdruck wurde von Michael Hollmann und Tobias Herrmann (beide Bundesarchiv Koblenz) auf einer gemeinsamen Tagung mit dem Verein Weimarer Republik und der Forschungsstelle Weimarer Republik der Friedrich-Schiller-Universität Jena geprägt. 33 So Franka Mausbach, Weimar (nicht) vom Ende her denken. Ein skeptischer Ausblick auf das Gründungsjubiläum 2019, in: APUZ „Weimarer Republik“, 68. Jg., 18–20/2018 (30.4.2018), 4–9, hier 7. 34 Zu letzterem siehe besonders Rüdiger Graf, Die Zukunft der Weimarer Republik: Krisen und Zukunftsaneignungen in Deutschland 1918–1933, München 2008. 35 Ursula Büttner, Ausgeforscht? Die Weimarer Republik als Gegenstand historischer Forschung, in: APUZ „Weimarer Republik“, 68. Jg., 18–20/2018 (30.4.2018), 19–26. 36 Auch diese Thematik ist im Kontext von Hugo Preuß neu untersucht worden; vgl. Detlef Lehnert (Hrsg.), „Das deutsche Volk und die Politik“. Hugo Preuß und der Streit um „Sonderwege“, Berlin 2017.
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zerstört wurde, sind alle anderen durch unterschiedliche innere Ursachen in diktatorische Regime umgewandelt worden37. Mit vermeintlichen Fehlern der Weimarer Republik hat das nichts zu tun, eher mit strukturellen gesamteuropäischen Herausforderungen der Jahre nach dem Ersten Weltkrieg, wie ein Band der Gedenkstätte Reichspräsident Friedrich Ebert schon 2007 zeigte38. Inzwischen ist diese Problematik weit intensiver untersucht, aber allein die Überraschung und Aufmerksamkeit, die einige jüngere Publikationen auf sich gezogen haben, bezeugt, wie wenig diese offensichtliche Forschungsfrage lange Zeit angegangen wurde39. Dieser bei weitem nicht vollständige Überblick zeigt ansatzweise, wie weit die Forschung zu Hugo Preuß, aber auch zur Revolutionszeit, zur Weimarer Verfassung und zur Weimarer Republik inzwischen vorangeschritten ist. Ähnliche Forschungsüberblicke ließen sich für die politische und intellektuelle Geschichte des Kaiserreiches zusammenstellen, für die Geschichte des Staatsrechtsdenkens40 und die Ideengeschichte der Demokratie und des Pluralismus41, für die deutsche und insbesondere Berliner Kommunalgeschichte, und für alle weiteren Bereiche, in denen Preuß bereits vor dem Ende des Ersten Weltkrieges tätig und erfolgreich war. Darauf soll verzichtet werden. Zum einen ändert sich nichts an dem bereits genannten Befund: so wichtig die Erkenntnisse im Detail sein mögen, ändern sie nichts oder nur sehr wenig an der Einschätzung von Leben und Werk Hugo Preuß‘, die sich an diese Einleitung anschließt. Zum zweiten muß man konzedieren, daß Preuß in der Politik des Kaiserreiches nicht in der ersten Reihe stand; daß also grundlegende Neueinschätzungen seine etwas kleinere Welt nicht so berühren, wie es für zentrale Akteure der Epoche der 37 Vgl. Michael Dreyer, Weimar als ‚wehrhafte Demokratie‘ – ein unterschätztes Vorbild“, in: Michael Schultheiß, Sebastian Lasch (Hrsg.), Die Weimarer Verfassung – Wert und Wirkung für die Demokratie, Erfurt 2009, 161–189, hier 186f.; ders., Weimar as a ‘Militant Democracy’, in: Jochen Hung, Godela Weiss-Sussex, Geoff Wilkes (eds.), Beyond Glitter and Doom: The Contingency of the Weimar Republic, München 2012, 62–86. 38 Ein wichtiger erster Überblick ist Andreas Wirsching (Hrsg.), Herausforderungen der parlamentarischen Demokratie. Die Weimarer Republik im europäischen Vergleich, München 2007. Ein Jahr später erschien auch Christoph Gusy (Hrsg.), Demokratie in der Krise: Europa in der Zwischenkriegszeit, Baden-Baden 2008. 39 Vgl. hierzu etwa Philip Blom, Die zerrissenen Jahre. 1918–1933, München 2014; Tim B. Müller, Nach dem Ersten Weltkrieg. Lebensversuche moderner Demokratien, Hamburg 2015; ders. und Adam Tooze (Hrsg.), Normalität und Fragilität. Demokratie nach dem Ersten Weltkrieg, Hamburg 2015; Boris Barth, Europa nach dem Großen Krieg. Die Krise der Demokratie in der Zwischenkriegszeit 1918–1938, Frankfurt a.M. 2016; Steffen Kailitz (Hrsg.), Nach dem „Großen Krieg“: Vom Triumph zum Desaster der Demokratie 1918/19 bis 1939, Göttingen 2017; Ian Kershaw, To Hell and Back. Europe 1914–1949, London 2016; Robert Gerwarth, The Vanquished. Why the First World War Failed to End, 1917–1923, London 2017. 40 Kathrin Groh, Demokratische Staatsrechtslehrer in der Weimarer Republik. Von der konstitutionellen Staatslehre zur Theorie des modernen demokratischen Verfassungsstaats, Tübingen 2010, beschäftigt sich außer mit Preuß auch u.a. mit Anschütz, Heller, Kelsen und Thoma. 41 Christoph Gusy (Hrsg.), Demokratisches Denken in der Weimarer Republik, Baden-Baden 2000.
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Fall wäre. Zentral war Preuß für die Staatstheorie seiner Zeit und, mit Abstrichen, für die Berliner Kommunalpolitik. Aber seine große Stunde kommt eben doch erst mit dem Ende der Monarchie. Zum dritten läßt sich nicht übersehen, daß das lange etwas vernachlässigte Forschungsfeld der Zwischenkriegszeit interdisziplinär und international neue Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat. Das mag zum Teil an heraufziehenden Jubiläen liegen, zumal vergangene Jubiläen in Medien und Öffentlichkeit erfolgreicher vermarktet wurden, als man dies vielleicht erwartet hätte42. Zum Teil ist es aber auch lange vor der medialen Morgenröte zu beobachten, daß dieses Interesse erwacht ist. Zum vierten endlich ist die Frage der „Weimarer Verhältnisse“ bemerkenswert, um nicht zu sagen beunruhigend, aktuell. Politische Entwicklungen des 21. Jahrhunderts, Entwicklungen des Parteienspektrums und des Wählerwandels, des vermeintlichen oder realen Niedergangs der Volksparteien und des (Wieder-)Aufstiegs des Populismus werfen Fragen auf, die noch vor 20 Jahren niemand für möglich gehalten hätte43. In jedem Fall erlaubt es diese Kombination der Umstände, einen der wichtigen Akteure des damaligen Ringens um Demokratie, einen der wenigen echten demokratischen Denker und Politiker, die es in Deutschland vor 100 Jahren überhaupt gegeben hat und für den Demokratie niemals nur eine Vernunftfrage war44, näher zu betrachten. Literatur Ackermann, Ute, Ulrike Bestgen (Hrsg.), Das Bauhaus kommt aus Weimar, Berlin und München 2009 Albertin, Lothar, Einleitung, in: Hugo Preuß, Gesammelte Schriften, hrsg. von Detlef Lehnert und Christoph Müller, 5 Bde., hier 1. Bd., hrsg. von Lothar Albertin i.Zus.m. Christoph Müller, Politik und Gesellschaft im Kaiserreich, Tübingen 2007, 1–65 Barth, Boris, Europa nach dem Großen Krieg. Die Krise der Demokratie in der Zwischenkriegszeit 1918–1938, Frankfurt a.M. 2016 Blom, Philip, Die zerrissenen Jahre. 1918–1933, München 2014
42 Das gilt insbesondere für das Jubiläum des Kriegsausbruchs 1914, das bemerkenswert viel Aufmerksamkeit auf sich zog und manche Bücher zu Bestsellern machte; vgl. Christopher Clark, The Sleepwalkers. How Europe Went to War in 1914, London 2013 (auch als deutsche Ausgabe „Die Schlafwandler. Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog“, München 2013); Herfried Münkler, Der Große Krieg. Die Welt 1914 bis 1918, Berlin 2013; Jörn Leonhard, Die Büchse der Pandora. Geschichte des Ersten Weltkriegs, München 2014. 43 Vgl. zur politischen Aktualität nur Andreas Wirsching, Berthold Kohler, Ulrich Wilhelm (Hrsg.), Weimarer Verhältnisse? Historische Lektionen für unsere Demokratie, Stuttgart 2018. Der kleine Band beruht auf einer Artikelserie in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. 44 Auch dieser Begriff wurde inzwischen neu bewertet; vgl. Andreas Wirsching, Jürgen Eder (Hrsg.), Vernunftrepublikanismus in der Weimarer Republik. Politik, Literatur, Wissenschaft, Stuttgart 2008.
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Braune, Andreas, Chancen und Errungenschaften der Weimarer Republik, in: Ingrid Pfeiffer (Hrsg.), Glanz und Elend in der Weimarer Republik. Von Otto Dix bis Jeanne Mammen, München 2017, 255–260 Braune, Andreas, Michael Dreyer, (Hrsg.), Republikanischer Alltag. Die Weimarer Republik und die Suche nach Normalität, Stuttgart 2017 Braune, Andreas, Michael Dreyer, Weimarer Republik. Nationalversammlung und Verfassung, Erfurt 2016 Büttner, Ursula, Ausgeforscht? Die Weimarer Republik als Gegenstand historischer Forschung, in: APUZ „Weimarer Republik“, 68. Jg., 18–20/2018 (30.4.2018), 19–26 Büttner, Ursula, Weimar. Die überforderte Republik. 1918–1933. Leistung und Versagen in Staat, Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur, Stuttgart 2008 Clark, Cistopher, The Sleepwalkers. How Europe Went to War in 1914, London 2013 (auch als deutsche Ausgabe „Die Schlafwandler. Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog“, München 2013) Dreyer, Michael, Andreas Braune (Hrsg.), Weimar als Herausforderung. Die Weimarer Republik und die Demokratie im 21. Jahrhundert, Stuttgart 2016 Dreyer, Michael, Der Preußsche Neugliederungsplan von 1919 und sein Scheitern, in: Detlef Lehnert (Hrsg.), Hugo Preuß 1860–1925. Genealogie eines modernen Preußen, Köln, Weimar, Wien 2011, 279–300. Dreyer, Michael, Die Entstehung der Weimarer Reichsverfassung, in: Harald Mitteldorf (Red.), 80 Jahre Weimarer Reichsverfassung (1919–1999), Weimar 1999, 31–66 Dreyer, Michael, Stephan Zänker, Das Haus der Weimarer Republik. Zentraler Erinnerungsort an die erste deutsche Demokratie, in: Thüringer Museumshefte, Bd. 26 (2017) 2, 48–51 Dreyer, Michael, Weimar als ‚wehrhafte Demokratie‘ – ein unterschätztes Vorbild“, in: Michael Schultheiß, Sebastian Lasch (Hrsg.), Die Weimarer Verfassung – Wert und Wirkung für die Demokratie, Erfurt 2009, 161–189 Dreyer, Michael, Weimar as a ‘Militant Democracy’, in: Jochen Hung, Godela Weiss-Sussex, Geoff Wilkes (eds.), Beyond Glitter and Doom: The Contingency of the Weimar Republic, München 2012, 62–86 Eichenhofer, Eberhard (Hrsg.), 80 Jahre Reichsverfassung – Was ist geblieben?, Tübingen 1999 Gallus, Alexander (Hrsg.), Die vergessene Revolution von 1918/19, Göttingen 2010 Gerwarth, Robert, The Vanquished. Why the First World War Failed to End, 1917–1923, London 2017 Gillessen, Günther, Hugo Preuß. Studien zur Ideen- und Verfassungsgeschichte der Weimarer Republik. Mit einem Nachwort von Manfred Friedrich, Berlin 2000 Graf, Rüdiger, Die Zukunft der Weimarer Republik: Krisen und Zukunftsaneignungen in Deutschland 1918–1933, München 2008 Groh, Kathrin, Demokratische Staatsrechtslehrer in der Weimarer Republik. Von der konstitutionellen Staatslehre zur Theorie des modernen demokratischen Verfassungsstaats, Tübingen 2010 Gusy, Christoph (Hrsg.), Demokratie in der Krise: Europa in der Zwischenkriegszeit, Baden-Baden 2008 Gusy, Christoph (Hrsg.), Demokratisches Denken in der Weimarer Republik, Baden-Baden 2000 Hahn, Hans-Werner, 80 Jahre Weimarer Reichsverfassung. Zur Bedeutung der Verfassung von 1919 für die deutsche und thüringische Geschichte, in: Harald Mitteldorf (Red.), 80 Jahre Weimarer Reichsverfassung (1919–1999), Weimar 1999, 9–30 Holste, Heiko, Warum Weimar? Wie Deutschlands erste Republik zu ihrem Geburtsort kam, Köln 2017 http://www.historische-demokratieforschung.com/publikationen.html (eingesehen 26.5.2018) http://www.weimarforschung.uni-jena.de/ (eingesehen 4.6.2018) https://www.weimarer-republik.net/ (eingesehen 4.6.2018)
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I. HUGO PREUSS – EINE BIOGRAPHISCHE EINFÜHRUNG 1960 jährte sich der Geburtstag von Hugo Preuß zum hundertsten Mal, und diesen Anlaß ergriff Theodor Heuss, seinerzeit ein enger politischer Weggefährte Preuß’ im Kampf um die Sicherung der Demokratie von Weimar, um das Gedenken an Hugo Preuß „ganz einfach [als] eine vaterländische Anstandspflicht“ zu bezeichnen1. Es war nicht das erste und nicht das letzte Mal, daß der Altbundespräsident versuchte, die Aufmerksamkeit auf seinen 24 Jahre älteren Parteifreund aus vergangenen Tagen zu richten. In mehreren Aufsätzen, in längeren Passagen seiner Erinnerungen und vor allem mit der Herausgabe des großen Nachlaßbandes „Staat, Recht und Freiheit. Aus 40 Jahren deutscher Politik und Geschichte“, bei dem er nicht nur die Auswahl der hier versammelten wissenschaftlichen, politischen und publizistischen Arbeiten von Preuß besorgte, sondern auch ein warmherziges Geleitwort schrieb, hat Heuss sich bemüht, zu der von ihm eingeforderten Anstandspflicht beizutragen2. Wie sieht es damit heute, mehr als eine Generation später, aus? Wenn es dem Altbundespräsidenten darum ging, einen Wegbereiter der Demokratie in Deutschland im Bewußtsein des Volkes zu verankern und ihm seinen Platz im öffentlichen politisch-intellektuellen Diskurs zu sichern, dann ist diese Absicht lange Zeit nicht von Erfolg gekrönt worden. Anders als Friedrich Ebert und Philipp Scheidemann, anders auch als Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und Kurt Eisner und anders selbst als Hindenburg und Ludendorff ist Hugo Preuß noch lange nach den Bemühungen von Heuss weitestgehend vergessen geblieben. Er hat keinen Platz im kollektiven Gedächtnis seines Volkes erhalten, weder durch seine Arbeit an der Gestaltung der Weimarer Reichsverfassung, noch seine Mitbegründung und Mitgestaltung der Deutschen Demokratischen Partei, noch durch sein Leben im Dienste des demokratischen Gedankens. Schon die Verkürzung dieses Lebens auf die wenigen Monate von Weimar, von der sich auch die meisten der frühen Biographen haben einfangen lassen, verzerrt die Perspektiven. Sie ist aber wohl in der zeitlichen Nähe zur Verfassung von 1
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Theodor Heuss, Hugo Preuß, in: Profile. Nachzeichnungen aus der Geschichte, Tübingen 1964, 255–267, hier 255 (erstmals 1960). Ebenfalls zum 100. Geburtstag erschien Ernst Feder, Der Schöpfer der Weimarer Verfassung. Zum hundertsten Geburtstag von Hugo Preuss, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 204, 28.10.1960, 1963–1966. Feder war ein enger Freund von Preuß gewesen. Vgl. von Theodor Heuss das Geleitwort, 1–23, in: Hugo Preuß, „Staat, Recht und Freiheit. Aus 40 Jahren deutscher Politik und Geschichte“, Tübingen 1926; „Zur Erinnerung an Hugo Preuß“, in: An und über Juden. Zusammengestellt und hrsg. von Hans Lamm, 2. Aufl., Düsseldorf und Wien 1964, 109–112 (erstmals Rhein-Neckar-Zeitung 11.8.1949); Erinnerungen 1905–1933, Tübingen 1963.
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Weimar und vor allem zu ihrer Vernichtung durch den „Vertikaleinfall der Barbarei“, wie Ortega y Gasset das Jahr 1933 und seine Folgen nannte, verständlich und begründet. 1955, im gleichen Jahr, in dem Karl Dietrich Bracher mit seiner Deutung der Auflösung der Weimarer Republik einen bis heute frisch gebliebenen Beitrag zum Verständnis der Katastrophe lieferte, bemühte sich Günther Gillessen in seiner Freiburger Dissertation Hugo Preuß. Studien zur Ideen- und Verfassungsgeschichte der Weimarer Republik erstmals biographisch um den Schöpfer der Verfassung. Brachers Studie nimmt ihren Impetus vom Ende her, während Gillessen die Hoffnungen, die Weimar auch bedeutete, stärker in den Mittelpunkt stellt. Habent sua fata libelli. Brachers großes Werk ist eines der erfolgreichsten Bücher der noch jungen Politikwissenschaft in Deutschland geworden; Gillessens vom Anspruch und Umfang her wesentlich bescheidenere Studie wurde nicht gedruckt und war über Jahrzehnte hinweg den an Hugo Preuß interessierten Forschern nur in wenigen, den Zahn der Zeit deutlich erkennen lassenden maschinenschriftlichen Exemplaren zugänglich. Das allerdings hat sich inzwischen geändert; auf Initiative von Manfred Friedrich3 ist die Arbeit 45 Jahre nach ihrem Entstehen in unveränderter Form veröffentlicht worden. Friedrich rechtfertigt dieses in den Geistes- und Sozialwissenschaften wohl recht seltene Vorkommnis knapp und zutreffend damit, daß die Arbeit auch im Jahre 2000 noch nicht ersetzt worden sei4. Dies sagt eine Menge über den Stand und die Entwicklung der Preuß-Forschung. Auch für Gillessen stehen die Monate von Weimar im Mittelpunkt seines Interesses; sie sind der archimedische Punkt, von dem aus das Leben und das Werk von Hugo Preuß gedeutet werden: In seinem Verfassungsentwurf verknüpften sich alle bedeutenden Linien seiner Entwicklung. Von da aus erhält eine politische Biographie Hugo Preuß’ ihre Mitte und ihre Berechtigung. Um der Arbeit an der deutschen Reichsverfassung von 1919 willen wurde Hugo Preuß überhaupt erst eine historische Figur; ohne sie wäre er ein glänzender Name in der Rechtswissenschaft geblieben und hätte als Stadtverordneter vielleicht eine Notiz in der Berliner Stadtgeschichte erhalten. Umso fesselnder ist es, vom Ende und der Erfüllung des persönlichen Schicksals her zu beobachten, wie sich in dieser Lebensgeschichte im Wandel der Jahre eines zum andern fügte, eine Erfahrung oder Erkenntnis die andere ergänzte und alles zusammen in erstaunlich gerader, sicherer Linie auf die Verfassung von 1919 hinzielte.5
Diese Beobachtung ist keineswegs falsch, zumal Gillessen nicht bei ihr stehen bleibt, sondern in der Tat die Linien von der frühen akademischen und politischen Zeit bis hin zum Jahr 1919 zieht. Noch stärker haben die Zeitgenossen das ganze 3 4
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Friedrich ist selbst als Preuß-Forscher ausgewiesen; Manfred Friedrich, Art. „Preuß, Hugo“, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 20, Berlin 2001, 708–710 (weiter NDB). Manfred Friedrich, Nachwort, in: Günther Gillessen, Hugo Preuß. Studien zur Ideen- und Verfassungsgeschichte der Weimarer Republik, Berlin 2000, 183–188, hier 183. Die erste Version der Arbeit ist eine maschinenschriftliche Dissertation, Freiburg 1955. Da die hier vorgelegte Arbeit weitgehend abgeschlossen war, als die Buchpublikation erschien, wird nach dem Exemplar von 1955 zitiert. G. Gillessen, Hugo Preuß, 5.
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Leben von Preuß unter dem Blickwinkel der Verfassunggebung verstanden. Carl Schmitt, ein Nachfolger von Hugo Preuß auf dem staatsrechtlichen Lehrstuhl an der Berliner Handelshochschule hat ihn in einer einfühlsamen Rede 1930, fünf Jahre nach dem Tode von Preuß, gewürdigt und es „im Zusammenhang der geschichtlichen Entwicklung des deutschen Staatsrechts als historisch gerecht und fast symbolhaft“ bezeichnet, daß gerade Hugo Preuß die Verfassung entworfen hat6. Walter Simons, kurzzeitig Außenminister in der Regierung des Reichskanzlers Fehrenbach und lange Jahre Präsident des Reichsgerichts, hat Preuß in einem kleinen Büchlein als Meister des Rechts gewürdigt, denn ein Meister sei nicht nur, „wer die Rechtslehre um einen durchaus neuen und fruchtbaren Gedanken bereichert, sondern auch wer für die Gedanken früherer Meister in entscheidender Stunde die praktische Anwendung ermöglicht und durchgeführt hat“7. Auch damit ist natürlich die Weimarer Reichsverfassung gemeint, und vielleicht hat Simons mit diesem als Lob und Auszeichnung gemeinten Satz gar nicht einmal bemerkt, wie der damit gleichzeitig das staatsrechtliche und politiktheoretische Denken Preuß’ herabgewürdigt hat. Freilich, Simons war Rechtspositivist, und wie sehr die Ideen von Preuß mit der herrschenden Lehre überkreuz lagen, wird noch ausführlich zu betrachten sein. Trotzdem stimmt es sicherlich, daß der 21. Februar 1919, der Tag, an dem Hugo Preuß in einer großen Rede vor der Nationalversammlung den Entwurf der Reichsverfassung begründete, ein Höhepunkt in seinem Leben gewesen ist8. Aber immerhin war Hugo Preuß 58 Jahre alt, als inmitten der Revolution der Ruf an ihn erging, die Verfassung eines demokratischen Deutschland zu entwerfen. Und er ist wegen dieses Lebens mit dieser Aufgabe betraut worden, nicht als erfolgreicher Politiker, der etwa schon im Kaiserreich entscheidende Funktionen im Reichstag ausgeübt hätte. Noch einmal soll Theodor Heuss bemüht werden, der die Bedeutung der Preußschen Tätigkeit in Weimar natürlich auch gewürdigt hat; sie war es, mit der ihn „der Gang der Geschichte auf die Bühne des großen Handelns gerissen“ hatte. Aber Heuss fährt mit beinahe poetischen Worten auch fort: „Uns will aber scheinen, daß durch den Szenenwechsel in seinem Leben, da ein scharfes Licht auf den Mann des Parlaments, den Mitarbeiter des Revolutionskabinetts, fiel, jene stille Stube durcharbeiteter Nächte fast allzusehr in ein Halbdunkel gerückt ist.“9 Dieses Halbdunkel ist lange Zeit nicht weiter erhellt worden. Dafür ist nicht nur die Konzentration seiner Freunde und Zeitgenossen auf die Leistung von Weimar verantwortlich zu machen. Gerade auch die Feinde der Republik haben es 6 7 8
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Carl Schmitt, Hugo Preuß. Sein Staatsbegriff und seine Stellung in der deutschen Staatslehre, Tübingen 1930 (erw. Form d. Rede v. 18.1.1930 in der Berliner Handelshochschule), 3f. Walter Simons, Hugo Preuß, Berlin 1930 (Meister des Rechts, 6. Bd.), 1. Hedwig Hintze, Hugo Preuß. Eine historisch-politische Charakteristik, in: Die Justiz, 2. Bd. (1926/27), 223–237, hier 227: „Der Tag, an dem er diese Worte sprach, war wohl der Höhepunkt im Leben von Hugo Preuß; man trägt kaum etwas Künstliches und nachträglich Konstruiertes in sein theoretisches und praktisches Wirken hinein, wenn man es von Anfang an darauf gerichtet sieht, das deutsche Volk in einer echten res publica zu organisieren.“ Th. Heuss, Geleitwort, 6.
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verstanden, das Bild von Hugo Preuß einseitig festzulegen und damit zu verzerren. In ihm, dem engagierten Demokraten jüdischen Glaubens, fanden sie einen Kronzeugen für den angeblich ‚undeutschen‘ Charakter des Weimarer „Systems“. Wie Walther Rathenau für die äußere Politik Weimars stand, diente Hugo Preuß als eine Symbolfigur für die innere Verfassungsordnung. Vielleicht war es nur seine nach der Verfassungsgebung weniger prominente politische Rolle, die verhinderte, daß er das Schicksal seines Freundes Rathenau teilte. Es waren nicht nur die Nationalsozialisten, die sich in der geistigen Hetze gegen Preuß hervortaten, obwohl sie zweifellos ihren Teil dazu beitrugen10. Alle rechten Politiker und Publizisten konnten ihren Unmut mit den neuen Zeiten auch an der Tür des Vaters der Weimarer Verfassung abladen. Ein auf seine Art herausragendes Beispiel ist der Vergleich, den Fürst Bülow, der alte Reichskanzler, Höfling und selbststilisierter Kulturmensch zwischen der Weimarer Verfassung und der Bismarckschen Reichsverfassung anstellte: Zu seinem genialen Wurf verhält sich das mühsam zusammengeflickte Elaborat des Professors Dr. Hugo Preuß wie in Wagners unvergänglichen ‚Meistersingern‘ das Gemecker des Schreibers Beckmesser zu dem himmelanstrebenden Gesang des Ritters Walter von Stolzing.11
Wenn man dazu weiß, was Bülow sicherlich bekannt war, daß Wagner im Beckmesser nicht nur seinen Kritiker-Feind Eduard Hanslick porträtiert sehen wollte, sondern vor allem das Judentum, dann gewinnen die maßlosen Worte noch eine andere Bedeutung. Waren die Jahre, die bald nach Preuß’ Tod 1925 anbrachen, einer Würdigung seiner Arbeit und seines Lebens denkbar ungünstig, so sollte sich hieran mit dem Jahr 1945 keine radikale Wendung anschließen. Mit veränderter Zielrichtung wurde ihm die Arbeit an der Verfassung der Weimarer Republik wieder nicht positiv angerechnet, sondern zur Last gelegt; nicht mehr, weil sie angeblich undeutsch war, sondern weil sie den Feinden der Republik nicht mehr Widerstand entgegengesetzt hatte. Im Osten Deutschlands konnte man in „Dasein und Machtergreifung [der Rechtsradikalen] das unmittelbare Ergebnis der von Hugo Preuss entworfenen Verfassung“12 sehen, im Westen richtete sich das Bemühen, die Demokratie von 10 Ein Beispiel unter vielen: Alfred Rosenberg, Novemberköpfe, 2. unveränd. Aufl., München 1939 (erstmals 1927), 297–300, hier 299f.: „Durch anmaßendes Auftreten mußte Herr Preuß, der eine Zeitlang Innenminister des Deutschen Reiches war, verschwinden und lebte bis zu seinem Tode in theoretisierender Zurückgezogenheit. Man muß aber, wenn man die Novemberrepublik nennt, diesen Mann als einen der Vorbereiter des Zusammenbruches erwähnen. Er hat diesem die Form gegeben und bleibt auf immer vor der deutschen Geschichte mit dem gebrandmarkt, was man heute noch ‚stolz‘ die Weimarer Verfassung nennt, was eine spätere Zeit aber als die Ausgeburt eines bis ins Innerste undeutschen Geistes einmal in die dunkelste Rumpelkammer seiner Geschichte werfen wird.“ 11 Bernhard Fürst von Bülow, Denkwürdigkeiten, 4 Bde., Berlin 1930/31, hier Bd. 1, 123. 12 Werner Sellnow, Hugo Preuss, ein Verwaltungsrechtler im Kampf mit dem preussischen Verwaltungsrecht, in: Entwicklungsfragen der Verwaltung in Mitteleuropa, Pécs 1972, 229–252, hier 252. Noch absurder ist es, wenn ebd., 247, vom „blinden Klassenhass“ bei Hugo Preuß gesprochen wird – ausgerechnet bei dem linksliberalen Politiker, der mit am frühesten mit der
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Bonn auch in der Distanz zu Weimar zu festigen, durch eine kritische Sicht auf die Weimarer Verfassung auch gegen den vermeintlich Hauptverantwortlichen an dieser Verfassung. Zumindest geschah dies in der Form, daß Preuß weitgehend in Vergessenheit geriet. Eine Ausnahme ist die Theoriegeschichte der Selbstverwaltung, in der immer anerkannt wurde, daß Preuß ebenso wie seine akademischen Lehrer Gneist und – der für Preuß’ geistige Entwicklung weit wichtigere – Gierke zu den wichtigsten Vordenkern eines ausgedehnten Verständnisses von Selbstverwaltung gehört13. Inzwischen ist zeitlicher Abstand gewonnen, das Grundgesetz hat seine Lebenskraft bereits länger als die Bismarck-Verfassung unter Beweis gestellt, und mit der Historisierung auch der schrecklichsten Vergangenheit werden die Jahre ab 1933 zwar nicht aus ihrer zentralen Erklärungsbedürftigkeit für die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts entfernt, aber ein neuer Blick auf die Jahre vor 1933 ist inzwischen einfacher möglich, als dies 1955 der Fall war. Damit ist auch Hugo Preuß wieder stärker in den Blickwinkel der wissenschaftlichen Diskussion gerückt. Im Oktober 2000, zum 75. Todestag von Hugo Preuß, hat sich eine Hugo Preuß-Gesellschaft gegründet14, die es sich unter anderem zur Aufgabe gemacht hat, eine Edition der Schriften von Preuß herauszugeben. Da bislang viele seiner Arbeiten, von den Hauptwerken abgesehen, an verstreuten Orten erschienen sind und zudem sehr viel in Zeitungen und Zeitschriften publiziert wurde und bislang nur mit Mühe zugänglich ist, kann eine solche Edition der Beschäftigung mit Preuß nur förderlich sein. Auch so ist in den letzten Jahren eine ganze Reihe von Aufsätzen erschienen, die im Detail oder als Gesamtwürdigung das Schaffen von Preuß in den Mittelpunkt gerückt haben15. In einer Kieler rechtswissenschaftlichen Dissertation ist erneut die SPD zusammenzuarbeiten bereit war. Von der ideologischen Wertung abgesehen, ist der Aufsatz von Sellnow inhaltsreich. Die Einschätzung von Rolf Albrecht (Zur Rolle des politischen Neoliberalismus in der Weimarer Republik. (Ein Beitrag zur Auseinandersetzung mit der Strategie und Taktik der deutschen Monopolbourgeoisie), Diss. (masch.) Halle-Wittenberg 1974, 162), wonach Hugo Preuß die ökonomische Basis von Machtverhältnissen „unterschlägt“ und mit seinen illusionären Thesen „nur dazu beitragen [kann], die realen Verhältnisse zu verschleiern, die Volksmassen zu täuschen“, hat sich auch nicht durchgesetzt. 13 So schon ganz intensiv Heinrich Heffter, Die deutsche Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert. Geschichte der Ideen und Institutionen, 2., überarb. Aufl., Stuttgart 1969 (erstmals 1950). Vgl. unter vielen neueren Beispielen Peter Schöber, Kommunale Selbstverwaltung. Die Idee der modernen Gemeinde, Stuttgart usw. 1991, 41; und Jürgen Reulecke, Bundesrepublik Deutschland, in: Christian Engeli, Horst Matzerath (Hrsg.), Moderne Stadtgeschichtsforschung in Europa, USA und Japan. Ein Handbuch, Stuttgart usw. 1989, 21–38, hier 23. 14 Vgl. Günther Gillessen, Von rechts gesehen, stand er links. Der Vater der Weimarer Verfassung: Eine Berliner Tagung erinnerte an Hugo Preuß, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18. Oktober 2000. 15 Etwa Gustav Schmidt, Hugo Preuß, in: Hans-Ulrich Wehler (Hrsg.), Deutsche Historiker VII, Göttingen 1980, 55–68; Detlef Lehnert, Hugo Preuß als moderner Klassiker einer kritischen Theorie der „verfaßten Politik. Vom Souveränitätsproblem zum demokratischen Pluralismus, in: PVS, 33 (1992), 33–54; Detlef Lehnert, Verfassungsdispositionen für die Politische Kultur
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Zeit der Verfassunggebung unter die Lupe genommen worden16, und in einer umfangreichen Monographie ist erstmals auch von Detlef Lehnert ein Gesamtüberblick über das Denken von Hugo Preuß im Bezug auf die rechtswissenschaftlichen Diskussionen vor allem der Weimarer Zeit gegeben worden17. Neben diesen monographischen Werken im engeren Sinne ist Preuß in letzter Zeit auch verstärkt in seinen kommunalpolitischen Aktivitäten gewürdigt worden; zwei detaillierte Monographien von Detlef Lehnert und Elfi Bendikat haben vergleichende kommunalhistorische Untersuchungen angestellt und dabei auch die theoretische wie praktische Arbeit von Preuß in den Mittelpunkt gestellt18. Damit ist die noch nicht lange zurückliegende Situation, als neben vereinzelten Referenzen an ausführlicheren Arbeiten nur die erwähnte unveröffentlichte Dissertation von Gillessen und eine weitere, die kommunalpolitische Arbeit von Preuß in den Mittelpunkt stellende Dissertation von Siegfried Graßmann19 vorlagen, inzwischen etwas weniger prekär. Graßmanns Arbeit ist heute weitgehend durch die oben erwähnten Schriften überholt, aber für Gillessen gilt dies nicht. Das verweist aber auch auf die noch vorhandenen Lücken. Die Verbindung von Politik und Theorie ist seit Gillessens vom Umfang her überschaubarer Arbeit nicht wieder untersucht worden, und der politische Publizist Preuß ist noch nie Gegenstand einer intensiven Untersuchung gewesen. Das wissenschaftliche Interesse hat sich in den letzten Jahren aber auch noch anderen Themen zugewandt, die das Klima für eine erneute Beschäftigung mit Hugo Preuß verbessert haben. Das könnte daran liegen, daß das nach dem Zweiten
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der Weimarer Republik – Die Beiträge von Hugo Preuß im historisch-konzeptiven Vergleich, in: ders. und Klaus Megerle (Hrsg.), Pluralismus als Verfassungs- und Gesellschaftsmodell. Zur politischen Kultur in der Weimarer Republik, Opladen 1993, 11–47; Michael Dreyer: German Roots of the Theory of Pluralism, in: Constitutional Political Economy, 4 (1993) 7– 39; Dian Schefold, Hugo Preuß (1860–1925). Von der Stadtverfassung zur Staatsverfassung der Weimarer Republik, in: Helmut Heinrichs et al. (Hrsg.), Deutsche Juristen Jüdischer Herkunft, München 1993, 429–453; Ernst Benda, Hugo Preuß und Gerhard Leibholz. Von der Weimarer Verfassung zum Grundgesetz, in: Herta Däubler-Gmelin, Helmut Schmidt und Jürgen Schmude (Hrsg.), Gestalten und Dienen. Fortschritt mit Vernunft. Festschrift zum 70. Geburtstag von Hans-Jochen Vogel, Baden-Baden 1996, 43–54. Jasper Mauersberg, Ideen und Konzeption Hugo Preuß’ für die Verfassung der deutschen Republik 1919 und ihre Durchsetzung im Verfassungswerk von Weimar, Frankfurt a.M. usw. 1991. Detlef Lehnert, Verfassungsdemokratie als Bürgergenossenschaft. Politisches Denken, Öffentliches Recht und Geschichtsdeutungen bei Hugo Preuß – Beiträge zur demokratischen Institutionenlehre in Deutschland, Baden-Baden 1998. Detlef Lehnert, Kommunale Institutionen zwischen Honoratiorenverwaltung und Massendemokratie. Partizipationschancen, Autonomieprobleme und Stadtinterventionismus in Berlin, London, Paris und Wien 1888–1914, Baden-Baden 1994; Elfi Bendikat, Öffentliche Nahverkehrspolitik in Berlin und Paris 1890–1914. Strukturbedingungen, politische Konzeptionen und Realisierungsprobleme, Berlin und New York 1999. Siegfried Graßmann, Hugo Preuß und die deutsche Selbstverwaltung, Lübeck und Hamburg 1965.
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Weltkrieg in der Bundesrepublik institutionalisierte Fach Politikwissenschaft inzwischen so alt geworden ist, daß seine Entwicklungslinien nicht mehr selbstverständlich vor Augen stehen, sondern nur noch dadurch präsent zu machen sind, daß sie zum Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchung werden. Die Geschichte der Politikwissenschaft ist zum neuesten Forschungszweig des Faches geworden, was auch bereits zur Einrichtung eines entsprechenden Kreises in der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft geführt hat. Vor allem Wilhelm Bleek und Hans J. Lietzmann haben in gemeinschaftlich herausgegebenen Sammelbänden20 und in Monographien unterschiedlichen Zuschnitts21 Herkunft, Entwicklungsgeschichte und Selbstverständnis des Faches und seiner wichtigsten Vertreter untersucht. Auch die Arbeiten von Alfons Söllner über die politikwissenschaftliche Emigration und die transatlantischen Verbindungslinien als Initialzündung der deutschen Politikwissenschaft nach 1945 sind in diesem Kontext zu nennen22. Es ist naheliegend, daß in diesem geistigen Umfeld auch das Interesse an den Vorläufern und Verfechtern demokratischen Denkens in Deutschland, die lange Zeit vernachlässigt wurden, gewachsen ist. Diese Vernachlässigung ist wiederum leicht zu verstehen. Es ist kein Zufall, daß Kurt Sontheimers großes Werk über das Antidemokratische Denken in der Weimarer Republik schon 1962 erschien, denn wie in Brachers Auflösung der Weimarer Republik liegt auch hier das Hauptinteresse auf den Ursachen für das Scheitern der Republik, in diesem Falle auf den geistigen Ursachen23. Erst im Rahmen der Selbstreflexion der Politikwissenschaft, die ja nach wie vor auch Demokratiewissenschaft ist, sein will und sein soll, werden die Verbindungslinien zu früheren demokratischen Ideen wieder deutlich. Es sind nicht nur die großen Klassiker der Ideengeschichte wie John Locke, Jean-Jacques Rousseau und Immanuel Kant, aus denen die Demokratie in Deutschland hat erwachsen können, sondern verstärkt in den neunziger Jahren ist die kleinere, alltäglichere Ideengeschichte der Demokratie und ihrer Politik untersucht worden, sowohl für das 19. Jahrhundert24 wie für das 20. Jahrhundert. Die Beschäftigung mit letzterem mußte beinahe zwangsläufig auch auf Hugo Preuß zurückführen. Wie noch zu zeigen sein 20 Hans J. Lietzmann und Wilhelm Bleek (Hrsg.), Politikwissenschaft. Geschichte und Entwicklung in Deutschland und Europa, München und Wien 1996; Wilhelm Bleek und Hans J. Lietzmann (Hrsg.), Schulen in der deutschen Politikwissenschaft, Opladen 1999. 21 Hans J. Lietzmann, Politikwissenschaft im ‚Zeitalter der Diktaturen‘. Die Entwicklung der Totalitarismustheorie Carl Joachim Friedrichs, Opladen 1999; Wilhelm Bleek, Geschichte der Politikwissenschaft in Deutschland, München 2001. 22 Alfons Söllner, Deutsche Politikwissenschaftler in der Emigration. Studien zu ihrer Akkulturation und Wirkungsgeschichte, Opladen 1996. 23 Kurt Sontheimer, Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik, München 1983 (erstmals 1962). 24 Etwa Stephan Walter, Demokratisches Denken zwischen Hegel und Marx. Die politische Philosophie Arnold Ruges. Eine Studie zur Geschichte der Demokratie in Deutschland, Düsseldorf 1995; Uwe Backes, Liberalismus und Demokratie – Antinomie und Synthese. Zum Wechselverhältnis zweier politischer Strömungen im Vormärz, Düsseldorf 2000, Christian Jansen, Einheit, Macht und Freiheit. Die Paulskirchenlinke und die deutsche Politik in der nachrevolutionären Epoche 1849–1867, Düsseldorf 2000.
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wird, ist sein wissenschaftliches Denken, obwohl formal dem Staatsrecht zuzurechnen, bereits durchaus von politikwissenschaftlichen Fragestellungen und Vorgehensweisen geprägt, und zudem ist sein aus diesem Denken erwachsenes Handeln auch schon vor der Begründung der Weimarer Republik ein bemerkenswertes Beispiel für ein prinzipielles Bekenntnis zu den Werten des demokratischen Verfassungsstaates. Das ist auch schon vorher in einzelnen wertvollen Untersuchungen anerkannt worden25, führte aber erst jetzt zu einer breiteren Beschäftigung. Sowohl eine bedeutende neue Dissertation von Marcus Llanque, die erstmals das Demokratische Denken im Krieg umfassend untersucht26 als auch ein Sammelband von Christoph Gusy über Demokratisches Denken in der Weimarer Republik geben Hugo Preuß seinen gebührenden Rang27. Gleichfalls aus der Feder von Gusy stammt die erste umfassende und systematische Auseinandersetzung mit der Weimarer Reichsverfassung seit längerer Zeit28. Interesse allein reicht allerdings nicht aus, um einen Gegenstand zu untersuchen. Man benötigt hierfür auch eine Quellenbasis, und das führt zu einem Problem, das jeden Biographen in ernste Schwierigkeiten bringt. Das Œuvre Preuß’ als homo politicus, der öffentlich wirken will und dies vor allem mit Büchern, Aufsätzen, Reden und Zeitungsartikeln tut, liegt in großer Breite publiziert vor, auch wenn die Literaturbeschaffung hier oft mühsam war und bis zum Erscheinen der Werkausgabe auch mühsam bleiben wird29. Im Gegensatz dazu ist ein nennenswerter Nachlaß praktisch nicht vorhanden30; er ging „vermutlich bei der Emigration der Söhne nach 1933 oder während des Luftkrieges in Berlin verloren“31. Verstreute Nachlaßreste, Briefe an Kollegen und Zeitgenossen und die Spuren, die Hugo Preuß in seiner Zeit als Reichsinnenminister und davor in den amtlichen Akten hinterlassen hat32, können nicht darüber hinwegtäuschen, daß die für eine persönliche 25 Peter Gilg: Die Erneuerung des demokratischen Denkens im Wilhelminischen Deutschland, Wiesbaden 1965, befaßt sich intensiv mit Preuß. 26 Marcus Llanque, Demokratisches Denken im Krieg. Die deutsche Debatte im Ersten Weltkrieg, Berlin 2000. 27 Christoph Gusy (Hrsg.), Demokratisches Denken in der Weimarer Republik, Baden-Baden 2000; hierin vor allem Jörg-Detlef Kühne, Demokratisches Denken in der Weimarer Verfassungsdiskussion – Hugo Preuß und die Nationalversammlung, in: ebd., 115–133; und Detlef Lehnert, Der Beitrag von Hans Kelsen und Hugo Preuß zum modernen Demokratieverständnis, in: ebd., 221–255. 28 Christoph Gusy, Die Weimarer Reichsverfassung, Tübingen 1997. 29 Neben rund zwei Dutzend Büchern hat Hugo Preuß über 200 Artikel in Zeitungen, Zeitschriften und Sammelwerken verfaßt. Hinzu kommen die Reden in der Berliner Stadtverordnetenversammlung, der Weimarer Nationalversammlung und dem Preußischen Landtag. Reden auf öffentlichen Veranstaltung haben oftmals ein Echo in der Tagespresse gefunden. Umfangreiche Bibliographien enthalten die Arbeiten von Graßmann und Lehnert. 30 Im Bundesarchiv Berlin (ehemals Abteilungen Potsdam; weiter BAB), findet sich ein minimaler und praktisch belangloser Nachlaßrest. 31 G. Gillessen, Hugo Preuß, 3. 32 Diese Akten sind außer im BAB hauptsächlich im Berliner Stadtarchiv (weiter StAB), im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin (vor allem in den ehemals in Merseburg befindlichen Akten; weiter GStAPK) und im Bundesarchiv Koblenz (weiter BAK) zu finden.
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Biographie des Menschen Hugo Preuß so wichtigen intimeren Aufzeichnungen einfach nicht vorhanden sind. Auch die ältere Literatur bietet keinen Ersatz dafür, wenn auch Aufsätze etwa von Heuss, Hintze, Simons, Feder, Nathan und Schmitt die persönliche Bekanntschaft und zum Teil Freundschaft deutlich erkennen lassen. Keine der späteren Arbeiten hat hier wesentlich Neues zu Tage gefördert; bereits bei Gillessen kann man alles über die persönliche Seite lesen, was 1955 noch zu rekonstruieren war. Daran hat sich bis heute nichts geändert. So bleibt auch ein neues, revidiertes Bild von Hugo Preuß notwendig ein Torso. Eine Autobiographie hat der im vollen Schaffen plötzlich Verstorbene nicht hinterlassen, und wenn auch viele seiner Schriften auf Umwegen immer wieder auch biographisches Material enthalten, so ist dies natürlich kein Ersatz. Seine ersten Lebensjahre hat Preuß in dem Habilitationsersuchen beschrieben, das er der Berliner Juristischen Fakultät am 7. Februar 1889 vorlegte: Derselbe ist geboren am 28. Oktober 1860 zu Berlin als Sohn des Besitzers einer lithographischen Anstalt Louis Preuss und seiner Ehefrau Minna geborene Israel und jüdischen Glaubens. Nachdem er auf dem Sophien-Gymnasium zu Berlin die Reife-Prüfung im September 1879 bestanden hat, hat er drei Semester (bis Ostern 1881) in Berlin und drei Semester (bis Michaelis 1882) in Heidelberg die Rechte studiert und dann im Mai 1883 das erste juristische Staatsexamen beim Königlichen Kammergericht abgelegt. Seiner Militärpflicht hat er bereits in den ersten beiden Semestern seines juristischen Studiums genügt. Als Referendar hat er 6 Monate bei dem Königlichen Amtsgericht zu Wittenberge, ein Jahr bei dem Königlichen Landgericht und 2 Monate bei der Königlichen Staatsanwaltschaft zu Berlin gearbeitet, alldann aber zunächst einjährigen Urlaub und hierauf im Februar 1886 seinen Abschied aus dem Justizdienste genommen. Promoviert hat er am 30. November 1883 zu Göttingen auf Grund einer nicht gedruckten Dissertation über den Evictionsregreß des in possessorio unterlegenen Käufers.33
Dem läßt sich für die vor der Habilitation gelegene Zeit nur wenig hinzufügen, und dieses wenige begleitet auch sein Biograph Gillessen, dessen Kontakten zu dem damals noch lebenden Preuß’-Sohn Ernst34 wir es verdanken, mit der Klage, daß „alle Nachrichten über seine Kindheit und Jugend ... sehr spärlich“ seien35. Der Vater starb noch 1860, und nachdem seine Witwe dessen Bruder, den Getreidehändler Leopold Preuß, geheiratet hatte, wuchs Hugo als einziges Kind in ausgesprochen 33 So das vom Dekan der Juristischen Fakultät, Erk, unterzeichnete Schreiben an Minister Dr. v. Goßler vom 7.2.1889; GStAPK, Rep. 76-Va, Sekt. 2, Tit. IV, Bd. II, Bl. 168–169. 34 Ernst Preuß war erfolgreich und in hoher Funktion bei der AEG tätig, bis er nach 1933 emigrieren mußte. In England engagierte er sich gegen den Nationalsozialismus; vgl. Ernst G. Preuss, The Canker of Germany, London 1940. Das Buch ist dem Andenken seines Vaters dediziert, und in ihm beklagt Ernst Preuß die „utter inability of the German people to think and act politically“ (14) – ein Thema, das auch sein Vater immer wieder zum Gegenstand seiner Untersuchungen machte. In diesem Buch gibt Ernst Preuß auch eine teilweise englische Übersetzung (256–300) des bekanntesten Werkes von Hugo Preuß über Das deutsche Volk und die Politik von 1915, das später ausführlich betrachtet werden soll. 35 G. Gillessen, Hugo Preuß, 11. Ebd., 11–14, finden sich weitere Angaben zu dieser Zeit. Auch S. Graßmann, Hugo Preuß und die deutsche Selbstverwaltung, Lübeck und Hamburg 1965, bedient sich für die frühen Jahre der Ausführungen Gillessens.
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komfortablen Verhältnissen auf. Erst nach seinem Studium erfuhr er, daß sein vermeintlicher Vater in Wahrheit sein Onkel und Stiefvater war36. Im Juli 1890 heiratete er Else Liebermann, die Tochter des bekannten Chemikers Carl Liebermann. Mit dieser Heirat trat Preuß auch in verwandtschaftliche Beziehung zu dem Maler Max Liebermann, der ein Cousin seines Schwiegervaters war, und zu Walther Rathenau, ein Neffe Carl Liebermanns. Das Paar führte eine harmonische Ehe, der vier Söhne entstammten. Spätere Schilderungen des Preußschen Familienlebens aus der Feder von Freunden zeigen durchweg eine Atmosphäre der Harmonie und Gemütlichkeit im besten Sinne in Verbindung mit einem groß geführten weltoffenen Haus in der besten Tradition des Großbürgertums, das sich der finanziell unabhängige Preuß dank seines beträchtlichen ererbten Vermögens leisten konnte. Sein Freund Ernst Feder beschrieb ihn nach seinem Tode in einem Nachruf: Gewiß bedurfte der behäbige, mittelgroße Mann, der immer die dicke Zigarre im Mund hatte, manchmal des Anstoßes, und gestern noch erzählte er im Landtag das Scherzwort seiner Frau: ‚Du bist so faul, daß du gar nicht zu arbeiten aufhörst, wenn Du einmal angefangen hast.‘ Behagliche äußere Verhältnisse schufen ihm die Möglichkeit für ein ganz der Politik, der Wissenschaft, dem öffentlichen Wohl gewidmetes Leben.37
In Berlin lebte die Familie in einem im Krieg zerstörten Haus in der Matthäikirchstraße im vornehmen Tiergartenviertel, das der Familie seiner Frau gehörte. Heute liegt an dieser Stelle die Philharmonie. Den Sommer verbrachte die Familie in einer zweiten Villa in Wannsee; außer während des Studiums, für kürzere Reisen danach und für die Weimarer Zeit hat Preuß Berlin nie verlassen38. Das ist nicht eben weltläufig zu nennen, aber gleich Kant hat Preuß seinen geistigen Zugang zur Welt auch in seiner Heimatstadt erringen können. Berichte seiner Freunde und Zeitgenossen machen deutlich, daß er sich außerhalb Berlins niemals wohlgefühlt hätte. Wie soll man sich einem solchen Leben in einer politikwissenschaftlichen Biographie nähern? In der Geschichtswissenschaft ist die Biographie seit jeher eine vertraute Form wissenschaftlicher Untersuchung, aber in der Politikwissenschaft ist die Biographie bislang seltener anzutreffen gewesen. Natürlich gibt es ideengeschichtliche Monographien, aber es ist kein Zufall, daß Lehnert in seiner Arbeit über Preuß bewußt die politischen Aktivitäten ausgeklammerte und sich fast ausschließlich auf das geistige Werk konzentriert hat. Trotzdem gibt es auch in der Politikwissenschaft in den letzten Jahren eine gewisse Hinwendung zur Biographie, 36 Gelegentlich wird er daher auch in der Literatur noch als Vater von Hugo Preuß bezeichnet, so etwa im Art. „Preuss, Hugo“, in: Wer ist’s?, VIII. Ausgabe, Leipzig 1922, o.P. 37 E. Feder, Hugo Preuß †, BT Nr. 479 (9.10.1925 A). Hinweise auf das Familienleben geben die Briefe von Walther Rathenau vom 13.8.1919 (BAB NL Hugo Preuß, 90 Pr 1, Bd. 1, Bl. 143– 147) und von Paul Nathan vom 25.7.1921 (BAB NL Paul Nathan, 90 Na 5, Bd. 18, Bl. 30–31) an Hugo Preuß. 38 Die Personalakte Preuß’ im Berliner Stadtarchiv (Rep. 01, Bd. 2733) enthält ab 1913 regelmäßig Vermerke, daß die Post ab Mitte Mai nach Wannsee zu senden sei, ab ca. Mitte Oktober wieder in die Matthäikirchstraße. Vgl. auch S. Graßmann, Hugo Preuß, 13.
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vor allem in den Themenbereichen, die ohnehin ein wenig im Graubereich zwischen Geschichtswissenschaft und Politikwissenschaft angesiedelt sind39. Das trifft auch für die Ideengeschichte zu, zumal wenn deren Objekte, wie im Falle Hugo Preuß’ zweifellos gegeben, ein dialektisches, zutiefst verwobenes Verhältnis zwischen ihrer praktischen politischen Aktivität und ihrem theoretischen Denken aufweisen. Ein Vorbild in dieser Hinsicht ist die große Max Weber-Biographie von Wolfgang J. Mommsen, die schon 1959 deutlich machte, welche Erkenntnisse gewonnen werden können, wenn ein großer Denker in Zusammenhang mit seinem politischen Leben untersucht wird40. Vielleicht ist Preuß als Theoretiker nicht ganz in der Kategorie Max Webers, aber als praktischer Politiker hatte er ihm einiges voraus. Das macht die hier vorgenommene Herangehensweise um so gebotener. Für dieses „untheoretische“ Vorgehen gibt es indessen auch eine theoretische Rechtfertigung. Das Vertrauen in die Tragfähigkeit großer Theorie hat auch in den Sozialwissenschaften und in der Politikwissenschaft nachgelassen; selbst bei Theoretikern, die im Effekt selbst wieder eine Großtheorie entwickelt haben, ist die Ablösung von Erklärungsmodellen in der Größenordnung eines Marx oder Freud, oder auch nur der Frankfurter Schule, deutlich zu spüren. Quentin Skinner hat dies für eine ganze Gruppe von sehr unterschiedlichen Denkern zum Ausdruck gebracht: If there is one feature common to all the thinkers I have singled out, it is a willingness to emphasise the importance of the local and the contingent, a desire to underline the extent to which our own concepts and attitudes have been shaped by particular historical circumstances, and a correspondingly strong dislike … of all overarching theories and singular schemes of explanation.41
Man tut gut daran, bei einer Beschäftigung mit Preuß, der selbst den Großtheorien seiner Zeit mit liberaler, und das heißt auch immer, mit individualistischer Skepsis gegenüberstand, das historisch Kontingente in die Überlegungen von Anfang an mit einzubeziehen. Wie sieht der Rahmen dafür aus? Im Jahr vor der Heirat hatte Preuß mit der Habilitation die vermeintlich letzte Hürde vor einer glänzenden wissenschaftlichen Laufbahn genommen. Und die in
39 Als Beispiel nur Hans-Peter Schwarz, Adenauer, 2 Bde., München 1994 (erstmals 1986), und jüngst Torsten Oppelland, Gerhard Schröder (1910–1989). Politik zwischen Staat, Partei und Konfession, Düsseldorf 2002. 40 Wolfgang J. Mommsen, Max Weber und die deutsche Politik 1890–1920, 2. überarb. Aufl., Tübingen 1974 (erstmals 1959). 41 Quentin Skinner, Introduction: the return of Grand Theory, in: ders. (Hrsg.), The Return of Grand Theory in the Human Sciences, Cambridge usw. 1985, 1–20, hier 12. Zu Skinners eigenem Ansatz, der diese politikwissenschaftliche Historisierung illustriert, siehe James Tully (Hrsg.), Meaning and Context: Quentin Skinner and His Critics, Cambridge 1988, wo auch einige der in diesem Kontext wichtigsten Aufsätze von Skinner wiedergegeben sind.
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der Tradition seines Lehrers Gierke stehende und zugleich weit über diesen hinausgehende Schrift über „Gemeinde, Staat, Reich als Gebietskörperschaften“42 katapultierte den jungen Privatdozenten auch in der Tat in die erste Reihe der deutschen Staatsrechtslehrer, als würdigen Genossen von Laband, Jellinek, Gierke, Seydel, Hänel, Schulze und Zorn. Aber eine dieser Bedeutung entsprechende äußere Position sollte Preuß nie erlangen; der ihm mit der Zeit immer weniger entsprechende Posten eines Privatdozenten der Berliner Universität sollte der höchste bleiben, den er an einer staatlichen deutschen Universität erreichte. Die Ursachen werden später zu untersuchen sein. Doch auch auf dem politischen Feld kam die hoffnungsvoll begonnene Karriere schnell zu einem gewissen Stillstand. Bekanntschaft mit dem urbanen Liberalismus hatte Hugo Preuß schon im Hause seines Stiefvaters gemacht, und als er selbst politisch aktiv wurde, geschah es im Kreis um Rickert, Bamberger, Schrader und vor allem Theodor Barth, mit dem er lange eng zusammenarbeitete. 1895 wurde Preuß von der 1. Abteilung der Wähler seines vornehmen Wohngebietes „Südlicher Tiergarten“ in die Berliner Stadtverordnetenversammlung entsandt, der er bis zu seiner Wahl in den Stadtrat 1910 angehörte. Vielleicht waren es neben anderen, später zu betrachtenden Ursachen auch seine von allen Zeitgenossen erwähnte unbändige berlinerische Spottlust und sein berechtigtes Selbstvertrauen, das ihn im Kreise auch seiner engeren politischen Freunde nicht unumstritten machte, das verhinderte, daß ihm die Partei den Eintritt in den Reichstag oder das preußische Abgeordnetenhaus ermöglichte43. Und trotzdem war es das Zusammenspiel von Wissenschaft und Politik, das den Schlüssel zu Hugo Preuß’ Denken gibt. Sein Freund Paul Nathan, der seine politische Laufbahn wie Preuß als Protegé von Bamberger und 42 „Gemeinde, Staat, Reich als Gebietskörperschaften. Versuch einer deutschen Staatskonstruktion auf Grundlage der Genossenschaftstheorie“, Berlin 1889. Seine Antrittsvorlesung als Privatdozent behandelte „Die organische Bedeutung der Art. 15 und 17 der Reichsverfassung“, in: ZfgS, 45 (1889), 420–449. G. Gillessen, Hugo Preuß, 16, verweist allerdings darauf, daß die Veröffentlichung der Habilitation zunächst zumindest insoweit unbeachtet blieb, als die wichtigsten Fachzeitschriften keine Rezensionen brachten. 43 Zur politischen Herkunft aus der „Sezession“ Th. Heuss, Geleitwort, 11: „Kämpferische Gemeinsamkeit bedeutete in jenem Kreis menschliche Freundschaft. In dieser ist der politische Charakter von Preuß gewachsen. War Gneist ihm das wissenschaftliche Vorbild, Stein die Erscheinung, an der er die großen Maßstäbe des vaterländischen Sollens orientierte, so blieb Theodor Barth das entscheidende Erlebnis der persönlichen Nähe.“ Ebd., 15f., findet sich auch folgendes Bild der Persönlichkeit Preuß’: „Preuß war Sanguiniker. Mochten ihn Enttäuschungen einmal umwerfen, so fand sich seine Seele vor neuer Arbeit und neuer Hoffnung rasch wieder zurecht. Jede konkrete Aufgabe nahm ihn ganz gefangen, und sie rückte für ihn, bis sie abgeschlossen war, in eine zentrale Bedeutung. Jemand, der ihn gut kannte und liebte, meinte einmal, Preuß sei immer etwas erstaunt, daß die Welt unverändert weitergehe, auch wenn er einen Aufsatz geschrieben habe.“ Die Spottlust sprach auch sein Freund Paul Nathan in einer Rezension von Feders Buch über Preuß an: „(E)r war ein geborner Kritiker und berlinische Art und berlinisches Wesen fanden sich auf charakteristische Weise in seiner Persönlichkeit gemischt mit hoher menschlicher Intelligenz und universeller Bildung.“ (BAB NL Paul Nathan, 90 Na 5, Bd. 13, Bl. 16–17).
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Barth begann, später aber den Weg zur Sozialdemokratie einschlug, hat dies nach seinem Tode dargelegt: Gelehrsamkeit, historische Erkenntnis war für ihn nur Instrument, war Rüstzeug, um die politischen Probleme der Gegenwart um so klarer erkennen und um so zutreffender beurteilen zu können; er war Politiker, der die Gegenwart gestalten wollte, aber freilich nicht auf Grund persönlicher zufälliger Erfahrungen, persönlicher Abneigungen und Zuneigungen; viel mehr aus Erkenntnis der tiefsten Entwicklungstendenzen deutscher Vergangenheit heraus; er betrachtete die Wurzeln, um beurteilen zu können, in welcher Richtung das weitere Wachstum zu erfolgen habe. ... Er war durch und durch eine politische Natur, also eine recht seltene Erscheinung in Deutschland, der Gelehrsamkeit, der Kenntnis der Vergangenheit nicht Endzweck war, sondern Mittel zum Zweck, das politische Leben der Gegenwart um so nutzbringender, um so wirkungsvoller beeinflussen zu können und zu gestalten.44
Die innere Reform Deutschlands und seine Umgestaltung zu einem modernen Volksstaat westlicher Prägung ist das beherrschende Thema im Lebenswerk von Hugo Preuß45. Hierbei mitzuwirken, fühlte er sich ebenso berufen wie verpflichtet. Nach einem schönen Wort von Theodor Heuss stand Hugo Preuß „Jahre, stand Jahrzehnte am Ufer, auf den Ruf der Schiffsleute wartend, daß er ihnen helfe, das Schicksal des Staates zu steuern“46. Die kurze Zeit im Zentrum der politischen Entscheidung bilden einen folgerichtigen Höhepunkt im öffentlichen Leben Preuß’, 44 Auf der Rede bei der Leichenfeier am 13.10.1925 im Krematorium Gerichtsstraße (GStAPK NL Paul Nathan, 90 Na 5, Bd. 13, Bl. 18–23). Die fruchtbare Verbindung juristischen und historischen Denkens bei Preuß betont H. Hintze, Hugo Preuß, 223; ähnlich Th. Heuss, Geleitwort, 2: „(E)r ist Historiker und ist Politiker, und streift das nicht ab, wenn er an die juristische Formenwelt des Staates herangeht.“ Vgl. S. Graßmann, Hugo Preuß, 9: „Die Kenntnis seiner politischen Haltung ist eine unerläßliche Voraussetzung für die Beurteilung und das Verständnis seiner theoretischen und wissenschaftlichen Schriften, wie auch seiner praktischen Tätigkeit in der Selbstverwaltung. Gerade weil der Theoretiker und Politiker in ihm kein Doppelleben führten, ist der politische Ausgangspunkt so wesentlich.“ 45 Dies wurde auch im Ausland anerkannt; in einem Brief an den Manchester Guardian vom 28.4.1919 schreibt W.H. Dawson: „(H)e is one of the resolute Band of democratic reformers who for many years before the war were engaged in an earnest but vain endeavour to emancipate their country from the evil political system which has proved its undoung, but is now, happily, a thing of the past.“ Er nennt Preuß „an upright and honourable man“. Die Charakterisierung Preuß’ als Reformer findet sich auch bei seinen Biographen: „Er war nicht der große Parteiorganisator oder Redner, auch nicht der Typus des Verwaltungspraktikers oder Gesetzgebers oder des kompromißbereiten, diplomatischen Ausgleichers der Gegensätze, sondern der Mann der inneren Reformen – selbst wenn er dabei kaum zum Zuge kam.“ (G. Gillessen, Hugo Preuß, 9). Und S. Graßmann, Hugo Preuß, 5: „Er ist nach dem Freiherrn vom Stein wohl der nächste, der in einem entscheidenden Wendepunkt der deutschen Geschichte versuchte, eine nationale Neuordnung mit Hilfe der kommunalen Selbstverwaltung zu erzielen.“ Th. Heuss, Hugo Preuß, 257, nennt es seltsam, daß die Habilitation Preuß’ ausgerechnet für Rechtsgeschichte erfolgt sei, denn er „war von abstrakter Spekulation erheblich entfernt“. Und H. Hintze, Hugo Preuß, 224f., sieht die Hauptverbindung zu Gneist darin, daß Preuß die politische Reformtätigkeit seines Lehrers bewundert habe. 46 Th. Heuss, Geleitwort, 2. Hierzu paßt die bewundernde Einschätzung von Gillessen über die Beauftragung Preuß’ mit der Ausarbeitung der Verfassung: „Er wußte die Antwort, schon bevor die Frage an ihn gerichtet wurde.“ („Hugo Preuß“, 8).
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typischer sind aber die Jahre darauf, in denen ihm seine Partei, die von ihm mit ins Leben gerufene DDP, nur ein Mandat im Preußischen Landtag, nicht aber im Reichstag zubilligte47. Hugo Preuß ist in mehrfacher Hinsicht außergewöhnlich für die deutsche politische und Ideengeschichte. Er vereinigt Entwicklungslinien einer dezidiert westeuropäischen politischen Kultur in sich, die in dieser Kombination fast einmalig sind. Er ist ein öffentlich wirkender Intellektueller, der mit geschliffenen Aufsätzen und Reden die Politik literarisch begleitet. Er ist ein vermögender Gentleman-Politiker, der dank seiner finanziellen Unabhängigkeit seine politischen Überzeugungen ohne Kompromisse und berufliche Rücksichtnahmen so aussprechen kann, wie er das für das Allgemeinwohl für erforderlich hält. Er ist ein politischer Professor in der Tradition des Vormärz, der wie Rotteck und Welcker, wie Klüber, Dahlmann und Jordan nicht neben seiner wissenschaftlichen Arbeit, sondern mit ihr und durch sie politisch wirken will. Fast hat es den Anschein, als ob seine ganze äußere Erscheinung, seine Lebenssituation und seine persönliche Gestalt auf das 19. Jahrhundert verweisen, auf die Zeit der Honoratioren und selbständigen Geister, die sich in keine Parteidisziplin einbinden ließen und die typisch für eine frühe Phase liberaldemokratischer Entwicklung waren. Aber das hieße, sich von Äußerlichkeiten leiten zu lassen, denn die ganze von Preuß verfochtene Politik ist neu und modern, sie ist auf sozialen Liberalismus und auf Massendemokratie ausgerichtet. Sie ist schon zu Zeiten von Wilhelm I., als Preuß seine ersten politischen und publizistischen Gehversuche unternimmt, ein Vorbote des demokratischen Verfassungsstaates in Theorie und Praxis. Die Kontingenz beleuchtet in diesem Fall die Substanz des Preußschen Politikverständnisses. Die Tragfähigkeit der Ideen erweist sich an der konkreten historischen Situation, und damit wird Weimar doch wieder zu einer Chiffre für das Leben von Preuß, das in seinem letzten Wollen zunächst ebenso gescheitert ist wie die Republik, die er mit ins Leben rufen half. Eine kulturwissenschaftliche Wende der Politikwissenschaft hat es anders als in der Geschichtswissenschaft nicht gegeben, wird es wegen der sozialwissenschaftlichen Grundausrichtung des Faches vielleicht auch nie geben. Aber auch die politikwissenschaftliche Ideengeschichte tut gut daran, von einer neuen Welle der Erinnerungskultur und ihrer Untersuchung zu profitieren48. Erinnern ist nicht gleich erinnern, und es ist aufschlußreich für die heutige politische Kultur, welche Daten erinnerungswürdig sind und welche in der direkten „Konkurrenz“ um die Aufmerksamkeit einen nachgeordneten Platz einnehmen müssen. 1998 hat in dieser Hinsicht einiges an Anschauungsunterricht geboten, denn es war nicht nur das 150. Jubiläum der Paulskirche, sondern auch der 80. Jahrestag der Novemberrevolution und der anschließenden Verfassunggebung von Weimar. Gewiß, auch diese Ereignisse sind gewürdigt worden, aber in dem 47 Dies bleibt zu konstatieren, auch wenn man hierin nicht unbedingt mit Gillessen eine „erschütternde Tragik“ sehen will; „Hugo Preuß“, 9. 48 Nur ein Beispiel sei erwähnt: Etienne François und Hagen Schulze (Hrsg.), Deutsche Erinnerungsorte, 3 Bde., München 2001.
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Gesamtkomplex ist es ganz überwiegend die Weimarer Verfassung gewesen, die die Aufmerksamkeit gefunden hat49, und nur am Rande auch die Revolution, die diese Verfassung überhaupt erst möglich machte50. Demgegenüber ist die Paulskirche in zahllosen Veranstaltungen, Ausstellungen, Konferenzen und Buchpublikationen geradezu „abgefeiert“ worden51. Selbst die 30. Wiederkehr des Jahres 1968 ist auf mehr Aufmerksamkeit gestoßen als die für die deutsche Geschichte wahrscheinlich wichtigere Novemberrevolution. Allerdings waren die „68er“, wie man etwas zynisch bemerken könnte, in ihrer persönlichen Lebensgestaltung auch überwiegend erfolgreicher als die Revolutionäre von 1918, so daß mit dem Abstand einer Generation die wissenschaftliche Aufarbeitung größtenteils noch als Selbstreflexion erfolgen kann52. Was besagt das für das neue politikwissenschaftliche Interesse an der Ideengeschichte der Demokratie? Zunächst einmal nicht viel, denn zweifellos fällt auch das Jahr 1848 in dieses Erbe hinein und hat seine Aufmerksamkeit auch ohne den Druck von Jubiläen gefunden. Aber vielleicht ist das neugefundene Interesse an Preuß und seinem Umfeld auch ein gutes Zeichen, daß hier die Politikwissenschaft ein Thema besetzt, das bislang anderen überlassen wurde.
49 Vgl. etwa Andreas Rödder (Hrsg.), Weimar und die deutsche Verfassung. Zur Geschichte und Aktualität von 1919, Stuttgart 1999; Eberhard Eichenhofer (Hrsg.), 80 Jahre Weimarer Reichsverfassung – Was ist geblieben?, Tübingen 1999; Hans Wilderotter und Michael Dorrmann (Hrsg.), Wege nach Weimar. Auf der Suche nach der Einheit von Kunst und Politik, Berlin 1999. Alle drei hier genannten Bände sind auch regional gebunden; der erste geht auf eine Tagung in Weimar zurück, der zweite auf eine Vorlesungsreihe an der Jenaer Juristischen Fakultät und der dritte auf eine Ausstellung des Landes Thüringen in Verbindung mit dem Deutschen Historischen Museum Berlin. 50 Hierzu etwa Hans-Jörg Koch, Der 9. November in der deutschen Geschichte. 1918 – 1923 – 1938 – 1989, Freiburg i. Br. 1998. Auch die Neuauflage von Eduard Bernstein, Die deutsche Revolution von 1918/19. Geschichte der Entstehung und ersten Arbeitsperiode der deutschen Republik, hrsg. von Heinrich August Winkler und annotiert von Teresa Löwe, Bonn 1998, ist in diesem Zusammenhang zu sehen. 51 Beispielhaft aus der Vielzahl der Literatur Wolfgang Hardtwig (Hrsg.), Revolution in Deutschland und Europa 1848/49, Göttingen 1998; Wolfgang J. Mommsen, 1848. Die ungewollte Revolution. Die revolutionären Bewegungen in Europa 1830–1849, Frankfurt a.M. 1998; Lothar Gall (Hrsg.), 1848. Aufbruch zur Freiheit. Eine Ausstellung des Deutschen Historischen Museums und der Schirm Kunsthalle Frankfurt zum 150jährigen Jubiläum der Revolution von 1848/49, Berlin 1998. 52 Ingrid Gilcher-Holtey (Hrsg.), 1968. Vom Ereignis zum Gegenstand der Geschichtswissenschaft, Göttingen 1998; Wolfgang Kraushaar, 1968. Das Jahr, das alles verändert hat, München und Wien 1998, Carole Fink (Hrsg.), 1968. The World Transformed, Cambridge usw. 1998. Man beachte die Bedeutung, die diese Titel dem Jahr 1968 zumessen.
II. DAS STAATSRECHTLICH-POLITISCHE DENKEN HUGO PREUSS’ 1. DIE STAATSLEHRE DES KAISERREICHES 1.1 Der Rechtspositivismus und Labands ‚Staatsrecht‘ Paul Laband und sein Staatsrecht des Deutschen Reiches stehen im Zentrum des Staatsrechtsdenkens des Bismarckschen Kaiserreiches. Selbst die äußeren Daten scheinen sich dem anpassen zu wollen; 1872 wird Laband an die neugegründete Reichsuniversität Straßburg berufen, 1918 stirbt er noch vor Kriegsende ebenfalls in Straßburg. Sicherlich gibt es, wie gleich noch ausführlicher zu betrachten sein wird, alternative und rivalisierende staatsrechtliche und rechtsphilosophische Entwürfe, zu denen nicht zuletzt ja auch Hugo Preuß’ eigene Ideen zu rechnen sind. Insoweit ist Stolleis zuzustimmen, wenn er davor warnt, die Dominanz Labands überzubewerten1. Gleichwohl war Labands Staatsrecht die Referenzgröße, an der sich abweichende Anschauungen zu messen hatten und auf die sie sich bezogen, um ihre Eigenständigkeit zu beweisen. Die Vorherrschaft Labands und seiner Schule auf den Kathedern und, wichtiger noch, in den Amtsstuben des kaiserlichen Deutschlands läßt sich mit der Position vergleichen, die Moser und Pütter ein gutes Jahrhundert zuvor in der alten Reichspublizistik einnahmen2. Auch methodisch geht die Gerber/Labandsche Schule des Rechtspositivismus auf diesen älteren Positivismus des 18. Jahrhunderts zurück, obwohl die modernen Rechtspositivisten nicht mit den schlichten Gesetzessammlungen eines Moser in Verbindung gebracht werden wollten und daher diesen Zusammenhang immer wieder bestritten haben3. 1 2
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Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland. Zweiter Band: Staatsrechtslehre und Verwaltungswissenschaft 1800–1914, München 1992, 349. Bereits 1880 konnte der bedeutende, in Königsberg und Bonn lehrende Staatsrechtler Philipp Zorn schreiben: „Die imponierende und dauernde Bedeutung des Laband’schen Staatsrechtes beruht vornämlich darauf, daß von diesem Schriftsteller zuerst in voller Schärfe und im ganzen Umfange des staatsrechtlichen Gebietes Ernst gemacht wurde mit der Beseitigung politischer Gründe aus der staatsrechtlichen Deduction.“ ‚Die Deutschen Staatsverträge‘, in: ZfgS, 36 (1880), 1–39, hier 35, Fn.1. Knapp 30 Jahre später hielt Zorn unverändert hieran fest: „In strenger Anwendung juristischer Methode hat Laband dem deutschen Staatsrecht neue Rahmen gewiesen, aus denen es niemals wieder wird weichen dürfen.“ ‚Die Entwicklung der Staatsrechts-Wissenschaft seit 1866‘, in: JöRG, 1 (1907), 47–81, hier 68. Prägnant grenzt Gerber sein System des staatsrechtlichen Positivismus gegen ältere Formen ab: „Ich wiederhole, was ich schon früher einmal ausgesprochen habe, daß die Positivität unserer Publizisten gar häufig mehr die eines Statistikers, als des Juristen ist. Sodann darf ich von Neuem betonen, daß eine von historischen Einleitungen begleitete Gesetzesmittheilung noch
1.1 Der Rechtspositivismus und Labands ‚Staatsrecht‘
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Nach dem Niedergang des alten Reichsstaatsrechts in den Wirren der Napoleonischen Kriege und seinem faktischen Untergang mit dem Ende des Alten Reiches hatte die deutsche Staatsrechtswissenschaft zunächst andere Wege eingeschlagen, die wegführten vom Positivismus älterer Prägung und die den Positivismus neuerer Provenienz noch nicht erkennen ließen4. Ob Savigny und seine historische Rechtsschule die Unfähigkeit seiner Zeit zur Gesetzgebung aufzeigen wollten, ob Beseler mit seinem nicht minder historischen germanischen Volksrecht das genaue Gegenteil bezweckte und ob Klüber, Rotteck und Welcker am Naturrecht der Aufklärung in ihren juristischen Überlegungen nach wie vor festhielten: letztlich sind alle diese Lehren aus der Zeit des Vormärz5 durch den Typus des politischen Professors gekennzeichnet, der Politik, Geschichte und Recht zu einem organischen Ganzen, zu einer allgemeinen Staatslehre mit juristischen, politischen, philosophischen und sozialen Ansprüchen verschmelzen läßt6. Hallers und Maurenbrechers patrimoniale Staatslehre, Stahls monarchisches Prinzip, der Liberalismus des „Staatslexikons“ und der Radikalismus Struves sind zwar politische Theorien, aber sie sind nicht von staatsrechtlichen Ansätzen zu trennen. Im Nachmärz sind es dann die Arbeiten von Schulze, Held und insbesondere Mohl, die diese rechtlich-politische Gemengelage mit ihrer aus vielfältigen Quellen schöpfenden Methodik bis ins Kaiserreich tragen7. In diesen Ansätzen ist bei aller Unterschiedlichkeit ihrer Zielsetzung zugleich doch das Bewußtsein gemeinsam, daß staatsrechtliche Positionen sich auch aus politischen Philosophien speisen und umgekehrt politische Wirkungen haben, die nicht verschwiegen werden sollen, sondern die aktiv angestrebt werden. Letztlich stand hinter diesen theoretischen Überlegungen die alte Debatte um Fürsten- oder Volkssouveränität, letztlich wurden hier die Auseinandersetzungen des 18. Jahrhunderts, der Aufklärung und der Französischen Revolution fortgeführt, dies auch in dem Bewußtsein, das die Extreme wie Struve und Stahl verband, daß
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keine rechtswissenschaftliche Bearbeitung ist.“ ‚Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrechts‘, 3. Aufl., Leipzig 1880, 238. Vgl. Manfred Friedrich, Geschichte der deutschen Staatsrechtswissenschaft, Berlin 1997, 154ff., M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts II, 96ff. Vgl. Ernst-Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 2, Stuttgart usw. 1970, 309ff. und 324ff. Zum ideengeschichtlichen Umbruch der Zeit nach wie vor erhellend Hartwig Brandt, Landständische Repräsentation im deutschen Vormärz. Politisches Denken im Einflussfeld des monarchischen Prinzips, Neuwied und Berlin 1968; und neuerdings in knapper, problemorientierter Darstellung vom gleichen Autor Der lange Weg in die demokratische Moderne. Deutsche Verfassungsgeschichte von 1800 bis 1945, Darmstadt 1998, 50ff. Eine große Synthese der Zeit bietet Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800–1866. Bürgerwelt und starker Staat, 5. Aufl., München 1993, 286ff. Exemplarisch zu dieser Figur siehe Horst Ehmke, Karl von Rotteck der „politische Professor“, Karlsruhe 1964. Umfassend Wilhelm Bleek, Geschichte der Politikwissenschaft in Deutschland, München 2001, 91ff. Zu den staatsrechtlich-theoretischen Aspekten dieser Entwicklung vgl. jetzt die umfassenden Darstellungen von M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts II, und M. Friedrich, Staatsrechtswissenschaft. Vgl. auch Michael Dreyer, Föderalismus als ordnungspolitisches und normatives Prinzip, Frankfurt a.M. usw. 1987, passim.
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1. Die Staatslehre des Kaiserreiches
diese Auseinandersetzungen noch nicht entschieden waren und entschieden werden mußten. Gerade Stahl hatte ein gutes Gespür für die Konsequenzen des politischen Liberalismus, wenn er mit dem klaren Blick des Gegners alle liberalen Staatstheorien als unvereinbar mit dem religiös begründeten monarchischen Prinzip ansah. Neben dieser Verbindung von Recht und Politik standen jedoch gleichfalls seit dem Vormärz die Versuche, diese Auseinandersetzung überhaupt zu vermeiden, indem sie auf eine andere und vermeintlich höhere Ebene gehoben wurde. In der Auseinandersetzung mit Romeo Maurenbrecher8 veröffentlichte Eduard Albrecht in dem für den politischen Liberalismus wie Katholizismus gleichermaßen wichtigen Epochenjahr 1837 einen nicht sehr umfangreichen, ja geradezu „unscheinbaren“9 Rezensionsaufsatz, in dem er die Dialektik von Fürsten- oder Volkssouveränität durch die Entdeckung von Staatspersönlichkeit und Staatssouveränität elegant in einer Synthese münden ließ10. Dabei war Albrecht selbst mit dieser Rezension keineswegs dem politischen Quietismus verfallen; als einer der Göttinger Sieben stand er im gleichen Jahr 1837 in der vordersten Front des liberalen akademischen Deutschlands. Sein Konzept der Staatssouveränität ist mithin auch eine genuin politische Antwort auf drängende Tagesfragen; es beruht auf dem Gedanken, daß Volk und Fürst keine Gegensätze beschreiben. Das monarchische Herrschaftsrecht ist im Rahmen des souveränen Staates ebenso gesichert wie das Mitspracherecht der Bürger im Parlament. Diese Mitwirkung war natürlich ein bescheideneres Ziel, als es die jakobinische Volkssouveränität proklamiert hatte. Gleichwohl blieb es ein politisches Ziel, das den liberalen rechtsstaatlichen Gedanken entsprach, das aber zugleich auch den Fürsten nicht als Bedrohung entgegentreten sollte. Sein Kern war der neutral erscheinende Gedanken der über Fürst und Volk schwebenden und beide vereinigenden Persönlichkeit des Staates an sich. Es war, in den Worten von Carl Schmitt, der dilatorische Formelkompromiß der konstitutionellen Monarchie, den es auch 1837 in zahlreichen deutschen Staaten, Preußen an der Spitze, erst noch zu erreichen galt. Die Huber-Böckenförde-Kontroverse zur potentiellen Dauerhaftigkeit und Eigenständigkeit der konstitutionellen Monarchie deutschen Typs hat vor über drei Jahrzehnten die Gemüter erhitzt. War
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Romeo Maurenbrecher, Grundsätze des heutigen deutschen Staatsrechts. Systematisch entwickelt, Frankfurt a.M. 1837. Vgl. zu ihm M. Friedrich, Staatsrechtswissenschaft, 189ff. Die ihrem Gegenstand sehr freundlich gegenüberstehende Studie von Bruno Urbaschek, Empirische Rechtswissenschaft und Naturrecht. Der Beitrag Romeo Maurenbrechers zur Rechtslehre des 19. und 20. Jahrhunderts, Meisenheim am Glan 1966, 1, nennt Maurenbrecher einen „ignorierten Außenseiter“. 9 M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts II, 108. 10 E. Albrecht, Besprechung zu „R. Maurenbrecher, Grundsätze des heutigen deutschen Staatsrechts, Frankfurt a.M. 1837“, in: Göttingische gelehrte Anzeigen, 150/151 (21.9.1837), 1489– 1504 u. 1505–1515. Zur Albrecht-Maurenbrecher-Kontroverse vgl. auch Urbaschek, Maurenbrecher, 52ff.; Klaus Hespe, Zur Entwicklung der Staatszwecklehre in der deutschen Staatsrechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts, Köln und Berlin 1964, 29ff.
1.1 Der Rechtspositivismus und Labands ‚Staatsrecht‘
19
der konstitutionelle Staat, der sich um die Mitte des Jahrhunderts in fast allen deutschen Staaten entwickelt hatte, auf Dauer lebensfähig11 oder war er, wie bereits Schmitt angedeutet hatte, nur ein Durchgangsstadium zu demokratischeren politischen Strukturen?12 War er als eigener Typus in die Staatsformenlehre zu integrieren oder verzögerte er lediglich Anpassungsprozesse, die Deutschland daran hinderten, rechtzeitig den Anschluß an die westeuropäische politische Kultur zu finden? Die historische Debatte war ebenso heftig wie kurz, und an dem schnell erreichten damaligen Verdikt zugunsten der Grundposition Böckenfördes13 hat sich bis heute nichts Entscheidendes geändert; für Hartwig Brandt ist die konstitutionelle Monarchie unzeremoniell nur noch „die zeitgenössisch-moderne Fortschreibung des dualistischen Ständestaates“14. Sicherlich jedoch hätten es die meisten Zeitgenossen anders gesehen. Spätestens mit dem Scheitern der Paulskirche, im Grunde aber auch schon zuvor, richten sich die verfassungspolitischen Ziele der Liberalen bescheiden nur noch auf die Ausgestaltung konstitutioneller Monarchien im gesamtdeutschen Rahmen, nicht aber auf eine stärker parlamentarisch oder gar republikanisch orientierte Anpassung an die verfassungshistorischen Entwicklungen Westeuropas. Dies gilt erst recht in dem Moment, in dem die Staatsrechtswissenschaft als die politische Leitwissenschaft ein Quasi-Monopol zur Erklärung der Allgemeinen Staatslehre behauptet, das von der Geschichte kaum, von der Philosophie nicht mehr und von den noch kaum in der Geburtsphase befindlichen Sozialwissenschaften noch nicht angezweifelt wird15. Nach dem Scheitern der Paulskirche, das gerade wegen der stark politischen Ausrichtung der vormärzlichen Staatsrechtswissenschaft und wegen der Beteiligung prominenter Juristen an den Beratungen in Frankfurt und den anderen Revolutionsparlamenten auch ein Scheitern der dogmatischen Grundlagen des deutschen Staatsrechts gewesen war, wuchs das Bedürfnis nach einer Entpolitisierung des öffentlichen Rechts16. Gerber und Laband griffen den Gedanken der Staatssouveränität auf, verdrängten aber seinen eminent politischen Kern. In ihrer Hand wandelte er sich zu einer 11 Ernst-Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Bd. 3, Stuttgart 1963, 3ff. 12 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Der deutsche Typ der konstitutionellen Monarchie im 19. Jahrhundert, in: ders., Recht, Staat, Freiheit. Studien zur Rechtsphilosophie, Staatstheorie und Verfassungsgeschichte, 2. Aufl., Frankfurt a.M. 1992, 273–305 (erstmals 1967). Böckenförde bezieht sich hier (275) explizit auf Carl Schmitts Verfassungslehre (München und Leipzig 1928, 288ff.) und weitere Werke Schmitts. 13 Zusammenfassend zur Debatte Gerhard A. Ritter, Entwicklungsprobleme des deutschen Parlamentarismus, in: ders. (Hrsg.), Gesellschaft, Parlament und Regierung. Zur Geschichte des Parlamentarismus in Deutschland, Düsseldorf 1974, 11–54, hier 11–14. 14 H. Brandt, Der lange Weg in die demokratische Moderne, 81. Vgl. ebd., 87f.: „Um das System vor innerer Spaltung zu bewahren, gab es nur zwei Mittel, zwei Wege: Parlamentarisierung der Regierung oder Durchbrechung der Verfassung.“ Vgl. auch Hans Boldt, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 2: Von 1806 bis zur Gegenwart, München 1990, 204f. 15 Als Überblick siehe Kap. XIV („Die Wissenschaften“) in Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866–1918. Bd. 1: Arbeitswelt und Bürgergeist, München 1990, 602ff. 16 Vgl. M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts II, 276ff. und 281ff.
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1. Die Staatslehre des Kaiserreiches
Kategorie und Methode juristischen Denkens, und die Berufung Gerbers auf die Gedanken von Albrecht klammerte den politischen Gehalt dieses vormärzlichen politischen Professors aus17. Gerbers Herkunft aus dem Privatrecht mit seiner hochentwickelten Methodologie half ihm dabei, auch das öffentliche Recht „rein juristisch“ zu durchleuchten18, und Laband brachte dies zur Vollendung. Im Vorwort zur ersten Auflage seines „Reichsstaatsrechts“ gibt Laband 1876 sein wissenschaftliches, aber zugleich auch unwillentlich sein politisches Credo: Die Verfassung des Reiches ist nicht mehr der Gegenstand des Parteienstreites, sondern sie ist die gemeinsame Grundlage für alle Parteien und ihre Kämpfe geworden; dagegen gewinnt das Verständniß dieser Verfassung selbst, die Erkenntniß ihrer Grundprinzipien und der aus den letzteren herzuleitenden Folgesätze und die wissenschaftliche Beherrschung der neu geschaffenen Rechtsbildungen ein immer steigendes Interesse. Mit dem Ausbau der Verfassung und ihrer Durchführung gliedern sich die Verhältnisse des neuen öffentlichen Rechts immer feiner und reicher, es wird immer schwieriger, zugleich aber auch wichtiger, in den einzelnen Erscheinungen des öffentlichen Rechtslebens die einheitlichen Grundsätze und leitenden Principien festzuhalten; es entstehen durch die Praxis selbst in unerschöpflicher Fülle neue Fragen und Zweifel, welche nicht nach dem politischen Wunsch und der politischen Macht, sondern nach den Grundsätzen des bestehenden Rechts entschieden werden müssen. Nachdem die That der Neugestaltung Deutschlands vollbracht ist, entsteht das Bedürfniß, sich zum Bewußtsein zu bringen, worin diese That bestanden hat, welchen Erfolg sie bewirkt hat. Die Befriedigung dieses Bedürfnisses ist die Aufgabe der Rechtswissenschaft.19
Dies ist nicht nur ein juristisches Programm, sondern zugleich eine Absage an die Politik, der nur noch ein sehr begrenzter Raum außerhalb des Grundsätzlichen zugestanden wird. Die Verfassung soll den „Parteien“ (das Wort ist im Kontext durchaus negativ zu verstehen) entzogen und zur alleinigen Domäne der Juristen werden. Daß diese Entpolitisierung der Verfassung zugleich zwangsläufig eine Politisierung der Staatsrechtslehre mit sich bringen mußte, hat Laband nicht reflektiert oder mit dem Programm des neutral sein wollenden Positivismus verdrängt. Aber selbst in seiner eigenen Logik ließ sich diese Konsequenz nicht umgehen. Laband hat weite Bereiche des öffentlichen Rechts mit seiner scharfen juristischen Logik in den Kreis der wissenschaftlichen Untersuchung hineingezogen, den die politischen Gewalten lieber weiterhin als rechtliche terrae incognitae behandelt hätten. Als erster griff er 17 Carl Friedrich Gerber, Ueber öffentliche Rechte, Tübingen 1852, 14f. Vgl. zur Verbindung auch K. Hespe, Entwicklung der Staatszwecklehre, 29ff. und 39ff. 18 Neben seinen bereits erwähnten Grundzügen des deutschen Staatsrechts, die erstmals 1865 und erneut 1869 und 1880 erschienen, ist es vor allem sein System des deutschen Privatrechts, 2 Bde., Jena 1848/49, das seinen Ruhm begründete. Vor Verabschiedung des BGB dürfte dieses Werk, das noch 1895 in 17. Auflage erschien, die zentrale deutsche Untersuchung des Privatrechts gewesen sein. Preuß hatte ein zwiespältiges Verhältnis zu Gerber, „auf dessen großen Einfluß manche Fortschritte und viele Rückständigkeiten in der heutigen deutschen Staatsrechtswissenschaft zurückzuführen sind“, ‚Das städtische Amtsrecht in Preußen‘, Berlin 1902, 58. 19 P. Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, 1. Bd., Tübingen 1876, V. Laband übernahm dieses Vorwort auch in die späteren Auflagen, die 1887, 1895, 1901 und (5. Aufl.) 1911– 1914 erschienen.
1.1 Der Rechtspositivismus und Labands ‚Staatsrecht‘
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etwa das Militärrecht auf, das im Kaiserreich mit der parlamentsunabhängigen Kommandogewalt von besonderem Gewicht war, und machte den bislang mehr oder minder rechtsfreien Raum zu einem Teil der Staatsrechtswissenschaft. Labands Verdienst, die Grenzen seines positivistischen Ansatzes bis zum Rande auszufüllen, ist unbestreitbar. Es war ein zentraler Bestandteil seiner Methode juristischer Begriffskonstruktion, keine „Lücken“ im positiven Recht anzuerkennen und notfalls auch zu schöpferischen Analogieschlüssen und ähnlichem zu greifen, um die Einheit und Geschlossenheit des Rechts zu demonstrieren und seine Unabhängigkeit von der Politik aufrecht zu erhalten. Diese Pionierarbeit hat viel dazu beigetragen, das Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit auch in Bereiche zu tragen, in denen es vormals nicht beheimatet war. Das Problem lag eher darin, daß Labands Ausklammerung der Politik den Beweggrund hinter mancher rechtlichen Formulierung bewußt als irrelevant ansah und damit unbewußt und durch die Hintertür die Politik des Bestehenden in sein staatsrechtliches System aufnahm20. Labands Bedeutung in unserem engeren Zusammenhang liegt vor allem in drei Punkten. In allen diesen Punkten war Hugo Preuß ein Kritiker der Labandschen Grundpositionen. Zum ersten ist es Labands Staatsbegriff, der hier betrachtet werden muß. Die bis zur Reichsgründung herrschende Bundesstaatslehre des Kieler und Göttinger Historikers Georg Waitz hatte die Teilung der Souveränität zwischen Bund und Staaten postuliert. Demgegenüber hatte der bayerische Staatsrechtler Max von Seydel 1872 die juristisch-begriffliche Unteilbarkeit der Souveränität so überzeugend nachgewiesen, daß auch Laband sich dem anschloß21. Um aber den damit scheinbar gleichfalls begrifflich unmöglich gewordenen Bundesstaat wissenschaftlich zu retten, gab Laband die bis dahin kaum angezweifelte Idee auf, daß Staat und Souveränität notwendig zusammengehörten. Der nichtsouveräne Staat ist die nicht nur von seiner unmittelbaren Schule aufgegriffene neue Konstruktion Labands. Hugo Preuß erkannte an, daß Laband damit den „Todtenschein der wieland herrschenden Bundesstaatstheorie“22 ausgestellt hatte. Die Frage aber, wie der nichtsouveräne Staat von der Kommune begrifflich zu unterscheiden war, erwies sich bald als ein Punkt, an dem ein mit rein juristischen Mitteln geradezu unlösbares 20 M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts II, 360, spricht im Zusammenhang mit Gierkes Kritik an Laband zustimmend von der „inhaltlichen Leere, die zu verdecktem Dezisionismus geradezu einlud“. 21 Das in Frage stehende Werk von Georg Waitz war Grundzüge der Politik nebst einzelnen Ausführungen, Kiel 1862, und hieraus insbesondere „Das Wesen des Bundesstaates“, 153–218, eine schon 1853 in der Kieler Monatsschrift, 494–530, veröffentlichte Rezension des 2. Bdes. der Gesammelten Schriften von J.v. Radowitz. Max Seydels Abhandlung „Der Bundesstaatsbegriff. Eine staatsrechtliche Untersuchung“ erschien in der ZfgS, 28 (1872), 185–256 (erneut abgedruckt in Staatsrechtliche und politische Abhandlungen, Freiburg i.B. u. Leipzig 1893, 1– 74). Laband übernahm die Argumentation Seydels in seinem „Staatsrecht des Deutschen Reiches“, 1. Bd., 1. Aufl., 73f. 22 H. Preuß, Gemeinde, Staat, Reich, 43. Und weiter an gleicher Stelle: „Von dem ganzen Gebäude bleibt auch nicht ein Stein auf dem andern. Seydel hatte Bresche in sie gelegt, Laband schleift sie.“
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1. Die Staatslehre des Kaiserreiches
Problem für die neue Theorie bestand. Rein quantitative Unterscheidungsmerkmale halfen nicht weiter, zumal sich unter den deutschen „Staaten“ Wesen von sehr zweifelhafter politischer Potenz befanden. Bislang hatten alle diese Staaten durch das formale Kriterium der Souveränität eine herausgehobene rechtliche Qualität besessen, aber gerade dieses Kriterium war ja nun theoretisch aufgegeben worden. Hugo Preuß griff, wie wir sehen werden, diesen neuralgischen Punkt auf, aber ähnliches gilt für viele andere Zeitgenossen, die zwar Labands nichtsouveränen Staat akzeptierten, seine Konstruktion des Unterschieds zur Kommune aber nicht23. Zum zweiten ist es Labands staatsrechtliche Methode, die seine Bedeutung auch für Hugo Preuß ausmachte. Wie Gerber setzte er beim Zivilrecht an24, und wenn er sich auch der Problematik einer methodischen Übertragung bewußt war, so hielt er es doch für geradezu zwingend erforderlich, daß die jüngere Disziplin des Staatsrechts von der älteren Schwester lernen solle. Laband ging so weit, die Opposition gegen zivilrechtliche Methoden mit der Abneigung gegen streng juristisches Denken im Staatsrecht überhaupt gleichzusetzen25. Zivilrechtlich-romanistisches Denken half Laband auch bei der Konstruktion eines Zentralpunktes der Publizistik: der juristischen Formulierung des Gemeinwillens eines Staatswesens. Durch geschickten Gebrauch der persona ficta reduzierte er diese Probleme auf die fiktive Gleichsetzung der Gesamtperson mit einer Einzelperson – im schärfsten Gegensatz zu Gierke und Preuß, für die die reale Existenz auch der Gesamtperson als solcher die zentrale Aussage der Genossenschaftstheorie war26. Eng mit Labands Postulat dieser „streng juristischen“ Methode verknüpft ist das bereits angesprochene dritte Essentiale seines wissenschaftlichen Systems, die 23 Vgl. zu dieser Debatte M. Dreyer, Föderalismus, 286ff. 24 Zu dieser Herleitung vgl. Walter Wilhelm, Zur juristischen Methodenlehre im 19. Jahrhundert. Die Herkunft der Methode Paul Labands aus der Privatrechtswissenschaft, Frankfurt a.M. 1958, der detailliert als Labands Vorläufer Savigny, Puchta, Gerber und Ihering untersucht. Auch Hans Hattenhauer, Die geistesgeschichtlichen Grundlagen des deutschen Rechts, 4. Aufl., Heidelberg 1996, 234, verweist auf die methodische Verbindung Labands zu Savigny und Puchta. 25 Etwa in seinem Staatsrecht des Deutschen Reiches, 1. Bd., 1. Aufl., VIIf.: „Die einfache Übertragung civilrechtlicher Begriffe und Regeln auf die staatsrechtlichen Verhältnisse ist der richtigen Erkenntniß der letzteren gewiß nicht förderlich; die ‚civilistische‘ Behandlung des Staatsrechts ist eine verkehrte. Aber unter der Verurtheilung der civilistischen Methode versteckt sich oft die Abneigung gegen die juristische Behandlung des Staatsrechts, und indem man die Privatrechtsbegriffe vermeiden will, verstößt man die Rechtsbegriffe überhaupt, um sie durch philosophische und politische Betrachtungen zu ersetzen. Im Allgemeinen hat die Wissenschaft des Privatrechts vor allen anderen Rechtsdisziplinen einen so großen Vorsprung gewonnen, daß die letzteren sich nicht zu scheuen brauchen, bei ihrer reiferen Schwester zu lernen und bei dem heutigen Zustande der staatsrechtlichen und insbesondere reichsrechtlichen Literatur ist weit weniger zu fürchten, daß sie zu civilistisch, als daß sie unjuristisch wird und auf das Niveau der politischen Tagesliteratur hinabsinkt.“ 26 Vgl. etwa H. Preuß, Über Organpersönlichkeit. Eine begriffskritische Studie, in: Schmollers Jb., N.F. 26 (1902), 557–596, hier 564: „Wer einige Übung im Gebrauch des Fiktionsapparates hat, der kann gewiß alles Mögliche personifizieren, sich weg- und wieder herbeidenken; die Frage ist nur ob die wissenschaftliche Erfassung der Wirklichkeit dadurch gefördert wird.“
1.1 Der Rechtspositivismus und Labands ‚Staatsrecht‘
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postulierte politische Neutralität. Im Resultat muß jede Methode, die über der Frage nach der technischen Interpretation der Gesetze alle Fragen nach dem Inhalt dieser Gesetze und nach dem Recht nicht nur ausklammert, sondern sogar für wissenschaftlich unzulässig und „politisch“ erklärt, systemerhaltend wirken. Diese konservative Funktion seines staatsrechtlichen Denkens hat Laband nie reflektiert. Es ist naheliegend, daß dies auch eine Funktion der politischen Zufriedenheit war, mit der Laband und die Mehrzahl seiner Kollegen das Kaiserreich der Hohenzollern betrachteten. Anders als die Staatsrechtler des Vormärz, die Einigkeit und Recht und Freiheit als Kernpunkte in ihrem Forderungskatalog hatten und als „politische Professoren“ auf die Veränderung des Bestehenden drängten, ging es der Staatsrechtswissenschaft nach 1867/71 überwiegend um die Erläuterung, Erklärung und Bewahrung des Erreichten ohne grundlegenden reformerischen Impetus. Immerhin konnte argumentiert werden, daß die vormärzlichen Forderungen inzwischen erfüllt waren, daß staatliche Einheit und freiheitliche Verfassung in Deutschland bestanden. Die politische Unangreifbarkeit einer streng juristischen Methode der Verfassungs- und Gesetzesauslegung hat diese Argumentation unterstützt. Umgekehrt hat natürlich auch die Tatsache ihrer Zufriedenheit mit dem Status quo die Herrschaft der Labandschen Schule und Methodik erleichtert, etwa dank staatlicher Einflüsse auf die Berufungspraxis staatsrechtlicher Lehrstühle. Hugo Preuß zählte zu den wenigen zeitgenössischen Kollegen vom Fach, die die politischen Hintergründe des Rechtspositivismus nicht nur durchschauten, sondern auch explizit benannten: Auch die seit einem Menschenalter in unserer Wissenschaft vorherrschende Methode, die unter Herausdestillierung der politischen Elemente ein Staatsrecht in juristischer Reinkultur darzustellen vorgibt, hat sich zwar große Verdienst um die Herausarbeitung der juristischen Elemente im Staatsrecht erworben; aber politisch bedingt ist sie genau so, wie jede andere Richtung. Daran ändert es nichts, daß ihre Anhänger nur die anderen Richtungen als politisch, ihre eigene aber als unpolitisch zu bezeichnen lieben.27
27 „Anschütz’ Kommentar zur preußischen Verfassung“, in, Preuß. Jbb., 150 (1912), 473–483, hier 476. Ähnlich äußert er sich über die um die Jahrhundertwende erschienenen, vom Positivismus inspirierten Allgemeinen Staatslehren von Rehm, Jellinek und Schmidt; „gemeinsam ist ihnen die Tendenz der politischen Tendenzlosigkeit“, ‚Ein Zukunftsstaatsrecht‘, in: AöR, 18 (1903), 373–422, hier 376. Einen Höhepunkt sah Preuß in der positivistischen Behandlung des Beamtenrechts erreicht: „Aber damit nicht genug; der von jeder gedanklichen Einheit eines Prinzips emanzipierte souveräne Positivismus bleibt nicht stehen bei der Produktion zwieschlechtiger Wesen, die Staats- und Gemeindebeamte zugleich sein und also das Unmögliche möglich machen sollen, zween Herren zu dienen; sondern er schafft des weiteren Gemeindebeamte, die ausschließlich zu Funktionen der Staatskompetenz berufen sein sollen, um endlich zu einer ganz besonderen Art von Rätselwesen zu gelangen, die weder unmittelbare Staatsbeamte noch Gemeindebeamte, vielmehr mittelbare Staatsbeamte schlechthin, also in einem über jeder Möglichkeit gedanklicher Erfassung erhabenen Sinne sein sollen. Selten zeigt sich so deutlich wie hier die Unfruchtbarkeit des publizistischen Positivismus im Souveränitätsdünkel gesetzgeberischer Allmacht!“ (Das städtische Amtsrecht in Preußen, 215). Wenn Laband (Staatsrecht des Deutschen Reiches, 1. Bd., 1. Aufl., 297) dem Volk nur bei der Wahl des Reichstags ein Mitwirkungsrecht gewähren will, so entspricht diese Auffassung für Preuß voll und ganz den Ideen Rousseaus: „Zugleich bekennt damit jenes ‚rein juristische‘ Staatsrecht
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1. Die Staatslehre des Kaiserreiches
Neben Laband ist Georg Jellinek der Hauptexponent der positivistischen Staatsrechtsschule; zugleich zeigt sein Werk aber auch schon Ansätze zur Überwindung des strikt juristischen Denkens28. Gleich Laband war der aus Österreich stammende Jellinek Jude, zudem aus einer prominenten und exponierten Familie – sein Vater war Oberrabiner in Wien29. Anders als Laband hatte Georg Jellinek jedoch einen unruhigeren akademischen Werdegang zurückzulegen, bis er nach seiner antisemitisch motivierten Vertreibung aus Wien ein Ordinariat in Heidelberg übernehmen konnte30, an der Universität Max Webers, mit dem Jellinek eng befreundet war31. Mit Jellinek unterhielt Preuß einen sporadischen Briefwechsel, der von der geistigen Nähe der beiden Zeugnis ablegt. Allerdings ist es mit Vorsicht zu genießen, wenn Preuß den von ihm sehr geschätzten Jellinek auch für die wissenschaftlichen Thesen der Genossenschaftslehre zu vereinnahmen sucht. Zwar benutzt Jellinek gelegentlich Begriffe aus dem organischen Vokabular, der Kern seiner Auffassung bleibt jedoch dem Positivismus verhaftet. Die Hauptberührung von Preuß und Jellinek liegt denn auch im Politischen, wo sie beide linksliberale Überzeugungen hegten32.
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seine vollendete Unfähigkeit, die stärkste reale Triebkraft der ganzen Verfassungsentwicklung und ihren wichtigsten Niederschlag im Staatsrecht gedanklich zu erfassen.“ (Reich und Länder. Bruchstücke eines Kommentars zur Verfassung des Deutschen Reiches. Aus dem Nachlaß d. Verf. hrsg. v. G. Anschütz, Berlin 1928, 242). 1883 hatte Heinrich Rosin in Hirths Annalen, 265–322, eine sehr bekannt gewordene Abhandlung verfaßt unter dem Titel „Souveränetät, Staat, Gemeinde, Selbstverwaltung. Kritische Begriffsstudien“ (Auch gesondert veröffentlicht, München u. Leipzig 1883). 1908 nannte Preuß seinen Beitrag zur Festschrift für Labands goldenes Doktorjubiläum „Selbstverwaltung, Gemeinde, Staat, Souveränität“ (in: Staatsrechtliche Abhandlungen. Dargebracht von W. van Calker et al., Tübingen 1908, 2. Bd., 197–245), und sein Satz „(d)ieser Gegensatz der Reihenfolge enthält in nuce bereits den ganzen Unterschied in der prinzipiellen Auffassung des Problems“ (199), wäre zum Verständnis kaum noch nötig gewesen. Dazu, daß sich einer der schärfsten Kritiker Labands überhaupt an der Festschrift beteiligte, vgl. den Brief von Hugo Preuß an Georg Jellinek vom 1.5.1907, BAK NL Georg Jellinek, Nr. 23. Eine umfassende Analyse von Jellineks theoretischem Denken bietet neuerdings Jens Kersten, Georg Jellinek und die klassische Staatslehre, Tübingen 2000. Die Vielschichtigkeit Jellineks beleuchten die Aufsätze in Stanley L. Paulson / Martin Schulte (Hrsg.), Georg Jellinek – Beiträge zu Leben und Werk, Tübingen 2000. Vgl. auch M. Friedrich, Geschichte der deutschen Staatsrechtswissenschaft, 285ff., M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts II, 450ff. Zum familiären Hintergrund umfassend Klaus Kempter, Die Jellineks 1820–1955. Eine familienbiographische Studie zum deutschjüdischen Bildungsbürgertum, Düsseldorf 1998. Zu diesem Vorgang siehe J. Kersten, Georg Jellinek, 19ff., und v.a. Klaus Kempter: Judentum, Liberalismus, Nationalismus. Biographische Prägungen von Georg Jellineks politischer Persönlichkeit, in: S.L. Paulson / M. Schulte (Hrsg.), Georg Jellinek, 53–65. Andreas Anter: Max Weber und Georg Jellinek. Wissenschaftliche Beziehung, Affinitäten und Divergenzen, in: S.L. Paulson / M. Schulte (Hrsg.), Georg Jellinek, 67–86. Vgl. auch J. Kersten, Georg Jellinek, 123ff. So schreibt Hugo Preuß am 26.2.1905 an Jellinek: „Das in Aussicht stehende Erscheinen neuer Auflagen von zweien Ihrer Werke ist ein litterarisch und wissenschaftlich so hocherfreuliches Ereigniß, daß ich sehr kleinmütig sein müßte, wenn ich es trotz der angekündigten Polemik gegen mich nicht mit aufrichtiger Freude begrüßte. Zudem hat die freundliche Art jener
1.1 Der Rechtspositivismus und Labands ‚Staatsrecht‘
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Anders als Laband war sich Jellinek auch darüber im klaren, daß „streng“ juristische Lehrsätze nur einen Teil des Staats- und Verfassungslebens zu erklären im Stande sind. Aber es ist symptomatisch, daß auch Jellinek hieraus nicht die Konsequenz zieht, politische Motive juristischen Handelns als Jurist zu berücksichtigen. Sicherlich läßt sich vermuten, daß sein wissenschaftliches Interesse an dem unter seinen Zeitgenossen noch wenig beachteten Thema der Menschenrechte auch auf außerwissenschaftliche, in der Biographie begründete Zusammenhänge zurückgeht33. Die Trennung von Politik und Recht geht durch die Arbeiten Jellineks, der zu beiden Bereichen wesentliches leistete, die Verknüpfung beider aber nicht weniger als Laband ablehnte34. Ankündigung der Polemik von vornherein jeden persönlichen Stachel genommen. ... Jedenfalls hat mich auch bei der Polemik niemals die Erkenntnis der immanenten Wahlverwandtschaft unserer Grundanschauungen verlassen, der Sie in ihrem Briefe einen für mich so ehrenvollen und erfreulichen Ausdruck geben. So habe ich mit besonderer Genugtuung in Ihrem „Recht des modernen Staates“ Anschauungen wiedergefunden, die ich seit langen Jahren in meinen Vorlesungen im Gegensatz zur ganzen herrschenden Staatsrechtslehre vertrete. Daß wir gegenüber der reaktionären scholastischen Doktrin und ihren bornierten Vertretern auf dem gemeinsamen Boden moderner Wissenschaft stehen, dessen bin ich mir mit Freuden bewußt. Wenn Sie, verehrter Herr Professor, meine Terminologie nicht übel vermerken, so war meine Überzeugung stets, daß gerade Sie durchaus Organiker sind, freilich – malgré connus. Vielleicht habe ich gerade deßhalb Ihre Angriffe gegen die organische Theorie besonders eifrig zu parieren versucht.“ Wenig später, am 26.4.1905, dankte Preuß schriftlich für die Übersendung eines Vortrags über Wahlrecht, „mit dessen Grundgedanken ich durchaus übereinstimme. Ich sehe darin eine wertvollste Bestätigung der Überzeugung, daß die einzige wissenschaftlich haltbare, aber auch durchschlagende Apologie des allgemeinen, gleichen p.p. Wahlrechts eine negative sein muß, die Unfähigkeit des formalen Rechts, – jedenfalls in großen sozialen Kampftagen –, die Stimmen zu wägen; also muß man sich mit dem Zählen begnügen“. Und am 9.12.1907 schreibt Preuß: „Es ist mir ein Bedürfnis, Ihnen lebhaften Dank für Ihre akademische Rede auszusprechen, und nicht nur für deren freundliche Zusendung. Das Treiben novorum virorum obscurorum hat eine solche Züchtigung wahrlich herausgefordert, und daß sie von so illustrer Stelle kommt, macht sie um so erfrischender und erfreulicher. Gern gedenke ich der freundlichen Mahnung, die Sie vor etlicher Zeit an mich richteten, daß gegenüber dieser Richtung wichtiger ist, was uns eint, als gewisse Differenzen über Feinheiten der Doktrin. ... (V)ielleicht ist es ein freilich ungewolltes Verdienst der Neo-Reaktionäre, daß sie eine gesunde Reaktion gegen die politische Blutarmut auslösen, die dem Verfahren der juristischen Reinkultur entstammt.“ Von den wenigen erhaltenen Briefen Preuß’ zählen die an Jellinek zu den inhaltsreichsten. 33 Vgl. Michael Stolleis, Georg Jellineks Beitrag zur Entwicklung der Menschen- und Bürgerrechte, in: S.L. Paulson / M. Schulte (Hrsg.), Georg Jellinek, 103–116. Jellineks kleine Schrift Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte. Ein Beitrag zur modernen Verfassungsgeschichte, München und Leipzig 1895, hat jedenfalls epochal in der deutschen Menschenrechtsforschung gewirkt. 34 Klassischer Ausdruck hierfür ist Jellineks Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl., Berlin 1914 (erstmals als Das Recht des modernen Staates, 1. Bd. (mehr nicht erschienen), Berlin 1900), die sowohl Recht wie Politik berücksichtigt, ihre Trennung aber zum System erhebt. Vgl. auch J. Kersten, Georg Jellinek, 266ff.
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1. Die Staatslehre des Kaiserreiches
Die Laband-Schule hielt sich an diese Vorgaben. Selbst linksliberale politische Kritiker des Kaiserreiches wie der Kieler Staatsrechtler Albert Hänel35 argumentierten in ihrer wissenschaftlichen Arbeit methodisch weitgehend auf positivistischen Bahnen, wenn sie auch in manchen Detailfragen in heftiger Polemik mit Laband standen36. Gerade Hänel ist damit ein aufschlußreiches Beispiel für die Reichweite der Gerber-Laband-Schule. Als Politiker war der langjährige Abgeordnete im preußischen Abgeordnetenhaus und im Reichstag schon durch seine regionale Basis in Schleswig-Holstein, das nach dem preußisch-österreichischen Krieg keineswegs freiwillig preußische Provinz geworden war, ein Außenseiter im neuen Reich. Auch die Fortschrittspartei und später die Freisinnige Volkspartei standen dem Staate ferner, als Laband dies jemals tat. Wenn Hänel, der als Gegenspieler des übermächtigen Parteiführers Eugen Richter37 um die Richtung des Linksliberalismus rang, politisch eher Hugo Preuß’ oder selbst Georg Jellineks Vorstellungen nahekam, blieb er als Wissenschaftler doch ganz überwiegend im methodischen Banne Labands. Zwar versuchte Hänel den Staat von der Gesellschaft her zu verstehen, eine Kritik an Labands diesem Verständnis kaum förderlichen Begriff der Staatsrechtswissenschaft folgte hieraus jedoch nicht38. Manfred Friedrich spricht in diesem Zusammenhang treffend von der erst später erfolgten „Zerstörung der wissenschaftlichen Unbefangenheit, ohne welche die systematischen Staatsrechtslehrbücher des 19. Jahrhunderts nicht denkbar sind“39. Das gilt für die staatstreuen Gerber und Laband, das gilt aber nicht minder für die regierungsfremden politischen Kritiker wie Hänel. Die grundsätzliche Opposition zum Labandschen System und zu dessen Methodik blieb innerhalb der Staatsrechtswissenschaft ausgesprochen begrenzt. Letztlich zählte zu dieser Opposition neben der Genossenschaftslehre Gierkes und Preuß’ nur noch ein staatsrechtliches System von eher regionaler Bedeutung: die bayerische Schule, die durch die Ideen Max von Seydels inspiriert wurde.
35 Zu ihm siehe Manfred Friedrich, Zwischen Positivismus und materialem Verfassungsdenken. Albert Hänel und seine Bedeutung für die deutsche Staatsrechtswissenschaft, Berlin 1971; und die umfangreichere und stärker biographisch orientierte Studie von Stefan Graf Vitzthum, Linksliberale Politik und materiale Staatsrechtslehre. Albert Hänel 1833–1918, Freiburg und München 1971. Vgl. auch M. Dreyer, Föderalismus, 303ff. 36 Zu Ph. Zorn vgl. oben, Fn. 2. Ganz ähnlich A. Hänel, Zur Kritik der Begriffsbestimmung des Bundesstaates, in: Hirths Annalen 1877, 78–92, hier 92; der Positivismus befreie die Wissenschaft von dem „trüben Gemenge politischer, historischer, statistischer, juristischer Betrachtungen ..., die man Reichsstaatsrecht zu nennen beliebt“. 37 Vgl. zu ihm Ina Susanne Lorenz, Eugen Richter. Der entschiedene Liberalismus in wilhelminischer Zeit 1871–1906, Hagen 1981; und Hans-Peter Goldberg, Bismarck und seine Gegner. Die politische Rhetorik im kaiserlichen Reichstag, Düsseldorf 1998, 160ff. 38 Vgl. St. Graf Vitzthum, Hänel, 117. Allerdings wehrt sich Graf Vitzthum auch dagegen, Hänel einfach in das Umfeld Labands einzuordnen; ebd., 13ff. 39 M. Friedrich, Hänel, 17.
1.2 Der Naturalismus Seydels
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1.2 Der Naturalismus Seydels Der wissenschaftliche Erstling Max von Seydels40, seine 1872 erschienene knappe Abhandlung „Der Bundesstaatsbegriff“, ist zugleich sein fruchtbarster Beitrag zur Dogmatik der Staatsrechtslehre, insbesondere zur Bundesstaatstheorie41. Er zeigte die immanente Einheit und Unteilbarkeit des Souveränitätsbegriffes und damit die Unhaltbarkeit aller Lehren, die den Bundesstaat aus der Teilung der Souveränität entstehen ließen. Mit großer Konsequenz leitete er hieraus die Unmöglichkeit des Bundesstaatsbegriffes als solchem ab, da er an dem zweiten Dogma der deutschen Staatstheorie, der Einheit von Staat und Souveränität, festhielt. Laband umging dieses Dilemma, indem er souveränen und nichtsouveränen Staat unterschied, nur um sich sofort in dem nicht geringeren Dilemma wiederzufinden, den nichtsouveränen Staat von der Gemeinde abgrenzen zu müssen. Preuß, der die negative, kritische Leistung Seydels stets würdigte42, ging einen Schritt weiter; wie gleich zu zeigen sein wird, lehnte er das gesamte Souveränitätskonzept als einen absolutistischen und damit antiquierten Teil des Staatsbegriffes ab und löste damit, allerdings auf radikale Art, auch das von Laband aufgeworfene Problem. War das kritische Ergebnis Seydels, die Überwindung der Waitzschen Lehre, auch sehr schnell Allgemeingut geworden, so mochte sich seinem positiven Ergebnis, der begrifflichen Auflösung aller Bundesstaaten in Staatenbünde oder Einheitsstaaten, kaum jemand anschließen. Zwar war seine Klassifizierung des Deutschen Reiches als eines unauflösbaren staatsrechtlichen Staatenbundes bei näherer Betrachtung im Ergebnis durchaus mit dem Bundesstaatsbegriff vergleichbar, der von praktisch allen anderen Staatsrechtslehrern untersucht wurde. Aber die politische Belastung, die die vielen Jahre des repressiven Deutschen Bundes dem Begriff des Staatenbundes gebracht hatten, machten es unmöglich, sich seiner jetzt weiter zu bedienen. Zudem hatte die Nationalbewegung in Deutschland seit dem Wiener Kongreß den Bundesstaat angestrebt, und da das Bismarck-Reich seinen Formen zu entsprechen schien, war die Erwartung unrealistisch, daß der Rest Deutschlands aufgrund bayerischer Vorbehalte bereit sein sollte, den Bundesstaatsbegriff im Moment seine Vollendung aufzugeben, egal, wie fundiert diese Vorbehalte theoretisch 40 Zu ihm siehe M. Friedrich, Geschichte der deutschen Staatsrechtswissenschaft, 261f., und M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts II, 287ff. Eine schwungvolle Verteidigung auch der extremeren staatsrechtlichen Ansichten von Seydel bietet Hans Nawiasky, Max von Seydel, Münchener Universitätsreden, N.F. 4, München o.J. (1953). 41 M. Seydel, Der Bundesstaatsbegriff. Eine staatsrechtliche Untersuchung, in: ZfgS, 28 (1872), 185–256. Daneben sind von Bedeutung seine Grundzüge einer allgemeinen Staatslehre, Würzburg 1873, der Commentar zur Verfassungsurkunde für das Deutsche Reich, Würzburg 1873 (auch 2., umgearb. Aufl., Freiburg i.B. u. Leipzig 1897) und das in unserem Zusammenhang weniger wichtige Hauptwerk Seydels, sein siebenbändiges Bayerisches Staatsrecht, München 1884 – Freiburg i.B. u. Leipzig 1894. 42 Im Vergleich der Seydelschen Arbeit mit der Theorie Waitz’ nannte er „diese Untersuchungen für die Wissenschaft fruchtbarer als jene alten selbstsicheren Dogmen, denen nur der Mangel juristischer Logik Existenz verlieh“, ‚Gemeinde, Staat, Reich‘, 2.
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sein mochten43. Sicherlich ist Seydel als „Begriffsjurist im Glauben an den zwingenden Charakter von ‚Begriffen‘“44 charakterisierbar. Man muß dabei aber auch berücksichtigen, daß die Begriffsanalyse für einen Juristen generell und sicherlich für einen Staatsrechtslehrer und Staatstheoretiker in der Ära Seydels nicht so ungewöhnlich ist. Beeindruckend bleibt, wie er aus dem vorgegebenen dogmatischen Material lediglich die konsequenten Schlußfolgerungen zog, auch wenn diese der politischen und wissenschaftlichen Zeitströmung entgegengesetzt waren. Das gilt für Seydels Bundesstaatsbegriff und die ihm zugrundeliegende Souveränitätsanalyse, das gilt aber auch für seine generelle Staatstheorie, die viel weiter reicht als nur bis zu einer Betrachtung des deutschen Föderalismus. Mehr noch, sie hatte, durchaus ungewöhnlich in diesen beginnenden positivistischen Zeiten, einen dezidiert politischen Anspruch – schon der Umstand, daß Seydel 1873, in der Anfangszeit positivistischer Dominanz, überhaupt mit Grundzüge(n) einer allgemeinen Staatslehre45 an die Öffentlichkeit trat, verdient Beachtung. Bereits dies ist programmatisch in seiner impliziten Kritik an der positivistischen Dogmatik, die für ‚allgemeine Staatslehren‘ angesichts real existierender Verfassungen und Gesetze wenig Bedarf hatte. Seydels Staatslehre ist als empirisch, als naturalistisch sowie, vom Autor selbst, als realistisch bezeichnet worden. Diese Begriffe umschreiben, daß Seydel alle philosophischen oder rechtlichen Konstruktionen eines Staates ablehnte; „(e)s hat nie den Staat kat exochen gegeben, sondern immer nur 43 Seydels Widerstand gegen die Möglichkeit der Schaffung eines neuen Staates durch das Zusammengehen bestehender Staaten beruhte letztlich auf seiner Ablehnung der juristischen Person: „Jeder Wille hat zu seiner Voraussetzung ein wollendes Subjekt; denn der Wille ist nichts anderes, als die Äußerung des Selbstbewußtseins oder der Persönlichkeit. Es giebt sonach keinen Willen an und für sich, ebensowenig als es eine Tugend, ein Laster, eine Leidenschaft an und für sich giebt. Für das Recht kömmt nur der Mensch als persönliches Wesen in Betracht, daher auch nur dieser als willensfähiges Wesen. Jeder Wille setzt mithin einen Menschen als seinen Urheber voraus; jeder Wille ist individuell menschlicher Wille. Von dieser Verbindung mit seinem Urheber kann sich der Wille nicht loslösen, er ist in seinem Dasein an das wollende Subjekt gebunden, er ist nicht mehr, wenn der Wollende nicht mehr ist. Durch die Vereinigung einer Mehrzahl von Menschen entsteht kein neuer Mensch; darum kann auch durch die Vereinigung einer Mehrzahl von Willen kein neuer Wille entstehen. Der ‚Gemeinwille‘ ist nicht ein Wille, sondern eine Mehrheit von Willen gleichen Inhaltes. ... Wie hundert Menschen stets hundert Menschen bleiben, ebenso bleiben die hundert Willen dieser Menschen stets hundert gesonderte individuelle Willen. Wie aus der Vereinigung von hundert Menschen nicht ein hunderteinter Mensch entspringt, so auch aus hundert Willen nicht ein hundertundeinter Wille. Dieser Satz ist arithmetisch unanfechtbar.“, ‚Die neuesten Gestaltungen des Bundesstaatsbegriffes‘, in: Hirths Annalen, 1876, 641–655, hier 647. Ebd., 648, ist für ihn die juristische Person „nach ihrem Ursprunge ein bloßer Rechenpfennig des Zivilrechtes“. Mit diesem Argument, so meinte Preuß, „verwechselt er eben die Begriffe der Wissenschaft des organischen Lebens mit denen der Mathematik“, ‚Gemeinde, Staat, Reich‘, 45. Ebd., 125, gesteht er Seydel und dem Unitaristen Zorn zwar zu, daß ihre Leugnung des Bundesstaates konsistent mit ihrer Souveränitätslehre sei, dafür aber „in unlösbarem Widerspruch zu den realen Erscheinungen des modernen Staatslebens“ stehe. 44 M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts II, 288. 45 Erschienen Würzburg 1873. Zum folgenden vgl. M. Dreyer, Föderalismus, 311ff.
1.2 Der Naturalismus Seydels
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bestimmte einzelne Staaten“46. Der Staat ist eine von Menschen für Menschen konkret geschaffene Tatsache, der die rechtliche Ordnung erst nachfolgt. Da erst die Herrschaft aus einer Menschenmasse einen Staat macht, kann dieser unmöglich selbst einen Willen und eine Persönlichkeit besitzen, sein eigenes Subjekt sein. Der Willen ist an eine physische Person gebunden, willensfähig sind Menschen, nicht aber Staaten oder andere Gemeinwesen. Die juristische Person Labands und erst recht die reale Gesamtperson Gierkes existieren für Seydel nicht. Er benötigt sie auch nicht, denn anders als Labands Positivismus benötigt der ‚Realismus‘ Seydels kaum allgemeine Begrifflichkeiten, um die Lücken im Rechtssystem schöpferisch auszufüllen. Bei Seydel steht als Reservemacht immer der Herrscher im Hintergrund, bei Laband ist es das Recht und implizit die Rechtswissenschaft. Seydel selbst hat dies treffend ausgedrückt: Der Staat ist jene thatsächliche Erscheinung, aus welcher vermittels der Herrschaft das Recht entsteht. Der Staat ist die unter Einem höchsten Willen, dem des Herrschers, vereinigte Gesammtheit der Menschen eines Landes, Herrscher und Staat sind von einander geschieden wie Subject und Object. Am klarsten tritt diese Scheidung in der Monarchie zu Tage. Der Monarch ist kein ‚Organ‘ des Staates, er steht als Herrscher, als Souverän über ihm. Will man den Staat aus einem Objecte zum Subjecte machen, sei es nun in der Form des Organismus oder der Juristischen Person oder sonst wie, so geräth man in Fictionen, d.h. man verläßt den Boden der Wirklichkeit.47
Diese Auffassung konnte die Mehrheit der deutschen Staatsrechtler unmöglich akzeptieren. Preuß sprach von dem Versuch, „den alten Wein der absolutistischen Staatstheorie in neue Schläuche zu füllen“48. Von Ferne meint man, Hobbes und den ‚Leviathan‘ zu erkennen. Denn Seydel ging mit diesen Sätzen selbst noch hinter Stahl zurück; er griff Ideen von Haller und Maurenbrecher wieder auf. Damit verließ er die gemeinsame theoretische und staatsrechtliche Basis der konstitutionellen Monarchie, die gerade wegen ihres politisch fragilen Kompromißcharakters solche Angriffe auf ihre Grundmauern kaum ertragen konnte. Wer die integrierende Staatspersönlichkeit in Abrede stellte, mußte damit der überwunden geglaubten Auseinandersetzung um Volks- oder Fürstensouveränität wieder Tür und Tor 46 Grundzüge einer allgemeinen Staatslehre, 3. 47 Bayerisches Staatsrecht, 1. Bd., 1. Aufl., 352. Für Dieter J. Weiß, Stand und Probleme der Erforschung des Konservatismus in Bayern, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Stand und Probleme der Erforschung des Konservatismus, Berlin 2000, 83–102, hier 93f., ist Seydel der „Hauptvertreter des staatskonservativen Denkens und der maßgebliche Interpret der bayerischen Verfassung ... der die Ausbildung der bayerischen Beamten prägte“. 48 „Ein Zukunftsstaatsrecht“, 376. An anderer Stelle („Entwicklung und Bedeutung des öffentlichen Rechts. Eine akademische Antrittsrede“, in: Schmollers Jb., 13 (1889), 1349–1362, hier 1357f.) nennt er im Vergleich zu den nur implizit angesprochenen Ideen Seydels selbst Hobbes modern; „(e)s kann nicht Tag sein in der Wissenschaft, wenn solche Gespenster umgehen“, ebd., 1358. Vgl. auch „Über Organpersönlichkeit“, 560: „Den Vorzug einer gewissen inneren Geschlossenheit mag man jener Theorie zusprechen; aber sie erkauft ihn durch eine absolute Verständnislosigkeit gegenüber den realen Erscheinungen modernen Staatslebens; sie ist in Wahrheit nicht realistisch, sondern nihilistisch.“
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öffnen. Letztlich leugnete Seydel damit sogar den eigentlichen Rechtscharakter des Staatsrechts, das er als Ausfluß des souveränen Herrscherwillens interpretierte und damit reversibel machte. Hier konnten ihm Laband und seine Schule nicht folgen. Noch weniger aber konnte dies die Genossenschaftslehre Gierkes, für die die rechtliche Organisation des Gemeinwillens sozialer Gruppen als deutlich von der Summe der Individualwillen zu unterscheidende Willensäußerung der Gesamtperson Ausgangspunkt ihres rechtlichen Denkens war. 1.3 Der organische Genossenschaftsgedanke Gierkes Das monumentale, aber gleichwohl Torso gebliebene Lebenswerk Otto von Gierkes49, die vierbändige Rechtsgeschichte der deutschen Genossenschaft50, zählt „zu den klassischen Werken der deutschen Verfassungsgeschichte“51. Mehr noch, es ist ein auch international singuläres Zeugnis rechtshistorischer Arbeit und ihrer Nutzbarmachung für die Gegenwart des Autors. Anders als Seydel sieht Gierke sein staatstheoretisches Ideal nicht in der Erneuerung neo-absolutistischen Denkens, anders als Laband nimmt er den positiven Gesetzestext nicht als den einzig erlaubten Ausgangspunkt für die Interpretation der staatsrechtlichen Gegenwart, und anders als Jellinek bemüht er sich, nicht nur das Nebeneinander von Recht, Politik und Moral zu erkennen, sondern zugleich ihre Einheit zu bewahren. Gierke tauchte tief in die deutsche Rechtsgeschichte ein und damit auch in ihre Verbindungen und Trennungen vom römisch-rechtlichten Denken, um in der Verbindung von Vergangenheit und Gegenwart einen rechtlichen Rahmen für die Zukunft zu entwickeln, der sich fundamental von dem Labands unterscheidet52. Der Gedanke des evolutionären Entstehens des aktuellen Rechtes aus der Verbindung mit früheren Rechtsentwicklungen war konstitutiv für Gierkes Rechtsverständnis. Jeglicher 49 Zu ihm siehe M. Friedrich, Geschichte der deutschen Staatsrechtswissenschaft, 266ff., M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts II, 359ff., und Hans Boldt, Otto von Gierke, in: Hans-Ulrich Wehler (Hrsg.), Deutsche Historiker VIII, Göttingen 1982, 7–23. Die umfassendste, wenn auch in ihren Wertungen nicht unproblematische Biographie ist immer noch die Arbeit des Laski-Schülers Sobei Mogi, Otto von Gierke. His Political Teaching and Jurisprudence, London 1932. 50 Das deutsche Genossenschaftsrecht, 4 Bde., Berlin 1868–1913, umspannt fast das ganze wissenschaftliche Leben Gierkes. Rechtshistorisch und rechtsphilosophisch bedeutsam ist auch Johannes Althusius und die Entwicklung der naturrechtlichen Staatstheorien. Zugleich ein Beitrag zur Geschichte der Rechtssystematik, Breslau 1880, wo Gierke den Stammvater des organischen Föderalismus der Vergessenheit entriß. 51 H. Boldt, Gierke, 7. 52 Die Auseinandersetzung mit Laband erfolgte vor allem in „Grundbegriffe des Staatsrechts und die neuesten Staatsrechtstheorien“, in: ZfgS, 30 (1874), 153–198 u. 265–335, sowie „Labands Staatsrecht und die deutsche Rechtswissenschaft“, in: Schmollers Jb., N.R. 7 (1883), 1097– 1195. Der letztgenannte Aufsatz ist eigentlich eine Rezension, erreicht aber die Länge eines kleinen Buches und inhaltlich die Dimension einer grundsätzlichen Auseinandersetzung.
1.3 Der organische Genossenschaftsgedanke Gierkes
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Wandel mußte für Gierke von innen kommen, wenn er bleibende Kraft und Verbindung mit einem kaum anders als metaphysisch zu verstehenden Volksgeist behalten sollte53, und die Ablehnung des von außen kommenden Römischen Rechts durch Gierke findet hier ihre tiefste Wurzel. Neben den rechtshistorischen Forschungen im eigentlichen wissenschaftlichen Sinne standen für Gierke immer zwei gegenwartsbezogene Ziele. Zum einen wollte er die Methodendiskussion innerhalb seines Faches beeinflussen und damit weg von positivistischen und römisch-rechtlichen Überlegungen hin zur germanischhistorischen Rechtsschule lenken. Zum anderen wollte er die Rechtspolitik in ihren praktischen Anwendungen und Gesetzgebungen gleichfalls in eine historisch informierte und inspirierte Richtung wenden. Mit beiden Vorhaben ist Gierke unter seinen unmittelbaren Zeitgenossen nicht sehr erfolgreich gewesen. Laband und seine Schule gehen in der Tradition des römischen Rechtes vom absoluten Individuum aus, Gierke von der historisch gewachsenen sozialen Gruppe, der Genossenschaft. Er befindet sich damit in der Tradition seines Lehrers Georg Beseler54, aber auch in der von Otto Bähr, der den Rechtsstaat aus dem germanischen Gedanken der Genossenschaft heraus verteidigte55. Als Lehrer von Hugo Preuß hatte er den entscheidenden Einfluß auf dessen geistige Entwicklung, weit stärker als Gneist, bei dem Preuß gleichfalls studierte. Preuß’ Habilitationsschrift ist „(d)em Vorkämpfer deutscher Genossenschaftstheorie ... in Verehrung zugeeignet“ und folgt in Preuß’ Selbstverständnis gerade an den Stellen, an denen er im Dissens zu Gierke steht, den Gedanken des Lehrers: „Nirgends mehr, als wo ich ihn bekämpfe, fühle ich mich als Gierke’s Schüler.“56 Gierke beginnt seine Untersuchungen bei den ältesten germanischen Rechtsaltertümern. Der Genossenschaft steht die Herrschaft gegenüber57, aber beides sind rein personale Verbände; die Genossenschaft als die konkrete Gemeinschaft der Schwurgenossen z.B. eines Stammes, die Herrschaft als die persönliche Bindung der Untergebenen an einen nicht minder konkreten Herren – abstrakte „Ideen“ der beiden Rechtsverhältnisse existieren nicht. Dies ändert sich mit der Entwicklung 53 Vgl. H. Boldt, Gierke, 16f. Unzulänglich ist die rein juristische Interpretation bei Albert Janssen, Otto von Gierkes Methode der geschichtlichen Rechtswissenschaft. Studien zu den Wegen und Formen seines juristischen Denkens, Göttingen, Frankfurt und Zürich 1974, die in ihrer Selbstbeschränkung der Breite von Gierkes Ansatz nicht gerecht wird. 54 Gierke ist der Hauptvertreter der dritten Generation der historischen Rechtsschule, nach Savigny und Beseler. Vgl. M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts II, 359. 55 Vgl. Georg Beseler, Volksrecht und Juristenrecht, Leipzig 1843; Otto Bähr, Der Rechtsstaat. Eine politische Skizze, Cassel u. Göttingen 1864. Zu beiden vgl. M. Dreyer, Föderalismus, 124ff. u. 373; zu Bähr auch die erschöpfende Schilderung von Leben und Denken durch Birgit Binder, Otto Bähr (1817–1895). Richter von universellem Geist, Mittler zwischen Dogmatik und Praxis, Frankfurt a.M. und Bern 1982. 56 Gemeinde, Staat, Reich, VII. An gleicher Stelle nennt er Gierke den „Bannerträger“ der von Beseler und Bähr entwickelten Lehre. Allerdings sei die Lehre im Privatrecht entstanden, müsse also für das Staatsrecht umgestaltet werden. 57 Genossenschaftsrecht, 1. Bd., 13.
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1. Die Staatslehre des Kaiserreiches
der Stadt von einem geographischen zu einem Rechtsbegriff im 11./12. Jahrhundert: Aus der Genossenschaft wird die Körperschaft, die als solche einen immanenten Willen hat, der von der Summe der Einzelwillen getrennt ist. Als Einheit über der Vielheit steht eine Gesamtperson, etwa die Stadt, die selbst handelt und einen Willen hat. Ähnlich verwandelt sich die persönliche Herrschaft in die abstrakte Idee der Anstalt, in der hinter der konkreten Person des Herren der transzendente Wille des Stifters fortwirkt – etwa in der Kirche der Wille Gottes. Im realen Rechtsleben allerdings sind die theoretisch klar zu unterscheidenden Komplexe der Körperschaft und der Anstalt vielfach miteinander vermischt58. Mit der Anwendung der Genossenschaftstheorie auf die mittelalterliche deutsche Stadt und auf die Erklärung der Stadtrechtsentstehung aus der Einung der Genossen heraus hatte Gierke zugleich, wenn auch vielleicht ohne es zu bezwecken, Partei ergriffen in einem Streit, der über mehrere Jahrzehnte hindurch die Historiker des Mittelalters bewegte. Hauptprotagonisten in der Auseinandersetzung um die Entstehung der deutschen Städte und ihres eigenen Rechts waren die Historiker Georg von Below und Karl Lamprecht. Letzterer war einer der Begründer der Wirtschafts- und Sozialgeschichte in Deutschland, der sich zudem methodisch deutlich von der Rankeschen Geschichtsschreibung absetzte59. Below, der in seiner wissenschaftlichen Prosa kein Blatt vor den Mund nahm, war sein schärfster Kri-
58 Genossenschaftsrecht, 2. Bd., 959ff. Ebd., 971ff., behandelt er die die „Möglichkeit von Anstalten mit korporativer Verfassung und Körperschaften mit anstaltlicher Spitze“, 974. Vgl. auch „Deutsches Privatrecht“, 1. Bd., Leipzig 1895, 474: „Die Verbandspersonen sind entweder Körperschaften oder Anstalten. Die Körperschaft ist ein Verband mit einer ihm selbst entstammenden Persönlichkeit; ihre Seele ist ein einheitlicher Gemeinwille, ihr Körper ein Vereinsorganismus. Die Anstalt ist ein Verband mit einer nicht ihm selbst entstammenden Persönlichkeit; ihre Seele ist ein einheitlicher Stiftungswille, ihr Körper eine organische Einrichtung, vermöge deren fort und fort Menschen diesem Willen dienstbar werden. Körperschaftlicher und anstaltlicher Typus können sich mischen. ... Doch überwiegt stets der eine oder der andere Typus. Man kann daher die Eintheilung aller Verbandspersonen in Körperschaften und Anstalten durchführen und muß sich nur bewußt bleiben, daß die Körperschaft anstaltliche, die Anstalt körperschaftliche Einrichtungen und Vorstellungen in sich aufnehmen oder aus sich entwickeln kann.“ Preuß hätte diesen Sätzen nicht zugestimmt. Die wichtige Abweichung ist dabei nicht so sehr, daß er die Terminologie stringenter handhabt – was Gierke Körperschaft nennt, ist bei ihm Genossenschaft –, sondern daß eine Körperschaft mit personaler anstaltlicher Spitze für ihn völlig undenkbar ist, da alle diese Begriffe dem Sozialrecht angehören. 59 Sein erstes Hauptwerk ist Karl Lamprecht, Deutsches Wirtschaftsleben im Mittelalter, 2 Bde. in je 2 Teilen, Leipzig 1885 und 1886, das von Below hauptsächlich wegen Lamprechts Ansichten zur Stadt kritisierte. Die wichtigsten methodischen Schriften sind übersichtlich zugänglich in Karl Lamprecht, Ausgewählte Schriften zur Wirtschafts- und Kulturgeschichte und zur Theorie der Geschichtswissenschaft, Aalen 1974. Zu ihm siehe Hans-Josef Steinberg, Karl Lamprecht, in: Hans-Ulrich Wehler (Hrsg.), Deutsche Historiker, Göttingen 1973, 58–68, der Lamprecht als Außenseiter der Historikerzunft charakterisiert.
1.3 Der organische Genossenschaftsgedanke Gierkes
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tiker unter den deutschen Historikern und focht sowohl gegen Lamprechts stadthistorische Ansichten60 wie gegen seine generellen methodischen Anschauungen61 mit einer Vehemenz, die einer „regelrechten Abschlachtung“62 gleichkam. Da Lamprecht in vielerlei Hinsicht Gierke nahestand, richteten sich die Angriffe des stets streitlustigen Belows in kaum minder scharfer Form auch gegen Gierkes Ansichten63. Auch Rudolph Sohm, dessen eigene Stadtentstehungstheorie sich auf die Entwicklung des Marktrechts konzentrierte, hat sich schon früh und in deutlicher Polemik von Gierke abgesetzt64. So sehr Gierke auch an der Erforschung der deutschen Rechtsgeschichte interessiert war, konnte sich seine Fragestellung letztlich doch nicht auf die Rekonstruktion altfränkischer Herrschaft oder städtischer Freiheit allein ausrichten65. Er führte seine Untersuchungen über ein rein historisches Erkenntnisinteresse hinaus66. Der Staat des 19. Jahrhunderts hatte für ihn „als moderner Verfassungsstaat die innere und begriffliche Verschmelzung anstaltlich-obrigkeitlicher und gemeinheitlichvolksthümlicher Elemente zur höchsten und umfassendsten Allgemeinpersönlichkeit vollzogen“67. Natürlich dachte Gierke hierbei in erster Linie an die in Deutschland bestehenden konstitutionellen Monarchien, denen seine politische Loyalität galt und die er als Endpunkt einer langen Entwicklung verstand. Danach sei es dem 60 Vgl. etwa Georg von Below, Zur Entstehung der deutschen Stadtverfassung, in: Historische Zeitschrift, 58 (1887), 193–244, hier 200f. und 202; sowie 59 (1888), 193–247, hier 197 und v.a. 219ff.; ders., Die Entstehung der deutschen Stadtgemeinde, Düsseldorf 1889, 8f. 61 Georg von Below, Die neue historische Methode, in: Historische Zeitschrift, 81 (1898), 193– 273. Lamprechts Vorstellungen wird in dieser allein ihm geltenden, mit persönlichen Invektiven angefüllten und 80 Seiten starken Polemik jeglicher Wert abgesprochen. Der Angegriffene setzte sich zur Wehr; vgl. Karl Lamprecht, Die historische Methode des Herrn von Below. Eine Kritik, Berlin 1899. 62 H.-J. Steinberg, Lamprecht, 60. Zur Kontroverse um Lamprecht sieh auch Hermann Glaser, Bildungsbürgertum und Nationalismus. Politik und Kultur im Wilhelminischen Deutschland, München 1993, 136f. 63 Vgl. Georg von Below, Besprechung von M. Haß und W. Friedensburg, Historische Zeitschrift, 113 (1914), 140–146, hier 142f.; ders., Der deutsche Staat des Mittelalters. Eine Grundlegung der deutschen Verfassungsgeschichte, Leipzig 1914. Einen guten Überblick über Belows eigene stadt- und verfassungshistorische Forschungen bietet seine Aufsatzsammlung Territorium und Stadt, 2. Aufl., München und Berlin 1923. 64 Vgl. Rudolph Sohm, Die Altdeutsche Reichs- und Gerichtsverfassung. 1. Bd.: Die Fränkische Reichs- und Gerichtsverfassung, Weimar 1871, dessen „Vorrede“ hauptsächlich aus einer Polemik gegen Gierke besteht. 65 Zur Stadtentwicklung vgl. Karl Bosl, Staat, Gesellschaft, Wirtschaft im deutschen Mittelalter (Gebhardt, Handbuch der deutschen Geschichte, Band 7), München 1982, 193ff.; und die den Gang der Forschung ausführlich dokumentierende Aufsatzsammlung von Carl Haase (Hrsg.), Die Stadt des Mittelalters, 3 Bde., 3. Aufl., Darmstadt 1978, 1987 und 1984. 66 Karsten Schmidt, Einhundert Jahre Verbandstheorie im Privatrecht. Betrachtungen zur Wirkungsgeschichte von Otto von Gierkes Genossenschaftstheorie, Göttingen 1987, 5, rühmt den „Mut zur gegenwartsbezogenen Auswertung rechtshistorischen Stoffes“ bei Gierke. 67 Genossenschaftsrecht, 2. Bd., 973.
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1. Die Staatslehre des Kaiserreiches
germanisch-genossenschaftlichen Assoziationsdrang gelungen, sich durch alle absolutistisch-anstaltlichen Bedrängungen hindurch lebendig zu erhalten und sich im Rechtsstaat des 19. Jahrhunderts wieder Bahn zu brechen in einer zwar vielfach gebrochenen, trotzdem aber erkennbaren Kontinuität. In einer etwas verwirrenden terminologischen Abänderung benutzt Gierke jetzt Körperschaft als Oberbegriff, der zwar weiter im Gegensatz zur Anstalt bleibt, aber gleichwohl anstaltliche und genossenschaftliche Elemente in sich vereinigt. Gierke benötigte diese Vereinigung, um den Staat der konstitutionellen Monarchie als die wahre Fortsetzung der germanischen Rechtstradition darstellen zu können, als die Versöhnung der uralten Genossenschaftsidee mit der uralten Herrschaftsidee, von denen jede in ihrer Sphäre zur Geltung kommen, deren feindlicher Gegensatz aber in einer höheren Sphäre seine Lösung finden soll68.
Das war eine andere, tiefere und umfassendere Rechtfertigung der konstitutionellen Monarchie als in der herrschenden Lehre. Aber auch wenn sie sich im Resultat von Labands Rechtfertigung des Status quo nur wenig unterscheidet, liegt der theoretische Wesensgehalt der Ideen Gierkes an anderer Stelle. Den Körperschaften werden zwei Eigenschaften zugeschrieben: Sie sind prinzipiell einander wesensgleich, egal, auf welcher Ebene sie sich befinden, und sie besitzen als solche eine Persönlichkeit. Nun sprechen auch Laband und seine Anhänger von der Staatspersönlichkeit, aber diese entspricht der altrömischen persona ficta, mit der der Staat oder jede andere Körperschaft als unversitas fiktiv den singuli gleichgestellt wird – das römische Recht vermag Rechtsverhältnisse nur zwischen Individuen überzeugend zu regeln. Dementsprechend zielte Gierkes grundlegende Kritik am Entwurf für das Bürgerliche Gesetzbuch, die ihn über Jahre hinweg beschäftigte69, hauptsächlich auf die römische und individualistische Dominanz des Entwurfes70. Otto 68 Genossenschaftsrecht, 1. Bd., 833. Und weiter an gleicher Stelle: „Der repräsentative Verfassungsstaat selbst ist somit weder eine reine Genossenschaft, wie der älteste Patriarchalstaat, noch eine reine Herrschaft, wie der Lehnsstaat, noch ein rein genossenschaftliches Gemeinwesen, wie die mittelalterliche Stadt, noch ein aus einer selbständigen Herrschaft und einer selbständigen Genossenschaft zusammengesetztes Doppelwesen, wie der mittelalterliche Territorialstaat, noch ein rein obrigkeitliches Staatswesen, wie der landesherrliche Staat der Neuzeit: sondern er ist ein die genossenschaftliche Grundlage (die Staatsbürgergenossenschaft) und die obrigkeitliche Spitze (die Monarchie) organisch, d.h. nicht als Summe, sondern als eine neue Einheit verbindendes Gemeinwesen.“ Auch dieser Auffassung konnte Preuß, für den der Monarch nicht mehr als ein Organ des Verfassungsstaates ist, unmöglich beipflichten. Das angeborene Recht auf diese Organstellung in der Erbmonarchie ändert für ihn nichts daran, daß es sich eben um eine Organstellung handelt und nicht um eine anstaltliche Beigabe zum genossenschaftlichen Verfassungsstaat. 69 Vgl. Susanne Pfeiffer-Munz, Soziales Recht ist deutsches Recht. Otto von Gierkes Theorie des sozialen Rechts untersucht anhand seiner Stellungnahmen zur deutschen und zur schweizerischen Privatrechtskodifikation, Zürich 1979. 70 Vgl. „Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches und das deutsche Recht“, in: Schmollers Jb., N.F. 12 (1888), 843–904 und 1179–1265; 13 (1989), 183–322 und 723–946. Diese umfangreiche Auseinandersetzung erschien in erweiterter Fassung auch als Buch unter gleichem Titel
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Bähr hat die Kritik Gierkes geteilt und unterstützt, aber beider Wirkung auf den letztlich verabschiedeten Charakter des BGB blieb gering71. Neben den wissenschaftsimmanenten Kritikpunkten standen für Gierke, der seit 1873 Mitglied des „Vereins für Socialpolitik“ war, aber auch politische Erwägungen. Hans Boldt läßt dies aus der „konservativ-sozialreformerischen Haltung“72 Gierkes resultieren. Diese Einschätzung ist sicherlich zutreffend, allerdings auch nur in der von Boldt zusammengefügten Kombination ihrer beiden Bestandteile. Gierke gibt seinen Körperschaften reale Existenz, sie sind ein Organismus mit Willens- und Handlungsfähigkeit. Der Mensch ist als oberster natürlicher Organismus zugleich unterster rechtlicher Organismus; höher organisierte Körperschaften bestehen aus vielen Individualpersonen oder auch aus eingegliederten anderen Körperschaften und bilden ihren Willen durch die Einheit in der Vielheit. Nur sind sie eben keine Individualpersonen, auch nicht durch Fiktion ihnen gleichgestellt, sondern sie sind Gesamtpersonen. Und diese Gesamtpersonen entwickeln sich in organischer und organisierter Abfolge auseinander; der Staat ist somit eine höhere Entwicklungsstufe der gleichen Idee, die auch die Kommune hat entstehen lassen73. Labands Staatsrechtstheorie beginnt beim Individuum und muß daher alles auf das Individuum und auf sein staatsrechtliches Äquivalent, den souveränen Staat, zurückführen. Gierkes Genossenschaftslehre beginnt mit der organisch zur Einheit gelangten Vielheit der Genossen und kommt daher immer wieder auf die Selbstverwaltung der körperschaftlichen Gesamtpersonen zurück. In der Tat versucht Gierke immer wieder, die Selbstverwaltung gegenüber staatlichen Eingriffen zu schützen, und Preuß geht sogar so weit, in der Lehre Gierkes „nichts anderes als die wissenschaftliche Theorie der Stein’schen Reformidee“74 zu sehen. Aber Gierke führte
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(Leipzig 1889). Gierkes Interesse hatte ursprünglich dem Privatrecht gegolten, seine Genossenschaftstheorie reicht aber als allgemeine Rechtstheorie weit darüber hinaus; vgl. H. Preuß, Gemeinde, Staat, Reich, 60 u. 233. Gleich Gierke hatte Bähr eine umfangreiche Kritik und sogar einen Gegenentwurf verfaßt; Otto Bähr, Gegenentwurf zu dem Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Kassel 1890/92. Vgl. B. Binder, Otto Bähr, 143ff. H. Boldt, Gierke, 19. Vgl. in diesem Zusammenhang Genossenschaftsrecht, 1. Bd., 293ff., 744ff., 760ff. u. 1049ff; sowie Deutsches Privatrecht, 1. Bd., 602 u. 622. Zu Gierke als organischem Theoretiker siehe H. Preuß, Gemeinde, Staat, Reich, 38: „Der Begriff organischer Entwicklung ist kein specifisch naturwissenschaftlicher; er gehört zu den Begriffen, welche in Folge der schließlichen Wesenseinheit alles Lebens Gemeingut aller Wissenschaften sein müssen, deren Gegenstand irgendeine Gestaltung des Lebens ist. Und diesen Begriff organischer Entwicklung bringt Gierke im Gegensatz zu jener mehr mechanischen Staatsauffassung, welche in neuerer Zeit z.B. Seydel vertritt, erfrischend und fruchttragend zum Ausdruck.“ „Nicht der begriffliche Gegensatz, sondern die begriffliche Homogenität von Gemeinde und Staat als genossenschaftlicher Verbandspersonen ist also der Leitgedanke der Reform [von 1808; MD]. Eben dies ist aber auch der Leitgedanke jener kosmischen Ordnung in der Gliederung menschlicher Verbände, den Gierkes Lehre entwickelt. Diese Lehre ist nichts anderes als die wissenschaftliche Theorie der Stein’schen Reformidee, nicht wie sie in der Wirklichkeit
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1. Die Staatslehre des Kaiserreiches
diesen Grundgedanken nicht in letzter Konsequenz durch; zu sehr blieb er den politischen Idealen der Hohenzollernmonarchie verhaftet. Das galt auch noch nach der Beendigung des Kaiserreiches, als Gierke sich in hohem Alter und in Verkennung ihrer Ziele der DNVP anschloß75. In diesen politischen Fragen, nicht im wissenschaftlichen Bereich lag auch der Grund für die wachsende Entfremdung zwischen Gierke und Preuß. Der immer konservativer denkende Gierke konnte den linksliberalen politischen Aktivismus seines Schülers nicht gutheißen oder auch nur verstehen. Theodor Heuss hat später lakonisch bemerkt: „Gierke war, bei aller Leidenschaft der inneren Teilnahme an den öffentlichen Dingen, eine unpolitische Natur.“76 Es ist eine seltsame Konzession an den von Gierke selbst fast schon überwundenen alten staatstheoretischen Geist, wenn in der von ihm aufgestellten modernen organischen Reihe von Körperschaften auf einmal der souveräne Staat als Fremdkörper auftaucht – noch dazu ein Staat, dessen Souveränität als essentiell für den Staatsbegriff behandelt wird. Damit geht Gierke sogar noch hinter Laband zurück und schließt sich im Grunde wieder Seydel und der älteren Staatsrechtslehre an. Genau hier ist der Punkt, an dem Preuß sich genötigt sah, zur konsequenten Durchführung der Grundgedanken Gierkes sich gegen Gierke selbst wenden zu müssen. Das Problem der Souveränität ist die Trennlinie, jenseits derer Preuß endgültig auf sich selber gestellt war77. Aber die Entfernung von den Ideen seines Lehrers ist zur Durchführung kam, sondern wie sie dem Geiste des großen Staatsmannes intuitiv vorschwebte, in ihren Einzelheiten und Zusammenhängen ihm selbst teilweise unbewußt.“ H. Preuß, Die Lehre Gierkes und das Problem der preussischen Verwaltungsreform, in: Festgabe der Berliner juristischen Fakultät für Otto Gierke zum Doktorjubiläum 21. August 1910, 1. Bd., Breslau 1910, 245–304, hier 261. 75 Gierkes Tochter Anna von Gierke gehörte für die DNVP der Nationalversammlung an, wurde dann jedoch nicht mehr für den Reichstag aufgestellt, da ihre Mutter Jüdin war. Darauf traten Vater und Tochter aus der DNVP wieder aus; Werner Liebe, Die Deutschnationale Volkspartei 1918–1924, Düsseldorf 1956, 65. Eine etwas sentimentale, von großer persönlicher Nähe gekennzeichnete Biographie ist Marie Baum, Anna von Gierke. Ein Lebensbild, Weinheim und Berlin 1954. 76 Th. Heuss, Geleitwort, 5. Vgl. hierzu auch S. Graßmann, Hugo Preuß, 24. 77 Vgl. O. Gierke, Grundbegriffe des Staatsrechts, 304: „Einen spezifischen Charakter jedoch und eine Reihe qualitativer Unterschiede von allen anderen politischen Verbänden muß derjenige Machtverband aufweisen, dessen Macht nach oben hin durch keine ähnliche Macht beschränkt und nach unten hin jeder ähnlichen Macht überlegen ist. Denn eine Macht, welche die höchste ist, unterscheidet sich von jeder anderen Macht durch das specifische Merkmal, daß sie durch und durch Macht, die Macht schlechthin ist; und ein Wille, dem derartige Macht entspricht, ist von jedem anderen Willen als ein souveräner, schlechthin allgemeiner, nur durch sich selbst bestimmter Wille verschieden. Deshalb nennt man unter den politischen Verbänden, obwohl sie alle staatlich sind (sic!), nur den jeweilig höchsten Machtverband ‚Staat‘.“ Für Preuß war dies ein Widerspruch zu Gierkes eigener Lehre; den apriori souveränen Staat hatte er gerade von Gierke nicht erwartet; vgl. Gemeinde, Staat, Reich, 65. Erst recht erschien Gierkes Bundesstaatskonstruktion (etwa in „Labands Staatsrecht“, 1157ff.), die einen zusammengesetzten politischen Organismus aus Gesamtstaat und Gliedstaaten annimmt, für Preuß als „ebenso un
1.3 Der organische Genossenschaftsgedanke Gierkes
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vergleichsweise klein, wenn man ihr den Graben gegenüberstellt, der Preuß von den anderen zentralen Schulen der Staatsrechtslehre des Kaiserreiches vom Anfang seines wissenschaftlichen Werkes an trennen sollte.
befriedigend im ganzen als widerspruchsvoll im einzelnen“, zumal „zu unangenehmster Überraschung die Lehre von der getheilten Souveränität, nur in dunkler und begrifflich verklausulirter Form, von den Todten aufersteht“, ‚Gemeinde, Staat, Reich‘, 64f. Gierke habe die Grenzen der persona ficta erkannt, nicht aber die der Souveränität, ebd., 126.
2. DIE DEMOKRATISCHE GENOSSENSCHAFTSTHEORIE 2.1 Das Problem der Souveränität Das Konzept der Souveränität ist seit den Tagen Bodins eines der zentralen Probleme kontinentaleuropäischer politischer Theorie und Staatsrechtslehre1. Die Akzente der theoretischen und der hinter der Theorie kaum verborgenen politischen Auseinandersetzungen haben sich im Laufe der Jahrhunderte verschoben, wobei sie wesentlich der sich wandelnden politischen Lage folgten. Vielleicht gilt es für die Souveränitätsdebatte noch stärker als für andere politische und ideengeschichtliche Zentralbegriffe, daß sie nicht von den politischen Zeitumständen gelöst werden kann. Es ist möglich, über Ideen der Gerechtigkeit oder der Freiheit abstrakt nachzudenken, und selbst über den Staat als solchen läßt sich philosophieren, ohne daß sofort ein konkreter Staat als Hintergrund deutlich werden muß. Aber Souveränität steht enger an den Kompetenzen und Möglichkeiten real existierender politischer Gemeinschaften; es ist nicht nur ein staatsphilosophischer Begriff, sondern zugleich ein Rechtsbegriff mit oftmals sehr praktischen Auswirkungen bis ins Detail. Am Anfang der Debatte stand die Durchsetzung der absolutistischen Staatseinheit gegenüber dem feudalen Chaos der Sonderrechte im Mittelpunkt, das Zeitalter der Revolutionen stellte dann die Frage nach dem berechtigten Inhaber der souveränen Staatsgewalt, während das späte 20. Jahrhundert immer mehr die Grenzen der Souveränität im Verkehr der Staaten untereinander in Frage stellt, und zwar sowohl auf Grund der (möglichen) Abtretung souveräner Rechte der Nationalstaaten an supranationale Organisationsformen, wie anläßlich von Eingriffen der Staatengemeinschaft in innere Angelegenheiten menschenrechtsverletzender „rogue states“. Der Begriff der Souveränität ist als Wort unverändert geblieben, aber die umstrittenen Inhalte der Debatte haben sich wesentlich gewandelt. Der Grund, der Ende des 19. Jahrhunderts die Souveränitätsproblematik in Deutschland erneut ins Rampenlicht gerückt hatte, stand nicht mehr in unmittelbarer Beziehung zu den grundlegenderen Debatten der ersten Jahrhunderthälfte. Die Frage von Fürsten- oder Volkssouveränität schien ja bereits gelöst und in der Staatssouveränität der konstitutionellen Monarchie aufgehoben zu sein, jedenfalls zur theoretischen Zufriedenheit der Staatsrechtler und zur praktischen Zufriedenheit aller politischen Parteien jenseits der Sozialdemokratie. Es ging vielmehr um die politisch eher untergeordnet scheinende Frage der juristischen Konstruktion des Bundesstaates, die wegen ihres stark technischen Charakters kaum geeignet war, große Emotionen außerhalb des Expertenkreises der Staatsrechtler hervorzurufen. Gleichwohl sollte nicht übersehen werden, daß auch hinter dieser Frage politische 1
Zur Entwicklungsgeschichte vgl. Hans Boldt, Art. „Souveränität“, in: Otto Brunner, Werner Conze, Reinhart Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, 6. Bd., Stuttgart 1990, 98– 154 (als Teil der von mehreren Autoren stammenden Artikels „Staat und Souveränität“, 1– 155); Helmut Quaritsch, Staat und Souveränität, Bd. 1: Die Grundlagen, Frankfurt a.M. 1970.
2.1 Das Problem der Souveränität
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Brisanz steckte, wenn sie auch überwiegend im Hintergrund verborgen blieb. Diesen Hintergrund bildete das labile Gleichgewicht des preußisch-deutschen Staates, in dem die Bundesfürsten es kaum hingenommen hätten, auch nur in der Theorie von Staatsoberhäuptern zu erblichen Provinzoberpräsidenten degradiert zu werden2. Die Scheidung der Zwischeninstanz der einstmals selbständigen Staaten vom Reich wie von den Gemeinden war das politisch-juristische Problem, bei dessen Lösung die Souveränitätsidee der deutschen Staatsrechtslehre hinderlich im Wege stand. Hugo Preuß hat sich mit dieser Problematik ausführlich in seinem Gemeinde, Staat, Reich als Gebietskörperschaften von 1889 befaßt, und wenn er auch später noch auf diesen Komplex zurückkommen sollte, so finden sich doch alle wesentlichen Gedanken bereits hier verzeichnet – auch in der Weimarer Praxis bleibt die Preußsche Grundanschauung unverändert. Es ist kein Zufall, daß die Weimarer Reichsverfassung im zweiten Satz des Art. 1 lediglich feststellt „Die Staatsgewalt geht vom Volke aus“. Hugo Preuß verstand unter dieser Formulierung, daß auch in der Republik nicht alle Staatsgewalt beim Volke liegt, sondern nur die in der Verfassung vorgesehenen Befugnisse. Vom Begriff der „Volkssouveränität“ hielt er ebenso wenig wie von dem der Souveränität in irgendeiner anderen Erscheinungsform. Gerhard Anschütz konstatierte in seinem maßgebenden Verfassungskommentar, in diesem Satz werde „der Fundamentalsatz aller Demokratie, das Prinzip der Volkssouveränetät, ausgesprochen“3. Hugo Preuß hat sich ausdrücklich gegen diese verbreitete Auslegung des Art. 1 ausgesprochen4. Allerdings muß beachtet werden, daß es hier und im folgenden, auch wenn von Volkssouveränität die Rede ist, um die rechtliche Qualität des Begriffes geht. Daß moderne staatliche Legitimität nur im Rahmen eines demokratischen Verfassungsstaates mit Zustimmung des Volkes über Wahlen und Abstimmungen erreicht werden kann, ist ein zentraler
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Manfred Rauh, Föderalismus und Parlamentarismus im Wilhelminischen Reich, Düsseldorf 1973, vertrat die These vom „Prozeß einer stillen Parlamentarisierung“ (7), der ein Herabsinken der Institution des Bundesrates entsprochen habe. Drastisch zu den kleineren Bundesstaaten und ihrer geringen Bedeutung Helmut Reichold, Bismarcks Zaunkönige. Duodez im 20. Jahrhundert, Paderborn 1977. Gerhard Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919. Ein Kommentar für Wissenschaft und Praxis, 3. Bearb., 12. Aufl., Berlin 1930, 35. Auch Christoph Gusy, Die Weimarer Reichsverfassung, Tübingen 1997, 443, spricht wie selbstverständlich von „der in Art 1 WRV angelegten Volkssouveränität“, die er lediglich im Konflikt mit der „Souveränität des Staatsoberhaupts“ sieht. Reich und Länder, 50f. Dieser erst nach dem Tode Preuß’ erschienene fragmentarische Verfassungskommentar wurde pikanterweise aus dem Nachlaß von Gerhard Anschütz herausgegeben. Vorsichtig im Gebrauch des Wortes „Volkssouveränität“ ist auch Richard Thoma, Das Reich als Demokratie, in: Gerhard Anschütz und Richard Thoma (Hrsg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, 1. Bd., Tübingen 1930, 186–200, hier 187.
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2. Die demokratische Genossenschaftstheorie
Bestandteil der später noch zu betrachtenden Idee des Gegensatzes von Volksstaat und Obrigkeitsstaat bei Preuß5. Die Souveränitätsdebatte ist der Kern des Dissenses, der Hugo Preuß von allen Staatsrechtlern des Kaiserreiches trennt6, selbst von seinem Lehrer und Vorbild Gierke, der allerdings selber den Pfad für die von Preuß eingeschlagene Richtung bereitet hatte7. Daß Preuß’ Trennung von seiner Zunft an dieser Stelle besonders deutlich wurde, ist kein Zufall; der Souveränitätsbegriff hatte nicht ohne Grund für Jahrhunderte im Zentrum staatstheoretischer Überlegungen gestanden: Der Souveränitätsbegriff ist seiner Natur nach ein staatsrechtlicher Centralbegriff, welcher jeder Konstruktion, in die er überhaupt aufgenommen wird, seinen Stempel aufprägt; mit anderen Worten: der Souveränitätsbegriff muß in der Staatskonstruktion als essentiale oder überhaupt gar nicht aufgenommen werden.8
Dieser Satz entsprach der älteren Staatsrechtslehre und auch den bereits angesprochenen Anschauungen von Seydel und Zorn. Laband hingegen wehrte sich dagegen; ihm ging es darum, die Souveränität als solche zu retten, ihr aber nicht mehr die – den Bundesstaat unkonstruierbar machende – Funktion eines essentiale des Staatsbegriffes zuzuweisen. Die Folge war eine eigenartige Unbestimmtheit in der Definition dessen, was die Souveränität ausmache. Durch das ganze 19. Jahrhundert hindurch bestand Einigkeit bei den Staatsrechtlern, daß der Souveränitätsbegriff unverzichtbar sei. Aber die positiven Definitionen wichen erheblich voneinander ab, und Preuß konnte auf zwei Seiten seiner Habilitationsschrift nacheinander die sich wechselseitig ausschließenden, zum mindesten aber höchst unterschiedlichen Begriffsbestimmungen zitieren, die von den führenden Teilnehmern an der Debatte vorgeschlagen worden waren. Preuß führt ein volles Dutzend bekannter Namen auf: Stahl, Waitz, Hänel, Liebe, Zorn, Jellinek, Rosin, Gareis, Klüber, Martens, Gierke und Laband – eine imponierende Liste, und imponierend nicht minder in ihrer Widersprüchlichkeit zueinander. Preuß’ zieht den naheliegenden Schluß, man müsse „von vornherein ... mißtrauisch werden gegen einen Centralbegriff, den ziemlich jeder Autor anders auffaßt“9. 5 6
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Zum spezifisch politikwissenschaftlichen Verständnis des Begriffes und seiner Problematik siehe Peter Graf Kielmansegg, Volkssouveränität. Eine Untersuchung der Bedingungen demokratischer Legitimität, Stuttgart 1977. Bereits im Vorwort zu Gemeinde, Staat, Reich, VI, sagt Preuß über das deutsche Reichsstaatsrecht: „Was die Fäden dieses Gewebes verwirrt, das ist in letzter Linie immer wieder das Verhältniß des Reiches zu den Gliedstaaten; und der Grundbegriff, von welchem die Theorie bei der Beurtheilung dieses Verhältnisses stets ausgeht, die Souveränität, macht den Knoten, statt ihn zu entwirren, unlöslich. Im Gespinnst des Souveränitätsbegriffs hat sich die Staatsrechtslehre verfangen wie die Fliege im Gewebe der Spinne.“ In Gierkes Idee der „lediglich ‚autonomen‘ Teilstaaten lag ein wesentlicher Dissenspunkt gegenüber der Richtung von Gerber, Laband und Seydel“, wie Stolleis treffend feststellt; M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland II, 359. Gemeinde, Staat, Reich, 95. Ebd., 101. Die Zitatenfolge 102f.
2.1 Das Problem der Souveränität
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Für Hugo Preuß ist der Souveränitätsbegriff nicht rechtswissenschaftlich oder politiktheoretisch erforderlich, sondern rein historisch geprägt. Als Begriff gehöre er der Epoche des Absolutismus an. In dieser Zeit ist er keine rein theoretische Abstraktion, sondern der Ausdruck der realen Kraft, mit der die Fürsten den Sieg über den feudalen Staat davontrugen. Der Souveränitätsbegriff, das römische Recht, das absolute Individuum und die persona ficta gehören in der europäischen Rechts- und Verfassungsentwicklung alle eng zusammen; sie markieren gemeinschaftlich den Sieg des frühneuzeitlichen Staates und seiner rationalen Organisation über die genossenschaftliche und deutschrechtliche Vielfalt des Mittelalters10. Aber gerade aus dieser historischen Entstehung des Souveränitätskonzeptes gleichzeitig mit dem absolutistischen Fürstenstaat zieht Hugo Preuß den Schluß, daß die Souveränität als Grundkonzept staatsrechtlichen Denkens mit eben diesem absolutistischen Staat zusammen auch wieder untergegangen ist: Wie die reale Gestaltung der Staaten wesentlich verschieden ist in Zeit und Raum, so müssen diesen verschiedenen Phasen auch in der theoretischen Betrachtung verschiedene Grundideen entsprechen. Man kann nicht aus einem und demselben Gedanken heraus den griechischen Stadtstaat und das römische Weltreich, den modernen Rechtsstaat und das orientalische Sultanat begrifflich erfassen. Und wie sich der absolute Fürstenstaat des 17. und 18. Jahrhunderts scharf abhebt von dem mittelalterlichen Feudalstaat, so auch jetzt der moderne Verfassungsund Rechtsstaat vom absoluten Staat. ... Ebenso wenig, wie man den absoluten Staat auf dem Princip der Feudalität, der Lehnstreue theoretisch aufbauen kann, kann man von dem Souveränitätsbegriffe aus zur Theorie eines modernen Staatswesens gelangen.11
Man kann also nicht einmal sagen, daß der Souveränitätsbegriff für Hugo Preuß prinzipiell „falsch“ wäre. Er ist nur dem modernen Rechtsstaat und damit notwendig auch dem modernen Staatsrecht strukturell völlig fremd; er ist eine inkommensurable Größe12. Es kommt nicht darauf an, ihn neu zu definieren; er muß vollkommen aus der staatsrechtlichen Konstruktion des Staates verschwinden. Denn das Problem ist gerade die logische Durchschlagskraft des Souveränitätskonzeptes, die sich immer wieder zum Schaden des Rechtsstaates durchsetzt, wenn ihr auch nur eine Nische eingeräumt wird. Recht ist die Abgrenzung und Einschränkung persönlicher Willensmacht, eine unumschränkte, eine souveräne Macht ist rechtlich 10 Ebd., 101. Die absolutistische Souveränität sauge alles auf; die Rechte der Gemeinden ebenso wie die des Reiches (108). Ihre theoretische Vollendung findet sie im römischen Personenbegriff; „der souveräne Staat und die romanistische absolute Person sind korrelate Begriffe“, 110. Damit ist die Souveränität „das tragende Princip des absoluten Obrigkeitsstaates“ (136), im Gegensatz zur germanischen Selbstverwaltung wie zum modernen Rechtsstaat; sie ist „die begriffliche Negation der Genossenschaftsidee“, ‚Die Entwicklung des deutschen Städtewesens‘, 1. Bd., Leipzig 1906, 123. Und damit ist „(d)ie Eliminirung des Souveränitätsbegriffs aus der Dogmatik des Staatsrechts ... demgemäß nur ein kleiner Schritt vorwärts auf der von unserer Wissenschaft längst eingeschlagenen Bahn“, ‚Gemeinde, Staat, Reich‘, 133. 11 „Gemeinde, Staat, Reich“, 92f. 12 Differenziert zu den Problemen des Souveränitätsbegriffs im 19. und 20. Jahrhundert H. Boldt, Art. „Souveränität“, v.a. 129 und 152f. Anders argumentiert etwa H. Quaritsch, Staat und Souveränität, 395, der die herrschende Lehre wiedergibt und für die Verbindung von Staats- und Souveränitätsbegriff eintritt.
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2. Die demokratische Genossenschaftstheorie
überhaupt nicht zu erfassen. Eine solche Macht war im Absolutismus im Willen des Fürsten tatsächlich vorhanden, aber im modernen Rechtsstaat hat auch der Monarch nur noch die Rechte, die von der Verfassung angegeben werden. „Souveränität und öffentliches Recht bilden eine contradictio in adjecto“13, und damit nimmt Preuß bereits zu Zeiten des Kaiserreiches fast wörtlich einen Gedanken vorweg, der später unter ganz anderen politischen Begleitumständen von Carl J. Friedrich in seiner Ablehnung der Souveränitätskonzeption ohne Anlehnung an Preuß erneut formuliert wird14. Als Bindeglied zwischen beiden, aber erneut unabhängig und in eigener Argumentation ist auf den frühen Harold Laski zu verweisen, der von einer radikalpluralistischen Position her ebenfalls die Souveränitätskonzeption aus der Politik zu eliminieren versuchte15. Preuß steht mithin keineswegs allein mit seinen Gedanken zur Souveränität. Sie sind vielmehr, wie weiter unten zu zeigen sein wird, ein notwendiger Bestandteil seines pluralistischen politischen Denkens. Die Alternative zur Verabschiedung vom Souveränitätsdenken ist für Preuß entweder der Verzicht auf den Rechtsstaat – diesem Nachweis dienen die historischen Ausführungen – oder aber die Sinnentleerung des Souveränitätskonzeptes hin zu einem Konstrukt, das mit seinem Vorläufer nur noch den Namen gemeinsam hat, was er mit der Parade staatsrechtlicher Souveränitätsdefinitionen zeigen will. In der seither vergangenen Zeit ist die Problematik nicht geringer geworden. Zugleich sind aber auch die Diskrepanzen zwischen den einzelnen Fächern deutlicher geworden. Während es vor einem Jahrhundert nur wissenschaftliche Außenseiter wie Hugo Preuß oder extreme Pluralisten wie Harold Laski waren, die das Souveränitätskonzept in Frage stellten, dürfte es heute kaum einen Politikwissenschaftler geben, der mit der gleichen Sicherheit die Souveränität in seinen Untersuchungen als rocher de bronce stabiliert, wie es die meisten Zeitgenossen von Preuß taten. Seine Fachkollegen im engsten Sinne waren allerdings Staatsrechtswissenschaftler, und wenn man sich die heutigen staatsrechtlichen Autoren vor Augen führt, dann hat sich für dieses Fach deutlich weniger geändert. Mit der gleichen Selbstverständlichkeit, mit der Anschütz in seinem Kommentar zur Weimarer 13 „Entwicklung und Bedeutung des öffentlichen Rechts“, 1353. Ähnlich „Gemeinde, Staat, Reich“, 114 u. 118; „Entwicklung des deutschen Städtewesens“, 123; „Reich und Länder“, 85. Gegen Laband wendet Preuß sich – pikanterweise in der Festschrift Laband – mit der Bemerkung, daß wenn der Staat allein herrsche, es für ihn selbst eben aus diesem Grunde keine wirkliches Recht geben könne; „Selbstverwaltung, Gemeinde, Staat, Souveränität“, 239f. Und ebd., 241: „Meinen Kampf gegen die Souveränität nennt Laband einen ‚Streit gegen Windmühlen‘. Ich habe für die Theorie und Praxis unseres öffentlichen Rechts keinen sehnlicheren Wunsch, als daß es so wäre. Aber leider beweisen die tiefen Spuren, die jener Souveränitätsbegriff der Lehre unseres führenden Theoretikers wie unserer staatlichen Praxis aufgeprägt hat, das Gegenteil.“ Die Stelle, auf die Preuß sich bezieht, ist in Labands Staatsrecht des Deutschen Reiches, 1. Bd., 4. Aufl., 69, Fn.2. 14 „[S]overeignty as a conception is at variance with the logic of constitutionalism.“ Carl J. Friedrich, Constitutional Government and Democracy. Theory and Practice in Europe and America, 4. Aufl., Waltham, Mass., Toronto und London 1968, 20f. 15 Harold J. Laski, Studies in the Problem of Sovereignty, New Haven und London 1917.
2.1 Das Problem der Souveränität
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Reichsverfassung von der Volkssouveränität sprach, benutzen auch aktuelle Grundgesetzkommentare diesen Begriff. Durchweg betrachten die führenden Kommentatoren ohne jegliche Kontroverse zwischen ihnen den Art. 20, Abs. 2, Satz 1 des Grundgesetzes als Ausdruck und Verwirklichung der Volkssouveränität16. Die Passage im Grundgesetz ist beinahe identisch mit den entsprechenden Worten der Weimarer Reichsverfassung17, aber während die Staatsrechtler Weimars sich zumindest dessen bewußt waren, daß der Vater der Weimarer Verfassung bei dieser Formulierung keineswegs die Verwirklichung der Volkssouveränität angestrebt hatte18, wird dies heute an kaum einer Stelle problematisiert oder theoretisch hinterfragt19. Nicht viel anders als mit den Grundgesetzkommentaren verhält es sich mit den Lehr- und Handbüchern des Staatsrechts. Die sichere Basis, die die Souveränität
16 Typisch ist Horst Dreier, Art. 20 (Demokratie), in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Bd. 2: Art. 20–82, Tübingen 1998, 20–78, hier 55: „Der Satz ‚Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus‘ (Art. 20 II 1 GG) ist ein Fundamentalsatz demokratischer Ordnung und Ausdruck des Prinzips der Volkssouveränität.“ Der Begriff wird nicht weiter problematisiert. Ähnlich Friedrich E. Schnapp, Art. 20, in: Ingo von Münch, Philip Kunig (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Bd. 2 (Art. 20 bis Art. 69), 4./5. Aufl., München 2001, 1–34, hier 8; und Roman Herzog, Art. 20 (1980), in: Theodor Maunz und Günter Dürig, Grundgesetz. Kommentar, Bd. II, Art. 14–37, München o.J. (fortlaufend, 18. Lieferung 1980), 45. 17 Art. 1, Satz 2 der Weimarer Reichsverfassung lautet „Die Staatsgewalt geht vom Volke aus“, während die Formulierung des Grundgesetzes den bestimmten Artikel durch das Wort „Alle“ ersetzt. Zur Debatte hierzu siehe Der Parlamentarische Rat. 1948–1949. Akten und Protokolle, Bd. 5: Ausschuß für Grundsatzfragen, bearb. v. Eberhard Pikart und Wolfram Werner, Boppard a. Rh. 1993 (2 Teilbände, fortlaufend paginiert); Nr. 14, 11. Sitzung vom 14. 10. 1948, 288ff.; und Nr. 25, 20. Sitzung vom 10. 11. 1948, 521ff. 18 Zurückhaltend formuliert Richard Thoma: § 16. Das Reich als Demokratie, in: Gerhard Anschütz und Richard Thoma (Hrsg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, 1. Bd., Tübingen 1930, 186–200, hier 187: „Somit proklamiert der erste Artikel der Verfassungsurkunde das, was seine nachfolgenden Artikel in der Tat organisieren: die Demokratie, und mit ihr, wenn man es so ausdrücken will, die Volkssouveränität.“ Dieses „wenn man es so ausdrücken will“ zeigt ein anderes Problembewußtsein, und ebd., Fn. 2, werden die Kontroversen um den Begriff nachgezeichnet und Heller, Schmitt und Leibholz zitiert. Einfacher stellt sich die Lage dar für Michael Sachs, Art. 20. Verfassungsgrundsätze; Widerstandsrecht, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 2. Aufl., München 1999, 743–799, hier 751: „Art. 20 II 1 erkennt – wie Art. 1 I WRV – die Volkssouveränität im eigentlichen Sinne an.“ 19 Hans Bernhard Brockmeyer, Art. 20 Staatsgrundsätze (Rechtsstaat, Demokratie, Sozialstaat, Gewaltenteilung), in: Bruno Schmidt-Bleibtreu, Franz Klein, Kommentar zum Grundgesetz, 9. Aufl., Neuwied und Kriftel 1999, 512–546, hier 521, kehrt die Begründung sogar um, wenn er beginnt, „[d]er Grundsatz der Volkssouveränität fordert ...“. Für Karl-Peter Sommermann, Artikel 20, in: Hermann v. Mangoldt und Friedrich Klein, hrsg. von Christian Starck, Das Bonner Grundgesetz. Kommentar, Bd. 2: Artikel 20 bis 78, 4. Aufl., München 2000, 1–183, hier 69, heißt Volkssouveränität einfach und positivistisch „die Ableitung aller Staatsgewalt vom Volke“.
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2. Die demokratische Genossenschaftstheorie
den entsprechenden Bänden im Kaiserreich verlieh, scheint heute in der moderneren Erscheinungsform der Volkssouveränität eher noch sicherer zu sein20. Demokratie wird als Selbstbestimmung des Volkes und damit zugleich als Volkssouveränität interpretiert21. Wenn gelegentlich anerkannt wird, daß es auch Kritik am Begriff der Souveränität gebe, wird schnell hinzugefügt, daß diese Kritik sich auf die Exzesse des Begriffes richte, während der moderne Staat ansonsten durch seine Souveränität nach innen wie außen gekennzeichnet sei22. Und wenn ein Autor tatsächlich einmal weiterreichende, durch theoretische Überlegungen motivierte Kritik am Souveränitätsbegriff übt, dann geschieht dies nicht aus Beweggründen, die in die Preußsche Richtung verweisen, sondern um statt dessen für die Souveränität des Staates als solchem einzutreten und somit letztlich auf Gerber und Albrecht zurückzugreifen23. Damit allerdings steht Albert Bleckmann, von dem diese Kritik an der Volkssouveränität stammt und der gewichtige Beiträge sowohl zur Staatsrechtslehre wie zum Völkerrecht verfaßt hat, auch in seiner Zunft fast allein. Er nennt die Souveränität das „Fundamentalprinzip, das der gesamten nationalen und internationalen Rechtsordnung zugrunde liegt“24, sicherlich in vollem Bewußtsein der Provokation, die diese apodiktische Behauptung bedeutet. Die politikwissenschaftliche Diskussion bietet ein genau gegenteiliges Bild; eine neue Untersuchung beginnt mit dem Satz, „[i]n the contemporary international system, it is difficult to find a political notion more controversial than sovereignty“25. Dies gilt quer durch die Teildisziplinen des Faches. Souveränität, auch in ihrer Erscheinungsform als Volkssouveränität, ist von vielen Richtungen angegriffen worden, nicht nur aus der Theorie und Praxis der Internationalen Beziehungen, obwohl von dort die intensivste kritische Auseinandersetzung erfolgte und weiter erfolgt. Vom Blickwinkel einer postmodernen Dekonstruktion des Staates ist auch 20 Vgl. Klaus Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland. Bd. I: Grundbegriffe und Grundlagen des Staatsrechts, Strukturprinzipien der Verfassung, 2. Aufl., München 1984, 604. Für Hans-Peter Schneider, § 13. Das parlamentarische System, in: Ernst Benda, Werner Maihofer und Hans-Jochen Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl., Berlin und New York 1994, 537–598, hier 551, sind es die Wahlen, „durch die sich das Prinzip der Volkssouveränität realisiert“. 21 Diese praktische Gleichsetzung der drei Begriffe findet sich bei Ekkehart Stein und Götz Frank, Staatsrecht, 17. Aufl., Tübingen 2000, 58. 22 So Albrecht Randelzhofer, § 15. Staatsgewalt und Souveränität, in: Josef Isensee und Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland. Bd. I: Grundlagen von Staat und Verfassung, Heidelberg 1987, 691–708, hier 694. 23 Albert Bleckmann, Staatsrecht I – Staatsorganisationsrecht. Grundlagen, Staatszielbestimmungen und Staatsorganisationsrecht des Bundes, Köln usw. 1993, 103–122, v.a. 117f. 24 Albert Bleckmann, Allgemeine Staats- und Völkerrechtslehre. Vom Kompetenz- zum Kooperationsvölkerrecht, Köln usw. 1995, 89–91. Ebd., 502, spricht er mit Bezug auf die Souveränität vom „Schlüssel zum Verständnis“ von Völkerrecht und nationalem Recht. Die gleichen Auffassungen vertritt er auch in seinem Völkerrecht, Baden-Baden 2001, 49ff. 25 Hideaki Shinoda, Re-examining Sovereignty. From Classical Theory to the Global Age New York 2000, 1.
2.1 Das Problem der Souveränität
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das Souveränitätskonzept als eines seiner Kernbestandteile kritisiert worden, oftmals in Anlehnung an Foucaultsche Kategorien26. „[T]he gradual dilution of state sovereignty“ ist nicht nur als empirischer Vorgang, sondern als „a moral imperative“, als normative Forderung auf dem Weg zu einer an Kant inspirierten Friedenssicherung bezeichnet worden27. Extreme Interpretationen lehnen das Souveränitätskonzept als anthropozentrisch ab28. Soweit gehen stärker empirisch orientierte Autoren nicht. Aber auch hier wird durchweg bemerkt, daß das Souveränitätskonzept in der politischen Realität vielfach durchbrochen ist. Zum einen werden in der Welt der Globalisierung Grenzen zusehends weniger wichtig, und mit der abnehmenden Bedeutung der Grenzen sinkt auch die Definierbarkeit des Staates und seiner Souveränität29. Die europäische Union in ihrem Prozeß immer weiterreichender Vertiefung ist als politisches System sui generis geeignet, weitere Schatten auf die Sicherheit der Souveränität zu werfen30. Und die seit dem Ende des Ost-West-Konfliktes zunehmenden, oftmals durch Verletzung der Menschenrechte begründeten Interventionen unter der Ägide der Vereinten Nationen stellen ganz offensichtlich einen Kernbereich staatlicher Souveränität praktisch wie theoretisch wie rechtlich in Frage31. 26 Jens Bartelson, A geneology of sovereignty, Cambridge 1995. Vgl. auch John Hoffman, Is it Time to Detach Sovereignty from the State?, in: Laura Brace und John Hoffman (Hrsg.), Reclaiming Sovereignty, London und Washington 1997, 9–25, der seine eigene Frage mit einem emphatischen Ja beantwortet. 27 Fernando R. Tesón, Changing Perceptions of Domestic Jurisdiction and Intervention, in: Tom Farer (Hrsg.), Beyond Sovereignty. Collectively Defending Democracy in the Americas, Baltimore und London 1996, 29–51, hier 51 (beide Zitate). 28 Robert Garner, Ecology and Animal Rights: Is Sovereignty Anthropocentric?, in: L. Brace, J. Hoffman (Hrsg.), Reclaiming Sovereignty, 188–293. 29 Joseph A. Camilleri und Jim Falk, The End of Sovereignty? The Politics of a Shrinking and Fragmenting World, Aldershot 1992, 237 und 239. Siehe auch Klaus Dicke, Erscheinungsformen und Wirkungen von Globalisierung in Struktur und Recht des internationalen Systems auf universaler und regionaler Ebene sowie gegenläufige Renationalisierungstendenzen, in: Völkerrecht und Internationales Privatrecht in einem sich globalisierenden internationalen System – Auswirkungen der Entstaatlichung transnationaler Rechtsbeziehungen (Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht 39), Heidelberg 2000, 13–44. 30 Vgl. Malcolm D. Evans (Hrsg.), Aspects of Statehood and Institutionalism in Contemporary Europe, Dartmouth 1997; Philip Lynch, Sovereignty and the European Union: Eroded, Enhanced, Fragmented, in: L. Brace, J. Hoffman (Hrsg.), Reclaiming Sovereignty, 42–61; und Anne-Marie Le Gloannec (Hrsg.), Entre Union et Nations. L’État en Europe, Paris 1998. 31 Vgl. Daniel P. Forsythe, The United Nations, Democracy, and the Americas, in: T. Farer (Hrsg.), Beyond Sovereignty, 107–131; Gene M. Lyons und Michael Mastanduno (Hrsg.), Beyond Westphalia? State Sovereignty and International Intervention, Baltimore und London 1995; und hieraus v.a. die Einführung der Herausgeber (Introduction: International Intervention, State Sovereignty, and the Future of International Society, 1–18) und die Aufsätze von Nicholas Onuf (Intervention for the Common Good, 43–58) und Jack Donnelly (State Sovereignty and International Intervention: The Case of Human Rights, 115–146). Siehe auch bereits Laura W. Reed und Carl Kaysen (Hrsg.), Emerging Norms of Justified Intervention, Cambridge, Mass., 1993; Klaus Dicke, Interventionen zur Durchsetzung internationalen Ordnungsrechts: konstitutives Element der neuen Weltordnung?, in: Jahrbuch für Politik 3 (1993), 259–
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Gleiches gilt für die Historisierung des Souveränitätskonzeptes. Ein Kernstück der Preußschen Argumentation, die historische Entstehung und damit auch historische Vergänglichkeit der Souveränität, ist in letzter Zeit ohne Bezugnahme auf Preuß wieder intensiver untersucht worden32. Eine kürzlich erschienene, enzyklopädisch zu nennende Geschichte des modernen Verfassungsstaates gibt im Sachregister dem Stichwort „Souveränität“ ganze drei Eintragungen33. Das heißt nicht, daß das Souveränitätskonzept bereits vollkommen über Bord geworfen wäre. Dazu ist es zu eng mit dem Begriff des Staates verbunden, und trotz allen Anfechtungen in der Ära der Globalisierung haben Staaten immer wieder bewiesen, daß sie sehr wohl noch als Akteure ihre Rolle in den internationalen Beziehungen spielen34. James Rosenau hat dafür plädiert, Souveränität nicht mehr als Dichotomie aufzufassen, sondern als ein Kontinuum, das durch interne, internationale und rechtliche Dimensionen für die einzelnen Staaten dynamisch bestimmt wird und sich jederzeit wieder ändern kann35. Für eine solche Neuinterpretation aus der Perspektive der Theorie der Internationalen Beziehungen gilt sinngemäß, was Hugo Preuß für einige der von ihm sezierten staatsrechtlichen Definitionen konstatiert hatte. Der Begriff wird beibehalten, die Sache aber nicht mehr. Im Unterschied zu den Verteidigern der Souveränität im späten 19. Jahrhundert ist sich Rosenau dieses Wandels auch bewußt; er rettet in seiner Dynamisierung und Kontinuumstheorie einige Aspekte des alten Souveränitätsbegriffes, ohne auch nur den Versuch zu unternehmen, das Konzept als Ganzes noch zu erhalten oder zu verteidigen. Gleichsam zwischen der Staatsrechtslehre und der Politikwissenschaft stehen die Völkerrechtler. Nur in wenigen neueren Abhandlungen wird mit der gleichen Bestimmtheit, mit der die Staatsrechtler an der Begrifflichkeit der Volkssouveräni
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283; und ders., National Interest vs. the Interest of the International Community – A Critical Review of Recent UN Security Council Practice, in: Jost Delbrück (Hrsg.), New Trends in International Lawmaking – International ‚Legislation‘ in the Public Interest, Berlin 1997, 145– 169. Etwa H. Shinoda, Re-examining Sovereignty. Hendrik Spruyt, The Sovereign State and Its Competitors. An Analysis of Systems Change, Princeton, N.J., 1994, befaßt sich mit dem Stadtstaat und der Städteliga als Alternativmodellen zum souveränen Territorialstaat und mit den Gründen, warum sich letzterer durchgesetzt hat. Neben der rein historischen Untersuchung ist die von ihm vorgenommene Anwendung und Übertragung seiner Ergebnisse auf heutige Phänomene, wie die EU, der wertvollste und provozierendste Teil der Arbeit. Hans Fenske, Der moderne Verfassungsstaat. Eine vergleichende Geschichte von der Entstehung bis zum 20. Jahrhundert, Paderborn usw. 2001, 565. Ebenso viele Eintragungen finden sich etwa für „Remonstranz“. Allerdings, und wiederum bezeichnend, findet sich auch das Stichwort „Volkssouveränität“ (566), das deutlich häufiger verzeichnet ist. Als Überblick zur Thematik vgl. Michael Dreyer, The State in Decline? The Nation State on Its Way to the Virtual State?, in: Klaus Dicke und Karl Schmitt (Hrsg.), Transformation and Integration in Europe, Berlin 1998, 37–54. James N. Rosenau, Sovereignty in a Turbulent World, in: G. M. Lyons und M. Mastanduno (Hrsg.), Beyond Westphalia?, 191–227.
2.1 Das Problem der Souveränität
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tät festhalten, die innere und äußere Souveränität des Staates als wesentliches Merkmal und reale Wirklichkeit verteidigt36. Zumeist wird auf die Relativierung der Souveränität37 durch die internationale Politik hingewiesen und an Stelle der einstmals wenigstens theoretisch eindeutigen äußeren Souveränität der Staaten ein komplexes System von Abhängigkeiten gesetzt. Während um 1920 die staatliche Souveränität die Grenzen des Völkerrechts beschränkte, ist es heute eher umgekehrt. Diese vorsichtige, relativierende Sicht, die sich in ihrem Problemverständnis den politikwissenschaftlichen Ansätzen annähert, findet sich bereits in älteren Abhandlungen38, vor allem aber in neueren Bearbeitungen, die bereits die Erfahrungen der Globalisierung und der Zeit nach Beendigung des Ost-West-Konfliktes zu Grunde legen39. Der völkerrechtlichen Aspekte der Souveränitätsproblematik und der dadurch verstärkten Zweifel ist sich aber auch Hugo Preuß schon bewußt, und sie stellen einen wesentlichen Bestandteil seiner Auseinandersetzung mit dem überkommenen Souveränitätsbegriff dar. Schon für ihn galt die gleiche Problematik, die auf staatsrechtlich-politischer Ebene im Inneren der Staaten entstand auch für das Verhältnis von Souveränität und Völkerrecht, wenn letzteres denn wirklich Rechtscharakter haben soll. Damit hält sich Hugo Preuß wohlweislich aus der gerade mit Hinblick auf das Völkerrecht problematischen Debatte heraus, ob die Erzwingbarkeit notwendig zum Wesen des Rechtes hinzugehört. Schon Rudolf von Jhering hatte das Recht als „die Disziplin des Zwanges“40 bezeichnet und diesen Gedanken in unmißverständlichen Worten ausgeführt: Der vom Staate in Vollzug gesetzte Zwang bildet das absolute Kriterium des Rechts, ein Rechtssatz ohne Rechtszwang ist ein Widerspruch in sich selbst, ein Feuer, das nicht brennt, ein Licht, das nicht leuchtet.41
36 Weitgehend klassisch ist die Argumentation bei Alfred Verdross und Bruno Simma, Universelles Völkerrecht. Theorie und Praxis, 3. Aufl., Berlin 1984, 29ff. Ähnlich auch Karl M. Meessen, Art. „Souveränität“, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), Handbuch Vereinte Nationen, 2. Aufl., München 1991, 788–791; und Volker Epping, Völkerrechtssubjekte, in: Knut Ipsen, Völkerrecht. Ein Studienbuch, 4. Aufl., München 1999, 51–91. 37 Vgl. Knut Ipsen, Regelungsbereich, Geschichte und Funktion des Völkerrechts, in: ders., Völkerrecht. Ein Studienbuch, 4. Aufl., München 1999, 1–50, hier 37f. 38 Georg Dahm, Völkerrecht, Bd. 1, Stuttgart 1958, 153ff. Diese Ausführungen Dahms konnten praktisch unverändert in die gründlich bearbeitete Neuauflage übernommen werden; vgl. Georg Dahm, Jost Delbrück und Rüdiger Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1: Die Grundlagen, die Völkerrechtssubjekte, 2. Aufl., Berlin und New York 1989, 214ff. 39 Vgl. Otto Kimminich, Stephan Hobe, Einführung in das Völkerrecht, 7. Aufl., Tübingen und Basel 2000, 63f. 40 Rudolf von Jhering, Der Zweck im Recht, 2 Bde., 4. Aufl., Leipzig 1904/05 (erstmals 1877 und 1883, ND Hildesheim, New York, Wiesbaden 1970. Hrsg. Mit einem Vorwort und mit zwei bisher unveröffentlichten Ergänzungen aus dem Nachlaß Jherings versehen von Christian Helfer), hier 1. Bd., 240. Für ihn sind „Normen, welche von demjenigen, der sie aufstellt, nicht erzwungen werden können, ... keine Rechtssätze“, ebd., 247. 41 Ebd., 250f.
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2. Die demokratische Genossenschaftstheorie
In einer sich an diesen emphatischen Satz anschließenden Fußnote geht er drastisch mit seinem akademischen Lehrer Georg Friedrich Puchta ins Gericht, der „vor dieser ungeheuerlichen Idee eines Rechtssatzes ohne Rechtszwang nicht zurückgebebt“ sei42. Die Position Jherings fand in ihrem Kerngehalt auch unter Preuß’ Zeitgenossen im In- und Ausland prominente Befürworter. Fast zu erwarten war es angesichts der eigentümlichen Staatskonstruktion von Max von Seydel, daß er in seiner Konzentration auf die Person des Herrschers auch den Rechtscharakter von Staats- und Völkerrecht leugnete. Beides war gegenüber seinem Herrscher nicht erzwingbar, und in der Tat hat Seydel auch die Konsequenz seiner Grundannahmen getroffen, wenn er den Herrscherwillen als einzige Rechtsquelle gelten läßt. Verschiedene Staaten haben aber verschiedene Herrscher, und dies führt Seydel zu einer seiner vielen apodiktischen Feststellungen: „Zwischen den Staaten kann mithin kein Recht sein, zwischen ihnen gilt nur Gewalt. Es gibt darum kein Völkerrecht.“43 International war es vor allem der berühmte englische Rechtstheoretiker und Rechtsphilosoph John Austin, dessen Lectures on Jurisprudence über viele Jahrzehnte hinweg in der angelsächsischen Welt außerordentlich einflußreich waren. Gleich der erste Satz der Vorlesungen lautet: Laws proper, or properly so called, are commands; laws which are not commands, are laws improper or improperly so called.44
Die Erzwingbarkeit wird hier also an den Anfang des ganzen Rechtsdenkens gesetzt. Auch Austin war konsequent; da von einer echten Erzwingbarkeit des Völkerrechts 1834, als die ersten der Lectures entstanden, noch viel weniger gesprochen werden konnte als heute, lehnte er den Begriff wie den Inhalt des Völkerrechts entschieden ab. Im Register seiner Lectures wird man unter dem Stichwort „International Law“ auf „Positive International Morality“ verwiesen, und dies ist auch der einzige Stellenwert, den er dem Völkerrecht zuweist45.
42 Ebd., 251, Anm. 43 M. v. Seydel, Grundzüge einer allgemeinen Staatslehre, 32. Gäbe es einen solchen Herrscher als Rechtsquelle, gäbe es auch einen Weltstaat. Seydel fährt an gleicher Stelle fort: „Wol [sic] mögen die Herrscher es bei ihrem Verkehre als in ihrem Vortheile gelegen finden, gewisse Grundsätze gegenseitig zu beobachten; allein keiner ist an dieselben länger gebunden, als er will. Dies ist also offenbar kein Recht. Und ebenso ist ein andrer Theil dessen, was man Völkerrecht nennt, kein Völkerrecht, sondern gleichmässiges Staatsrecht der gebildeten Staaten. Wie es nun zwischen den Staaten kein Recht gibt, so gibt es zwischen ihnen auch keine Rechtspflege. Der Zwiespalt der Interessen findet seine letzte Ausgleichung im Kriege.“ In dieser radikalen Konsequenz war Seydel auch 1873 schon ein Außenseiter. 44 John Austin, Lectures on Jurisprudence or The Philosophy of Law, 5. Aufl., hrsg. von Robert Campbell, 2 Bde. (fortlaufend paginiert), London 1885, 79 (1. Vorlesung). Vgl. ebd., 88f., wo dies weiter definitorisch ausgeführt wird. 45 Ebd., 1115 (Register) und 172ff. (5. Vorlesung).
2.1 Das Problem der Souveränität
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Austins Einfluß auf die Diskussion in Großbritannien und den USA hat bis weit in das 20. Jahrhundert angehalten, aber auch in Deutschland gab es noch lange Autoren, die auf der Erzwingbarkeit des Rechts beharrten46. Die Entwicklung ist über diese Position hinweggegangen, und heute ist es eine praktisch einhellige Auffassung, gerade unter Völkerrechtlern, daß die letztlich gewaltsame Erzwingbarkeit einer Rechtsnorm nicht der Maßstab ihres normativen Charakters sein kann. Knut Ipsen sieht in dieser alten Behauptung die „absolutistischen Relikte“ des Machtstaates, die heute „historisch überwunden“ seien47. Zum zweiten verweisen heutige Völkerrechtler darauf, daß nach dem gleichen Kriterium auch große Teile des nationalstaatlichen Rechts ihren Rechtscharakter verlören, denn auch hier lasse sich nicht alles erzwingen48. Und zum dritten läßt sich ein nicht unproblematisches Aperçu von Georg Dahm anführen: „Das Völkerrecht gilt, weil es notwendig ist.“49 Das wirkt auf den ersten Blick wie eine recht schwache Begründung des Rechtscharakters jenseits der Erzwingbarkeit, aber es offenbart seine Bedeutung, die auf eine Absage an die Souveränität als Geltungsgrund des Völkerrechts hinausläuft, erst bei näherem Hinsehen. Die Staatengemeinschaft hat keine „bessere“ Form des Zusammenlebens gefunden, und so ist die freiwillige Beachtung völkerrechtlicher Normen die Regel, da sie auf den Interessen aller Beteiligten beruht. Krieg ist die Ausnahme der Internationalen Beziehungen, und wenn man nicht mit Carl Schmitt Politik vom Ausnahmezustand her erkennen will, gibt es keinen Grund, den Rechtscharakter des Völkerrechts zu leugnen. Die inzwischen jahrzehntelangen Erfahrungen mit den Vereinten Nationen, mit Internationalen Gerichtshöfen und mit den vielfältigen modernen Sanktionsmöglichkeiten des Völkerrechts, die überwiegend unterhalb der Ebene bewaffneten Zwanges liegen, haben die alte Debatte entschieden50. Natürlich hatte Hugo Preuß alle diese Erfahrungen noch nicht, aber er benötigte sie auch nicht, um zu einem Resultat zu gelangen, das sich im Effekt für den Rechtscharakter jeglichen Rechtes ausspricht – und damit zugleich erneut gegen den Souveränitätsbegriff. Für seine eigene Argumentation genügt die Behauptung, daß das Recht in jedem Falle Willenssphären abgrenzt und somit die unbeschränkte und unbeschränkbare Souveränität nicht dulden kann. Für Selbstbetrug hält er auch die Behauptung, daß auch der souveränen Macht rechtliche Grenzen gesetzt seien: 46 Vgl. hierzu Friedrich Berber, Lehrbuch des Völkerrechts, 1. Bd.: Allgemeines Friedensrecht, 2. Aufl., München 1975, 9ff., wo die Debatte um den Rechtscharakter knapp und aufschlußreich skizziert wird. Siehe auch G. Dahm, J. Delbrück und R. Wolfrum, Völkerrecht I/1, 34ff.; und Karl Doehring, Völkerrecht. Ein Lehrbuch, Heidelberg 1999, 18f. 47 K. Ipsen, Völkerrecht, 8. 48 Vgl. F. Berber, Lehrbuch des Völkerrechts, 1. Bd., 13; G. Dahm, J. Delbrück und R. Wolfrum, Völkerrecht I/1, 43f. 49 G. Dahm, J. Delbrück und R. Wolfrum, Völkerrecht I/1, 41. 50 Vgl. K. Doehring, Völkerrecht, 20ff.; F. Berber, Lehrbuch des Völkerrechts, 1. Bd., 14ff.; A. Verdross und B. Simma, Universelles Völkerrecht, 33ff.; Theodor Schweisfurth, Art. „Völkerrecht, Definition“, in: Ignaz Seidl-Hohenveldern, Lexikon des Rechts. Völkerrecht, 2. Aufl., Neuwied, Kriftel und Berlin 1992, 394–396, hier 396.
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2. Die demokratische Genossenschaftstheorie Allen Anhängern der Souveränitätsidee steht eben mit der Kraft unabweislicher Logik das Wort ihres Stammvaters entgegen, der Satz Bodins: ‚Sibi ipsi vero imperare nemo potest.‘51
Und wo doch unübersteigbare rechtliche Hürden bestehen, kann die Idee der Souveränität keine Rolle mehr spielen. Diese Überzeugung behielt Hugo Preuß konsequent bei und wandte sie gleichermaßen auf Volks- und Fürstensouveränität an, zwischen denen in dieser Hinsicht für ihn kein theoretischer Unterschied besteht. Damit ist kein Verzicht auf ein politisches Eintreten für demokratische Strukturen gemeint; sowohl im Kaiserreich wie in der Weimarer Republik war Preuß, wie noch zu zeigen sein wird, ein überzeugter Anhänger der Demokratie. Aber diese angestrebte Demokratie hat er nie theoretisch als „Volkssouveränität“ aufgefaßt, auch dann nicht, als er die Chance bekam, die Verfassungsordnung einer Demokratie zu entwerfen und mitzugestalten. Bei den Weimarer Verfassungsberatungen wird deutlich werden, wie er sein exakt 30 Jahre zuvor entwickeltes theoretisches Konzept in die Praxis umzusetzen verstand. Die Auseinandersetzung um die analytische Brauchbarkeit des Souveränitätskonzeptes für den Verfassungsstaat hatte aber außer dem Streit um die Sache noch eine tieferliegende Verschiedenheit des staatsrechtlichen Denkens Hugo Preuß’ von dem Paul Labands deutlich hervortreten lassen. Gegen die positivistischen Begriffskonstruktionen auf der Basis des geltenden Reichstaatsrechts stellte Hugo Preuß eine historisch-genetische Sichtweise, die primär aus der Rechtsgeschichte schöpfte und sich dabei auch nicht scheute, internationale wie weit zurückliegende Beispiele anzuführen. Damit entwickelte Preuß eine induktive Methode, die in Opposition zur herrschenden Lehre des deutschen Staatsrechts bereits bei Gierke angelegt war, aber von seinem Schüler erst methodisch ausgeführt wurde. 2.2 Genossenschaft und Anstalt Verfassungsgeschichte und staatsrechtliche Methode Wie jede Wissenschaft unterliegt auch die Untersuchung des öffentlichen Rechtes, oder, um den von Hugo Preuß benutzten umfassenderen Begriff zu verwenden, des vom Individualrecht geschiedenen Sozialrechts der evolutionären Entwicklung, die sich auch in der Methodik niederschlagen muß. Den Vorzug des von ihm geprägten Begriffs sah Preuß darin, daß Sozialrecht anders als „öffentliches Recht“ nicht be-
51 „Selbstverwaltung, Gemeinde, Staat, Souveränität“, 241.
2.2 Genossenschaft und Anstalt
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reits den Staat als gegeben voraussetzt, sondern einen breiteren Rahmen ermöglicht52. Wenn Preuß von „Sozialrecht“ sprach, meinte er dies nicht im heutigen Sinne53, sondern verstand darunter jegliches auf eine Personengesamtheit bezogene Recht, das über ein einzelnes Individuum hinausgeht. Auf den gedanklichen Unterschied zwischen organischem Sozialrecht und Individualrecht, der auch einen Unterschied in der Methodik erfordere, verwies Preuß bereits in seiner ersten großen Arbeit54, und auch damit stellte er sich gegenüber seinen Fachkollegen in eine Außenseiterposition. Ähnlich wie die Methodik des gesamten Faches55 entwickelten sich auch die methodischen Ansichten von Preuß selber durch verschiedene Stadien, wobei aber die Grundanschauungen über die Zeit hinweg bemerkenswert konstant bleiben. Ins Positive gewendet bedeutet dies, daß Preuß im Grunde bereits in seiner Schrift über Gemeinde, Staat, Reich die Trennung von der ausschließlich juristischen Denkweise vollzogen und sich einem umfassenderen Verständnis von Politik und Recht geöffnet hatte. Ohne die Berührungsängste der Laband-Schule zieht er gerne verfassungshistorische Betrachtungen heran, um gegenwärtige Probleme des Staatsrechts zu beleuchten. Andererseits ist er jedoch auch kein Historiker vom Fache, so daß ihm nicht ohne Berechtigung der Vorwurf gemacht wurde, er interpretiere historische Probleme zu sehr im Lichte aktueller politischer Auseinandersetzungen, die der historischen Situation nicht gerecht werden56. Ist somit die Hinwendung zu einer verfassungshistorischen und vor allem verfassungspolitischen Herangehensweise schon früh vollzogen, unternimmt es Hugo Preuß vor allem in seinen ersten Schriften aber dennoch, eine scharfe Trennung 52 „Gemeinde, Staat, Reich“, 211: „Also nicht der Dualismus von öffentlichem und Privatrecht, wohl aber der von Sozial- und Individualrecht ist ein originärer, vom Ursprung an vorhandener. Da die Willenseinheit des Individuums und der Familie, die Einzel- und die Gesamtperson gleichzeitig gegeben war, so mußte sich auch die Idee des Rechts als der Abgrenzung der Willensmacht der Personen in jener zweifachen Richtung gleichzeitig entfalten.“ 53 Im heute verwendeten Sinne ist der Begriff erst seit wenigen Jahrzehnten gebräuchlich und allein auf den Sozialstaat bezogen; vgl. Bernd Baron von Maydell, Art. „Sozialrecht“, in: ders. (Hrsg.), Lexikon des Rechts. Sozialrecht, Neuwied und Darmstadt 1986, 350–356; und übereinstimmend Art. „Sozialrecht“, in: Horst Tilch (Hrsg.), Deutsches Rechts-Lexikon, Bd. 3, 2. Aufl., München 1992, 445–447. 54 Gemeinde, Staat, Reich, VII. Wie er Versuche beurteilte, methodische Vorgehensweisen des Privatrechts unverändert ins Staatsrecht einzuführen, zeigt die vernichtende Besprechung von August Trieps: Das deutsche Reich und die deutschen Bundesstaaten in ihren rechtlichen Beziehungen, Berlin 1890, die er im AöR, 6 (1891), 581–584, veröffentlichte. 55 Zur historischen Entwicklung rechtswissenschaftlicher Methoden siehe Karl Larenz und ClausWilhelm Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl., Berlin, Heidelberg und New York 1995; Franz Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 2. Aufl., Wien und New York 1991; und speziell zur Genese des Rechtspositivismus Walter Wilhelm, Zur juristischen Methodenlehre im 19. Jahrhundert, Frankfurt a.M. 1958. 56 Vgl. etwa S. Graßmann, Hugo Preuß, 15: „Die Schwäche der verfassungshistorischen Darstellungen bei Preuß liegt allerdings darin, daß er betont herausgestellte Gegensätze der Gegenwart in die Vergangenheit zurückprojeziert.“ Ebd., 39, wird eine Vorliebe Preuß’ für Schlagwörter bedauert, die der historischen Entwicklung nicht gerecht würden.
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2. Die demokratische Genossenschaftstheorie
juristischer Methoden von verwandten Gebieten zu behaupten. Ganz unbeeinflußt von Laband konnte auch Preuß, immerhin ein Berufsanfänger in dem nicht eben antihierarchischen Fach des Staatsrechts, nicht bleiben. Wenigstens der junge Preuß hat für Historiker wie Waitz und Treitschke, die sich auch zu Fragen äußerten, die die Staatsrechtler als ihre Domäne betrachteten, wie etwa die Bundesstaatskonstruktion, nur spöttische Bemerkungen übrig57. Es ist methodisch interessant, wie Preuß am Anfang seiner Laufbahn die staatsrechtlichen Erkenntnisinteressen von den verwandten Fächern abgrenzt. Im Resultat entspricht dies den anderen zeitgenössischen Staatsrechtlern, im Detail und in der Vorgehensweise argumentiert Preuß aber bereits recht eigenständig. Während der Historiker die Gegenwart lediglich als den Übergangspunkt von Vergangenheit zu Zukunft sehe, müsse der Jurist diese Gegenwart künstlich zum Stillstand bringen, um aus diesem Zustand seine Normen zu abstrahieren58. Und im Gegensatz zur Politik kann es bei staatsrechtlicher Betrachtung nicht um eine quantitative Abwägung zwischen verschiedenen berechtigten Positionen gehen, sondern um qualitative Unterschiede: „Für Kompromisse mag die Politik ein sehr geeignetes Feld sein; aber im Staatsrecht gibt es nur Recht oder Unrecht, kein Drittes.“59 Das hier angesprochene „Dritte“ ist für Preuß etwa der Begriff der Wahrheit, der gleichfalls dem rechtlichen Denken wesensfremd und inkommensurabel sei60. So muß also die staatsrechtliche Betrachtung einen anderen Ausgangspunkt nehmen, der nur ihr eigen ist und der auf der Basis ihrer Normen und Prinzipien die juristische Konstruktion des Staates und aller anderen rechtlichen Gemeinwesen erlaubt61. 57 Das sollte sich später ändern. Typisch für diese frühe Zeit etwa das Urteil über Treitschkes „Bund und Reich“, in: Aufsätze, Reden und Briefe. Hrsg. v. K.M. Schiller, 4. Bd., Meersburg 1929, 212–245 (erstmals Preuß. Jbb. 1874), in dem Treitschke eine großpreußische Interpretation der Reichsverfassung und des Bundesstaates vornimmt. Hierüber heißt es in „Gemeinde, Staat, Reich“, 37: „Das alles ist in seiner Art ganz klar und nett, enthält auch manche richtige Beobachtung und treffende Bemerkung; nur schade, daß es sich für Staatsrecht ausgiebt. Juristisch aber kann man eine solche Darlegung nicht einmal kritisieren; sie ist im Verhältniß zur Jurisprudenz eine völlig incommensurable Größe. Dabei mögen die Grundgedanken vollkommen gut und richtig sein; das Resultat ganz annehmbar; in die juristische Konstruktion läßt es sich in dieser Weise nicht einfügen; und ist deßhalb unfruchtbar geblieben für die Entwicklung der Lehre.“ Und ebd., 39: „Beispiele wie Gneist und Gierke gegenüber Waitz und Treitschke zeigen daß, nur der Jurist, der sich auf historischen Studien stützt, und nicht der Historiker, der in Jurisprudenz dilettirt, segensreiches für unsere Wissenschaft leisten kann.“ 58 Vgl. „Gemeinde, Staat, Reich“, 117 und ganz ähnlich „Das Völkerrecht im Dienste des Wirtschaftslebens“, Berlin 1891 (VwSf, 13 (1891), H. 99/100), 6. 59 „Friedenspräsenz und Reichsverfassung. Eine staatsrechtliche Studie“, Berlin 1887, 44. 60 „Wer da glaubt, eine absolute Wahrheit zu Markte zu bringen, knüpft sie gern an ein absolutes Subjekt, wie Gott, Natur oder sonstige unkontrolirbare Begriffe.“, ‚Die Bodenbesitzreform als sociales Heilmittel‘, Berlin 1892 (VwSf, 14 (1892), H. 109–111), 12. 61 Vgl. „Gemeinde, Staat, Reich“, 118: „Nach alledem wird die Aufgabe einer staatsrechtlichen Erfassung der Gegenwart darin bestehen, unter voller Würdigung der historischen Wahrheit, daß der gegenwärtige Staatszustand neben mehr oder minder bedeutenden Rudimenten vergangener Epochen mehr oder minder kräftige Keime zukünftiger Entwicklungen in sich birgt, dennoch diesen in Wirklichkeit fließenden Zustand als einen stillstehenden zu betrachten, indem
2.2 Genossenschaft und Anstalt
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Diese scharfe Abgrenzung erinnert ein wenig an Laband und seine Schule, aber in dieser krassen Form läßt sie sich nur in den ersten Schriften zeigen, und selbst dort ist sie nicht konsequent durchgeführt, sondern mündet in die organische Verbindung der Disziplinen ein. Von Anfang an will Preuß die Trennung und Ausdifferenzierung der staatswissenschaftlichen Disziplinen, die die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts bestimmt hatte62, zwar nicht rückgängig machen, aber doch in einer neuen Zusammenführung überwinden. An zahlreichen Stellen in den verschiedensten Werken gibt Hugo Preuß seiner Überzeugung Ausdruck, daß erst die Kombination „rein juristischer“ mit politischen, historischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten auch für den Juristen zu einem befriedigenden Ergebnis führen kann. Umgekehrt beklagt er die Aufspaltung der ehemals umfassenden Wissenschaft vom Staate in die speziellen Disziplinen, die in den Jahrzehnten vor der Reichsgründung die „gesammte Staatswissenschaft“ immer mehr zu einem gerade auch methodisch scharf voneinander getrennten Bündel von Einzelwissenschaften gemacht hatte: Jetzt ist die juristische Fakultät ein Torso; und die Nationalökonomie mit ihren Nebenfächern befindet sich in der Diaspora, in jenem Tohuwabohu nicht zusammengehöriger Dinge, das man philosophische Fakultät nennt. Dem Wesen der Sache, dem Bedürfnisse des Lebens wie der Wissenschaft entspricht einzig eine staatswissenschaftliche Fakultät, welche alle Zweige des Wissens vom Gemeinleben der Menschen, die rechtlichen wie die wirthschaftlichen, als ein organisches Ganzes umfaßt.63
Dies ist ein Credo zugunsten einer umfassenden, mit hermeneutischen wie mit historisch-genetischen Methoden arbeitenden allgemeinen Staatswissenschaft, die als Geisteswissenschaft mit allen Unwägbarkeiten des Lebens behaftet sei. Das bedeutet aber umgekehrt auch eine Kritik an der Mathematisierung der Staatswissenschaften64 wie an Teildisziplinen, die sich auf andere Art als die Juristen vom umfassenden, großen Blick lösen und wie die Volkswirtschaft einen eigenständigen methodischen Anspruch entwickeln wollen65. Dieses umfassende Verständnis dessen, was den Weg zu juristischer Erkenntnis öffnen kann, führte Preuß weg von der positivistischen Reduktion auf die bloßen Gesetzestexte. Überall, wo von einer rechtlichen Verfaßtheit gesprochen werden
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man aus den thatsächlich gegebenen Verhältnissen ein theoretisches Princip zu abstrahiren sucht, unter welches sich jene Rudimente und diese Keime als unter eine gemeinsame höhere Einheit ohne Zwang subsumiren lassen, wie die Nenner verschiedener Brüche unter einen Generalnenner. Dieses Princip bietet dann die Grundlage, auf welcher man die begriffliche Konstruktion des Staates und seiner äußeren wie inneren Beziehungen aufzurichten hat.“ Vgl. Th. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800–1866, 521f. und ders., Deutsche Geschichte 1866–1918, Bd. I, 633ff. „Völkerrecht im Dienste des Wirtschaftslebens“, 55, Fn.5. Ebd., 9, heißt es, „vor allem ist die Staatswissenschaft nun einmal keine exakte Disziplin und der unglücklichen mathematischen Methode im Innersten unzugänglich“. In „Bodenbesitzreform als sociales Heilmittel“, 11, klagt Preuß über den „unselige[n] Wahn, volkswirthschaftliche Lehrsätze durch mathematische Formeln und Figuren erhärten zu können“.
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2. Die demokratische Genossenschaftstheorie
konnte, sah Preuß einen Gegenstand seiner Wissenschaft. Damit mußten die Positivisten den Eindruck gewinnen, Preuß wolle die überwunden geglaubten Zeiten der Vermischung juristischer und politischer sowie historischer Überlegungen wieder zum Leben erwecken, und dieser Eindruck war, abgesehen von den allerersten Schriften von Preuß, sicherlich auch zutreffend66. Für Preuß ging das Problem noch tiefer, denn selbst auf seine ureigenste Domäne, die Begriffskonstruktion, habe der Positivismus lähmend gewirkt. Tat es früher ein philosophischer Kopf „nicht gern unter einem Weltsystem oder doch wenigstens einem jus naturae et gentium“ 67, so herrsche heute eine ängstliche Scheu vor dem Naturrecht. Der Positivismus müßte sich gerade wegen seines rein formalen Rechtsbegriffes bewußt sein, der Ergänzung durch Politik und Wirtschaft zu bedürfen – aber eben dies ist er nicht. Natürlich meinte Preuß damit nicht, daß die Staatsrechtswissenschaft etwa das positive Recht mißachten solle oder dürfe. Aber in der Praxis des Rechts, in den Gesetzen und Verordnungen wollte er auch nicht die Grenze der wissenschaftlichen Durchdringung und der Reichweite des für Juristen möglichen Blicks sehen68. Bereits hier wird deutlich, daß Preuß in vielerlei Hinsicht nicht mit dem Auge des Juristen, sondern mit dem des Politikwissenschaftlers auf das Recht schaut und danach seine Kriterien festlegt. 1912 schreibt er in einer Besprechung des von Gerhard Anschütz als Musterbeispiel rechtspositivistischer Methodik vorgelegten Kommentars zur preußischen Verfassung, daß die Lektüre der Verfassung ein falsches Bild vermittele; wichtig seien nicht die formal gewährten Rechte, sondern die tatsächlichen Machtverhältnisse69. Neben der positivistischen Methode war es vor allem ein von Angehörigen der verschiedensten juristischen Schulen vielfach verwendetes Hilfsmittel der Konstruktion, das die grundsätzliche methodologische Kritik Hugo Preuß’ auf sich zog:
66 Oft hat er sich über die Bedeutung der Geschichte für das Staatsrecht geäußert; so sei etwa die Selbstverwaltung nur von der Rechtsgeschichte der deutschen Genossenschaft her zu verstehen, nicht aber positivistisch; „Städtisches Amtsrecht“, 6. Allgemein stehe die historische Untersuchung der dogmatischen nicht im Wege, sondern gebe ihr erst das Erkenntnismittel; „Friedenspräsenz und Reichsverfassung“, 52f. Vgl. ebd., 7. 67 „Zur Methode juristischer Begriffskonstruktion“, in: Schmollers Jb., 24. Jg. (1900), 359–372, hier 360. 68 „Aber daß die Wissenschaft ihre Begriffe, Prinzipien und Terminologien als jus strictum der Gesetzgebung zu entnehmen habe, das ist eine Zumutung, die nicht nur die Kompetenzgrenzen zwischen heillos verwirrt, sondern die praktisch schon einfach daran scheitert, daß es der Gesetzgebung allzu häufig an einer einheitlichen Terminologie, noch öfter an festen Prinzipien und meistens an klar erkannten Begriffen fehlt; ganz abgesehen davon, daß die letzte Konsequenz eine Schwarzburg-Sonderhausen’sche und Rudolstädt’sche Jurisprudenz wäre.“ ‚Städtisches Amtsrecht‘, 144. 69 „Anschütz’ Kommentar“, 478.
2.2 Genossenschaft und Anstalt
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die Zwecktheorie70. Der Begriff vom Zweck im Recht als eines wichtigen Kriteriums für die Begriffsbildung geht bis auf Savigny zurück, wurde aber auch Ende des Jahrhunderts gerne benutzt, vor allem von Siegfried Brie und Heinrich Rosin71. Aber der eigentliche geistige Urheber der Zwecktheorie ist natürlich Rudolf von Jhering. Sein Hauptwerk, das groß angelegte, unvollendet gebliebene Werk über den Zweck im Recht72, setzte seinen Autor von allen gängigen Rechtsphilosophien ab. Weder Positivismus noch historische Rechtsschule, weder organische Rechtslehre noch Naturrechtsgedanken konnten nach Jhering das Wesen des Rechts und seiner Entwicklung hinreichend erklären. Schon das Motto der beiden Bände, „Der Zweck ist der Schöpfer des ganzen Rechts“, gibt die Abgrenzung, aber auch die Reichweite des Anspruchs von Jhering zu erkennen. Das stark philosophisch angelegte Werk selbst behandelt keineswegs nur Fragen des Rechts oder der Rechtsphilosophie im engeren Sinne, sondern widmet auch viele Seiten der Diskussion von Sitten und Konventionen des menschlichen Zusammenlebens. Zum Staat als der höchsten gesellschaftlichen Organisationsform gelangt Jhering erst auf Seite 307; wie er selbst angibt, „[n]ach langem Umwege“73. Jhering versuchte mit seiner Zwecktheorie die ganze Rechtslehre auf eine neue Grundlage zu stellen und in der sozialen Funktion des Rechts seinen Entstehungsgrund wie seine letzte Rechtfertigung zu suchen. In eine solche Theorie ist der Wandel des Rechts gemäß den sich verändernden sozialen Bedingungen konstitutiv eingebaut, ebenso wie seine Betrachtung unter außerrechtlichen Erwägungen sozialer Nützlichkeit, und dies rief unter Jherings Zeitgenossen wie in der späteren Betrachtung Widerspruch hervor. Für Erik Wolf ist Jherings Zwecktheorie „nur ein sozialer Utilitarismus und Eudämonismus, ohne Glauben an einen staatsgestaltenden Grundwert“74. Demgegenüber sieht Wolfgang Fikentscher in der Entwicklung der Zwecklehre einen überpositiven, auf dem Naturrecht beruhenden Universalismus, der Jhering zum „eigentliche[n] gedankliche[n] Überwinder der Begriffsjurisprudenz“75 machte, und im Umfeld seines 100. Todestages ist Jhering gar als der rechtsphilosophische Vordenker der offenen Gesellschaft gefeiert worden76. 70 Generell vgl. Klaus Hespe, Zur Entwicklung der Staatszwecklehre in der deutschen Staatsrechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts, Köln und Berlin 1964. 71 Vgl. etwa H. Rosin, Souveränetät, Staat, Gemeinde, Selbstverwaltung, 288; S. Brie: Theorie der Staatenverbindungen, Heidelberg 1886, 8. 72 Jherings Der Zweck im Recht erschien erstmals in zwei Bänden 1877 und 1838. 73 R. v. Jhering, Der Zweck im Recht, 1. Bd., 4. Aufl., 239. Die von den meisten heutigen Autoren benutzte, im Satz komprimierte 4. Auflage gibt auch die originale Paginierung wieder. 74 Erik Wolf, Rudolf von Jhering, in: ders., Große Rechtsdenker der deutschen Geistesgeschichte, 4. durchgearb. u. erg. Aufl., Tübingen 1963 (erstmals 1939), 622–668, hier 655. 75 Wolfgang Fikentscher, Methoden des Rechts in vergleichender Darstellung, Bd. III: Mitteleuropäischer Kulturkreis, Tübingen 1976, 98. Vgl. auch 187ff. und 198. Jhering sind in diesem Werk die Seiten 101–282 gewidmet. 76 Okko Behrends, Rudolf von Jhering, der Rechtsdenker der offenen Gesellschaft. Ein Wort zur Bedeutung seiner Rechtstheorie und zu den geschichtlichen Gründen ihrer Mißdeutung, in: ders. (Hrsg.), Rudolf von Jhering. Beiträge und Zeugnisse aus Anlaß der einhundertsten Wiederkehr seines Todestages am 17. 9. 1992, 2. erw. Aufl., Göttingen 1993, 8–10.
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Was die Zwecktheorie für die Staatsrechtslehrer des Kaiserreiches attraktiv machte, war vor allem ihre Hilfestellung bei der schwierigen Bundesstaatskonstruktion. Bei einer Orientierung an den sozialen Zwecken des Rechts konnte man mit den umfassenden, nationalen Zwecken eines Staates und den begrenzten, lokalen Zwecken einer Kommune ein auf den ersten Blick überzeugendes Unterscheidungsmerkmal aufzeigen. Aber ganz davon abgesehen, daß die Unterscheidung zu ironischen Kommentaren geradezu aufforderte77, hatte diese Theorie den gravierenden Nachteil, daß es in ihr notwendig ein zwecksetzendes Subjekt geben mußte78. In der Praxis gab dies der wissenschaftlichen Willkür der Autoren breiten Raum: Und so finden wir in der Staatskonstruktion dieser Richtung immer die gleiche Methode: jeder Autor legt nach Belieben gewisse Zwecke und Interessen in den Begriff des Staates oder der Gemeinde hinein, um sie dann triumphierend als wissenschaftliche Resultate wieder aus dem so präparierten Begriff herauszuholen. ... Der Zweck liegt niemals in der Form, sondern stets im Inhalt; der Inhalt der Rechtsinstitute ist aber niemals juristischer, sondern stets politischer, ökonomischer Natur; deshalb kann die juristische Begriffskonstruktion als solche mit dem Zweckmoment absolut nichts anfangen, sondern löst sich dadurch selbst auf.79
Die Ablehnung der Zwecktheorie ist einer der wenigen Punkte grundlegender juristischer Dogmatik, in denen sich Laband, Seydel und Preuß über alle Grenzen hinweg, die sie sonst trennten, einig waren80. Die Konstruktion juristischer Begriffe 77 „Niemand wird ferner glauben wollen, daß der begriffliche Unterschied zwischen der Stadt Berlin und dem Fürstenthum Reuß ältere Linie in dem nationalen Zwecke von Reuß und dem lokalen Zwecke von Berlin besteht! Ebensowenig wird es einleuchten, daß Frankfurt am Main bis zum Jahre 1866 nationale Zwecke, seit dem Jahre 1866 aber nur örtliche Zwecke verfolgt haben soll.“ Werner Rosenberg, Staat, Souveränität und Bundesstaat, in: Hirths Annalen, 38 (1905), 276–295 u. 339–364, hier 345. 78 Vgl. Franz Wieacker, Ihering und der ‚Darwinismus‘, in: Gotthard Paulus, Uwe Diederichsen, Claus-Wilhelm Canaris (Hrsg.), Festschrift für Karl Larenz zum 70. Geburtstag, München 1973, 63–92, hier 81. 79 „Zur Methode juristischer Begriffskonstruktion“, 368 u. 370. Und ebd., 369: „Das Zweckmoment löst jeden juristischen Begriff in flüssiges Wachs auf.“ Gegenstand dieser Rezension war „ein besonders handgreifliches Fiasko des Zweckmomentes in der juristischen Begriffskonstruktion“ (ebd., 367), nämlich J. Hatschek: Die Selbstverwaltung in politischer und juristischer Bedeutung, Leipzig 1896. Vgl. auch „Gemeinde, Staat, Reich“, 71 (gegen Gareis) und 80: „Will man den Zweck in den Staatsbegriff hineinbringen, so muß man den Staat entweder als göttliche oder menschliche Schöpfung, jedenfalls als Produkt eines bewußten Willens auffassen. ... Keine dieser beiden Theorien entspricht dem Geiste der heutigen Wissenschaft. Sie betrachtet den Staat wie alles menschliche Gemeinleben als organisch gewordenes Gebilde, als Organismus zwar höherer Art aber nicht andern Wesens als die übrigen organischen Gebilde der Natur. So wenig man daher in den wissenschaftlichen Begriff einer Pflanze den Zweck, Blumen oder Früchte zu tragen, in den eines Thieres den Zweck, dem Menschen Nahrung o. dgl. zu liefern, aufnehmen wird, so wenig gestattet der Geist moderner Wissenschaft die Aufnahme des Zwecks in den Staatsbegriff.“ 80 Vgl. M. Seydel, Commentar, 2. Aufl., 10; und P. Laband, Staatsrecht des Deutschen Reiches, 1. Bd., 4. Aufl., 63. Laband rezensierte auch Bries „Theorie der Staatenverbindungen“ im AöR, 2 (1887), 311–320, hier 318, wo er die Zwecke eines Staates politisch und sozial wichtig, juristisch aber bedeutungslos nannte; „[e]s verhielte sich ähnlich, als wenn man Jemandem auf
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mußte als wissenschaftlich-abstrakte Angelegenheit unbeeinflußt bleiben von dem Inhalt, von dem Zweck der zu konstruierenden Begriffe. In ähnlicher Form, wie John Rawls seine prozedurale Theorie der Gerechtigkeit von den Inhalten und Zwecken einer starken Theorie des Guten absetzt81, trennten auch die Gegner der Zwecktheorie die politischen Inhalte und Ziele des Rechts von seiner formalen Gestaltung. Hier endete auch die Übereinstimmung auch schon wieder, denn die Trennung von Form und Inhalt hieß für Hugo Preuß nicht, daß er damit der vom realen Leben abstrahierenden souveränen Begriffsjurisprudenz zustimmen wollte; das Gegenteil ist der Fall. Wie jede Wissenschaft muß auch die Staatsrechtslehre ihre Theorien aus der Realität ableiten und an dieser überprüfen: Das Wesen der wissenschaftlichen Theorie besteht nicht in der Produktion leerer Abstraktionen, sondern im richtigen Sehen dessen, was wirklich ist; deshalb müssen eine wahre Theorie und eine gesunde Praxis schließlich miteinander übereinstimmen und sich gegenseitig stützen.82
Wissenschaft und Leben stehen also in einer dialektischen Beziehung zueinander. Und wie alle Wissenschaften sich mit dem Leben selbst entwickeln, so stehen sie auch untereinander in organischer Verbindung, da sie jeweils nur Teilaspekte des Lebens zum Inhalt haben. die Frage: was ist Chinin? antworten würde, ‚es dient dazu, das Fieber zu vertreiben‘“, ebd., 317. 81 John Rawls, A Theory of Justice, Cambridge, Mass. 1971, 395ff. 82 „Städtisches Amtsrecht“, 8. Vor allem gegen Brie richtet sich die Polemik in „Gemeinde, Staat, Reich“, 76: „Es beruht diese so häufige Anschauung auf einem Irrthum bezüglich des Verhältnisses theoretischer Begriffe und empirischer Thatsachen. Wenn erstere in sich korrekt sind, müssen sie unbedingt und immer mit den letzteren harmoniren.“ Und ebd., 113, heißt es: „Es ist das untrügliche Kennzeichen einer gesunden und wahren Theorie, daß sie der Wirklichkeit nicht in doktrinärer Sprödigkeit gegenübersteht, vielmehr mit ihr in ein fruchtbares Verhältniß der Wechselwirkung tritt. Auf der Höhe ihrer Aufgabe steht die Theorie, wenn sie nicht bloß ein genaues Spiegelbild der realen Verhältnisse giebt, sondern, gestützt auf ein aus dem Wesen der Dinge geschöpftes Erkennen, die Bahnen, welche die thatsächliche Entwicklung einschlagen muß, nicht ahnend, sondern wissend vorhersagt. Indem sie diese Erkenntniß nur aus der genauen Beobachtung der Wirklichkeit und ihrer noch im Entstehen begriffenen Kräfte schöpfen kann, steht sie unter dem Einflusse des realen Lebens. Aber andererseits beeinflußt sie dieses in erheblichster Weise, in dem sie das in ihm waltende Princip zum Ausdruck und Bewußtsein bringt.“ Oder auch „Entwicklung und Bedeutung des öffentlichen Rechts“, 1358: „Theorie heißt Sehen dessen, was wirklich ist; sonst wäre die Wissenschaft das unnützeste Ding auf Erden.“ Bereits im Vorwort von „Gemeinde, Staat, Reich“, VIII, heißt es aber auch lapidar: „Was unlogisch ist, das ist überall und immer unjuristisch.“ Für die Begriffsbildung bleibt die Wissenschaft in diesem Rahmen autonom: „Es ist aber doch keine Lösung eines wissenschaftlichen Problems, wenn man dasselbe durch Duldung eines unlogischen d.h. unwissenschaftlichen Begriffs ... umgeht. Auch kein geschichtliches oder politisches Beispiel vermag die Nothwendigkeit einer solchen Annahme zu erhärten. Die Begriffsbildung ist nicht Aufgabe der geschichtlichen oder politischen Thatsachen, sondern lediglich der wissenschaftlichen Theorie. Aus jenen muß sie diese abstrahiren; und wenn sie dabei die Wirklichkeit nicht vergewaltigen darf, so darf sie doch ebenso wenig die Logik verletzen.“ Ebd., 71.
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Die Idee der letztlichen Einheit der Wissenschaften war ein Teil der allgemeinen Methodendiskussion, die in den Jahren um 1900 viele Einzeldisziplinen ergriffen hatte. Ausgangspunkt war durchweg der große Erfolg der Naturwissenschaften, der es auch anderen Fächern nahelegte, ihre eigenen Methoden einer kritischen Prüfung zu unterziehen83. Ähnliche Diskussionen über die Grundlagen und Letztbegründungen des Faches begannen in dieser Zeit auch in der Rechtsphilosophie wieder an Boden zu gewinnen, nachdem der Positivismus nicht zuletzt die Grundlagendebatte lange erfolgreich verhindert hatte84. Ein äußeres Anzeichen der sich wandelnden Zeiten waren die lange aus dem Kanon der Literatur verschwundenen Allgemeinen Staatslehren. Seydel hatte 1873 seine Grundzüge einer allgemeinen Staatslehre85 vorgelegt, aber dieses relativ kurze Werk war nur ein Nachklang der in den Jahrzehnten des Deutschen Bundes üppig wuchernden Gattung. Erst beinahe 30 Jahre nach Seydel erschienen wieder gleich mehrere Beiträge zum Genre, die das Bedürfnis dokumentierten, auch in einer vom Positivismus dominierten geistigen Landschaft allgemeine Überlegungen anzustellen, die über die positiven Gesetze wieder hinausgingen86. Preuß bezog in der Verortung seines Faches eine klare Position und ordnete die Staatsrechtslehre als ein Glied in den Kanon der Wissenschaften ein. Sie grenzt sich in seiner Interpretation ab von aprioristischen Leitsätzen wie von positivistischer Selbstbeschränkung. Sie übernimmt den organischen Gedanken der evolutionären Entwicklung, der die Biologie von Grund auf verändert hatte und den Preuß auch für sein Fach nutzbar machen will, um den Anschluß an die allgemeine Entwicklung nicht zu verlieren: Die Beseitigung aprioristischer Annahmen und Fiktionen sowie die Ersetzung der absoluten, einander in starrer Abgeschlossenheit gegenüberstehenden Begriffe durch eine entwicklungsgeschichtlich zu begreifende Reihe von Evolutionen einer Uridee, welche in einander greifen wie die Glieder einer Kette, – das ist das leitende Princip das sich in allen Aufstellungen der Genossenschaftstheorie äußert. Und indem man dieses Princip herausschält, kann man sich unmöglich der Wahrnehmung verschließen, daß die Jurisprudenz, da sie die Genossenschaftstheorie gebar, nur dem natürlichen Entwicklungsgange der modernen Wissenschaft überhaupt folgte, der allgemein von jenem Princip beherrscht wird. Die Beseitigung der aprioristischen Annahme und der absoluten Konstanz der Arten durch eine entwicklungsgeschichtlich zu begreifende Reihe von Evolutionen eines Urorganismus, – das ist das leitende Princip der neueren
83 Vgl. Th. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866–1918, Bd. I, 623ff.; zur interdisziplinären Debatte und ihrer Vielfalt siehe Gangolf Hübinger, Rüdiger vom Bruch und Friedrich Wilhelm Graf (Hrsg.), Kultur und Kulturwissenschaften um 1900 II. Idealismus und Positivismus, Stuttgart 1997. 84 Zu dieser Diskussion vgl. W. Fikentscher, Methoden des Rechts, Bd. III, 283ff. 85 Würzburg 1873. 86 Heute am bekanntesten ist Jellineks Allgemeine Staatslehre, deren erster (und einziger) Band erstmals 1900 als Das Recht des modernen Staates erschien. Aber auch von Richard Schmidt erschien ein mehrbändiges Werk; Allgemeine Staatslehre, 2 Bde., Leipzig 1901 und 1903. Ein weiteres Beispiel ist Albert Affolter, Grundzüge des Allgemeinen Staatsrechts, Stuttgart 1892. Vgl. als Übersicht M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts II, 438ff.
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Naturwissenschaft. So ist die Genossenschaftstheorie nichts andres als der Darwinismus der Jurisprudenz.87
Mit diesem Bekenntnis bezog Hugo Preuß eine klare methodologische und wissenschaftstheoretische Stellung. Aber zugleich wirft dies die Frage auf, warum er sich an dieser Stelle nicht auch stärker und positiver mit Rudolf von Jhering auseinandergesetzt hat. Denn dessen Zwecktheorie ist als Metatheorie der Rechtswissenschaften zugleich der Versuch, ein evolutionäres und „darwinistisches“ Verständnis der Rechtsentwicklung zu verteidigen. Diese Verbindungen muß Preuß trotz seiner Ablehnung der Zwecktheorie für die juristische Begriffskonstruktion gesehen haben, und dies macht es um so bemerkenswerter, daß er weder hierauf zurückgreift, noch sich überhaupt in diesem Kontext mit Jhering auseinandersetzt. Mehr noch als dessen Hauptwerk ist es ein kleiner Vortrag von 1872, Der Kampf ums Recht, in dem Jhering sein Bekenntnis zum Darwinismus ablegte. Der Erfolg von Jherings Vortrag war gewaltig. Knapp 20 Jahre nach seinem ersten Erscheinen war er in 17 Sprachen übersetzt, nach 50 Jahren waren 20 Auflagen erschienen, und selbst nach dem Zweiten Weltkrieg sind mehrere Ausgaben und zahlreiche Auflagen erschienen88. Für Jhering vermittelt „das Recht in seiner historischen Bewegung das Bild des Suchens, Ringens, Kämpfens“89, und dieser Kampf sei „eine Pflicht des Berechtigten gegen sich selbst“, in dem es um die Behauptung oder Preisgabe der Persönlichkeit gehe, zugleich aber auch „eine Pflicht gegen das Gemeinwesen“90, da nur in der Auseinandersetzung um das subjektive Recht auch das objektive Recht gestärkt und entwickelt werde. Man kann die Frage stellen, ob dies überhaupt als Darwinismus bezeichnet werden kann, und in der Tat ist bezweifelt worden, ob dieser Begriff auf Jhering zutrifft91. Sein dynamisches, entwicklungsorientiertes Rechtsverständnis dient nicht 87 „Gemeinde, Staat, Reich“, 234. Oder ebd., 127: „Die heutige Staatswissenschaft hat mit der heutigen Naturwissenschaft den principiellen Unterschied von den alten Schulen beider Disciplinen gemeinsam, daß sie die Erscheinungen des organischen Lebens nicht in absoluter Isolirtheit betrachten, daß sie die verschiedenen Arten nicht durch eine ewige unüberbrückbare Kluft von einander scheidet; sondern die Stufenleiter der Organismen in innigem Zusammenhange vom niedrigsten zum höchsten, vom engsten zum weitesten verfolgt.“ Und 143: „Andererseits jedoch ist die heutige Staatswissenschaft doch nur ein Zweig am Baume der modernen Wissenschaft; sie steht mit diesem Stamme in organischem Zusammenhange, und kann sich daher der Einwirkung der allgemeinen Denkgesetze nicht entziehen, welche die ganze moderne Wissenschaft durchdringen, und welche am schärfsten, geradezu bahnbrechend von der modernen Naturwissenschaft entwickelt sind.“ Vgl. auch „Ein Zukunftsstaatsrecht“, 419. 88 Die Angaben sind entnommen der „Vorbemerkung“ in Rudolf von Jhering, Der Kampf ums Recht, Bearb. von Alexander Hollerbach, Frankfurt a.M. 1967 (7. Aufl. 1989). Weitere Ausgaben erschienen in Darmstadt 1963, und in Freiburg i.B. 1992 (hrsg. v. Hermann Klenner). 89 R. v. Jhering, Der Kampf ums Recht, ed. Hollerbach, 10. 90 Beide Stellen ebd., 17 und 24. 91 Emphatisch gegen die Einordnung Jherings in den Sozialdarwinismus spricht sich aus Okko Behrends, Rudolf von Jhering und die Evolutionstheorie des Rechts, in: Günther Patzig (Hrsg.), Der Evolutionsgedanke in den Wissenschaften, Göttingen 1991 [Nachrichten der Akademie der
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dem Kampf als solchem, sondern dem Sieg des Rechts gegenüber dem Unrecht92. Wenn man allerdings die Anwendung darwinistisch-evolutionärer Gedanken auf soziale Zusammenhänge nicht als einen Überlebenskampf im „sozialdarwinistischen“ Sinne auffaßt, dann gibt es keinen Grund, Jherings Gedanken nicht gleichfalls in diesem Sinne einzuordnen, und so geschieht es auch in der Regel93. Allerdings läßt sich auch nicht verkennen, daß Jhering eine gewisse Naivität und philosophische Unschärfe im Umgang mit dem Gedankengut Darwins an den Tag legte94. Damit reiht er sich in eine große Zahl von Anhängern der darwinistischen Lehren außerhalb der Naturwissenschaften ein, die mit diesen modernen, um nicht zu sagen modischen, Gedanken operierten, ohne sie wirklich jenseits ihres Schlagwortcharakters anzuwenden. Es ist gut möglich, daß Hugo Preuß gerade deshalb sorgsam die engere Berührung mit dieser Theorierichtung vermied. Auch so wurde die Behauptung, die Genossenschaftslehre sei der Darwinismus der Rechtswissenschaft, von ihren Gegnern permanent mißverstanden. Es ging Preuß nicht um die Einführung naturwissenschaftlicher Methoden in die Staatsrechtslehre, sondern ihm war es darum zu tun, eine für alle modernen Wissenschaften gleichermaßen gültige Fortentwicklung von aprioristischem hin zu evolutionärorganischem Denken zu zeigen. Der Begriff des Organismus ist ein zentraler Begriff für die Genossenschaftstheorie – aber Hugo Preuß trennt ihn in aller gebotenen Klarheit von dem Organismusbegriff der Naturwissenschaften95. Es ist sehr fraglich, ob Preuß etwas übrig hätte für Versuche von Rechtstheoretikern des späten 20. Jahrhunderts, auf anthropologischer und naturwissenschaftlicher Basis evolutionäre Gedanken fruchtbar zu machen für die Rechtswissenschaft, da diese Arbeiten
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Wissenschaften in Göttingen. I. Philologisch-historische Klasse, Jg. 1991, Nr. 7], 290–310. Ebenso vom gleichen Autor Rudolf von Jhering, der Rechtsdenker der offenen Gesellschaft. Wolfgang Schild, Der rechtliche Kampf gegen das Unrecht. Reflexionen zu Rudolf von Jherings Vortrag ‚Der Kampf ums Recht‘, in: Gerhard Luf, Werner Ogris (Hrsg.), Der Kampf ums Recht. Forschungsband aus Anlaß des 100. Todestages von Rudolf von Jhering, Berlin 1995, 31–56. Vgl. etwa Th. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866–1918, Bd. I, 657; und W. Fikentscher, Methoden des Rechts in vergleichender Darstellung III, 240ff., der eine Parallele von Jhering zu Adam Smith zieht. Vgl. F. Wieacker, Ihering und der ‚Darwinismus‘. Siehe unter vielen Stellen nur „Entwicklung und Bedeutung des öffentlichen Rechts“, 1358f.: „Einst war die Gottesgelahrtheit die regina scientiarum; sie gab ihr Scepter ab an die Philosophie; und heute ist es die Naturwissenschaft, welche den Reigen der Musen führt. Hat der einst unsere Wissenschaft ihre Erfolge stets im Anschluß an die herrschende Geistesrichtung erzielt, so wird sie in unsern Tagen von der Methode und Auffassungsweise der Naturwissenschaft lernen können. Und in Wahrheit erscheint auch ihrem Gegenstande nach die Rechts- und Staatswissenschaft als die unmittelbare Fortsetzung der Naturwissenschaft, insonderheit ihres neuesten und fruchtbarsten Zweiges, der entwicklungsgeschichtlichen Forschung. Betrachtet diese die aufsteigende Reihe organischer Lebewesen vom Protoplasma bis zum Menschen, so setzt hier unsere Wissenschaft ein, welche die Beziehungen der Menschen zueinander und die Entwicklung der sich über die erhebenden Rechtsorganismen von der Familie bis hinauf zum Staate, ja zur internationalen Gemeinschaft zum Gegenstande hat.“
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genau die Grenzen verwischen, deren Aufrechterhaltung für Preuß wichtig war96. In sozialwissenschaftlicher Perspektive scheint es deshalb sinnvoller, sich von der engen und zeitgebundenen Begrifflichkeit Preuß’ zu lösen, um zum Kern seines Organismusgedankens vorzustoßen. Dann läßt sich feststellen, daß sein Organismus eng verbunden ist mit dem, was spätere Theoretiker als „System“ verstanden haben – auch dies letzten Endes ein Begriff, der aus der Biologie in die Sozialwissenschaften übergegangen ist. Die Verbindung der Glieder zu einem in sich zusammenhängenden Ganzen mit innerer Struktur, die Abgrenzung nach außen bei gleichzeitigem Kontakt mit einer Umwelt, die ihrerseits das System bzw. den Organismus beeinflußt und die Untersuchung der Wirkungsmechanismen einer als politische Entscheidungsstruktur verstandenen Einheit sind Merkmale sowohl moderner Systemtheorien97 wie des Preußschen Organismusverständnisses. Allerdings ist letzteres deutlich individueller gehalten und auf die Person im Verständnis von Preuß zugeschnitten, als es die stärker auf sozialer Abstraktion beruhenden Systemtheorien sind. Person und Körperschaft Das ganze 19. Jahrhundert hindurch hat sich die Rechtstheorie mit der Frage beschäftigen müssen, wer im rechtlichen Sinne als Person zu gelten habe. Ist nur der einzelne Mensch eine Person, oder kann auch eine Mehrheit von Menschen für rechtliche Zwecke als eine Person gelten? Heutige Definitionen, wonach „Person ist, wer Träger von Rechten und Pflichten (Rechtssubjekt) sein kann“98, helfen für ein Verständnis dieser Diskussion nicht weiter, auch nicht durch den Zusatz, daß dies für Menschen und juristische Personen zu gelten habe. Denn gerade darum, wer ein Träger dieser Rechte sein könne und was eine juristische Person sei wurde die Debatte geführt. An gleicher Stelle wird konstatiert, daß eine juristische Person eigene Rechtsfähigkeit besitze. Sie sei weder eine Fiktion noch eine reale Verbandsperson; statt dessen ist sie „durch begrenzte Analogie einer natürlichen Person 96 Vgl. Helmut Helsper, Die Vorschriften der Evolution für das Recht, Köln 1989; Ernst-Joachim Lange, Grenzen des Rechtspositivismus. Eine rechtsanthropologische Untersuchung, Berlin 1988; Uwe Wesel, Bemerkungen zu einer evolutionistischen Theorie des Rechts, in: Dieter Nörr, Dieter Simon (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Wolfgang Kunkel, Frankfurt a.M. 1984, 523– 562. Helsper versucht eine „Programmieranweisung“ (VII) der Evolution für das Recht auf verschiedenen Gebieten anzuwenden, Lange sucht nach naturwissenschaftlichen Grenzen dessen, was (positives) Recht sein kann, und Wesel untersucht Rechtstheorien ab der Urgesellschaft, wobei er sich unter anderem mit Marx auseinandersetzt, nicht aber mit Preuß, der ebensowenig wie Gierke erwähnt wird. 97 Vgl. Arno Waschkuhn, Politische Systemtheorie. Entwicklung, Modelle, Kritik. Eine Einführung, Opladen 1987. Zu Luhmanns Systembegriff siehe Walter Reese-Schäfer, Politische Theorie heute. Neuere Tendenzen und Entwicklungen, München und Wien 2000, 107ff. 98 Art. „Person“, in: Horst Tilch (Hrsg.), Deutsches Rechts-Lexikon, Bd. 2, 2. Aufl., München 1992, 1323.
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gleichgestellt“99. Diese Definition hält eine mittlere Position zwischen Savigny und Gierke und hätte vermutlich keinen der Zeitgenossen Preuß’ befriedigt. Ausgangspunkt der Auseinandersetzung ist Friedrich Carl von Savignys Überlegung: Jedes Rechtsverhältniß besteht in der Beziehung einer Person zu einer andern Person. Der erste Bestandtheil desselben, der einer genaueren Betrachtung bedarf, ist die Natur der Personen, deren gegenseitige Beziehung jenes Verhältniß zu bilden fähig ist. Hier ist also die Frage zu beantworten: Wer kann Träger oder Subject eines Rechtsverhältnisses seyn?100
Savigny beantwortet seine Frage unmittelbar darauf in eindeutiger Weise: Alles Recht ist vorhanden um der sittlichen, jedem einzelnen Menschen inwohnenden Freyheit willen. Darum muß der ursprüngliche Begriff der Person oder des Rechtssubjects zusammenfallen mit dem Begriff des Menschen, und diese ursprüngliche Identität beider Begriffe läßt sich in folgender Formel ausdrücken: Jeder einzelne Mensch, und nur der einzelne Mensch, ist rechtsfähig.101
Allerdings müsse dies sowohl eingeschränkt wie ausgeweitet werden. Zum einen nämlich können „manchen einzelnen Menschen die Rechtsfähigkeit ganz oder theilweise versagt werden“, und zum zweiten könne „die Rechtsfähigkeit auf irgend Etwas außer dem einzelnen Menschen übertragen, also eine juristische Person künstlich gebildet werden“102. Damit war der Maßstab gelegt; für Savigny gab es den Menschen und die künstlich geschaffene, ihm nachgebildete juristische Person, die als fiktive Person wie ein Mensch behandelt werden soll. Im Prinzip schloß sich Gerber diesem Gedanken an, wenn er in der juristischen Person „nur eine Wiederholung der natürlichen Persönlichkeit“ sah103, und Laband, für den es um die Abgrenzung der juristischen Person des Staates gegenüber anderen Rechtsformen ging, sah letztlich im eigenen Willen und in den selbständigen Herrschaftsrechten das Essentiale104. Dagegen stellte sich von Anfang an die Genossenschaftstheorie, in der die Verbandsperson als real existierende Person der natürlichen Person an die Seite gestellt wird. Eingeführt hat den Gedanken Beseler, ausgeführt hat ihn Gierke, und fortgeführt hat ihn Preuß105. Damit liegt der Schlüssel zum Verständnis des Organismusbegriffes und der ganzen Genossenschaftstheorie in dem Konzept der Person als des Trägers von 99 100 101 102 103
Art. „Juristische Person“, ebd., 596f. Friedrich Carl von Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, 2. Bd., Berlin 1840, 1. Ebd., 2. Beide zitierten Stellen ebd. Carl Friedrich Gerber, Ueber öffentliche Rechte, Tübingen 1852, 18: „Aber die juristische Person ist nur eine Wiederholung der natürlichen Persönlichkeit, so jedoch, daß sie nicht einmal vollständig die Kraft der letzteren in sich aufnehmen kann und soll, indem sie nur den Zweck hat, für einzelne juristische Bedürfnisse des Verkehrslebens eine Aushülfe zu gewähren.“ 104 P. Laband, Staatsrecht des Deutschen Reiches, 1. Bd., 5. Aufl., 56f. Der Gedanke ist zentral für die Labandsche Bundesstaatskonstruktion in Unterscheidung zum Staatenbund. 105 Vgl. die Ausführungen zur Theorie der juristischen Person in K. Schmidt, Einhundert Jahre Verbandstheorie, 12ff.
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Rechten. „Person“ ist für Hugo Preuß ein klar definierter Rechtsbegriff, der wenigstens für die Rechtswissenschaft, und nur um diese handelt es sich für ihn, nicht mit einem physischen Personenbegriff verwechselt oder auch nur in Verbindung gebracht werden darf. Im rechtlichen Sinne ist nicht jede Person ein Mensch, und nicht jeder Mensch ist eine Person. So ist ein Sklave zwar ein Mensch, aber keine Person, da ihm das für diesen Begriff entscheidende Merkmal fehlt: der eigene, einheitliche und rechtlich relevante Wille106. Eine „Person“ ohne subjektives Recht und ohne Willen ist undenkbar, aber trotzdem ist die Begriffsdefinition nicht als Realdefinition aus dem Wesen des Begriffes geschöpft, sondern erinnert in ihrer Anlage eher an die nominalistisch-soziologischen Begriffsbildungen von Max Weber107: Nach alledem ergiebt sich uns also als Begriff der Person: eine psychische Einheit, welche Trägerin einer vom Recht normirten Willenssphäre ist. Diese Einheit als solche ist willens- und handlungsfähig; sie ist in ihrer Existenz ebenso real und lebendig, wie der einzelne physische Mensch; denn dieser ist nicht wegen seiner körperlichen Erscheinung, sondern wegen seiner Willensfähigkeit eine Person. ... Und dieser einfache Begriff der Person ist ein und derselbe für alle Gebiete des Rechts.108
Die Person besitzt also eine reale rechtliche Existenz, sie ist ein Organismus, dessen Willenseinheit aus der Vielheit der beobachtbaren rechtlichen Einzelhandlungen geschlossen werdennmuß. Dies gilt für die Einzelperson an der Nahtstelle zwischen natürlichem und rechtlichem Organismus ebenso wie für die höher entwickelten und komplizierteren Gesamtpersonen – auch beim Menschen läßt sich seine Eigenschaft als Rechtssubjekt nicht unmittelbar messen oder „beobachten“, sondern nur aus seinen Handlungen schließen. Empirisch wahrnehmbar sind lediglich die Gliedmaßen und die äußeren Handlungen, nicht der antreibende einheitliche Wille109.
106 „Gemeinde, Staat, Reich“, 155. 107 Zur Begriffsbildung siehe Max Weber, Die ‚Objektivität‘ sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis (1904), in: ders., Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre. Hrsg. von Johannes Winckelmann, 7. Aufl., Tübingen 1988, 146–214. 108 „Gemeinde, Staat, Reich“, 160. Vgl. ebd., 152: „Wenn ... Recht die Abgrenzung der Willensmacht der Persönlichkeiten ist, so ist Persönlichkeit jeder Träger einer vom Recht normirten Willensmacht. Eine vom objektiven Rechte normirte Willensmacht nennt man ein subjektives Recht. Demnach ist Person jeder Träger subjektiver Rechte.“ Dies konnte aber neben dem Individuum auch die Gesamtperson sein, wenn man beide als Organismus auffaßte. 109 Dieser Gedanke findet sich oft bei Preuß, z.B. „Stellvertretung oder Organschaft? Eine Replik“, in: Iherings Jb., 44, 2. F. 8 (1902), 429–479, hier 438ff. Ebd., 442, sagt Preuß, daß man die Existenz eines Gesamtwillens in der Tat nicht direkt beweisen könne, aber: „Wer sich auf diese Unmöglichkeit eines exakten Beweises pochend, darauf versteift, die Existenz eines Gemeinwillens zu leugnen und bei der genau ebenso unbeweisbaren Existenz bloßer Einzelwillen stehen zu bleiben, der ist freilich nicht zu widerlegen. ‚Wer recht behalten will und hat nur eine Zunge, behält es stets.‘ Aber dies Recht behalten muß erkauft werden durch den völligen Verzicht auf eine innere geistige Erfassung des Wesens und der Entwickelung alles Rechts, ja des ganzen historischen Prozesses überhaupt.“
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Damit geht Preuß über einen anthropozentrischen Begriff des Willens stärker hinaus, als es heutige juristische Lehre zu tun bereit ist110. Das Kriterium des Willens führt dazu, daß Preuß keine Probleme damit hat, den gleichen Begriff der Person für das Individuum, für die aus Individuen zusammengesetzte Gesamtperson und für die aus Gesamtpersonen zusammengesetzte höhere Gesamtperson zu verwenden. Entscheidend für die Qualität der Person ist in jedem Falle die Existenz eines eigenen, rechtlich relevanten Willens mit Handlungs- und Deliktfähigkeit, der rechtlich abgegrenzt ist von anderen Willenssphären. Die Gesamtpersonen haben mithin die gleiche rechtliche, wenn auch nicht psychische Existenzform wie die Individualpersonen, sie sind nicht die Summe ihrer Teile, sondern eine neue organische Einheit des Willens über diesen Einzelwillen111. In gewisser Weise findet sich die Einheit des Personenbegriffs auch bei der von Preuß bekämpften romanistischen Personentheorie. Nur handelt es sich hier um die rechtstheoretische Reduzierung jeglicher Gesamtperson auf das Individuum, dem allein rechtlicher Stellenwert zugeordnet wurde. Diese Reduktion nahm aber der organisch-vielgestaltigen Gesamtperson nach Meinung Preuß’ gerade das, was ihre Besonderheit ausmachte. Statt einer realen Einheit in der Vielheit bleibt nur eine künstlich geschaffene Uniformität der persona ficta, und an diesem durch die theoretische Anlage nicht aufhebbaren Dilemma kranken denn auch alle offen oder verdeckt romanistischen Personentheorien112. Insofern war die apodiktische Eindeutigkeit von Savignys Begriff der Person zugleich die prägnanteste Ausdrucksform der auf dem Römischen Recht basierenden Theorie im 19. Jahrhundert. 110 Vgl. Art. „Wille“, in: Horst Tilch (Hrsg.), Deutsches Rechts-Lexikon, Bd. 3, 2. Aufl., München 1992, 1329: „Wille ist die Fähigkeit des Menschen, sich zu einem Verhalten auf Grund bewußter Motive zu entscheiden.“ 111 Zur Doppelnatur der Gesamtperson, die gleichzeitig Glied und Organ höherer Personen sein kann und andererseits die Elemente der Einheit und Vielheit in sich birgt, siehe „Gemeinde, Staat, Reich“, 239. Die individualistische Personentheorie sieht die Gesamtperson als Gegensatz ihrer Teile, die organische Theorie als ihre Einheit: „Eben deshalb aber ist wiederum gleich jedem Organismus auch die Gesammtperson nicht die Summe, sondern die organische Einheit ihrer Glieder. Darin liegt der wesentliche Unterschied der organischen von allen anderen Personentheorien, da letztere immer nur unzusammenhängende Personenmehrheiten begreifen können, weil sie, bewußt oder unbewußt, am Bilde des physischen Individuums haftend, in der Vielheit doch immer nur das unverbundene Nebeneinander von Einheiten sehen; während es für die organische Theorie nicht nur das Entweder-Oder der Individualeinheit und der unverbundenen Vielheit gibt, sondern daneben das Sowohl-Als-auch der zu organischer Einheit verbundenen Vielheit.“ ‚Stellvertretung oder Organschaft?‘, 453. 112 Vgl. „Gemeinde, Staat, Reich“, 132: „Der romanistischen Doktrin ist das Individuum nicht die einfachste, sondern einzig und allein die Person kat exochen; es giebt keine anderen Personen, im Verhältniß zu denen das Individuum die einfachste sein könnte; jede Person ist ein wirkliches oder ein fingiertes Individuum; kurz: die römische Person ist ein absoluter Begriff. Dagegen sieht die Genossenschaftstheorie das Individuum nie und nirgends als die Person schlechthin an, sondern stets und überall nur als das unterste Glied einer langen Kette von Persönlichkeiten; kurz: die germanisch-moderne Person ist ein relativer Begriff.“ Die Auseinandersetzung mit der persona ficta führt Preuß in „Stellvertretung oder Organschaft?“, 438ff.
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Besonders deutlich sichtbar werden die damit verbundenen Defizite für Preuß bei der Betrachtung der Gliedpersonen eines Organismus, die zugleich Organstellung in dieser Gesamtperson einnehmen: der Beamten. Preuß steht auch hier wieder in doppelter Frontstellung gegen die aus kaum verhüllten absolutistisch-privatrechtlichen Quellen schöpfende Theorie Seydels einerseits und gegen die Labandsche Lehre andererseits, die zwar die Staatspersönlichkeit anerkennt, diese aber sogleich auf eine künstliche Person reduziert. Seydels Herrschertheorie konstruiert die Stellung eines Beamten folgerichtig als eine privatrechtlich-vertragliche Bindung des betroffenen Individuums an den gleichfalls individuellen Herrscher. Aus dieser Bindung erwachsen Rechte und Pflichten, die aber stets rein vertraglich zu behandeln sind. Für Seydel beruft im Beamtentum ein Herrscher seine Diener; ein darüber hinaus reichendes Interesse des Staates gibt es nicht und kann es auch nicht geben, denn dieser Staat ist wiederum das Quasi-Eigentum seines Herrschers113. Weniger drastisch in der Argumentation, aber im Ergebnis ähnlich führt auch Labands Verständnis der Beamtenschaft letztlich zur Vertragstheorie, die wiederum ein Resultat seiner individualistischen Personenlehre ist114. Demgegenüber beginnt Preuß nicht bei einer Koordination von Dienstherr und Beamten, aus der sich dann in der Tat nur Vertragsverhältnisse konstruieren ließen, sondern bei der Subordination der Organpersonen unter die Gesamtperson, der sie als Gliedpersonen angehören. Das Organ einer Gesamtperson und die das Amt bekleidende Organperson sind klar voneinander zu trennen. Die Berufung einer Gliedperson zu einer Organperson ist denn auch kein zweiseitiger Akt, sondern eine einseitige Handlung der Gesamtperson, und zwar auch dann, wenn hierzu die Zustimmung der Gliedperson erforderlich ist. Ob diese Bestellung durch Wahl oder durch Ernennung erfolgt, ist dabei unerheblich. Als Organpersonen üben Beamte Handlungen aus, die jedoch letztlich die Handlungen der Gesamtperson selbst sind. Dies war für Preuß ein direkter Ausfluß seines Personenbegriffes. Die Beamten haben die Pflicht, sich als Organpersonen zu verhalten und das subjektive Recht auf Bekleidung der Organstellung, in die sie durch die Gesamtperson berufen sind. Alles dies ist für Hugo Preuß Ausfluß der Herrschaft der Gesamtperson über ihre Gliedpersonen; Vertragsverhältnisse im Sinne von Seydel oder Laband sind bei diesen ungleichen Ausgangspositionen apriori ausgeschlossen. Immer wieder kommt Preuß in seinem „Städtischen Amtsrecht“, dem der Aufsatz „Über Organpersönlichkeit“ thematisch vorausgeschickt wurde, auf die Probleme zurück, die sich aus der Stellung der Beamten ergeben. Die Zuordnung der Beamten zu Reich, Staat oder Kommune ergibt sich für ihn daraus, in wessen Kompetenz ihre Organfunktionen fallen115. Mit dieser pragmatischen, die Hoheit des 113 Vgl. M. Seydel, Grundzüge einer allgemeinen Staatslehre, 59ff. 114 P. Laband, Staatsrecht des Deutschen Reiches, 1. Bd., 394. Zur Preußschen Kritik an beiden Ansätzen „Städtisches Amtsrecht“, 78f. und passim. 115 Städtisches Amtsrecht, 209. Zur Eigenschaft einer Gliedperson als Organperson durch rechtsverbindliche Berufung zu Organfunktionen ebd., 353. Zur Gleichwertigkeit von Wahl und Ernennung ebd., 380, vgl. 392f., 422 und 436f. zur strengen Einseitigkeit dieses Aktes ebenso
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Staates nicht achtenden oder auch nur beachtenden Auffassung hatte sich Preuß einmal mehr von der herrschenden Lehre seiner Zeit entfernt116. Der Preußsche Personenbegriff hatte zu einer einheitlichen Bewertung von Einzelpersonen und Gesamtpersonen geführt. Und doch hatte die Betrachtung der Organpersonen einer Gesamtperson und ihrer Bestellung einen neuen unterscheidenden Begriff eingeführt: den Begriff der Herrschaft. Hierbei handelt es sich für Hugo Preuß um einen spezifisch sozialrechtlichen Begriff; „die ‚Herrschaft‘ ist das charakteristische Verhältniß, in welchem die Gesammtpersonen des Sozialrechts zu ihren Gliedpersonen stehen“117. Diese rechtliche Überordnung macht aus den Gliedpersonen keine willenlosen Objekte und Untertanen, sondern sie begründet ein gegenseitiges Rechts- und Pflichtverhältnis. Individualrechtliche Beziehungen können niemals Herrschaft im modernen rechtsstaatlichen Sinne begründen, da alle individuellen Rechtssphären einander gleichgeordnet sind. Nur im Sozialrecht der Gesamtpersonen kann von Herrschaft die Rede sein, da nur hier die Überordnung des höheren Gesamtwillens über die einzelnen Gliedwillen und selbst über ihre Summe Platz greift. Herrschaft ist also immer ein rechtliches Überordnungsverhältnis: Obrigkeitliche Funktionen sind Ausfluß eines Gewalt- oder Herrschaftsverhältnisses, der Überordnung eines Willens über andere Willen. ... Den Einzelwillen übergeordnet ist nur der sie umfassende Gemeinwille, ein anderer Einzelwille ausschließlich in der Eigenschaft eines Organwillens, als rechtsverbindliche Manifestation des Gemeinwillens. Nur das Gemeinwesen also, aber auch alle Gemeinwesen herrschen über die Gemeindeangehörigen genau so wie der Staat innerhalb seiner Zuständigkeit über die Staatsangehörigen. Da obrigkeitliche Funktionen nun eben Ausflüsse dieser ausschließlich den Gemeinwesen eigenen Herrschaft d.h. Willensüberordnung sind, können sie nicht an Individualpersonen als solche, sondern nur an Organpersonen übertragen werden.118
wie der Entlassung. Zur möglichen Koordination auf vermögensrechtlichem Gebiet ebd., 84ff. Und allgemein 298: „Nach der hier vertretenen Grundanschauung wurzelt das amtliche Gewaltverhältnis in der Angehörigkeit der Einzelperson zur Gesamtperson als dem elementaren Gewaltverhältnis. Es ist eine in ihrer Extensität beschränkte, in ihrer Intensität gesteigerte Angehörigkeit einer Einzelperson zu einer Gesamtperson. Der Einzelne steht als Gliedperson in dem elementaren Gewaltverhältnis der Angehörigkeit zur Gesamtperson; die zu amtlichen Funktionen berufene Gliedperson steht als Organperson in dem gesteigerten amtlichen Gewaltverhältnis zur Gesamtperson. Die Grenze beider Sphären innerhalb desselben Individuums ist durch die Grenze zwischen gliedschaftlichen und organschaftlichen Funktionen gegeben.“ Alle diese Auffassungen Preuß’ waren sowohl in der verwaltungswissenschaftlichen Theorie wie von der preußischen Verwaltungspraxis seiner Zeit heftig umstritten. 116 Zur Entwicklung der Verwaltungsrechtswissenschaft siehe M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts II, 381ff.; v.a. 412 zur Beamtenproblematik und der herrschenden Lehre. Vgl. auch Kurt G. A. Jeserich, Die Entwicklung des öffentlichen Dienstes 1871–1918, in: ders., Hans Pohl, Georg-Christoph von Unruh (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte. Bd. 3: Das Deutsche Reich bis zum Ende der Monarchie, Stuttgart 1984, 645–677. 117 „Gemeinde, Staat, Reich“, 181. 118 „Städtisches Amtsrecht“, 375. Und ebd., 376: „Obrigkeitlich aber sind alle diejenigen Funktionen, in denen die stärkere, einseitig bindende Kraft des übergeordneten Gemeinwillens den ihm
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Auch diese Definition ist im Lichte des Gegensatzes zu Seydel einerseits und zu Laband andererseits zu sehen. Für Seydel war Herrschaft ein persönliches Attribut des Inhabers der Souveränität, ein Essentiale seines auf den Herrscher ausgerichteten allgemeinen Staatsbegriffes. Laband stimmt zwar prinzipiell dem „sozialrechtlichen“ Charakter der Herrschaft zu, möchte sie aber allein dem Staate reserviert sehen als ein Merkmal, das ihn von der Gemeinde unterscheidet. Damit fällt Labend zwangsläufig in quasi-individualistische Gedankengänge zurück, während es für Preuß demgegenüber gerade ein Merkmal der strukturellen Gleichheit von Gemeinde und Staat ist, daß sie beide als Gesamtpersonen über ihre Gliedpersonen herrschen. Diese Gegensätze haben nicht nur rechtstheoretische Bedeutung, sondern vor allem politischen Gehalt: Die Verbindung zu demokratischen, gegen den Obrigkeitsstaat gerichteten Strukturen ist wesentlich einfacher von der Preußschen Ausgangsbasis herzustellen als von dem durch Seydel und Laband bevorzugten Herrschaftsbegriff. Zu Preuß’ Verständnis von Herrschaft gehört die Willensbildung politischer Gesamtheiten hinzu, und dies erlaubt den Übergang zu einer demokratischen Legitimation, der in den rechtstheoretischen Abhandlungen Preuß’ nicht ausgesprochen wird, der aber trotzdem dahinter steht. Die Legitimation als Grundlage von Herrschaft ist auch dort, wo es in juristischen Termini ausgedrückt wird, ein beständiger Hintergrund von Preuß’ Denken. Auch in diesem Aspekt steht er den sozialwissenschaftlichen Überlegungen Max Webers näher als denen seiner engeren Fachkollegen, für die das Problem der Legitimation von Herrschaft allenfalls auf einem oberflächlichen, die Monarchie rechtfertigenden Niveau existierte, ansonsten aber als „politisch“ aus ihren staatsrechtlichen Überlegungen methodisch ausgeschieden war. Nach der Revolution wies Preuß auf die psychologischen Momente von Herrschaft hin. Herrschaft bedeute nicht Befehlen, sondern daß der Befehl Gehorsam finde, und das geschehe nur solange, wie die Legitimität der Herrschaft von den Massen anerkannt wird. Der Hintergrund für diesen neuen, nicht-juristischen Herrschaftsbegriff dürfte der schnelle Verlauf der Revolution von 1918 sein, als die alten Machthaber keine Verteidiger ihrer Herrschaft mehr fanden119. Inhaltlich ist erneut die Verbindung zu Max Weber deutlich120. eingegliederten Einzelwillen gegenübertritt; nicht obrigkeitlich diejenigen, in denen das Gemeinwesen den Einzelpersonen als rechtsgleich, als Quasi-Individuum gegenübertritt, und für die demgemäß das zweiseitige Rechtsgeschäft des Vertrages Rechte und Pflichten zu schaffen vermag.“ Zur Herrschaft als rein sozialrechtlicher Kategorie vgl. „Gemeinde, Staat, Reich“, 171, 188 und 254f. und „Selbstverwaltung, Gemeinde, Staat, Souveränität“, 234f., wo Preuß sich von Laband abgrenzt. „Reich und Länder“, 99, bezeichnet Herrschaft im Rechtssinne als Willensüberordnung. 119 Vgl. „Vom Obrigkeitsstaat zum Volksstaat“, in: G. Anschütz et al. (Hrsg.), Handbuch der Politik, 3. Aufl., 3. Bd., Berlin u. Leipzig 1921, 16–26, hier 16: „Der einzelne kann wider seinen Willen Untertan der Obrigkeit sein, die über ihm ist; die Masse ist es nur, wenn und solange sie untertänig sein will, weil sie sich als Untertan der gegebenen Obrigkeit fühlt.“ 120 Gleich im ersten Absatz seiner Ausführungen über die Formen legitimer Herrschaft weist Max Weber darauf hin, daß die Bereitschaft zum Gehorchen ein Teil des Herrschaftsverhältnisses
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Dies führt zu den letzten noch zu untersuchenden Grundbegriffen der Preußschen Genossenschaftslehre; zu den Erscheinungsformen der Gesamtpersonen als Genossenschaft, Anstalt und Körperschaft. Alle drei Begriffe spielen auch heute eine Rolle, aber lediglich in einem engen, rechtstechnisch verstandenen Sinne121. Für Preuß und Gierke sind sie die zentralen Bausteine ihres rechtsphilosophischen Denkens. Die Genossenschaft bildet ihren Willen als Gesamtperson von innen heraus als Einheit über der Vielheit der Einzelwillen der Genossen; alle ihre Organe sind ausschließlich ihre eigenen Organe, geschaffen für die eigenen Zwecke der Genossenschaft aus ihrer Mitte. Demgegenüber ist die Anstalt in der Zusammenfassung der Einzelwillen unter einem von außen her einigend wirkenden Willen begründet; die Persönlichkeit, die auch ihre Organe belebt, stammt nicht aus der Verbindung der Einzelpersonen. Elemente aus beiden eigentlich entgegengesetzten Bildungsprinzipien können sich in der Körperschaft verbinden: Das Wesen der Körperschaft besteht darin, daß sie die organische Einheit einer Personenvielheit darstellt; daß sie die Willenseinheit dieser Vielheit ist. Bildet sich diese Einheit von innen heraus; ist der sie beherrschende Wille ausschließlich ein ihr immanenter, so erscheint die Körperschaft als die Vollendung der reinen Genossenschaftsidee. Möglich ist es aber auch, daß die Körperschaft sowohl in ihrer Gestaltung aus der Vielheit als in der Bethätigung ihrer Herrschaft über die Vielheit beeinflußt wird von einem außer ihr stehenden, ihr transcendenten Willen; – in diesem Falle ist sie keine rein genossenschaftliche Bildung, sondern sie nimmt in ihr Wesen neben den genossenschaftlichen anstaltliche Elemente auf.122
Diese Preußsche Definition ist klarer und befriedigender und somit auch einfacher handhabbar als die Begriffsbestimmungen, die Otto von Gierke in seiner Begründung der Genossenschaftslehre vorgenommen hatte123. Genossenschaftliches und anstaltliches Prinzip bezeichnen die beiden Gegensätze immanenter und transzendenter Willensbildung, in der Verdichtung der Genossenschaft alten Stils zur Körperschaft können sich auch anstaltliche Elemente beimengen. Letzteres gilt aber nur gegenüber umfassenderen Körperschaften: Genau wie Herrschaft für Preuß eine sei; Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie, 5. Aufl., Tübingen 1980 (erstmals 1922), 122. 121 In Horst Tilch (Hrsg.), Deutsches Rechts-Lexikon, Bd. 2, 2. Aufl., München 1992, wird unter Genossenschaft lediglich „eine Rechtsform des Kapitalgesellschaftsrechts“ (Art. „Genossenschaft“, 113–115) verstanden. Körperschaften sind definiert als „mitgliedschaftlich organisierte, rechtsfähige Verbände öffentlichen Rechts, die hoheitliche Aufgaben selbstverantwortlich unter staatlicher Aufsicht wahrnehmen“ (Art. „Körperschaften des öffentlichen Rechts“, 687f.). Und die Anstalt wird mit Rückgriff auf den Verwaltungsrechtler und Preuß-Zeitgenossen Otto Mayer verstanden als „ein Bestand von sächlichen und persönlichen Mitteln, welche in der Hand eines Trägers öffentlicher Verwaltung einem besonderen öffentlichen Zweck dauernd zu dienen bestimmt ist“ (Art. „Öffentliche Anstalt“, 1209–1211, hier 1209). Zu Mayer siehe M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts II, 403ff.; und v.a. Reimund Schmidt-De Caluwe, Der Verwaltungsakt in der Lehre Otto Mayers, Tübingen 1999. 122 „Gemeinde, Staat, Reich“, 249. 123 Zu den Wandlungen des Gierkeschen Körperschafts- und Genossenschaftsbegriffs siehe sein Genossenschaftsrecht, 2. Bd., 866. Vgl. auch, mit weiteren Nachweisen aus den Schriften Gierkes, M. Dreyer, Föderalismus, 378f.
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strikt sozialrechtliche Kategorie ist, lassen sich auch Körperschaften niemals anstaltlich einem Individualwillen unterwerfen, sondern stets nur einem anderen Gemeinwillen einer höheren Körperschaft. Völlig ausgeschlossen war es für Preuß natürlich auch, den Staat als Anstalt aufzufassen, wie es in anderer Definition Albrecht in seiner 1837er Maurenbrecher-Rezension getan hatte, und wie es unter Preuß’ Zeitgenossen der führende Verwaltungsrechtler Otto Mayer verfocht124. Mit seinem begrifflichen Instrumentarium war es Preuß möglich, zu einer allgemeinen Staatslehre, oder, wie man wohl besser sagen sollte, zu einer allgemeinen Theorie der Gesamtpersonen zu gelangen. Er unterscheidet gewillkürte und gewordene Körperschaften, zu welch letzteren alle politischen Körperschaften gehören. Und in dieser letzten Kategorie stehen neben den Abstammungskörperschaften wie Familie, Stamm und Volk eben auch „Gemeinde, Staat, Reich als Gebietskörperschaften“, bei denen das Gebiet ihr entscheidendes Substrat ist: Demnach ist Gebietskörperschaft: eine gewordene Körperschaft, welche, entstanden durch die Wechselwirkung eines genossenschaftlichen und eines dinglichen Verdichtungsprocesses, eine persönliche und eine dingliche Rechtseinheit in organischer Durchdringung umschließt; und Gebiet ist eine dingliche Einheit des Sozialrechts, welche in ihrem Entstehen und Bestehen mit der Verdichtung einer Genossenschaft zur körperschaftlichen Einheit unlöslich verknüpft ist.125
Körperschaften und speziell Gebietskörperschaften können sich umfassenderen Körperschaften eingliedern und ihnen gegenüber anstaltliche Elemente aufnehmen, ohne daß damit ihre prinzipielle Gleichheit berührt wäre126. Die Unterschiede, die zwischen ihnen bestehen, sind graduelle Unterschiede innerhalb des Körperschaftsbegriffes und keine prinzipiellen, begrifflichen Unterschiede. Das Gebiet ist ihre gemeinsame Eigenschaft, und da das Gebiet für Preuß im Begriff der Gemeinde ebenso wie in dem des Staates bereits mitgedacht ist, kann es nicht umgekehrt zur Begründung der Souveränität des Staates herangezogen werden – noch in den 124 E. Albrecht, Besprechung zu R. Maurenbrecher, 1491; Otto Mayer, Die juristische Person und ihre Verwertbarkeit im öffentlichen Recht, in: Wilhelm van Calker et al., Staatsrechtliche Abhandlungen. Festgabe für Paul Laband zum fünfzigsten Jahrestage der Doktor-Promotion, Tübingen 1908, 1. Bd., 1–94, hier 53f.. Vgl. auch R. Schmidt-De Caluwe, Der Verwaltungsakt in der Lehre Otto Mayers, 67. 125 „Gemeinde, Staat, Reich“, 321. Zur Unterscheidung zwischen gewordener und gewillkürter Körperschaft ebd., 260; zur Unterscheidung der gewordenen Körperschaft in Abstammungsund Gebietskörperschaft ebd., 284. Das Bundesverfassungsgericht versteht unter Gebietskörperschaft lediglich eine Kombination von bestimmtem Gebiet, gesetzlicher Mitgliedschaft, Gebietshoheit und unmittelbarer Organwahl; vgl. Art. „Gebietskörperschaft“, in: Horst Tilch (Hrsg.), Deutsches Rechts-Lexikon, Bd. 2, 2. Aufl., München 1992, 13. 126 Vgl. „Gemeinde, Staat, Reich“, 257: „So erscheinen denn Gemeinde, Staat und Reich als Körperschaften, deren rechtliche Natur eine Mischung genossenschaftlicher und anstaltlicher Elemente aufweist. Diese Mischung ist eine graduell verschiedene und abgestufte, indem die anstaltlichen Momente in der Gemeinde stärker, als im Staate; im Staate stärker als im Reiche hervortreten. Aber irgend eine generische Klassifikation unter jenen drei Erscheinungsformen der Gemeinschaftsidee läßt sich hierauf nicht begründen. ... Gemeinde, Staat und Reich sind also Körperschaften und nichts weiter als Körperschaften.“ (Hervorhebung von Preuß)
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posthum erschienenen Verfassungskommentaren Reich und Länder hält Preuß an seiner Theorie der Gebietskörperschaften ebenso unverändert fest wie an seiner dadurch begründeten Ablehnung des Souveränitätsbegriffes127. Damit schließt sich der Kreis von der Individualperson zur Gebietskörperschaft, in dem die theoretischen Grundbegriffe des Preußschen Rechtsdenkens umschlossen sind. Sie bilden ein in sich geschlossenes System von rechtlichen Kreisen, das zwar ganz anders gelagert ist als Labands gleichfalls im Anspruch umfassender Rechtsbegriff, das aber nicht minder erschöpfend wirkt. Angesichts der zentralen Rolle der Körperschaft im Aufbau und Bezug der einzelnen Rechtskreise aufeinander läßt sich die Frage aufwerfen, warum der gesamte theoretische Ansatz von Preuß nicht als „Körperschaftstheorie“ bezeichnet wurde. Die innere Berechtigung, die zum Namen „Genossenschaftstheorie“ führt, wird deutlich, wenn man sich den immanent und eminent politischen Gehalt der von Preuß auf den ersten Blick rein juristisch vorgetragenen Begriffsbestimmungen vor Augen hält. Genossenschaft, Anstalt und Organismus Genossenschaft und Anstalt sind für Hugo Preuß nicht einfach nur theoretisch entwickelte Gegensatzpaare, die den möglichen immanenten und transzendenten Willen bei Gesamtpersonen kennzeichnen und die in verschiedenen Mischungsverhältnissen zu einer Körperschaft verbunden werden können. Sie bezeichnen gleichzeitig als Kurzformel einander entgegengesetzte politische Entwicklungen in Geschichte und Gegenwart. Das genossenschaftliche Prinzip beruht auf der Selbstorganisation der Gesamtpersonen von unten nach oben, wobei die Wahl das prinzipielle Mittel der Organbestellung ist. Das anstaltliche Prinzip, dessen reinste Verkörperung Preuß wie Gierke in der katholischen Kirche sehen, beruht auf der Einrichtung von oben nach unten vermittels eines alles durchdringenden Willens. Die Genossenschaft mündet im Rechtsstaat und der Demokratie128, die Anstalt im Absolutismus, und damit war es für Preuß klar, welchem Prinzip die Zukunft gehörte. Der absolutistische Staat hatte die komplexe Vielfalt organisch gewachsener genossenschaftlicher Rechtsverhältnisse aufgelöst in der einfacher zu handhabenden Einheit der römischen absoluten Person. Der anstaltliche ländliche Herrschaftsverband hatte den Sieg über die korporativen Genossenschaften der Städte davongetragen, 127 Vgl. „Reich und Länder“, 60: „Da das Gebiet ein integrierender Wesensbestandteil im Subjekt jeder Gebietskörperschaft ist, kann es nicht Objekt eines Rechts, einer ‚Hoheit‘ jenes Subjekts sein, in dessen Begriff es bereits enthalten ist.“ 128 „Städtisches Amtsrecht“, 13: „Das Problem ist nicht: Freiheit der Persönlichkeit oder fortschreitende organisatorische Rechtsordnung; vielmehr: die Sicherung persönlicher Freiheit, und zwar nicht nur der Einzelpersonen, sondern auch der Gesamtpersonen, also der Gemeinden und darüber hinaus auch der Staaten, durch eine fortschreitende organisatorische Rechtsordnung. Das ist der Leitgedanke des Rechtsstaats; die organisatorische Abgrenzung der persönlichen Willenssphären durch eine immer weiter fortschreitende Ausgestaltung der objektiven Rechtsordnung.“ Vgl. auch ebd., 41, und „Bodenbesitzreform als sociales Heilmittel“, 4.
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und die theoretische Begründung für die damit verbundene Verschiebung von politischer Macht und rechtlicher Legitimität hatte das Souveränitätsprinzip geliefert. Aufgabe der modernen rechtsstaatlichen Entwicklung war es nun, das Souveränitätsprinzip und den anstaltlichen Absolutismus abzulösen durch die Ausbreitung genossenschaftlicher Gestaltung der Gesamtpersonen129. Wie der anstaltliche Absolutismus an das römische Recht anknüpft, so die organische Genossenschaftslehre an die mittelalterlichen Korporationen. Gleichwohl handelt es sich bei ihr im Verständnis von Gierke und Preuß um eine von Grund auf moderne Lehre; ihr rechtsstaatliches Denken nimmt nicht einfach alte Ansätze auf, sondern ist zusammen mit dem modernen Verfassungsstaat erst entstanden130. „Organisch“ ist die Lehre von Gierke und Preuß nicht wegen der Übernahme naturwissenschaftlicher Analogien, sondern wegen der Behauptung eines eigenen rechtlichen Lebens – und zwar nur rechtlichen Lebens – für alle Klassen von Personen, seien es Individual- oder Gesamtpersonen. Jeder Organismus ist sich selbst sein eigener Zweck, er ist mithin „zwecklos“, er ist kein Mittel zum Zweck für einen Dritten. Die organische Lehre steht also, wie bereits erwähnt, im Gegensatz zur Zwecktheorie, die notwendig ein zwecksetzendes Subjekt annehmen muß131. Sie wendet sich gegen die Atomisierung aller sozialen Bindungen durch das römische Privatrecht, indem sie den organischen Charakter der Gesamtpersonen betont132. Sie kritisiert die Methodik der herrschenden Gerber/Laband-Schule, deren Begriffsjurisprudenz den politischen Tatsachen des modernen Staates nicht gerecht wird133. Bereits oben ist der Begriff des Organismus mit modernen systemtheoretischen Ansätzen verglichen und in eine historische Linie gebracht worden. Es scheint eine weitere Verbindungslinie zu kommunitaristischen Ansätzen zu geben, die sich vor allem auf die gemeinsame Betonung realer politischer und sozialer Gemeinsamkeiten stützt134. Eine solche modernisierende Sicht wäre aber verfehlt, denn es geht 129 Vgl. u.a. „Entwicklung des deutschen Städtewesens“, 127 u. 145; „Reich und Länder“, 36; „Naturgesetze der Politik“, in: Der Zeitgeist, Beiblatt zum BT, Nr. 2 (11.1.1892); und Art. „Gemeinde“, in: Handwörterbuch der Kommunalwissenschaften, hrsg. v. J. Brix et al., 2. Bd., Jena 1922, 186–198, hier 192. 130 Vgl. „Gemeinde, Staat, Reich“, 138; „Entwicklung und Bedeutung des öffentlichen Rechts“, 1351. 131 „Weil also der Staat selbst das Subjekt ist, das sich seine Aufgaben und Zwecke stellt, weil die Staatszwecke aus der staatlichen Selbstbestimmung fließen, deshalb versagt die teleologische Betrachtung, sobald sie ihre immanente Schranke überschreiten und über die Selbstbestimmung des konkreten Staates hinaus auf einen begrifflichen Zweck des Staates an sich zurückgehen will; denn sie läßt damit die ihr unentbehrliche Voraussetzung, das zweckbewußte Subjekt, hinter sich.“ ‚Über Organpersönlichkeit‘, 570. 132 Vgl. „Gemeinde, Staat, Reich“, 138, 141 u. 143. 133 Vgl. „Gemeinde, Staat, Reich“, 176f.; „Selbstverwaltung, Gemeinde, Staat, Souveränität“, 236; und „Stellvertretung oder Organschaft?“, 431: „Denn Laband unter den Organikern ist ein Saul unter den Propheten.“ 134 Als Überblick zum Kommunitarismus siehe Walter Reese-Schäfer, Grenzgötter der Moral. Der neuere europäisch-amerikanische Diskurs zur politischen Ethik, Frankfurt a.M. 1997; Rainer
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Preuß gerade nicht um eine inhaltlich bestimmte Form des guten Lebens. Sein Organismusbegriff bleibt ein formaler Begriff in Recht und Politik, der nicht auf konkrete Inhalte festgelegt werden kann, sondern der qua seiner Formalität ohne weiteres mit liberalem Individualismus und Pluralismus vereinbar ist. Die Auseinandersetzung mit den Gegnern der Organismuslehre war aber nur ein Teil des oftmals in deutliche Polemik abgleitenden Kampfes, der von Gierke und Preuß geführt wurde. Mit noch größerem Unmut reagierten beide, wenn diese Gegner einzelne Begriffe der Gierke/Preußschen Theorien übernahmen und bedenkenlos in ihre auf ganz anderer Grundlage stehenden Gebäude einfügten. Das konnte nicht gut gehen, da die Einzelteile der organischen Lehre eben keine beliebigen Versatzstücke waren, sondern in einem systematischen Zusammenhang zueinander standen135. Die oberste Priorität aber besaß für Preuß die Abgrenzung von anderen Lehren, die sich organisch nannten und deren Vokabular der Genossenschaftstheorie zumindest ähnlich war. Zu dem Zeitpunkt, als Hugo Preuß sich mit dem Organismusbegriff zu befassen begann, konnte dieser bereits auf fast ein Jahrhundert vielfältiger Entwicklungen zurückblicken. Wenn gelegentlich alle Denker, die den Begriff „organisch“ verwendeten, als zusammengehörig betrachtet werden, ist dies eine kaum zulässige Verallgemeinerung136. Vorsicht ist vor allem bei vielen theoretischen Versuchen von Staatsrechtslehrern aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts angebracht. In dieser Zeit ist zwar nicht der Organismusgedanke, wohl aber der Organismusbegriff weithin gebräuchlich, und zwar als Reaktion auf den älteren Positivismus von Moser, Pütter und den Rationalismus in der deutschen Staatslehre des 18. Jahrhunderts. Mit dieser organischen Wende vollzog die politische Philosophie eine Entwicklung, die sich in der allgemeinen Philosophie schon angekündigt hatte – und zwar Forst, Kontexte der Gerechtigkeit. Politische Philosophie jenseits von Liberalismus und Kommunitarismus, Frankfurt a.M. 1996; sowie Axel Honneth (Hrsg.), Kommunitarismus. Eine Debatte über die moralischen Grundlagen moderner Gesellschaften, 2. Aufl., Frankfurt a.M. und New York 1994. 135 Vgl. „Über Organpersönlichkeit“, 557: „Wenn sich in unserer heutigen Publizistik die Terminologie als präciser Ausdruck der Grundgedanken bewähren würde, so könnten die Anhänger der organischen Staatstheorie zufrieden sein; ihre Anschauung wäre dann die nahezu allein herrschende. Von Organisation, von organischen Rechtsverhältnissen, von Organen spricht beständig ungefähr die ganze Publizistik.“ Und zwar eben auch die Gegner der organischen Lehre, und „nur ausnahmsweise hält man die logische Thatsache fest, daß Organe nur ein Organismus besitzen kann“, ebd., 558. Und an gleicher Stelle: „Jene Ausdrücke sollen dann nur die Bedeutung von Analogien oder Bildern haben; und da sie nicht zu der heterogenen Grundanschauung passen, so werden es eben schiefe Bilder, für deren Schiefheit die Schuld aber seltsamerweise der organischen Theorie aufgebürdet wird. Zum Dank dafür, daß man ihre Terminologie geplündert hat, sagt man ihr Bilderspielerei, Unklarheit, wenn nicht gar Gedankenarmut nach.“ 136 So etwa Peter von Oertzen, Die soziale Funktion des staatsrechtlichen Positivismus, Frankfurt a.M. 1974, 114ff. Differenzierter Dankmar Ambros, Über Wesen und Formen organischer Gesellschaftsauffassung, in: Soziale Welt, 14 (1963), 14–32.
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nicht erst bei Fichte, Hegel und Schelling137, sondern bereits bei Kant, für den „(e)in organisiertes Produkt der Natur ... das (ist), in welchem alles Zweck und wechselseitig auch Mittel ist“138. Damit ist ein für alle späteren organischen Staatstheorien konstituierender Bestandteil angesprochen: die ganzheitliche Betrachtungsweise aller Phänomene, in denen Zweck und Mittel ein dialektisches Verhältnis eingehen und sich zu höherer Einheit verschmelzen. Gleichfalls bei Kant findet sich auch schon eine terminologische Frühform des Organismusbegriffes: So hat man sich ... (in der Französischen Revolution, MD) des Worts Organisation häufig für Einrichtung der Magistraturen u.s.w. und selbst des ganzen Staatskörpers sehr schicklich bedient. Denn jedes Glied soll freilich in einem solchen Ganzen nicht bloß Mittel, sondern zugleich auch Zweck, und, indem es zu der Möglichkeit des Ganzen mitwirkt, durch die Idee des Ganzen wiederum, seiner Stelle und Funktion nach, bestimmt sein.139
Der wissenschaftliche Zeitgeist empfand diese Worte anscheinend auch als „sehr schicklich“, drückten sie doch die Abkehr von der analytischen Staatsauffassung des Rationalismus und die Hinwendung zu einer als synthetisch empfundenen Betrachtungsweise aus. Der Gedanke der staatlichen Ganzheit, die qualitativ über die Summe ihrer Teile hinausragt, zugleich aber auch in eben diese Teile organisch und naturgegeben gegliedert ist, ist allen synthetischen Staatstheoretikern des 19. Jahrhunderts zu eigen140. Dieses einigende Band ist aber flexibel genug, um Raum für erhebliche Differenzen zu lassen. Es war naheliegend, gegenüber den Postulaten des zeitlosen Rationalismus die Staaten als „geschichtliche Naturgebilde“141 zu apostrophieren. Die Wechselbindung von Geist und Materie wurde schon 1805 von Johann Baptist Nibler als organisch bezeichnet: 137 V.a. letzterer diente als Vorbild für viele weitere organologische Versuche, z.B. Constantin Frantz, Schelling’s positive Philosophie, nach ihrem Inhalt, wie nach ihrer Bedeutung für den allgemeinen Umschwung der bis jetzt noch herrschenden Denkweise, für gebildete Leser dargestellt, 3 Bde., Cöthen 1879 und 1880. 138 Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft, B 296, A 292 (ed. Wilhelm Weischedel in 10 Bden., Darmstadt 1983, 8. Bd., 488). Vgl. auch die Definition von Joseph Held, Art. „Organisation“, in: Staats-Lexikon, 3. Aufl., 11. Bd., Leipzig 1864, 40–52, hier 41: „In dem Ausdruck „Organismus“ liegt der Begriff eines aus verschiedenen Elementen zusammengesetzten und zwar so zu einer lebendigen und selbständigen Einheit verbundenen Körpers, daß dieser Körper zur Erhaltung, Ausbildung und Fortpflanzung seines Wesens eben durch diese lebendige organische Einheit befähigt ist. Die Desorganisation für den fraglichen Körper beginnt folglich da, wo die bezeichnete Einheit aufhört, wenn auch aus dieser Desorganisation selbst wieder neue organische Gestaltungen hervorgehen. Unorganisch oder das Gegentheil eines Organismus aber ist alles, was überhaupt ohne die vorhin bezeichnete Art von Zusammensetzung oder Einheit besteht.“ 139 I. Kant, Kritik der Urteilskraft, B 294, A 290, Anm. 140 Vgl. D. Ambros, Wesen und Formen organischer Gesellschaftsauffassung, 15f. 141 Friedrich Schleiermacher, Ueber die Begriffe der verschiedenen Staatsformen. Vorgelesen den 24. März 1814, in: Sämmtliche Werke. Dritte Abtheilung: Zur Philosophie. Zweiter Band, Berlin 1838, 246–286, hier 248.
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2. Die demokratische Genossenschaftstheorie Jede Sonne, organischer Theil des All, und selbst organisch in sich, wird zugleich Centralpunkt eines Organismus, des Planetensystems. Kein Planet ist für sich selbständig; losgerissen aus seinem Verbande mit allen übrigen, wäre er nichts. Er ist durch alle, und alle sind durch ihn. – Der Planet macht sich wieder zum Centrum eines neuen Organismus – des Trabantensystems – Er selbst aber ist in sich wieder organisch. Kurz! das Ganze ist eine Stufenleiter von Organismen. Alles, auch das kleinste, ist organisch, und Theil eines größeren Organismus.142
Es ist unverkennbar, daß hier Platonisches Gedankengut über die Sphärenharmonie ebenso zum Tragen kommt wie die Kantsche Zweck/Mittel-Relation und der Gedanke der Unselbständigkeit der Glieder eines Organismus, die zugleich selbst wieder Organismen sind. Letzteres gilt auch für den Staat, der ein aus Menschen zusammengesetzter Organismus und zugleich organischer Teil des Universums ist143. Auf dem Umweg über die organische Arbeitsteilung innerhalb des Staates fügt es sich wie natürlich, daß der monarchische Herrscher aus dem organischen Wesen des Staates selbst gerechtfertigt wird: Jeder Organismus braucht einen Vereinigungspunkt, und dieser Punkt ist der Monarch144. Der Begriff des Organismus war damit in die Diskussion eingeführt, und er diente zunächst gleichermaßen Liberalen wie Mohl und Welcker, einem Reaktionär wie Vollgraff und dem offiziellen Vokabular des Deutschen Bundes145. Dennoch blieb es letztlich den Liberalen vorbehalten, sich den Organismusbegriff in besonderem Maße zu eigen zu machen, obwohl gerade unter ihnen prominente Denker und Politiker wie Klüber, Jordan und Rotteck lange am klassisch-naturrechtlichen Rationalismus festgehalten hatten. Als typisch für die normativ-liberale Auffassung kann die Staatsdefinition gelten, die Welcker im Staatslexikon gegeben hat: Der Staat ist der selbständige organische Verein eines Volks. Oder vollständiger die wesentlichen Merkmale bezeichnend ...: er ist die organische freie moralisch persönliche souveräne Vereinigung eines Volks, um unter der Leitung der grundgesetzlich und constitutionellen Regierung die rechtliche Freiheit und innerhalb derselben die Bestimmung und dadurch das Wohl des ganzen Volks zu verwirklichen.146
142 Johann Baptist Nibler, Der Staat aus dem Organismus des Universums entwickelt. Ein Versuch, Landshut 1805, 86f. 143 Ebd., 109. 144 Ebd., 131. 145 Robert Mohl, Encyklopädie der Staatswissenschaften. Der zweiten umgearb. Aufl. zweite Ausg., Freiburg i.B. und Tübingen o.J. (1872; erstmals 1859), 29ff.; Carl Theodor Welcker, Art. „Staat“, in: Staats-Lexikon, 3. Aufl., 11. Bd., Leipzig 1865, 502–541; Karl Vollgraff, Die Systeme der praktischen Politik im Abendlande, 4 Bde., Gießen 1828/29, z.B. 1. Bd., 94ff. In der Bundesakte von 1815 ist mehrfach die Rede von „organischen Bundeseinrichtungen“ (z.B. Art. 6 und Art. 7) oder von „organischen Gesetzen“ (Art. 8). 146 C.Th. Welcker, Art. „Staat“, 504. Die Hauptbestandteile des Staates sind demnach (a) eine Verfassung, (b) ein Volkskörper freier Bürger und (c) eine Regierung – also eine rein normative Definition. Ähnlich auch schon Welckers Art. „Staatsverfassung“, in: Staats-Lexikon, 15. Bd., Altona 1843, 21–82.
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Diese Gedanken waren weit verbreitet; für Dahlmann ist der organische Staatsaufbau eine kaum erwähnenswerte Selbstverständlichkeit147, und die beiden führenden staatsrechtlichen Werke des Deutschen Bundes, die mehrbändigen Arbeiten von Zöpfl und H.A. Zachariä, gehen ohne weitere Diskussion vom historisch gewachsenen organischen Charakter von Staat und Recht aus148. Für Waitz „(empfängt) (d)er Staat als Organismus ... seine Ordnung, das Gesetz seines Lebens, nicht von außen, sondern trägt sie in sich“149, nämlich das Recht, wobei das Volk die organische Gliederung der Menschheit ist, der Staat die Organisation des Volkes. Der durchgängige Erfolg dieser frühen liberalen Organismuslehre läßt sich auch an der Terminologie ihrer Gegner zeigen. Stahls monarchisches Prinzip ist explizit anti-liberal, gehört aber mit der Betonung der Geschichtlichkeit und der Zusammenfügung der Glieder in einem höheren Dritten in das Umfeld des Organismusgedankens150. Wenn Stahl sich vom Organismusbegriff bewußt absetzt und für sein System statt dessen die Bezeichnung „sittliches Reich“ prägt, so liegt dies daran, daß der Organismusbegriff terminologisch vom Liberalismus in Beschlag genommen worden war. Ähnliches gilt für Constantin Frantz, den Hauptadvokaten eines Staat und Gesellschaft organisch verbindenden Föderalismus im 19. Jahrhundert. Er setzt sich sowohl vom Liberalismus als auch vom organischen Gedanken ab und nennt sein System – das so organisch wie nur irgendeines ist – eine Naturlehre oder Physiologie der Staaten151. Das Ende der liberalen, organischen Rechts- und Staatslehre kommt mit dem Siegeszug der Gerber/Laband-Schule. Nur vereinzelte staatsrechtliche Organiker verteidigten auch im Umfeld der Gründung von Norddeutschem Bund und Kaiserreich noch ihren Ansatz, darunter Fricker, Mohl und besonders Hermann Schulze, der in lebhafter Auseinandersetzung mit Gerber stand152. Die erfolgreicheren Argumente hatte jedoch letzterer: 147 Friedrich C. Dahlmann, Die Politik, auf den Grund und das Maß der gegebenen Zustände zurückgeführt, 1. Bd., 2. verb. Aufl., Leipzig 1847 (erstmals 1835). 148 Vgl. Heinrich Zöpfl, Grundsätze des allgemeinen und deutschen Staatsrechts, 2 Bde., 4. Aufl., Heidelberg und Leipzig 1855/56 (erstmals unter anderem Titel 1841; 5. Aufl. 1863); Heinrich Albert Zachariä, Deutsches Staats- und Bundesrecht, 2 Bde., 2. Aufl., Göttingen 1853/54 (erstmals in 3 Bden. 1841–1845; 3. Aufl. 1865 und 1867). Vgl. zu beiden P.v. Oertzen, Soziale Funktion, 115f. 149 Georg Waitz, Grundzüge der Politik nebst einzelnen Ausführungen, Kiel 1862, 9. 150 Vgl. M. Dreyer, Föderalismus, 135f. 151 Von Constantin Frantz siehe v.a. „Vorschule zur Physiologie der Staaten“, Berlin 1857; „Die Naturlehre des Staates als die Grundlage aller Staatswissenschaft“, Leipzig und Heidelberg 1870; und „Der Föderalismus als das leitende Princip für die sociale, staatliche und internationale Organisation, unter besonderer Bezugnahme auf Deutschland, kritisch nachgewiesen und constructiv dargestellt“, Mainz 1879. Frantz grenzt seine Gedanken in allen diesen Werken verbal von der Organologie ab. 152 Hermann Schulze, Ueber Princip, Methode und System des deutschen Staatsrechts, in: Aegidis Zeitschrift, 1. Bd., H. 4 (1867), 417–451, hier 425: „Nur wenn wir vom Grundgedanken des staatlichen Organismus ausgehen, empfangen die denselben constituirenden Glieder ihre gehörige Stellung und Würdigung; denn jeder Organismus enthält verschiedenartige Glieder, die
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2. Die demokratische Genossenschaftstheorie Unter den begrifflichen Mitteln, deren sich die philosophirende Staatsbetrachtung zur Klarstellung des innersten Wesens des modernen Staats bediente, spielt keines eine so hervorragende Rolle, als die in dem Worte ‚Organismus‘ liegende Gedankenformel. Der Staat, sagte man, stelle einen Organismus dar, er habe eine Reihe seinem Selbstzweck dienender Organe, die Verbindung des Volks und seiner Gesellschaftskreise im Staate sei eine organische. Nicht leicht hat in der Wissenschaft eine Formel so großen und nachhaltigen Beifall gefunden als diese. Bald sprach man von einer ‚organischen Staatsauffassung‘ und erblickte darin ein völlig neues staatspolitisches System. Bei manchen Schriftstellern dieser Art ist ‚organisch‘ das dritte Wort, wo irgend etwas im Umkreise der Staatsbetrachtung zu erklären, tiefer in seiner Lebensfülle zu erfassen ist, glauben sie den vollen Gedankenabschluß zu bieten, wenn sie Jenes für ‚organisch‘ erklären. Man kann sagen, daß dieses mystische Wort auf Viele einen fast räthselhaften Zauber ausgeübt hat.153
Gerber wandte sich damit sowohl gegen die staatsrechtliche Variante des Organismusdenkens wie gegen stärker philosophisch geprägte Versuche seit der Romantik. Diese war „nicht nur Kunstrichtung, sondern Welt- und Lebensauffassung schlechthin“154, und spätestens Schelling machte die Gegenüberstellung von organischem und kausal-mechanischem Denken zum Topos. Der Staat soll auf natürliche Art aus den unteren Gliederungen hervorwachsen, insbesondere aus der Familie und den Ständen155. Trotz einhelliger Ablehnung des Vertragsgedankens herrschte unter den Romantikern keine Einigkeit darüber, welcher natürliche Organismus als Vorbild des Staates angesehen werden soll: Ist der Staat ein Baum (Fichte), ein Mensch (Novalis), eine Familie (Müller) oder ein Universum (Burke und erneut Müller)? Diese Flut von Bildern und Analogien blieb für wissenschaftliche Untersuchungen unfruchtbar; für Carl Schmitt war die romantische Vieldeutigkeit „subjektivierter Occasionalismus“156. An der Nahtstelle zwischen romantischem Organismusverständnis und wissenschaftlicher Rationalität stand Carl August Eschenmayer, der 1820 den Staat zwar
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sich wechselseitig ergänzen, von denen keines eine selbständige Existenz für sich hat, und die (sic) er selbst bedarf, um dieser Organismus zu sein. Durch den organischen Charakter des Staates werden Haupt und Glieder in ihrer wechselseitigen Stellung, in ihrer staatlichen Funktion mit Nothwendigkeit bestimmt.“ Ähnlich auch in seiner „Einleitung in das deutsche Staatsrecht mit besonderer Berücksichtigung der Krisis des Jahres 1866 und der Gründung des norddeutschen Bundes“, Neue Ausgabe, Leipzig 1867. Vgl. in diesem Zusammenhang v.a. Karl Fricker, Ueber die Bedeutung der organischen Staatsauffassung für das Staatsrecht. Tübinger Inauguralrede vom 8.3. 1866, in: ZfgS, 22 (1866), 427–440; Joseph Held, Staat und Gesellschaft vom Standpunkte der Geschichte der Menschheit und des Staats. Mit besonderer Rücksicht auf die politisch-socialen Fragen unserer Zeit, 3 Bde., Leipzig 1861–1865, und R. Mohl, Encyklopädie der Staatswissenschaften, 2. Aufl., alles passim. Carl Friedrich Gerber, Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrechts, 3. Aufl., Leipzig 1880, 218f. Jakob Baxa, Einführung in die romantische Staatswissenschaft, Jena 1923, 7. Zum Ständestaat bei Müller und Friedrich Schlegel vgl. ebd., 85 und 115. Carl Schmitt, Politische Romantik, 2. Aufl., München und Leipzig 1925 (erstmals 1919; 1917/18 geschr.), 23.
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vom leiblichen Organismus schied, ihn aber „dem geistigen Organismus des Menschen ähnlich“157 sah und daraus weitreichende Folgerungen zog: Wie in dem Individualleben der Mensch ein Kindes-, Knaben-, Jünglings-, Mannes- und Greisenalter hat, so finden wir es auf gleiche Weise in dem Totalleben der Menschheit. Und wie das Individuum während dieser Altersstufen seine Anlagen und Kräfte nach einem allgemeinen Evolutionsgesetz entfaltet, so finden wir das Gleiche wieder im Universalleben der Menschheit. Nur sind bei dem Individuum Jahre, was bei dem Völkerleben Jahrhunderte sind.158
Dieser Gedanke ist typisch für idealistisch-organologische Theorien, er findet sich in ähnlicher Form bei Bluntschli, Frantz und sogar Welcker159, der sonst wenig mit dieser Geistesrichtung gemein hat. Der Vergleich mit dem natürlichen Organismus des Menschen geht so weit, daß den menschlichen Lebensaltern entsprechende Phasen des Staates analog sein sollen – bis hin zu Geburt und Tod. Am weitesten sind auf diesem Weg die Gebrüder Rohmer und, ihnen folgend, Johann Caspar Bluntschli gegangen. Bluntschli ordnete jeder der nach Rohmer angeblich 16 körperlichen und geistigen Elementareigenschaften des Menschen eine Entsprechung im Staatskörper zu: das Auge (in Rohmer/Bluntschlis Terminologie eine weibliche Geisteskraft) fand sein Pendant in der Schule, der Geschlechtssinn (eine männliche Gemütskraft) in der Völkerrechtspflege160. Als Ganzes genommen sollte der Staat dem Bild des Mannes, die Kirche der Frau entsprechen – einer gedeihlichen Ehe stand nach Bluntschli nichts im Wege. Bluntschlis Analogien zeigten die Sackgasse, in die eine der Romantik entstammende idealistische Organismuslehre geraten war und die auch für andere, unabhängig von ihm entstandene Werke erkennbar war161. Diese intensiven Vergleiche und Analogien waren Wasser auf die Mühlen der Gegner organischen Rechtsdenkens, und auch Preuß spricht im Zusammenhang mit Rohmer und Bluntschli von
157 Carl August Eschenmayer, Normal-Recht, 2 Bde., Stuttgart und Tübingen 1819/20, hier 2. Bd., 344. 158 Ebd., 1. Bd., 131. 159 Johann Caspar Bluntschli hat diesen Gedanken vielfach propagiert; vgl. hier nur seine „Psychologische Studien über Staat und Kirche“, Zürich und Frauenfeld 1844, und „Charakter und Geist der politischen Parteien“, Nördlingen 1869. Er bezog diese Gedanken v.a. aus Theodor Rohmer, Die vier Parteien, Zürich 1844, 16ff. Vgl. auch Carl Theodor Welcker, Die letzten Gründe von Recht, Staat und Strafe philosophisch und nach den Gesetzen der merkwürdigsten Völker rechtshistorisch entwickelt, Gießen 1813, 13ff; Constantin Frantz, Ueber Gegenwart und Zukunft der Preußischen Verfassung. Neudruck der Ausgabe Halberstadt 1846 nebst einem Brief des Verfassers an Immanuel Hermann Fichte aus dem Jahre 1846. Hrsg. v. Hans Elmar Onnau. Mit einer Einleitung von Udo Sautter, Siegburg 1975, 5. 160 J.C. Bluntschli, Psychologische Studien, 226f. Bluntschlis schematische Darstellung der „Grundeigenschaften“ ist wiedergegeben in M. Dreyer, Föderalismus, 147. 161 Vgl. August Winter, Die Volksvertretung in Deutschlands Zukunft, Göttingen 1852; Carl Levita, Die Volksvertretung im repräsentativen Staate der Gegenwart, Leipzig 1850; Peter Conradin von Planta, Die Wissenschaft des Staates, oder Die Lehre von dem Lebensorganismus, 2. verb. Aufl., Chur 1852.
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2. Die demokratische Genossenschaftstheorie
„staatswissenschaftliche[m] Mysticismus“162. Er mußte immer wieder darauf zurückkommen, daß sein Organismusbegriff ein rein rechtswissenschaftlicher war, daß seine Lehre ohne Anleihen aus den Naturwissenschaften auskam und daß das Spiel der Analogien alles mögliche sein mochte, aber nicht Rechtswissenschaft in dem von ihm propagierten Sinne. Trotzdem war es erst der Aufschwung der Naturwissenschaften, und hier besonders der Darwinistischen Biologie, der auch dem organischen Denken einen neuen Ansatzpunkt gab, der uns direkt zu den Zeitgenossen von Preuß führt. Mit einer bis ins Detail gehenden Präzision hat vor allem Albert Schäffle, einer der Mitbegründer der deutschen Soziologie, das Vorbild des natürlichen Organismus auf den Staat übertragen. Sein vielbändiges Hauptwerk nennt das Programm schon im Titel; Bau und Leben des socialen Körpers. Encyclopädischer Entwurf einer realen Anatomie, Physiologie und Psychologie der menschlichen Gesellschaft mit besonderer Rücksicht auf die Volkswirthschaft als socialen Stoffwechsel163. Schäffle unterscheidet „drei Reiche des Daseins und Wirkens“164, die aber wiederum untereinander verbunden sind: das anorganische, das organische oder pflanzlich-tierische und als höchste Form des Lebens das soziale Reich. Für den Organismus ist die Zelle die Basis, im sozialen Körper ist die Familie die „untheilbare vitale Socialeinheit“165. Das Individuum existiert real nur innerhalb einer Familie, die als letztes organisches und erstes soziales Gebilde somit an einer entscheidenden Nahtstelle steht. Aus diesen Zellen und aus fünf „Grundgeweben“ setzt sich nun alles weitere zusammen: Nach Masse, Mischungsverhältniß und Verbindungsform verschiedenartige Zusammensezungen (sic!) aus den Grundgeweben sind das, was wir Organe des Gesellschaftskörpers heißen. Aus Niederlassung, Schuzvorrichtungen, Haushaltseinrichtungen, Geschäftsvorkehrungen und aus Geweben für leitende geistige Thätigkeit sehen wir alle socialen Organe, die wir auch Gesellschaftseinrichtungen, Anstalten, Institutionen nennen können, zusammengesezt. Aus bestimmten Massen dieser Organe sind weiter die socialen ‚Organsysteme‘, die der
162 Gemeinde, Staat, Reich, 139. Ganz ähnlich auch „Entwicklung und Bedeutung des öffentlichen Rechts“, 1358. Besonders ausführlich ist „Bluntschli und Lieber“, in: VjVPK, 23:1, 89. Bd. (1886), 60–80, hier 74: „Es sind merkwürdige Dinge, die man in dieser Lehre erfährt; besonders die 4 mal 4 seelischen Grundkräfte und ihre Gruppierung, für welche Bluntschli einige erstaunliche Tabellen aufstellt. Allerdings wird man bei näherem Eingehen manche Wahrheit und manche treffende Beobachtung im einzelnen finden. Aber mag der Inhalt sein welcher er wolle, die Form der Lehre ist für dieselbe allein schon tötlich; denn sie stellt die Ernsthaftigkeit des Publikums auf eine allzu harte Probe. ... Das schmeckt doch bedenklich nach der Hexenküche, und fordert die schlimmste Kritik, herzliches Lachen geradezu heraus; selbst wenn man bei tieferem Eindringen einen gewissen Sinn hinter den unsinnigen Worten finden sollte.“ Aufgegriffen wurden diese Absurditäten etwa von dem Positivisten Albert Th. van Krieken, Ueber die sogenannte organische Staatstheorie. Ein Beitrag zur Geschichte des Staatsbegriffs, Leipzig 1873. 163 Erschienen in 4 Bden., Tübingen 1875 und 1878. 164 A. Schäffle, Bau und Leben des socialen Körpers, 1. Bd., 11. 165 Ebd., 56.
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Volkswirthschaft und der Geselligkeit, die Institutionen der Schule, des Staates, der Wissenschaft, der Kunst und der Religion gebildet. In verschiedenen Arten und Mengen verknüpft, je wie es die verschiedenen Aufgaben erheischen, ergeben Gewebezusammensezungen verschiedene zu abweichenden Verrichtungen befähigte Organe, welche den verschiedenen Widerständen des socialen Lebens je in geeigneter Weise entgegenzutreten vermögen. Die Organe und ihre Verrichtungen sind äußerlich selbst nur Massen, Formen und Richtungen physischer Stoffe und Bewegungen.166
Die weiteren Ausführungen Schäffles folgen dem eingeschlagenen Pfad mit großer Beharrlichkeit und bemühen sich, für jeden sozialen Vorgang ein biologisches Analogon zu finden, wobei sich Schäffle allerdings dagegen wehrt, als Organiker bezeichnet zu werden. Die biologischen Vergleiche dienten nur der Verdeutlichung, sie seien kein konstitutiver Teil seines Systems167. Schäffles Gedanken gehen von einer wohlgeordneten Ganzheit von einzeln nicht lebensfähigen Teilen aus und sind damit so organisch wie nur irgendeine Staatslehre. Ein Rivale Schäffles in der minutiösen Anpassung an biologische Bilder ist Paul von Lilienfeld, dem in seinen Gedanken über die Socialwissenschaft der Zukunft die „menschliche Gesellschaft als realer Organismus“ erscheint168. Umfassender als bei Lilienfeld ist das Programm dieser Denkrichtung nicht möglich: Es kann überhaupt in der organischen oder anorganischen Natur keine Erscheinung geben, für welche nicht ein Analogon in der menschlichen Gesellschaft aufzufinden wäre.169
Lilienfelds System gipfelt in der Religion als natürlicher Ergänzung der Naturwissenschaft. Die realgenetische Lehre und die induktive Methode seien auch hier fruchtbar; alles steuere hin auf Christus als die „gotterleuchtete Centralzelle des Menschheitsorganismus“170, die Kirche ist „ein aus Nervenelementen und Zwischenzellensubstanz bestehender realer Organismus“, und endlich: Das Christenthum ist seinem Wesen nach eine sociale Psychophysik in höchster Potenz, oder mit anderen Worten eine socialpsychologische Metaphysik.171
166 Ebd., 731f. 167 Vgl. A. Schäffle, Abriß der Soziologie. Hrsg. mit einem Vorwort von Karl Bücher, Tübingen 1906, 5. In diesem posthumen Werk wollte Schäffle eine vollständige Systematik der Soziologie durchführen „und hierbei die Krücken der biologisch-psychologischen Analogien (als Veranschaulichungs- und Pfadfindungsmittel) völlig wegwerfen“. Es gäbe zahllose weitere Stellen dieser Art. 168 Die 5 Bde. des Werkes haben die Titel „Die menschliche Gesellschaft als realer Organismus“ (Mitau 1873), „Die socialen Gesetze“ (Mitau 1875), „Die sociale Psychophysik“ (Mitau 1877), „Die sociale Physiologie“ (Mitau 1879) und „Die Religion, betrachtet vom Standpunkte der real-genetischen Socialwissenschaft, oder: Versuch einer natürlichen Theologie“ (Hamburg und Mitau 1881). 169 Ebd., 3. Bd., 63. 170 Ebd., 5. Bd., 66. 171 Ebd., 492 und 499.
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2. Die demokratische Genossenschaftstheorie
Alle organischen Theoretiker dieses Schlages172 zeichnen nur einen Weg nach, der erstmals von Herbert Spencer173 gegangen worden war. Die Vergleiche mit dem „natürlichen“ Organismus der Biologie wurden immer mehr vertieft, die organischen Analogien immer detaillierter durchgeführt, ohne daß das Grundproblem überwunden werden konnte: Ein Vergleich, wie einleuchtend er auch immer sein mag, ist nicht geeignet, Erkenntnis zu vermitteln. Er bleibt singulär und illustrativ, und dies dürfte auch ein Grund dafür sein, warum man bei der doch beachtlichen Zahl von Organologen nicht von einer eigentlichen Schule sprechen kann. Jeder von ihnen verfolgte seine eigenen Vergleiche in seiner eigenen Terminologie, zu einer fruchtbaren Diskussion kam es nicht. Dies wurde auch nicht durch die verbreitete Anlehnung an die Darwinsche Terminologie erreicht. Bereits für Schäffle ist „die fortschreitende Gesellschaftsbildung (Civilisation) ... das höchste Ergebniß der vervollkommnenden Auslese der menschlichen Daseinskämpfe“174. Und wenn Schäffle auch schon von sozialem Parasitismus spricht, blieb es doch einer neuen Generation von Organikern vorbehalten, die biologische Evolution zum Sozialdarwinismus umzuwandeln, und zwar in einem ganz anderen Sinne, als dem von Hugo Preuß bei der Berufung auf Darwin gemeinten. Zumindest für die österreichischen Sozialdarwinisten um Hellwald, Gumplowicz und Ratzenhofer war das traumatische Erlebnis von Königgraetz ein auslösender Faktor für die fatalistischen Lehren vom Kampf ums Dasein175. Der Staat ist für diese Auffassung ein Naturprodukt, das als Endresultat einer langen Kette von Verdrängungskämpfen steht – und das doch zugleich den Beginn einer neuen Form des Kampfes markiert, innerhalb des Staates und zwischen den Staaten. Die Vervollkommnung der Lebewesen, die nach Hellwald den Menschen zum höchsten Tier macht176, erfolgt nicht friedlich, sondern unter einem wahren Dschungelgesetz: 172 Ein weiteres, sehr ähnliches Beispiel wäre René Worms, Organisme et société, Paris 1895; ders., Die Soziologie: Wesen, Inhalt und Beziehung zu anderen Wissenschaften, Karlsruhe 1926. Zu Worms vgl. den kurzen Abriß seiner Theorie bei F.W. Coker, Organismic Theories of the State, New York 1910, 170–180. 173 Herbert Spencer, Social statics: or, The conditions essential to human happiness specified, and the first of them developed, London 1851, war seine erste Schrift, der noch zahlreiche Werke folgen sollten. Vgl. F.W. Coker, Organismic Theories, 124ff. 174 A. Schäffle, Bau und Leben des socialen Körpers, 2. Bd., 55. Für weitere Nachweise vgl. M. Dreyer, Föderalismus, 367. 175 Hierzu generell Hans-Günther Zmarzlik, Österreichische Sozialdarwinisten. Ein Beitrag zur Brutalisierung des politischen Denkens im späten 19. Jahrhundert, in: Der Donauraum, 19 (1974), 147–163. 176 Friedrich von Hellwald, Culturgeschichte in ihrer natürlichen Entwicklung bis zur Gegenwart, Augsburg 1875, 5 und 9. Vgl. ebd., 1: „Die ganze unendliche Welt ist aus denselben, nicht geschaffenen und nicht vertilgbaren Stoffen zusammengesetzt und wird von denselben unvertilgbaren Kräften getragen, welche von den einzelnen Atomen bis zu der unermeßlichen Menge von ungeheuren Weltkörpern nach denselben Gesetzen wirksam sind und in der Größe ihrer Gesammtwirkung unverändert erhalten bleiben. Mit anderen Worten: der Stoff, die Materie ist unsterblich, ewig; sie hat von jeher bestanden, sie wird und muß in alle Zukunft
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„Das Recht des Stärkeren ist ein Naturgesetz.“177 Es findet sich auch bereits der Gedanke, daß die Vermischung der menschlichen Rassen zu einem Niedergang der höheren Völker führen müsse – der Übergang von organisch-biologischem Staatsdenken über sozialdarwinistische Theorien hin zu den Rasselehren eines Gobineau und Chamberlain kündigt sich an. In Deutschland vermochten die biologischen Staatstheorien zunächst nur wenige Anhänger zu gewinnen. Es blieb Einzelgängern wie Wilhelm Schallmayer vorbehalten, gegen die „einseitig-individualistische Richtung der herrschenden Humanität“178 und für eine „Nationalbiologie“ einzutreten, die eine Verbesserung des Erbgutes zum Ziele hat. Aber selbst bei Schallmayer ist es noch eher der Kampf der Völker ums Dasein, der propagiert wird, noch nicht der „völkische Daseinskampf“179. Der Versuch, politisch-rechtliche Verhältnisse mit naturwissenschaftlichen Analogien zu fassen, war für Preuß der wissenschaftlich-methodische Kardinalfehler der Vermengung von Grundbegriffen aus gänzlich voneinander getrennten Bereichen der Wissenschaft. Die scharfe Polemik, die er dagegen führte, erklärt bestehen; ohne sie ist die Welt überhaupt nicht denkbar; sie ist unerschaffen wie sie unzerstörbar ist; an Menge und Qualität bleiben die sie bildenden Grundstoffe an sich stets dieselben und für alle Zeiten unabänderlich; die Materie ist, gleich wie in der Zeit so auch im Raume unbegränzt, unendlich.“ Der Satz leitet das Werk ein. 177 Ebd., 27. Ähnlich die Ideen Gustav Ratzenhofers, vgl. H.-G. Zmarzlik, Österreichische Sozialdarwinisten, 155. 178 Wilhelm Schallmayer, Vererbung und Auslese im Lebenslauf der Völker, 2., durchwegs umgearb. und verm. Aufl., Jena 1910, 219. Vgl. ebd., 258f.: „Unter den heutigen Verhältnissen wirkt die kriegerische Gruppenselektion bei den Kämpfen zwischen Völkern, die derselben Hauptrasse angehören und auch bei Kämpfen zwischen zwei an geistiger Begabung nicht sehr verschiedenwertigen Hauptrassen, wie zwischen der weißen und der gelben, nicht mehr zuverlässig zugunsten des an Erbqualitäten tüchtigeren Gegners. Wenn sonach die Gruppenselektion durch den Krieg mit Zunahme der Kultur viel von ihrem einstigen biologischen Wert eingebüßt hat, so ist der Krieg immerhin auch heute noch von gewaltiger selektiver Bedeutung, indem er die Ausbreitung der für Aneignung und Fortbildung höherer Kultur begabteren Menschenrassen zur Folge hat, stark heruntergekommene Zweige der Menschheit ausmerzt und so das Gesamtniveau der psychischen Begabung der Menschheit entweder erhöht oder doch vor dem Sinken bewahrt. Ohne Krieg gäbe es keine Gewähr gegen eine starke Verschlechterung der Erbqualitäten beliebig großer Teile der Menschheit und auch ihrer Gesamtheit.“ Stellen dieser Art sind typisch für diese Denkrichtung. Zu Schallmayer siehe auch seine „Beiträge zu einer Nationalbiologie. Nebst einer Kritik der methodologischen Einwände und einem Anhang über wissenschaftliches Kritikerwesen“, Jena 1905, die von einem starken Sendungsbewußtsein – man könnte auch sagen: Größenwahn – des Autors zeugen. 179 So etwa bei Paul Krannhals, Das organische Weltbild. Grundlagen einer neuentstehenden deutschen Kultur, 2 Bde., München 1936 (fortlaufend paginiert, erstmals 1928), 165: „Völkischer Daseinskampf! Denn alles Leben – und so auch der Staat als Lebensform der Volksgemeinschaft, ist in seiner Auseinandersetzung mit der ständig wechselnden Außenwelt (Umwelt) und mit den ihm widerstreitenden Fremdelementen innerhalb des Organismus ein ständiger Kampf um die Selbstbehauptung.“
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2. Die demokratische Genossenschaftstheorie
sich außer der notwendigen inhaltlichen Abgrenzung auch daraus, daß seine systemtheoretisch orientierte Organismuslehre regelmäßig mit dem Hinweis auf die extremen Verfechter eines naturwissenschaftlich entlehnten Organismusbegriffes angegriffen wurde180. Als letzter, bislang noch nicht betrachteter Ansatz, der zum Verständnis des Preußschen Organismusgedankens hilfreich ist, ist der Begriff der Einheit in der Vielheit aufzugreifen. Damit ist im Grunde lediglich ein anderer Ausdruck gewählt für die bereits angesprochene Trennung des Willens einer Gesamtperson von der Summe der Einzelwillen: In der That steht und fällt der Begriff der organischen Gesamtperson mit der Möglichkeit der Anschauung, daß Einheit und Vielheit nicht einander ausschließende Begriffe sind; daß vielmehr die Einheit in der Vielheit eine Thatsache von realer Existenz ist, daß insonderheit der Wille der Gesamtperson sich aus einer Vielheit von Willenspartikeln der Einzelpersonen bildet, ohne diese als solche aufzuheben.181
Die Einheit in der und über der Vielheit ist nicht nur und nicht einmal primär ein rechtstechnischer Begriff; es ist zugleich politisches Programm. Nicht zufällig ist die Einheit in der Vielheit praktisch dem amerikanischen „E pluribus unum“ identisch. Der Preußsche Organismusbegriff ist damit, wie später noch zu zeigen sein wird, eine frühe Form der Pluralismustheorie. Dieser theoretische Gehalt, das pluralistisch-organische System des Staatsrechts, das Hugo Preuß in „Gemeinde, Staat, Reich als Gebietskörperschaften“ und in weiteren, weniger umfangreichen Schriften aufstellte, war jedoch nur der eine 180 Vgl. „Stellvertretung oder Organschaft?“, 453. Ebd., 449f., läßt er sich darüber aus, daß Schloßmann, gegen den sich die Polemik richtet, Preuß’ „Über Organpersönlichkeit“ bei Abfassung seines Buches noch nicht kannte; das „bedaure ich, nicht etwa in dem stolzen Wahne, daß sie ihn überzeugt hätte; vielmehr in aller Bescheidenheit um deswillen, weil er dann vielleicht Stellung zu dem, was wirklich organische Theorie ist, genommen hätte, statt zu jenen Lehren, die dies weder sind noch sein wollen“. Vgl. auch „Über Organpersönlichkeit“, 576, und ebd., 596, Fn.1, wo Preuß noch nachträglich eine Bemerkung gegen Albert Affolter („Studien zum Staatsbegriffe“, in: AöR, 17 (1902), 93–140, bes. 96f.) anhängt. Preuß klagt dort: „Immer dasselbe Mißverständnis. Wenn wirklicher und physischer Organismus identisch wären, dann gäbe es freilich keine organische Staatstheorie; denn die dann noch mögliche Analogiespielerei könnte allerdings nicht die Würde einer Theorie beanspruchen. Für die organische Theorie zerfällt vielmehr die Gattung Organismus in die beiden Arten des physischen und des socialen Organismus, deren eine genau so ‚wirklich‘ ist, wie die andere.“ 181 „Über Organpersönlichkeit“, 577. Vgl. ebd., 581: „[I]mmer und überall steht hinter der rechtlichen Form der Willensorganisation der real existierende und wirkende Gemeinwille, den das Recht nicht normieren kann, weil er das Recht schafft; den die juristische Betrachtung aber nicht ignorieren darf, weil sie sonst zu einer lebensunwahren Fiktion wird.“ Und 589: „Die Differenzierung der rechtlich normierten und organisierten Äußerung des Gemeinwillens durch eine Mehrheit von Organen ist im Gegensatz zum absoluten Staate das begriffliche Wesen des verfassungsmäßigen Rechtsstaates. Damit ist jene Mehrheit von Willen gegeben, welche die Voraussetzung für die Wirksamkeit des Rechts als der Abgrenzung von Willenssphären ist. Es giebt keine rechtlich unbeschränkte Macht mehr; sondern alle Befugnisse aller Organe sind Rechtsmacht, Kompetenz.“
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Teil seiner Überlegungen. Die zweite Stoßrichtung seines Denkens, die gleichfalls in doppelter Beziehung einen rechtswissenschaftlichen wie einen praktisch-politischen Aspekt aufweist, offenbart bereits der Untertitel der Habilitationsschrift von 1889: „Versuch einer deutschen Staatskonstruktion auf Grundlage der Genossenschaftstheorie“. Eine solche Konstruktion nicht eines theoretisch bleibenden abstrakten Staates, sondern des konkreten kleindeutschen Kaiserreiches auf Grundlage einer immanent demokratisch-pluralistischen Lehre war eine schwierige Aufgabe. 2.3 Die staatsrechtliche Konstruktion des Deutschen Reiches Preuß hatte nicht vor, einen umfassenden staatsrechtlichen Kommentar zur Verfassung des Deutschen Reiches oder Preußens zu erstellen; Werke dieser Art lagen etwa von Laband, Seydel, Zorn und für Preußen von Rönne und Anschütz vor182. Preuß versuchte hier ebensowenig eine Synthese wie im Verwaltungsrecht, wo er gleichfalls trotz der vielen einzelnen Schriften, vor allem zum Kommunalverwaltungsrecht, keine umfassende Darstellung vorlegte183. Wenn man von den theoretischen Untersuchungen in „Gemeinde, Staat, Reich“ einmal absieht, dann sind die meisten staatsrechtlichen Äußerungen von Hugo Preuß als Reflex auf einen bestimmten politischen Anstoß erwachsen, ähnlich wie sich seine rechtswissenschaftliche Beschäftigung mit verwaltungsrechtlichen Fraugen später aus den überwiegend unangenehmen praktischen Erfahrungen mit der Kommunalaufsicht ergab, die er als Berliner Kommunalpolitiker sammeln mußte. Viele dieser durch Tagesfragen inspirierten staatsrechtlichen Abhandlungen sind in der Nation erschienen184. So nahm er etwa die Kolonialdebatte um den Ankauf einer Dampfbarkasse für den Gouverneur von Kamerun 1884/85 zum Anlaß,
182 Die Werke von Laband und Seydel sind hier bereits vielfach zitiert worden. Daneben sind zu berücksichtigen Ludwig von Rönne, Das Staats-Recht des Deutschen Reiches, 2., völlig umgearb. Aufl., 2 Bde., Leipzig 1876 u. 1877; ders., Das Staats-Recht der Preußischen Monarchie, 4. verm. u. verb. Aufl., 4 Bde., Leipzig 1882–1884; Heinrich Schulze, Lehrbuch des deutschen Staatsrechtes, 2 Bde., Leipzig 1881 u. 1886; Philipp Zorn, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, 2 Bde., Berlin u. Leipzig 1880 u. 1883 (auch 2., völlig neubearb. Aufl., Berlin 1895/97); Adolf Arndt, Verfassung des Deutschen Reichs. Mit Einleitung und Kommentar, Berlin 1895; Gerhard Anschütz, Die Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat vom 31. Januar 1850. Ein Kommentar für Wissenschaft und Praxis, Berlin 1912 (auch ND Aalen 1974). Vgl. auch H. Preuß, Anschütz’ Kommentar, 474f. 183 Umfassend zu Theorie und Praxis des Verwaltungsrechts im Kaiserreich Kurt G. A. Jeserich, Hans Pohl, Georg-Christoph von Unruh (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte. Bd. 3: Das Deutsche Reich bis zum Ende der Monarchie, Stuttgart 1984. 184 Zur Verbindung von Preuß zu Theodor Barths Nation vgl. demnächst Lothar Albertin, Liberaler Revisionismus: Theodor Barth und Hugo Preuß, unveröff. Ms. 2000. Der Autor hat mir dankenswerterweise sein Manuskript zur Verfügung gestellt.
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staatsrechtliche Erwägungen über die Problematik des Kolonialbesitzes in Bundesstaaten anzustellen185. Auslieferungsverträge mit Rußland, die auf Reichsebene zunächst gescheitert waren und die dann ein Jahr später unter Umgehung des widerspenstigen Reichstages von den Einzelstaaten abgeschlossen wurden, führten zu einer Abhandlung, in der Preuß die ausschließliche Reichskompetenz in solchen Fällen zu zeigen versuchte und damit die auch rechtliche Nichtigkeit der von den Liberalen politisch bekämpften Verträge behauptete186. Bei der Debatte um Triennat, Septennat und Aeternat in der Frage der Heeresbewilligungen geht er sogar noch über den politischen Standpunkt seiner Parteifreunde hinaus, wenn er aus rechtlichen Erwägungen jegliche mehrjährige Bewilligung verwirft und die Eingliederung der Ausgaben in das jährliche Budgetgesetz als rechtlich allein zulässig verficht187. Dies sind nur einige Beispiele, zu denen man andere hinzufügen könnte. Sie alle vereint eine methodische Herangehensweise: Hugo Preuß unternimmt es insbesondere in diesen überwiegend frühen Schriften, politische Probleme auf ihre verfassungsrechtlichen Aspekte hin zu durchleuchten. Mehrfach leitet er diese Erörterungen mit der Bemerkung ein, er wolle alle politischen Erwägungen außer acht lassen und lediglich Rechtsfragen in streng juristischer Form prüfen188. Das bedeutete die Anwendung Labandscher Kriterien und Methoden, aber wie schon in den frühen theoretischen Schriften von Preuß muß man auch hier bezweifeln, ob sich hinter der Anerkennung der herrschenden Lehre als Grundlage der Untersuchung mehr als nur eine taktische Überlegung verbirgt. Preuß behauptet hier, er wolle ein genuin politisches Problem unter Ausklammerung aller Politik lediglich als Rechtsproblem auffassen und wissenschaftlich untersuchen. Wie die späteren methodologischen Überlegungen Preuß’ an vielen Stellen demonstrieren, war er sich der unlösbaren Verbindung von Politik und Recht wohl bewußt. Die Darlegungen eines noch völlig unbekannten Nachwuchswissenschaftlers hätten aber jegliche Chance auf Beachtung unter Fachkollegen verwirkt, wenn sie ihre politische Zielsetzung 185 „Kolonialpolitik und Reichsverfassung“, in: Die Nation, 2 (1884/85) Nr. 16, 214–217. Das Problem sei, daß für Verträge dieser Art in der Reichsverfassung nichts vorgesehen sei. „Und freilich, die Gesetzgeber im Jahre 1867 konnten nicht leicht darauf kommen, daß sie auch festsetzen müßten, was Rechtens sei bei Verträgen des Deutschen Reiches mit nackten, schwarzen Majestäten.“ (215). Preuß kommt zu dem nicht überraschenden Schluß der alleinigen Reichskompetenz und zu dem schon eher überraschenden Ergebnis, daß der Erwerb von Kolonien eine Erweiterung des Reichsgebietes ist und als solche staatsrechtlich null und nichtig, solange nicht Art. 1 RV geändert wird! 186 „Die russischen Auslieferungsverträge und die Reichskompetenz“, in: Die Nation, 3 (1885/86) Nr. 9, 127–129. Staatskompetenz in dieser Frage würde Rechtsungleichheit bedeuten; es gibt aber nur ein einheitliches deutsches Strafrechtsgebiet, die Auslieferungsverträge von Einzelstaaten sind also nichtig. 187 „Friedenspräsenz und Reichsverfassung“, V: diskutiert werden Septennat und Triennat, „dem geltenden Verfassungsrecht entspricht leider keines von beiden!“ 188 Ebd., 4 u. 51, „Russische Auslieferungsverträge“, passim. Die Debatte über die Dampfbarkasse habe viel für Politik und Völkerrecht geboten, aber „[m]it keinem Worte ist nämlich der staatsrechtlichen Erwägungen gedacht worden, welche die jetzt inaugurirte Kolonialpolitik mit Rücksicht auf die Verfassung des Deutschen Reiches hervorruft.“
2.3 Die staatsrechtliche Konstruktion des Deutschen Reiches
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offen zur Schau gestellt hätten. Es ist ein wenig, als ob Preuß die von anderen gesetzten Spielregeln scheinbar anerkannte, um sie für eine Durchsetzung seiner ganz anders gelagerten politischen Überlegungen unter fremden Federn nutzbar zu machen. Da eine offene politische Kritik angesichts der politischen Verhältnisse im Kaiserreich keinen Erfolg erhoffen ließ, bzw. da diese politische Kritik auch schon an anderer Stelle, im Reichstag, artikuliert wurde, versuchte Preuß dem Kaiserreich an einer anderen Stelle den Spiegel vorzuhalten. Da der Rechtsstaatscharakter eine der Haupterrungenschaften des Reiches sein sollte und da die herrschende Lehre von Laband geprägt war, ließ Preuß sich hierauf ein, soweit es seiner politischen Zielsetzung entgegenkam. So verbirgt sich denn auch die politische Kritik an der Bismarckschen Reichsverfassung gerade in diesen frühen Arbeiten Preuß’ oftmals hinter einer Kritik der formalen, rechtlichen Mehrdeutigkeit des Verfassungsinstruments. So schreibt Preuß etwa 1887: Nun ist unsere deutsche Reichsverfassung für staatsrechtliche Controversen ein überaus fruchtbarer Boden, in dem sie nur allzu üppig Wurzeln schlagen. Die Bestimmungen derselben, welche ohne wissenschaftlichen Streit, ohne Kritik und Interpretationskunst anwendbar sind, lassen sich wohl an den Fingern einer Hand herzählen. Sie ist in der That in juristischer Hinsicht das vollendete Muster eines Staatsgrundgesetzes, wie es nicht sein soll.189
Es kann nicht überraschen, daß Preuß in allen politisch angeregten rechtlichen Streitfragen „streng juristisch“ zu dem gleichen Schluß gelangt, den er auch politisch vertritt. Einer der Hauptkritikpunkte Preuß’ an der Reichsverfassung war die Verschleierung der politischen Existenzgrundlagen der Verfassung durch ihre Paragraphen. Die Hegemonie Preußens schimmert nur zögernd durch, ist aber die Basis der politischen Realität. Dabei ist es für diese Betrachtungsweise belanglos, ob es sich um eine Hegemonie handelt, die Preußen als Einzelstaat über das Reich ausübt oder ob es zu einer Verreichlichung Preußens gekommen ist190. Die relevanten sozialen Eliten und die sie stützenden Kreise blieben in beiden Fällen die gleichen. 189 „Friedenspräsenz und Reichsverfassung“, 5. Vgl. „Reichs- und Landes-Finanzen“, Berlin 1894 (VwSf, 16 (1894, H. 1/2), H. 99/100), 28f: „Unsere Verfassung ist mit bewußter Planmäßigkeit, aber nicht nach einem, sondern nach verschiedenen, einander widersprechenden Plänen konstruirt worden. Sie gleicht einem Hause, daß mit den erheblichsten Abweichungen vom Rohbau und Grundriß ausgebaut worden, und in welches der ‚Komfort der Neuzeit‘, die Voraussetzung modernen Staatslebens hineingeflickt werden mußte.“ Daß dies wenigstens geschah, sei das Verdienst der nationalliberalen Führer gewesen, denn die Entwürfe „waren geradezu unmöglich“, 29. Ebd., 49, spricht Preuß von der „in formaler Hinsicht unglaublich schlechten Redaktion der Reichsverfassung“. Vgl. auch „Kolonialpolitik und Reichsverfassung“, 214: „Unsere Verfassung ist ein höchst komplizirter und ungemein empfindlicher Mechanismus, mit welchem man nur äußerst vorsichtig operiren darf, und welcher auch so nicht immer die Gewähr richtigen Funktionirens bietet.“ 190 Vgl. Th. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866–1918, Bd. II, 610f.; M. Rauh, Föderalismus und Parlamentarismus, 82; Kersten Rosenau, Hegemonie und Dualismus. Preußens staatsrechtliche Stellung im Deutschen Reich, Regensburg 1986. Zeitgenössisch bejahend zur
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Ganz konnte die politische Realität aber auch aus dem Verfassungstext nicht ferngehalten werden. Anders als in allen anderen damals bekannten Bundesstaaten fand die staatstheoretische Gleichheit aller Bundesglieder keinen Ausdruck in einem gleichen Stimmgewicht im Bundesrat. Zudem war die Durchbrechung des Prinzips der bundesstaatlichen Gewaltenteilung wegen der Logik der Tatsachen 1867 unumgänglich: „Denn es war in der That höchst mißlich, daß es sich um die Verbindung eines Staates von 25 Millionen Einwohnern mit 21 anderen Staaten von zusammen 5 Millionen handelte.“191 Der Aufsatz, in dem dieser Satz geschrieben wurde, erschien bereits 1889. Dies ist die erste Äußerung von Preuß zu einem Thema, das er immer wieder aufgegriffen hat und in seinem Weimarer Verfassungsentwurf ohne Erfolg zu einer rationalen Lösung zu führen suchte. Die weitgehende Verleugnung der Realität führte zu komplexen und wirklichkeitsfremden Konstruktionen. Einen besonderen Stellenwert erhielt in diesem Zusammenhang die staatsrechtliche Debatte um die Behauptung Labands, das Reich sei eine Republik von 25 gleichberechtigten Mitgliedern192. Diese aus dem Verfassungstext und mehr noch aus der vorsichtigen Politik Bismarcks sehr wohl ableitbare Behauptung schmeichelte zwar dem verletzlichen Staatsbewußtsein der „verbündeten Regierungen“, entsprach aber kaum der Wirklichkeit in Deutschland193. Die Befangenheit der herrschenden Lehre des Staatsrechts im monarchischen Prinzip und die Fixierung dieses Prinzips auf den Einzelstaat versperrte den Blick auf das, was für Hugo Preuß das Wesen der Verfassung ausmachte: das Reich war für ihn eine Monarchie; der Kaiser nicht nur der mit einem besonderen Titel ausgestattete preußische Bundesfürst, wie es fast unisono die anderen Staatsrechtler behaupteten, sondern der Monarch aller Deutschen194. Es ist bezeichnend, daß diese
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preußischen Hegemonie Philipp Zorn, Die Deutsche Reichsverfassung, Leipzig 1907, 57. Die Studie von Hans Goldschmidt, Das Reich und Preußen im Kampf um die Führung. Von Bismarck bis 1918, Berlin 1931, ist mit dem Blick auf die Reichsreformdebatte der Weimarer Republik geschrieben und plädiert für ein Aufgehen Preußens im Reich. Die von ihm konstatierte Abfolge vom Unitarismus (1867–1880) über den bündischen Unitarismus (1880– 1890) zum Partikularismus (1890–1918) ist historisch recht fragwürdig. „Organische Bedeutung der Art. 15 und 17“, 427; vgl. ebd., 424f. P. Laband, Staatsrecht des Deutschen Reiches, 1. Bd., 1. Aufl., 88: „Das Deutsche Reich ist nicht eine juristische Person von 40 Millionen Mitgliedern, sondern von 25 Mitgliedern.“ Laband hielt an dieser Auffassung, die von kaum jemand geteilt wurde, beharrlich fest; sie findet sich identisch 1901 in der 4. Aufl., 91. Th. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866–1918, Bd. II, 609, nennt die Mitbestimmung der Einzelstaaten „mehr Schein als Realität“. Vgl. auch E.R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte III, 785ff. Zum Reich als Monarchie etwa „Städtisches Amtsrecht“, 65; „Germany – The Government“, in: The Americana. A Universal Reference Library, 7. Bd., New York o.J. (1904–1906), unpag. [6 S., hier 2]. Zur Stellung der Fürsten vgl. „Gemeinde, Staat, Reich“, 416f.
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Auffassung allenfalls von einem extremen Unitaristen und Nicht-Juristen wie Heinrich von Treitschke geteilt wurde195. Selbst Philipp Zorn, der politisch kaum weniger preußisch-unitaristisch empfand als Treitschke, erklärte vorsichtiger den Bundesrat als „Vertretung des Trägers der Reichssouveränität“196, zugleich aber auch, und kaum damit vereinbar, den Kaiser als faktischen Reichsmonarchen197. Dagegen sieht Paul Laband im Kaisertum lediglich einen „Amtstitel“, dessen Führung „daher streng genommen beschränkt auf die Angelegenheiten des Reiches, auf die Ausübung der Präsidialbefugnisse“198 sei. Konsequent nahm Hugo Preuß auch ein Vetorecht des Kaisers als Ausfluß des monarchischen Charakters der Verfassung an199. Ebenfalls im Gegensatz zur weiten Majorität seiner Kollegen mußte er daher auch die Stellung des Bundesrates sehen: Während der Bundesrat in der Regel als das zentrale Reichsorgan und Sitz der Souveränität konstruiert wurde200, war Hugo Preuß nicht bereit, dem vermeintlichen Kernstück des politischen Systems des Kaiserreiches diese zentrale Rolle zuzubilligen. Das lag auch daran, daß Preuß erkannte, wie Bismarck den Bundesrat gegen den Reichstag ausspielte und als Bollwerk gegen die Parlamentarisierung benutzte201. Für ihn ist der Bundesrat lediglich ein Kaiser und Reichstag koordiniertes Reichsorgan, ohne daß er eine Rangfolge der drei obersten Organe herstellt202. Diese Auffassung entsprach nicht dem Text der Verfassung, der von Laband und der herrschenden Lehre korrekt wiedergegeben wurde. Dafür entsprach Preuß’ Interpretation um so mehr der Verfassungswirklichkeit, da der Bundesrat es nie vermocht hatte, sich politisch gegenüber Kaiser, Reichskanzler und Reichstag an der zentralen Position zu behaupten, die ihm nach der abstrakten Verfassungskonstruktion wie nach der Mehrheitsmeinung der Staatsrechtler zukam. Ebenso einsam steht Preuß auch mit seiner Konstruktion des Reichskanzlers da. Während die Mehrzahl der einschlägigen Abhandlungen durchaus mit ihm die Auffassung vertraten, daß das Amendement Bennigsen den Charakter des ganzen 195 Etwa Heinrich von Treitschke, Bund und Reich (1874), in: ders., Aufsätze, Reden und Briefe. Hrsg. Von Karl Martin Schiller, 5 Bde., Meersburg 1929, hier 4. Bd.: Schriften und Reden zur Zeitgeschichte II, 212–245, hier 233. 196 Ph. Zorn, Deutsche Reichsverfassung, 53. Ähnlich ders., Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, 2 Bde., 2. Aufl., Berlin 1895/97, hier 1. Bd., 90f. 197 Ph. Zorn, Deutsche Reichsverfassung, 58. Im Staatsrecht des Deutschen Reiches, 1. Bd., 179ff., verwahrt sich Zorn noch explizit dagegen, den Kaiser als Reichsmonarch zu sehen. 198 Paul Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches (Handbuch des Oeffentlichen Rechts II.1.), 3., neubearb. Aufl., Tübingen und Leipzig 1902, 41. 199 „Organische Bedeutung der Art. 15 und 17“, 448. 200 Als ein Beispiel unter vielen siehe P. Laband, Staatsrecht des Deutschen Reiches (Handbuch des Oeffentlichen Rechts II.1.), 43ff., wo der Bundesrat schlicht als „Träger der Reichssouveränität“ (43) bezeichnet wird. 201 Vgl. hierzu M. Rauh, Föderalismus und Parlamentarismus, 75ff. 202 Vgl. „Gemeinde, Staat, Reich“, 390f.; „Germany – The Government“, [2f.].
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2. Die demokratische Genossenschaftstheorie
Verfassungsentwurfes geändert habe203, war die Preußsche Interpretation, daß die Worte „welcher dadurch die Verantwortung übernimmt“ auch eine politische Verantwortung bezeichnen sollten, nicht mehr mehrheitsfähig. In dieser Verantwortungsübernahme, die aus dem Reichskanzler statt eines bloßen Beamten erst den leitenden politischen Minister machte, sah Preuß die Vorbedingung für die wahrhaft monarchische Stellung des Kaisers204. In der Konsequenz hätte sie zu einer Parlamentarisierung der Reichspolitik führen müssen und damit zur langsamen Umwandlung der konstitutionellen Monarchie in eine parlamentarische. Die herrschende staatsrechtliche Lehre, die die monarchische Stellung des Kaisers ebenso wie die starke Stellung des Reichstages ablehnte, konnte auch der Position des Kanzlers kein entsprechendes rechtliches Gewicht beimessen. Ähnlich verhält es sich beim Verhältnis des Reichskanzlers zum preußischen Ministerpräsidenten. Praktisch war es so, daß der Reichskanzler stets zugleich Ministerpräsident war; die kurzen Intervalle, in denen die Ämter getrennt waren, zeigten lediglich die politische Unmöglichkeit einer solchen Trennung205. Preuß, zu dessen politischen wie rechtlichen Zielen auch der einheitliche deutsche Nationalstaat zählte, ging demgegenüber noch einen Schritt weiter. Da der Reichskanzler nicht gleichzeitig als Reichskanzler der preußischen Regierung übergeordnet und als preußischer Vertreter im Bundesrat ihr untergeordnet sein könne, müsse er zwangsläufig Leiter der preußischen Regierung sein. Und zwar nicht nur aus praktischen und politischen, sondern auch aus staatsrechtlichen Erwägungen206. Faßt man diese verstreuten Ausführungen Preuß’ über das positive Staatsrecht des Kaiserreiches zusammen, so sieht man einen ganz anderen Staat vor sich, als er 203 Heutige Historiker sind vorsichtiger. Zur Problematik des „Amendment Bennigsen“, die bereits mit der Bezeichnung beginnt, vgl. Lothar Gall, Bismarck. Der weiße Revolutionär, Frankfurt a.M., Berlin und Wien 1980, 387; sowie Otto Pflanze, Bismarck. Der Reichsgründer, München 1997, 364. Th. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866–1918, Bd. II, 44, hält allerdings daran fest, daß es sich um eine „fundamentale Veränderung des Bismarckschen Entwurfs“ gehandelt habe. 204 Vgl. „Die Organisation der Reichsregierung und die Parteien“, in: Staat, Recht und Freiheit, (erstmals in „Die Nation“ 1890), 172–200, hier 179 und 182; „Organische Bedeutung der Art. 15 und 17“, 441. 205 Bismarck verzichtete 1872 auf das preußische Ministerpräsidentenamt zugunsten von Albrecht von Roon, um den Einschränkungen des kollegialen Ministeriums wie den Angriffen der konservativen Junker im Landtag zu entgehen. Vgl. zum Vorgang und zu den dahinter stehenden Motiven Bismarcks L. Gall, Bismarck, 529; O. Pflanze, Bismarck. Der Reichsgründer, 656f. Michael Stürmer, Regierung und Reichstag im Bismarckstaat 1871–1880. Cäsarismus oder Parlamentarismus, Düsseldorf 1970, 95, verweist darauf, daß Bismarck sich das preußische Außenministerium und somit die Instruktion der Bundesratsstimmen vor. Trotzdem stellte sich schnell heraus, daß die Konstruktion unhaltbar war, und Bismarck trat die Nachfolge Roons an. 206 Das ist Hauptaussage und Grundtenor von „Organische Bedeutung der Art. 15 und 17“, z.B. 446. Vgl. auch „Germany – The Government“, [3], und „Organisation der Reichsregierung“, 180, 188 u. 191, wo nebenbei noch behauptet wird, daß damit auch die kollegiale Organisation der preußischen Regierung zugunsten des Kanzlerprinzips fallen müsse.
2.3 Die staatsrechtliche Konstruktion des Deutschen Reiches
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in den Kompendien Labands entwickelt wurde. Preuß zeichnete das Bild eines modernen monarchischen Rechtsstaates, in dem Kaiser, Reichstag und Bundesrat als gleichberechtigte Faktoren an der Spitze stehen und in dem ein dem Reichstag verantwortlicher Reichskanzler zugleich die Geschicke der Reichspolitik und die des hegemonialen Gliedstaates Preußen lenkt. Eine kraftvolle nationale Monarchie war offenbar ein ganz anderes Gebilde als die Staatenrepublik von 25 Bürgern. Die herrschende Lehre konstruierte das Reich aus dem Gedanken des Territorialstaates heraus, Preuß aus dem des genossenschaftlichen Gemeindeverbandes der Bürger207. Daß er dabei nicht immer ausschließliche Rücksicht auf den bloßen Verfassungstext nahm, sondern diesen Text so interpretierte, wie er seiner Meinung nach hätte sein müssen, steht auf einem anderen Blatt. Aber dies führt uns auch auf ein Problem zurück, dem auch Hugo Preuß nicht entgehen konnte: der begrifflichen Scheidung von Gemeinde, Staat und Reich, die als Gebietskörperschaften zwar von prinzipieller Gleichheit waren, deren Unterschiede festzustellen Preuß im deutschen Bundesstaat aber gleichwohl sich bemüßigt sah. Damit standen alle Probleme der Bundesstaatskonstruktion wieder auf der Preußschen Agenda, an denen er theoretisch seiner pluralistischen Genossenschaftslehre gemäß kaum Interesse hatte. In der Tat wirken die umfangreichen historischen Herleitungen des sozialrechtlichen Begriffs vom „Gebiet“ recht künstlich und ohne Elan formuliert; man merkt Preuß an, daß er in diesem Fall nicht wohl fühlte208. „Gebiet“ ist das Essentiale jeder Gebietskörperschaft, während die Bevölkerung schwanken kann. Wirkliche Veränderungen einer Gebietskörperschaft sind also nur Veränderungen ihres Gebietes. Kann eine Gebietskörperschaft solche Veränderungen selbständig vornehmen, so besitzt sie die Gebietshoheit. Hier glaubte Preuß 1889, den entscheidenden Punkt zur Unterscheidung gefunden zu haben; Gemeinden seien Gebietskörperschaften ohne Gebietshoheit, Staat und Reich dagegen Gebietskörperschaften mit Gebietshoheit209. Damit erhob sich aber kaum „(a)uf der Grundlage der Genossenschaftstheorie und dem aus ihr fließenden Begriffe der Gebietskörperschaft ... in sich einheitlich und geschlossen die Konstruktion des deutschen Staates“, wie Preuß im Schlußsatz seiner Habilitationsschrift behauptete210. Die Gebietshoheit nennt zwar nicht den Begriff der Souveränität, kommt ihr aber in der Anwendung erheblich nahe. Damit hatte Preuß hier eine neue Trennlinie zwischen Gemeinde und Staat eingeführt, 207 Vgl. „Gemeinde, Staat, Reich“, 297: „Die in der Gemeinde vorgebildete Gemeinschaftsidee und nicht die Idee des alten Territorialstaats noch die des alten Reichs ist zum tragenden Princip des modernen Staats- und Reichswesens geworden.“ Generell hielt er daran auch später fest, konkret für Deutschland sah er aber skeptischer, daß die Grundlage der Reichsgründung eben nicht die freie Gemeinde, sondern die Vereinbarung der verbündeten Regierungen gewesen sei; „Stadt und Land“, in: Staat, Recht und Freiheit, (erstmals Vorträge der Gehe-Stiftung, 1909), 73–102, hier 97. 208 Vgl. „Gemeinde, Staat, Reich“, 298ff. 209 Vgl. „Gemeinde, Staat, Reich“, 264f., 272, 285 u. 393ff. 210 Ebd., 419.
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gegen die sich alles das einwenden ließ, was Preuß selbst in diesem Zusammenhang vorher entwickelt hatte. Mit dem gedanklichen Abschluß seiner deutschrechtlichen Staatskonstruktion hatte Preuß damit wenigstens verbal dem Gedankengut der herrschenden Lehre Tribut gezollt. Die Vermutung ist naheliegend, daß er diese Konzession primär mit Hinblick auf den juristischen Konsens einfügte, den er für die Annahme seiner Habilitation in der Berliner Fakultät benötigte. Später hat er auf diese Unterscheidung, in der doch immerhin seine Arbeit gipfelte, keinen großen Wert mehr gelegt. Er griff diesen Gedanken niemals wieder auf, und in der Weimarer Zeit distanzierte er sich ausdrücklich von dem, was er nun als das erkannte, was es von Anfang an gewesen war, nämlich als einen letzten verzweifelten Versuch ..., den sonst unauffindbaren Begriffsunterschied zwischen Staat und Gemeinde wenigstens in diesem einen Punkte zu retten211.
Letztlich war diese Unterscheidung, die sich bei Preuß nur an dieser einen Stelle findet, für seine eigene Genossenschaftstheorie auch nur ein Hindernis. Die dogmatische Konstruktion des Bundesstaates interessierte ihn ebensowenig wie irgendeine andere rein dogmatische Frage, die er für fruchtlose Begriffsjurisprudenz hielt. Für Preuß waren andere Fragen wesentlich; politisch die der Bürgerpartizipation an der Gestaltung der Politik, rechtlich die der Schaffung eines Freiraumes, in dem sich diese Partizipation entfalten konnte. Nach Lage der Dinge in Deutschland und insbesondere in Preußen mußte dies sein Augenmerk auf die kommunale Selbstverwaltung lenken.
211 „Reich und Länder“, 64.
3. DIE IDEE DER SELBSTVERWALTUNG 3.1 Selbstverwaltungstheorien und Liberalismus Die Geschichte der praktischen, über theoretische Abhandlungen und Parlamentskammern hinausreichenden Wirksamkeit liberaler Politik im Deutschland des 19. Jahrhundert1 ist, wenn man von einigen süddeutschen Staaten2 und kurzen Phasen der preußischen Geschichte absieht, im wesentlichen zugleich die Geschichte der kommunalen Selbstverwaltung. Und während auf dem Lande sowie in der Kreisund Provinzialverwaltung der Einfluß von Gutsherrschaft und Staat deutlich zu spüren war, konnten die Städte ihre Freiheit stärker behaupten. Die Stadt ist „Kernbereich und Höhepunkt der Selbstverwaltung“3. In den Städten, den „kleinen Republiken“ der Steinschen Städteordnung von 1808, mußte das liberale Bürgertum den Ersatz finden für die versagte Mitbestimmung am größeren Ganzen. Die verschiedenen nicht-demokratischen Wahlrechtsbeschränkungen mit dem preußischen Dreiklassenwahlrecht an der Spitze4 begünstigten bei den Landtagswahlen die konservativen Parteien. Allerdings stellte sich außerhalb Preußens die Situation schon auf der Ebene der einzelnen Bundesstaaten differenzierter dar5, und auf 1
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Als Annäherung siehe Th. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800–1866, 286ff. und 718ff.; sowie ders., Deutsche Geschichte 1866–1918, Bd. II, 314ff. Grundlegend, auch mit internationalem Vergleich und theoretischem Blick, nach wie vor Lothar Gall (Hrsg.), Liberalismus, 3. erw. Aufl., Königstein i.Ts. 1985. Speziell zu Deutschland James J. Sheehan, Der deutsche Liberalismus. Von den Anfängen im 18. Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg. 1770–1914, München 1983; und Dieter Langewiesche, Liberalismus in Deutschland, 3. Aufl., Frankfurt a.M. 1991. Zur regionalen Differenzierung, die auch auf die Situation verschiedener Großstädte eingeht (darunter nur Breslau aus dem preußischen Kernland) siehe Lothar Gall und Dieter Langewiesche (Hrsg.), Liberalismus und Region. Zur Geschichte des deutschen Liberalismus im 19. Jahrhundert, München 1995. Th. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866–1918, Bd. II, 140. Zu den Auswirkungen des Dreiklassenwahlrechts und zur Debatte hierum vgl. Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 4, Stuttgart usw. 1982, 386ff.; Th. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866–1918, Bd. II, 510ff.; Reinhard Patemann, Der Kampf um die preußische Wahlreform im Ersten Weltkrieg, Düsseldorf 1964. Historisch differenziert und umfassend Thomas Kühne, Dreiklassenwahlrecht und Wahlkultur in Preußen 1867–1914. Landtagswahlen zwischen korporativer Tradition und politischem Massenmarkt, Düsseldorf 1994. Die eher funktionalistische als normative Argumentationsstruktur in der Wahlrechtsdiskussion untersuchen Jürgen Gerhards und Jörg Rössel, Interessen und Ideen im Konflikt um das Wahlrecht. Eine kultursoziologische Analyse der parlamentarischen Debatten über das Dreiklassenwahlrecht in Preußen, Leipzig 1999. Vgl. die Beiträge in Simone Lässig, Karl Heinrich Pohl und James Retallack (Hrsg.), Modernisierung und Region im wilhelminischen Deutschland. Wahlen, Wahlrecht und Politische Kultur, 2. Aufl., Bielefeld 1998; v.a. den Aufsatz von Simone Lässig, Wahlrechtsreformen in den deutschen Einzelstaaten. Indikatoren für Modernisierungstendenzen und Reformfähigkeit im Kaiserreich?, 127–169.
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3. Die Idee der Selbstverwaltung
kommunaler Ebene wirkten die Wahlrechtsbeschränkungen durchweg nicht zu Gunsten der Konservativen, sondern eher als Schutz liberaler Mehrheiten in der Stadtverordnetenversammlung; der „Kommunalfreisinn“ hat geradezu schlagwortartige Bedeutung erlangt6. Diesem praktischen politischen Rang der Selbstverwaltung für den Liberalismus entsprach die Vielfalt der theoretischen Auseinandersetzung über ihr Wesen. Zahlreiche Abhandlungen7, darunter auch die meisten Schriften von Preuß, entstanden aus dem unmittelbaren Bedürfnis, wissenschaftlich-theoretische Begründungen für die Verteidigung kommunaler Autonomie gegen die Machtansprüche des preußischen Staates zu liefern8. Daneben wirkten die großen Reformvorhaben nach der Gründung des Kaiserreiches und die Debatte um das Wesen des Bundesstaates und die damit verbundene Abgrenzung von nichtsouveränem Staat und Kommune befruchtend. Die rechtliche Grundlage, an die die Auseinandersetzung anzuknüpfen hatte, bildete auch Ende des Jahrhunderts noch die vielfach veränderte und, gemessen an den ursprünglich von ihr geweckten Hoffnungen, verwässerte Steinsche Städteordnung, die insbesondere für Hugo Preuß den Maßstab abgab, an dem er die aktuelle Politik wie die Wissenschaft seiner Zeit bewertete. Auf theoretischem Gebiet aber kreiste die Debatte vornehmlich um die Theorie der Selbstverwaltung, die Rudolf von Gneist in England untersucht hatte und die er gemäß diesem Beispiel auch in Deutschland angewendet sehen wollte, da er sie als bestimmend für den generellen Begriff der Selbstverwaltung hielt9. Ein Kernpunkt der Gneistschen Selbstverwaltungstheorie ist die von der Hegelschen Staatsphilosophie inspirierte strenge Trennung von Staat und Gesellschaft. Selbstverwaltung soll als gesellschaftliche Aufgabe der ehrenamtlichen Tätigkeit aristokratischer Führer beibehalten bleiben. In der gesamten modernen Geschichte des englischen Selfgovernment seines eigenen Jahrhunderts, die sich wie die ganze 6
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Der „nackte Egoismus des Kommunalliberalismus“ in der kommunalen Wahlrechtsfrage wird zurecht hervorgehoben von Karl Heinrich Pohl, Kommunen, kommunale Wahlen und kommunale Wahlrechtspolitik. Zur Bedeutung der Wahlrechtsfrage für die Kommunen und den deutschen Liberalismus, in: ebd., 89–126, hier 111. Preuß selbst klagt in „Die kommunale Selbstverwaltung in Deutschland“, in: Paul Laband et al. (Hrsg.), Handbuch der Politik, 1. Bd.: Die Grundlagen der Politik, Berlin u. Leipzig 1912, 198– 218, hier 198, daß die Literatur über die Selbstverwaltung „hier auch nicht im Überblick gegeben werden“ könne. Zur Entwicklung der Verwaltungsrechtswissenschaft siehe Michael Stolleis, Verwaltungsrechtswissenschaft und Verwaltungslehre 1866–1914, in: K. G. A. Jeserich, H. Pohl, G.-Chr. von Unruh (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 3, 85–108; speziell zur kommunalen Selbstverwaltung Georg-Christoph von Unruh, Die normative Verfassung der kommunalen Selbstverwaltung, in: ebd., 560–578; und Wolfgang Hofmann, Aufgaben und Struktur der kommunalen Selbstverwaltung in der Zeit der Hochindustrialisierung, in: ebd., 578–644. Zu Gneist siehe M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland II, 385ff.; und v.a. die auf einer Dissertation an der Yale University von 1971 beruhende Arbeit von Erich J. Hahn, Rudolf von Gneist 1816–1895. Ein politischer Jurist in der Bismarckzeit, Frankfurt a.M. 1995.
3.1 Selbstverwaltungstheorien und Liberalismus
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politische Reformbewegung Englands auf dem Wege zu einer graduellen Demokratisierung befand, sah Gneist eine verhängnisvolle Fehlentwicklung fort vom wahren Selfgovernment, das er im 18. Jahrhundert verwirklicht fand10. Es ist also nicht so, daß Gneist den Entwicklungsgang des englischen Selfgovernment völlig verkannt hätte. Nur war er nicht bereit, diese Entwicklungen positiv aufzunehmen. Die zentrale Stellung, die das nationale, parlamentarische Selfgovernment im englischen politischen System einnahm, konnte er von diesem Ausgangpunkt nicht würdigen11. Allerdings ist es fraglich, inwieweit die theoretischen Überlegungen Gneists die praktischen Entwicklungen in den Städten ernsthaft behinderten. Gerade die vielfältigen neuen Aufgaben, die sich den Städten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stellten, waren oftmals nirgendwo gesetzlich geregelt. Die kommunalen Selbstverwaltungsorgane, die von Gneist aus allen politischen Überlegungen herausgehalten werden sollten, konnten auf dem Wege über die faktische Neuheit der Verwaltungsaufgaben auch das politische Mandat jedenfalls teilweise für sich reklamieren – „nicht gegen den Staat, aber ein wenig neben ihm“, wie Thomas Nipperdey es treffend ausgedrückt hat12. Gleichwohl darf man nicht übersehen, daß die alten Fragen der staatlichen Aufsicht, der Dezentralisation oder kommunaler Subordination, die gleichen blieben, ob sie sich nun auf alte oder neue kommunale Aufgaben bezogen. Und von daher war Gneists Lehre zumindest nicht förderlich für einen umfassenden Selbstverwaltungsbegriff. Die spätere wissenschaftliche Kritik13, die 1901 mit dem gründlichen Werk Josef Redlichs über „Englische Lokalverwaltung“ zur Überwindung dieser Auffassungen antrat, folgte weder den theoretischen Prämissen noch der historischen Analyse Gneists, weder für England, noch für die Übertragung auf deutsche Verhältnisse. Gneists Interpretation wurde als doktrinär und einseitig bezeichnet, die nicht nur politisch auf dem falschen Wege sei, sondern die zudem historisch ihrem 10 Gneist vertrat seine Ideen erstmals in seinem zweibändigen Werk Das heutige englische Verfassungs- und Verwaltungsrecht, Berlin 1857 u. 1860. Vgl. auch sein Das Englische Verwaltungsrecht der Gegenwart in Vergleichung mit den Deutschen Verwaltungssystemen, 3. nach dter. Systematik umgest. Aufl., 2 Bde., Berlin 1883 u. 1884. Vgl. auch E. J. Hahn, Rudolf von Gneist, 57ff. 11 Vgl. Heinrich Heffter, Die deutsche Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert. Geschichte der Ideen und Institutionen, 2., überarb. Aufl., Stuttgart 1969 (erstmals 1950), 5: „Das englische Selfgovernment des 18. Jahrhunderts, das Urbild und Vorbild aller modernen Selbstverwaltung, meint den ganzen Staatsbau einer freiheitlich-genossenschaftlichen Ordnung im Gegensatz zum monarchisch-bürokratischen Obrigkeitsstaat: das Kernstück ist das Parlament, die Laienverwaltung der Grafschaften und Städte ist nur ein Teilstück, die Laiengerichtsbarkeit der Jury ein weiteres; mit dem Wort Selbstregierung wäre das Selfgovernment in der deutschen Sprache treffender wiederzugeben als mit dem Wort Selbstverwaltung. Seiner ursprünglichen, umfassenden Bedeutung ist es im englischen Mutterland und in den angelsächsischen Tochterstaaten über See stets treu geblieben.“ 12 Th. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866–1918, Bd. II, 155. 13 Einen Überblick über die zeitgenössische Kritik gibt E. J. Hahn, Rudolf von Gneist, 85ff.
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3. Die Idee der Selbstverwaltung
Gegenstand nicht gerecht wurde14. Redlich ist der schärfste Kritiker Gneists, und selbst da, wo er Gneist vorgeblich lobt, klingt dieses Lob sehr schal: Die großen Verdienste, die sich Gneist als Historiker der englischen Verfassung erworben hat, sichern ihm ein dauerndes Denkmal in der deutschen Wissenschaft auch dann, wenn sich seine Darstellung und Beurteilung des modernen englischen Staatswesens in vielen und entscheidenden Punkten als irrig, seine Theorie von der ‚Selbstverwaltung‘ als unhaltbar, sein Einfluß auf die deutsche Staatsrechtswissenschaft und Politik als ungünstig vom Standpunkte einer objektiven entwicklungsgeschichtlichen Erfassung der Institutionen des öffentlichen Rechtes erwiesen hat.15
Für die Entwicklung des Selbstverwaltungsbegriffes in Deutschland habe die Gneistsche Dogmatik durch ihre anti-demokratische Zielrichtung eher hindernd als förderlich gewirkt, und der Rang des führenden deutschen Theoretikers der Selbstverwaltung gebühre eher Gierke16. Noch vor diesen Resultaten der historischen Kritik hatten auch die praktischen Verwaltungsrechtler die Lehre Gneists bereits an den Rand gedrängt. In ihrer positivistischen Ausrichtung hielten sich Laband und Rosin an die bestehenden Gesetzestexte auch für die Begriffskonstruktion, und dem konnte Gneists philosophisch im Hegelianismus fundierter Selbstverwaltungsbegriff kaum genügen17. Allerdings ist es ein Indikator des internationalen Ansehens, das Gneist genoß, daß er für ausländische Autoren auch noch zu dem Zeitpunkt, an 14
„Als ich vor fast einem Decennium das erst Mal England aus eigener Anschauung kennen lernte – dazumal vollständig beherrscht von den durch Gneist vermittelten Anschauungen und Urteilen über englisches Staatswesen –, empfing ich alsbald den Eindruck, daß Gneists Schriften nicht nur in vielen Stücken veraltet, hinter dem geltenden Rechte und der Praxis zurückgeblieben waren, sondern daß auch die darin vertretene Gesamtauffassung von der Entwicklung der englischen Verfassung und Verwaltung in neuerer Zeit mit der thatsächlichen politischen und socialen Entwicklung Englands vielfach in unlösbarem Widerspruche stand. Diese Eindrücke wurden durch fortgesetztes Studium und wiederholten längeren Aufenthalt im Lande immer mehr befestigt, so daß sich aus dem ursprünglichen Zweifel an der Richtigkeit der Urteile und Theorien Gneists zuletzt eine selbständige und zu dessen System in entscheidenden Punkten völlig gegensätzliche Beurteilung der in Betracht kommenden Verhältnisse und Probleme ergab.“ J. Redlich: Englische Lokalverwaltung. Darstellung der inneren Verwaltung Englands in ihrer geschichtlichen Entwicklung und in ihrer gegenwärtigen Gestalt, Leipzig 1901, VII. Auf 835 Seiten entwickelt Redlich dann seine Auffassungen, die Gneist Punkt für Punkt widerlegen. 15 Ebd., VIII: Nicht weniger deutlich im Urteil ist H. Heffter, Deutsche Selbstverwaltung, etwa 640f. 16 Vgl. H. Heffter, Deutsche Selbstverwaltung, 526ff. Auch Hugo Preuß konnte sich dieser Einsicht letztlich nicht verschließen: „Es ist ein eigentümlicher Widerspruch: der Rechtspolitiker Gneist bleibt im Banne einer historischen Entwicklungsphase befangen, die er mit dem inneren Wesen der Entwicklung selbst identifiziert; der Rechtshistoriker Gierke zeigt in der unendlichen Mannigfaltigkeit der historischen Gestaltungen das organisch gestaltende Entwicklungsprinzip.“ ‚Die Lehre Gierkes und das Problem der preussischen Verwaltungsreform‘, 253. 17 Vgl. H. Heffter, Deutsche Selbstverwaltung, 401 u. v.a. 740f. Zur Entwicklung des Allgemeinen Verwaltungsrechts siehe M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland II, 394ff.
3.1 Selbstverwaltungstheorien und Liberalismus
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dem sein Stern in Deutschland bereits im Sinken war, der berufenste Interpret der deutschen Selbstverwaltung blieb18. Hugo Preuß’ Verhältnis zu Gneists Denken war ambivalent. Trotz allen Defiziten, die Preuß bei seinem ganz anders gelagerten theoretischen wie politischen Ansatz von Anfang an nicht übersehen konnte, trat er zunächst uneingeschränkt für die Gedanken Gneists ein; nicht nur im Nachruf von 1895 feiert er den Verstorbenen in elegischen Tönen19. Die Ursache hierfür wird weniger darin zu suchen sein, daß Preuß auch Schüler von Gneist und nicht nur von Gierke war; in dem wissenschaftlichen Werk von Preuß lassen sich kaum Einflüsse aufzeigen, die unmittelbar von Gneist herrühren. Preuß war eher vom politischen Aktivismus des politischen Professors beeindruckt, der zwar seinen liberalen Überzeugungen zunehmend konservativere Züge beimengte, der aber in der Zeit des Verfassungskonfliktes ein nach wie vor anhaltendes Renommee erworben hatte. Die Mitwirkung Gneists an den Reformen der Kommunalverfassung mochte darüber hinaus für Preuß ein Vorbild für seine eigene politische Tätigkeit sein, die zu diesem Zeitpunkt noch ganz in den Anfängen steckte20. Preuß benötigte allerdings nicht erst die Erkenntnisse Redlichs, um zu einer differenzierteren Bewertung seines Lehrers zu gelangen. Gneists Konzentration auf die Laienverwaltung ging bei ihm einher mit einer strikten Ablehnung jeder Form von Parlamentarisierung und Demokratisierung auf nationaler Ebene. Diese Trennung von Verfassung und Verwaltung in einen hoheitlichen und einen Selbstverwaltungsteil, die letztlich auf der Verwaltungslehre Lorenz von Steins gründete21, 18 Vgl. A. Lawrence Lowell, Governments and Parties in Continental Europe, 2 Bde., Boston, New York und Chicago 1896, hier Bd. 1, 65ff. und 311ff. 19 Völlig unkritisch ist Preuß in Was uns fehlt. Politische Anregungen. Sonderabdruck aus dem Deutschen Montagsblatt, Berlin 1888, 22, wonach Gneist gegen die „Wahngebilden jenes Pseudokonstitutionalismus“ Frankreichs gezeigt habe, daß wahre Freiheit nur in der Selbstverwaltung liege. In „Gemeinde, Staat, Reich“, 17, kontrastiert er Gneist mit Montesquieu; während die Äußerungen des letzteren „das Ergebniß freier Vernunftspeculation“ seien, verdanken wir Gneist „eine wahre Kenntniß des englischen Staatswesens“. Und ebd., 221, lobt er die Lehre Gneists, „welche politisch, besonders legislatorisch und organisatorisch so überaus fruchtbar gewirkt hat und auf diesem Felde die reichtsen Früchte noch in der Zukunft zeitigen wird“. Der Nachruf „Rudolf von Gneist“ erschien 1895 in der Nation, erneut in Staat, Recht und Freiheit, 503–509. H. Heffter, Deutsche Selbstverwaltung, 753, meint hierzu, daß Preuß „den tiefen inneren Gegensatz der eigentlichen liberalen Selbstverwaltungsidee, wie sie in Gierkes Genossenschaftstheorie und zumal in deren demokratischer Konsequenz fortlebte, zur halbkonservativen Gneistschen Doktrin nur schwach andeutete, ja geflissentlich verdeckte“ und damit „geradezu ein[en] Beitrag zur Gneist-Legende“ geleistet hatte. 20 Vgl. hierzu Th. Heuss, Geleitwort, 5. Zur politischen Tätigkeit Gneists auch H. Heffter, Deutsche Selbstverwaltung, 374ff., der sich auch zu den Rückwirkungen dieser Tätigkeit (379) auf Gneists wissenschaftliches Werk äußert: „Die Politik ließ ihm zu wenig gelehrte Muße, trieb ihn immer wieder in eine eilige Arbeitsweise, für die besonders die Fülle der Wiederholungen in seinen verschiedenen Büchern kennzeichnend ist.“ 21 Lorenz von Stein, Die Verwaltungslehre, 8 Teile in 10 Bden., Stuttgart 1869–1884 (ND Aalen 1975). Vgl. auch M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland II, 390; G.Chr. von Unruh, Die normative Verfassung der kommunalen Selbstverwaltung, 562.
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3. Die Idee der Selbstverwaltung
konnte Preuß nicht stützen. Ihm ging es gerade um die einheitliche Selbstregierung des Volkes auf allen Ebenen22. Ebenso wie Preuß die Genossenschaftslehre Gierkes von ihren monarchistischen Rudimenten befreite, ging er auch über seinen zweiten Lehrer Gneist hinaus, ebenso wie über alle konservativen Selbstverwaltungstheorien, die in der lokalen Selbstverwaltung geradezu ein Bollwerk gegen weiterreichende bürgerliche Mitbestimmung sahen23. Die Demokratie ist die Basis seiner Staatstheorie wie seiner Selbstverwaltungslehre, weil sie die politische Basis seines Genossenschaftsbegriffes bildet. Die Differenzen zu Gneist beginnen bereits in der Wortwahl: Gneist hatte mit seinen Werken den deutschen Ausdruck „Selbstverwaltung“ durchgesetzt24. „Selfgovernment“ kann aber potentiell weit mehr bedeuten, wie „government“ nicht nur „Verwaltung“ und nicht einmal nur „Regierung“, sondern darüber hinaus das ganze Regierungssystem bezeichnet. Dafür gab es keinen ganz passenden deutschen Ausdruck; aber der Begriff „Selbstregierung“ kam dem gemeinten Zusammenhang deutlich näher als der der „Selbstverwaltung“; erst recht dann, wenn man unter letzterem die Laienverwaltung von Honoratioren im Auftrage des Staates verstehen wollte. Dies wollte Gneist25, Hugo Preuß aber gewiß nicht. Und der praktische politische Reiz der Selbstverwaltung in einem ansonsten obrigkeitlichen Staat lag für
22 Zum Verhältnis von Verfassung und Verwaltung bei Gneist siehe H. Heffter, Deutsche Selbstverwaltung, 382. Ebd., 378, heißt es: „Es war der kategorische Imperativ seiner Lehre, daß das Selfgovernment in erster Linie nicht Ausübung von Rechten, sondern Erfüllung von Pflichten sei.“ Und zu Gneists Staatsbegriff ebd., 394: „Von seinem strengen Staatsgedanken aus verwarf Gneist jede Autonomie, die sich auf eigenes Recht, sei es patrimonialer Gewalten oder kommunaler Körperschaften, gegenüber dem Staat gründete.“ Demgegenüber ist Preuß für Heffter „der bedeutendste Vorkämpfer einer demokratischen Selbstverwaltung“, ebd., 647. Zur behutsamen Distanzierung Preuß’ von Gneist vgl. etwa „Die internationale Entwicklung des Selbstverwaltungsprinzips“, in; Kommunale Praxis, 7. Jg., Nr. 32 (9.8.07), Sp. 745–748, u. Nr. 33 (16.8.07), Sp. 769–772, hier Sp. 771; Art. „Selbstverwaltung“, in: Handwörterbuch der Kommunalwissenschaften, 3. Bd., 768–776, hier 771; und bereits „Rudolf von Gneist“, in: „Staat, Recht und Freiheit“, 504. Zur Auseinandersetzung von Preuß mit Gneist siehe auch G. Gillessen, Hugo Preuß, 36f. und 40ff.; und S. Graßmann, Hugo Preuß, 27ff. 23 Jürgen Reulecke, Selbstverwaltung in Deutschland im 19. Jahrhundert. Ein Überblick, in: A. M. Birke, M. Brechtken (Hrsg.), Kommunale Selbstverwaltung. Local Self-Government, 25– 35, hier 28, spricht von „Selbstverwaltung im Sinne von Ersatzbefriedigung“, die er auf Savigny zurückführt. 24 Das gilt bis heute; G.-Chr. von Unruh, Die normative Verfassung der kommunalen Selbstverwaltung, 560ff., spricht durchweg von Selbstverwaltung und benutzt den Begriff „Selfgovernment“ nur mit Bezug auf die Gneistschen Englandstudien; ebd. 561. 25 M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland II, 386, sieht Gneists Anliegen anders; für ihn zielte es „auf politische Mitverantwortung, auf Versöhnung von demokratischer Teilhabe und obrigkeitlicher Herrschaft“. Dies scheint eine zu demokratische Interpretation zu sein; es sei denn, Stolleis meint damit die fortschreitende Zähmung der Demokratie durch die Obrigkeit.
3.2 Selbstverwaltung oder Selfgovernment?
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die Kommunalpolitiker nicht in einer an Gneist orientierten aristokratischen Interpretation des Selfgovernment, sondern in den weiterreichenden politischen Möglichkeiten, die sich damit andeuteten26 3.2 Selbstverwaltung oder Selfgovernment? Die Theorie des Selfgovernment bei Preuß Die begriffliche Problematik, mit der die deutschen Juristen und Politiker gleichermaßen zu kämpfen hatten, war nur der theoretische Ausdruck der dahinterstehenden praktischen Problematik, die Ideen wirksam werden zu lassen. In der Theorie ließ sie sich nicht nur an den Wörtern ablesen; auch die Definitionen, die der „Selbstverwaltung“ oder dem „Selfgovernment“ jeweils gegeben wurden, wichen erheblich voneinander ab27. Bei Hugo Preuß kommen beide Begriffe mehr oder minder synonym vor; eine klare Scheidung zwischen ihnen hat er nicht unternommen. Gleichwohl wird es an vielen Stellen auch explizit deutlich, daß Preuß für einen möglichst weit gefaßten Begriff eintritt; neben der Selbstverwaltung im eigentlichen engsten Wortsinne stehe den engeren Gemeinschaften auch die Selbstgesetz-
26 Vgl. auch H. Heffter, Deutsche Selbstverwaltung, 5: „Diese auffällige Anziehungskraft der [Selbstverwaltungs-] Idee stammt gewiß nicht aus dem nüchternen Verwaltungsalltag, in dem sich ihre Praxis vollzieht. Sie hängt aufs engste zusammen mit dem allgemeinen Streben nach politischer, sozialer, menschlicher Freiheit, das einen Grundzug der abendländischen Geschichte seit der Aufklärung bedeutet.“ 27 Preuß beklagt diese Begriffsverwirrung etwa in „Die kommunale Selbstverwaltung in Deutschlands“, 1912, 198; oder in „Internationale Entwicklung des Selbstverwaltungsprinzips“, Sp. 745. Zur Begriffsherkunft vgl. J. Redlich, Englische Lokalverwaltung, 809: „‚Selfgovernment‘ ist kein Wort der englischen Gesetzes- oder Rechtssprache, sondern ein in dem politischen Sprachgebrauch seit dem Ende des 18. Jahrhunderts aufgekommener Ausdruck zur Bezeichnung des Gesamtcharakters der englischen Verfassung als einer Selbstregierung der Nation durch das Parlament im schroff empfundenen Gegensatze zu der absoluten Monarchie als der das ganze Festland beherrschenden Regierungsform.“ Und ebd., 247, zu den Reformen des 19. Jahrhundert, die Gneist so sehr kritisierte: „Nun erst, nach völliger Beseitigung der historischen Klassenherrschaft sowohl im Parlamente als auch in der Lokalverwaltung ist für England das wahre Selfgovernment geschaffen worden: nämlich die Selbstgesetzgebung und Selbstregierung des Volkes durch ein auf allgemeinem Wahlrecht beruhendes Parlament und durch völlige Unterordnung der Centralgewalt unter dieses letztere vermittelst des Systems parlamentarischer Regierung; die Selbstverwaltung des Volkes durch Ausgestaltung der ganzen inneren Landesverwaltung zur administrativen Thätigkeit demokratisch gebildeter Kommunen unter gleichzeitiger Bewahrung der Rechtsprechung als Funktion eines von Parlament, Regierung und Verwaltungskörperschaften völlig unabhängigen Richtertums, dessen Jurisdiktion in gleichem Verfahren und mit gleicher Kraft über alle rechtlich geordneten Beziehungen des Gemeinlebens wacht und endgültig entscheidet.“
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3. Die Idee der Selbstverwaltung
gebung und die Selbstrechtsprechung zu, die sich zu einem umfassenden Verständnis von Selbstregierung oder Selfgovernment verbinden28. Preuß setzt sich damit erneut von Theoretikern wie Laband, Rosin oder Gareis ab, für die der Staat der Ausgangspunkt ist und die dementsprechend zu einem eingeschränkten und durch diesen Staat auch immer mehr einschränkbaren Selbstverwaltungsbegriff gelangen29. Vor allem der Gießener Öffentlichrechtler Carl Gareis wurde eine Zielscheibe von Preuß’ ablehnendem Spott, denn er hatte die Selbstverwaltung so definiert, daß sie immer die Verwaltung fremder Angelegenheiten sei30. Dies war nicht nur eine Umkehrung des Wortsinnes, die bereits ausgereicht hätte, um Preuß’ Widerspruch hervorzurufen, sondern stand vor allem rechtspolitisch durch Gareis’ Bezug auf den Staat als die einzige Rechtsquelle konträr zu allen grundlegenden Ideen einer liberalen Selbstverwaltung als Selbstregierung eigener Angelegenheiten31. Die Selbstverwaltung hörte für Preuß nicht an der Scheidelinie von Staat und Kommune auf. Die modernen Großstädte und insbesondere Berlin waren ihrerseits im 19. Jahrhundert zu komplexe Gebilde geworden, um effizient auf zentralistische Art verwaltet zu werden. Der theoretische Praktiker Preuß, der in der Berliner Stadtverordnetenversammlung und im Magistrat auch im Alltag der Verwaltung stand, trat für die innere Dezentralisation der Selbstverwaltung ein. Andererseits war die älteste Form der preußischen Selbstverwaltung, die Magistratsverfassung der Städteordnung, in der sich Stadtparlament und der korporative vielköpfige Magistrat in einer alle Verantwortung verwischenden Unklarheit gegenüberstanden, in den Augen Preuß’ nicht mehr als ein althergebrachtes, inzwischen aber überlebtes 28 So etwa „Gemeinde, Staat, Reich“, 223; oder „Internationale Entwicklung des Selbstverwaltungsprinzips“, Sp. 746 u. Sp. 772. Im Art. „Autonomie“, in: Handwörterbuch der Kommunalwissenschaften, 1. Bd., 213f, hier 214, schlägt er den Begriff Autonomie vor, da Selbstverwaltung „eine zu enge Bezeichnung für die relative Selbständigkeit jener engeren Verbände, der autonomen Körperschaften [innerhalb des Staates; MD] ist“. Im Artikel „Selbstverwaltung“ an gleicher Stelle, 3. Bd., 768, verweist er darauf, daß der Begriff Selbstverwaltung nur in Deutschland üblich sei, während sonst von Selfgovernment geredet werde. Eine knappe Definition gibt er im „Städtischen Amtsrecht“, 123: „Die Selbstverwaltung ist die organisatorische Rechtsform für die Mitwirkung von Organen, die von den obersten Regierungsorganen unabhängig sind, bei der Verwaltung.“ In „Selbstverwaltung, Gemeinde, Staat, Souveränität“, 205, hält er einen begrifflichen Gegensatz von deutscher und englischer Selbstverwaltung für nicht konstruierbar; beide seien die gleiche Idee in unterschiedlicher Realisierung. Nach dem Kriege hielt Preuß grundsätzlich an diesen Auffassungen fest; vgl. die Neuauflage des Aufsatzes „Die Entwicklung der kommunalen Selbstverwaltung in Deutschland“, in: G. Anschütz et al. (Hrsg.), Handbuch der Politik, 1. Bd., 3. Aufl., Berlin u. Leipzig 1920, 266–286, hier 266. 29 Zu Laband „Gemeinde, Staat, Reich“, 188; zu Rosin die Abhandlung „Selbstverwaltung, Gemeinde, Staat, Souveränität“, die bereits im Titel Rosins Hauptwerk in der Abfolge der Elemente umdreht. 30 Carl Gareis, Allgemeines Staatsrecht, in: Handbuch des Oeffentlichen Rechts. Erster Band. Allgemeiner Theil. Erster Halbband, Freiburg i.B. u. Tübingen 1883, 1–186, hier 87. 31 Zu Gareis vgl. Preuß in seinem „Städtischen Amtsrecht“, 131: „Also canis a non canendo. Wenn wirklich Wortsinn und begrifflicher Sinn dermaßen wie die Faust auf das Auge zu einander paßten, dann müßte es der Jurist aufgeben, seine Gedanken in unser geliebtes Deutsch zu übertragen.“
3.2 Selbstverwaltung oder Selfgovernment?
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Relikt einer vorindustriellen Epoche. Mit recht zurückhaltenden Worten, die er sonst nicht oft in seinen Schriften an den Tag legt, plädiert Preuß für die Übernahme der Bürgermeister-Verfassung rheinischen Typs auch in den östlichen Teilen des preußischen Staates32. Ein Grund für diese Zurückhaltung lag darin, daß Preuß in seiner Heimatstadt Berlin selbst mit einer klassischen Magistratsverfassung konfrontiert war, deren Änderung kaum auf der Tagesordnung der Parteien in der Kommunalpolitik stand. Wegen der Vermischung von politischer Praxis und theoretischen Auffassungen mußte Preuß hier behutsam agieren; ein intensives Eintreten für eine veränderte Kommunalverfassung für Berlin wäre dort kaum auf Unterstützung gestoßen, abgesehen davon, daß eine solche Reform durch den preußischen Staat ohnehin nicht zu erwarten war33. In verschiedenen Schriften nahm er eine vorsichtige Abwägung der Vor- und Nachteile der Haupttypen städtischer Verfassungen vor. Die Ratsverfassung sei heute zu schwerfällig für Großstädte, das Kollegialsystem bedeutete eine fragwürdige Verantwortlichkeit und die Stellung der Deputationen, die sich als Fachausschüsse mit den einzelnen Aufgaben der Selbstverwaltung befaßten, etwa dem Verkehrs- oder Gesundheitswesen, sei in der Bürgermeisterverfassung besser. Andererseits seien die Berufsbeamten in der Bürgermeisterverfassung nicht so mit der Stadt verbunden, und der Bürgermeister dürfe auch nicht Vorsitzender der Stadtverordnetenversammlung sein. Preuß plädiert dafür, daß die Städte zwischen beiden Typen34 frei wählen dürfen, hält aber zumindest eine drastische Verminderung der Zahl der Magistratsmitglieder für erforderlich und läßt durchblicken, daß die Bürgermeisterverfassung vorzuziehen ist35. Bei diesen Überlegungen verkannte Preuß aber nicht, daß der Osten mit der Magistratsverfassung ebenso zufrieden zu sein schien wie die preußischen Rheinlande mit ihrer effizienteren Verfassung: „Daß jeglicher mit dem zufrieden ist, was
32 Zur Dezentralisation auch innerhalb der Großstädte siehe etwa den Art. „Dezentralisation und Zentralisation“, in: Handwörterbuch der Kommunalwissenschaften“, 1. Bd., 536–539, hier 538f.; oder „Zur Verwaltungsorganisation größter Städte“, in: Die Hilfe, 19. Jg., Nr. 47 (20.11.1913), 740–743, u. Nr. 48 (27.11.1913), 757–760, hier 759. 33 Es ging Preuß hierbei also nicht um die Rücksicht auf seine eigene Stellung im Berliner Magistrat. Die Auffassung von S. Graßmann, Hugo Preuß, 47f., nach der für Preuß entscheidend gewesen sei, daß leitende Stellen im Magistrat von Ehrenbeamten ausgefüllt würden und daß er erst nach 1918 für die Bürgermeisterverfassung eingetreten sei, ist unzutreffend. 34 Eine Übersicht über die Vielzahl der kommunalen Verfassungstypen im Deutschen Reich gibt G.-Chr. von Unruh, Die normative Verfassung der kommunalen Selbstverwaltung, 562ff. 35 Diese Argumentation findet sich im Art. „Bürgermeisterei- und Ratsverfassung“, in: Handwörterbuch der Kommunalwissenschaften, 1. Bd., 481–488. Ähnlich auch „Kommunale Selbstverwaltung in Deutschland“, 1912, 213f.; „Entwicklung des deutschen Städtewesens“, 321ff.; „Zur Verwaltungsorganisation größter Städte“, 758f. In dem letztgenannten Aufsatz, 759, wird die „Gefahr eines bureaukratischen Präfektenregiments“ bei der Bürgermeisterverfassung erwähnt. Preuß’ großes Referat auf dem Preußischen Jubiläumsstädtetag zu Königsberg 1908, unter dem Titel „Ein Jahrhundert städtischer Verfassungsentwicklung“ in „Staat, Recht und Freiheit“, 25– 73, abgedruckt, entwickelt erneut behutsam den Vorzug der Bürgermeisterverfassung.
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3. Die Idee der Selbstverwaltung
er hat, ist eine so seltene Erscheinung, daß man daran eigentlich nicht rühren möchte.“36 Vielleicht ist diese Überlegung auch der Grund für die Zurückhaltung, die sich Preuß stets bei diesem Thema auferlegt und die gerade im Kontext seiner sonstigen Entschiedenheit in Fragen der Verwaltungsreform auffällt. Ein letzter Beweggrund mag seine Verehrung für das Werk Steins gewesen sein; diese Verehrung, die noch ausführlicher zu betrachten sein wird, machte es schwer für Preuß, ein zentrales Element des Steinschen Reformwerkes zu kritisieren. Die gegenseitige Abwägung von östlicher Magistrats- und rheinischer Bürgermeisterverfassung zeigt aber auch, daß Preuß auch im theoretischen Teil seiner Überlegungen auf das praktische Beispiel Preußens fixiert blieb. Trotz gelegentlichen Abstechern in das Verwaltungsrecht der kleineren deutschen Staaten ist es letztlich immer wieder Preußen, das ihn interessiert und an dem er seine Theorie in der Hoffnung entwickelt, damit auf die Praxis einzuwirken37. Und in der Tat war es für einen liberalen Theoretiker der Selbstverwaltung eine umfangreiche Aufgabe, die rechtlichen Positionen der preußischen Kommunen mit den Mitteln der Wissenschaft gegenüber einem oftmals übermächtigen Staat und seiner Bürokratie zu wahren38. Gerade in Preußen mit seinen politisch autoritären Strukturen auf gesamtstaatlicher Ebene hat die Selbstverwaltung für Hugo Preuß entscheidende Bedeutung, weil sie den Gegensatz von Obrigkeit und Untertan wenigstens für ihren Bereich aufhebt. Die Beamten der Selbstverwaltung treten nicht in einen obrigkeitlichen Gegensatz zu den Untertanen, sondern sie bleiben Bürger unter Bürgern; das Selfgovernment wird so zu dem Eckpfeiler demokratischer Entwicklung39. Und diese Entwicklung ist das eigene Recht des kommunalen Organismus; in der Abwehr gegen die Ansprüche des preußischen Staates, die ihre Unterstützung in vielen Schriften der obrigkeitlich gesonnenen Fachkollegen Preuß’ fanden, betont er immer wieder, daß die Gemeinde kein Staatsorgan sei und daß die Gemeinde als eigener Organismus ihre eigenen Organe frei bestimme40: 36 „Ein Jahrhundert städtischer Verfassungsentwicklung“, 71. 37 In „Kommunale Selbstverwaltung in Deutschland“, 1912, 210f., nennt er die preußische Entwicklung ein Paradigma für die anderen deutschen Staaten. Dem trägt auch sein „Städtisches Amtsrecht in Preußen“ Rechnung. Zum Erfolg dieser grundlegenden Untersuchung der preußischen Kommunalverwaltung vgl. G. Gillessen, Hugo Preuß, 33. 38 Zur kommunalen Selbstverwaltung in Preußen siehe E.R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte IV, 351ff.; Wolfgang Rüfner, Preußen, in: K. G. A. Jeserich, H. Pohl, G.-Chr. von Unruh (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 3, 678–714, hier 691ff. und, speziell zu Berlin, 706f. 39 Vgl. „Entwicklung des deutschen Städtewesens“, 375: „(I)n seinen Anfängen trägt fast jedes selfgovernment einen exklusiven Charakter. Aber unzertrennlich mit seiner Entfaltung verbunden ist die fortschrittliche Erweiterung seiner Basis, falls es nicht umstürzen soll; die allmähliche Demokratisierung seiner ursprünglich aristokratischen Gestalt ist sein immanentes Entwicklungsgesetz.“ Zur Aufhebung der Trennung von Untertan und Obrigkeit in der höheren Einheit des sozialen Gemeinwesens siehe „Staat und Stadt“, in: „Staat, Recht und Freiheit“, 91; und „Städtisches Amtsrecht“, 43. 40 Vgl. „Gemeinde, Staat, Reich“, 229f.; „Städtisches Amtsrecht“, 7 u. 137.
3.2 Selbstverwaltung oder Selfgovernment?
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Die Voraussetzung jeder wirklichen Selbstverwaltung ist ihre Ebenbürtigkeit mit der staatlichen Verwaltung, der staatliche Charakter ihrer Behörden41.
Die Gemeinde entspricht somit dem Staat, sie ist aber nicht seine Schöpfung. Sie ist die lokale Organisation der Bürger, wie der Staat deren nationale Organisation ist, und der entscheidende Gegensatz liegt nicht zwischen Staat und Gemeinde, sondern zwischen Obrigkeitsstaat und Selbstverwaltung bzw. Selfgovernment in Staat und Gemeinde42. Dieser Anspruch gilt für alle Ebenen der Organisation, also neben Staat und Gemeinden auch für die dazwischenliegenden Selbstverwaltungsebenen, wie etwa die Provinzen, Bezirke und Kreise in Preußen, die Kreise und Distrikte in Bayern oder die Kreise und Bezirke in Sachsen und Württemberg.43 Auch wenn Preuß hier in vorsichtiger Wortwahl lediglich vom Organismus und seiner Selbstorganisation spricht und damit das staatsrechtliche Reizwort „Herrschaft“ vermeidet, läßt sich doch nicht übersehen, daß seine Gedanken in der staatsrechtlich gängigen Terminologie seiner Zeit letztlich auf ein eigenes Herrschaftsrecht der Gemeinden hinauslaufen. Unabhängig von der Frage, wie weit seine Kollegen in praktisch-politischer Hinsicht das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden ausgedehnt sehen wollten, konnten sie sich mit diesem theoretischen Resultat nicht einverstanden erklären. Für Laband war ja gerade das staatliche Herrschaftsrecht 41 „Was uns fehlt“, 20f. Ähnlich „Städtisches Amtsrecht“, 151, 153 u. 161. Ebenso „Kommunale Selbstverwaltung in Deutschland“, 1912, 217: „Sobald man die Unhaltbarkeit des Dogmas vom Staate als dem ‚obrigkeitlichen‘ und der Gemeinde als dem ‚wirtschaftlichen‘ Verbande erfaßt hat, kann man aus dem Wesen beider für ihre Zuständigkeit nur folgern, daß die Gemeinde der politische Verband zur genossenschaftlichen Ordnung der lokalen Angelegenheiten, der Staat der politische Verband zur genossenschaftlichen Ordnung der nationalen Angelegenheiten sei. Wobei dann freilich der deutsche Territorialstaat in eine recht prekäre Lage kommt, weil er ein lokales Gemeinwesen nicht sein will, weil er aber ein nationales Gemeinwesen nicht ist.“ In „Selbstverwaltung, Gemeinde, Staat, Souveränität“, 232, heißt es (erneut gegen die Zwecktheorie): „Für jeden von ihr verfolgten Gemeinzweck ist ... die Gemeinde, für jeden von ihm verfolgten Gemeinzweck ist also der Staat das zweckbestimmende Subjekt; und der Unterschied zwischen jenen ‚lokalen‘ und diesen ‚staatlichen‘ Zwecken liegt nicht a priori in ihnen selbst, so daß er gewissermaßen rückläufig den begrifflichen Unterschied der zweckbestimmenden Subjekte charakterisieren könnte; vielmehr ist er umgekehrt lediglich Ausfluß der Verschiedenheit der zweckbestimmenden Subjekte als eines Lokalverbandes einerseits, eines Nationalverbandes andererseits. Dieser Unterschied wiederum wurzelt einzig und allein in dem principium individuationis der politischen Gemeinwesen als Gebietskörperschaften, dem Gebiet und seinen Gliederungsverhältnissen. Der Begriff des Lokalverbandes ist daher ein lediglich relativer, der auf jedes politische Gemeinwesen anzuwenden ist, dessen Gebiet einer weiteren Gebietskörperschaft organisch eingegliedert ist; die Ortsgemeinde ist daher im Verhältnis zur Kreis- und Provinzialgemeinde ebenso ein Lokalverband, wie der Gliedstaat im Verhältnis zum Gesamtstaat.“ 42 „Kommunale Selbstverwaltung in Deutschland“, 1912, 200. 43 Vgl. Werner Frotscher, Überblick über die Verwaltungsorganisation in den Bundesstaaten, in: K. G. A. Jeserich, H. Pohl, G.-Chr. von Unruh (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 3, 407–434. Ebd., 433f., findet sich eine hilfreiche tabellarische Übersicht über den Verwaltungsaufbau der größeren deutschen Bundesstaaten von Preußen bis Hessen.
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3. Die Idee der Selbstverwaltung
das Unterscheidungsmerkmal gewesen, an dem sich der nichtsouveräne Staat bestimmen ließ44. Auch Jellinek, der politisch weitestgehend mit Preuß übereinstimmte, gab diese Gemeinsamkeit an der Schwelle zur Theorie wieder auf45. Jellinek erkannte auch, daß Preuß’ theoretische Behauptung eines gemeindlichen eigenen Herrschaftsrechtes ein Ausfluß von Preuß’ Ablehnung des Souveränitätsbegriffes war. Preuß hatte, wie gezeigt, die Ablehnung der Souveränität mit der freien Entwicklung von Genossenschaften und Körperschaften in der modernen Gesellschaft verbunden, und dazu gehörten auch die territorialen Körperschaften unterhalb des Staates. Dazu gehörte für Preuß ein Residuum von eigenen Rechten, in die auch der Staat nicht eingreifen durfte. Es ist aufschlußreich, daß Jellinek in diesen Schranken für den Staat lediglich eine Hürde sieht, die jede gedeihliche Entwicklung behindern müsse46. Selbst Jellinek, der zweifellos einer der liberalsten Öffentlichrechtler seiner Zeit gewesen ist, denkt so ausschließlich vom Staate her, daß ihm die gesicherte Eigenaktivität der kommunalen Körper nicht als Chance, sondern als Hindernis erscheint. Preuß hat aus seinen theoretischen Ansichten weitreichende praktische Konsequenzen gezogen. So haben die Gemeinden angesichts der gewaltigen Steigerung ihrer Aufgaben im Zuge der Großstadtentwicklung des 19. Jahrhunderts das Recht, ihre Stimme auch in allgemeinpolitischen Fragen zu äußern, da sie von allen diesen Fragen berührt werden47. Für den einzigen, aber auch gravierenden Fehler der 44 P. Laband, Staatsrecht des Deutschen Reiches, 1902, 14: „Es ist die Frage zu beantworten, welches Kriterium für den Staat übrig bleibe, wenn man die Souveränetaät für nicht wesentlich erklärt, und durch welches durchgreifende Merkmal sich der ‚nicht souveräne Staat‘ von Provinzen, Kreisen, Gemeinden u. dergl. unterscheide. Dieses Merkmal ist darin zu finden, daß die Staaten eine öffentlich rechtliche Herrschaft kraft eigenen Rechts haben, nicht durch Übertragung, nicht als Organe, deren sich eine höhere Macht zur Erfüllung ihrer Aufgaben, zur Durchführen ihres Willens bedient, sondern als selbständige Rechtssubjekte mit eigener Rechtssphäre, mit eigener Willens- und Handlungsfreiheit.“ Ähnlich auch schon 1876 im umfassenderen Staatsrecht des Deutschen Reiches, 1. Bd., 64. 45 Georg Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2., durchges. u. verm. Aufl., Tübingen 1905 (ND Darmstadt 1963), 286, wendet sich gegen den Gedanken eines eigenen Herrschaftsrechts: „Jede Zwangsgemeinschaft kann es nur durch staatliche Macht, kraft des dem Staate eignenden Imperiums sein.“ Die Behauptung des Gegenteils durch die Genossenschaftslehre stehe im Widerspruch zum modernen Staat und gehe zurück auf das Mittelalter: „Diese mittelalterliche Staatsidee ist für die Erkenntnis des modernen Staates nur als ein für alle Zeiten abschreckendes Beispiel zu gebrauchen und aller juristischen Romantik wird es nicht gelingen, ihr wieder einiges Leben einzuhauchen.“ Ebd., 287. 46 Vgl. ebd., 293: „Wer jedoch absolute juristische Schranken für ihn behauptet, spricht dem Staate die Möglichkeit ab, aus eigener, selbständiger Rechtsmacht seine Ordnung dem historischen Flusse der Entwickelung des von ihm beherrschten Volkes anzupassen und verurteilt ihn damit unbewußt zur endlichen Erstarrung.“ Mit einer Fußnote macht Jellinek an dieser Stelle deutlich, daß sich der Vorwurf an Preuß richtet. 47 Vgl. „Zur Verwaltungsorganisation größter Städte“, 740. In „Die Umsturzvorlage und die Städte“, in: Soziale Praxis, 4. Jg., Nr. 32 (6.5.1895), Sp. 472–475, hier Sp. 473, nennt Preuß die Stadt den „Brennpunkt der sozialen Interessengemeinschaften und Interessengegensätze“,
3.2 Selbstverwaltung oder Selfgovernment?
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Steinschen Städtereform hält Preuß die dogmatische Auseinanderreißung von kommunaler Verwaltung und staatlicher Polizei, die es den Städten unmöglich macht, ihre Aufgaben zu erfüllen; wie Peter Schlemihl ohne seinen Schatten herumlaufen muß, so müssen die preußischen Städte verwalten, ohne den polizeilichen Schatten jeder Verwaltung werfen zu können48.
Das konkrete Beispiel, daß Preuß hier vor Augen hatte, war die städtische Baupolitik. Hier waren nicht die Selbstverwaltungsorgane zuständig, sondern die staatliche Polizei. Diese entschied nach obrigkeitsstaatlichem freien Ermessen und versagte daher völlig vor den Anforderungen der modernen Stadt. Wie in vielen Details der Verwaltungsorganisation lassen sich auch bei der Polizeiverwaltung erhebliche Unterschiede zwischen Preußen und den durchweg bürger- und selbstverwaltungsfreundlicheren süddeutschen Staaten aufzeigen49. Gegen die preußische Auseinanderreißung von Polizei- und Kommunalverwaltung hat Preuß sich seine ganze Laufbahn hindurch publizistisch gewendet50. Eng verwandt hiermit ist eine weitere Argumentationslinie, die Preuß gegenüber der preußischen Bürokratie und ihrer selbstverwaltungsfeindlichen Grundstimmung wissenschaftlich nutzte. Nach dem Wortsinn hätte man kaum einen Streit über den Grundsatz erwartet, daß die Beamten der Gemeinde Gemeindebeamte seien. Tatsächlich lag jedoch genau hier einer der Hauptpunkte für die Auseinandersetzung zwischen konservativen und liberalen Interpretationen des Verhältnisses von staatlicher und kommunaler Bürokratie. Mit zahlreichen ministeriellen Verordnungen versuchte der staatliche Verwaltungsapparat, die städtische Beamtenschaft direkt als weisungsgebundene Untergebene in den Instanzenweg mit einzubeziehen, während Preuß demgegenüber bemüht war, ihre nur mittelbare Unterordnung zu zeigen. Selbst in den Bereichen, in denen städtische Beamte in Auftragsverwaltung des Staates handelten, blieben sie doch städtische Beamte und damit die Städte seien als solche also sehr wohl von der Vorlage berührt und damit befugt, sie zu diskutieren (Sp. 474). 48 „Öffentliches und Privatrecht im Städtebau“, in: Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie, 6. Bd. (1912/13), 341–365, hier 349. 49 Vgl. W. Rüfner, Preußen, 705f.; Klaus von der Groeben, Die Erfüllung von allgemeinen und besonderen polizeilichen Aufgaben, in: K. G. A. Jeserich, H. Pohl, G.-Chr. von Unruh (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 3, 435–451. 50 „Zur preußischen Verwaltungsreform. Denkschrift verfaßt im Auftrage der Ältesten der Kaufmannschaft von Berlin“, Leipzig u. Berlin 1910, 98; „Städtisches Amtsrecht“, 216ff., 221 u. 231. Hier wird die Schuld an dem Fehler der Städteordnung Steins Mitarbeiter Schön gegeben. Auch in „Kommunale Selbstverwaltung in Deutschland“, 217, geht er darauf ein, daß die Ortspolizei weder praktisch noch theoretisch von der Selbstverwaltung zu lösen sei: „Aber freilich ist es für den Geist des obrigkeitlichen Polizeistaates auch der Gipfel der Selbstentäußerung, den Donnerkeil obrigkeitlicher Zwangsgewalt an ‚Unterthanen‘-Verbände auszuliefern.“ So sei es denn typisch preußische ‚Selbstverwaltung‘, daß der Staat verwalte und die Gemeinde dafür bezahle. Zur ganz anderen Situation in England vgl. J. Redlich, Englische Lokalverwaltung, 348.
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3. Die Idee der Selbstverwaltung
durch die Gemeinde, deren unmittelbare Organe sie waren, dem Staat nur indirekt unterstellt51. Dies führte letztlich zum entscheidenden Punkt des Verhältnisses von Staat und Gemeinde; der Frage staatlicher Aufsicht oder Weisungsgewalt: Subordination und Decentralisation sind mit einander völlig unvereinbar; die Decentralisation beginnt, wo die Subordination und mit ihr die Verantwortlichkeit eines staatlichen Vorgesetzten aufhört, und an ihre Stelle ein anderes Behördensystem und eine andere Verantwortlichkeit tritt: ein kommunaler Selbstverwaltungskörper.52
Subordination war das Verhältnis, in dem eine nachgeordnete Behörde zu ihren Vorgesetzten innerhalb eines Verwaltungsstranges stand. Staatsaufsicht war die rechtliche Einbindung der Kommunen in den sie umgebenden Staat, der die rechtliche Aufsicht darüber zu führen hatte, ob die Kommunen ihre Pflichten erfüllten. Preuß ist immer wieder auf diesen Punkt zurückgekommen, der ein entscheidendes Verbindungsglied zwischen Staat und Kommune berührte, und zwar gleichermaßen in der Theorie wie in der Praxis der Selbstverwaltung. Die Vertauschung von Aufsicht und Subordination war für ihn „das chronische Leiden der deutschen, vor allem der preußischen Selbstverwaltung“53. Aufsicht werde nur ausgeübt, wo der Staat einen gesetzlichen Titel dazu hat, sie gelte nur gegenüber der Gemeinde als solcher und niemals zu einzelnen ihrer Beamten; „Staatsaufsicht und Selbstverwaltung ... sind korrelative Begriffe“, getrennt von der Subordination54. Daraus ergab sich, daß die Gemeinden das Recht und die Pflicht besaßen, die Zuständigkeit der Aufsichtsbehörde im Einzelfall zu prüfen, und Preuß bedauerte
51 Vgl. Art. „Beamte“, in: Handwörterbuch der Kommunalwissenschaften, 1. Bd., 313–321, hier 315 u. 320f.; Art. „Gemeindebeamte. Allgemeines“, in: ebd., 2. Bd., 204–208, hier 204 u. 206; Art. „Selbstverwaltung“, in: ebd., 3. Bd., 768–776, hier 775f.; „Das Recht der städtischen Schulverwaltung in Preussen“, Berlin 1905, 92; „Städtisches Amtsrecht“, 51, 128f. u. 333. Ebd., 17ff., zur Stellung der Beamten zum Fürsten im Absolutismus. Unter Friedrich II. habe es in Preußen „die vollendete Verstaatlichung der Stadt“ gegeben; ebd., 36. Preuß scheidet den modernen Begriff des mittelbaren Staatsbeamten von dem des Allgemeinen Landrechts; heute bedeute er nur, daß die Gemeinden dem Staat angehörten, ihre Beamten „sind auch nicht nebenbei oder in zweiter Linie staatliche Beamte, sondern lediglich unmittelbare Gemeindebeamte, und nur weil die Gemeinde ein organisches Glied des Staates ist entstehen mittelbare Beziehungen zwischen ihren Organen und dem Staate“, ebd., 120. 52 „Kommunale Selbstverwaltung in Deutschland“, 1912, 210f. 53 Ebd., 216. 54 Art. „Staatsaufsicht“, in: Handwörterbuch der Kommunalwissenschaften, 3. Bd., 808–813, hier 808. Ähnlich „Die Lehre Gierkes und das Problem der preussischen Verwaltungsreform“, 301; „Ein Jahrhundert städtischer Verfassungsentwicklung“, 39f.; und „Städtisches Amtsrecht“, 139f. Vgl. ebd., 307: „(D)ie Dienstaufsicht des Vorgesetzten reicht so weit wie die Zuständigkeit des subordinierten Beamten, die Kommunalaufsicht der Staatsbehörde nur so weit wie die staatliche Aufsichtskompetenz gegenüber der kommunalen Autonomie.“
3.2 Selbstverwaltung oder Selfgovernment?
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es besonders, daß auch die höheren Verwaltungsgerichte sich nicht immer zu der von ihm angemahnten sauberen Trennung in ihrer Begrifflichkeit verstanden55. An dieser generellen Trennung der Ebenen änderte sich auch nichts dadurch, daß in einzelnen Fällen der Staat ein Bestätigungsrecht für städtische Organe besaß, denn dieses Bestätigungsrecht war Ausfluß der Aufsichtsbefugnisse und nicht mit staatlicher Ernennung zu verwechseln56. Die entscheidende Trennung lag für Preuß auch hier in der Steinschen Städteordnung. Zuvor, im alten Obrigkeitsstaat, sei das Bestätigungsrecht ein willkürlicher Akt gewesen, eine Abart der Ernennung und Ausdruck des Mißtrauens gegen jede Art von Selbstverwaltung überhaupt. Seit der Steinschen Städteordnung hingegen ist es ein zweiseitiger und somit rechtlich zu regelnder Akt, der von einseitigen Akten wie Ernennung oder Wahl scharf zu scheiden ist. Bei freiem Ermessen der Bestätigungsbehörde höre außer der Selbstverwaltung auch der Rechtsstaat auf. Und trotzdem fügte Preuß beinahe schon trotzig hinzu, daß selbst in diesem Falle die Gemeindeorgane rechtlich allein von der Gemeinde bestellt werden57. Hugo Preuß war sich darüber im klaren, daß er mit diesem Teil seiner Theorie des Selfgovernment einen anhaltenden Kampf auszutragen hatte, der nur wenige Erfolgsaussichten besaß. Beständig versuchte der preußische Staat, die gesetzliche Regelung der Städteordnung nachträglich auf dem Verordnungswege als ein Subordinationsverhältnis zu interpretieren. Bei der Langlebigkeit der Auseinandersetzung war es nicht selten, wenn sich neuere Erlasse dabei auf zum Teil schon Jahrzehnte alte Verordnungen beriefen, deren Rechtsqualität schon damals umstritten war und die mit steigendem Alter für Hugo Preuß nicht an Glaubwürdigkeit gewonnen hatten. Er maß diese Verordnungen nicht an der Häufigkeit ihrer Veröffentlichung, sondern an den gesetzlichen Grundlagen der Städteordnungen, wie sie aller Verwaltungspraxis zum Trotze fortbestanden: Der Praktiker sucht Rat und Hilfe zu einer möglichst raschen Entscheidung in Zweifelsfragen; findet er dies in einem Ministerialreskript, so wird er selten geneigt sein, sich mit weiteren Zweifeln über die Rechtsverbindlichkeit eines solchen Reskripts den Kopf zu zerbrechen; gibt es gar ein irgendwie verwendbares Oberverwaltungsgerichtserkenntnis, so ist das juristische Gewissen vollends beruhigt. Mit Verwaltungsverordnungen aller Art, namentlich mit Ministerialreskripten, ist nun unser preußisches Städterecht in geradezu tropischer Fülle gesegnet.
55 In „Städtisches Amtsrecht“, 312, bedauert er, daß auch das Oberverwaltungsgericht von der Aufsichtsbehörde als einer vorgesetzten Dienstbehörde spreche und damit die verfehlte Auffassung der Regierung stütze. Die Klage des Praktikers klingt an in „Was uns fehlt“, 20; Beschwerden gegen staatliche Übergriffe seien fruchtlos, aber bei Klagen über die Selbstverwaltung werde die Aufsichtsbehörde sehr schnell aktiv. Auch in „Germany – The Government“, [5], sagt Preuß, daß die Staatsaufsicht oft so stark sei, daß sie von direkter Staatsverwaltung kaum zu unterscheiden sei. Zum Vergleich mit England erneut J. Redlich, Englische Kommunalverwaltung, 619. 56 Vgl. Art. „Bestätigung“, in: Handwörterbuch der Kommunalwissenschaften, 1. Bd., 396–400, hier 397f.; „Städtisches Amtsrecht“, 165, 169, 196ff. 57 „Städtisches Amtsrecht“, 211.
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3. Die Idee der Selbstverwaltung Diese ihre Quantität steht nur leider im umgekehrten Verhältnis zu ihrer Qualität unter dem Gesichtspunkt juristischer Kritik.58
Die ständigen Auseinandersetzungen zwischen staatlicher Bürokratie und kommunaler Selbstverwaltung resultierten letztlich aus dem prinzipiell unterschiedlichen Aufbau von liberal verfaßter Kommune und autoritärem Staat. Der Selbstbescheidung, wie sie in der Gneistschen Selbstverwaltungstheorie ihren Ausdruck findet, indem sie ihren Blick vom Parlamentarismus abwendet und auf kommunaler Ebene ihr Feld sucht, konnte Preuß niemals zustimmen. Erst die wechselseitige Ergänzung des Selfgovernment in der lokalen und nationalen Politik vollendete den Bau: An die Stelle der einig einzigen Staatsanstalt des absoluten Polizeistaats setzt die genossenschaftliche Verwaltungsorganisation eine Mehrheit von beschränkt autonomen kommunalen Gebietskörperschaften, deren organische Einheit die staatliche Gebietskörperschaft bildet. Die parlamentarische Verfassung ist also die organisatorische Rechtsform für die Mitwirkung eines vom Monarchen unabhängigen Organs des Gemeinwillens bei der Gesetzgebung. Die Selbstverwaltung ist die organisatorische Rechtsform für die Mitwirkung von Organen, die vom Monarchen und seinen Beamten unabhängig sind, bei der Verwaltung. Nun ist aber der Monarch und seine Regierung für das Verwaltungsgebiet das höchste Organ des staatlichen Gemeinwillens; und nur indem die Gemeinden als relativ selbständige politische Organismen, als Träger eines vom staatlichen differenzierten kommunalen Gemeinwillens durch die Rechtsordnung anerkannt werden, ist die organisatorische Möglichkeit einer relativen Unabhängigkeit der Selbstverwaltungsorgane von den staatlichen Verwaltungsorganen gegeben. Organisatorische Differenzierung ist eben in beiden Fällen das technische Mittel, wodurch das formengestaltende Recht die politische Idee einer Selbsttätigkeit des mündigen Volkes in Verfassung und Verwaltung plastisch realisiert; Differenzierung der obersten Staatsorgane dort, Differenzierung der politischen Organismen hier. Aus diesem ihrem inneren Wesen ergibt sich die Korrelativität von parlamentarischer Verfassung und kommunaler Selbstverwaltung. Fehlt der Verfassung ohne Selbstverwaltung die praktisch durchgreifende Wirksamkeit, die nur durch die Teilnahme des Bürgertums an der wirklichen Verwaltung erzielt werden kann, so fehlte der Selbstverwaltung ohne Verfassung die organisatorische Rechtssicherung ihrer ganzen Existenz.59
Preußen war weit von diesem Ideal des freien Bürgers in der freien Gemeinde im freien Staat entfernt, und es spricht ebenso Ironie wie Bitterkeit aus der Preußschen Bemerkung, daß die stärkste Existenzsicherung sowohl für parlamentarische Verfassung als auch für Selbstverwaltung darin lag, daß nur sie in der Lage waren, den finanziellen Bedarf des Staates zu decken60. 58 Ebd., 4. 59 „Entwicklung des deutschen Städtewesens“, 279. Vgl. den Schlußsatz von „Kommunale Selbstverwaltung in Deutschland“, 218: „Die kommunale Selbstverwaltung kann nur im wahren Verfassungsstaat Wahrheit werden.“ Ähnlich Art. „Stadt und Stadtverfassung“, in: Handwörterbuch der Kommunalwissenschaften, 4. Bd., 1–17, hier 13. Vgl. auch „Zur preußischen Verwaltungsreform“, 270: „Verfassungs- und Verwaltungsorganisation sind nicht zwei getrennte, einander fremde Probleme, sondern die einander bedingenden Seiten eines und desselben Problems: der Organisation der politischen Gemeinwesen in ihrer organischen Gliederung.“ 60 „Entwicklung des deutschen Städtewesens“, 377.
3.2 Selbstverwaltung oder Selfgovernment?
107
Das Vorbild, in dem Preuß sein demokratisches Selfgovernment verwirklicht sah, war das gleiche, aus dem Gneist wenig früher seine aristokratische Theorie der Selbstverwaltung entwickelt hatte: England. Wieweit das englische Beispiel in der Praxis vorbildhafte Funktion hatte, ist angesichts des natürlichen Gewichts der Nachbarschaft zu Frankreich und der im frühen 19. Jahrhundert gemeinsamen Tradition bürokratischer Monarchien fraglich61. In der theoretischen Betrachtung der Zeitgenossen war die Bezugnahme auf England nicht umstritten. Sie überschritt ideologische und politische Grenzen bis weit in das konservative Lager hinein, wo allerdings der Bezug auf England als Ausflucht genutzt wurde, um von demokratischen Reformen abzulenken62. Dies traf jedoch auf Hugo Preuß’ Beschäftigung mit Englands Selbstverwaltung nicht zu. Das Musterland des Selfgovernment: England Der große Einfluß, den die englische Organisation des Selfgovernment63 auf Preuß’ eigene Ideen ausübte, ist schon früher gründlich untersucht worden. Preuß sah in England durch den Lauf der historischen Entwicklung zwanglos das verwirklicht, was Stein für Deutschland auf dem Wege der Reform von oben zu erreichen angestrebt hatte64. Selbst am preußischen König Friedrich II., für den Preuß sonst kaum ein gutes Wort findet, wird die Bewunderung Englands hervorgehoben65. Der Dualismus von Staat und Kommune war im englischen Selfgovernment aufgehoben in einer durch und durch bürgerlichen Organisation, in der alle Ebenen 61 H. Heffter Deutsche Selbstverwaltung, 63, warnt vor einer Überschätzung des englischen Beispiels für die deutsche Selbstverwaltung. In Deutschland herrsche „eine sehr starke Tendenz ..., den eigenen politischen Gegensatz zu Frankreich durch eine ausgeprägte, mit dem Glauben an die nahe germanische Stammverwandtschaft unterbaute Anglomanie zu ergänzen; sie ist charakteristisch für den Reformerkreis um den Freiherrn vom Stein, in einer geradezu dogmatisierten Form dann für Gneist“. 62 Heffter spricht ebd., 101, von der „konservativen Tendenz der deutschen Anglomanie“. 63 Als neueren Überblick zu historischen Entwicklungen wie zu aktuellen Problemen siehe Adolf M. Birke, Magnus Brechtken (Hrsg.), Kommunale Selbstverwaltung. Local Self-Government. Geschichte und Gegenwart im deutsch-britischen Vergleich, München usw. 1996. Zum breiteren sozialhistorischen Hintergrund vgl. F.M.L. Thompson, Town and city, in: ders. (Hrsg.), The Cambridge Social History of Britain 1750–1950. Vol. 1: Regions and communities, Cambridge usw. 1990, 1–86. 64 Vgl. zur Orientierung an England statt an Frankreich „Was uns fehlt“, 10; „‚Finis britanniae!‘“, in: Die Nation, 4. Jg. (1886/87), Nr. 4 (23.10.1886), 55–57, hier 55; „Eine Biographie des englischen Parlaments“, in: „Staat, Recht und Freiheit“, 510–518, hier 511 (erstmals ‚Die Nation‘ 1886). Zum Verhältnis von Hugo Preuß zu England vgl. G. Gillessen, Hugo Preuß, 6f.; S. Graßmann, Hugo Preuß, 40f. Offensichtlich ist der Einfluß von Redlichs Englischer Lokalverwaltung auf Preuß. Laut H. Heffter, Deutsche Selbstverwaltung, 746, ist dies aber auch der einzige Einfluß, der dem Redlichschen Werk beschieden war. 65 „Verfassungspolitische Entwicklungen in Deutschland und Westeuropa. Historische Grundlegung zu einem Staatsrecht der Deutschen Republik.“ Aus dem Nachlaß hrsg. u. eingel. v. H. Hintze, Berlin 1927, 427f.
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3. Die Idee der Selbstverwaltung
Resultate des gleichen genossenschaftlichen Vereinigungswillens darstellten66. Selfgovernment sei so sehr selbstverständlicher Bestandteil der Politik, daß der Begriff im deutschen Sinne gar nicht existiere67 und von dem Begriffspaar local/national government bei prinzipieller Einheit beider ersetzt werde68. Die Reichweite, die diese Überlegung für Preuß hat, wird erst im Vergleich mit anderen Ländern deutlich, die zum Teil an die englischen Verwaltungstraditionen angeknüpft haben, zum Teil aber auch in ihren eigenen Traditionen ein gegenteiliges Modell verfolgt haben. Die praktische wie theoretische Übernahme und Weiterentwicklung der Einheit von kommunaler und nationaler Selbstregierung sieht Preuß in den USA verwirklicht. Dieser Punkt ist ihm so wichtig, daß er ihn in einer ebenso farbigen wie problematischen Wortwahl unterstreicht, die sonst kaum bei ihm zu finden ist69. Frankreich hingegen, das niemals die Selbstverwaltung als Grundlage nationaler Selbstregierung gekannt habe, sei in Wirklichkeit unter keiner seiner vielen Verfassungen und politischen Systeme frei gewesen70. In ihrer inneren Organisation seien aus den Wirren der Französischen Revolution nur Rußland und England unbeschadet hervorgegangen, und da man den russischen Autokratismus nicht zum Vorbild nehmen könne, bleibe nur das englische Beispiel71. Gerade diese letzte Gegenüberstellung des russischen und des englischen Modells ist ein gängiger politischer Topos unter deutschen Liberalen im 19. Jahrhundert, die den autoritären Zarenstaat ebenso ablehnend betrachteten, wie sie gegen 66 Vgl. Asa Briggs, Local, Regional, National: The Historical Dimensons of Public Authority, in: A. M. Birke, M. Brechtken (Hrsg.), Kommunale Selbstverwaltung. Local Self-Government, 13– 24, hier 14. 67 Im Register von F.M.L. Thompson (Hrsg.), The Cambridge Social History of Britain 1: Regions and communities und J.H. Baker, An Introduction to English Legal History, 3. Aufl., London usw. 1990, sucht man vergebens einen Eintrag für „selfgovernment“. Fündig wird man hingegen unter „local government“. 68 Vgl. „Selbstverwaltung, Gemeinde, Staat, Souveränität“, 221; „Kommunale Selbstverwaltung in Deutschland“, 199; „Staat und Stadt“, 78 u. 79: „Dem Geiste des Selfgovernment, der das ganze öffentliche Leben in allen seinen Erscheinungsformen beseelt, entspringt vielmehr die Anschauung, daß die Gesammtheit der communae, der Grafschaften und Städte, die magna communa des Reiches bildet.“ Das Selfgovernment der lokalen Genossenschaften und die „Selbstregierung der großen communa communarum“ (Ebd., 95) sei ein Prinzip. Vgl. auch J. Redlich, Englische Lokalverwaltung, XXf. 69 „Hier, im Kampfe um den neuen Continent, hatte sich die Überlegenheit des germanischen Geistes der Selbstbestimmung über romanische Gebundenheit siegreich bewährt.“ „Franz Lieber, ein Bürger zweier Welten“, Berlin 1886 (Sammlung gemeinverständlicher wissenschaftlicher Vorträge, hrsg. v. R. Virchow u. Fr. v. Holtzendorff, N.F., I. Serie, H. 1–24, Hamburg 1886, hier H. 12, 437–480, auch eig. Paginierung), 28. In „Nationalitäts- und Staatsgedanke“, in: „Staat, Recht und Freiheit“, 527–537 (erstmals ‚Die Nation‘ 1887), hier 535, lobt Preuß den englischen Staatsgedanken; er „hat das fruchtbarste und originellste Staatsgebilde der Neuzeit geschaffen: den nordamerikanischen Bundesstaat“, ebd., 535. Vgl. auch H. Heffter, Deutsche Selbstverwaltung, 53. 70 Vgl. „Franz Lieber“, 29: „Frankreich selbst war so wenig frei unter Robespierre wie unter Ludwig XIV, unter den Napoleons so wenig wie unter der dritten Republik.“ 71 „Nationalitäts- und Staatsgedanke“, 533.
3.2 Selbstverwaltung oder Selfgovernment?
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eine enge politische Bindung der preußischen Monarchie mit Rußland mißtrauisch blieben72. Umgekehrt war es für die Konservativen, denen das Zarenreich weit näher stand, das englische Beispiel, das als Warnung für einen falschen innenpolitischen Weg und, mehr und mehr, als außenpolitischer Rivale herhalten mußte73. Aber Preuß gibt hier nicht nur den politischen Konsens seiner politischen Weggefährten wieder, sondern seine historisch fundierte Überlegung zielt auf einen anderen Punkt. Am meisten hat Preuß wohl die Kontinuität der englischen Rechtsentwicklung bewundert, die das Land vor den großen Rechtsumwälzungen der kontinentalen Geschichte bewahrt hatte. Diese Kontinuität gilt für die Vergangenheit, in der seit dem frühen Mittelalter die Person des Grafen vor der Institution der Grafschaft verschwindet – während Deutschland den umgekehrten Prozeß durchläuft – ebenso wie für die Gegenwart, in der die Homogenität der englischen Parteien die Gewähr bietet, Reformfreude ohne Radikalismus mit Behutsamkeit ohne konservative Erstarrung zu verbinden: Die Gesamtheit dieser Reformen war eben nicht das Werk der souveränen Willkür eines Gesetzgebers, der heute einen Schritt vorwärts und morgen zwei Schritte rückwärts geht, sondern das organische Produkt eines Gemeinlebens, das sich in der natürlichen Gliederung des selfgovernment entwickelt.74
72 Vgl. Maria Lammich, Vom „Barbarenland“ zum „Weltstaat“ – Rußland im Spiegel liberaler und konservativer Zeitschriften, in: Mechthild Keller (Hrsg.), Russen und Rußland aus deutscher Sicht. 4. Bd.: 19./20. Jahrhundert: Von der Bismarckzeit bis zum ersten Weltkrieg, München 2000, 146–198. Was für die Liberalen galt, traf noch weit stärker auf die deutschen Sozialisten zu, für die Rußland bis in den Weltkrieg hinein der Hauptfeind blieb. Vgl. die an gleicher Stelle zu findenden Aufsätze von Gudrun Goes und Mechthild Keller: Das Bild der russischen Narodniki in der deutschen sozialdemokratischen Presse, 199–243; sowie von Helmut Hirsch: Vom Zarenhaß zur Revolutionshoffnung – Das Rußlandbild deutscher Sozialdemokraten, 244–274. 73 Zur konservativen Abneigung gegen England siehe Eckart Kehr, Englandhaß und Weltpolitik. Eine Studie über die innenpolitischen und sozialen Grundlagen der deutschen Außenpolitik um die Jahrhundertwende, in: Zeitschrift für Politik, 17 (1928), 500–528; erneut in ders., Der Primat der Innenpolitik. Gesammelte Aufsätze zur preußisch-deutschen Sozialgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert. Hrsg. und eingel. v. Hans-Ulrich Wehler, 2. Aufl., Frankfurt a.M., Berlin und Wien 1970, 148–175. 74 „Selbstverwaltung, Gemeinde, Staat, Souveränität“, 214. Vgl. „Verfassungspolitische Entwicklungen“, 431. Zur unterschiedlichen Entwicklung in Deutschland und England seit dem Mittelalter und zum Verhältnis von Graf und Grafschaft ebd., 36; „Selbstverwaltung, Gemeinde, Staat, Souveränität“, 206f. u. 212f.; und „Staat und Stadt“, 78. Zur sozialen Homogenität der Parteien „Verfassungspolitische Entwicklungen“, 445 u. 468. Vgl. auch J. Redlich, Englische Lokalverwaltung, 614: „Die Identität der in der Lokalverwaltung und im Parlamente herrschenden Klasse ließ bei dieser selbst das Bedürfnis nach einer Kontrolle in der Lokalverwaltung gar nicht aufkommen.“
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3. Die Idee der Selbstverwaltung
Diese Kontinuität war ein krasser Gegensatz zur kontinentaleuropäischen Rechtsentwicklung, der der Absolutismus und das mit ihm einhergehende Römische Recht unauslöschlich ihren Stempel aufgedrückt haben75. Vor diesem Hintergrund muß es Preuß wie Ironie vorgekommen sein, daß gerade zu seiner Zeit gelegentliche englische und amerikanische Stimmen76 die Vortrefflichkeit der preußischen Selbstverwaltungsorganisation gegenüber der heimischen Art lobten – zumal ein solches Lob der konservativen Seite natürlich ausgesprochen zupaß kam. Preuß hat sich denn auch stets gegen dieses aus seiner Sicht ungerechtfertigte Lob gewehrt77. Die englische und amerikanische Unterscheidung von nationalem und lokalem Selfgovernment nahm offenbar anders als die deutsche Diskussion nicht den Staat und seine Souveränität als Ausgangspunkt aller politischen wie rechtlichen Konstruktionen an. Sie war daher auch nicht genötigt, Untersuchungen über den Wesensunterschied von Staat und Gemeinde anzustellen, denn ein solcher Wesensunterschied wurde in der pluralistischen Gesamtstruktur der angelsächsischen politischen Systeme nicht als wichtig erachtet. Auch hierin liegt wieder ein wichtiger Berührungspunkt mit der Genossenschaftslehre Preußscher Prägung, wobei aber diese Berührung wiederum einseitig blieb. Preuß konnte in der englischen und amerikanischen Praxis eine Bestätigung seiner Theorie sehen, zu einer Rezeption seiner Gedanken in diesen Ländern kam es aber nicht. Anders als bei Gierke, dessen Schriften schon früh zumindest auszugsweise ins Englische übertragen wurden, fand keines der Werke von Preuß einen Übersetzer78. Es klingt etwas Resignation mit, wenn Preuß schreibt, daß die deutschen Kontroversen über den Bundesstaat im
75 So etwa „Kommunale Selbstverwaltung in Deutschland“, 199, Art. „Selbstverwaltung“, in: Handwörterbuch der Kommunalwissenschaften, 3. Bd., 769; Art. „Verwaltungsorganisation. Allgemeines“, in: ebd., 4. Bd., 342–344, hier 342f. Vgl. auch „Zur Methode juristischer Begriffskonstruktion“, 365: „(V)orzüglich im öffentlichen Recht ist es vielleicht der tiefste und charakteristischste Unterschied der englischen von der kontinentalen Entwickelung, daß jene meist den thatsächlichen socialen Bildungen sanktionierend folgt, diese nach einem bewußten Princip ihr Wesen zu gestalten sucht.“ 76 Vgl. etwa den 1896 erschienenen Band von A. L. Lowell, Governments and Parties in Continental Europe, Bd. 1, 332. Siehe auch A. Briggs, Local, Regional, National: The Historical Dimensons of Public Authority, 18f. 77 Dieses Lob beruhte nach Preuß auf dem Mißverständnis, daß zwar die in Deutschland nicht erforderliche gesetzliche Autorisation für Gemeindeakte positiv vermerkt wurde, dabei aber übersehen wurde, daß sich auch die Staatsverwaltung einer großen Bewegungsfreiheit erfreute, während in England die Gesetzgebung einheitlich über allem stehe. Vgl. auch J. Redlich, Englische Lokalverwaltung, 612; dem englischen Kabinett sei „jede regelmäßige, direkte Ingerenz auf die völlig decentralisierte, völlig in den Händen der einzelnen Grafschafts- und Städtemagistraten lokalisierte Administration der inneren Verwaltung benommen“, der Begriff der Ministerialverordnung fehle also im Gegensatz zu Deutschland und Preußen völlig (613f.). 78 Vgl. zu diesem Komplex Michael Dreyer, German Roots of the Theory of Pluralism, in: Constitutional Political Economy, 4 (1993), 7–39.
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angelsächsischen Raum auf Unverständnis stoßen mußten, da bereits die Grundkonzepte völlig anders waren79. Preuß selbst hingegen sah sich genötigt, seine Genossenschaftslehre auch an diesem Zentralpunkt der deutschen staatsrechtlichen Diskussion zu verteidigen. Die Selbstverwaltung der Kommunen war über das Konstrukt und die Abgrenzung zum nichtsouveränen Staates eng mit der Frage nach dem Bundesstaat verbunden. Die Theorie des Bundesstaates Es gibt kaum eine Frage, die so sehr im Zentrum der deutschen staatsrechtlichen Theoriediskussion des 19. Jahrhundert steht wie die der Bundesstaatskonstruktion80, und es gibt zugleich kaum eine Frage, an der Hugo Preuß weniger interessiert war. Alle Kernpunkte der Auseinandersetzung wie das Wesen der Souveränität in ihrer Teilbarkeit oder Unteilbarkeit, die Möglichkeit eines nichtsouveränen Staates und seine begriffliche Trennung vom Selbstverwaltungskörper berührten ihn nur insoweit, als sie auch auf die Grundlagen der genossenschaftlichen Staatskonstruktion einwirkten. Hierin spiegelt sich der unterschiedliche Ausgangspunkt wieder: für Hugo Preuß war die Gemeinde im Zentrum seines Interesses, für praktisch alle seiner Fachkollegen war es der Staat. So ist es bezeichnend, daß Preuß an der historischen Entwicklung der Bundesstaatslehre in erster Linie hervorhebt, daß sie parallel zur Entwicklung der Selbstverwaltungsidee gelaufen sei81. Eine solche Überlegung ist natürlich kein primär juristischer, sondern ein politischer Gedanke. Seit Seydel war das Zentralproblem der Bundesstaatstheorie, wie schon erwähnt, die Trennung des nichtsouveränen Staates vom Selbstverwaltungskörper. Preuß folgte den Lösungsvorschlägen im dogmengeschichtlichen Teil seiner Habilitationsschrift, um im letzten Satz dieses Abschnittes zu resümieren: Zahlreich und mannigfach waren die Konstruktionsversuche; allen gemeinsam nur das absolut negative Resultat. Was der Vorgänger aufgebaut hatte, reißt der Nachfolger nieder, und uns blieb nur hier und da Nachlese zu halten übrig, um zu einem völligen Vacuum zu gelangen.82
79 So „Gemeinde, Staat, Reich“, 124; „Staat und Stadt“, 96; und „Kommunale Selbstverwaltung in Deutschland“, 1912, 199. 80 Allgemein zur Entwicklung der Bundesstaatslehre vgl. M. Dreyer, Föderalismus als ordnungspolitisches und normatives Prinzip; Bernd Grzeszick, Vom Reich zur Bundesstaatsidee. Zur Herausbildung der Föderalismusidee als Element des modernen deutschen Staatsrechts, Berlin 1996; und die ersten drei Kapitel in Stefan Oeter, Integration und Subsidiarität im deutschen Bundesstaatsrecht. Untersuchungen zu Bundesstaatstheorie unter dem Grundgesetz, Tübingen 1998. 81 „Gemeinde, Staat, Reich“, 5; „die Bundesstaats- und die Selbstverwaltungsidee sind natürliche Verbündete“, ebd., 6. Ähnlich „Zur Methode juristischer Begriffskonstruktion“, 361. 82 „Gemeinde, Staat, Reich“, 83. Zur Waitzschen Lehre heißt es ebd., 22: „Von einem Historiker stammend, hatte sie ihre schwache Seite in der Begriffskonstruktion; und doch hatte zugleich das Verlangen, einen festen Begriff konstruiren zu können, und der verlockende Einfluß
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3. Die Idee der Selbstverwaltung
Die Problematik, die den deutschen Staatsrechtler an einer intellektuell befriedigenden Lösung hinderte83, die sich sowohl mit den politischen Tatsachen wie mit den akzeptierten methodologischen Prämissen der positivistischen Staatsrechtswissenschaft vereinbaren ließ, war doppelter Natur: Einerseits unterschied sich der monarchische Bundesstaat ohnehin schon von den anderen, durchweg republikanischen Beispielen, andererseits machte das große Ungleichgewicht zwischen den einzelnen Gliedern des deutschen Bundesstaates, das wiederum keine Parallele in den anderen existierenden Bundesstaaten fand, die Konstruktion zu einem Balanceakt zwischen juristischer Theorie und politischer Praxis84. Den vollständigen Bruch mit den schon im Ansatz problematischen Bundesstaatstheorien der deutschen Staatsrechtler vollzog Preuß erst nach dem Weltkrieg, als das Verfassungssystem sich gewandelt hatte85. Tocquevilles ihren Urheber verführt, selbst die historisch gegebenen Verhältnisse unvollständig und einseitig zu würdigen.“ Seit Seydel stellte sich das Problem neu: „Handelte es sich früher um die begriffliche Scheidung zwischen der Gesammtgewalt eines Staatenbundes und eines Bundesstaates, so handelte es sich jetzt um die begriffliche Scheidung zwischen dem Gliede eines Bundesstaats und dem Selbstverwaltungskörper eines decentralisirten Einheitsstaats. Diese Frage, welche unter der Herrschaft der Waitz’schen Theorie gar nicht aufzuwerfen war, mußte mit der Beseitigung jener in den Vordergrund treten.“ Ebd., 5. Und 33: „Aus der Verbindung zweier von der älteren Staatslehre gleichmäßig anerkannter Principien: der Einheit und Untheilbarkeit der Souveränität einerseits, der Identität des Staats- und Souveränitätsbegriffs andererseits ergab sich die absolute Negation des Bundesstaatsbegriffs. Nur durch Eliminirung eines dieser Principien konnte derselbe gerettet werden. Die Eliminirung des ersten war der Waitz’schen Schule mißglückt; naturgemäß ging man nunmehr dem zweiten zu Leibe. Es kam also darauf an, Staats- und Souveränitätsbegriff von einander zu scheiden.“ Vgl. auch Art. „Selbstverwaltung“, in: Handwörterbuch der Kommunalwissenschaften, 3. Bd., 774. Nach dem Krieg schrieb Preuß in „Deutschlands Republikanische Reichsverfassung“, 2. erw. Aufl., Berlin o.J. (1923), 42, über den Unterschied von Bundesstaat und Einheitsstaat: „Seltsam! Über diese hochnotpeinliche Doktorfrage ist gerade in der deutschen staatsrechtlichen Literatur seit vielen Jahrzehnten eine ganze Bibliothek geschrieben worden. Darinnen hat jeder Autor die Unterscheidungslehren seiner Vorgänger mit durchschlagender Kritik siegreich widerlegt.“ 83 Wesentlich einfacher stellt sich das Problem dar für A. Bleckmann, Staatsrecht I, 7, der sich 1993 an Jellineks bekannte drei Staatselemente anschließt: „Da auf diese Weise der Staat nicht von einer Provinz oder einer Gemeinde unterschieden werden kann, wird man grundsätzlich mit Georg Jellinek zusätzlich darauf abstellen müssen, daß die Staatsgewalt originär sein muß, also nicht von einem übergeordneten Staatswesen abgeleitet sein darf.“ Das ignoriert die Probleme, die gerade in den Worten „originär“ und „nicht abgeleitet“ liegen und um die sich die Diskussion drehte. 84 „Großdeutsch, Kleindeutsch und die Idee des nationalen Staates“, Vortrag Wien 8.4.1916, in: „Obrigkeitsstaat und großdeutscher Gedanke. Zwei Vorträge“, Jena 1916, 29–57, hier 55. Die genossenschaftliche Struktur sei eben flexibler als die Herrschaftsidee. Ähnlich „Deutschlands Republikanische Reichsverfassung“, 44; „Der deutsche Nationalstaat“, Frankfurt a.M. 1924, 41. 85 1924 geht er in „Der deutsche Nationalstaat“, 42f., scharf mit denen ins Gericht, die einen auf Deutschland zugeschnitten besonderen Föderalismus postuliert hatten: „Die offizielle Staatsrechtswissenschaft ging dienstwillig auf diese Intentionen ein und scheute nicht vor der Lächerlichkeit zurück, das deutsche Kaiserreich als eine ‚Staatenrepublik‘ zu konstruieren.“ Bismarck
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Schon vorher allerdings gab Preuß sich keine großen Mühen mit besonders detaillierten Definitionen des Bundesstaates. Staatsrechtliche Begriffsbildungen haben immer einen statischen Aspekt, und so fällt es auf, daß Preuß auch hier wieder zugunsten einer dynamischen, an den Möglichkeiten politischer Entwicklung orientierten Auffassung optiert. Im Grunde bietet er erneut überhaupt keine juristische, sondern eine politikwissenschaftliche Sichtweise. Er sah im Bundesstaat einfach das ideale Mittel zwischen Staats- und Völkerrecht: Mannigfaltigkeit in der Einheit, freie Bewegung der Glieder ohne Zerreißung des Ganzen – dieses Prinzip alles organischen Lebens wendet dieser Bundesstaatsbegriff in der denkbar größten Vollkommenheit auf das Leben der Staaten und Völker an. In der Gestalt des Bundesstaats, des aus Selbstverwaltungsbezirken stufenweise aufsteigenden Staatsorganismus, erscheint das Ideal – im Sinne Platos, – das Urbild des modernen Staates.86
Mit dieser Überlegung verband sich für Preuß ein politisches Vertrauen in die friedensstiftende Wirkung des Bundesstaates. Das gilt zunächst einmal nach innen; in der Form des Bundesstaates habe Amerika aus Menschen aller Herren Länder eine einheitliche Nation geschaffen, habe die schweizerische Eidgenossenschaft Deutsche, Franzosen und Italiener vereint und aus den nationalen Kämpfen herausgehalten, und habe letztlich auch Deutschland seine nationale Einheit endlich gefunden. Die gleiche friedensstiftende Wirkung gilt aber auch nach draußen. Preuß sieht eine strukturelle Expansionsunfähigkeit bundesstaatlich strukturierter Gemeinwesen, die aber umgekehrt auch kaum zu überwinden seien87. förderte diesen Eskapismus, „(a)ber niemand wußte besser als er, daß in dem Samthandschuh jenes Scheinföderalismus eine eiserne Faust steckte: die der preußischen Hegemonie“, ebd., 43. Gegen Laband, auf den dies in erster Linie gemünzt ist, siehe auch bereits „Gemeinde, Staat, Reich“, 172. 86 „Nationalitäts- und Staatsgedanke“, in: „Staat, Recht und Freiheit“, 527–537 (erstmals ‚Die Nation‘ 1888), hier 536. 87 Vgl. ebd.: „(N)ur unter dem Zeichen des modernen Staatsgedankens vermag man die überschäumenden Wogen der nationalen Idee maßvoll einzudämmen. Wenn wir aber in dieser Gestaltung die Verkörperung der Staatsidee unserer Zeit mit Recht erblicken dürfen, so wäre es widersinnig, von ihrer Verwirklichung die Schwächung oder Vernichtung der äußeren staatlichen Macht zu befürchten. Ein Staatswesen, das erfüllt ist mit dem gesunden Geist, dem warm pulsierenden Lebensblut der Zeit, trägt in sich selbst die sicherste Bürgschaft seiner Macht und Stärke. Freilich, für Eroberungskriege, für tartarische Raubzüge, wie sie Rußlands politischem Wesen eigen, ist der modern organisierte Staat nicht disponiert. Denn in sich ruhend, im befriedigenden Gefühl der Autarkia, ... ist er verschont von jenem unseligen Expansionstrieb, der die einzige Lebensregung innerlich toter, despotischer Staaten bildet. Aber für das zivilisierte Europa ist die Zeit der bloßen Eroberungskriege vorbei; die Nationen, konstituiert und organisiert im modernen Staat, werden keinen Anlaß haben, ständig und unausgesetzt nur nach außen zu schauen. Für den nationalen und freien Staat ist Vergrößerung kein Vorteil, sondern ein Übel. Um so nachhaltiger und gewaltiger aber ist die Defensivkraft eines solchen Staates, eines Volkes, welches in seinem Staate sein Glück verteidigt. Amerika hat es gezeigt in seinem gewaltigen Bürgerkriege, England im Kampfe gegen Napoleon; und wird es, wenn in seinem eigensten bedroht, auch heute zeigen. Der Bundesstaat hat zwischen dem friedlichen Staatsund dem kriegerischen Völkerrecht eine versöhnende Zwischenstufe geschaffen; er hat es ermöglicht, daß verschiedene Nationen friedlich dasselbe Staatsband umschließt.“
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3. Die Idee der Selbstverwaltung
Ein gewisses Ausmaß an weitreichender Abstraktion ist auch hier noch vorhanden, gerade in der umfassenden Formulierung und ihrem Rückgriff auf die ideengeschichtliche Untermauerung. So mögen diese Worte einem anglo-amerikanischen Kollegen Preuß’ noch zu wenig konkret geklungen haben. Für einen deutschen Staatsrechtler aber fehlte an einer solchen rein pragmatischen Begriffsbestimmung alles, was den Bundesstaat „an sich“ ausmachte. Es fehlte das „Juristische“ in einer Sichtweise, die sich an den politischen Strukturen und an der politikwissenschaftlichen Betrachtung der innen- und außenpolitischen Resultate orientierte. Preuß suchte nicht nach einer Realdefinition der Begriffe, mehr noch, er erklärte im Einklang mit seiner Genossenschaftstheorie das Problem der begrifflichen Unterscheidung von nichtsouveränem Staat und Kommune, an dem sich zwei Generationen versucht hatten, für prinzipiell unlösbar: Zeigt sich hier die Unlösbarkeit bestimmter Probleme, so beweist dies nur, daß die Aufstellung dieser Probleme eine irrtümliche war; ergibt sich da keine Antwort auf die Frage nach dem Wesensunterschied bestimmter Begriffe, so beweist dies nur, daß der a priori angenommene, aber nun eben nicht nachweisbare Begriffsgegensatz in Wirklichkeit nicht existiert. Denn alle solche Begriffskategorien haben doch keine Realität und keine Existenzberechtigung in sich; sondern sie sind lediglich Hilfslinien zur geistigen Erfassung der unendlichen Mannigfaltigkeit der realen Erscheinungen.88
Hiermit konnte sich die herrschende Methodik des staatsrechtlichen Positivismus nicht zufrieden geben. Die Annahme dieses Gedankens hätte bedeutet, einen Grundgedanken der organischen, genossenschaftlichen Staatstheorie zu übernehmen. Zudem war es ein Postulat des Labandschen juristischen Denkens, daß es im System des Staatsrechts keine leeren Flächen und damit auch keine unlösbaren Probleme geben dürfe. Für den staatsorientierten, positivistischen Ansatz mußte es einen definierbaren Unterschied zwischen nichtsouveränem Staat und Kommune geben, und dieser Unterschied mußte das Wesen des Bundesstaates ausmachen. Daher wurde das gleiche Problem immer wieder mit dem gleichen methodischen 88 „Selbstverwaltung, Gemeinde, Staat, Souveränität“, 202. Wenn alle Meister des Faches an den gleichen Problemen gescheitert sind, sind (a) diese Probleme nicht lösbar, müssen sie (b) logisch auftreten beim gewählten Ausgangspunkt und ist (c) dieser Ausgangspunkt falsch. Vgl. ebd., 244: „Daß das deutsche Staatsrecht jenes unlösbare Problem des begrifflichen Unterschiedes von Gemeinde und Staat immer wieder angreifen muß, das ist die Folge davon, daß hier zwei heterogene Organisationsprinzipien noch im unentschiedenen Kampfe mit einander ringen, das des selfgovernment und Rechtsstaats mit dem der obrigkeitlichen Souveränität.“ Immerhin sieht Preuß 1908 schon einen Hoffnungsschimmer: „Die literarischen Angriffe auf das Bundesstaatsproblem haben – ich darf wohl im Namen aller Leidensgenossen sagen: Gott sei Dank – einigermaßen nachgelassen.“ Ebd., 200. Dies liege aber nicht daran, daß eine Lösung gefunden sei, sondern wegen der Resignation vor dem Problem. Nach dem Krieg äußerte sich Preuß noch einmal zur Frage der Unterscheidung von Gliedstaat im Bundesstaat und Selbstverwaltungskörper im dezentralisierten Einheitsstaat; „Deutschlands Republikanische Reichsverfassung“, 42f.: „Aber gerade auf diese entscheidende Frage hat die fleißige und oft tiefschürfende Arbeit fast aller deutschen Staatsrechtler dreier Generationen keine haltbare und befriedigende Antwort zu finden vermocht. Denn: wo nichts ist, kann auch der Scharfsinn deutscher Gelehrsamkeit nichts finden.“
3.3 Hugo Preuß als Geschichtsschreiber der Selbstverwaltung
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Rüstzeug angegangen, wobei der Erfolg immer wieder nur in der Kritik der theoretischen Ansätze der Vorgänger bestand, nicht aber in der Entwicklung einer eigenen positive Lösung, die über den nächstfolgenden Autor hinaus Bestand hatte. Immerhin war Preuß, ohnehin schon ein Außenseiter in der akademischen Jurisprudenz des Kaiserreiches, zurückhaltend genug, erst in der Weimarer Republik öffentlich und explizit zu erklären, was man im Grunde seinen Schriften schon längst hatte entnehmen können: daß er den ganzen Komplex als „eine recht müßige Frage“, als „eine für das praktische Staatsleben gleichgültige Doktorfrage“89 betrachtete. Mit innerem Engagement war Preuß nur der Selbstverwaltung verbunden; als fachwissenschaftlich angesehener juristischer Theoretiker und Autor, als engagierter aktiver Politiker und zugleich auch als Geschichtsschreiber, der die liberale Geschichte der deutschen Städte als Mahnmal für seine Mitwelt aufbereitete. 3.3 Hugo Preuß als Geschichtsschreiber der Selbstverwaltung Selbstverwaltung in geschichtlicher und juristischer Betrachtung Ähnlich wie das „Städtische Amtsrecht in Preußen“ trotz zahlreichen anderen Aufsätzen und Büchern von Hugo Preuß zu diesem Thema sein juristischer Hauptbeitrag zur Selbstverwaltung ist, kann man auch unter den geschichtlichen Abhandlungen trotz einem nicht minder umfangreichen Œuvre ein Hauptwerk benennen, in dem sich alles zusammenfindet, was Preuß an der Geschichte der Selbstverwaltung faszinierte: Die „Entwicklung des deutschen Städtewesens“ von 190690. Für dieses eloquent geschriebene Werk, dem man die Freude des Autors am Thema anmerkt, ist bei aller historischen Liebe auch zum Detail, die man auch sonst oft bei Preuß antrifft91 doch eines auffallend: das Desinteresse Preuß’ an allen rein his 89 Beide Stellen „Deutschlands Staatsumwälzung. Die verfassungsmäßigen Grundlagen der deutschen Republik“, Berlin o.J. (1919), 6. Vgl. auch „Zur preußischen Verfassungsfrage“, in: Deutsche Politik, 5. Jg., Nr. 30 (23.2.1920), 99–104, hier 101, wonach die Weimarer Verfassung dem Streit um Bundesstaat und Einheitsstaat jeden praktischen Inhalt genommen hat. 90 „Die Entwicklung des deutschen Städtewesens. 1. Bd.: Entwicklungsgeschichte der deutschen Städteverfassung“, Leipzig 1906. Mehr als dieser Band ist nicht erschienen. Th. Heuss, Geleitwort, 7, nennt es die „Summa“ von Preuß’ entsprechenden Arbeiten und resümiert, „dies Buch ist mit Freude geschrieben“. Einen knapperen Abriß, der aber die strukturellen Grundideen enthält, bieten die große Städtetagsrede von 1908 „Ein Jahrhundert städtischer Verfassungsentwicklung“, in: „Staat, Recht und Freiheit“; und der Art. „Stadt und Stadtverfassung“, in: Handwörterbuch der Kommunalwissenschaften, 4. Bd., 1–17. Zur rechtlichen Untersuchung der städtischen Ämter siehe das „Städtische Amtsrecht“, 357ff. Der Gang der modernen Forschung ist dokumentiert in Carl Haase (Hrsg.), Die Stadt des Mittelalters, 3 Bde., 3. Aufl., Darmstadt 1978, 1987 und 1984. 91 Etwa an folgender Stelle: Im antiken Rom sei der Begriff civitas von civis abgeleitet worden, im deutschen Mittelalter hingegen Bürger von Burg; in lateinischer Sprache auch urbanus oder
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torischen Fragen im Sinne einer nur fachwissenschaftlichen Betrachtung. Wiederholt weist er darauf hin, daß für ihn die historischen Fragen zur Stadtentstehung, zur Entstehung des Rates etc. nicht wichtig seien92, und geradezu typisch ist sein Satz, daß der Ursprung der Zünfte „Gegenstand einer literarischen Kontroverse von erschreckender literarischer Fruchtbarkeit“ gewesen sei93. Damit ist die schon oben angesprochene Kontroverse zwischen Lamprecht und Below gemeint, in die am Rande auch Preuß’ Lehrer Gierke einbezogen war. Es ist bezeichnend, daß Preuß zu dem eigentlichen Kern der Kontroverse und ihrer historischen Fundierung nicht ausführlich Stellung bezogen hat, ganz im Gegensatz etwa zu den staatsrechtlichen Kontroversen seiner Zeit, an denen er in vorderster Front mitbeteiligt war. Die rein historischen Bestandteile der Auseinandersetzung hat er den Historikern überlassen, denn das war nicht das ihn interessierende Thema. Die politische, auf die Gestaltung der Gegenwart bezogene Komponente seines Strebens bricht sich in seiner Geschichtsschreibung der Selbstverwaltung immer wieder Bahn94, und es ist verständlich, daß die spätere Kritik vor allem im Vergleich der einschlägigen Arbeiten Preuß’ mit denen seines Lehrers Gierke95 dem letzteren die historisch korrekteren Ansichten bescheinigte, während Preuß oft der Gefahr erlegen sei, historische Probleme zu sehr im Blickwinkel der Kontroversen seiner eigenen Zeit zu sehen96.
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burgensis neben civis. Daneben findet sich sogar das von civitas abgeleitete civitatensis neben civis in der Rechtssprache; „Gemeinde, Staat, Reich“, 316f. Dabei geht es Preuß auch hier allerdings nicht um das Detail an sich, sondern um die Gegenüberstellung von deutscher genossenschaftlicher und römischer individualistischer Denkweise. „Entwicklung des deutschen Städtewesens“, 14 u. 28. Ebd., 72. Siehe hierzu H. Heffter, Deutsche Selbstverwaltung, 180f, Anm. 1: „Preuß hat in seinem Buch ‚Die Entwicklung des deutschen Städtewesens ...‘ und in einer gedrängten Neufassung der zweiten Hälfte dieses Buchs unter dem Titel ‚Ein Jahrhundert städtischer Verfassungsentwicklung‘ ... die moderne Selbstverwaltung ganz in den Zusammenhang der Verfassungsgeschichte der liberalen Demokratie gestellt. Es ist im Kern dieselbe Auffassung, die noch im entschiedenen Liberalismus der Gegenwart dominiert. Aber in Preuß drängt der starke Reformwille des Politikers doch den Historiker viel zu sehr zurück: aus dem politischen Bedürfnis einer klaren Gegnerschaft vereinfacht er daher das Verhältnis der Kräfte des Alten und des Neuen, des Obrigkeitsstaats und der Selbstverwaltung, sieht er nur das Gegeneinander, wo auch ein Ineinander, eine Vielfalt der Übergänge und Verflechtungen vorliegt. Er berücksichtigt auch zu wenig neben der Verfassungsgeschichte der Selbstverwaltung ihre Ideengeschichte, neben dem Städtewesen die übrigen kommunalen Bereiche, namentlich die landschaftliche Selbstverwaltung in den Kreisen und Provinzen, und gegenüber den preußischen Städteordnungen kommt das kommunalpolitische Werk der deutschen Mittelstaaten nicht zu seinem vollen Recht.“ Vgl. auch ebd., 754ff. In Rüdiger vom Bruch, Rainer A. Müller (Hrsg.), Historikerlexikon. Von der Antike bis zum 20. Jahrhundert, München 1991, gibt es einen Eintrag für Gierke (108f.), aber nicht für Preuß. Zum Vergleich mit Gierke vgl. G. Gillessen, Hugo Preuß, 44: „Gierke war überhaupt ein besserer Historiker als Hugo Preuß; vor allem neigte er nicht in gleichem Maße dazu, verschlungene historische Zusammenhänge und Vorgänge mit ihren feinen Unterschieden in einprägsame Begriffe der politischen Gegenwart zu zwingen. Darin liegt eine unbestreitbare
3.3 Hugo Preuß als Geschichtsschreiber der Selbstverwaltung
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Die fachwissenschaftliche Berechtigung der Kritik an den Unzulänglichkeiten der Preußschen Vorgehensweise und historischen Auffassung darf jedoch nicht übersehen, daß Preuß gar nicht das Ziel hatte, mit den „eigentlichen“ Historikern zu konkurrieren. Symptomatisch ist es, daß gerade sein Hauptwerk in diesem Zusammenhang völlig auf Anmerkungen verzichtet und sich explizit auch an den gebildeten Laien wendet97. Preuß will eine Geschichte der freiheitlichen politischen Entwicklung in Deutschland schreiben, die von der Stadt ausgeht und in der Stadt auch in seiner Gegenwart beschützt werden muß, wenn Deutschland und Preußen zu modernen Staaten werden sollen98. Dabei denkt er an ein liberales bürgerliches Lesepublikum, das neben historischer Information auch politische Richtungsweisung haben möchte99. Vor diesem Hintergrund gewinnen auch die Ausführungen von Preuß zur mittelalterlichen und absolutistischen Geschichte der deutschen Städte erst ihr wirkliches Interesse. Die Entwicklungslinien der Städtegeschichte sind für Preuß zugleich die Geschichte der Chancen Deutschlands, den politisch mündigen Bürger zu entwickeln und damit den Anschluß an die Verfassungsentwicklung in Westeuropa zu bekommen. Aber diese Chancen sind nicht genutzt worden, und so geht es Preuß in seiner Darstellung zugleich auch darum, zu verstehen, aus welcher Quelle Schwäche Preuß’; aus diesem Grunde entging er nicht immer der Gefahr konstruierter Einseitigkeiten.“ Die Geschichte habe Preuß im wesentlichen nur zur Lieferung historischer Waffen für die politischen Kämpfe der Gegenwart geliefert; ebd., 45. 97 Vgl. „Entwicklung des deutschen Städtewesens“, IV: „Nicht ganz leicht habe ich mich zum völligen Verzicht auf die Beibringung des literarischen Apparats und auf jede literarische Polemik entschlossen. Vielleicht wird dadurch der Wert des Buches für literarische Selbstproduzenten einigermaßen beeinträchtigt; aber bei der Natur des Gegenstandes und bei der Beschaffenheit der Literatur war es nur so möglich, die Lesbarkeit für bloße Konsumenten, an die das Buch sich doch auch wenden möchte, zu erhalten. Hoffentlich werden gelehrte Kritiker auch ohne einen Wust von Anmerkungen den ‚häuslichen Fleiß‘ in der Benutzung der Literatur nicht verkennen; und ungelehrte Leser es zu würdigen wissen, daß ich ihnen den Nachweis dieses Fleißes erspare. Immerhin habe ich mich gegen den Vorwurf des Plagiats durch gewissenhafte Nennung des Autors bei jedem wörtlichen Zitat gedeckt; Band und Seitenzahl wird der Gelehrte auch so finden, der Ungelehrte nicht suchen.“ 98 Zur Stadt als dem Ursprung politischer Freiheit in Deutschland vgl. „Entwicklung des deutschen Städtewesens“, 44 u. 55; „Staat und Stadt“, in: „Staat, Recht und Freiheit“, 77; „Verfassungspolitische Entwicklungen“, 22. An der letztgenannten Stelle bezeichnet er die alten deutschen Städte als den „Prototyp des modernen Staates“. 99 Zum Preußschen Adressaten, dem Bildungsbürgertum, vgl. Th. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866–1918, Bd. I, 382ff. Recht kritisch ist H. Glaser, Bildungsbürgertum und Nationalismus. Die deutschen Besonderheiten im europäischen Rahmen untersucht Jürgen Kocka, Das europäische Muster und der deutsche Fall, in: ders. (Hrsg.), Bürgertum im 19. Jahrhundert. 1. Bd.: Einheit und Vielfalt Europas, Göttingen 1995, 9–75. Die umfassendste Darstellung sind die vier von Werner Conze, Jürgen Kocka, Reinhart Koselleck und M. Rainer Lepsius herausgegebenen Bände Bildungsbürgertum im 19. Jahrhundert, Stuttgart 1985–1992. Allerdings ist es fraglich, ob das von Preuß avisierte Publikum zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch existierte; vgl. Jürgen Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft, Frankfurt a.M. 1990 (erstmals 1962).
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3. Die Idee der Selbstverwaltung
die Defizite stammen, die er in den politischen Institutionen und mehr noch in der politischen Kultur seiner eigenen Zeit erkennt. Die mittelalterliche Stadt schildert Preuß als sozialrechtliche Genossenschaft, die in der objektiven Verdinglichung ihres Grund und Bodens zum Gebiet die organische Einheit der Bürger herstellt. Der individualrechtlichen, anstaltlichen Entwicklung der Landeshoheit steht also die sozialrechtliche, genossenschaftliche Entwicklung der Gebietshoheit gegenüber: Beruhte im herrschaftlichen Verbande die Gewalt des Herrn über seine Leute vornehmlich auf der Idee, daß dieselben auf herrschaftlichem Boden saßen, so beruhte die Herrschaft der städtischen Gesammtperson über die Bürger darauf, daß dieselben durch Ansiedelung innerhalb der objektiven Einheit des Stadtgebiets Theile und Glieder der Gesammtperson geworden, zu welcher sich die Gesammtheit der von jenem Gebiet umschlossenen Einzelpersonen organisiert hatte. Während also in jenem Verhältnis ein herrschendes Individuum andern, beherrschten Individuen äußerlich gegenüberstand, herrschte hier eine Gesammtperson über die ihr organisch eingegliederten Gliedpersonen.100
Engagiert schildert Preuß dies Aufblühen der deutschen Städte im 11. Jahrhundert, während mit den „Statutes“ von 1231/32 eine erste Gefahr droht101. Die Fürsten und, allgemeiner ausgedrückt, die territorialen Herrschaften, beginnen sich zu konsolidieren und damit zugleich das potentiell hoffnungsvolle Bündnis zwischen den Städten und dem Kaiser zu erodieren. Nachdem der Kaiser seinen Frieden mit den Reichsfürsten gemacht hat, tritt an die Stelle dieses Bündnisses die soziale Solidarität der hierarchisch organisierten Herrschaft. Der eigentliche Niedergang der Städte und ihr Untergehen im Kampf gegen den Absolutismus ist für Preuß aber ein durchaus selbstverschuldetes Übel. Anders als in der Schweiz, in der das Bündnis von Städten und Bauern die Freiheit beider von aristokratischen und fürstlichen Herren erzwingt102, begehen die deutschen Städte den entscheidenden Fehler, sich hermetisch vom Land abzugrenzen und ihren natürlichen Verbündeten nicht zu erkennen. Dies gilt selbst dort, wo die oberdeutschen Städte sich zu politischen Bünden zusammenschließen und nicht wie die niederdeutsche Hanse am Handel ihr Genügen finden103. Der Sieg der Fürsten war somit durch das Verhalten der Städte 100 „Gemeinde, Staat, Reich“, 318. Vgl. auch ebd., 302 u. 333; „Staat und Stadt“, in: „Staat, Recht und Freiheit“, 101; Art. „Gemeinde“, in: Handwörterbuch der Kommunalwissenschaften, 2. Bd., 193; „Entwicklung des deutschen Städtewesens“, 70. Zur Trennung von städtischem Gebiet und fürstlichem Land „Gemeinde, Staat, Reich“, 298ff., 319, 345ff. u. 362. 101 „Entwicklung des deutschen Städtewesens“, 13. Im 11. Jahrhundert kommt es zur Entstehung des „welthistorisch bedeutsamen Prinzip[s]: Stadtluft macht frei“ (23). Die Gesetze von 1231/1232 sind „vielleicht die ersten großen Reaktionsgesetze der deutschen Geschichte“ (34). Ebd., 38ff., schildert Preuß die Kämpfe von Fürsten und Städten gegeneinander. 102 Zur Situation in der Schweiz vgl. ebd., 94; Art. „Gemeinde“, in: Handwörterbuch der Kommunalwissenschaften, 2. Bd., 191; Art. „Stadt und Stadtverfassung“, in: ebd., 4. Bd., 5. 103 Zur Unterscheidung von oberdeutschem und niederdeutschem Typ vgl. Art. „Stadt und Stadtverfassung“, in: Handwörterbuch der Kommunalwissenschaften, 4f. Mit dem rheinischen Städtebund von 1254 „tauchte ... bereits die ganz republikanische Idee einer Rekonstruktion
3.3 Hugo Preuß als Geschichtsschreiber der Selbstverwaltung
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selber vorprogrammiert. Sogar die Rezeption des römischen Rechtes, die den Fürsten mit zum Siege verhilft, beginnt in der Stadt mit ihrer urbanen Handelskultur104. Der Lübecker Bürgermeister Jürgen Wullenwewer ist für Preuß „vielleicht der einzige nach Ursprung und Art rein demokratische Staatsmann großen Stiles in der deutschen Geschichte“105 und wurde deshalb von den Fürsten auch mit tödlichem Haß verfolgt – es dürften Passagen wie diese sein, die die Kritiker an der historischen Exaktheit Preuß’ im Auge haben. Wullenwever, der aus Hamburg stammende Lübecker Bürgermeister, hatte die Geschicke der Stadt und der Hanse in der kurzen, aber wichtigen Epoche 1530–35 maßgeblich geleitet. Die von ihm inspirierten inneren Reformen stellten eine von der Bürgerschaft mitbestimmte Leitung neben die bis dahin rein patrizische Obrigkeit. Das war unzweifelhaft eine gewisse Demokratisierung des Stadtregiments, blieb aber gleichwohl auf die angesehensten Inhaber des Bürgerrechts beschränkt. Und der letztliche Sturz Wullenwevers erfolgte auch nicht aus innenpolitischen Gründen, sondern wegen seiner aggressiven und abenteuerlichen Außenpolitik, die die Oberhoheit Lübecks über den Ostseeraum anstrebte und nacheinander gegen die Holländer und die Dänen Kriege führte. Diese militärischen Auseinandersetzungen, die selbst innerhalb der Hanse kaum Bündnisgenossen fanden, ließen sich zwar zunächst gut an, überstiegen aber bei nüchterner Betrachtung die Kräfte Lübecks bei weitem. So ist es nicht verwunderlich, daß sie mit Niederlagen endeten, in deren Gefolge Bürgermeister Wullenwever gestürzt und das demokratische Regime in Lübeck beendet wurde. Wullenwever selbst wurde 1537 hingerichtet106. Die Lübecker Entwicklung in dieser Zeit ist in gewisser Weise typisch für die Städte generell. Im gleichen Maße, wie die Territorialstaaten sich konsolidieren, verkommen die Reichsstädte immer mehr zu Zwergstaaten, deren Räte sich nicht minder absolutistisch und obrigkeitlich gebärden als die umliegenden Territorialherren107. Der Sieg des territorialen Absolutismus ist die logische Konsequenz aus dieser verfehlten Politik, und bei diesem Sieg der partikularistischen Territorien sind Städte und Reich gleichermaßen die Besiegten108. Der Kaiser war nicht das Haupt des Volkes, sondern ein Standesgenosse des Hochadels. Im Absolutismus,
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des Reiches auf genossenschaftlicher Grundlage“ auf, „Entwicklung des deutschen Städtewesens“, 89. Adel, Fürsten und Kaiser hielten jedoch gegen die Städte zusammen (91), während diese sich von den Bauern isolierten (93). „Entwicklung des deutschen Städtewesens“, 85f. Ebd., 117. Zu Wullenwever und seiner Zeit siehe Wolf-Dieter Hauschild, Frühe Neuzeit und Reformation: Das Ende der Großmachtstellung und die Neuorientierung der Stadtgemeinschaft, in: Antjekathrin Graßmann (Hrsg.), Lübeckische Geschichte, Lübeck 1988, 341–432, hier 385–411. Vgl. etwa Art. „Stadt und Stadtverfassung“, in: Handwörterbuch der Kommunalwissenschaften, 4. Bd., 8; „Städtisches Amtsrecht“, 29; „Verfassungspolitische Entwicklungen“, 211. „Entwicklung des deutschen Städtewesens“, 5.
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der im preußischen Allgemeinen Landrecht von 1795109 seine reinste statuarische Ausprägung erhält, sind die Stadtgemeinden nicht mehr als privilegierte privatrechtliche Körperschaften; ihre Beamte sind Staatsbeamte. Das ist auch folgerichtig, denn wo kein Organismus ist, können auch keine Organe sein. Das ganze friderizianische System war für Preuß „im Grunde ein Kompromiß des politischen Absolutismus mit dem sozialen und wirtschaftlichen Feudalismus“110 des Landadels, und beides richtete sich gegen die Städte. Aber trotz dieser Erstarrung im absolutistischen Regiment war es doch nur ein scheinbarer Untergang des städtischen Freiheitswillens, der in der Mannigfaltigkeit des genossenschaftlichen Lebens und Denkens auch unter ungünstigen Bedingungen weiter existierte111. Die Wiedererweckung dieses Freiheitswillens kam mit dem Ereignis, das für Preuß einen entscheidenden Wendepunkt bedeutete. Mit den Reformen des Freiherrn vom Stein war für Preußen die Frage gestellt, ob es sich zum modernen Staat wandeln konnte oder untergehen mußte. Die preußischen Reformen und der Freiherr vom Stein Die Bewertung, die Hugo Preuß der zeitlich kurzen, in ihren Folgen aber weitreichenden Reformzeit112 gibt, ist ebenso einfach wie weitreichend und unzweideutig:
109 „Städtisches Amtsrecht“, 37. Gerd Kleinheyer, Einführung, in: Ernst Pappermann (Hrsg.), Preußisches Allgemeines Landrecht. Ausgewählte öffentlich-rechtliche Vorschriften, Paderborn 1972, 15–27, betont demgegenüber eher den Hintergrund in der Aufklärung des 18. Jahrhunderts. Umfassend Reinhart Koselleck, Preußen zwischen Reform und Revolution. Allgemeines Landrecht, Verwaltung und soziale Bewegung von 1791 und 1848, München 1989 (ND der 2., berichtigten Aufl. 1975), 23ff. 110 „Die wirtschaftliche und soziale Bedeutung der Stein-Hardenbergschen Reform“, Berlin 1908 (VwSf, 29. Jg., H. 232), 8. Obwohl die Fürsten letztlich obsiegten, war die Verwirklichung des Absolutismus nach französischem Muster nicht einfach: „Der ihm immanente Anspruch auf Alleingeltung und Allgewalt, die Ausschließlichkeit seiner prinzipiellen Autarkie stand in seltsamem Widerspruch mit der Winzigkeit dieser Territorien, für die es gar so wenig Inland und so erschreckend viel Ausland gab.“ 111 Die absolutistische Anstalt hatte sich in der Stadt „nur wie eine verhüllende Schicht über das reich entwickelte körperschaftliche Leben gebreitet. Die beiden Elemente einer politischen Körperschaft, das dingliche einer rein publicistischen objektiven Rechtseinheit, und das persönliche einer zu immanenter Einheit organisirten Vielheit waren hier in innerlicher organischer Durchdringung ausgebildet“; ‚Gemeinde, Staat, Reich‘, 314. 112 Siehe hierzu v.a. R. Koselleck, Preußen zwischen Reform und Revolution, 163ff.; Barbara Vogel (Hrsg.), Preußische Reformen 1807–1820, Königstein i. Ts. 1980; und den Forschungsbericht von Walther Hubatsch, Die Stein-Hardenbergschen Reformen, 2. Aufl., Darmstadt 1989. Zur Einordnung der preußischen Reformen in den deutschen Kontext siehe Th. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800–1866, 31ff.
3.3 Hugo Preuß als Geschichtsschreiber der Selbstverwaltung
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Es war der größte, tiefstgreifende, großartigst gedachte Versuch einer politischen Neuorientierung, den die ganze preußische und deutsche Geschichte kennt.113
Stein, der verantwortliche Minister und Motor des Reformjahres ist Preuß’ Heros, ist eine fast übermenschliche Lichtgestalt, auf die sich alle Ansätze zur Modernisierung Preußens zurückführen lassen. In der Darstellung Preuß’ erscheint Stein als zutiefst liberaler Politiker, der die Verwirklichung der Ideen von 1789 wie auch die praktische Umsetzung der Philosophie Kants114 zu seiner Handlungsmaxime erhoben hat. Kant und Stein haben sich nicht persönlich gekannt; die Königsberger Zeit Steins beginnt erst nach dem Tode Kants, einen Briefwechsel gibt es auch nicht, und die Werke Kants hat Stein erst relativ spät kennengelernt. Aber zahlreiche enge Mitarbeiter Steins, vor allem Theodor von Schön, waren entweder Schüler Kants oder doch zumindest von dessen Philosophie zutiefst beeinflußt115. Preuß hat den Beitrag der Mitarbeiter Steins zur Entwicklung des Reformwerkes stets hervorgehoben; besonders wichtig war ihm Johann Gottfried Frey116. Trotzdem bleibt doch 113 „Stein-Hardenbergsche Neuorientierung“, in: „Staat, Recht und Freiheit“, 109–129, (erstmals Annalen für soziale Politik und Gesetzgebung 1917), hier 110. Je mehr man sich die Ideen der Reformer ansehe, desto mehr werden sie zu einem Programm für die Zukunft. Der Aufsatz über die „Stein-Hardenbergsche Neuorientierung“, ursprünglich ein Vortrag, ist eine der wenigen Arbeiten von Hugo Preuß, über die sich auf Grund archivalischer Quellen weiteres Mitteilen läßt. Im spärlichen Nachlaß von Hugo Preuß im Bundesarchiv Berlin, finden sich zwei Briefe von Dr. Heinrich Braun, dem Herausgeber der „Annalen“ an Preuß (90 Pr 1, Bd. 1, Bl. 7–8 u. Bl. 9). Im ersten Brief vom 7.11. 1916 dankt Braun für die Überlassung des Vortrags zum Abdruck in den Annalen und fährt fort: „Auf Ihre Zustimmung hoffe ich auch mit dem Ersuchen rechnen zu dürfen, daß Sie dem Vortrag die Form einer Abhandlung geben, und, dem Charakter der wissenschaftlichen Zeitschrift entsprechend, da und dort einige Einzelheiten eingehender behandeln, als es in dem ausgezeichneten Vortrag geschah.“ Als Honorar offerierte Braun 80 Mark pro Bogen und 30 Sonderdrucke. Preuß lehnte die Überarbeitung offenbar ab, und schon am 9.11. 1916 folgt ein zweiter Brief Brauns: „Verehrter Herr Professor, Das wußte ich bereits, daß Sie ein glänzender Schriftsteller, ein hervorragender Lehrer und ein ausgezeichneter Stadtrat sind. Aber daß man in Ihnen auch auf einen gefährlich starken Advokaten stößt, lehrte mich erst ihr Brief.“ Auch als Vortrag sei der Beitrag akzeptiert, und Braun hebt besonders die „außerordentliche geistige Lebendigkeit, die Ihre Darstellung auszeichnet“, hervor. 114 Zu Kant und Stein vgl. „Wirtschaftliche und soziale Bedeutung der Stein-Hardenbergschen Reformen“, 15; und „Ein Jahrhundert städtischer Verfassungsentwicklung“, in: „Staat, Recht und Freiheit“, 27: „Der große Revolutionär im Reiche des kritischen Denkens, der Verkünder der Autonomie des sittlichen Willens, der unbarmherzige Kritiker des polizeistaatlichen Eudämonismus, der Apostel des reinen Rechtsstaates, Immanuel Kant, er ist recht eigentlich der Philosoph der Reform.“ 115 Siehe hierzu Walther Hubatsch, Stein und Kant (1973), in: ders., Stein-Studien. Die preußischen Reformen des Reichsfreiherrn Karl vom Stein zwischen Revolution und Restauration, Köln und Berlin 1975, 48–63. Speziell zu Schön ebd., 56; und ders., Die Stein-Hardenbergschen Reformen, 120ff. 116 Vgl. etwa „Ein Jahrhundert städtischer Verfassungsentwicklung“, in: „Staat, Recht und Freiheit“, 28. Allgemein hierzu auch H. Heffter, Deutsche Selbstverwaltung, 92f. Speziell zu Frey siehe Th. Winkler, Johann Gottfried Frey und die Entstehung der preußischen Selbstverwaltung, Stuttgart 1957 (erstmals 1936); und W. Hubatsch, Die Stein-Hardenbergschen Reformen, 106f.
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stets klar, wer in der Darstellung Preuß’ im Zentrum steht. Typisch für die Verehrung, mit der er den Reichsfreiherrn betrachtete, ist die folgende Schilderung über die letzte Phase der Amtszeit Steins: Diese Wochen bedeuten die heroische Höhe seines Lebens. Es ist ein Schauspiel von seltener sittlicher Größe und zugleich von wundervoller ästhetischer Schönheit, wie der Mann ohne einen Gedanken an sein eigenes Schicksal die so lange in ihm schlummernde revolutionäre Energie sich voll entfalten läßt; wie er alle Nerven strafft, und Block auf Block zu türmen sucht, um in der kurzen Spanne der ihm noch bleibenden Frist einen Wall aufzuhäufen, der das Reformwerk nach seinem Sturze schützen soll. Er wahrt seine persönliche Würde, indem er dem König sein Amt zur Verfügung stellt; aber zugleich ist er bereit, unter jeder Bedingung, die ihm noch zu wirken gestattet, und so lange dies möglich ist, zu bleiben. Der stolze Mensch erträgt es schweigend, daß ihm der König die Leitung der auswärtigen Angelegenheiten abnimmt und sein ganzes Vertrauen dem Schwächling Goltz zuwendet. Er erklärt sich bereit, vom Ministerium zurückzutreten und als Staatsrat weiter zu dienen, um doch noch die Hand über sein Werk halten zu können. In diesen Wochen war es, daß er zu unablässiger Eile beim Abschluß der Städteordnung drängte. Mit Feuereifer widmete er sich auch den anderen großen Entwürfen der Reform: Abschaffung der ländlichen Patrimonialgewalt, Organisation der Landgemeinden und Kreise, der Provinzialvertretungen und schließlich der Krönung des Ganzen, der Volksvertretung.117
Mit seiner extrem liberalen, geradezu demokratischen Stein-Interpretation steht Preuß unter dem von ihm auch stets anerkannten Einfluß Max Lehmanns, dessen große, mehrbändige Stein-Biographie eines der letzten bedeutenden Beispiele liberaler, bewußt politisch angelegter Geschichtsschreibung ist. Bereits im Vorwort seines ersten Bandes spricht Lehmann davon, daß manche heute die Notwendigkeit zu Reformen bezweifelten und mit Vorliebe auf die Regierungszeiten der großen Könige schauten. Aber das könne „denjenigen, welcher einen Blick in das Heiligthum der Historie getan hat, nicht beirren“118. Der liberale Leitgedanke von Lehmanns Werk kulminiert darin, daß er „die auffallend starke Anlehnung der preußischen Reformer an die Ideen von 1789“119 zum Kern seiner Darstellung macht. Allerdings ist dieser Einfluß nicht die Ursache von Preuß’ Bild des Freiherrn vom Stein. Der entscheidende Einfluß der Ideen von 1789 auf Stein ergab sich für Preuß 117 „Entwicklung des deutschen Städtewesens“, 272. Kaum weniger enthusiastisches Lob etwa in „Selbstverwaltung, Gemeinde, Staat, Souveränität“, 227f; „Das deutsche Volk und die Politik“, 6.–8. Tsd., Jena 1916, 92ff. Sehr schön ist die Einschätzung von Th. Heuss, Geleitwort, 9, zum Verhältnis von Preuß zu Stein: „Die Darstellung der Steinschen Reformzeit hat die Kraft eines starken Pathos, ohne in Publizistik umzubiegen“; und weiter „möchte [man] fast sagen, seine eigene politische Entfaltung vollziehe sich in einer ununterbrochenen Zwiesprache mit dem Mann“. Ähnlich G. Gillessen, Hugo Preuß, 42: „Beim Klang dieses Namens wurde in dem sonst so nüchternen, bis zur Respektlosigkeit ironischen Berliner ein tiefes Gefühl angerührt.“ 118 Max Lehmann, Freiherr vom Stein, 1. Bd.: Vor der Reform. 1757–1807, Leipzig 1902, VII. Der 2. Bd. (Die Reform. 1807–1808) erschien Leipzig 1903, der 3. Bd. (Nach der Reform. 1808–1831) Leipzig 1905. Eine stark gekürzte 2. Aufl. erschien Göttingen 1920 und wurde 1928 und 1931 erneut aufgelegt; von Lehmann mit der Hoffnung begleitet, daß Deutschlands Wiederaufstieg im Geiste des Freiherrn vom Stein erfolge. Zu Lehmanns Werk siehe W. Hubatsch, Die Stein-Hardenbergschen Reformen, 76f. 119 M. Lehmann, Freiherr vom Stein, 2. Bd., VI.
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schon aus der Logik der Dinge120, und seine eigene Interpretation war schon lange vor Erscheinen der Arbeiten Lehmanns gefestigt. Er entnahm ihnen eine wertvolle fachwissenschaftliche Bestätigung dessen, was er selbst ohnehin schon immer vertreten hatte. Das Porträt des Freiherrn war von beiden, Preuß wie Lehmann, zu liberal gezeichnet und ist später auf ein realistischeres Maß zurechtgerückt worden. Vor allem Gerhard Ritters erstmals 1931 erschienene Stein-Biographie reduzierte den politischen Freiheitswillen Steins auf „eine spezifisch deutsche Form von Liberalismus: eine Freiheitsgesinnung, der es weniger auf die Sicherung vorstaatlicher Rechte des Individuums im Staate ankam wie in der westeuropäischen Welt, als auf die Mobilisierung seiner Kräfte für das öffentliche Wohl und für die Rettung des Vaterlandes“121 Gleichwohl wurde die historische Kritik nur einem Teil der Intentionen Preuß’ – und auch Lehmanns – gerecht. Beiden ging es mindestens ebensosehr wie um eigentliche historische Forschung auch darum, den eigenen Zeitgenossen einen Spiegel vorzuhalten, in dem sie ihre eigene Politik an der Steins zu messen hatten. Daß Preuß primär an der Gestaltung der Gegenwart interessiert war, ist hier schon angesprochen worden. Seine aktualisierende Interpretation Steins ist eines der besten Beispiele hierfür122. Preuß bleibt in einer Zeit, in der die Professionalisierung der Geschichte längst abgeschlossen ist, ein Gentleman-Historiker der alten Schule.
120 „Staat und Stadt“, in: „Staat, Recht und Freiheit“, 90. 121 Gerhard Ritter, Freiherr vom Stein. Eine politische Biographie, Frankfurt a.M. 1983 (erstmals 1931), 11. Ritter erwähnt an gleicher Stelle einen an Kant angelehnten „kategorischen Imperativ staatsbürgerlicher Pflicht“, der die Mitarbeiter Steins beseelt habe. Für W. Hubatsch, Die Stein-Hardenbergschen Reformen, 80, hat Ritters Arbeit den Lehmannschen Bezug auf 1789 „so gründlich widerlegt, daß diese Streitfrage als erledigt angesehen werden kann.“ 122 Preuß hat „Max Lehmanns treffliche Stein-Biographie“ („Entwicklung des deutschen Städtewesens“, III) oft herausgehoben; siehe z.B. „Internationale Entwicklung des Selbstverwaltungsprinzips“, Sp. 770; „Referat auf dem Preußischen Städtetag 1908“, 22; „Staat und Stadt“, in: „Staat, Recht und Freiheit“, 90. An letzterer Stelle heißt es: „Denn es leben ja immer noch posthume Verehrer der Autarkie des alten Obrigkeitsstaates, die gar zu gern die Überflüssigkeit der großen Umwälzung für die moderne Entwicklung beweisen möchten. Gegen das Argument von der immanenten Logik der Dinge verschanzen sie sich hinter der ‚Methode exakter Forschung‘, für die, quod non es in actis, non est in mundo. Da wirkt es denn wahrhaft befreiend, wenn sie einmal mit ihren eigenen Waffen geschlagen werden durch den Nachweis, daß die geistigen Zusammenhänge sogar aktenkundig geworden sind.“ Diese Passage ist auch aufschlußreich für Preuß eigenes Verhältnis zu historischer Forschung, das eben nicht an ‚exakten Methoden‘ gemessen sein wollte. Vgl. aber auch H. Heffter, Deutsche Selbstverwaltung, 647: „Die Historiker, die ein allzu liberales Bild vom Wesen und Wollen Steins entwarfen, haben das wissenschaftliche Feld nicht behaupten können; aber als Reformer, die politisch wirken und gestalten wollten, haben die liberalen Erben Steins nur das natürliche Recht jeder schaffenden Gegenwart für sich in Anspruch genommen, ein historisches Vorbild den neuen Notwendigkeiten und Zielen anzupassen.“
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Politische Motive stehen auch hinter einer gelegentlich von Preuß wiederholten Warnung. Auch Thomas Nipperdey spricht von dem „factum brutum“ der Katastrophe von 1806 als Vorbedingung der Reformen123. Aber bei Preuß ist dies nicht nur eine historische und wissenschaftliche Einschätzung, sondern auf die Gegenwart gemünzt. Er verweist mit großer Intensität darauf, daß erst der völlige Zusammenbruch des alten friderizianischen Preußens bei Jena und Auerstedt erfolgen mußte, bevor Reformen ernsthaft in Angriff genommen wurden. Für Preuß war der wilhelminische Obrigkeitsstaat nicht minder unzeitgemäß als das absolutistische Preußen, und die Schilderung von dessen Untergang ist hier mit der Hoffnung verbunden, daß diesmal rechtzeitige Reformen möglich sind124. Die Parallelen zu Preuß’ eigener politischer Vita sind im Nachhinein deutlich, auch wenn er natürlich zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen konnte, daß er wie sein großes Vorbild einmal nach dem kriegsbedingten Zerfall des reformunfähigen Obrigkeitsstaates zur politischen Verantwortung gelangen würde – die allerdings von noch geringerer Dauer und Fruchtbarkeit sein sollte. Der Stein, den Preuß schilderte, unternahm den Versuch, den Obrigkeitsstaat mit seinen eigenen Waffen zu überwinden und die Reform per Dekret durchzuführen125. Keimzelle der neuen Staatsorganisation sollte die Städteordnung126 werden; die vom Absolutismus und seiner Kodifikation im Allgemeinen Landrecht befreiten Städte hätten erneut, wie schon im Mittelalter, die Rolle eines Vorreiters der Nation übernehmen sollen. Für Preuß ist denn auch die Städteordnung ein Höhepunkt gesetzgeberischen Wollens nicht nur für Preußen, sondern ganz generell: Kein Werk der Gesetzgebung trägt mit größerem Rechte den Namen eines einzigen Mannes, als die Städteordnung den Namen Steins.127
123 Th. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800–1866, 33. 124 Vgl. etwa „Entwicklung des deutschen Städtewesens“, 214; „Wirtschaftliche und soziale Bedeutung der Stein-Hardenbergschen Reform“, 7 u. 14; „Verwaltungsreform und Politik“, 95; Art. „Gemeinde“, in: Handwörterbuch der Kommunalwissenschaften, 2. Bd., 195. 125 Nicht ohne Berechtigung spricht Preuß, Ein Jahrhundert städtischer Verfassungsentwicklung, 35, von dem „kühne[n] Versuch, den Absolutismus durch die Machtmittel des Absolutismus zu überwinden“. Ähnlich „Entwicklung des deutschen Städtewesens“, 215. Dabei konnte es jedoch nur am Anfang der Reform um dieses Verfahren handeln, vgl. Art. „Gemeinde“, in: Handwörterbuch der Kommunalwissenschaften, 2. Bd., 195: „Um den politischen Gemeingeist wieder zu beleben, der durch den Mechanismus des Obrigkeitsstaates in den Untertanen ertötet war, mußte dieser Mechanismus selbst ersetzt werden durch den Organismus genossenschaftlicher politischer Gemeinwesen.“ Zur Reform von oben siehe auch H. Heffter, Deutsche Selbstverwaltung, 86. 126 Vgl. M. Lehmann, Freiherr vom Stein, 2. Bd., 447–547; G. Ritter, Freiherr vom Stein, 251ff.; R. Koselleck, Preußen zwischen Reform und Revolution, 560ff.; Manfred A. Pahlmann, Anfänge des städtischen Parlamentarismus in Deutschland. Die Wahlen zur Berliner Stadtverordnetenversammlung unter der Preußischen Städteordnung von 1808, Berlin 1997, 17ff. 127 „Entwicklung des deutschen Städtewesens“, 264. Steins Städteordnung ist „das edelste Werk preußischer Geschichte“ (193), sie beansprucht den Rang „des weitaus besten und fruchtbarsten Werkes der ganzen preußischen Gesetzgebung“ (225). Seine Reformen markieren „den einzigen Versuch zu einer fundamentalen Umgestaltung der inneren staatlichen Zustände, der jemals
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Die Reichweite der Reformen war aber nicht auf die Städteordnung beschränkt, nicht einmal auf die Summe aller tatsächlich durchgeführten Gesetze. Preuß wies immer wieder darauf hin, daß es Stein darum zu tun war, die ganze Nation umzugestalten, ja, diese Nation eigentlich zu schaffen; aus jenem zusammenhanglosen Konglomerat politisch rechtloser Untertanen ein Volk im politischen Sinne, eine Genossenschaft selbsttätiger Staatsbürger erst zu bilden128.
Diese administrativ gestützte Reform mit ihrem revolutionären Ziel stieß auf heftige Opposition. Aber während für Preuß die Gegnerschaft der alten feudalen Gewalthaber, der preußischen Junker, politisch verständlich und damit auch nachvollziehbar ist, gewinnt für ihn die Apathie der potentiell Begünstigten eine tragische Note: Aber wo war dem gegenüber eine kraftvolle Unterstützung durch die breiten Schichten denen die Umgestaltung doch zugute kommen sollte? Wo fand die Reform ein Echo, eine Unterstützung? Bei einer kleinen Anzahl hoher Beamter, Offiziere, einigen Gelehrten, einigen wenigen auserlesenen Geistern. Sonst nichts! Den Städten mußte ihre Magna Charta aufoktroyiert werden gegen das warnende Jammergeschrei ihrer alten Magistrate, die von so zügelloser Freiheit den Weltuntergang prophezeiten. Die Bürgerschaften blieben stumm und stumpf.129
Für Preuß war diese Haltung des Volkes eher ein Anlaß des Bedauerns als der Überraschung; die Politikunfähigkeit der Deutschen ist ein von ihm auch vor 1918 vielfach konstatiertes Problem, das weiter unten noch ausführlicher zur Sprache kommen wird. Stein war nicht der erste kühn denkende Politiker, dessen Reformvorstellungen seinen Landsleuten mehr zutrauten, als diese aufzugreifen bereit waren. Auch hier ist die Parallele zur kurzen Zeit, die Preuß 1918/19 an verantwortlicher Stelle verbringen konnte, wiederum bemerkenswert. Die Berufung Steins war durch den Druck der äußeren Umstände erfolgt; weder der Hof noch die Junkerpartei noch die Bürger unterstützten ihn. So ist sein baldiger in Preußen unternommen worden ist“; „Zur Säkularfeier der Stein’schen Städte-Ordnung. 19. November 1808–1908“, in: FZ, Nr. 321 (18.11.1908, 4.M). Stein machte die Städte erneut zur Keimzelle des modernen Staates durch eine fast völlige Neuschöpfung ihrer Verfassung; „Ein Jahrhundert städtischer Verfassungsentwicklung“, in: „Staat, Recht und Freiheit“, 30f. 128 „Ein Jahrhundert städtischer Verfassungsentwicklung“, in: „Staat, Recht und Freiheit“, 25. Es ging Stein um die „organische Neugestaltung des Staates von unten auf“, unter Anknüpfung „an alte Bildungen des deutschen politischen Lebens“, ‚Gemeinde, Staat, Reich‘, 293. Die Grundidee war „die Ersetzung des herrschaftlichen Anstaltsbegriffs durch den organischen Körperschaftsbegriff“; ebd., 294. Dies geschah nur äußerlich und der Form nach als Reform, in Wahrheit handelte es sich um eine Revolution gegen den Obrigkeitsstaat; „Verwaltungsreform und Politik“, 103. Ähnlich auch H. Heffter, Deutsche Selbstverwaltung, 6. 129 „Stein-Hardenbergsche Neuorientierung“, in: „Staat, Recht und Freiheit“, 124. Zur Teilnahmslosigkeit von Volk und Städten auch „Ein Jahrhundert städtischer Verfassungsentwicklung“, in: ebd., 31 u. 36; und „Staat und Stadt“, in: ebd., 91: „Nicht die Nation schuf die Reform, sondern die Reform wollte eine Nation im politischen Sinne schaffen.“ Zur – anders als in Frankreich – schmalen sozialen Tragkraft der preußischen Reformbewegung siehe auch H. Heffter, Deutsche Selbstverwaltung, 84.
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Sturz auch keine große Überraschung; das Reformwerk blieb ein Torso130. Die Fortsetzung der Arbeit durch Hardenberg findet vor den Augen Preuß’ wenig Gnade. Hardenberg ist für ihn nicht viel mehr als ein Höfling, dessen „charakterlose Geschmeidigkeit und ängstliche Geschicklichkeit“131 er des besseren Kontrastes halber erheblich schärfer von Stein absetzt, als dies der Realität entsprochen hatte. Die neuere historische Forschung hat auch hier das politisch motivierte Geschichtsbild Preuß’ zurechtgerückt132. Stein hatte nicht die Möglichkeit, sein Reformwerk auch nur annähernd abzuschließen. Er hatte die Grundlinien angegeben, auf denen die weitere Entwicklung voranschreiten mußte – vergebens, denn die Entwicklung ging bald in eine andere Richtung: Jenes Jahr der Ära, ach, leider muß man sagen, der Episode von Königsberg ist die einzige wahrhaft und dauernd fruchtbare Reformzeit unserer inneren staatlichen Entwicklung während dieses ganzen Jahrhunderts; hier wurzeln wenigstens im Keime alle schöpferischen Gedanken innerer Gestaltung, deren größten Teil zur Reife zu bringen das inzwischen verflossene Jahrhundert erst noch der Zukunft überlassen hat. Denn dies Jahrhundert hat nicht erfüllt, was das eine Jahr von Königsberg versprochen hat. Das Reformwerk ist ein Torso geblieben.133
Der erste Fehler wurde nach Preuß aus falsch verstandenen theoretischen Überlegungen bereits in der Städteordnung selbst begangen, als man die Ortspolizei der Selbstverwaltung entzog und dem Staat übertrug134. Wichtiger für das Schicksal der 130 Vgl. „Wirtschaftliche und soziale Bedeutung der Stein-Hardenbergschen Reformen“, 25; „Verwaltungsreform und Politik“, 95; „Entwicklung des deutschen Städtewesens“, 269. Das endgültige Reformende kam mit dem siegreichen Kriegsende: „However, with the overthrow of Napoleon the necessity for such a complete reform was removed, and these plans were not carried out. Despite solemn promises from the crown, Prussia held fast to absolutism until the year 1848.“; ‚Germany – The Government‘, [2]. 131 „Entwicklung des deutschen Städtewesens“, 304. Und weiter an gleicher Stelle: „Es ist ein klägliches Schauspiel, wie er zwischen dem schlauen Mißtrauen Metternichs und dem engherzigen Argwohn des Königs sich mit seinen Verfassungsprojekten hindurchzuwinden und hindurchzulügen versucht.“ Besonders übel nimmt Preuß ebd., 305, dem „heruntergekommenen Greise“ (sic!) seine eifrige Mitwirkung an den Karlsbader Beschlüssen. Zur persönlichen Gegensätzlichkeit von Stein und Hardenberg „Stein-Hardenbergsche Neuorientierung“, in: „Staat, Recht und Freiheit“, 114. Immerhin meint auch Preuß, daß beide vereint im Kampfe gegen das Junkertum gestanden haben; „Die Junkerfrage“, Berlin 1897, 18ff. 132 Ein umfassendes, differenziertes und zudem gut erzähltes Porträt zeichnet die inzwischen maßgebende Arbeit von Peter Gerrit Thielen, Karl August von Hardenberg. 1750–1822. Eine Biographie, Köln und Berlin 1967. 133 „Ein Jahrhundert städtischer Verfassungsentwicklung“, in: „Staat, Recht und Freiheit“, 26. Vgl. auch „Wirtschaftliche und soziale Bedeutung der Stein-Hardenbergschen Reform“, 3 u. 19; „Zur Säkularfeier der Stein’schen Städte-Ordnung. 19. November 1808–1908“, in: FZ, Nr. 321 (18.11.1908 4.M.). Siehe auch H. Heffter, Deutsche Selbstverwaltung, 220; die Selbstverwaltung der Steinschen Städteordnung stand im Vormärz „isoliert und fremdartig im Gefüge des absolutistischen Beamtenstaats“, wie auch gegenüber dem ländlichen Feudalismus, der noch keineswegs gebrochen war. 134 Die mit dem „furor doctrinalis“ erfolgte Übertragung der Ortspolizei an den Staat markiere den einzigen prinzipiellen Fehler der Städteordnung; „Zum Recht der städtischen Schulverwaltung.
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Reformen nach dem Erlahmen des ersten Schwunges und der außenpolitischen Notwendigkeit wurde die beharrliche Gegnerschaft der agrarischen Interessen im Bündnis von Krone und ostelbischem Junkertum. Die Städte ließen schnell ab von ihrer anfänglichen Opposition, aber um so deutlicher wurde es, daß die reformierte Selbstverwaltung sich nicht ohne weitere Schritte in den ansonsten kaum angetasteten Obrigkeitsstaat einfügen ließ. Die Gegner von Selbstverwaltung und Liberalismus konnten auf unterschiedlichen Wegen ihre politischen Ziele verfolgen. Zunächst einmal herrschte in der untereinander kaum verbundenen Vielfalt unterschiedlicher Gebiete, die gemeinsam den preußischen Staat ausmachten, ein historisch hergebrachtes, aber mehr und mehr anachronistisches Chaos von Rechtsverhältnissen. In Preußen galten nicht weniger als 15 Gemeindeordnungen, darunter 8 Städteordnungen, was die Durchsetzungskraft und Wirkung „der“ Städteordnung, der Steinschen nämlich, erheblich einschränkte135. Zunächst einmal gab es die Städteordnung von 1808, in der revidierten Fassung von 1831 und 1850: Aber die Geltung eines einheitlichen Gesetzes für den ganzen Staat erinnerte noch zu sehr an revolutionäre Nivellierungssucht; provinzielle Sondergesetze, auch wenn sie sich inhaltlich nicht wesentlich voneinander unterschieden, sahen historischer und legitimer aus. Diesen Erfordernissen entsprach die Städteordnung für die sechs östlichen Provinzen vom 30. Mai 1853, von deren Geltungsbereich ein Gesetz vom nächsten Tage das Museum städtischer Altertümer in Neuvorpommern und Rügen ausschloß. Hier sollte eine Kommission unter vorsichtiger Abwägung der allernotwendigsten Modifikationen einen Rezeß für jede einzelne Stadt vorbereiten; doch wurde sie dahin instruiert, ‚daß es nicht die Absicht sei, eine umfassende Reform stattfinden zu lassen oder eine übersichtliche Zusammenstellung des gesamten Stadtrechts zu geben‘. Beides hat denn auch die Kommission gewissenhaft vermieden. Die Provinz Westfalen erhielt durch Gesetz vom 19. März 1856 eine in den Hauptsachen mit der östlichen übereinstimmende Städteordnung, während die rheinische Städteordnung vom 15. Mai 1856 sich davon in mehreren Punkten, vor allem durch die Beibehaltung der Bürgermeistereiverfassung unterscheidet. Wenn man auch die Urbanisierung des rheinischen Landes tatsächlich nicht beseitigen konnte, so trennte man doch formell die Landgemeinde- von der Städteordnung. Mit diesen vier Systemen des Städterechts und mit einem Zustand der Verwaltungsorganisation ‚halb Rohbau und halb Ruine‘ trat Preußen in die Ära der Reichsgründung ein. Durch die Annektionen von 1866 kamen zu jenen vier noch fünf weitere Städterechte hinzu. Hannover
Eine Replik“, in: AöR, 20. Bd. (1906), 230–264, hier 259. Die Schuld daran trage, wie schon erwähnt, nicht Stein selber, sondern sein Mitarbeiter Theodor von Schön; „Entwicklung des deutschen Städtewesens“, 249; „Ein Jahrhundert städtischer Verfassungsentwicklung“, in: „Staat, Recht und Freiheit“, 52f. Der „Kapitalfehler“ von 1808 (ebd., 52) wurde noch zusätzlich durch Steins Idee verschlimmert, die Ausübung der Polizeigewalt dem Magistrat als delegiertes Recht zu übertragen: „Selten hat sich eine theoretische Prinzipwidrigkeit praktisch so nachhaltig gerächt, wie diese einzige Abwiechung der ersten Städteordnung von ihrem eigenen Grundprinzip; denn die folgende reaktionäre Gesetzgebung und polizeistaatliche Verwaltungspraxis hat keinen der großen und schöpferischen Gedanken unserer kommunalen magna charta so eifrig und fruchtbar fortgebildet, wie diesen ihren größten Irrtum.“ Ebd., 54. Die Polizeiverwaltung wurde denn auch „der Archimedische Punkt, um die ganze Selbstverwaltung aus den Angeln zu heben“; ebd., 56. 135 In diesem Punkt stimmt die moderne Forschung Preuß zu. W. Rüfner, Preußen, 691, konstatiert „ein relativ buntes Bild“ für die rechtlichen Regelungen der Selbstverwaltung in Preußen.
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3. Die Idee der Selbstverwaltung behielt seine Städteordnung vom 24. Juni 1858; ebenso zunächst noch Kurhessen und Nassau ihre Gemeindeordnungen, die erst im Jahre 1897 durch eine neue Städte- und Landgemeindeordnung ersetzt wurden. Das Gemeindeverfassungsgesetz für die Stadt Frankfurt a.M. vom 25. März 1867 sowie die schleswig-holsteinische Städteordnung vom 14. April 1869 zeigen in manchen Abweichungen von dem östlichen Schema ... immerhin einigen Einfluß der Epoche, die wir heute wehmütig bescheiden gern als die der liberalen Gesetzgebung bezeichnen.136
Es blieb aber nicht allein bei diesem Dschungel von Bestimmungen, denn zum zweiten wurden verschiedentlich auch direkte Versuche unternommen, die Steinschen Reformen nach rückwärts zu revidieren. Der Erfolg dieser Maßnahmen war allerdings begrenzt; zwar scheiterte eine vom liberalen Geiste erfüllte Fortschreibung der Reformen am Widerstand der Staatsregierung, doch war andererseits der liberale Widerstand stark genug, um seinerseits Verschlechterungen des Status quo ebenso zu verhindern137. Dies ließ der Bürokratie den bereits im letzten Abschnitt angesprochenen Weg, der uns erneut bei der Würdigung der praktischen Tätigkeit Preuß’ in der Berliner Kommunalverwaltung beschäftigen wird. Mit einem steten Fluß von Verordnungen, Reskripten und Direktiven wurde die Städteordnung auf dem Wege der Interpretation zum Teil wieder aufgehoben. Preuß hat gezeigt, wie zum Teil über Jahrzehnte hinweg immer neue Versuche unternommen wurden, auf dem Verordnungswege Teile des Gesetzes über die Städteordnung in das Gegenteil zu verkehren. Hierbei zog die preußische Bürokratie bevorzugt das Allgemeine Landrecht als Interpretationshilfe heran, obwohl – oder gerade weil – dieses System von Gesetzen die Kodifikation des preußischen Absolutismus war und daher in seiner 136 „Ein Jahrhundert städtischer Verfassungsentwicklung“, in: „Staat, Recht und Freiheit“, 46f. Preuß bediente sich gerne des Stilmittels, eine einfache Aufzählung als umfassende Kritik wirken zu lassen. Vgl. ebd., 71, „Entwicklung des deutschen Städtewesens“, 346f.; Art. „Bürgermeisterei- und Ratsverfassung“, in: Handwörterbuch der Kommunalwissenschaften, 484. „Nahezu alle die verschiedenen Experimente, die in der Entwicklungsgeschichte der östlichen St[ädte]o[rdnung] irgend wann einmal aufgetaucht sind, fristen in irgend einem Provinzialgesetz ihr Dasein als geltendes Recht fort.“ ‚Wirtschaftliche und soziale Bedeutung der SteinHardenbergschen Reform‘, 278f. 137 Schon bei der Beratung der Revision der Städteordnung schlug W.v. Humboldt 1831 zahlreiche Liberalisierungen vor, u.a. die Abschaffung des Hausbesitzerprivilegs. „Der damalige Gesetzgeber tat ungefähr das Gegenteil von allem, was Humboldt riet“, und die revidierte Städteordnung vom 17.3. 1831 war „das Resultat eines Kompromisses zwischen bureaukratischer und feudaler Reaktion“; ‚Ein Jahrhundert städtischer Verfassungsentwicklung‘, in: „Staat, Recht und Freiheit“, 42. Fast wortgleich auch „Entwicklung des deutschen Städtewesens“, 314f. Im erstgenannten Aufsatz, 46, geht Preuß dann auf die umfassende und zunächst liberale Kommunalreform der Revolutionsepoche ein. Aber: „Legislatorisch beinahe so fruchtbar, wie es der 11. März 1850 gewesen, war der 24. Mai 1853; an diesem Tage wurden durch drei Gesetze die Gemeindeordnung, die Kreis-, Bezirks- und Provinzialordnung und der Artikel 105 der Verfassung aufgehoben.“ Generell siehe zur Entwicklung der preußischen Kommunalverfassung neben den bereits angeführten Werken auch H. Heffter, Deutsche Selbstverwaltung, 174ff., 318, 404ff., 546ff., 588ff. u. 652; sowie R. Koselleck, Preußen zwischen Reform und Revolution, 560ff.
3.3 Hugo Preuß als Geschichtsschreiber der Selbstverwaltung
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ganzen Grundintention dem Wesen der Reformen widersprach. Auch daß das Landrecht in seinen einschlägigen Passagen eben wegen dieses Grundwiderspruchs ganz explizit durch die Steinsche Städteordnung aufgehoben worden war, hinderte die Ministerialbürokratie nicht daran, es zur Interpretation seines Nachfolgers heranzuziehen138. Vielleicht ist es vor allem dieser spätere Gebrauch (oder Mißbrauch) des Allgemeinen Landrechts, der Preuß zu seiner ebenso eindeutig wie einseitig negativen Sicht geführt hat und der ihn daran hinderte, die aufklärerischen Elemente dieser Gesetzeskodifikation zu sehen139. Den einzigen Grund für das Überleben der Städteordnung erblickte Preuß darin, daß sich der preußische Absolutismus eine eigene Städteverwaltung nicht mehr leisten konnte. Die wirtschaftliche Schwäche des Staates sei es gewesen, die den Städten ihre Selbständigkeit bewahrt habe, denn die Selbstverwaltung hatte auch in der Sicht der preußischen Regierung wenigstens einen Vorteil: Sie wurde von den oftmals finanziell deutlich besser gestellten Städten selbst getragen und nahm dem finanzschwachen Staat etwa bei der Polizeiverwaltung noch gewichtige eigene Kosten ab140. Die Selbstverwaltung in der Form demokratischer Selbstregierung machte den Kern der politischen Ideen und Ziele von Hugo Preuß aus. Sein historisches Leitbild war der Freiherr vom Stein, und ähnlich wie dieser in der kommunalen Selbstverwaltung die Vorstufe für provinzielle und nationale Parlamente sah141, bedeutete 138 Zur Heranziehung des Allgemeinen Landrechts meint Preuß etwa in „Ein Jahrhundert städtischer Verfassungsentwicklung“, in: „Staat, Recht und Freiheit“, 40: „Damit verkennt oder verleugnet man die völlige Unvereinbarkeit der Rechtsgedanken der beiden Gesetze; und das heißt Wesen und Geist des ganzen Reformwerks verleugnen. Denn dies ist die bewußte Negation des absoluten Obrigkeitsstaates, dessen ebenso bewußte Kodifikation das preußische Landrecht darstellte. Dieses Verhältnisses waren sich auch die Väter der Städteordnung völlig bewußt gewesen.“ Und weiter ebd., 40f.: „(D)er bald nach Abschluß der Städteordnung beginnende Triumph der landrechtlichen Reaktion führt dazu, auch gegen die Städteordnung die Offensive zu ergreifen, um dem altpreußischen Polizeistaat im Wege der Verwaltungspraxis das ihm durch jenes Gesetz entrissene Gebiet zurückzugewinnen, die Städteordnung mit Hilfe des Landrechts zu interpretieren, d.h. im Wege der Auslegung das Gesetz stückweise aufzuheben, und dafür seinen diametralen Gegensatz, das von ihm aufgehobene System des Polizeistaates wiederherzustellen. Diese Praxis hat an der Verdunkelung, Verkümmerung und Verwirrung des preußischen Städterechts bis auf den heutigen Tag nur allzu wirksam gearbeitet.“ Ähnlich auch „Städtisches Amtsrecht“, 117. 139 R. Koselleck, Preußen zwischen Reform und Revolution, 24, schließt sich an Treitschke an, wenn er vom „Janusgesicht“ des Allgemeinen Landrechts spricht. Für ihn vereint es in sich „die Bestimmungen aufgeklärter Staatsplanung und ständisches Herkommen“. 140 Preuß ist auf diesen Gedanken immer wieder zurückgekommen; z.B. „Ein Jahrhundert städtischer Verfassungsentwicklung“, in: „Staat, Recht und Freiheit“, 44; „Staat und Stadt“, in: ebd., 92; „Städtisches Amtsrecht“, 324; „Zur Säkularfeier der Stein’schen Städte-Ordnung. 19. November 1808–1908“, FZ, Nr. 321 (18.11.1908 4.M); „Zur sozialen Entwickelungstendenz städtischer Selbstverwaltung“, in: Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik, 1. Jg. (18.5.1905), 858–865, hier 861. 141 Vgl. G. Ritter, Freiherr vom Stein, 275ff. Dort wird auch ausführlich die Verbindung Steins zu den in vielem eigenartigen Gedanken des schlesischen Gutbesitzers Karl Nikolaus von
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3. Die Idee der Selbstverwaltung
auch für Hugo Preuß die kommunale Stufe der Selbstregierung keineswegs den Abschluß seiner Gedanken. Vielmehr gingen seine Überlegungen auf ein organisches System der Körperschaften hin, das zwar in der Gemeinde und Stadt seinen Anfang fand, sich aber über den Staat hinaus bis in die Gemeinschaft der Völker fortsetzte. 3.4 Der organische Aufbau von der Gemeinde bis zur Völkergemeinschaft Als David Easton vor annähernd 50 Jahren den Gedanken des politischen Systems als Analyseebene und als analytisches Werkzeug in die Politikwissenschaft einführte142, war die Attraktivität dieses theoretischen Ansatzes auch dadurch bedingt, daß er erlaubte, die politischen Prozesse sehr unterschiedlicher politischer Gesellschaften untersuchen zu können, ohne an die klassischen Begriffe der Staatstheorie gebunden zu sein. Die gleiche Flexibilität liegt in dem Preußschen Organismusbegriff, dessen Verbindung zur späteren Systemtheorie schon angesprochen wurde. Für Hugo Preuß war die prinzipielle Gleichheit aller sozialen Verbände ein Kerngedanke der Genossenschaftslehre. In den Worten von „Gemeinde, Staat, Reich“: Sonach ergiebt sich, daß man den eigentlichen Inhalt der organischen Staatslehre völlig verkennt, wenn man von ihr die Hervorhebung des specifischen Charakteristicums, welches etwa die als Staaten bezeichneten Gebilde von ähnlichen Erscheinungen unterscheiden soll, erwartet. Im Gegentheil zeigt vielmehr die organische Anschauung die Wesensgleichheit der staatlichen und der analogen Verbände; betrachtet sie den Staat als ein Glied in der ungeheuren Kette der Organismen. ... Das Gemeinsame aller socialen Gebilde: der Familie, des Stammes und Volkes; der Körperschaft, der Gemeinde, des Staates und Reiches führt die organische Theorie vor Augen. Sie zeigt, wie der Staat als Organismus schon in den unteren und engeren Verbänden vorgebildet ist.143
Neben dieser Wesensgleichheit hat Preuß aber auch die unterscheidenden Momente gesehen. Intensiv hat er sich etwa mit der historisch getrennten Entwicklung von Städten und Landgemeinden befaßt. Mit der wirtschaftlichen Differenzierung geht im Mittelalter auch eine rechtliche Differenzierung einher, die sich auf dem unterschiedlichen Verhältnis beider Gemeinwesen zu ihrem Boden speist, der sich nur
Rehdiger und dessen Denkschrift vom Mai 1808 behandelt. Zu Hardenberg und den Verfassungsplänen siehe R. Koselleck, Preußen zwischen Reform und Revolution, 186ff. 142 David Easton, The Political System. An Inquiry Into the State of Politcal Science, New York 1953. Easton hat seine Grundgedanken später ausgeführt in A Framework for Political Analysis (Englewood Cliffs, NJ, 1965) und, am umfangreichsten, in A Systems Analysis of Political Life (New York usw. 1965). Vgl. auch Ulrich Buczylowski, Das ‚Politische System‘ David Eastons, in: Wilfried Röhrich (Hrsg.), Neuere Politische Theorie. Systemtheoretische Modellvorstellungen, Darmstadt 1975, 110–147. 143 „Gemeinde, Staat, Reich“, 145.
3.4 Der organische Aufbau von der Gemeinde bis zur Völkergemeinschaft
131
in der Stadt zum sozialrechtlichen Gebiet verselbständigt144. Dieser Gegensatz verschärfte sich weiter, nachdem der Absolutismus politisch über die Städte gesiegt hatte und diese nun ihrerseits auf Privilegien und Sicherstellung gegenüber ländlicher Konkurrenz drängten. Für Preußen wird dies besonders deutlich in der Scheidung der westlichen und östlichen Gebietsteile; die strikte Trennung von Stadt und Land ist für Preuß der „Krebsschaden des Ostens“145. Im ostelbischen Teil der preußischen Monarchie hat sich damit eine Trennung in das 19. Jahrhundert gerettet, die für Preuß ansonsten im Wesentlichen überwunden ist. Stadtgemeinde und Landgemeinde sind im modernen Verfassungsstaat einheitliche Gebietskörperschaften, die damit zugleich die allgemeine „Grundform der politischen Gemeinwesen“146 bilden. Auf dieser Grundform bauen die höheren Vereinigungen auf, sie sind spätere und höher entwickelte Ausprägungen der gleichen Grundidee: Die moderne Gemeinde ist eben dem modernen Staate wesensgleich; er ist Fleisch von ihrem Fleische und Geist von ihrem Geiste.147
144 Zur wirtschaftlichen Trennung von Stadt und Land im Mittelalter vgl. ebd., 310ff.; „Entwicklung des deutschen Städtewesens“, 3ff. u. 118, wo die deutsche Geschichte als Kampf zwischen dem städtischen Prinzip der Freiheit und dem agrarischen Prinzip der Unfreiheit interpretiert wird. Zur rechtlich trennenden Bedeutung des Bodens vgl. „Staat und Stadt“, in: „Staat, Recht und Freiheit“, 82; Art. „Gemeinde“, in: Handwörterbuch der Kommunalwissenschaften, 2. Bd., 188f. 145 „Zur preußischen Verwaltungsreform“, 26. Ähnlich „Entwicklung des deutschen Städtewesens“, 3; „Staat und Stadt“, in: „Staat, Recht und Freiheit“, 89 u. 93; „Kommunale Selbstverwaltung in Deutschland“, 1912, 202. Zur Verschärfung dieser Gegensätze durch den Absolutismus etwa ebd., 205f.; Art. „Gemeinde“, in: Handwörterbuch der Kommunalwissenschaften, 2. Bd., 184; „Entwicklung des deutschen Städtewesens“, 175. 146 Art. „Gemeinde“, in: Handwörterbuch der Kommunalwissenschaften, 2. Bd., 186; vgl. „Gemeinde, Staat, Reich“, 371. Eine wirkliche Durchführung der Reform von 1808 hätte denn auch den Gegensatz von Staat und Stadt aufgehoben „in der organischen Einheit bürgerlicher Gemeinwesen“; ‚Staat und Stadt‘, in: „Staat, Recht und Freiheit“, 88. 147 „Städtisches Amtsrecht“, 218. Vgl. „Gemeinde, Staat, Reich“, 223f.: „Beruht nun ... die moderne Auffassung des Rechtsstaats auf der Erkenntniß, daß der Staat ein Glied ist in der langen Kette rechtlich organisirter Gesammtpersonen, deren erste Erscheinungsform, die Familie, zugleich mit der Menschheit überhaupt gegeben ist; daß die dem Staate eingegliederten Gesammtpersonen nicht Geschöpfe seiner Willkür, sondern Evolutionen der gleichen Idee sind, wie er selbst; und daß endlich auch das Recht jener Gesammtpersonen keine willkürliche Schöpfung des Staates, sondern die Entwicklungsform einer dem Staate ebenbürtigen Idee ist, so ergiebt sich, daß im Rechtsstaat die Eigenschaft als Selbstverwaltungskörper dem Staate gemeinsam ist mit allen ihm eingegliederten Gesammtpersonen. ... Und findet nicht die rechtsstaatliche Ansicht, die eben den Staat selbst als das Subjekt der staatlichen Herrschaft betrachtet, ihren angemessensten Ausdruck in der Bezeichnung auch des Staates als Selbstverwaltungskörper?“ Und ebd., 175: „Die Bezeichnung des Staates als Organismus und als Person unterscheidet denselben nicht von allen übrigen Gemeinwesen; sie betont vielmehr im Gegentheil das ihm mit jenen Gemeinsame.“ Zum staatlichen Herrschaftsmonopol als einem völlig willkürlichen, unbeweisbaren Dogma a priori siehe Art. „Selbstverwaltung“, in: Handwörterbuch der Kommunalwissenschaften, 3. Bd., 775.
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3. Die Idee der Selbstverwaltung
Preuß benutzt bewußt den Evolutionsbegriff zur Kennzeichnung dieses Entwicklungsganges. Auch in diesem Zusammenhang wendet sich Preuß erneut gegen alle Versuche, dem Staat mit dem Herrschafts- oder Souveränitätsbegriff eine besondere Rolle zu geben. Den Angriff auf die Souveränitätsidee führt er aber nicht nur von der Selbstverwaltung her, sondern nicht minder vom Gedanken des Völkerrechtes aus148. Dies ist auch deshalb bemerkenswert, weil es vor dem Ersten Weltkrieg nur wenig wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Völkerrecht in Deutschland gab. Lehrstühle und Bibliotheken fehlten, wohl auch der Ansporn, sich in einer nicht eben auf internationales Recht und Friedfertigkeit ausgerichteten Gesellschaft intensiv mit diesen Themen zu befassen. Zwar hatten alle Großmächte beispielswiese ihre Schwierigkeiten mit den Zielen der Haager Friedenskonferenzen, aber am lautesten und undiplomatischsten wurde diese Feindschaft von Deutschland artikuliert; sehr zum Verdruß von Philipp Zorn, der als wissenschaftlicher Berater der deutschen Delegation angehörte149. Auf einer institutionellen Ebene scheiterten die Bemühungen von Walther Schücking, Preuß’ späterem Weimarer Parteifreund, noch vor dem Krieg ein speziell dem Völkerrecht gewidmetes Seminar zu gründen. Erst nach dem Kriegsende und dem Versailler Vertrag hatte Schücking hiermit Erfolg150. An vielen Stellen hat Preuß seine Überzeugung bekundet, daß das Völkerrecht die Rechtsform der Zukunft ist, das Resultat der natürlichen Evolution der Rechtsidee: Der unverkennbar vorgezeichnete Gang der Entwicklung richtet sich auf die endliche Organisirung der Staatenvielheit zur organischen Einheit der internationalen Gesammtperson. Sie ist das Ideal, die Vollendung der Genossenschaftsidee; sie ist die vollkommene, ihrem Wesen nach rein genossenschaftliche Körperschaft; denn ein ihr transcendenter Wille, eine höhere, sie umfassende Gesammtheit ist begrifflich undenkbar; sie schließt daher die Möglichkeit, anstaltliche Elemente in sich aufzunehmen, begrifflich aus.151
Preuß schwebt eine weltweite Rechtsordnung vor, die ebenso real sein wird, wie es heute der Staat mit seiner Ordnung ist. Diese Entwicklung ist nur die Fortsetzung der Evolution der Rechtsidee, die nach immer stärkerer Ausdehnung strebt. Für Preuß hieß es, den Gang der rechtlichen Evolution nicht sehen zu wollen, wenn man 148 „Gemeinde, Staat, Reich“, 119. 149 Vgl. Th. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866–1918, Bd. II, 651f.; und die lebendige Schilderung der Hoffnungen und Probleme bei Barbara W. Tuchman, The Proud Tower. A Portrait of the World Before the War, 1890–1914, Toronto usw. 1985 (erstmals 1966), 265ff. 150 Vgl. Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland. Dritter Band: Staatsund Verwaltungsrechtswissenschaft in Republik und Diktatur 1914–1945, München 1999, 89. Zu Schücking siehe auch Detlev Acker, Walter Schücking (1870–1935), Münster 1970; Frank Bodendiek, Walther Schückings Konzeption der internationalen Ordnung. Dogmatische Strukturen und ideengeschichtliche Bedeutung, Berlin 2001. 151 „Gemeinde, Staat, Reich“, 256. Das Deutsche Reich wird daher „zweifellos mit der fortschreitenden Entwicklung der internationalen Rechtsgemeinschaft“ mehr anstaltliche Elemente aufnehmen; ebd. Dies ist eine der wenigen optimistischen Annahmen des sonst so oft pessimistischen Preuß, und sie wurde schnell widerlegt.
3.4 Der organische Aufbau von der Gemeinde bis zur Völkergemeinschaft
133
die künftige Völkerrechtsepoche in Abrede stellte. Mehr noch, man leugnete damit auch Gegenwart und Vergangenheit. Denn zum einen sah Preuß in Eisenbahn, Post und zahlreichen Rechtsabkommen der Staaten untereinander bereits die Vorformen der Herrschaft des Rechts auch im internationalen Verkehr. Zum anderen verglich er die Situation seiner Gegenwart mit der der frühen Neuzeit, als die Entwicklung der jungen Staaten zu einem einheitlichen Rechtsfriedensgebiet auf ähnliche Skepsis gestoßen war wie zu seiner eigenen Zeit die Völkerrechtsfrage152. Ähnliche Überlegungen führten bei vielen Denkern der Zeit, vor allem bei Pazifisten, zur Forderung nach supranationalen Zusammenschlüssen und letztlich nach einer Weltregierung153. Diesen Schritt ist Preuß nie gegangen; angesichts der politischen Lage in Deutschland und den anderen Großmächten hielt er ihn wohl auch nie für realistisch. Sehr wohl realistisch schien ihm aber die Verdichtung der bereits bestehenden Regime in verschiedenen, überwiegend wirtschaftlichen Bereichen zu einem immer dichteren Netz an rechtlichen Regelungen. Diese Überlegungen Preuß’ zielen letztlich auch auf einen ewigen Frieden ab, ohne daß Preuß ohne weiteres als Pazifist anzusehen wäre. Die Frage ist naheliegend, inwiefern Preuß hier an Ideen Kants anknüpft, zumal er als pazifizierenden Mechanismus die rechtsstaatliche Demokratie und ihre internationalen Wirtschaftsbeziehungen einsetzen will154. Eine intensive Auseinandersetzung mit Kant läßt sich für Preuß aber nicht zeigen; die Quellen seiner Überlegungen sind anderswo zu suchen. Preuß’ Argumentation ist nicht ethisch, sondern evolutionär und historisch; sie ist nicht philosophisch, sondern rechtlich und politisch. Mit der Ausweitung der Rechtsidee ging die Eindämmung bewaffneter Auseinandersetzung einher, so daß die Übertragung auf die internationale Ebene lediglich die notwendig letzte und zugleich letzte notwendige Stufe in einem Prozeß ist, der lange zuvor eingesetzt hatte: 152 Z.B. „Deutschland und sein Reichskanzler gegenüber dem Geist unserer Zeit“, Berlin 1885, 30f.; „Völkerrecht im Dienste des Wirtschaftslebens“, 33. Das Völkerrecht „wurzelt direkt im Wirtschaftsleben“ (ebd., 14); je mehr sich die Menschheit entwickelt, desto stärker wird die Vergesellschaftung: „Kulturfortschritt heißt ... nichts anderes, als Ausdehnung der Gemeinschaft der Interessen und wachsendes Bewußtwerden derselben unter den Menschen“; ebd., 19. Die Mischung der Völker stärkt diese Kulturentwicklung; „Liberale und autokratische Revolutionäre“, in: „Staat, Recht und Freiheit“, 519–527 (erstmals ‚Die Nation‘ 1888), hier 532. Der internationale Kapitalismus lenkt dabei seinerseits den steigenden Verkehr der Völker untereinander in friedliche Bahnen, er „bietet in der That recht vielversprechende Aussichten für den ewigen Völkerfrieden“; „Bodenbesitzreform als sociales Heilmittel“, 60. Zu Eisenbahn und Post vgl. „Völkerrecht im Dienste des Wirtschaftslebens“, 47ff. 153 Vgl. Karl Holl, Pazifismus in Deutschland, Frankfurt a.M. 1988, 69f. und 132ff. 154 Zur fortdauernden Aktualität von Kants 1795 erschienenem Ewigen Frieden siehe Klaus Dicke und Klaus-Michael Kodalle (Hrsg.), Republik und Weltbürgerrecht. Kantische Anregungen zur Theorie politischer Ordnung nach dem Ende des Ost-West-Konflikts, Weimar, Köln und Wien 1998. Als Überblick siehe auch Manuel Fröhlich, Mit Kant, gegen ihn und über ihn hinaus: Die Diskussion 200 Jahre nach Erscheinen des Entwurfs ‚Zum Ewigen Frieden‘, in: Zeitschrift für Politikwissenschaft, 7 (1997), 483–517.
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3. Die Idee der Selbstverwaltung Von Stufe zu Stufe fortschreitend hat die heilige Macht waltenden Rechts den Tummelplatz zerstörenden Kampfes eingeengt; vor ihr ist das Fehderecht der einzelnen, der Krieg zwischen Gemeinwesen desselben Landes verschwunden; das öffentliche Recht des Reiches hat seinen Staaten die brudermörderische Waffe aus der Hand genommen. Wer wollte diesem Entwicklungsgang die Grenze setzen.155
Der Krieg zwischen Staaten wird ebenso verschwinden, wie das Fehderecht des Ritters der Vergangenheit angehört. Auseinandersetzung und Konkurrenz sind ewig, ihre Austragung mit Waffen ist dies nicht. Schon bei der Betrachtung der rechtstheoretischen Überlegungen Preuß’ ist sein liberaler Darwinismus angesprochen worden, der zwar die Konkurrenz und die Fortentwicklung durch Wettbewerb als Grundtatsache des Daseins akzeptiert, der aber gleichwohl weit von jedem einseitig-sozialdarwinistschen „Kampf ums Dasein“ entfernt ist. Preuß ist konsistent in seinem Denken, und seine Evolutionstheorie des Völkerrechts überträgt den gleichen Gedanken auf den Bereich der internationalen Politik. Damit werden dynamische Entwicklungen als ebenso unvermeidlich wie wünschenswert postuliert, zugleich aber auch die Möglichkeit ihrer Gewaltfreiheit fest angenommen. Dieser liberale Darwinismus156 ist etwas ungewöhnlich, er findet sich aber auch bei anderen Denkern der Zeit, etwa bei Max Weber157. Zudem läßt sich diese Interpretation des Kampfesbegriffes durchaus auch auf Darwin selbst zurückführen158. Für Preuß hatte Europa vor 1914 zweifellos den evolutionären Entwicklungsstand erreicht, der friedliche Konkurrenz als Mittel der politischen Auseinandersetzung zur Norm hätte machen sollen. Vor diesem Hintergrund mußte
155 „Entwicklung und Bedeutung des öffentlichen Rechts“, 1361. Vgl. auch „Völkerrecht im Dienste des Wirtschaftslebens“, 62f., Anm. 20; „Naturgesetze der Politik?“, in: Der Zeitgeist. Beiblatt zum BT, Nr. 2 (11.1.1892). 156 Die liberale und individualistische Spielart des Darwinismus ist eher in den USA üblich gewesen. Vgl. Markus Vogt, Sozialdarwinismus. Wissenschaftstheorie, politische und theologischethische Aspekte der Evolutionstheorie, Freiburg i.Br., Basel und Wien 1997, 206ff.; und als Überblick zur amerikanischen Problematik Richard Hofstadter, Social Darwinism in American Thought, Boston 1992 (erstmals 1944). 157 Zu Weber siehe in diesem Kontext Joachim Vahland, Max Webers entzauberte Welt, Würzburg 2001, 157ff. Hier trägt das 8. Kapitel den Titel „Kampf und Konsequenz“. Der gleiche Gedanke ist auch ein Kernpunkt im politischen Denken des vielseitigen Philosophen und Intellektuellen Emanuel Lasker, der primär als langjähriger Schachweltmeister Berühmtheit erlangte. Vor allem in Kampf (New York 1907); in seinem philosophischen Hauptwerk Die Philosophie des Unvollendbar (Leipzig 1919) und im sozialwissenschaftlichen Spätwerk The Community of the Future (New York 1940) hat Lasker den Gedanken verfolgt. Zu ihm siehe Michael Dreyer, Zwischen Pragmatismus und Prinzip: Emanuel Laskers politisches Denken, in: ders. und Ulrich Sieg (Hrsg.), Emanuel Lasker – Schach, Philosophie, Wissenschaft, Berlin 2001, 187–232, v.a. 195ff. 158 Vgl. M. Vogt, Sozialdarwinismus, 79ff.
3.4 Der organische Aufbau von der Gemeinde bis zur Völkergemeinschaft
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Preuß der Erste Weltkrieg als ein vollkommen widersinniger Bruderkrieg vorkommen, der wirtschaftliche und geistige Interessengemeinschaften ohne echte Notwendigkeit zerriß159. Damit begründet Preuß das Völkerrecht und seine weitere Entwicklung nicht primär als normativen Anspruch, sondern aus der zunehmenden wirtschaftlichen Verflechtung seiner Zeit. Diese ökonomische Theorie des Friedens war auch international ein immer wiederkehrendes Thema liberaler Friedensüberlegungen160. Preuß wurde das Eingehen auf diese Gedanken dadurch möglich, daß er der Fixierung auf den Nationalstaat und sein Staatsrecht nie erlegen ist. Umgekehrt erklärt sich hieraus auch, warum seine engeren Fachkollegen erneut der weitreichenden Preußschen Konzeption nicht folgen konnten. Ein scharfer Blick für die Tendenzen, die Preuß erkannt hatte, findet sich eher im Ausland, sowie bei den geschworenen Feinden der Entwicklung. In Anlehnung an den liberalen Ökonomen J.A. Hobson161 hatte bereits Rudolf Hilferding mit ganz anderer politischer Stoßrichtung in seiner wichtigen Studie über Das Finanzkapital den Weg für eine sozialistische Interpretation der Zusammenhänge gewiesen162. Hieran wiederum konnten zahlreiche sozialistische Theoretiker anknüpfen; vor allem natürlich Lenin mit seiner nach Kriegsausbruch geschriebenen und noch weit über Hilferding hinausgehenden Imperialismustheorie163. Betrachtet man die zugrunde liegenden Fakten vorurteilsfrei, dann läßt sich für die wirtschaftliche Verzahnung der nationalen Volkswirtschaften, den Austausch von Kapital und die Migration von Arbeitskräften in den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg der postmoderne Begriff der Globalisierung verwenden, und die gründlichste neue Studie zu den historischen Dimensionen der Globalisierung ist genau zu diesem Schluß gekommen164. Auch Autoren, für die die 159 Vgl. „Das deutsche Volk und die Politik“, 5; „Völkerrecht und Völkerkrieg“, Neue Badische Landeszeitung, 61. Jg., Nr. 446 (1.9.1916). Nach G. Gillessen, Hugo Preuß, 65, fiel die Verbindung von Nationalstaat und Völkergemeinschaft Hugo Preuß um so leichter, „als er im Grunde nur an Machtfragen der inneren, nicht der auswärtigen Politik interessiert war“. 160 Vgl. Lothar Albertin, Das Friedensthema bei den Linksliberalen vor 1914: Die Schwäche ihrer Argumente und Aktivitäten, in: Karl Holl und Günther List (Hrsg.), Liberalismus und imperialistischer Staat. Der Imperialismus als Problem liberaler Parteien in Deutschland 1890–1914, Göttingen 1975, 89–108, hier 95ff. 161 John A. Hobson, Imperialism. A Study, London 1902. 162 Rudolf Hilferding, Das Finanzkapital, Wien 1910 (zahlreiche ND, zuletzt Düsseldorf 2000). Siehe William Smaldone, Rudolf Hilferding. Tragödie eines deutschen Sozialdemokraten, Bonn 2000, 52ff. 163 Wladimir I. Lenin, Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus (erstmals 1917), in: ders., Werke, 22. Bd., [Ost-]Berlin 1960, 189–309. 164 Kevin H. O’Rourke und Jeffrey G. Williamson, Globalization and History. The Evolution of a Nineteenth-Century Atlantic Economy, Cambridge, Mass., und London 1999. Die Autoren weisen überzeugend nach, daß die Migration ein entscheidender Faktor dieser frühen Globalisierung war. Den Gedanken, daß das 19. Jahrhundert „a very big globalization bang“ (Abstract, unpag.) gesehen habe, verfolgen die Autoren auch in When did globalization begin?, NBER Working Paper 7632, Cambridge, Mass., 2000. In diesem Paper wenden sie sich primär gegen
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3. Die Idee der Selbstverwaltung
globale wirtschaftliche Integration des späten 19. Jahrhunderts deutlich hinter der heutigen zurücksteht, konzedieren trotzdem einen erheblichen Integrationsgrad auch für die vorletzte Jahrhundertwende165. Der historische Blick zeigt aber auch, daß ein Globalisierungsprozeß keineswegs unumkehrbar ist und daß politische Großereignisse – wie etwa ein Weltkrieg – ihr eigenes Gewicht unabhängig und entgegen ökonomischen Trends und Wunschvorstellungen entfalten können. Preuß’ Annahme, daß die wirtschaftlichen Interessen auf eine friedliche Zukunft der Völker und auf eine ungehinderte Entwicklung des Völkerrechts hindeuten, hat sich für seine Gegenwart nicht bestätigt. Hinter seiner optimistischen Annahme, die den liberalen Geist eines von längeren Kriegen zwischen den großen Mächten in der Tat lange verschonten Zeitalters atmet, steht erneut das Konzept der organischen Abfolge vom Einfachen zum Komplizierten. Die Assoziation des Menschen zu realen Gesamtpersonen beginnt auf politischem Gebiet mit der Gemeinde, sie endet aber erst mit der Verbindung aller Menschen durch die Bande des Völkerrechts. Die Selbstverwaltung auf allen Ebenen, nicht als rechtstechnischer Begriff, sondern als Selfgovernment im weitesten Sinne des Wortes, ist dabei das politische Anliegen von Preuß. Erst das Selfgovernment überhaupt macht die Verbindung so vieler Bestandteile ohne Zwang möglich. Die organische Theorie des Selfgovernment mündet somit in letzter Konsequenz in eine andere Gesellschaftslehre ein: den Pluralismus.
noch weiterreichende Annahmen, die die Globalisierung bis 1492 (Kolumbus) bzw. 1498 (Vasco da Gama) zurückführen wollen. 165 Michael D. Bordo, Barry Eichengreen und Douglas A. Irwin, Is globalization today really different than globalization a hundred years ago?, NBER Working Paper 7195, Cambridge, Mass., 1999.
4. GENOSSENSCHAFTSTHEORIE UND PLURALISMUS 4.1 Gierkes Einfluß auf den englischen Pluralismus Das 20. Jahrhundert ist ein Jahrhundert der Extreme, auch auf dem Gebiet der politischen Theorie. In totalitären theoretischen Modellen und mehr noch bei dem Versuch ihrer praktischen Umsetzung wird die Bewegungs- und Entscheidungsfreiheit des Individuums auf ein Minimum eingeschränkt, während demgegenüber der von einer chiliastischen Partei beherrschte Staat zu allumfassender, eben totalitärer Gewalt anwächst. Auf der anderen Seite steht der Versuch, in Anknüpfung an die klassischen liberalen und demokratischen Ideale die Sicherung der Freiheit des Individuums und seiner vielfältigen Gruppenbezüge auch unter den Bedingungen der modernen Massengesellschaft zu verwirklichen, der zur Bestreitung der herausgehobenen Stellung des Staates führt und zu seiner Ablösung durch ein pluralistisches Universum. Die theoretische Auseinandersetzung zwischen monistisch-totalitärem und pluralistisch-demokratischem Denken beschränkt sich dabei nicht wie die weltanschaulichen Kämpfe des vergangenen Jahrhunderts auf die innerstaatliche Front, sondern wird zum zwischenstaatlichen systemischen Konflikt. Pluralismus ist nicht nur die Theorie der Einheit in der Vielfalt, sondern auch die pluralistischen Theorien selber bieten ein ausgesprochen vielfältiges Bild, mit Ansätzen sehr unterschiedlicher Reichweite, analytischem Instrumentarium und Erkenntnisinteresse. Das Gemeinsame dieser Theorien hat Winfried Steffani definitorisch zusammengefaßt: Pluralismus im spezifischen Sinne ... meint ... eine Vielheit, deren einzelne Elemente in einer bestimmten Beziehung zueinander stehen: Die Elemente einer Einheit werden im wesentlichen als voneinander unabhängig, gleichberechtigt und autonom gesehen, d.h. sie sind nicht maßgeblich der Kontrolle anderer unterworfen; sie stehen miteinander durchaus im Verhältnis des Wettbewerbs und des Konfliktes, nicht jedoch in dem hierarchischer Zuordnung oder dem der Subordination.1
Auch wenn ein vereinzeltes Auftauchen des Ausdrucks „Pluralism“ schon bei Wolff und Kant nachweisbar ist2 und obwohl Kant gelegentlich explizit für den Pluralismus im modernen Sinne in Anspruch genommen wird3, muß der Beginn reflektierter Pluralismustheorie doch auf den Anfang des 20. Jahrhunderts gelegt werden, und hier insbesondere in die angelsächsische Welt. Es ist von Anfang an unmöglich, von der Pluralismustheorie zu sprechen; es gibt ungefähr so viele Varianten wie es einzelne Pluralisten gibt. In Großbritannien verfolgten Figgis, Maitland, Barker, Laski und Cole unterschiedliche Ziele. Dem Geistlichen John Neville 1 2 3
Winfried Steffani: Vom Pluralismus zum Neopluralismus, in: Heinrich Oberreuter (Hrsg.), Pluralismus. Grundlegung und Diskussion, 37–108, hier 39. Ebd., 39f. Eine pluralistische Interpretation der Ethik Kants findet sich bei Thomas E. Hill, Jr., Respect, Pluralism, and Justice. Kantian Perspectives, Oxford und New York 2000.
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4. Genossenschaftstheorie und Pluralismus
Figgis ging es darum, die Unabhängigkeit der schottischen Freikirche von staatlicher Einmischung nachzuweisen, während G.D.H. Cole sich dem Pluralismus von einer radikalen gewerkschaftsorientierten Seite her näherte4. Harold Laski geht es in einer ganzen Reihe seiner frühen Schriften um die Eliminierung der Souveränität aus dem Staatsbegriff sowie darum, den Staat als lediglich eine soziale Gruppierung auf einer Ebene mit vielen anderen Organisationen und Zusammenschlüssen zu begreifen5. Allerdings ist er später von dieser radikal-pluralistischen und anti-staatlichen Position wieder abgerückt6. Andere Pluralisten wie Frederick W. Maitland, A.D. Lindsay und Ernest Barker waren jedoch von Anfang an zurückhaltender in ihren Äußerungen und versuchten nicht, den Staat gänzlich aus seiner herausgehobenen Rolle zu verdrängen7. Gemeinsam war ihnen bei aller Unterschiedlichkeit die Opposition gegen einen monistischen, an Hegel orientierten Staatsbegriff. Die amerikanische Pluralismus-Debatte hat sich weitgehend unabhängig von diesen britischen Überlegungen entwickelt. Von William James und seinem bahnbrechenden Werk über das Pluralistic Universe bis hin zu Robert A. Dahl ist dieses Konzept lebendig geblieben8. Auch in den USA gab es eine Vielfalt von pluralistischen Ansätzen, die ebenso wie in England (aber unabhängig von Laskis direktem 4
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John Neville Figgis: Churches in the Modern State, 2. Aufl., London 1914; G.D.H. Cole: The Future of Local Government, London 1921. Vgl. generell Adolf Birke: Pluralismus und Gewerkschaftsautonomie in England. Entstehungsgeschichte einer politischen Theorie, Stuttgart 1978; und v.a. die Einführung in der Quellenedition von Paul Q. Hirst (Hrsg.): The Pluralist Theory of the State. Selected Writings of G.D.H. Cole, J.N. Figgis, and H.J. Laski, London und New York 1989. Die Klassiker des Pluralismus werden umfassend untersucht von Avigail I. Eisenberg, Reconstructing Political Pluralism, Albany 1995; und David Runciman, Pluralism and the Personality of the State, Cambridge 1997. Von Harold Laskis zahlreichen Arbeiten sind in diesem Zusammenhang besonders wichtig „Studies in the Problem of Sovereignty“, New Haven und London 1917; „The Theory of Popular Sovereignty“, Reprint from Michigan Law Review 18 (1919) 3; „Authority in the Modern State“, New Haven 1919. Einen orthodox-sozialistischen Standpunkt bezieht Laski in „The State in Theory and Practice“, New York 1935. Zu ihm siehe A. Birke, Pluralismus, 204f.; D. Runciman, Pluralism and the Personality of the State, 177ff.; und v.a. die umfangreichen Biographien von Granville Eastwood, Harold Laski, London und Oxford 1977; und Isaac Kramnick und Barry Sheerman, Harold Laski. A Life of the Left, New York usw. 1993. Frederick W. Maitland, Introduction, in: Otto von Gierke, Political Theories of the Middle Age, Cambridge, Mass. 1987 (erstmals Cambridge 1900); A.D. Lindsay, The State in Recent Political Theory, in: The Political Quarterly 1 (1914) 128–145; Ernest Barker, The Discredited State, in: The Political Quarterly 5 (1915) 101–121. Zu Maitland siehe die knappe, aber präzise Übersicht zu Leben und Werk bei A. Birke, Pluralismus, 153ff.; zu Barker ebd., 191ff. Zur englischen Gierke-Rezeption und Pluralismus-Debatte siehe auch A.I. Eisenberg, Reconstructing Political Pluralism, 65ff.; und D. Runciman, Pluralism and the Personality of the State, 34ff.; Helmut Quaritsch, Zur Entstehung der Theorie des Pluralismus, in: Der Staat, 19 (1980) 29– 56, hier v.a. 33ff.; Michael Dreyer: German Roots of the Theory of Pluralism, in: Constitutional Political Economy, 4 (1993) 7–39. William James, A Pluralistic Universe. Hibbert Lectures at Manchester College on the Present Situation in Philosophy, Cambridge, Ma., und London 1977 (erstmals 1909). Robert A. Dahl,
4.1 Gierkes Einfluß auf den englischen Pluralismus
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Einfluß) mit dem Angriff auf Souveränitätskonzepte begannen. Arthur F. Bentley sprach 1908 im Motto seiner Untersuchung über The Process of Government von dem „attempt to fashion a tool“; von Anfang an waren die amerikanischen Pluralismusideen an politikwissenschaftlicher Praxis orientiert. Bentley griff auch den Souveränitätsbegriff an als „but one legal theory grown luxuriant“9. Statt dessen plädierte er dafür, Interessen, Gruppen und den in einem Regierungssystem ausgeübten Einfluß zu analysieren. Zehn Jahre später versteht Mary Parker Follett unter Pluralismus in einem etwas verwirrenden Ansatz die Regierung durch das Volk10. Francis W. Coker, der als akademischer Lehrer von Robert A. Dahl auch den personellen Bogen zur Gegenwart spannt, kritisierte den englischen Pluralismus, blieb aber gegenüber einigen seiner Ziele und den meisten Analysemechanismus durchaus positiv eingestellt11. Bereits William James hatte den Pluralismus philosophisch vom Monismus, der „philosophy of the absolute“ geschieden und als radikalen Empirismus verstanden12. Schon diese wenigen Beispiele deuten an, daß es erhebliche konzeptionelle Unterschiede zwischen der britischen und der amerikanischen Pluralismusvariante gibt. Während es den englischen Theoretikern im großen und ganzen um die Entwicklung eines umfangreichen alternativen Entwurfs zur monistischen Staatstheorie geht, haben amerikanische Autoren von Anfang an ein politikwissenschaftlich-empirisches Untersuchungswerkzeug im Blickfeld, mit dem demokratischer Wettbewerb und demokratische Kontrolle untersucht werden sollen13. Dies hat neben dem frühen Entwicklungsstand der Politikwissenschaft als empirischer Demokratiewissenschaft an amerikanischen Universitäten vor allem damit zu tun, daß die Praxis des Pluralismus in Amerika seit der Kolonialzeit politische Wirklichkeit ist und nicht erst als Ziel angestrebt werden muß. Von daher sind amerikanische Autoren von Anfang an in einer gänzlich anderen Lage als ihre kontinentaleuropäischen Mitstreiter. Otto Gierke und Hugo Preuß müssen in mühsamen historischen Untersuchungen eine verschüttete Praxis aufzeigen, die in den USA, aber auch in England nie untergegangen ist. Dies gilt sowohl für die analytische wie für die normative Variante des Pluralismus, auch wenn letztere schon länger nicht im Zentrum der politiktheoretischen
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Democracy and its Critics, New Haven und London 1989. Zu beiden siehe A.I. Eisenberg, Reconstructing Political Pluralism, 31ff. (James) und 139ff. (Dahl). Arthur F. Bentley, The Process of Government. A Study of Social Pressures, Bloomington, Ind., 1949 (erstmals 1908), 273. Zu Bentley siehe A.I. Eisenberg, Reconstructing Political Pluralism, 96ff. Mary Parker Follett, The New State. Group Organization the Solution of Popular Government. With an Introduction by Lord Haldane, 5. Aufl., New York 1926 (erstmals 1918). Zu ihr siehe A.I. Eisenberg, Reconstructing Political Pluralism, 83ff. Francis W. Coker, The Technique of the Pluralistic State, in: APSR 15 (1921) 186–213; ders., Recent Political Thought, New York und London 1934. Eine Übersicht über die amerikanische Diskussion der zwanziger Jahre bei A. Birke, Pluralismus, 216ff. W. James, Pluralistic Universe, 25. Vgl. zu diesen Unterschieden P.Q. Hirst, Pluralist Theory, 3.
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4. Genossenschaftstheorie und Pluralismus
Auseinandersetzung gestanden hat. Betrachtet man gängige Handbücher zur zeitgenössischen politischen Theorie, spielt der Pluralismus zumeist kaum eine Rolle. Entweder wird er überhaupt nicht berücksichtigt oder er wird nur im Kontext anderer Theorien erwähnt14. Eher fündig wird man in der staatsrechtswissenschaftlichen Theorie. Da der Pluralismus eine der anerkannten Säulen der bundesrepublikanischen Verfassungsordnung ist, findet er hier mehr Beachtung. Kürzlich hat etwa Winfried Brugger den Pluralismus als ein Grundprinzip des Grundgesetzes ausführlich untersucht, wobei allerdings die einfache Orientierung an Ernst Fraenkel kaum noch dem aktuellen Diskussionsstand entspricht15. In den dekonstruktivistischen, differenztheoretischen und sonstigen postmodernen Diskursen aber muß die an klassischen politikwissenschaftlichen Fragen der Demokratie und der Machttheorie orientierte Pluralismusdebatte wie ein Fremdkörper wirken. Trotzdem spielt auch in diesen Debatten der Pluralismusgedanke wenigstens im Hintergrund und als Referenzgröße eine Rolle. Das liegt zunächst einmal an einem nicht erlahmenden philosophischen Interesse am Pluralismus, das etwa 1987 dazu geführt hat, den XIV. Deutschen Kongreß für Philosophie unter dem Titel Einheit und Vielheit zu veranstalten16. Neben vielen Philosophen im engeren Sinne hat auf der Veranstaltung auch Ralf Dahrendorf gesprochen und paradoxerweise den Pluralismus als „den Sieg der Einheit über die Vielheit“17 bezeichnet. Im weiteren Verlauf seines Vortrages wurde dann allerdings schnell deutlich, daß sich hinter dieser provokanten These keine Absage an den Pluralismus, sondern eine Anklage dagegen die korporatistisch-versäulte bundesrepublikanische Gesellschaft der Vor-Wendezeit verbarg. Dahrendorfs Fazit, und damit eine Affirmation des Pluralismus als Konzept, war die Überwindung seiner Erstarrung durch den Konflikt als Ferment einer dynamischen Verfassung. 14 Kein dem Pluralismus gewidmetes Kapitel findet sich z.B. in Will Kymlicka, Politische Philosophie heute. Eine Einführung, Frankfurt a.M. und New York 1996; Franz Neumann (Hrsg.), Handbuch Politische Theorien und Ideologien, 2 Bde., Opladen 1995/96; und Richard Bellamy (Hrsg.), Theories and concepts of politics. An introduction, Manchester und New York 1993. Sporadische Erwähnungen gibt es in Raymond Plant, Modern Political Thought, Oxford und Cambridge, Mass., 1991; und Walter Reese-Schäfer, Politische Theorie heute. Neuere Tendenzen und Entwicklungen, München und Wien 2000. 15 Winfried Brugger, Liberalismus, Pluralismus, Kommunitarismus. Studien zur Legitimation des Grundgesetzes, Baden-Baden 1999, 197ff. Brugger unterscheidet einen radikalen und einen geläuterten Pluralismus (201) und lehnt ersteren ab, da er keine Integration und kein Gemeinwohl schaffen kann. Fraenkels Denken ist sein Beispiel für den geläuterten Pluralismus. 16 Odo Marquard (Hrsg.), Einheit und Vielheit. XIV. Deutscher Kongreß für Philosophie Gießen 21.–26.9. 1987, Hamburg 1987. Philosophische Herangehensweisen an den Pluralismus auch bei Reinhard Hesse, Die Einheit der Vernunft als Überlebensbedingung der pluralistischen Welt. Problemskizzen politischen Denkens und Handelns, Berlin 1994; und David Archard (Hrsg.), Philosophy and Pluralism, Cambridge 1996. Letzteres Werk behandelt auch intensiv die politische Philosophie des Pluralismus. 17 Ralf Dahrendorf, Pluralismus, Konflikt, Anomie, in: O. Marquard (Hrsg.), Einheit und Vielheit, 277–285, hier 277. Dahrendorfs Vortrag schlug als einziger auf dem Kongreß die Brücke zur Sozialwissenschaft.
4.1 Gierkes Einfluß auf den englischen Pluralismus
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Für Dahrendorf bestand auch „kein Zweifel daran, daß Rawls der hilfreichste Autor ist, wenn es darum geht, die notwendige Einheit der Vielheit zu bestimmen“18. Dies war noch mehrere Jahre vor dem Erscheinen des Political Liberalism19 gesagt, aber schon damals war es auch in der amerikanischen PluralismusDebatte offensichtlich, daß sie in die Liberalismus-Kommunitarismus-Diskussion hineingezogen wurde, auch wenn sie in vielerlei Hinsicht quer zu dieser zentralen politiktheoretischen Auseinandersetzung der Zeit stand. Seither hat sich diese Verbindung eher noch verstärkt. Gelegentlich bieten Theoretiker den politischen Pluralismus sogar explizit als Alternative zu den verschiedenen normativen Systemen des Liberalismus und des Kommunitarismus an20. Wo der Liberalismus nach abstrakten Gerechtigkeitsregeln suche und der Kommunitarismus sich am guten Leben in sozialen Gruppen orientiere, biete der Pluralismus in seiner Praxisorientierung eine im politischen Leben pragmatische Alternative, die sowohl die Gruppenbindung wie den Dissens und Konflikt positiv bewerte21. Damit wird, ganz in klassischer pluralistischer Tradition, der unvermeidliche Konflikt zwischen verschiedenen Werten und zwischen verschiedenen Interessen als begrüßenswert gesehen22. An dieser Stelle scheint auch die Trennlinie zwischen pluralistischen und kommunitaristischen Ansätzen zu liegen. Denn bei aller Anerkennung der sozialen Gebundenheit des Individuums ist es eben der Konflikt und nicht der Konsens, der das Wesen des Pluralismus ausmacht23. Dieser Konflikt wird in Hinsicht hervorgerufen durch die Existenz unterschiedlicher Gruppen und Minderheiten, die Anerkennung verlangen24. Diese Anerkennung kann aber nur nach neutralen Gerechtigkeitsregeln 18 Ebd., 281. 19 John Rawls, Political Liberalism, New York 1993. 20 Vgl. A.I. Eisenberg, Reconstructing Political Pluralism; Hans-Martin Schönherr-Mann, Postmoderne Theorien des Politischen. Pragmatismus, Kommunitarismus, Pluralismus, München 1996. 21 Chantal Mouffe, Deliberative Democracy or Agonistic Pluralism, Wien 2000, 16, spricht sich für einen pluralistischen Konsens des Konfliktes aus; Nicolas Rescher, Pluralism. Against the Demand for Consensus, Oxford 1993, plädiert für eine prinzipielle Abkehr von konsensorientierten politischen Theorien. 22 Zu normativen Konflikten im Pluralismus vgl. John Skorupski, Value-Pluralism, in: D. Archard (Hrsg.), Philosophy and Pluralism, 101–115; George Crowder, From Value Pluralism to Liberalism, in: Richard Bellamy und Martin Hollis (Hrsg.), Pluralism and Liberal Neutrality, London und Portland, Or., 1999, 2–17. Als Gegenposition siehe Charles Blattberg, From Pluralist to Patriotic Politics. Putting Practice First, Oxford und New York 2000. 23 Das gilt auch für die Metaebene. Jürgen Habermas hat sich über Die Neue Unübersichtlichkeit (Frankfurt a.M. 1985; hieraus v.a. „Untiefen der Rationalitätskritik“, 132–137) beklagt. Diese Unübersichtlichkeit kann man auch als Pluralismus begreifen, wie es, gegen Habermas, N. Rescher, Pluralism, 187, tut. Gleichermaßen gegen Habermas und Rawls steht Ch. Mouffe, Deliberative Democracy or Agonistic Pluralism. 24 Vgl. Anna Elisaetta Galeotti, Neutrality and Recognition, in: R. Bellamy und M. Hollis (Hrsg.), Pluralism and Liberal Neutrality, 37–53; A.I. Eisenberg, Reconstructing Political Pluralism, 2.
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4. Genossenschaftstheorie und Pluralismus
erfolgen, die den Pluralismus eindeutiger in den Liberalismus integrieren, als dies der pluralistischen Literatur manchmal bewußt wird. Gewiß gibt es Spannungen zwischen liberaler Regelneutralität und pluralistisch getrennten Loyalitäten25, aber diese multiplen Loyalitäten benötigen eben selbst wieder der Regelneutralität, um zu gedeihen. Wie für so viele Richtungen der politischen Philosophie ist auch für den normativen Pluralismus die Auseinandersetzung mit Rawls sowohl herausfordernd wie stimulierend gewesen26. Bemerkenswert ist dabei, wie oft hier von pluralistischen Theoretikern die Notwendigkeit gesehen wird, eine klare Trennlinie sogar zwischen den späteren Gedanken von Rawls und dem Pluralismus zu ziehen27. Diese Trennung ist kaum einsichtig, denn wenn auch das Regulatorium Rawls’ auf einer anderen Ebene angesiedelt ist als die Fragestellung des Pluralismus, und wenn das zentrale Thema Rawls’ natürlich nicht die Frage nach dem gesellschaftlichen und politischen Pluralismus, sondern nach der Gerechtigkeit als politischer und sozialer Kategorie ist, so ist doch klar, daß hierzu der Pluralismus nicht nur als unleugbares Faktum der Gesellschaft, sondern zugleich als normative Basis gehört. Spätestens im Political Liberalism ist dies deutlich geworden, da hier der vernünftige Pluralismus zu den Grundlagen des „overlapping consensus“ gehört28. Sicherlich kann man argumentieren, daß in der Betonung des „vernünftigen“ Pluralismus eine Einschränkung steckt, und in der Tat grenzt Rawls seine Auffassung auch vom einfachen Pluralismus ab29. Aber diese Abgrenzung sollte nicht überbewertet werden; auch der Pluralismus im klassischen Sinne ist nicht die Philosophie des „Anything goes“. Rawls Trennung ist eher terminologischer als inhaltlicher Art. Dies ist zwar nicht immer im pluralistischen theoretischen Schriftgut anerkannt worden, wohl aber in der Rawls-Forschung im engeren Sinne30. Und die Verbindung reicht
25 Das ist ein durchgängiges Thema in R. Bellamy und M. Hollis (Hrsg.), Pluralism and Liberal Neutrality. Zu dieser Spannung vgl. auch Rainer Forst, Kontexte der Gerechtigkeit. Politische Philosophie jenseits von Liberalismus und Kommunitarismus, Frankfurt a.M. 1996, 63. 26 Grundlegend zur pluralistischen Beschäftigung mit Rawls ist Paul J. Weithman (Hrsg.), Reasonable Pluralism, New York und London 1999. 27 „Even in Rawls’s recent reflections, ‚reasonable pluralism‘ is not a tool. It is construed only as a sociological fact: the result of freedom, rather than the means to safeguard freedom.“ A.I. Eisenberg, Reconstructing Political Pluralism, 17. Gleichfalls kritisch gegen Rawls N. Rescher, Pluralism, 191; Attracta Ingram, Rawlsians, Pluralists, and Cosmopolitans, in: D. Archard (Hrsg.), Philosophy and Pluralism, 147–161; Alemayehu Biru Worku, Individual versus Communal Autonomy. A Critical Study of Rawls’ Liberal Conception of Pluralism, Frankfurt a.M. usw. 1997. Letztgenanntes Werk ist aus kommunitaristischer Perspektive geschrieben. 28 John Rawls, Political Liberalism, 144 und 155f. 29 Ebd., 24 Fn. und 36f. 30 Vgl. etwa Otfried Höffe, Überlegungsgleichgewicht in Zeiten der Globalisierung? Eine Alternative zu Rawls, in: ders. (Hrsg.), John Rawls. Eine Theorie der Gerechtigkeit (Klassiker Auslegen 15), Berlin 1998, 271–293, hier 273ff. Vgl. auch Thomas W. Pogge, John Rawls, München 1994, 152f.; Wolfgang Kersting, John Rawls zur Einführung, Hamburg 1993, 223ff.
4.1 Gierkes Einfluß auf den englischen Pluralismus
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auch noch weiter zurück; nicht erst im Political Liberalism ist der vernünftige Pluralismus eine politische Rahmenbedingung, sondern implizit ist vieles davon auch bereits in der Theory of Justice vorhanden, wenn auch wiederum eher versteckt31. Rawls orientiert sich in seinem ganzen philosophischen Denken stark an Kant. Aber das Explizite der Berufung auf Kant ist vielleicht nicht zuletzt deshalb so ostentativ und elaboriert ausgefallen, weil es in der Entwicklungsgeschichte der angelsächsischen politischen Philosophie keine dominierende kantische Tradition gibt. Andere Traditionslinien, zu denen eben auch der politische Pluralismus gehört, sind wesentlich lebendiger gewesen, sowohl zu Beginn des 21. Jahrhunderts wie auch schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Dies hängt eng damit zusammen, daß in der angelsächsischen Welt die Tradition des Common Law nie dem römischen Recht in dem Maße weichen mußte, wie es auf dem Kontinent mit dem Beginn der Neuzeit der Fall ist. Römisches Recht begünstigt die absolutistische Konzentration der öffentlichen Gewalt im Begriff der Souveränität ebenso, wie das Common Law einen juristisch günstigen Boden für die Existenz vielfältiger Gruppenindividualitäten bereitet. Dieser Boden war fruchtbar, lange bevor der Begriff „Pluralismus“ überhaupt entstand. Die moderne Pluralismustheorie entsteht mit der Vielzahl wirtschaftlicher Gruppen, die sich mit der Industriegesellschaft formieren. Aber schon lange vorher hat James Madison im berühmtesten der Federalist Papers, Nr. 10, auf sehr praxisorientierte Art über die „methods of curing the mischiefs of faction“32 nachgedacht. Die Realität einer pluralistischen Gesellschaft in Großbritannien und vor allem in den Vereinigten Staaten war lange etabliert, bevor die Theorie des Pluralismus entstand – es sei denn, daß man in Madison und Tocqueville pluralistische Denker sehen will, die lediglich den Begriff des Pluralismus noch nicht verwenden. Liberalismus und Demokratie sind notwendige Umweltfaktoren, wenn sich eine lebendige pluralistische Gesellschaft entwickeln soll, aber auch dafür, daß es überhaupt Bedarf für pluralistische Erklärungen politischer Zusammenhänge gibt. Deutschland erfüllte diese Vorbedingungen nur zum Teil, und dies erklärt in erheblichem Maße den geringen Anklang, den die Gedanken von Gierke und Preuß in der Öffentlichkeit und bei den Fachkollegen fanden. Allerdings bot auch in Deutschland bei aller monistischen Staatskonstruktion und monarchischen Praxis des Regierungssystems die sich entwickelnde Industriegesellschaft einen reichen Nährboden für die Entstehung von Interessengruppen jeglicher Art. Das rechtlichpolitische System war ihnen nicht günstig gesonnen, aber die gesellschaftlichen
31 John Rawls, A Theory of Justice, Cambridge, Mass., 1971, z.B. 225f. Zu den Auswirkungen des Pluralismus auf die internationalen Beziehungen siehe Thomas W. Pogge, Realizing Rawls, Ithaca und London 1989, 230ff. 32 James Madison, Federalist No. 10, in: Alexander Hamilton, James Madison, John Jay, The Federalist Papers. With an introduction, table of contents, and index of ideas by Clinton Rossiter, New York und Scarborough, Ontario, 1961, 78.
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4. Genossenschaftstheorie und Pluralismus
Realitäten brachen sich Bahn. Vor diesem Hintergrund muß Gierkes Ansatz verstanden werden, und mehr noch die Fortentwicklung, die Hugo Preuß an ihm vornahm. Im Zentrum von Gierkes Untersuchungen stand die ‚reale Gesammtperson‘ der Genossenschaft, die der Vielfalt von Gruppen rechtlichen Zusammenhalt und Handlungsmöglichkeit in der Tradition germanischen Rechts eröffnete33. Gierke war davon überzeugt, daß diese Rechtstraditionen in der deutschen Tradition so tief verwurzelt waren, daß die Rezeption des Römischen Rechtes nur oberflächlich und vorübergehend sein konnte. Im Rahmen seiner Untersuchungen stieß Gierke auf die Gedanken des damals fast vollständig vergessenen Johannes Althusius, in denen er eine politische Theorie vorfand, die den Genossenschaftsgedanken in den Mittelpunkt stellte und die nahezu pluralistische Konzeptionen vorwegnahm34. Aber Gierkes historische Untersuchungen hatten keine rein historisch interessierten Leser als Zielgruppe vor Augen. Seine genossenschaftlich-pluralistischen Ideen wollten, wie bereits oben angesprochen, eine grundlegende Alternative zum Rechtspositivismus in der Rechtsphilosophie, aber auch in den wissenschaftlichen und politischen Tagesauseinandersetzungen anbieten. Gierke unterlag dabei auf beiden Gebieten. Wissenschaftlich konnte er sich gegenüber Laband nicht durchsetzen, politisch empfand er die an den Konzepten seines Widersachers orientierte Kodifizierung des BGB als seine hauptsächliche Niederlage. Als das Gesetzbuch 1900 Gültigkeit erlangte, hatte Gierke für über ein Jahrzehnt einen genossenschaftlich-germanistisch inspirierten Kampf gegen den Entwurf geführt35, den er als dem Römischen Recht verpflichtet verwarf. Diese Grundorientierung erschien ihm um so verfehlter, als das 19. Jahrhundert das Wiedererwachen des uralten, im Absolutismus nur vorübergehend schlafenden germanischen Gedankens genossenschaftlicher Vereinigung demonstriert hatte. Wirtschaftliche Assoziationen, Gewerkschaften, politische Parteien und wissenschaftliche Vereinigungen florierten, und um diese Vielfalt wissenschaftlich-juristisch begreifen zu können, bedurfte es für Gierke des Genossenschaftsgedankens mit seiner ‚realen Gesammtperson‘. Indem er diesen sehr unterschiedlichen Gruppierungen eine je eigene Persönlichkeit zuwies, öffnete er zugleich den Weg für eine pluralistische Interpretation ihrer gesellschaftlich-politischen Wirksamkeit. Diese Gedanken sind bei den englischen Pluralismustheoretiker auf fruchtbaren Boden gefallen, als sie nach einer historischen Herleitung des faktisch bereits vor 33 Dies ist der Tenor der Gedankenführung in Gierkes Werk über „Das deutsche Genossenschaftsrecht“. 34 Otto Gierke, Johannes Althusius und die Entwicklung der naturrechtlichen Staatsrechtstheorien, Breslau 1880. Neuerdings zu Althusius Giuseppe Duso, Werner Krawietz, Dieter Wyduckel (Hrsg.), Konsens und Konsoziation in der politischen Theorie des frühen Föderalismus (Rechtstheorie, Beiheft 16), Berlin 1997. 35 Neben einzelnen Aufsätzen steht vor allem die umfassende Kritik in Otto Gierke, Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches und das deutsche Recht, Leipzig 1889.
4.1 Gierkes Einfluß auf den englischen Pluralismus
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handenen Pluralismus suchten. Wie es gelegentlich bei Einflüssen über Sprachbarrieren hinweg der Fall ist, läßt sich hierfür sogar ein konkretes Datum angeben: 1900 erschien eine von Frederic Maitland angefertigte Übersetzung eines Abschnittes aus dem 3. Band des „Genossenschaftsrechtes“, später übersetzte Ernest Barker den 4. Band teilweise36. Dem hat sich bis in unsere Tage ein nie ganz erlahmendes Interesse an Gierkes ‚Genossenschaftsrecht‘ angeschlossen, das sich auch in weiteren Übersetzungen niedergeschlagen hat, so daß heute erhebliche Teile des monumentalen Lebenswerkes in englischer Sprache vorliegen37. Auch die frühen amerikanischen Theoretiker eines bewußten Pluralismus waren sich der Gierkeschen Wegbereiterrolle durchaus bewußt, wie man etwa den Aufsätzen Francis W. Cokers aus den zwanziger Jahren entnehmen kann38. Auch an äußeren Anzeichen der Anerkennung fehlte es nicht; die Ehrenpromotion, mit der Gierke 1909 von Harvard ausgezeichnet wurde, zeigt die Wertschätzung seiner Arbeit in der angelsächsischen Welt39 – und dies noch dazu im gleichen Jahr, in dem auch das Pluralistic Universe des Harvard-Professors William James erschien. Maitland begleitete seine Übersetzung mit einer langen Einführung, die – wenn man die bei Gierke stets extensiven Anmerkungen hier außer acht läßt – annähernd den halben Umfang des übersetzten Textes ausmacht und die gleichsam aus eigenem Recht berühmt geworden ist40. Der Ausdruck „Pluralismus“ kommt bei ihm ebensowenig vor wie bei Gierke, aber in der Sache ist es genau das, was ihm an Gierkes Ideen bedeutungsvoll vorkommt und was er auch für England verteidigt: [T]here seems to be a genus of which State and Corporation are species. They seem to be permanently organized groups of men; they seem to be group-units; we seem to attribute acts and intents, rights and wrongs to these groups, to these units. Let it be allowed that the State is a highly peculiar group-unit; still it may be asked whether we ourselves are not slaves of a jurist’s theory and a little behind the age of Darwin if between the State and all other groups we fix an immeasurable gulf and ask ourselves no questions about the origin of species.41
36 Maitlands Übersetzung erschien 1900 als „Political Theories of the Middle Ages“. Zu den Umständen der Übersetzung A. Birke, Pluralismus., 167. Die Übersetzung von Ernest Barker ist „Otto Gierke: Natural Law and the Theory of Society 1500 to 1800“, 2 Bde., Cambridge 1934 (mit ausführlicher kritischer Einleitung, IX–XCI). 37 Otto von Gierke, Associations and Law. The Classical and Early Christian Stages. Edited and translated by George Heimann with an interpretative introduction to Gierke’s thought, Toronto und Buffalo 1977 (Teile des 3. Bandes); Otto von Gierke, Community in Historical Perspective. A translation of selections from Das deutsche Genossenschaftsrecht (1868) (The German Law of Fellowship). Vol. 1: Rechtsgeschichte der deutschen Genossenschaft (The Legal and Moral History of the German Fellowship). Translated by Mary Fischer. Selected and edited by Antony Black, Cambridge 1990. 38 Francis W. Coker, The Technique of the Pluralistic State, in: APSR 15 (1921) 186–213. Für den Hinweis auf Coker bin ich dessen Schüler Robert A. Dahl zu Dank verpflichtet. 39 S. Mogi, Otto von Gierke, 23. 40 D. Runciman, Pluralism and the Personality of the State, 64, spricht von Maitlands Übersetzung und seiner „celebrated introduction to it“. 41 F.W Maitland, Introduction, IX.
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4. Genossenschaftstheorie und Pluralismus
Das ist noch weit entfernt von Laskis späteren Zweifeln an dem Staat im Wechselspiel konfligierender Gruppenloyalitäten. Es hatte aber zugleich auch eminent praktische Auswirkungen in der britischen Rechtsentwicklung, wie wiederholt gezeigt wurde42. Maitland ist sich dabei völlig darüber im klaren, daß Gierkes rechtshistorische Untersuchungen nicht einfach eine Vorlage sein können, die die Lösung der britischen Probleme im Korporationsrecht der Jahrhundertwende bereit hält. Seine Einleitung zu Gierkes Text zeigt denn auch bei allem Lob für den deutschen Rechtshistoriker die spezifischen Schwierigkeiten auf, die Maitland bei der Übertragung hatte und die weit über einzelne Worte oder Begriffe hinausreichen. Es sind die unterschiedlichen Rechtssysteme und historischen Erfahrungen von Großbritannien und Kontinentaleuropa und die daraus resultierenden unterschiedlichen philosophisch-juristisch-politischen Konzepte, die es Maitland oft unmöglich machen, Gierke einfach zu folgen. Diese Schwierigkeiten, die bereits mit dem schlecht übertragbaren Begriff ‚Genossenschaft‘ begannen43, haben auch alle späteren Übersetzer geplagt und haben im Laufe der Jahrzehnte immer wieder zu unterschiedlichen Lösungsvorschlägen geführt. Einige Autoren haben den einfachsten Ausweg gewählt und die deutschen Begriffe ohne Übersetzung übernommen44. Andere ha-
42 Hierzu intensiv A. Birke, Pluralismus, und H. Quaritsch, Entstehung der Theorie des Pluralismus. 43 Zu den Rezeptions- und Übersetzungsproblemen siehe D. Runciman, Pluralism and the Personality of the State, 64ff. Maitland hat die Probleme direkt angesprochen: „The English translator must carefully avoid Partnership; perhaps in our modern usage Company has become too specific and technical; Society also is dangerous; Fellowship with its slight flavour of an old England may be our least inadequate word.“ F.W. Maitland, Introduction, XXV. Und ebd., XLIIIf.: „The task of translating into English the work of a German lawyer can never be perfectly straightforward. To take the most obvious instance, his Recht is never quite our Right or quite our Law. I have tried to avoid terms which are not current in England. For this reason I have often written political when I would gladly have written publicistic. On the other hand I could not represent our author’s theory without using the term Subject in the manner in which it is used by German jurists and publicists. For nature-rightly an apology may be due, but there was a pressing need for some such adjective.“ Noch deutlicher zeigen sich die Probleme Maitlands in Briefen aus der Zeit, in der er an der Übersetzung arbeitete. Im Dezember 1899 schrieb er an Henry Sidgwick, der die Übersetzung angeregt hatte: „The choice between Jargon and Verbosity is ever present. I wish that I could consult you in detail. To which extreme would you lean; I suppose that I must not say (e.g.) Organic Idea when I mean that society is organic: but, fleeing slang, I wander in a maze of whiches and thats.“ Und in einem Brief vom Januar 1900: „I want ‚nature-rightly‘ very badly, and perhaps ‚private-rightly‘ too. F. Pollock is shocked by ‚publicistic‘, which however implies more than ‚political‘. What is one to do? I can’t make Otto G. into an Englishman. He resents the attempt.“ Beide Briefe zitiert bei A. Birke, Pluralismus, 167f. Zur ähnlich gelagerten Situation in den USA vgl. W. Steffani, Pluralismus, 56. 44 Rupert Emerson, State and Sovereignty in Modern Germany, New Haven 1928; Sobei Mogi, The Problem of Federalism. A Study in the History of Political Theory, 2 Bde., London 1931; ders., Otto von Gierke. His Political Teaching and Jurisprudence, London 1931.
4.1 Gierkes Einfluß auf den englischen Pluralismus
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ben als eine Art Mittelweg sowohl die deutschen Termini wie eine englische Übersetzung angeboten45, und wieder andere haben sich von den Begriffen Maitlands entfernt und an die Stelle seines „law of fellowship“ den Ausdruck „the law of associations“ gesetzt46. Diese terminologischen Schwierigkeiten sind nur der äußere Ausdruck der angesprochenen historischen, politischen und rechtlichen Unterschiede, die sich sowohl für die Zeiten finden lassen, die Gierke vornehmlich untersucht hat, wie auch für dessen unmittelbare Vergangenheit und Gegenwart. Die Prägung durch die Hegelsche Staatslehre, der magische Kreis des monarchischen Prinzips und die spätestens von Lorenz von Stein und Robert von Mohl kanonisierte Trennung von Staat und Gesellschaft prägen die gesamte deutsche Staatslehre des 19. Jahrhunderts. Auf dieser Grundlage kann auch überhaupt erst ein positivistisches Verständnis des Rechtes erwachsen, das sich so sehr von dem westeuropäischen Positivismus Comtes abhebt. Die Trennung der angeblich rein gesellschaftlichen Selbstverwaltung vom staatlichen Herrschaftsmonopol ist gleichfalls nur im Bannstrahl der Ideen Hegels zu verstehen und somit für England unfruchtbar. Gierkes Ansätze zu einer Pluralismus-Lehre haben unter diesen Beschränkungen gelitten. Sie sind für die inneren Brüche seiner Lehre verantwortlich. Einerseits ist es sicherlich bemerkenswert, daß ein Mann wie Gierke, dessen politische Überzeugungen stets gemäßigt konservativ blieben, zu Resultaten gelangen konnte, die sehr früh die Legitimität sozialistischer Gewerkschaften im pluralistischen Universum der Industriegesellschaft verteidigten. Seine historische Bestimmung und Idee der Genossenschaft war wenigstens implizit demokratisch. Alle Genossen sollten gleichberechtigt an der Entscheidungsfindung der Genossenschaft beteiligt werden, und Gierke bemüht sich, das Deutsche Reich begrifflich in die Ahnenreihe von Genossenschaft und Korporation zu stellen. Die modernen Assoziationen sah er als die Nachfolger der alten Genossenschaften, und er begrüßte ihre sprunghafte Verbreitung als einen Beweis der Vitalität eines alten Konzeptes. Auch wenn Gierke selber dafür den Begriff Pluralismus nicht benutzte oder, wie man genauer sagen sollte, nicht prägte (denn er hätte ihn als erster in diesem Sinne benutzt), weisen diese Überlegungen doch in diese Richtung. Gleiches gilt für die von Gierke ebensowenig betonten demokratischen Prozeduren – die Erkenntnis ließ sich nicht vermeiden, daß demokratische Entscheidungsprozesse sowohl innerhalb der einzelnen Genossenschaften eine zentrale Rolle spielten, wie zumindest potentiell innerhalb der größten und umfassendsten Genossenschaft, dem neuen Reich. Gierke hat diese Implikationen seiner Prämissen und historischen Erkenntnisse nicht gesehen; seine Analyse bricht vor ihren logischen Konsequenzen ab. Sein Leben lang blieb Gierke
45 Ernest Barker, Introduction, in: Otto Gierke, Natural Law and the Theory of Society 1500 to 1800, 2 Bde., Cambridge 1934, hier 1. Bd., IX–XCI; John D. Lewis, The GenossenschaftTheory of Otto von Gierke. A Study in Political Thought, Madison 1935. 46 Erneut J.D. Lewis, Genossenschaft-Theory, und James H. Burns, Introduction, in: ders. (Hrsg.), The Cambridge History of Medieval Political Thought c. 350 – c. 1450, Cambridge 1988, 1–8.
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4. Genossenschaftstheorie und Pluralismus
ein Bewunderer des preußischen Staates, was ihn ja im Schmerz über die Niederlage im Weltkrieg sogar bis zum Extrem einer kurzfristigen DNVP-Mitgliedschaft führte. Diese politischen Orientierungen zwangen Gierke, in sein pluralistisches System einige nur wenig passende Elemente einzufügen. Seine Überlegungen über Geschichte und gegenwärtige Rolle der Genossenschaft unterschieden sich merklich von seinen an Hegel orientierten Auffassungen über den Staat als solchen. Und diese rechtsphilosophischen Gedanken hatten sich wiederum an der konkreten Existenz des kleindeutschen Kaiserreiches zu orientieren. Schließlich war Gierke ein Staatsrechtler, der sich mit juristischen Phänomenen wie der existierenden Verfassung des Kaiserreiches auseinandersetzen zu hatte. Um seine genossenschaftliche Theorie mit seiner positiven Einschätzung des politischen Status quo zu vereinbaren, erklärte Gierke ohne weiteres das Hohenzollernreich zur real existierenden idealen Genossenschaft47. Und obwohl das Souveränitätskonzept keinen natürlichen Platz in seiner historischen Analyse der Genossenschaft haben konnte, war andererseits ein monarchisches System ohne irgendeinen theoretischen Platz für die Souveränität schwer denkbar. Gierke kam zu dem Schluß, daß er auf den Souveränitätsgedanken nicht verzichten konnte. Diese Ambivalenz ist typisch für Gierkes Pluralismus; die Souveränität wird von seiner Lehre pluralistisch-implizit in Frage gestellt, zugleich aber hegelianisch-explizit verteidigt. Gierke schloß sich der Mehrheit der deutschen Staatsrechtler an. Seine Äußerungen über die Souveränität sind von denen der herrschenden Lehre seiner Zeit nicht wesentlich unterschieden, und gerade deshalb sind sie die am wenigsten wichtigen Teile seines Denkens. Das kann kaum überraschen, denn Gierke mußte sie seinem in allen wichtigen Fragen grundlegend von der herrschenden Schule abweichenden Ansatz anpassen, und das gelang nur unzureichend. Die Widersprüche, die in Gierkes autoritärer Interpretation demokratischer Ergebnisse bestehen mußten, sind von zeitgenössischen wie späteren Kritikern aufgegriffen worden. Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß Historiker wie Rudolph Sohm und Georg von Below die historischen Resultate im Genossenschaftsrecht kritisch bezweifelten48, und vor allem die englischen Übersetzer und Bearbeiter Gierkes hatten Probleme mit den romantisch-nationalistischen Wurzeln seiner politischen Überzeugungen49. Es ist auch keineswegs so, daß die englischen Pluralisten Gierke ohne weiteres gefolgt sind. Maitland und Figgis sind ihm gedanklich am engsten verbunden, Barker war der kritischste, und wieder andere, wie etwa
47 O. v. Gierke, Genossenschaftsrecht, 1. Bd., 833. 48 Vgl. J.D. Lewis, Genossenschaft-Theory, 88f.; sowie oben unter 2.1. 49 Vgl. etwa J.D. Lewis, Genossenschaft-Theory, 92ff., E. Barker, Introduction, XXVIIIf. und LXXXVff.; A. Black, Introduction, XXIX, und ders., The individual and society, in: J.H. Burns, Cambridge History of Medieval Political Thought, 588–606, hier 588.
4.1 Gierkes Einfluß auf den englischen Pluralismus
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Laski, haben Gierkes Werk überwiegend ignoriert50. Die meisten Autoren fanden jedoch den häufigen Hinweis auf Gierke immer dann nützlich, wenn es darum ging, eine solide historische Basis des modernen Pluralismus nachzuweisen. In England ist auch die Debatte geführt worden, ob Gierke überhaupt als Pluralist bezeichnet werden kann. Sobei Mogi, ein Schüler von Harold Laski, fand 1931 in Gierkes Theorie unzweifelhaft „the fundamental principle of federalism on which the modern pluralistic political theory was built up“51. Aber nur drei Jahre später verglich Ernest Barker Gierkes Gedanken mit syndikalistischen Überlegungen, und der amerikanische Pluralist J.D. Lewis schrieb 1935, „[to] regard Gierke as a ‚pluralist‘ is obviously quite erroneous in view of the dominant role he assigns to the state and to state law“52. Gierkes Schriften waren nicht notwendig, um englisches pluralistisches Denken anzuregen. Erst recht gilt dies für die amerikanische Pluralismustheorie; wenn „E pluribus unum“ der Leitspruch des Staates und seiner Politik ist, benötigt man zur Formulierung des Pluralismus nicht unbedingt die Starthilfe durch die deutsche Rechtsgeschichte. So ist denn auch der konstituierende Einfluß Gierkes sehr vorsichtig zu bewerten. Gierkes Arbeit und ihre Teilübersetzung durch Maitland und Barker hat sicherlich zumindest soweit befruchtend gewirkt, wie sie historische Hintergründe und Rechtfertigungen entwickelt, die in einer historischen Rechtskultur wie der angelsächsischen besonderes Gewicht haben mußten. Es war Gierke selber, der sorgfältig vermied, die sich aus seinen Forschungen ergebenden Schlüsse für die Gegenwart zu ziehen, und wenn die englischen Pluralisten und in Deutschland Hugo Preuß diese Schlüsse zogen, dann retteten sie damit die Ergebnisse von Gierkes Arbeit vor seinen politisch bedingten Scheuklappen. Denn Gierkes Gedanken führten, für sich genommen und vom Ballast befreit, sehr wohl über die Bestätigung des Staates weit hinaus. Maitland hätte auch kaum mit solchem Enthusiasmus nach Gierke gegriffen, wenn seine Bücher mit den gleichen Problemen behaftet gewesen wären wie etwa die von Gneist. Wenn man sozusagen Hegel und die deutsche politische Sonderentwicklung von Gierke subtrahierte, blieb genau das übrig, was Maitland, Barker und die Pluralisten, aber auch was Preuß benötigte. Da diese Bestandteile trotz allem dominierend sind im Werk Gierkes, erklärt sich die relativ große Wirkung seiner Ideen in der angelsächsischen Welt und ihre relative Folgenlosigkeit in Deutschland. Die staatszentrierte deutsche Rechtslehre hatte für Gierkes Frühpluralismus keinen Bedarf, und in der Weimarer Republik nutzten Theoretiker wie Carl Schmitt den Pluralismus als Gegenpol zum
50 F.W. Maitland, The Crown as Corporation, in: H.A.L. Fisher (Hrsg.), The Collected Papers of Frederick William Maitland, Vol. 3, Cambridge 1911, 244–270, J.N. Figgis, Churches in the Modern State (1914), E. Barker, Introduction (1934). 51 S. Mogi, Problem of Federalism, 691. 52 E. Barker, Introduction, LXXXI; J.D. Lewis, Genossenschaft-Theory, 91.
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4. Genossenschaftstheorie und Pluralismus
dezisionistischen Denken, und wenig später als negative Schablone bei ihrer Verherrlichung des Totalitarismus53. Die wenigen Versuche einer positiven Wertung des Pluralismusbegriffes führen nicht zur Theoriebildung, und Gierke spielt in dieser deutschen Diskussion schon überhaupt keine Rolle. Erst nach 1945 fällt der Neopluralismus Ernst Fraenkels auf fruchtbaren Boden – aber dieser Neopluralismus speist sich bezeichnenderweise aus amerikanischen Vorbildern, die Fraenkel in der Emigrationszeit kennengelernt hatte, und nicht aus dem Werk Gierkes und der deutschen Rechtstradition54. Wenn es auch nicht zu einer ernsthaften Auseinandersetzung mit den pluralistischen Aspekten im Werke Gierkes kam, so blieb er doch immerhin eine Fußnote in der Geschichte des Pluralismus. Gierke wurde weder von den Theoretikern des Pluralismus, noch von den wissenschaftlichen Bearbeitern seiner Geschichte völlig vergessen. Das ist immer noch mehr, als man von Hugo Preuß sagen kann. 4.2 Demokratischer Pluralismus bei Preuß Wenn man bedenkt, daß Hugo Preuß in praktisch allen bisher betrachteten Bereichen im freiheitlich-demokratischen Sinne über seinen Lehrer Gierke hinausgegangen ist und dessen Ideen in reinerer Form fortgebildet hat, ist die Annahme recht naheliegend, daß dies auch bei Gierkes pluralistischen Ansätzen der Fall sein wird55. Läßt man sich nicht davon abhalten, daß Preuß in der Geschichte des Pluralismus ein fast vollständig unbeschriebenes Blatt ist56, wird man recht schnell 53 Zum Schmittschen Antipluralismus siehe etwa Hasso Hofmann, Legitimität gegen Legitimität. Der Weg der politischen Philosophie Carl Schmitts, 3. Aufl., Berlin 1995, 116f.; und Andreas Koenen, Der Fall Carl Schmitt. Sein Aufstieg zum „Kronjuristen des Dritten Reiches“, Darmstadt 1995, 236, 239, und 414. Ebd., 608f., zum Antipluralismus des Schmitt-Schülers Ernst Rudolf Huber in dieser Zeit. 54 Zur juristischen Beschäftigung mit Fraenkel siehe W. Brugger, Liberalismus, Pluralismus, Kommunitarismus, 220ff. Vgl. allgemein Hans Kremendahl: Pluralismustheorie in Deutschland, Leverkusen 1977. Heinrich Erdmann: Neopluralismus und institutionelle Gewaltenteilung. Ernst Fraenkels pluralistische Parteienstaatstheorie als Theorie parlamentarisch-pluralistischer Demokratie, Opladen 1988, sieht (in verwirrender Terminologie) bei Fraenkel eine Entwicklung vom „Paläopluralismus“ seiner Weimarer Zeit zum späteren Neopluralismus. Vgl. auch Alexander v. Brünneck, Leben und Werk von Ernst Fraenkel (1898–1975), in: Ernst Fraenkel, Deutschland und die westlichen Demokratien, Frankfurt a.M. 1991, 360–372; Winfried Steffani, Ernst Fraenkel als Persönlichkeit, Zeitschrift für Politikwissenschaft 7 (1997), 1261–1285. Die im Entstehen begriffene Werkausgabe der Schriften Fraenkels dürfte auch seinen Pluralismus noch schärfer beleuchten, als dies bislang angesichts der verstreuten Druckorte möglich war. 55 Vgl. hierzu auch S. Mogi, Otto von Gierke, 151 und 220. 56 In den einschlägigen Werken über die Entwicklung des Pluralismus wird zwar Gierke in der Regel zumindest kurz gewürdigt, den Namen Preuß sucht man allerdings vergebens. Den Preuß-Biographen im engeren Sinne ist hingegen sein Pluralismus nicht entgangen; vgl. G. Gillessen, Hugo Preuß, 161bff. Nach der zutreffenden Bemerkung von S. Graßmann, Hugo Preuß, 25, „begreift [Preuß] den Staat vor allem auch als pluralistisches System“.
4.2 Demokratischer Pluralismus bei Preuß
151
fündig werden. Erst in jüngster Zeit ist der grundlegend pluralistische Ansatz Preuß’ in politikwissenschaftlichen Untersuchungen gewürdigt worden57. Zwar benutzt Preuß den Ausdruck „Pluralismus“ an keiner Stelle, aber dies tun Gierke und selbst Maitland auch nicht. Aus den oben untersuchten Abschnitten ist bereits deutlich geworden, daß Preuß’ Ausführungen über das Wesen der Selbstverwaltung und, noch genereller, über das Wesen des Organismus, einen zutiefst pluralistischen Geist besitzen. Zum Verständnis dessen muß man erneut auf den Kernpunkt der Preußschen Rechtstheorie zurückgehen, auf seinen Personenbegriff. Jede Person ist ein Organismus aus organisch verbundenen Teilen, jeder Organismus ist eine Person, entweder eine Individual- oder eine Gesamtperson: Demgemäß beruht das begriffliche Wesen des Organismus gerade darauf, daß er eine Einheit in der Vielheit ist; für die gedankliche Erfassung dieses Wesens ist es erforderlich, die beiden Seiten, Einheit und Vielheit, im Auge zu behalten; denn die bloße Vielheit ist ein unorganisches Nebeneinander, die bloße Einheit ist eine ungegliederte, unorganische Masse; erst die ‚Durchdringung der Einheit durch die Vielheit‘ schafft einen Organismus.58
Diese Auffassung ist zwar nicht so weitreichend wie die späteren Gedanken des radikalen Pluralismus, in denen Cole oder Laski die Einheit völlig durch die Vielheit ersetzen. Aber gleichwohl sind sie unzweifelhaft pluralistisch. Mit der organischen Gliederung, durch die sowohl innerhalb der einzelnen Gruppen die Einheit in der Vielheit der Individuen erwächst, wie auch im Zusammenspiel der Gruppen mit ihren jeweiligen gesonderten Rechten, meint Preuß ein pluralistisches Universum. In durchaus moderner, neopluralistischer Form setzt er den Pluralismus mit der Sicherung von Freiheit und Demokratie dabei weitgehend gleich: An die Stelle der einig einzigen Staatsanstalt des bureaukratischen Obrigkeitsstaates setzt die genossenschaftliche Verwaltungsorganisation eine Vielheit von autonomen Verbänden, deren Gesamtheit den nationalen Verband, den Staat bildet. Organisatorische Differenzierung ist also in beiden Fällen das technische Mittel, wodurch das formengestaltende Recht die politische Idee einer Selbstbestimmung des mündigen Volkes in Verfassung und Verwaltung realisiert: Differenzierung der obersten Staatsorgane dort, Differenzierung der sozialen und politischen Gemeinwesen hier.59
57 Detlef Lehnert, Hugo Preuß als moderner Klassiker einer kritischen Theorie der „verfaßten Politik“, PVS 33 (1992), 33–54; M. Dreyer, German Roots of the Theory of Pluralism, 23ff. 58 „Gemeinde, Staat, Reich“, 162. Vgl. auch ebd., 211, wo als weiteres Argument für das Begriffspaar Sozial- und Individualrecht an Stelle von öffentlichem und Privatrecht angeführt wird, daß das öffentliche Recht ohne einen Staatsbegriff nicht auskommen könne, das Sozialrecht sehr wohl. Die moderne Theorie der stufenweisen Einungen sieht Preuß schon bei Althusius vorweggenommen; „Entwicklung und Bedeutung des öffentlichen Rechts“, 1352. Im Art. „Gemeinde“, in: Handwörterbuch der Kommunalwissenschaften, 2. Bd., 187, nennt er als die „elementare Eigenschaft jedes Gemeinwesens ... die zur Einheit organisierte Vielheit“. 59 Art. „Selbstverwaltung“, in: Handwörterbuch der Kommunalwissenschaften, 3. Bd., 773. Vgl. „Die Sozialdemokratie und der Parlamentarismus“, in: Staat, Recht und Freiheit, 144–172 (erstmals „Der Zeitgeist“, Beilage zum BT 1891), hier 168: „Nur jene Dezentralisation, welche alle Kräfte zu freier Tätigkeit entfaltet und so eine Mehrzahl von Machtzentren schafft, ermöglicht wahre politische Freiheit. ... Wo nur ein Machtzentrum existiert, gibt es keine Freiheit, sondern Despotie, gleichviel, welcher Art jenes sei.“
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4. Genossenschaftstheorie und Pluralismus
Politische Freiheit gibt es für Preuß also nur dort, wo mehrere, wo möglichst viele Machtzentren bestehen und miteinander friedlich um Einfluß ringen bei prinzipiell gleicher Daseinsberechtigung. An dieser Stelle zeigt sich aber auch eine gewisse Beschränkung des Preußschen Pluralismusverständnisses gegenüber den Klassikern der Theorie. Sein Denken bleibt wie an allen übrigen Stellen auch sehr stark auf politische Zusammenhänge im engeren Sinne ausgerichtet. Gerade weil er die Zweiteilung von Staat und Gesellschaft nicht akzeptierte, war er nicht bereit, gesellschaftlichen Gruppen als solchen Einfluß auf den politischen Willensbildungsprozeß einzuräumen. Politischen Einfluß hatten die Bürger im Rahmen ihrer zahlreichen politischen Organismen – wozu auch die Parteien zählten – zu nehmen. Das hieß für Preuß in der politischen Praxis der Weimarer Republik vor allem, daß dem Räteprinzip der USPD wie auch dem vielfach gerade von sich selbst so nennenden organischen Staatstheoretikern geforderten Ständeprinzip in der Staatsorganisation eine strikte Absage zu erteilen war: So stellt man heute gern dem rein zahlenmäßig gebildeten Parlament der ‚formalen Demokratie‘ das Ideal einer ‚Kammer der Arbeit‘ gegenüber, in der die ‚schaffenden Stände‘ nach ihrem sozialen Werte und ihrer Bedeutung für die nationale Produktion zur Geltung kommen sollen. Daß dies die einfache Wiederaufnahme des alten Ständeprinzips in schroffstem Gegensatz gegen den ganzen demokratischen Entwicklungsgang bedeutet, ist nur deshalb ein stichhaltiger Einwand, weil damit gesagt ist, daß jene Idee alle die Entwicklungstatsachen verkennt, die das Ständeprinzip in jeder Form ... unhaltbar gemacht haben. Die Integrierung der Stände und Klassen ist soweit vorgeschritten, daß ihre Sonderung und Gruppierung nur durch einen ‚formalen‘ und dazu willkürlichen Machtspruch des Gesetzgebers erfolgen kann. Vollends formal und willkürlich wird dann aber die Lösung der unmöglichen Aufgabe, das Stimmgewicht der so konstruierten Gruppen nach ihrem sozialen Werte und ihrer produktiven Bedeutung zahlenmäßig abzustufen. ... So laufen alle solche Ideen nicht auf eine Veredelung der formalen Demokratie etwa durch ein materiell-demokratisches Prinzip hinaus, vielmehr auf die Zerstörung des demokratischen der Gleichberechtigung durch das diametral entgegengesetzte Prinzip – genau so formaler – ständischer Rechtsungleichheit.60
60 „Reich und Länder“, 44f. Und weiter an gleicher Stelle: „Ihr konsequentester Ausdruck ist das bolschewistische Räte-(Sowjet-)System, das sich wenigstens nicht mit dem unmöglichen Versuche abquält, die Negation des demokratischen Prinzips als seine Veredelung zu konstruieren. Es stellt sich klar und einfach auf der (sic) Grundlage absoluter Rechtsungleichheit und knüpft deren Kriterium, wie jedes Ständesystem, an eine typische Massenerscheinung: den Unterschied von Proletarier und Bourgeois, des berechtigten und des rechtlosen Standes. Jedoch vermag selbst diese klassische Vereinfachung des Problems sogar im Lande des tiefsten Rückstandes europäischer Kultur die Tatsache nicht aus der Welt zu schaffen, daß die Integrierung der Klassen und die Differenzierung der Individuen jedes Ständesystem unhaltbar macht. Die Aufgabe einer organisatorischen Gruppierung der gleichberechtigten Individuen, die das Recht mangels eines objektiven typischen Maßstabes nicht mehr zu lösen vermag, wird von den Individuen subjektiv durch Selbstorganisation gelöst in Gestalt der politischen Parteien. Erst diese Selbstorganisation in Parteien gibt der Demokratie die Lebensfähigkeit, die das unorganisierte Nebeneinander gleichberechtigter Individuen nicht besitzen könnte.“ Zur Rolle der Parteien in der pluralistischen Demokratie auch ebd., 268.
4.2 Demokratischer Pluralismus bei Preuß
153
Nun war allerdings das Ständeprinzip auch nicht unbedingt ein Freund des Pluralismus; es war eher eine Negation dieses letztlich doch stets individualistischen Weltbildes. Othmar Spann, Paul Krannhals, Edgar Jung und die vielen weniger wichtigen organischen Staatstheoretiker sahen im Ständeprinzip des Organismus keine Variation pluralistischen Denkens, sondern die Überwindungen von Individualismus und Vielfalt in einer universalistischen (wie Spann es ausdrückte) Einheit61. Dies war das genaue Gegenteil der Preußschen Einheit in der Vielheit. Aber trotz dieser klaren Frontstellung findet sich kein eindeutiges und theoretisches Bekenntnis zum Pluralismus in seinen Schriften. Man muß es implizit ableiten aus seiner Begriffsbestimmung des Organismus in der Rechtswissenschaft, aus seiner an Darwin orientierten Folge organischer Körperschaften und Gesamtpersonen, aus seiner Verteidigung der Selbstregierung sozialer Einheiten gegenüber insbesondere staatlichen Eingriffen. Vielleicht ist es diese Notwendigkeit, Preuß’ Pluralismus aus seinen politischen Tagesschriften und seinen staats- und verwaltungsrechtlichen Abhandlungen zu entwickeln, die dazu geführt hat, daß er bislang weitgehend unberücksichtigt geblieben ist. Nicht in bezug auf die Nachwirkung, wohl aber in bezug auf innere Konsequenz und Bedeutung für sein politisches Weltbild verdient es Preuß auch in dieser Frage, mindestens gleichgewichtig neben Gierke gestellt zu werden. Immer wieder ist in den bisherigen Abschnitten betont worden, daß Preuß als politischer Theoretiker nicht von dem politischen Praktiker zu trennen ist. Dieser Aspekt ist bislang zugunsten der vita contemplativa des Wissenschaftlers und Staatsphilosophen vernachlässigt worden. In ihr richtiges Licht gestellt werden die bisherigen Ausführungen aber erst, wenn man sie an der praktischen Wirksamkeit Preuß’ mißt. Der vita activa des Politikers, die vom Eintritt in die Berliner Stadtverordnetenversammlung 1895 über den Weimarer Höhepunkt 1918/19 bis zu den letzten Jahren im Preußischen Landtag führt und im Oktober 1925 durch den Tod beendet wird, müssen wir uns jetzt zuwenden.
61 Othmar Spann, Der wahre Staat. Vorlesungen über Abbruch und Neubau der Gesellschaft, gehalten im Sommersemester 1920 an der Universität Wien, Leipzig 1921; Edgar Jung, Die Herrschaft der Minderwertigen. Ihr Zerfall und ihre Ablösung, Berlin 1927; Paul Krannhals, Das organische Weltbild. Grundlagen einer neuentstehenden Deutschen Kultur, 2 Bde., München 1928.
III. HUGO PREUSS ALS POLITIKER 5. DER POLITISCHE PUBLIZIST 5.1. Das Verhältnis von Wissenschaft, Politik und Publizistik Neben der Wissenschaft hat für Hugo Preuß immer die Politik gestanden, und wie seine wissenschaftlichen Fragestellungen nicht ohne die politischen Interessen denkbar sind, bleibt umgekehrt seine politische Aktivität und ihre publizistische Verbreitung zugleich auch der Versuch, den wissenschaftlich gewonnenen Erkenntnissen politische Geltungskraft zu verleihen. Diese eng verwobene Mischung von wissenschaftlicher Forschung, publizistisch-journalistischer Beeinflussung der öffentlichen Meinung und aktiver Mitgestaltung der Politik bedeutet in dieser zielorientierten und in sich konsistenten Vielfalt ein Konglomerat von Aktivitäten, das in Deutschland nicht eben häufig anzutreffen war; es verweist eher auf den angelsächsischen Kulturkreis, dem Preuß ja auch sonst philosophisch und politisch eng verbunden war. Alle drei Bereiche durchziehen zeitlich das ganze Leben von Preuß, trotzdem sind erhebliche Akzentverschiebungen feststellbar. Die wichtigsten wissenschaftlichen Werke fallen in die Zeit bis 1908, nämlich „Gemeinde, Staat, Reich als Gebietskörperschaften“ (1889) und der Aufsatz „Über Organpersönlichkeit“ (1902) zur organischen Rechtstheorie, das „Städtische Amtsrecht in Preußen“ (1902) und der Beitrag zur Laband-Festschrift „Selbstverwaltung, Gemeinde, Staat, Souveränität“ (1908) zum kommunalen Verwaltungsrecht sowie die „Entwicklung des deutschen Städtewesens“ (1906) zur Geschichte der Selbstverwaltung. Auch danach erscheinen noch eine ganze Reihe weiterer fachwissenschaftliche Aufsätze und Bücher, aber der Kernbereich der Preußschen Gedanken ist mit den hier genannten Arbeiten weitestgehend umrissen. Erst in den letzten Lebensjahren wandte sich Preuß wieder verstärkt der Wissenschaft zu; bezeichnenderweise erst dann, als er angesichts der Entwicklung seiner Deutschen Demokratischen Partei nach rechts, die er vergeblich bekämpft hat, in der von ihm mitbegründeten Partei mehr und mehr zum Außenseiter wurde – trotz Vorstandmitgliedschaft und preußischem Landtagsmandat. Der großangelegte Verfassungskommentar blieb, auch das ist wiederum aufschlußreich, unvollendet: Sowohl der als Untersuchung des ideengeschichtlichen Hintergrunds der Weimarer Verfassung angelegte historische Abriß über „Verfassungspolitische Entwicklung in Deutschland und Westeuropa“ (1927) wie auch der Kommentar im engeren Sinne „Reich und Länder“ (1928) erschienen als Fragment aus dem Nachlaß. Eine Teilveröffentlichung dieses Kommentars hatte Preuß schon 1922 herausgehen lassen, und auch dies wieder aus einem konkreten
5.1. Das Verhältnis von Wissenschaft, Politik und Publizistik
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politischen Anlaß1. Und obwohl das politische und publizistische Moment auch in wissenschaftlichen Abhandlungen von Preuß nie außer acht gelassen wurde, so ist doch der beschwörende Ton, in dem die beiden letzten Arbeiten die Demokratie in Deutschland zu verteidigen und als historisch unausweichlich zu rechtfertigen suchen, selbst für die bei Preuß anzulegenden Maßstäbe außergewöhnlich. Neben der wissenschaftlichen Arbeit stand für Preuß stets die publizistische Meinungsbildung; bereits mit seinen ersten Schriften „Deutschland und sein Reichskanzler gegenüber dem Geist unserer Zeit“ (1885) und „Kolonialpolitik und Reichsverfassung“ (1884/85) greift Preuß in schwebende politische Streitfragen ein. Zunächst geschieht dies noch in juristischer Verkleidung, aber die politische Absicht ist offenkundig, und zwar gerade dort, wo Preuß eine politische Frage als eine juristische ausgibt und sich darüber beklagt, daß die Stimme des Rechts nicht gehört werde2. Einer der Mentoren der frühen, an eine größere Öffentlichkeit gerichteten publizistischen Versuche war Ludwig Bamberger; ihm widmete Preuß 1888 seine Schrift „Was uns fehlt“, mit einem Gefühl der Verehrung und der Dankbarkeit dafür, daß Ihr sympathischer Zuspruch unter den ersten war, die mich ermuthigten, da ich mich vor etlichen Jahren an die publizistische Worthobelbank setzte3.
„Etliche Jahre“ klingt jedenfalls für heutige Ohren nach einem längeren Zeitraum als der hier von Preuß gemeinte, denn sein erster politischer Aufsatz, in dem er mit der auch von Bamberger bekämpften Kolonialpolitik des Reiches abgerechnet 1 2
3
Der Anlaß war die Diskussion um die Neugliederung des Reichsgebietes; „Artikel 18 der Reichsverfassung, seine Entstehung und Bedeutung“, Berlin 1922. Ein Beispiel aus dieser Zeit ist „Friedenspräsenz und Reichsverfassung“, V, wonach eine staatsrechtliche Betrachtung nach der Wählerentscheidung müßig erscheine; aber: „In unserem politischen Leben erfreut sich schon überhaupt die staatsrechtliche Theorie keiner genügenden Beachtung; in Zeiten solcher Erregung aber muß sie sich resignirt gestehen, daß ihr Reich nicht ist von dieser Welt.“ „Was uns fehlt“, 5. Preuß fährt fort: „Ihr Name auf dieser kleinen Schrift gilt mir zugleich als eine Art Identitätsnachweis oder Ursprungszeugniß, welches darthut, auf welchem geistigen Boden diese Anschauungsweise erwachsen ist, welche geistige Luft diese Denkart genährt hat. Daß es ein viel angefeindeter, viel verleumdeter Name ist, unter dessen Flagge ich trete, konnte mich in meiner Absicht nur bestärken. Denn in der Publicistik ist es Ehrenpflicht, Farbe zu bekennen, und nicht Nutzen ziehen zu wollen von dem völkerrechtlichen Satze: neutrale Flagge deckt feindliches Gut. Auch möchte ich für mein bescheiden’ Theil dazu beitragen, daß nicht als ganz ausnahmslos der Vorwurf gelten könne, welcher uns, die jüngere Generation, heutigen Tages nur allzu wohlbegründet trifft, daß ihr politischer Gesichtskreis nicht weiter reiche, als ihr kurz bemessenes Erinnerungsvermögen. Wie letzteres nicht hinter die großen Kriegsjahre zurückgeht, so identificirt sich ihr die deutsche Einheit mit der Person des damals und seitdem leitenden Staatsmannes; Opposition gegen ihn erscheint ihr als Feindschaft gegen Deutschlands Einheit und Größe. Demgegenüber ist es Pflicht, zu zeigen, daß auch wir Jüngeren nicht sämmtlich vergessen haben, wo die Männer zu suchen sind, die für Deutschlands Einheit und Größe eintraten, als dies noch keine Würden und Ehren, sondern Verfolgung und Noth einbrachte.“
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5. Der politische Publizist
hatte4, lag zu diesem Zeitpunkt gerade vier Jahre zurück. Zugleich war die Widmung aber auch mehr als nur eine freundliche Verbeugung vor einem älteren Gesinnungsgenossen, der als Mentor für den jungen begabten Autor gewirkt und ihm einige Türen geöffnet hatte. Die offiziöse Geschichtsschreibung feierte in den repräsentativen Werken von Sybel und Treitschke einen mit fast naturgesetzlicher Wucht ablaufenden Weg hin zur preußisch-deutschen Einigung unter der ebenso weisen wie kraftvollen Führung von Bismarck, Moltke und vor allem Wilhelm I., den sein Enkel mit dem kühnen Beinamen „der Große“ geschmückt sehen wollte5. Es war nicht ungefährlich, gegen diese Panegyrik publizistisch anzugehen. Der Münchener Mediävist Ludwig Quidde war so unvorsichtig, mehrfach in öffentlichen Veranstaltungen diese Bezeichnung zu verspotten. Aus mehreren Untersuchungen und Anklagen wegen Majestätsbeleidigung ging er noch ungeschoren heraus, aber 1896 erfolgte die Verurteilung zu drei Monaten Gefängnis, die Quidde auch in voller Länge absitzen mußte6. Daß es sich um eine Gefängnisstrafe handelte, und nicht um die „ehrenvolle“ Festungshaft, war eine zusätzliche kleine Rache der beleidigten Majestät und ihrer Justiz. Charakteristisch für die offiziöse Art von Heldenverehrung ist die 1911 erschienene Sammlung von Reden und Aufsätzen des damals in Hamburg tätigen Historikers Erich Marcks über Männer und Zeiten, in dem Kaiser Wilhelm, Bismarck und Roon, aber auch Sybel und Treitschke gefeiert wurden. Marcks befaßte sich mit dem „Königtum der großen Hohenzollern“, aber auch mit aktuellen politischen Fragen, die ihn als öffentlich wirkenden Publizisten auswiesen; etwa in dem 1903 gehaltenen Vortrag über „Die imperialistische Idee in der Gegenwart“. Für den heutigen Leser fast schon humoristischen Wert hat ein Aufsatz, der politische Aspiration und Anspruch des Bildungsbürgertums verbindet und der wohl keineswegs fehlen durfte: „Goethe und Bismarck“7. An Sybel lobt Marcks ausdrücklich dessen preußische Parteilichkeit und rügt nur, daß er Bismarck zu unschuldig, nicht schneidig genug geschildert habe8. In einem 1899 geschriebenen Aufsatz über „Das neue Deutschland und seine nationalen Historiker“ bespricht er ein Buch eines 4 5
6 7 8
„Kolonialpolitik und Reichsverfassung“, in: Die Nation, 2 (1884/85), Nr. 16, 214–217. Heinrich von Sybel, Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I. Vornehmlich nach den preußischen Staatsacten, 7 Bde., München 1889–1895; Heinrich von Treitschke, Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert, 5 Bde., Leipzig 1879–1894; und vor allem die im 3. und 4. Band der Aufsätze, Reden und Briefe. Hrsg. v. Karl Martin Schiller, 5 Bde., Meersburg 1929, versammelten Beiträge zur Zeitgeschichte. Noch in seinen Memoiren (Ereignisse und Gestalten aus den Jahren 1878–1918, Leipzig und Berlin 1922) bezeichnet Wilhelm II. seinen Großvater durchgängig als „Kaiser Wilhelm der Große“. Ludwig Quidde, Caligula. Eine Studie über römischen Cäsarenwahnsinn. 31. Auflage, ergänzt durch Erinnerungen des Verfassers. Im Kampf gegen Cäsarismus und Byzantinismus, Leipzig 1926, 44ff. Erich Marcks, Männer und Zeiten. Aufsätze und Reden zur neueren Geschichte, 2 Bde., Leipzig 1911. Außer deutschen „Helden“ werden beispielsweise auch Philipp II, Elisabeth, Ludwig XIV., der jüngere Pitt und andere überwiegend biographische Themen behandelt. Ebd., 1. Bd., 271.
5.1. Das Verhältnis von Wissenschaft, Politik und Publizistik
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französischen Historikers, der mit seinem demokratisch-liberalen Ideal den Realismus „der deutschen Patrioten und Historiker“9 nicht erkennen könne. Aus dem März 1898, zum Jahrestag der Revolution, stammt eine lange Abhandlung mit dem kurzen Titel „1848“10, die mit dem Bekenntnis beginnt, daß „die Geschichte der Revolutionsjahre den Eindruck von etwas entschieden Fremdem“ mache, altfränkisch-feierlich und zugleich im „selbstgewissen Demagogenstolze“11 daherkomme. Marcks ist nicht ohne Verständnis für die Ziele und Ideale von 1848, für den Wunsch nach Verfassung und politischer Einheit; er bemüht sich betont und bewußt, nicht ungerecht zu sein. Und trotzdem bleibt ihm immer wieder nur das Kopfschütteln über „die Naivität eines Beginnens, das in großen Fragen der Macht und der Welt starke Gegner mit Salven von tönenden Paragraphen niederzuschmettern vermeinte“12. An keiner Stelle regt sich ein Zweifel daran, daß inzwischen die rechten Mittel bekannt seien, um die Gegner niederzuschmettern, und die Überlegung, ob neben dem Niederschmettern nicht auch kooperativere Wege in der Politik möglich seien, scheint nicht einmal einer Widerlegung wert zu sein. In allen Arbeiten dieser Provenienz, für die Marcks hier nur als Beispiel steht, wurden die großen Liberalen des 19. Jahrhunderts mehr oder weniger als exzentrische und weltfremde Idealisten abgetan, und wurde vor allem der Einigungsversuch von 1848 als Irrweg belächelt. Preuß kannte einige dieser Männer noch aus eigener Bekanntschaft, die zum Teil bereits aus seinem großbürgerlich-weltoffenen Berliner Elternhaus herrührte. Seine eigene Liste der Helden sah anders aus als bei den großpreußischen Geschichtsschreibern, und Bamberger nahm einen hervorragenden Platz in ihr ein. 1884, als sich der von Bamberger angespornte Preuß neben seiner wissenschaftlichen Tätigkeit an die „Worthobelbank“ setzte, war dieser ungefähr so alt wie es der 1823 geborene Bamberger war, als das Parlament in der Paulskirche die Chance auf eine friedliche deutsche Einigung zu eröffnen schien. Bamberger selbst wurde 1849 für einen ausgeschiedenen Abgeordneten in das Parlament gewählt, nahm seinen Sitz in den turbulenten letzten Monaten der Paulskirche aber nicht mehr wahr. Aus einer international vernetzten jüdischen Bankiersfamilie stammend, konnte der linke Revolutionär seinen Häschern entgehen und wurde in Abwesenheit zu diversen Haftstrafen und zum Tode verurteilt. Bamberger verbrachte viele Jahre im Exil, bevor er 1863 nach Deutschland zurückkehrte. Hier nahm er sofort wieder eine führende Rolle im Liberalismus und auch als Abgeordneter ein, wobei er 1866/67 die realpolitische Wende zur Unterstützung des kleindeutschen
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Ebd., 302. Ebd., 199–243. Beide zitierten Stellen ebd., 199. Ebd., 222. Auf der Schlußseite seines Aufsatzes nimmt er die vergangene Zeit noch einmal in Schutz, resümiert aber auch: „Wir haben es heute besser; wir wohnen im festen Hause der Macht, und will’s Gott, so werden wir sie männlich mehren und gebrauchen.“ Ebd., 243.
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Bismarckstaates mitmachte13. Man geht wohl nicht fehl, wenn man annimmt, daß dieser Lebenslauf in seiner Mischung aus nüchternem Kalkül und Prinzipienfestigkeit, aus Bewährung in der bürgerlichen Welt und romantisch-revolutionärem Aufbegehren den jungen Preuß tief beeindruckte14. Daß sich ihre politischen Ziele später trennten, als der Manchester-Liberale Bamberger die sozialpolitische Wendung des Teils des Linksliberalismus, dem sich auch Preuß zugehörig fühlte, nicht mehr mitmachen konnte15, ändert hieran nichts. Bamberger und Preuß kamen beide aus dem gleichen Milieu, einem wirtschaftlich abgesicherten, zur reichen Oberschicht gehörenden jüdischen Bürgertum, das sich mehr und mehr auch intellektuellen Aufgaben widmete16. Dabei war der jüdische Aspekt ihrer Verbindung sicherlich der unwesentlichste für Hugo Preuß, dem jedes Denken und Handeln von Anfang an widerstrebte, das Individuen in Kategorien einordnete. Allenfalls dürfte die gemeinsame Religionszugehörigkeit bedeutet haben, daß beide ähnliche Widerstände erlebt hatten. Es war der liberale Held von 1848/49, den er in Bamberger bewunderte und den er über alle Heerführer und Staatenlenker der „Eisen und Schwert-Generation“ stellte. Ähnliches galt auch für den zweiten wesentlichen Mentor von Hugo Preuß, den Journalisten und Politiker Theodor Barth, dessen kleine „Freisinnige Vereinigung“
13 Vgl. hierzu, wie auch generell zum politischen Umfeld Bambergers nach 1849, Christian Jansen, Einheit, Macht und Freiheit. Die Paulskirchenlinke und die deutsche Politik in der nachrevolutionären Epoche 1849–1867, Düsseldorf 2000, hier 574ff. Siehe auch Benedikt Koehler, Ludwig Bamberger. Revolutionär und Bankier, Stuttgart 1999, 35ff. (zu 1848/49), 47 (zu Prozeß und Todesstrafe 1851), 51ff. (zum Exil) und 89ff. (zur Rückkehr nach Deutschland). 14 Eine umfassende, eher erzählende Biographie ist B. Koehler, Ludwig Bamberger. Solide und kritisch ist Marie-Lise Weber, Ludwig Bamberger. Ideologie statt Realpolitik, Stuttgart 1987. Das politische Scheitern Bambergers wird thematisiert in Stanley Zucker, Ludwig Bamberger. German Liberal Politician and Social Critic, 1823–1899, Pittsburgh 1975. Ein einfühlsamer Nachruf aus der Feder eines Mitstreiters ist Theodor Barth, Ludwig Bamberger, in: ders., Politische Porträts, Berlin usw. 1923, 29–37. 15 Vgl. M.-L. Weber, Ludwig Bamberger, 217ff. 16 Als Überblick siehe Th. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866–1918, Bd. I, 396ff. Für George L. Mosse, Das deutsch-jüdische Bildungsbürgertum, in: Reinhart Koselleck (Hrsg.), Bildungsbürgertum im 19. Jahrhundert. Teil II: Bildungsgüter und Bildungswissen, Stuttgart 1890, 168– 180, hier 170, wurde der Bildungsbegriff gar Teil der eigenen jüdischen Identität. Speziell zum hier interessierenden Problem siehe Peter Pulzer, Die jüdische Beteiligung an der Politik, in: Werner E. Mosse (Hrsg. Unter Mitw. V. Arnold Paucker), Juden im Wilhelminischen Deutschland 1890–1914, Tübingen 1976, 143–239. Vgl. zum neuesten Forschungsstand auch Ulrich Sieg, Jüdische Intellektuelle im Ersten Weltkrieg. Kriegserfahrungen, weltanschauliche Debatten und kulturelle Neuentwürfe, Berlin 2001, 23ff.; sowie als Überblick Till van Rahden, Von der Eintracht zur Vielfalt: Juden in der Geschichte des deutschen Bürgertums, in: Andreas Gotzmann, Rainer Liedtke und Till van Rahden (Hrsg.), Juden, Bürger, Deutsche. Zur Geschichte von Vielfalt und Differenz 1800–1933, Tübingen 2001, 9–31.
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die politische Heimat von Preuß wurde17. Dem 1849 geborenen Barth fehlte natürlich die Aura des Paulskirchen-Revolutionärs, aber auch er hatte seinen Teil am Aufbegehren gegen Autoritäten erfüllt. Die eine davon war Bismarck, dessen Politik Barth auf vielen Ebenen bekämpfte18. Die andere Autorität war Eugen Richter, der prinzipienfeste und vollkommen intransigente Vorkämpfer des Linksliberalismus19, der seinerseits nach außen ebenso scharf gegen Bismarck ankämpfte wie er nach innen die liberalen Zügel straff hielt. Barth wollte sich dem nicht unterordnen, und die erneute Spaltung des erst 1884 fusionierten Linksliberalismus und die Gründung der Freisinnigen Vereinigung 1893 lassen sich nicht zuletzt auf „Richters Parteidiktatur“20 zurückführen. Barth selbst hatte dem Reichstag mit Unterbrechungen seit 1881 angehört, also seit seinem 33. Lebensjahr – auch in dieser Hinsicht war er ein Vorbild für Hugo Preuß, für den sich in einer Zeit sinkender liberaler Wahlerfolge kein Mandat finden lassen wollte. Barth hatte als strenger Manchester-Liberaler begonnen und die gesamten 1880er Jahre hindurch gemeinsam mit Bamberger die Sozialgesetzgebung bekämpft, die für beide einen gefährlichen Irrweg des Staates hin zum Sozialismus bedeutete21. In den 1890ern jedoch begann Barth sich zu wandeln und eine kritischere Haltung gegenüber dem reinen Wirtschaftsliberalismus einzunehmen22. Gegen Ende seines Lebens trat er gegen „die absolutistischen Bestrebungen dieses Industriefeudalismus“23 und für eine
17 Zu Barth siehe Carlheinz Gräter, Theodor Barths politische Gedankenwelt. Ein Beitrag zur Geschichte des entschiedenen Liberalismus, Bad Mergentheim 1963; und v.a. Konstanze Wegner, Theodor Barth und die Freisinnige Vereinigung. Studien zur Geschichte des Linksliberalismus im wilhelminischen Deutschland (1893–1910), Tübingen 1968, die den hier entscheidenden Zeitraum untersucht. Zum Verhältnis von Barth und Preuß demnächst Lothar Albertin, Liberaler Revisionismus: Theodor Barth und Hugo Preuß, unveröff. Ms. 2000. Der Autor hat mir dankenswerterweise sein Manuskript zur Verfügung gestellt. 18 C. Gräter, Theodor Barths politische Gedankenwelt, 28. 19 Zu ihm siehe Ina Susanne Lorenz, Eugen Richter. Der entschiedene Liberalismus in wilhelminischer Zeit 1871–1906, Hagen 1981; und Hans-Peter Goldberg, Bismarck und seine Gegner. Die politische Rhetorik im kaiserlichen Reichstag, Düsseldorf 1998, 160ff. Goldberg gibt ein Wort Friedrich Naumanns wieder, der Richter als „Reichskritikus“ bezeichnete; ebd., 163. 20 K. Wegner, Theodor Barth und die Freisinnige Vereinigung, 11. 21 Ein konziser theoretisch wie politisch argumentierter Ausdruck hiervon ist Ludwig Bamberger, Theodor Barth, Max Broemel, Gegen den Staatssocialismus. Drei Abhandlungen, Berlin 1884 (zugleich Volkswirthschaftliche Zeitfragen, Heft 41/42; Jg. 6, H. 1/2 ). Bambergers Beitrag heißt „Die Invasion der socialistischen Ideen“ (5–30), Barth schrieb über „Die charakteristischen Züge des heutigen Staatssocialismus“ (31–44), und Broemel über „Die Vertheidigung der privaten Erwerbthätigkeit“ (44–80). Broemel war, wie seine beiden Mitautoren, Freisinniger Reichstagsabgeordneter, so daß die Schrift zugleich als programmatische Aussage der Partei gelten kann. 22 K. Wegner, Theodor Barth und die Freisinnige Vereinigung, 14ff. 23 Theodor Barth, Liberalismus und Sozialdemokratie, Berlin 1908, 21.
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„liberal-sozialistische Fortschrittspartei“24 ein, und auch diese politischen Zielvorstellungen lassen sich bei Hugo Preuß zeigen. 1909 hatte Preuß binnen weniger Wochen gleich zweimal die Gelegenheit, zur Würdigung seines Freundes und Vorbildes die Feder zu ergreifen. Auf die erste Rede hätte Preuß gerne verzichtet, denn es war eine Grabrede für den am 2. Juni 1909 verstorbenen Barth. Die zweite Gelegenheit war ein Artikel im Berliner Tageblatt zum 60. Geburtstag Barths, den dieser am 16. Juli hätte begehen sollen25. Bei der Trauerfeier für Barth traten nicht weniger als 13 Redner auf, die als Vertreter der verschiedenen linkliberalen politischen Vereinigungen auf lokaler, Staats- und Reichsebene sprachen, aber auch für die Sozialdemokratie, für den Verein zur Abwehr des Antisemitismus und für die ehemaligen Mitarbeiter der Nation. Preuß hätte seinerseits gleich in mehreren dieser Funktionen sprechen können, aber es ist bezeichnend für seine Stellung zu Barth, daß er „im Namen der engeren Freunde des Barthschen Hauses“26 sprach. Bei beiden Gelegenheiten schrieb Preuß außer über Barth eigentlich auch und hauptsächlich über das deutsche Volk, das es versäumt habe, die politischen Führungsqualitäten Barths zu erkennen. Der fehlende politische und demokratische Sinn des Volkes taucht auch hier als Thema wieder auf. Das machte es Preuß auch einfacher, die Ursachen für den letztlichen politischen Mißerfolg Barths und seiner Bestrebungen an anderer Stelle zu suchen. Besonders schmerzlich war es für Preuß, daß Barth 1903 aus dem Reichstag hatte ausscheiden müssen. Quantitativ spielte die Freisinnige Vereinigung im Reichstag zu keiner Zeit eine große Rolle; im politischen Spektrum weitgehend isoliert, vermochte sie kaum lukrative Stichwahlabkommen einzugehen und entsandte nie mehr als 9–14 Abgeordnete in den Reichstag. Diese allerdings übertrafen an intellektueller Kraft ihre zahlenmäßige Bedeutungslosigkeit bei weitem und konnten einige der wichtigsten Köpfe des Linksliberalismus in ihren Reihen vereinen, darunter neben Barth auch die Parteivorsitzenden Rickert und Schrader, sowie Georg von Siemens, Gothein, Pachnicke, Hänel, Karl Mommsen und Rudolf Roesicke27.
24 Ebd., 39. Ein Loblied auf die real funktionierende Demokratie ist auch Theodor Barth, Amerikanische Eindrücke. Eine impressionistische Schilderung amerikanischer Zustände in Briefen, Berlin 1907. 25 Die Ansprache ist wiedergegeben in „Die Trauerfeier in Heidelberg“, Mitteilungen aus dem Verein zur Abwehr des Antisemitismus, 10. Juni 1909, 172f. Der Geburtstagsartikel ist abgedruckt als „Zum sechzigsten Geburtstag Theodor Barths“, in: Staat, Recht und Freiheit, 550– 554. 26 „Die Trauerfeier in Heidelberg“, 172. 27 K. Wegner, Theodor Barth und die Freisinnige Vereinigung, 12. Zu den Mitgliedern zählten neben Hugo Preuß auch Theodor Mommsen, der Bremer Bürgermeister Otto Gildemeister, der Strafrechtler von Liszt, Brentano und von Schulze-Gävernitz; auch dies eine beeindruckende Liste bedeutender Köpfe. Vgl. auch E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte IV, 83ff., wo die kurzlebigen linksliberalen Parteien und ihr wechselndes Personal knapp entwirrt werden.
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Was man im Parlament mangels Stärke nicht erreichen konnte, versuchte Barth, der selbst „ein glänzender Stilist“28 war, auf anderem Wege anzustreben. Schon 1883 hatte er die Nation gegründet und zu einer hochklassigen politischen Zeitschrift gestaltet. Klarheit der liberal-demokratischen Linie, sprachliche Brillanz und Engagement der Nation lassen nichts zu wünschen übrig und bringen auch nüchterne Historiker zum Schwärmen29. Aber zu einer Zeitschrift gehören auch Leser, und davon hatte die Nation nie mehr als 300030. Zwei dieser Leser waren immerhin Kronprinz Friedrich Wilhelm, der mit Bamberger eng verbunden war, und seine Gattin Viktoria. Die Nation war ein geistiges Zentrum der liberalen Gruppe, die auf den Regierungsantritt des Kronprinzen wartete und große, vielleicht auch unrealistische Hoffnungen damit verknüpfte. Barth hat dem Kaiser der 99 Tage eine schmerzerfüllte Gedenkrede gehalten31. Umgekehrt hat Viktoria, die „Kaiserin Friedrich“, die Zeitschrift Barths zu schätzen gewußt, auch wenn ihre Charakterisierung ein wenig an den Fuchs und die Trauben erinnert: Die Artikel der ‚Nation‘ sind zu superior, um dem großen Publikum zu gefallen; sie reden zu einer kleinen Gemeinde, der Elite der Patrioten, und man muß zufrieden sein, wenn sie in ihrer Wirkung nur in die Tiefe, nicht in die Breite gehen.32
Pressehistoriker, die eher auf Verbreitung als auf Inhalte schauen, nehmen die geringe Leserzahl zum Anlaß, die Nation als bedeutungslos abzutun33. Das geht sicherlich zu weit, aber es läßt sich nicht übersehen, daß die Nation nie die breite Wirkung hatte, die ihr Gründer und die ihre Geldgeber entgegen dem Verdikt der 28 K. Wegner, Theodor Barth und die Freisinnige Vereinigung, 10. Vgl. auch Ernst Feder, Theodor Barth als Porträtist, in: Th. Barth, Politische Porträts, 5–10. 29 C. Gräter, Theodor Barths politische Gedankenwelt, 6, nennt die Nation eine „kaum auszuschöpfende Quelle“, und K. Wegner, Theodor Barth und die Freisinnige Vereinigung, 11, spricht von der „geistvollsten und geschliffensten Wochenschrift des deutschen Liberalismus“. 30 K. Wegner, Theodor Barth und die Freisinnige Vereinigung, 11. 31 Theodor Barth, Kaiser Friedrich III. Gedächtnisrede, gehalten am 18. Oktober 1888, in: ders., Politische Porträts, 21–27. Skeptisch zu den Hoffnungen der Liberalen E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte IV, 175ff. 32 Zitiert in E. Feder, Theodor Barth als Porträtist, 10. Feder dürfte der Kaiserin zugestimmt haben; er selbst nannte die Nation „die beste politische Zeitschrift, die Deutschland besessen hat“. Ernst Feder, Politik und Humanität. Paul Nathan. Ein Lebensbild, Berlin 1929, 30. 33 Bei Kurt Koszyk, Deutsche Presse im 19. Jahrhundert – Geschichte der deutschen Presse, Teil II, Berlin 1966, 159 und 224, ist die Nation nur am Rande erwähnt, bei Joachim Kirchner, Das deutsche Zeitschriftenwesen. Seine Geschichte und seine Probleme, 2. Aufl., 2 Bde., Wiesbaden 1958 und 1962, überhaupt nicht. Harry Pross, Literatur und Politik. Geschichte und Programme der politisch-literarischen Zeitschriften im deutschen Sprachgebiet seit 1870, Freiburg i.Br. 1963, 41, zählt die Nation „zu den sporadischen Erscheinungen des Zeitschriftenwesens, denen es nicht gelingt, eine aktive Minorität um sich zu versammeln. Sie hören die Signale der sozialen Entwicklung, geben sie wieder; aber sie können noch nicht sagen, woher sie kommen, und sind schon gar nicht in der Lage, sie gruppenspezifisch zu deuten. Infolgedessen glaubt kaum einer an sie.“ Technische Informationen zum Erscheinen der Nation bieten Thomas Dietzel und Hans-Otto Hügel, Deutsche Literarische Zeitschriften 1880–1945, 3. Bd., München usw. 1988, 846.
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Kaiserin Friedrich wohl erhofft hatten. Immerhin blieb die Zeitschrift über 24 Jahre hinweg ein kritischer Begleiter der Politik des deutschen Kaiserreiches. Und sie war die wichtigste Bühne für Preuß’ publizistische Tätigkeit, der sich bei der Nation in der Gesellschaft von Mitautoren wie Bamberger, Virchow, Hänel, Schrader, Mommsen und Rickert befand – bereits mit seinen ersten publizistischen Gehversuchen stand Preuß damit neben den geistig führenden Vertretern des politischen und wirtschaftlichen Liberalismus. Die Verbindung zur Nation erlosch auch nicht, nachdem die Zeitschrift 1907 ihr Erscheinen einstellen mußte. Noch viel später, schon in der Weimarer Republik, unternahmen Hugo Preuß, sein enger politischer und persönlicher Freund Paul Nathan und der liberale Diplomat Johann Graf Bernstorff einen gescheiterten Versuch zur Neugründung der Nation34. Nachdem er sein bisheriges Forum verloren hatte, wandte sich Preuß ab 1908/09 mehr und mehr in Tageszeitungen an das liberale Publikum, wobei den großen Blättern des Linksliberalismus, dem „Berliner Tageblatt“35, der „Frankfurter Zeitung“36, der „Vossischen Zeitung“37 und dem „Berliner Börsen-Courier“38 die meisten Artikel zukamen. Mit der offensichtlichen Ausnahme der Frankfurter waren alle diese in ganz Preußen und im ganzen Reich gelesenen Zeitungen in Berlin beheimatet39, so daß Preuß über diese Medien zugleich auf die Reichspolitik wie auf die Berliner Lokalpolitik wirken konnte. Er hat diese Art der Meinungsäußerung, bei der er seine polemisch-satirische Ader frei entfalten konnte, immer mehr intensiviert. Vor 1918 sind es auch während des Krieges scharfe Artikel gegen die Auswüchse des Obrigkeitsstaates, nach dessen Zusammenbruch ist es die Verteidigung der Republik, der seine Zeitungsbeiträge dienen. Und einer dieser Artikel, der mitten in den Revolutionswirren am 14. November 1918 im Berliner Tageblatt erschienene „Volksstaat oder verkehrter Obrigkeitsstaat?“ bekam historische Bedeutung. Die direkte politische Folge dieses Artikels war Preuß’ Berufung in die Regierung und die Betrauung mit der Ausarbeitung des Verfassungsentwurfs. Die aktive Politik war von Anfang an die dritte Säule der Tätigkeit Preuß’ gewesen. 1895 wurde der fünfunddreißigjährige Privatdozent das jüngste Mitglied der 34 E. Feder, Politik und Humanität, 125. 35 Vgl. Gotthart Schwarz, Berliner Tageblatt (1872–1939), in: Heinz-Dietrich Fischer (Hrsg.), Deutsche Zeitungen des 17.–20. Jahrhunderts, Pullach 1972, 315–327. Generell zur liberalen Presse im Kaiserreich siehe K. Koszyk, Deutsche Presse im 19. Jahrhundert II, 139ff.; und Heinz-Dietrich Fischer, Handbuch der politischen Presse in Deutschland 1480–1980, Düsseldorf 1981, 219ff. 36 Vgl. Kurt Paupie, Frankfurter Zeitung (1856–1943), in: H.-D. Fischer (Hrsg.), Deutsche Zeitungen des 17.–20. Jahrhunderts, 241–256. 37 Vgl. Klaus Bender, Vossische Zeitung, Berlin (1617–1934), in: ebd., 25–39. 38 Vgl. Ulla C. Lerg-Kill, Berliner Börsen-Courier (1868–1933), in: ebd., 241–256. Der BBC war keineswegs nur eine Wirtschaftszeitung, sondern spielte auch eine gewichtige Rolle im publizistischen Liberalismus. 39 Zur Dominanz der Berliner Zeitungen in der deutschen Presselandschaft siehe K. Koszyk, Deutsche Presse im 19. Jahrhundert II, 159ff.
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Berliner Stadtverordnetenversammlung, in der er schnell zu einem der profiliertesten Vertreter der linksliberalen Opposition heranwuchs. Seine Reden vermitteln auch dem heutigen Leser den Eindruck einer ausgefeilten, rhetorisch wirksam vorgetragenen Polemik, die ihre Wirkung auf die unmittelbaren Zuhörer nicht verfehlte. Die Stenographischen Protokolle der Stadtverordnetenversammlung verzeichnen selbst bei trockenen Themen der Budgetberatungen an zahllosen Stellen „Heiterkeit“40. Es ist folgerichtig für Preuß, daß sein fachwissenschaftliches Interesse, wenigstens was das Schreiben umfangreicher staats- und verwaltungsrechtlicher Bücher angeht, in dem Moment zum Erliegen kommt, in dem er 1910 als Stadtrat in den Berliner Magistrat gewählt wird und damit noch viel enger mit der Kommunalpolitik befaßt ist, als dies vorher schon der Fall war. Ebenso folgerichtig ist es aber auch, daß Preuß sich erst in dem Moment wieder intensiv der Wissenschaft zuwendet, in dem er die Hoffnungen auf eine weitere politische Laufbahn in der DDP, die seinen Ehrgeiz befriedigen konnte, aufgegeben hat. Den Wandel der Öffentlichkeit und der Publizität vom „Prinzip der Kritik“ zum „Prinzip der Integration“ hat Jürgen Habermas ausführlich beschrieben41. Seine Überlegungen über die Öffentlichkeit im Obrigkeitsstaat beziehen sich überwiegend auf frühere Epochen als die von Preuß, aber auch zu dessen Zeit spielte das Prinzip der Kritik immer noch eine entscheidende Rolle; vor allem für den von politischer Verantwortung ausgeschlossenen Teil des politischen Publikums. Die Verbindung von Wissenschaft und Politik findet sich vor allem im 19. Jahrhundert in dem Typus des „politischen Professors“ verkörpert, und auch unter Preuß’ Zeitgenossen gab es mit Gneist, Hänel und Virchow prominente Gelehrte, die zugleich maßgeblich die Politik ihrer Parteien in den Parlamenten beeinflußten42 in beiden Bereichen. Auch einige Gelehrte, die nicht oder nur kurzzeitig Parlamentsmandate anstrebten und hielten, hatten das Bedürfnis und die Fähigkeit, den öffentlichen Diskurs politisch zu beeinflussen. Das gilt etwa für Historiker wie Sybel und Treitschke, die in diesem Kontext bereits genannt wurden, aber auch für Hans Delbrück, den Herausgeber der Preußischen Jahrbücher, und Ludwig Quidde, der vor allem mit seiner Schrift über den Cäsarenwahn des Caligula und dem darin kaum verborgenen Portrait Wilhelms II. die Grenzen zwischen Wissenschaft 40 Am 10.2. 1908 hielt Preuß in der Sitzung der Stadtverordneten eine Budgetrede, die an 11 Stellen von „Heiterkeit“ unterbrochen wurde. Preuß selbst kommentierte selbstironisch am 8.1. 1918 in einem Brief an seinen Sohn Ernst, der als Soldat an der Westfront lag: „Auf meinen Stil bilde ich mir ja höllisch viel ein; aber so eine scheinbar glatt hingeschmissene Periode ist auch meist höllisch durchgeknetet. Nur mach ich’s nicht auf dem Papier, sondern im Kopf. Aber das ist individuell, wie ich auch niemals nach irgendeiner Disposition gearbeitet habe; was ich durchaus nicht zur Nachahmung empfehle.“ Der Brief ist zitiert bei G. Gillessen, Hugo Preuß, 206, Fn. 11. 41 J. Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, 307 und passim. 42 Als Überblick hierzu mit umfassendem tabellarischem Material Bernhard vom Brocke, Professoren als Parlamentarier, in: Klaus Schwabe (Hrsg.), Deutsche Hochschullehrer als Elite. 1815–1945, Boppard a.Rh. 1988, 55–92.
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und Publizistik mit Mut zum persönlichen Risiko überschritt43. Völkerrechtler wie Walther Schücking, Hans Wehberg und auf seine Art auch Philipp Zorn gingen alle über ihr engeres Fach hinaus, um mit der Autorität ihrer universitären Stellung in der Öffentlichkeit Position zu beziehen. Aber die Regel war eine solche Vorgehensweise keineswegs, und Preuß hat sich schon 1892 im Berliner Tageblatt über das schlechte Verhältnis von Staatswissenschaft und Politik geäußert, vielleicht unter dem Eindruck praktischer Erfahrungen, die der nach einer Professur strebende Privatdozent und liberale Publizist in der Berliner Kommunalpolitik gemacht hatte: Da äußert sich vielfach die wunderlichste gegenseitige Abneigung, ja Verachtung. Dem Gelehrten, der die theoretische Erkenntniß des staatlichen Lebens zu seinem Berufe gemacht hat, verzeiht man es nur unter gewissen mildernden Umständen – die wesentlich von der ‚Opportunität‘ seiner Ansichten bedingt sind –, wenn er ‚in das Getriebe der Tagespolitik hinabsteigt‘; – als ob es praktisch eine andere, als Tagespolitik gäbe. Andererseits ist es im politischen Kampfe ein beliebtes und wirksames Mittel, den Gegner als Theoretiker zu verrufen; – als ob das ein vernichtender Vorwurf wäre, und die wissenschaftliche Begründung einer politischen Meinung ihre Irrigkeit bewiese.44
Beide „Vorwürfe“ paßten auf Preuß selbst in besonderer Weise, und sie wurden auch deshalb oft genug gegen ihn gerichtet, weil bei ihm von der „Opportunität seiner Ansichten“ weder wissenschaftlich noch politisch gesprochen werden konnte. Zu den angepaßten Intellektuellen des Mandarinentums, wie Fritz Ringer in der kritischsten Studie zum Thema die Professorenschaft im Wilhelminismus und danach bezeichnete45, gehörte Preuß niemals. Als Staatswissenschaftler war er in steter organischer Opposition zur Laband-Schule, und selbst mit Gierke zog er keineswegs immer am gleichen Strang. Als Publizist richtete er heftige Angriffe auf den wilhelminischen Obrigkeitsstaat, und politisch stand er sein ganzes Leben hindurch 43 Ludwig Quidde, Caligula. Eine Studie über römischen Cäsarenwahnsinn, 4. Aufl., Leipzig 1894. Die Schrift ist zuletzt neuaufgelegt worden als Caligula. Schriften über Militarismus und Pazifismus. Mit einer Einleitung hrsg. von Hans-Ulrich Wehler, Frankfurt a.M. 1977. Vgl. hierzu Karl Holl, Hans Kloft und Gerd Fesser, Caligula – Wilhelm II. und der Caesarenwahn. Antikenrezeption und wilhelminische Politik am Beispiel des „Caligula“ von Ludwig Quidde, Bremen 2001. Zum Skandal kam es, als die Kreuzzeitung das bis dahin wenig beachtete Pamphlet als „elendes Machwerk“ geißelte („Caligula“, in: KZ, Nr. 226, 18.5. 1894, M). In rascher Folge erschienen 30 Auflagen. Quidde selbst hat die Zerstörung seiner beruflichen Karriere, die staatliche Verfolgung, aber auch die soziale Ächtung durch seine Fachkollegen geschildert in der 1926 erschienenen 31. Auflage seines Caligula. Zu Quidde als Historiker siehe auch Reinhard Rürup, Ludwig Quidde, in: Hans-Ulrich Wehler (Hrsg.), Deutsche Historiker, Göttingen 1973, 358–381. Utz-Friedebert Taube, Ludwig Quidde. Ein Beitrag zur Geschichte des demokratischen Gedankens in Deutschland, Kallmünz 1963, 32ff. 44 „Naturgesetze der Politik?“, in: Der Zeitgeist. Beiblatt zum BT, Nr. 1 (4.1.1892). 45 Fritz K. Ringer, Die Gelehrten. Der Niedergang der deutschen Mandarine. 1890–1933, München 1987 (erstmals englisch 1969). Vgl. auch Ringers Aufsatz ‚Das gesellschaftliche Profil der deutschen Hochschullehrerschaft‘, in: K. Schwabe (Hrsg.), Deutsche Hochschullehrer, 93–104; und Rüdiger vom Bruch, Historiker und Nationalökonomen im Wilhelminischen Deutschland, in: ebd., 105–150.
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in doppelter Opposition, die über die Auseinandersetzung mit dem Konservativismus in seinen verschiedenen Erscheinungsformen noch hinausreichte. Selbst innerhalb der liberalen Bewegung gehörte Preuß mit seinem dezidierten, theoretisch begründeten und an praktischen Fragen durchgeführten Linksliberalismus stets zu einer kleinen Minderheit, sei es in der liberal beherrschten Berliner Stadtverordnetenversammlung, sei es später im Vorstand der DDP. Auf allen Gebieten war Preuß bereit, für seine Prinzipien intellektuell rigoros einzustehen. Daraus sprach kein sturer Dogmatismus, wohl aber eine heftige Abneigung gegen „das Kompromisseln“, das er gerade seinen Parteifreunden vorwarf: Das Kompromiß kann das Ende eines ernsten Kampfes für das Prinzip sein; das Prinzip des Kompromisses vor dem Kampf ist die Kapitulation.46
Wie ein roter Faden zieht sich durch das ganze politische Leben von Preuß der Versuch, die Deutschen und vor allem das deutsche Bürgertum aufzurütteln und zu einer politischen Klasse zu erziehen, die sich den Ideen von 1789 stellte47 und ihre eigene politische Aufgabe begriff und auch durchführte: die Umwandlung des überlebten Obrigkeitsstaates in den Volksstaat, in dem von ihm geprägten Begriffspaar. Die obrigkeitliche Beamtenregierung war eben nicht das Organ eines nationalen Gemeinwillens; gäbe es diesen, gäbe es jene nicht48. Besonders ab 1914, als es nicht mehr um die mehr oder minder große Bewegungsfreiheit städtischer Schulverwaltungen gegenüber der staatlichen preußischen Kultusbürokratie und Aufsichtsbehörde ging, sondern um die von Preuß deutlich gesehene Unterlegenheit eines auf obrigkeitlicher Autonomie beruhenden Staates gegenüber den freiheitlichen Demokratien des Westens, nehmen die patriotisch inspirierten Warnungen Preuß’ einen immer drängenderen Ton an. Vor allem ist es das weitverbreitete Buch „Das deutsche Volk und die Politik“, das in vielen Auflagen ab 1915 das Preußsche Gegensatzpaar Obrigkeitsstaat/Volksstaat allgemein bekannt machte. Die unerbittliche und blindwütige Kriegspropaganda beider Seiten empfand Preuß gerade deshalb als maßlos überzogen und verfehlt, weil ihm der Weltkrieg als europäischer Bürgerkrieg erschien49. 46 Beide Stellen „Der Liberalismus im Block“, in: Der Morgen. Wochenschrift für deutsche Kultur, Jg. 1907, 568–570, hier 570. 47 Preuß hatte schon sehr früh die Ideen von 1789 gebührend auch in ihrer Bedeutung für die von ihm gewünschte und für notwendig gehaltene deutsche Entwicklung gewürdigt. Ihr Kern sei die „Befreiung des Individuums in öffentlichen, in politischen, wirtschaftlichen und religiösen Dingen“, und genau darum ging es bei der Errichtung des Volksstaats; „Die Jubelfeier der französischen Revolution“, in: Staat, Recht und Freiheit, 538–550 (erstmals Deutsches Montagsblatt 1888), hier 548. 48 „Verwaltung“, in: Das Jahr 1913. Ein Gesamtbild der Kulturentwicklung. Hrsg. v. Dr. D. Sarason, Leipzig u. Berlin 1913, 112–121, hier 116f. 49 1916 schreibt er („Die Legende vom Störenfried“, in: Staat, Recht und Freiheit, 252–273 [erstmals Internationale Rundschau 1916], hier 264) über die antideutsche französische Propaganda: „Das Schmerzlichste an solcher Art der Argumentation ist nicht, daß sie dem Gegner unrecht tut; dafür ist ihre Falschheit allzu handgreiflich. Aber sie ist aus einer Stimmung blinder Wut geboren, die keinen Blick mehr hat für die Unhaltbarkeit der Beweise, die ja doch
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Der Mißerfolg, den diese publizistischen Rufe nach Reformen im Lande der in sich selbst ruhenden Obrigkeit hatten, war vermutlich keine Überraschung für Preuß, zumal viele in ähnliche Richtung zielende Publizisten gleichfalls ungehört blieben50. Weniger schmerzlich war der Mißerfolg darum nicht. Die Klage über die politische Unfähigkeit der Deutschen zieht sich durch das ganze Werk Preuß’ hindurch: Die Ursache von Niedergang und Elend war und ist immer wieder ausschließlich politischer Natur. Immer wieder zeigt die deutsche Geschichte, daß einem Volke, das sein politisches Schicksal nicht zu gestalten, seine politische Lebensform nicht zu finden weiß, wirtschaftliche und geistige und kriegerische Tüchtigkeit keine Frucht trägt, daß ihre Blütenansätze vor der Reife zerschlagen werden, und daß das nationale Unglück verbittert wird durch den schmerzlichen Gegensatz zwischen dem, was dies Volk nach seinen sonstigen Kräften sein könnte, und was es infolge seiner politischen Unfähigkeit ist.51
Die hiermit verbundenen historischen Probleme werden mit dem Ende des Obrigkeitsstaates besonders gefährlich für die Zukunft des deutschen Volkes52, aber das erste Auftreten des Phänomens ist weit früher anzusetzen. Diese konstatierte
nur dartun sollen, was für sie gar keines Beweises bedarf: daß einzig der Gegner der Sündenbock ist.“ Umgekehrt galt dies ebenso. 50 Das bekannteste Beispiel ist sicherlich die 1917 in der Frankfurter Zeitung erschienene Artikelserie von Max Weber, Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland, in: ders., Gesammelte Politische Schriften, hrsg. v. Johannes Winckelmann, 5. Aufl., Tübingen 1988, 306–443; auch als kritische Edition in Max Weber, Zur Politik im Weltkrieg. Schriften und Reden 1914–1918 (Max Weber Gesamtausgabe, Abt. 1, Bd. 15), hrsg. von Wolfgang J. Mommsen in Zusammenarbeit mit Gangolf Hübinger, Tübingen 1984, 421–596. Ich zitierte weiter nach der Winckelmann-Ausgabe. 51 „Verfassungspolitische Entwicklungen in Deutschland und Westeuropa“, 165. Vgl. auch „Das deutsche Volk und die Politik“ und „Der deutsche Nationalstaat“, beide passim. 1908 schreibt Preuß in „Verwaltungsreform und Politik. Eine Säkularbetrachtung“, in: HfP, 1. Bd., 95–126, hier 96: „Seltsam, daß man das unpolitischste aller Kulturvölker immerfort vor der bösen Hexe Politik warnen zu müssen glaubt, während doch gerade das ewige Weh und Ach unseres deutschen öffentlichen Lebens seit Jahrhunderten sich aus dem einen Punkte eines beispiellosen Mangels an politischem Sinn im deutschen Volke erklärt.“ 52 Besonders prägnant greift Preuß das Thema wieder auf in „Vom Obrigkeitsstaat zum Volksstaat“, in: G. Anschütz et al. (Hrsg.): Handbuch der Politik, 3. Aufl., 3. Bd., Berlin u. Leipzig 1921, 16–26, hier 22. Das deutsche Volk sei in der Vergangenheit stets unpolitisch gewesen; heute jedoch „bedeutete dies den verzweifelten Verzicht auf jede politische Zukunft. Weil sich das deutsche Volk von jener Anschauung beherrschen ließ, ist es auch einer äußerlich glänzenden, aber eben innerlich hohlen Machtstellung in tiefstes Elend herabgestürzt; alle Errungenschaften seiner sonstigen tüchtigen Kraft sind durch seine politische Unfähigkeit und Gleichgültigkeit nach der fleißigen Arbeit von Generationen mit einem Schlage vernichtet worden. Inmitten unserer heutigen Staatenwelt kann ein Staatsvolk, das als solches leben will, so wenig auf politische Selbstbetätigung und Selbstbestimmung verzichten wie der Mensch aufs Atmen. Die Behauptung, daß unter allen Völkern unseres Kulturkreises nur gerade das deutsche zu solcher Politisierung unfähig sei, spricht ihm also die politische Lebensfähigkeit überhaupt ab.“
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politische Unfähigkeit, dieses Desinteresse eines unpolitischen Volkes an der Gestaltung seines eigenen Schicksals53 wird von Preuß durch die ganze Geschichte hindurch als die Hauptursache dafür angesehen, daß alle hoffnungsvollen Reformansätze in Deutschland gescheitert sind. Das gilt für die Niederlage der Städte gegenüber dem aufkommenden Fürstenstaat54, das gilt für die Reformation und die Bauernkriege55, das gilt für die mangelnde Reaktion auf die Chancen von 178956, das gilt für den von den Fürsten, nicht aber vom Volk ausgenutzten Sieg über Napoleon57 und das gilt für die mißlungene Einigungsbewegung von 184858. Demgegenüber sind alle Reformen, die tatsächlich und langfristig etwas bewirkt haben,
53 Souverän und differenziert hierzu nach wie vor Fritz Stern, Die politischen Folgen des unpolitischen Deutschen, in: Michael Stürmer (Hrsg.), Das kaiserliche Deutschland. Politik und Gesellschaft 1870–1918, Düsseldorf 1970, 168–186. 54 Vgl. hierzu oben die Abschnitte über Preuß’ Geschichtsschreibung der deutschen Städte. 55 Die Trennung der politischen Erhebung der Bauern von der Reformation habe beider Schicksal besiegelt: „Ein politisch begabtes Volk hätte wohl trotz alledem die Einheit im Notwendigen gefunden. Gerade an dieser Quintessenz aller politischen Intuition, aus dem Widerstreit mannigfaltiger Einzelinteressen das eine, was allen not tut, als das einigende Hauptinteresse herauszufühlen und mit elementarer Kraft zu ergreifen, daran hat es leider dem deutschen Volke zu allen Zeiten gefehlt. Vielleicht war es der Erreichung dieses Zieles niemals so nahe wie in jener kritischen Epoche. Alle Vorbedingungen schienen erfüllt, um eine große politische und soziale Umwälzung, wie sie England im 17., Frankreich im 18. Jahrhundert erlebt hat, in Deutschland schon im 16. Jahrhundert heraufzuführen. Indem nunmehr die populäre Autorität des Reformators sich von der populären Bewegung trennte und dem Fürstentum anschloß, ging ihre selbständige politische Bedeutung und damit der einigende Mittelpunkt der Erhebung verloren. Diese zersplitterte sich wieder nach deutscher Art in partikularistische Einzelbewegungen, die eine leichte Beute der bestehenden Gewalten wurden.“ ‚Entwicklung des deutschen Städtewesens‘, 115f. 56 „Lessing bedauert die politische Zerrissenheit Deutschlands hauptsächlich deshalb, weil dadurch das deutsche Nationaltheater unmöglich gemacht wird.“ Und zu den Briefen „der erlauchtesten Geister der Zeit“ bemerkt Preuß, daß in ihnen die Revolutionskriege zwischen Frankreich und Europa „einen weit geringeren Raum beanspruchen, als Zwiebacksendungen und Wohnungsmiethe, daß der Kriegsleiden, von denen die schwäbische und fränkische Heimath betroffen wurden, mit einem flüchtigen Worte Erwähnung geschieht, hauptsächlich weil buchhändlerische Sendungen dadurch behindert werden, und man sich dann sofort mit concentrirtestem Interesse einer Untersuchung über das Wesen der Ballade u. dergl. zuwendet“. Alle Stellen „Deutschland und sein Reichskanzler“, 13. 57 Zur Volkserhebung von 1813: „(I)n Deutschland ereignete sich etwas, das einer Revolution zum Verwechseln ähnlich sah. Freilich, das Ende entsprach völlig der Stufe politischer Reife, auf welcher das gute deutsche Volk stand. Das Volk war siegreich und – beugte sich.“ Ebd. 58 „In eine kurze Zeitspanne zusammengedrängt, wiederholt sich hier noch einmal ein ganz analoger Prozeß des Unterliegens der Städte gegenüber den agrarischen Mächten, wie er sich drei Jahrhunderte zuvor im alten Reiche vollzogen hatte. Wie damals, so trat auch jetzt wieder die geringe Fähigkeit der höheren Schichten des deutschen Bürgertums zur politischen Führung der Massen unverkennbar und verhängnisvoll hervor.“ ‚Entwicklung des deutschen Städtewesens‘, 333.
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in Deutschland von oben her angeordnet und durchgeführt worden59. Diese Auflistung von versäumten Gelegenheiten klingt stark nach einem Plädoyer in der Sonderwegsdebatte, die seit vielen Jahren und in verschiedenen Wellen unter den deutschen Historikern geführt wurde. Auch die internationale Geschichtswissenschaft hat sich an dieser Debatte beteiligt und in einzelnen Fällen, wie bei David Blackbourn und Geoff Eley, sogar wesentliche Anstöße für die deutschen Diskussionen gegeben60. Hier können die vielschichtigen Argumentationslinien nicht einmal angerissen werden61, aber es besteht kein Zweifel, welche Position Preuß in dieser Debatte eingenommen hätte. Seine durchweg negative Bilanz gilt in erster Linie dem deutschen Bürgertum, das für Preuß vollkommen versagt hat und weit hinter seinen Klassengenossen in Frankreich und England zurückgeblieben ist. Politisch verantwortliche Regierung gibt es nur, wo es auch eine politisch verantwortliche Alternative zur Regierung gibt, aber genau diese Alternative zum Obrigkeitsstaat hat das deutsche Bürgertum nie wirklich zu entwickeln vermocht62. 1907, also zu Beginn des von ihm heftig 59 Etwa „Der Liberalismus im Block“, 568: „Von unten geschieht bei uns in der praktischen Politik niemals etwas.“ Oder „Vom Obrigkeitsstaat zum Volksstaat“, 17: „Hier hat sich regelmäßig nicht das Staatsvolk seine Dynastie gegeben; sondern die Dynastie ist älter als der Staat.“ Oder „Zur sozialen Entwicklungstendenz städtischer Selbstverwaltung“, 860: „Der dem deutschen Volke eigne Mangel an politischer Initiative und Schlagkraft bekundet sich auf allen Stufen seiner geschichtlichen Entwicklung. Alle entscheidenden Neugestaltungen seines politischen Daseins sind ihm in ihrer endgültigen und dauerhaften Form schließlich stets von oben her oktroyiert worden. Auch wenn starke populäre Strömungen nach dem gleichen Ziele gingen, vermochten doch nicht sie, sondern nur die obrigkeitliche Macht es zu verwirklichen.“ Preuß nennt die Reformation, die Bauernbefreiung, die Städteordnung, die Verfassungen der deutschen Staaten und die Reichseinheit. Vgl. auch „Entwicklung des deutschen Städtewesens“, 289; und „Deutschlands innerpolitisches Elend und die Verfassungspartei“, BT, Nr. 323 (23.7.’22) M. 60 Vgl. nur David Blackbourn und Geoff Eley, The Peculiarities of German History. Bourgeois Society and Politics in Nineteenth-Century Germany, Oxford und New York 1984. 61 Einen Überblick über die Entwicklung der Diskussion und den Stand der Forschung vermittelt Hans-Peter Ullmann, Politik im Deutschen Kaiserreich 1871–1918, München 1999, 53ff. In einer passionierten Kritik der Sonderwegsthese gipfelt die abschließende Betrachtung in Th. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866–1918, Bd. II, 877ff. 62 Im Kaiserreich mußten sich die Bürger entscheiden zwischen einem Bündnis mit den „unheimlichen Massen“ oder mit dem „Obrigkeitsregiment unter Bismarcks überlegener Führung, das alle politisch-liberalen und parlamentarischen Bestrebungen schroff abwies, aber einen sicheren Schutz gegen die Begehrlichkeit jener Massen verhieß. ... Vor solche Wahl gestellt, verzichtete die große Mehrzahl des deutschen Bürgertums ohne allzu arge Selbstüberwindung auf ihre alten staatspolitischen Aspirationen und duckte sich angstvoll unter den mächtigen Schutz eines starken Obrigkeitsregiments, das ihm die gefährliche Verantwortlichkeit parlamentarischer Selbstregierung abnahm und es nach altgewohnter Arbeitsteilung seinen wirtschaftlichen Geschäften ungestört nachgehen ließ. Nur in der Art der Unterwerfung unterschieden sich zwei Richtungen. Die eine, die sich hauptsächlich auf die oberen Schichten stützte, vollzog den Anschluß nach rechts ziemlich rückhaltlos, warf die alten Grundsätze mit Begeisterung über Bord ... und bemühte sich, alle Schwenkungen und Wendungen der Regierungspolitik möglichst rasch mitzumachen, wenn sie dabei auch gelegentlich ins Stolpern
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abgelehnten „Bülow-Blocks“, beklagt Preuß die „unerschütterliche Apathie“ des Bürgertums im Ertragen von Zurückdrängung63, und auch Max Weber hatte schon 1895 die Frage gestellt und verneint, „ob das Bürgertum Deutschlands heute reif ist, die politisch leitende Klasse der Nation zu sein“64. Auch später kam Preuß immer wieder auf dieses Thema zurück, denn nachdem Bürger und Adel die Aufgabe versäumt hatten, den Parlamentarismus tragfähig zu entwickeln, mußte Weimar die Folgen davon tragen, da „aus dem Krypto-Absolutismus des früheren Zustandes ... der Übergang sofort zu dem scharf ausgeprägtesten demokratischen Parlamentarismus gefunden werden [mußte]“65. War das Bürgertum von echter politischer Verantwortung im wesentlichen ausgeschlossen, so galt dies natürlich noch stärker für die Arbeiterpartei SPD, wobei noch die wechselseitigen Berührungsängste der beiden ausgeschlossenen Gruppen untereinander hinzukamen. Preuß selbst mußte hier – wie gleich zu zeigen sein wird – ebenfalls einen Lernprozeß durchmachen. Dabei blieb er, anders als viele anderer bürgerlicher Intellektuelle, ein Liberaler und schloß sich nicht selbst der Sozialdemokratie an. Doch die Beschäftigung mit sozialdemokratischer Kommunalpolitik führte Preuß zu einer differenzierteren Auffassung der anfänglich skeptisch beurteilten Arbeiterpartei, und so sah er in der grundsätzlichen Ausschließung der Sozialdemokraten von verantwortlicher Politik einen erneuten Beleg der deutschen und vor allem wieder der bürgerlichen Politikunfähigkeit. Im Berliner Tageblatt, dessen Chefredakteur Theodor Wolff solchen Überlegungen aufgeschlossen gegenüberstand, schrieb Preuß im Februar 1909: Seltsam! So sieht bei uns zu Lande die Arbeit der Umsturzleute aus! Es gehört wahrlich eine Staatskunst eigener Art dazu, solchem Material das Stigma der Staatsfeindlichkeit aufzudrücken; und mit Stolz werden wir uns bewußt, daß von allen politischen Kulturländern der bewohnten Erde einzig in Preußen-Deutschland eine so absonderliche Staatskunst gedeiht. Hei! wie man bei uns politische Intelligenzen lahm zu legen, ohne Nutzen für den Staat zu vergeuden versteht! Wir haben’s ja wohl dazu! Nach der ökonomischen Lehre vom Grenznutzen verringert sich der Wert eines Gutes für den Besitzer in demselben Maße, wie er Güter gleicher Art in größerer Menge besitzt. Jauchze, Germania! Denn da politische Intelligenzen für dich so
kam. Die andere hielt in spröder Tugend an den alten Grundsätzen voll und ganz und unentwegt fest und nahm es in den Kauf, daß sie dafür als ‚Krypto-Republikaner‘ und ‚Vorfrucht der Sozialdemokratie‘ fast ebenso vom Staate ausgeschlossen wurde wie diese. Aber im Bunde mit ihr ernstlich und tatkräftig auf eine Überwindung dieser Zustände und auf eine Verwirklichung ihrer unentwegt bekannten Grundsätze hinzuarbeiten, daran wagte sie nicht zu denken.“ ‚Der deutsche Nationalstaat‘, 84f. 63 „Der Liberalismus im Block“, 568. Zum kurzlebigen Bülow-Block siehe Th. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866–1918, Bd. II, 729ff. 64 So die berühmte Freiburger Antrittsvorlesung; Max Weber, Der Nationalstaat und die Volkswirtschaftspolitik, in: ders., Gesammelte politische Schriften, 1–25, hier 20. Zum Versagen der Bürger und ihrem mangelnden Führungswillen in der Analyse Webers vgl. Wolfgang J. Mommsen, Max Weber und die deutsche Politik. 1890–1920, 2. überarb. u. erw. Aufl., Tübingen 1974, 91ff. 65 „Das Verfassungswerk von Weimar“, in: H. Ostwald, P. Renner (Hrsg.), Das neue Reich, 1. Jg. (6.12.’19) H. 32, 6–9, hier 7.
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5. Der politische Publizist geringen Wert haben, mußt du sie in größerer Menge besitzen als alle anderen Völker. Und wer’s nicht glaubt, – der lese unsere Parlamentsberichte!66
In einem ersten Artikel zur gleichen Thematik, der einen Tag vorher erschienen war, hatte Preuß die gegenseitige Durchdringung von Liberalismus und Sozialismus als notwendige Folge der Urbanisierung bezeichnet67. Daß es dazu nicht gekommen war, lag in diesem Fall eben nicht nur und nicht einmal primär an der preußischen Staatsführung. Das von Preuß beschriebene Phänomen galt nicht nur für Preußen oder für das Reich. Auf kommunaler Ebene hatten die hier die Stadtverordnetenversammlungen beherrschenden liberalen Gruppen kaum minder Verantwortung dafür zu tragen. Der von Preuß befürchtete und erwartete Zusammenbruch trat mit dem Weltkrieg tatsächlich ein, und an dessen Ende waren die Vertreter der alten Ordnung diskreditiert, während die Vertreter der neuen Ordnung unvorbereitet an ihre Aufgaben herantreten mußten68. Preuß’ Zweifel an der Politikfähigkeit des deutschen Volkes, die jetzt aus dem Nichts entstehen mußte, sollte dem militärischen und politischen Ruin der alten Machthaber nicht noch der Ruin des ganzen Volkes hinzugefügt werden, blieben groß. Aber trotzdem schöpfte Preuß wenigstens in der Anfangsphase der Weimarer Republik auch gewisse Hoffnungen. Diese Hoffnungen gründeten sich darauf, daß das deutsche Volk jetzt endlich das Notwendige erkennen und umsetzen würde: Die Behauptung, daß das deutsche Volk unfähig sei, die notwendige feste und starke Regierung auf der Grundlage der parlamentarischen Demokratie sich selbst zu geben, würde also bedeuten, daß das deutsche Volk unfähig sei, unter den heutigen Lebensbedingungen politisch fortzuleben. Der nationale Selbsterhaltungstrieb zwingt uns, jene Behauptung durch die politische Tat zu entkräften und die allerdings schweren Hemmnisse zu überwinden, die der notwendigen
66 „Politische Literaturglossen“, BT, Nr. 66 (6.2.’09) M. 67 „Politische Literaturglossen“, BT, Nr. 64 (5.2.’09) M. Er fuhr fort: „Was ist zur geistigen Vorbereitung für diese lebenswichtige Aufgabe von liberaler Seite geschehen? Daß es an Versuchen auch nach dieser Richtung nicht gefehlt hat, das zu bestreiten bin ich am wenigsten geneigt; auch nicht bescheiden genug, um diese Versuche nicht als recht beachtenswert anzuerkennen. Aber der schon oben variierte Satz, daß eine Schwalbe keinen Sommer macht, gilt auch hier. Solchen Versuchen fehlt die wirksame Resonanz gerade in den bürgerlichen Schichten, die es am nächsten angeht. Und der Beruf eines Predigers in der Wüste ist doch nicht reizvoll genug, um Schule zu bilden.“ Preuß selbst gab ihn darum aber doch nicht auf. 68 Auch Max Weber begann seine im November 1918 in der Frankfurter Zeitung erscheinende Artikelserie mit den Worten: „Mit unzulänglichen dilettantischen Kräften steht die politisch ungeschulte Nation vor der Aufgabe, an die Stelle von Bismarcks Werk etwas anderes zu setzen. Denn dieses Werk ist dahin.“ ‚Deutschlands künftige Staatsform‘, in: ders., Gesammelte Politische Schriften, 448–483, hier 449. Zu dieser Übergangszeit vgl. aus noch zeitgenössischem Erleben Theodor Eschenburg, Die improvisierte Demokratie. Ein Beitrag zur Geschichte der Weimarer Republik, in: ders., Die improvisierte Demokratie. Gesammelte Aufsätze zur Weimarer Republik, München 1963, 11–60 (erstmals 1951). Siehe auch das Einleitungskapitel in Heinrich August Winkler, Weimar 1918–1933. Die Geschichte der ersten deutschen Demokratie, München 1993, 13ff.; sowie Eberhard Kolb (Hrsg.), Vom Kaiserreich zur Weimarer Republik, Köln 1972.
5.1. Das Verhältnis von Wissenschaft, Politik und Publizistik
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Entwickelung von den Mächten der Vergangenheit und von einer lange gezüchteten Gesinnungsweise bereitet werden. Die harte Not, besonders auch der auswärtigen Lage, muß das schwere Werk einer politischen Umstellung des Volksgeistes fördern.69
Hierin sah Preuß auch die Chance der Weimarer Reichsverfassung, die zunächst die bedrohte Reichseinheit bewahrt habe70 und die auf dieser Basis auch die Einheit des Volkes im demokratischen Volksstaat erreichen könne. Im Sommer 1919 schrieb er hoffnungsvoll, die deutsche Einheit sei zwar noch nicht völlig gesichert, jedoch: „Gefahren sind da; aber Gefahren sind dazu da, ein politisches wachsames Volk zu finden“71. Preuß eigene Schriften sowohl während des Krieges wie auch bald nach der Verabschiedung der Reichsverfassung machten deutlich, daß genau dieses wachsame Volk eher ein Wunsch des Autors war, und keine politische Realität. Der Ton wird auch bald dunkler, als sich zeigt, daß die Politikunfähigkeit der Deutschen mit dem Systemwechsel nicht abgenommen hat, daß sie jetzt aber um so sicherer Probleme bereiten wird72. 69 „Unser Parlamentarismus und unsere auswärtige Lage“, BT, Nr. 171 (13.4.’21) M. 70 Die „einheitsstiftende Kraft“ des Nationalstaates in der Niederlage betont Michael Stürmer, Nationalstaat und Klassengesellschaft im Zeitalter des Bürgers – Ein Versuch, in: Lothar Albertin und Werner Link (Hrsg.), Politische Parteien auf dem Weg zur parlamentarischen Demokratie in Deutschland. Entwicklungslinien bis zur Gegenwart, Düsseldorf 1981, 11–29, hier 22. 71 „Das Verfassungswerk von Weimar“, 6. Oder ausführlicher „Zur preußischen Verfassungsfrage“, 100: „Bei dem entsetzlichen Zusammenbruch von 1918 drohte sofort in unmittelbarster Nähe die Gefahr des Reichszerfalls; sie zu bannen, gab es schlechterdings kein anderes Mittel, als die rückhaltlose Anrufung des demokratischen Gedankens der Volkseinheit, der unbedingten nationalen Zusammengehörigkeit und Selbstbestimmung. Das ist das Lebenselement der Reichsverfassung von Weimar. Sie steht und fällt mit der festen, rückhaltlosen, leidenschaftlichen Überzeugung, daß es für das deutsche Volk in allen seinen Gliedern keine andere Möglichkeit politischer, wirtschaftlicher, kultureller Fortexistenz gibt als im nationalen deutschen Staate, in der Einheit des Reiches. Gibt das deutsche Volk diese Überzeugung auf, so gibt es sich selbst auf; in seinen einzelstaatlichen Trümmern könnte es nur ein politisch, wirtschaftlich und kulturell verkrüppeltes Jammerdasein fristen unter der verdienten Verachtung der ganzen Welt. Mag auch des Reiches Gegenwart und nächste Zukunft noch so traurig und bedrückt sein, – jede Aussicht auf Besserung und Wiederaufstieg setzt die Erhaltung der nationalen Einheit voraus.“ 72 So gesteht Preuß etwa in „Deutschlands Republikanische Reichsverfassung“, 75, den von Versailles aus ausgeübten Druck zu, aber: „Ein nationalpolitisch starkes Volk hätte auf solchen auswärtigen Druck durch eine ganz andere Einstellung seiner inneren Politik reagiert.“ Und eine an Verzweiflung grenzende Emotion kommt im Schlußsatz seines Aufsatzes „Zur ‚Agonie des deutschen Parlamentarismus‘“, in: DDN, 5. Jg. (1923), 27–30, hier 30, zum Ausdruck: „Nur durch demokratische Selbstregierung ... kann sich das deutsche Volk als politische Individualität noch behaupten. Erfüllt sich trotzdem und alledem nicht doch noch jene Zuversicht, aus der die Verfassung von Weimar entsprang, so bedeutet der jetzige Zustand nicht nur ‚die Agonie des deutschen Parlamentarismus‘, sondern etwas unendlich viel schlimmeres: den Parlamentarismus der deutschen Agonie! Es wären die Todeszuckungen der größten Nationalität Europas, die nicht an einer militärischen Niederlage, sondern an ihrer politischen Unfähigkeit zu Grunde ginge. An ein so furchtbares und – verächtliches Schicksal mag kein Deutscher glauben, solange er noch einen Funken der Hoffnung sieht!“
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5. Der politische Publizist
Der Verteidigung von Freiheit und Demokratie ist das ganze Werk von Preuß gewidmet, sowohl in der Wissenschaft, wie in der Publizistik, wie in der Politik; sowohl im Kaiserreich, wie in der Revolutionszeit, wie in der Weimarer Republik; sowohl gegen die Obrigkeit wie gegen das Obrigkeitsdenken der Untertanen, die Preuß so dringend als Bürger im politischen Sinne sehen möchte. Ein Umriß der theoretischen Gedanken Preuß’ ist bereits erfolgt, der Publizist Preuß soll jetzt mit einigen seiner charakteristischsten Ansichten zu Worte kommen. Beide Seelen finden sich dann wieder im Homo politicus Preuß. 5.2 Liberalismus und Sozialismus Hugo Preuß hat sich im Laufe seiner publizistischen Arbeit von Anfang an mit den Positionen der Sozialdemokratie73 ernsthaft auseinandergesetzt, in tagespolitischen Fragen ebenso wie in grundsätzlicheren Überlegungen. Bereits sein eigener sozialpolitisch untermauerter Liberalismus führte fast zwangsläufig dazu, daß Preuß seinen politischen Standort an dem der Sozialdemokraten messen und gegen ihn abgrenzen mußte. Dabei kam es zu einer für Preuß charakteristischen Wandlung: Die erste gründliche Auseinandersetzung, der große Aufsatz „Die Sozialdemokratie und der Parlamentarismus“ von 1891 atmet den bei Preuß nur am Anfang festzustellenden Geist einer von der liberalen Dogmatik beherrschten scharfen Gegnerschaft, und Preuß läßt sich dazu hinreißen, von der „naturnotwendigen tödlichen Feindschaft“ beider zu sprechen. Unter Parlamentarismus versteht er hier im Gegensatz zur Praxis des Bismarck-Reiches den Gedanken einer dem Reichstag verantwortlichen und von ihm gebildeten Regierung74. Ab ungefähr der Jahrhundertwende setzt Preuß, der inzwischen im Gegensatz zu 1891 selbst einige Jahre kommunalpolitischer Erfahrung mit den sozialdemokratischen Mitgliedern der Berliner Stadtverordnetenversammlung gesammelt hatte, immer stärker auf die Zusammenarbeit der linken Bürger mit der SPD, und ab 1918 sieht er in diesem Bündnis gar die einzige tragfähige Grundlage der Republik. Beginnend mit dem 73 Zur SPD in dieser Zeit siehe Th. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866–1918, Bd. II, 554ff.; Helga Grebing, Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Ein Überblick, München 1979, 87ff.; Heinrich Potthoff, Die Sozialdemokratie von den Anfängen bis 1945, in: Susanne Miller und ders., Kleine Geschichte der SPD. Darstellung und Dokumentation 1848–1990, 7. überarb. u. erw. Aufl., Bonn 1991, 13–171, hier 40ff.; Detlef Lehnert, Sozialdemokratie zwischen Protestbewegung und Regierungspartei 1848 bis 1983, Frankfurt a.M. 1983, 67ff.; Hedwig Wachenheim, Die deutsche Arbeiterbewegung 1844 bis 1914, Köln und Opladen 1967, 164ff. 74 „Die Sozialdemokratie und Der Parlamentarismus“, in: Staat, Recht und Freiheit, 144–172, erschien erstmals 1891 im „Zeitgeist“, der Beilage zum BT. Der Artikel beginnt mit dem Satz: „Der Parlamentarismus ist heute der gefährlichste Feind der Sozialdemokratie, und die Sozialdemokratie ist heute die größte Feindin des Parlamentarismus“. Nicht ganz unberechtigt spricht G. Gillessen, Hugo Preuß, 60, davon, daß Preuß hier „etwas keck und mit seiner Vorliebe für gewagte Antithesen“ formuliert habe.
5.2 Liberalismus und Sozialismus
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Jahr 1907 hatte Preuß selbst sogar an der führenden kommunalpolitischen Zeitschrift der SPD mitgearbeitet; eine ausgesprochen seltene Grenzüberschreitung75, und zwar sowohl für einen unzweifelhaft bürgerlichen, wenn auch linksliberalen (Kommunal-)Politiker und Wissenschaftler, wie auch für eine sozialdemokratische theoretische Parteizeitschrift. Von Anfang an aber, also auch in der Zeit seiner schärfsten Verurteilung sozialdemokratischer Programmatik, war Preuß ein entschiedener Gegner aller Ausnahmegesetze gegen die Sozialdemokraten. Er wollte sie politisch bekämpft sehen, nicht strafrechtlich. Das entsprach auch der Position der Fortschrittspartei, die sich im Reichstag bereits 1878 gegen die Sozialistengesetze ausgesprochen hatte, während gleichzeitig die Nationalliberalen nach einigen Vorbehalten zustimmten76. 1888 veröffentlichte Preuß in der Nation ein kleines literarisches Kabinettstückchen über einen „Besuch in Hottingen-Zürich“ bei der exilierten SPD, in dem der preußische Obrigkeitsstaat durch Spott bloßgelegt wird77. Preuß beginnt mit einer Operettenerinnerung an eine Verschwörungsszene aus Mamsell Angot78, die ihm bei einem Besuch in Zürich im Kopf herumschwirrte. „Ich mußte wohl in dieser unwillkürlichen Reminiszenz Regungen meines zarten Gewissens erkennen; denn in der Tat ging ich mit einem Plane um, der an Düsterkeit und Gefahr dem Komplott jener Operettenverschwörer nicht nachstand. Seit ich den Boden von Zürich betreten, empfand ich den unbezwingbaren Trieb, den Zentralpunkt jener ‚gemeingefährlichen Bestrebungen‘, welche die Welt und besonders unser deutsches Vaterland erbeben machen, schaudernd mit eigenen Augen zu schauen.“ Preuß legte sich dann die Frage vor, ob er sich nicht etwa „durch Besuch jener Stelle der Teilnahme an einer geheimen Verbindung schuldig“ mache. „Das waren heikle Fragen; indessen, wie so oft, siegte auch hier die sündige Begier über tugendsame Bedenken – und ich ging!“ Da er den Weg zum Sitz der SPD nicht kannte, erkundigte er sich bei einem Polizisten, und es war ihm, „als müßte jetzt etwas Unerhörtes geschehen. Und etwas Unerhörtes geschah wirklich! Der Polizeimann lächelte freundlich, führte mich einige Schritte weiter um eine Straßenecke 75 1907 erschien „Die internationale Entwicklung des Selbstverwaltungsprinzips“ in der sozialdemokratischen „Kommunalen Praxis“ (7. Jg. Nr. 32 [9.8.’07], Sp. 745–748, u. Nr. 33 [16.8.’07], Sp. 769–772). Nach 1918 erkennt Preuß rückhaltlos an: „Es bleibt ein weltgeschichtliches Verdienst der deutschen Mehrheitssozialdemokratie, daß sie an diesem entscheidenden Wendepunkt es vorzog, als Klassenkampfpartei höchst unlogisch zu handeln, statt durch blinde marxistische Konsequenz sich selbst, Deutschland und Europa zugrunde zu richten.“ ‚Republik oder Monarchie? Deutschland oder Preußen?‘, in: Staat, Recht und Freiheit, 446–473 (erstmals Deutsche Revue 1922), hier 472. Vgl. auch „Bergbriefe“, Frankfurt a.M. 1921, 13. 76 Vgl. Th. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866–1918, Bd. II, 398f.; und v.a. Wolfgang Pack, Das parlamentarische Ringen um das Sozialistengesetz Bismarcks 1878–1890, Düsseldorf 1961. 77 Erneut in „Staat, Recht und Freiheit“, 554–560. 78 La Fille de Madame Angot ou La Poissarde Parvenue ist eine 1872 geschriebene Opéra comique des damals beliebten französischen Komponisten Charles Lecocq, deren deutsche Fassung den Titel Mamsell Angot trägt.
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5. Der politische Publizist
und zeigte mir gegenüber den gesuchten Ort. Die Polizei geleitete mich zur Genossenschaftsdruckerei und Volksbuchhandlung Hottingen-Zürich! In jenem Augenblick ward mir der Bestand der Weltordnung zweifelhaft.“ Das Hauptquartier der „Verschwörung“ entpuppte sich als gepflegte, sehr bürgerlich wirkende kleine Villa79. Mit Spott alleine war der bürgerlichen Sozialistenfurcht und der staatlichen Sozialistenverfolgung allerdings nicht beizukommen. Das Verständnis für sozialdemokratische Vorstellungen und eine gelassenere Haltung gegenüber ihren „gemeingefährlichen Bestrebungen“ wurde Preuß sicherlich auch durch die theoretischen Vorgaben erleichtert, die er auf der Grundlage der genossenschaftlichen Ideen seines akademischen Lehrers entwickelte. Schon Gierke hatte trotz generell in vielem eher konservativer Grundhaltung keine Schwierigkeiten, die genossenschaftliche Selbstorganisation der Arbeiterschaft in Produktivgenossenschaften und Gewerkschaften anzuerkennen80. Auch der Organismusgedanke als gesellschaftliches Gestaltungsprinzip machte es für Preuß einfach, die Arbeiterschaft in seine Überlegungen einzubeziehen. Es wäre ganz unorganisch gewesen, diesen wichtigen Teil der Gesellschaft aus dem Staat und seiner politischen Gestaltung auszuschließen. Preuß’ anfängliche Gegnerschaft zur Sozialdemokratie begründet sich fast ausschließlich durch theoretische Überlegungen, für die er in den Parteischriften der Zeit vor dem prominenten Auftreten von Bernsteins Revisionismus hinreichend Material finden mußte. Als Preuß seine publizistische Tätigkeit begann, war Karl Marx noch nicht lange tot, und Friedrich Engels war der Patriarch des Sozialismus. Das von Karl Kautsky im Entwurf verfaßte Erfurter Programm hatte 1891 die deutsche Sozialdemokratie auf eine eindeutig marxistische Linie festgelegt81. Der Parteihistoriker der SPD, Franz Mehring, nannte das marxistische Endziel des Erfurter Programms den „sicheren Kompaß auf dem klippenreichen und stürmischen Meere moderner Klassenkämpfe“82, und anders als beim alten Gothaer Programm von 1875, das von Marx heftig kritisiert worden war, konnte Engels mit dem neuen Programm bei einigen Differenzen im Detail ansonsten im großen und ganzen durchaus zufrieden sein83. Der Hauptkritikpunkt am Sozialismus generell ist für Preuß in klarer liberaler Tradition die nivellierende Idee der Gleichheit, die für ihn nicht mehr ist als „ein 79 Alle zitierten Stellen ebd., 554–556. 80 Vgl. O. Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, 1. Bd., 882ff. und v.a. 900f. 81 Zur Erfurter Position der SPD siehe Heinrich Potthoff, Die Sozialdemokratie, 53ff.; H. Grebing, Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, 108ff.; D. Lehnert, Sozialdemokratie, 78ff.; H. Wachenheim, Die deutsche Arbeiterbewegung, 326ff. 82 Franz Mehring, Geschichte der Deutschen Sozialdemokratie. 4. Bd., 11. Aufl., Stuttgart und Berlin 1921, 335. 83 Vgl. Friedrich Engels, Zur Kritik des sozialdemokratischen Programmentwurfs 1891, in: MEW 22, [Ost-]Berlin 1963, 225–240; Karl Marx, Randglossen zum Programm der deutschen Arbeiterpartei, in: MEW 19, [Ost-]Berlin 15–32. Die „Randglossen“ sind allerdings erst 1891 von Engels veröffentlicht worden; auf dem Gothaer Parteitag wurden sie den Delegierten verheimlicht; zu diesem Vorgang siehe H. Wachenheim, Die deutsche Arbeiterbewegung, 167ff.
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erfahrungswidriges Dogma“, das im realen Leben keine Entsprechung finde und nur in den Köpfen der Gläubigen und Propheten existiert; „bei letzterem wohl mit einem naheliegenden geistigen Vorbehalt“84. Dagegen stellt Preuß die politische Demokratie, die die Erfahrung des Lebens annimmt und versucht, „durch Rechtsnormen die Macht der Glücklichmacher zu beschränken“85. Preuß setzt statt dessen auf den Gedanken fortschreitender Differenzierung, der allein der modernen Gesellschaftsentwicklung entspreche. Es ginge zu weit, Preuß zu einem Anhänger der monistischen Gedanken Ernst Haeckels zu machen, aber die einschlägigen „Bestseller“ von Ludwig Büchner und Haeckel sind ihm natürlich, wie fast jedem Gebildeten seiner Zeit, vertraut gewesen86. Monismus und Pluralismus sind in dem hier verstandenen Sinne kein Widerspruch, denn Monismus ist in Haeckels Philosophie kein politischer Begriff, sondern die methodische Einheit eines grundlegenden Entwicklungsgedankens, der die Natur wie die kulturelle und politisch-soziale Geschichte des Menschen umfaßt. Es ist bereits früher konstatiert worden und zeigt sich hier erneut, daß dieser Ansatz auch ein Charakteristikum des Preußschen Denkens ist. Mit steigender Komplexität der gesellschaftlichen Organisation wächst auch die Differenzierung der Individuen entsprechend ihren divergierenden Aufgaben, und damit auch ihre Ungleichheit. Hier sieht Preuß – erneut ganz als klassischer Liberaler – den Unterschied von Liberalismus und Sozialismus: Mechanische Gleichheit und eine alle freie Tätigkeit aufsaugende Zentralisierung – das sind die herrschenden Ideen der Sozialdemokratie. Organische Differenzierung und eine möglichst jede freie Tätigkeit entfesselnde Dezentralisierung – das sind die Grundlagen des Liberalismus und seiner politischen Frucht, des Parlamentarismus.87
Vollkommene Gleichheit gebe es eben nur gegenüber dem Zaren oder dem Sultan, je freier hingegen ein Staat sei, desto mehr Differenzierung und Ungleichheit gebe es in ihm88. Hierin lag allerdings keine prinzipielle Ablehnung jeglicher Gleich-
84 Beide Stellen „Die Sozialdemokratie und der Parlamentarismus“, in: Staat, Recht und Freiheit, 147. Die Sozialdemokratie wolle nicht die Freiheit, emporzukommen, sondern die Unmöglichkeit dazu (157); „(s)iegt der Gleichheitswahn über die Freiheitsidee, so ist die Diktatur gegeben“, ebd., 171. Die sozialistische Staatstheorie erreicht das Gegenteil ihres Anspruches; „die Verfassung [des] ... volkstümlichen Arbeitsstaates schlägt atavistisch in die des eudämonistischen Polizeistaates zurück“; „Sozialismus und Konstitutionalismus“, in: ebd., 230–251, hier 241. 85 „Sozialismus und Konstitutionalismus“, in: Staat, Recht und Freiheit, 245. Vgl. auch „Ein Zukunftsstaatsrecht“, 391ff. 86 Vgl. Ludwig Büchner, Kraft und Stoff. Empirisch-naturphilosophische Studien. In allgemeinverständlicher Darstellung, Frankfurt a.M. 1855; Ernst Haeckel, Die Welträthsel. Gemeinverständliche Studien über Monistische Philosophie, Bonn 1899. Zur Einordnung dieser Ideen in ihren sozialdarwinistischen Zusammenhang siehe M. Vogt, Sozialdarwinismus, 224ff. 87 „Die Sozialdemokratie und der Parlamentarismus“, in: Staat, Recht und Freiheit, 167f. 88 Ebd., 149.
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heitsgedanken durch Preuß. In Wirklichkeit ging es für ihn nur um die relative Abgrenzung von Freiheit und Gebundenheit89. Noch in einer seiner letzten Arbeiten, der im Todesjahr 1925 gehaltenen Rede über „Die Bedeutung der demokratischen Republik für den sozialen Gedanken“90, wandte er sich ausschließlich gegen die Verwechselung der demokratischen Gleichberechtigung mit der Gleichheitsfiktion, die sich gegen den Gang der Geschichte stelle. Bereits vor den Pionieren der Organisationssoziologie und Elitentheorie war Preuß sich somit darüber im klaren, daß jede Organisation zur Herausbildung quasiaristokratischer Führungsstrukturen neigt und daß dies auch und gerade in einer unterdrückten Partei wie der SPD gilt91. Der Vorzug eines liberal-demokratischen Systems besteht für Preuß denn auch darin, daß hier die Auswahl der für jedes politische System notwendigen Führungspersonen nicht aufgehoben ist – das wäre unmöglich –, aber auf breitester Basis geschieht. Gerade die Arbeiter brauchen also die politische Demokratie92. Damit zieht Preuß einen vergleichbaren Schluß und auf Grund ähnlicher theoretischer Überlegungen, zu dem auch Eduard Bernstein und der Revisionismus kommt93. 89 „Bodenbesitzreform als sociales Heilmittel“, 8f. 90 In: Staat, Recht und Freiheit, 481–497. Ebd., 491, heißt es: „Daher ist die Demokratie im Sinne der Gleichberechtigung, der vorbehaltlosen Gleichberechtigung, nicht eine doktrinäre Schrulle, nicht ein am Studiertisch ausgehecktes Dogma, sondern die natürliche, rechtliche Konsequenz der ganzen neueren wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen, geistigen Entwicklung.“ 91 Das Prinzip der Differenzierung und der Ungleichheit in jeder Organisation zeigten gerade auch die Arbeiterorganisationen mit ihren Führern, „Bodenbesitzreform als sociales Heilmittel“, 8f. Dies ist auch das Thema von Robert Michels, Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie. Untersuchungen über die oligarchischen Tendenzen des Gruppenlebens, 4. Aufl., hrsg. u. mit einer Einf. versehen v. Frank R. Pfetsch, Stuttgart 1989 (erstmals Leipzig 1911). 92 Vgl. „Die Sozialdemokratie und der Parlamentarismus“, in: Staat, Recht und Freiheit, 162f.: „Indem eine neue Aristokratie eine ältere verdrängt, kommt der Gang der Geschichte um eine Station vorwärts; und eine Veränderung in der Zusammensetzung der herrschenden Aristokratie bedeutet oft einen wesentlichen politischen Fortschritt der Gesamtheit. Freiwillig pflegen allerdings die, welche sitzen, ihren Platz denen, welche sich setzen wollen, nicht einzuräumen; und so meint es auch wohl Marx, wenn er von der Gewalt spricht als der Geburtshelferin jeder alten Gesellschaft, die mit einer neuen schwanger geht. Insoweit wäre denn auch gegen seine Diktatur des Proletariats prinzipiell wenig einzuwenden, wenn das Proletariat nicht eben die Vielen, ja nach dem endlichen Siege – alle wären. Darin aber liegt die innere Unmöglichkeit dieser Idee. Eine Aristokratie kann durch eine anders geartete, niemals jedoch durch die Masse ersetzt werden. ... Die Wenigen befehlen, und die Vielen gehorchen, immer und überall; und anders kann es nicht sein, solange der Mensch ein Herdentier ist, dessen Menge der Leitung bedarf, um sich selbst irgendwie geltend zu machen. Wer jene Wenigen sein sollen, das allein ist die Frage, um die es sich in allen politischen Kämpfen handelt. ... Die Diktatur des Proletariats heißt also in Wahrheit die Diktatur der Arbeiterführer.“ Ähnlich ebd., 152 u. 156. Ebd., 172, sagt Preuß, daß die Lage der Arbeiter in den politisch freiesten Staaten auch am besten sei. Zur Organisation der deutschen Arbeiterschaft siehe „Das deutsche Volk und die Politik“, 70: „Neben dem preußischen Heer gibt es sicherlich nichts Preußischeres als die preußische Sozialdemokratie.“ 93 Eduard Bernstein, Die Voraussetzungen des Sozialismus und die Aufgaben der Sozialdemokratie, Bonn-Bad Godesberg 1977 (ND der 2. Ausgabe 1921), 178: „Die Demokratie ist Mittel
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Der Primat der Politik war aber für eine programmatisch dem Historischen Materialismus verpflichtete Sozialdemokratie nicht denkbar, und Preuß sieht denn auch ein eigentümliches Bündnis reaktionärer und sozialistischer Ideenwelten94, die beide im absolutistischen Wohlfahrtsstaat enden müssen; dem beständigen Hauptfeind des Preußschen Liberalismus95. Im sozialistischen Staat solle es gemäß der Theorie zwar nur noch verwaltende Wirtschaftsbehörden geben, doch deren Kompetenz „stellt eine Polizeigewalt dar, wie sie der fanatischste Verehrer des Polizeistaates kaum in Fieberphantasien zu träumen gewagt hätte“96. Das waren die praktischen Auswirkungen, aber das theoretische Problem lag für Preuß darin, daß der sich wissenschaftlich nennende Sozialismus auf absoluten Begriffen beruhe, während die Wissenschaft doch nur relative Begriffe kenne97. Mit ähnlich vehementer theoretischer Ablehnung bedenkt Preuß neben dem orthodoxen Parteisozialismus auch alle am Rande dieser Bewegung angesiedelten mehr oder minder utopischen Pläne zur Gesellschaftsumgestaltung, die in der zeitgenössischen Debatte eine Rolle spielten. Sie sind praktisch nicht durchführbar und münden selbst theoretisch im reaktionären zentralisierten Überwachungsstaat. Theodor Hertzka, Michael Flürscheim und sein Vorbild Henry George sowie Edward Bellamy sind heute weitestgehend vergessen, aber um 1890 herum waren sie ausgesprochen erfolgreich und konnten mit ihren Schriften als Alternative zum marxistischen Sozialismus gelten. Hertzka, ausgebildeter Nationalökonom und anfangs überzeugter Wirtschaftsliberaler, erreichte mit seinem 1890 veröffentlichten utopischen Staatsroman Freiland binnen kurzer Zeit immerhin 10 Auflagen und zahlreiche Übersetzungen98, und Bellamys 1888 in den USA erschienener Roman Looking Backward: 2000–1887 war sogar der erfolgreichste amerikanische Roman überhaupt seit Harriet Beecher Stowes Uncle Tom’s Cabin99. Hertzka und George sahen als Grundübel der kapitalistischen Gesellschaft das Privateigentum an Grund
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und Zweck zugleich. Sie ist das Mittel der Erkämpfung des Sozialismus, und sie ist die Form der Verwirklichung des Sozialismus.“ Zum Bündnis von Sozialdemokratie und Reaktion, die beide die Eigenständigkeit der Politik negieren, gegen das Bürgertum, vgl. „Deutschland und sein Reichskanzler gegenüber dem Geist unserer Zeit“, 32f. u. 39f. „Es ist ein seltsamer Kreislauf der Ideen, der vom alten Eudämonismus zur extrem individualistischen Rechtsphilosophie, von dieser zum Sozialismus und vom Sozialismus wieder zum alten Eudämonismus zurückführt.“ ‚Ein Zukunftsstaatsrecht‘, 413. Ebd., 406. Vgl. auch „Die Sozialdemokratie und der Parlamentarismus“, 165f. „Bodenbesitzreform als sociales Heilmittel“, 3. Theodor Hertzka, Freiland. Ein sociales Zukunftsbild, Leipzig 1890. Vgl. Gerhard Stavenhagen, Art. „Hertzka, Theodor“, in: NDB 8, Berlin 1969, 718f. Darauf verweisen Merle Curti, The Growth of American Thought, 3. Aufl., New York, Evanston und London 1964, 610; und Vernon Louis Parrington, Main Currents in American Thought, 3. Bd., New York 1930, 302. Preuß erkannte den Erfolg auf seine Weise an: „Welcher Schriftsteller läse nicht mit Neid – ein Gefühl, welches 1891 noch existiert, wenn es auch Anno 2000 sicher verschwunden sein wird – auf dem Titel den Vermerk: ‚Nach dem 301. Tausend der Originalausgabe!‘“ „Die Socialdemokratie und der Parlamentarismus“, in: Staat, Recht und Freiheit, 150f.
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und Boden und die daraus erwachsende Bodenrente, auf der wiederum der allgemeine Kapitalzins beruht. Durch die Abschaffung dieses Privateigentums, die durch staatliche Kredite friedlich ermöglicht werden sollte, konnte das Problem der Armut beseitigt werden. Dieser doch recht einfache Gedanke steckt hinter Progress and Poverty, das George 1879 veröffentlichte und das gleichfalls ein großer Erfolg wurde. George verbrachte sein Leben mit dem missionarischen Kampf für seine Ideen, und obwohl er eine große Anhängerschar um sich versammeln konnte, scheiterten seine politischen Versuche, etwa die Bewerbung um das Bürgermeisteramt von New York, trotzdem100. Haupt und theoretischer Vordenker der deutschen Anhänger von Henry George war, jedenfalls bis Adolf Damaschke die Bodenreformbewegung übernahm, der aus einer wohlhabenden Frankfurter Kaufmannsfamilie stammende Michael Flürscheim. Gleich George widmete er sein Leben der Bodenreform, und gleich George hielt er den Zins für die Quelle allen Übels und die Aufhebung des Privateigentums am Boden für die Lösung aller Probleme. Flürscheims wichtigstes Werk erschien 1890 mit dem wenig zurückhaltenden Titel Der einzige Rettungsweg101, und Preuß kritisierte das Buch und die Bewegung, für die es stand, mitleidlos. Die Bodenbesitzreformer stellten überhaupt keinen wirtschaftlichen Zustand dar, sondern propagierten ein Schlaraffenland102. Der äußerlich erfolgreichste dieser Autoren war, wie erwähnt, Edward Bellamy. In seiner Rahmenhandlung läßt er, in Anlehnung an die jedem seiner amerikanischen Leser bekannte Gestalt Rip van Winkle, einen jungen Mann im Entstehungsjahr seines Romans in einen langen Schlaf verfallen, aus dem er erst 2000 aufwacht. Behutsam wird er mit seiner neuen Welt vertraut gemacht, und für heutige Leser mag es wieder einen gewissen Reiz haben, wie Bellamy sich das Jahr 100 Henry George, Progress and Poverty. An Inquiry into the Cause of Industrial Depressions and of Increase of Want with Increase of Wealth. The Remedy, New York 1879 (letzter ND New York 1997). Zu George siehe Ralph Henry Gabriel, The Course of American Democratic Thought. An Intellectual History Since 1815, New York 1940, 198ff. Ausführlich zu seiner Wirkung Rhoda Hellman, Henry George Reconsidered, New York 1987. Das Werk ist vielfach in deutscher Sprache aufgelegt worden; zuletzt als Fortschritt und Armut, Düsseldorf 1959. 101 Michael Flürscheim, Der einzige Rettungsweg, Dresden 1890. Schon zuvor hatte er ein ähnliches Werk publiziert; Auf friedlichem Wege. Ein Vorschlag zur Lösung der socialen Frage, Braunschweig 1884. Zu ihm siehe Friedrich Lütge, Art. „Flürscheim, Michael“, in: NDB 5, Berlin 1961, 262f. 102 „Die Bodenbesitzreform als sociales Heilmittel“, 37. Diese Bewegung „charakterisiert ... sich höchstens als unverdauter, nicht zu Ende gedachter Sozialismus“, ebd., 28. Auch von den Qualitäten des Autors Flürscheims hielt Preuß nicht viel: „Nicht als ob er als Schriftsteller oder gar als ‚Denker‘ seinen Vorgängern überlegen wäre. Ganz im Gegentheil. Mit Beziehung auf einen dieser Vorgänger tadelt Flürscheim: ‚eine schwulstige, langweilige Schreibweise voller zweckloser Wiederholungen, eine sich überall aufdringende, widrige persönliche Eitelkeit des Verfassers‘. Wer dazu verdammt war, die 602 Seiten (plus 10 Seiten Vorrede) des ‚einzigen Rettungsweges‘ durchzulesen, wird in seiner Geistesqual meinen, daß bei jenen Worten ein rächender Gott dem Autor die Feder zu unbewußter Selbstkritik geführt hat. Aber nichts desto weniger Ehre dem Ehre gebührt; Flürscheim gebührt der Platz an der Spitze der heutigen deutschen Bodenbesitzreform.“ Ebd., 25f.
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2000 in den USA vorstellte. Maschinen nehmen den Menschen alle unangenehmen Arbeiten ab, und dies unter der wohlwollenden Kontrolle des Staates, der Produktion wie Konsumtion bis ins letzte Detail geregelt hat. Bellamys Grundübel ist nicht der Bodenbesitz, sondern der Wettbewerb, und dementsprechend ist dieser in seiner Zukunftsgesellschaft überwunden103. Hugo Preuß war nicht beeindruckt. Um sein Ziel zu erreichen, entwarf Bellamy nämlich eine vollkommen hierarchische Gesellschaft, die nicht nur übermäßig komplex und verwirrend in ihren vermeintlich klaren sozialen Beziehungen ist, sondern die man nur als totalitär kennzeichnen kann104. Die scharfen Urteile von Preuß in den frühen neunziger Jahren bezogen sich mehr noch als auf die Orthodoxie der deutschen Sozialdemokraten auf diese heute randständig erscheinenden sozialistischen Denker, deren damaliger Erfolg ihnen aber zumindest das Recht verschafft hatte, von einem Kritiker wie Preuß ernst genommen zu werden. Daß es zwischen ihnen und Marx und Engels, aber auch Bebel, Wilhelm Liebknecht und Karl Kautsky einen erheblichen intellektuellen Abstand gab, ließ Preuß nie aus seinem Blickfeld verschwinden. Lange hielt er seine Einschätzungen in ihrer frühen apodiktischen Form auch nicht aufrecht. Dies galt erst recht, nachdem Eduard Bernstein durch die Veröffentlichung der Voraussetzungen des Sozialismus es gewagt hatte, die Abkehr von Marx und Engels nicht nur zu praktizieren, sondern sogar theoretisch zu postulieren105. Mit dem Ende der Sozialistengesetze hatte, dem marxistischen Erfurter Programm von 1891 zum Trotz, 103 Edward Bellamy, Looking Backward: 2000–1887, Boston 1888. Neben zahllosen Neuauflagen gibt es auch mehrere deutsche Übersetzungen, darunter eine von Clara Zetkin. Selbst heute gibt es zwei deutsche Ausgaben des Buches; Ein Rückblick aus dem Jahr 2000 auf 1887, Stuttgart 1983; und Das Jahr 2000. Ein Rückblick auf das Jahr 1887, Essen o.J. [1987]. Zu Bellamy vgl. R.H. Gabriel, The Course of American Democratic Thought, 210. Aufgegriffen sind seine Ideen zum Teil in E. Lasker, Community of the Future, 43ff. und 98. Vgl. zu dieser Verbindung M. Dreyer, Zwischen Pragmatismus und Prinzip: Emanuel Laskers politisches Denken, 216. 104 Vgl. „Die Socialdemokratie und der Parlamentarismus“, in: Staat, Recht und Freiheit, 151: „Wenn die beste soziale Ordnung so unsagbar einfach herzustellen ist, dann sind wir Idioten oder – Bellamy ist ein Seichbold. Was man aber auch über sein wirtschaftspolitisches Ideal sagen mag, es ist die reine Vernunft im Vergleich mit der Staatsverfassung, die er sich denkt oder vielmehr nicht denkt. Wer aus dem Tohuwabohu der Rang- und Quartierliste seiner Arbeiterarmee klug wird, wer sich den Staat der Arbeitergenerale und Leutnants, die Wahlkollegien der alten Herren irgend vorstellen kann, der ist reif zu leben als ‚ein Bürger derer, die da kommen werden‘.“ 105 Die erste Buchausgabe der Voraussetzungen erschien Stuttgart 1899. Als Gesamtdarstellung unverändert lesenswert Peter Gay, The Dilemma of Democratic Socialism. Eduard Bernstein’s Challenge to Marx, New York 1952. Neuerdings siehe Francis L. Carsten, Eduard Bernstein. 1850–1932. Eine politische Biographie, München 1993. Speziell zur Revisionismus-Debatte auch Veli-Matti Rautio, Die Bernstein Debatte. Die politisch-ideologischen Strömungen und die Parteiideologie in der Sozialdemokratischen Partei Deutschland 1898–1903, Helsinki 1994; und Till Schelz-Brandenburg, Eduard Bernstein und Karl Kautsky: Entstehung und Wandlung des sozialdemokratischen Parteimarxismus im Spiegel ihrer Korrespondenz 1879– 1932, Köln, Weimar und Wien 1992. Eine Vielzahl von Aspekten behandeln die Aufsätze in Horst Heimann und Thomas Meyer (Hrsg.), Bernstein und der Demokratische Sozialismus, Berlin und Bonn 1978.
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eine solche theoretische Auseinandersetzung gleichsam in der Luft gelegen106. Allerdings sollte man sich hüten, die Zeit zu harmonisieren; die Aufhebung der unmittelbaren, gesetzlichen Verfolgung durch den Staat änderte wenig am PariaStatus der Partei, und das trug umgekehrt nicht gerade zur wachsenden Kompromißbereitschaft auf sozialdemokratischer Seite bei107. Trotzdem: Preuß und die SPD bewegten sich ständig aufeinander zu; die Sozialdemokraten außer durch die Revisionismus-Debatte auch durch die praktische Parlamentsarbeit, Preuß durch die Entwicklung seiner sozialpolitischen Vorstellungen und durch die wachsende Enttäuschung über den Fortgang der liberalen Bewegung in Theorie und Praxis. An ökonomischen Fragen im strengen theoretischen Sinne und erst recht im Sinne streng liberaler Ökonomietheorie hatte der politik-orientierte Preuß von Anfang an nur wenig Interesse108. Um so schärfer war seine sozialpolitische Kritik an der sich entwickelnden kapitalistischen Konzentration, der gegenüber er offen für Sozialisierungsmaßnahmen eintrat. Auch hier sprach der Praktiker aus Preuß, der in der Berliner Kommunalpolitik, wie noch zu zeigen sein wird, stets die Kommunalisierung notwendig monopolistischer Unternehmen wie etwa des städtischen Verkehrs vertreten hatte. Preuß hatte keine Hemmungen, hier von Monopolkapitalismus zu sprechen, der immer und notwendig undemokratisch sei und dem er einen gesunden Konkurrenzkapitalismus entgegenstellte109, der aber seinerseits wiederum vom Manchestertum abgegrenzt werden muß. Der entscheidende Punkt war für Preuß letztlich die soziale Verantwortung in der Gemeinschaft, die wiederum eng mit seinen genossenschaftlichen Ansichten verbunden war110. Ähnlich wie Max Weber hatte auch Hugo 106 Dies ist die These von Christian Gneuss, Die historischen und ideologischen Voraussetzungen für die Herausbildung des Revisionismus bei Eduard Bernstein, in: H. Heimann und Th. Meyer (Hrsg.), Bernstein und der Demokratische Sozialismus, 72–85. 107 Vgl. Elfi Pracht, Parlamentarismus und deutsche Sozialdemokratie 1867–1914, Pfaffenweiler 1990, 35ff und 201ff. Überzeugend auch Helga Grebing und Monika Kramme, Die Herausbildung des Revisionismus vor dem Hintergrund der Situation der deutschen Sozialdemokratie im Kaiserreich, in: H. Heimann und Th. Meyer (Hrsg.), Bernstein und der Demokratische Sozialismus, 59–71. 108 In „Bodenbesitzreform als sociales Heilmittel“ findet sich eine theoretische Untersuchung über das Wesen von Kapital, Zins usw. Aber dies bleibt die Ausnahme bei Preuß. 109 Vgl. „Bedeutung der demokratischen Republik“, 493: „(D)er Monopolkapitalismus ist notwendig, was der Konkurrenzkapitalismus, solange er gesund und frisch ist, nicht ist, er ist notwendigerweise antidemokratisch und antisozial.“ In der „Reichsverfassung von Weimar“, 72f., gibt Preuß dem Kapitalismus die Schuld an der Misere der Bürger. Zur möglichen Sozialisierung vgl. „Bedeutung der demokratischen Republik“, 485; „Bergbriefe“, 14. 110 Siehe auch das Vorwort Theodor Heuss’ in „Staat, Recht und Freiheit“, 12: „Der Liberalismus von Hugo Preuß war nie unproblematisches Manchestertum und endigte auch nicht bei dem Hochgesang auf den Individualismus. Es sind ja die sich selber regelnden Gruppenbildungen, denen seine wissenschaftliche Arbeit gehört und denen zu dienen auch der Inhalt des politischen Denkens sein muß. Die Frage wird nur sein: ob es sich um sozusagen legitime, in ihrer Eigengesetzlichkeit begründete und ihre Grenzen achtende Bildungen handle oder um verkleidete Zwangsveranstaltung?“ Ähnlich die Einschätzung von G. Gillessen, Hugo Preuß, 57.
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Preuß keine theoretischen Berührungsängste, als er unverhohlen seine Geschichtsauffassung mit der Karl Marx’ verglich und enge Beziehungen feststellen konnte111. Noch gewichtiger für das gewandelte Verhältnis Preuß’ zur Sozialdemokratie wirkten sicherlich die persönlichen Erfahrungen mit den mehr pragmatisch als theoretisch orientierten Kommunalpolitikern der SPD, die der Berliner Stadtverordnete nach 1895 zunehmend machen konnte. Preuß selbst hat diesen Prozeß, der in zwei Richtungen wirksam wurde, in seiner allgemeinen Bedeutung erkannt: Unser Kommunal-Wahlsystem ermöglicht – man könnte fast sagen: garantiert – der Sozialdemokratie die Erlangung etlicher Sitze in der Vertretung der Großstädte, und die gemeinsame Arbeit im öffentlichen Interesse wirkt annähernd und versöhnend. Einerseits verlernt hier der ruhige Bürger das sinnbethörende Gruseln vor dem bloßen Worte Sozialdemokrat; andererseits lernt hier der ‚klassenbewußte‘ Genosse mit den Vertretern anderer Klassen zusammenzuwirken für die Aufgaben der bürgerlichen Ordnung.112
Wichtig für die persönliche Entwicklung Preuß’ wird auch in diesem Zusammenhang seine Enttäuschung mit dem Bürgertum als politischer, bzw. gerade nicht politischer Klasse gewesen sein. Einzelne liberale Bürger wie Gneist oder Lieber bleiben Vorbilder, das Bürgertum insgesamt aber hatte versagt113. Der äußere politische Niedergang war in der Zeit sinkender liberaler Wahlerfolge viel zu offensichtlich, als daß Preuß hier Neues hätte sagen müssen. Seine Feststellung, daß der Liberalismus heute „fast eine quantité négligeable im parlamentarischen Wesen“114 geworden sei, war sogar eher etwas übertrieben. Immerhin hielten die Liberalen in der Wilhelminischen Ära immer noch ungefähr ein Viertel bis ein Fünftel der Abgeordneten im Reichstag und in den meisten Landtagen, was allerdings auch bereits einen deutlichen Niedergang markierte, mißt man es an den mehr als 50 Prozent der
111 In „Völkerrecht im Dienste des Wirtschaftslebens“, 59, Anm.9: „Die von mir im Text vertretene Auffassung des historischen Entwicklungsprozesses wird dem Kundigen unverkennbare Berührungspunkte mit der sogenannten materialistischen Geschichtstheorie bieten, wie sie besonders von Karl Marx dargestellt worden ist. In der That erkenne ich denn auch in dieser einen reichen Schatz treffender und fruchtbarer Gedanken. Jedoch die Nutzanwendung, welche Marx und seine Jünger davon für die sozialistischen Weltbeglückungsprojekte zu machen versucht haben, erscheint nicht nur praktisch unausführbar, sondern vor Allem auch theoretisch – gerade von jenem richtigen Ausgangspunkte aus – verfehlt und inkonsequent.“ 112 „Die Umsturzvorlage und die Städte“, Sp. 473. Die Mäßigung der SPD in der praktischen parlamentarischen Arbeit hatte Preuß auch schon 1891 anerkannt; „Die Sozialdemokratie und der Parlamentarismus“, in: Staat, Recht und Freiheit, 161. 113 1895 würdigt Preuß Gneist als einen „Bourgeois im besten Sinne, als den ihn Feudale wie Sozialisten kannten und haßten“; ‚Rudolf von Gneist‘, in: Staat, Recht und Freiheit, 509. Zu Franz Lieber, der als echter Liberaler „unempfänglich für socialistische Nebeleien“ war, siehe „Franz Lieber, ein Bürger zweier Welten“, 421. Das Bürgertum insgesamt hingegen scheine den freien bürgerlichen Staat als Geschenk von oben zu erwarten; „Zur Säkularfeier der Stein’schen Städte-Ordnung. 19. November 1808–1908“, FZ, Nr. 321 (18.11.’08) 4.M. 114 Vgl. „Vor den Landtagswahlen“, in: Die Nation, 15. Jg., Nr. 46 (13.8.’98), 654–657 u. Nr. 47 (20.8.’98), 668–671, hier 654.
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Abgeordneten, die die beiden liberalen Parteien am Anfang des Kaiserreiches gestellt hatten115. Preuß führt diese Entwicklung auf die totale Zerrissenheit zurück, die Aktionsunfähigkeit bedinge; „so konnte das Volk vor liberalen Fraktionen den Liberalismus selbst nicht erkennen“116. Das war sicherlich ein Faktor, doch hat die Forschung inzwischen erkannt, daß dies schwerlich das Hauptproblem gewesen sein kann. Die absolute Zahl der liberalen Wählerstimmen sank nämlich nicht, sondern stieg sogar an und hielt dabei mit dem Bevölkerungswachstum Schritt, nicht allerdings mit der im gleichen Zeitraum gewaltig gestiegenen Wahlbeteiligung. Dies verweist darauf, daß die Liberalen eher vor der Schwierigkeit standen, kein ausbaufähiges politisch-soziales Milieu im Hintergrund zu haben, was ihren relativen Machtverfall gegenüber der Sozialdemokratie und dem Zentrum, und selbst gegenüber den Konservativen erklärt117. Schmerzlicher noch als den äußeren Niedergang, der sich in sinkenden Mandatszahlen ausdrückte, empfand Preuß jedoch den weniger auffälligen, für ihn aber noch symptomatischeren Niedergang der liberalen Theorie, die ihre Vorreiterrolle ganz an die Sozialdemokraten abgetreten hatte. Die Aufgabe des Liberalismus wäre es gewesen, durch zeitgemäße Fortbildung der liberalen Theorie den Wahnglauben zu überwinden, als ob ‚kapitalistische‘ und ‚sozialistische‘ Staats- und Gesellschaftsordnung absolute, einander ausschließende Begriffskategorien wären; die Erkenntnis zu verbreiten, wie die ganze moderne Entwickelung gerade umgekehrt auf der gegenseitigen Durchdringung jener beiden Elemente beruht.118
Die hier angemahnte sozialpolitische Aufnahmebereitschaft des Liberalismus wurde nur von wenigen engeren Parteifreunden Preuß’, in erster Linie von Theodor Barth, vollzogen, und diejenigen, die sich hier öffneten, wurden damit in der innerliberalen Debatte zu Außenseitern. Vor allem Eugen Richter hatte, solange er den 115 D. Langewiesche, Liberalismus in Deutschland, 133. 116 „Vor den Landtagswahlen“, 655. Preuß verlangt Einigkeit wenigstens für die Landtagswahlen, bei denen die Parole „Bürgerthum wider Junkerthum!“ ausgegeben werden soll; ebd., 656. 117 Vgl. hierzu D. Langewiesche, Liberalismus in Deutschland, 133ff. Ähnlich auch Th. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866–1918, Bd. II, 521ff. 118 „Politische Literaturglossen“, BT, Nr. 64 (5.2.’09) M. Ein zweiter Artikel an gleicher Stelle (Nr. 66, 6.2.’09 M) rühmt die Zeitschrift „Kommunale Praxis“; „sie ist zwar ein ausgesprochen sozialdemokratisches Parteiorgan; doch zugleich leider das einzige, das wenigstens als Surrogat eines kommunalpolitischen Zentralorgans gelten kann, und deshalb fast unentbehrlich auch für den bürgerlichen Kommunalpolitiker, der sich kommunalpolitisch auf dem laufenden erhalten will; – was übrigens durchaus keine Tautologie ist.“ Etwas Neid schwingt mit, wenn Preuß auf eine Geschichte der sozialdemokratischen Fraktion der Stadtverordnetenversammlung zu sprechen kommt: „Man versuche, sich ein liberales Seitenstück dazu zu konstruieren: die Geschichte der liberalen Fraktion einer Stadtverordnetenversammlung, und gar noch auf 35 Druckbogen. Unmöglich! Denn erstens gibt es keine einheitliche liberale Kommunalpolitik; zweitens gibt es für so etwas keinen zurechnungsfähigen Verleger, und drittens falls sich ein unzurechnungsfähiger finden sollte, gibt es dafür keine Leser, von Käufern gar nicht erst zu reden.“ Vgl. auch „Sozialismus und Konstitutionalismus“, in: Staat, Recht und Freiheit, 231; „Ein Zukunftsstaatsrecht“, 377ff.
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Linksliberalismus in seinem eisernen Griff gehalten hatte, jede Annäherung an die Sozialdemokratie verhindert und den liberalen Zweifrontenkrieg gegen Konservativismus und Sozialismus propagiert. Erst nach Richters Tod 1906 kam es zu einer offeneren und weniger durch Dogmatik gekennzeichneten Debatte, die verspätet einen linkliberalen Weg zur Sozialpolitik eröffnete119. Allerdings hatte auch Preuß selber vorher schon einen weiten Weg zurücklegen müssen, bevor er zu seiner Erkenntnis kam. Die Konsequenzen hieraus zog er dann jedoch mit großer Konsequenz und Folgerichtigkeit. Wenn es um die Solidarität politischer Staatsbürger geht, muß die wirtschaftliche Klassensolidarität ein störender und zu bekämpfender Fremdkörper sein120. Dies bedeutete aber zugleich die wirkliche Einbeziehung der Sozialdemokratie in das politische Geschehen. Schon lange vor Weimar befürwortete Preuß das Zusammengehen von Liberalismus und Sozialdemokratie, deren gemeinsames Ziel die Demokratisierung sein müsse. Preuß praktizierte als Kommunalpolitiker diese Annäherung selbst, und 1910 wurde er mit den Stimmen der SPD gegen einen rechtsliberalen Amtsinhaber zum Stadtrat in Berlin gewählt, was einer kleinen politischen Sensation gleichkam. Schon zehn Jahre vorher hatte er einen Artikel mit dem anspielungsreichen Titel „Qu’est-ce que le tiers-état?“ veröffentlicht, der noch einmal die erhebliche Wandlung Preuß’ seit 1891 zeigen soll: (E)s zeigt sich, daß dieser Gegensatz, den man so lange für den wesentlichsten der Zeit hielt, verblaßt und zurücktritt vor einem älteren, tieferen, unversöhnlicheren; daß Bourgeoisie und Proletariat, Liberalismus und Sozialdemokratie, die Kinder des modernen Geistes, eine Einheit bilden gegenüber dem Feudalismus und Klerikalismus, den Gespenstern der Vergangenheit. ... Das ist der Kampf der großen Einheit, des dritten Standes im guten, alten, umfassenden Sinne des Wortes, wider die privilegirten Kasten, oder in einer Formel, die lange für altfränkisch unmodern gegolten und sich doch heute immer wieder als höchst modern auf die Lippen drängt, der Kampf des Volkes wider Junker und Pfaffen!121
119 Vgl. hierzu und zur Gesamtproblematik Holger J. Tober, Deutscher Liberalismus und Sozialpolitik in der Ära des Wilhelminismus. Anschauungen der liberalen Parteien im parlamentarischen Entscheidungsprozeß und in der öffentlichen Diskussion, Husum 1999, v.a. 211ff. Tober behandelt hier nuanciert und umfassend die innerliberale Debatte. Speziell zu Barth siehe K. Wegner, Theodor Barth und die Freisinnige Vereinigung, 18f. und 114ff. 120 „Nationale Demokratie“, in: Staat, Recht und Freiheit, 429–433 (erstmals BT 1920), hier 433; „Deutschlands Republikanische Reichsverfassung“, 62; „Die ‚Unmöglichkeit‘ des Notwendigen“, FZ, Nr. 253 (4.4.’20) 1.M. 121 „Qu’est-ce que le tiers-état?“, in: Die Nation, 17. Jg. Nr. 29 (21.4.’00), 402–405, hier 402. Vgl. „Sozialismus und Konstitutionalismus“ (1903), in: Staat, Recht und Freiheit, 251: „Wie die Dinge z.Zt. bei uns liegen, kann der Konstitutionalismus der rückhaltlosen Mitarbeit des Sozialismus in Theorie und Praxis nicht mehr entraten; aber auch der Sozialismus müßte erstarren, wenn er sich nicht ... auf den Boden der konstitutionellen Entwicklung stellte und sich den Existenzbedingungen des konstitutionellen Lebens anpaßte.“ 1917 schreibt Preuß in „Deutsche Demokratisierung“, in: ebd., 335–344, hier 343, daß die Trennung der SPD von den bürgerlichen Parteien „aufs verhängnisvollste die politische Demokratisierung durch den Parlamentarismus“ erschwere. Diese Ausschließung der Sozialdemokraten als Reichsfeinde habe erst die Gesinnung erzeugt, die angeblich bekämpft wurde; „Der deutsche Nationalstaat“
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Mit dem Kampf gegen das preußische Junkertum hatte Preuß in der Zeit des Wilhelminismus das Thema gefunden, das seine engagierteste und persönlichste Polemik zur Folge hatte. 5.3 Der Kampf gegen den Wilhelminismus Hugo Preuß hat den weitaus größten Teil seines politisch aktiven Lebens während des Kaiserreiches verbracht. Der Norddeutsche Bund wurde gegründet, als er sechs Jahre alt war, und als er 1918 endlich mit der Revolution in die lang ersehnte politisch verantwortliche Stellung gelangte, zählte er bereits 58 Jahre. Die politische Auseinandersetzung mit den Strukturen dieses Kaiserreiches macht denn auch zumindest quantitativ das Schwergewicht der Aktivitäten Preuß’ aus. Neben politischer Arbeit im engsten Sinne und neben weitreichenden Reformvorschlägen, die erst im weiteren Verlauf betrachtet werden sollen122, steht der polemisch-publizistische Kampf mit dem Wilhelminismus, der sich bei Preuß hauptsächlich gegen die sozial und wirtschaftlich ebenso rückständigen wie politisch konservativen ostelbischen Großgrundbesitzer, die Junker, richtet. An der politischen Einschätzung von Preuß hat sich bis heute nichts geändert, aber die wirtschaftliche Rückständigkeit ist in der Forschung sowohl behauptet wie auch bestritten worden123. Preuß läßt keinen Zweifel über seine Positionierung in dieser Forschungskontroverse, die für ihn noch keine historische, sondern eine hochaktuelle Frage war. Hintergrund des Problems ist die besondere Stellung des preußischen Adels, die sich in einem langen historischen Prozeß von den Anfängen der Geschichte des (1924), 83. Preuß war demgegenüber der Ansicht, daß „in dem Einen, was Noth thut, der Niederzwingung des agrarischen Junkerthums und der gescheitelten wie der geschorenen Orthodoxie alle Kinder der modernen Welt ohne jede Ausnahme natürliche Bundesgenossen sind“; „‚Politik und Selbstverwaltung‘“, in: Die Nation, 18. Jg. Nr. 9 (1.12.’00), 132–135, hier 133. Sozialismus und Bourgeoisie müssen in der Selbstverwaltung zusammenarbeiten für das Wohl der Gemeinden, was auch den Munizipalsozialismus einschließe; „Zur sozialen Entwickelungstendenz städtischer Selbstverwaltung“ (1905), 865. Nach der „Blockbildung“ stand Preuß unverändert zu seine Ansicht, daß der Liberalismus gerade jetzt den Weg nach links offen halten müsse, um Zugeständnisse der Konservativen zu erreichen; „Der Liberalismus im Block“ (1907), 570. 122 S.u., Kap. 3. Preuß hegte keine großen Hoffnungen für seine Reformvorstellungen; selbst als Optimist müsse man für die preußische Geschichte sagen, daß jede Reformära zwischen zwei Reaktionsepochen liege, und nicht umgekehrt; „Wirtschaftliche und soziale Bedeutung der Stein-Hardenbergschen Reform“, 31. 123 Als knappen Überblick vgl. Th. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866–1918, Bd. I, 211ff.; Volker Ullrich, Die nervöse Großmacht. Aufstieg und Untergang des deutschen Kaiserreichs 1871–1918, Frankfurt a.M. 1999, 273ff. Die Forschungskontroversen werden behandelt von Heinz Reif, Adel im 19. und 20. Jahrhundert, München 1999, 96ff. Zu den politischen Vorstellungen der Junker siehe Sabine Wehking, Zum politischen und sozialen Selbstverständnis preußischer Junker 1871–1914, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte, 121 (1985), 395– 448.
5.3 Der Kampf gegen den Wilhelminismus
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Staates her entwickelt hatte124. Stärker als in anderen europäischen Ländern war der preußische Adel auf die Krone und den ebenso loyalen wie konservativen Dienst am Staat orientiert, sowohl in seiner Verwaltung wie im Militär. Die Hauptbedrohung für die soziale und politische Position des Adels, nicht nur in Preußen, sondern in ganz Europa, war die fortschreitende Komplexität der Gesellschaft, die mehr und mehr eine Verwaltung durch Fachleute an Stelle aristokratischer Amateure verlangte. Dementsprechend war der Kampf gegen den zentralisierenden und industrialisierenden Staat ein politisches Interesse des Adels125. In Preußen gelang es ihm besser als anderswo, seine gesellschaftliche und politische Macht trotz der Entwicklung Deutschlands zu einem modernen Industriestaat bis 1918 zu bewahren, wenn nicht gar auszubauen. Diese Kombination aus sozioökonomischem Übergewicht und politischer Herrschaft erlaubt es, „von einer herrschenden Klasse im präzisen Sinne dieses Wortes zu sprechen“126. Der Erfolg des Adels in der Sicherung seiner Position lag nicht zuletzt darin begründet, daß er seine konservative Grundhaltung mit einer wirtschaftlichen Interessenpolitik verband, die die Möglichkeiten moderner Politik ebenso wie die alten Familienbindungen zwischen politischer Führung und Junkertum zu nutzen verstand127. Unbestritten ist, daß der ostelbische Adel, wenn man von der Ausnahme Oberschlesien absieht, im wesentlichen vorindustriell blieb und seine ökonomische Basis durchweg im Landbesitz hatte. Auch dies ist ein Unterschied zu den Entwicklungen, die der Adel in anderen europäischen Ländern nahm128. Dies bedeutet allerdings nicht notwendig, daß in dieser Agrarorientierung ein wirtschaftlicher Niedergang angelegt sein mußte. Einige neuere Untersuchungen haben zu zeigen versucht, daß die ostelbischen Junker als Agrarunternehmer 124 Vgl. Hans Rosenberg, Die Ausprägung der Junkerherrschaft in Brandenburg-Preußen, 1410– 1618 (erstmals 1978), in: Dirk Blasius (Hrsg.), Preußen in der deutschen Geschichte, Hanstein 1980, 95–142. 125 Dies ist die These von Dominic C. Lieven, Abschied von Macht und Würden. Der europäische Adel 1815–1914, Frankfurt a.M. 1995, 31ff. Als Überblick siehe auch Hans-Ulrich Wehler (Hrsg.), Europäischer Adel. 1750–1950, Göttingen 1990; Heinz Reif (Hrsg.), Adel und Bürgertum in Deutschland, 2 Bde., Berlin 2000 und 2001. 126 Gerhard Schulz, Deutschland und der preußische Osten. Heterologie und Hegemonie, in: HansUlrich Wehler (Hrsg.), Sozialgeschichte heute. Festschrift für Hans Rosenberg zum 70. Geburtstag, Göttingen 1974, 86–103. Hierzu auch Hanna Schissler, Die Junker. Zur Sozialgeschichte und historischen Bedeutung der agrarischen Elite in Preußen, in: Hans-Jürgen Puhle und Hans-Ulrich Wehler (Hrsg.), Preußen im Rückblick, Göttingen 1980, 89–122; und Francis L. Carsten, Der preußische Adel und seine Stellung in Staat und Gesellschaft bis 1945, in: H.-U. Wehler (Hrsg.), Europäischer Adel, 112–125. Zum Ausbau der Position der Junker ab 1890 siehe S. Wehking, Zum politischen und sozialen Selbstverständnis, 419. 127 Grundlegend immer noch Hans-Jürgen Puhle, Agrarische Interessenpolitik und preußischer Konservatismus im wilhelminischen Reich (1893–1914). Ein Beitrag zur Analyse des Nationalismus in Deutschland am Beispiel des Bundes der Landwirte und der Deutsch-Konservativen Partei, Hannover 1967. Vgl. auch Francis L. Carsten, Geschichte der preußischen Junker, Frankfurt a.M. 1988, 139ff. 128 Vgl. D. Lieven, Abschied von Macht und Würden, 104ff.; F. L. Carsten, Der preußische Adel, 121.
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5. Der politische Publizist
durchaus ihre Position in der modernen Wirtschaft zu halten vermochten, daß von einer Agrarkrise, wie sie die klassischen Arbeiten von Hans Rosenberg und anderen konstatiert haben, allenfalls im subjektiven Empfinden der Zeitgenossen gesprochen werden kann129. Ein wenig mutet diese wissenschaftliche Kontroverse allerdings wie ein müßiger Streit unter heutigen Historikern an. Die zeitgenössischen Junker, ihre Interessenorganisationen und die ihnen nahestehenden konservativen Parteien jedenfalls waren davon überzeugt, in einer unverschuldeten Krise zu stecken, und ebenso waren die liberalen und sozialistischen Kritiker130 vom unabwendbaren und sehr wohl verschuldeten sozioökonomischen Niedergang der Junker überzeugt. Beide richteten ihre Politik an diesem Krisenbewußtsein aus, und Hugo Preuß stand im Zentrum der damit verbundenen Publizistik. In zahlreichen Aufsätzen und Abhandlungen, von denen eine Artikelserie in Preuß’ wichtigstem Publikationsorgan, der „Nation“, 1897 zu einem Buch mit dem schlichten Titel „Die Junkerfrage“ zusammengefaßt wurden, hat Preuß seine Thesen über den grundsätzlichen und elementaren Gegensatz zwischen dem modernen urbanen und industriell-merkantilen Westen und dem rückständigen, dörflichen und agrarischen Osten der preußischen Monarchie vertreten131. Gedanken, die bereits in der Preußschen Sicht der deutschen Städtegeschichte eine zentrale Rolle gespielt haben, tauchen hier als politische Probleme seiner Gegenwart wieder auf und werden mit ungewohnter Schärfe und Eindeutigkeit im Urteil behandelt. Die soziale Ausnahmestellung, die der Großgrundbesitz in den östlichen Teilen Preußens, aber auch in seiner Armee und in den parlamentarischen Vertretungen, vor allem im Herrenhaus, einnahm, wurde auch nicht durch die zunehmende Verbürgerlichung dieser Schicht gemildert. Im Gegenteil, die wachsende Zahl bürgerlicher Besitzer von Rittergütern wurde ihrerseits feudalisiert132, und es war wohl 129 Vgl. Klaus Heß, Junker und bürgerliche Großgrundbesitzer im Kaiserreich. Landwirtschaftlicher Großbetrieb, Großgrundbesitz und Familienfideikommiß in Preußen (1867/71–1914), Stuttgart 1990. In knapper Form hat Heß seine Ergebnisse präsentiert in „Zur wirtschaftlichen Lage der Großagrarier im ostelbischen Preußen 1867/71 bis 1914, in: Heinz Reif (Hrsg.), Ostelbische Agrargesellschaft im Kaiserreich und in der Weimarer Republik. Agrarkrise – junkerliche Interessenpolitik – Modernisierungsstrategien, Berlin 1994, 157–172. Ähnlich Ilona Buchensteiner, Adel und Bodeneigentum – Wandlungen im 19. Jahrhundert, in: Wolfgang Neugebauer und Ralf Pröve (Hrsg.), Agrarische Verfassung und politische Struktur. Studien zur Gesellschaftsgeschichte Preußens 1700–1918, Berlin 1998, 37–63. 130 Als Überblick zu letzteren Peter Dell, Sozialdemokratie und Junkertum. Die sozialdemokratischen Positionen zum ostelbischen Landadel 1890 bis 1920, Diss. HU Berlin 1995. 131 „Für die Gestaltung der konstitutionellen und der Parteizustände in Preußen sind zwei fundamentale Tatsachen von charakteristischer Bedeutung: die überragende Machtstellung der Krone und der wirtschaftliche, soziale und politische Gegensatz zwischen dem Osten und dem Westen der Monarchie.“ ‚West-Oestliches Preußen‘, in: Staat, Recht und Freiheit, 200–230 (erstmals in der „Nation“ 1899), hier 203. Allgemein siehe „Die Junkerfrage“, Berlin 1897. Man muß G. Gillessen, Hugo Preuß, 50, zustimmen, daß es Preuß „hier um ein Stück versäumter Französischer Revolution in Preußen“ ging. 132 Hans Rosenberg, Pseudodemokratisierung (erstmals 1958), in: Hans-Ulrich Wehler (Hrsg.), Moderne deutsche Sozialgeschichte, 2. Aufl., Köln und Berlin 1968, 287–308, hier 297. Vgl.
5.3 Der Kampf gegen den Wilhelminismus
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ohnehin nicht zuletzt diese Aussicht, die wohlhabende Städter dazu brachte, ihr Geld auf eine ansonsten wenig zukunftsträchtige Art anzulegen. Der Strukturgegensatz zwischen den beiden ungleichen Teilen der Monarchie, in dem die ganze Sympathie Preuß’ dem fortschrittlichen Westen gehört, überdeckt für ihn in seiner Tragweite alle anderen Probleme der Tagespolitik, mit denen er sich zwar auch befaßte, die aber vor der buchstäblich Jahrzehnte währenden Beschäftigung und Auseinandersetzung mit dem Junkertum zurücktreten müssen. Mehr noch, die Debatte um die „Junkerfrage“ war für Preuß ein zentrales Problem der Tagespolitik, und unter allen wesentlichen aktuellen Auseinandersetzungen kommt für ihn immer wieder dieses Thema zum Vorschein. Dies gilt auch für seine prinzipielle Kritik am wilhelminischen Regime und an dem Kaiser als dessen primärem Repräsentanten. Mit unmittelbarer und öffentlich geäußerter Kritik an der Person des Kaisers mußte Preuß sich während dieser Jahre zurückhalten, wollte er nicht das Schicksal eines Gelehrten wie Ludwig Quidde teilen, der ihm auch sonst politisch nahestand133. In dieser Zeit sind also die Äußerungen noch vorsichtig und verklausuliert134. Erst nach 1918 konnte die Beschäftigung mit der „inneren Hohlheit und Ziellosigkeit“ des Wilhelminismus auch in der Wortwahl deutlicher werden135. Zwar urteilt er jetzt auch in aller Härte über Wilhelm II. selber136, aber die Auswüchse des Regierungssystems werden von
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auch P. Dell, Sozialdemokratie und Junkertum, 9; W.J. Mommsen, Max Weber und die deutsche Politik, 101ff. Quidde gehörte nach dem Krieg der DDP an, für die er auch in der Weimarer Nationalversammlung saß. Als Politiker vertrat Quidde einen gemäßigten Pazifismus, der ihm 1924/25 ein Verfahren wegen Hochverrat, 1927 den Friedensnobelpreis und 1933 Verfolgung und Exil eintrug. Vgl. U.-F. Taube, Ludwig Quidde, 113ff.; Karl Holl, Pazifismus in Deutschland, Frankfurt a.M. 1988, 187ff. und 207ff.; und ders., Art. „Ludwig Quidde“, in: Helmut Donat und ders. (Hrsg.), Die Friedensbewegung. Organisierter Pazifismus in Deutschland, Österreich und in der Schweiz, Düsseldorf 1983, 316–318. Vgl. „Recht der städtischen Schulverwaltung in Preußen“, 90; sowie „Obrigkeitsstaat und großdeutscher Gedanke“, Jena 1916, 33, wo er sich allerdings bereits heftig gegen den vermeintlich spezifisch preußischen Staatsgeist ausspricht. „Merkwürdig genug mutet dies wilhelminische Zeitalter an mit der Fortdauer, ja vielfachen Steigerung äußerlichen Gedeihens und der inneren Hohlheit und Ziellosigkeit. Glänzender als je entfaltete sich die Tüchtigkeit des deutschen Volkes auf allen möglichen Tätigkeitsgebieten; nur auf dem politischen Gebiet blieb es wüst und leer.“ ‚Republik oder Monarchie? Deutschland oder Preußen?‘, in: Staat, Recht und Freiheit, 467. Das parlamentarische Regierungssystem bedeute Regierung durch Verhandeln, das Kaiserreich Regierung durch Befehl. Zwar sei Wilhelm II. objektiv „friedfertig bis zur Schwächlichkeit“ gewesen; „(a)ber um so kraftprotzender und großspuriger mußten die äußeren Gesten sein, weil man 187m Inneren an dem antiparlamentarischen Regieren durch Befehlen zähe festhielt“; ‚Parlamentarismus und auswärtige Politik‘, in: ebd., 497–502 (erstmals BT, Nr. 474, 7.10.’25 M), hier 500. „Geschichtlich unwissend und politisch urteilslos sah sein fahriger Dilettantismus in der Vollgewalt der monarchischen Selbstregierung eine causa sui. Weil sein Großvater der Monarch gewesen, war er auch der Gründer des Reiches, Bismarck, Moltke und die anderen die gehorsamen ‚Handlanger‘ des allein regierenden Herrn. Es war eine Auffassung, die das
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Preuß ebensowenig wie dessen strukturelle Schwächen einzelnen Personen angelastet. Die Ursachen, die durchaus zu beheben gewesen waren, sieht er sowohl vor 1918 wie danach in dem Ost/West-Gegensatz der Sozialstruktur137. Selbst Bismarck, dessen antiliberaler und antiparlamentarischer Kurs gegen alle Preußschen Werte steht, kann mit einer gewissen professionellen Sympathie rechnen. Es entgeht Preuß nicht, wie geschickt Bismarck im Verfassungstext und in der Verfassungswirklichkeit seine eigenen Ziele durchgesetzt hat. Natürlich überwiegt für den liberalen Theoretiker und Praktiker Preuß, der politisch in den Jahren des Höhepunkts von Bismarcks Kanzlerschaft geprägt wurde, die Kritik an einem Politiker, der sich bewußt gegen die ganze Entwicklung des Zeitalters stellt138. Gegen die Bismarcksche Realpolitik setzt Preuß, ebenso wie Bamberger und Barth, unverändert die Kraft liberaler Ideen139. Auch für die Probleme der Reichsverfassung wird ihr Schöpfer verantwortlich gemacht, und schon 1887 schreibt Preuß, daß die großen theoretischen Konstruktionsmängel der Verfassung ihre größten praktischen Auswirkungen erst in dem Moment zeigen werden, in dem Bismarck abtritt140. Bismarcks Ziele sind nicht die Ziele von Preuß, aber gleichwohl schwingt in der Kritik auch immer die Anerkennung mit, daß Bismarck wenigstens gewußt habe, was er wollte und dies durchzusetzen verstand – und zwar notfalls auch gegen die Opposition der Junker141. Der Politiker Preuß kann dem erfolgreicheren Kollegen den Respekt für die Leistung nicht versagen142. Zum anderen
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offizielle Dogma von der monarchischen Selbstregierung mit naiver Ahnungslosigkeit wortwörtlich nahm.“ ‚Der deutsche Nationalstaat‘, 100. Zum Ost-West-Gegensatz vgl. G. Schulz, Deutschland und der preußische Osten, und Friedrich Zunkel, Industriebürgertum in Westdeutschland (erstmals 1962), in: H.-U. Wehler, Moderne deutsche Sozialgeschichte, 309–341. Etwa „Deutschland und sein Reichskanzler gegenüber dem Geist unserer Zeit“, 35: „Die Verleugnung aller großen ideellen Ziele und Prinzipien der inneren politischen Entwicklung, die Hervordrängung der kleinen, niedrigen Interessen – das nennt man jetzt ‚Realpolitik‘! Aber so wenig als das Produkt jenes sog. Realismus noch den Namen Kunst verdient, so wenig ist dies Herumtappen ohne Grundsätze, ohne feste, große Ziele noch Politik zu nennen.“ Vgl. auch ebd., 8f. u. passim. Der Liberalismus kämpfe demgegenüber mit der Macht der Ideen; Washington und Cavour hatten kein Königgrätz oder Sedan, setzten sich aber trotzdem durch; „Liberale und autokratische Revolutionäre“, in: Staat, Recht und Freiheit, 525. „Friedenspräsenz und Reichsverfassung“, 5: „Dieser Mangel theoretischer gründlicher Durchbildung und Abrundung unserer Verfassungsurkunde hat sich fast in jedem Jahre ihres Bestehens bei irgend einer Frage gerächt; am empfindlichsten aber wird er sich rächen, wenn dermaleinst die gewaltige Persönlichkeit, welche bis zu einem gewissen Grade das geltende Staatsrecht Deutschlands in sich verkörpert, nicht mehr an ihrem Platze stehen wird.“ Ähnlich auch „Was uns fehlt“, 32f. Zum Konflikt Bismarcks mit dem preußischen Junkertum siehe F. L. Carsten, Geschichte der preußischen Junker, 120ff. Vgl. auch M. Stürmer, Regierung und Reichstag im Bismarckstaat, 87ff. So etwa „Der deutsche Nationalstaat“, 33f., 44, 53f., 60 u. 70ff.; „Deutschlands Republikanische Reichsverfassung“, 33; „Die Junkerfrage“, 92; „Friedenspräsenz und Reichsverfassung“, 5.
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sind es die unwürdigen Begleitumstände von Bismarcks Sturz, in denen Preuß den Beleg für die Unzulänglichkeit des politischen Systems sieht – aber auch wieder für die politische Unreife des Volkes, das sich den einfachen Befehl des Kaisers widerspruchslos gefallen läßt; „(d)er Golem monarchischer Selbstregierung erschlägt seinen Meister“143. Die letzte Analyse von Bismarcks Sturz hat Preuß bereits während der Weimarer Republik geschrieben, als er sich in seinem methodischen Denken bereits weitgehend vom Staatsrecht gelöst hatte und politikwissenschaftliche Raster anlegte. Dies gilt nicht nur für das unmittelbare Ausscheiden des Reichskanzlers aus seinem Amt, daß von Preuß mit den Besonderheiten der von ihm selbst geschaffenen Verfassungsstruktur erklärt wird144, sondern mehr noch für die sich daran anschließende Zeit der politischen Ungnade, in der der gefallene Kanzler seinen Unmut nur noch vom Rande des Geschehens her ausdrücken konnte, nicht aber mit den Mitteln des politischen Prozesses: In jedem von nationalstaatlichem Leben beseelten Gemeinwesen hätte ein entlassener Bismarck sein politisches Wirken, nur mit andern Mitteln, selbstverständlich fortgeführt; denn hier vertritt der Staatsmann eine Richtung des Volkswillens – im Amte wie in der Opposition. In Bismarcks obrigkeitlich regiertem Deutschland war die oppositionelle Führerstellung eines entlassenen Ministers eine Todsünde gegen den Geist des Systems. ... (A)uch ein Bismarck war auf Grund seines eigenen politischen Prinzips nach seinem Sturz nichts als ein entlassener Diener. ... Indessen kamen seine Nachfolger, man wußte nicht, woher; sie gingen, man wußte nicht, wohin; ihr Kommen wie ihr Gehen war ohne politische Bedeutung für Inland und Ausland; denn es hing ab von heimlichen Intrigen und von einem unverantwortlichen, politisch undefinierbaren Willen. Bismarcks Sturz bezeugte die Entwicklungsunfähigkeit seines politischen Systems; aber er hinterließ eben dies System monarchischer Selbstregierung in vollendeter Hemmungslosigkeit und in den Händen eines politisch unzurechnungsfähigen Monarchen.145
Zur Auseinandersetzung mit dem Junkertum im weiteren Sinne gehören auch die „Novae Epistolae Obscurorum Virorum“, die Preuß von 1903 bis 1907 anonym in der „Nation“ erscheinen ließ146. Hintergrund und Vorbild waren die berühmten „Dunkelmännerbriefe“, die im frühen 16. Jahrhundert als Folge des Reuchlinschen 143 „Der deutsche Nationalstaat“, 107. 144 Ebd., 99; Bismarck war ein Gefangener seines eigenen Systems; er konnte nicht erzwingen, daß der Kaiser vernünftig handelte; „aus dem magischen Kreise, den er selbst gezogen, kam er nicht heraus“ (105); er war „das tragische Opfer der politischen Unkultur des von ihm geretteten und wunderbar befestigten Systems“ (ebd.). Denn „(n)icht die Gegnerschaft der sozialdemokratischen, der ultramontanen und fortschrittlichen ‚Reichsfeinde‘, auch nicht die gewerbsmäßigen Wühlereien des rechtsradikalen Nihilismus waren das Entscheidende, sondern der charakterlose Servilismus der Kartellparteien, die ihren Heros und Protektor auf einen Wink des Kaisers ohne Widerstand, ja mit untertäniger Begeisterung fallen ließen“ (104). 145 Ebd., 108f. Man kann die Jahre nach Bismarcks Abgang als permanente Regierungskrise charakterisieren; vgl. John C. G. Röhl, Deutschland ohne Bismarck. Die Regierungskrise im zweiten Kaiserreich 1890–1900, Tübingen 1969. 146 Es ist nicht möglich, an dieser Stelle auch nur einen Abriß der Novae Epistolae Obscurorum Virorum zu geben, die in „Staat, Recht und Freiheit“, 560–582, erneut abgedruckt sind. Keine Auswahl könnte dem beißenden Witz Preuß’ gerecht werden. Vgl. auch G. Gillessen, Hugo Preuß, 53f.
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Streites erschienen waren147. 1511 hatte der konvertierte Jude Johannes Pfefferkorn unter dem Schutz des konservativen Kölner Klerus vom Kaiser die Vernichtung aller jüdischen Schriften verlangt. Maximilian I. holte daraufhin Gutachten verschiedener Gelehrter ein, und der Humanist Johannes Reuchlin hatte ein eindeutig negatives Votum abgegeben148. Dies wiederum erboste die Dominikaner von Köln, an der Spitze ihren Prior und Inquisitor Jakob van Hoogstraaten, der sich nun mit Kampfschriften und Prozessen gegen Reuchlin wandte. Der Humanist setzte sich zur Wehr, und 1514 gab er eine Sammlung von Briefen berühmter Männer, „Epistolae Clarorum Virorum“ heraus, die Sympathiekundgebungen verschiedener Humanisten wie Philipp Melanchthon, Ulrich von Hutten und Sebastian Brant enthielt. Inzwischen hatte Reuchlin seinen Prozeß gewonnen, aber Hoogstraaten ließ mit seinen Angriffen und Beschuldigungen nicht nach, wobei er sich der Unterstützung der von den Dominikanern beherrschten Universität zu Köln sicher sein konnte. In diesem Umfeld erschienen nun zwischen 1515 und 1517 die anonymen „Epistolae Obscurorum Virorum“, eben die Dunkelmännerbriefe, ein Gemeinschaftsprodukt verschiedener Humanisten, darunter vor allem der Erfurter Crotus Rubianus und Ulrich von Hutten. Als Empfänger der satirischen Briefe mußte Ortuin Gratius herhalten, einer der Kölner Theologieprofessoren. Die vermeintlichen Autoren aber waren überwiegend fiktive Gestalten, und ob es sich um Lupold Federfuchser oder Johannes Kannegießer, um Marquard Fotzenhut oder Philipp Schlauraff handelt, tragen sie doch alle ihre Nichtigkeit und Niedrigkeit schon im Namen vor sich her. Sie alle erregen sich über Reuchlin, sind voller Heuchelei und Scheinheiligkeit und Gier nach unerlaubten Genüssen, die sie mit entstellten Bibelzitaten zu rechtfertigen suchen. Sie treiben scholastische Erörterungen, deren Rabulistik nur noch von der Belanglosigkeit der untersuchten Scheinprobleme übertroffen wird, und tragen dies alles in einem Latein vor, das selbst der heutige Leser als erbärmlich erkennt. Es ist kein Wunder, daß Preuß sich von dieser polemischen Fundgrube inspiriert fühlte, und er war auch nicht der einzige Autor seiner Zeit, dem dies so ging149. Sein Wagnis lag eher in der literarischen Anknüpfung an das große Vorbild, aber auch in dieser Hinsicht waren seine Novae Epistolae erfolgreich. Gelegentlich 147 Dunkelmännerbriefe. Epistolae obscurorum virorum an Magister Ortuin Gratius aus Deventer (1515–17). Hrsg. von Karl Riha, Frankfurt a.M. 1991. Die Darstellung der Hintergründe folgt im wesentlichen Karl Riha, Nachwort: Zur ‚Sache‘ der ‚Dunkelmänner‘ – und zu dieser Ausgabe, in: ebd., 323–338. Zu Reuchlin siehe nur Johannes Reuchlin (1455–1522). Nachdruck der 1955 von Manfred Krebs hrsg. Festgabe. Neu hrsg. u. erw. von Hermann Kling und Stefan Rhein, Sigmaringen 1994. 148 Vgl. Wilhelm Maurer, Reuchlin und das Judentum, in: H. Kling, St. Rhein und M. Krebs (Hrsg.), Johannes Reuchlin, 267–276. 149 Zu Eckart Warner (= Severin Simoneit), Briefe moderner Dunkelmänner, Leipzig 1883, der seine antiklerikale Satire im Rahmen des Kulturkampfes verfaßte, siehe Karl Riha, Nachwort: Zur ‚Sache‘ der ‚Dunkelmänner‘, 333f.; und ebd., 335f., zu Ludwig Thoma, Briefwechsel eines bayrischen Landtagsabgeordneten, München 1909, wo der berühmte gewordene Jozef Filser die Satire in die Politik weiterträgt.
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streut Preuß sogar ein wenig Latein ein; etwa wenn er seinen Oberst Graf Rittwitz in Anlehnung an Bismarck ausrufen läßt, „nescio quid mihi magis farcimentum sit“ – „ich wüßte nicht, was mir mehr wurscht wäre“150. Erst die Einstellung der „Nation“ brachte 1907 auch das Ende der Epistolae, für deren Fortsetzung es sonst sicherlich genügend Stoff gegeben hätte, denn die charakterisierten und persiflierten Zustände blieben das ganze Kaiserreich hindurch bestehen. Preuß ließ in den einzelnen „Briefen“ eine Reihe von typischen Charakteren zu Worte kommen; es fehlen weder evangelische noch katholische Geistliche, weder der hohe Offizier noch der Kammerherr noch der reiche getaufte Jude, der sich mit seinem frisch erworbenen Vermögen ein ostelbisches Gut kauft und nach der Nobilitierung strebt. Dessen Sohn hat es bereits zum Offizier gebracht und zeichnet sich durch die besondere Schneidigkeit aus, mit der er Untergebene als „krummer Judenbengel“151 tituliert. Selbst ein liberaler Reichstagsabgeordneter mit dem sprechenden Namen Schulze-Schilda taucht auf, der vor lauter taktischen Kompromissen in Wahrheit seinen Liberalismus schon längst abgelegt hat. Alle handelnden Personen sind unbedeutend, erzreaktionär, servil und ehrgeizig – Polemik und Satire zählten von jeher zu Preuß’ bevorzugten Stilmitteln. Aber hinter dem leichten Ton dieser dem Leben abgeschauten Satiren steht ein Maß von Feindschaft, ja geradezu von Haß, das bei Preuß einzig ist. Die „Junker“ sind für ihn das Erzübel der preußischen Geschichte und Gegenwart, sie verhindern den Einzug der Moderne in Preuß’ Vaterland. Mit „Junkern“ meint Preuß nur wenig differenzierend den ganzen, größtenteils adeligen ostelbischen Grundbesitz, dessen ökonomische und politische Herrschaft den Osten zu ersticken drohte. Die „Junkerproblematik“ hatten viele Publizisten aufgegriffen; Lujo Brentano152 und Max Weber, die beide politisch mit Preuß verbunden waren, näherten sich der Frage von ihrer wirtschaftlichen Seite. Ob Max Weber den Begriff Junker wirklich „völlig neutral“ gebraucht hat153, bleibe hier dahingestellt. Jedenfalls hat er sich ausführlich hiermit auseinandergesetzt; im wesentlichen mit den gleichen Ergebnissen wie Hugo Preuß. Auch für Weber bestand kein Zweifel, daß sich die Junker im wirtschaftlichen Todeskampf befanden, daß ihre ökonomische Basis durch den modernen Kapitalismus zerstört wurde. Damit aber war für Weber auch die Grundlage ihrer Herrschaft zerstört, und die von ihnen betriebene agrarische Interessenpolitik lähmte als
150 „Novae Epistolae Obscurorum Virorum“, in: „Staat, Recht und Freiheit“, 575. 151 Ebd. 152 Zu Brentano siehe Ursula Ratz, Arbeiteremanzipation zwischen Karl Marx und Lujo Brentano. Studien zur Geschichte der Arbeiterbewegung und der bürgerlichen Sozialreform in Deutschland, Berlin 1997; James J. Sheehan, The Career of Lujo Brentano. A Study of Liberalism and Social Reform in Imperial Germany, Chicago 1966; und Otto Tiefelstorf, Die sozialpolitischen Vorstellungen Lujo Brentanos, Diss. Köln 1973. 153 So F.L. Carsten, Geschichte der preußischen Junker, 9. Allerdings bezieht Carsten sich hier nur auf die Antrittsvorlesung von 1895.
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Hemmschuh die industrielle Entwicklung ganz Deutschlands154. Damit hatte auch Weber die Brücke von der Wirtschaft zur Politik geschlagen. Preuß hingegen argumentierte auch hier von Anfang an rein politisch und nannte politische Kräfteverhältnisse, um seine Argumentation zu stützen: 1823 wurden Provinzialstände eingerichtet, in denen sich 253 Stimmen der Standesherren und Ritter nur 215 Stimmen der Städte und Bauern gegenübersahen. Noch drastischer war das Mißverhältnis in den Kreistagen, wo neben 970 Städten und 975 Bauern ca. 10.000 Ritter vertreten waren155. Die systematische Begünstigung des Junkertums durch die Krone beginnt für Preuß mit König Friedrich II., der den Adel als politische Macht nicht mehr fürchtete und somit die sozialen Belange der Standesgenossen stützen konnte156. Vollends unter Friedrich Wilhelm IV. wird die Junkerherrschaft zum Staatsprinzip erhoben157. Alles, was Preußen rückständig erhält, läßt sich seitdem auf den Einfluß des feudalen Junkertums zurückführen. Die Niederlagen Preußens gegenüber dem modernen Frankreich sind ihnen anzurechnen, und vollends wie Hohn ist es für Preuß, wenn sich ausgerechnet die Junker als besonders patriotisch gebärden. Gerade sie waren es doch, die der deutschen Einigung höchst ablehnend gegenüberstanden und die „(t)ausendmal lieber ein mecklenburgisches Stillleben (sic) auf feudalem Boden, als alle Reichsherrlichkeit eines modernen Staatswesens“158 wollten. Preuß verfolgt diese Gedanken durch das ganze 19. Jahrhundert. Der Sieg in den Befreiungskriegen gegen Napoleon habe im Osten Preußens nur dem Junkertum
154 Umfassend zum Gesamtkomplex ist die kleine, aber gründliche Abhandlung von Cornelius Torp, Max Weber und die preußischen Junker, Tübingen 1998. Torp sieht in dieser Frage einen roten Faden, der sich durch Webers Werk zieht. Auch das heutige wissenschaftliche Urteil sei „maßgeblich von Weber beeinflußt“ (8), was aber für die Revisionisten nicht gilt. Zum ökonomischen Niedergang ebd., 58; zur Interessenpolitik ebd., 26 und 62ff. Vgl. auch W.J. Mommsen, Max Weber und die deutsche Politik, 26ff. 155 „Die Junkerfrage“, 41; und identische Zahlen „Entwicklung des deutschen Städtewesens“, 311; Art. „Kommunalwahlverbände. I. Preußen“, in: Handwörterbuch der Kommunalwissenschaften, 3. Bd., 93–100, hier 94. Vgl. auch G. Gillessen, Hugo Preuß, 52; sowie E. Zechlin: Die deutsche Politik und die Juden im Ersten Weltkrieg, Göttingen 1969, 541, wonach Hugo Preuß „nach dem Stein-Hardenbergschen Reformwerk und dem der Minister des rheinischen Großbürgertums von 1848 die dritte ‚Offensive der westlichen Reformidee gegen den altpreußischen Beamten- und Junkerstaat‘“ wollte. 156 Zu Friedrich II. vgl. „Die Junkerfrage“, 10; „Verfassungspolitische Entwicklungen“, 397. Zur Frühphase siehe auch F.L. Carsten, Geschichte der preußischen Junker, 9ff. Zum Hintergrund siehe auch H.-U. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, 1. Bd., 140ff. 157 Unter Friedrich Wilhelm IV. habe der Feudalismus „sein Joch allmählich seiner alten Gegnerin im absoluten Staate, der Bureaukratie, auferlegt. Seit der Verfassung kam das liberale, d.h. antijunkerliche Beamtentum nach und nach auf den Aussterbeetat“; ‚West-Oestliches Preußen‘, 217. Der König war mit seiner Politik des „dilettantischen Irrlichterirens hin und her“ („Die Junkerfrage“, 46) in Wahrheit geleitet von „der ihn am Narrenseil gängelnden Kamarilla“ („Qu’est-ce que le tiers-état?“, 403). 158 „Die Junkerfrage“, 4, 92 und 105.
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genutzt159. In der Mitte des Jahrhunderts war der Vertrag von Olmütz, in dem Preußen gegenüber Österreich auf die Unionspläne nach der gescheiterten Paulskirche verzichtete, zugleich ein Sieg des Ostens über den Westen160. Die wesentliche politische und soziale Organisation des Junkertums im Kaiserreich ist für Preuß der Bund der Landwirte, diese „klassenbewußte, sozialdemagogische Sturmtruppe“161. Überhaupt ist die ganze Verfassungsfrage in Preußen ein Teil der Junkerfrage; „(d)ie junkerliche Reaktion behandelte diese feierlich beschworene Verfassung als ein Versuchsthier ihrer Vivisektionskunst; sie sollte stückweise wegamputirt werden“162. Die wichtigste Machtbastion der Junker im preußischen Staats- und Verfassungsgefüge ist das Herrenhaus, „diese Hochburg des Junkerthums, deren Rechtsbeständigkeit ebenso zweifelhaft, wie ihre historische Unechtheit und politische Werthlosigkeit unzweifelhaft ist“; diese „Schöpfung einer dilettantischen Geschichtsmummerei“163, dieses „Kind einer krankhaften königlichen Laune“164. Wenn man die Schärfe der Polemik gewissermaßen abzieht, dann bleibt übrig, daß das Herrenhaus für Preuß der größte institutionelle Hemmschuh auf dem Weg zu einer modernen Demokratisierung Preußens und Deutschland ist, daß es die Parlamentarisierung ebenso wie die Wahlrechtsreform verhindert, und dies, wie zahllose andere Reformen auch, aus kurzsichtigen und egoistischen Klasseninteressen. Im großen und ganzen, und aus der erhitzten Sprache des unmittelbar Betroffenen in die nüchterne Analyse der Wissenschaft übersetzt, ist dies auch die Position der heutigen Forschung165. Neben der Politik im engeren Sinne waren Armee und Bürokratie, letztere von der Ebene der Ministerialbürokratie bis hinunter zum Landrat, die entscheidenden Säulen der Verzahnung von ökonomischer und politischer Macht der preußischen 159 Ebd., 33, schreibt Preuß über das Jahr 1814: „Als die siegreichen Wehrmänner in ihre heimathlichen Dörfer zurückkehrten, konnte sie die freudige Überraschung genießen, nicht nur das Vaterland, sondern auch die Patrimonialgerichtsbarkeit und die Polizeigewalt der Rittergüter über die Landgemeinden gerettet zu haben!“ 160 „West-Oestliches Preußen“, in: Staat, Recht und Freiheit, 206. 161 „Die Junkerfrage“, 7. Siehe auch H.-J. Puhle, Agrarische Interessenpolitik, zu Aufbau und Struktur (37ff.), Programm (72ff.) und Politik (143ff.) des Bundes der Landwirte. Der offene, in Puhles Einschätzung „militante Antisemitismus“ (111ff.) der Organisation hatte sicherlich auch seinen Anteil an Preuß’ drastischer Wortwahl. 162 Ebd., 64. Vgl. „West-Oestliches Preußen“, in: Staat, Recht und Freiheit, 209f. zum Kampf der Reaktion gegen die Verfassung. Zur bis 1918 zunehmenden interpretatorischen Unterordnung der Verfassung unter das monarchische Prinzip siehe Hans Boldt, Die preußische Verfassung vom 31. Januar 1850. Probleme ihrer Interpretation, in: H.-J. Puhle und H.-U. Wehler (Hrsg.), Preußen im Rückblick, 224–246. 163 Beide Stellen „Die Junkerfrage“, 70. 164 „Vor den Landtagswahlen“, 670. 165 Erschöpfend zur Thematik jetzt Hartwin Spenkuch, Das Preußische Herrenhaus. Adel und Bürgertum in der Ersten Kammer des Landtages. 1854–1918, Düsseldorf 1998. Zur Frühphase auch ders., „Pairs und Impairs“. Von der Ersten Kammer zum Herrenhaus (1849–1872). Argumente, Positionen, Entscheidungen, in: H. Reif (Hrsg.), Adel und Bürgertum in Deutschland, 1. Bd., 173–206.
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Junker166. Für entsprechende Vertretung in den Staatsspitzen sorgten die informellen Verbindungen der Junker, die namentlich die innere Politik zu beherrschen wußten; dank ... der unbestreitbaren Geschicklichkeit und ebenso unbestreitbaren Skrupellosigkeit, mit der das Junkertum namentlich allerhöchste Schwächen für seine Zwecke auszubeuten verstand. Unter dem Bann dieser inneren Politik steht Preußen noch heute; während eines halben Jahrhunderts hat sich das Junkertum in diese feste Stellung eingegraben; sich mit tausend Vorurteilen und Interessen nach allen Seiten hin verfilzt, ein System gesponnen vom Korpsstudenten bis zum Minister, vom Reserveleutnant bis zum Generaladjutanten, vom Lakaien bis zum Hofmarschall, eng zusammenhaltend mit all seinen Maschen. Und in dieses Gewebe hat Kreuzspinne Junkertum eine schöne, große Fliege eingesponnen, die preußische Krone, sich durch deren Aussaugung nährend. An die historische Machtstellung der preußischen Krone klammert sich das Junkertum, um seinen politischen Einfluß zu erhalten und dadurch seinen wirtschaftlichen Ruin zu vermeiden. Das heißt dann: treueste Stütze des Thrones; jawohl, wie auch die Spinne die Fliege in ihrem Netze stützt. Aber stärker als die Macht der mächtigsten Krone und in keinem Gewebe zu fangen sind die Notwendigkeiten der wirtschaftlichen Evolution.167
Diese Notwendigkeiten werden zum Verschwinden der Junker führen müssen, da diese sich als reformunfähig und wirtschaftlich hoffnungslos veraltet herausgestellt haben. Zwar wehren sich die Junker gegen diese Entwicklung, aber entscheidend aufhalten können sie sie damit nicht. Es ist erstaunlich und bedenklich, in welchen Worten Preuß den Stab über die Junker bricht – von allen Problemen, mit denen sein viele tausend Seiten umfassendes Werk sich beschäftigt, wird keines auf auch nur annähernd vergleichbare Art bezeichnet. Preuß äußert zwar ein gewisses Verständnis für die Hartnäckigkeit des Junkertums, fährt aber sofort mit Vokabeln fort, die auch von weniger liberalen Publizisten in anderen Zusammenhängen hätten stammen können: Daß es seinen Nährboden mit aller Macht vertheidigt, ist ihm als sozialer Klasse gewiß nicht zu verargen; verübelt man es doch auch den Schädlingen in der Natur nicht, daß sie sich ihres
166 Vgl. hierzu Fritz Fischer, Krieg der Illusionen. Die deutsche Politik von 1911 bis 1914, Düsseldorf 1969, 40ff. 167 „West-Oestliches Preußen“, in: Staat, Recht und Freiheit, 212. Vgl. ebd., 218, wo Preuß eine andere Tiermetapher benutzt: „Von der Schulbank an geleiten hohe Vetterschaft und Patronage den feudalen Jüngling mit leichter Hand auf allen Stufen seiner Laufbahn. Schon in der Raupe des adeligen Abiturienten, vollends in der Chrysalide des Korpsstudenten ahnt der kundige Sinn den bunten Schmetterling des Präsidenten und Ministers. Freilich, die Examina sind noch eine etwas unbequeme Sache; man ist da nicht recht unter sich; Schulmänner, Professoren und Justizjuristen sind leider noch ungenügend feudalisiert. Aber ist einmal diese Klippe so oder so umschifft, dann hat man Meeresstille und glückliche Fahrt. Das Gros des minderbegabten feudalen Nachwuchses füllt die Kadres des administrativen und diplomatischen Dienstes; die besser Begabten steigen rasch zur Sonnenhöhe der Spitzen empor.“ So ist auch alles, was für ein wirklich modernes Königtum gut ist, eine tödliche Gefahr für das Junkertum, ebd., 214. Und wie das Junkertum die Monarchie aushöhlt, so das einzelne Rittergut die freie Gemeinde: „Ein eiterndes Geschwür, Schmerz erzeugend und Kraft zerstörend, sitzt das selbständige Rittergut im Fleische der Landgemeinden.“ ‚Vor den Landtagswahlen‘, 669.
5.3 Der Kampf gegen den Wilhelminismus
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Lebens mit allen Lebenskräften wehren. Wohl aber tadelt man den schlechten Wirth, der die Schädlinge nicht als solche erkennt und ausrottet.168
Wenn Preuß irgendwo dem Denken des Sozialdarwinismus im gängigen Verständnis des Wortes nahekommt, dann hier169. Es ist ein ganz guter Indikator für die Bedeutung, die dieses Thema für Preuß hatte, wenn man seine einschlägigen Äußerungen mit denen Max Webers vergleicht. Weber hatte eine ähnlich positive Grundeinstellung zum evolutionären Denken, und er hatte eine ähnlich negative Grundeinstellung zum Junkertum. Trotzdem gibt es nirgendwo bei Weber eine Wortwahl, die an Heftigkeit den Preußschen Ausbrüchen auch nur nahekommt. Ähnliches gilt für Friedrich Naumann, für den die Junkerklasse „der grimmigste, entschlossenste Feind der deutschen Demokratie ist, nicht weil es ihr Spaß macht, sondern weil sie muß“170. In der Sache besteht Übereinstimmung, aber in der Form ist Naumann weit milder als Preuß. Zugleich ist das Schicksal des Junkertums die einzige Stelle in den Schriften von Preuß, an der er einem nahezu unbedingten ökonomischen Determinismus huldigt, der für individuelle Entwicklungschancen keinen Raum läßt und der eher marxistischem Gedankengut zu entspringen scheint. Daß die wirtschaftliche Entwicklung das Junkertum unrettbar zum Untergang verurteilt, steht für Preuß fest. Zumindest ein Teil der heutigen Forschung sieht dies weniger eindeutig171. Die Aufgabe, das historisch Unvermeidliche zu beschleunigen und die Kritik, diese Aufgabe noch nicht gelöst zu haben, richtet sich zunächst einmal, wie fast immer bei Preuß, an das Bürgertum. Die Ausrottung der feudalen Junkerschicht oder, weniger gewalttätig ausgedrückt, ihre Ausschaltung als soziale Gruppe aus dem politischen Prozeß wäre die genuine Arbeit des Bürgertums gewesen als der Schicht, die das Erbe angetreten hätte172. Neben der Kritik des Bürgertums, das 168 „Die Junkerfrage“, 3. Das Junkertum ist eine „soziale Schmarotzerpflanze“ (106); zu lösen ist die Junkerfrage nur durch dessen Vernichtung (42). Die Junker sind „zugleich herrschsüchtig und politisch impotent“ (26), und daran hat sich seit den Reformen nichts geändert: „Die absolute Unfähigkeit des ostelbischen Junkerthums, sich in einen modernen politischen Adel zu verwandeln, ... tritt gerade in dieser Reformzeit grell und widerwärtig hervor.“ (25). Das ganze Jahrhundert sieht die Auseinandersetzung von preußischer Bürokratie und Junkern; „ein Kampf, der ja noch heutigen Tages immer wieder ausbricht, sobald der Gegner Beider, der Liberalismus, einige Zeit außer Gefecht gesetzt ist“ (41). 169 Allerdings schließt das nicht ein, daß Preuß auch menschenzüchterische und selektionistische Ideen unterstützt hätte; vgl. hierzu M. Vogt, Sozialdarwinismus, 198f. 170 Friedrich Naumann, Demokratie und Kaisertum. Ein Handbuch für innere Politik, 3. neubearb. Aufl., Berlin-Schöneberg 1904, 90. 171 „Qu’est-ce que le tiers-état?“, 404. Anders K. Heß, Zur wirtschaftlichen Lage der Großagrarier, 157f.; und Ilona Buchsteiner, Großgrundbesitz in Pommern 1871–1914. Ökonomische, soziale und politische Transformation der Großgrundbesitzer, Berlin 1993. 172 Der Gedanke, daß die Bürger an der ungelösten Junkerfrage schuld sind, zieht sich als roter Faden hindurch; z.B. „Die Junkerfrage“, 106; „Vor den Landtagswahlen“, 655; „Qu’est-ce que le tiers-état?“, 404, wo Preuß erneut beklagt, daß das Bürgertum „mit einer so unvergleichlichen politischen Geduld und – Unbeholfenheit gesegnet“ sei. Ebd., 403, nennt er den Verfassungskonflikt eine Erhebung des Dritten Standes in Preußen gegen den Feudalismus. Hierzu
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auch vor dieser Aufgabe versagt hat, steht diesmal die Kritik an der Krone. Denn wie alle erfolgreichen Reformen in Preußen stets von der Spitze ausgingen, steht es für Preuß außer Frage, daß die Exekutive bei entsprechendem politischen Willen auch die Macht gehabt hätte, die anachronistische Stellung der Junker mit dem Gang der Entwicklung in Übereinstimmung zu bringen. Dieser Wille war aber offenbar nicht vorhanden, und damit sieht Preuß letztlich die Monarchie selbst in Gefahr. Eine monarchische Staatsordnung kann nach Preuß nur in demokratischen Formen bestehen bleiben, nicht aber, indem sie sich an den feudalen Grundadel anschließt173. Auch Naumann fordert, daß das Kaisertum „die agrarische ‚Clique‘, die den Absichten der Krone entgegenwirkt“174, abschüttelt und sich statt dessen mit dem Volk verbündet, über das Mittel der Sozialreform. Der polemische Kampf gegen die Macht der preußischen Junker ist für Preuß somit letztlich nur ein besonders offensichtlicher Teil der Auseinandersetzung, um die sich sein ganzes politisches Streben im Kaiserreich dreht: um die Umgestaltung des Obrigkeitsstaates in einen Volksstaat. Preuß und die anderen Reformer scheiterten mit ihren Bemühungen, die erst an späterer Stelle näher zu betrachten. Recht behielt Preuß allerdings mit seinen pessimistischen Prognosen über das Schicksal der preußischen Monarchie. Nach 1918 sah er sich in einer für ihn ungewohnten vgl. auch Preuß’ „Entwicklung des deutschen Städtewesens“, 351: „Die Kämpfe des preußischen Verfassungskonflikts bezeichnen den ersten und bisher auch letzten Versuch des Bürgertums, die politische Urbanisierung des Staates aus eigener Kraft durchzuführen. Sie zeigen dabei zum ersten und bisher einzigen Male das aufdämmernde Bewußtsein einer natürlichen Interessengemeinschaft der nicht feudalen Elemente des flachen Landes und des städtischen Bürgertums; es bilden sich die Ansätze einer Streitgenossenschaft wider die patrimonialen Rudimente innerhalb der Staatsverfassung und wider die patrimonialen Rudimente der agrarischen Herrschaftsverfassung.“ Es verwundert nicht, daß Preuß das Junkertum auch für einen objektiven Förderer des Entstehens der Sozialdemokratie hält und die Bürger auffordert, den wichtigeren Feind zu bekämpfen; „Die Junkerfrage“, 6. 173 „Jene ängstlich loyalen Gemüther verwechseln oft nicht ohne Absicht die Monarchie mit dem theils feudalistischen, theils byzantinischen Firlefanz, auf dem nicht die Existenz der Krone, wohl aber die Existenz der Hofjunker und Hofpfaffen beruht.“ ‚Politik und Selbstverwaltung‘, 135. Bitter kommentiert Preuß die Auseinandersetzung um den Mittellandkanal, als die Liberalen die Regierung unterstützten: „(B)esonders unbehaglich pflegt dabei den leidend-leitenden Staatsmännern zumute zu sein; wie im dunkeln Drange des Selbsterhaltungstriebes wehren sie sich gegen liberale Hilfe. ... (D)ie Feindschaft der Konservativen ist schlimm; aber die Freundschaft der Liberalen ist schlimmer für eine preußische Regierung.“ ‚West-Oestliches Preußen‘, 201. Zum fehlenden Willen der Krone, die Junkerfrage zu lösen und zur damit verbundenen Selbstgefährdung siehe auch ebd., 221ff., und v.a. „Die Wandlungen des deutschen Kaisergedankens“, in: Staat, Recht und Freiheit, 273–289 (erstmals Rede vom 27.1.’17), passim, wo die moderne Bedeutung des Kaisertums ganz aus dem demokratischen Selbstbewußtsein des Volkes heraus begründet wird. 174 F. Naumann, Demokratie und Kaisertum, 221. Zu Naumanns durchaus ambivalenten Vorstellungen siehe Jürgen Christ, Staat und Staatsraison bei Friedrich Naumann, Heidelberg 1969. Naumanns Imperialismus ging noch weit über den Max Webers hinaus. Zur Auseinandersetzung zwischen Barth und Naumann vgl. C. Gräter, Theodor Barths politische Gedankenwelt, 125. Preuß war beiden verbunden, stand Barth aber erheblich näher.
5.4 Die Verteidigung der Republik
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Rolle, die gerade den Publizisten vor neue Aufgaben stellte. Jetzt galt es nicht mehr, die bestehende Staatsordnung anzugreifen, sondern sie zu verteidigen. 5.4 Die Verteidigung der Republik Um die ‚undeutsche‘ Reichsverfassung Wenn es irgendeine Zeit in der deutschen Geschichte gab, die nach der Weimarer Klassik einen robusten intellektuellen Diskurs mit geistig, künstlerisch und wissenschaftlich hochkarätiger Beteiligung führte, ist es sicherlich die Weimarer Republik. Dies kann man konstatieren, ohne in überzogen-nostalgische Träumereien über angeblich „Goldene“ Zwanziger zu verfallen, die es so nie gegeben hat175. Für die Publizistik in Weimar stehen, auf unterschiedlichen Seiten des politischen Spektrums, Namen wie Tucholsky, Jacobsohn und Ossietzky; Helfferich, Spengler und Zehrer; Troeltsch, Meinecke und Max Weber, Heinrich und Thomas Mann. In diesem Klima des öffentlichen Gebrauchs der Vernunft176, oder doch zumindest des freien Wortes, mußte sich auch Hugo Preuß wohlfühlen, und im Vergleich zum Kaiserreich intensivierte er seine publizistische Tätigkeit in verschiedenen liberalen Tageszeitungen und Journalen weiter177. Fast von Anfang an befand sich die Weimarer Republik in der Defensive gegenüber ihren zahlreichen Gegnern von links und vor allem von rechts. Kurt Tucholsky braucht nur bis zum März 1919, bevor er in der Weltbühne satirisch und gnadenlos mit der Republik abrechnete, die sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal ihre Verfassung gegeben hatte. Von links sah er „Papa Ebert angewackelt“ kommen, und die Bürger konnten beruhigt sein, denn „die Regierung säuselt gar zu hold“178. Die Rechten brauchten auch nicht länger, sich von dem Schock durch 175 Selbst in der DDR erschienene Bände sind bei aller Kritik nicht ganz frei von dieser Versuchung; siehe Bärbel Schrader und Jürgen Schebera, Die „goldenen“ zwanziger Jahre. Kunst und Kultur der Weimarer Republik, Leipzig 1987. Als Darstellung immer noch unerreicht Walter Laqueur, Weimar. Die Kultur der Republik, Frankfurt a.M., Berlin und Wien 1976. 176 Vgl. Manfred Gangl und Gérard Raulet (Hrsg.), Intellektuellendiskurse in der Weimarer Republik. Zur politischen Kultur einer Gemengelage, Frankfurt a.M. und New York 1994; Wolfgang Bialas und Burkhard Stenzel (Hrsg.), Die Weimarer Republik zwischen Metropole und Provinz. Intellektuellendiskurse zur politischen Kultur, Weimar, Köln und Wien 1996. 177 Zur Presse in Weimar siehe Harry Pross, Literatur und Politik. Geschichte und Programme der politisch-literarischen Zeitschriften im deutschen Sprachgebiet seit 1870, Olten und Freiburg/Br. 1963, 89ff.; H.-D. Fischer, Handbuch der politischen Presse in Deutschland, 230ff., v.a. 256ff. zur liberalen Presse. 178 Kurt Tucholsky, Das Lied vom Kompromiß, in: ders., Gesammelte Werke. Bd. 2: 1919–1920, 57f. (erstmals in Die Weltbühne 12/297, 13.3. 1919). Programmatisch ist der im gleichen Heft der Weltbühne veröffentlichte Aufsatz „Wir Negativen“, ebd., 52–57, der bereits das Credo enthält, mit dem Tucholsky die Republik durchgängig angreifen sollte. Zur Weltbühne vgl. H. Pross, Literatur und Politik, 103. Zu Tucholskys Haltung zur Weimarer Republik siehe W.
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Weltkriegsniederlage und Revolution zu erholen. Im November 1918 war selbst in der „Kreuzzeitung“ der Ruf nach Demokratie und Nationalversammlung laut gewesen179, war anerkannt worden, daß das Hohenzollern-Regime sich überlebt hatte. Doch seltsam! In dem Maße, wie sich die Befürchtungen verflüchtigten und Hoffnungen erfüllten, wagte sich unverständige oder böswillige Verkleinerungssucht dreister hervor. Wie die Nutznießer des alten zusammengebrochenen Regiments merkten, daß die gefürchtete revolutionäre Gewaltherrschaft nicht eintrat, daß ihnen vielmehr die rechtlich geordnete neue Demokratie kein Haar krümmte, da fanden sie plötzlich ihren Bekennermut zum Alten wieder und versuchten, diese neue Demokratie mit der ungeheuren Schuldlast ihres eigenen zusammengebrochenen Regiments zu beladen. Da verhöhnen sie die Demokratie, in der sie eben noch selbst die einzige Rettung vor dem Chaos gesehen hatten; da preisen sie das alte System, dessen Unhaltbarkeit sie selbst noch eben bekannt hatten.180
Preuß schrieb diese Zeilen bereits im Sommer 1919, in seinem Vorwort zur Textausgabe der Reichsverfassung. Der Angriff auf die Verfassung und dahinter auf Republik und Demokratie erfolgte auf vielen Wegen, und auf allen diesen Wegen begegnete Preuß den Feinden der neuen Ordnung. Seine publizistischen Gegenattacken kreisen in ihrer Argumentation vor allem um vier Bedeutungszusammenhänge. Zunächst einmal konnte er jetzt, ohne die Fesseln der Zensur und die Drohungen der Majestätsbeleidigungsparagraphen, in ganz anderer Form mit dem alten Regime abrechnen, als dies vorher möglich gewesen war – und selbst da hatte er sich nur die nötigste Zurückhaltung auferlegt. Die Unfähigkeit des Kaiserreiches, sich zu einem modernen Volksstaat zu entwickeln, lag für ihn angesichts des Ergebnisses jetzt klar zu Tage. Der Fluch der bösen Tat wirkte aber noch fort, und zum bleibenden Vorwurf wird es für Preuß, daß Österreich von der kleindeutschen Entwicklung ausgeschlossen geblieben war und daß es dem äußeren Glanz und Reichtum des Kaiserreiches gelungen war, die Erinnerung an die demokratische Tradition selbst im Bürgertum auszulöschen181. Laqueur, Weimar, 67ff.; und Hermann Haarmann, „Pleite glotzt euch an. Restlos.“ Satire in der Publizistik der Weimarer Republik. Ein Handbuch, Opladen und Wiesbaden 1999, 83ff. 179 Etwa G. F[oertsch]: Nationalversammlung, KZ, Nr. 582 (14.11.’18) A. Zur Kreuzzeitung siehe Meinolf Rohleder und Burkhard Treude, Neue Preußische (Kreuz-)Zeitung, Berlin (1848– 1939), in: H.-D. Fischer (Hrsg.), Deutsche Zeitungen, 209–224. 180 „Vorwort“, in: Die deutsche Reichsverfassung vom 11. August 1919. Textausgabe, o.O. 1919, unpag. Ähnlich auch „Der deutsche Nationalstaat“, 129f. 181 Der alte Staat „brach zusammen, weil er eben nur ein Militär- und Beamtenstaat war, nicht ein vom Gemeinwillen des Volkes getragenes, nationales oder korporatives politisches Gemeinwesen“; ‚Der deutsche Nationalstaat‘, 15. Vgl. auch „Republik oder Monarchie? Deutschland oder Preußen?‘, in: Staat, Recht und Freiheit, 466. Ebd., 455, sieht Preuß ein tragisches Verhängnis darin, daß die Fürsten in Gegensatz zur nationalen Entwicklung standen. Dabei könne man vor 1918 selbst bei der SPD und beim Linksliberalismus von einem „Vernunftmonarchismus“ sprechen; „Deutschlands Republikanische Reichsverfassung“, 8. Zur Entfremdung des Bürgertums von demokratischen Gedanken nach der Reichseinigung vgl. „Der deutsche Nationalstaat“, 38ff. u. 59; „Bergbriefe“, 7.
5.4 Die Verteidigung der Republik
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Zum zweiten mußte Preuß zeigen, daß es nicht die Demokratie gewesen war, die an Revolution und Niedergang die Schuld zu tragen habe. Der Weltkrieg war für ihn das Weltgericht über den Obrigkeitsstaat, der sich den flexiblen Demokratien gegenüber hoffnungslos unterlegen gezeigt habe182. Niederlage und Revolution seien mithin auch nicht das Resultat von anti-deutschen Bestrebungen dunkler Kräfte im eigenen Lager, sondern ein nahezu zwangsläufiges Resultat der politischen Entwicklung. Zudem hätten die alten Mächte kaum revolutionär entmachtet werden müssen; in ihrer Schwäche gaben sie die Macht ab an Politiker, die sie im Grund kaum wollten. Es sei eine seltsame Revolution gewesen, die nicht mit Monarchisten, sondern mit Rätekommunisten habe kämpfen müssen. Sie war nicht ‚gemacht‘; niemand drängte in diesem Moment nach der Verantwortung183. Die Unsinnigkeit der Dolchstoß-Legende war für Preuß viel zu offensichtlich, um detaillierte Widerlegung zu erfordern184. Problematischer war es mit der wirksamsten Waffe im Propagandaarsenal der rechten Republikfeinde, der Behandlung der jungen Demokratie durch die siegreichen Demokratien in Versailles und danach. Preuß lehnte Versailles mindestens ebenso leidenschaftlich ab wie irgendein Politiker der Rechten; vielleicht noch intensiver, da er zu genau wußte, wie sehr die Weimarer Republik durch die äußeren und inneren Folgeerscheinungen des Friedens belastet war185. Auch an Äußerlichkeiten läßt sich ablesen, wie wichtig
182 So etwa „Republik oder Monarchie? Deutschland oder Preußen?“, in: Staat, Recht und Freiheit, 469; „Der deutsche Nationalstaat“, 125. 183 „Republik oder Monarchie? Deutschland oder Preußen?“, in: Staat, Recht und Freiheit, 446f. Vgl. auch „Nationale Demokratie“, in: ebd., 429: „Unter dem furchtbaren Druck von Gefahr und Elend trat die deutsche Republik ins Leben; äußerer Zusammenbruch und innere Wirrnis, Straßenkämpfe hier und dort, denen die öffentliche Ordnung ohne organisierte Machtmittel preisgegeben war.“ 184 Paul von Hindenburg, Aus meinem Leben, Leipzig 1925, 403, formulierte es wie folgt: „Wie Siegfried unter dem hinterlistigen Speerwurf des grimmen Hagen, so stürzte unsere ermattete Front; vergebens hatte sie versucht, aus dem versiegenden Quell der heimatlichen Kraft neues Leben zu trinken.“ Zur Dolchstoßlegende siehe Michael Dreyer und Oliver Lembcke, Die deutsche Diskussion um die Kriegsschuldfrage 1918/19, Berlin 1993, 94ff. 185 „Nationale Demokratie“, in: Staat, Recht und Freiheit, 430: „Ob die Unterzeichnung des beispiellosen Friedens von Versailles das äußere Schicksal Deutschlands gerettet oder auch nur gebessert habe, sei hier nicht erörtert. Unzweifelhaft aber hat keine andere Tatsache ärger und verhängnisvoller das Geschick der deutschen Demokratie im Innern beeinflußt. Nichts hat so mächtig die Wirkung jener Agitation gefördert, die von der Lüge lebt, daß der demokratische und der nationale Gedanke Gegensätze seien. ... Seitdem ... die Bedingungen von Versailles und ihre Folgeerscheinungen immer mehr die Hoffnungen vernichten, daß es für den deutschen Staat überhaupt eine Rettung gäbe, erheben wieder die Lobredner und Nutznießer der durch ihre eigene Schuld gestürzten alten Mächte schadenfroh ihr Haupt. Und ihre weder durch politische Einsicht noch durch staatliches Verantwortlichkeitsgefühl gehemmte Hetze findet starken Widerhall im Volke, das durch seine geschichtliche Vergangenheit aller demokratischen politischen Selbstzucht entwöhnt wurde, und von der übermütigen Rücksichtslosigkeit seiner Besieger zur Verzweiflung getrieben wird. Diese Gewaltpolitik macht es jenen Hetzern
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und verletzend für Preuß die alles andere als brüderliche Aufnahme war, die Deutschland als Demokratie durch die älteren Demokratien erfuhr. Die 1924 veröffentlichte Artikelsammlung „Um die Reichsverfassung von Weimar“ beginnt mit einem fiktiven Interview, in dem Preuß einem nicht näher bezeichneten „Amerikaner“ Rede und Antwort steht. Preuß beklagt sich dort mit Worten, die auch von manchem rechten Politiker hätten stammen können: Seit die demokratischen Führer im Vertrauen auf die Verheißungen Wilsons unser Volk haben entwaffnen lassen, wird es von den siegreichen Demokratien unter Verhöhnung jedes Rechts und ihrer eigenen Prinzipien gedemütigt, mit Füßen getreten und immer tiefer ins Elend herabgedrückt.186
Allerdings sind die Schlußforderungen bei Preuß andere, als sie die Politiker der Rechten zogen. Was ihnen als Beleg gegen die deutsche Republik dienen mußte, wurde von Preuß genau deshalb beklagt, weil es den Verteidigern der Demokratie ihre Aufgabe schwer machte. Während das ganze deutsche Volk über die Parteigrenzen hinweg einig in der Ablehnung des Versailler Vertrages war, konnte der dritte Argumentationsstrang der Preußschen Publizistik kaum damit rechnen, viel Zustimmung zu finden. Preuß betonte immer wieder, wie viel trotz allen äußeren Erschwernissen erreicht worden sei. Nach Niederlage und Revolution habe Deutschland seine Staatseinheit bewahrt und erstmals in seiner Geschichte einen wirklichen Volksstaat errichtet187. Auch der Bolschewismus habe bei seinem drohenden Siegeszug durch Europa in Deutschland gestoppt werden können, und dieser Gedanke findet sich nicht nur bei Preuß, sondern ist geradezu ein Topos der demokratischen Publizistik seiner Zeit wie auch ein Argument, das außenpolitisch zum Tragen gebracht werden sollte188. leicht, die eigene Gewaltpolitik der Vergangenheit zu rechtfertigen und auf ihre Wiederaufnahme in der Zukunft als einzige Rettung zu verweisen. Aber wenn die Gewaltpolitik der Mächtigen verwerflich ist, so ist eine Gewaltpolitik der Ohnmächtigen verbrecherischer Irrsinn.“ 186 „Um die Reichsverfassung von Weimar“, Berlin 1924, 10. In einem Aufsatz in der New Republic, abgedruckt ebd., 149, hielt Preuß den Amerikanern vor, daß Deutschland als Obrigkeitsstaat reich und mächtig gewesen war, als Demokratie „ist es arm, elend, ohnmächtig und mißachtet“. Vgl. auch „Deutschlands Republikanische Reichsverfassung“, 98f. 187 „Es ist das erstaunlichste Symptom der Dumpfheit politischen Sinnes, daß unserm Volksgeiste das Bewußtsein zu fehlen scheint für die ganze Bedeutung dessen, was damals in allem Elend einer beispiellosen Niederlage dennoch vollbracht wurde.“ ‚Bergbriefe‘, 5. In seinem Artikel „Zum zweiten Jahrestage der republikanischen Reichsverfassung“, BT, Nr. 374 (11.8.’21) M, beruft sich Preuß sogar auf einen französischen Autor, der die Stärkung der Reichseinheit als Resultat von Weimar konstatiert. Preuß fährt fort: „Kurz, mit offenem Unbehagen und zugleich mit kaum verhehlter Bewunderung steht der Franzose vor diesem erstaunlichen Ergebnis des deutschen Unglücks.“ 188 „Der deutsche Nationalstaat“, 123f.; „Um die Reichsverfassung von Weimar“, 11 u. 144f. Zur Rolle des Bolschewismus-Arguments bei den Friedensverhandlungen siehe M. Dreyer und O. Lembcke, Die deutsche Diskussion um die Kriegsschuldfrage, 110ff. Vgl. auch Jürgen Zarusky, Die deutschen Sozialdemokraten und das sowjetische Modell. Ideologische Auseinandersetzung und außenpolitische Konzeptionen 1917–1933, München 1992; und v.a. Eberhard Kolb, Internationale Rahmenbedingungen einer demokratischen Neuordnung in Deutschland
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Dies führt letztlich zum vierten Themenkomplex in der publizistischen Argumentation Preuß’. Es unterliegt für ihn keinem Zweifel, daß diese bescheidenen, für das Überleben Deutschlands in staatlicher Einheit aber essentiellen Erfolge nur und ausschließlich durch den demokratischen Verfassungsstaat oder, in seiner Terminologie, den Volksstaat erreicht werden konnten. Jeder Versuch, erneut ein Obrigkeitssystem mit preußischer Dominanz einzuführen, werde lediglich den Zerfall Deutschlands zur Folge haben. Diese Einsicht bemühte sich Preuß zu verbreiten, und in einem seiner wenigen relativ optimistischen Kommentare sah er denn auch den „Bestand der Verfassung ... kaum ernstlich bedroht, weil keine Möglichkeit besteht, etwas anderes Lebensfähiges an ihre Stelle zu setzen“189. Hiermit hatte er sowohl einen an sowjetischen Mustern orientierten Verfassungsaufbau im Auge, als auch einen Rückfall in das Bismarck-System. In den Versuchen, letzteres wiederzubeleben, sah Preuß zunächst die hauptsächliche Bedrohung der neuen Verfassungsordnung, aber genau hier war er sich eben auch sicher, daß ein solcher Rückfall scheitern mußte. Preuß hoffte, daß es letztlich doch zur Verbindung des nationalen und des demokratischen Gedankens kommen würde190, der der deutschen Demokratie auch ihre großdeutsche Vollendung bringen 1918/19, in: L. Albertin und W. Link (Hrsg.), Politische Parteien, 147–176, hier 153ff. (erneut in Karl-Dietrich Bracher, Manfred Funke und Hans-Adolf Jacobsen [Hrsg.], Die Weimarer Republik 1918–1933. Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, 3. Aufl., Bonn 1998, 257–284). 189 „Zum zweiten Jahrestage der republikanischen Reichsverfassung“, BT, Nr. 374 (11.8.’21) M. Ähnlich der Schlußabsatz in „Der deutsche Nationalstaat“, 141: „Und dennoch: trotz alledem und alledem widerstehen die Grundlagen der nationalstaatlichen Demokratie bisher in der Hauptsache unerschüttert der furchtbaren Ungunst der Zeit. Denn es erweist sich immer wieder als unmöglich, eine andere lebensfähige Bildung an ihre Stelle zu setzen.“ Vgl. auch „Deutschlands Republikanische Reichsverfassung“, 39; „Die ‚Unmöglichkeit‘ des Notwendigen“, FZ, Nr. 253 (4.4.’20) 1.M; „Vom Obrigkeitsstaat zum Volksstaat“, in: Handbuch der Politik, 3. Aufl., 3. Bd., 21: „Das Volksbewußtsein mit der Erkenntnis zu durchdringen, daß Deutschland nur als Volksstaat noch eine Daseinsmöglichkeit haben kann, und daß die unbedingte Voraussetzung dafür die Einheitlichkeit des nationalen Staatsgedankens ist, dazu bedarf es der erfolgreichen Politisierung unseres Volkes; denn der Volksstaat ist der politisierte Staat. Eine Aufgabe, die unsere ganze Geschichte nicht gelöst hat, muß also die Gegenwart lösen.“ Und ebd., 26, als Schlußsatz des Aufsatzes: „Ein verhängnisvoller Wahn ist es, Demokratie und Parlamentarismus als angeblich ‚westliche‘ Bildungen in Gegensatz zu deutscher Eigenart stellen zu wollen. In ihnen entfaltet sich das Leben des heutigen Volksstaates überhaupt. Wohl entwickelt ihn jedes kräftige Volk nach seiner Eigenart; aber alle diese Verschiedenheiten sind doch nur Nuancen eines gemeinsamen Entwicklungszuges unserer Kulturwelt. Sich von dieser Entwicklung auszuschließen, hat für Deutschland schon schwerstes Leiden bedeutet; es würde in seiner jetzigen Lage politischen Selbstmord bedeuten; Selbstmord nicht in stolzem Selbstbewußtsein, sondern aus nationaler Schwäche und politischer Unfähigkeit.“ 190 Zur Verbindung des nationalen und demokratischen Gedankens siehe „Republik oder Monarchie? Preußen oder Deutschland?“, in: Staat, Recht und Freiheit, 449 u. 471; „Vom Obrigkeitsstaat zum Volksstaat“, in: Handbuch der Politik, 3. Aufl., 3. Bd., 21: „Das nationale Bewußtsein politischer Zusammengehörigkeit ist das alleinige Einigungsband des Volksstaates, für den es kein anderes principium individuationis gibt als den elementaren Gemeinwillen der Volksgenossen, sich als einheitliches Staatsvolk zu behaupten. Diese Stärke des nationalen Staatsbewußtseins charakterisiert alle Demokratien, große wie kleine, ethnisch einheitliche wie ethnisch
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müsse – die dynastisch bedingte Ausschaltung Österreichs aus Deutschland hatte für Preuß mit der Vertreibung der Monarchie ihren Sinn vollständig verloren191. Den rechten Feinden der Republik hielt Preuß vor, dies alles nicht zu sehen und das deutsche Volk in ewiger Unmündigkeit halten zu wollen. Zum Teil waren es die gleichen Personen oder doch zumindest der gleiche soziale Hintergrund, den es zu bekämpfen galt. Die Junker, die vor 1918 das Dreiklassenwahlrecht und ihre soziale und politische Dominanz verteidigt hatten, waren nach Gründung der Weimarer Republik zu einem großen Teil unter ihren Gegnern zu finden192. Trotzdem waren sie nicht mehr die Hauptzielscheibe von Preuß’ Publizistik. Zwar hatten einzelne Junker noch bedeutsame politische Positionen inne, aber als Klasse dominierten sie die Politik in Deutschland oder Preußen nicht mehr. Die Angriffe auf die Republik kamen überwiegend von anderen Personen, und sie arbeiteten mit anderen Mitteln und Argumentationen. Daß das Schlagwort vom ‚undeutschen‘ Charakter der Reichsverfassung von einer „bodenlosen Dummheit und Verlogenheit“193 war, bedurfte für Preuß keines Beweises. Den Erfolg der verantwortungslosen Agitation vor allem bei der Jugend konnte er aber nicht übersehen. Mit Bitterkeit notiert Preuß 1921 zum zweiten Jahrestag der Weimarer Reichsverfassung, daß derjenige, der in Deutschland den allein möglichen demokratischen und republikanischen Nationalstaat bekämpft, sich ausgerechnet ‚deutschnational‘ zu nennen wagt194. Anscheinend hat Preuß nie
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gemischte; es ist die Bedingung ihrer Lebensfähigkeit. Die Kraft nationalen Staatsbewußtseins hat nichts gemein mit der hurrapatriotischen Bekundung untertäniger Gesinnungstüchtigkeit; je lauter und aufdringlicher die nationale Gesinnung mit den Lippen bekannt wird, desto weniger hat sie die Volksseele als natürliche Selbstverständlichkeit durchdrungen. Einen Tiefstand nationalen und politischen Sinnes bekundet es, wenn einzelne Parteien die nationale Gesinnung im Gegensatz zu den andern Parteien für sich monopolisieren wollen.“ „Der deutsche Nationalstaat“, 138f. Zur Frage des österreichischen Anschlusses unter demokratischen Vorzeichen siehe Susanne Miller, Das Ringen um die „einzige großdeutsche Republik“. Die Sozialdemokratie in Österreich und im Deutschen Reich zur Anschlußfrage 1918/19, in: Archiv für Sozialgeschichte, 11 (1971), 1–67; Alfred D. Low, The Anschluss Movement, 1918–1919, and the Paris Peace Conference, Philadelphia 1974; Peter Krüger, Die Außenpolitik der Republik von Weimar, Darmstadt 1985, 55ff. Als zeitgenössische Stimme siehe die Broschüre des österreichischen Gesandten in Berlin, Ludo Moritz Hartmann, Großdeutsch oder Kleindeutsch, Gotha 1921. Vgl. F. L. Carsten, Geschichte der preußischen Junker, 154ff. Als Forschungsübersicht vgl. Heinz Reif, Adel im 19. und 20. Jahrhundert, 112ff. „Die ‚undeutsche‘ Reichsverfassung“, in: Staat, Recht und Freiheit, 473–481 (erstmals VZ, Nr. 80, 16.2.’24, 1.M), hier 475. Das Schlagwort zeigt nur, daß die, die es führen, die deutsche Geschichte nicht kennen; „für sie ist der echte Deutsche mit dem Sattel der Untertänigkeit auf dem Rücken geboren und soll ihn tragen in alle Ewigkeit“; ebd., 480. Vgl. auch „Bedeutung der demokratischen Republik für den sozialen Gedanken“, in: ebd., 482: „Es wäre ein seltsames Volk, dieses deutsche, wenn es allein unfähig wäre, den politischen Entwicklungsgang der ganzen zivilisierten Menschheit mitzumachen.“ „Zum zweiten Jahrestage der republikanischen Reichsverfassung“, BT, Nr. 374 (11.8.’21) M. Vgl. „Um die Reichsverfassung von Weimar“, 30 u. 67; und „Der deutsche Nationalstaat“, 140: Die Feinde der Republik „nennen sich in dreister Verfälschung der geschichtlichen Wahrheit
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darüber geschrieben, daß sein alter Lehrer Gierke sich zu diesem Zeitpunkt für einige Zeit den Deutschnationalen angeschlossen hatte, aber auch dies wird zu seiner Verbitterung beigetragen haben. Das Ziel der heftigsten Angriffe von rechts waren die Symbole der neuen Republik, insbesondere die Schwarz-Rot-Goldene Fahne. In ihr schien sich das ganze Wesen des Staates zu verkörpern, und gleich der DNVP und ihren Weggefährten bedeuteten diese Farben mit ihrem Rückgriff auf die liberale und großdeutsche Nationalbewegung des 19. Jahrhunderts auch für Hugo Preuß den bewußten Bruch mit der unmittelbaren Vergangenheit. Mit dieser Einschätzung hatte er es auch in den eigenen Reihen schwer genug, selbst die DDP war 1919 für die Beibehaltung der alten Farben eingetreten. Eine solche Minderheitsrolle im eigenen Lager wirkte stets stimulierend auf Preuß, dessen Polemik in dieser Frage denn auch besonders reichlich floß, durchsetzt von der deprimierenden Erkenntnis, daß selbst die berufenen Verteidiger der Demokratie nur wenig Enthusiasmus für ihr wichtigstes Symbol aufzubringen verstanden. Als die DNVP 1921 eine neue Debatte in der Flaggenfrage startete, schrieb er: Es scheint, als ob wir im deutschen Vaterlande von schwersten und drängendsten politischen Sorgen so völlig frei seien, daß man das Versinken des öffentlichen Geistes in friedlichen Sommerschlaf verhindern muß, indem man den inneren Hader mit allen Mitteln aufpeitscht. Und da sich als Mittel zu diesem löblichen Zweck die Streitfrage ‚Schwarz-Rot-Gold’ oder ‚Schwarz-Weiß-Rot‘ einer jenseits jedes politischen Verantwortungsbewußtseins stehenden Agitation schon früher bestens empfohlen hat, so haben gerade in diesen Tagen gewisse Leute unsere gegenwärtige äußere und innere Lage für besonders geeignet erachtet, um ... dieses Feuer wieder anzublasen.195
Preuß vergaß nie, auf den großdeutschen Bezug von Schwarz-Rot-Gold hinzuwiesen. Diese Fahne stand nicht nur für den Gedanken der liberalen Freiheit, sondern sie hielt auch den Anspruch aufrecht, nach dem Zusammenbruch des HabsburgerReiches die großdeutsch-demokratischen Pläne von 1848 gegen alle weiterhin ‚deutschnational‘. Weil ihnen jedes Verständnis für das wahre Wesen des Nationalstaates fehlt, begünstigen sie seinen schlimmsten Feind, die nationalistische Hetze mit ihrem Rassenwahnsinn, und verbünden sich mit dem Auswurf und Abscheu des menschlichen Geschlechts. ... Weil nationalstaatliche Einheit und demokratische Republik unlösbar verbunden sind, laufen länderstaatlicher Partikularismus und monarchistische Reaktion ebenso verbündet gegen sie Sturm. Und weil nur auf der Grundlage der Solidarität der gesellschaftlichen Klassen die nationalstaatliche Demokratie lebensfähig ist, wird diese Lebensfähigkeit durch den alten reaktionären Kampfruf ‚Gegen den Marxismus!‘ unterwühlt.“ Ebd., 138, beklagt Preuß die Verwirrung der nationalen Gefühle der deutschen Jugend: „Die blutige Internationale der nationalistischen und chauvinistischen Hetze hat wieder einmal verheerende Arbeit getan.“ 195 „Um die Reichsfarben“, in: Staat, Recht und Freiheit, 439–442 (erstmals FZ, Nr. 428, 12.6.’21, 1.M), hier 439. Ebd., 440, heißt es: „Ob das Schwarz-Weiß-Rot eine Verbindung der preußischen mit den hanseatischen oder mit den hohenzollernschen Farben darstellt, ist für die Sache selbst genau so gleichgültig wie der Ursprung von Schwarz-Rot-Gold. Von Bedeutung sind die Farben nur als symbolischer Ausdruck politischer Grundanschauungen und Zusammenhänge. Und nach dem Gange der Dinge kann der Streit um Schwarz-Rot-Gold von symbolischer Bedeutung für das politische Schicksal der deutschen Demokratie werden.“
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bestehenden Hemmnisse zu verwirklichen196. Er war sich dabei schmerzlich bewußt, daß es letzten Endes überhaupt nicht um ein dreifarbiges Stück Stoff ging, sondern daß die rechten Feinde der Republik lediglich ein symbolträchtiges Mittel zum Kampf gegen die Republik suchten. Preuß geht bis zu der Vermutung, daß die gleichen Kreise, „die in ihrer Todesangst vor der roten Fahne das Schwarz-RotGold als Symbol der Ordnung und des großdeutschen nationalen Gedankens jubelnd begrüßt haben und es heute als ‚schmutzige Judenfahne‘ begeifern“, der Weimarer Republik bei einem Verzicht auf diese Farben umgekehrt vorgeworfen hätten, sie hätte „aus infamer ‚Judenangst‘ vor der Entente auf das Symbol des nationalen großdeutschen Gedankens, der Vereinigung mit den österreichischen Volksgenossen feige verzichtet“197. Solche Sätze richtete Preuß gar nicht einmal so sehr an den politischen Gegner, der ohnehin nicht zu beeindrucken gewesen wäre, sondern in erster Linie an seine eigenen Mitstreiter. Gerade hier zeigt sich deutlich, daß Preuß zu den ersten Advokaten des Prinzips der wehrhaften Demokratie zählt; in der Halbheit der Verteidigung der Republik gegen rechtsradikale Angriffe sah er eine fast noch größere Gefahr für den Bestand der Republik als in den Angriffen selbst. Preuß ließ keinen Zweifel daran, daß er für eine offensive und aggressive Einsetzung der staatlichen Machtmittel gegen rechts plädierte. Wenn man seine Äußerungen mit denen von etwa Heller, Fraenkel oder Loewenstein vergleicht, dann wird deutlich, daß Preuß die Notwendigkeiten einer wehrhaften Demokratie früher gesehen und vor allem auch konsequenter ausgedrückt und verfochten hat198. Und die fatale Ansicht von Hans Kelsen, daß eine sich selbst treu bleibende Demokratie „auch eine auf Vernichtung der Demokratie gerichtete Bewegung dulden“199 müsse, fällt vollständig aus diesem Rahmen heraus. Es ist bemerkenswert, wie larmoyant und geradezu unreif Kelsens Satz, zu dem er sich sicherlich nicht ohne innere Bedenken und mit einem gewissen Stolz auf seine Konsequenz durchgerungen hat, heute wirkt. Sowohl in Preuß’ publizistischen Schriften wie in seinen wissenschaftlichen Werken wie in seiner praktischen politischen Arbeit der Weimarer Jahre dominiert die Einsicht, daß „durch Ausweichen, halbes Nachgeben, Rücksichtnehmen, Schonung von Gefühlen“ nichts erreicht werden kann. Eine solche Haltung gegenüber den Feinden der Demokratie „bewirkt das Gegenteil ihrer Absicht, indem sie die schwankenden Vielzuvielen durch ihre Schwäche abstößt und den scheinbar so 196 Ebd., 441; ähnlich „Reich und Länder“, 78f. 197 Beide zitierten Stellen „Bergbriefe“, 18. 198 Bei Ernst Fraenkel klingen solche Gedanken an, aber sie werden in den Weimarer Schriften nicht theoretisch durchgebildet; vgl. etwa sein „Verfassungsreform und Sozialdemokratie“, in: Ernst Fraenkel, Gesammelte Schriften. Bd. 1: Recht und Politik in der Weimarer Republik, Baden-Baden 1999, 516–529, hier 518f. Vgl. zu den Verbindungslinien von Weimar nach Bonn auch Michael Brenner, Die wehrhafte Demokratie: Eine Lehre aus Weimar?, in: Eberhard Eichenhofer (Hrsg.), 80 Jahre Weimarer Reichsverfassung – Was ist geblieben?, Tübingen 1999, 95–115. 199 Hans Kelsen, Verteidigung der Demokratie, in: ders., Demokratie und Sozialismus. Ausgewählte Aufsätze, Darmstadt 1968, 68.
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mannhaften Demagogen zutreibt. Gegen deren rücksichtslose Anwürfe empfiehlt sich dreifache Rücksichtslosigkeit der Abwehr“. Und dann folgt der entscheidende Satz: „Die Majestät der Republik bedarf auch der Ruten und – der Beile; sie darf ihrer nicht spotten lassen von denen, die bei ihrer Agitation gegen die Autorität der Republik stets die Notwendigkeit einer starken Staatsautorität im Munde führen.“200 Kaum einer der berufenen Vertreter der Republik, die anders als Preuß in Amt und Würden standen, war bereit, so weit zu gehen, nicht einmal nach dem Mord an Walther Rathenau, der 1922 kurzfristig die Republikaner zusammenbrachte. Reichskanzler Joseph Wirth sprach damals das berühmte Wort von dem Feinde der rechts stehe, aber die darauf folgenden Taten blieben Episode. Daß sie kurzfristigen Erfolg hatten, macht die Situation um so deutlicher; sie demonstrieren, daß die erforderlichen Mittel im Rahmen der Weimarer Verfassungsordnung durchaus vorhanden gewesen wären, wenn nur auch der Wille kontinuierlich bestanden hätte, die Republik zu schützen201. Insofern bestätigen selbst die erfolgreichen Republikschutzmaßnahmen letztlich die Preußsche Klage, daß die „Verteidigung der Republik gegen ihre hitzigen Feinde“ schlecht aufgehoben sei, wenn man sie „in die Hände ihrer – bestenfalls – sehr lauen Freunde“ legt202. Wenn die Amtsträger ihrer Aufgabe zum Schutz der Republik nur halbherzig nachkommen, so muß das Volk selbst in die Bresche springen, und prophetisch klingt schon 1919 der letzte Satz im Vorwort zur Textausgabe der neuen Verfassung: Wenn das Volk nicht die Verfassung des Volksstaats schützt, ist die Verfassung, aber auch das Volk, schutzlos.203
200 Alle zitierten Stellen „Bergbriefe“, 18f. 201 Ulrike Hörster-Philipps, Joseph Wirth. 1879–1956. Eine politische Biographie, Paderborn usw. 1998, 259ff. Vgl. auch Gotthard Jasper, Der Schutz der Republik. Studien zur staatlichen Sicherung der Demokratie in der Weimarer Republik 1922–1930, Tübingen 1963; Christoph Gusy, Weimar – die wehrlose Republik? Verfassungsschutz und Verfassungsschutzrecht in der Weimarer Republik, Tübingen 1991; Mathias Grünthaler, Parteiverbote in der Weimarer Republik, Frankfurt a.M. usw. 1995. Als knapper Überblick auch Christoph Gusy, Die Weimarer Reichsverfassung, Tübingen 1997, 190ff. 202 „Der deutsche Nationalstaat“, 140. 203 „Vorwort“, in: Reichsverfassung. o.O., unpag. In dem Interview, mit dem „Um die Reichsverfassung von Weimar“ beginnt, fragt ‚Der Amerikaner‘, ob nicht auch das deutsche Bürgertum an der starken Stellung der Feinde der Republik die Schuld trage. Preuß antwortet: „Hm, entschuldigen Sie; jetzt werden Ihre Fragen etwas indiskret. Na offen heraus: Die politische Mentalität des deutschen Bürgertums zu rechtfertigen, das geht über meine Kraft.“ (14). Und ebd., 56: „Aber fest überzeugt bin ich davon, daß das geschichtliche Urteil ein Verhängnis für die deutsche Republik darin erkennen wird, daß sie den ihr aufgedrängten inneren Zweifrontenkrieg mit falscher Front geführt hat, indem sie die Offensive lediglich gegen ihre Gegner zur Linken gerichtet, den weit gefährlicheren Feinden von rechts gegenüber sich auf eine, noch dazu recht schwächliche Defensive beschränkt hat.“ Vgl. auch ebd., 70f. Und abschließend sei aus einem Brief zitiert, den Preuß am 27. März 1924 an Konrad Hänisch richtete: „Überhaupt
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Ein guter Teil der von Preuß publizistisch beklagten Schwierigkeiten hatte seine Wurzeln im Parteiensystem verborgen, dessen Bestandteile als Erbe aus dem Kaiserreich übernommen worden waren. Dort hatten die Parteien bei ihrer weitgehenden Ausschaltung aus dem politischen Machtverteilungsprozeß ohne weiteres eine gesinnungstüchtige Opposition treiben können, die davor bewahrt blieb, ihre Forderungen jemals in verantwortliche Politik umsetzen zu müssen. Die Strukturen des politischen Systems hatten sich jetzt grundlegend geändert, nicht aber in gleichem Maße das Verhalten der Parteien204. Der obrigkeitsstaatliche Gedanke, daß der Staat irgendwie über den Parteien zu schweben hatte, besaß ein fatales Korrelat in der Auffassung, daß die Haltung der Parteien und ihr Verhältnis untereinander vom entfernten „Staat“, der unabhängig hiervon trotzdem seine Funktionen erfüllen könne, beliebig zu trennen sei205. Immer wieder beschwor Preuß die demokratischen Parteien, in ihrer Wahlkampfrhetorik bereits die nach der Wahl notwendige Regierungsbildung im Auge zu behalten, und immer wieder zeigte er, daß die Opposition ein wesentlicher Bestandteil des demokratischen Parlamentarismus selbst ist. Ohne eine regierungsfähige Opposition krankt das ganze politische System, und genau das war in Deutschland der Fall206. Daß er hiermit Gehör auf dem rechten Flügel finden würde, wird Preuß selbst nicht erwartet haben. Sehr wohl aber hoffte er, einen Beitrag zur Festigung der Zusammenarbeit der Verfassungsparteien, der Weimarer Koalition, zu leisten. Der Einsatz für die Weimarer Koalition War die Verteidigung der demokratischen Verfassung das Ziel der Preußschen Publizistik in der Weimarer Republik, so bedeutete die Einheit der demokratischen Parteien gegen die Feinde der Republik den Weg, auf dem Preuß dieses Ziel erreichen wollte. Es war ihm natürlich nicht entgangen, daß das parlamentarische Regierungssystem, wie es die Verfassung vorsah, keineswegs reibungslos funktionierte, ist die deutsche Republik durch die Schwäche und Halbheit ihrer Verteidiger viel ärger geschädigt worden als durch die Kraft ihrer Angreifer.“ (BAB, 90 Ha 4; NL Konrad Haenisch, Bd. 301; Bl. 9) 204 Dies wird thematisiert von Lothar Albertin, Der unzeitige Parlamentarismus der Liberalen. Versäumnisse seiner parteiendemokratischen Fundierung, in: ders. und Werner Link (Hrsg.), Politische Parteien, 31–62. Ähnliche Gedanken finden sich auch bei Max Weber, etwa „Deutschlands künftige Staatsform“ (1918), in: ders., Gesammelte Politische Schriften, 448– 483, hier 455. 205 Vgl. Gerhard A. Ritter, Kontinuität und Umformung des deutschen Parteiensystems 1918– 1920, in: ders., Arbeiterbewegung, Parteien und Parlamentarismus. Aufsätze zur deutschen Sozial- und Verfassungsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, Göttingen 1976, 116–157 (erstmals 1970). Ritter bekräftigt vor allem die Kontinuitätselemente. 206 Vgl. z.B. „Republik oder Monarchie? Deutschland oder Preußen?“, in: Staat, Recht und Freiheit, 461ff.; „Nationale Demokratie“, in: ebd., 232; „Parlamentarismus und auswärtige Politik“, in: ebd., 500; „Deutschlands Republikanische Reichsverfassung“, 64; „Um die Reichsverfassung von Weimar“,52.
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sondern von einer Ministerkrise in die nächste taumelte207. Als direkte Ursache der damit gegebenen politischen Handlungsunfähigkeit sah er den Zerfall der Weimarer Koalition208. Anders als bei der Auseinandersetzung mit den Rechtsparteien waren es in diesem Fall seine eigenen Parteifreunde, denen er ihr Verhalten zum Vorwurf machen mußte209. Es bestand für Preuß kein Zweifel daran, daß nur das Zusammenwirken von Sozialdemokraten, Liberalen und Zentrum die schlimmste Katastrophe nach dem verlorenen Krieg – die Spaltung Deutschlands in mehrere Staaten und den Sieg des Bolschewismus – verhindern konnte. Dem Zusammenwirken dieser höchst unterschiedlichen Parteien entsprang die Weimarer Verfassung, die demgemäß den weltanschaulichen Kompromißcharakter deutlich zeigte. Preuß selbst hatte ursprünglich starke Bedenken gegen die Beteiligung des Zentrums an der Koalition, was ihn aber später nicht daran hinderte, für genau diese Koalition einzutreten. Seine Überzeugung, daß der Fortbestand des Regierungsbündnisses essentiell für die gesicherte Weiterentwicklung der Demokratie sei, speiste sich auch weniger aus einem Enthusiasmus für die Zusammenarbeit mit dem Zentrum insbesondere, als vielmehr aus der Überlegung, daß die Oppositionsparteien unfähig seien, ihrerseits die Regierungsverantwortung zu übernehmen – ein schwerer Defekt für ein parlamentarisches System210. Ein langer Bestand war der ursprünglichen Regierungskoalition nicht beschieden gewesen. Schon nach wenigen Monaten brach sie auseinander, als die DDP dem Versailler Vertrag ihre Zustimmung verweigerte und daher aus der Regierung austrat. Nach einer mit Rücksicht auf die Öffentlichkeit eingehaltenen Schamfrist von ein paar Monaten trat sie zwar wieder der jetzt nur noch von SPD und Zentrum 207 Vgl. Hans Boldt, Die Stellung von Parlament und Parteien in der Weimarer Reichsverfassung. Verfassungstheorie und Verfassungswirklichkeit, in: Eberhard Kolb und Walter Mühlhausen (Hrsg.), Demokratie in der Krise. Parteien im Verfassungssystem der Weimarer Republik, München 1997, 19–58. Als Überblick zum Weimarer Parteiensystem neben diesem Band jetzt auch Dieter Dowe, Jürgen Kocka und Heinrich August Winkler (Hrsg.), Parteien im Wandel. Vom Kaiserreich zur Weimarer Republik, München 1999. 208 „Seit deren Zerfall ist unsere Volksgemeinschaft handlungsunfähig geworden aus mangelnder Fähigkeit zur politischen Selbstorganisation.“ ‚Um die Reichsverfassung von Weimar‘, 21. Ähnlich „Parlamentarische Regierungsbildung“, in: Staat, Recht und Freiheit, 442–446 (erstmals BT, Nr. 476, 9.10.’21), hier 443. 209 Etwa „Parlamentarische Regierungsbildung“, 444: „Statt nun den Wahlkampf von vornherein auf die nach der politischen Lage zu erstrebende Koalition einzustellen, führt ihn jede Partei wie in den Zeiten ihrer praktisch politischen Verantwortungslosigkeit munter auf eigene Faust; ja, das Vergnügen an politisch zweckloser Wühlerei und Wählerei erzeugt noch neue Eintagsfliegen von Gelegenheitsparteien. Daher ist denn auch nach jeder Neuwahl die Bildung einer tragfähigen Regierungsmehrheit schwieriger als vorher.“ 210 In diesem Zusammenhang vgl. „Das Verfassungswerk von Weimar“, in: Staat, Recht und Freiheit, 421–428 (erstmals in „Das neue Reich“, 1919), hier 421f.; „Bedeutung der demokratischen Republik für den sozialen Gedanken“, in: ebd., 496; „Deutschlands Republikanische Reichsverfassung“, 6 u. 65; „Um die Reichsverfassung von Weimar“, 84; „Die ‚Unmöglichkeit‘ des Notwendigen“, FZ, Nr. 253 (4.4.’20) 1.M; „Deutschlands innerpolitisches Elend und die Verfassungspartei“, BT, Nr. 323 (23.7.’22) M; [Rede auf der Verfassungsfeier des Reichsbanners, Weimar, 10. August 1924], in: Das Reichsbanner, Nr. 7 (15.8.’24).
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5. Der politische Publizist
gebildeten Regierung bei – ohne den vorigen Reichsinnenminister Preuß –, aber mit scharfem Blick erkannte Hugo Preuß einen gewichtigen Wandel: Zwar wurde die Verbindung zeitweilig wieder hergestellt; aber nicht wieder hergestellt wurde der ursprüngliche Geist dieser Zusammenarbeit, die feste Überzeugung, daß auf dieser Zusammenarbeit Deutschlands Rettung und Zukunft beruhe.211
Was für Hugo Preuß ein unersetzliches Notbündnis war, bedeutete für die „praktischeren“ Politiker lediglich einen politischen Zweckverband, der im Prinzip jederzeit durch eine andere Koalition ersetzbar war. Preuß beschränkte sich daher auch nicht auf publizistische Appelle an die Parteien, zumal er wenigstens in der DDP erfolgversprechender hinter den Kulissen arbeiten konnte. Als Redner und in Aufsätzen trat er darüber hinaus auch für alle Vereinigungen ein, die ihrerseits vorparlamentarische Versuche waren, die Prinzipien der Weimarer Koalition in den politischen Alltag zu tragen. Das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold ist das wichtigste, keineswegs aber das einzige Beispiel hierfür212. Bedroht war das Bündnis der Verfassungsparteien von außen wie von innen, wobei Preuß die inneren Auflösungsbestrebungen mit gutem Grund weit gefährlicher vorkamen. Die Zusammenarbeit bürgerlicher Parteien mit der SPD war ebenso wenig selbstverständlich wie umgekehrt die Bereitschaft der wenigstens programmatisch unverändert marxistisch orientierten SPD, sich auf bürgerliche Koalitionsparteien zu stützen. Klassenkampfparolen gehörten auf beiden Seiten zur überkommenen und gepflegten Mobilisierungsstrategie für die eigenen Anhänger, und natürlich erkannten auch die Rechtsparteien ihre Chancen, wenn sie zu einem Bürgerblock gegen die Sozialdemokratie aufriefen. Wie bei so vielen Themen muß Preuß sich auch hier wie ein einsamer Rufer vorgekommen sein, wenn er gegen die Kampffahne bürgerlicher Klassensolidarität immer wieder die Friedensfahne staatsbürgerlicher politischer Solidarität aller Klassen hochhielt213. In seinem letzten Lebensjahr trat Preuß deshalb auch mit einem Elan, der nicht aus gemeinsamen politischen Vorstellungen, sondern nur aus der gemeinsamen demokratischen Grundüberzeugung erwachsen sein konnte, für die Wahl des Katholiken und Zentrumspolitikers Wilhelm Marx zum Reichspräsidenten ein214, auch wenn er in 211 „Bergbriefe“, 11. Ähnlich „Deutschlands Republikanische Reichsverfassung“, 112f.; „Deutschlands innerpolitisches Elend und die Verfassungspartei“, BT, Nr. 323 (23.7.’22) M. 212 Preuß gehörte, wie viele andere prominente DDP-Politiker, dem Reichsausschuß des Reichsbanners an; Karl Rohe, Das Reichsbanner Schwarz Rot Gold. Ein Beitrag zur Geschichte und Struktur der politischen Kampfverbände zur Zeit der Weimarer Republik, Düsseldorf 1966, 305. 213 Ganz ausführlich diesem Thema gewidmet sind die „Bergbriefe“, 3, 15 u. 20ff. Vgl. auch „Um die Reichsverfassung von Weimar“, 20 u. 58; „Vom Obrigkeitsstaat zum Volksstaat“, in: Handbuch der Politik, 3. Aufl., 3. Bd., 25; „Deutschlands innerpolitisches Elend und die Verfassungspartei“, BT, Nr. 323 (23.7.’22) M. 214 „Die Reichspräsidentenwahl und die ‚klerikale Gefahr‘. Illustrierte Reichsbanner-Zeitung Nr. 16 (18.4.’25), 242.
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diesem kaum einen vollgültigen Ersatz für Ebert erblicken konnte. An Ebert schätzte Preuß nicht zuletzt, daß er die Klassengesellschaft in der nationalen Einheit zu überwinden versuchte215. Gelegentliche Irritation bei Preuß über Klassenkampfparolen bei der SPD ließen sich schnell ausräumen; etwa durch den Brief, den Paul Nathan, ein ehemaliger Sozialfortschrittlicher Fraktionskollege Preuß’ in der Berliner Stadtverordnetenversammlung, dessen politische Entwicklung vom Liberalismus zur Sozialdemokratie geführt hatte216, 1921 an seinen Freund Preuß richtete: Lassen Sie sich nicht durch das Wort der Sozialdemokratie von ihrer Klassenpolitik zu stark beeinflussen. Die sozialdemokratische Agitation braucht dieses Wort, das immer falsch war, und das heute ganz gewiß falsch ist. Sie werden sagen, solche Fälschungen müssen aus der Welt geschafft werden. Ich sage, man muß an solchen falschen Behauptungen keine feierliche Henkersarbeit vollziehen wollen. Je stärker solche Schlagworte bekämpft werden, um so langlebiger sind sie, meiner Erfahrung nach. ... (D)as Wort Klassenpolitik hat die Bedeutung einer politischen Reliquie. Wenn man die Menschen um ihrer Reliquien willen bedrängt, lassen sie sich für dieselben totschlagen, und wenn man sie nicht bedrängt, kommen sie schließlich zu der Überzeugung, daß die ‚heiligen Knochen‘ nicht von einem Heiligen, sondern von einer toten Katze herstammen.217
Nathan riet, Preuß solle sich an diesem Thema nicht festbeißen, und in der Tat hat sich Preuß stets weit stärker um Klassenkampfparolen im bürgerlichen „Lager“ besorgt. Die größten weltanschaulichen Opfer mußte in der Weimarer Koalition die Mehrheitssozialdemokratie bringen, bei der der Klassenkampf zum programmatischen Erbe gehörte, die aber auch bis in die letzten Monate des Kaiserreiches die praktischen Auswirkungen des Klassenkampfes von oben intensiv zu erfahren hatte. Ihrer besonnenen und verantwortungsbewußten Haltung von 1918/19 zollt Preuß denn auch stets höchstes Lob, mit dem er sich wiederum an seine bürgerlichen und liberalen Leser wendet, um ihnen hier ein nachahmenswertes Beispiel vorzuhalten218. Im Oktober 1921 war die SPD in eine Koalition der Verfassungsparteien eingetreten, und obwohl sie die stärkste Fraktion stellte, hatte sie das Reichskanzleramt dem Zentrumspolitiker Konstantin Wirth überlassen. Preuß äußerte Verständnis für die SPD, der die an sich schwierige Entsagung zugunsten einer Führung durch ‚bürgerliche‘ Koalitionsgenossen unerträglich erschwert werden [muß], wenn sie sieht, daß ‚bürgerliche‘ Politiker, zu denen sie Vertrauen haben kann, schon dadurch bei ihren eigenen Parteigenossen in Mißkredit geraten.219
215 „Um die Reichsverfassung von Weimar“, 65. 216 Zu Nathans Weg zwischen den Parteien siehe E. Feder, Politik und Humanität, 100, 107 und 123. Eine auf diesem Buch basierende knappere Darstellung ist Ernst Feder, Paul Nathan, the Man and his Work, in: Leo Baeck Institute (Hrsg.), Year Book 3 (1958), 60–80. 217 BAB, 90 Na 5, NL Paul Nathan, Bd. 18, Bl. 30–31. Brief vom 25. Juli 1921. 218 Etwa „Der deutsche Nationalstaat“, 128; „Deutschlands innerpolitisches Elend und die Verfassungspartei“, BT, Nr. 323 (23.7.’22) M; „Die Reichspräsidentenwahl und die ‚klerikale Gefahr‘, Illustrierte Reichsbanner-Zeitung, Nr. 16 (18.4.’25), 242. 219 „Um die Reichsverfassung von Weimar“, 60.
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Es war nicht nur das Zentrum, für das diese Bemerkungen galten. Sicherlich stand Wirth auf dem linken Flügel seiner Partei, und sicherlich war er einer der prononciertesten Verfechter einer Koalition mit der SPD im Zentrum220. Aber entsprechendes galt auch für Hugo Preuß in der DDP, und das gleiche Mißtrauen, das Wirth von seinen Parteifreunden entgegenschlug, hatte auch Preuß schon 1919 und seither immer wieder von liberaler Seite erdulden müssen. Dahinter stand die Auseinandersetzung um die generelle Richtung der Partei. Hellsichtig hielt er es für einen völligen Trugschluß, wenn die DDP verlorene Wählerstimmen mit einem Einschwenken auf rechte Positionen zurückzugewinnen hoffte. Gegenüber der immer stärker werdenden direkten Konkurrenz durch die Deutsche Volkspartei trat Preuß innerparteilich wie auch publizistisch gleichermaßen erfolglos für einen scharfen Abgrenzungskurs ein. Preuß hatte dieser Partei ihre Opposition gegen Republik und Demokratie in der Nationalversammlung, als sie im Einklang mit der DNVP einherschritt, nie vergessen. Die spätere Wendung der DVP zu einer die Republik stützenden Partei betrachtete er mit großem Mißtrauen, wenn nicht Unglauben, und dieses Mißtrauen erstreckt sich auch auf den Vorsitzenden und Gründer der Partei, Gustav Stresemann221. Preuß hatte mit seinen Kassandra-Prophezeiungen stets mehr „Erfolg“ als mit den wenigen positiven Prognosen, zu denen er sich nur hin und wieder verstand. In diesem Fall blieb es ihm allerdings erspart, selbst noch mit ansehen zu müssen, wie die letzte Koalition der Verfassungsparteien 1930 zerbrach. Auch die legalistische Selbstaufgabe der Republik durch das Umfallen des Zentrums und der geringen Reste der einst so starken DDP in der Frage des Ermächtigungsgesetzes hätte den schlimmsten Vorahnungen Preuß’ entsprungen sein können. Sein publizistischer Einsatz für die ‚undeutsche‘ Reichsverfassung hatte sich gegen die Feinde der Republik gerichtet, sein Einsatz für die Weimarer Koalition war für die lauen Freunde der Demokratie bestimmt gewesen. Der Vorwurf des ‚undeutschen‘ Charakters der Verfassung rief ein Thema auf den Plan, mit dem Preuß sich schon vorher, besonders aber nach 1919 gezwungenermaßen zu beschäftigen hatte: den Antisemitismus.
220 Vgl. U. Hörster-Philipps, Joseph Wirth, 297ff. und passim. 221 Als Beispiel siehe „Bergbriefe“, 24; „Unser Parlamentarismus und unsere auswärtige Lage“, BT, Nr. 171 (13.4.’21) M.; „Um die Reichsverfassung von Weimar“, 85. Erneut wird Preuß ebd., 59, auch an sich selbst gedacht haben, wenn er beklagt, daß in der DDP „die Elemente zur Einflußlosigkeit herabgedrückt worden [sind], die mit besonderer Entschiedenheit das Prinzip der ursprünglichen Verfassungskoalition im Gegensatz zur ‚bürgerlichen‘ Klassensolidarität vertreten. Auf diesem Wege hat sich die Deutsche Volkspartei schließlich den Eintritt in die Reichsregierung, ja deren Führung erstritten“.
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Der Kampf gegen den Antisemitismus Die unfreiwillige Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus hat Hugo Preuß sein Leben lang begleitet. Seine akademische und politische Karriere scheiterte nicht zuletzt wegen seines Judentums an unsichtbaren, aber nicht weniger realen Hürden, und selbst ein Kollege vom geistigen Range Gustav Schmollers kommentierte während des Krieges die ihm politisch unliebsamen Reformvorschläge Preuß’ mit Hinweisen auf die Religion des Verfassers222. Aber das war kein Einzelfall bei Schmoller, der während des Krieges auch mit Hermann Cohen einen Disput über die Benachteiligung jüdischer Gelehrter an deutschen Universitäten führte223. Endgültig zum Teil des politischen Diskurses wurde Preuß persönlich in der Weimarer Republik, als es sich kaum ein Kritiker der Reichsverfassung nehmen ließ, im Judentum des Urhebers des Entwurfs ein Argument für ihren undeutschen und fremden, eben ‚jüdischen‘ Charakter zu finden224. Nur gelegentlich gelang es Preuß, in seiner Publizistik zu diesem Thema den leicht distanziert-ironischen Ton anzuschlagen, den er sonst bewußt kultivierte. Statt dessen tauchen schon 1898 in einem Aufsatz in der „Nation“ sehr persönliche Bemerkungen auf, die durchaus untypisch sind für den schnodderigen Berliner Preuß: Wohl meinen viele Gutgläubige, besser sei es, wenn in der Öffentlichkeit die Sache der Verfolgten nicht von diesen, sondern von Glaubensgenossen der Verfolger geführt werde; auch Juden selbst finden wohl diese Kampfart ‚vornehmer‘. Aber auch wenn die Vornehmheit hier nicht, wie so oft in ähnlichen Fällen, eine Metapher für das Gegentheil des Muthes ist, so erheischt jene Behauptung doch mindestens eine erhebliche Einschränkung. Das Verdienst und der Hochsinn der Männer soll wahrlich nicht verkleinert werden, die, ohne je selbst unter dem
222 Schmollers Angriff, der sich moderat gab und in Wirklichkeit von Gift erfüllt war, erschien in seinem eigenen Jahrbuch als „Obrigkeitsstaat und Volksstaat, ein mißverständlicher Gegensatz“, N.F., 40. Jg. (1916), 2031–2042. Er schrieb dort (2032f.): „Preuß ist einer der begabtesten neueren Staatsrechtslehrer; in gewissem Sinne ein Schüler Gierkes, hat er doch dessen Wendung zu einer mehr konservativen Betrachtung unseres politischen Lebens nicht mitgemacht, sondern im Gegenteil die Genossenschaftsgedanken fortschrittlich ausgedeutet. Er ist einer der Häuptlinge des Berliner kommunalen Freisinnes geworden, der, sozial auf semitischer Millionärsbasis beruhend, unsere Hauptstadt mehr oder weniger beherrscht. Und es will mir immer vorkommen, daß in diesen Kreisen, so tüchtig und ehrbar sie sind, der politische Horizont und das politische Urteil doch zu sehr von dem einen Gedanken erfüllt ist: in ihren Kreisen sei eine solche Überlegenheit von Intelligenz, Charakter und Talent, daß es ungerecht und schädlich für Staat und Gesellschaft sei, daß ihr eng zusammenhaltender Kreis die Universitäten, das Heer, das hohe Beamtentum noch nicht so unbedingt beherrsche, wie das bezüglich der Stadt Berlin und ihrer Verwaltung der Fall sei. Bei den meisten, auch wohl bei Preuß, unbewußt, wirken derartige Stimmungen beeinflussend auf ihr politisches Denken.“ Etwas verharmlosend hierzu E. Zechlin, Die deutsche Politik und die Juden im Ersten Weltkrieg, 543. Das Werk ist inzwischen überholt durch U. Sieg, Jüdische Intellektuelle im Ersten Weltkrieg. 223 U. Sieg, Jüdische Intellektuelle im Ersten Weltkrieg, 93f. 224 Vgl. Axel Freiherr von Freytagh-Loringhoven, Die Weimarer Verfassung in Lehre und Wirklichkeit, München 1924, 9. Der für die DNVP im Reichstag sitzende Staatsrechtler nannte Preuß einen „dem deutschen Volksempfinden fremden Mann“.
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5. Der politische Publizist alten Ahasverfluche gelitten zu haben, um des Rechtes willen für die in ihren heiligsten Rechten Gekränkten eintreten. Und doch – jene unselige ‚Frage‘ ist so besonderer Art, daß Niemand sie völlig begreift, der nicht ihre unsagbaren Folgen an sich selbst und eigener Seele erfahren (sic). Nur wer es selbst empfunden hat, was es heißt, als Fremdling zu gelten im Vaterhause, alle Schmähungen verblendeten Nationalhasses zu erdulden in der eigenen Muttersprache traulich liebem Klang, sich in einen feindlichen Zwiespalt gebracht zu sehen mit eben jener Kultur, in der man lebt und webt, deren bestimmende Keime man vor allem Bewußtsein schon in sich aufgenommen hat, sich auf Schritt und Tritt als ein Anderer unter den Gleichen, als ein Ausgeschlossener unter den Genossen fühlen zu müssen, – nur wer all‘ das empfunden hat von den Spielen der Schulzeit ab, durch die Freiheit der frohen Burschenjahre hindurch bis in die verschiedensten Lagen des Lebens und Strebens, nur der vermag vielleicht einmal den rechten und vollen Ton zu treffen, um auf die ‚Judenfrage‘ die gebührende Antwort zu geben.225
Preuß hat als vernunftbetonter Mensch in der Tradition der liberalen Aufklärung, der rationale Maßstäbe nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch in der Politik anzuwenden gewöhnt war, das Phänomen des Antisemitismus letztlich nicht erfassen können. Die Folgen des Antisemitismus konnte er rational untersuchen, die scheinwissenschaftlichen Begründungen eines zur Rassenlehre degenerierten Sozialdarwinismus konnte er kritisieren – aber dem Gesamtphänomen stand er hilflos gegenüber, da die Unsinnigkeit und Irrationalität des Antisemitismus für ihn auf der Hand lag. Während des Krieges beschäftigte er sich 1916 mit „jene[r] alldeutsche[n] ‚Mythologie‘, die freilich in den pseudowissenschaftlichen Lehren von der germanischen Edelrasse in der ganzen Weltgeschichte die närrischesten Purzelbäume schlägt“226. Schon lange vorher, in einem Artikel in der Nation von 1900, greift Preuß die „entsittlichende Wirkung“ des Antisemitismus, „die innerliche Unwahrhaftigkeit und Niedrigkeit der Gesinnung, die sie in Reinkultur züchtet“, an. Nur die Sozialdemokratie wird hier ausgenommen; „für sie hat thatsächlich die ganze aufgelogene Frage niemals existirt“227. Nach der Revolution verknüpfte Preuß die bereits angesprochene Klage gegen die bürgerlichen Klassenkämpfer mit
225 „Konfessionelle Kandidaturen“, in: Die Nation, 16. Jg., Nr. 2 (8.10.’98), 17–19, hier 18. Vgl. auch die „Novae Epistolae“, die den Antisemitismus im Kaiserreich auf ironische Weise angreifen. G. Gillessen, Hugo Preuß, 71f., gibt einen Brief Preuß’ an seinen Sohn Ernst wieder, dessen längst fällige Beförderung zum Offizier an der Westfront verzögert wurde: „Überhaupt liegt da irgend ein Etwas, das uns erblich anhaften muß und das mit dem Credo allein nicht erschöpft ist. Ich habe in meinem leider schon langen Leben auf anderen Gebieten ganz analoge Erfahrungen gemacht; ja, ich mache sie heute noch immer wieder, wovon ich Dir vielleicht dies und das erzählen kann. Wir wachsen über die Stellungen hinaus, die wir doch nicht kriegen. So ist es auch mit dem Isoliertsein und dem Draußenstehen. Das liegt in uns; mir geht es immer und überall so, und zwar keineswegs nur gegenüber den ‚Anderen‘, sondern genau so auch gegenüber ‚unseren Leuten‘. Es scheint, wir sind ein Fort für uns. Da ist wohl im allgemeinen nicht viel zu ändern.“ 226 „Legende vom Störenfried“, in: Staat, Recht und Freiheit, 263. Und weiter: „Auch das Satyrspiel dieser Internationalität des Chauvinismus fehlt nicht; der vielleicht unsympathischste und gefährlichste Alldeutsche ist ein in Frankreich erzogener Engländer“, nämlich Chamberlain. 227 Alle Zitate „Politik und Selbstverwaltung“, 134.
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dem Hinweis, daß solche Attacken immer auch vom Antisemitismus begleitet werden228. Aber in allen diesen Fällen handelt es sich eben doch um die Auseinandersetzung mit Teilproblemen, nicht um eine generelle intellektuelle Auseinandersetzung mit den Ursachen des Antisemitismus selbst229. Man kann dies auch umgekehrt betrachten und Preuß hier eine ausgesprochen pragmatische Einstellung attestieren. Es lohnte sich für ihn nicht, die verschlungenen und verworrenen Strukturen antisemitischen Denkens nachzuvollziehen, sondern es mußte darum gehen, die Auswirkungen des Antisemitismus zu bekämpfen, sofern sie sich im politischen Bereich (und damit wieder auf vertrautem Boden) bewegten. Dies war im Grunde auch das Programm des 1893 gegründeten Vereins zur Abwehr des Antisemitismus, dessen erste Vorsitzende Gneist und Heinrich Rickert230 waren, gefolgt 1902 von Theodor Barth – also alles liberale Politiker, denen Hugo Preuß eng verbunden war. 1908 wurde Georg Gothein Vorsitzender des Abwehrvereins und blieb es auch bis zu dessen Ende 1933. Auch Gothein war DDP-Parteifreund von Preuß und gehörte zudem als Reichsschatzminister der Regierung Scheidemann an231. Die Gründung und Existenz des Vereins war nicht unproblematisch, denn sie implizierte, wie Peter Pulzer treffend bemerkt hat, das Eingeständnis, daß Judenfeindschaft nicht einfach ein Relikt aus vormodernen Tagen war, das mit der Modernisierung von selbst verschwinden würde. Der Abwehrverein war aus der Erkenntnis geboren, daß der Antisemitismus ein neues Phänomen sei, das gezielt bekämpft werden müsse232. Viele der führenden Mitglieder des Abwehrvereins waren Nicht-Juden, und das war auch bewußt so gewollt. Trotzdem hat auch Preuß sich intensiv an der Arbeit dieses Vereins beteiligt, die in ihrer Betonung staatsbürgerlicher und rechtsstaatlicher Gleichheit unabhängig von Bekenntnis und „Rasse“ so ganz seinem liberalen Credo entsprach. Relativ einfach erkennbar war die einzuschlagende Linie für Preuß noch im Kaiserreich gewesen. Hier konnte er den Antisemitismus als einen unterschwellig integralen Bestandteil des Obrigkeitssystems analysieren, der noch dazu geschürt 228 In „Um die Reichsverfassung von Weimar“, 116, klagt Preuß, daß Partikularismus und Reaktion gegen den ‚Marxismus‘ hetzen, um den sozialen Frieden zu stören: „Und in alle diese Feuer bläst der übelste aller Hetzer, der Antisemitismus, mit vollen Backen hinein.“ 229 G. Gillessen, Hugo Preuß, 71f., ist zuzustimmen: „Man muß sich verdeutlichen, wie unwichtig eigentlich die ‚jüdische Frage‘ für ihn war. Lange Zeit begriff er gar nicht, daß es sie geben konnte. ... Preuß litt darunter, aber er begriff nicht.“ Vgl. auch Th. Heuss, Hugo Preuß, 15. 230 Eine freundschaftliche Würdigung ist der Nachruf aus der Feder seines Nachfolgers an der Spitze des Abwehrvereins; Theodor Barth, Heinrich Rickert, in: ders., Politische Porträts, 77– 81. 231 Zum Abwehrverein siehe Barbara Suchy, The Verein zur Abwehr des Antisemitismus, 2 Teile, in: Leo Baeck Institute (Hrsg.), Year Book 38 (1983), 205–239; und 30 (1985), 67–103. 232 Peter Pulzer, Reaktionen auf den Antisemitismus, in: Michael A. Meyer (Hrsg.), Deutschjüdische Geschichte in der Neuzeit III. Umstrittene Integration. 1871–1918, München 1997, 249–277, hier 250. Kritisch zur Gesamtproblematik, mit Blick auf den jüdischen Centralverein, Arnold Paucker, Zur Problematik einer jüdischen Abwehrstrategie in der deutschen Gesellschaft, in: W. E. Mosse (Hrsg.), Juden im Wilhelminischen Deutschland, 479–548.
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5. Der politische Publizist
wurde von „Junkern und Pfaffen“, den Preußschen Gegnern auch in anderen politischen Kontroversen. Preuß erklärt den Antisemitismus in der Zeit vor Ausbruch des Weltkrieges regelrecht als ein Element staatlicher Politik, das sich nicht einmal primär gegen die Juden richten sollte, sondern gegen den Liberalismus und damit gegen alle Bestrebungen zur Umwandlung des obrigkeitsstaatlichen in ein volksstaatliches System: Gelang es der Propaganda des sozialen Königtums nicht in gewünschtem Maße, die Massen gegen den parlamentarischen Liberalismus in Bewegung zu bringen, so versuchte man es unbedenklich auch mit der Hilfe einer leidenschaftlichen antisemitischen Demagogie. Ihre giftige Saat gedieh üppig auf dem zerwühlten Boden eines politischen Treibens ohne klare und populäre Entwicklungsziele. Man hat den Antisemitismus als den ‚Sozialismus der dummen Kerle‘ bezeichnet. Er ist aber auch die nationale Grimasse der Leute ohne wahres nationalstaatliches Bewußtsein.233
Es ist typisch für das Preußsche Denken, daß er hier auch den Gedanken eines wohlverstandenen, staatsbürgerlich orientierten Nationalismus hereinbringt, den man vielleicht als eine Vorform des Verfassungspatriotismus234 bezeichnen kann. Als eine Vorform allerdings, die in der politischen Realität kaum eine Entsprechung fand und von Preuß lediglich als wünschenswert und anstrebenswert erkannt wurde, vor allem im Vergleich zu der Art von Nationalismus, mit der er sich tatsächlich konfrontiert sah. Es kann auch nicht überraschen, daß Preuß die Verbindung von Antisemitismus und Junkertum nicht erst für seine Gegenwart sieht, sondern bereits für den Anfang der preußischen Reformbewegung. Antisemitismus begreift er damit auch hier als Teil einer generellen Modernisierungsfeindschaft, die bei näherer Betrachtung nicht sehr viel mit den Juden zu tun hat235. Die Erklärung des Antisemitismus aus der Modernisierungsfeindschaft bei einigen alten Eliten im 19. Jahrhundert findet sich auch als Grundlage in der Theorie von Hannah Arendt236, er
233 Vgl. „Der deutsche Nationalstaat“, 88. 234 Vgl. Dolf Sternberger, Schriften. 10. Bd., Verfassungspatriotismus, Frankfurt a.M. 1990. 235 Oder „Die Junkerfrage“, 27f.: „Aber für diesen modernen Staat hatten sie auch bereits einen trefflichen nom de guerre, der noch heute in einer Cirkusversammlung des Bundes der Landwirthe tosenden Beifalls sicher ist. In einem jener von Marwitz unterzeichneten Proteste findet sich die entrüstete Frage: ‚ob man das alte ehrliche brandenburgische Preußen in einen neumodischen Judenstaat verwandeln wolle?!!‘ Da haben wir’s! Der moderne Staat ist ein Judenstaat, den die große Reform anstrebt; Stein und Hardenberg, Scharnhorst und Gneisenau sind Juden und Judengenossen! ... Namentlich aber weiß sich das Junkerthum, sobald mit Nachdruck die Junkerfrage aufgeworfen wird, nicht besser Luft zu machen als durch Ausspielen des Gegentrumpfes der Judenfrage. So ganz öffentlich das Bürgerthum, die erdrückende Mehrheit des Volkes, für den Feind zu erklären, das wäre ungeschickt; das thut man nur im stillen Kämmerlein. Aber zum Exponenten der bürgerlich-liberalen Bestrebungen eine ebenfalls kleine und weit ohnmächtigere Minorität zu machen, ... das ist ein Trick, der den Erfolg für sich hat.“ 236 Hannah Arendt, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, Frankfurt a.M. 1955, 3–202.
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findet sich in nur wenig anderer Form bei Zeitgenossen von Hugo Preuß237 und er wird auch in der aktuellen Forschung noch diskutiert238. Stärker als theoretische Überlegungen waren es praktische Erfahrungen, die Preuß in eine Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus trieben. Ein besonders langwieriger Fall ergab sich, als die preußische Schulaufsichtsbehörde die jüdischen Lehrer schlechter stellen wollte und Preuß in seiner dreifachen Rolle als Experte für preußisches Verwaltungsrecht, als Stadtverordneter und als Publizist zu ihrer Verteidigung kam. In jedem Fall ließ sich die Frontstellung darauf reduzieren, daß auf der einen Seite der junkerliche Obrigkeitsstaat, auf der anderen das liberale Bürgertum stand – und zwar unabhängig von der Religion und Konfession. Es liegt ganz auf dieser Linie, wenn Preuß spezielle jüdische Kandidaturen für die Parlamente, also „den Gedanken an eine Art von jüdischem Centrum“, strikt ablehnte. Liberal war einzig die staatsbürgerliche Gleichberechtigung, nicht die konfessionelle Gliederung239; Quoten jeglicher Art widersprachen Preuß’ politischen Grundüberzeugungen. Aber das waren letztlich Auseinandersetzungen im Rahmen einer unstrittig rechtsstaatlichen, wenn auch obrigkeitsstaatlichen Ordnung. In der Weimarer Republik diente der Antisemitismus der Agitation gegen Rechtsstaat und Republik insgesamt. Dies war eine neue Qualität des Antisemitismus, die sich aber nicht erst mit dem tatsächlichen Ende des Kaiserreiches zeigte, sondern die spätestens mit der sogenannten Judenzählung im Weltkrieg begann. Was so harmlos nach einer statistischen Erhebung klang, war mit massiver Diskriminierung der jüdischen Soldaten verbunden und von antisemitischen Hintergedanken inspiriert240. Hier wurde die Grundlage für Legenden gelegt, die später noch ihre Rolle spielen sollten, und hier wurde zugleich durch den amtlichen Charakter der offenen antisemitischen 237 Ausführlich wird der Gedanke entwickelt im Spätwerk des Philosophen und ehemaligen Schachweltmeisters Emanuel Lasker, Community of the Future, 246ff., wo sich auch der Bezug auf die preußischen Junker findet. 238 Vgl. Peter Pulzer, Die Wiederkehr des alten Hasses, in: Steven M. Lowenstein et al., Umstrittene Integration 1871–1918, München 1997, 193–248; Werner Jochmann, Struktur und Funktion des deutschen Antisemitismus, in: W. E. Mosse (Hrsg.), Juden im Wilhelminischen Deutschland, 389–477, hier 474. 239 Das Zitat findet sich „Konfessionelle Kandidaturen“, 18. Und ebd.: „Daß nun der Jude als solcher nur die liberale, verfassungsmäßige Gleichberechtigung, nicht jene Parität will und wollen kann, liegt auf der Hand.“ Ebd., 17, klagt Preuß, daß faktisch den jüdischen Bürgern im Reich und Preußen außerhalb der SPD das passive Wahlrecht entzogen sei – er selbst wußte es am besten. Zu den Judengemeinden in der deutschen Städtegeschichte siehe „Entwicklung des deutschen Städtewesens“, 63. Zur Situation der jüdischen Lehrer siehe die Rede Preuß’ in der Stadtverordnetenversammlung vom 18.3.’97, „Stenographische Berichte über die öffentlichen Sitzungen der Stadtverordneten-Versammlung der Haupt- und Residenzstadt Berlin“, 24. Jg. (1897), Berlin 1898, 105f.; sowie „Die Maßregelung jüdischer Lehrerinnen an den Berliner Gemeindeschulen“, Berlin 1898; und „Das Bekenntnis des Kultusministers und die Konfessionalität der Berliner Schulen“, in: Die Nation, 16. Jg., Nr. 28 (8.4.’99), 396–398. 240 Zur Wirkung der „Judenzählung“ siehe U. Sieg, Jüdische Intellektuelle im Ersten Weltkrieg, 87ff.
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5. Der politische Publizist
Vorgehensweise ein Tabu gebrochen, das bislang, bei aller Zurücksetzung von Juden in der Wilhelminischen Gesellschaft, Bestand gehabt hatte. Preuß stand auch diesen Ausbrüchen verständnislos gegenüber. Was er aber sehr wohl verstand und in zahlreichen Artikeln zu bekämpfen suchte, waren die Folgen dieser Hetze: (W)enn diese Leute mit hämischer Betonung von ‚deutsch‘ und ‚undeutsch‘ sprechen, so meinen sie nicht die deutsche Volksgemeinschaft und ihre Gegner, sondern sie rufen ganz bewußt den Antisemitismus zur Hilfe herbei. Wenn ich persönlich bei solchem Anlaß mit Schmutz beworfen werde, so genügt mir zur Abwehr das Wörtchen Pfui, das Bismarck als den deutlichsten Ausdruck des Ekels und der Verachtung bezeichnet hat. Aber so widerwärtig all jene Erscheinungen der Gossendemagogie sind; das Schmerzlichste und eigentlich Gefährliche ist der vergiftende Einfluß, den sie, begünstigt durch das gerade von ihresgleichen mitverschuldete Unglück Deutschlands, auf Gutgläubige und ehrlich national empfindende Gemüter ausüben. Edle Leidenschaft, namentlich der Jugend, die im Wirrsal der Zeit nach Wahrheit und Klarheit ringt, die sich an das gedemütigte Vaterland mit desto innigerer Liebe anschließen will, wird durch jene Lügenpest verseucht, abscheulich irregeführt: und sie gefährdet in ihrem so erzeugten Wahn aufs schwerste die Erhaltung und Rettung des Vaterlandes, der sie dienen will.“241
Noch im Juni 1925, wenige Monate vor seinem Tode, faßte Preuß als Redner auf einer Großkundgebung in Berlin seine Gedanken zusammen, die unverändert auf die staatsbürgerliche Gleichberechtigung gerichtet waren242, und bereits im August 1919 hatte Preuß, nicht mehr in politisch verantwortlicher Stellung, sondern seit kurzem Ex-Minister, politisch gegen den wachsenden Antisemitismus vorzugehen versucht. Die Reaktionen, die er auf seinen Vorstoß erfuhr, waren allerdings selbst bei seinen engeren politischen Freunden nur wenig ermutigend gewesen; innerhalb
241 „Die ‚undeutsche‘ Reichsverfassung“, in: Staat, Recht und Freiheit, 475. Ähnlich „Zum zweiten Jahrestage der republikanischen Reichsverfassung“, BT, Nr. 374 (11.8.’21) M. 242 Preuß’ Rede wurde abgedruckt als „Die heutige politische Lage des Reiches und das deutsche Judentum“, Jüdisch-liberale Zeitung, 5. Jg., Nr. 26 (26.6.’25). Ein letztes Mal wiederholte er seine Grundüberzeugungen: „Wo der Antisemitismus im öffentlichen Leben überwiegt und bedeutungsvoll ist, da ist die Entwicklung des Nationalstaates noch nicht vollendet, da ist der moderne nationale und demokratische Staat noch im Entwicklungsstadium steckengeblieben.“ Und weiter: „Gewiß, man sagt sich: der Jude soll sich nicht vordrängen. Kein Mensch soll sich vordrängen. Der Christ auch nicht. Aber er soll, was er für die Öffentlichkeit leisten kann, nicht ungeleistet lassen, aus Angst, man könnte ihm nachsagen, er dränge sich vor. Und was noch wichtiger sein mag: die verehrten Glaubensgenossen sollen ihn nicht an den Rockschößen zurückziehen aus Angst, sie könnten davon Unannehmlichkeiten haben, wenn er den anderen nicht gefällt. ... Ich habe immer erklärt und erkläre: mir ist es vollkommen gleichgültig, ob ein Jude oder zwei oder drei oder vier oder wer weiß wieviele Juden da sind; aber unerträglich ist, wenn jemand, der dienen kann, an der geeigneten Stelle nicht dienen darf der Sache unserer Konsolidierung und unseres Fortschritts, weil er Jude ist und weil man nicht einmal wagt zu sagen: deshalb, weil er Jude ist.“
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der DDP-Fraktion hatte Eugen Schiffer es höflich, aber nicht weniger bestimmt abgelehnt, die Nationalversammlung mit diesem Thema zu behelligen243. Außerhalb des Parlaments fand Walther Rathenau, der nur wenig später ein Opfer des Antisemitismus werden sollte, die Anregungen von Preuß zu aufgebauscht, um eine Reaktion zu rechtfertigen244. Der gelegentlich sogar in der DDP aufflackernde Antisemitismus erklärte sich wohl zum Teil aus dem krampfhaften Bemühen der Parteiführung, sich von dem Stigma einer „Judenpartei“ zu befreien, und es kann kaum ein Zweifel daran bestehen, daß die Ablehnung, die Preuß in Teilen der DDP entgegenschlug, auch antisemitische Ursachen hatte245. Selbst einigermaßen abstruse Pläne wie der der Bildung einer rechtsgerichteten spezifisch jüdischen Partei fanden in der DDP eine durchaus interessierte Aufnahme246. Der spätere badische Staatspräsident und Reichminister Hermann Dietrich war am Anfang seiner politischen Karriere in der DDP ein ausgesprochener Antisemit. Im Februar 1919 schrieb er recht offen in einem Brief, daß die Judenfrage der Partei zu schaffen mache, daß aber das Judentum in der Leitung der badischen DDP schon sehr in den Hintergrund getreten sei. „Auch in der Partei in der Nationalversammlung wird das Judentum keine zu große Rolle spielen. Allerdings ist Herr Dr. Preuß vorläufig noch Staatssekretär, auf sehr lange Zeit hinaus aber voraussichtlich nicht.“247 Gleichzeitig wehrt sich Dietrich aber vehement dagegen, etwa Antisemit 243 Am 8.8.’19 schrieb Eugen Schiffer an Preuß (BAB, NL Hugo Preuss, 90 Pr 1, Bd. 1, Bl. 122): „Ich habe die von Ihnen berührte Frage der Bekämpfung antisemitischer Ausschreitungen eingehend mit dem Fraktionsvorstand erörtert. Wir sind indeß zu dem einstimmigen Ergebnis gelangt, daß sich ein Weg zur parlamentarischen Behandlung der Angelegenheit kaum mit Aussicht auf Erfolg beschreiten läßt. Es fehlt an konkretem Material, um etwa der Regierung den Vorwurf unangebrachter Duldung oder gar Begünstigung machen zu können. Soweit sich die Agitation aber vollzieht, ohne die Bahn der Gesetzlichkeit zu verlassen, läßt sie sich nur im freien Wettbewerb mit geistigen Waffen bekämpfen. Ich wüßte wirklich nicht, was etwa eine kleine Anfrage nützen könnte; und zu einer Interpellation reicht es noch weniger. Der Reichswehrminister hat gegen Ausschreitungen im Militär sehr energisch durchgegriffen. Wenn Sie greifbare und nachweisbare Fälle haben, in denen ein gleiches Verhalten der Zivilbehörden nicht stattgefunden hat, obgleich es hätte stattfinden können und sollen, so bitten wir um genaue Mitteilung, um alsdann erneut Beschluß zu fassen.“ 244 Rathenau schrieb am 13.8. an Preuß (ebd., Bl. 143–147): „Was den Antisemitismus in Berlin anbetrifft, so möchte ich auf meinem ursprünglichen Standpunkt stehen bleiben. Es hat wenig Sinn, ein paar harmlose Kolporteure auf der Straße zu packen, zu verurteilen und sie von der Straße zu verbannen. Die Antisemiten, die Konservativen würden wegen Vergewaltigung schreien und die Unabhängigen, die bisher den Antisemiten scharf zu Leibe gehen, würden alsdann auch es vorziehen, gegen die Noske-Tyrannei zu donnern.“ 245 Vgl. Bruce B. Frye, The German Democratic Party and the „Jewish Problem“ in the Weimar Republic, in: Leo Baeck Institute (Hrsg.), Year Book 31 (1976), 143–172., hier 153. 246 Zum Problem jüdischer Reichstagskandidaturen in der DDP und zur möglichen Gründung einer rechten jüdischen Partei siehe BAB, NL Paul Nathan, 90 Na 5, Bd. 18, passim, z.B. Bl. 18 u. Bl. 34–36. Minister Fischbeck zeigte sich hieran sehr interessiert. 247 Brief vom 20.2.’19; BAK, NL Dietrich, Nr. 216, Bl. 181. Zu Dietrichs Antisemitismus siehe B.B. Frye, The German Democratic Party and the „Jewish Problem“, 166 und 170; sowie Adelheid von Saldern, Hermann Dietrich. Ein Staatsmann der Weimarer Republik, Boppard
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zu sein, auch wenn einige Juden „in ihrem Verhalten mir gegenüber alles getan haben, was man überhaupt tun kann, wenn man einen Menschen zum Antisemiten machen will“248. Preuß führte all diesen Bestrebungen gegenüber einen gerade durch seine konsequente Liberalität mehr und mehr unzeitgemäß erscheinenden Abwehrkampf. Er blieb aktiv im Abwehrverein, aber dessen sehr honorige und gutbürgerliche Agitation orientierte sich sichtlich am Kaiserreich und nicht an der neuen Massengesellschaft mit ihren Herausforderungen249. Preuß sah in den deutschen Juden Deutsche, die zufällig jüdischen Glaubens waren, und sonst nichts. Sie stellten keine besondere politische oder ethnische Gruppe dar, ebensowenig, wie dies die deutschen Katholiken oder Protestanten waren250. Die Probleme, die Preuß als Politiker im Reich und in Preußen mit dem Zentrum als Partei hatte, erklären sich auch daher, daß die Vermischung von Konfession und Politik grundsätzlich gegen seinen Begriff des Staatsbürgertums ebenso verstieß wie gegen seine Vision von Deutschland als einem demokratischen Volksstaat. Selbst dann, wenn sein Judentum ausnahmsweise einmal von einem ihm nahestehenden nicht-jüdischen politischen Partner ausdrücklich positiv hervorgehoben wurde, wehrte sich Preuß umgehend gegen dieses Ablenken vom allgemeinen Staatsbürgerbegriff251. Daß Preuß daher auch öffentlich gegen zionistische Bestrebungen auftrat, versteht sich vor diesem Hintergrund fast von selbst252. Betrachtet man abschließend die fast vierzig Jahre Preußscher Publizistik, so ist eines ihrer hervorstechendsten Merkmale sicher die durchgängige Wirkungs
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a.Rh. 1966, 36. Von Saldern verweist allerdings auch darauf, daß Dietrich sich später vom Antisemitismus abgewendet und nach 1933 verfolgten Juden geholfen habe. Brief vom 31.12.’18; BAK, NL Dietrich, Nr. 216, Bl. 123–124. Zum Abwehrverein in Weimar siehe B. Suchy, The Verein zur Abwehr des Antisemitismus, 67– 103. Etwa „Die ‚undeutsche‘ Reichsverfassung“, in: Staat, Recht und Freiheit, 478: „(K)einer Rassenschnüffelei könnte der Nachweis gelingen, daß dieser deutsche Sinn in Gabriel Rießer oder Moritz Hartmann oder andern ‚Fremdstämmigen‘ weniger lebendig war als in Heinrich von Gagern oder Ludwig Uhland.“ Ähnlich auch schon „Politik und Selbstverwaltung“, 134. Am 5.1.’24 schrieb Konrad Haenisch an Preuß, daß beide sich als Redner auf Reichsbundveranstaltungen hervorragend ergänzten: „Habe ich vielleicht ein wenig mehr rednerisches Temperament, so ersetzen Sie diesen Mangel (sofern es überhaupt einer ist!) dreifach durch die Klugheit Ihrer Ausführungen, die in jedem Satz zu weiterem Nachdenken anregt, durch Ihren Witz und Ihre Schlagfertigkeit – gute Dinge, an denen es mir leider nur allzu sehr fehlt. Nehmen Sie es mir übel, wenn ich in dieser unserer verschiedenen Art zu sprechen wieder einmal meine alte These von der wünschenswerten Ergänzung jüdischen und arischen Wesens bestätigt zu sehen glaube?“ (BAB, NL Konrad Haenisch, 90 Ha 4, Bd. 301, Bl. 2–3) Preuß antwortete am 12.1. (ebd., Bl. 4): „Daß wir uns rednerisch gut ergänzen, glaube ich auch, freilich nicht in Ihrer schmeichelhaften Motivierung. Wenn Sie dann aber gar in die Rassenpsychologie geraten, kann ich Ihnen vollends nicht folgen. Nach meiner Überzeugung, die ich nicht krumm zu nehmen bitte, sind nämlich weder Sie ein Arier, noch bin ich ein Semit, sintemalen es solche Wesen außerhalb der Philologie überhaupt nicht gibt.“ Etwa „Die heutige politische Lage des Reiches und das deutsche Judentum“, passim.
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losigkeit ihrer Bemühungen. Preuß’ theoretisch fundierter und politisch kompromißloser Liberalismus blieb im Kaiserreich dazu verurteilt, eine von den Quellen staatlicher Macht ausgeschlossene politische Richtung zu vertreten. Selbst innerhalb des Liberalismus, der längst seinen Frieden mit dem Kaisertum und mit dem Obrigkeitsstaat gemacht hatte, blieb das Bestreben nach volksstaatlichen, demokratischen Reformen auf eine Minderheit beschränkt. Aber auch in der Weimarer Republik wehte Preuß der Wind ins Gesicht, wenn man von der Aufbruchsstimmung absieht, die trotz allen Widrigkeiten zu Beginn noch zu spüren war. Preuß, der zeit seines Lebens wirtschaftlich vollkommen unabhängig war, nahm in seiner Publizistik kaum je irgendwelche Rücksichten. Die Auswirkungen, die dies für seine akademische Laufbahn im Kaiserreich haben mußte, sind vorstellbar und auch schon angedeutet worden. Nunmehr gilt es, sie genauer zu betrachten.
6. DER „POLITISCHE PROFESSOR“ IM KAISERREICH 6.1 Die Bemühungen um eine Professur an der Universität Berlin Die Entwicklung und Geschichte der Bemühungen Hugo Preuß’, an der Juristischen Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin1 eine Professur zu erlangen, ist langanhaltend, hartnäckig und erfolglos. Über 15 Jahre hinweg scheiterten mehrere Anläufe, die zum Teil mit intensiver Unterstützung und mit großem Drängen der Fakultät gegenüber dem preußischen Kultusministerium angegangen wurden. Die Ursachen des Scheiterns wechselten im Laufe der Zeit, aber das Resultat blieb beständig negativ. Preuß ist nie Professor an seiner Berliner alma mater geworden. Mit der Habilitation im Wintersemester 1888/89 trat Preuß der Juristischen Fakultät als Privatdozent bei, was zugleich der höchste akademische Rang war, den er hier erreichen sollte2. Neben dem großen Werk über „Gemeinde, Staat, Reich als Gebietskörperschaften“ hatte Preuß bei seinem Habilitationsgesuch noch eine 1887 veröffentlichte Abhandlung über „Friedenspräsenz und Reichsverfassung“ eingereicht. Sein Habilitationsvortrag behandelte „Die organische Bedeutung der Art. 15 und 17 der Reichsverfassung“ und erschien im gleichen Jahr 1889 noch im Druck. Die 97 Seiten der Schrift über Friedenspräsenz und Reichsverfassung hatten es in sich. Im Untertitel nennt sie sich abwehrend und beschwörend zugleich Eine staatsrechtliche Studie, aber trotzdem griff sie mitten in politische Auseinandersetzungen ein, die über die Forderung der Regierung geführt wurden, den Armeehaushalt längerfristig, also über das jährliche Budgetrecht des Parlaments hinaus, feststellen zu lassen. Dies war der sogenannte Septennats-Streit, in dem Bismarck gegenüber dem Reichstag erneut mit einer „Lückentheorie“ der Verfassung drohte; vergleichbar der vermeintlichen Lücke, die er aus ähnlichem Anlaß bereits am Anfang seiner preußischen Amtsjahre genutzt hatte. Das Septennat hatte es als Provisorium schon vorher gegeben, aber 1886 wollte eine oppositionelle Mehrheit im Reichstag nur noch ein Triennat bewilligen, was der damaligen Legislaturperiode des Reichstags entsprochen hätte. Preuß erklärte diese Versuche, die 1887 nach einer Reichstagsauflösung und dem darauf folgenden nationalliberal-konservativen Wahlsieg im 1
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Eine panegyrische Geschichte der Universität Berlin wurde zum hundertjährigen Jubiläum in Auftrag gegeben; Max Lenz, Geschichte der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, 4 Bde., Halle 1910 und 1918. Lenz beginnt seine Darstellung damit, „dem vorgeordneten Ministerium ... meinen ehrerbietigen Dank zu erstatten“ (1. Bd., Halle 1910, VIII) und setzt damit den Ton, der das ganze Werk dominiert. Zur Juristischen Fakultät in Berlin und ihren bedeutenden Wissenschaftlern zu dieser Zeit siehe die Übersicht in Helmut Klein (Hrsg.), Humboldt-Universität zu Berlin. Überblick 1810–1985, Berlin [Ost] 1985, 45f.
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Sinne der Regierung erfolgreich waren3, in Bausch und Bogen für verfassungswidrig und bezog darin auch die Triennats-Kompromißvorschläge aus der Mitte des Reichstags mit ein4. Als ein Kampfruf muß auch das Motto auf der Titelseite gewirkt haben: „Cara patria, Carior libertas, Carissima veritas“ war ein Anspruch, den Preuß vom deutsch-amerikanischen Völkerrechtler und Vorläufer der Politikwissenschaft Franz Lieber5 übernommen hatte. Aber auch der Habilitationsvortrag muß harter Tobak für die zuhörenden Anhänger des Labandschen Staatsrechts gewesen sein. In ihm sagte Preuß unter anderem, daß Reichskanzler und preußischer Ministerpräsident staatsrechtlich notwendig die gleiche Person sein müssen, daß der Kaiser ein Veto über die Gesetzgebung besitzt und daß sich darin zugleich die monarchische Stellung als Reichmonarch ausdrückt6 – also durchweg Behauptungen, die der herrschenden Lehre vollständig entgegengesetzt waren. Die erfolgreiche Habilitation haben die gewagten Thesen des wider den Stachel löckenden Kandidaten nicht behindern können. In den kommenden Semestern nahm Preuß im üblichen Umfang am Vorlesungsbetrieb der Fakultät teil. Die Akten ermöglichen genauere Angaben zu Themen und Frequenz seiner Vorlesungen (Tab. 1). Die Zahlen bieten ein gemischtes Bild, zeigen aber doch ein eher steigendes Interesse der Studentenschaft an den Veranstaltungen von Preuß über die Semester hinweg. Neben Standardthemen aus der juristischen Ausbildung stehen auch etwas ausgefallenere Seitenthemen, die erneut das Interesse des Dozenten Preuß an politisch-historischen Themen bezeugen und die über den engeren Rahmen des preußisch-deutschen Staatsrechts hinausgehen.
3 4 5
6
Vgl. E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte IV, 551f. „Friedenspräsenz und Reichsverfassung. Eine staatsrechtliche Studie“, Berlin 1887, 95f. Zu ihm als Überblick Peter Schäfer und Karl Schmitt (Hrsg.), Franz Lieber und die deutschamerikanischen Beziehungen im 19. Jahrhundert, Weimar, Köln und Wien 1993. Hugo Preuß hatte sich zu diesem Zeitpunkt intensiv mit Lieber auseinandergesetzt; vgl. „Bluntschli und Lieber“, in: Vierteljahrsschrift für Volkswirtschaft, Politik und Kulturgeschichte, 23/1, 89 (1886), 60–80; sowie „Franz Lieber, ein Bürger zweier Welten“, Berlin 1886 (Sammlung gemeinverständlicher wissenschaftlicher Vorträge, hg. v. Rud. Virchow u. Fr. v. Holtzendorff, N.F., I. Serie, H. 1–24, Hamburg 1886, hier: H. 12, 437–480). Zur Verbindung zwischen Lieber und der Selbstverwaltungsidee siehe Georg-Christop von Unruh, Ursprung und Entwicklung der kommunalen Selbstverwaltung im frühkonstitutionellen Zeitalter, in: G. Püttner (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis I, 57–70, hier 67. „Die organische Bedeutung der Art. 15 und 17 der Reichsverfassung“, in: ZfgS, 45 (1889), 420–449, passim.
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6. Der „politische Professor“ im Kaiserreich
WS SS WS SS WS SS WS SS WS SS 90/91 91 91/92 92 92/93 93 93/94 94 94/95 95 Bundesstaatsrecht
3*
Staatsrechtliche Übungen
3
Entwicklungsgeschichte des Europäischen Konstitutionalismus
63
Allgemeines Staatsrecht Deutsche. Verfassungsgeschichte im 19. Jahrhundert Deutsche Bundesverfassung
18
24
27
89
147
108
55
100
-
Deutsches Staatsrecht
32
Staatsrechtliche Theorien des 19. Jahrhunderts
111
Deutsches Staatsrecht
172 -
11*
Verwaltungsrecht
18*
Englische Verfassungsgeschichte.
52
Rechtsphilosophie
8*
14* 75 23*
22*
Quelle: Eigene Berechnung nach GStAPK, Rep. 76-Va, Sekt. 2, Tit. IV, IV. Abt., Nr. 49, Bd. II, Bl. 291. * = Private Vorlesung
- = angekündigte, aber nicht gehaltene Veranstaltung
Tab. 1: Lehrveranstaltungen des PD Dr. Preuß
Im April 1896 richtete Preuß an Kultusminister Robert Bosse7 ein Gesuch um Ernennung zum außerordentlichen Professor8. Er reichte hierzu neben den drei 7
8
Zu ihm siehe die knappe Charakterisierung bei Bernhard vom Brocke, Hochschul- und Wissenschaftspolitik in Preußen und im Deutschen Kaiserreich 1882–1907: das „System Althoff“, in: Peter Baumgart (Hrsg.), Bildungspolitik in Preußen zur Zeit des Kaiserreichs, Stuttgart 1980, 9–118, hier 38. Den Zeitgenossen, unabhängig von ihrem politischen Standpunkt, galt Bosse als schwach und unfähig. Das Schreiben der Juristischen Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität vom 21.4.’96 findet sich im GstAPK, Rep. 76-Va, Sekt. 2, Tit. IV., Ministerium der Geistlichen- Unterrichts- und
6.1 Die Bemühungen um eine Professur an der Universität Berlin
223
schon bekannten Arbeiten, die zum Habilitationsverfahren gehört hatten, noch seine Schriften über „Das Völkerrecht im Dienste des Wirtschaftslebens“ (1891), über „Die Bodenbesitzreform als sociales Heilmittel“ (1892) und über „Reichs- und Landesfinanzen“ (1894) ein, die allesamt in der Serie „Volkswirthschaftliche Streitfragen“ erschienen waren. Der juristische und gar staatsrechtliche Charakter dieser neueren Arbeiten konnte zumindest in Zweifel gezogen werden, und genau dies tat die Juristische Fakultät in ihrem Schreiben an den Minister von 21. April 1896 denn auch, als sie „nach eingehender Beratung einstimmig beschlossen [hatte], das Gesuch des Herrn Dr. Preuß nicht zu befürworten“. Neben Kahl, Dernburg und den anderen Mitgliedern der Fakultät hatte auch Gierke dieses Votum durch seine Unterschrift mitgetragen. Die drei älteren Schriften überging die Fakultät mit einem kurzen Seitenhieb auf den Aufsatz „Die organische Bedeutung der Art. 15 und 17 der Reichsverfassung“, der als mißlungen abgetan wird – was insofern bemerkenswert ist, als es sich bei diesem Aufsatz ursprünglich um den Habilitationsvortrag von Preuß handelt. Auf die Frage, ob die Juristische Fakultät zu Berlin Hugo Preuß wenige Jahre zuvor nach einem mißlungenen Habilitationsvortrag zum Privatdozenten gemacht hatte, ging man allerdings nicht ein9. Die beiden 1891 und 1892 erschienenen Abhandlungen fanden auch nicht mehr Gnade vor den Augen der Fakultät, die zu ihnen bemerkte, daß sie sich lediglich auf dem Gebiete der theoretischen Nationalökonomie [bewegten]. ... Für die Verleihung einer Professur in der juristischen Fakultät können sie nicht in Betracht kommen.
Ebenso rügte man den „wesentlich finanzpolitischen und finanztechnischen Charakter“ der dritten Abhandlung, in der „die finanzrechtliche Kernfrage ... nur nebenher erörtert und mehr berührt als entschieden wird.“ Nicht ganz eindeutig ist die Bewertung, in die die Fakultät ihr Urteil über Preuß’ akademische Lehrtätigkeit kleidete: Die seminaristische Thätigkeit des Herrn Dr. Preuß wird gelobt. Trotzdem ist die Fakultät insbesondere mit Rücksicht auf die einzelnen Mitgliedern derselben aus Zuhörerkreisen zugegangenen Urtheile nicht in der Lage, die Lehrthätigkeit des Herrn Dr. Preuß für eine erfolgreiche zu erklären.
Kurz, das Gesamturteil ist vollkommen ablehnend, während das gleichzeitige Gesuch des Privatdozenten Conrad Bornhak mit „schwacher Mehrheit“ unterstützt wurde. Wenn es auch vorstellbar ist, daß die positivistisch ausgerichteten Professoren an Preuß’ Lehrtätigkeit und Lehrinhalten keinen großen Gefallen finden konnten, läßt sich doch nicht übersehen, daß die von Preuß eingereichten Schriften in
9
Medicinal-Angelegenheiten. Unterrichts-Abtheilung. Berlin. Universitätssachen. IV. Abtheilung, Nr. 49, Acta betr.: Die Privatdocenten in der juristischen Fakultät der Universität Berlin und deren Renumeration, Bd.II, Bl. 284–289. Im weiteren wird das Ministerium hier der Einfachheit halber als Kultusministerium bezeichnet. Der Aufsatz enthielt nach Meinung der Fakultät „auf 29 Seiten den mißlungenen Versuch einen geistvollen Gedanken Hänels für die Konstruktion des heutigen deutschen Reiches als einer Monarchie zu verwerthen“. (2f. des in der letzten Anmerkung zitierten Schreibens. Dort auch die weiteren Stellen.)
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6. Der „politische Professor“ im Kaiserreich
der Tat nur mit größtem Wohlwollen als fachwissenschaftliche juristische Arbeiten hätten bezeichnet werden können. Mit den „Volkswirthschaftlichen Streitfragen“ waren auch Theodor Barth und andere Freisinnige Politiker und Publizisten eng verbunden, und so können die für diese Reihe verfaßten Preußschen Abhandlungen eher als Teil seiner politischen Tätigkeit im Sinne des Liberalismus verstanden werden. Staatstragend im wilhelminischen Sinne waren sie jedenfalls nicht, und es ist leicht vorstellbar, daß die Fakultät keinen Anlaß sah, sich unter diesen Bedingungen für Preuß einzusetzen. Der Minister begnügte sich nicht mit der Aktenlage, sondern schickte am 5. Mai 1896 einen Hospitanten in ein Preußsches Kolleg, ohne daß dessen Bericht die ablehnende Haltung geändert hätte. Interessant ist der Bericht dadurch, daß er es zunächst für erwähnenswert hält, daß vier der sechs Zuhörer „dem Aussehen nach offenbar Juden waren“, um dann das Fazit zu ziehen: Preuß trägt nicht uninteressant vor; er versteht es, durch geschickt gewählte Beispiele und passende Vergleiche seinen Vortrag zu würzen. Indessen bewegen sich seine Ausführungen wesentlich nur auf der Oberfläche und lassen die wünschenswerthe Tiefe vermissen. Ich glaube nicht, daß seine Schüler mit vielem Nutzen für ihre juristische Ausbildung das Kolleg verlassen.10
Preuß erhielt das erhoffte Extraordinariat nicht. Es ist erkennbar, was auch durch weitere Berichte bestätigt wird, die das Ministerium zu anderen Zeiten über die Lehrveranstaltungen von Preuß anfertigen ließ, daß es nicht um pädagogische Fraugen ging. Der unzweifelhafte Erfolg, den Preuß mit seinen Lehrveranstaltungen bei den Studenten hatte, machte ihn in dieser Hinsicht unangreifbar. Vielmehr wurden die Inhalte beanstandet. Preuß’ Vorträge waren zu liberal und damit zu kritisch gegenüber den Behörden und dem Staat, der die Berufung hätte gutheißen müssen11. Übrigens wurde der ministerielle Berichterstatter auch zu Conrad Bornhak geschickt, dessen Vortrag kaum besser beurteilt wurde. Trotzdem erhielt er nach Rücksprache zwischen Kultus- und Justizministerium wenigstens den Titel „Professor“, wenn auch in Ermangelung einer passenden Stelle nicht die erhoffte Professur.12 Zwischen Preuß und Bornhak gab es drei haupt 10 Der Bericht des Dr. Peters ist auf den 13.5.’96 datiert; ebd., Bl. 293. 11 Im NL Althoff (GStAPK, Rep. 92, A I Nr. 62) finden sich noch zwei spätere Berichte über Preußsche Vorlesungen. Der erste stammt vom 31.1.’93 (Bl. 104) aus einer Verwaltungsrechtsvorlesung: „P[reuß] sprach über die Begriffe Organ, Behörde, Beamter. Der Vortrag zeichnete sich durch große Breite sowie durch unfruchtbare Abstraktheit aus und war wenig durch Beispiele erläutert. An mehreren Stellen, wo die Stellung der Minister und die rechtliche Qualität der Wähler berührt wurden, traten extrem liberale Anschauungen zu Tage. Das Organ ist singend und monoton, sehr ermüdend.“ Auch ein Bericht vom 28.11.’05 zum gleichen Thema ist nicht besser: „Preuß hat mir keinen sehr angenehmen Eindruck gemacht. Er spricht recht geläufig, aber unnötig weitläufig, nicht sehr klar; dabei recht von oben herab, mitunter fast ‚schnodderig‘. Er gibt mehr allgemeine Betrachtungen und Kritik als positives und scheint mir über dem Kritisieren das Lehren zu vergessen.“ 12 Ebd., Bl. 292 und Bl. 294–297.
6.1 Die Bemühungen um eine Professur an der Universität Berlin
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sächliche Unterschiede, die das divergierende Schicksal ihrer gleichzeitigen Anträge erklären helfen. Zunächst einmal war Bornhak kein Jude, was in der Disziplin Staatsrecht noch wichtiger war als in vielen anderen Fächern. Zum zweiten blieb Bornhak, der im weiteren Verlauf seiner Karriere ein quantitativ umfangreiches Werk zum preußischen Staats- und Verwaltungsrecht vorlegen sollte13, in allen seinen Arbeiten resolut der jeweils herrschenden Lehre verhaftet, und das gilt auch für die Zeit nach 1933. Keine seiner Schriften zeichnet sich durch Originalität aus, aber sie fassen die offiziösen Meinungen geschickt zusammen. Und zum dritten war Bornhak in seinen politischen Überzeugungen ein solider Konservativer, der sich stets an der Seite der Machthaber hielt14. Als Miniatur bieten die intellektuellen Profile von Preuß und Bornhak beispielhafte Einblicke in akademische Milieus, die kaum unterschiedlicher voneinander sein könnten. Der Karriere-Erfolg, den der fleißige, aber wenig innovative Gelehrte Bornhak im Kaiserreich und danach erzielte, kann als paradigmatisch dafür gelten, welches geistige Profil in der deutschen Universitätslandschaft dieser Zeit erwünscht war. Linksliberale politische Überzeugungen und unbequeme wissenschaftliche Kritik am Status quo des Rechtspositivismus sind für Preuß’ akademische Laufbahn hinderlich gewesen, aber längst nicht so problematisch wie das „Hindernis“, mit dem er geboren wurde: seine jüdische Herkunft. Generell hatten es Juden und in geringerem Maße auch Katholiken schwer, im preußisch-protestantischen Universitätssystem Karriere zu machen15, und dies galt ganz besonders für staatsnahe Fächer, zu denen das Staatsrecht zweifellos gehörte. Aber auch sonst waren die Zahlen eindeutig. Fritz Ringer hat für 1909/10 angegeben, daß 12 Prozent der Privatdozenten an den Universitäten im Deutschen Reich Juden waren und weitere 7 Prozent getaufte Juden. Schaut man aber auf die Professoren, dann lauten die
13 Vgl. von Conrad Bornhak Preußisches Staatsrecht, 3 Bde., 2. Aufl., Breslau 1911, 1912 und 1914 (erstmals 1888–1893); Allgemeine Staatslehre, Berlin 1896; Geschichte des preußischen Verwaltungsrechts, 3 Bde., Berlin 1884–1886; Grundriß des Deutschen Staatsrechts, 3. Aufl., Leipzig 1912 (erstmals 1906). 14 Conrad Bornhak, Genealogie der Verfassungen, Breslau 1935, atmet den Ungeist der Zeit. Bornhak behauptete von sich, er habe „die Ideen des Nationalsozialismus vertreten, ehe an Nationalsozialismus zu denken war“, Helmut Heiber, Universität unterm Hakenkreuz, 1. Teil, München usw. 1991, 386. Zu Bornhak vgl. auch M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland II, 303. 15 Als Überblick Notker Hammerstein, Antisemitismus und deutsche Universitäten. 1871–1933, Frankfurt a.M. und New York 1995. Speziell zu den Problemen der Katholiken ebd., 27ff. Zur Schwierigkeit für nicht-protestantische Gelehrte siehe auch Th. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866–1918, Bd. 1, 575f. Nuanciert in der Argumentation und umfassend für den behandelten Ausschnitt jetzt Ulrich Sieg, Der Preis des Bildungsstrebens. Jüdische Geisteswissenschaftler im Kaiserreich, in: A. Gotzmann, R. Liedtke und T. van Rahden (Hrsg.), Juden, Bürger, Deutsche, 67–95. Grundlegend auch Rüdiger vom Bruch, Wissenschaft, Politik und öffentliche Meinung. Gelehrtenpolitik im Wilhelminischen Deutschland (1890–1914), Husum 1980.
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6. Der „politische Professor“ im Kaiserreich
entsprechenden Zahlen nur noch 3 bzw. 4 Prozent16. Generell waren die Karriereaussichten für Getaufte in allen staatlichen Bereichen wesentlich besser als für Nichtgetaufte – allerdings um den Preis der Ablehnung und Verachtung durch viele ehemalige Glaubensgenossen, die in der Taufe eine unwürdige Flucht sahen17. Die entscheidende Hürde war also nicht die letzte universitätsinterne Prüfung, die Habilitation, sondern die anschließende Berufung an eine Universität, die nur mit Zustimmung des Kultusministeriums erfolgen konnte und die auch von den amtierenden Professoren ein höheres Maß an Bereitschaft zum Umgang mit jüdischen Kollegen verlangt hätte als die einfache Habilitation. Je näher ein jüdischer Wissenschaftler auf seinem akademischen Lebensweg einem Lehrstuhl kam, desto größer wurden die Hindernisse, die er überwinden mußte18. Ab 1911 gab es bis zum Ende des Kaiserreiches in Berlin keinen einzigen jüdischen Ordinarius mehr19. Die Diskriminierung gegen jüdische Wissenschaftler war ein Faktum des Lebens im Wilhelminismus, das selbst von jüdischer Seite kaum thematisiert wurde, da sich hieran offenbar nichts ändern ließ20. Außerhalb der Universität sah es wenigstens in den juristischen Fächern nicht viel besser aus. Die Laufbahn im preußischen Justizdienst hatte sich mit der Reichsgründung zwar theoretisch auch für Juden geöffnet. „Die halb geöffnete Tür“ des Staatsdienstes, um ein treffendes Bild von Peter Pulzer zu verwenden21, konnte die fortbestehende Diskriminierung nicht ändern. Praktisch war der Zugang zu den juristischen Schlüsselstellungen auch nach der Reichsgründung für Juden verschlossen, zumal als nach 1890 der Antisemitismus stärker zu werden begann22. 16 F. K. Ringer, Die Gelehrten. Der Niedergang der deutschen Mandarine, 127. Ebenso ders., Inflation, Antisemitism and the German Academic Community of the Weimar Period, in: Leo Baeck Institute (Hrsg.), Year Book 38 (1983), 3–9, hier 3. Generell zu den preußischen und deutschen Universitäten siehe Konrad H. Jarausch, Universität und Hochschule, in: Christa Berg (Hrsg.), Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte. Bd. IV: 1870–1918. Von der Reichsgründung bis zum Ende des Ersten Weltkriegs, München 1991, 313–345; Wolfgang Neugebauer, Das Bildungswesen in Preußen seit der Mitte des 17. Jahrhunderts, in: Otto Büsch (Hrsg.), Handbuch der Preußischen Geschichte. Bd. 2: Das 19. Jahrhundert und Große Themen der Geschichte Preußens, Berlin und New York 1992, 605–798, hier 766ff. 17 Peter Pulzer, Rechtliche Gleichstellung und öffentliches Leben, in: M. A. Meyer, Deutschjüdische Geschichte in der Neuzeit III, 151–192, hier 156. Zum Problem des Taufdrucks auch U. Sieg, Der Preis des Bildungsstrebens, 84ff. 18 Vgl. U. Sieg, Der Preis des Bildungsstrebens, 68f. Wiederum gilt dies außer für Juden auch für Katholiken, Sozialdemokraten oder Atheisten. 19 Ernest Hamburger, Juden im öffentlichen Leben Deutschlands. Regierungsmitglieder, Beamte und Parlamentarier in der monarchischen Zeit 1848–1918, Tübingen 1968, 55. 20 „Über die Härte der Exklusionsmuster in der preußisch-protestantischen Wissenschaftswelt hegten die Zeitgenossen keine Illusionen.“ U. Sieg, Der Preis des Bildungsstrebens, 68. Vgl. auch ders., Jüdische Intellektuelle im Ersten Weltkrieg, 217ff. 21 P. Pulzer, Rechtliche Gleichstellung und öffentliches Leben, 152. 22 Barbara Strenge, Juden im preußischen Justizdienst 1812–1918. Der Zugang zu den juristischen Berufen als Indikator der gesellschaftlichen Emanzipation, München usw. 1996, 343.
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Preuß hat die dahinterstehende Denkweise, die trotz Verfassung, trotz Gleichberechtigung und trotz Rechtsstaat in der Sache weitgehend auf dem Stand der voremanzipatorischen Zeit verblieb, nicht zum Gegenstand seiner politischen Arbeit gemacht. Auch Preuß schien vor der Aussichtslosigkeit dieses Unterfangens zu kapitulieren. Aber abgefunden hat er sich nicht damit, und da er die Denkart im Kaiserreich nicht ändern konnte, hat er sie zumindest in den Novae epistolae obscurorum virorum karikierend angegriffen23. Trotzdem gab es einzelne jüdische und getaufte Gelehrte, die sogar in der Königsdisziplin der juristischen Wissenschaft den Sprung auf Lehrstühle geschafft hatten. Paul Laband, Georg Jellinek, Siegfried Brie und Heinrich Rosin seien beispielhaft genannt. Sie alle mußten jedoch neben herausragenden wissenschaftlichen Leistungen noch einen Preis bezahlen, um den „Makel“ ihrer Abstammung zu überwinden. Dieser Preis bestand in absoluter wissenschaftlicher und politischer Systemkonformität, die sie überhaupt erst professorabel machte24. Selbst Jellineks Liberalismus ging nie über ein akzeptables Maß hinaus, und zudem war er in Heidelberg, und somit im vergleichsweise liberalen deutschen Südwesten Professor geworden. Auch Brie hatte seine Professur in Heidelberg erreicht, von wo er später nach Rostock ging, während Rosin in Freiburg lehrte. Mithin blieb Laband der einzige prominente Staatsrechtler aus dieser Gruppe, der im unmittelbaren preußischen Machtbereich lehrte – bezeichnenderweise aber nicht in Berlin, sondern in Straßburg. Die Berliner Universität hatte der Physiologe Emil Du Bois-Reymond in einer 23 In: Staat, Recht und Freiheit, 567. Es lohnt sich, die vollständige Stelle aus einem der fingierten Briefe zu zitieren: „Bin gut Freund mit unserem hiesigen Regierungspräsidenten; höllisch fixer Kerl, als Präsident noch sehr jung, oben persona gratissima, rasende Karriere vor sich. Den frage ich neulich, was er täte, wenn sich ein Jude bei ihm zum Regierungsreferendar meldete? Lacht bloß; so etwas käme nicht vor. Wenn aber doch? Nun lächelt er nur noch, setzt die Amtsmiene auf und orakelt: ‚Ja, lieber Oberst, wir vom Zivil sind auf die Verfassung vereidigt; Ihr nicht.‘ – Na, und? – ‚In der Verfassung steht: „Alle Preußen sind vor dem Gesetze gleich. Standesvorrechte finden nicht statt. Die öffentlichen Ämter sind für alle dazu Befähigten gleich zugänglich.“ Juden sind eben zu diesen Ämtern nicht befähigt. Basta!‘ – Großartig! Wenn sie aber getauft sind? Steht darüber auch was in der Verfassung? – Er lächelt noch amtlicher. ‚Aber gewiß, bester Graf. „Der Genuß der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte ist unabhängig von dem religiösen Bekenntnisse.“ Das heißt doch: getaufte Juden sind wie ungetaufte zu behandeln.‘“ 24 Vgl. E. Hamburger, Juden im öffentlichen Leben Deutschlands, 89f. und 91ff.; und als Übersicht Max Pinn, Rechtswissenschaft, in: Siegmund Kaznelson (Hrsg.), Juden im deutschen Kulturbereich. Ein Sammelwerk, 2. stark erw. Aufl., Berlin 1959, 590–672, hier 613ff. Pinn geht auch auf Felix Stoerk und Edgar Loening ein. Das affirmative Pathos dieses Aufsatzes dürfte auch dadurch bedingt sein, daß die erste Auflage des Bandes 1934 erschien. Als biographisch orientierter Überblick grundlegend Helmut Heinrichs et al. (Hrsg.), Deutsche Juristen jüdischer Herkunft, München 1993; v.a. der Übersichtsaufsatz von Peter Landau (Juristen jüdischer Herkunft im Kaiserreich und in der Weimarer Republik, 133–213) und die Beiträge von Walter Pauly (Paul Laband (1838–1918). Staatsrechtslehre als Wissenschaft, 301–319), Martin J. Sattler (Georg Jellinek (1851–1911). Leben für das öffentliche Recht, 355– 368) und Alexander Hollerbach (Heinrich Rosin (1855–1927). Pionier des allgemeinen Verwaltungs- und des Sozialversicherungsrechts, 369–384).
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6. Der „politische Professor“ im Kaiserreich
patriotischen Kriegsrede 1870 als „das geistige Leibregiment des Hauses Hohenzollern, dem Palais des Königs gegenüber einquartiert“ bezeichnet25. Das Bild ist im Hinblick auf jüdische Gelehrte vielleicht noch besser gewählt, als es dem Redner selbst bewußt war. Das Offiziers- und Reserveoffizierskorps der preußischen Regimenter ergänzte sich bis zum Beginn des Weltkriegs durch Kooptation, wobei eine einzige schwarze Kugel ausreichte, um einen Kandidaten abzulehnen. Tatsächlich ist in Preußen in den letzten 30 Jahren vor 1914 kein einziger bekennender Jude und nur einige wenige Getaufte Offizier oder Reserveoffizier geworden26. Es ist naheliegend, hier einen Vergleich zur universitären Berufungspraxis durch die Akzeptanz innerhalb der bestehenden Fakultät zu ziehen, und dann ist es nur folgerichtig, daß Juden in diesem „geistigen Leibregiment“ ebensowenig wie in den militärischen Leibregimentern Platz finden konnten. Im Dezember 1902 stellte Preuß ein neues Beförderungsgesuch an das Kultusministerium. Inzwischen allerdings hatte sich die Sachlage gründlich geändert, und zwar nicht nur auf Grund der zahlreichen neuen, unzweifelhaft juristischen Veröffentlichungen Preuß’, sondern vor allem durch ein Ereignis, das allgemein als „Fall Preuß“ bezeichnet wurde. Seit 1895 gehörte Hugo Preuß der Berliner Stadtverordnetenversammlung an. In der Sitzung vom 26. Oktober 1899 hatte das Problem der „Ordinariate“ jüdischer Lehrer an Gemeindeschulen auf der Tagesordnung gestanden, also die Frage, ob sie als Klassenlehrer bestellt werden und das damit verbundene höhere Gehalt beziehen konnten27. Dieses Thema hatte schon mehrfach auf der Tagesordnung der Beratungen gestanden, da die preußischen Aufsichtsbehörden dazu übergegangen waren, jüdische Klassenlehrer nur noch in Klassen mit einer erheblichen Zahl jüdischer Schüler zu dulden – ein Rückfall in die Zeiten der konfessionellen statt der Simultanschule und zugleich ein Eingriff in die kommunale Autonomie, der von allen Fraktionen und vom Magistrat stets zurückgewiesen wurde. Allerdings schien Preuß, für den der Einsatz für die Belange der Gemeindelehrer – auch der nichtjüdischen – ein Hauptanliegen als Stadtverordneter war, mit dem zögerlichen Vorgehen der Mehrheit und des Magistrats wenig zufrieden; in mehreren Sitzungen drängte er auf einen entschiedeneren Ton gegenüber den preußischen Behörden. Mindestens ebenso wichtig wie die konkreten Anliegen der Volksschullehrer wird 25 Zitiert nach M. Lenz, Geschichte der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, 2. Bd., 2. Hälfte, Halle 1918, 353. Lenz beginnt das der neuesten Geschichte der Universität gewidmete Kapitel mit diesem Satz Dubois-Reymonds aus „seiner vielbewunderten Rede, dem Meisterstück seiner Rhetorik“. Diese Einschätzung hat sich bis heute ein wenig geändert; vgl. W. Neugebauer, Bildungswesen in Preußen, 775. Du Bois-Reymond war damals „eine der Leitfiguren professoralen Selbstverständnisses“, N. Hammerstein, Antisemitismus und deutsche Universitäten, 13. Ähnlich Th. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866–1918, Bd. 1, 510f. 26 P. Pulzer, Rechtliche Gleichstellung und öffentliches Leben, 157. 27 Zur Lage jüdischer Volksschullehrer in Preußen vgl. E. Hamburger, Juden im öffentlichen Leben Deutschlands, 61f. Zu den preußischen Volksschulen W. Neugebauer, Bildungswesen in Preußen, 707ff. Ausführlich zur langanhaltenden politischen Auseinandersetzung um das Volksschulwesen E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte IV, 876ff.
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für Preuß dabei der Umstand gewesen sein, daß es hier die Unabhängigkeit der Städteordnung gegen einen gewichtigen neuen Eingriff des Staates zu verteidigen galt. In der erwähnten Sitzung vom 26. Oktober wurden ein Ausschußbericht und eine Resolution besprochen, die Preuß beide als ungenügend empfand: Der Grundcharakter ist ja auch beiden gemeinsam. Aus beiden spricht eine Stimmung nach der friedlichen Choralmelodie: Befiehl du deine Wege, und was dein Herze kränkt, der allertreusten Pflege des Magistrats, der lenkt. [Große Unruhe]28
Preuß teilte nicht das Vertrauen, daß der Magistrat ohne Anstoß seitens der Versammlung das Richtige tun würde oder bereits getan habe. Über sechs Spalten in den Stenographischen Berichten begründete er seinen Antrag, das Recht der Gemeinde auf die Simultanschule zu verteidigen. Im Prinzip war dies auch die Mehrheitsmeinung: Nun sagt man aber endlich: ja, selbst wenn das Alles richtig sein sollte – und das ist auch im Ausschußbericht hervorgetreten –, so kann ja jeder Zeit der Minister mit einem Federstrich die Sache ändern; er kann mit einem Federstrich aus dieser nach unserer Auffassung paritätischen Schule die konfessionelle Schule machen. Es ist die Auffassung: Exzellenz hat es gegeben, Exzellenz hat es genommen, der Name Seiner Exzellenz sei gelobt!29
Dies sind die beiden inkriminierten Stellen der Rede Preuß’. Und obwohl das Protokoll auch an der zweiten Stelle „Große Unruhe“ verzeichnet, hielt es nicht einmal der auf Preuß unmittelbar folgende Redner, der als Vertreter des politischen Antisemitismus gewählte Stadtverordnete Pretzel30 für nötig, besonders auf sie einzugehen. Preuß selbst muß allerdings gemerkt haben, daß beide Bemerkungen nicht ganz glücklich gewesen waren. Zum Schluß der Sitzung ließ er mitteilen, er sei „weit davon entfernt gewesen, irgend jemand damit verletzen zu wollen“31. Damit war die Angelegenheit in der Stadtverordnetenversammlung abgetan. Der „Fall Preuß“ aber begann erst. Zwei Tage später entrüstete sich der „Reichsbote“ über die vermeintliche „Schändung“ christlichen Gedankenguts 28 Sten. Ber. SVV 1899, 327. 29 Ebd., 330. 30 Zu Pretzel siehe Hellmuth von Gerlach, Von Rechts nach Links, Frankfurt a.M. 1987 (erstmals Zürich 1937), 181. Generell vgl. Albert Lichtblau, Antisemitismus und soziale Spannung in Berlin und Wien. 1867–1914, Berlin 1994. Zu den betont antisemitischen Parteien im Kaiserreich siehe E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte IV, 44f.; Dieter Fricke, Antisemitische Parteien 1879–1894, in: ders. et al. (Hrsg.), Die bürgerlichen Parteien in Deutschland. Handbuch der Geschichte der bürgerlichen Parteien und anderer bürgerlicher Interessenorganisationen vom Vormärz bis zum Jahre 1945, 2 Bde., Leipzig 1968 und 1970, hier Bd. 1, 36– 40; Peter Pulzer, Die Wiederkehr des alten Hasses, in: M. A. Meyer (Hrsg.), Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit III, 193–248, hier 218ff. 31 Sten. Ber. SVV 1899, 334. Generell zu den Verwicklungen des „Falles Preuß“ vgl. W. Sellnow: Hugo Preuss, passim. Neben eine solide Darstellung aus den Quellen stellt Sellnow eine marxistische Interpretation der Vorgänge, die fragwürdiger ist.
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6. Der „politische Professor“ im Kaiserreich
durch den „jüdische[n] Wortführer“32, und am 30. Oktober nahm die Brandenburgische Provinzial-Synode unter „lebhaften Pfui-Rufen der Versammlung“ von dem Vorfall Kenntnis. Bei aller Entrüstung dieser geistlichen Versammlung war sie sich aber der Grenzen des Machbaren durchaus bewußt: Es fragt sich nur, was zu thun ist? Ein Anrufen der Staatsaufsichtsbehörde würde nicht viel nutzen, denn sie hat keine Disziplinargewalt über die Stadtverordnetenversammlung. Auch ein Anrufen des Strafrichters würde nicht angängig sein, denn die Strafbestimmungen, die für Vergehen gegen die Religion bestehen, treffen auf den vorliegenden Fall nicht zu. Da bleibt nur übrig die Klage vor Gott und vor dem ganzen Lande, daß in solcher Weise Dinge, die allen Christen heilig sind, in der Stadtverordnetenversammlung der Haupt- und Residenzstadt in den Staub getreten werden. Ich bin gewiß, daß alle billig Denkenden, gleichviel welcher Partei oder Religion sie angehören, diese Klage für berechtigt erklären und diesen Vorgang verurtheilen werden. Das wird die beste Sühne sein, die wir erlangen können.33
Mit dieser resignierenden Einschätzung täuschten sich die Synodalen allerdings, denn in Preußen gab es sehr wohl noch weitere Möglichkeiten. Zwar hatte Preuß nach Veröffentlichung der Resolution der Synode postwendend, nämlich noch am Tage der Publikation, an gleicher Stelle sein Bedauern ausgedrückt34, aber inzwischen hatten sich schon höhere Mächte der Angelegenheit angenommen. 32 „Jüdische Lehrerinnen und die Stadtverordnetenversammlung von Berlin“, Der Reichsbote, Nr. 255, (28.10.’99). Der Artikel, der die Reden von Preuß und anderen wiedergab, hatte folgende Einleitung: „Die Berliner Stadtverordnetenversammlung hat sich gestern wieder mit der Frage der jüdischen Lehrerinnen und mit dem Geiste der Schulerziehung beschäftigt. In welchem Sinne, das braucht bei dieser Stadtvertretung von Liberalen, Juden und Sozialdemokraten nicht erst gesagt zu werden. Unerhört ist es aber, wie sich gestern ein Jude hinstellen durfte und ungerügt vom Vorsitzenden ... eine Schändung von christlichen Liedversen und einem Bibelwort verüben konnte. Der jüdische Herr that dies mit einer Ungezwungenheit und Freiheit (sic), die einfach verblüffend wirken mußte. Und wenn nachher sogar aus liberalen Kreisen die Benutzung von solchen Citaten als ‚mißlich‘ bezeichnet worden ist, so kann man sich vorstellen, daß der jüdische Wortführer in der That weit gegangen war.“ 33 Ohne Kommentar abgedruckt in „Neunte ordentliche Brandenburgische Provinzial-Synode“, VZ, Nr. 511 (31.10.’99) M. 34 In der Abendausgabe des gleichen Blattes, VZ, Nr. 512 (31.10.99) A, erschien folgende Zuschrift von Preuß: „Aus dem heutigen Berichte der ‚Voss[ischen] Z[ei]t[un]g‘ ersehe ich, in welcher Weise sich gestern die Provinzialsynode mit Äußerungen befaßt hat, die ich in der letzten Stadtverordnetensitzung gethan habe. Allerdings ist die Synode nicht das Forum, vor dem ich mich zu verantworten habe; aber man hat dort ‚Klage vor Gott und vor dem ganzen Lande‘ erhoben. Ob es nicht ein schlimmerer Mißbrauch, als der mir vorgeworfene, ist, den Namen Gottes in diesen Streit hineinzuziehen, lasse ich dahingestellt. Aber vor dem Lande, d.h. der öffentlichen Meinung erkläre ich, daß die inkriminirten Stellen, in ihrem Zusammenhange gelesen, für den Unbefangenen die Annahme ausschließen müssen, als hätte ich auch nur irgendwie heilige Dinge und Worte ‚mit Spott begießen‘ oder ‚in den Staub ziehen‘ wollen. Wenn sich zur kurzen Kennzeichnung einer Stimmung oder eines Gedankens Dichterworte oder Sprüche auf die Lippen drängen, so liegt doch dabei nichts ferner als die Absicht, diese Worte verhöhnen zu wollen. Übrigens vergißt man bei der Beschuldigung, daß ich das christliche Gefühl habe verletzen wollen, völlig, daß es sich bei der zweiten Stelle um einen ursprünglich jüdischen Spruch handelt. Mir gilt das durchaus gleich; denn mit Absicht werde ich niemals weder Christen noch Juden noch sonst jemanden in seinen Empfindungen kränken.
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Der Artikel im „Reichsboten“ war der Kaiserin zur Kenntnis gebracht worden, und ihr Oberhofmeister Ernst Freiherr von Mirbach35 richtete darauf am 3. November zwei Briefe an den Kultusminister Konrad von Studt36 und an den Rektor der Universität Prof. Fuchs. Drückt das Schreiben an den Minister allgemein das Ersuchen der Kaiserin aus, „die Angelegenheit weiter zu verfolgen“, so wird das Schreiben an den Rektor spezifischer, wenn Mirbach mit dem Ausdruck des Vertrauens Ihrer Majestät schließt, daß Euer Magnificenz geeignete Mittel finden werden, um die Gefahren abzuwenden welche darin liegen, daß solche jüdischen Spötter Lehrer unserer heranwachsenden Jugend sind37.
Beide Adressaten werden nicht lange haben rätseln müssen, was Mirbach im Auge hatte und worauf er sich beziehen zu können glaubte. Wenig mehr als ein Jahr vor dem „Fall Preuß“ war das „Gesetz, betreffend die Disziplinarverhältnisse der Privatdozenten“ am 17. Juni 1898 erlassen worden, das allgemein unter dem Namen „Lex Arons“ bekannt war. Privatdozenten unterstanden bis dahin, anders als die Professoren, allein der Fakultät, nicht aber dem Ministerium. Im Fall des Physikers Leo Arons, der Sozialdemokrat war, wurde nach langjähriger öffentlicher Diskussion eine gesetzliche Grundlage zur Maßregelung geschaffen. In diesem Fall hatten sich Philosophische Fakultät und Universität unbeirrt hinter Arons gestellt und Nach meiner Meinung konnten das logischerweise auch die beschuldigten Stellen in ihrem Zusammenhange nicht thun. Aber die Empfindung gehorcht freilich nicht lediglich logischen Erwägungen. Wenn daher trotz alledem wahres Gefühl an jenen Worten Anstoß genommen hat, so erkläre ich unbedenklich und offen, daß ich diese durchaus nicht beabsichtigte Verletzung ehrlich und aufrichtig bedauere. Das habe ich aber sofort bei dem ersten Hinweis auf die Möglichkeit der Mißdeutung gethan, ehe sich die Synode mit der Sache beschäftigte. Für jeden, der nur durch sein Empfinden, nicht durch andere Erwägungen bestimmt wird, dürfte die Frage damit erledigt [sein].“ 35 Mirbach war ein enger Vertrauter der Kaiserin, mißbrauchte aber seine Stellung, um seine Leidenschaft, den Bau von Kirchen durch allerlei Sammelaktionen zu fördern. B. Fürst von Bülow, Denkwürdigkeiten I, 244f., gibt eine ausgesprochen amüsante Darstellung davon. Mirbach, auch als „Glockenaugust“ bekannt, versuchte sogar (nicht ohne Erfolg!) bei jüdischen Bankiers mit Hinweis auf die Kaiserin Geld für diese Mission zu sammeln. Beim SPDStadtverordneten und Reichstagsmitglied Paul Singer blitzte er allerdings ab. Zu den Vorgängen auch Hans Philippi, Der Hof Kaiser Wilhelms II., in: Karl Möckl (Hrsg.), Hof und Hofgesellschaft in den deutschen Staaten im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert, Boppard a. Rh. 1990, 361–394, hier 368f. 36 Studt wurde 1899 der Nachfolger Bosses und verblieb bis 1907 in seinem Amt. Studt, „der ‚Minister des schönen Äußern‘ oder ‚Seine Eleganz‘, wie ihn die Eingeweihten ... nannten“, war unbedeutend, von „sprichwörtlicher rednerischer Unbeholfenheit“ und „vor dem preußischen Parlament nur mehr der Vorleser Althoffscher Manuskripte“; B. vom Brocke, Das „System Althoff“, 39. 37 Das Schreiben an den Kultusminister, dem der Ausschnitt aus dem „Reichsboten“ Nr. 255 beigegeben war, ist im GStAPK, Rep. 76-Va, Sekt. 2, Tit. IV (Kultusministerium. Berlin, Universitätssachen), IV. Abt., Nr. 49, Bd.III, Bl. 31. Ebd., Bl. 60, eine Abschrift des Schreibens von Mirbach an Fuchs. Auch diesem Schreiben lag der entsprechende Zeitungsausschnitt bei.
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versucht, das Eingreifen des Staates in ihre Domäne zu verhindern. Führenden Anteil an diesen Bemühungen hatte Gustav Schmoller, der weder ein Freund der Sozialdemokratie38 noch ein Philosemit war. Es half nichts; Arons wurde letzten Endes die Lehrberechtigung entzogen, und der Physiker mußte die Universität verlassen39. Die Auseinandersetzung um Arons wird Mirbach auf den Gedanken gebracht haben, daß es möglicherweise auch eine Handhabe gegen Preuß geben könnte. Und es wird ihm auch nicht entgangen sein, daß Arons ebenso wie Preuß Jude war40. Beide Schreiben waren als „Geheim“ eingestuft, und das mit gutem Grund. Die Fakten lagen hier anders als bei der Lex Arons. Inhaltlich gab es kaum eine Berechtigung, einen Privatdozenten beruflich für seine Äußerungen als Stadtverordneter zu maßregeln, zumal die Rede Preuß’ selbst bei weitester Auslegung nicht als staatsgefährdend eingestuft werden konnte. Formal waren die Kaiserin wie auch ihr Oberhofmeister nicht befugt, Anordnungen dieser Art zu erteilen. Was nun folgte, war nicht eben ein schönes Beispiel für Männermut vor Fürstenthronen. Der Minister teilte Mirbach am 14. November mit, er habe sich bereits vor Eingang des Schreibens mit der Juristischen Fakultät in Verbindung gesetzt41. In der Tat findet sich schon eine auf den 31. Oktober datierte Aktennotiz in den Unterlagen des Ministeriums, die einen Bericht der „Kreuzzeitung“ zu den Akten nimmt und die ominöse Frage anschließt, ob „auf einen Fall wie diesen das PrivatdocentenGesetz nicht zur Anwendung zu bringen sein“ sollte42. Kultusminister Studt hatte sein Amt als Nachfolger des liberaleren Ministers Robert Bosse erst im gleichen Jahr 1899 angetreten. Er war also noch recht neu in dieser Position, weshalb er einerseits bemüht war, einen makellos konservativen Kurs zu steuern, andererseits aber auch gereizt auf Eingriffe in seine noch frische Autorität reagierte. Studt hatte die Anregung der Kaiserin und ihres Oberhofmeisters nicht gebraucht, um tätig zu werden. Dies geschah „aus eigenem Antriebe“, wie er am 28. November noch einmal, und jetzt einigermaßen indigniert betonte – inzwischen nämlich hatte der Minister vom gleichzeitigen Schreiben Mirbachs an Rektor Fuchs erfahren und reagierte ungehalten auf diese Einmischung in seine Kompetenzen, die zugleich auch 38 Trotzdem galt er wegen seines sozialreformerischen Engagements bei Wilhelm II. abstruserweise als gefährlicher Sozialist, was seine Berufung als Nachfolger Sybels ins Reichsarchiv verhinderte; vgl. Rüdiger vom Bruch, Gustav Schmoller, in: Wolfgang Treue und Karlfried Gründer (Hrsg.), Wissenschaftspolitik in Berlin. Minister, Beamte, Ratgeber, Berlin 1987, 175– 193, hier 185. Schmoller fand sich in vielen politischen Kontroversen wieder; er war, in der treffenden Charakterisierung vom Bruchs, ein homo politicus, aber kein Politiker; ebd., 175. 39 Zur Lex Arons siehe W. Neugebauer, Bildungswesen in Preußen, 777; M. Stürmer, Das ruhelose Reich, 256f.; und ausführlich zum ganzen Fall B. vom Brocke, Das „System Althoff“, 95ff.; E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte IV, 950ff.; Peter Mast, Künstlerische und wissenschaftliche Freiheit im Deutschen Reich 1890–1901, o.O. [Rheinfelden] 1980, 101ff. 40 Arons war gleich Preuß ein wohlhabender Mann, zudem Schwiegersohn des Bankiers Julius Bleichröder, des Bruders von Gerson von Bleichröder. Zu dieser Verbindung siehe Fritz Stern, Gold und Eisen. Bismarck und sein Bankier Bleichröder, Reinbek 1988, 748. 41 Der Entwurf dieses Schreibens findet sich in den zitierten Akten des Ministeriums, Bl. 43. 42 Ebd., Bl. 36.
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den impliziten Vorwurf enthielt, daß dem Kultusminister nicht zu trauen sei, selbständig einen „jüdischen Spötter“ in seine Schranken zu verweisen43. Die genauen Daten sind wichtig für die Sequenz der Ereignisse, für die Schnelligkeit der Reaktion und für die Bereitschaft der Autoritäten, von sich aus tätig zu werden oder doch zumindest den Anschein zu erwecken, als sei dies so bereits geschehen. Der Rektor selbst hatte am 4. November die Fakultät informiert, deren Dekan Prof. Eck am 14. November dem Rektor mitteilte, er habe dessen Schreiben der Fakultät in der Sitzung vom 7. November verlesen. Die Fakultät wiederum hatte, wie der Antwort Ecks zu entnehmen ist, angeblich schon vorher und angeblich ebenso wie der Minister wortgleich „aus eigenem Antriebe“ ein Disziplinarverfahren gegen Preuß eröffnet44. Ein Datum für diese Verfahrenseröffnung kann Eck allerdings nicht mitteilen, und dies ist nicht die einzige Ungereimtheit. Am 9. November erschien Preuß mit einer merkwürdig zurückhaltenden Rechtfertigungsschrift vor dem Dekan, und am 14. November erhielt Preuß einen Verweis ausgesprochen. Dies war die geringste mögliche Strafe, und ihre Erteilung durch ein freundschaftliches Gespräch im Zimmer des Dekans milderte sie weiter ab45. Die Vermutung ist naheliegend, daß zumindest die Fakultät hier präventiv reagiert hatte und vielleicht sogar einige Rückdatierungen vorgenommen hatte, um den Anschein zu vermeiden, man sei auf Geheiß und Befehl außeruniversitärer Stellen tätig geworden. So konnte der Anschein der Unabhängigkeit gewahrt bleiben und zugleich eigene Wachsamkeit gegenüber Grenzüberschreitungen der Privatdozenten demonstriert werden, ohne daß das von der Universität im Vorjahr vergebens bekämpfte Privatdozenten-Gesetz zur Anwendung kam. Der Verweis für Preuß zeigte das erforderliche Minimum an Entgegenkommen gegenüber dem Ministerium, beruhigte die staatlichen und höfischen Interessenten und ließ in Wirklichkeit die leidige Angelegenheit folgenlos im Sande verlaufen. Alle diese Vorfälle müssen aus den Akten rekonstruiert werden; die Öffentlichkeit hatte keine Kenntnis von ihnen. Das änderte sich, als der offenbar recht schreibfreudige Freiherr von Mirbach auch noch ein Schreiben an die Stadtverordnetenversammlung richtete, das auf der Sitzung am 16. November 1899 verlesen wurde. Hier wurde der Dank der Kaiserin für vorher an sie ausgesprochene Geburtstagsglückwünsche mit einer scharfen Rüge an die Adresse Preuß’ und der ganzen Ver 43 Ebd., Bl. 62. Dort heißt es weiter: „Erst später habe ich (zu meiner Überraschung [gestrichen aus dem Entwurf; MD]) aus den Zeitungen ersehen, daß Ew. pp. in derselben Angelegenheit gleichzeitig auch ein Schreiben an den Rektor der hiesigen Königlichen Friedrich-WilhelmsUniversität gerichtet haben. Nachdem ich mich inzwischen von der Richtigkeit dieser Zeitungsnachricht überzeugt habe, sehe ich mich zu dem ergebensten Ersuchen veranlaßt, daß, sofern E. Ex. in Zukunft in die Lage kommen sollten, mit einer mir nachgeordneten Behörde unmittelbar in Verbindung zu treten, mir eine entsprechende Mittheilung nicht vorenthalten werde.“ 44 Abschriften dieser Schreiben ebd., Bl. 60–61. 45 Der ganze Vorgang ist in den Aktenstücken ebd., Bl. 68–73, festgehalten. Am 1.12.’99 konnte Minister Studt der Kaiserin den Verweis für Preuß und damit den Vollzug des vor nicht ganz einem Monat erteilten Auftrags melden (Bl. 74).
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sammlung verknüpft. Ein solches Vorgehen war zumindest ungewöhnlich und wurde vom Vorsitzenden auch mit respektvollen, aber gleichwohl entschiedenen Worten zurückgewiesen, wobei er sich klugerweise dafür entschied, die Zurechtweisung auf Mirbach und nicht auf die Kaiserin zu münzen46. Damit war der Fall in die Öffentlichkeit gelangt, und in den nächsten Tagen ging eine heftige Auseinandersetzung durch die Tageszeitungen, wobei sich die liberale Presse darüber im klaren war, daß dieser „Fall Preuß“ eigentlich ein „Fall Mirbach“ sei. Vor allem die „Vossische Zeitung“, in der Preuß selbst regelmäßig schrieb, nahm sich des Falles in einer ganzen Reihe von Artikeln und aus unterschiedlichen Blickwinkeln an. Die Belanglosigkeit des „Vergehens“ von Preuß wurde in einem Artikel vom 17. November dadurch belegt, daß mit dem Hofprediger Stöcker, Friedrich dem Großen, Friedrich Wilhelm III., Wilhelm I. und Kaiser Friedrich eine lange Liste von Vorgängern ins Feld geführt wurden, die allesamt ähnliche rednerische Entgleisungen zu verantworten hatten47. Mirbach nahm sich die Vossische am nächsten Tag vor. Seine Einmischung, die eine staatsrechtlich nicht verantwortliche Stelle in die Politik einbrachte, wurde heftig gerügt, und selbst für Bismarck fand die Zeitung lobende Worte, da dieser das Verhalten des Oberhofmeisters mit Sicherheit nicht geduldet hätte48. In der Abendausgabe des gleichen Tages fand sich eine Stellungnahme gegen ein Disziplinarverfahren – zu einem Zeitpunkt also, als das Disziplinarverfahren nicht nur eingeleitet, sondern bereits mit dem oben geschilderten Verweis abgeschlossen war. Auch andere Blätter äußerten sich noch über das Für und Wider der Angelegenheit, als das ganze Verfahren in Wirklichkeit bereits sein Ende gefunden hatte49. 46 Das von Vorsteher Paul Langerhans verlesene Schreiben Mirbachs begann mit üblichen Dankesworten, setzte dann aber fort, daß „Ihre Majestät mit tiefem Schmerze davon Kenntniß genommen [hat], daß vor Kurzem ... in der Stadtverordnetenversammlung ein Lehrer der Königlichen Universität, ohne in gebührender Weise zurückgewiesen zu werden, heilige evangelische und biblische Trostesworte in einer Weise zum Spott benutzte, welche jede Sitte, vor allem aber das christliche Gefühl auf das Tiefste verletzen mußte. Ihre Majestät hoffen, daß es mit der Zeit den guten und treuen Elementen gelingen werde, neben der Förderung des äußeren Blühens und Gedeihens auch an den vielen tiefen inneren Schäden, an denen die Reichshauptstadt krankt, [Protokoll: „oho!“] die versöhnende und bessernde Hand mit Erfolg anzulegen.“ Sten. Ber. SVV 1899, 341. Die Vossische Zeitung griff die abwehrenden Bemerkungen Langerhans‘ am folgenden Tag zustimmend auf; Nr. 541 (17.11.’99) M. 47 VZ, Nr. 542 (17.11.’99). 48 „Die Nebenpolitik des Oberhofmeisters“, Nr. 543 (18.11.’99) M: „Wäre Fürst Bismarck noch am Leben und im Amte, wir vermuthen, der Oberhofmeister Freiherr v. Mirbach wäre die längste Zeit Oberhofmeister gewesen. Der erste Kanzler wachte vorsichtig darüber, daß seine Politik nicht von Personen durchkreuzt werde, die keinerlei staatsrechtliche Verantwortung tragen.“ 49 „Die Umgestaltung des Disziplinarrechts“, VZ, Nr. 544 (18.11.’99) A. Überflüssig erschien die ganze Aufregung der konservativen Post („Unnöthige Aufbauschung“, [19.11.’99]): „Der Brief des Oberhofmeisters drückt ganz einfach die Empfindungen des Schmerzes und des Bedauerns aus, welche manche Vorgänge in der Stadtverordnetenversammlung in dem Herzen der Kaiserin erregt haben. Man kann ihn für opportun oder nicht opportun halten; ihn zu einer hochpolitischen Kundgebung zu stempeln, dazu gehört schon eine ganz besondere Kunst.“ Die BNN vom
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Verständnisvolles Bedauern äußerte der liberale Teil der Presse dafür, daß Preuß die Sache nicht bis zum letzten ausgekämpft, sondern den Verweis akzeptiert hatte. Neben seinem inhaltlichen Desinteresse wird für Preuß hierbei entscheidend gewesen sein, daß er seine Chancen auf eine Professur nicht durch einen lang anhaltenden Konflikt verringern wollte, in dem er allenfalls einen Pyrrhus-Sieg erzielen konnte. 1896 hatte die Fakultät seinen Extraordinariats-Antrag vor allem deswegen nicht befürwortet, weil Preuß keine neuen wissenschaftliche Leistungen vorgelegt hatte. Die meisten Veröffentlichungen von Preuß in den Jahren vor der Jahrhundertwende waren publizistisch-politische Artikel in der „Nation“ gewesen. Dies hatte sich inzwischen gründlich geändert. Mehrere neue Schriften waren erschienen, unter denen die grundlegenden Aufsätze „Stellvertretung oder Organschaft?“ (1902) und „Über Organpersönlichkeit“ (1902) sowie in erster Linie Preuß’ Pioniertat auf dem bislang unbearbeiteten Feld des kommunalen Verwaltungsrechts, das ebenso umfangreiche wie wissenschaftlich bedeutsame Buch über „Das städtische Amtsrecht in Preußen“ (1902) herausragten. Diese Abhandlungen waren alle im gleichen Jahr erschienen, und es ist nur folgerichtig, daß die Fakultät am Ende dieses Jahres einen Versuch unternahm, Preuß jetzt endlich die überfällige Ernennung zum außerordentlichen Professor zu verschaffen. Die verschiedentlich in der Literatur geäußerte Annahme, die Berliner Juristische Fakultät habe Preuß aus antisemitischen Gründen als Außenseiter behandelt und bewußt in seiner Karriere behindert, läßt sich nicht halten. Sicherlich war die Fakultät keine Insel der Seligen, die aus dem Rahmen der allgemeinen universitären Landschaft herausfiel. Aber in dem konkreten Einzelfall Hugo Preuß haben sich die unmittelbaren Fachkollegen zumindest ab der Jahrhundertwende nicht hemmend, sondern kollegial und unterstützend verhalten50. In ihrem Antrag an den Kultusminister vom 28. Dezember 1902 wurden die drei genannten Werke besonders hervorgehoben. Die wissenschaftliche Arbeit Preuß’ wurde gebührend gewürdigt, und auch – wiederum anders als 1896 – sein Lehrerfolg ausdrücklich erwähnt. Abschließend brachte die Fakultät die Hoffnung zum Ausdruck, „daß das frühere bekannte disziplinäre Vorkommniß der nunmehrigen Beförderung des Dr. Preuß zum außerordentlichen Professor nicht länger im Wege steht“51.
gleichen Tag hielten den Bericht über die Einleitung eines Disziplinarverfahrens für falsch, „und zwar aus dem Grunde, weil eine Taktlosigkeit, und sei sie noch so grob, füglich nicht Gegenstand einer Disziplinaruntersuchung sein kann“. 50 Die gegenteilige Ansicht findet sich etwa bei M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland II, 363, der behauptet, daß es der Fakultät „[f]ast zwei Jahrzehnte lang gelang ..., Preuß auf einer Außenseiterposition zu halten“ und der dies auf den inneruniversitären Antisemitismus zurückführt. Ähnlich N. Hammerstein, Antisemitismus und deutsche Universitäten, 91. 51 Der Antrag ist im GStAPK, Rep. 76-Va, Sekt. 2, Tit. IV, IV. Abt., Nr. 49, Bd.III, Bl. 124–125.
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Darauf geschah erst einmal gar nichts, und erst als Preuß am 31. März 1903 eine Entscheidung anmahnte, kam Bewegung in die Angelegenheit52. Von entscheidender Bedeutung hierfür war nicht der Minister selbst, sondern Ministerialdirektor Friedrich Althoff, die graue Eminenz des Ministeriums, der seit vielen Jahren der entscheidende Mann im preußischen Universitätswesen war. Althoff, „paternalistisch-wohlwollend, bürokratisch-autoritär, aufgeklärt-autokratisch“53, war kein konservativer Ideologe, sondern stand einer Modernisierung der preußischen Universitäten oftmals aufgeschlossener gegenüber als die Universitäten selber. Seine schützende Hand hatte mehrfach unorthodoxe Gelehrte, etwa eine ganze Reihe der sogenannten Kathedersozialisten, vor Zugriffen anderer Stellen geschützt, und selbst im Fall Arons hatte er vergebens versucht, zugunsten des jüdischen Sozialdemokraten zu lavieren. Auf Hugo Preuß allerdings erstreckte sich sein Wohlwollen nicht. Zur Vorlage bei Althoff gelangte ein Schriftstück, das noch einmal detailliert den „Fall Preuß“ aufrollte, ohne allerdings eine konkrete Empfehlung auszusprechen54. Der Sinn der Vorlage war allerdings auch ohnedies deutlich, und so wurde am 2. Juli 1903 die Beförderung abgelehnt, zugleich aber in Aussicht gestellt, Preuß das Prädikat „Professor“ beizulegen oder ihn zum außerordentlichen Honorarprofessor zu ernennen – ein Professorengrad, den es überhaupt nicht gab und der eigens für Preuß erfunden worden wäre. Die offizielle Begründung für die Ablehnung war, daß „es an einer etatsmäßigen Stelle für diesen Zweck mangelt und auch ein Bedürfnis zur Begründung einer solchen für das von ihm vertretene Fach nicht vorhanden ist“55. Der wirkliche Grund lag in den Vorgängen im „Fall Preuß“. Die Fakultät antwortete am 29. Juli auf diese Vorschläge, die der wissenschaftlichen Bedeutung und Leistung Preuß’ nicht gebührend Rechnung trugen, und lehnte sie durchweg ab, wobei sie das Gesuch vom 28. Dezember erneuerte56. Hierauf gab es von seiten des Ministeriums anscheinend nicht einmal mehr eine Antwort. 52 Ebd., Bl. 126. Preuß reichte ein angefordertes Schriftenverzeichnis ein und fügt hinzu: „Euer Hochwohlgeboren [= Althoff, MD] bitte ich zugleich ganz ergebenst, meine Angelegenheit geneigtest einer baldigen Entscheidung zuführen zu wollen, da ich nach nunmehr 14 Docentenjahren in die Lage komme, über meine fernere Thätigkeit mich entscheiden zu müssen.“ 53 Th. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866–1918, Bd. 1, 573. Zum „System Althoff“ siehe, mit weiterer Literatur, W. Neugebauer, Bildungswesen in Preußen, 766ff.; und v.a. B. vom Brocke, Das „System Althoff“; sowie als Portrait Althoffs Bernhard vom Brocke, Friedrich Althoff, in: W. Treue und K. Gründer (Hrsg.), Wissenschaftspolitik in Berlin, 195–214. 54 Vorlage, gez. Elster, vom 9.4.’03; GStAPK, Rep. 76-Va, Sekt. 2, Tit. IV, IV. Abt., Nr. 49, Bd.III, Bl. 127–128. Der Verfasser war die rechte Hand Althoffs. 55 Ebd., Bl. 129. 56 Ebd., Bl. 131–132. Die Schaffung eines außerordentlichen Honorarprofessors lehnte die Fakultät auch unabhängig von der Person Preuß’ ab: „Sie ist der Ansicht, daß die bis jetzt bestehenden vier Arten von Professoren: ordentliche Professoren, ordentliche Honorarprofessoren, außerordentliche Professoren und Privatdozenten mit dem Titel Professor – einen ausreichenden Spielraum gewähren, um die im akademischen Leben stehenden Persönlichkeiten der äußeren Stellung nach zu gruppiren und zu charakterisieren.“ Und zum zweiten Vorschlag des
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Einen letzten Versuch unternahm die Fakultät mit ihrem Gesuch vom 2. Dezember 1910, das in fast gleichen Wendungen wie 1902 die Forschungs- und Lehrerfolge Preuß’ hervorhob, nur daß inzwischen die Publikationsliste entschieden länger geworden war. Auch das bürokratische Umfeld hatte sich geändert; Althoff hatte 1907 das Ministerium verlassen, und 1909 war mit August von Trott zu Solz ein neuer Kultusminister ins Amt gekommen, bei dem man vielleicht hoffen konnte, daß er einem Neuanfang aufgeschlossener gegenüberstand. Preuß fand erneut das ungeteilte Lob seiner Kollegen, die ähnlich wie 1902, aber eher noch nebulöser und erneut im Schlußsatz die Hoffnung artikulierten, „daß die Schwierigkeiten, die sich seinerzeit seiner Ernennung zum außerordentlichen Professor entgegengestellt haben, nicht unüberwindlich sein möchten“57. Diese Hoffnung erwies sich als ebenso vergebens wie acht Jahre zuvor, die Schwierigkeiten waren und blieben unüberwindlich. Diesmal war die Aktenlage noch vom letzten Gesuch her so gut vorbereitet, daß man für die Ablehnung nur gute zwei Wochen benötigte, sicherlich eine rekordverdächtige Zeit für Vorgänge dieser Art. Selbst die Begründung für die Ablehnung konnte man praktisch unverändert aus dem Schriftwechsel von 1902/03 übernehmen; erneut wurde darauf verwiesen, daß keine Stelle frei sei und daß keine Notwendigkeit bestehe, ein Extraordinariat für Preuß zu schaffen58. Es läßt sich nicht feststellen, ob diese rasche Ablehnung wirklich noch den Nachwirkungen des über ein Jahrzehnt zurückliegenden Falles zu schulden war. Es ist auch denkbar, daß inzwischen die Bereitschaft, jüdische Privatdozenten auf Professuren zu befördern, noch geringer geworden war und daß die erheblich gesteigerte kommunalpolitische Aktivität, die Preuß auch mehrfach in verwaltungsrechtlichen Gutachten für die Stadt Berlin und gegen den preußischen Staat ausgeübt hatte, eine größere Rolle gespielt hat. Auch war es 1910 nicht mehr zu übersehen, daß Preuß als Publizist und Politiker für ein Zusammenwirken des Linksliberalismus mit den Sozialdemokraten eintrat. Althoff war 1908 gestorben, und so gab es in der Bürokratie des Kultusministeriums wahrscheinlich niemanden mehr, der auch nur auf den Gedanken hätte kommen können, daß ein Dozent wie Preuß eine Anerkennung seiner Tätigkeit verdient hatte. Nach der Ablehnung des Gesuchs von 1910 unternahm Preuß keinen weiteren Vorstoß; er begnügte sich an der Friedrich-Wilhelms-Universität mit dem Titel eines Privatdozenten. Leichter gemacht wurde ihm dies allerdings dadurch, daß er zu diesem Zeitpunkt bereits an anderer Stelle über einen Lehrstuhl verfügte. 1907 war er zum Professor an der neugegründeten Handelshochschule ernannt worden, die dem Zuständigkeitsbereich des Ministers für Handel und Gewerbe unterstand. Das Kultusministerium hatte lediglich die Berufung zu bestätigen, was auch geschah – allerdings nicht ohne den Hinweis auf die Vorkommnisse von 1899, die Ministers: „Andererseits aber ist die Fakultät auch nicht in der Lage, zu erklären, daß die Verleihung des Professortitels wünschenswert sei, zumal da in vorliegendem Falle darin eine ausreichende Anerkennung der Leistungen des Dr. Preuß nicht liegen würde.“ 57 Der Antrag ist ebd., Bl. 214–215. 58 Das Schreiben des Ministers an die Juristische Fakultät vom 19.12.’10 ist ebd., Bl. 216.
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6. Der „politische Professor“ im Kaiserreich
vorsorglich dem Handelsminister zur Kenntnis gebracht wurden59. Offenbar blieb er davon ebenso unbeeindruckt wie der Träger der neuen Hochschule, die Berliner Kaufmannschaft. 6.2 Die Berliner Handelshochschule Bestrebungen, in Berlin eine Handelshochschule zu gründen, hatte es schon seit 1895 gegeben, als sich ein „Verein für das kaufmännische Unterrichtswesen“ bildete60. Ziel sollte es sein, den künftigen Großkaufleuten eine in Theorie und Praxis gleichermaßen fundierte und auf die speziellen Bedürfnisse der Kaufleute zugeschnittene Ausbildung zu geben. Außer den Diplomkaufleuten war als weiterer Ausbildungsgang der von Handelslehrern vorgesehen, die dann ihrerseits an den minderrangigen Handelsschulen den Kaufmannsnachwuchs unterrichten würden. Treibende Kraft dieser Bestrebungen war Max Apt, der Syndikus der Korporation der Berliner Kaufmannschaft. 1898 war in Leipzig die erste Institution dieser Art gegründet worden, und ähnliche Pläne in einer ganzen Reihe anderer deutscher Handelsmetropolen61 ließen ihn ab 1900 immer bestimmter dem Ziel einer Hochschulgründung nachgehen. Auslösend wirkte ein Vortrag Apts am 1. März dieses Jahres im Verein junger Kaufleute, in dem Apt auf diese Beispiele anderer deutscher Städte hinwies und von 59 Das Schreiben vom Kultusministerium an das Handelsministerium vom 10.8.’07 findet sich ebd., Bl. 194; sowie im GStAPK, Rep. 120, Ministerium für Handel und Gewerbe. E XIII, Fach 3, Nr. 5, Beiheft 1, Bd. 1, Akten betr. das Lehrpersonal der Handelshochschule in Berlin, Juli 1904 – Dezember 1918, Bl. 62. Allerdings schloß das Schreiben begütigend: „Ich habe geglaubt, Ew. Exzellenz von diesem Vorfall Kenntnis geben zu sollen, sehe darin aber keinen Anlaß, die Bestätigung der Berufung des Dr. Preuß an die hiesige Handelshochschule zu versagen.“ Die gleiche Feststellung trifft auch eine Aktennotiz im Handelsministerium vom 13.9. (ebd., Bl. 63): „Eine Versagung der Bestätigung wegen des Vorfalles v.J. 1899 kann m.E. nicht in Frage kommen. Preuss ist von anerkannter wissenschaftlicher Tüchtigkeit.“ 60 Vgl. zur ganzen Vorgeschichte der Handelshochschule die Schilderung von Max Apt: Die Entstehung der Handels-Hochschule Berlin, in: Verband Deutscher Diplom-Kaufleute e.V. Berlin (Hrsg.): Ein Halbjahrhundert betriebswirtschaftliches Hochschulstudium. Festschrift zum 50. Gründungstag der Handels-Hochschule Berlin, Berlin 1956, 11–25, hier 11. Diese Festschrift fand eine marxistische Antwort: H. Schilar: Die Handels-Hochschule (Wirtschaftshochschule) Berlin und ihre Bedeutung als Instrument des deutschen Imperialismus, in: Wiss. Zs. d. Humboldt-Universität zu Berlin, Ges.- u. Sprachwiss. Reihe, 10. Jg. (1961), 323–346. Fazit dieses Aufsatzes: „Die Handelshochschule Berlin hat vorrangig Ausbeuter ausgebildet“ (325), dazu noch Arbeiterkinder, die ihre Klasse verraten haben. 61 Als knappen Überblick siehe E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte IV, 947f. Vgl. auch Bernhard Kirchgässner, Nicht-staatliche Gründungen wirtschaftswissenschaftlicher Hochschulen an Rhein und Main, in: ders., Wirtschaft, Finanzen, Gesellschaft. Ausgewählte Aufsätze. Festgabe zu seinem 65. Geburtstag, hrsg. von Josef Wysocki, Walter Bernhardt und Hans-Peter de Longueville, Sigmaringen 1988, 479–499, wo Köln, Frankfurt und Mannheim untersucht werden. Zu Mannheim auch ders., Die Handelshochschule Mannheim 1907–1933, in: ebd., 500–508.
6.2 Die Berliner Handelshochschule
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der Kaufmannschaft verlangte, notfalls das Kapital bereitzustellen, wenn das Reich und Preußen hierzu nicht bereit seien62. Auch innerhalb der Kaufmannschaft galt es zunächst, gewichtige Widerstände zu überwinden, die die Notwendigkeit oder auch nur das Wünschenswerte einer akademischen Ausbildung, die fachwissenschaftlich über die allgemeine Bildung hinausging, für Kaufleute generell in Abrede stellte. Den Bemühungen von Apt und anderen Modernisierern unter den „Ältesten der Kaufmannschaft von Berlin“, dem Leitungsgremium dieses Vorläufers der Handelskammer, gelang es jedoch, die Bedenken zu zerstreuen. Zudem gab es auch gewichtige positive Argumente, die über die reinen Nützlichkeitskriterien hinausgingen. Wenn auch die Handelshochschulen nicht den Universitäten gleichgestellt waren, stellten sie doch den Titel eines Diplomkaufmanns an das Ende der Ausbildung und kamen damit „einem Prestigebedürfnis der Kaufleute in einer akademisch geprägten bürgerlichen Gesellschaft“63 nach. 1903 wurde auch in Berlin die endgültige Entscheidung zugunsten der Schaffung einer eigenen Handelshochschule getroffen, und nach nur dreijähriger Vorbereitungszeit konnte das erste Semester am 27. Oktober 1906 feierlich eröffnet werden64. Mit berechtigtem Stolz konnte der Vizepräsident der Ältesten, der freisinnige Politiker und spätere Reichstagspräsident Johannes Kaempf, in seiner Eröffnungsrede auf das Geleistete hinweisen65. Auch die Behauptung Kaempfs, daß die Handelshochschule angesichts des wissenschaftlichen Niveaus der Lehrenden und der Lehrfreiheit durchaus einer Universität vergleichbar sei, war berechtigt. Anwesend bei der Eröffnung war der Kronprinz, Reden hielten der bekannte Nationalökonom Ignaz Jastrow als Gründungspräsident der neuen Hochschule, sowie der damalige preußische Handelsminister Clemens Delbrück66, in dessen Zuständigkeit die Hochschule fiel. Grußworte kamen von den Oberbürgermeistern von Berlin und Charlottenburg, Kirschner und Schusterhus, vom Prorektor der Universität und vom Rektor der Technischen Hochschule Berlin, sowie von Vertretern der Handelshochschulen zu Köln, Paris, London, Leipzig und Wien. Man kann nicht sagen, daß die neue Hochschule sich nicht selbst zu feiern wußte. 62 Der Vortrag wurde gedruckt als M. Apt: Die Errichtung einer Handelshochschule in Berlin, Berlin 1900. Vgl. auch ders., Entstehung der Handels-Hochschule Berlin, 15. 63 Th. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866–1918, Bd. 1, 588. 64 Vgl. M. Apt, Entstehung der Handels-Hochschule Berlin, und im gleichen Festband den Aufsatz von Ernst Kaeber, Das Haus der Handels-Hochschule Berlin, 64–66. Die Akten zur Gründungszeit der Handelshochschule sind im GStAPK, Rep. 120, E XIII, Fach 3, Nr. 5, Bd. 1. 65 Die Reden sind abgedruckt in Korporation der Kaufmannschaft von Berlin: Die Eröffnung der Handelshochschule Berlin am 27. Oktober 1906. Stenographische Berichte über die gehaltenen Ansprachen, Berlin 1906. Kaempf war ab 1912 bis zu seinem Tode 1918 Präsident des Reichstags. 66 Delbrück wurde als Nachfolger Bethmann-Hollwegs bei dessen Ernennung zum Reichskanzler 1909 Staatssekretär im Reichsinnenamt. Er war somit ein Amtsvorgänger von Hugo Preuß und zugleich dessen Kritiker als Abgeordneter der DNVP in der Nationalversammlung. Vgl. E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte III, 836.
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6. Der „politische Professor“ im Kaiserreich
Obwohl man ursprünglich auf Zuschüsse von Reich und Staat gehofft hatte, mußte letztlich die Berliner Kaufmannschaft die Kosten allein tragen. Für 3,5 Millionen Mark war ein imposantes und modernes Hochschulgebäude in unmittelbarer Nähe der Börse errichtet worden. Die Genehmigung zur Errichtung der Hochschule und die Details ihrer Ordnungen hatten Delbrück und seinem preußischen Ministerium für Handel und Gewerbe in zähen Verhandlungen abgerungen werden müssen. Andererseits zeigte sich Preußen bei diesem Unternehmen, das die Staatskasse keinen Pfennig kostete, auf andere Art gefällig; die Akten des Handelsministeriums aus den Monaten vor der Eröffnung sind voll mit einem ausgedehnten Schriftwechsel über mögliche Ordensverleihungen, Ehrungen und Titel an die Gründer der Hochschule. Gleichwohl wäre es auf der Eröffnungsfeier fast zum Eklat gekommen, als Kaempf sichtbar mit sich ringen mußte, ob er den vom Handelsminister überreichten Orden auch annehmen sollte: die Krone zum Roten Adlerorden 4. Klasse wurde nämlich allgemein als eine unangemessen geringe Anerkennung für seine Verdienste angesehen67. Orden waren billiger als finanzielle Beiträge zur Hochschule, aber dafür waren umgekehrt die Erwägungen, wer gegebenenfalls mit welcher Auszeichnung bedacht werden sollte, ausgesprochen komplex. Die für Auszeichnungen in Aussicht genommenen Untertanen wurden gründlich durchleuchtet. Vom Polizeipräsidenten wurde für jeden einzelnen Fall eine politische Unbedenklichkeitsbescheinigung eingefordert, die dieser für die wichtigsten Fälle schon am 24. März 1905 in einem Schreiben an das Kultusministerium auch lieferte. Über den Architekten Prof. Cremer hieß es dort: „Seine Führung ist einwandfrei, in politischer Beziehung hat er zwar freisinnig gewählt (sic), tritt aber agitatorisch nicht auf und gibt auch keinen Anlaß zu Zweifeln seiner königstreuen Gesinnung.“ Schwieriger war es bei den für Auszeichnungen und Gnadenerweise vorgesehenen Arbeitern und Handwerkern. Am 9. Oktober 1906, also nur kurz vor der geplanten Hochschuleröffnung, berichtete der Polizeipräsident an den Handelsminister: „Der Zimmerpolier Roeder ist der Sozialdemokratie verdächtig.“ Ob er wirklich Sozialdemokrat sei oder nur auf Grund von Zwang der Arbeiterorganisation beigetreten war, konnte zwar so schnell nicht festgestellt werden, aber sicherheitshalber sollte von einer Auszeichnung Abstand genommen werden68. Nach der Eröffnung konnte der Lehrbetrieb aufgenommen werden. Aus dem Ausbildungsziel der neuen Hochschule ergab sich der Fächerkanon. Im Mittelpunkt der Vorlesungen und Seminare standen die Handelswirtschaftslehre sowie Volkswirtschaft und verwandte Gebiete. Aber auch Rechtswissenschaft, reine und angewandte Naturwissenschaften und Technologie gehörten zum vorgeschriebenen Lehrstoff. Besondere Bedeutung kam der Sprachausbildung zu, waren die Studenten doch hauptsächlich Kaufleute, die später international tätig sein wollten. Abgerundet wurde das Lehrangebot durch gleichfalls verbindliche Kurse zur 67 Dies berichtet M. Apt, Entstehung der Handels-Hochschule Berlin, 24. Kaempf habe den Orden später nie getragen. 68 Zum Ordensproblem siehe GStAPK, Rep. 120, E XIII, Fach 3, Nr. 5, Bd. 1, passim.
6.2 Die Berliner Handelshochschule
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allgemeinen wissenschaftlichen Ausbildung in Philosophie, Literatur, Musik und Kunst. Es ist erkennbar, daß die Hochschule ein doppeltes Ziel verfolgte. Hauptsächlich sollte dem Spitzennachwuchs der Kaufmannschaft alles geboten werden, was für die Ausübung ihres Berufes nützlich war. Aber daneben ist auch die Orientierung am bürgerlichen Bildungsideal deutlich, und zwar um so mehr, als viele der Studenten nicht über eine Gymnasialausbildung verfügten. Sie hatten also einen Nachholbedarf, wenn sie als Wirtschaftsbürger auch in der kulturbürgerlichen Gesellschaft bestehen wollten69. Wenn man von der festgelegten Spezialisierung absieht, dann erinnert die umfassende Ausrichtung des Lehrangebots weniger an eine deutsche Universität als an ein amerikanisches College70. Nachdem die grundsätzlich Entscheidung zur Hochschulgründung einmal gefallen war, schien man sich seitens der Kaufmannschaft bei der Auswahl des Dozentenkollegiums das Ziel gesetzt zu haben, nur das beste vom akademischen „Markt“ abzuschöpfen. Wenn man bedenkt, daß die Handelshochschule nie eine „richtige“ Universität war und daß der Lehrkörper stets relativ klein blieb – nie mehr als 9 bis 11 Ordinarien und insgesamt ca. 60 bis 80 Mitarbeiter –, dann liest sich die Liste der hier beschäftigten Gelehrten sehr beeindruckend. Zu verschiedenen Zeiten gehörten dem Lehrkörper unter anderen auch Arnold Bergsträsser, Moritz Julius Bonn, Eduard Heilfron, Ernst Jäckh, Carl Justi, Werner Sombart, Walther Schücking, Carl Schmitt, Paul Rohrbach und Veit Valentin an, die allesamt in ihren verschiedenen Fächern Berühmtheit erlangten71. Als erster Rektor wurde bereits 1905 der bedeutende Nationalökonom Ignaz Jastrow verpflichtet, der einer der vielen linksliberalen Juden war, die im preußischen Hochschulsystem keine Karriere hatten machen können72. Die Auswahl der Dozenten wurde von Max Apt geleitet, und die Verpflichtung Jastrows war kein Zufall, sondern Teil eines Systems: Bei der Auswahl der Dozenten war für mich in erster Reihe der Gesichtspunkt der fachlichen Eignung maßgebend, nicht der Gesichtspunkt ihrer sonstigen politischen Einstellung. Es ist bekannt, daß im kaiserlichen Deutschland aus diesem Grunde eine Reihe sonst nicht nur tüchtiger, sondern hervorragender Persönlichkeiten ein akademisches Lehramt nicht erhielten.
69 Die zunehmende Orientierung der Wirtschaftsbürger an den Bildungsidealen ihrer Zeit betont Th. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866–1918, Bd. 1, 389ff. 70 An anderen Handelshochschulen waren die Lehrpläne ähnlich wie in Berlin gestaltet; vgl. B. Kirchgässner, Nicht-staatliche Gründungen wirtschaftswissenschaftlicher Hochschulen, 482. 71 Vor diesem Hintergrund ist es fragwürdig, ob man wirklich von einer „minder reputierlichen“ Institution sprechen kann, wie dies D. Schefold, Hugo Preuß, 429, tut. 72 Schon 1893 war Jastrow in einer programmatischen Schrift mit dem Titel Sozialliberal. Die Aufgaben des Liberalismus in Preußen (Berlin 1893, 2. verm. Aufl. Berlin 1894) für eine aktive liberale Sozialpolitik eingetreten. Vgl. F. K. Ringer, Die Gelehrten. Der Niedergang der deutschen Mandarine, 140. Jastrows Schrift war Teil einer umfangreichen linksliberalen Debatte, die allerdings erst 1902 zu einem sozialpolitischen Programm der Freisinnigen Vereinigung führte; vgl. H. J. Tober, Deutscher Liberalismus und Sozialpolitik, 215. Zu Jastrow siehe auch Günther Hoffmann, Ignaz Jastrow, in: Ein Halbjahrhundert betriebswirtschaftliches Hochschulstudium, 189–191.
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6. Der „politische Professor“ im Kaiserreich Bei der Suche nach geeigneten Persönlichkeiten ergab es sich von selbst, daß auch das Augenmerk auf diese Persönlichkeiten zu richten war. Es gereichte mir zur Genugtuung, diesen Persönlichkeiten diejenige Stellung zu verschaffen, die ihnen vom Staat versagt war. Dazu gehörten unter den hauptamtlichen Dozenten die Professoren Jastrow, Sombart und Preuß. Diese Ernennungen führten dazu, daß man das Dozenten-Kollegium der Handels-Hochschule einen ‚salon des refusés‘ nannte.73
Apt ist in dieser viel später geschriebenen Rückschau zu zurückhaltend in seiner Wortwahl, denn es waren ja nicht nur politische Gründe, die die Juden Preuß und Jastrow von einer akademischen Karriere ausgeschlossen hatte. Die Handelshochschulen eröffneten überall im Reich Aufstiegsmöglichkeiten für jüdische Gelehrte, die es bis dahin in der akademischen Landschaft nicht gegeben hatte. Bei der Gründung der Handelshochschule Frankfurt wurde die konfessionelle Gleichberechtigung sogar ausdrücklich festgeschrieben74. Die Hochschulordnung in Berlin sah als oberstes Beschlußgremium die Ältesten der Kaufmannschaft vor. Ihnen zur Seite stand ein „Großer Rat“, dem außer Vertretern der Kaufleute auch Delegierte des Staates, der Stadt und Universität Berlin und der Dozenten angehörten. Dieser Rat hatte lediglich beratende Funktion, so daß in allen wichtigen Fragen das Schwergewicht der Entscheidungen eindeutig beim Träger der Hochschule, der Kaufmannschaft von Berlin und ihren Ältesten lag75. Hiermit war der Keim für spätere Konflikte gelegt. Der Lehrkörper der Hochschule strebte naturgemäß eine Entwicklung in Richtung auf universitäre Zustände an, die die Selbstverwaltung der Hochschule gegenüber den Gründern stärken sollte. Einige unsensible Personalentscheidungen seitens der Ältesten, wie die Entlassung des Gründungsrektors Jastrow 1914 führten zu gravierenden Differenzen. Die Ältesten verteidigten ihre Entscheidung im Falle Jastrows damit, daß dieser bei seiner Einstellung auf lebenslängliche Absicherung bewußt zugunsten eines hohen Gehalts und des Rechts auf eine gesonderte Abfindung verzichtet hatte. Dieses Gehalt war auch der Grund für die Nichtverlängerung seines zeitlich befristeten Vertrags; die Träger suchten nach einer billigeren Lösung. Vergebens richtete der Rektor Paul Eltzbacher an die Ältesten ein Schreiben, in dem er den einstimmigen Protest des Kollegiums gegen die „unangemessene und undankbare Behandlung“ Jastrows zu Gehör brachte, und ebenso vergebens beteiligte sich die Studentenschaft mit einem Streik an den Protestaktionen gegen die Entlassung. Die Ältesten 73 M. Apt, Entstehung der Handels-Hochschule Berlin, 21. 74 Bernhard Kirchgässner, Die Gründung der Handelshochschulen Frankfurt und Mannheim als Leistung des Besitz- und Bildungsbürgertums, in: Erich Maschke und Jürgen Sydow (Hrsg.), Stadt und Hochschule im 19. und 20. Jahrhundert, Sigmaringen 1979, 123–139, hier 137. 75 Die Regularien der Hochschule sind vielfach gedruckt worden; etwa Aelteste der Kaufmannschaft von Berlin (Hrsg.): Handelshochschule Berlin. Eröffnung: Oktober 1906. Organisation und Lehrplan der Handelshochschule der Korporation der Kaufmannschaft von Berlin, Berlin 1906; oder Korporation der Kaufmannschaft von Berlin: Die Handelshochschule Berlin. Bericht über die erste Rektoratsperiode Oktober 1906–1909. Erstattet von dem Rektor der Handelshochschule Prof. Dr. Jastrow, Berlin 1909.
6.2 Die Berliner Handelshochschule
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hielten an ihrer Haltung fest76. Nur wenig später stellte sich erneut ein ähnlich gelagertes Personalproblem: die Ältesten hatten allen Lektoren gekündigt und ihnen neue Verträge angeboten – mit einer Gehaltskürzung von einem Drittel! Erneut setzte sich Eltzbacher für die gekündigten Lektoren ein, wandte sich diesmal aber direkt an den preußischen Handelsminister77. In der Öffentlichkeit ergriffen vor allem und mit Gusto die konservativen Zeitungen die Partei der Mitarbeiter der Handelshochschule. Die Berliner Kaufmannschaft war zu einem guten Teil auf dem liberalen Teil des politischen Spektrums beheimatet, und vor allem Johannes Kaempf war als freisinniger Reichstagspräsident den Konservativen inzwischen ein Dorn im Auge. Das rüde Vorgehen der von ihm geleiteten Gremien in der Auseinandersetzung mit der Handelshochschule war eine willkommene Gelegenheit, den Linksliberalismus insgesamt in Mißkredit zu bringen. Allerdings sahen in diesem Falle auch liberale Blätter keinen Anlaß, die Kaufmannschaft zu verteidigen78. Die Verträge, die die Ältesten mit den Gründungsprofessoren abgeschlossen hatten, waren in der Tat höchst unterschiedlich gefaßt. In den Akten des Handelsministeriums findet sich eine Übersicht über die Verträge mit den 1912 beschäftigten zehn hauptamtlichen Dozenten, von denen kein einziger Vertrag einem anderen entspricht. Das Jahresgehalt erreichte eine Spannbreite von 6000 bis 21000 Mark, die Anstellungsbedingungen variierten zwischen Jahresverträgen mit sechsmonatiger Kündigungsfrist bis hin zu Stellungen auf Lebenszeit mit Pensionsanspruch79. Der private, wenn auch staatliche beaufsichtigte Status der Hochschule erlaubte hier eine beträchtliche Bandbreite. Die Bestrebungen der Dozenten gingen mit Unterstützung des Handelsministeriums auf lebenslängliche Anstellung aller hauptamtlichen Professoren, und schon 1913 hatte der Minister Bedenken gegen befristete Anstellungen geäußert. Ein Professor müsse nach außen unabhängig sein, weshalb die Ältesten vom Ministerium gebeten wurden, lebenslängliche Anstellungen zu erwägen80. Viel mehr konnte die Aufsichtsbehörde gegenüber der privaten Hochschule nicht tun, und die Antwort der Träger der Hochschule war denn auch
76 Das Schreiben Eltzbachers vom 30.4.’14 findet sich GStAPK, Rep. 120, E XIII, Fach 3, Nr. 5, Beiheft 1, Bd. 1, Bl. 113. Zum Protest der Studentenschaft ebd., Bl. 114. 77 GStAPK, Rep. 120, E XIII, Fach 3, Nr. 5, Bd. 4, Bl. 286–291. 78 Vgl. „Neues von der fortschrittlichen Lehrfreiheit“, Tägliche Rundschau, Nr. 328 (16.7.’14) A; „Neuauflage des Falles Jastrow“, DTZ, Nr. 355 (16.7.’14) A. 79 Eine Übersicht über die Verträge mit ihren finanziellen, kündigungsrechtlichen und sonstigen Besonderheiten bietet die Zusammenstellung „Die hauptamtlichen Dozenten der Handelshochschule zu Berlin nach dem Stande vom Dezember 1912“ (GStAPK, Rep. 120, E XIII, Fach 3, Nr. 5, Beiheft 1, Bd. 1, Bl. 96), die dem Handelsminister am 18.12. von den Ältesten übersandt wurde (Bl. 95). Das höchste Gehalt erhielt Jastrow, gefolgt von Sombart mit 17’000 Mark. 80 Das Schreiben vom 21.10.’13 findet sich GStAPK, Rep. 120, E XIII, Fach 3, Nr. 5, Beiheft 1, Bd. 1, Bl. 97–98.
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6. Der „politische Professor“ im Kaiserreich
ausweichend. Sie wiesen darauf hin, daß es ohnehin nur noch drei kündbare Verträge gebe, bei denen jeweils „besondere Beweggründe“ vorgelegen hätten81. Im folgenden Jahr brachte die Kündigung Jastrows dieses Thema erneut auf die Tagesordnung. Das Dozentenkollegium verlangte, daß in Zukunft lebenslängliche Anstellung für alle Neubesetzungen gelten solle82. Dies wurde von den Ältesten jetzt auch zugestanden, wenigstens für neue Berufungen. Nach der Entlassung Jastrows war einer der verbliebenen kündbaren Verträge der für Hugo Preuß, „für den als sehr wohlhabenden Mann die lebenslängliche Anstellung gleichgültig sein konnte“83. An seinem kündbaren Anstellungsverhältnisse änderte sich auch später nichts; es scheint ihm in der Tat gleichgültig gewesen zu sein. Dies ist vielleicht auch der Grund dafür, warum Preuß sich bei seiner hauptamtlichen Anstellung als Ordinarius für öffentliches Recht mit dem geringen Jahresgehalt von 6000 Mark zufrieden gab, das anscheinend nie erhöht wurde. Zu seinen Pflichten gehörten sechs Stunden wöchentlicher Unterricht in den Gebieten Staatsrecht, Verwaltungsrecht und Völkerrecht sowie in den Grenzgebieten wie Steuerwesen und politische Theorie. Außerdem war er bei Bedarf der Ältesten verpflichtet, ein bis zwei Gutachten im Rahmen seines Faches jährlich zu erstellen84. Die Berufung von Hugo Preuß rechnete sich in jeder Hinsicht für die Betreiber der Hochschule, die eine anerkannte, erstklassige Kraft zu einem ausgesprochen geringen Gehalt und ohne jede berufliche Absicherung und Pensionsberechtigung bekamen. Gleichwohl, das Interesse lag durchaus auf beiden Seiten. Denn mit diesem Ruf war Preuß zum Wintersemester 1907/08 endlich an der Handelshochschule mit dem Ordinariat betraut worden, das er an den staatlichen Universitäten Preußens nicht hatte einnehmen dürfen. Schon im ersten Studienjahr ab dem Herbst 1906 hatte er als nebenamtlicher Dozent an der neuen Hochschule gelesen, jetzt verlagerte sich das Schwergewicht seiner wissenschaftlichen Aktivitäten endgültig von der Berliner Universität an die Handelshochschule. Den „Abstieg“ von der Universität zur Hochschule wird Preuß um so leichter verkraftet haben, als die interdisziplinäre Ausbildung seinem Naturell entgegenkam. Zudem konnte sich das Dozentenkollegium mit dem der Universität an fachlicher Qualifikation durchaus messen, und 81 Schreiben vom 10.12.’13, ebd., Bl. 99. 82 Schreiben vom 4.5.’14, ebd., Bl. 115. 83 Die Stelle findet sich in einem langen, zwölfseitigen Schreiben der Ältesten der Kaufmannschaft an den Minister vom 14.5. (ebd., Bl. 125–131), in dem sie ihre Position im Fall Jastrow verteidigten. 84 Der Vertrag Preuß’ mit der Handelshochschule vom 26.7.’07 findet sich ebd., Bl. 58. Abgeschlossen wurde er auf Dauer von fünf Jahren, beginnend mit dem 1.10.’07. „Eine Pensionsberechtigung findet nicht statt.“ (§ 1). Das Gehalt von 6000 Mark jährlich sollte in vierteljährlichen Raten vorab entrichtet werden (§ 2). § 3 regelte die Lehrverpflichtungen, § 4 besagte: „Falls der Vertrag 6 Monate vor Ablauf von keiner Seite gekündigt wird, so läuft er auf ein Jahr weiter.“ An gleicher Stelle auch das Schreiben der Ältesten an den Handelsminister mit der Bitte um Bestätigung (Bl. 55), die Berufungsurkunde für Preuß (Bl. 57) und ein Lebenslauf nebst Schriftenverzeichnis (Bl. 59–60).
6.2 Die Berliner Handelshochschule
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politisch standen ihm viele seiner neuen Kollegen mit ihren vielfach ähnlich gelagerten Lebensläufen zweifellos näher als die meisten Universitätsprofessoren. Preuß war als Ordinarius für das weite Feld des öffentlichen Rechtes zuständig, während Paul Eltzbacher das Privatrecht abdeckte85. Preuß’ Vorlesungstätigkeit hatte sich nach einigen Semestern mit stärker wechselnden Veranstaltungen dahin eingependelt, daß er im Sommer Vorlesungen über Verwaltungsrecht und Völkerrecht hielt, im Winter über Finanzwissenschaft, über Deutsches und Preußisches Staatsrecht und über Deutsche Verfassungsgeschichte. Dazu kamen wechselnde Veranstaltungen zur Geschichte der politischen Theorie, Gewerberecht, Übungen im öffentlichen und Finanzrecht und Kolloquien in „Bürgerkunde“, also im Bereich allgemeiner politischer Bildung86. Im wesentlich also sind es die gleichen Themenbereiche, über die Preuß auch an der Universität seine Lehrveranstaltungen gehalten hatte. Der einzige Unterschied ist ein stärkeres Gewicht, das die Hochschule auf finanzrechtliche Veranstaltungen legte. Aber Interesse hieran hatte Preuß schon in den ersten Veröffentlichungen der 1890er Jahre bekundet, und auf jeden Fall konnte er zum Ausgleich seinem Interesse an historischen und politischen Themen stärker nachgehen, als es vorher möglich gewesen war. Mit dieser Tätigkeit an der Handelshochschule war die akademische Laufbahn Preuß’ an ihren Endpunkt gelangt; abgesehen von den vergeblichen Bemühungen der Juristischen Universitätsfakultät von 1910, für Preuß doch noch das schon längst überfällige Extraordinariat zu erwirken, gab es keine weiteren Bemühungen, auch nicht von seiner Seite, den Posten an der Handelshochschule gegen einen „richtigen“ Lehrstuhl einzutauschen. Der Urberliner Preuß hätte sich außerhalb seiner Heimatstadt auch schwerlich wohlgefühlt, zumal er mit fortschreitenden Jahren auch immer stärker in der Kommunalpolitik engagiert war. In den ersten Jahren nach der Eröffnung 1906 nahm die Handelshochschule den Aufschwung, den die Gründer erhofft hatten. In steigenden Studentenzahlen drückte sich die wachsende Wertschätzung für das Studienangebot aus, und daß die akademischen Standards hoch gehalten wurden, zeigt sich vielleicht am besten in der relativ hohen Zahl an nicht bestandenen Prüfungen, die wesentlich über den universitären Vergleichszahlen lag. In der Zeit vom Wintersemester 1906/07 bis zum Sommersemester 1914 wurden 487 erfolgreiche Prüfungen zum DiplomKaufmann absolviert, während 108 Versuche, also gut 22 Prozent, scheiterten. Nachdem die Hochschule nach langen Bemühungen 1926 das Promotionsrecht erhielt, blieben 30 Prozent der Promotionsversuche ohne Erfolg87.
85 Paul Eltzbacher war allerdings auch an politischen und sozialen Fragen wissenschaftlich interessiert; sein bekanntestes und in viele Sprachen übersetztes Werk ist Der Anarchismus, Berlin 1900. Zu ihm siehe Franz Eulenburg, Paul Eltzbacher, in: Ein Halbjahrhundert betriebswirtschaftliches Hochschulstudium, 204f. 86 Zusammengestellt nach den „Amtlichen Verzeichnissen der Vorlesungen und Übungen“, die die Handelshochschule für jedes Semester herausgab. 87 „25 Jahre Handels-Hochschule Berlin in Zahlen. 1906 bis 1931“, Berlin 1931, 41 u. 43.
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6. Der „politische Professor“ im Kaiserreich
Die kontinuierliche akademische Entwicklung wurde jäh durch den Krieg unterbrochen. Teile des Lehrkörpers und noch weit größere Teile der Studentenschaft wurden eingezogen. Zudem sank die Zahl der studierenden Ausländer, die stets einen gewichtigen Platz an der Hochschule eingenommen hatten, rapide ab. 1917 gab es noch 132 immatrikulierte Studierende, während 277 Studenten aus militärischen oder Krankheitsgründen beurlaubt sind. Von den Studenten sind 75 Herren (21 Ausländer) und 57 Damen (5 Ausländerinnen). 82 Hospitanten und 257 sonstige Hörer brachten die Gesamtzahl auf 471. Das war ein deutlicher Rückgang im Vergleich zur Vorkriegszeit, als die Besucherzahlen in der Regel weit über 1000 lagen, mit 1946 Besuchern aller Kategorien im Wintersemester 1910/11 als der höchsten Zahl. Studierende des Diplomstudienganges machten hiervon in den Vorkriegssemestern um die 500 aus – diese Zahl hatte sich also gar nicht einmal so sehr verringert, nur daß eben die Studenten überwiegend als Frontsoldaten beurlaubt waren und daher am Lehrbetrieb nicht teilnahmen. Der Anteil der Ausländer hatte in der Vorkriegszeit um die 40 Prozent aller Studierenden betragen, er senkte sich mit Kriegsbeginn auf ca. 20 Prozent, blieb dann aber auch konstant bei diesem Wert. Natürlich fehlten jetzt alle Angehörigen der Feindstaaten, aber die Akten des Handelsministeriums enthalten auch zahlreiche Anträge etwa von jungen Polen auf Immatrikulation bei der Handelshochschule. Diese Anträge wurden in der Regel pauschal mit der Begründung abgelehnt, daß auch die gleichaltrigen Deutschen wegen des Krieges nicht studieren könnten88. Im Rahmen des Möglichen wurde der Vorlesungsbetrieb trotzdem aufrecht erhalten, und im Sommer 1918 wurde Hugo Preuß einmütig für die kommende, zweijährige Rektoratsperiode zum Leiter der Hochschule berufen. Am 19. Oktober 1918 trat er das Rektorat an mit einer in dieser Spätphase des Krieges vielbeachteten und richtungweisenden Rede über „Nationalen Gegensatz und Internationale Gemeinschaft“89. Das Preußsche Rektorat war allerdings nur von kurzer Dauer. Weniger als einen Monat nach seiner Antrittsrede hatte er den Lehrstuhl mit dem Ministersessel vertauscht, und obwohl er diesen noch nicht ein Jahr später wieder räumen mußte,
88 Vgl. das „Amtliche Verzeichnis der Studierenden. Sommersemester 1917“. Die sonstigen Zahlenangaben sind berechnet nach dem Material im „Amtlichen Verzeichnis des Personals und der Studierenden, Wintersemester 1919/20“. Zu den individuellen Anträgen auf Zulassung siehe GStAPK, Rep. 120, E XIII, Fach 3, Nr. 5, Bd. 6, passim. 89 Die Rede wurde in der DAZ, Nr. 591 (20.11.’18) abgedruckt; also nachdem Preuß bereits Staatssekretär des Inneren war. Sie findet sich auch in „Staat, Recht und Freiheit“, 345–361. Preuß setzte hier ein bemerkenswertes Signal, das einmal mehr belegte, daß er auch im Krieg nie den Blick für die Gemeinschaft der Staatenwelt Europas verloren hatte. Die Wahl Preuß’ zum Rektor für die Rektoratsperiode 1918/20 war im Sommer erfolgt. Das Schreiben der Ältesten an den Handelsminister mit der Bitte um Bestätigung ist vom 29.7., die Bestätigung wurde am 14.8. erteilt; GStAPK, Rep. 120, E XIII, Fach 3, Nr. 5, Beiheft 1, Bd. 1, Bl. 243.
6.2 Die Berliner Handelshochschule
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kehrte er auf jenen nicht wieder zurück. Spätere Bemühungen seitens der Handelshochschule, ihn als akademischen Lehrer zurückzugewinnen, scheiterten90. Auch die Verbindung Preuß’ zur 1920 gegründeten Deutschen Hochschule für Politik blieb Episode. Dieser organisatorische Vorläufer des späteren Otto-SuhrInstituts stand etwas unscharf in der Mitte zwischen einer Institution für staatsbürgerliche Bildung, Ausbildungsanstalt für diplomatischen Dienst und Ministerialbürokratie und wissenschaftlicher Politikforschung, wobei Hugo Preuß entgegen späteren Behauptungen in der Literatur schon deshalb keine ordentliche Professur übernehmen konnte, weil es so etwas an der DHfP überhaupt nicht gab91. Abgesehen von einzelnen Veranstaltungen, die Preuß gleich anderen prominenten demokratischen Politikern in der Anfangphase der DHfP abhielt und die offenkundig den Zweck hatten, der neuen und demokratisch inspirierten Hochschule zu einem guten Start zu verhelfen92, ist es zu einer intensiveren Bindung nicht gekommen. Zweifellos war die Hochschule in ihrer interdisziplinären Ausrichtung und vor allem in ihrem Selbstverständnis, ein fundiertes politisches Urteilsvermögen im demokratischen Sinne unter den Deutschen zu fördern, ein Unternehmen, das endlich einen Schritt in eine von Preuß seit langem geforderte Richtung tat93. Die ambitionierte und prestigeträchtige Gründung einer „akademischen Abteilung“, die bis zur Auflösung der Hochschule 1933 allerdings keine große Rolle spielte, hätte am ehesten als reizvolles Vehikel für ein intensiveres Engagement Preuß’ dienen können, aber sie erfolgte erst nach seinem Tode. Man darf nicht außer Acht lassen, daß Preuß im Jahr der Hochschulgründung bereits seinen 60. Geburtstag feierte. Das ist nicht unbedingt der Zeitpunkt, zu dem eine erneute akademische 90 Vgl. M. Apt, Entstehung der Handels-Hochschule Berlin, 22. Zur weiteren Entwicklung der Hochschule siehe generell die Festschrift zu ihrem fünfzigjährigen Jubiläum und hierin besonders den knappen Abriß von E. Gisbert: Die Entwicklung der Handels-Hochschule Berlin, 26– 28. Aufschlußreich auch die „Lebensbilder“, 143–239, die Biographien der Professoren, Ältesten der Kaufmannschaft und anderer mit der Hochschule verbundenen Personen enthalten; z.B. auch eine Darstellung von O. Meyer: Hugo Preuß, 208–210. In dem von Carl Schmitt u.a. herausgegebenen Band „Rechtswissenschaftliche Beiträge zum 25jährigen Bestehen der Handels-Hochschule Berlin“, Berlin 1931, wird auch das Wirken von Preuß, Eltzbacher und Schücking an der Hochschule gewürdigt. Vgl. auch „25 Jahre Handels-Hochschule Berlin in Zahlen. 1906 bis 1931“, Berlin 1931. 91 So fälschlich N. Hammerstein, Antisemitismus und deutsche Universitäten, 92. 92 Vgl. Detlef Lehnert, „Politik als Wissenschaft“: Beiträge zur Institutionalisierung einer Fachdisziplin in Forschung und Lehre der Deutschen Hochschule für Politik (1920–1933), in: PVS 30 (1989), 443–465, hier 446. 93 Zur Selbstdarstellung der Hochschule siehe Ernst Jäckh (Hrsg.), Politik als Wissenschaft. Zehn Jahre Deutsche Hochschule für Politik, Berlin 1930. Eine überwiegend faktisch orientierte Darstellung, die mit vielen Quellen angereichert ist, bietet Antonio Missiroli, Die Deutsche Hochschule für Politik, Sankt Augustin 1988. Kritisch zu der in der frühen Bundesrepublik vor allem von Ernst Jäckh gepflegten Rückschau siehe Detlef Lehnert, „Schule der Demokratie“ oder „politische Fachhochschule“? Anspruch und Wirklichkeit einer praxisorientierten Ausbildung der Deutschen Hochschule für Politik 1920–1933, in: Gerhard Göhler und Bodo Zeuner (Hrsg.), Kontinuitäten und Brüche in der deutschen Politikwissenschaft, Baden-Baden 1991, 65–93.
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6. Der „politische Professor“ im Kaiserreich
Aufbauarbeit, wie sie Preuß fast 15 Jahre vorher schon einmal bei der Handelshochschule mitgeleistet hatte, einen unwiderstehlichen Reiz ausüben muß. Zudem verfügte Preuß als Ex-Minister, als preußischer Landtagsabgeordneter und als DDP-Vorstandsmitglied über ein politisches Forum, in dem seine Stimme gehört wurde. Preuß zog es vor, als Privatier, Schriftsteller und Politiker zu leben und sich jetzt ganz der Laufbahn zu widmen, die er bereits zur gleichen Zeit wie seine akademische Karriere begonnen hatte. Wenn auch die Zeit Preuß’ als Minister die bekanntesten und einflußreichsten Monate seines politischen Lebens umfaßt, so ist die weitaus länger anhaltende Tätigkeit in der kommunalen Selbstverwaltung darum an Bedeutung kaum geringer einzuschätzen.
7. DER BERLINER KOMMUNALPOLITIKER 7.1 Die Lage Berlins in Preußen-Deutschland Berlin als Hauptstadt des Wilhelminismus und des Kommunalfreisinns Die Städteordnung von 1808 hatte auch der damals durchaus noch nicht dafür bereiten Bürgerschaft von Berlin1 die Befreiung vom Obrigkeitssystem des Allgemeinen Landrechts gebracht und die dualistische Stadtverfassung mit kollegialem Magistrat und gewählter Stadtverordnetenversammlung eingeführt. Dies war zunächst nur ein Wechsel auf die Zukunft der Haupt- und Residenzstadt gewesen, aber mit dem rasanten industriellen und Bevölkerungswachstum, das Berlin im 19. Jahrhundert durchmachte, wurde dieser Wechsel eingelöst. Das liberale Bürgertum lernte die Bewegungsfreiheit der Städteordnung im gleichen Maße schätzen, in dem der Gesamtstaat keinerlei Anzeichen einer Parlamentarisierung erkennen ließ. Dies galt für fast alle Städte Preußens, besonders aber für Berlin, und bis 1918 gab es eine solide liberale Mehrheit in der Berliner Stadtverordnetenversammlung. Anders als im Abgeordnetenhaus oder im Reichstag konnte die kommunale Mehrheit dank der Städteordnung ihre Vorstellungen wenigstens in dem Rahmen durchsetzen, wie es die staatlichen Aufsichtsbehörden nicht verhindern konnten. Das war nicht wenig, und Berlin konnte man auch mit früher erprobten Maßnahmen wie Kulturkampf oder Sozialistengesetz nicht beikommen – schließlich ließ sich die Hauptstadt schlecht nach Potsdam oder in einen ostelbischen Gutsbezirk verlegen. Gegen Ende des Jahrhunderts, als Preuß die politische Bühne seiner Heimatstadt betrat, „besaß die Stadt beinahe die Bedeutung einer politischen Oppositionspartei im Staat“2. Der preußische Staat sah dies offenbar genau so, und er reagierte darauf mit einer systematischen Benachteiligung und Zurücksetzung Berlins. Kein Oberbürgermeister entging langwierigen Auseinandersetzungen mit der Kommunalaufsichtsbehörde, die sich selbst vorzugsweise als vorgesetzte Dienstbehörde betrachtete. Selbst der 1912 gewählte Oberbürgermeister Adolf 1
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Ein Jahrhundert später sah die Sache anders aus; die im Auftrage des Magistrats vom Stadtarchivar erstellte Festschrift zeigte keine Bedenken mehr; Paul Clauswitz, Die Städteordnung von 1808 und die Stadt Berlin. Festschrift zur hundertjährigen Gedenkfeier der Einführung der Städteordnung, Berlin 1908. Vgl. hierzu Andreas Kaiser, Stadtgeschichte Berlins als wissenschaftliche Disziplin. Paul Clauswitz und der Beginn einer selbständigen Berlin-Geschichtsschreibung, in: ebd., Nachdruck Berlin usw. 1986, VII–XXXII. Zur Einführung der Städteordnung in Berlin M. A. Pahlmann, Anfänge des städtischen Parlamentarismus in Deutschland, 33ff. S. Grassmann, Hugo Preuß, 7. Generell vgl. Michael Erbe, Berlin im Kaiserreich (1871–1918), in: Wolfgang Ribbe (Hrsg.), Geschichte Berlins. 2. Bd.: Von der Märzrevolution bis zur Gegenwart, München 1987, 691–793, v.a. 760ff. Als Überblick auch Werner Süß und Ralf Rytlewski (Hrsg.), Berlin. Die Hauptstadt. Vergangenheit und Zukunft einer europäischen Metropole, Bonn 1999.
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7. Der Berliner Kommunalpolitiker
Wermuth, der zuvor sein ganzes Leben in Reichsdiensten verbracht hatte3, und dem anders als seinem linksliberalen Vorgänger Martin Kirschner4 auch niemand ‚übertriebenen‘ Liberalismus vorwerfen konnte, blieb hiervon nicht verschont. In seiner Autobiographie berichtet er auf Seite 322 über die Wahl zum Oberbürgermeister, und nicht ganz zwanzig Seiten später folgt die erste handfeste Auseinandersetzung mit den preußischen staatlichen Stellen – und zwar über eine Regelung, deren Entstehen er noch als Staatssekretär des Reichsschatzamtes unbeteiligt mitangesehen hatte und an deren erfolgreicher Durchführung zum Nachteil Berlins er damals offenbar nichts auszusetzen gehabt hatte5. Es handelte sich dabei um das Gesetz, mit dem aus Berlin und seinen Randgemeinden ein Zweckverband gegründet wurde, auf den weiter unten noch einzugehen sein wird. Wermuths Reaktion von 1911, ein Jahr bevor er als Oberbürgermeister die andere Seite des Gesetzes kennenlernen sollte, ist bezeichnend für die Haltung im preußischen und Reichsministerium: Ich habe das Werden des Zweckverbandsgesetzes vom Reichsschatzamt aus beobachtet und, ahnungslos, in Ministergesellschaften manche Äußerung des Herrn von Dallwitz über seinen Erfolg mit angehört. Denn einen Erfolg erzielte er vom Standpunkt der damaligen preußischen Regierung sicherlich. Es war ihm gelungen, das unruhige Berlin mit Hilfe der Vororte und der beiden Kreise in Schach zu halten.6
Wermuth wird sich als Oberbürgermeister noch oft an seine frühere Ahnungslosigkeit erinnert haben, denn die Konflikte zwischen Preußen und seiner Hauptstadt blieben bis zum Ende des Kaiserreiches bestehen. Unter diesen Bedingungen konnte für Hugo Preuß das Engagement für Berlin zum Ersatz für die nicht erreichbare politische Bühne des Reiches werden. In der praktischen Kommunalpolitik hatte er sich mit allen Problemfeldern auseinanderzusetzen, die er theoretisch in seinen verwaltungsrechtlichen Abhandlungen untersucht hatte, und umgekehrt bot natürlich die praktische Arbeit das Material, das es hinterher wissenschaftlich zu durchleuchten galt. Preuß versuchte, den Geist der Steinschen Reformzeit wachzuhalten gegenüber dem der bürgerschaftlichen Selbstverwaltung entgegengesetzten Geist des Allgemeinen Landrechts, den er in den
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Wermuth war seit 1889 Vortragender Rat, ab 1904 Unterstaatssekretär im Reichsamt des Innern, und von 1909 bis zu seiner Wahl zum Berliner Oberbürgermeister Staatssekretär im Reichsschatzamt; E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte III, 844. Eine positive Bilanz seiner Haushaltpolitik im Schatzamt zieht Peter-Christian Witt, Die Finanzpolitik des Deutschen Reiches von 1903 bis 1913. Eine Studie zur Innenpolitik des Wilhelminischen Deutschland, Lübeck und Hamburg 1970, 316ff. Vgl. E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte IV, 85f. Adolf Wermuth: Ein Beamtenleben. Erinnerungen, Berlin 1922, 322. Ebd., 393f. Johann von Dallwitz war ab 1910 als preußischer Innenminister für die Durchsetzung des Zweckverbandsgesetzes zuständig.
7.1 Die Lage Berlins in Preußen-Deutschland
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preußischen Behörden walten sah7. Preuß sah sarkastisch die „unausrottbare Lebenskraft“ des Selbstverwaltungsgedankens auch dadurch bewiesen, „daß er die wohlwollende Behandlung durch die konstante Verwaltungspraxis des ‚preußischen Staatsgeistes‘ immerhin noch leidlich überstanden hat“8. Hier, wo es um die selbstverwaltende Bestellung der Gemeindediener und um die Verabschiedung städtischer Regularien ging, war der oben bereits theoretisch angesprochene Unterschied zwischen bloßer staatlicher Aufsicht und hierarchischer Subordination auch in seinen praktischen Auswirkungen unmittelbar zu spüren9. Das heutige Verwaltungsrecht und seine Wissenschaft haben sich der Preußschen Auffassung angeschlossen10. Die Bewahrung des Geistes der Reformbewegung ließ Preuß auch neue Aufgaben für die Selbstverwaltung suchen, etwa die Selbstverwaltung in der Selbstverwaltung, die Dezentralisation der inzwischen recht unförmig großen Kommune Berlin in einzelne Bezirke11. Den gewachsenen Anforderungen12 an die Großstadt sollte sie sich stellen, aber nur, indem sie diesen Anforderungen in eigener Regie 7
Zum Allgemeinen Landrecht in diesem Zusammenhang „Recht der städtischen Schulverwaltung in Preußen“, 92; „Geschichte des Bestätigungsrechts in Preußen“, in: Pr. Jbb., 107 (1902), 261–298, hier 266 u. 247; „Öffentliches und Privatrecht im Städtebau“, 346. 8 „Recht der städtischen Schulverwaltung in Preußen“, 90. Vgl. auch „Burgfriedliche Gedanken zur Verwaltungsreform“, in: Staat, Recht und Freiheit, 102–109, hier 109 (erstmals FZ, 357 [25.12.’15] 1.M.). Die wichtigsten im Laufe des 19. Jahrhunderts erlassenen preußischen Verordnungen und Gesetze zur Kommunalverfassung sind abgedruckt in Christian Engeli und Wolfgang Haus (Bearb.), Quellen zum modernen Gemeindeverfassungsrecht in Deutschland, Stuttgart usw. 1975. 9 Siehe „Geschichte des Bestätigungsrechts“, 262, 286ff. u. 293. Im „Recht der städtischen Schulverwaltung in Preußen“, 43, klagt Preuß, daß „der tiefgreifende Wesensunterschied zwischen Subordination und Aufsicht, obwohl theoretisch anerkannt, praktisch immer wieder verwischt wird, wozu der übliche, wissenschaftlich unsaubere Sprachgebrauch der Praxis erheblich bei trägt. Diesem ist die Dienstaufsicht des Vorgesetzten über die gesamte amtliche Tätigkeit der subordinierten Beamten ein durchaus geläufiger Ausdruck; und da diese Aufsicht ein Ausfluß der Subordination ist, holt man nun auch umgekehrt aus der Kommunalaufsicht ein Ding heraus, das dem Subordinationsverhältnis zum Verwechseln ähnlich sieht. Und doch sind Dienstaufsicht und Subordination einerseits und die Kommunalaufsicht andererseits rechtlich ganz verschiedene, ja geradezu entgegengesetzte Dinge. Jene beruht auf dem Verhältnis der Behörden zueinander; diese auf dem Verhältnis von Staat und Gemeinde zueinander.“ 10 Vgl. Peter Schöber, Kommunale Selbstverwaltung. Die Idee der modernen Gemeinde, Stuttgart usw. 1991; und v.a. Uwe Lübking und Klaus Vogelgesang, Die Kommunalaufsicht. Aufgaben – Rechtsgrundlagen – Organisation, Berlin 1998, 15ff., 49ff. und 158f. Allerdings trifft es nicht zu, daß Preuß generell ein Bestätigungsrecht für den Staat verwarf; ebd., 42. 11 „Ein Jahrhundert städtischer Verfassungsentwicklung“, in: Staat, Recht und Freiheit, 72. Zur internen Dezentralisation europäischer Metropolen vgl. D. Lehnert, Kommunale Institutionen, 255ff. 12 Als Problemaufriß siehe Gerhard W. Wittkämper, Zur Entstehung und Entwicklung kommunaler Aufgabenfelder im 19. Jahrhundert. Forschungsprobleme zwischen Verwaltungswissenschaft und Kommunalgeschichte, in: Hans Heinrich Blotevogel (Hrsg.), Kommunale Leistungsverwaltung und Stadtentwicklung vom Vormärz bis zur Weimarer Republik, Köln und Wien 1990, 25–41.
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7. Der Berliner Kommunalpolitiker
als Teil der Selbstverwaltung nachkam, und nicht als Mandatar des Staates, der weiterhin das Heft in der Hand hielt. Die Erfüllung gestiegener Anforderungen kostete Geld, und Berlin litt wie kaum eine andere Stadt unter dem Mißtrauen des Staates, der die Kommunalsteuergesetzgebung dermaßen mit Kontrollen überhäufte, daß von einer finanziellen Autonomie kaum noch zu sprechen war13. Diese und andere Berliner Probleme sind nicht untypisch für deutsche Großstädte des Kaiserreiches oder auch für andere europäische Metropolen14. Die vierzig Jahre vor dem Ersten Weltkrieg sind „die Phase des – absolut gesehen – größten Bevölkerungswachstums in der deutschen Geschichte“15. Mit diesem ging eine Binnenwanderung einher, von der viele auch bisher schon größere Städte und neue Industriezentren profitierten, während bisherige Landstädte nur wenig Wachstum erfuhren oder sogar zurückblieben16. Die Urbanisierung hat eine quantitative Komponente, das Bevölkerungswachstum der Großstädte, und eine qualitative, die Herausbildung einer spezifisch großstädtischen Lebensform. Und sie wird begleitet von einer Phase der Hochindustrialisierung, die von 1871 bis 1914 reicht. Da Berlin die mit Abstand größte Stadt des Reiches und zugleich seine größte Industriestadt war17, ist es nur naheliegend, daß sich alle Schwierigkeiten und Probleme der deutschen Urbanisierung und Industrialisierung hier besonders gravierend konzentrierten. Wenn die Kommune Berlin also den meisten ihrer Probleme allein auf Grund ihrer Größe ohnehin nicht entgehen konnte, so wurden die Lösungsversuche aber trotzdem von zwei Faktoren behindert. Das eine ist das schon angesprochene Mißtrauen und die lähmende Dienstaufsicht des preußischen Staates, das andere ist, damit zusammenhängend, die Vielzahl der um die Stadtgrenzen Berlins herum wachsenden städtischen Kommunen wie Charlottenburg, Wilmersdorf und Neukölln, die nominell unabhängig blieben und somit nichts zum Berliner Stadthaushalt beitrugen, sondern im Gegenteil immer mehr steuerkräftige Bürger aus der lärmenden Großstadt hinaus in ihre Villengegenden lockten. Ähnlich prekär wie die finanzielle Lage gestaltete sich der wachsende Raumbedarf Berlins. Das Problem der kommunalpolitischen Anarchie im Großraum 13 „Kommunale Steuerfragen.“ Korreferat zum Referat A. Wagners vor der Ortsgruppe Berlin der Gesellschaft für Soziale Reform, in: Schriften der Gesellschaft für Soziale Reform, 2. Bd.. H. 3 (H. 15 der ganzen Reihe), Jena 1904, 35–59 (= 171–195), hier 56. Siehe auch ebd., 40ff., wo Preuß sich intensiv mit dem Kommunalabgabengesetz auseinandersetzt, das nicht seinen Beifall findet. Generell zur Entwicklung der Kommunalfinanzen siehe Wolfgang R. Krabbe, Die deutsche Stadt im 19. und 20. Jahrhundert. Eine Einführung, 155ff.; und v.a. Jürgen Reulecke, Geschichte der Urbanisierung in Deutschland, 2. Aufl., Frankfurt a.M. 1988, 78ff. 14 Vergleichend für Berlin, Wien, London und Paris hat dies D. Lehnert, Kommunale Institutionen, untersucht. 15 J. Reulecke, Geschichte der Urbanisierung in Deutschland, 69. 16 Horst Matzerath, Urbanisierung in Preußen 1815–1914, Stuttgart usw. 1985, 255. Ähnlich auch Hans-Dieter Lux, Demographische Folgen des Verstädterungsprozesses: Zur Bevölkerungsstruktur und natürlichen Bevölkerungsentwicklung deutscher Städtetypen 1871–1914, in: Hans Jürgen Teuteberg (Hrsg.), Urbanisierung im 19. und 20. Jahrhundert. Historische und geographische Aspekte, Köln und Wien 1983, 65–93, hier 65. 17 Vgl. M. Erbe, Berlin im Kaiserreich, 721ff.
7.1 Die Lage Berlins in Preußen-Deutschland
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Berlin soll weiter unten ausführlicher betrachtet werden, aber auch unabhängig von einer generellen Lösung der Großstadtproblematik ergab sich für die Stadt die zwingende Notwendigkeit, beständig im Weichbild Berlins und auch darüber hinaus Grundstücke zu erwerben, die dann für allerlei städtische Aufgaben, als Rieselfelder, zur Naherholung oder auch einfach als Baugrundstücke genutzt werden konnten. Als Verkäufer trat nach Lage der Dinge hauptsächlich der preußische Staat auf, und dieser sorgte sich sehr darum, vom Wertzuwachs durch die Ausdehnung Berlins zu profitieren. Aber selbst das genügte nicht, denn vorzugsweise überließ man das Land nicht direkt der Stadt Berlin, sondern Vorortgemeinden oder Spekulanten als Zwischeninstanz18. 1910 ging diese periodisch aufbrechende Auseinandersetzung um den Ankauf des alten Paradefeldes in Tempelhof. Verhandlungspartner der Stadt war „der allerpreußischste Wesensteil des Reiches, der Militärfiskus“. Preuß, der einen Monat später Stadtrat werden sollte, kommentierte im Oktober 1910 bitter-ironisch: (D)as höchste öffentliche Interesse ist doch wohl, daß der Fiskus, und vollends der Militärfiskus, möglichst viel Geld einnehme. Als Besitzer und Verkäufer von städtischem oder suburbanem Grund und Boden wahrt er also das öffentliche Interesse, indem er die Bodenpreise möglichst hoch hält. Das altbewährte, unvergleichliche Mittel dafür ist die Zusammenpferchung der ständig wachsenden großstädtischen Bevölkerung nach dem Bebauungssystem der fünfstöckigen Mietskaserne19. Die Aufrechterhaltung dieses Systems liegt daher vor allem im öffentlichen Interesse. Dem Kasernierungssystem droht aber nur dann Gefahr, wenn die zur Stadterweiterung nötigen Freiflächen einmal zu einem Preise in den Verkehr kommen, der noch eine andere als die Kasernenbebauung ermöglicht, und wenn sie ferner in den Besitz einer Gemeinde übergehen, die fähig wäre, jene Art der Bebauung zu verhindern. Als Besitzer solcher Freiflächen, die für die Stadterweiterung Berlins unentbehrlich sind, muß daher der Reichsfiskus nach dem leuchtenden Vorbilde seines preußischen Kollegen im öffentlichen Interesse mit dem ihm anvertrauten Pfunde wuchern, indem er ihren durch Berlins Riesenwachstum erhöhten Wert dazu verwendet, seiner geliebten Hauptstadt das eben mit ihrem Wachstum immer köstlicher werdende Kleinod der Massenkasernierung auf ewig zu erhalten. Und hier zeigt sich nun klar, daß der Fiskus weitsichtig genug ist, das öffentliche Interesse nicht bloß materiell, sondern auch ideell zu wahren. Unbegreiflicherweise hat nämlich der Berliner Magistrat einen reichlich ebenso hohen Kaufpreis – sogar unter günstigeren Zahlungsbedingungen – geboten, wie die als ‚Gemeinde Tempelhof‘ firmierenden Terrainspekulanten und Banken. Trotzdem will aber Fiskus diesen und nicht jenem zuschlagen, in edler Uneigennützigkeit,
18 Erschöpfend hierzu jetzt Christoph Bernhardt, Bauplatz Groß-Berlin. Wohnungsmärkte, Terraingewerbe und Kommunalpolitik im Städtewachstum der Hochindustrialisierung (1871– 1918), Berlin und New York 1998. 19 Die typischen Berliner Mietskasernen wurden mit dem von James Hobrecht entwickelten Bebauungsplan erfunden, aber es ist umstritten, ob Hobrecht auch für die Ausgestaltung des Systems verantwortlich zu machen ist (Günter Richter: Zwischen Revolution und Reichsgründung (1848–1870), in: W. Ribbe (Hrsg.), Geschichte Berlins, 2. Bd., 605–687, hier 665) oder nicht (Klaus Strohmeyer, James Hobrecht (1825–1902) und die Modernisierung der Stadt, Potsdam 2000, 67). Zum Hintergrund vgl. Rüdiger Breuer, Expansion der Städte, Stadtplanung und Veränderung des Baurechts im Kaiserreich, in: Ekkehard Mai, Hans Pohl und Stephan Waetzold (Hrsg.), Kunstpolitik und Kunstförderung im Kaiserreich. Kunst im Wandel der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Berlin 1982, 225–243, hier 231ff.
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7. Der Berliner Kommunalpolitiker lediglich im öffentlichen Interesse. Denn auf die Erhaltung der Massenkasernierung kommt es doch an, und dafür bieten Tempelhof und seine Hintermänner zweifellos noch bessere Garantien, als die Stadt Berlin.20
Die Vorgehensweise des Fiskus in dieser Angelegenheit war keine Besonderheit, sondern Bestandteil der systematischen Strategie der Nadelstiche, mit denen die Aufsichtsbehörden Berlin bedachten. Preuß registrierte diese Fälle, aber auch dann eher sporadisch und zumeist in leicht resigniertem Tonfall. Seine Beschwerdeführung klingt immer so, als habe er im Grunde keine andere Behandlung erwartet21. Von ihrem Standpunkt aus hatte die politische Führung im Reich und in Preußen auch mancherlei Anlaß, der brodelnden Großstadt zu mißtrauen. Schließlich stand Berlin an der Spitze jener kleinen republikanischen Inseln im monarchischen Meer, die die Städteordnung geschaffen hatte. Mit seiner wachsenden Arbeiterschaft bot es die „Gefahr“ des Sozialdemokratismus, und wenn auch das kommunale Dreiklassenwahlrecht verhinderte, daß sich dies adäquat in der Stadtverordnetenversammlung niederschlug, so garantierte doch dieses gleiche Wahlrecht, daß das liberale Bürgertum die Versammlung nach Belieben kontrollierte. Das war in den Augen der staatlichen Stellen kaum besser, und daß einige führende Repräsentanten des Berliner Freisinns Juden waren, wird den staatlichen Stellen auch nicht entgangen sein. Die liberale Dominanz in Berlin war so stark, daß eine Spaltung in mehrere Gruppierungen ohne Schaden für den Wahlerfolg möglich war. Politiker, die auf preußischer Ebene gemeinsam zum Freisinn oder später zur Fortschrittlichen Volkspartei gehörten und die womöglich als Fraktionskollegen im preußischen Abgeordnetenhaus saßen, bekämpften sich auf kommunaler Ebene in unterschiedlichen Fraktionen22. Hugo Preuß gehörte, seinem Naturell entsprechend, zur innerliberalen städtischen Opposition. 20 „Der Tempelhofer Feldzug“, Die Hilfe, 16. Jg., Nr. 40 (19.10.1910), 634–636, hier 635. Und ebd., 634: Das Tempelhofer Feld war ein Paradefeld; jetzt „ist es zum wirklichen Kampffeld geworden in dem langjährigen Kleinkriege, der gegen die Stadt Berlin geführt wird vom Staate Preußen, nicht nur mit seinen beiden regulären Heerhaufen: dem der ‚Hoheitsrechte‘ und dem des ‚Fiskus‘, sondern im Bunde mit seinen irregulären Hilfsvölkern: Straßenbahn- und Terraingesellschaften, Großbanken, Kleingemeinden und Landkreisen, ja, diesmal erscheint im Kriegslager der gegen die Reichshauptstadt Verbündeten auch die Reichssturmfahne, mit stets bewährter Schneidigkeit vom preußischen Kriegsministerium in die Höhe gehalten.“ Vgl. auch „Öffentliches und Privatrecht im Städtebau“, 358. 21 Etwa „Staat und Stadt“, in: Staat, Recht und Freiheit, 74; „Entwicklung des deutschen Städtewesens“, 158; „Geschichte des Bestätigungsrechts“, 284 u. passim. Schon 1888 schreibt Preuß in „Was uns fehlt“, 25: „Bei uns hat man oft das Gefühl, als gelte dort oben ein hinterpommerscher Gutsbezirk als bessere Grundlage des Staates, als die Kommune Berlin.“ In einer Rede über „Ein Jahrhundert städtischer Verfassungsentwicklung“, in: Staat, Recht und Freiheit, 72, genau 20 Jahre später, hatte sich nichts geändert; daß Berlin von vielen Vorteilen der neuen Verwaltungsgesetzgebung „kraft eines Privilegium odiosum ... ausgeschlossen und einigermaßen unter Diktatur gestellt ist, will ich nur flüchtig erwähnen, um nicht pro domo zu reden“. 22 Gleichwohl drangen mit dem fortschreitenden 19. Jahrhundert auch die Parteien in die Kommunalpolitik ein. Vgl. den auch sonst aufschlußreichen Aufsatz von Wolfgang Hofmann, Preußische Stadtverordnetenversammlungen als Repräsentativ-Organe, in: Jürgen Reulecke (Hrsg.),
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Parteien in der Kommunalpolitik 1895 trat Hugo Preuß mit 35 Jahren als jüngstes Mitglied in die Berliner Stadtverordnetenversammlung ein, gewählt von der Handvoll Stimmberechtigter in der 1. Klasse des vornehmen Wahlbezirks „Südlicher Tiergarten“, in dem Preuß wohnte und ein Haus besaß23. Preuß begann sofort damit, die Grundlagen zu bekämpfen, denen er seine eigene Wahl verdankte; er schloß sich der Abgeordnetengruppe um seinen politischen Ziehvater Theodor Barth an, der „Sozialfortschrittlichen Fraktion“24. Diese kleinste liberale Fraktion der Stadtverordnetenversammlung trat als einzige rigoros für die Beseitigung von Privilegien auf. Im wirtschaftlichen Bereich verfocht sie die Kommunalisierung bislang privater, ihrer Natur nach monopolistischer Unternehmen. Politisch ging es um die Beseitigung des „Hausbesitzerprivilegs“ und um die Demokratisierung des Wahlrechts. Diese Punkte waren es auch, die Preuß und seine Parteifreunde von den anderen Liberalen schieden. Das Hausbesitzerprivileg war eine altliberale Bestimmung der Städteordnung, die besagte, daß in jeder Klasse des Wahlrechts die Hälfte der gewählten Stadtverordneten Hausbesitzer sein mußten. Natürlich begünstigte diese Regelung, wie geplant, die wohlhabenderen Bürger Berlins. Aber auch Sozialdemokraten konnten mit Hilfe einzelner gutsituierter Genossen die einschränkenden Bestimmungen ohne größere Probleme umgehen, denn es war nirgendwo festgelegt, wie groß das Hauseigentum zu sein hatte. Als Hugo Preuß in die Stadtverordnetenversammlung eintrat, waren deutlich mehr als die geforderten 50 Prozent der Stadtparlamentarier auch Hausbesitzer, aber der Anachronismus der Bestimmung wurde dadurch nur deutlicher25. Die deutsche Stadt im Industriezeitalter. Beiträge zur modernen deutschen Stadtgeschichte, Wuppertal 1978, 31–56, hier 53ff.; Otto Ziebill, Politische Parteien und kommunale Selbstverwaltung, 2. überarb. u. erw. Aufl., Stuttgart usw. 1972, 17ff.; W. R. Krabbe, Die deutsche Stadt im 19. und 20. Jahrhundert, 147ff. 23 In der Matthäikirchstraße, an der heutigen Philharmonie. 24 Generell hierzu vgl. S. Graßmann, Hugo Preuß, 9ff.; G. Gillessen, Hugo Preuß, 74ff.; M. Erbe, Berlin im Kaiserreich, 758ff. Zum sinkenden Interesse der Öffentlichkeit an den Wahlen zur Stadtverordnetenversammlung vgl. G. Richter, Zwischen Revolution und Reichsgründung, 677. A. Wermuth, Ein Beamtenleben, 331, erinnerte sich später an die liberalen Spaltungen in der Stadtverordnetenversammlung: „Es kann nicht an dem Mangel parlamentarischer Schulung gelegen haben, wenn ich bis zum Ende zu unterscheiden außerstande war, welche sachlichen Gegensätze die beiden großen bürgerlichen Fraktionen unter Führung Cassels und Mommsens voneinander trennten. Beide trugen die Aufschrift des Freisinns. ... Mommsens Fraktion stand wohl ein weniges, der Leiter selbst erheblich weiter rechts. Mommsen führte schärfere Sprache gegen die Sozialdemokratie und wurde von ihr heftiger angegriffen als Cassel. Aber wiederum, als die ganz sozialpolitisch gerichtete kleine Partei Rosenows sich auflöste, ging ihr größter Teil in Mommsens Fraktion auf, während zur alten Linken nur wenige sich schlugen.“ Zu dieser Zeit war Hugo Preuß bereits Stadtrat. 25 Vgl. W. Hofmann, Preußische Stadtverordnetenversammlungen, 48; D. Lehnert, Kommunale Institutionen, 217ff.
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7. Der Berliner Kommunalpolitiker
Ähnlich anachronistisch war das kommunale Dreiklassenwahlrecht. Während der Linksliberalismus für Preußen die Abschaffung des Dreiklassenwahlrechts forderte, sah dies die als „Fraktion der Linken“ bezeichnete liberale Mehrheit in der Stadtverordnetenversammlung für das Kommunalwahlrecht etwas anders. Der Reformeifer wurde merklich gedämpft dadurch, daß das im Lande bekämpfte Wahlrecht in den Kommunen keine konservativen, sondern klare liberale Mehrheiten produzierte26. Diese Überlegung wurde für die Mehrheit der Stadtverordnetenversammlung auch dadurch immer interessanter, daß die Sozialdemokraten bei den Reichstagswahlen in Berlin den Liberalismus längst überflügelt hatten. Bei Reichstagswahlen hielt die SPD ab 1903 fünf der sechs Berliner Wahlkreise, im Abgeordnetenhaus saßen ab 1909 neben sieben Abgeordneten der Freisinnigen Volkspartei auch fünf der SPD. Als einziger Liberaler hielt der Reichstagspräsident Johannes Kaempf den Wahlkreis Berlin Mitte27. Wie das Dreiklassenwahlrecht im preußischen Abgeordnetenhaus das Bollwerk der Konservativen war, bedeutete es auf kommunaler Ebene nicht nur in Berlin das Bollwerk des Kommunalfreisinns gegen die Sozialdemokratie. Ganz ließ sich freilich die Präsenz der SPD unter den Stadtverordneten nicht verhindern28, an der Verantwortung beteiligt wurde sie aber nicht. Auch für die Sozialdemokratie war umgekehrt ihr Verhältnis zur Kommunalpolitik ambivalent, und zwar gerade in Berlin. Einerseits war hier das Zentrum der Macht und die Verkörperung des preußischen Polizeistaates, andererseits bot das urbane Zentrum eine Vision der Zukunft29. Ab 1900 verlangte die SPD, ihrer Fraktionsstärke gemäß mit einem Beisitzer im Vorstand der Versammlung vertreten zu sein. Der Stadtverordnetenvorsteher und sein Stellvertreter, die drei Beisitzer und ihre drei Stellvertreter blieben bei den alljährlichen Wahlen im Januar mit stets mehr oder minder gleichbleibenden Mehrheiten in bürgerlicher Hand. Erst 1911 wurde die Zahl der Beisitzer auf vier erhöht und der SPD der neue Sitz bei Wahrung des Besitzstandes der liberalen Fraktionen eingeräumt. Dieses Zugeständnis war inzwischen nicht mehr ausreichend; ab 1906 forderte die stärker gewordene Fraktion regelmäßig in jedem neuen Sitzungsjahr den Posten des Stellvertretenden Vorsitzenden. Die monotone Erfolglosigkeit der Sozialdemokraten in dieser Hinsicht läßt sich in den Stenographischen Berichten der Stadtverordnetenversammlung ab 1900 nachlesen, und 26 Vgl. K. H. Pohl, Kommunen, kommunale Wahlen und kommunale Wahlrechtspolitik, 111. Zur kommunalen Wahlrechtsdebatte auch D. Lehnert, Kommunale Institutionen, 185ff. 27 Vgl. M. Erbe, Berlin im Kaiserreich, 711ff. 28 Vgl. Preuß’ Aufsatz „Zur sozialen Entwickelungstendenz städtischer Selbstverwaltung“, 862. Generell H. Heffter, Deutsche Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert, 615. 29 Zu dieser Ambivalenz siehe Ralf Stremmel, Berlin – Aspekte und Funktionen der Metropolenwahrnehmung auf seiten der politischen ‚Linken‘ (1890–1933), in: Gerhard Brunn und Jürgen Reulecke (Hrsg.), Metropolis Berlin. Berlin als deutsche Hauptstadt im Vergleich europäischer Hauptstädte 1871–1939, Bonn und Berlin 1992, 79–125, hier 86ff. Vgl. auch W. R. Krabbe, Die deutsche Stadt im 19. und 20. Jahrhundert, 150f.; O. Ziebill, Politische Parteien und kommunale Selbstverwaltung, 17f.
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zwar jeweils in der ersten Sitzung des Berichtsjahres. Auch hier dauerte es über ein Jahrzehnt, bis im Zeichen des Burgfriedens 1916 der neue Posten des Zweiten Stellvertreters des Stadtverordnetenvorstehers geschaffen wurde. Erst die Revolution beseitigte auch in Berlin das alte Wahlrecht30. Wie in seiner politischen Publizistik ist Hugo Preuß auch in der Stadtverordnetenversammlung frühzeitig für eine Zusammenarbeit mit der SPD wenigstens in Sachfragen eingetreten. Beide Gruppierungen hatten einen gemeinsamen Gegner, und hinter diesem verbarg sich wieder der Hauptfeind der Preußschen Polemik, das Junkertum. 1905 schreibt Preuß: Das selfgovernment einer modernen Großstadt kann nur von Bourgeoisie und Sozialdemokratie gemeinschaftlich geführt werden, jeder Versuch, die eine oder die andere auszuschalten oder zur Einflußlosigkeit herabzudrücken, muß, wenn er glückt, nicht die Macht des Siegers, sondern des tertius gaudens, des bevormundenden Polizeistaates und der ihn beherrschenden antiurbanen Potenzen stärken, nicht den Besiegten, sondern das gemeinsame Prinzip städtischer Entwicklung schwächen.31
Die Berührungspunkte seiner Fraktion mit der SPD waren vielfältig, und 1910 konnte Preuß das hier angesammelte Vertrauen ummünzen, als er mit den Stimmen der SPD überraschend zum Stadtrat gewählt wurde. Selbst seine Berufung zum Staatssekretär des Inneren im November 1918 wäre kaum denkbar gewesen ohne die langjährige Zusammenarbeit im Berliner Stadtparlament. Die Oppositionsrolle, die Preuß und seine wenigen Fraktionskollegen zusammen mit den Sozialdemokraten in der Stadtverordnetenversammlung spielten, wurde nur dann für kurze Zeit aufgehoben, wenn die Versammlung als ganze in der dualistischen altpreußischen Städteordnung dem Magistrat gegenüberstand oder diesen drängte, energischer die Kommunalfreiheiten gegenüber der Staatsaufsicht zu verteidigen. Und selbst dann trat Preuß durchweg für eine schärfere Gangart ein als die vorsichtigere Mehrheit – und befand sich damit schon wieder in der Opposition. Gleichwohl konnte die Stadt auf den wissenschaftlich fundierten und polemisch geschärften Sachverstand Preuß’ nicht verzichten, und das galt sowohl für die Mehrheitsfraktionen wie für den Magistrat. Es gab in allen Fraktionen erfolgreichere Politiker, die auch in der preußischen und in der Reichspolitik eine Rolle spielten, aber es gab im Stadtparlament niemanden, der sich gründlicher im preußischen Kommunalverfassungsrecht und in der historischen Entwicklung und rechtlichen Auslegung der Städteordnung auskannte. In der Stadtverordnetenversammlung gehörte er den Deputationen für Petitionen, für das Steuerwesen und für die Schulen an. Im Magistrat befaßte er sich ab 1910 erneut mit Schulfragen, sowie mit Verkehr, Statistik und dem Wasser- und Hochbauwesen. Im Weltkrieg kam noch die kommunale Kriegsbeschädigtenfürsorge hinzu32. Diese Themen umreißen die 30 Zu den verspäteten Teilerfolgen siehe Sten. Ber., SVV, 1911, 1. u. 2. Sitzung, und die Eröffnungssitzung, Sten. Ber., SVV, 1916. 31 „Zur sozialen Entwickelungstendenz städtischer Selbstverwaltung“, 863. Vgl. auch „Politische Literaturglossen“, BT, Nr. 64 (5.2.’09) M u. Nr. 66 (6.2.’09) M. 32 Vgl. G. Gillessen, Hugo Preuß, 74.
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Arbeitsbereiche von Preuß in der Kommunalpolitik. Seine weite Auffassung der notwendigen städtischen Sozialpolitik und die Schaffung der dafür notwendigen ökonomischen und infrastrukturellen Voraussetzungen in der und für die Stadt Berlin ließen Preuß immer wieder mit der Mehrheit der Versammlung aneinandergeraten33. Ein gewisser Trost wird ihm gewesen sein, daß fast alle von ihm vertretenen Lösungen, wenn auch zu Teil mit jahrelanger Verzögerung, letztlich realisiert wurden. Neben und über allen Sachfragen stand aber für jeden Berliner Stadtverordneten die drängende Frage der kommunalpolitischen Gestaltung des Berliner Großraumes. Die territoriale Beschränkung lastete immer schwerer auf der Metropole, die nach ihrer Ausdehnung keine sein durfte. Auch in dieser sich über Jahrzehnte hinziehenden Debatte ist Hugo Preuß von Anfang an für die umfassendsten Lösungen eingetreten. 7.2 Hugo Preuß als Stadtverordneter Das Problem „Groß-Berlin“ In den Jahrzehnten vor 1920, als mit dem Groß-Berlin-Gesetz die abschließende Regelung gefunden wurde, dürfte es für die Berliner Kommunalpolitik kein zweites Problem gegeben haben, das ähnlich beständig im Zentrum der Auseinandersetzung gestanden hat. Fast alle Detailprobleme führten angesichts der faktischen Verflechtungen im Großraum Berlin immer wieder zur Frage der kommunalen Gliederung dieses Großraumes zurück34. 1860 kam es zur letzten Gebietserweiterung Berlins vor der radikalen Lösung von 1920, und die 60 Jahre dazwischen bieten das sich wechselseitig ergänzende Bild liberaler Kommunalpolitiker, die zunächst noch mögliche großzügige Lösungen lange ablehnten, und einer staatlichen Eindämmungspolitik, die an prinzipiellen Lösungen je länger je mehr desinteressiert 33 Erneut richtete sich seine Kritik primär an seine Gesinnungsgenossen; etwa „Politische Literaturglossen“, BT, Nr. 64 (5.2.’09) M: Der Liberalismus hätte sich in der Kommunalpolitik beweisen können und müssen; „aber ach, auch hier ist er nicht auserwählt. Mit der unentwegten Wiederholung der stereotypen Phrase, daß man voll und ganz auf dem Boden der Selbstverwaltung stehe, ist’s allerdings nicht getan; und doch erschöpft sich eigentlich in diesem sonoren Bekenntnis das prinzipielle Verhältnis, die geistige Einstellung des ganzen Liberalismus als solchen zu der für ihn wichtigsten Erscheinung des Gesamtlebens.“ Zu Liberalismus und Kommunalpolitik vgl. als Übersicht D. Langewiesche, Liberalismus in Deutschland, 200ff.; zu den weit zurückreichenden Wurzeln dieser Verbindung Elisabeth Fehrenbach, Die Entstehung des „Gemeindeliberalismus“, in: Wilfried Ehbrecht (Hrsg.), Verwaltung und Politik in Städten Mitteleuropas. Beiträge zu Verfassungsnorm und Verfassungswirklichkeit in altständischer Zeit, Köln, Weimar und Wien 1994, 255–270. 34 Als knappen Überblick siehe M. Erbe, Berlin im Kaiserreich, 745ff. Erbe überschreibt das Kapitel treffend mit „Das Verwaltungsdilemma“. Zum europäischen Vergleich siehe, D. Lehnert, Kommunale Institutionen, 230ff.
7.2 Hugo Preuß als Stadtverordneter
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war. Berlin blieb als die mit Abstand bevölkerungsstärkste Stadt des Reiches auf eine Fläche beschränkt, die ihm nur den 19. Rang unter den deutschen Städten zuwies. Nutznießer hiervon waren die Randgemeinden, die nach der Reichsgründung ein gewaltiges Bevölkerungswachstum verzeichnen konnten. Hugo Preuß selbst nennt in einem Aufsatz von 1913 die Zahlen für das Einwohnerwachstum Berliner Vororte bzw. Nachbarstädte wie Charlottenburg (1805: 4000, 1876: 26000, 1913: 326000), Wilmersdorf (1816: 345, 1858: 1000, 1900: 30000, 1910: 110000), Schöneberg (1822: 872, 1875: 7500, 1900: 96000, 1910: 173000) oder Neukölln (1875: 15000, 1910: 237000). Als Fläche hatte Berlin 6352 ha zur Verfügung, Köln hingegen 11133, Düsseldorf 11116, Hannover 9952. Selbst Brandenburg, Mühlheim a.d.R. und Münster besaßen noch eine größere Ausdehnung als die Reichshauptstadt. Preuß gibt als Fazit: „Die Beredtsamkeit dieser nüchternen Zahlen kann das Blut in Wallung bringen.“35 Die kommunalen Probleme aber, die Verkehrserschließung des Ballungsraumes, die Versorgung mit Gas, Elektrizität und Wasser, der Wohnungsbau und die Errichtung von Erholungsgebieten ließen sich immer weniger in eigener Regie einer der beteiligten Gemeinden lösen, auch nicht von Berlin. Großzügige Eingemeindungen, die zumindest die kommunalpolitische Kompetenz in einem Rathaus konzentriert hätten und die in anderen Großstädten mit ähnlich gelagerten Problemen großzügig praktiziert worden waren36, scheiterten bis zur Jahrhundertwende an der Kurzsichtigkeit der Berliner Stadtverordnetenversammlung. Zum „Erwerb“ standen zunächst die Arbeitervororte an, die nach Norden über das Weichbild der Stadt hinausgewuchert waren. An diesen Gebieten mit ihrer geringen Steuerkraft und ihren vorwiegend sozialdemokratischen Wählern hatten aber die liberalen Stadtväter kein Interesse. Diese Haltung änderte sich nach 1900, als immer mehr wohlhabende Bürger Berlins in die Villenvororte im Süden und Westen verzogen waren. Jetzt hätte Berlin gerne zugegriffen, aber nun rächte sich die frühere zögerliche Haltung. Die zur Eingemeindung vorgesehenen Gebiete wehrten sich aus ungefähr dem gleichen Grund wie früher Berlin selbst, und sie erhielten dabei tatkräftige Hilfe vom preußischen Staat, der von einer hauptstädtischen Gebietsreform nur die Stärkung der Opposition erwartete37. Hieran war ihm wenig gelegen, 35 „Zur Verwaltungsorganisation größter Städte“, 741. Vgl. auch M. Erbe, Berlin im Kaiserreich, 704f. und 747; S. Graßmann, Hugo Preuß, 34f. 36 Vgl. Horst Matzerath, Städtewachstum und Eingemeindungen im 19. Jahrhundert, in: J. Reulecke (Hrsg.), Die deutsche Stadt im Industriezeitalter, 67–89; Dieter Rebentisch, Industrialisierung, Bevölkerungswachstum und Eingemeindungen. Das Beispiel Frankfurt am Main 1870–1914, in: ebd., 90–113; J. Reulecke, Geschichte der Urbanisierung in Deutschland, 78ff. 37 1904 stellt Preuß („Kommunale Steuerfragen“, 38) fest: „(J)etzt noch mehr als vorher trifft die Stadt auf die ganz entschiedenen und prinzipiellen Widerstand der Regierung, die den großen Plan der – ich möchte sagen – Strangulierungspolitik verfolgt, die Stadt Berlin mit einem Kreis selbständiger Stadtgemeinden zu umgeben, gewissermaßen zu zernieren.“ 1912 hatte sich nichts geändert; der Widerstand der Regierung gegen jede Eingemeindung „förderte das Emporwuchern eines kommunalen Chaos ohne gleichen“ („Kommunale Selbstverwaltung in
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7. Der Berliner Kommunalpolitiker
und da die Steuerkraft der reichen Vororte Berlins auch den ansonsten eher armen Landkreisen zugute kam, scheiterte bis zum Fall des Hohenzollernreiches jede Lösung des Problems. Es ist bezeichnend, daß Hugo Preuß seine Jungfernrede in der Stadtverordnetenversammlung am 21. Februar 1895, einen guten Monat nachdem er eingeführt worden war, ausgerechnet zu diesem Thema hielt. Er trat für umfassende und großzügige Eingemeindungen auch der steuerschwachen Gebiete ein38 – und hatte in den folgenden Jahren Gelegenheit, noch mehrfach auf seine Pläne zurückzukommen. Anfänglich gingen die Ideen Preuß’ der in dieser Hinsicht weniger freisinnigen als konservativen Versammlung zu weit, später wird sich manch ein Stadtverordneter gewünscht haben, man wäre zu einem Zeitpunkt auf den von Preuß vorgezeichneten Weg eingeschwenkt, als dieser noch nicht vom preußischen Staat blockiert war. Acht Jahre nach seiner ersten Rede zur Eingemeindungsfrage ergriff Preuß erneut die Initiative und forderte den Magistrat in einem Antrag auf, mit den Vorortgemeinden in Verhandlungen einzutreten39. Schon bei der Antragstellung wurde in der Versammlung eingewendet, daß die Interessen der reichen Vororte kaum mit denen von Berlin zu vereinbaren seien; und schon gar nicht mit denen der armen Arbeitervororte, die auch mit hätten eingemeindet werden müssen. Mit deutlicher Mehrheit wurde der Preußsche Vorstoß in einer veränderten Fassung des Sozialdemokraten Singer abgelehnt40, und wieder einmal standen sich Sozialdemokraten und Sozialfortschrittliche Fraktion einerseits und Linke Fraktion und Rechtsliberale andererseits gegenüber. Demgegenüber bestand 1910 allgemeine Einigkeit, als es um das schon erwähnte Tempelhofer Feld ging41. Magistrat und alle Fraktionen fühlten sich düpiert, und Preuß trat in der Debatte ungewohnt martialisch auf: Begreifen wir doch endlich, meine Herren: es handelt sich hier um einen Kriegszustand! Wenn man das einmal voll erfaßt hat, dann wird man schließlich der Staatsregierung ihre Haltung in der ganzen Frage Groß-Berlins, in der Eingemeindungsfrage und manchen anderen nicht allzusehr verargen – à la guerre comme à la guerre. Ich wünschte nur, daß dann von beiden Seiten danach gehandelt würde; denn eine einseitige Kriegsführung ist für den andern, den leidenden Teil etwas Mißliches.42
Aber inzwischen war es zu spät, und die nunmehr erhofften Eingemeindungen waren in weite Ferne gerückt. Ersatz für die grundsätzliche Lösung, die man erst
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Deutschland“, 209). Vgl. Art. „Stadt und Stadtverfassung“, in: Handwörterbuch der Kommunalwissenschaften, 4. Bd., 16f.; „Der Tempelhofer Feldzug“, 636; „Zur Verwaltungsorganisation größter Städte“, 742f. u. 757. Siehe auch M. Erbe, Berlin im Kaiserreich, 747f. Vgl. hierzu Sten. Ber. SVV 1895, Nr. 7 (21.2.) 52ff.; Nr. 8 (28.2.) 95; Nr. 29 (24.10.) 281ff. Preuß war Mitglied des Eingemeindungsausschusses, dessen Bericht letztlich mit 71:43 angenommen wurde. Sten. Ber. SVV 1903, Nr. 22 (24.9.) 235ff. Das Stimmenverhältnis betrug 68:19; siehe Sten. Ber. SVV 1904, Nr. 17 (21.4.) 257ff. Sten. Ber. SVV 1910, Nr. 26 (29.9.) 327ff. Ebd., 341. Vgl. auch „Kommunale Steuerfragen“, 37., sowie S. Graßmann, Hugo Preuß, 36f.
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nicht wollte und dann nicht mehr bekam, mußte das Zweckverbandsgesetz von 1911 bieten, das das Berliner Umfeld zu einem eigenen Kommunalkörper zusammenfaßte, der insbesondere auf den Gebieten Nahverkehr, Städtebau und Erholungsflächen Kompetenzen besitzen sollte. Der Zweckverband war nur eine Notlösung, aber die „verfahrene Berliner Lage“43 ließ anscheinend keine andere Möglichkeit mehr zu. Von Anfang an war klar, daß man mit diesem Verband zur gleichen Zeit zuviel und zuwenig getan hatte. Sein Gebiet war ungefähr dreimal so groß wie GroßBerlin von 1920. Andererseits hatte „kein“ Mitglied (also Berlin nicht) mehr als 40 der 100 Stimmen in der Verbandsversammlung. Da war es ein geringer Trost, daß der Berliner Oberbürgermeister ex officio Haupt der Verbandsversammlung als 101. Mitglied war. Berlin blieb in einer Minderheitsposition, aus der es nur gelegentlich ausbrechen konnte; „Mehrheit“ war es jedoch stets dann, wenn es um die Zahlung der Verbandsbeiträge ging44. Konflikte blieben bei dieser Ausgangslage nicht aus, und vollends die gewaltige Steigerung der Anforderungen an die Kommunalverwaltung, die der Weltkrieg mit sich brachte, zeigte die Inkompetenz des Verbandes, hier zu Lösungen zu kommen45. Preuß war von Anfang an ein Gegner des Verbandes, der kein Ersatz für die allein befriedigende Eingemeindung sein konnte, schon gar nicht in der Form, in der er konzipiert war. Das „Verlegenheitsgesetz von 1911“46 habe nur gezeigt, wie es nicht gehe. Die preußischen Oberbürgermeister, die sich im Herrenhaus gegen das Gesetz gestemmt hatten, mit ihrer kleinen Gruppe aber nichts verhindern konnten, sollten durch die Praxis bestätigt werden47. Mit dem Kriegsende entfielen die beiden Haupthindernisse, die bislang die Groß-Berlin-Lösung verhindert hatten: Preußen stand seiner Hauptstadt nicht mehr argwöhnisch-feindselig gegenüber, und in allen beteiligten kommunalen Parlamenten waren mit dem Fall des Dreiklassenwahlrechts Mehrheiten eingezogen, die sich der natürlichen Entwicklung nicht länger in den Weg stellten. 1920 konnte das Groß-Berlin-Gesetz im preußischen Parlament verabschiedet werden; zwar erst nach ausgedehnten Debatten, die aber nur noch eine Verzögerung bedeuteten. Die Groß-Berlin-Frage war damit auf eine Art gelöst worden, die Hugo Preuß schon 25 Jahre vorher vergebens propagiert hatte48. 43 J. Reulecke, Geschichte der Urbanisierung in Deutschland, 84. 44 Zum Zweckverband siehe M. Erbe, Berlin im Kaiserreich, 749f. Der Verband selbst stellte sich nach seiner Ersetzung durch Groß-Berlin posthum ein gutes Zeugnis aus im „Verwaltungsbericht für die Zeit des Bestehens des Verbandes vom 1. April 1912 bis 30. September 1920“, Berlin 1920, z.B. 5. 45 Siehe etwa die Klagen von A. Wermuth, Ein Beamtenleben, 340ff. u. 382ff. 46 „Verwaltung“, in: Das Jahr 1913, 121. Vgl. auch „Groß-Berlins Zukunft“, BT, Nr. 660 (28.12.’17) M. 47 Vgl. H. Spenkuch, Das Preußische Herrenhaus, 348. 48 Zum Groß-Berlin-Gesetz siehe Ernst-Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, VI. Bd., Stuttgart usw. 1981, 379; Henning Köhler, Berlin in der Weimarer Republik (1918–1932), in: W. Ribbe (Hrsg.), Geschichte Berlins, 2. Bd., 797–932, hier 814ff. Andreas
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7. Der Berliner Kommunalpolitiker
Der Stadt Berlin wäre viel erspart geblieben, hätte man bereits damals die Ideen von Preuß und der Sozialfortschrittlichen Fraktion Barths aufgegriffen. Damit war nach Lage der Dinge aber nicht zu rechnen. Die Berliner Kommunalpolitik stand unter dem Fluch des Dreiklassenwahlrechts, das in großer Zahl Abgeordnete wählbar machte, die mit genauer und kleinlicher Berechnung eine auf die eng verstandenen ökonomischen Interessen ihrer zumeist überschaubaren Wählerschar ausgerichtete Linie verfolgten. Der doppelte Anspruch, einerseits eine in jeder Hinsicht expandierende, moderne und urbane Hauptstadt zu sein und andererseits dies alles mehr oder minder kostenfrei durchzuführen, paßte nicht zusammen. Die Kräfte in der Kommunalpolitik, die dies bereits vor der Jahrhundertwende erkannten und eine moderne, großzügig angelegte und leistungsorientierte Stadt und Stadtverwaltung wollten, zeigten damit zwar eine bemerkenswerte Weitsicht, nahmen sich aber zugleich auch die Chance, jemals die Mehrheit in der Stadtverordnetenversammlung zu stellen, solange das Wahlrecht nicht geändert wurde. Das läßt sich exemplarisch an der Groß-Berlin-Frage zeigen, das läßt sich aber auch an den weiteren Problemfeldern erkennen, die aus der kommunalpolitischen Tätigkeit von Hugo Preuß noch herausgegriffen werden sollen. Städtische Beamte und Lehrer Die Sorge um das Wohlergehen der städtischen Bediensteten, und unter diesen besonders für die Belange der Lehrer an den Gemeindeschulen, bildete den Hauptpunkt im sozialpolitischen Engagement Hugo Preuß’ als Stadtverordneter. Wieder einmal mußte er gegen zwei Gegner zugleich angehen: mit dem Magistrat und der Mehrheit der Stadtverordnetenversammlung verteidigte er die Rechte der Selbstverwaltung auch auf diesem Feld gegen den preußischen Staat; gegen sie stand er, wenn es um die soziale Sicherung aus städtischen Mitteln ging. Als Mitglied des Petitionsausschusses vertrat Hugo Preuß in der Regel vergeblich die Ansprüche und Wünsche der Beamten und Angestellten der Stadt gegen eine in diesem Punkt besonders sparsame Versammlung; wann immer die Debatte auf die Polizei kam, konnte Preuß seine Thesen gegen das Dogma vom staatlichen Polizeimonopol und für das Recht der Selbstverwaltung auf die Ortspolizei seinen Kollegen vortragen49. Splanemann, Bewährung und Begrenzung der Berliner Demokratie. Die erste Magistratsbildung der neuen Stadtgemeinde Berlin 1920, in: Otto Büsch (Hrsg.), Beiträge zur Geschichte der Berliner Demokratie 1919 – 1933/1945 – 1985, Berlin 1988, 3–43. 49 Die Bezeichnung „Sozialfortschrittlich“ im Namen seiner Fraktion war nicht nur ein Name, sondern auch Programm; vgl. etwa Sten. Ber. SVV 1897 Nr. 4 (28.1.), 29; SVV 1900, Nr. 9 (1.3.) 132; Nr. 11 (15.3.) 163. Zur Polizeifrage siehe SVV 1896, Nr. 33 (10.12.) 287; SVV 1908, Nr. 30 (1.10.) 395; und SVV 1909, Nr. 34 (16.12.) 456. 1908 faßte Preuß sich zur Ortspolizei sehr kurz: „Meine Herren, ich hatte eigentlich die Absicht, zu dieser interessanten Frage eine Rede zu halten; habe aber eben nachgelesen, was ich vor zwei Jahren zu demselben Antrage gesagt habe und habe gefunden, daß ich dem nichts hinzuzusetzen habe. Alle, die sich dafür interessieren, können das ja im stenographischen Bericht nachlesen.“
7.2 Hugo Preuß als Stadtverordneter
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Das Hauptkampffeld, erneut in beide Richtungen, war aber die Frage der Verfügungsgewalt über die Gemeindeschulen und der Rechtsstellung der an ihnen beschäftigten Lehrern50. Ab 1899 war Hugo Preuß als Mitglied der Schuldeputation der Stadtverordnetenversammlung praktisch mit dieser Problematik befaßt, und wie sich bei ihm wissenschaftliche Theorie und politische Praxis stets ergänzten, so mündete auch hier die Praxis endlich neben zahlreichen kleineren Aufsätzen 1905 in einer grundlegenden Monographie über „Das Recht der städtischen Schulverwaltung in Preussen“51. Erneut ging es Preuß um die schon bekannte Verteidigung kommunaler Ansprüche gegen staatliche Übergriffe, und anders als in sonstigen Auseinandersetzungen waren die Aussichten diesmal eher günstig. Die staatliche Rechtsauffassung stützte sich ausschließlich auf Verordnungen von besonders zweifelhafter Rechtsgültigkeit, und die Städte, insbesondere Berlin, betrachteten über Jahrzehnte hinweg die Gemeindeschulen als einen Kernbereich ihrer Tätigkeit, auf dem sie ihre Zuständigkeiten gegenüber dem Staat verteidigen mußten. Zugleich läßt sich jedoch auch nicht übersehen, daß die kommunale Schulträgerschaft eine ganz erhebliche finanzielle Belastung für die Gemeinden bedeutete. Berlin war besser gestellt als viele der neuen Großstädte im Ruhrgebiet, die besonders unter den Kosten litten, aber auch hier war der Aufwand zu spüren52. Wenn hier von Gemeindeschule die Rede ist, dann ist damit wesentlich die Volksschule gemeint, die im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen stand. Dies lag einerseits daran, weil sie bereits von der Zahl her die höheren Schulen so eindeutig überwog, andererseits aber auch daran, daß es angesichts des generell akzeptierten Bildungsideals für die bürgerliche Gymnasialbildung einfacher war, auf diesem Feld einen Konsens zu finden. Anders die Volksschule. Sie stand „ganz im Zentrum des Parteikampfes; hier gab es ... schärfere Gegensätze, hier ging es um die Stellung der Kirche, und hier ging es um die Massen, um die zukünftige Gesellschaft“53. Während der preußische Staat gegenüber den politisch wie finanziell schwächeren Landgemeinden und kleinen Städten von vornherein in einer starken Position war, sah dies in den Großstädten anders aus. Hier achteten selbstbewußte Stadtverordnetenversammlungen und Magistrate auf die Rechte ihrer Stadt, und angesichts der weit verbreiteten Praxis, daß eine Person gleich mehrfache Abgeordnetenmandate auf sich vereinigte, waren die Spitzen der Stadtparlamente oftmals auch im Landtag oder Reichstag die Gegner der Regierung, wenn es um Schulfragen ging. Trotzdem hatte das preußische Kultusministerium auch in den Großstädten genügend Eingriffsmöglichkeiten, die es zum großen Teil der verwirrenden Situation in den gesetzlichen Bestimmungen verdankte. 50 Zum Hintergrund siehe W. Neugebauer, Bildungswesen in Preußen, 707ff. 51 Die Abhandlung erschien 1905 in Berlin. Zur Wahl von Preuß in die Schuldeputation siehe Sten. Ber. SVV 1899, Nr. 3 (19.1.), 13. 52 Vgl. W. R. Krabbe, Die deutsche Stadt im 19. und 20. Jahrhundert, 107ff. Als Überblick siehe auch Th. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866–1918, Bd. I, 531ff. 53 Th. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866–1918, Bd. I, 531f.
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Die ungeklärte rechtliche Lage der Gemeindeschulen resultierte vor allem daraus, daß ein Unterrichtsgesetz nicht existierte, auch wenn der „Hinweis auf das demnächst zu erlassende Unterrichtsgesetz ... bekanntlich ein eiserner Bestandteil aller preußischen Reformpläne seit 100 Jahren“ war, wie Preuß mit gewohntem Spott bemerkte54. In dieser Lücke wucherten einmal mehr üppig die Verordnungen und Ministerialreskripte, die versuchten, den Wortlaut des Gesetzes, der Städteordnung, nachträglich neu zu interpretieren. Schon eine Ministerialinstruktion von 1811 hatte dies in § 2 für die wichtige Teilfrage versucht, ob der Staat ein Bestätigungsrecht für die Mitglieder städtischer Schuldeputationen besaß, was nach § 175 der Städteordnung nicht der Fall war. Preuß hielt diese Instruktion für rechtsungültig, und dem trug auch eine Verordnung von 1829 Rechnung, die den Fehler von 1811 nicht wiederholte. Gleichwohl gelang es der Auslegung der staatlichen Schulbehörden, auch an dieser Klippe vorbeizusteuern: Um hier überhaupt zu einer Kontroverse zu gelangen, muß man zunächst dreimal jenen klaren Worten [der Verordnung von 1829, MD] einen diametral entgegengesetzten Sinn unterschieben. Man muß nämlich behaupten, erstens, daß die Worte ‚nach den Grundsätzen der Städteordnung gebildet‘ bedeuten: nicht nach den Grundsätzen der Städteordnung, sondern unabhängig von ihnen gebildet; zweitens, daß ‚rein städtische Schuldeputation‘ bedeutet: eine aus staatlichen und städtischen Elementen gemischte Behörde; drittens, daß das unter ausdrücklicher Berufung auf § 175 St.-O. erwähnte Bestätigungsrecht des Magistrats nicht das Bestätigungsrecht des Magistrats aus § 175 St.-O. sei, sondern vielmehr das Bestätigungsrecht der Regierung aus § 2 der Instruktion von 1811! Und nach diesem dreifachen Salto mortale juristischer Interpretation ist man dann glücklich auf dem unhaltbaren Rechtsboden der Instruktion von 1811 angelangt; man hat die Genugthuung, daß ein staatliches Bestätigungsrecht auch für die Berliner Schuldeputation – doch nicht existiert; nicht nur wegen des klaren Wortlauts der Verordnung von 1829, sondern aus den gegen die Rechtsgiltigkeit der Bestätigungsklausel in der Instruktion von 1811 sprechenden Gründen.55
54 „Zur preußischen Verwaltungsreform“, 35. Schon 1808 hatte man die Notwendigkeit des Unterrichtsgesetzes erkannt, „das nun auch bald das Säkularfest seines Nichtzustandekommens begehen kann“, wie Preuß auf dem Jubiläumsstädtetag in Königsberg 1908 sagte („Ein Jahrhundert städtischer Verfassungsentwicklung“, in: Staat, Recht und Freiheit, 66). Vgl. auch „Recht der städtischen Schulverwaltung“, 46 u. 99. Zum Gesetzentwurf von 1905 siehe die Debatte in der SVV 1905, Nr. 38 (28.12.), 447ff. Auch Geheimrat Cassel war der Auffassung, daß der (letztlich gescheiterte) Gesetzentwurf die Rechte der Selbstverwaltung „nicht nur durchlöchert, sondern nahezu vollständig zertrümmert“ (448); eine Auffassung, der sowohl Preuß (457) wie der Sozialdemokrat Singer (ebd.) zustimmen konnten. Ausführlich zur langjährigen Auseinandersetzung um die Volksschulverfassung E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte IV, 887ff. 55 „Die staatliche Bestätigung der Mitglieder städtischer Schuldeputationen nach preussischem Recht“, in: AöR, 15. Bd. (1900), 202–225, hier 217f. Fast wortgleich auch „Recht der städtischen Schulverwaltung, 31. Alle Ministerialreskripte seien eben immer nur Ausführungen der Städteordnungen von 1808 und 1853, keine Änderungen (ebd., 51). Komplette Übersichten über alle in Frage kommenden Gesetze und Verordnungen (und ihre Rechtsprobleme) hat Preuß mehrfach gegeben, vgl. ebd., 31; „Das Recht der Stadtgemeinden an den Gemeindeschulen in Preußen“, in: Die Nation, 22. Jg. (1904/05), Nr. 3, 3–5; „Das städtische Amtsrecht in Preußen“, 241ff. Ebd., 235, heißt es: „Weist die Organisation der Polizeiverwaltung in Preußen gegenüber
7.2 Hugo Preuß als Stadtverordneter
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Besonders gern griff man seitens des Kultusministeriums erneut auf das Allgemeine Landrecht zurück, das in der Tat dem Staat gegenüber den Kommunen weitreichende Möglichkeiten eingeräumt hatte. Wieder einmal konnte Preuß darauf verweisen, daß alle einschlägigen Bestimmungen dieses Gesetzeswerkes 1808 durch die Städteordnung explizit und komplett aufgehoben worden waren. Das Landrecht sei für die Selbstverwaltung ebensowenig relevant wie für Eisenbahn- oder Telephonwesen; „(m)an darf im Landrecht doch keine Bestimmungen über Dinge suchen, die es zu seiner Zeit noch nicht gab“56. Alle diese staatlichen Interpretationen, Reformen und sonstigen Veränderungen der Städteordnung hatten, ebenso wie die große Revision von 1831, die Preußen gegenüber seinen Kommunen eine „fast schrankenlose Eingriffsbefugnis“57 geben sollte, und die schon 1853 erfolgte Revision der liberalen Gemeindeordnung von 1850 das Ziel, ein zu liberal erscheinendes Gesetz einzuschränken und in seiner Wirkung zu umgehen58. Trotzdem war die Rechtslage für die bedrängte städtische Schulverwaltung durchaus günstig, und so konnte Preuß vom rein politischen Streit zum Teil abgehen und den Streit zu einer Rechtsfrage machen, was die Erfolgsaussichten in einer rechtspositivistischen und politikfeindlichen Kultur verbesserte59. Über den einzelnen konkreten Punkten der Auseinandersetzung stand damit die Frage, wie weit das staatliche Aufsichtsrecht über die Selbstverwaltung reichen sollte. Von seiten des Ministeriums bestand die Neigung, die Verwaltung in vielen Punkten selbst in die Hand zu nehmen und etwa über Beschwerden von und über Lehrkräfte selbst
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der kommunalen Selbstverwaltung noch erheblichste Rudimente des Polizeistaates auf, so erscheint doch dieses Gebiet fast als Eldorado des Rechtsstaates, sobald man es mit dem vergleicht, was man in Preußen mit einer konventionellen Lüge als ‚Schulrecht‘ bezeichnet. In Wahrheit gibt es in Preußen kein Schulrecht; aber was schlimmer ist, an seiner Stelle herrscht ein Chaos von Wust und Moder abgelebter Institutionen, deren formelle Fortexistenz behauptet wird, obgleich sie zu allen Verhältnissen des heutigen Lebens in dem unversöhnlichen Gegensatze des Toten zum Lebendigen stehen; und in diesem Chaos tummelt sich ein Schwarm von Ministerialreskripten und sonstigen Verwaltungsverfügungen, die einander vielfach durchkreuzen und widersprechen, die oft von problematischer Rechtmäßigkeit, manchmal von zweifelloser Rechtswidrigkeit sind.“ „Staatliche Bestätigung“, 207. Ähnlich auch „Das städtische Amtsrecht in Preussen“, 239. Oder, noch knapper: „(J)ede Berufung auf das Landrecht [ist] eine juristische Ungeheuerlichkeit!“ („Recht der städtischen Schulverwaltung“, 14.) U. Lübking und K. Vogelgesang, Die Kommunalaufsicht, 39. Zu diesem durchaus planvollen Vorgehen siehe M. A. Pahlmann, Anfänge des städtischen Parlamentarismus, 65ff.; Wolfgang Hofmann, Die Entwicklung der kommunalen Selbstverwaltung von 1848 bis 1918, in: G. Püttner (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis I, 71–85, hier 77ff. Vgl. „Recht der städtischen Schulverwaltung“, 5f. u. 54ff. Auch in der Vorbemerkung zu dieser Schrift (8) hatte Preuß betont, daß ihr Inhalt allgemein historisch-juristisch sei: „Politisch ist ihr Inhalt nur insofern, als diese fundamentale Rechtsfrage an sich von größter politischer Bedeutung ist. Trotzdem wird man sie vielleicht nach dem bei uns vielfach übliche Maße messen, wonach Untersuchungen, die die herrschende Meinung und die der Regierung rechtfertigen, für juristisch und objektiv, diejenigen aber, die zu entgegengesetzten Resultaten kommen, für politisch und parteiisch gelten.“
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zu entscheiden unter Umgehung der städtischen Schulbehörden. Die Bürgerschaft wehrte sich hiergegen, und Preuß konnte ausnahmsweise bei entsprechenden Vorstößen den Magistrat und die von Geheimrat Oskar Cassel geführte Mehrheit der Stadtverordnetenversammlung auf seiner Seite sehen60. Denn in letzter Instanz war hier das grundlegende Prinzip der Selbstverwaltung angegriffen, war die kommunale Freiheit in der Gefahr, einem zentralisierenden Staatsabsolutismus zum Opfer zu fallen. Preuß hat 1905 in seiner Monographie seinen Standpunkt zusammengefaßt: So häufen sich von allen Seiten die rechtlichen und tatsächlichen Unmöglichkeiten dieses herrschenden Systems, das nichts unversucht läßt, mit alleiniger Ausnahme der einfachen Anerkennung des rechtlich und tatsächlich bestehenden Zustandes. ... Die städtischen Schuldeputationen sind rein kommunale Organe gleich allen anderen Verwaltungsdeputationen; die städtischen Schulen sind Gemeindeanstalten; die städtischen Lehrer sind Gemeindebeamte; die Schulinspektion führt die Stadtgemeinde als solche durch ihre schultechnischen Organe unter Oberaufsicht des Staates.61
Mit dieser Lage konnte sich der Staat etwa bei der städtischen Armenfürsorge einfach abfinden; bei den städtischen Schulen war dies offenbar nicht möglich62. Abgesehen von diesen übergeordneten Gesichtspunkten, die hinter jeder Debatte um das Schulrecht standen, gab es im Detail über die Jahre hinweg vor allem drei neuralgische Punkte. Der erste war die in zahlreichen Ministerialreskripten genutzte Trennung der inneren von der äußeren Schulverwaltung; ein Begriff, der aus dem Rechtskreis des Kirchenpatronats herrührte. Die Interna der Schule waren nach dieser Auffassung rein staatlich, die Externa städtisch unter staatlicher Aufsicht. Diese Abgrenzung war von vornherein von fraglicher rechtlicher Güte und von noch fraglicherer Durchführbarkeit. Eine Basis in der Städteordnung hatte sie nicht, und die Trennlinie zwischen inneren und äußeren Schulangelegenheiten war nicht sauber zu ziehen. Das war aber möglicherweise auch gar nicht beabsichtigt, denn hier war dem Kultusministerium ein Einfallstor gegeben, über das es langsam die ganze Gemeindebeteiligung an den Gemeindeschulen – außer der finanziellen – aushebeln konnte63. Das ging so weit, daß das Ministerium es der Stadt untersagte, die Schulgebäude der Gemeindeschulen für Veranstaltungen zur Verfügung zu stellen, die ihm politisch anrüchig erschienen – „was in aller Welt 60 Sten. Ber. SVV 1907, Nr. 26 (3.10.), 321ff. Vgl. „Recht der städtischen Schulverwaltung“, 42 u. 93ff. Cassel, seit 1903 Mitglied des Abgeordnetenhauses, war Rechtsanwalt und in vielen deutsch-jüdischen Vereinen und Verbänden engagiert. Zu ihm siehe Walther Killy (Hrsg.), Deutsche Biographische Enzyklopädie, 2. Bd., München usw. 1995, 293. 61 „Recht der städtischen Schulverwaltung“, 89. Vgl. ebd., 7 u. 18; sowie „Zum Recht der städtischen Schulverwaltung. Eine Replik“, in: AöR, 20. Bd. (1906), 230–264, hier 249f. Siehe auch Sten. Ber. SVV 1895, Nr. 33 (28.11.) 332. 62 Zur modernen Rechtslage siehe Dieter Siebenborn, Schulaufsicht und kommunale Selbstverwaltung, in: G. Püttner (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis IV, 177– 181. 63 Zu der erheblichen finanziellen Belastung der Kommunen durch das Volksschulwesen siehe W. R. Krabbe, Die deutsche Stadt im 19. und 20. Jahrhundert, 108.
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sollte noch zu den Externa gehören, wenn nicht die Verfügung über die Gebäude während der schulfreien Zeit?“64 Erneut ging die Stadtverordnetenversammlung einmütig gegen diese Verwaltungswillkür vor65. In engem Zusammenhang damit stand der zweite Punkt, die bereits kurz angesprochene Frage der Bestätigung der Mitglieder der städtischen Schuldeputation durch das Ministerium bzw. sein nachgeordnetes Organ, das Provinzialschulkollegium. Aus der Trennung der Interna/Externa leitete der Staat dieses Recht ab: Das ist nämlich der köstlich bittere Humor bei der Sache: wegen ihrer angeblichen Befugnisse auf dem angeblich rein staatlichen Gebiet der sogenannten inneren Schulangelegenheiten wird dieser Deputation ihr kommunaler Charakter abgesprochen, werden ihre Mitglieder einer staatlichen Bestätigung unterworfen, und nachdem dies in fraudem legis durchgesetzt ist, hat in allen inneren Schulangelegenheiten die Deputation in Wirklichkeit nichts, der vom Staate ernannte, lediglich staatlichen Behörden untergeordnete Schulinspektor alles zu sagen.66
Die staatliche Bestätigung für Mitglieder der Schuldeputation ist über ein volles Jahrhundert vom Ministerium immer wieder gefordert und von den Städten immer wieder bestritten worden67. Abgesehen von der prinzipiellen Bedeutung der Angelegenheit ging es der Regierung darum, auf diese Art einzelne mißliebige Stadtverordnete aus der Deputation herauszuhalten; etwa den Fraktionsvorsitzenden der Sozialdemokraten in der Stadtverordnetenversammlung, Paul Singer68, der auch im Reichstag die Fraktion der Sozialdemokraten führte und der 1898 in die Schuldeputation gewählt wurde. Dies geschah nicht wegen einer plötzlichen Übereinstimmung zwischen Liberalismus und Sozialdemokratie in der Stadtverordnetenversammlung, sondern wegen der Stärke, die die SPD-Fraktion inzwischen erreicht hatte. Der Staat verweigerte die Bestätigung, und da der Magistrat die Rechtsauffassung des Staates im Gegensatz zur Praxis der vergangenen Jahrzehnte diesmal teilte und dem Staat das Bestätigungsrecht nicht bestritt, war der doppelte Konflikt vorgezeichnet. Einmütig lehnte die Stadtverordnetenversammlung die Aufforderung des Magistrats ab, eine Neuwahl vorzunehmen; im Gegensatz zu Hugo Preuß’ Antrag geschah dies aber kommentarlos und nicht mit der ausdrücklichen Feststellung, daß die Rechtsauffassung von Staat und Magistrat irrtümlich sei69. Zur gleichen Zeit, 1898/99, gab es ohnehin schon eine schwelende Auseinandersetzung zwischen der Stadtverordnetenversammlung und den staatlichen 64 „Recht der Stadtgemeinden an den Gemeindeschulen“, 4. 65 Sten. Ber. SVV 1904, Nr. 29 (6.10.) 399ff.; u. Nr. 39 (15.12.) 535ff. Siehe hierzu „Recht der städtischen Schulverwaltung“, 66ff. Dieser Streit über die Verfügungsgewalt über die Schulgebäude war auch der äußere Anlaß für Preuß’ Monographie. Zum kirchenrechtlichen Ursprung der Trennung der Externa von den Interna siehe „Das städtische Amtsrecht in Preußen“, 241. 66 „Das städtische Amtsrecht in Preussen“, 252. 67 Vgl. „Staatliche Bestätigung“, 203ff., 213ff. u. 218; „Zur preußischen Verwaltungsreform“, 100. 68 Zu ihm vgl. E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte IV, 105. 69 Sten. Ber. SVV 1898, Nr. 26 (23.10.) 251ff.; u. SVV 1899, Nr. 20 (15.6.) 191ff. Vgl. auch „Recht der städtischen Schulverwaltung“, 60ff.
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Aufsichtsbehörden, denn auch der neugewählte Oberbürgermeister Martin Kirschner mußte ungebührlich lange auf die Bestätigung in seinem Amt warten. Detlef Lehnert vermutet wahrscheinlich zutreffend, daß das Aufeinandertreffen dieser beiden mißbräuchlichen Verweigerungen eines wenigstens im Falle Singers rechtlich problematischen Bestätigungsrechts einen gewissen Einfluß auf die Schärfung der diesbezüglichen Preußschen Rechtsauffassungen gehabt haben wird70. Der letzte Streitpunkt in diesem Zusammenhang war die Frage der Rechtsstellung der Lehrer an den Gemeindeschulen, die von der der Gemeinde angestellt und bezahlt wurden, nach Auffassung der preußischen Regierung aber weder Gemeinde- noch Staatsbeamte waren, auch nicht mittelbare Staatsbeamte, sondern mittelbare Beamte schlechthin, ohne einem engeren Gemeinwesen als unmittelbares Organ anzugehören. Es war für Hugo Preuß nicht schwierig, die juristischen Probleme dieser Konstruktion aufzuzeigen71. Sah sich Hugo Preuß in allen diesen Fragen als Verteidiger – wissenschaftlich, publizistisch und politisch – der Rechte der Selbstverwaltung gegenüber staatlichen Eingriffen und Angriffen, blieb doch andererseits auch das Verhältnis der Stadtgemeinde Berlin zu ihren Bediensteten, insbesondere zu ihren Lehrern, nicht ohne Spannungen. Das kommunale Zweikammersystem mit der organisatorischen Trennung des vielköpfigen, kollektiv verantwortlichen Magistrats von der Stadtverordnetenversammlung brachte es mit sich, daß der Magistrat sich oftmals in diese Kollektivverantwortung flüchtete und die Ausführung ihm mißliebiger Beschlüsse der Stadtverordnetenversammlung umging72. Einig waren sich Magistrat und die Mehrheit der von Cassel geführten „Linken Fraktion“, die diesen Namen auch eher als Erbe der Vergangenheit denn als Anspruch für die Gegenwart führte, wenn es um die Besoldung der Gemeindelehrer ging. Als sparsame Hausväter überließen sie die einstmals führende Rolle Berlins in der Entlohnung ihrer Bediensteten und insbesondere der Lehrer immer mehr anderen Kommunen, wobei sie weder die höheren Lebenshaltungskosten in der Reichshauptstadt, noch die nachlassende Bereitschaft qualifizierter Lehrer beeindruckte, zum angebotenen Gehalt zu arbeiten. Diese Bereitschaft sank auch dadurch, daß die reichen Vorstädte Berlins die Hauptstadt bei ihren Angeboten immer deutlicher überflügelten. Zwischen 1897 und 1908 hat Hugo Preuß bei nicht weniger als 18 Gelegenheiten das Wort ergriffen, um für eine Erhöhung der Lehrerbesoldung einzutreten, 70 D. Lehnert, Kommunale Institutionen, 177. Vgl. ebd., 160ff., zum Fall Kirschner. 71 Vgl. „Recht der Stadtgemeinden an den Gemeindeschulen“, 4: „Was sind die Lehrer an Gemeindeschulen? ‚Mittelbare Staatsbeamte‘, antwortet die herrschende Praxis. Also Gemeindebeamte? Um Gotteswillen nicht! Also dann doch unmittelbare Staatsbeamte? Auch nicht, sondern mittelbare schlechthin. Aber das gibt’s ja garnicht: mittelbare Staatsbeamte, die doch keines engeren Gemeinwesens unmittelbare Organe sind. Doch das Unmögliche muß möglich gemacht werden, bloß um die einfache Wahrheit zu verleugnen, daß die Gemeindelehrer Gemeindebeamte sind und garnichts anderes sein können.“ Das „juristische Monstrum“ („Recht der städtischen Schulverwaltung“, 82) dieser Konstruktion könne darüber nicht hinwegtäuschen. Ähnlich auch „Das stätische Amtsrecht in Preussen“, 257. 72 Siehe etwa Sten. Ber. SVV 1908, Nr. 37 (17.12.) 441.
7.2 Hugo Preuß als Stadtverordneter
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die durchweg über dem lag, was Magistrat und Mehrheit zuzugestehen bereit waren. Ebensowenig Unterstützung fand sein Eintreten dafür, Lehrern und Lehrerinnen für gleiche Arbeit auch gleichen Lohn zu zahlen. Seine liberalen Kollegen ließen sich auch nicht durch Appelle beeindrucken, die die traditionelle liberale Erziehungs- und Bildungspolitik ansprachen. So hatte Preuß denn sogar die für ihn makabre Genugtuung, daß sich das Eingreifen der Aufsichtsbehörde auch einmal in seinem Sinne auswirkte, als der preußische Staat eine Gehaltsnovelle, die Preuß als ganz unzureichend bekämpft hatte, gleichfalls ablehnte und von der Stadt die Nachbesserung verlangte, die Preuß von Anfang an vorgeschlagen hatte73. Aber das war ein geringer Trost, da seine inhaltlichen Vorstellungen auf eine Art erreicht wurden, die er prinzipiell bekämpfte. Der Berliner Schulstreit im Kaiserreich kulminierte in dem Fall der jüdischen Lehrerinnen, der mit einer Verfügung des Provinzialschulkollegiums vom 16. August 1895 begann und im Grunde bis zum Vorabend des Weltkrieges fast 20 Jahre später immer wieder auf der Tagesordnung stand, dessen „heiße Phase“ aber in dem Jahrfünft von 1895 bis 1899 lag. Das Ministerium verfolgte das Ziel, die Zahl der jüdischen Lehrerinnen an den Gemeindeschulen zu verringern74. Der Anlaß zum Eingreifen war gegeben, als eine jüdische Lehrerin nach dem Krankheitsausfall mehrerer christlicher Kollegen im Frühjahr 1895 an einer Schule neutestamentlichen Memorierstoff abfragte – ein Vorfall, der umgehend von der antisemitischen Agitation genutzt wurde75. In den nun folgenden Erlassen ergriff Minister Bosse diese Gelegenheit: die Lehrerlaubnis wurde für jüdische Lehrerinnen stark eingeschränkt und im Prinzip auf jüdische Religion begrenzt. Vor allem sollten die zum Teil schon seit Jahrzehnten an den Schulen tätigen Lehrkräfte in Zukunft kein Ordinariat mehr erhalten, also nicht mehr als Klassenlehrer amtieren dürfen, wenn nicht mindestens 10 jüdische Kinder in der Klasse seien. Damit hatte das Kultusministerium die Lehrer jüdischen Glaubens zu Lehrern zweiter Klasse gemacht, die sichtbar diskriminiert wurden und deren berufliches Fortkommen durch die stark eingeschränkte Verwendungsmöglichkeit erheblich 73 Siehe Sten. Ber. SVV 1897, Nr. 31 (18.11.) 335ff., u. Nr. 32 (25.11.) 349ff.; SVV 1898, Nr. 8 (10.3.) 55ff., Nr. 16 (26.5.) 149ff. (in dieser Sitzung wurde Preuß vorgeworfen, die Stellung der Stadt gegenüber der Aufsichtsbehörde sehr verschlechtert zu haben!), Nr. 24 (29.9.) 235ff.; SVV 1900, Nr. 12 (22.3.) 178 u. 191, Nr. 21 (14.6.), 303ff.; SVV 1903, Nr. 3 (22.1.) 15ff, Nr. 8 (5.3.) 85ff., Nr. 9 (12.3.) 114ff. (einer der wenigen Erfolge von Preuß, als eine Ortszulage von 200 Mark gegen den Widerstand des Magistrats mit 57:48 angenommen wurde), Nr. 12 (2.4.) 154; SVV 1904, Nr. 11 (17.3.) 164; SVV 1905, Nr. 10 (9.3.) 135, Nr. 12 (22.3.) 162; SVV 1906, Nr. 10 (8.3.) 115; SVV 1907, Nr. 3 (31.1.) 27; SVV 1908, Nr. 9 (27.2.) 113ff., Nr. 24 (4.6.), 314. Siehe auch „Politik und Kommunalpolitik“, in: Die Nation, 15. Jg. Nr. 9 (27.11.’97), 132f. 74 Generell hierzu E. Hamburger, Juden im öffentlichen Leben Deutschlands, 61f. 75 Die entsprechenden Unterlagen mit den Verordnungen, den Schreiben vom Provinzialschulkollegium und den in die andere Richtung gehenden Schreiben des Magistrats, sowie Eingaben, Petitionen und Zeitungsartikel sind gesammelt im Berliner Stadtarchiv (ehemals Ost-Berlin), Rep. 20–01 Schuldeputation, Bd. 364 u. 365 „Acta betr. jüdische Lehrer, Lehrerinnen und Schüler“, Bd. 2 u. 3.
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7. Der Berliner Kommunalpolitiker
behindert war. Natürlich wehrten sich die Betroffenen in Eingaben und Petitionen76, aber auch die Stadt blieb nicht untätig. Der ministerielle Erlaß warf nämlich die Volksschulen wieder in die Zeit der evangelisch-christlichen Konfessionsschule zurück, die man wenigstens in Berlin überwunden glaubte durch bekenntnisunabhängige Gemeindeschulen. Vielleicht war dies auch der eigentliche Anlaß des Streits, denn die glaubensübergreifende sogenannte „Simultanschule“ gab es außer in Berlin nur noch im liberalen Baden, während alle anderen öffentlichen Volksschulen Deutschlands einem religiösen Bekenntnis zugeordnet waren77. Damit waren jüdische Lehrkräfte von diesem Beruf praktisch ausgeschlossen bzw. auf private Schulen beschränkt. Berlin war eine letzte Lücke in diesem ganz Preußen umfassenden System der Diskriminierung, und das preußische Staatsministerium war begierig, diese Lücke zu schließen. Zugleich bedeutete das Vorgehen des Ministeriums natürlich auch einen neuerlichen Eingriff in die kommunale Autonomie, den es unabhängig von seinem konkreten Anlaß abzuwehren galt. In den folgenden Monaten und Jahren häuften sich die Debatten in der Stadtverordnetenversammlung, Eingaben an das Provinzialschulkollegium und an den Minister, und in den Archiven der Stadt schwoll ein Aktenberg an78. Auch Hugo Preuß wurde einer der ausdauerndsten Fürsprecher der bedrängten Lehrerinnen79. Aber ob auf die Verfassungswidrigkeit des ministeriellen Vorgehens hingewiesen wurde, auf die Diskriminierung der Lehrerinnen oder auf die sozialen Härten, die die Erlasse notwendig mit sich brachten: das Ministerium zeigte sich zwar im Einzelfall konziliant, blieb aber in der Sache hart. Die Grenzen kommunaler Selbstverwaltung lagen unabhängig von der Städteordnung immer noch im Ministerwort. Das wird gerade in diesem Fall aus den einschlägigen Akten im Berliner Stadtarchiv überdeutlich. Das Ministerium verwies allen Eingaben und Vorhaltungen gegenüber schlicht auf seine Verordnungen, 76 Etwa das „Gesuch der festangestellten jüdischen Gemeindeschullehrerinnen Berlins an den Magistrat“ vom 28.2.’96 (StAB, Rep. 20–01, Bd. 364, Bl. 5–6), in dem der Magistrat aufgefordert wird, gegen die Ministerialverfügung vom 27.12.’95 vorzugehen, in der die Petenten „zu Lehrerinnen untergeordneten Ranges herabgewürdigt“ seien. Oder die Eingabe des „Neuen Volksschullehrerinnen-Vereins“ vom 29.11.’98 (ebd., Bl. 183) fast gleichen Inhalts. 77 Monika Richarz, Berufliche und soziale Struktur, in: M. A. Meyer (Hrsg.), Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit III, 39–68, hier 59. 78 In der Stadtverordnetenversammlung fand der Minister im Antisemiten Pretzel, dem zu diesem Zeitpunkt letzten Überrest der einstmals starken antisemitischen Partei, einen isolierten Fürsprecher, während sich die Fraktionen ansonsten einig waren. Siehe etwa Sten. Ber. SVV 1895, Nr. 21 (20.6.) 211ff.; SVV 1896, Nr. 11 (19.3.) 115ff; SVV 1898, Nr. 34 (1.12.) 359ff.; SVV 1899, Nr. 11 (23.3.) 106ff., u. Nr. 31 (26.10.) 325ff. 79 Preuß hielt bei allen in der vorigen Anmerkung angeführten Anlässen zum Teil ausgedehnte Reden. Seine Ausführungen in der Sitzung vom 1.12.’98 veröffentlichte er gesondert unter dem Titel „Die Maßregelung jüdischer Lehrerinnen an den Berliner Gemeindeschulen. Stenographischer Bericht nebst einer orientirenden Vorbemerkung“, Berlin 1898. Hierzu auch „Das Bekenntnis des Kultusministers und die Konfessionalität der Berliner Schulen“, in: Die Nation, 16. Jg. Nr. 28 (8.4.’99), 396–398.
7.2 Hugo Preuß als Stadtverordneter
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die einer Änderung nicht bedürften. 1905, ein Jahrzehnt nach Beginn der Auseinandersetzung, gab es in ganz Preußen nur noch 48 jüdische Lehrer an öffentlichen Schulen80. Alles in allem ist die Berliner Schulpolitik in der Zeit, in der Hugo Preuß als Stadtverordneter an ihr mitwirken konnte, ein langer, zäher und größtenteils erfolgloser Verteidigungskampf gegen den Versuch des Staates gewesen, von der Aufsicht den Schritt zur eigenen Entscheidung gehen zu können. In allen großen Einzelfragen, dem Bestätigungsrecht für die Mitglieder der Schuldeputation, der Verfügungsgewalt über die Schulgebäude und dem Ordinariatsrecht jüdischer Lehrkräfte, setzte sich letztlich die staatliche Linie durch. Aber der staatliche Machtanspruch, der auf dem sensiblen Gebiet der Schulpolitik alle kommunalen Wünsche überrollte, war auf anderen Bereichen weniger ausgeprägt. In Verkehrsfragen wie in Fragen der Versorgung der Bevölkerung mit Gas, Wasser und Elektrizität war der der Stadt belassene Spielraum erheblich größer. Dies bedeutete aber keine größere Einigkeit, und vielleicht war die staatliche Zurückhaltung auch dadurch bedingt, daß die Stadtverordneten in diesen Fragen bereits untereinander gründlich geteilt waren. Kommunale Wirtschaftsbetriebe In den Problembereichen, in denen die rigide Staatsaufsicht eine einheitliche Stellungnahme der Stadtverordnetenversammlung geradezu erzwang, wurden die unterschiedlichen Positionen der liberalen Fraktionen nur in Nuancen sichtbar. Gleichwohl bestanden zwischen ihnen gravierende Differenzen, die überall dort an die Oberfläche kamen, wo wirklich politische Gestaltung möglich war. Diese Differenzen gingen nicht nur um die unterschiedliche Bewertung konkreter Handlungsalternativen, sondern bestanden auch und vor allem in grundsätzlichen Fragen. Fast alle wirtschaftlichen Entscheidungen der Stadt hatten eine gewichtige sozialpolitische Tragweite, und da die liberale Mehrheit eher an einem freien ManchesterLiberalismus als an der Sozialpolitik des Kaiserreiches ausgerichtet war, sah sich Hugo Preuß mit der kleinen Gruppe seiner Fraktionsgenossen erneut in einer Minderheit, die sich diesmal noch durch den zusätzlichen Verdacht sozialdemokratischer Neigungen ausgegrenzt sah. Im Prinzip ging es um den Übergang von einer älteren, ordnenden Verwaltung zu einer modernen Leistungsverwaltung81. Der Begriff der Leistungsverwaltung hat sich trotz etwas anrüchigem Ursprung82 in der kommunalhistorischen Forschung durchgesetzt. Er kennzeichnet die Entstehung und Entwicklung einer umfassenden 80 M. Richarz, Berufliche und soziale Struktur, 60. 81 Zu diesem Übergang O. Ziebill, Politische Parteien und kommunale Selbstverwaltung, 16. 82 Er läßt sich zurückführen auf Ernst Forsthoff, Die Verwaltung als Leistungsträger, Stuttgart und Berlin 1938.
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7. Der Berliner Kommunalpolitiker
kommunalen Verwaltung zwischen ca. 1850 und 1914, die ein immer größer werdendes Angebot städtischer Leistungen für ihre Bürger bereit hielt83. Nach und nach übernahmen die Städte Aufgaben auf dem Gebiet der hygienischen Gesundheitsvorsorge84, der Verkehrsbetriebe, der Wasser-, Gas- und Elektrizitätsversorgung85. Alle diese Dienste sind anfangs zumeist von privaten Anbietern unternommen, durch Ablösung älterer Verträge aber nach und nach in städtischer Regie fortgeführt worden. Zusammenfassend kann das Bündel der neuen und sich in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts kontinuierlich steigernden städtischen Dienstleistungen als Munizipalsozialismus bezeichnet werden, was zugleich die Herkunft der Ideen aus der englischen Fabian Society und dem deutschen Kathedersozialismus deutlich macht86. Eine solche weitgehende und unumkehrbare Abweichung von den klassischen liberalen Dogmen konnte in einer liberal beherrschten Stadtverordnetenversammlung nicht ohne Widerspruch bleiben. In Berlin waren über Jahrzehnte hinweg lange Auseinandersetzungen und viele Rückschläge erforderlich, bevor sich die Mehrheit der Versammlung mit einer aktiven Rolle der Stadt einverstanden erklärte87. Die Wandlung der städtischen Aufgaben bedeutete in der Sache eine ganz erhebliche Ausweitung ihres Verwaltungsapparates und ihres wirtschaftlichen Engagements, aber noch gravierender dürften die aus ihrem Verständnis des Liberalismus erwachsenden Probleme gewesen sein, die viele Kommunalpolitiker mit dieser Entwicklung hatten. Als Preuß in einer Sitzung der Stadtverordneten 1899 eine von ihm vorgeschlagene Maßnahme mit der rhetorischen Frage unterstützte, wie die Stadt denn sonst Sozialpolitik machen solle, schlugen ihm „(l)ebhafte Zurufe“ entgegen: „Braucht sie ja gar nicht!“88 Man muß sich dabei vor Augen halten, daß diese spontane und grundsätzliche Ablehnung fast zwei Jahrzehnte nach dem 83 Zum Begriff siehe Horst Matzerath, „Kommunale Leistungsverwaltung“. Zu Bedeutung und politischer Funktion des Begriffs im 19. und 20. Jahrhundert, in: H. H. Blotevogel (Hrsg.), Kommunale Leistungsverwaltung, 3–24. 84 In Berlin ist die Kanalisation der Stadt die große Leistung des wegen der Mietskasernen gescholtenen Hobrecht; vgl. K. Strohmeyer, James Hobrecht, 105ff. 85 Als Fallstudie, in der die Verknüpfung der drei Modernisierungsstränge städtische Hygiene, Gasversorgung und Verkehr überzeugend analysiert wird, siehe Dieter Schott, Die Vernetzung der Stadt. Kommunale Energiepolitik, öffentlicher Nahverkehr und die „Produktion“ der modernen Stadt. Darmstadt – Mannheim – Mainz 1880–1918, Darmstadt 1999. 86 Als Überblick Wolfgang R. Krabbe, Munizipalsozialismus und Interventionsstaat. Die Ausbreitung der Städtischen Leistungsverwaltung im Kaiserreich, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, 30 (1979), 265–283; ders., Die Entwicklung der modernen Leistungsverwaltung in den deutschen Städten des späten 19. Jahrhunderts, in: H. J. Teuteberg (Hrsg.), Urbanisierung im 19. und 20. Jahrhundert, 373–391; H. Matzerath, Urbanisierung in Preußen, 334ff. 87 Mit Bezug auf das Wohnungswesen hat Chr. Bernhardt, Bauplatz Groß-Berlin, 250, dies zurecht als „eine aus Ignoranz und grundsätzlichen Vorbehalten gegenüber einer Intervention ... gespeiste Haltung“ gekennzeichnet. 88 Sten. Ber. SVV 1899, Nr. 37 [14.12.] 392.
7.2 Hugo Preuß als Stadtverordneter
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Beginn der staatlichen Sozialpolitik in Deutschland erfolgte. Anscheinend war dies für viele liberale Politiker zu kurz, um sich an den Gedanken zu gewöhnen89. Die Differenzen zwischen den Fraktionen der Stadtverordnetenversammlung zeigten sich bereits bei der Frage der Finanzierung der städtischen Aufgaben. Zum klassischen Liberalismus gehörte neben einer generellen Scheu vor Steuern die vehemente Ablehnung indirekter Besteuerung. Hugo Preuß sah hierin kein politisches Dogma und schlug über 15 Jahre hinweg neben indirekten Steuern, die nach der Natur der Leistungen, für die sie erhoben werden sollten, von den vermögenden Schichten Berlins aufzubringen gewesen wären, immer wieder auch Kommunalsteuern vor, die unverdiente Profite wie etwa den Wertzuwachs bei Grundstücken, abschöpfen sollten. Die Mehrheit blieb, solange es ging, prinzipientreu und lehnte diese Vorstellungen ab90. Ebenso grundsätzlich waren die Bedenken dagegen, überhaupt irgendwelche Betriebe in unmittelbare städtische Regie zu übernehmen. Ganz am Anfang seiner Laufbahn hatte auch Preuß dieses liberale Credo geteilt. Aber darüber war er bald hinaus; Liberalismus hieß für ihn nicht, jeden Staats- oder Stadteingriff aus prinzipiellen Erwägungen abzulehnen91. Das Problem war für ihn in der Frage wirtschaftlicher Aktivitäten der Kommunen anders gelagert: Ob Straßenbahnen, Gas-, Wasser-, Elektrizitätswerke von der Stadt oder von einer Erwerbsgesellschaft betrieben werden, das ist nicht bloß ein Unterschied in der Person des Eigentümers, sondern im Wesen des Betriebs, der Gegensatz von privatwirtschaftlicher und publizistischer Verwaltung. Im Laufe dieser Entwicklung kommen die Anhänger der alten ökonomischen und politischen Lehre in das schwierige Dilemma, entweder ihre prinzipielle Abneigung gegen Monopole oder ihre ebenso prinzipielle Abneigung gegen publizistische Betriebe überwinden zu müssen. Denn es gibt auf allen jenen Gebieten für die Dauer kein anderes Mittel gegen die vom Standpunkt der kommunalen Verwaltung aus unerträglichen Zustände des Privatmonopols, als die Kommunalisierung. So wird die Stadt mehr und mehr zum größten Unternehmer,
89 Als Überblick siehe Gerhard A. Ritter, Der Sozialstaat. Entstehung und Entwicklung im internationalen Vergleich, 2. überarb. u. erhebl. erw. Aufl., München 1991. 90 Schriftlich niedergelegt hat Preuß seine Ansichten in seinem Referat „Kommunale Steuerfragen“ 1904. Zu den Debatten in der Stadtverordnetenversammlung siehe Sten. Ber. SVV 1896, Nr. 4 (30.1.) 27ff., Nr. 9 (5.3.) 91ff., Nr. 24 (24.9.) 271ff.; SVV 1901, Nr. 33 (31.10.) 353ff.; SVV 1905, Nr. 8 (28.4.) 111ff.; SVV 1906, Nr. 21 (17.5.) 247ff.; SVV 1910, Nr. 8 (3.3.) 101, Nr. 20 (9.6.) 260. 91 Gegen städtische Wirtschaftsbetriebe spricht Preuß sich aus in seinem Aufsatz „Die Bodenbesitzreform als sociales Heilmittel“, 85. Aber dieser Aufsatz von 1892, drei Jahre vor dem Eintritt Preuß’ in die Stadtverordnetenversammlung geschrieben, war wenigstens in diesem Punkt bald für seinen Autor nicht mehr maßgebend. 1897 tritt er (Sten. Ber. SVV 1897, Nr. 15 [15.4.] 150) für eine städtische Arbeitszeitbegrenzung für Wagenlenker aus; „so ist es doch wahrlich nicht eine Art von religiösem Grunddogma, zu sagen: die Stadt darf nie und nimmer in die Verhältnisse eines Arbeitgebers eingreifen“. Ähnlich befürwortet er zwei Jahre später (SVV 1899, Nr. 37 [14.12.] 391f.) Lohnklauseln in städtischen Verträgen mit Privatfirmen.
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7. Der Berliner Kommunalpolitiker und zwar in solchen Betrieben, deren ungestörter Fortgang nicht bloß ein privatwirtschaftliches, sondern weit mehr noch ein öffentliches Interesse ist, das an Intensität hinter keinem Staatsinteresse zurücksteht.92
Es waren also keine theoretischen, aber auch keine ökonomischen Gründe im engeren Sinne, die Preuß zu dieser Haltung bewogen. Natürliche Monopole waren im Interesse der Allgemeinheit auch durch die Allgemeinheit zu betreiben, da in diesen Fällen nicht das Monopol, sondern die Konkurrenz künstlich war93. Preuß hatte keine Bedenken, hierfür den für ein klassisch-liberales Verständnis problematischen Begriff des Munizipalsozialismus für sich anzunehmen94. Der Gedanke an eine Reprivatisierung der in städtischer Regie stehenden Betriebe stand für ihn etwa auf derselben Höhe des Gedankens, als wenn man die Möglichkeit einer Rückkehr zum System der Steuerpächter ins Auge fassen wollte95.
Diese Höhe des Gedankens wurde von einigen Stadtverordneten durchaus erklommen. Die Kommunalisierung von Wirtschaftsbetrieben war für die Mehrheit der Versammlung Anathema, solange es irgend ging96. Dabei gab es städtische Gaswerke schon vor der Revolution von 1848, und auch die Berliner Wasserversorgung wurde mit dem Beginn des Kaiserreiches von den bisherigen Privatunternehmern in die öffentliche Hand übernommen97. Damit war aber die Bereitschaft, vom Pfade wirtschaftsliberaler Theorie abzuweichen, auch erschöpft. Die Streitpunkte ergaben sich vor allem bei der Elektrizitätsversorgung und bei den Nahverkehrsbetrieben. Die erste Debatte um die Elektrizitätswerke98 wurde bereits 1898 geführt, als die ursprünglich geschlossenen Verträge mit der AEG ausliefen. Elektrizität war 92 „Entwicklung des deutschen Städtewesens“, 378. 93 Vgl. „Ein sozialpolitischer Schwanengesang“, in: Pr.Jbb., 136. Bd. (1909), 103–116, hier 111; und „Zur sozialen Entwickelungstendenz städtischer Selbstverwaltung“, 864. 94 Vgl. Elfi Bendikat, Öffentliche Nahverkehrspolitik in Berlin und Paris 1890–1914. Strukturbedingungen, politische Konzeptionen und Realisierungsprobleme, Berlin und New York 1999, 420f. 95 „Das städtische Amtsrecht in Preussen“, 432. Zur Verteidigung des Munizipalsozialismus auch „Burgfriedliche Gedanken zur Verwaltungsreform“, in: Staat, Recht und Freiheit, 108; „Sozialpolitischer Schwanengesang“, 104ff. u. 114. Allgemein vgl. H. Heffter, Die deutsche Selbstverwaltung, 610. 96 Das Defensive der letztlich vorgenommenen Kommunalisierungen betont auch E. Bendikat, Öffentliche Nahverkehrspolitik in Berlin und Paris 1890–1914, 461. 97 Vgl. G. Richter, Zwischen Revolution und Reichsgründung, 653f.; und M. Erbe, Berlin im Kaiserreich, 710ff. Generell siehe Horst A. Wessel, Die Versorgung von Kommunen mit Wasser, Gas und elektrischer Energie von etwa 1850 bis 1914, in: Josef Wysocki (Hrsg.), Kommunalisierung im Spannungsfeld von Regulierung und Deregulierung im 19. und 20. Jahrhundert, Berlin 1995, 49–98; Wolfgang R. Krabbe, Städtische Wirtschaftsbetriebe im Zeichen des ‚Munizipalsozialismus‘. Die Anfänge der Gas- und Elektrizitätswerke im 19. und frühen 20. Jahrhundert, in: H. H. Blotevogel (Hrsg.), Kommunale Leistungsverwaltung, 117–135, hier 119ff. Berlin und Hannover hatten schon 1840 öffentliche Gaswerke. 98 Generell siehe W. R. Krabbe, Städtische Wirtschaftsbetriebe, 125ff.; Margit Grabas, Kommunalisierungsprozesse im Wandel von Prosperität und Stagnation. Dargestellt am Beispiel der
7.2 Hugo Preuß als Stadtverordneter
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ein besonders heikles Thema, denn anfänglich war diese Energie teuer und wenig attraktiv; es galt als sehr fraglich, ob sie sich gegenüber dem bewährten Gas durchsetzen würde99. Die Stadt konnte in dieser Lage die alten Verträge verlängern oder gegen eine Entschädigung die Betriebe in eigener Regie übernehmen. Wieder gab es in der Versammlung das gewohnte Bild: die Sozialdemokraten, die kleine Fraktion von Hugo Preuß und vereinzelte Stimmen votierten für die Übernahme, die Mehrheit wollte die Verträge verlängern100. Mit fast den gleichen Argumenten wiederholte sich die Debatte 15 Jahre später. Hugo Preuß war inzwischen aus der Stadtverordnetenversammlung in den Magistrat übergewechselt, wo er mit den gleichen sozialpolitischen Argumenten wie vor 15 Jahren für die Nichtverlängerung eintrat. Aus fiskalischen Gründen befürwortete auch der Stadtkämmerer die Übernahme der inzwischen sehr lukrativen Betriebe, aber erneut stand die Mehrheit des Magistrats dem ganzen Projekt sehr skeptisch gegenüber. Die Debatte wurde radikal mit dem Kriegsausbruch beendet, da nun die AEG selber angesichts der ungeklärten Lage kein Interesse mehr an einer Vertragsverlängerung besaß. Nolens volens – und wie die Stenographischen Berichte der Stadtverordnetenversammlung zeigten, deutlich mehr nolens als volens – mußte die Stadt jetzt eingreifen. Am 1. Oktober 1915 vollzog sich gegen den Willen der meisten Beteiligten diese größte Kommunalisierung der Berliner Stadtgeschichte101. Noch schwieriger war das Problem des größtenteils mit Straßenbahnen durchgeführten Nahverkehrs102. Technische Entwicklungen erlaubten eine immer bessere und vielfältigere, den unterschiedlichen Bedürfnissen angepaßte Entwicklung der verschiedenen öffentlichen Verkehrsträger103. Aber zugleich wirkte sich hier schärfer als in den meisten anderen rein wirtschaftlichen Fragen die kommunale
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Versorgungswirtschaft im Kaiserreich, in: J. Wysocki (Hrsg.), Kommunalisierung, 91–120, hier 98ff. Vgl. H. A. Wessel, Die Versorgung von Kommunen, 77ff. Der Erfolg war allerdings durchschlagend; 1880 gab es keine Stadt in Deutschland mit zentraler Elektrizitätsversorgung, 1913 fast keine Stadt mehr ohne diese moderne Annehmlichkeit; ebd., 78. Vgl. die erbitterten und ins Grundsätzliche gehenden Debatten, Sten. Ber. SVV 1898, Nr. 29 (1.11.) 291ff., Nr. 30 (8.11.) 305ff., Nr. 32 (17.11.) 333ff. Sten. Ber. SVV 1915, Nr. 6 (4.3.) 35ff, Nr. 10 (8.4.) 77ff. Aus vollem Herzen für die Übernahme waren nur die Sozialdemokraten. Im Magistrat neigte der Oberbürgermeister der Position von Preuß zu; A. Wermuth, Ein Beamtenleben, 352f. Generell hierzu Horst Matzerath (Hrsg.), Stadt und Verkehr im Industriezeitalter, Köln, Weimar und Wien 1996; v.a. die Aufsätze von Heinrich Johannes Schwippe, Öffentlicher Personen-Nahverkehr, Stadtentwicklung und Dezentralisierung. Berlin 1860–1910, 161–202; und Wolfgang Hofmann, Der Verkehr beim Wettbewerb Groß-Berlin 1908/10. Am Beispiel von Hermann Jansens Beitrag, 203–230. Zu Berlin jetzt grundlegend E. Bendikat, Öffentliche Nahverkehrspolitik in Berlin und Paris 1890–1914. Siehe Anthony Sutcliffe, Die Bedeutung der Innovation in der Mechanisierung städtischer Verkehrssysteme in Europa zwischen 1860 und 1914, in: H. Matzerath (Hrsg.), Stadt und Verkehr im Industriezeitalter, 231–241.
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7. Der Berliner Kommunalpolitiker
Anarchie des Groß-Berliner Raumes aus104. Großzügige Lösungen waren nur durch mühsame Verhandlungen mit den Vorstädten zu erreichen. Zu diesen territorialen Schwierigkeiten kam ein unübersehbares Geflecht weiterer Problemfelder: von einem einheitlichen Tarifsystem zwischen Straßenbahn, U-Bahn und Omnibus konnte keine Rede sein, erst in den zwanziger Jahren wurde der Verbund erreicht. Neben der Bauplanung der Stadt waren die neu zu errichtenden Straßenbahnlinien Hauptanreiz für Grundstücksspekulanten, aus deren Aktivität sich auch manche seltsame und den wirklichen Verkehrsbedürfnissen nicht entsprechende Trassenführung ergab105. Und endlich konkurrierten wenigstens im Vorortverkehr private Anbieter und die preußischen Staatsbahnen miteinander, und nachdem sich kurz vor dem Krieg auch die Stadt durchgerungen hatte, neue Bahnlinien in eigener Regie zu führen, war das Chaos im Nahverkehr zur festen Größe geworden. Erst mit der Gründung der Berliner Verkehrsgesellschaft kam es 1928, also lange nach der hier im Blickpunkt stehenden Zeit, zu einer Entwirrung der Lage106. In der Stadtverordnetenversammlung war die Frage des städtischen verstärkten Engagements im Nahverkehr, dessen Umgestaltung in einen wirklich kommunalen Nahverkehr, mehrfach mit den üblichen Frontstellungen verhandelt worden. Die letzten Debatten führte Preuß von einer anderen Warte aus. 1910 war er in den Magistrat gewählt worden, wo er unter anderem für Verkehrsfragen zuständig war107. Seine Jahre als ehrenamtlicher Stadtrat zwischen 1910 und 1918 markierten Höhepunkt und Abschluß seiner kommunalpolitischen Laufbahn. 7.3 Hugo Preuß als ehrenamtlicher Stadtrat In seinen 15 Jahren als Stadtverordneter gelangte Hugo Preuß immer mehr in den Vordergrund dieser Versammlung, die viele Kaufleute und Handwerker, aber kaum Intellektuelle in ihren Reihen hatte. Sein rednerisches Talent wird hierfür ebenso 104 Vgl. Sten. Ber. SVV 1908, Nr. 3 (16.1.) 25ff. Zur Verkehrsstruktur im Zweckverband siehe Verband Groß Berlin, Verwaltungsbericht, 39. 105 Zum entscheidenden Einfluß der Verkehrsplanung auf die Bodenpolitik siehe Hans Böhm, Stadtplanung und städtische Bodenpolitik, in: H. H. Blotevogel (Hrsg.), Kommunale Leistungsverwaltung, 139–157, hier 142ff. Vgl. auch E. Bendikat, Öffentliche Nahverkehrspolitik in Berlin und Paris 1890–1914, 495. 106 Zu dieser Entwicklung G. Richter, Zwischen Revolution und Reichsgründung, 668; M. Erbe, Berlin im Kaiserreich, 732ff.; H. Köhler, Berlin in der Weimarer Republik, 857ff. 107 Vgl. Sten. Ber. SVV 1901, Nr. 3 (17.1.) 35ff.; SVV 1905, Nr. 2 (12.1.) 19ff.; SVV 1915, Nr. 8 (18.3.) 66. Umfangreiches Material bieten auch die Akten der Verkehrsdeputation des Magistrats, StAB, Rep. 14. Nr. 4032 enthält die Protokolle der gemischten Deputation von Magistrat und Stadtverordnetenversammlung. Seitens des Magistrats nimmt Preuß erstmals am 17.1.’11 an den Sitzungen teil (ebd., Bd. 4, Bl. 18–19). Die Deputation tagte unregelmäßig alle zwei bis vier Wochen; ihre Protokolle geben einigermaßen detailliert Auskunft über den Fortgang der Verhandlungen mit der Straßenbahngesellschaft. Speziell dazu im gleichen Repositorium Nr. 13405. Nr. 4036 enthält die Sitzungsprotokolle des Verkehrsausschusses des Magistrats, dem Preuß seit dem 7.3.’11 (Bl. 128) angehörte.
7.3 Hugo Preuß als ehrenamtlicher Stadtrat
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eine Ursache gewesen sein wie seine tiefe innere Anteilnahme an der Selbstverwaltung und seine wissenschaftliche Durchdringung des kommunalen Verwaltungsrechts – bei den vielen Plänkeleien mit den Aufsichtsbehörden war es hilfreich, daß in der Stadtverordnetenversammlung einer der besten deutschen juristischen Fachleute saß, der zudem stets bereit war, die Rechtsauffassung der Kommunalfreiheit zu vertreten. Ein Indiz für die wachsende Statur Preuß’ auch in seiner kleinen „Sozialfortschrittlichen Fraktion“ ist es, daß er von 1905 bis 1910 mit einer Ausnahme alle Haushaltsreden für seine Fraktion hielt. Er nutzte diese Reden zu einer Generalkritik der Berliner Kommunalpolitik, ganz wie in den großen parlamentarischen Haushaltsdebatten. Neben den konkreten Etatproblemen sprach er das Verhältnis von Stadt und Staat ebenso an wie die Eingemeindungsfrage, die Lehrergehälter ebenso wie die städtischen Wirtschaftsbetriebe und das Steuersystem108. In allen diesen Jahren gab es in vielen Sachfragen wachsende Übereinstimmung zwischen der Preußschen Fraktion und den Sozialdemokraten, die immer mehr über die Tatsache hinausging, daß beide Gruppierungen in der Opposition standen. Vor allem die sozialen Vorstellungen von Preuß und seine konsequente Ablehnung des Dreiklassenwahlrechts, aber auch das Eintreten für die Wahl des Sozialdemokraten Singer in die Schuldeputation hatten einen Vertrauensvorrat aufgebaut, der sich am 3. November 1910 auszahlte. In einer Kampfabstimmung konnte sich Preuß bei den Neuwahlen für die Stellen von acht unbesoldeten Stadträten gegen einen Amtsinhaber durchsetzen109, und dies sogar mit komfortabler Mehrheit110. 108 Sten. Ber. SVV 1905, Nr. 7 (23.2.) 107ff.; SVV 1907, Nr. 7 (28.2.) 85ff.; SVV 1908, Nr. 8 (20.2.) 109ff.; SVV 1909, Nr. 7 (18.2.) 83ff.; SVV 1910, Nr. 7 (24.2.), 90f. Offenbar traf Preuß dabei den richtigen Ton. 1908 weisen die Stenographischen Berichte zu seiner Rede elfmal „Heiterkeit“, sechsmal „Sehr richtig“ und zweimal „Bravo“ aus; 1909 brachte er es auf je fünfmal „Heiterkeit“ und „Sehr richtig“ und je einmal „Große Heiterkeit“, „Stürmische Heiterkeit“ und „Lebhaften Beifall“, und dies alles trotz der trockenen Materie. 109 Die Wahl erfolgte am 3.11.’10; Sten. Ber. SVV 1910, Nr. 30 373. Stadtrat Rumschöttel erhielt 51 Stimmen, Hugo Preuß 63. Die Bestallungsurkunde ist vom 8.11. und lautet: „Wir hegen zu dem Herrn Dr. Preuss das Vertrauen, daß derselbe in seiner Wirksamkeit als Magistratsmitglied bemüht sein wird, das Wohl der Stadt fördern zu helfen, dabei auf alles dasjenige, was die Städteordnung vorschreibt, genau achten und auf keinerlei Entschädigung oder Befreiung Anspruch machen, sondern in dem Bewußtsein, zum allgemeinen Besten mitgewirkt zu haben, den schönsten Lohn finden wird.“ (StAB, Rep. 01 General-Bureau. Akten betr. den unbesoldeten Stadtrat, bisherigen Stadtverordneten, Professor Dr. Hugo Preuss, Bd. 2733, Bl. 2) Einen Monat später kam die Bestätigung des Oberpräsidenten von Brandenburg an den Magistrat (ebd., Bl. 3, Schreiben vom 12.12.), und in der ersten Sitzung des neuen Jahres (SVV 1911, Nr. 1 [5.1.] 1ff.) wurde Preuß mit seinen gleichfalls neugewählten Kollegen in die Stadtverordnetenversammlung eingeführt. Die Wahl erfolgte auf sechs Jahre; 1916 wurde Preuß für die Jahre 1917 bis 1922 wiedergewählt (SVV 1916, Nr. 21 [5.10.] 260; StAB, Rep. 01, Bd. 2733, Bl. 39 ist das Schreiben, mit dem Oberbürgermeister Wermuth am 15.11. Preuß die Bestätigung durch den Oberpräsidenten mitteilt). 110 An dieser Stelle kann ich D. Lehnert, Kommunale Institutionen, 55 (Fn. 56) nicht folgen, der von einem recht knappen Votum spricht. Immerhin konnte Preuß sich mit 55 Prozent gegen einen Amtsinhaber durchsetzen.
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7. Der Berliner Kommunalpolitiker
Diese Wahl führte zu einer achtjährigen Tätigkeit als Magistratsmitglied, zugleich aber zu der für den heutigen Biographen unangenehmen Tatsache, daß gerade diese acht Jahre wohl die nach der unzureichenden archivalischen Quellenlage am schwierigsten zu dokumentierenden von Preuß’ Tätigkeit sind. Wie bereits erwähnt gehörte Preuß als Stadtrat zu den Deputationen für das Schulwesen, für Statistik, für Wasser- und Hochbauwesen und vor allem für Verkehr. Letzteres wurde sein Hauptarbeitsfeld, und in dieser Eigenschaft war er maßgeblich am Ausbau eines kommunalen und nicht mehr rein privaten Verkehrsnetzes in Berlin beteiligt. Die Unterlagen hierfür sind allerdings nicht ergiebig. Als Stadtverordneter hatte Preuß jedes Jahr um die zwanzig größere Reden in der Versammlung gehalten; als Stadtrat trat er in acht Jahren zusammen nur noch bei vierzehn Gelegenheiten vor die Stadtverordneten, und dies in der Regel nur für Wortmeldungen in Kleinigkeiten. Preuß’ erster Auftritt nach seiner Wahl erfolgt im Januar 1913 und besteht in der Bitte an die Versammlung, die Beschlußfassung über Freifahrten für Stadtverordnete und Stadträte auf städtischen S-Bahnen wegen rechtlicher Bedenken zu verschieben. Die Haushaltsreden waren da politisch inhaltsreicher gewesen. Hier schlugen die Kollektivität der Magistratsverfassung und die damit verbundene Anonymität und geringe Politisierung der Stadträte durch, also genau die Punkte, die der Wissenschaftler Preuß stets an dieser Form der Kommunalverfassung kritisiert hatte. Zusätzlich kommt ein weiteres und hauptsächliches Quellenproblem hinzu: die Sitzungsprotokolle des Magistrats sind nicht mehr vorhanden, und aus den Akten der Deputationen läßt sich die Preußsche Tätigkeit nur zum Teil rekonstruieren. Die Personalakte enthält neben der Ernennung und Verabschiedung fast ausschließlich einzelne Urlaubsgesuche und Vermerke, die Post von der Winter- in die Sommerwohnung und umgekehrt zu schicken. Es paßt in dieses Bild, daß sich in dem gleichfalls spärlichen Nachlaß Hugo Preuß’ drei Urkunden über die Verleihung von Kriegsauszeichnungen erhalten haben und sonst gar nichts über die Zeit als Stadtrat111. Der Kriegsausbruch 1914 wurde auch in der Stadtverordnetenversammlung mit Zuversicht und berechtigt geglaubter Empörung begrüßt. „Tiefbewegt, aber auch ebenso entrüstet über die Vorgänge der letzten Woche“ geißelte der Vorsteher der Versammlung, Michelet, in der Sondersitzung nach Kriegsausbruch die „schamlose Wortbrüchigkeit“ von Frankreich und Rußland sowie das „perfide Albion“112. An Patriotismus ließen sich die Stadtverordneten von niemand überbieten. Die erste Sitzung des neuen Jahres leitet Michelet mit dem Wunsche ein, daß es unserm tapferen Heer und unserer ruhmgekrönten Flotte gelingen möge, den uns von unseren Feinden in ruchloser Weise aufgezwungenen Krieg in ungeschwächter Kraft mit stets
111 Es handelt sich um die Rote Kreuzmedaille 3. Klasse (Urkunde vom 27.1.’17; BAB, NL Hugo Preuss, 90 Pr 1, Bd. 1, Bl. 11), das Verdienstkreuz für Kriegshilfe (Schreiben Wermuth an Preuß vom 1.6.’17; ebd., Bl. 12) und die nach dem Kriege verliehene Kriegsgedenkmünze des Berliner Magistrats (Urkunde vom 15.12.’19, ebd., Bl. 171). Alles dies ist naturgemäß wenig aussagekräftig. Leider ist auch die Personalakte im Berliner Stadtarchiv völlig unergiebig. 112 Sten. Ber. SVV 1914, Nr. 22 (6.8.) 259.
7.3 Hugo Preuß als ehrenamtlicher Stadtrat
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frischem, frohem Mute und in der festen Überzeugung zu Ende zu führen, daß das deutsche Schwert nicht wieder in die Scheide eingesteckt werde, bevor nicht die Feinde ringsum niedergerungen und zu dem Frieden gezwungen sind, den wir diktieren werden [lebhafter Beifall] zur Verbreitung deutscher Kultur und deutschen Wesens bei denen, die uns heute noch Barbaren heißen113
Immerhin, ganz hatte patriotischer Überschwang nicht von der Versammlung Besitz ergriffen, wie der Vorsteher am 10. September 1914 zeigte. Es sei ein Schreiben eines Herrn Dr. Blockmann eingegangen, „der die Stadtverordnetenversammlung ersucht, dafür Sorge tragen zu wollen, daß der Name Berlin, der doch höchst slawisch klinge, durch einen deutschen ersetzt werde. [Heiterkeit] Er schlägt dafür den Namen Hohenzollera vor. Ich glaube, es dürfte sich wohl erübrigen, die Eingabe zu beantworten.“114 Das Protokoll verzeichnete an dieser Stelle „Andauernde Heiterkeit“, aber für Heiterkeit gab es bald nur noch sehr wenige Anlässe. Der Krieg stellte auch die Millionenstadt Berlin vor neue Aufgaben. Neben die normalen Verwaltungsprobleme trat jetzt beherrschend die bislang durch Marktmechanismen automatisch geregelte Frage der Versorgung Berlins mit Nahrungsmitteln115. Obwohl auch hier wieder die kommunale Anarchie des Großraumes störend zu Buche schlug, konnte doch der Magistrat unter der entschlossenen Führung von Oberbürgermeister Wermuth beispielhaft für ganz Deutschland tätig werden. Bei der Einführung von Lebensmittelkarten, die die vorhandene Knappheit gerecht verteilen sollten, war Berlin ein Vorreiter, und unermüdlich versuchte Wermuth, das Hauptnahrungsmittel, die Kartoffel, in ausreichender Zahl in die Stadt zu bekommen116. Trotzdem war die Ernährungslage auch schon lange vor dem Steckrübenwinter 1916/17 prekär. Die Weizenknappheit setzte schon im Oktober 1914 ein, und im Kampf um die Kartoffelversorgung gab es zwar einzelne Erfolge, aber der ständige Mangel blieb ein drückendes Problem für die Stadt117. Die städtischen Dienstleistungen konnten nur mühsam aufrecht erhalten werden, und schon bald mußte Hugo Preuß als der zuständige Stadtrat vor der Stadtverordnetenversammlung um Nachsicht für die Verkehrsbeschränkungen bei der Städtischen Straßenbahn bitten. Der Betrieb habe als junges Unternehmen zumeist junge Bedienstete, von denen 90 Prozent eingezogen waren. Zwar habe man sich sofort um Ersatz bemüht, der aber auch schon wieder zu zwei Dritteln eingezogen sei118. 113 Sten. Ber. SVV 1915, Nr. 1 (7.1.) 1. 114 Sten. Ber. SVV 1914, Nr. 27 (14.9.) 277. 115 Vgl. die umfassende Untersuchung von Belinda J. Davis, Home Fires Burning. Food, Politics, and Everyday Life in Word War I Berlin, Chapel Hill und London 2000; und den Sammelband von Joy Winter und Jean-Louis Robert (Hrsg.), Capital cities at war. Paris, London, Berlin 1914–1919, Cambridge 1997. Zu den generellen Problemen von Städten in Kriegszeiten siehe Bernhard Kirchgässner und Günter Scholz (Hrsg.), Stadt und Krieg, Sigmaringen 1989. 116 A. Wermuth, Ein Beamtenleben, 363ff. 117 Vgl. B. J. Davis, Home Fires Burning, 29 und 48ff. 118 Sten. Ber. SVV 1915, Nr. 8 (19.3.) 66.
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7. Der Berliner Kommunalpolitiker
Als der Krieg allen Erwartungen zum Trotze nicht in kurzer Frist beendet war, trat ein neues Problem zu Tage: die Kriegsbeschädigtenfürsorge. Bald nach Beginn des Krieges wurde Hugo Preuß zum „Magistratskommissar für Kriegsbeschädigtenfürsorge“ berufen, und obwohl er weiterhin auch für Verkehrsfragen zuständig war, sollte dies die Aufgabe sein, der er sich bis Ende des Krieges widmete119. Es ging darum, den in ihre Heimatstadt Berlin zurückkehrenden Kriegsverwundeten beiseite zu stehen, und zwar vor allem mit Berufsberatung und Arbeitsvermittlung, aber auch mit Nachbehandlung und finanziellen Beihilfen, die im Falle ständiger Arbeitsunfähigkeit auch permanent geleistet werden konnten. Wenigstens eine geringe Freude war Preuß bei dieser Arbeit gewiß; hier war eine die Selbstverwaltung einschränkende Staatsaufsicht nicht zu befürchten. Die Sorge um diese spezielle, finanziell aufwendige Folgelast des Krieges überließ Preußen seinen Kommunen, und nach einigen Anlaufschwierigkeiten entfaltete die von Preuß geleitete Kommission eine fruchtbare Tätigkeit. Das abrupte Ende des Krieges schob auch der weiteren kommunalen Tätigkeit von Hugo Preuß einen Riegel vor. Nach 15 Jahren in der Stadtverordnetenversammlung und 8 Jahren im Magistrat wurde er von Oberbürgermeister Wermuth mit lobenden, aber verdienten Worten aus dem städtischen Dienst entlassen: Hochverehrter Herr Staatssekretär, die weltgeschichtlichen Ereignisse haben Sie unerwartet schnell aus unserem Kreise geführt. Sie sind nunmehr berufen, von hervorragender Stelle aus unseres Vaterlandes Geschicke maßgebend mitzugestalten. Mit innerster Teilnahme für Ihre Person begleiten wir diese Wendung Ihres Lebens und gleichzeitig mit dem Gefühl des Stolzes, daß es ein Mitglied unseres Kollegiums ist, dem die Verwaltung des bedeutsamen Reichsamtes des Inneren anvertraut ist. Ihre umfassenden, tiefgründigen Kenntnisse der Geschichte und des öffentlichen Rechts, die Fülle Ihrer Ideen und Ihren praktischen Sinn kennen zu lernen, haben wir reiche Gelegenheit gehabt und können danach ermessen, was Sie mit so trefflichem Rüstzeug auf dem neuen Feld Ihrer Tätigkeit zu wirken vermögen, unserm Vaterlande zum Segen. Die Stadt Berlin dankt an dieser Wende dem Mann, der ihr, als Vorkämpfer der Selbstverwaltung stets in erster Reihe stehend, durch Jahrzehnte hindurch in der Stadtverordneten-Versammlung wie im Magistrat, die ausgezeichnetsten Dienste geleistet hat, seine Mitarbeit auf das wärmste und wird ihrer stets
119 Vgl. Sten. Ber. SVV 1915, Nr. 24 (4.11.) 193ff., die erste große Debatte in der Stadtverordnetenversammlung über die Kriegsbeschädigtenfürsorge. Die Urlaubsgesuche Preuß’ in der Kriegszeit betreffen gleichfalls zum Teil die Teilnahme an Kongressen und Informationsveranstaltungen zu diesem Thema, siehe StAB, Rep. 01, Bd. 2733, Bl. 26 u. Bl. 27. Generell zur kommunalen Kriegswohlfahrtspflege siehe Ursula Ratz, Zwischen Arbeitsgemeinschaft und Koalition. Bürgerliche Sozialreformer und Gewerkschaften im Ersten Weltkrieg, München usw. 1994, 184ff.; und als Überblick für Deutschland Ewald Frie, Vorbild oder Spiegelbild? Kriegsbeschädigtenfürsorge in Deutschland 1914–1919, in: Wolfgang Michalka (Hrsg.), Der Erste Weltkrieg. Wirkung, Wahrnehmung, Analyse, München und Zürich 1994, 563–580.
7.3 Hugo Preuß als ehrenamtlicher Stadtrat
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eingedenk bleiben. Mit dem herzlichsten Wunsche aber für sein künftiges Wohlergehen grüßt den lieben und hochverehrten Amtsgenossen das Magistratskollegium zum Abschied.120
120 Schreiben des Magistratskollegiums an Preuß vom 24.12.’18, Konzept mit handschriftlichen Verbesserungen; die Stelle wurde wieder gestrichen; StAB, Rep. 01, Bd. 2733, Bl. 40. Preuß hatte seinerseits bereits am 18.11. (Bl. 39) an Wermuth geschrieben: „Indem ich nach 23jähriger städtischer Tätigkeit aus dem mir lieb gewordenen Kreise ausscheide, spreche ich Eurer Exzellenz sowie den Herren Kollegen im Magistrat und der Stadtverordnetenversammlung meinen herzlichen Dank für alles mir erwiesene Entgegenkommen und Wohlwollen aus. Gern gebe ich mich der Hoffnung hin, daß es mir auch in meiner neuen Stellung vergönnt sein möge, dem Wohle meiner lieben Vaterstadt dienen zu können.“ Am 28.12. (Bl. 41) dankte Preuß in einem Schreiben an Wermuth „für die freundlichen und über Verdienst ehrenden Worte“.
8. POLITIKER IN ERWARTUNG EINER AUFGABE IN PREUßEN UND IM REICH 8.1 Vergebliche Bemühungen um ein Mandat Auch wenn Hugo Preuß in der Berliner Kommunalpolitik ein befriedigendes politisches Aktionsfeld gefunden hatte, war sein Drang in die Politik damit doch nicht erschöpft. Die Suche nach einer größeren politischen Bühne unter Beibehaltung des kommunalen Mandats war nicht außergewöhnlich, zumal in Berlin, wo das Preußische Abgeordnetenhaus und der Reichstag vor der Tür des Roten Rathauses lagen1. Preuß konnte kaum anders als mit einem gewissen Neid auf seine Kollegen in der Stadtverordnetenversammlung blicken, die den Sprung in den Reichstag geschafft hatten und dort sogar prominente Stellungen einnahmen. Der Stadtverordnetenvorsteher (ab 1884) Paul Langerhans2 war Mitbegründer und, als Parteigänger Eugen Richters, Vorsitzender des geschäftsführenden Ausschusses der Fortschrittspartei. Er gehörte ab 1862 dem Preußischen Abgeordnetenhaus und ab 1881 mit einer kurzen Unterbrechung für mehr als 20 Jahre dem Reichstag an, zuletzt für den Wahlkreis Berlin Mitte. Sein Nachfolger in diesem Wahlkreis wurde 1903 sein Freisinniger Parteifreund, der später mit Hilfe der Sozialdemokraten zum Reichstagspräsidenten gewählte Johannes Kaempf3, der gleichfalls der Stadtverordnetenversammlung angehörte. In der Sozialdemokratie war es vor allem Paul Singer, der dem Reichstag seit 1884 angehörte und der ab 1885 bis zu seinem Tode 1911 die SPD-Fraktion führte, der Preuß vor Augen stellte, daß auch ein politisches Leben jenseits von Verkehrsdeputationen und Petitionsausschüssen möglich und erreichbar war. Dies galt um so mehr, als Preuß mit allen diesen überregional wirkenden Politikern persönlich verbunden war. Langerhans hatte als Stadtverordnetenvorsteher in den Wirren und Aufregungen im „Fall Preuß“ maßvoll und zugleich mit fester Hand die Redefreiheit in der Versammlung verteidigt; Kaempf war als Vorsteher der Berliner Kaufmannschaft maßgeblich an der Gründung der Handelshochschule beteiligt, und für Singer hatte sich Preuß intensiv eingesetzt, als ihm die staatliche Bestätigung für die Mitgliedschaft in der Schuldeputation der Stadtverordnetenversammlung verweigert wurde. Es ist naheliegend, daß Preuß danach strebte, es seinen erfolgreichen Kollegen gleichzutun. 1
2 3
Die Angaben zur Parlamentsmitgliedschaft und zu Wahlkreisen sind entnommen aus Max Schwarz, MdR. Biographisches Handbuch der Reichstage, Hannover 1965. Zu Preußen siehe Bernhard Mann (Bearb.), Biographisches Handbuch für das preußische Abgeordnetenhaus 1867–1918, Düsseldorf 1988, wo sich auch eine Liste der Abgeordneten befindet, die sowohl dem Abgeordnetenhaus wie dem Reichstag angehörten. Zu den sozialdemokratischen Abgeordneten wurde noch herangezogen Wilhelm Heinz Schröder, Sozialdemokratische Parlamentarier in den deutschen Reichs- und Landtagen 1867–1933. Biographien – Chronik – Wahldokumentation. Ein Handbuch, Düsseldorf 1995. Zu ihm vgl. E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte IV, 78. Zu den dramatischen Vorgängen bei der Wahl des Reichstagspräsidenten 1912 siehe ebd., 326f.
8.1 Vergebliche Bemühungen um ein Mandat
283
Preuß war fraglos seit den neunziger Jahren einer der hoffnungsvollsten und artikuliertesten Nachwuchspolitiker des Liberalismus. Aber gerade in seinen dezidiert vorgetragenen politischen Überzeugungen lag das Problem. Persönlich finanziell unabhängig, scharfzüngig und spöttisch, respektlos gegenüber dem liberalen Establishment wie gegenüber der Parteidoktrin, und als Verfechter eines immer prononcierteren sozialen Liberalismus in enger Zusammenarbeit mit der Sozialdemokratie hatte Preuß über Jahre hinweg kaum eine Gelegenheit ausgelassen, sich mit seinen behutsameren Parteifreunden anzulegen. Alles dies machte es wenig wahrscheinlich, daß gerade die Liberalen, die er in der Stadtverordnetenversammlung so kontinuierlich bekämpfte, in Preußen und im Reich warme Förderer der politischen Karriere von Preuß sein würden, auch wenn sie auf dieser Ebene nominell seine Parteifreunde waren. Oskar Cassel, der Führer der größten Fraktion in der Stadtverordnetenversammlung, war zugleich ein Freisinniger Abgeordneter im Preußischen Abgeordnetenhaus. Es ist unwahrscheinlich, daß er ausgerechnet Hugo Preuß dort gerne als Fraktionskollegen begrüßt hätte, nachdem dieser sein ständiger Gegenspieler im Berliner Stadtparlament war. Der „Systemkonformismus der bürgerlichen Parteien“4 hinderte die Chancen auf Systemtransformation, stellte zugleich aber auch die Politiker ins Abseits, die innerhalb dieser Parteien nonkonformistisch blieben und auf Reformen und Elitenwandel drängten. Noch die weiter unten darzustellenden Vorgänge des Jahres 1919 bestätigen dies, als Preuß in der Berliner DDP als Mitbegründer der Partei und amtierender Reichsinnenminister erheblich darum kämpfen mußte, einen Platz auf der Liste für die Landtagswahlen Preußens zu erhalten. Zu den persönlichen Unwägbarkeiten kamen aber auch objektive Umstände hinzu, die eine größere Karriere Preuß’ erschwerten. Die Zeiten, in denen die Liberalen parlamentarische Versammlungen dominiert hatten, lagen um die Jahrhundertwende schon in der Vergangenheit. Es gelang ihnen nicht, in ähnlicher Form wie andere politische Parteien mit festgefügten Milieus im Hintergrund vom rasanten Bevölkerungswachstum zu profitieren, und andererseits konnten sie sich auch nicht, wie die Konservativen, einer eindeutigen Bindung an die bürokratischen Machteliten und der damit verbundenen Vorteile in Wahlkämpfen erfreuen5. Die absoluten Stimmenzahlen wuchsen, aber die Stimmenzahlen der anderen Parteien wuchsen schneller. Zudem war der politische Mobilisierungsgrad des Bürgertums von Anfang an hoch gewesen, und die liberalen Parteien konnten nicht in gleicher 4
5
Gerhard A. Ritter, Einleitung, in: ders., (Hrsg.), Deutsche Parteien vor 1918, Köln 1975, 9–25, hier 15. Zum strukturellen Konservativismus der Liberalen ab 1871 siehe auch Peter MenkeGlückert, Wilhelminischer Liberalismus aus aktueller Sicht, in: K. Holl und G. List (Hrsg.), Liberalismus und imperialistischer Staat, 35–39, hier 36. Vgl. D. Langewiesche, Liberalismus in Deutschland, 135ff. Generell Thomas Nipperdey, Die Organisation der deutschen Parteien vor 1918, Düsseldorf 1961; sowie L. Albertin und W. Link (Hrsg.), Politische Parteien auf dem Weg zur parlamentarischen Demokratie. Zum Milieu vgl. M. Rainer Lepsius, Wahlverhalten, Parteien und politische Spannungen, in: PVS 14 (1973), 295–313; sowie Gerhard A. Ritter, Die deutschen Parteien 1830–1914. Parteien und Gesellschaft im konstitutionellen Regierungssystem, Göttingen 1985, 65.
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8. Politiker in Erwartung einer Aufgabe in Preußen und im Reich
Form wie das Zentrum und die SPD durch Aktivierung bisheriger Nichtwähler einen konstanten Zustrom an Wählerstimmen eines bisher unausgeschöpften Reservoirs erlangen. Die Situation in der Reichshauptstadt kann als Beispiel angeführt werden6. 1867 entsandte Berlin in den Konstitutierenden Reichstag des Norddeutschen Bundes sechs Abgeordnete, und 1912 waren es im 13. Reichstag des Kaiserreiches immer noch sechs Abgeordnete. 1871 gab es in den Wahlkreisen zwischen 16.000 und 22.000 Wähler, aber 1912 schwankte diese Zahl zwischen 13.000 im vornehmen Wahlkreis Berlin Mitte, der teuersten Wohngegend der Stadt, und 220.000 im Wahlkreis „äußere Stadt Nord“, einem reinen Arbeiterviertel. Bis zum Ende des Kaiserreiches war Berlin, wie alle anderen Großstädte des Reiches, angesichts der niemals dem Bevölkerungswachstum angepaßten Wahlkreisgrenzen in seiner Repräsentation im Reichstag erheblich eingeschränkt. Die Reichsregierung konnte zwar nicht verhindern, daß die Großstädte oppositionelle Abgeordnete wählten, aber sie konnte durch die Nichtanpassung der Wahlkreise sehr wohl erreichen, daß es erheblich weniger von ihnen gab, als es der Bevölkerungsverschiebung und der Stimmenzahl entsprochen hätte7. In den ersten beiden Reichstagen waren alle Berliner Wahlkreise von Abgeordneten der Fortschrittpartei gewonnen worden, aber schon im dritten Reichstag 18778 konnten die Sozialdemokraten in die linksliberale Domäne einbrechen und zwei Wahlkreise für sich gewinnen, die aus den Arbeitervierteln der Stadt gebildet wurden und ungefähr den heutigen Friedrichshain, Prenzlauer Berg und Wedding entsprachen. Der fünfte Reichstag 1881 war der erste unter der Herrschaft des Sozialistengesetzes gewählte Reichstag, aber von diesen Ausnahmegesetzen profitierten nicht die gouvernementalen Parteien, sondern die liberale und katholische Opposition, die zusammen mit den Sozialdemokraten klare Mehrheiten in den letzten Reichstagen der Ära Bismarck stellten9. Die Fortschrittspartei konnte sich 1881 von 26 auf 59 Mandate steigern und damit ihr bestes Ergebnis bei Reichstagswahlen überhaupt erzielen. Selbst die Sozialdemokraten konnten noch bescheiden hinzugewinnen und mit 12 Abgeordneten drei Mandate mehr als bisher erringen, während umgekehrt die Nationalliberalen mehr als die Hälfte ihrer bisher fast hundert Mandate verloren10. In Berlin gingen wieder alle sechs Wahlkreise an linksliberale Abgeordnete, aber damit war der Gipfel des Erfolgs erreicht, und der Abstieg begann. Schon bei den darauffolgenden Wahlen zum 6. Reichstag 1884 6
Als Überblick zu den Berliner Reichstagswahlen siehe M. Schwarz, MdR, 148f., und die Darstellung bei M. Erbe, Berlin im Kaiserreich, 770f., wo auch eine Karte der Berliner Wahlkreise abgebildet ist. 7 Vgl. zu den Auswirkungen auf Reichsebene Alfred Milatz, Reichstagswahlen und Mandatsverteilung 1871 bis 1918. Ein Beitrag zu Problemen des absoluten Mehrheitswahlrechts, in: G. A. Ritter (Hrsg.), Gesellschaft, Parlament und Regierung, 207–223, hier 209f. 8 Nicht erst im 6. Reichstag 1884, wie M. Erbe, Berlin im Kaiserreich, 771 angibt. 9 Vgl. E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte IV, 146. 10 Ursache hierfür war die 1880 erfolgte Abspaltung des linken Parteiflügels, der „Sezession“, zu der auch Bamberger und Rickert gehörten. Die Sezessionisten erzielten 1881 46 Mandate; vgl. zu den Hintergründen E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte IV, 68f.
8.1 Vergebliche Bemühungen um ein Mandat
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konnte die SPD die beiden Arbeiterwahlkreise endgültig erobern, und nach und nach kamen, mit vereinzelten Rückschlägen, die anderen Wahlkreise hinzu. Seit dem 11. Reichstag 1903 waren fünf der sechs Wahlkreise in sozialdemokratischer Hand, und nur im kleinsten Wahlkreis Mitte konnte Kaempf wenigstens ein Mandat für die Freisinnigen bis zum Ende des Kaiserreiches verteidigen. Selbst in den sogenannten „Hottentotten-Wahlen“ von 1907, als es Reichskanzler Bülow gelang, unter Einschluß der Linksliberalen11 ein breites bürgerliches Bündnis zu schmieden und der SPD auf Reichsebene einen empfindlichen Mißerfolg zu bescheren, hielt die Partei ihre fünf Berliner Sitze problemlos12. Etwas günstiger sahen die Verhältnisse bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus aus, da hier ebenso wie bei den Wahlen zur Stadtverordnetenversammlung das Dreiklassenwahlrecht die Sozialdemokraten benachteiligte. Trotzdem gelang es ihnen auch hier, bei den Wahlen von 1908 und 1913, den letzten preußischen Wahlen der Vorkriegsepoche, annähernde Parität mit den Linksliberalen zu erreichen13. Neben der generellen demographischen und parteipolitischen Entwicklung gab es als letzten Faktor auch noch interne Gründe im Liberalismus selbst, die zum Niedergang des politischen Einflusses beitrugen. Die ständige Zersplitterung, Zusammenführung und erneute Zersplitterung der liberalen Parteien, an der der Linksliberalismus das ganze Kaiserreich hindurch krankte, hat die Kräfte in inneren Auseinandersetzungen zerrieben und hat nichts dazu beigetragen, die möglicherweise erreichbare Mandatszahl zu verteidigen. Wenn viele etablierte Politiker um ihren Parlamentssitz bangen mußten, wird es verständlich, daß kein Wahlkreis für den außerhalb der Parteiorthodoxie liegenden Neuling frei war. Preuß selbst war an der Spaltung des Linksliberalismus am Rande mitbeteiligt. Bis zur Vereinigung der meisten linksliberalen Gruppierungen 1910 in der Fortschrittlichen Volkspartei14 hatte er der Freisinnigen Vereinigung angehört, die ihrerseits 1893 aus der Spaltung der Deutschfreisinnigen Partei hervorgegangen war. Diese wiederum war erst 1884 erstanden, als Fusion der alten Fortschrittspartei mit dem linken Flügel der Nationalliberalen, der Sezession von 188015. Auch die
11 Preuß war einer der wenigen Warner gegen die Vereinnahmung durch Bülow; vgl. „Der Liberalismus im Block“, in: Der Morgen. Wochenschrift für deutsche Kultur, Jg. 1907, 568–570. 12 Im ganzen Reich ging die SPD von 81 auf 43 Mandate zurück. Politischer Hintergrund war die Auseinandersetzung um die Kolonialpolitik in Deutsch-Südwest; vgl. E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte IV, 293f. Die Wahlagitation 1907 gegen SPD und (erfolglos) gegen Zentrum ist erschöpfend untersucht in A. Grießmer, Massenverbände und Massenparteien im wilhelminischen Reich, 140ff. und 238ff. Zu den Debatten in der SPD nach den HottentottenWahlen vgl. Dieter Groh und Peter Brandt, ‚Vaterlandslose Gesellen‘. Sozialdemokratie und Nation 1860–1990, München 1992, 112ff. 13 Vgl. M. Erbe, Berlin im Kaiserreich, 774. 14 Der Tod Eugen Richters 1906 mochte diese Vereinigung erleichtert haben. 15 Zur Entwicklung der liberalen Parteien siehe aus der Vielzahl der Literatur nur D. Langewiesche, Liberalismus in Deutschland, 151ff.
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8. Politiker in Erwartung einer Aufgabe in Preußen und im Reich
Gründung der Nation unter der Herausgeberschaft von Barth und Bamberger im Oktober 1883 ist in den Kontext der Sezession einzuordnen16. Alle diese Spaltungen und Fusionen kreisten letztlich um den Bismarck des Linksliberalismus, Eugen Richter, der mit seiner eisernen Faust die freiheitlichen Bismarck-Gegner ebenso autoritär führte wie der Kanzler die Reichspolitik17. Entweder man unterwarf sich Richters intransigentem Oppositionskurs oder man verließ die Partei und gründete seine eigene Abspaltung. Das scheint letzten Endes wenigstens teilweise hinter den Entwicklungen im linksliberalen Teil des Parteienspektrums gestanden zu haben, denn die sachlichen Differenzen waren nicht so gewichtig, daß sie ohne die erschwerenden persönlichen Faktoren zu der schwächenden Unstetigkeit der Parteienstruktur hätten führen müssen. Dabei blieb das Führungspersonal über alle neuen Parteinamen hinweg weitgehend identisch. Ludwig Bamberger, Georg von Siemens und Heinrich Rickert hatten alle schon der Sezession angehört. Zu ihnen waren nebst anderen Theodor Barth und Karl Schrader gestoßen, und alle zusammen fanden sich in der Deutschfreisinnigen Partei wieder, in der Schrader nominell als gleichberechtigter Parteivorsitzender neben Richter stand. Wieder sind es die gleichen Politiker, die 1893 unter dem Vorsitz Rickerts und später Schraders (1902–1910) die Freisinnige Vereinigung bilden. Preuß gehörte gleichfalls zu dieser kleinen Partei, deren mäßige Erfolge bei den Wählern zur Folge hatten, daß selbst die Parteiführer nicht durchweg sicher sein konnten, Mandate für den Reichstag und das Abgeordnetenhaus zu erobern oder zu verteidigen. An einen „überzähligen“ Wahlkreis für Hugo Preuß war unter diesen Umständen nicht zu denken. Dies änderte sich, als der 1834 geborene Karl Schrader18 vor den Wahlen von 1912, ein Jahr vor seinem Tode, seinen Rückzug aus der Politik ankündigte. Schrader war neben Bamberger und Barth der wichtigste politische Ziehvater von Preuß gewesen, und Preuß widmete dem verstorbenen Schrader 1913 einen einfühlsamen Nachruf. Er rühmte Schrader nach, daß ihm Liberalismus „weit mehr bedeutete, als ein Partei-Glaube: eine den ganzen Menschen durchdringende Lebensanschauung“. Ebenso wie Bamberger und Barth habe auch Schrader „die wohltuende – bei uns leider gar nicht selbstverständliche – Empfindung mit[geteilt], daß man Politiker und Kulturmensch zugleich sein kann, ja eigentlich sein muß“. Gewürdigt wurde dies vom deutschen Volke allerdings nicht. Wie immer in seinen Nachrufen und
16 Vgl. Wolther von Kieseritzky, Liberale Parteieliten und politische Steuerung der Öffentlichkeit im Kaiserreich. Die Vernetzung von Partei und Presse, in: D. Dowe, J. Kocka und H. A. Winkler (Hrsg.), Parteien im Wandel, 85–108, hier 100ff. 17 Befremdlicherweise findet sich in der Biographie von I. S. Lorenz, Eugen Richter, fast nichts über die sonst überall thematisierten innerparteilichen Probleme und Auseinandersetzungen Richters mit anderen Liberalen. 18 Zu Karl Schrader siehe E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte IV, 80.
8.1 Vergebliche Bemühungen um ein Mandat
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Grabreden sagt Preuß hier mindestens eben so viel über sich selbst wie über den Mann, den er würdigt19. Schrader hatte im Reichstag zwischen 1881 und 1912 nacheinander und mit zwei Unterbrechungen Braunschweig, Danzig, wieder Braunschweig, Frankfurt an der Oder und seit 1903 Dessau, den 1. Wahlkreis Anhalts vertreten. Die Kandidatur in verschiedenen, geographisch weit voneinander getrennten Reichstagswahlkreisen war prinzipiell nicht ungewöhnlich und wurde von der politischen Kultur des Kaiserreiches durchaus geduldet. Gleichwohl war es selbst unter diesen Bedingungen nicht üblich, in fast jeder Legislaturperiode einen anderen Wahlkreis zu vertreten. Schraders Unstetigkeit unterstreicht die Fragilität der linksliberalen Wählerschaft, die seine Klientel war und die keine dauerhaft sicheren Wahlkreise bieten konnte. Erst in Anhalt-Dessau konnte er, nachdem er zuvor in der Reichstagswahl 1903 sein Mandat verloren hatte, in der Nachwahl für seinen kurz nach der Wahl verstorbenen Parteifreund Richard Roesicke20 bis zu seinem Ausscheiden aus der Politik eine feste Bleibe finden. Schrader war zweimal in diesem Wahlkreis erfolgreich, und vor ihm hatte Roesicke hier vier Wahlen gewonnen, beginnend mit dem 8. Reichstag 1890. Allerdings täuscht diese Erfolgsserie ein wenig über die Kräfteverhältnisse in Anhalt hinweg, denn die Sozialdemokraten waren hier schon seit 1890 die stärkste Kraft21, und nur das Wahlrecht und seine Koalitionsmöglichkeiten haben die Wahl von Roesicke und Schrader ermöglicht. Gleichwohl, der Wahlkreis hatte demonstriert, daß Linkliberale in ihm wählbar waren, und diese Tradition sollte Hugo Preuß 1912 fortsetzen. Anders als im Wahljahr 1907 waren inzwischen die meisten linksliberalen Parteien in der Fortschrittlichen Volkspartei vereinigt, und auch die bürgerliche Blockpolitik, die Preuß von Anfang an entschieden bekämpft hatte, gehörte der Vergangenheit an. So waren die wichtigsten innerliberalen Hindernisse aus dem Wege geräumt – aber nur scheinbar. Daß die Nationalliberalen einen Kandidaten aufstellten, der auch von den Konservativen unterstützt wurde, war nach Ende des Bülow-Blocks durch die lokalen Gegebenheiten zu erklären. Aber daß auch die linksliberalen Stimmen durch eine chancenlose Zählkandidatur der Demokratischen Vereinigung gespalten wurden, minderte die Aussichten auf eine Verteidigung des Wahlkreises erheblich22. Besonders bitter dürfte es für Preuß gewesen sein, daß die 1908 gegründete kurzlebige Demokratische Vereinigung ein geistiges Kind von Theodor Barth war. Dieser hatte sich im Jahr zuvor, ebenso wie Preuß, 19 Beide Stellen sind zitiert aus „Karl Schrader als Politiker“, in: Die Hilfe, 19. Jg. (15.5.’13), 308f. Zusammen mit dem Text von Preuß erschienen Nachrufe von Friedrich Naumann („Gebet am Sarge“, ebd., 306f.) und Paul Nathan („Karl Schraders Persönlichkeit“, ebd., 307f.). 20 Roesicke war Direktor der Berliner Schultheiss-Brauerei. 21 Vgl. Gerhard A. Ritter, Wahlgeschichtliches Arbeitsbuch. Materialien zur Statistik des Kaiserreichs 1871–1918, München 1980, 93. 22 Zu dieser Spaltung siehe „Karl Schrader und Professor Dr. Hugo Preuß in Dessau“, BT, Nr. 6 (4.1.’12). Die meisten der weiter von mir zitierten Artikel sind gesammelt im Pressearchiv des Reichslandbundes im Bundesarchiv, Abteilung Potsdam, 61 Re 1, Personenverzeichnis, Bd. 360 (Pön–Pre), hier Bl. 43–114.
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vehement gegen die Blockpolitik ausgesprochen23. Die neue Partei hatte, wenn überhaupt, eine gewisse Basis in Berlin. Trotzdem war die Gründung aussichtslos und zeugt eher von Barths Verbitterung über den Gang der politischen Entwicklung im Linksliberalismus als von einem wirklichen Aufbruch zu neuen Möglichkeiten24. Nach Barths Tod 1909 existierte die Partei unter Führung von Rudolf Breitscheid und des einstigen Antisemiten und späteren radikalen Pazifisten Hellmuth von Gerlach25 weiter, erlebte aber bei den Wahlen von 1912 ihr Waterloo. Anscheinend sollte es gerade dafür reichen, die Wahlaussichten von Barths politischem Zögling Preuß zu ruinieren. Das Ende des Bülow-Blocks hatte die politischen Konstellationen gründlich durcheinandergemischt und für alle Parteien eine neue Lage geschaffen, die strategische und taktische Möglichkeiten und Gefahren barg, mit denen man zuvor nicht hatte rechnen müssen26. Die Kombinationsmöglichkeiten für die Stichwahlen, in denen inzwischen die meisten Mandate vergeben wurden, hatten durch die Neuorientierung der Nationalliberalen an Vielfalt gewonnen. Zentrum und Konservative bildeten einen „schwarzblauen“ Wahlblock, während Nationalliberale, Fortschritt und Sozialdemokraten den Block der Linken formten. Natürlich gab es auch Stichwahlbündnisse über diese Grenzen hinweg, denn die lokalen Parteiorganisationen ließen sich nur sehr begrenzt von den Zentralen her kontrollieren. Aber schon die prinzipielle Bereitschaft der Nationalliberalen, über Stichwahlbündnisse mit den Sozialdemokraten, über einen Block „von Bebel bis Bassermann“ auch nur nachzudenken, zeigte einen entscheidenden Wandel an27. Nachdem die SPD bei den Blockwahlen 1907 erhebliche Einbußen hatte hinnehmen müssen, war jetzt mit Erfolgen in umgekehrter Größenordnung zu rechnen. Tatsächlich konnte sie sich von 43 auf 110 Mandate steigern und wurde damit stärkste Partei im Reichstag. Für Ernst-Rudolf Huber war dieser Wahlsieg mehr als ein politischer Erdrutsch, er „war ein epochemachendes Ereignis“28, das die Transformation der SPD von einer ausgeschlossenen zu einer normalen Parlamentspartei bedeutete. Natürlich konnte 1912 keiner der Wähler oder Politiker wissen, daß ihre Wahlentscheidung den 23 Vgl. C. Gräter, Theodor Barths politische Gedankenwelt, 118ff.; und K. Wegner, Theodor Barth und die Freisinnige Vereinigung, 128. 24 Diese Verbitterung richtete sich vor allem gegen Friedrich Naumann und seine Nationalsoziale Gruppe, mit der die Freisinnige Vereinigung 1903 fusioniert hatte. C. Gräter, Theodor Barths politische Gedankenwelt, 122, sieht in der Gründung die „reine Resignation“ Barths. Vgl. auch K. Wegner, Theodor Barth und die Freisinnige Vereinigung, 134. 25 1909 hatte Gerlach für die Demokratische Vereinigung bei der Stadtverordnetenwahl in Berlin vergeblich kandidiert und war dabei von der Sozialfortschrittlichen Gruppe um Hugo Preuß unterstützt worden; Hellmuth von Gerlach, Von Rechts nach Links, 183. 26 Vgl. Jürgen Bertram, Die Wahlen zum Deutschen Reichstag vom Jahre 1912. Parteien und Verbände in der Innenpolitik des Wilhelminischen Reiches, Düsseldorf 1964, 13ff. und 48ff. 27 Zu den Hindernissen, die dem im Wege gestanden hatten und zu ihrer Überwindung siehe L. Albertin, Der unzeitige Parlamentarismus der Liberalen, 34ff. 28 E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte IV, 323. F. Fischer, Krieg der Illusionen, 145ff., überschreibt sein dem Wahlergebnis und seinen Folgen gewidmetes Kapitel dramatisch mit „Die innere Niederlage“.
8.1 Vergebliche Bemühungen um ein Mandat
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letzten Reichstag des Kaiserreiches bestimmte, der die ganze Kriegszeit hindurch im Amt blieb und der zweieinhalb Jahre nach der Wahl über die Kriegskredite entscheiden mußte. Huber nennt die Zustimmung der SPD hierzu „die verfassungspolitische Konsequenz des Wahlsiegs von 1912“29. Das ist weit gegriffen, aber zweifellos wäre der Partei die Zustimmung weit schwerer gefallen, wenn sie bei den Wahlen von 1912 ebenso wie 1907 von allen bürgerlichen Parteien als Feind betrachtet worden wäre. Nicht nur für die Sozialdemokraten war die Wahl von 1912 ein entscheidender Durchbruch; auch jüdische Kandidaten waren so erfolgreich wie nie zuvor. Der Centralverein nahm intensiv am Wahlkampf teil und versuchte, alle jüdischen Wähler auf eine gemeinsame Front gegen die Rechtsparteien einzuschwören. Sowohl vom Fortschritt wie von der SPD wurden jüdische Kandidaten in aussichtsreichen Wahlkreisen nominiert, und wenn auch die bürgerlichen Juden die Erfolge sozialdemokratischer jüdischer Kandidaten mit gemischten Gefühlen betrachteten, war dies doch eine deutliche Verbesserung gegenüber den beiden Reichstagswahlen zuvor, als linksliberale Parteien eher antisemitische als sozialdemokratische Kandidaten in den Stichwahlen unterstützt hatten30. Andererseits steigerte dieses Wahlergebnis auch den Antisemitismus, und die 1912 erschienene völkische Hetzschrift Wenn ich der Kaiser wär’ von Heinrich Claß, dem Vorsitzenden des Alldeutschen Verbandes, war nicht zuletzt durch die Wahlresultate vom Januar des Jahres hervorgerufen31. Der Hauptkonkurrent, den Preuß hätte schlagen müssen, war der Sozialdemokrat Wolfgang Heine32, der seit 1898 einen Berliner Wahlkreis im Reichstag vertreten hatte und der auch 1919, jetzt als preußischer Justiz- und später als Innenminister, in der Frage der Neugliederung des Reiches ein Kontrahent für Preuß sein sollte. Heine hatte sich nicht freiwillig dazu entschieden, gegen Preuß in einem bislang von dessen Partei gehaltenen Wahlkreis anzutreten. Aber er hatte kaum eine Wahl, denn in seinem absolut sicheren angestammten Wahlkreis hatte der Parteivorstand gegen den Willen der örtlichen Organisation die Kandidatur des Parteiveteranen und Vorstandsmitglieds Wilhelm Pfannkuch durchgesetzt, der 1907 sein Mandat verloren hatte und der jetzt unbedingt wieder in den Reichstag zurückgeholt werden sollte33. Politisch standen sich der sozialdemokratische 29 E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte IV, 323. 30 Vgl. Werner T. Angress, The Impact of the „Judenwahlen“ of 1912 on the Jewish Question. A Synthesis, in: Leo Baeck Institute (Hrsg.), Year Book 28 (1983), 367–410, hier 373, 383f. und 392. 31 Heinrich Claß (unter Pseudonym Daniel Frymann), Wenn ich der Kaiser wär’, Leipzig 1912. Vgl. F. Fischer, Krieg der Illusionen, 152; W. T. Angress, The Impact of the „Judenwahlen“ of 1912, 396f. Claß wollte die SPD-Führer ausweisen, das Sozialistengesetz wiederbeleben und Juden von allen Ämtern ausschließen. 32 Vgl. W. H. Schröder, Sozialdemokratische Parlamentarier, 496. 33 Vgl. J. Bertram, Die Wahlen zum Deutschen Reichstag vom Jahre 1912, 145. Auch Pfannkuch war Preuß aus der Stadtverordnetenversammlung bekannt, der dieser ab 1900 angehörte; W. H. Schröder, Sozialdemokratische Parlamentarier, 650f.
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Revisionist Heine und der Sozialfortschrittler Preuß recht nahe34, und vielleicht sorgte gerade diese politische Nähe für einige heftige Töne im Wahlkampf. In sozialdemokratischen Zeitungen wurde Preuß der – in diesem Fall nun wirklich vollkommen groteske – Vorwurf gemacht, er habe in seinen Vorlesungen „eine kraß reaktionäre Staatslehre, offenbar aus akademischem Strebertum, vorgetragen“35. Auch als Advokat indirekter Steuern stand Preuß am Pranger, ebenso wurden ihm alle liberalen Sünden der letzten Jahre angerechnet. Preuß verteidigte sich gegen diese Anwürfe mit maßvollen Worten, in denen er jede polemische Schärfe von sich wies und darauf pochte, daß ein Parlamentarismus nur mit verantwortlichen Politikern, nicht aber mit Demagogen möglich sei. Seinen Gegner Heine klammerte er dabei aus: Daß ein Politiker, den ich hochschätze, weil er diese radikale Phraseologie oft mannhaft bekämpft hat, nun doch mit ihren Waffen ficht, ist bedauerlich; aber es ist die Folge einer Situation, die ihn zwingt, den entschiedenen Liberalismus anzugreifen, dessen Politik er doch schließlich praktisch unterstützen müßte. Man sollte lieber Rosa Luxemburg auf uns loslassen; sie kann uns bekämpfen, ohne mit sich selbst in Widerspruch zu geraten.36
Trotzdem war Preuß hier vielleicht zu moderat im Ton. Auch seine erhaltenen Wahlkampfreden über das Steuersystem ermöglichen einen Einblick in die wissenschaftliche Gründlichkeit seiner Wahlkampfführung, die wahrscheinlich ein wenig an den Bedürfnissen der Wähler vorbei ging. Dem Inhalt entsprach die Form seines Auftretens; während Heine ein ausgezeichneter Redner war, galt dies für Preuß auf diesem für ihn ungewohnten Forum nicht. Er „sprach in der Wahlbewegung für ein breites Publikum allzu akademisch“37. Die im Vergleich zur Paulskirche und zum frühen 19. Jahrhundert fast kontinuierlich abnehmende Zahl von Professoren im öffentlichen Leben und in den Parlamenten hat sicherlich auch damit zu tun, daß selbst politische Köpfe wie Preuß oder Max Weber auf die Erfordernisse der modernen Massendemokratie, auf das Durchsetzen in Parteien und Wahlkämpfen weniger gut vorbereitet waren als sie das dachten. 34 Der Kommentator im BT, Nr. 473 (16.9.’11), sprach sicher vielen, darunter auch den Kandidaten selber, aus der Seele: „Man hätte gewünscht, daß beide Kandidaten ihre Kraft lieber gegen die schwarzblaue Reaktion entfaltet hätten. Nun sind sie durch die Verhältnisse, die manchmal mächtiger als die Menschen sind, gezwungen, sich gegenseitig zu bekämpfen.“ 35 Wiedergegeben in der Freisinnigen Zeitung, Nr. 311 (23.12.’11). Preuß erwiderte auf diesen Bericht, der angeblich von einem Hörer seiner Vorlesungen stammte: „Wenn der Herr wirklich bei mir gehört hat, dann muß ich beschämt gestehen – zwar nicht, daß ich ein reaktionärer Streber, wohl aber, daß ich ein miserabler akademischer Lehrer bin. Denn was dieser Musterschüler mir in die Schuhe schiebt, ist das genaue Gegenteil der Staatslehre, die ich seit einigen zwanzig Jahren in Wort und Schrift verfechte.“ J. Bertram, Die Wahlen zum Deutschen Reichstag vom Jahre 1912, 200, berichtet von anderen interessanten Wahlkampftaktiken, wie „Saalabtreiben“ (dem Gegner Versammlungslokale wegnehmen) und gefälschten Flugblättern. 36 Preuß antwortete auf die Angriffe Heines unter dem Titel „Politik oder Demagogie?“, in der VZ, Nr. 460 (15.9.’11). 37 E. Hamburger, Juden im öffentlichen Leben Deutschlands, 341.
8.2 Das Reich als Monarchie und Demokratie
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Verhängnisvoll war aber, um nach Anhalt zurückzukehren, vor allem anderen die Spaltung des linksliberalen Lagers. Sie führte dazu, daß die Fortschrittliche Volkspartei mit ihrem Kandidaten Preuß nicht einmal die Stichwahl erreichte38. Im ersten Wahlkreis des Herzogtums Anhalt betrug die Wahlbeteiligung 89,9% im ersten Wahlgang (gegenüber 84,9% im gesamten Reich) und 92,3% in der Stichwahl. Von den 34148 abgegebenen Stimmen entfielen auf Heine 15450 (45,3%), auf den Nationalliberalen Kandidaten North 8499 (24,9%), auf Hugo Preuß 8415 (24,6%) und auf den Kandidaten der Demokratischen Vereinigung Lüdemann 1786 (5,2%). Die Klage, daß die Spaltung des linksliberalen Lagers den Einzug in die Stichwahl verhinderte, ist also nicht unbegründet gewesen. Allerdings muß man auch berücksichtigen, daß 1912 generell ein ausgezeichnetes Jahr für die Sozialdemokraten war und daß die in der Fortschrittlichen Volkspartei vereinigten linksliberalen Parteien weit unter ihren eigenen Erwartungen blieben. Es ist mithin sehr fraglich, ob Preuß bei einem Einzug in die Stichwahl besseren Erfolg gehabt hätte als North. Schrader erhielt 1907 19183 von 32649 abgegebenen Stimmen (59,0%), sein sozialdemokratischer Gegner 13322 (41,0%); eine Stichwahl war damals überflüssig. 1912 standen sich Heine und North in der Stichwahl gegenüber; Heine kam mit 19015 von 34653 Stimmen (54,9%) gegen Norths 15620 Stimmen (45,1%) zu einem einfachen Sieg. Preuß blieb weiter darauf angewiesen, seine Vorstellungen für die Reform des monarchischen Obrigkeitsstaates mit der Feder zu verfechten. 8.2 Das Reich als Monarchie und Demokratie Die Fragen, die Hugo Preuß an die Institutionen und an die Politik des Reiches richtete, zielten auf Gegenwart und Zukunft zugleich ab: Für die Gegenwart sah er das Reich als monarchischen Staat, für die Zukunft hielt er eine demokratische Umgestaltung, wenn auch weiter mit einem Monarchen an der Spitze, für zwingend, wenn die Entwicklung der Welt nicht an Deutschland vorbeigehen sollte. Damit stand er im doppelten Widerspruch zu fast allen politisch wie auch wissenschaftliche etablierten Kräften; denn nicht nur wurde die von Preuß für zwingend gehaltene Fortentwicklung abgelehnt, auch seine Meinung über den monarchischen Status quo wurde von der Laband-Schule mit ihrer Fiktion einer Staatenrepublik von 25 Mitgliedern vehement abgelehnt. Sie rüttelte an den Grundfesten des Selbstverständnisses im Hohenzollern-Reich, denn wäre das Reich eine nationale Monarchie, bliebe nicht mehr viel an souveränem Selbstwertgefühl für die anderen
38 Vgl. die Freisinnige Zeitung, Nr. 17 (20.1.’12). Zu den Ergebnissen siehe Kaiserliches Statistisches Amt, Die Reichstagswahlen von 1912. Statistik des Deutschen Reiches, Bd. 250, 3 Hefte, Berlin 1912 und 1913. Die Angaben sind nach Heft 1, 62f., und Heft 2, 6, 66 und 102.
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24 Bundesglieder übrig. Preuß stand zusammen mit wenigen prononcierten liberalen Kritikern wie Friedrich Naumann39 fast allein mit seiner Auffassung, daß eine moderne Monarchie nur national und liberal sein könne, und daß zugleich über monarchischen Gliedstaaten nur ein monarchischer Gesamtstaat stehen könne40. Nach Bismarcks berühmtem Wort war das Reich nach außen saturiert, aber nach innen galt dies für Hugo Preuß keineswegs. Das Reich wie auch Preußen waren nach innen unfertige Staaten, die weit hinter der äußeren Stellung zurückgeblieben waren41. Wolfgang J. Mommsen hat das Kaiserreich „ein System umgangener Entscheidungen“42 genannt, und das bekannte Schmitt-Wort vom dilatorischen Formelkompromiß ist inzwischen in der Forschung bei aller Anerkennung der trotzdem geleisteten integratorischen Kraft des Reiches weitgehend aufgegriffen43. Dies galt generell für die wenig inspirierte Verfassungsordnung, deren dünnes Regelwerk nicht einmal juristischen Anforderungen ganz genügen konnte, dies galt im Detail etwa für die unausgegorene Finanzordnung, die dem Reiche keineswegs alles das gab, was des Reiches war, und dies galt für die Stellung des Militärs, das sich praktisch außerhalb der Verfassung und jeglicher Kontrolle befand44. Kernstück der Finanzverfassung war das Monopol der Bundesstaaten auf direkte Steuern, während das Reich auf indirekte Steuern und Zölle angewiesen war. Das schränkte zugleich die Möglichkeiten des Reichstags ein, über die Steuergesetzgebung Politik gestalten zu können, es schränkte aber auch die Wachstumsmöglichkeiten des Reiches ein, denn die Flexibilität direkter Steuern war ihm durch die Verfassungskonstruktion und durch die Verfassungspraxis lange entzogen45. Die föderalistische Lösung der Finanzverfassung konnte natürlich zugleich als ein 39 F. Naumann, Demokratie und Kaisertum. Vgl. auch P. Gilg, Erneuerung des demokratischen Denkens, 178ff und 191f. 40 Vgl. „Die Organisation der Reichsregierung und die Parteien“, in: Staat, Recht und Freiheit, 186 u. 200; „Nationalitäts- und Staatsgedanke“, ebd., 527ff. 41 Vgl. „Die Organisation der Reichsregierung und die Parteien“, in: Staat, Recht und Freiheit, 175: „Man hat vielfach unsere Reichsverfassung als ein Meisterwerk der sogenannten Realpolitik gepriesen. Uns scheint dagegen gerade durch sie ein eklatanter Beweis geliefert zu sein, wie unfruchtbar und ohnmächtig eine prinzipienfremde, ideenfeindliche Organisation ist und notwendig sein muß.“ Siehe auch „West-Oestliches Preußen“, ebd., 208; „Was uns fehlt“, 9ff. 42 Wolfgang J. Mommsen, Das deutsche Kaiserreich als System umgangener Entscheidungen, in: ders., Der autoritäre Nationalstaat. Verfassung, Gesellschaft und Kultur im deutschen Kaiserreich, Frankfurt a.M. 1990, 11–38, (erstmals 1978). 43 Vgl. den Überblick über die Interpretationslinien bei Wolfgang J. Mommsen, Die Verfassung des Deutschen Reiches von 1871 als dilatorischer Herrschaftskompromiß, in: ebd., 39–65 (erstmals 1983). 44 Zur Finanzordnung vgl. „Reichs- und Landes-Finanzen“, Berlin 1894, passim, zum Militär „Die neue Militärvorlage“, in: Die Nation, 5. Jg. (1887/88), Nr. 12 (17.12.’87), 161–163; und vor allem „Friedenspräsenz und Reichsverfassung“, passim. 45 Vgl. Th. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866–1918, Bd. II, 166ff.; E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte III, 944ff.; H.-U. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte III, 885f. Zu den Verfassungsgrundlagen der Finanzpolitik siehe auch das Einleitungskapitel in P.-Ch. Witt, Die Finanzpolitik des Deutschen Reiches.
8.2 Das Reich als Monarchie und Demokratie
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weiterer Indikator für die unvollendete nationale Integration gelten, und die Miquelsche Steuerreform von 1895 hat zwar manche Probleme beseitigt und für Klarheit gesorgt, das System aber nicht wirklich modernisiert und den Erfordernissen der Zeit angepaßt46. Die Lage der Reichsfinanzen jedenfalls wurde bis zum Kriegsbeginn immer dramatischer, und daß das ambitionierte und teure Flottenprogramm eine reine Reichsaufgabe war, verschärfte die Problemlage weiter und führte zu einer enormen und beständig wachsenden Verschuldung des Reiches, also zu einer Abwälzung der Finanzierung der Rüstungsaufgaben auf zukünftige Generationen47. Hier liegt eines der Kernprobleme des Zusammenhangs von Militärprogramm und finanzieller Struktur des Reiches, der jenseits aller außenpolitischen Erwägungen ein Konstruktionsproblem des Bismarck-Reiches offenlegt. Auf diesen Zusammenhang hat als einer der ersten bereits Eckart Kehr verwiesen48, während das umfassende, vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt herausgegebene Werk zur deutschen Militärgeschichte der Thematik weniger Platz widmet als dem Problem des Ostasiatischen Expeditionskorps und der Besatzungs-Brigade49. Hoffnungen auf die Reformfähigkeit des Hohenzollern-Staates hatte Preuß nur zu Anfang seiner Laufbahn gehegt. Insbesondere nach dem Sturz des übermächtigen Gründungskanzlers setzte er darauf, daß sich damit auch die politischen Strukturen würden ändern müssen, hin zu einem politisch verantwortlichen Reichsministerium, das vom Reichstag emporgehoben und auch wieder abgelöst wurde50. Ministerverantwortlichkeit konnte als politische Verantwortlichkeit interpretiert werden oder sie konnte mit dem Sarkasmus verstanden werden, mit dem Preuß sie angesichts der deutschen Praxis bedachte: Der Kaiser und König hat eine Rede gehalten oder ein Telegramm verschickt, die die öffentliche Meinung lebhaft erregen. Das Telegramm ist nicht kontrasigniert, die Rede natürlich auch nicht. Mächtig rauscht’s im Blätterwald. Warum ist das Telegramm nicht gegengezeichnet? Merkwürdig, daß man nicht auch die Gegenzeichnung der mündlichen Rede verlangt! Wird der
46 Zu Johannes von Miquel, dem langjährigen Finanzminister Preußens, siehe Hans Herzfeld, Johannes von Miquel. Sein Anteil am Ausbau des Deutschen Reiches bis zur Jahrhundertwende, 2 Bde., Detmold 1938. 47 Th. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866–1918, Bd. II, 181. 48 Eckart Kehr, Soziale und finanzielle Grundlagen der Tirpitzschen Flottenpropaganda (1928), in: ders. Der Primat der Innenpolitik, 130–148, hier 131ff. Zu Kehrs Hauptwerk, Schlachtflottenbau und Parteipolitik 1894 bis 1901. Versuch eines Querschnitts durch die innenpolitischen, sozialen und ideologischen Voraussetzungen des deutschen Imperialismus, Berlin 1930 (auch ND Vaduz 1965), vgl. Hans-Ulrich Wehler, Einleitung, in: E. Kehr, Der Primat der Innenpolitik, 1–29, hier 7ff. 49 Wigand Schmidt-Richberg, Die Regierungszeit Wilhelms II., in: Handbuch der deutschen Militärgeschichte 1648–1939. Hrsg. vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt durch Friedrich Forstmeier et al., München 1979, 9–155, hier 118f.; und Edgar Graf von Matuschka, Organisationsgeschichte des Heeres 1890–1918, in: ebd., 157–282, hier 209–211. 50 Vgl. etwa den Aufsatz in der „Nation“ von 1890 „Die Organisation der Reichsregierung und die Parteien“, in: Staat, Recht und Freiheit, 172f. u. 195f. Knapp 30 Jahre später hatte sich das Problem nicht im geringsten geändert; „Zum 60. Geburtstag Theodor Barths“, ebd., 550–554 (erstmals BT 1909), hier 551f.
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8. Politiker in Erwartung einer Aufgabe in Preußen und im Reich Reichskanzler und Ministerpräsident die Verantwortung übernehmen? Lange Zeit wälzt die öffentliche Meinung diese schicksalsschwere Frage. Und endlich erscheint der große Tag des parlamentarischen Gerichts, da die gleiche Frage vor beinahe beschlußfähigem Hause und überfüllten Tribünen von den solonischen Lippen der erwählten Gesetzgeber ertönt, vorausgesetzt, daß Rede oder Telegramm im ‚Reichsanzeiger‘ gestanden haben. Schöner Augenblick dramatischer Spannung! Da erhebt sich der jeweilige Herr Reichskanzler und Ministerpräsident, jeder Zoll ein Held; Bekennermut leuchtet auf der erhabenen Stirn. Er tut bedeutend den Mund auf und spricht die geflügelten Worte: ‚Ich übernehme die Verantwortung‘, – vielleicht sogar ‚voll und ganz‘. – Ah! – Stolz sind alle Zeugen dieses welthistorischen Moments. Es wird noch Etliches hin und hergeredet; dann ist die Sache erledigt, Vaterland und Verfassung wieder einmal gerettet. Ja, es gibt noch Volkstribunen in Berlin!51
Dies alles ist einige Jahre vor 1908 geschrieben, als die Daily-Telegraph-Affäre, wie man im nachhinein sagen kann, die vielleicht letzte Chance bot, mit einem großen Reformschub zu einem System der Ministerverantwortlichkeit zu kommen. Trotzdem hatte Preuß wohl primär Bernhard von Bülow im Auge, der zu diesem Zeitpunkt bereits Reichskanzler war. Und dabei hat Bülow 1908 die hier karikierten „geflügelten Worte“ nicht einmal gesprochen, sondern sich damals wie auch später auf Kosten des Kaisers reinzuwaschen gewußt52. Zu diesem Zeitpunkt rechnete Preuß längst nicht mehr damit, daß die notwendigen Reformen ohne weiteres von innen her kommen konnten. Das Epochenjahr 1890 entpuppte sich doch nur als das Jahr einer Kanzlerkrise, und nicht als das einer Systemkrise. Der Monarch hatte einen Diener entlassen und einen neuen berufen, und die Bürger hatten dies hinzunehmen – und sie nahmen es hin. Wenn später die „Ideen von 1914“ den „Ideen von 1789“ entgegengesetzt wurden, so waren auch schon die „Ideen von 1871“ von den Werten der Französischen Revolution fast eben so weit entfernt gewesen. Erneut beklagte Preuß die mangelnden Energien der Bürger, die das Erbe der Revolution von 1789 ebenso wie das von 1848 verleugneten und sich passiv-unpolitisch mit dem Erreichten begnügten53. Zwar gab es eine bürgerliche Gesellschaft, aber schon die gängigen Zusätze, die den Begriff zum „Wirtschaftsbürger“ und zum „Bildungsbürger“ erweiterten, zeigten im Umkehrschluß an, daß der Bürger im politischen Sinne ins
51 „Vom ministeriellen Bekleidungsstück“, in: Die Nation, 22. Jg. (1904/05) Nr. 3, 37f., hier 37. 52 Geradezu prachtvoll in ihrer unschuldigen Egozentrik, beseelt von dem Wunsch, sich von jeder Schuld freizusprechen, ist die Darstellung, die Bülow selbst in seinen Memoiren von der Affäre gibt. Vom Kaiser bis zu einem kleinen Legationsrat wird die Schuld verteilt, nur der Reichskanzler steht mit weißer Weste dar; B. Fürst von Bülow, Denkwürdigkeiten II, 351ff. Bekanntlich hat jedoch Wilhelm II. ausgerechnet in diesem Fall korrekt gehandelt und das Interview den Auswärtigen Amt vor der Veröffentlichung vorgelegt. 53 Dies ließe sich an zahllosen Stellen zeigen; vgl. etwa „Staat und Stadt“, in: Staat, Recht und Freiheit, 80 u. 96; „Die Jubelfeier der französischen Revolution“, ebd., 539 u. 542ff. „Bergbriefe“, 11; „Germany – The Government“, [5]; „Politik und Kommunalpolitik“, 132; „‚Finis Britanniae!‘“, 56; „Verwaltung“, 120.
8.2 Das Reich als Monarchie und Demokratie
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Hintertreffen geraten war. Vor lauter Bürgertum blieb das Staatsbürgertum, blieb die Entwicklung der „civic society“ zurück54. Alle diese Details liefen letztlich auf den einen großen Gegensatz hinaus, den Preuß im Kriege mit einem rasch an Popularität gewinnenden Schlagwort belegte. Im Kern hatte er aber diesen Gegensatz auch schon in der Zeit trügerischer Ruhe vor dem Kriege so bezeichnet: der Gegensatz von Volksstaat und Obrigkeitsstaat. Von der obrigkeitlichen und der bürgerlichen Verfassung als den beiden einander entgegengesetzten Verfassungsprinzipien der Gegenwart ist bei Preuß schon sehr früh, im Grunde ab 1888 in seinen ersten publizistischen Aufsätzen die Rede55. Anläßlich des Jubiläums der Städteordnung 1908 beklagt Preuß, daß das deutsche Volk trotz Verfassung, Reichseinheit und demokratischem Reichstagswahlrecht immer noch keine „von obrigkeitlicher Bevormundung freie, in der aufsteigenden Gliederung bürgerlicher Gemeinwesen sich selbst regierende Nation“56 sei. Und 1912 formuliert er den Gegensatz prägnant in einem Aufsatz, der sich dem Problem einmal mehr und bezeichnenderweise von der Selbstverwaltung her nähert, den grundlegenden verfassungspolitischen Auftrag also wieder auf allen Ebenen verwirklicht sehen will: Die kommunale Selbstverwaltung ist in ihrem Wesenskern stets ‚local selfgovernment‘, soweit ihr dieser Charakter nicht durch eine heterogene, fremde Macht, den ‚Staat‘ verkümmert wird. Ist der ‚Staat‘ die Organisation des ‚national selfgovernment‘, so sind beide einander homogen, jener Gegensatz der Wesensfremdheit existiert nicht. Wohl aber ist er in voller Schärfe da, wenn der ‚Staat‘ statt der Organisation des ‚national selfgovernment‘ die Organisation bureaukratischer Obrigkeit ist. Der Gegensatz besteht also in Wahrheit nicht zwischen ‚Staat‘ und ‚Gemeinde‘, sondern zwischen Obrigkeitsstaat und Volksstaat.57
Damit hatte Preuß zwei Jahre vor dem Kriegsbeginn auch die Terminologie für die Sache gefunden, an der er schon lange gearbeitet hatte. Mit „Obrigkeitsstaat“ und „Volksstaat“ hat er zwei Strukturprinzipien für den Verfassungsaufbau bezeichnet, die über eine Aufzählung einzelner Verfassungsbestimmungen hinausgehen. Sie bieten ein Leitbild und ein Modell, mit dem Preuß einzelne Elemente vorliegender Verfassungen, möglicher Reformbestrebungen wie auch ganz allgemein Vorkommnisse des politischen Alltags einer Analyse unterziehen kann. Das geht über eine juristische und erst recht über eine positivistische Betrachtung der Verfassung von 1871 weit hinaus, das ist auch eine andere Herangehensweise als die Aufstellung politischer Forderungen an eine Veränderung der Verfassungsordnung. Wie Max Weber aus der Analyse der Gesellschaftsstruktur des Kaiserreiches 54 Manfred Hettling, Politische Bürgerlichkeit. Der Bürger zwischen Individualität und Vergesellschaftung in Deutschland und der Schweiz von 1860 bis 1918, Göttingen 1999, beruht auf Fallstudien zu Basel und Breslau, reicht in seinem Erkenntnisgewinn zum hier skizzierten Problem aber weit darüber hinaus. 55 „Liberale und autokratische Revolutionäre“, in: Staat, Recht und Freiheit, 521; siehe auch „Stadt und Staat“, ebd., 95. 56 „Zur Säkularfeier der Stein’schen Städte-Ordnung. 19. November 1808–1908“, FZ, Nr. 321 (18.11.’08), 4.M. 57 „Verwaltungsreform und Staatsreform in Österreich und Preußen“, 234f.
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Schlüsse gezogen hat, die methodisch auf neue Ebenen führten und weit über die Analyse einer konkreten Gesellschaft hinausreichten, hat Preuß hier einen politikanalytischen Ansatz gefunden, der eine normative Theorie des demokratischen Verfassungsstaates bietet und zugleich Methoden zur politikwissenschaftlichen Analyse des bestehenden Deutschen Reiches. Um den 1912 von Preuß in seine endgültige Form gegossenen Gegensatz kreisen seine weiteren Überlegungen zur Verfassungsstruktur und zur Verfassungsreform. Die späteren Aufsätze von Eckart Kehr sind unter dem Titel Primat der Innenpolitik herausgegeben worden58, aber auch für Hugo Preuß kann man diese Wendung reklamieren. Und ähnlich wie später Kehr zieht er aus der Untersuchung der innenpolitischen Struktur weitreichende Konsequenzen auch für die Militär- und Außenpolitik Deutschlands. Nur tut er dies nicht als Historiker, der nach der Urkatastrophe des Ersten Weltkrieges nach Erklärungen für die zum Krieg führende deutsche Politik sucht, sondern als analysierender Zeitgenosse dieser Politik, die ihren verhängnisvollen Kurs eingeschlagen, aber noch nicht vollendet hatte. Preußen-Deutschland war für Hugo Preuß ein Staat mit einer in sich selbst ruhenden Obrigkeit, der das Volk äußerlich und letztlich politisch unbeteiligt gegenüberstand. In den Volksstaaten des westlichen Auslandes hingegen war die Verflechtung von Volk und Regierung durch die tätige Mitwirkung an der Regierungsbildung ganz anders möglich59 – Preuß war einer der ganz wenigen Autoren, die schon vor Kriegsausbruch das Verhältnis von innerer und äußerer Stärke eines Staates dahin erkannten, daß ein Obrigkeitsregime auch in seiner ureigensten Domäne, der Entfaltung militärischer Macht nach außen, unter den Bedingungen des modernen Industriestaates dem Volksstaat unterlegen sein mußte60. Analytische Bemerkungen dieser Art verhallten in einem Staat, in dem nicht unbedingt der Krieg, aber doch das obrigkeitlich geleitete Militär und die kriegerische Tüchtigkeit als der Vater aller Dinge angesehen wurde, ungehört. Die letzten Jahre vor Ausbruch des Krieges sah eine ganze Reihe von grundlegenden Studien, die sich mit der gegenwärtigen und zukünftigen Rolle der deutschen konstitutionellen Monarchie auseinandersetzten und die damit als Seitenstücke zur Preußschen Analyse betrachtet werden können. Es ist kein Zufall, daß 58 Zur Grundlage des Kehrschen Denkens siehe H.-U. Wehler, Einleitung, in: E. Kehr, Primat der Innenpolitik, 26ff. 59 Zur Westorientierung des deutschen demokratischen Denkens der Zeit siehe M. Llanque, Demokratisches Denken im Krieg, 103ff. Ohne erneut in die Sonderwegsdebatte einzusteigen, sei hier nur darauf verwiesen, daß Heinrich August Winkler seine zweibändige deutsche Geschichte der letzten beiden Jahrhunderte mit dem programmatischen Obertitel Der lange Weg nach Westen, 2 Bde., München 2000, versehen hat. 60 So 1913 in seinem Artikel „Verwaltung“, 119: „Mag auch der Satz allgemein gültig sein, daß äußere Machtentfaltung von der Stärke der inneren Organisation bedingt wird und umgekehrt, so ist doch die entscheidende Frage, ob in den modernen Kulturverhältnissen die herrschaftliche Organisationsform gegenüber der genossenschaftlich-korporativen wirklich noch die stärkere ist? Die heutigen internationalen Verhältnisse legen zum mindesten sehr ernsthafte Zweifel bei der Beantwortung dieser Frage nahe.“
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das Jahr 1912 als Katalysator für diese Untersuchungen gewirkt hat und daß auch Hugo Preuß seinen eigenen Gegensatz von Obrigkeitsstaat und Volksstaat in einem Aufsatz dieses Jahres auf seine endgültige Formel gebracht hat. Der Wahlsieg der linken Parteien, vor allem das dramatische Anwachsen der sozialdemokratischen Mandate gab den Anlaß, um grundsätzlich darüber nachzudenken, was dieses zumindest in seiner Größenordnung nicht erwartete Ereignis im weiteren Kontext bedeuten könnte. Die Zeitgenossen erkannten die Bedeutung dieses politischen Umschwungs, und so einfach wie Bülow, der das Wahlergebnis zwar als „sehr ernstes Menetekel“ erkannte, es zugleich aber einfach auf die „Unzulänglichkeit von Bethmann“ schob61 und damit andeutete, daß ein anderer Reichskanzler (wen mochte er dabei im Auge gehabt haben?) das Resultat hätte verhindern können, machte es sich niemand. Das unsägliche, 1912 erschienene Buch von Heinrich Claß, Wenn ich der Kaiser wär’, ist bereits angesprochen worden. Obwohl es auch durch die Wahlen hervorgerufen wurde, paßt es eigentlich nicht in diese Reihe, denn hier kann kaum von einer ernsthaften Analyse der bestehenden Monarchie und ihrer Entwicklungsmöglichkeiten gesprochen werden. Die wahnwitzige national-chauvinistischen und antisemitischen Ausbrüche von Claß sind als Vorboten späterer Entwicklungen aufschlußreich, wurden aber nicht als ernsthafter Beitrag zur Debatte um 1912 angesehen, und das gilt generell für die extreme Rechte und ihre Beiträge zur Diskussion62. Gründlicher war die ausgedehnte, 620 Seiten starke Untersuchung, mit der Wilhelm Hasbach, Nationalökonom in Kiel, 1912 Die moderne Demokratie betrachtete63. Hasbach führte die Demokratie auf Calvin zurück und untersuchte die politische Praxis und Verfassungsstruktur in Frankreich, der Schweiz und den USA. Ein Hauptargument für ihn ist, daß in der Massendemokratie die Freiheit vor dem Zugriff der Mehrheit nicht wirklich geschützt werden könne, daß also die scheinbare politische Freiheit eine Chimäre ist und in der rechtsstaatlichen konstitutionellen Monarchie wesentlich sicherer sei64. Hasbach kannte sich gut in der politischen Literatur der westlichen Länder aus und garnierte seine kritischen Bemerkungen vorzugsweise mit demokratietheoretischen Autoren aus Demokratien, wobei er allerdings übersah, daß diese oftmals die Probleme der real existierenden Demokratie von der Basis demokratischer Grundüberzeugungen her kritisierten und somit nur bedingt für ihn verwertbar waren. Gleichwohl war es ein 61 Beide Stellen B. Fürst von Bülow, Denkwürdigkeiten III, 85. 62 Als Überblick mit einer Klassifikation der unterschiedlichen Positionen siehe Stefan Breuer, Grundpositionen der deutschen Rechten 1871–1945, Tübingen 1999, 31ff. Speziell zu Claß ebd., 39f. 63 Wilhelm Hasbach, Die moderne Demokratie. Eine politische Beschreibung, 2. unveränd. Aufl., Jena 1921 (erstmals 1912). Ähnlich in der Argumentation, aber durch die Zeitumstände schärfer ist Hasbachs Die parlamentarische Kabinettsregierung. Eine politische Beschreibung, Stuttgart und Berlin 1919, das 1916/17 geschrieben wurde und 1917/18 als Aufsatzreihe erschienen ist. 64 W. Hasbach, Die moderne Demokratie, 238ff.
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Kern seiner Argumentation, daß deutsche Demokraten ein idealisiertes Demokratiebild hatten65. Der gewichtigste Beitrag dieser Jahre, der quantitativ deutlich über die einschlägigen Äußerungen von Preuß hinausging, war das vor Kriegsausbruch 1914 erschienene Buch Regierung und Volkswille des Historikers Hans Delbrück66. Der Herausgeber der Preußischen Jahrbücher, die er von Treitschke übernommen hatte, war einer der renommiertesten deutschen Gelehrten, dessen Stimme weit über seine eigene Zunft hinaus gehört wurde. Dazu trugen die Verbindungen seiner weitverzweigten Familie bei, seine Jahre aktiver Politik im Abgeordnetenhaus und im Reichstag, aber vor allem die Tatsache, daß die Preußischen Jahrbücher nicht nur ein wissenschaftliches Fachorgan waren, sondern auch die aktuelle politische Diskussion wesentlich mit beeinflußten. Delbrück war kein unkritischer Verehrer des Bismarck-Reiches oder gar des amtierenden Kaisers, ganz im Gegenteil67. Nach Kriegsausbruch war Delbrück neben einer Reihe weiterer Initiativen auch Mitinitiator einer gemäßigten Antwort auf die sogenannte „Intellektuellen-Eingabe“ von 1915, die extreme Gebietsansprüche vertreten hatte68. 1919 war Delbrück auch im Ausland noch so angesehen, daß zum Mitautor der „Professoren-Denkschrift“ ausersehen war, die die Position der Revolutionsregierung gegenüber den Kriegsschuldvorwürfen der Entente enthielt69. Auch Delbrück verwandte in seinen Ausführungen viele Seiten für den Nachweis, daß die westlichen Demokratien ihrem eigenen Anspruch nicht gerecht wurden. Volkswille und Volkssouveränität sei eine reine Fiktion, die zudem auf dem Wege der Repräsentation niemals zu erreichen sei70. In der Praxis sah Delbrück lediglich ein System der wechselnden Parteiregierungen in den Demokratien, mit Korruption71, vollkommener Abhängigkeit des Abgeordneten von seiner Partei72 und einer Herrschaft des Geldes, das in den USA die Wahlkämpfe vollkommen beherrsche73. Ein willkommenes Argument bieten Delbrück die amerikanischen Präsidentschaftswahlen von 1912, als infolge der Spaltung der Republikaner die 65 Vgl. hierzu und vor allem zur kontinuierlichen Entwicklung der Argumentation Hasbachs nach 1914 M. Llanque, Demokratisches Denken im Krieg, 130f. 66 Hans Delbrück, Regierung und Volkswille. Eine akademische Vorlesung, Berlin 1914. 67 Zu Delbrück siehe Annelise Thimme, Hans Delbrück als Kritiker der Wilhelminischen Epoche, Düsseldorf 1955. 68 Vgl. E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte V, 231f. Zur Wahlrechtsinitiative von 1917, der Berliner Erklärung, siehe M. Llanque, Demokratisches Denken im Krieg, 164f. 69 Zu diesem Vorgang M. Dreyer und O. Lembcke, Die deutsche Diskussion um die Kriegsschuldfrage 1918/19, 32f. und 146ff. 70 H. Delbrück, Regierung und Volkswille, 43ff. und 110. Volksabstimmungen können dies auch nicht beheben, denn „[d]as Referendum wirkt konservativ. Das Volk wünscht keine Veränderung, wenn ihm nicht das Übel etwa schon auf der Haut brennt.“ Ebd., 30. 71 Ebd., 46 und 48. 72 Ebd., 75; das Parlament sei mithin „tatsächlich eine sich selbst ergänzende Oligarchie“. 73 Ebd., 133. Amerika habe „gar keine Demokratie, sondern eine Plutokratie“.
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Demokraten als Minderheit trotzdem die Wahl gewannen74. Ganz ausführlich referiert Delbrück die Untersuchung von Robert Michels über die Oligarchisierungstendenzen aller Parteien75, und überhaupt ist Voraussetzung für ein parlamentarisches System, daß sich die Parteien einigermaßen nahe stehen. Das ist in Amerika und England der Fall, aber nicht in Deutschland76. Kurz, Delbrücks Mängelanalyse der Demokratien gipfelte in einer Apotheose des Bestehenden: Ohne die Augen zu verschließen vor den inneren Mängeln, die auch unserem Regierungssystem anhaften, muß ich doch sagen, daß ich in ihm eine weit höhere und bessere Form der politischen Gestaltung sehe als in irgendeinem anderen Staate der Gegenwart.77
Denn nur in Deutschland sei die Staatsführung aus dem Kampf der Parteien enthoben und am Wohle des Staates orientiert, aber nicht an den Zielen einer einzelnen Gruppe des Volkes. Und nur in Deutschland bestehe die Balance zwischen dem ruhenden Pol aus Monarch und Beamtentum, und dem notwendigen ständigen Antrieb durch die Kontrolle der öffentlichen Meinung, die ihren legitimen Ausdruck im Reichstag finde. Delbrücks Ausführungen sind vielleicht die umfassendste und tiefschürfendste Rechtfertigung der konstitutionellen Monarchie, die jemals geschrieben wurde. Ihre Wirkung beruht darauf, daß er einerseits die Probleme des Kaiserreiches nicht verschwieg, daß er aber vor allem eine detaillierte und aktuelle Analyse der Schwierigkeiten der Demokratien durchführte, die in vielen Details unmöglich zu leugnen war. Aber wenn Preuß von Volksstaat und Obrigkeitsstaat sprach, dann meinte er damit kein unerreichbares Ideal, sondern einen Vergleich der relativen Stärken und Schwächen von real existierenden Regierungssystemen. Delbrück maß die demokratisch verfaßten Systeme an einer Meßlatte, vor der sie scheitern mußten, während er umgekehrt die von ihm als „dualistisches“ System gepriesene deutsche Verfassung idealisierte. Die mangelnden Kontrollmechanismen gegenüber der nur begrenzt verantwortlichen Regierung, den Ausschluß weiter Bevölkerungskreise von einer nennenswerten Mitwirkung innerhalb des Systems, die Gefährdungen durch eine herausgehobene und dem politischen Prozeß entzogene Stellung des Militärs und vor allem die 1912 noch nicht erprobte, von Preuß aber bereits akkurat prognostizierte geringe Belastbarkeit des Systems in kritischen Situationen hat Delbrück ganz erheblich unterschätzt. Er hat im Grunde ein politisches System für ein quietistisches, politisch desinteressiertes Volk in Friedenszeiten entworfen, und 74 Ebd., 7. Wolle man einen Mehrheitsentscheid, müsse man auch das Frauenstimmrecht zugestehen, „denn die Frauen gehören ganz gewiß ebenso zum Volk wie die Männer“. Da es aber mehr Frauen als Männer gebe, „würde also die gesetzliche Herrschaft von den Männern auf die Frauen übergehen. Sind die Frauen aber vermöge ihrer Mehrzahl auch stärker als die Männer? Schwerlich. Käme es zum Kampfe zwischen der männlichen und der weiblichen Partei, so würden die modernen Amazonen vermutlich am Ende ebenso unterliegen wie die antiken.“ Ebd., 132. Die meisten Argumente Delbrücks sind weniger wunderlich als dieses. 75 Ebd., 76. 76 Ebd., 127. 77 Ebd., 186.
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es läßt sich nicht leugnen, daß dies der Bedürfnisstruktur weiter Teile der deutschen Bevölkerung zu diesem Zeitpunkt besser entsprach als die von Preuß vorgestellte Alternative – schließlich hat ja gerade Preuß die Politikunfähigkeit der Deutschen immer wieder kritisiert. Als nach dem Ausbruch des Weltkrieges der erhoffte rasche Sieg ausblieb und die burgfriedliche erste Euphorie verflogen war, die ohnehin nicht so umfassend gewesen war, wie lange angenommen78, verschärften sich unmerklich alle politisch-strukturellen Krisen des Kaiserreiches und ebenso die Dringlichkeit einer Lösung für sie. Beim Kernproblem konnte Preuß nahtlos an seine Vorkriegsarbeiten anknüpfen: Ich selbst habe den entscheidenden Gegensatz als den von Volksstaat und Obrigkeitsstaat bezeichnet; und fast scheint diese Bezeichnung sich einbürgern zu wollen, trotz der dagegen erhobenen mehr oder minder gewichtigen Einwände. ... Volksstaat ist lediglich der zusammenfassende positive Ausdruck für alle die nicht obrigkeitlich bestimmten politischen Strukturen. ... Die tatsächliche Auslese der politischen Führung ist schließlich das Entscheidende. Man kann, von allen Verfassungsparagraphen und staatsrechtlichen Formen absehend, die Sache auch so formulieren: wird die politische Führung und werden die politischen Führer von einer starken öffentlichen Meinung bestimmt und ausgelesen oder von einer in sich selbst ruhenden Obrigkeit?79
Hier lag der springende Punkt, der den Gegensatz Deutschlands zu seinen Kriegsgegnern konstituierte, und der noch weit darüber hinaus auch im neutralen Ausland die deutsche Position schwächte. Preuß ließ sich von den Reden und Publikationen über die „Ideen von 1914“ ebensowenig täuschen wie von der Anpreisung sozialer Sicherheit, die vielen Publizisten so viel mehr bedeutete als politische Demokratie. Auch Delbrück hatte 1912 die deutsche Sozialpolitik als Beweis der Überlegenheit des politischen Systems angeführt80, und 1914 ergriff eine Vielzahl von Publikationen diesen Topos81. Alle diese Schriften sind längst vergessen, und es lohnt sich auch nicht, sie aus ihrem wohlverdienten Schlaf zu erwecken. Eine Ausnahme muß allerdings für das 1917 erschienene Buch von Kurt Wolzendorff Vom deutschen Staat und seinem 78 Überzeugend hierzu Jeffrey Verhey, Der „Geist von 1914“ und die Erfindung der Volksgemeinschaft, Hamburg 2000; U. Sieg, Jüdische Intellektuelle im Ersten Weltkrieg, 53ff. 79 „Weltkrieg, Demokratie und Deutschlands Erneuerung“, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, 44. Bd. (1917/18), 242–264, hier 252f. Vgl. auch „Das deutsche Volk und die Politik“, 51 u. 57f.; „Nationaler Gegensatz und internationale Gemeinschaft“, in: Staat, Recht und Freiheit, 353. Nach dem Krieg faßte er dies alles noch einmal zusammen, vgl. „Vom Obrigkeitsstaat zum Volksstaat“, 18f. u. passim. 80 H. Delbrück, Regierung und Volkswille, 181. 81 Vgl. Wolfgang J. Mommsen, Der Geist von 1914: Das Programm eines politischen „Sonderwegs“ der Deutschen (1990), in: ders., Der autoritäre Nationalstaat, 407–421; sowie, mit anderem Blickwinkel, Thomas Rohkrämer, August 1914 – Kriegsmentalität und ihre Voraussetzungen, in: W. Michalka (Hrsg.), Der Erste Weltkrieg, 759–777, hier 767ff. Zum sozialpolitischen Hintergrund siehe Jürgen Kocka, Klassengesellschaft im Krieg. Deutsche Sozialgeschichte 1914–1918, Frankfurt a.M. 1988.
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Recht gemacht werden, denn hier legte der damals in Königsberg tätige Staatsrechtler, der später als Sekretär von Walther Schücking an der deutschen Delegation in Versailles beteiligt war, eine umfassende programmatische Rechtfertigung des bestehenden politischen Systems auf der Basis der Gierkeschen Genossenschaftslehre vor82. Der Kontrast zu Preuß ist reizvoll, denn Wolzendorff benutzt das gleiche Instrumentarium und die gleichen Denkstrukturen; er bewegt sich über weite Strecken mit Preuß auf einer Ebene. Aber er hat die demokratische Wendung der Preußschen Genossenschaftslehre nicht mitgemacht, sondern ist bei Gierkes konservativer Interpretation geblieben. Für Wolzendorff ist daher die westliche, demokratische Freiheit defizitär, denn sie betont ausschließlich die individuelle Berechtigung, ohne zugleich die Pflicht gegenüber dem Rechtsgenossen hervorzuheben83. Das Miteinander von Recht und Pflicht ist für Wolzendorff entscheidend. In heutigen Begriffen erinnert dies an die kommunitaristische Liberalismuskritik, was angesichts der auf Hegel zurückgehenden Wurzel von Wolzendorffs Denken auch kein Wunder ist84. Wolzendorff spricht, gleich Delbrück, von einem Dualismus des deutschen Rechts, der sich in der Einheit von Volk und Monarchie zugleich ausdrücke und aufhebe85. Implizit steht dahinter, wenn auch eleganter formuliert als bei anderen Zeitgenossen und unter Verzicht auf persönliche Angriffe, daß der Gegensatz von Volksstaat und Obrigkeitsstaat in Wirklichkeit gar kein Gegensatz war, sondern daß erst das Miteinander beider den wahrhaft deutschen Staat ausmache. Andererseits hatte Wolzendorff jedoch im Gegensatz zu vielen Autoren seiner Zeit keine Probleme damit, sich auch auf westliche Freiheitsrechte, sogar auf Rousseau und die Französische Revolution zu berufen. Aber er überhöht diesen Gedanken in der genossenschaftlichen Vollendung von subjektivem Freiheitsrecht und staatlicher Souveränität durch die Gründung des Deutschen Reiches86. Das ist identisch mit den Gedanken Gierkes, der sich auch 1871 der praktischen Umsetzung seiner Lehre nahe wähnte. Es ist verblüffend, daß Wolzendorff auch die Ideen von Preuß als Zeichen einer positiven Entwicklung des deutschen Staatsdenkens auf genossenschaftlicher Basis zustimmend zitiert, und zwar nicht nur die früheren, stärker von Gierke beeinflußten Arbeiten, sondern ausdrücklich auch die im Weltkrieg entstandenen Schriften87. Der Unterschied zwischen der Bestätigung des Status quo und dem Ruf nach demokratischen Reformen ist eigentlich deutlich. Wolzendorff wollte gleich Preuß 82 Kurt Wolzendorff, Vom deutschen Staat und seinem Recht. Streiflichter zur allgemeinen Staatslehre, Leipzig 1917. 83 Ebd., 20. 84 Der Grundgedanke ist bis heute wirkmächtig in der deutschen Geistesgeschichte; auch Helmut Schmidt (Hrsg.), Allgemeine Erklärung der Menschenpflichten, München und Zürich 1997, hat die Kombination von Recht und Pflicht aufgegriffen. 85 K. Wolzendorff, Vom deutschen Staat und seinem Recht, 50. 86 Ebd., 56f. und 94. 87 Ebd., 98, Fn. 1, werden Das deutsche Volk und die Politik und Obrigkeitsstaat und großdeutscher Gedanke als Beispiel und Beleg herangezogen.
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eine genossenschaftliche Organisation der deutschen Politik, aber er glaubte sie gleich Gierke bereits als Realität geschaffen. An keiner Stelle fällt Wolzendorff in die wütenden Anschuldigungen, die so viele der nach 1914 erschienenen Schriften kennzeichnen. Anscheinend ist das Bewußtsein der Überlegenheit der deutschen Staatsordnung so sicher, daß Wolzendorff sie in ruhigem Tonfall konstatieren kann. In dieser gelehrten Beschaulichkeit war er aber der Realität der Propagandabemühungen beider Seiten entwachsen. Die deutschen Anstrengungen auf diesem Gebiet waren nicht gering, aber ihr Erfolg entsprach nicht den amtlichen Vorstellungen und blieb weit hinter dem der entsprechenden Anstrengungen der Entente zurück88. Preuß hielt es nicht einmal für wichtig, ob die Behauptungen der Entente, einen Kreuzzug für die Demokratie zu unternehmen, auf Tatsachen beruhten. Wichtig war allein, ob diese Behauptungen von der Weltöffentlichkeit geglaubt wurden – und das war der Fall. Politische Kinderei ist der Versuch, die ungeheuren Wirkungen solcher Propaganda abwehren zu wollen durch mehr oder minder ‚tiefe‘ und ‚feine‘ Begriffskonstruktionen einer spezifisch deutschen Freiheit, gesalbt mit sozialpolitischem Öle; unsagbar töricht die vermeintliche Schlauheit, sich anzustellen, als ob man nicht verstehe, was mit den Schlagworten von Militarismus und Autokratie eigentlich gemeint sei. Das Resultat dieser politischen Offensive der Feinde und unserer höchst unpolitischen Defensive liegt klar zutage.89
Die Demokratie erwies sich, was Preuß nicht eben überraschte, als wesentlich anziehender für die Welt als der deutsche Obrigkeitsstaat, die angeblich spezifisch deutsche Idee der Freiheit wurde im Ausland nicht geglaubt, und damit entpuppte sich der Volksstaat endgültig auch nach außen als stärker denn der Obrigkeitsstaat; die Staatsräson des Wilhelminismus war zusammengebrochen90. Dies sahen die 88 Vgl. Peter Grupp, Voraussetzungen und Praxis deutscher amtlicher Kulturpropaganda in den neutralen Staaten während des Ersten Weltkrieges, in: W. Michalka (Hrsg.), Der Erste Weltkrieg, 799–824. 89 „Vorschläge zur Abänderung der Reichsverfassung und der preußischen Verfassung, nebst Begründung“, in: Staat, Recht und Freiheit, 290–335 (Manuskript von 1917), hier 292. Über die zur Verblüffung der angeblichen Realpolitiker „ungeheure machtpolitische Werbekraft der demokratischen Losung“ siehe auch „Weltkrieg, Demokratie und Deutschlands Erneuerung“, 250. Vgl. auch „Das deutsche Volk und die Politik“, 11 u. 29; „Deutsche Demokratisierung“, in: Staat, Recht und Freiheit, 336; „Innere Staatsstruktur und äußere Machtstellung“, in: Obrigkeitsstaat und großdeutscher Gedanke, Jena 1916, 3–25 (Vortrag Wien 6.4.’16), hier 5f.; und nach dem Krieg „Der deutsche Nationalstaat“, 27 u. 110; „Deutschlands Republikanische Reichsverfassung“, 11. Gegen die angebliche deutsche Eigenart vgl. „Weltkrieg, Demokratie und Deutschlands Erneuerung“, 254: „(M)it jener unserer Eigenart sind wir allein, mutterseelenallein auf der Erde!“ Und später, „Der deutsche Nationalstaat“, 77: „Der deutsche Nationalcharakter lehnt den einheitlichen Nationalstaat ab, der deutsche Staatsbegriff lehnt die Einheit des korporativ-parlamentarischen Staates ab. Und in dieser Entfremdung vom allgemeinen Zuge der Entwicklung liegt keine Schwäche, sondern die überlegene Stärke dieses preußisch-deutschen Reiches!“ 90 Vgl. insbesondere den Wiener Vortrag „Innere Staatsstruktur und äußere Machtstellung“, passim. Zur organisch korporativen Stärke Englands etwa „Weltkrieg, Demokratie und Deutschlands Erneuerung“, 252; „Das deutsche Volk und die Politik“, 169f. Dazu kamen die
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Proponenten der deutschen Freiheit natürlich anders, und es waren viele eher liberale Publizisten, die dies hervorhoben. Neben Wolzendorff ist vor allem eine von Ernst Troeltsch 1915 in Wien gehaltene Rede bemerkenswert, die paradigmatisch für die Argumentationskette ist. Auch Troeltsch hielt sich von jeglichem blinden Hasse fern und gestand den westlichen Ländern ohne weiteres zu, daß sie die ihnen gemäße Ausgestaltung der Freiheitsidee gefunden hatten. Seine Definition ist ein klassisches Beispiel für die von Preuß kritisierten Begriffskonstruktionen: Die Freiheit ... ist uns nicht die Hervorbringung des Regierungswillens aus der Summierung der Einzelwillen und nicht die Kontrolle der Geschäftsführer durch den Auftraggeber, sondern die freie, bewußte, pflichtmäßige Hingabe an das durch Geschichte, Staat und Nation schon bestehende Ganze.91
Also Freiheit nicht als Gestaltung und Kreativität, sondern als Bewahrung des Gewordenen. Freiheit wird damit im Effekt zu einem konservativen Gedanken. Eine zweite Säule der deutschen Freiheit sah Troeltsch „selbstverständlich in einer Sphäre der Selbständigkeit des Individuums rein für sich selber“, worin er dann „sowohl die französischen Menschenrechte als das englische Ideal der Unabhängigkeit aufgenommen“92 sieht. Aber beide sind im Einklang mit der deutschen Entwicklung umgestaltet und auf die Bildung und Kultur ausgerichtet. Pflicht und Kultur sind denn auch die beiden Bestandteile von Troeltschs Freiheitsbegriff, der damit jegliche politische Bedeutung verloren hatte, bzw. die unausgesprochene politische Rolle der Stützung des Bestehenden einnahm93. politischen Fehler der Vorkriegszeit: „(A)uch wer nicht an die Unfehlbarkeit Bismarckscher Staatskunst glaubt, wird doch überzeugt sein, daß unter seiner Leitung ein solches Gemisch von herausfordernder Überheblichkeit und schwächlicher Ungeschicklichkeit, von ziellosem Irrlichterieren, von Liebedienerei, Reizungen und Unzuverlässigkeit nach allen Seiten undenkbar gewesen wäre, wie es die Politik der letzten Epoche des preußisch-deutschen Kaiserreichs kennzeichnet. Alle Chancen, die sich aus den imperialistischen Interessengegensätzen für seine Machtgeltung ergaben, wurden sinnlos vertan; jenes Mißtrauen der internationalen Meinung gegen Deutschland wurde durch die Unbegreiflichkeit seiner Politik auf die Spitze getrieben und seinen erbittertsten Gegnern als wirkungsvollstes Mittel ihrer Kriegspropaganda dienstbar gemacht. Ob auch die geschickteste deutsche Politik die französisch-russische Entente hätte verhindern können, mag zweifelhaft sein; unzweifelhaft konnte nur eine so beispiellos schlechte deutsche Politik die Hindernisse beseitigen, die einer russisch-englischen Verständigung entgegenstanden.“ 91 Ernst Troeltsch, Die deutsche Idee von der Freiheit, in: ders., Deutsche Zukunft, Berlin 1916, 7–60, hier 39 (erstmals Rede Wien 1915). Diese Rede ist auch später während des Krieges noch verschiedentlich gedruckt worden. 92 Beide Stellen ebd., 45. 93 Ebd., 25f., bezieht sich Troeltsch zustimmend auf Delbrücks Regierung und Volkswille. Generell siehe Wolfgang J. Mommsen, Die „deutsche Idee der Freiheit“, in: ders., Bürgerliche Kultur und politische Ordnung. Künstler, Schriftsteller und Intellektuelle in der deutschen Geschichte 1830–1933, Frankfurt a.M. 2000, 133–157 (erstmals 1992); und das grundlegende Werk von Leonard Krieger, The German Idea of Freedom. History of a Political Tradition, Boston 1957.
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1915, im gleichen Jahr, in dem Troeltsch seine Rede hielt, erschien das politisch kontroverseste, aber auch erfolgreichste Buch, mit dem Preuß je an die Öffentlichkeit getreten ist: Das deutsche Volk und die Politik94. In ihm sagte Preuß im Grunde nichts anderes, als er schon seit Jahren immer wieder geschrieben hatte; er zeigte den Gegensatz von Volksstaat und Obrigkeitsstaat und die äußeren Probleme, die Deutschland daraus erwuchsen; sowohl im Krieg wie auch generell. Doch jetzt wurde diese Botschaft gehört; im zweiten Kriegsjahr war die Aufnahmebereitschaft der Öffentlichkeit für diese Thesen gewachsen. Preuß akzentuierte hier in schlagkräftigen Formulierungen praktisch als erster linksliberaler Publizist, daß der Burgfrieden nicht die ganze Antwort auf die dringenden Strukturprobleme Deutschlands sein konnte. Preuß stand mit diesen Überlegungen nicht allein; Walther Schücking, der spätere DDP-Parteifreund von Preuß und bis 1928 Reichstagsabgeordneter für diese Partei, knüpfte mit seinen Kriegsaufsätzen gleichfalls an ähnlich gelagerte Reformbestrebungen der Friedenszeit an, legte aber als Völkerrechtler stärkeres Gewicht auf die internationalen Aspekte und auf eine demokratische Friedensordnung zwischen den Völkern95. Die Preuß politisch nahestehende Presse griff begierig die von ihm angebotenen Formulierungen, vor allem das griffige Gegensatzpaar, auf, und ebenso schnell denunzierten die Anhänger der Ideen von 1914 Preuß als Nestbeschmutzer. Daß auch Schmoller und Gierke in diesen Chor einstimmten, wird Preuß geschmerzt, aber nicht beirrt haben. Immerhin gab es auch jede Menge Zustimmung zu der Schrift96. Gierke begnügte sich in seiner Kritik an seinem alten Schüler, der sich inzwischen so weit von seinen eigenen Vorstellungen entfernt hatte, mit der Feststellung, daß der Volksstaat in Deutschland schon längst erreicht sei97. Besonders nobel mutet die Reaktion der Preußischen Jahrbücher an. Delbrück nämlich übertrug die Rezension des Buches Gerhard Anschütz, der ein politischer wie wissenschaftlicher Weggefährte von Preuß war und der sich auch selbst schon 94 „Das deutsche Volk und die Politik“, Jena 1915. Das Vorwort ist vom Mai 1915. Ich habe das 6.–8. Tausend, Jena 1916, benutzt. Als Ziel formulierte Preuß: „Nicht das Fell des unerlegten Bären soll hier verteilt werden; vielmehr sollen Fragen der politischen Entwicklung analysiert werden, die im günstigsten wie im ungünstigsten noch irgend wahrscheinlichen Falle nicht zu umgehen sind.“ (1) Vgl. S. Graßmann, Hugo Preuß, 34, und v.a. G. Gillessen, Hugo Preuß, 91: „Hugo Preuß hat viele ausgezeichnete Schriften hinterlassen, aber keine ist so ergreifend in ihrer sorgfältig verhüllten Liebe zu diesem hilflos unpolitischen Volk und so erregend in ihren Fragen und in ihren Antworten.“ 95 Vgl. Walther Schücking, Neue Ziele der staatlichen Entwicklung. Eeine politische Studie, Marburg 1913; ders., Der Weltfriedensbund und die Wiedergeburt des Völkerrechts. Ein Vortrag, Leipzig 1917. Zu Schückings Denken im Krieg siehe auch M. Llanque, Demokratisches Denken im Krieg, 265ff. 96 Etwa „Innerpolitische Ausblicke“, VZ, Nr. 386 (31.7.’15); „Das deutsche Volk und die Politik“, Fränkischer Kurier, Nr. 399 (7.8.’15); E. Pernerstorfer, Wir und die andern, BT, Nr. 491 (19.8.’15) M; „Die neue Zeit“, FZ, Nr. 295 (24.10.’15). Vgl. auch M. Llanque, Demokratisches Denken im Krieg, 88ff. 97 Otto Gierke, Recht und Sittlichkeit, in: Logos, 6. Bd. (1916/17), 211–264, hier 261f.
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für eine Demokratisierung während des Krieges ausgesprochen hatte98. Seine ausführliche Besprechung ist denn auch beinahe hymnisch, und Anschütz folgt ganz dem Gedankengang von Preuß, der ausgiebig selbst zu Worte kommt99. Delbrück selbst begnügte sich mit einem kleinen Nachwort, in dem er kurz auf sein eigenes Buch von 1914 und die darin ausgedrückte grundlegend andere Auffassung hinwies, ansonsten aber klarstellte, er habe Preuß’ Buch „einem Gelehrten zugewiesen, von dem wir wußten, daß er ihm in der Gesinnung näher stehe, als wir selber“ und sich freute, „daß die wertvolle Arbeit ihre volle Würdigung erfahren hat“100. Ganz anders die Reaktion von Gustav Schmoller, in dessen Jahrbuch Preuß über die Jahre hinweg immer wieder mal geschrieben hatte, der jetzt aber vollkommen auf Gegenkurs ging. Auch Schmoller spielte das Buch Delbrücks über Regierung und Volkswillen gegen Preuß aus und übersah dabei geflissentlich die in vielen Punkten bestehende Nähe der beiden Autoren101. Aber über diese akademisch berechtigte Kritik ging Schmoller maßlos hinaus, als er die Person des Autors in seine Ablehnung des Buches einbezog: Preuß ... ist einer der Häuptlinge des Berliner kommunalen Freisinnes geworden, der, sozial auf semitischer Millionärsbasis beruhend, unsere Hauptstadt mehr oder weniger beherrscht. Und es will mir immer vorkommen, daß in diesen Kreisen, so tüchtig und ehrbar sie sind, der politische Horizont und das politische Urteil doch zu sehr von dem einen Gedanken erfüllt ist: in ihren Kreisen sei eine solche Überlegenheit von Intelligenz, Charakter und Talent, daß es ungerecht und schädlich für Staat und Gesellschaft sei, daß ihr eng zusammenhaltender Kreis die Universitäten, das Heer, das hohe Beamtentum noch nicht so unbedingt beherrsche, wie das bezüglich der Stadt Berlin und ihrer Verwaltung der Fall sei. Bei den meisten, auch wohl bei Preuß, unbewußt, wirken derartige Stimmungen beeinflussend auf ihr politisches Denken.102
Gegen diese Worte regte sich eine Menge Kritik103, die auch Schmoller selbst nicht unbeeindruckt ließ. Er glaubte sich rechtfertigen zu müssen und tat dies, indem er betonte, daß er immer für Rassenmischung und Assimilierung eingetreten sei und daß es überall Nathans und Shylocks gebe, unter Juden wie Christen. Dabei verstieg sich Schmoller bis zu dem Satz, er habe „mit meine besten Freunde unter Juden und Halbjuden“104. Was auch immer dieser Satz wert sein mochte, er wurde sofort wieder relativiert durch die von Schmoller angeblich wahrgenommene Neigung der 98 Gerhard Anschütz, Gedanken über künftige Staatsformen (1915), in: Klaus Böhme (Hrsg.), Aufrufe und Reden deutscher Professoren im ersten Weltkrieg, Stuttgart 1975, 113–124. 99 Gerhard Anschütz, Besprechung von „Hugo Preuß, Das deutsche Volk und die Politik, Jena 1915“, in: Pr.Jbb. 164 (1916), 339–346. 100 Hans Delbrück, Nachschrift des Herausgebers, ebd., 346. 101 Zum Dreieck Schmoller, Delbrück, Preuß siehe auch M. Llanque, Demokratisches Denken im Krieg, 92. 102 Gustav Schmoller, Obrigkeitsstaat und Volksstaat, ein mißverständlicher Gegensatz, in: Schmollers Jb, N.F., 40. Jg. (1916), 2031–2041, hier 2032f. 103 „Volksstaat und Gleichberechtigung“, FZ, Nr. 8 (9.1.17); R. Witting, Schmoller und der Obrigkeitsstaat, VZ, Nr. 18 (11.1.’17). 104 Gustav Schmoller, Die heutige deutsche Judenfrage (1917), in: ders., Zwanzig Jahre Deutscher Politik (1897–1917). Aufsätze und Vorträge, München und Leipzig 1920, 177–181, hier 171.
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Juden, Christen zu benachteiligen. Für Schmoller lag es im Interesse der Juden selbst, „daß ihre Vorherrschaft in gewissen Stellungen, Berufen, Ämtern nicht zu sehr, nicht zu sichtlich sich geltend mache“, wobei er an die Berliner Stadtverwaltung dachte105. Neben diesen erneuten Diffamierungen kam Schmoller aber auch inhaltlich auf die Reformvorschläge von Preuß zurück und lehnte den Parlamentarismus für Deutschland mit der schon von anderen Autoren, vor allem Delbrück, getroffenen Feststellung ab, daß hierfür das notwendige Zweiparteiensystem fehle106. Bislang hatte Preuß Reformen nur angemahnt, jetzt forderte er sie immer lauter, da der Bestand des Reiches in Gefahr geraten war. Und solche Reformen hatten sofort einzusetzen, nicht erst in der ruhigeren Nachkriegszeit. Die Gefahren bestanden jetzt, und jetzt mußte ihnen begegnet werden107. Auf Reichsebene hieß das die endliche Umwandlung der Staatsordnung in einen demokratischen Volksstaat mit monarchischer Spitze108. Für den wichtigsten Teilstaat Preußen bedeutete es im Prinzip das Gleiche, wobei hier noch die ewige Hürde des bestehenden Dreiklassenwahlrechts hinzukam, an das sich vor allem das Herrenhaus zäh klammerte109. Die einfache Einführung des Reichstagswahlrechts auch in Preußen wäre ein Ansatz für die Reformen gewesen, wie Preuß ihn guthieß. Und sollte die Resistenz des Herrenhauses dem im Wege stehen, so plädierte Preuß auch für einen Eingriff von Reiches wegen, notfalls auch gegen den Willen Preußens und der preußischen Politiker110. Daß es in der Wahlrechtsfrage nicht um die Bewah-
105 Ebd., 180. 106 Gustav Schmoller, Wäre der Parlamentarismus für Deutschland oder Preußen richtig? (1917), in: ders., Zwanzig Jahre Deutscher Politik, 183–189, hier 188. 107 „Parlamentarisierung“, FZ, Nr. 213 (4.8.’17) 1.M. Preuß wendet sich hier gegen die Aufforderung des späteren Vizekanzler v.Payers, Reformen noch einmal zu durchdenken: „Es ist inzwischen auf der Weltenuhr ziemlich spät geworden; auch sind die Umstände für geruhige Sammlung nicht gerade günstig. Indessen sind sie vielleicht um so günstiger für intensivste Willensanspannung. Und ohne den politischen Willen, ohne Auslösung politischer Energien bleibt das ‚Durchdenken‘ politischer Probleme praktisch unfruchtbar.“ Vgl. auch „Vorschläge zur Abänderung der Reichsverfassung“, in: Staat, Recht und Freiheit, 293: „Und der Glaube, eine internationale Verständigung durch die Verheißung einer inneren Neugestaltung nach dem Krieg fördern zu können, gleichet dem Gedanken, die kriegerische Leistung durch Herstellung von Waffen und Munition nach Friedensschluß stärken zu können.“ 108 Vgl. „Des Reiches bundesstaatlicher Charakter in Gefahr?“, in: Der März, 11. Jg. (1917), 371– 379, passim. Preuß kritisiert hier erneut die Laband-Schule, die den monarchischen Charakter des Reiches leugnete: „Da steigt die Perückenpublizistik der alten Reichszeit gespensternd auf, deren ewig Weh und Ach es war, ob Kaiser oder Reichstag Träger der Gewalt im Heiligen Römischen Reiche Deutscher Nation wäre.“ (373) 109 Zur Wahlrechtsdebatte während des Krieges als Überblick E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte V, 151ff.; sowie R. Patemann, Der Kampf um die preußische Wahlreform im Ersten Weltkrieg. 110 Vgl. „Zur Verwaltungsreform in Preußen“, BT, Nr. 294 (12.6.’17) M; „Wahlrechtsfragen und Konservativer Fortschritt“, in: Europäische Staats- und Wirtschaftszeitung, 2. Jg., Nr. 21
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rung irgendeiner angeblichen preußischen Eigenart ging, sondern um die Besitzstandswahrung der bislang begünstigten sozialen Klassen, hat Preuß gesehen und offen ausgesprochen111. Das vollkommen kompromißlose Beharren dieser Gruppen auf dem Status quo bis weit in das letzte Kriegsjahr hinein hat seinen Teil dazu beigetragen, die innenpolitische Lage zu verschärfen112. Daß die Hindernisse, die sich im scheinbar so fest gefügten preußischen Obrigkeitssystem den Reformzielen in den Weg stellten, ungeheuer groß waren, wußte Preuß am besten. In der Geschichte seines großen Vorbildes Stein eine Parallele zu sehen, drängte sich geradezu auf; gleich ihm rief er nach Reformen, die mit den Mitteln des Obrigkeitsstaates diesen Obrigkeitsstaat selbst beseitigen sollten. Stein hatte sein Reformprogramm erst nach dem Untergang des alten Preußen in Jena und Auerstedt in die Tat umsetzen können, Preuß sah im Reformprogramm die einzige Chance, einem erneuten Untergang zu entgehen. In den letzten Kriegsjahren schien auch diese Chance zu entschwinden. In einem Artikel für das Berliner Tageblatt von 1917, in dem es wieder um die überfällige Wahlrechtsreform ging, machte Preuß deutlich, daß Reformvorhaben, die am Anfang des Krieges mit großer Wirkung auf das Volk hätten ausgeführt werden können, inzwischen soweit zerredet waren, daß sie selbst bei erfolgreicher Durchführung längst nicht mehr den gleichen Erfolg haben konnten. Der Grund dafür war in Preuß’ dichotomischer Herrschaftsanalyse einfach: Aber eine Obrigkeitsregierung kann das nicht; sie darf keine alte Position räumen, so lange noch irgendeine Möglichkeit zu bestehen scheint, sie durch allerlei taktische Künste vielleicht halten zu können.113
Die Monarchie klammere sich auf Gedeih und Verderb an die Obrigkeitsstrukturen, „(u)nd die Zeichen der Zeit deuten auf Verderb“114. So mußte auch die Friedensresolution des Reichstages vom Juli 1917115 folgenlos bleiben, da sie nur nach
111
112 113 114 115
(26.5.’17), 533–535; „Vorschläge zur Abänderung der Reichsverfassung“, in: Staat, Recht und Freiheit, 296. Vgl. „Des Reiches bundesstaatlicher Charakter in Gefahr?“, 371: „Machtinteressen, die sich von einer andrängenden Neugestaltung bedroht fühlen, wehren sich dagegen mit der natürlichen Kraft des Selbsterhaltungstriebes. Aber sie vermeiden es dabei gern, mit offenem Visier und unter eigener Flagge zu kämpfen; vielmehr decken sie sich möglichst mit dem Schilde allgemeiner Grundsätze oder dogmatischer Formeln, denen vom Machtinteresse einer sozialen Gruppe nichts anhaftet. Das klingt nicht nur schön und uneigennützig, es ist auch sehr praktisch. ... ‚Die Stärke der Staatsmacht‘, ‚die Eigenart Preußens‘ sind solche Formeln, die den dahintersteckenden Machtinteressen gewisser sozialer Gruppen schon vortreffliche Dienste geleistet haben. Zu ihnen gesellen sich ‚die föderativen Grundlagen‘ oder auch ‚der bundesstaatliche Charakter‘ der Reichsverfassung.“ Vgl. R. Patemann, Der Kampf um die preußische Wahlreform im Ersten Weltkrieg, 206ff. „Obrigkeitspolitik und Wahlrecht“, BT, Nr. 605 (27.11.’17) M. Vgl. auch „Das deutsche Volk und die Politik“, 153. „Vorschläge zur Abänderung der Reichsverfassung“, in: Staat, Recht und Freiheit, 296. Zur Hintergrund der Friedensresolution siehe Wilhelm Ribhegge, Frieden für Europa. Die Politik der deutschen Reichstagsmehrheit 1917/18, Berlin 1988. Vgl. auch Erich Matthias und
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außen wirken wollte, ohne das Verhältnis im innern klarzustellen. Nicht erst nach Kriegsende, sondern noch während des Jahres 1918 bezog Preuß in seine Kritik auch die Reichstagsmehrheit ein. Eine grundlegende innenpolitische Reform würde fast von selbst auch die internationale Lage verändern und einen Verständigungsfrieden möglich machen. Doch „freilich ist es bei unseren Parteiverhältnissen eher möglich, eine Mehrheit für eine abstrakte Resolution zusammenzubringen, als für konkrete Umgestaltung. Dann bleibt eben auch alles beim Alten.“116 Es ist typisch für den Primat der Innenpolitik bei Preuß, daß er auch die wichtigste außenpolitische Initiative des Reichstags in der gesamten Kriegszeit ausschließlich unter innenpolitischen Aspekten bewertet, wie überhaupt die gesamte Kriegspublizistik von Preuß an den vermeintlich wichtigen Fragen des Krieges merkwürdig uninteressiert bleibt. An der ganzen langjährigen Debatte über die Kriegszielfragen, über mögliche Annexionen oder über einen Verständigungsfrieden, an Aufrufen für oder wider bestimmte ideale und materielle Kriegsereignisse hat Preuß sich fast überhaupt nicht beteiligt; anders als die meisten anderen prominenten Liberalen. Die Kriegsschriften von Max Weber enthalten in großer inhaltlicher Übereinstimmung mit Preuß viele Seiten zu den inneren Problemen und notwendigen Reformen des Reiches, aber fast ebenso viele zu genuin außenpolitischen Fragen117. Es besteht kein Zweifel, wo Preuß in der Annexions- und Kriegszielfrage stand, aber wenn man seine Schriften dieser Zeit liest, kann man nur leicht überspitzt zu dem Schluß kommen, daß der Weltkrieg primär die Notwendigkeit innerer Reformen deutlicher gemacht hat und sonst kaum eine weitere eigene Bedeutung besitzt. Die glanzvollen militärischen Erfolge der Anfangszeit blendeten Preuß nicht; ein obrigkeitsstaatliches Deutschland konnte nur zwischen zwei Wegen zum Frieden wählen: entweder besiegte es allein die gesamte Welt oder es reformierte sich zum Volksstaat118. Die lange Kanzlerkrise, die dem Sturze Bethmann Hollwegs vorausging und die überraschende Regelung der Nachfolge durch die Ernennung des unpolitischen Eberhard Pikart (Hrsg.), Die Reichstagsfraktion der deutschen Sozialdemokratie 1888 bis 1918 (Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Reihe 1, Bd. 3/I und II), 2 Bde., Düsseldorf 1966, hier Bd. 2, 263ff. Aus der Sicht der Beteiligten siehe Matthias Erzberger, Erlebnisse im Weltkrieg, Stuttgart und Berlin 1920, 251ff.; sowie Friedrich von Payer, Von Bethmann Hollweg bis Ebert. Erinnerungen und Bilder, Frankfurt a.M. 1923, 28ff. 116 „Deutschland und die ‚Zentren des europäischen Gewissens‘“, FZ, Nr. 235 (25.8.’18) 1.M. Ähnlich strukturiert war auch die Kritik Max Webers an der Friedensresolution; vgl. W. J. Mommsen, Max Weber und die deutsche Politik, 278. 117 Vgl. M. Weber, Gesammelte Politische Schriften und Zur Politik im Weltkrieg (Gesamtausgabe Abt. 1, Bd. 15); sowie W. J. Mommsen, Max Weber und die deutsche Politik, 206ff. 118 Vgl. „Deutschland und die ‚Zentren des europäischen Gewissens‘“, FZ, Nr. 235 (25.8.’18) 1.M: „Militärisch hat sich Deutschland ehrenvoll gegen ungeheure Übermacht behauptet. Will es zum Frieden kommen, so muß es entweder die ganze Welt besiegen – oder seine innerpolitische Umgestaltung vollbringen.“ Ähnlich „Deutsche Demokratisierung“, in: Staat, Recht und Freiheit, 344.
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und weitgehend unbekannten Beamten Michaelis119 dürfte die letzten Hoffnungen Preuß’ auf eine Erneuerung des Reiches aus eigener Kraft begraben haben120. Die generelle Verblüffung der Zeitgenossen über den neuen Reichskanzler faßte Philipp Scheidemann in einer schlichten Frage zusammen: „Wer war das?“121 Hier war noch einmal eine realistische Chance zum volksstaatlichen Systemwechsel, und erneut, wie schon in der Daily-Telegraph-Affäre, wie schon in der Zeit nach Bismarcks Sturz, fehlte der bürgerlichen Öffentlichkeit und ihrem Parlament der Wille zur politischen Tat. Es ist sicherlich zutreffend, daß das in der Julikrise geschmiedete feste Bündnis von Linksliberalen, Zentrum und Sozialdemokratie in mancherlei Hinsicht die „Geburtsstunde der Weimarer Republik“122 war. Aber wenn diese Mehrheit den politischen Willen und die politische Kraft und Fähigkeit aufgebracht hätte, ihre innenpolitischen Vorstellungen unverzüglich in die Tat umzusetzen, hätte es vielleicht überhaupt keine Weimarer Republik gegeben. Die Machtsteigerung des Reichstags im Vergleich zu 1871 ist in der Forschung anerkannt worden, aber die These von Manfred Rauh über die schleichende Parlamentarisierung des Reiches geht zu weit. Die letzten Schritte, die dafür notwendig gewesen wären, wurden von niemandem gegangen123; konnten vielleicht auch selbst nach 1914 noch nicht gegangen werden, denn die Segmentierung der deutschen Gesellschaft, die sich in den Parteien getreulich widerspiegelte, machte die Stabilität von Koalitionsbildungen, die für eine tatsächliche Parlamentarisierung notwendig gewesen wären, außerordentlich schwierig124. Elfi Bendikat spricht vom „Fehlen einer Kooperationskultur“125, die als Problem in die Weimarer Republik übernommen wurde.
119 Zur Ernennung von Georg Michaelis vgl. E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte V, 312ff. 120 Vgl. „Das deutsche Volk und die Politik“, 11 u. 175; „Die Kanzlerfalle. Eine Säkular-Erinnerung“, BT, Nr. 505 (2.10.’16) A (anonym erschienen!); „Weltkrieg, Demokratie und Deutschlands Erneuerung“, 248f. u. 258; „Das deutsche Volk und die Politik“, 159f. u. 178ff.; und nach dem Kriege „Vom Obrigkeitsstaat zum Volksstaat“, 17 „Deutschlands Staatsumwälzung“, 3; „Der deutsche Nationalstaat“, 122f.; „[Rede auf der Verfassungsfeier des Reichsbanners, Weimar 10.8.’24]“, Das Reichsbanner, Nr. 7 (15.8.’24). 121 Philipp Scheidemann, Memoiren eines Sozialdemokraten, 2 Bde., Dresden 1928, hier Bd. 2, 41. 122 Hagen Schulze, Weimar. Deutschland 1917–1933, Berlin 1982, 143. 123 M. Rauh, Föderalismus und Parlamentarismus; sowie ders., Parlamentarisierung des Deutschen Reiches. Dagegen etwa G. A. Ritter, Die Deutschen Parteien, 85. Zur Forschungskontroverse vgl. H.-P. Ullmann, Politik im Deutschen Kaiserreich, 89f. 124 Vgl. G. A. Ritter, Die Deutschen Parteien, 85ff.; Heinrich Best, Mandat ohne Macht. Strukturprobleme des deutschen Parlamentarismus 1867–1933, in: ders., (Hrsg.), Politik und Milieu. Wahl und Elitenforschung im historischen und interkulturellen Vergleich, St. Katharinen 1989, 175–222. 125 Elfi Bendikat, Wahlkämpfe in Europa 1884–1889. Parteiensysteme und Politikstile in Deutschland, Frankreich und Großbritannien, Wiesbaden 1988, 430.
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Natürlich wurden in den Diskussionen der Julikrise auch innenpolitische Forderungen gestellt, in erster Linie der „Dauerbrenner“ der Reformdebatte, die preußische Wahlrechtsreform. Aber es blieb bei Forderungen. Den Griff nach der Weltmacht konnte der Obrigkeitsstaat anordnen, den Griff nach der Macht unterließen die Bürger126, die sich damit der unwiderruflich letzten Gelegenheit begaben, durch Reformen um Niederlage und Revolution herumzukommen127. Die Gefahren, die für die Zukunft darin liegen mußten, daß die demokratische Selbstbestimmung nicht aus eigener Kraft erkämpft, sondern als Strafe von den Siegern im Weltkrieg einem geschlagenen und gedemütigten Volke auferlegt wurde, hat Preuß gleichfalls schon während des Krieges erkannt und warnend dem Ausland vorgehalten128. Das Kriegsende rechtfertigte alle Befürchtungen. Der Weltkrieg war genau das Weltgericht über das Obrigkeitssystem gewesen, das Preuß immer befürchtet hatte. Auch wenn Preuß die Strukturschwächen des untergegangenen Reiches jetzt noch drastischer anprangerte, die Macht der reformunwilligen Reaktion, den Scheinföderalismus und Scheinkonstitutionalismus des Bismarckschen Systems129, so verfiel er doch nicht in die fruchtlose Attitüde eines Sehers, der es schon immer alles besser 126 Die Frage nach dem unterbliebenen Griff nach der Macht wird auch von Dieter Grosser, Vom monarchischen Konstitutionalismus zur parlamentarischen Demokratie, Den Haag 1970, X und 3, gestellt. Für ihn lag das Problem nicht an den fehlenden politischen Strukturen, sondern am fehlenden Willen zur Macht; eine Analyse, der Preuß zugestimmt hätte. Zur Verknüpfung von innen- und außenpolitischen Motiven vgl. auch Fritz Fischer, Griff nach der Weltmacht. Die Kriegszielpolitik des kaiserlichen Deutschland 1914/18, Kronburg i. Ts. 1977 (erstmals 1961), 336ff. 127 „Das deutsche Volk und die Politik“, 9; „Deutsche Demokratisierung“, in: Staat, Recht und Freiheit, 337; und später „Vom Obrigkeitsstaat zum Volksstaat“, 23; „Regierungsfähige Opposition“, BT, Nr. 355 (31.7.’23) M. 128 So 1917 in „Deutsche Demokratisierung“, in: Staat, Recht und Freiheit, 339: „Mit alledem wird ein Eindruck erzeugt, der den mächtigen inneren Gegnern einer deutschen Demokratisierung die Verbreitung der Anschauung bedenklich erleichtert, das wahre Ziel des Auslandes sei nicht Demokratisierung oder Niederwerfung Deutschlands, vielmehr Niederwerfung Deutschlands durch seine Demokratisierung. Welche verhängnisvolle Bedeutung das für jenen notwendigen Umgestaltungsprozeß unseres politischen Volksgeistes haben muß, liegt auf der Hand.“ Ähnlich Preuß’ „Offener Brief an Herrn William Harbutt Dawson“, in: Die neue Rundschau, 39. Jg. der freien Bühne (1918), 397–407, hier 401: „Ja; aber berücksichtigen Sie selbst das in der Tat sehr wichtige volkspsychologische Moment gebührend, indem Sie dem deutschen Volke Demokratie und freie politische Institutionen durch Schwert und Hunger, durch endlosen Krieg aufzeigen wollen?“ Und weiter: „Denn das wirksamste – wenn nicht das einzige – Mittel, jenen Entwicklungsprozeß zu hemmen oder zu verhindern, ist es, sein Ziel als feindliches Kriegsziel zu proklamieren.“ (403) Man könne einem Volk eher eine Dynastie als die Demokratie aufzwingen; 404. 129 Vgl. „Der deutsche Nationalstaat“, 49f. u. 57ff. Ebd., 74f., zur reaktionären Geschichtsschreibung: „Es war in der Tat eine vollkommene Umwertung aller Werte. Die demokratischen Vorkämpfer des deutschen Einheitsgedankens als unnational verfemt; die Nachkommen und Gesinnungsgenossen der Demagogenriecher, die unbedingten Verfechter dynastischer Einzelstaatlichkeit, sie, die ‚den verruchten Gedanken deutscher Einheit‘ unerbittlich bekämpft hatten, als Träger der allein echten nationalen Gesinnung anerkannt!“ Die Relevanz dieser Gedanken auch für die Weimarer Republik war ohne weiteres verständlich.
8.3 Die preußische Verwaltungsreform
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gewußt hatte – obwohl dies gerade in seinem Falle verständlich gewesen wäre. Noch während des Krieges schrieb er im Dezember 1917 an seinen Sohn Ernst, der als Soldat an der Front lag: „Leider wird in einiger Zeit sehr deutlich zu verstehen sein, was ich meinte; aber dann ist’s wieder zu spät und der Nutzen, der für die Stimmung drinnen und draußen ... zu holen war, wieder verpufft.“ Und weiter: „Ich kann’s nicht ändern; und der Kassandra-Beruf ist ärger als Hundeflöhe.“130 Und er vergaß auch nicht, daß es nicht der Kaiser allein, nicht einmal das Militär gewesen war, die für das Desaster verantwortlich waren. Viel bitterer schmerzte die Wunde im eigenen Fleische: Wer den Kaiser, seine servilen Minister und Höflinge anklagt, der darf die politische Nichtigkeit der Parlamente und ihrer Parteien in dieser Epoche nicht schonend übergehen; ihnen kommen nicht einmal die mildernden Umstände zugute, die sich für jene allenfalls anführen lassen; ja, eine solche Regierung wäre garnicht möglich gewesen ohne solche Parlamente und solche Parteien. Aber erfüllten diese Parlamente nicht den Beruf einer Volksvertretung, indem ihre politische Impotenz der politischen Willenlosigkeit des Volkes, seiner Unfähigkeit zu nationalpolitischer Selbstorganisation entsprach? Seine tüchtige Kraft bewährte das deutsche Volk auch jetzt auf fast allen Gebieten, seine Wirtschaft entfaltete sich immer mächtiger. Doch um so trostloser versumpfte und verödete sein politisches Leben, weil ihm das Bewußtsein fehlte, daß ein Volk, das seines politischen Schicksals nicht Meister sein will, sich der Früchte seiner sonstigen Tüchtigkeit, seiner Wirtschaft und Kultur niemals auf Dauer erfreuen wird.131
Aber dies greift bereits vor. Während des Kaiserreiches konnte Preuß neben dem generellen Ruf nach politischen Reformen auf zwei Feldern versuchen, konkretere Vorstellungen zu propagieren. Dies sind einmal seine während des Krieges ausgearbeiteten detaillierten Verfassungsreformpläne, und zum anderen die von vielen Seiten und über viele Jahre hinweg vorgenommenen Versuche, die chaotische und ineffiziente preußische Verwaltungsstruktur zu modernisieren. 8.3 Die preußische Verwaltungsreform Fragen der Verwaltungsorganisation stehen in der Regel weniger im Blickpunkt der Öffentlichkeit, als dies etwa beim Wahlrecht oder beim Verfassungsaufbau der Fall ist. Sie sind darum jedoch nicht minder wichtig, zumal wenn es sich um ein Land wie Preußen handelt, in dem die Verwaltung den größten Teil der öffentlichen 130 Konkreter Anlaß für diese Klage war die Wahlrechtsvorlage, zitiert nach G. Gillessen, Hugo Preuß, 114. 131 Ebd., 121. Und ebd., 115, heißt es zu der Memoirenflut, die nach dem Krieg erschien: „Sie geben ihren ‚kaiserlichen Herrn‘ schonungslos preis, um zu beweisen, daß sie selbst die Verderblichkeit seiner unmöglichen Regiererei sofort klar erkannt und das furchtbare Unheil haben kommen sehen. In Wahrheit verdammen sie damit noch weit schonungsloser sich selbst und ihresgleichen, deren elende Charakterlosigkeit den schwachen Komödianten auf dem Thron erst vollends verderbt und zum nationalen Unglück gemacht hat; sie verdammen das System, aus dessen Sumpfboden solche Giftpflanzen so üppig und unausrottbar emporschossen.“
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8. Politiker in Erwartung einer Aufgabe in Preußen und im Reich
Tätigkeit ausmachte. Wenigstens unter Fachleuten gab es denn auch eine rege Debatte132, an der sich überwiegend konservative Kreise beteiligten. Diese Beschränkung kann allerdings angesichts dessen, daß zumindest die meisten Verwaltungspraktiker dieser politischen Richtung angehörten und daß andere politische Kräfte kaum Einfluß auf den Gang der Landesverwaltung Einfluß nehmen konnten, auch nicht überraschen133. Grundtendenz der Verwaltungsordnung war durch die ganze Zeit des Kaiserreiches hindurch, daß das Wort „Ordnung“ eigentlich schon zu hoch gegriffen ist. Zufälligkeiten und Wirrwarr kennzeichneten eine chaotische Situation. 1910 schrieb Preuß: Die der heutigen preußischen Verwaltungsordnung zugrundeliegenden Gesetze sind: 6 verschiedene Landgemeindeordnungen; 7 verschiedene Städteordnungen (abgesehen von den neuvorpommerschen Stadtrezessen); 1 für Stadt und Land gemeinsame Gemeindeordnung (die hohenzollernsche von 1900); 6 verschiedene Kreis- und ebenso viele Provinzialordnungen nebst der hohenzollernschen Landesordnung; Landesverwaltungs- und Zuständigkeitsgesetz nebst dem Spezialgesetz für Posen, und dem Torso des Verwaltungsgerichtsgesetzes.134
Die prinzipielle Unhaltbarkeit dieses Zustandes ist den konservativen Praktikern der Verwaltung, die alltäglich mit der Vielfalt der Ordnungen leben und sie anwenden mußten, natürlich nicht entgangen. Es fehlte auch keineswegs an Reformversuchen, die bereits einsetzten, als die nach dem preußisch-österreichischen Krieg gewonnenen Gebiete in den Staatsverband integriert wurden. In den siebziger und achtziger Jahren gab es mehrere große Reformanläufe, und 1909 wurde eine Immediatkommission beauftragt, sich erneut des Gesamtproblems anzunehmen135. Aber schon diese Zahl der Reformansätze, und die Papierflut, die hierzu beschrieben wurde, zeigt, daß der Klugheit Macht beim hier begonnenen Werk nicht ausreichte, um Großes zu gewinnen. Experimente wechselten einander ab, und einige Jahre nach Einsetzung der Immediatkommission sah Preuß immer noch keine Bewegung bei der Verwaltungsorganisation: 132 Als Übersicht Rudolf Morsey, Bemühungen um eine Verwaltungsreform nach der Jahrhundertwende bis zum Ende der Monarchie, in: K. G. A. Jeserich, H. Pohl, G.-Chr. von Unruh (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 3, 855–865. Dort ist auch das wichtigste zeitgenössische Schrifttum angegeben. Zu den einzelnen Reformphasen nach 1871 H. Heffter, Die deutsche Selbstverwaltung, 591ff. und 697ff. 133 Preuß erwähnt dies in seinen „Burgfriedlichen Gedanken zur Verwaltungsreform“, in: Staat, Recht und Freiheit, 105: Linke haben sich in der Debatte kaum zu Worte gemeldet; „(v)on letzterer Seite her hat sich damals ausführlicher zu dieser Frage eigentlich nur eine Stimme geäußert, die ich aus Bescheidenheit nicht nennen will.“ Vgl. auch S. Graßmann, Hugo Preuß, 82ff. 134 „Zur preußischen Verwaltungsreform“, 87f. In Preußen gibt es mithin „eine Verwaltungsorganisation, deren Kenntnis zur Geheimlehre eines engen Klerus wurde“ („Deutschland und die preußische Verwaltungsreform“, in: Staat, Recht und Freiheit, 130–143 [erstmals FZ, Nr. 758 (11.10.’25) 1.M u. Nr. 762 (13.10.’25) 1.M], hier 134). 135 Vgl. R. Morsey, Bemühungen um eine Verwaltungsreform, 860.
8.3 Die preußische Verwaltungsreform
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Wenn eins unsrer vornehmsten fachwissenschaftlichen Jahrbücher bei dem Überblick über die innere Entwicklung des Deutschen Reiches in den letzten zwei Jahren unter den markanten Tatsachen auch die verzeichnet, daß den Oberpostpraktikanten der Rang der fünften Klasse der höheren Beamten der Provinzialbehörden beigelegt worden ist, so mag der Feuilletonist dieses Ereignis als kulturellen Niederschlag dafür betrachten, daß wir wirklich im Zeichen des Verkehrs stehen. Näher liegt es, aus solchen Symptomen, deren Zahl und Art sich beliebig vermehren ließe, den Schluß zu ziehen daß Ereignisse von wirklich kultureller Bedeutung auf unserem Gebiete tatsächlich nicht vorliegen.136
Das Grundübel der Verwaltungssituation, an dem sich alle Reformversuche abarbeiten und aufreiben mußten, lag darin, daß versucht wurde, zwei grundsätzlich unterschiedliche Systeme miteinander zu harmonisieren137. Auch in der Verwaltungsorganisation tauchte der Gegensatz von Volksstaat und Obrigkeitsstaat auf, der auf diesem Spezialgebiet der Gegensatz von direkt hierarchischer staatlicher Verwaltung und bürgerlicher Selbstverwaltung war. Jede fruchtbare Verwaltungsreform mußte für Preuß nach wie vor an den Gedanken Steins und seiner Mitarbeiter anknüpfen, jede Stärkung der Selbstverwaltung bedingte die Übertragung wirklicher Befugnisse, deren Ausübung zwar unter staatlicher Aufsicht stand, die jedoch eigene Befugnisse der Selbstverwaltungskörper wurden138. Noch 1917 plädierte der damalige Unterstaatssekretär im Innenministerium Bill Drews in einer Denkschrift zur Verwaltungsreform vergebens dafür, daß eine echte Reform die Stärkung der Selbstverwaltung bedeuten müsse139. 136 „Verwaltung“, 112. Selbst in Österreich sei die Verwaltung konsequenter reformiert; ebd., 113 u. 116; „Verwaltungsreform und Staatsreform in Österreich und Preußen“, 220. England verwalte sich in durchgehender Selbstverwaltung, Frankreich in durchgehender Staatsverwaltung („Verwaltungsreform und Politik. Eine Säkularbetrachtung“, in: ZfP, 1. Bd. [1908], 95–126, hier 123), nur in Preußen versuche man eine Mischung beider. Und leicht süffisant „Die Lehre Gierkes und das Problem der preussischen Verwaltungsreform“, 251: „Seltsam! Während das politisch so konservative Preußen aus dem Stadium des Experimentierens an seiner Verwaltungsorganisation nicht herauskommt, zeigen die politisch ganz anders gearteten westlichen Staatsvölker eine weit konservativere Gestaltung ihrer Verwaltungsorganisation.“ 137 Vgl. „Verwaltungsreform und Politik“, 117: „Alle Übel des gegenwärtigen Zustandes, wie sie immer lebhafter von den verschiedensten Seiten erkannt und gerügt werden, sind lediglich Symptome und Ausflüsse jenes prinzipiellen Grundübels. Die chaotische Unübersichtlichkeit des Behördensystems, die hypertrophische Überfülle von Ämtern und Instanzen, die Kompliziertheit ihrer Zuständigkeiten, deren Knäuel vielfach nur mit Hilfe einer esoterischen Geheimwissenschaft entwirrt werden kann, all das sind logische Konsequenzen davon, daß zwei heterogene Organisationssysteme neben-, in- und übereinander bestehen, und sich demgemäß in einem chronischen Reibungszustand befinden.“ 138 Zur Anknüpfung an Stein vgl. ebd., 96; „Verwaltung“, 115; „Die Lehre Gierkes und das Problem der preussischen Verwaltungsreform“, 271 u. 304. Zur Übertragung eigener Befugnisse an Selbstverwaltungsorgane ebd., 274; „Zur preußischen Verwaltungsreform“, 92; „Ein Jahrhundert städtischer Verfassungsentwicklung“, 57 u. 64. 139 Bill Drews, Grundzüge einer Verwaltungsreform, Berlin 1919, 59. Der Band entspricht der Denkschrift von 1917. Drews hatte als Landrat und Regierungspräsident hinreichend eigene Erfahrung mit den Problemen der Verwaltung gemacht. Im August 1917 wurde er bis zum Ende des Krieges preußischer Innenminister, stellte sich aber nach 1918 als einer der wenigen Spitzenbeamten des Kaiserreiches auf die Seite der Republik.
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8. Politiker in Erwartung einer Aufgabe in Preußen und im Reich
Die groß angelegten Reformversuche der siebziger Jahre140 hätten ihre Chance nur gehabt, wenn sie von einem einheitlichen Gedanken, und zwar dem der Selbstverwaltung, getragen gewesen wären. Die Widerstände waren nämlich in jedem Fall immens, insbesondere im Herrenhaus, das sich gegen jedes noch so kleine Abweichen vom Obrigkeitsstaat sperrte141. Der Kompromißcharakter, der den Gesetzesvorlagen von vornherein anhaftete, ändert nichts an diesem Widerstand, ließ aber auch die Freunde der Selbstverwaltung nur mit halbem Herzen hinter dem Vorhaben stehen. Da auch die preußische Regierung nicht alles daran setzte, den Widerstand im Herrenhaus zu brechen, war das Scheitern der Reform vorprogrammiert142. Bei auch nur begrenzt liberal-demokratischen Vorlagen war die Regierung offenbar nie in der Lage, diesen Widerstand zu brechen, während ihr dies in anderen Zusammenhängen durchaus gelang. Cum grano salis gilt für die Kommission von 1909 das gleiche143. Im Zentrum aller Reformpläne stand die Neugliederung der schwerfälligen mehrstufigen preußischen Verwaltung, die zwischen den Kreis als unterste und den Staat als oberste Ebene die beiden Zwischeninstanzen von Regierungsbezirk und Provinz geschaltet hatte. Kreis und Provinz hatten gewählte Vertretungskörperschaften, der Bezirk hatte dies nicht, da ihm die kommunale Struktur fehlte und die Bezirksausschüsse keinen Ersatz hierfür abgeben konnten. Zudem galten die Bezirke das ganze 19. Jahrhundert hindurch als Bollwerk der preußischen Reaktion. Eine Vereinfachung der Landesverwaltung konnte aber, da die Kreise offenbar unverzichtbar waren, nur in einer Aufhebung entweder der Provinzen oder der Bezirke bestehen. Damit waren die Positionen verteilt; wer eine Stärkung der Selbstverwaltung wünschte, mußte für die ersatzlose Streichung der Bezirksregierungen eintreten; der Regierungspräsident ohne Kommunalverband war nach einem Wort
140 Erschöpfend H. Heffter, Die deutsche Selbstverwaltung, 531ff. Vgl. auch Karl Erich Born, Preußen im deutschen Kaiserreich 1871–1918. Führungsmacht des Reiches und Aufgehen im Reich, in: W. Neugebauer (Hrsg.), Handbuch der preußischen Geschichte III, 15–148, hier 78ff. 141 Die wenigen kommunalen Vertreter im Herrenhaus fielen demgegenüber nicht ins Gewicht, obwohl sie überwiegend Liberale waren; vgl. H. Spenkuch, Das Preußische Herrenhaus, 331. 142 „War schon von Anbeginn an die Kraft der gestaltenden Prinzipien durch vielfache Kompromisse gebrochen, so verlor sich im weiteren Verlaufe diese Gesetzgebung je länger desto mehr in ein unsicheres Herumtasten, ein prinziploses Experimentieren unter stückweiser Aufopferung der ursprünglich leitenden Ideen.“ ‚Zur preußischen Verwaltungsreform‘, 1. Vgl. ebd., 9ff, 35ff., 72 u. 78; „Verwaltung“, 116; „Ein Jahrhundert städtischer Verfassungsentwicklung“, in: Staat, Recht und Freiheit, 48; „Verwaltung und Politik“, 98; „Entwicklung des deutschen Städtewesens“, 359ff. 143 „Das Ergebnis jahrelanger Arbeiten dieser Kommission war von einer geradezu verblüffenden Winzigkeit und Bedeutungslosigkeit.“ ‚Deutschland und die preußische Verwaltungsreform‘, in: Staat, Recht und Freiheit, 134. Ähnlich Art. „Verwaltungsorganisation“, in: Handwörterbuch der Kommunalwissenschaften, 4. Bd., 354; die Vorlage der Kommission von 1914 „enttäuschte ... sogar bescheidenste Erwartungen“.
8.3 Die preußische Verwaltungsreform
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von Bill Drews ein „Präsident ohne Land“144 und daher entbehrlich. Wer umgekehrt die zentralistisch-obrigkeitliche Verwaltung befürwortete, konnte nur die Provinzen wegfallen lassen, was allerdings angesichts der Größe Preußens und der vorhandenen Exekutivfunktionen der Oberpräsidenten in der Praxis schwierig geworden wäre145. Zudem entsprachen die Provinzen Preußens, an deren Spitze die Oberpräsidenten standen, anders als die willkürlich festgelegten Regierungsbezirke den historisch gewachsenen Landschaften, gerade auch in den Gebieten, die im Laufe des 19. Jahrhunderts nach und nach von Preußen erworben wurden; sie hatten also auch eine identitätsstiftende Funktion, auf die nicht leichtfertig zu verzichten war146. Als Minimum aber konnten die konservativen Kräfte mit der Bewahrung des Status quo leben, und so blieb denn alles beim alten. Alle Reformansätze, die doch die Vereinfachung der Verwaltung erreichen wollten, schienen letzten Endes nur zu einer Vergrößerung der Bürokratie zu führen147. Heinrich Heffter hat darauf verwiesen, daß den Reformplänen vor allem eines fehlte, nämlich „der dominierende staatsmännische Wille, der nach einem schöpferischen Plan den Kurs der Reformpolitik bestimmt hätte“148. Anders als bei der Steinschen Städteordnung oder bei der Erzbergerschen Finanzreform gab es keinen leitenden Politiker, der mit aller Kraft für die Durchsetzung einer Reform gearbeitet hätte. Wahrscheinlich war auch, allen Klagen zum Trotz, der Leidensdruck durch innere oder äußere politische Umstände nicht so groß wie in den Tagen von Stein oder Erzberger, so daß ein Minimalkonsens sich durchsetzte, der die Besitzstandswahrung über eine notwendig für viele Beteiligte schmerzhafte Reform setzte. Der Kriegsausbruch änderte nichts an dieser lähmenden Situation. Zwar stand hinter der Denkschrift von Bill Drews noch einmal ein umfassender Reformplan, der auch von Preuß lebhaft begrüßt wurde. Aber dieser Plan teilte das Schicksal aller früheren Verwaltungsreformversuche. Drews mußte bis nach Kriegsende warten, bis er mit seinen Anregungen auf weiterreichendes Interesse stieß. War es 144 B. Drews, Grundzüge einer Verwaltungsreform, 8. Vgl. auch H. Heffter, Die deutsche Selbstverwaltung, 591. 145 Vgl. „Verwaltungsreform und Staatsreform in Österreich und Preußen“, 219 u. 225; „Verwaltungsreform und Politik“, 101ff.; Art. „Verwaltungsorganisation“, in: Handwörterbuch der Kommunalwissenschaften, 4. Bd., 348; „Zur preußischen Verwaltungsreform“, 5 u. 88ff. 146 Vgl. Georg-Christoph von Unruh, Der preußische Oberpräsident – Entstehung, Stellung und Wandel eines Staatsamtes, in: Klaus Schwabe (Hrsg.), Die preußischen Oberpräsidenten 1815–1945, Boppard am Rhein 1985, 17–31. 147 „Ausführungsanweisungen ergießen sich von den Ministerien über die Oberpräsidenten und Regierungen auf die Gemeinden herab; Anträge und Berichte steigen aus den Niederungen zur Höhe empor, um sich als Reskripte und Verfügungen wieder niederzuschlagen. Alle Instanzen haben unendlich viel zu tun, um die Genehmigung zu erlangen etwas zu tun. Und die Hochflut des Aktenschreibwerks schwillt und schwillt.“ ‚Zur preußischen Verwaltungsreform‘, 91. Ebd., 78, heißt es zur Reform der siebziger Jahre: „Man war ausgegangen, um die Verwaltung und das Behördensystem zu vereinfachen; und man war angelangt bei einer Komplizierung der Verwaltung und einer Überhäufung mit Behörden ohnegleichen.“ 148 H. Heffter, Die deutsche Selbstverwaltung, 637.
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8. Politiker in Erwartung einer Aufgabe in Preußen und im Reich
schon im Frieden unmöglich gewesen, die preußische Verwaltung gründlich zu rationalisieren, beherrschten im Krieg endgültig andere Themen das Feld. Auch bei Hugo Preuß, der in seinem Eintreten für die Selbstverwaltung sicher von niemandem übertroffen wurde, traten Verwaltungsfragen jetzt in den Hintergrund. 8.4 Hugo Preuß im Weltkrieg Militär und Politik Der Ausbruch des Weltkrieges brachte Hugo Preuß, den linken Patrioten und Weltbürger, in eine prekäre Lage. Zum einen sah er, wie sich sein Vaterland einer Katastrophe entgegenging, wenn nicht grundlegende politische Reformen die politischen Strukturen Deutschlands denen der „Händlernationen“ anpassen würden, zum anderen konnte er sich nicht völlig dem Appell zu Einheit und Geschlossenheit verschließen. Störern des Burgfriedens gegenüber waren Vorwürfe schnell bei der Hand; zumal, wenn es sich bei dem unbequemen Mahner um einen Juden handelte149. Hugo Preuß ließ sich, wie bereits gezeigt, davon nicht abhalten, das einzufordern, war er für erforderlich erkannt hatte. Er ließ sich auch für keinen Augenblick von dem Tonfall vieler seiner Professoren-Kollegen anstecken, die über „Händler“ und „Helden“, über die Ideen von 1914 und 1789 und über die Perfidie der Gegner im allgemeinen und „Albions“ im besonderen schrieben150. Am 4. Oktober 1914 traten 93 führende deutsche Intellektuelle, Künstler und Wissenschaftler mit einem Aufruf „An die Kulturwelt!“ hervor, der jede Schuld von Deutschland wies und von einem Verteidigungskrieg im Namen der überlegenen deutschen Kultur sprach. „Kultur“ und „Zivilisation“ ist ein anderes dieser Gegensatzpaare, die 1914 zahlreichen Deutschen einleuchtend erschienen151. Zu den Unterzeichnern des Aufrufs der 93 gehörte Paul Laband, aber auch Max Liebermann, der Cousin von Hugo Preuß’ Schwiegervater. Die Wirkung des Aufrufs auch im neutralen Ausland war verheerend152. Dieser Aufruf und andere 149 Als Ende der Burgfriedenszeit hat Peter Pulzer, Der Erste Weltkrieg, in: M. A. Meyer (Hrsg.), Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit III, 356–380, hier 367, die Judenzählung bezeichnet. Der Einschnitt, den dieses Ereignis für die deutschen Juden, aber auch für die Entwicklung des Antisemitismus bedeutet hat, läßt sich kaum überschätzen. 150 Hierzu immer noch die meisterliche ideengeschichtliche Synthese in Hermann Lübbe, Politische Philosophie in Deutschland, München 1974, 171ff. Vgl. auch F. K. Ringer, Die Gelehrten. Der Niedergang der deutschen Mandarine, 169ff., und v.a. Klaus Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral. Die deutschen Hochschullehrer und die politischen Grundfragen des Ersten Weltkrieges, Göttingen, Zürich und Frankfurt a.M. 1969. 151 H. Lübbe, Politische Philosophie in Deutschland, 190f. 152 Vgl. Jürgen von Ungern-Sternberg und Wolfgang von Ungern-Sternberg, Der Aufruf „An die Kulturwelt!“. Das Manifest der 93 und die Anfänge der Kriegspropaganda im Ersten Welt
8.4 Hugo Preuß im Weltkrieg
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vergleichbarer Art waren der Erregung des Augenblicks zuzuschreiben, vielleicht auch einem übersteigerten Selbstwertgefühl der Professorenschaft des Kaiserreiches, die zwar bislang überwiegend großen Wert auf ihre unpolitische Gesinnung gelegt hatte, nun aber im Schnellverfahren über komplexeste politisch-völkerrechtliche Zusammenhänge Urteile abgab. Hermann Lübbe sieht sogar eine „gewisse Komik“153 im veröffentlichten Chauvinismus der Zeit, denn was immer auch der Beruf des Deutschen oder der Beruf des deutschen Intellektuellen war, den Beruf zum politischen Propagandisten hatte kaum jemand unter denen, die ihn begierig an sich rissen. Vermutlich hätte sich keiner der Beteiligten erlaubt, in irgendeinem anderen Kontext ähnlich weitreichende Erklärungen abzugeben, und Laband hätte eine staatsrechtliche Generalisierung von Liebermann ebensowenig ernst genommen wie umgekehrt dieser eine apodiktische Behauptung Labands über die richtige Technik impressionistischer Malerei. Manch einer mag hinterher auch bedauert haben, daß er mit den anderen Unterzeichnern „mit unserem Namen und mit unserer Ehre“ für die Richtigkeit des Aufrufs „An die Kulturwelt!“ einstand. Aber auch später noch, als einiges an Erregtheit aus dem Tonfall verschwunden war, blieben die Beiträge der deutschen Gelehrten inhaltlich überwiegend auf der gleichen Linie. Ein in jeder Hinsicht gewichtiges Werk wie der von Otto Hintze, Friedrich Meinecke, Hermann Oncken und Hermann Schumacher herausgegebene Sammelband mit dem schlichten Titel Deutschland und der Weltkrieg zeigte kaum einen Zweifel an Kriegsursachen oder Kriegsausgang154. Natürlich gab es auch besonnenere Stimmen wie die von Hans Delbrück und Ferdinand Tönnies, die moderatere Gegenaufrufe zirkulieren ließen, und es gab sogar heftige Kritik an den nationalistischen Entgleisungen, wie sie etwa Walther Schücking schon in der Anfangsphase des Krieges äußerte155. Preuß hat sich von allen diesen aufgeregten Debatten weitgehend ferngehalten; sie konzentrierten sich auf Probleme, die nicht wirklich die inneren Lebensfragen Deutschlands berührten. Gleichwohl bewahrte Preuß gegenüber dem Ausland immer noch die Solidarität mit seinen Kollegen und hielt daran sogar nach dem Krieg krieg. Mit einer Dokumentation, Stuttgart 1996, 80ff.; und Bernhard vom Brocke, ‚Wissenschaft und Militarismus‘. Der Aufruf der 93 ‚An die Kulturwelt!‘ und der Zusammenbruch der internationalen Gelehrtenrepublik im Ersten Weltkrieg, in: William M. Calder III, Helmut Flashar und Theodor Lindken (Hrsg.), Wilamowitz nach 50 Jahren, Darmstadt 1985, 649–719, hier 664ff. Der Text findet sich auch bei Rüdiger vom Bruch und Björn Hofmeister (Hrsg.), Deutsche Geschichte in Quellen und Darstellungen. Bd. 8: Kaiserreich und Erster Weltkrieg, Stuttgart 2000, 366–369. 153 H. Lübbe, Politische Philosophie in Deutschland, 212. 154 Otto Hintze, Friedrich Meinecke, Hermann Oncken und Hermann Schumacher (Hrsg.), Deutschland und der Weltkrieg, Berlin und Leipzig 1915. 155 Walther Schücking, Die deutschen Professoren und der Weltkrieg, 2. unveränd. Aufl., Berlin 1915. Vgl. auch Georg Friedrich Nicolai, Die Biologie des Krieges. Betrachtungen eines deutschen Naturforschers, Zürich 1917. Zu Delbrück und Tönnies siehe M. Dreyer und O. Lembcke, Die deutsche Diskussion um die Kriegsschuldfrage 1918/19, 32f.
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8. Politiker in Erwartung einer Aufgabe in Preußen und im Reich
fest. Einem ausgesprochen kritischen Artikel über die Haltung der deutschen Professoren war ein Briefwechsel zwischen dem Autor und Preuß vorausgegangen, und obwohl der Autor als positive Ausnahme auch Preuß nennt, konnte dieser sich nicht damit zufrieden geben und wahrte mehr Korpsgeist, als Schmoller und andere umgekehrt ihm zuzugestehen bereit waren156. Während des Krieges nahm Preuß in der Abwehr von Ausbrüchen wie dem Kulturwelt-Aufruf das Ausland gegenüber Deutschland in Schutz, nicht minder aber auch Deutschland gegenüber ähnlichen Tiraden von seiten der Entente. Propaganda dieser Art lehnte er grundsätzlich ab, egal, von welcher Seite sie ausging157. Er geißelte in deutlichen Worten den „heuchlerischen Widersinn“, Deutschland allein die Schuld am Kriege zuzuweisen158, hielt seinen Landsleuten aber auch die Mahnung vor, daß diese erstaunliche Antipathie des Auslandes gegen uns nicht schlankweg und ganz ausschließlich auf die bodenlose Schlechtigkeit der Fremden und ihrer Presse zurückzuführen, vielmehr ein wenig auch nach Anlässen dazu in unserem eigenen Verhalten zu suchen
sei159. Vor dem Weltkrieg hatte Preuß über 20 Jahre hinweg eine Menge Aufsätze und Artikel dazu geschrieben, daß die zivilisierten Staaten immer enger zusammenwuchsen, daß das Völkerrecht immer mehr seinen Platz zur friedlichen Regelung zwischenstaatlicher Beziehungen erobere und daß die Handels- und Verkehrsverflechtungen ein unzerreißbares Netz zwischen den Völkern geschaffen hatten. Jetzt 156 E.A. Sonnenschein, The German Professors, in: The Nineteenth Century and After, Nr. 510 (August 1919), 321–333. Dem Artikel ist der Brief Preuß’ vom 12.6.’19 beigegeben: „As to the attitude of the German professors, regarded as a class, during the war, permit me to say nothing. I was myself a professor, as you know, and I regard this silence as an obligation of esprit de corps. Besides, there has, of course, been no lack also of French and English professors who have lost their heads.“ Zum europäischen Aspekt siehe Wolfgang J. Mommsen, Die europäischen Intellektuellen, Schriftsteller und Künstler und der Erste Weltkrieg, in: ders., Bürgerliche Kultur und politische Ordnung, 196–215 (erstmals 1997/98). 157 „Von den Tagesleistungen der Kriegspsychose soll gar nicht die Rede sein, auch wenn sie von Männern herrühren, die einen guten Namen zu verlieren hatten; sie stehen auf einer Stufe mit den feindlichen Wutausbrüchen über die ‚Mentalität der deutschen Barbaren‘ und mögen mit ihnen gemeinsam die friedliche Ruhe des Papierkorbes finden.“ ‚Weltkrieg, Demokratie und Deutschlands Erneuerung‘, 255. Vgl. auch „Das deutsche Volk und die Politik“, 15ff.; „Die Legende vom Störenfried“, in: Staat, Recht und Freiheit, 262. 158 „Weltkrieg, Demokratie und Deutschlands Erneuerung“, 243. Ein eigentümliches Argument gibt Preuß in „Das deutsche Volk und die Politik“, 12: „(D)er völlige Mangel jeglicher politischen Bereitschaft im Augenblick der Mobilmachung ist der unwiderlegliche Beweis, daß wir diesen Krieg nicht gewollt, ja seine Möglichkeit in politisch greifbarer Gestalt kaum geahnt haben können.“ Verteidigend auch ebd., 27; „Die Legende vom Störenfried“, in: Staat, Recht und Freiheit, 271. Ebd., 257, verteidigt er auch das Deutschlandlied sowohl gegen das Ausland wie gegen die deutschen Reaktionäre, die es beide mißverstanden haben. Zur Debatte um die Kriegsschuldfrage im Weltkrieg M. Dreyer und O. Lembcke, Die deutsche Diskussion um die Kriegsschuldfrage 1918/19, 31ff. 159 „Das deutsche Volk und die Politik“, 24.
8.4 Hugo Preuß im Weltkrieg
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war dieses Netz auf einmal zerrissen worden, und der Weltkrieg trug für Preuß, wie schon angesprochen, alle Anzeichen eines Bürgerkrieges: In der Erbitterung, mit der der Kampf geführt wird, schwingt bewußt oder unbewußt etwas mit von dem bitteren Gefühl des Bruderkrieges, in dem der Kämpfer im Gegner zugleich sich selbst verwundet. ... Weil alle kämpfenden Völker im wesentlichsten gleich empfinden, sehen sie im Feinde den absoluten Gegensatz ihres eigenen Wesens.160
Zugleich war dieser Krieg aber auch erstmals ein umfassender Volkskrieg, der nicht allein die Obrigkeiten und ihre Armeen umfaßte, sondern die gesamte Bevölkerung in das Kriegsgeschehen einbezog. Erst eine spätere deutsche Regierung sollte das Konzept des totalen Krieges als positiven Begriff benutzen, aber in vielerlei Hinsicht war auch der Erste Weltkrieg ein totaler Krieg. Zumindest war er von Anfang an auch ein Wirtschaftskrieg, und die Härten an der „Heimatfront“ mit ihrer beständig schlechter werdenden Versorgung übertrafen zumindest bei weitem alles, was die letzten noch in Erinnerung befindlichen Kriege zwischen 1864 und 1871 mit sich gebracht hatten161. Für Preuß offenbarte die bloße Entstehung einer Heimatfront bereits die Identität von Staatsvolk und Staat und war somit ein erneuter Beweis dafür, daß die Zeit der Obrigkeitsregimes abgelaufen war und daß der Versuch Deutschlands, einen Volkskrieg mit den Mitteln des Obrigkeitsstaates zu führen, die höchste Gefahr mit sich brachte162. Auch wenn Preuß nirgendwo den Namen Clausewitz erwähnt, folgte er den entscheidenden politischen Grundsätzen dieses Kriegstheoretikers genauer als die verantwortlichen Politiker in Deutschland, von den Militärs ganz zu schweigen. Es war ohnehin schon immer ein Thema für Preuß gewesen, daß der politische Sinn der Deutschen gefährlich weit hinter ihrer sonstigen Leistungskraft zurückstand163. Das Versagen der politischen Führung, den Weltkrieg, der als Volkskrieg eminent politisch war, auch politisch zu führen, wurde von Preuß durch die gesamte Kriegszeit hindurch immer wieder aufgegriffen. Die Last der Kriegsführung lag allein auf dem Militär, von den Erfolgen auf dem Schlachtfeld wurde nichts auch nur annähernd politisch umgesetzt; das deutsche Verhalten erwecke den Eindruck, als
160 „Die Legende vom Störenfried“, in: Staat, Recht und Freiheit, 253f. Ähnlich „Nationaler Gegensatz und internationale Gemeinschaft“, ebd., 359f. 161 Vgl. Volker Ullrich, Kriegsalltag. Zur inneren Revolutionierung der Wilhelminischen Gesellschaft, in: W. Michalka (Hrsg.), Der Erste Weltkrieg, 603–621; Gerd Hardach, Der Erste Weltkrieg 1914–1918 (Geschichte der Weltwirtschaft im 20. Jahrhundert, Bd. 2), München 1973; Avner Offer, The First World War: An Agrarian Interpretation, 2. Aufl., Oxford 1991. 162 Vgl. „Das deutsche Volk und die Politik“, 168; „Völkerrecht und Völkerkrieg“, Neue Badische Landeszeitung, 61. Jg., Nr. 446 (1.9.’16). 163 „Wie wunderbar entfaltet sich die kernhafte Tüchtigkeit unseres Volkes in diesem furchtbarsten Kriege! Und wie anders müßte die Stellung dieses Volkes in der Welt sein, wenn seiner friedlichen und kriegerischen Tüchtigkeit ein politischer Sinn auch nur annähernd entspräche!“ ‚Das deutsche Volk und die Politik‘, 2. Vgl. auch oben, III.1.1 und passim.
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8. Politiker in Erwartung einer Aufgabe in Preußen und im Reich
wolle man den geringstmöglichen politischen Nutzen bei größtmöglichem militärischem Aufwand erzielen164. Langsam aber sicher siegte man sich politisch zu Tode. Damit war Preuß auch auf diesem Wege wieder bei seinem Ceterum censeo angelangt. Die Alternativen waren der totale militärische Sieg oder die politische Verständigung. Letztere war nur durch die innere Umgestaltung Deutschlands zum Volksstaat möglich165. Eine überraschende Chance für Hugo Preuß, genau daran mitzuwirken, schien sich im Sommer 1917 zu eröffnen. Vorschläge zur Verfassungsreform Im Juni 1917 stand Hugo Preuß zum ersten Mal vor einer Aufgabe, die er sich lange erhofft hatte: er sollte Vorschläge für die vollständige Reform einer Verfassung ausarbeiten. Von allen möglichen Stellen hatte man sich ausgerechnet in der Obersten Heeresleitung Gedanken darüber gemacht, ob eine solche Reform sinnvoll sei und wie sie aussehen solle. Zu diesem Zeitpunkt war Preuß’ Abhandlung über „Das deutsche Volk und die Politik“ schon lange veröffentlicht und hatte für Aufsehen gesorgt. Gleichwohl war Preuß nicht der Mann, den Ludendorff und Hindenburg für diese Aufgabe im Auge hatten; er konnte es bei der Entfernung seiner politischen Überzeugungen von denen Ludendorffs auch kaum sein. Aber die Militärs hatten sich an den Nationalliberalen Richard Witting gewandt, den soliden Direktor der Nationalbank, früheren Oberbürgermeister von Posen und Bruder Maximilian Hardens, der seinerseits die Aufgabe an seinen Freund Hugo Preuß weiterreichte. Preuß ließ sich erst offiziell bestätigen, daß er tatsächlich Reformvorschläge ausarbeiten sollte, bevor er mit der Arbeit begann. Man kann darüber spekulieren, ob Ludendorff wirklich genau wußte, von wem er sich da über die Zielrichtung einer Verfassungsreform unterrichten ließ166. 164 „Das deutsche Volk und die Politik“, 167. Vgl. ebd., 12 u. 166; „Innere Staatsstruktur und äußere Machtstellung“, 20; „Vorschläge zur Abänderung der Reichsverfassung“, in: Staat, Recht und Freiheit, 293; „Deutsche Demokratisierung“, in: ebd., 340f. 165 Eine der letzten beschwörenden Mahnungen von Preuß ist sein Artikel „Deutschland und die ‚Zentren des europäischen Gewissens‘“, FZ, Nr. 235 (25.8.’18) 1.M: Man solle die Feinde nicht unterschätzen „und daher nicht die Wahrscheinlichkeit des unbedingten Endsieges über alle Feinde zur Grundlage der Politik machen“. Der Bruch mit dem Chauvinismus sei nicht ohne innere Umgestaltung möglich; aber der Ruf nach einer solchen Verständigung sei kein Defätismus, sondern eine realistische Einschätzung der Stärkeverhältnisse. Wer an eine Niederlage glaube, könne keinen Verständigungsfrieden fordern, da die Feinde sich nicht täuschen ließen. 166 Der Vorgang wird auf Grund einer persönlichen Mitteilung von Preuß’ Sohn Ernst von G. Gillessen, Hugo Preuß, 108, geschildert: „Aus der Umgebung Hindenburgs und Ludendorffs kam eine entsprechende Anregung an ... Witting, ... der sie an seinen Freund Hugo Preuß weitergab. Hugo Preuß ließ sich aber erst durch einen politischen Offizier Ludendorffs offiziell auffordern, bevor er an die Ausarbeitung seiner Vorschläge ging.“
8.4 Hugo Preuß im Weltkrieg
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Gleichwohl ergibt diese skurril wirkende Anfrage, die mit Ludendorff und Preuß zwei Menschen zusammenbrachte, die in jeder Beziehung einander komplett entgegengesetzt waren, im Rahmen der Gesamtsituation des Krieges sehr wohl einen Sinn. Inzwischen hatte der uneingeschränkte U-Boot-Krieg seit einigen Monaten seine Wirkung gezeigt (oder eben nicht gezeigt), inzwischen waren die USA in den Krieg eingetreten, und noch im Mai hatte die Oberste Heeresleitung ein Kriegsende für den August 1917 fest angekündigt167. Dieser dreisten Siegeszuversicht standen keine Tatsachen gegenüber, aber das wußten weder der Reichskanzler Bethmann Hollweg noch die parlamentarischen Führer. Um so größer also das Entsetzen, als die OHL Anfang Juni auf einmal eine Kriegsdauer über einen vierten Kriegswinter hinweg ankündigte und zugleich auf die wachsende Materialüberlegenheit der Feinde verwies. Das waren die Vorboten der Julikrise, die zur Entlassung von Bethmann Hollweg, zur Verfestigung der linken Reichstagsmehrheit und zur Friedensinitiative des Reichstags führen sollte. Ludendorff war ein geschickter Politiker, und er muß vorhergesehen haben, daß die drastische Änderung der Kriegsprognose durch die OHL bei den verantwortlichen Politikern des Reiches alle möglichen unvorhersehbaren Folgen auslösen konnte. Es ist gut möglich, daß er mit dem Gedanken spielte, als Zuckerbrot für die Reichstagsmehrheit eine Verfassungsreform anzubieten. Vielleicht war es auch nur ein Spiel auf Zeitgewinn, ein Versuchsballon, den die OHL jederzeit steigen lassen könnte, um den Reichstag von der Kriegspolitik abzulenken. Überlegungen dieser Art mögen auch Hugo Preuß bewegt haben, denn er war anfänglich kaum von seiner neuen Aufgabe angetan. Bei Jena und Auerstedt war man noch nicht angekommen, und dies lies die Aussichten für eine grundlegende Verfassungsreform gering erscheinen. Schließlich waren den ganzen Krieg hindurch selbst die kleinsten Reformvorhaben gescheitert, so daß er wenig Ursache hatte, seinem Unternehmen höhere Erfolgsaussichten zuzuschreiben. In einem Brief an Witting vom 14. Juni 1917 äußerte Preuß generelle Bedenken gegen eine vollständige Verfassungsrevision und trat nur für eine einzelne Sofortmaßnahme ein, die auch ohne große Verfahren möglich war: die völlige Gleichberechtigung Elsaß-Lothringens als neuem Gliedstaat. Ansonsten bestanden einige Differenzen zu Witting; Preuß wollte eine stärkere Unitarisierung des Reiches mit einem verantwortlichen Kanzler an der Spitze. Das Kollegialsystem der preußischen Regierung lehnte er im Gegensatz zu seiner Partei als Hemmschuh ab und wollte es keinesfalls für das Reich übernehmen. Aber ebenso wichtig, auch im Hinblick auf spätere Ereignisse, ist der Gedanke der Verstärkung unitarischer Tendenzen: Wir mögen noch so rationalistisch voraussetzungslos vorgehen wollen, das historische Gesetz wird uns immer wieder zur Annäherung an die Grundgedanken der Reichsverfassung der Paulskirche zwingen; und die heute nötigen Abweichungen von ihr müssen sogar das unitarische Moment noch verstärken. Denn das wirkliche Hemmnis jeder Demokratisierung und Parlamentarisierung in Deutschland steckt in den Einzelstaaten, natürlich Preußen voran. Der preußische Partikularismus läßt sich aber absolut nicht durch den süddeutschen Partikularismus, sondern
167 F. Fischer, Griff nach der Weltmacht, 332.
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8. Politiker in Erwartung einer Aufgabe in Preußen und im Reich nur durch stärksten unitarischen Druck überwinden. Republikanischer Föderalismus wäre mit Demokratie und Parlamentarismus vereinbar; monarchischer Föderalismus ist es absolut nicht.168
Der letzte Satz ist der wichtigste. Aus demokratie- und föderalismustheoretischen Blickwinkeln ist er ebenso unanfechtbar wie aus der Praxis föderativer Systeme. Und vor allem zeigt er bereits hier, daß der spätere vermeintliche Unitarismus von Preuß im wesentlichen eine Reaktion auf das „Problem Preußen“ ist, aber keine prinzipielle Ablehnung föderativer Verfassungsstrukturen. Bei allen Bedenken konnte Preuß sich dem Reiz der ihm angetragenen Arbeit nicht entziehen. Einen Monat später, am 12. Juli 1917, schickte er Witting eine ausgearbeitete Denkschrift, die begleitet war von Änderungsvorschlägen zu allen relevanten Artikeln der deutschen und der preußischen Verfassung. Einige Artikel waren fertig ausformuliert, andere gaben nur die generelle Form der Änderung an. Außerdem waren Begründungen für die Änderungen beigefügt. Preuß’ Arbeit hieran fiel in die Zeit der verschärften Kanzlerkrise, die am 14. Juli zum Sturz Bethmann Hollwegs führte und die eine sehr eigentümliche Begleitmusik für die Arbeit an einem noch dazu vertraulichen Verfassungsreformentwurf gewesen sein mußte. Preuß betonte bei der internen Drucklegung des Manuskriptes im September, daß seine Vorschläge schon vorher ausgearbeitet waren und daß er sich inzwischen nur bestätigt sah. Gleichwohl hat das lange Vorfeld der Krise Preuß sicherlich mit dazu bestimmt, sich überhaupt an die Ausarbeitung zu machen169. Das Manuskript vom September zirkulierte nur in engen Kreisen; einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde es erst nach dem Tode von Preuß170. Preuß hielt sich so eng wie möglich an den bestehenden Text der Verfassungen Preußens und des Reiches171, aber die von ihm vorgenommenen Änderungen waren 168 Der Brief findet sich im BAB, NL Hugo Preuß, 90 Pr 1, Bd. 1, Bl. 66–68. Preuß schloß wie gewohnt selbstsicher und selbstironisch zur gleichen Zeit, als er die Hoffnung aussprach, sich mit Witting „einig und klar [zu] werden, ehe ich ersprießlicher Weise als Lykurg oder Solon in Tätigkeit treten kann“. 169 Der Brief an Witting ist im BAB, NL Hugo Preuß, 90 Pr 1, Bd. 1, Bl. 69, zu finden. Preuß schrieb hierin: „Grade das tragikomische Treiben der letzten Tage zeigt die Notwendigkeit, auch die formale Seite der Dinge einmal zu Ende durchzudenken, sei es auch nur, um die wirklichen Schwierigkeiten klar zu erkennen. So sind auch meine Vorschläge nicht als eine in toto einzubringende Vorlage gedacht; aber irgend wie müssen einmal die Dinge in diese Richtung gehen, wenn sie überhaupt vorwärts gehen sollen. Meine einleitenden Bemerkungen waren vor den letzten ‚Ereignissen‘ abgeschlossen; diese geben mir auch keinen Anlaß, etwas an ihnen zu ändern.“ An gleicher Stelle sind zwei identische Fassungen der allgemeinen Einleitung, die Preuß seinen Revisionsvorschlägen beigab (Bl. 70–79 u. Bl. 80–89) sowie die Gegenüberstellung der einzelnen Artikel der revidierten und der geltenden Form der Verfassungen (Bl. 90–119). 170 „Vorschläge zur Abänderung der Reichsverfassung und der preußischen Verfassung, nebst Begründung“, in: Staat, Recht und Freiheit, 290–335. Ich zitiere nach dieser einfach zugänglichen Stelle, deren minimale Abweichungen von den archivalischen Vorlagen sich wohl durch belanglose Übertragungsfehler erklären. 171 Generell vgl. zu seinem Entwurf G. Gillessen, Hugo Preuß, 108ff.; S. Graßmann, Hugo Preuß, 88ff; und B. Stümke, Die Entstehung der Deutschen Republik, Frankfurt a.M 1923, 266.
8.4 Hugo Preuß im Weltkrieg
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darum inhaltlich nicht minder bedeutsam. Sie hätten wenig am Text der Verfassung geändert, das Regierungssystem in Wahrheit aber vollkommen umgestellt und Deutschland in eine unitarische und parlamentarische Monarchie verwandelt. Die Kaiserkrone sollte erblich im Mannesstamme der Hohenzollern sein (Art.11), womit sie formal von Preußen gelöst war. Sämtliche Akte des Kaisers, auch wenn sie auf das Militär bezogen waren, und seine öffentliche Reden und Interviews bedurften der Gegenzeichnung des Kanzlers oder der Minister, die vom Vertrauen des Reichstages abhängig waren (Art. 11). Der Kaiser wurde durch ein Vetorecht unmittelbar an der Gesetzgebung beteiligt (Art. 5); faktisch hätte dies wegen der Gegenzeichnung aber ein Vetorecht der Regierung bedeutet. Der Reichstag konnte durch dreifachen Beschluß den Reichsrat, der an Stelle des Bundesrates treten sollte, überstimmen (Art. 5). Das lief auf nichts anderes als eine Entmachtung Preußens bei ansonsten territorial unveränderter Stellung hinaus, und in die gleiche Richtung zielte die Bestimmung über die Zusammensetzung des neuen Reichsorgans. Die Mitglieder des Reichsrates waren auf 10 Jahre mit freiem Mandat von den Regierungen der Einzelstaaten aus drei vom Landtag präsentierten Kandidaten ernannt (Art. 6), sie besaßen parlamentarische Immunität statt des bisherigen diplomatischen Status (Art. 10). Reichstagsmandat und Regierungsamt waren künftig kompatibel (Art. 21), der Reichstag bekam das Enquete-Recht (Art. 27a). Das Reich erhielt die Kompetenz auch in Volksschulfragen, was sicherlich aus den Berliner Erfahrungen von Preuß geboren wurde. Hinzu kam die Weisungsbefugnis gegenüber den Staaten im Rahmen seiner Kompetenz (Art. 4), was sich auch auf die Durchsetzung homogener Verfassungsstrukturen erstreckte (Art. 74/75). Verfassungsänderungen kamen durch übereinstimmende einfache Mehrheiten in Reichstag und Reichsrat zustande. Konnte keine Einigkeit erzielt werden und kam es zur Neuwahl des Reichstages, reichte danach der normale Gang der Gesetzgebung aus. Es war also denkbar, daß der Reichsrat selbst bei Verfassungsänderungen nicht mehr als ein suspensives Veto erhielt. Waren allerdings Rechte der Einzelstaaten berührt, mußten zwei Drittel im Reichsrat zustimmen (Art. 78). In die gleiche Richtung gingen die Veränderungen für Preußen. Auch hier wurde die Gegenzeichnungspflicht auf alle Akte ausgedehnt (Art. 44). Regierungsamt und Parlamentsmandat waren kompatibel (Art. 78), der Reichskanzler zugleich ex officio preußischer Staatskanzler (Art. 45), was die Möglichkeit zu Mißtrauensanträgen auf die Staatsminister reduziert hätte. Die 2. Kammer wurde nach dem Reichstagswahlrecht gewählt (Art. 69–75), sie konnte durch dreimaligen Beschluß Gesetze gegen den Willen der 1. Kammer verabschieden (Art. 62). Der 1. Kammer gehörten alle ehemaligen Minister an, soweit sie nicht in der 2. Kammer saßen, sowie auf 10 Jahre gewählte Vertreter der Provinzen, Städte, Hochschulen und Berufskammern (Art. 65). Verfassungsänderungen kamen durch Mehrheitsbeschluß beider Kammern mit anschließender Neuwahl und Wiederholung des Beschlusses zustande (Art. 107), und zum Schluß wurde der Verfassungseid auch auf das Heer ausgedehnt (Art. 108). Mit diesem Paket von Vorschlägen hatte Preuß eine Verfassungsreform vorbereitet, die das Reich mit einem Schlag in eine demokratische Monarchie, eben in einen Volksstaat verwandelt hätte. Preußen und die anderen Staaten wären
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entschieden zurückgedrängt und gleichfalls zur Übernahme volksstaatlicher Strukturen genötigt worden; notfalls auch gegen ihren Willen und auf Veranlassung des Reiches. Der Primat der Politik gegenüber der Armee wäre entgegen der zunehmenden Praxis im Weltkrieg wieder hergestellt worden, bzw. eigentlich erstmals überhaupt erreicht. Zunächst ließ Preuß seine Ideen im engen Kreis einiger Gesinnungsgenossen zirkulieren, bis sie dann im September als Manuskript vom Auftraggeber, der Obersten Heeresleitung, gedruckt wurden. Und damit verschwanden sie von der Bildfläche, denn die militärischen Stellen verfolgten den Entwurf nicht weiter. Preuß wird dies letztlich nicht überrascht haben; er dürfte in realistischer Einschätzung der innenpolitischen Situation kaum darauf gehofft haben, daß von dieser Stelle wirklich die Impulse für eine grundlegende Reform von Reich und Preußen ausgehen konnten und zugleich das Militär seiner verfassungsrechtlich privilegierten Stellung beraubt werden sollte. Zudem war im September die Julikrise überwunden, der Reichstag hatte einmal mehr den Griff nach der Macht versäumt, und mit der neuen politischen Reichsleitung konnten Ludendorff und Hindenburg durchaus zufrieden sein. Die politische Kalkulation, die einen demokratisierenden Verfassungsreformvorschlag gleichsam als Joker in der Hinterhand erscheinen ließ, war überholt. Ludendorff war sicher nicht der Mann, der einem solchen Entwurf ohne in seinen Augen zwingende Notwendigkeit nahezutreten bereit war. Preuß’ anfängliches Zögern gegenüber der Arbeit am Reformentwurf hatte seine Berechtigung gefunden; das ganze Vorhaben war ebenso fruchtlos geblieben, wie man von Anfang an hatte vermuten können. Erst über ein Jahr später sollte der Entwurf wenigstens zum Teil wieder aktuell werden, und auf ihn gründet sich die Legende, Preuß habe nach der Revolution als Staatssekretär des Inneren lediglich eine fertige Verfassung aus der Schublade ziehen müssen. Doch zurück in das Jahr 1917. Wenigstens in einem Punkt versuchte Preuß, seine Reformpläne weiter zu verfolgen. Schon vor dem Sommer 1917 hatte er sich an der Diskussion um das preußische Wahlrecht beteiligt, auch danach blieb er aktiv. Als Minimum einer notwendigen Reform verlangte Preuß schon seit 1898 die einfache Übernahme des geltenden Reichstagswahlrechts, was die drängendsten Probleme des indirekten Dreiklassenwahlrechts mit öffentlicher Stimmabgabe behoben hätte172. Aber dies konnte nur das Minimum sein; Hugo Preuß’ eigentliches Ziel war die Einführung eines Verhältniswahlrechts. So hatte er es in seinem 172 „Vor den Landtagswahlen“, in: Die Nation, 15. Jg. (1897/98), Nr. 46 (13.8.’98), 654–657, u. Nr. 47 (20.8.), 668–671, hier 670. Ähnlich „Wahlrechtsfragen und Konservativer Fortschritt“, in: Europäische Staats- und Wirtschaftszeitung, 2. Jg., Nr. 21 (26.5.’17), 533–535, hier 534 („(V)ergebliche Mühe muß es bleiben, der öffentlichen Meinung beweisen zu wollen, daß ein im Reiche seit einem halben Jahrhundert bestehendes Wahlrecht für den Staat, der drei fünftel des Reiches umfaßt ganz ungeeignet sein soll.“); „Der Kernpunkt der preußischen Wahlrechtsfrage“, in: ebd., Nr. 52 (29.12.’17), 1184–1186, hier 1184 (Die Beweispflicht liege bei den Anhängern der Stimmenungleichheit; „(d)aß man die Stimmen wägen und nicht zählen soll, ist ein vortrefflicher Grundsatz, vorausgesetzt, daß man eine wenigstens halbwegs brauchbare Waage hat“, was nicht der Fall ist.); „Einfach das Reichstagswahlrecht!“, FZ, Nr. 352
8.4 Hugo Preuß im Weltkrieg
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Verfassungsentwurf (Art. 20) für das Reich und für Preußen vorgesehen, und es ist bezeichnend für die Bedeutung, die er diesem Punkt beimaß, daß dieser Teil seines Entwurfs als einziger von ihm auch separat im August 1917 in der Frankfurter Zeitung einem breiten Publikum zur Diskussion gestellt wurde173. Das ganze Reich (bzw. ganz Preußen) sollte einen einzigen Wahlkreis bilden, womit zugleich das Problem der anachronistischen Wahlkreiseinteilung, die die Großstädte drastisch benachteiligte, gelöst worden wäre. Mit 500 Unterschriften konnte sich jedermann um ein Mandat bewerben. Jeder Wähler hatte eine Stimme, gewählt waren die 397 Kandidaten mit den meisten reichsweiten Stimmen. Verbindungen zu Listen waren beliebig möglich, in welchem Falle überschüssige Stimmen dem Kandidaten mit der nächsthohen Stimmenzahl auf der Liste zugute kamen. Auf diese Weise meinte Preuß, den Hauptnachteil des Verhältniswahlrechts, die starre Liste, überwunden zu haben. Die Parteien seien zu Kompromissen untereinander ebenso gezwungen wie dazu, möglichst bekannte Kandidaten zu gewinnen. Dieser eigentümliche Vorschlag hatte vor der Revolution ebenso wenig Chancen auf Realisierung wie nachher. Aber auch die weiter reichenden Pläne Preuß’ hatten keine Chance. Vielleicht haben Hindenburg und Ludendorff ja später, im Oktober 1918, noch einmal an das Vorjahr gedacht, als ihnen auch maßvolle Reformvorschläge noch zu weit gingen. Inzwischen, als die Front kaum noch zusammengehalten werden konnte, war es zu spät. Die Demokratisierung vom Oktober 1918 Im Sommer 1918 verschärfte sich das verbreitete Gefühl der Dringlichkeit, den Krieg zu beenden. Trotzdem hat zu diesem Zeitpunkt noch kaum jemand geahnt, wie plötzlich und überstürzt und vor allem mit welchem Resultat der Weltkrieg seinem Ende entgegensteuerte. Ein Zeitgenosse, der seine politischen Informationen allein der Kreuzzeitung, der Deutschen Tageszeitung oder vergleichbaren Blättern entnahm, hätte auch im September und Oktober noch kaum geahnt, was Deutschland bevorstand. Hier wurde über siegreiche Abwehrschlachten, die hervorragende Moral der Truppe und ähnliche Themen berichtet, und selbst am 30. September spekulierte die Kreuzzeitung noch darüber, daß Frankreich sich bei (21.12.’17) 1.M; „Obrigkeitspolitik und Wahlrecht“, BT, Nr. 605 (27.11.’17) M („Anstatt sich damals der Führung der Volksbewegung zu bemächtigen, die Widerstände gegen die längst notwendige Reform zu brechen, hieß es: Wahlrechtsdemonstrationen?! Nun kriegt ihr gerade nichts! Waschechte Obrigkeitspolitik.“) 173 „Wahlen ohne Wahlkreise“, FZ, Nr. 228 (19.8.’17) 2.M. Generell für das Verhältniswahlrecht vgl. „Wahlrechtsfragen und ‚Konservativer Fortschritt‘“, 535: „Jedenfalls ist der entscheidende Gesichtspunkt bei alledem nicht eine doktrinäre Überspannung des individuellen Gleichheitsprinzips, vielmehr das Bestreben, die Wahlen zu einem möglichst reinen Ausdruck der wirklichen öffentlichen Meinung zu gestalten. Nur davon ist auch eine Umgestaltung des Parteiwesens zu politischer Fruchtbarkeit zu erwarten.“
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8. Politiker in Erwartung einer Aufgabe in Preußen und im Reich
einem Friedensschluß von seinen Kolonien werde trennen müssen, da es sonst die Reparationen kaum bezahlen könne!174 Realistischer sah man die Sachlage anderswo: Die Oberste Heeresleitung hatte Ende September ultimativ die sofortige Demokratisierung Deutschlands verlangt, und von der neuen Regierung wurde nicht weniger ultimativ der sofortige Waffenstillstand verlangt. Selbst in Kreisen, die bislang keineswegs mit Ludendorff sympathisiert hatten, überwog der Schock über die neue Lage die zweifelhafte Genugtuung, mit den Warnungen recht behalten zu haben. Bekannt sind die leidenschaftlichen Appelle Rathenaus, jetzt nicht überstürzt einen Frieden um jeden Preis einzugehen175. Die Hoffnung lag auf der demokratischen Regierung des Prinzen Max und auf dem amerikanischen Präsidenten Wilson, dessen lange zurückliegender Friedensinitiative man sich jetzt wieder erinnerte. Die zeitgenössischen Kommentatoren erfaßten von Anfang an, daß der Wechsel zum Prinzen Max nicht einfach ein beliebiger Regierungswechsel war, sondern der Wechsel eines politischen Systems, der Übergang vom Obrigkeitsstaat zum Volksstaat. Hans Delbrück, der sich bislang nicht als Vorkämpfer einer grundlegenden demokratischen Reform hervorgetan hatte, begrüßte die Ernennung des Prinzen uneingeschränkt. Er erkannte aber auch ein Problem: Jetzt wo wir in militärischen Nachteil geraten sind, ist es natürlich sehr viel schwerer, die Welt glauben zu machen, daß die politische Idee, die uns von jetzt an leiten soll, einer tiefgegründeten Überzeugung und nicht einer augenblicklichen Schwächeanwandlung entspringt.176
174 G. Gloege, Welches Recht hat Frankreich auf Kolonialbesitz?, KZ, Nr. 498 (30.9.’18) M. Noch am 31.10. lautet die Schlagzeile der Abendausgabe (Nr. 557) „Sämtliche Angriffe der Gegner gescheitert“, am 2.11. heißt es (Nr. 561) „Großer Abwehrsieg an der Westfront“ und am 5.11. (Nr. 566) endlich „Erfolgreiche Abwehr an der ganzen Front“. Die Beispiele ließen sich vermehren. 175 Etwa W. Rathenau, Festigkeit!, BT, Nr. 503 (2.10.’18) M: „Ein für allemal: Wir halten den Krieg beliebig lange aus, an Rohstoff, Nahrung, Kraft und Willen, mit mehreren, mit wenigen, mit keinen Genossen. Je länger wir ihn aushalten können und aushalten wollen, desto kürzer werden wir ihn auszuhalten haben.“ Oder W. Rathenau, Ein dunkler Tag, VZ, Nr. 512 (7.10.’18) M, wo er die deutsche Friedensnote als verfrüht kritisiert: „Das Land ist ungebrochen, seine Mittel unerschöpft, seine Menschen unermüdet. Wir sind gewichen, aber nicht geschlagen. Die Antwort wird kommen. Sie wird unbefriedigend sein; mehr als das: zurückweisend, demütigend, überfordernd.“ Gegen diese Kritik wendete sich die FZ, „Disziplin!“, Nr. 278 (7.10.’18) M. 176 H. Delbrück, Prinz Max als Reichskanzler, NAZ, Nr. 516 (9.10.’18) M. Zur Regierung des Prinzen Max siehe Erich Matthias und Rudolf Morsey (Hrsg.), Die Regierung des Prinzen Max von Baden (Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Reihe 1, Bd. 2), Düsseldorf 1962; Wolfgang Sauer, Das Scheitern der parlamentarischen Monarchie, in: Eberhard Kolb (Hrsg.), Vom Kaiserreich zur Weimarer Republik, Köln 1972, 77–99; Susanne Miller, Die Bürde der Macht. Die deutsche Sozialdemokratie 1918–1920, Düsseldorf 1978, 23ff. Siehe auch Prinz Max von Baden, Erinnerungen und Dokumente, 6.–10. Tsd., Berlin und Leipzig 1927.
8.4 Hugo Preuß im Weltkrieg
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Genau diesen Verdacht hegte man im Ausland, und die plötzliche innere Demokratisierung hatte die gleichen Glaubwürdigkeitsprobleme wie die Berufung auf die Friedensvorstellungen von Woodrow Wilson, die zuvor unter anders gelagerten Kräfteverhältnissen abgelehnt worden waren. Noch am 24. September 1918 hatte die Germania, die führende Zentrumszeitung, in einem Leitartikel die 14 Punkte Wilsons als unannehmbar bezeichnet. Diese frühere Haltung hinderte aber jetzt und in den Wochen und Monaten vor dem Versailler Friedensvertrag niemanden daran, sich auf Wilsons Friedensvorschläge zu berufen, als habe man einen Rechtsanspruch177. Vorsichtigen Optimismus angesichts der Umgestaltung Deutschlands zeigte aber zunächst auch Hugo Preuß, als er als neugewählter Rektor der Handelshochschule am 19. Oktober sein Amt antrat, das er nicht ganz einen Monat ausüben sollte, bis ihn größere Aufgaben erwarteten. Er sprach in seiner Antrittsrede über „Nationalen Gegensatz und internationale Gemeinschaft“, ein Thema, das auf die Zukunft nach dem bald erwarteten Friedensschluß gerichtet war. Einen Gegensatz zwischen der pluralistischen freien Konkurrenz der Ideen und Nationen und der internationalen Gemeinschaft des Völkerrechts, die nach dem Krieg wieder und endgültig zu ihrem Recht kommen müsse, sieht Preuß nicht178. Größere Bedenken trägt er hinsichtlich der deutschen Entwicklung. Jahrelang hatte er auf eine rechtzeitige Parlamentarisierung gedrungen, nun sollte sie von heute auf morgen durch Kabinettsorder eingeführt werden. In der offiziösen Norddeutschen Allgemeinen Zeitung veröffentlichte Preuß am 26. Oktober einen Artikel unter dem Titel „Die Improvisierung des Parlamentarismus“, der auf dem Umweg über einen Aufsatz von Theodor Eschenburg und unter dem leicht abgewandelten Titel „Die improvisierte Demokratie“ ein Synonym für die ganze demokratische Umgestaltung 1918/19 geworden ist179. Das Gefühl, eine lange versäumte Umgestaltung nunmehr in schwindelerregendem Tempo nachvollziehen zu müssen, war nicht auf Preuß beschränkt. Philipp Scheidemann nennt das entsprechende Kapitel seiner Memoiren kaum weniger plastisch „Reformen im Galopp“180. 177 LA, Germania, Nr. 445 (24.9.’18 M). Vgl. auch das anonyme Wilson und der Rechtsfriede. Eine zeitgemäße Erinnerung, Berlin 1919. Zur deutschen Hoffnung auf Wilson und der darauf folgenden Enttäuschung siehe M. Dreyer und O. Lembcke, Die deutsche Diskussion um die Kriegsschuldfrage 1918/19, 109f. und 126ff. Generell Klaus Schwabe, Deutsche Revolution und Wilson-Frieden. Die amerikanische und deutsche Friedensstrategie zwischen Ideologie und Machtpolitik 1918/19, Düsseldorf 1982. 178 Die Rede ist abgedruckt in „Staat, Recht und Freiheit“, 345–361, hier 348f. Sie findet sich auch in der DAZ, Nr. 591 (20.11.’18) M, Bb. Für Preuß waren die hier ausgedrückten Ideen weder neu noch überraschend, sie entsprachen dem internationalen Aspekt seines Denkens. 179 „Die Improvisierung des Parlamentarismus“ erschien am 26.10.’18 in der NAZ Nr. 549 A. Erneut abgedruckt ist der Artikel in „Staat, Recht und Freiheit“, 361–364. Vgl. auch „Reich und Länder“, 37. Theodor Eschenburg, Die improvisierte Demokratie. Ein Beitrag zur Geschichte der Weimarer Republik, in: ders., Die improvisierte Demokratie. Gesammelte Aufsätze zur Weimarer Republik, München 1963, 11–60, hier 41 (erstmals 1951), bezieht sich wiederholt auf Preuß. 180 Ph. Scheidemann, Memoiren eines Sozialdemokraten II, 248.
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8. Politiker in Erwartung einer Aufgabe in Preußen und im Reich
Preuß sah nur zu klar, daß diese Improvisation einem fast unmöglichen Drahtseilakt glich, der noch dazu ohne Netz ausgeführt wurde, da sein Scheitern schreckliche Folgen haben würde. Die Voraussetzungen für die erfolgreiche Improvisation fehlten fast völlig; man kann Parlamentarier und Demokraten haufenweise zu Ministern und Staatssekretären machen, hat aber damit noch keinen Parlamentarismus und keine Demokratie181.
Preuß war auch zuvor nie für eine sofortige, totale Reform in einem einzigen Schritt eingetreten. Selbst in den Verfassungsreformdiskussionen des Jahres 1917 hatte er im Grund vorsichtig plädiert und möglichst viel von den alten Strukturen, zumindest aber ihre Form zu retten versucht. An sofortigen Reformen war es eigentlich immer nur die Wahlrechtsfrage, die er einer unmittelbaren Lösung zuführen wollte, sicherlich auch in der Erwartung, daß hiervor eine große symbolische Wirkung ausgehen würde und daß die weiteren Reformen sich daran in kontinuierlicher Reihenfolge anschließen mußten. So war es nicht gekommen, und jetzt rächten sich alle die Unterlassungssünden, die Preuß und andere vergeblich angeprangert hatten. Auch die Parteien, die so lange in bequemer Fundamentalopposition verharrt hatten, waren kaum in der Lage, auf einmal aus dem Stand heraus die gesamte Verantwortung zu tragen. Wie zu erwarten war, riet Preuß dazu, bei Stein und der Paulskirche anzuknüpfen, aber das erforderte Zeit für einen reflektierten Übergang, und die hatte man nicht mehr182. Die politische Niederlage in einem Krieg, den der deutsche Obrigkeitsstaat allein militärisch hatte führen wollen, war die von Preuß von Anfang an befürchtete äußere Katastrophe, die Revolution, die den Obrigkeitsstaat gewaltsam beseitigte, die nicht minder befürchtete innere Katastrophe. Jetzt trafen beide Katastrophen gleichzeitig, und wenn Preuß auch den Untergang der Hohenzollern-Dynastie ohne weiteres verschmerzen konnte, drohte doch auch zugleich sein Vaterland mit in den Abgrund zu stürzen.
181 „Die Improvisierung des Parlamentarismus“, in: Staat, Recht und Freiheit, 363. 182 Ebd. 364.
9. DAS VERFASSUNGSWERK VON WEIMAR 9.1 Revolution und Bürgertum Bereits die improvisierte Demokratisierung von Anfang Oktober hatte die Politiker ebenso unvorbereitet getroffen wie die Öffentlichkeit; die kommenden Wochen waren nicht geeignet, den politischen Schock zu mildern1. Überraschung und Passivität, Hoffnung und Angst kennzeichnen das Bild vor allem auf liberaler Seite. Weniger von Zwiespalt und Zweifeln geprägt war die Haltung von Sozialisten und Konservativen; erstere waren prinzipiell für, letztere prinzipiell gegen jede Veränderung an der Wilhelminischen Herrschaftsstruktur. Aber den liberalen Bürgern fiel die Stellungnahme schwerer2. Einerseits war die demokratische Umgestaltung schon lange programmatisches Ziel, andererseits hatte man sich in der bequemen Rolle ewiger Opposition jedoch recht gut eingelebt. Zudem stand schon im Oktober warnend das russische Beispiel vor Augen. Wenigstens der USPD wurde zugetraut, von weiten Kreisen aber auch der MSPD, dem Vorbild Lenins folgen zu wollen. Und zum dritten war der deutsche Liberalismus „schon lange keine politische Macht mehr“3; das Bürgertum dachte überwiegend weder liberal noch demokratisch – der geringe politische Erfolg, den Theodor Barth, Hugo Preuß und ihre sozialliberal denkenden Freunde in den letzten Friedensjahren hatten, kam nicht von ungefähr. Der Krieg hatte die politische Stimmung nicht in die von Preuß erwünschte Richtung verändert. 1
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Zu dieser Übergangsphase wie auch zur Verfassunggebung siehe aus der Unmenge der Literatur nur Ernst-Wolfgang Böckenförde, Der Zusammenbruch der Monarchie und die Entstehung der Weimarer Republik, in: Karl Dietrich Bracher, Manfred Funke und Hans-Adolf Jacobsen (Hrsg.), Die Weimarer Republik 1918–1933. Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, 3. Aufl., Bonn 1998, 17–43; Reinhard Rürup, Entstehung und Grundlagen der Weimarer Verfassung, in: E. Kolb (Hrsg.), Vom Kaiserreich zur Weimarer Republik, 224–243; Heinrich August Winkler, Weimar 1918–1933. Die Geschichte der ersten deutschen Demokratie, München 1993 (Kap. 1 und 2); Ulrich Kluge, Die deutsche Revolution 1918/19, Darmstadt 1997; E. Kolb, Internationale Rahmenbedingungen einer demokratischen Neuordnung, und v.a. Gerhard Schulz, Zwischen Demokratie und Diktatur. Bd. 1: Die Periode der Konsolidierung und der Revision des Bismarckschen Reichaufbaus 1919–1930, 2., durchges. u. erg. Aufl., Berlin und New York 1987. Immer noch lesenswert ist Arthur Rosenberg, Entstehung und Geschichte der Weimarer Republik, Frankfurt a.M. 1955 (auch ND in 2 Bden, Hamburg 1991). Zur Forschungslage Eberhard Kolb, Die Weimarer Republik, 5. Aufl., München 2000; und Andreas Wirsching, Die Weimarer Republik. Politik und Gesellschaft, München 2000. Vgl. auch Michael Dreyer, Die Entstehung der Weimarer Reichsverfassung, in: Harald Mittelsdorf (Red.), 80 Jahre Weimarer Reichsverfassung (1919–1999), Weimar 1998, 31–66, wo Teile dieses Kapitels in einer früheren und wesentlich gekürzten Fassung veröffentlicht sind. Als Einstieg siehe Michael Epkenhans, Das Bürgertum und die Revolution 1918/19, Heidelberg 1994. R. Rürup, Entstehung und Grundlagen der Weimarer Verfassung, 222.
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9. Das Verfassungswerk von Weimar
Die atemlose Geschwindigkeit der Umwandlung zwischen Mitte Oktober und Mitte November läßt sich neben anderen Quellen4 vielleicht am besten anhand der wichtigsten Zeitungen der großen Parteien verfolgen. Auch in der Schlußphase des Krieges und während der Revolution gab es anscheinend keinen Papiermangel; zumindest erschienen die großen Zeitungen nach wie vor mit mindestens zwei täglichen Ausgaben, und der Stand der Dinge beim Erscheinen der Morgenausgabe war mit der Abendausgabe oftmals schon überholt. Andererseits erlaubte dies eine lebhafte Debatte, und bereits im Oktober richtete sich das Augenmerk dieser Debatte auch immer mehr auf die drängenderen inneren Probleme des Deutschen Reiches. Gegen Ende des Monats und noch Anfang November häufen sich die Stimmen, die in immer beschwörenderem Tonfall zur Einheit und Friedlichkeit der inneren Entwicklung aufrufen. Bereits jetzt wird eine Nationalversammlung gefordert5. Dies richtete sich gegen den befürchteten Gang der Entwicklung nach links, aber auch gegenüber den alten Gewalten erfolgte die Abgrenzung. Von weitsichtigen liberalen Kommentatoren wie Theodor Wolff wurde von Anfang an die Gefahr gesehen, die darin bestand, daß jetzt die demokratischen Kräfte das Chaos des alten Regimes beseitigen mußten. Die „Kreuzzeitung“ kündigte zwar an, daß die Opposition der Konservativen „oft scharf werden, aber ... immer vornehm bleiben“ werde6, doch zumindest den zweiten Teil mochte kein Liberaler so recht glauben. Schon am 7. Oktober schrieb die „Frankfurter Zeitung“, daß die Demokratie jetzt den Schaden liquidieren müsse, den die Konservativen angerichtet haben: Diese Schuld und diese Schuldigen zu erkennen, tut not. Nicht, weil es jetzt an der Zeit wäre, zu rechten und zu strafen, die Zeit auch dafür wird kommen, aber erst nach Friedensschluß, sondern nur, um neues, schlimmeres Unheil zu vermeiden: weil jetzt schon diese selben Schädiger, die uns bis hierher gebracht haben, ihre furchtbare Schuld der neuen Demokratie aufzuladen bemüht sind, die doch in Wahrheit nichts tut, als die unglückselige Erbschaft jener zu liquidieren, so weit wie sie eben noch zu liquidieren ist. Das soll man wissen. Die neue Regierung springt in die Bresche, um die ungeheuere Aufgabe der Rettung Deutschlands zu übernehmen. Unter die Note aber, die der erste Schritt dafür sein soll, gehörten von Rechts wegen ganz andere Namen: die Namen derer, die Deutschlands Schicksal vor und in der Kriegszeit und vor allem in den letzten zwei Jahren tatsächlich bestimmt haben, allen verfassungsmäßigen Rechten und Kompetenzen zum Trotz – und die nun in Wahrheit verantwortlich sind für die Lage, in der wir uns jetzt befinden.7
Man kann die Weitsicht nur bewundern, die in diesen Worten steckt. Denn als sie geschrieben wurden, war die am 3. Oktober ausgesprochene Ernennung des Prinzen 4 5 6 7
Eine umfassende Quellensammlung bieten Gerhard A. Ritter und Susanne Miller (Hrsg.), Die deutsche Revolution 1918–1919. Dokumente, 2., erhebl. erw. u. überarb. Aufl., Hamburg 1975. Vgl. ebd. zum militärischen Zusammenbruch (25–39) und zum Sturz der Monarchie (40–84). Etwa „Schicksalsfragen“, VZ, Nr. 568, (6.11.’18) M; Jakob Schaffner, Aufruf zur Nationalversammlung, VZ, Nr. 573, (8.11.’18) A; LA, FZ, Nr. 301 (30.10.’18) 1.; F. Meinecke, Zur nationalen Selbstkritik, DAZ, Nr. 550 (27.10.’18) M u. Nr. 563 (3.11.) M. G. F[oertsch], Politische Tagesübersicht, KZ, Nr. 542 (23.10.’18) A. „Der Friedensschritt“, FZ, Nr. 278 (7.10.’18) M.
9.1 Revolution und Bürgertum
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Max zum letzten kaiserlichen Reichskanzler gerade eine halbe Woche alt, und bereits jetzt sieht ein führendes linksliberales Organ die Notwendigkeit, sich prophylaktisch gegen die noch nicht entstandene Dolchstoßlegende zu verteidigen. Offenbar wußte man die Beteuerungen der „Kreuzzeitung“ einzuschätzen, und tatsächlich finden sich schon in den Tagen kurz vor Ausbruch der Revolution Artikel, die einen Vorgeschmack auf spätere Argumentationslinien bieten8. Zu den inneren Problemen kam die Sorge um die auswärtige Lage. Nachdem die Propaganda der Obersten Heeresleitung den Sieg über Jahre hinweg zum Greifen nahe gesehen hatte, brach jetzt die Erkenntnis der realen Lage wie eine Naturkatastrophe über die Bevölkerung herein, die darauf in keiner Weise vorbereitet war. Die Angst vor einem Friedensvertrag nach dem Muster von Brest-Litowsk, diesmal aber gegen Deutschland, heizte auch die Diskussion um die Person des Kaisers an. Alle Hoffnungen konzentrierten sich auf Präsident Wilson und seine 14 Punkte; da der Kaiser wie auch der Kronprinz Hindernisse auf dem Weg zum Verständigungsfrieden waren, mußten sie abtreten – auf diese einfache Formel lief immer mehr auch die Argumentation der bürgerlichen Presse hinaus9. Auch Max 8
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Am 8.11. („Der Zusammenbruch“, Nr. 572 A) schreibt G. Foertsch in der Kreuzzeitung: „Trauer und Empörung hat jeder im Herzen, der noch etwas von dem zu retten glaubte, was uns der verlorene Krieg durch Gnaden der Entente übrig lassen wird. Aber der Deutsche hat die Nerven ganz und gar verloren. Die phantastischsten Ideen, Kindereien und Narrheiten finden ein williges Ohr. Die politischen Schreier und Brunnenvergifter haben so ein gutes Feld für ihre Hetzarbeit. Freilich wird von der Sozialdemokratie immer wieder gepredigt, daß die Ordnung und Ruhe aufrecht erhalten werden muß. Man kann aber nicht den Umsturz des Bestehenden proklamieren und gleichzeitig Ordnung stiften wollen.“ Und am 10.11. heißt es in der Kreuzzeitung („Die innere Politik der Woche“, Nr. 575 M): „Erst die Geschichte wird die Größe der Schuld ganz ermessen, mit der diejenigen belastet sind, die die Verantwortung für diesen Ausgang tragen. Durch Parteisucht verblendet haben die Sozialdemokraten um ihrer eigenen Herrschaft willen das Land dem Feinde preisgegeben. Haltlosigkeit, Schwäche, Furcht bei den regierenden Stellen und im Lager der bürgerlichen Parteien haben mit der unerbittlichen Folgerichtigkeit weltgeschichtlicher Entwicklung dem Ende zugetrieben, vor dem wir jetzt stehen. Wir Konservativen haben das Schicksal nicht wenden können.“ Hans Leuß, Dem Volke die Wahrheit!, WaM, Nr. 43 (28.10.’18); ders., Der Galopp der Ereignisse, WaM, Nr. 44 (4.11.); „Der Kaiser“, BT, Nr. 570 (7.11.) M; „Noch keine Antwort des Kaisers“, BT, Nr. 573 (8.11.) A; N., Vom Kaiser, FZ, Nr. 304 (2.11.) 2.M.; N., Die Kaiserfrage, FZ, Nr. 305 (3.11.) 1.M.; „Die Kaiserfrage“, FZ, Nr. 308 (6.11.) 2.M.; „Die Kaiserkrise“, FZ, Nr. 310 (8.11.) 2.M. An dieser letzten Stelle heißt es, daß Kaiser und Kronprinz schon vor zwei oder vier Wochen hätten abtreten müssen. „Unausdenkbare Perspektiven eröffnen sich. Ein Verhängnis ist es, daß der Kaiser heute noch die Krone trägt. Entsetzlich wäre es, wenn er auch jetzt noch nicht einsähe, daß er sie niederlegen muß, – wenn Deutschland des einen Mannes wegen völlig zu Grunde gerichtet werden sollte!“ Die Vossische Zeitung war noch am 4.11. gegen die Abdankung (G. Bernhard, Kaiser und Volk, Nr. 564 M; E.v. Salzmann, Monarchie – Republik – Heer, Nr. 565 A), am 7.11. aber dafür („Kaiser und Heer.“ Von einem Frontoffizier, Nr. 571 A). Gegen die Abdankung auch Fürst Bülow, Die Kaiserfrage, DAZ, Nr. 566 (5.11.) M; und G. F[oertsch], Die Antwort des Präsidenten Wilson, KZ, Nr. 545 (25.10.) M; „Die innere Politik der Woche“, KZ, Nr. 562 (3.11.) M.
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9. Das Verfassungswerk von Weimar
Weber drängte jetzt auf die Abdankung des Kaisers, ebenso wie eine wachsende Zahl der verantwortlichen Politiker10. Hätte eine rechtzeitige Abdankung den Gang der Ereignisse möglicherweise noch beeinflussen können11, die bloße Debatte darüber konnte es nicht. Anfang November machte die Revolution alle Überlegungen hinfällig, und der Waffenstillstand mit seinen vernichtenden Bedingungen versetzte noch einen zweiten Schlag zusätzlich. Die liberale Öffentlichkeit war wie gelähmt, ihre Presse blieb stumm, und lediglich die in provinzieller Ruhe lebende „Frankfurter Zeitung“ kommentierte die Revolutionstage wie ein etwas unbeteiligter Zuschauer12. Lediglich ein Hoffnungsschimmer schien sich anzukündigen, als der Zusammenbruch der Habsburger-Dynastie die endliche Vereinigung Deutsch-Österreichs mit dem Reich zu ermöglichen schien13. Erich Koch, damals Oberbürgermeister in Kassel und bald eine zentrale Figur in der zu diesem Zeitpunkt noch nicht gegründeten DDP notierte am 30.Oktober in seinem Tagebuch: „Daß bei alledem die Krone Habsburgs zugrunde geht, ist mir ein tiefes Gefühl der Genugtuung. Dieses heuchlerische, bigotte, würdelose Geschlecht, stets der Ruin seiner Bundesgenossen!“14 Bereits in der Woche nach der Abdankung des Kaisers und der Einsetzung des Rates der Volksbeauftragten schälte sich sehr schnell der Punkt heraus, an dem sich Demokraten und solche, die unter den gegebenen Umständen in der Demokratie das geringere Übel sahen, von den Anhängern des russischen Weges unterschieden. Dies war der Ruf nach einer Nationalversammlung, der nach dem Sturz der Monarchie eine ganz andere Aktualität gewann15. Eigentlich hätte hier eine ruhige Erwartung herrschen können, denn die Volksbeauftragten hatten gleich ihren ersten Aufruf an das deutsche Volk am 12. November mit der Ankündigung für eine „Konstituierende Versammlung“ abgeschlossen16. Aber niemand wußte, ob und wie sich 10 Vgl. W. J. Mommsen, Max Weber und die deutsche Politik, 310f.; sowie F.v. Payer, Von Bethmann Hollweg bis Ebert, 148ff. Zur Abdankungsdebatte siehe auch E. Matthias und R. Morsey (Hrsg.), Die Regierung des Prinzen Max von Baden, 397ff. 11 Hans Mommsen, Die verspielte Freiheit. Der Weg der Republik von Weimar in den Untergang 1918 bis 1933, Berlin 1989, 33, nimmt allerdings an, daß auch ein früher Thronverzicht die Monarchie nicht gerettet hätte. 12 Vgl. etwa den LA der FZ, Nr. 313 (8.11.’18) A und generell die Artikel dieser Tage. Siehe auch „Die Vorgänge in Kiel, Hamburg und Lübeck“, BT, Nr. 570 (7.11.) M, wo eine verharmlosende Meldung vom Wolffschen Telegraphenbureau wiedergegeben wird. 13 Vgl. etwa [G. Bernhard], Einheit der deutschen Nation, VZ, Nr. 558 (31.10.’18) A; L. Lederer, Die Hoffnung der Habsburger auf Rettung durch die Entente, BT, Nr. 571 (7.11.’18) A, mit dem für die ungeliebte Nachbardynastie wenig schmeichelhaften Fazit: „Niemals ist eine Dynastie würdeloser abgekracht.“ 14 BAK, NL Koch-Weser, Nr. 15, Bl. 81. Koch hat während der Weimarer Republik seinen Namen in „Koch-Weser“ umgeändert; er war in Bremerhaven geboren und vertrat ab 1924 den Wahlkreis Weser-Ems im Reichstag. 15 Vgl. E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte V, 777ff. 16 Susanne Miller (Hrsg.), Die Regierung der Volksbeauftragten 1918/19. Bearbeitet von Susanne Miller unter Mitwirkung von Heinrich Potthoff, eingeleitet von Erich Matthias (Quellen zur
9.1 Revolution und Bürgertum
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die Revolution noch weiter entwickeln würde, und die öffentliche Debatte war in den nächsten Tagen noch keineswegs entschieden. Die Zeitungen der Linken verlangten zunächst die Durchführung des Sozialismus, auf dessen gesicherter Grundlage dann später eine Nationalversammlung entstehen könne17. Besonders pointiert, mit sprachlicher Schärfe und inhaltlicher Eindeutigkeit werden diese Gedanken von Rosa Luxemburg formuliert, in deren Artikeln für die neugegründete Rote Fahne in diesen Wochen nicht viel von der ihr heute gerne zugeschriebenen Idee von der Freiheit des Andersdenkenden zu spüren ist. Am 20. November schreibt sie: Von der ‚DTZ‘, der ‚Vossischen‘ und dem ‚Vorwärts‘ bis zur unabhängigen ‚Freiheit‘, von Reventlow, Erzberger, Scheidemann bis Haase und Kautsky ertönt ein einmütiger Ruf nach der Nationalversammlung und ein ebenso einmütiger Angstschrei vor der Idee: die Macht in die Hände der Arbeiterklasse.
Das alles ist für Luxemburg nur Zeitvergeudung; denn der Kampf mit dem Bürgertum muß kommen: All das ist unvermeidlich. All das muß durchgefochten, abgewehrt, niedergekämpft werden, – ob mit oder ohne Nationalversammlung. Der ‚Bürgerkrieg‘, den man aus der Revolution mit ängstlicher Sorge zu verbannen sucht, läßt sich nicht verbannen. Denn Bürgerkrieg ist nur ein anderer Name für Klassenkampf, und der Gedanke, den Sozialismus ohne Klassenkampf, durch parlamentarischen Mehrheitsbeschluß einführen zu können, ist eine lächerliche kleinbürgerliche Illusion. ... Nicht darum handelt es sich heute, ob Demokratie oder Diktatur. Die von der Geschichte auf die Tagesordnung gestellte Frage lautet: bürgerliche Demokratie oder sozialistische Demokratie. Denn Diktatur des Proletariats, das ist Demokratie im sozialistischen Sinne. ... Keine Ausflüchte, keine Zweideutigkeiten – die Würfel müssen fallen. Der parlamentarische Kretinismus war gestern eine Schwäche, ist heute eine Zweideutigkeit, wird morgen ein Verrat am Sozialismus sein.18
Dieses Szenario hätte vollendete Tatsachen geschaffen, und die Analyse ist wenigstens insofern richtig, als die von Luxemburg konstatierte große Koalition tatsächlich für diese eine Frage bestand. Die bürgerlichen Kräfte, aber auch die Sozialdemokraten und – notgedrungen – selbst die Konservativen verlangten die möglichst schnelle Einberufung einer Nationalversammlung, der dann die Entscheidung über die zukünftige Staatsform zu überlassen sei19. Daß hierbei eine linksliberale Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Reihe 1, Bd. 2), 2 Teile, Düsseldorf 1969, hier 1. Teil, Nr. 9, 37f. 17 Siehe R.B., Es lebe die Freiheit!, Freiheit, Nr. 1 (15.11.’18) M; „Sammlung des Bürgertums?“, Freiheit, Nr. 2 (15.11.’18) A; „Berlin unter der roten Fahne“, RF, Nr. 1 (9.11.’18) A; „Die Versammlung des Arbeiterrates vom 19. November im Zirkus Busch“, RF , Nr. 5 (20.11.’18). 18 Beide Stellen R. Luxemburg, Die Nationalversammlung, RF, Nr. 5 (20.11.’18). 19 Etwa H.v. Gerlach, Nationalversammlung und Gegenrevolution, WaM, Nr. 45 (18.11.’18); „Die Nationalversammlung“, FZ, Nr. 322 (20.11.’18) 2.M; A. Weber, Wirkliche Demokratie!, BT, Nr. 581 (13.11.’18) M; P. Michaelis, Bundesstaaten und Reichseinheit, BT, Nr. 586 (15.11.’18) A; „Nationalversammlung und Demokratie“, BT, Nr. 588 (16.11.’18) A; „Die Wahlen zur Konstituante. Eine Unterredung mit Staatssekretär Preuß“, BT, Nr. 594 (20.11.’18) M; „Die süddeutsche Sozialdemokratie und die Nationalversammlung“, BT, Nr. 596
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9. Das Verfassungswerk von Weimar
Sammlungspartei neben den Sozialdemokraten die führende Rolle zu spielen habe, stand für die Trias der großen Zeitungen, für Frankfurter, Vossische und Berliner Tageblatt, fest20. Aber diese Überlegungen nahmen einen Gang der Entwicklung vorweg, der sich in diesem Moment allenfalls als eine der verschiedenen Möglichkeiten zeigte. Sie konnten auch dem führungslosen Bürgertum mit seinen von Angst und Sorge geprägten Forderungen keine Orientierung bieten. Auch wenn Ebert und die Mehrheitssozialdemokraten sich von Anfang an auf ein Zweckbündnis mit der Bürokratie und den Generalen eingelassen hatten21, waren die Implikationen dieses Machtkompromisses den aufgeschreckten Bürgern weit weniger deutlich als die Furcht vor möglichen Straßenschlachten in Berlin, als die Verlautbarungen von USPD und Spartakus-Bund. Nach jahrzehntelanger Verteufelung der angeblich umstürzlerischen SPD war es nicht eben einfach, in Ebert, Scheidemann und Landsberg einen Ordnungsfaktor zu erkennen. Die alte These von Karl Dietrich Erdmann, daß die Volksbeauftragten nur die Wahl zwischen einem abschüssigen Pfad zum Bolschewismus oder dem Bündnis mit Armee und konservativen Kräften gehabt hatte, dürfte heute als widerlegt gelten22. Aber das mag ein Berliner Bürger wenige Tage nach dem Zusammenbruch des Hohenzollern-Reiches anders gesehen haben. Die dringend notwendige Orientierung im Sturm bot am 14. November in der Morgenausgabe des Berliner Tageblatts ein Artikel von Hugo Preuß unter dem Titel „Volksstaat oder verkehrter Obrigkeitsstaat?“, der zu den klassischen Dokumenten der Demokratie in Deutschland gezählt werden kann23. Mutig trat Preuß
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(21.11.’18) M; „Einberufung der deutschen Nationalversammlung“, VZ, Nr. 575 (9.11.’18) A; A. Etscheit, Das Bürgertum und der Neuaufbau, VZ, Nr. 587 (15.11.’18) A; O. Müller, Revolution und Parteien, DAZ, Nr. 586 (16.11.’18) M; O. Trautmann, Recht oder Gewalt, ebd., Bb.; F. Meinecke, Das alte und das neue Deutschland, DAZ, Nr. 591 (20.11.’18) M; G. F[oertsch], Nationalversammlung, KZ, Nr. 582 (14.11.’18) A; „Die innere Politik der Woche“, KZ, Nr. 588 (18.11.’18). N., Die demokratische Partei, FZ, Nr. 323 (21.11.’18) A; „Für eine großdeutsche demokratische Partei“, VZ, Nr. 586 (15.11.’18) A; „Demokratischer Zusammenschluß“, VZ, Nr. 587 (16.11.’18) M; G. Bernhard, die neue Partei, VZ, Nr. 590 (18.11.’18) M; „Die große demokratische Partei“, BT, Nr. 587 (16.11.’18) M; A. Weber, Die neue demokratische Partei, BT, Nr. 589 (17.11.’18) M; „Die Deutsche demokratische (sic) Partei. Eine Erklärung“, BT, Nr. 601 (24.11.’18) M. Kritisch von links „Demokratische Herrschaften“, RF, Nr. 4 (19.11.’18); „Neue Demokratie – alter Liberalismus“, Freiheit, Nr. 14 (22.11.’18) A. Vgl. G. Schulz, Zwischen Demokratie und Diktatur I, 27 und 62f. zum sogenannten „Bündnis Ebert-Groener“. Karl Dietrich Erdmann, Die Weimarer Republik, München 1980, 28ff. Das erste Kapitel seiner Darstellung trägt den griffigen Untertitel „Rätestaat oder parlamentarische Demokratie“. Grundlegend anders die Interpretation bei A. Rosenberg, Entstehung und Geschichte der Weimarer Republik, 286ff. Gegen Erdmann auch Erich Matthias, Einleitung, in: S. Miller (Hrsg.), Die Regierung der Volksbeauftragten I, XV–CXXXI, hier XVf.; E. Kolb, Die Weimarer Republik, 153 und 163. Vgl. auch A. Wirsching, Die Weimarer Republik, 52f. „Volksstaat oder verkehrter Obrigkeitsstaat?“, BT, Nr. 583 (14.11.’18) M. Der Artikel wurde auch abgedruckt in der Sammlung „Staat, Recht und Freiheit“, 365–368. Vgl. auch Th. Heuss, Hugo Preuß. Geleitwort, 19, u. G. Gillessen, Hugo Preuß, 115.
9.1 Revolution und Bürgertum
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den neuen Machthabern entgegen, wobei er sich mit mehr Recht als irgend ein anderer liberaler Politiker darauf berufen konnte, daß er durch die Revolution nicht erst zur Einsicht hatte gebracht werden müssen: Wer jene Überzeugungen nicht erst seit heute und gestern vertritt, wer lange Jahre hindurch diesen Standpunkt ungebeugt den alten Mächten gegenüber, wenn auch vergeblich, zur Geltung zu bringen versucht hat, der wird heute nicht vor den neuen Machthabern schweigen, sondern ihnen zurufen: Ihr könnt dem geschlagenen deutschen Volke Erhebung, dem zerrütteten deutschen Staate neues Leben unmöglich unter Entrechtung seines Bürgertums, unmöglich im Zeichen des Klassenkampfes bringen.24
Es war das alte Thema Preuß’, nur der Adressat hatte sich über Nacht geändert. Offen gab Preuß die Fehler nicht nur des Ançien régime, sondern auch der Bürger und ihrer Politiker zu – schließlich hatte er diese Fehler auch schon vorher oft genug angeprangert. Worauf es jetzt aber ankam, war, die alten Fehler nicht zu wiederholen: (D)ie Überalterung des Obrigkeitsstaats war die Ursache seines Bankerotts und des gegenwärtigen Umsturzes; sie ist aber auch die Ursache, daß an seine Stelle noch keineswegs der Volksstaat getreten ist, sondern ein umgedrehtes Obrigkeitssystem. Im alten Obrigkeitsstaat hatte der Bürger sehr wenig, im gegenwärtigen hat er absolut gar nichts zu sagen, mehr als je vorher ist im Augenblick das Volk in seiner Gesamtheit lediglich Objekt einer Regierung, die ihm durch unerforschliche Ratschläge gesetzt wird, nur daß sich diese nicht auf ein Gottesgnadentum berufen, sondern auf eine genau ebenso unfaßliche Volksgnade. Der Rechtstitel ist im einen wie im anderen Falle die Macht, oder vielmehr der Glaube an eine dahinterstehende überlegene Gewalt. Kurz, es ist ganz und gar der umgedrehte Obrigkeitsstaat.25
Vom Bürgertum verlangte Preuß, daß es sich rückhaltlos zum demokratischen und republikanischen Nationalstaat bekennen müsse, von den Sozialdemokraten, daß sie dem Klassenkampf entsagen und die verantwortungsvolle und gleichberechtigte Mitarbeit der liberalen Kräfte akzeptierten. Alles gipfelt für Preuß in der aus freien Wahlen hervorgegangenen Nationalversammlung, mit der er einen konkreten Auftrag zu sozialliberaler Reformpolitik verbindet. Alles in allem kann man diesen knappen Artikel als das Gegenstück zu den wenig später erschienen Ausführungen von Rosa Luxemburg verstehen. Beide sind paradigmatische Zeugnisse für die geistigen Richtungen, für die sie stehen. Die unmittelbare Folge des Artikels wird niemanden mehr überrascht haben als Hugo Preuß selber. Es dürfte ein einmaliges Ereignis in der Geschichte der Revolutionen sein, daß ein mitten in einer noch ungeklärten politischen Situation veröffentlichter Artikel, der scharf mit der Linie der Revolutionsregierung ins Gericht geht, die sofortige Berufung in ein Regierungsamt zur Folge hat! Genau dies geschah jetzt, und mit einem Schlag hatte Hugo Preuß alles erreicht und vermutlich sogar überschritten, was sich sein politischer Ehrgeiz jemals gewünscht haben mag.
24 „Volksstaat oder verkehrter Obrigkeitsstaat“. Ich zitiere nach „Staat, Recht und Freiheit“, 366. 25 Ebd., 365.
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9. Das Verfassungswerk von Weimar
9.2 Die Berufung zum Staatssekretär Die Vorbereitung der Wahlen zur Nationalversammlung Als am 10. November die paritätisch aus den beiden sozialistischen Richtungen besetzte Regierung der Volksbeauftragten die Arbeit aufnahm, war wenigstens der mehrheitssozialdemokratische Teil bereit, auch mit bürgerlichen Politikern zusammenzuarbeiten, zumal dies spätestens seit dem Regierungsantritt des Prinzen Max auch schon faktisch in verantwortlicher Position der Fall gewesen war. Mit der Revolution schieden auch nicht alle bisherigen Staatssekretäre aus ihrem Amt, sondern arbeiteten ungefähr zur Hälfte auch unter der Revolutionsregierung weiter26, ebenso wie praktisch die gesamte sonstige Bürokratie des Kaiserreiches. Schon dies läßt die Frage nach dem Charakter der Revolution aufkommen, denn zumindest ist es sehr ungewöhnlich, wenn eine Revolutionsregierung, die sich aus bisher als „Reichsfeinden“ diffamierten Politikern zusammensetzt, ausgerechnet die wichtigsten Helfer des alten Regimes und damit auch der bisherigen Diskriminierungen im Amte läßt27. Zu den Ausgeschiedenen zählte allerdings auch der langjährige Reichstagsabgeordnete und Leiter des Reichsamts des Inneren, Staatssekretär Karl Trimborn vom Zentrum, der diesen Posten erst seit einem guten Monat bekleidet hatte. Die Neubesetzung des Innenamtes war somit ohnehin eine dringende Frage, als am Morgen des 14. November Preuß’ Artikel erschien. Einen Tag später, am Vormittag des 15. November, notierte Friedrich Ebert, der sich trotz Kollegialität der Volksbeauftragten die Stelle eines Primus inter pares zu sichern verstanden hatte: „Ich beauftragt, mit Preuß wegen Übernahme Staatssekretariats des Innern zu verhandeln. Max Weber kommt auch in Betracht.“28 Nach einer Meldung des Berliner Tageblatts hatte es sogar schon am Abend des 14. November das erste Gespräch zwischen Preuß und Ebert gegeben, an dem auch Hugo Haase beteiligt war, der mit Ebert formell gleichberechtigte Führer der drei Volksbeauftragten der USPD. Preuß erbat sich etwas Bedenkzeit und stellte dann einige Bedingungen: Zum ersten verlangte er die Aufnahme weiterer bürgerlicher Politiker in das Kabinett, die zum 26 Vgl. E.R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte V, 745. Grundlegend Wolfgang Elben, Das Problem der Kontinuität in der deutschen Revolution. Die Politik der Staatssekretäre und der militärischen Führung vom November 1918 bis Februar 1919, Düsseldorf 1965. Vgl. auch G. Schulz, Zwischen Demokratie und Diktatur, 39ff. 27 Eine theoretische Überlegungen zum Revolutionscharakter der Umwälzung vom November findet sich in U. Kluge, Die deutsche Revolution 1918/1919, 11ff. Vgl. auch Reinhard Rürup, Probleme der Revolution in Deutschland 1918/19, Wiesbaden 1968; und als Überblick zur Entwicklung der Revolutionsdeutungen E. Kolb, Die Weimarer Republik, 157ff.; und ders., Revolutionsbilder. 1918/19 im zeitgenössischen Bewußtsein und in der historischen Forschung, Heidelberg 1993. 28 Friedrich Ebert, Schriften, Aufzeichnungen, Reden. Mit unveröffentlichten Erinnerungen aus dem Nachlaß. Hrsg. v. Friedrich Ebert jun. Mit einem Lebensbild von Paul Kampffmeyer, 2 Bde., Dresden 1926, hier Bd. 2, 102.
9.2 Die Berufung zum Staatssekretär
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zweiten nicht bloß nach ihrer Parteizugehörigkeit, sondern auch nach ihrer Fachkompetenz auszuwählen seien. Der dritte Punkt war die schnelle Einberufung der Nationalversammlung. Alle drei Forderungen entsprachen ohnehin den Vorstellungen Eberts, und so konnte Preuß bereits am Abend des 15. November auf der Sitzung des Rates der Volksbeauftragten zum Staatssekretär ernannt werden29. Ganz unumstritten war diese Ernennung nicht gewesen. Emil Barth, der jüngste und am wenigsten einflußreiche Volksbeauftragte, hatte versucht, einen Sozialisten als Staatssekretär des Inneren durchzusetzen, stand mit dieser Forderung aber im Kreise der Volksbeauftragten alleine, da sich auch Haase und Wilhelm Dittmann, der dritte USPD-Vertreter, für Preuß aussprachen30. Am Tag nach der Ernennung erregte sich in einer Sitzung des Vollzugsrats der Arbeiter- und Soldatenräte der USPD-Führer Georg Ledebour darüber, daß „ein Herr Minister Preuß das Licht der Welt erblickt“ habe, und zwar ohne Bestätigung durch den Rat. Sein Versprechen, „unter allen Umständen diesem Minister Preuß unsere Bestätigung versagen“ zu wollen, konnte er nicht in die Tat umsetzen31. Barth und Ledebour waren zu diesem Zeitpunkt sicherlich am äußeren linken Rand unter den Revolutionsführern. Es ist folgerichtig, daß sie die Berufung von Preuß in das wichtige Reichsinnenamt mit seiner Zuständigkeit für die Wahl zur Nationalversammlung und den Verfassungsentwurf zu verhindern suchten. Mit ihrem Scheitern bei diesem Versuch war im Grunde auch die Fiktion der USPD gestorben, von bürgerlicher Seite nur Fachleute, aber keine politischen Köpfe berufen zu wollen. Ein unpolitischer Fachmann war Preuß gerade nicht und wollte es auch nicht sein32. Einige Staatssekretäre, die zum Teil auch erst mit der Parlamentarisierung Anfang Oktober ihr Amt übernommen hatten, beließ man in dieser Funktion, aber die Neuberufung von Preuß war von einem anderen Kaliber. Hier wurde eine bewußte Entscheidung zugunsten eines Politikers getroffen, der bis zum Schluß in Opposition zum Kaiserreich gestanden hatte, aber eben nicht in 29 Vgl. „Professor Preuß Staatssekretär des Inneren“, BT, Nr. 587 (16.11.’18) M. Generell W. Elben, Problem der Kontinuität, 45. Nach G. Gillessen, Hugo Preuß, 116, haben sich die Verhandlungen über drei Tage hingezogen. Nach der hier vorgeschlagenen Zeitfolge kann dies nicht stimmen, zumindest die Periode zwischen der ersten Kontaktaufnahme und der Ernennung beträgt äußerstenfalls einen Tag. Natürlich werden auch nach der Ernennung am Abend des 15. November noch weitere Gespräche stattgefunden haben. 30 Emil Barth, Aus der Werkstatt der deutschen Revolution, Berlin o.J. (1919), 66. Ebd., 73, zum Scheitern späterer Versuche, Preuß durch einen Sozialisten zu ersetzen. Zur Charakterisierung Barths und seiner auch sonst häufigen Spannungen mit den anderen Volksbeauftragten E. Matthias, Einleitung, in: S. Miller (Hrsg.), Die Regierung der Volksbeauftragten I, XXXIXf. Und LXXIIf. Barth war „im Kabinett hoffnungslos isoliert“; Eberhard Kolb, Die Arbeiterräte in der deutschen Innenpolitik 1918–1919, Düsseldorf 1962, 125. 31 Das Protokoll der Sitzung findet sich in G. A. Ritter und S. Miller (Hrsg.), Die deutsche Revolution 1918–1919, 109–112, hier 112. Ledebours Unmut richtete sich aber weniger gegen Preuß persönlich als gegen die Regierung, die sich „schon wieder Rechte nimmt, die ihr gar nicht zustehen“. 32 Vgl. W. Elben, Problem der Kontinuität, 31. In besonderem Maße gilt dies auch für den von Anfang an auf seine Unabhängigkeit pochenden Brockdorff-Rantzau.
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9. Das Verfassungswerk von Weimar
sozialistischer, sondern in bürgerlich-liberaler Opposition. Das hatte Symbolkraft und wandelte das Bild der Revolutionsregierung stärker als die einfache Kontinuität bisheriger Verwaltungen. Vielleicht kann man so weit gehen, hier neben den beiden bekannten Verknüpfungen ein drittes „Bündnis“ zu sehen. Neben dem sogenannten „Bündnis Ebert-Groener“, also dem Bündnis der Revolutionsregierung mit dem Militär vom 9. November und dem Aufruf der Volksbeauftragten vom 11. November, der die Verwaltung zur Weiterarbeit aufforderte, wäre die Ernennung von Preuß am 15. November das „Bündnisangebot“ an das politische Bürgertum zur Mitarbeit an der Entwicklung demokratischer Verhältnisse. Das läßt noch die Frage offen, warum letztlich Hugo Preuß vor Max Weber der Vorzug gegeben wurde. Schließlich war auch Max Weber ein renommierter Fachmann, der noch dazu vor allem ab 1917 in steter Folge Artikel geschrieben hatte, die Reformen der Reichsverfassung anmahnten33. Am Morgen des 15. November war noch darüber nachgedacht worden, ob neben Preuß auch Weber als Kandidat für den Posten in Frage käme34. Wolfgang Mommsen ist der Auffassung, daß „Webers rückhaltloses Auftreten gegen die Regierung der Volksbeauftragten“ ihm die Chancen auf eine Ernennung nahm, „zumal Webers kämpferisches Temperament gewiß sofort mit den Unabhängigen in Auseinandersetzungen geraten wäre“35. Abgesehen davon, daß alle von Mommsen zur Stützung dieser These zitierten Reden und Artikel Webers erst nach dem 15. November erschienen, ist dies auch aus anderen Gründen nicht überzeugend. Auch Preuß’ Temperament war in politischen und anderen Auseinandersetzungen schon das eine oder andere Mal hervorgetreten, und sein Artikel über den „verkehrten Obrigkeitsstaat“ enthielt genügend Kritik, um ihn ebenso wie Weber von der Regierung zu distanzieren. Zur Erklärung für die Berufung Preuß’ wurde auch der Reformentwurf von 1917 herangezogen36, aber auch das ist unwahrscheinlich, jedenfalls als ausschlaggebendes Element. Verfassungsreformvorschläge in mehr oder weniger ausgefeilter Form hat es in dieser Zeit von einigen Autoren gegeben, nicht zuletzt auch von Max Weber. 33 Die Aufsätze erschienen größtenteils wieder in Max Webers posthumen „Gesammelten Politischen Schriften“. Insbesondere ist hier natürlich zu denken an die Artikelserie „Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland“ vom Sommer 1917, die ein Jahr später als Broschüre herauskam (306–443). Ähnlich bedeutsam ist die gleichfalls in der Frankfurter Zeitung erschiene Serie vom November 1918 „Deutschlands künftige Staatsform“, 448–483; sowie, als kritische Edition, in Max Weber, Zur Neuordnung Deutschlands. Schriften und Reden 1918– 1920 (Max Weber Gesamtausgabe, Abt. 1, Bd. 16), hrsg. von Wolfgang J. Mommsen in Zusammenarbeit mit Wolfgang Schwentker, Tübingen 1988, 91–146. Da war allerdings die Entscheidung über das Staatssekretariat schon gefallen. Vgl. auch W.J. Mommsen, Max Weber und die deutsche Politik, 356ff.; G. Gillessen, Hugo Preuß, 217, Fn.1. 34 Wiedergegeben in W. J. Mommsen, Max Weber und die deutsche Politik, 324, Fn. 68. 35 Ebd., 324. Mommsens Auffassung ist vielfach übernommen worden; etwa Ludwig Richter, Kirche und Schule in den Beratungen der Weimarer Nationalversammlung, Düsseldorf 1996, 128f. 36 H. Mommsen, Die verspielte Freiheit, 64.
9.2 Die Berufung zum Staatssekretär
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Aktenmäßig lassen sich die Gründe, die schließlich für Preuß den Ausschlag gaben, nicht rekonstruieren, aber eine plausible Abwägung läßt sich trotzdem vornehmen. Zunächst war Preuß als Staatsrechtler von Rang schon vom Fachlichen her der geeignetere Kandidat für das Amt, mit dem der Entwurf der Verfassung verbunden sein mußte. Sodann war Preuß wesentlich stärker als der Universitätsgelehrte Weber auch politisch aktiv gewesen. Die lange Zusammenarbeit mit den Berliner Sozialdemokraten sprach ebenso für ihn wie die praktische Verwaltungserfahrung, die er als Stadtrat erworben hatte. Und zuletzt war Preuß auch nicht nur sofort in Berlin verfügbar, sondern er hatte sich und seine Fähigkeiten gerade in dem Augenblick wieder nachhaltig mit dem Artikel im Berliner Tageblatt in Erinnerung gebracht, in dem dringend ein neuer Staatssekretär gesucht wurde. Nimmt man die fachliche Qualifikation, die politische Ausrichtung, die praktische Verwaltungstätigkeit und die Gunst der Stunde zusammen, dann war Preuß nahezu der ideale Kandidat für diesen Posten37. In der Flut von Aufgaben, die den Chef der Reichsverwaltung nach dem verlorenen Weltkrieg, nach Revolution und Umwälzung erwarteten, ragten zwei besonders hervor: die Ausarbeitung einer Verfassung und die Vorbereitung der Wahlen zur Nationalversammlung, die über diese Verfassung beraten und entscheiden sollte. Letztlich bedeutsamer war natürlich der Verfassungsentwurf, in der konkreten Situation des Novembers war aber die Wahlfrage entschieden brisanter. Die baldige Wahl der Nationalversammlung war eine der Bedingungen Preuß’ für die Amtsübernahme, die liberalen und bürgerlichen Zeitungen forderten sie immer stürmischer, und in der Tat dürfte es dann auch fast ein Rekord sein, daß nur gut zwei Monate nach der Revolution, am 19. Januar 1919, die Wahl erfolgen konnte. Die letzten Wahlen waren 1912 gewesen. Jetzt waren die Wahlkreisgrenzen geändert worden, das Wahlrecht vom Mehrheits- auf Verhältniswahl umgestellt, das Wahlalter auf 20 Jahre gesenkt, die Zahl der Wähler durch die Einführung des Frauenstimmrechts mit einem Schlage verdoppelt und dann durch das Wahlrecht für Soldaten und Fürsorgeempfänger weiter vergrößert – und das alles in einem Land, dessen geschlagene Heere in die Heimat zurückfluteten, dessen Kommunikationslinien und Verkehrsverbindungen im Vergleich zum Friedensniveau wesentlich geschwächt waren, das vor einer Hungersnot mit potentiell katastrophalem Ausmaß stand und dessen Hauptstadt zeitweise von bürgerkriegsähnlichen Zuständen erschüttert wurde. Dabei ist noch nicht einmal berücksichtigt, daß sich auch das Parteiensystem neu formierte, daß Kandidaten und erstmals auch Kandidatinnen aufgestellt werden mußten und daß die Vorbereitungen hierzu in einem Moment 37 Auf der Konferenz von Reich und Ländern am 25. November sagte Ebert über Preuß (F. Ebert, Schriften, Aufzeichnungen, Reden, Bd. 2, 118): „Das Reichsamt des Innern haben wir neu besetzt mit einem Manne, der als einer der hervorragendsten Staatsrechtslehrer anerkannt wird, der durch die Kriegspolitik nicht belastet ist, mit einem Manne, von dem wir hoffen, daß er mit uns unser neues Staatswesen aufbauen kann.“ Der Text ist auch abgedruckt in G. A. Ritter und S. Miller (Hrsg.), Die deutsche Revolution 1918–1919, 394–397. Das komplette Protokoll der Reichskonferenz in S. Miller (Hrsg.), Die Regierung der Volksbeauftragten I, Nr. 30, 149–215.
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9. Das Verfassungswerk von Weimar
beginnen mußten, in dem man das neue Wahlrecht noch nicht einmal kannte. Erste Vorarbeiten hatte es allerdings schon gegeben noch bevor Preuß sein Amt antrat. Auf der Kabinettssitzung vom 26. November38 berichtete Preuß von einem Referentenentwurf, der in seinem Haus schon vorab erstellt wurde und für den er von seinen eigenen Vorstellungen über das Reich als einzelnen Wahlkreis zurücktrat39. Einige Grundsatzentscheidungen hatte bereits der erwähnte erste Aufruf der Volksbeauftragten an das deutsche Volk am 12. November getroffen, als für alle Wahlen in Deutschland zukünftig das allgemeine, gleiche geheime und direkte Verhältniswahlrecht für Männer und Frauen von mindestens 20 Jahren angekündigt wurde. Dies deckte sich ohnehin mit den Vorstellungen von Preuß, so daß auf der Kabinettssitzung schnell Einigkeit erzielt werden konnte. Wenige Tage später erschien eine erste, später noch in allerlei Details ergänzte Verordnung über die Wahlen zur Nationalversammlung40. Gleichwohl, damit waren erst einige rechtliche Koordinaten festgelegt, aber die Durchführung mußte noch folgen. Es war ein organisatorischer Kraftakt ohnegleichen, unter diesen Umständen in so kurzer Zeit die Rahmenbedingungen für zweifellos freie und demokratische Wahlen zu schaffen. Vergleicht man es mit dem organisatorischen Vorlauf, der heute für eine normale Bundestagswahl in Zeiten des Friedens und der Hochtechnologie erforderlich ist, dann wird die Organisationsleistung des Winters 1918/19 schier unglaublich. Dabei waren die technischen Probleme nicht einmal die Hauptschwierigkeit. Hugo Preuß selber hatte am 14. November geschrieben, daß die Stellung zu der konstituierenden Nationalversammlung zugleich Stellung zu der Frage nach Demokratie oder Bolschewismus sei. Dementsprechend umstritten war der Wahltermin. Die USPD und die revolutionären Kräfte in den Räten traten für einen möglichst späten Termin ein; genannt wurde der 16. Februar oder ein noch späterer Wahltag. Selbst Hugo Preuß sprach zunächst nur vom 2. Februar als dem möglichen Termin, um bis dahin der technischen Schwierigkeiten Herr zu werden und auch den Parteien hinreichend Zeit für den Wahlkampf zu geben41. Es gelang den Mehrheitssozialdemokraten nur mit einigem Taktieren und temporären Zugeständnissen, den 19. Januar durchzusetzen und mit ihrer Mehrheit auf den Rätekongressen auch
38 Protokoll in S. Miller (Hrsg.), Die Regierung der Volksbeauftragten I, Nr. 31, 219–223, hier 219. 39 „Wahlen ohne Wahlkreise“, FZ, Nr. 228 (19.8.’17) 2.M. Zum Wahlrecht zur Nationalversammlung siehe Eberhard Schanbacher, Parlamentarische Wahlen und Wahlsystem in der Weimarer Republik. Wahlgesetzgebung und Wahlreform im Reich und in den Ländern, Düsseldorf 1982, 47. 40 Text der Verordnung vom 26./30.11 1918 in S. Miller (Hrsg.), Die Regierung der Volksbeauftragten I, Nr. 35, 233–239. Eine der wenigen Stimmen gegen das Verhältniswahlrecht stammte von Arnold Brecht, der damals in der Reichskanzlei als Beamter tätig war; Arnold Brecht, Aus nächster Nähe. Lebenserinnerungen 1884–1927, Stuttgart 1966, 262f. 41 Siehe „Die Wahlen zur Konstituante. Eine Unterredung mit Staatssekretär Preuß“, BT, Nr. 594 (20.11.’18) M.
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gegenüber den revolutionären Legitimationsträgern zu behaupten42. Die Auseinandersetzungen von Weihnachten 1918 und der Spartakus-Aufstand von Anfang Januar waren auch um die Frage der Nationalversammlung geführt worden43. Zu den Entscheidungen, die der Rat der Volksbeauftragten nach der grundsätzlichen Entscheidung für die Wahl einer Nationalversammlung treffen mußte, zählte auch die Bestimmung des Ortes, an dem diese verfassunggebende Versammlung tagen sollte. Auch hierbei mußte ein hohes Tempo angeschlagen werden, zumal sich eine verwirrende Vielfalt von Möglichkeiten anbot. Unter normalen Umständen wäre natürlich der Sitz der Reichsregierung, die Reichshauptstadt Berlin, der gegebene Tagungsort gewesen. Aber die Umstände waren nicht normal. Es war eine offene Frage, ob die Nationalversammlung in Berlin wirklich sicher und ohne den Druck der Straße hätte tagen können. Die starke Position, die die USPD zwar nicht im gesamten Reich, wohl aber in Berlin hatte, sprach eher dagegen. Die Kämpfe, die um Weihnachten herum zwischen Regierungstruppen und aufständischen Matrosen ausbrachen, taten ebenso wie der Spartakusputsch im Januar 1919 nichts dazu, diese Besorgnis zu mildern44. Zudem war der Reichstag in den Kämpfen zu Weihnachten so stark beschädigt worden, daß mit seiner Wiederherstellung bis zur Eröffnung der Nationalversammlung Anfang Februar nicht zu rechnen war. Wichtig für die Entscheidung war auch die im geschlagenen Deutschland nach wie vor prekäre Ernährungslage, die generell in den Großstädten und vor allem in Berlin schwieriger war als in kleinen Landstädten. Hinzu kam die symbolische Bedeutung. Berlin galt, ob berechtigt oder unberechtigt45, als die Hauptstadt des preußischen Militarismus und Zentralismus. Zu einem Zeitpunkt, als nicht nur die Entente den Gebietsbestand des Deutschen Reiches bedrohte, sondern auch im Süden (Plan der Alpenkonföderation) und vor allem in den westlichen Grenzregionen (Rheinland, Pfalz) die Gefahr des antipreußischen Separatismus drohte46, konnte ein Auswiechen von Berlin an einen weniger belasteten Tagungsort ein wichtiges Signal senden. 42 Die Entscheidung fiel auf dem Rätekongreß am 19. Dezember, also exakt einen Monat vor dem vorgesehenen Wahltermin; vgl. Ulrich Kluge, Soldatenräte und Revolution. Studien zur Militärpolitik in Deutschland 1918/19, Göttingen 1975, 197ff.; E. Kolb, Arbeiterräte in der deutschen Innenpolitik, 129ff.; E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte V, 845ff. 43 Vgl. E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte V, 791ff. Zu den sozialen Ursachen U. Kluge, Die deutsche Revolution 1918/1919, 83ff. 44 Eine lebendige Beschreibung dieser Ereignisse bietet Eduard Bernstein, Die deutsche Revolution von 1918/19. Geschichte der Entstehung und ersten Arbeitsperiode der deutschen Republik, Bonn 1998 (erstmals 1921), 10. und 12. Kap. Vgl. U. Kluge, Soldatenräte und Revolution, 260ff. 45 Angesichts des Charakters der Stadt als einer Hochburg der linksliberalen und sozialdemokratischen Opposition im Kaiserreich war diese Einschätzung nicht ganz zutreffend. 46 Vgl. Klaus Reimer, Rheinlandfrage und Rheinlandbewegung (1918–1933). Ein Beitrag zur Geschichte der regionalistischen Bestrebungen in Deutschland, Frankfurt a.M., Bern und Las Vegas 1979. Zu kurzfristigen Überlegungen Eisners, mit Bayern an der Spitze einen „süddeutschen Bund“ zu gründen vgl. R. Höller, Der Anfang, der ein Ende war, 116ff.
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Diese Überlegungen wurden nicht nur in der Reichsregierung angestellt, sondern auch viele Städte Deutschlands bemühten sich mit ähnlich gelagerten Argumenten, sich in Eingaben an die Reichsregierung als Tagungsort ins Gespräch zu bringen. Der kühnste Gedanke war es sicherlich, die Nationalversammlung in Wien zusammentreten zu lassen, um auf diese Art die Einheit mit Deutsch-Österreich zu zementieren47. Gute Chancen konnte sich auch Frankfurt ausrechnen. Die Stadt lag zentral und mit guten Verkehrsverbindungen, spartakistische Unruhen hatte es noch keine gegeben, und was vor allem für die ehemals freie Stadt sprach, war natürlich die Erinnerung an das Jahr 1848, an die man ja gerade anknüpfen wollte48. Aber auch von anderen Orten wurde die Reichsregierung mit Eingaben geradezu überschüttet – Bamberg, Bayreuth, Eisenach, Erfurt, Jena, Nürnberg, Weimar und Würzburg: alle diese Städte konnten sich gut vorstellen, daß auf sie die Wahl fallen würde. Alle rühmten ihre günstige Lage und ihre historische Bedeutung, und alle wurden sie damit vertröstet, daß die Entscheidung noch nicht gefallen sei49. Würzburg warb mit seinen exzellenten Verkehrsverbindungen, seinen großen Sälen, der gesicherten Unterbringung und Verpflegung50. Erfurt rühmte seine historische Bedeutung und verwies auf den Fürstenkongreß 1808, das Vorparlament 1848, aber auch das Erfurter Programm der Sozialdemokratie von 189151. Nürnberg hob die Verkehrsverbindungen hervor und bot das Stadttheater und ein Lehrerheim für die Tagung an52. Eisenach pries seine „unvergleichlich günstige Lage“ mit den „als mustergültig bekannten Hotels und Fremdenheimen“. Die Wartburg sei als Symbol für den Freiheitskampf ein geeigneter Tagungsort. Das Schreiben des Oberbürgermeisters versäumte nicht, darauf zu verweisen, daß Eisenach zentraler als Frankfurt liege und mehr historische Erinnerungen sowie Hotels als Kassel und Erfurt habe53. Dieses Schreiben war vom 5. Dezember. Die Berliner Unruhen der folgenden Wochen scheinen allerdings in Eisenach nachdenklich 47 So ein Schreiben vom 22.12.’18, das sich neben zahlreichen anderen Vorschlägen dieser Art in den Akten des Innenministeriums findet; BAB, 15.01 Reichsministerium des Innern, Bd. 17141, Acta betreffend den Ort der Nationalversammlung, Bl. 12. Vgl. auch Michael Dorrmann, „Aber nicht nach Potsdam sind wir ausgewandert, sondern nach Weimar“. Die Nationalversammlung in Weimar 1919, in: Hans Wilderotter und ders. (Hrsg.), Wege nach Weimar, Berlin 1999, 21–40; Gerhard Lingelbach, Weimar 1919 – Weg in eine Demokratie, in: E. Eichenhofer (Hrsg.), 80 Jahre Weimarer Reichsverfassung, 23–47, hier 30f. Zur Beratung und Entscheidungsfindung in der Regierung am 14.1.’19 siehe S. Miller (Hrsg.), Die Regierung der Volksbeauftragten II, Nr. 103, 223–236. 48 Der Frankfurter Magistrat plädierte in einem sieben Seiten umfassenden Schreiben am 17.1.’19 für Frankfurt, BAB, 15.01 Reichsministerium des Innern, Bd. 17141, Bl. 30–33. 49 Alle diese Schreiben vom Dezember 1918 und Januar 1919 ebd., passim. Die an gleicher Stelle vorhandenen Antwortschreiben des Reichsamts des Innern erwecken nicht den Eindruck, daß sich die Reichsregierung um eine besonders differenzierte Beantwortung der einzelnen Eingaben bemüht hätte. 50 Ebd., Bl. 2. 51 Ebd., Bl. 4. 52 Ebd., Bl. 5–6. 53 Ebd., Bl. 7–8.
9.2 Die Berufung zum Staatssekretär
343
gestimmt zu haben, denn am 18. Januar schickte man ein neues Schreiben, in dem das Reich aufgefordert wurde, bei einer Wahl Eisenachs für die Ernährung und die Sicherheit selbst Sorge zu tragen, da sonst die Spartakisten Berliner Verhältnisse einführen könnten, worunter die Bevölkerung zu leiden hätte54. Bamberg konnte zwar keinen Tagungssaal anbieten, wollte aber sofort mit Neubauten beginnen55. Sogar Potsdam meinte mit dem Argument für sich werben zu können, daß die Tagung in der ehemaligen Militärstadt nur ein gerechter Ausgleich für die Nachteile sei, die Potsdam durch die Revolution erlitten habe56. Diese Aktivitäten waren den preußischen und kommunalen Stellen in Berlin natürlich nicht entgangen. Die Straßenkämpfe und Sicherheitsprobleme konnte man kaum leugnen, und so mußte nach anderen Argumenten gesucht werden. Am 19. Januar, dem Tag der Wahlen zur Nationalversammlung, wandte sich Oberbürgermeister Adolf Wermuth mit der Mahnung an Ebert, die Mitglieder der Nationalversammlung hätten „die Pflicht, sich im politischen Kampfe zu stählen und ihm nicht aus dem Wege zu gehen“. Ob eine andere Stadt überhaupt sicherer sei, war nach Ansicht Wermuths fraglich. Zudem sei der Versuch, die Nationalversammlung aus ihrem angestammten Ort zu entfernen, von „Eifersucht und Misstrauen anderer Städte sowie ganzer Gegenden“ gekennzeichnet. Wermuth scheute sich auch nicht, die Sezessionsdrohung anzusprechen: Ja, wenn vom Süden oder Westen fortgesetzt mit der Losreissung vom Reiche gedroht wird, so ist im Vergleich zu solchen vorübergehenden Aufwallungen die Gefahr einer Abtrennung der Mitte und des Ostens, für welche Berlin seit langer Zeit den Rückhalt des Deutschtums gebildet hat, als tatsächliche Möglichkeit weit ernster.57
Wenn keine besseren Argumente für Berlin zu finden waren, mußte es schlecht um dessen Kandidatur aussehen. Die Reichsregierung entschied sich für Weimar und gab dies unmittelbar nach den Wahlen bekannt. Ebert konnte in seinem Antwortschreiben nur noch versuchen, die Wogen zu glätten: Entscheidend für den Beschluß der Reichsregierung war im wesentlichen die Erwägung, daß ein Ort gewählt werden müsse, der allen Teilen des deutschen Volkes das Bewußtsein gibt, daß nicht nach dem Muster des alten Deutschland die Wünsche und Interessen eines Staates überragenden und für die Gesamtheit nicht förderlichen Einfluß ausüben können. Die Regierung hält diese Möglichkeit jetzt zwar nicht mehr für gegeben. Es muß aber mit der Tatsache des Vorhandenseins der Antipathie gegen Preußen und Berlin, besonders in Süddeutschland, gerechnet werden. Die Regierung ist von dem Wunsch geleitet, jedes Mißtrauen aus der Arbeit der Nationalversammlung auszuschalten und hofft, daß dann um so eher Berlin in der ihm gebührenden Stellung für die Zukunft gefestigt werden wird.58
54 55 56 57
Ebd., Bl. 16. Ebd., Bl. 19. Ebd., Bl. 41–42. Alle Zitate aus dem Schreiben von Oberbürgermeister Wermuth vom 19.1.’19 an Ebert, ebd., Bl. 46–47. 58 Antwortschreiben Eberts vom 25.1.; ebd., Bl. 45.
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9. Das Verfassungswerk von Weimar
Das war kaum zufriedenstellend für Wermuth, aber auch nicht für die preußische Staatsregierung, die einen neuen Vorstoß unternahm, als sich die Verhandlungen in Weimar hinzuziehen begannen. Doch hatte sich an der Situation im Reichstag noch nichts geändert, und Ministerpräsident Hirsch war auch nicht in der Lage, einen passenden Ersatz anzubieten; im Gebäude des alten preußischen Abgeordnetenhauses tagte die preußische Landesversammlung, während der Saal des Herrenhauses zu klein war59. Der Entschluß zugunsten Weimars wurde nicht mehr umgestoßen. Dabei hatte sich Weimar selber gar nicht einmal vorrangig und mit Elan an der Propagierung seiner Kandidatur beteiligt. Der neue Weimarer Staatskommissar und Chef der provisorischen Landesregierung, der SPD-Reichstagsabgeordnete60 August Baudert, der nach einem Ultimatum des Arbeiter- und Soldatenrates an den Großherzog am 11. November die politischen Geschäfte von Wilhelm Ernst übernommen hatte, war von der Verdichtung der Berliner Entscheidung nicht informiert worden. Anfang Januar unternahm ein Berliner Beamter eine Inspektionsreise durch mehrere prospektive Tagungsorte: anscheinend waren Bayreuth, Nürnberg, Jena und Weimar in die nähere Auswahl gekommen; alles Städte, die außerhalb Preußens lagen61. In vielerlei Hinsicht war die Eignung Weimars keineswegs offenkundig. Als klassische Hof- und Beamtenstadt war Weimar alles andere als revolutionsfreundlich gestimmt62. Zudem war es fraglich, ob eine relativ kleine Stadt wie Weimar den Troß der Abgeordneten und ihrer Mitarbeiter sowie der wichtigsten Reichsbehörden überhaupt würde aufnehmen können. Demgegenüber standen aber auch eine Reihe von Vorzügen, die die Probleme überwogen und die letztlich den Ausschlag für Weimar gaben. Ganz oben auf dieser Liste stand die einfach zu gewährleistende Sicherheit in der kleinen Residenzstadt ohne nennenswerte Arbeiterschaft und USPD-Sympathien – der Nachteil des politischen Klimas in Weimar konnte so zugleich ein Vorteil sein. Das für eine Kleinstadt ungewöhnlich große Theater bot mit seinen mehr als 1000 Plätzen einen geeigneten 59 Am 11.4.’19 plädierte Ministerpräsident Hirsch in einem Schreiben an alle preußischen und Reichsminister für die Verlegung der Tagungen nach Berlin nach Ostern (GStAPK, Rep. 84a: Preußisches Justizministerium, Nr. 6239, 417f.). Scheidemann antwortete am 15.4. grundsätzlich zustimmend (GStAPK, Rep. 90a: Preußisches Staatsministerium, Abt. A, Tit. VIII.1b. Nr. 6, Bd. 1, Bl. 117), aber: „Die Verlegung stößt jedoch um deswillen auf Schwierigkeiten, weil sich das Reichstagsgebäude aus den dort bekannten Gründen in einer Verfassung befindet, die eine gründliche Reinigung (Entlausung) und Instandsetzung notwendig macht.“ Mit dem Schreiben vom 22.4. (ebd., Bl. 118) mußte Hirsch für Abgeordnetenhaus und Herrenhaus absagen. 60 Mit der Bezeichnung SPD ist im weiteren immer die MSPD gemeint. 61 Im BAB, 15.01 Reichsministerium des Innern, Bd. 17141, Acta betreffend den Ort der Nationalversammlung, Bl. 17–18 findet sich die Reisekostenanforderung des Geheimen Oberregierungsrates Dr. Schulz für eine Dienstreise vom 5.–11. Januar 1919. 62 „Bei den Wahlen zur Nationalversammlung hatten die bürgerlichen und konservativen Parteien mit 12647 Stimmen die Nase deutlich vor SPD und USPD mit zusammen nur 7864 Wählern, wenig später ergibt sich bei Gemeindewahlen auch für den Stadtrat eine klare konservative Mehrheit. Weimar nach der Revolution gleicht einer bürgerlichen Insel im roten Meer Thüringens.“ Peter Merseburger, Mythos Weimar. Zwischen Geist und Macht, Stuttgart 1998, 291.
9.2 Die Berufung zum Staatssekretär
345
Plenarsaal, und das gleichfalls bemerkenswert große und erst 1914 weiter ausgebaute Schloß gab der Reichsregierung ein Domizil. Da Weimar als Touristenstadt zahlreiche Hotels aufzuweisen hatte, hielt sich auch die (trotzdem immer noch merkbare) Unterbringungsnot in Grenzen. Die Verkehrsverbindungen der zentral gelegenen Stadt in Thüringen waren in alle Richtungen Deutschlands günstig; vor allem nach Berlin ging ein täglicher Sonderzug der Reichsregierung, der bald noch durch ein tägliches Kurierflugzeug ergänzt wurde – eine Premiere für die zivile Luftfahrt. Daß die Ernährung in jedem Fall einfacher sein würde als in einer Großstadt, ist bereits erwähnt worden. Und zum Schluß bleibt natürlich noch der symbolische Aspekt: Weimar als die Stadt der deutschen Klassik bot das richtige Ambiente für einen vom demokratischen Geist geprägten Neuanfang63. Anders als die Großstadt Frankfurt, in der man auch lokal an den Geist von 1848 hätte anknüpfen können, lag es außerhalb des preußischen Staatsgebietes, was den antipreußischen Ressentiments im Süden und Westen entgegenkam. Da man ohnehin nur mit einer Dauer von wenigen Wochen für die Nationalversammlung bis zur Verabschiedung der Verfassung rechnete, schienen die Nachteile der Entfernung aus Berlin nicht sonderlich schwer zu wiegen. Alle diese Überlegungen führten dazu, daß unmittelbar nach der Wahl zur Nationalversammlung die Einberufung des Parlamentes nach Weimar zum 6. Februar bekanntgegeben werden konnte64. Die letzte Frage, die es im Vorfeld der Wahlen zu klären galt, war die nach dem neuen Wahlrecht. Schon im Kaiserreich war Preuß ein prinzipieller Advokat des Verhältniswahlrechts wie auch der Ausdehnung des Wahlrechts auf Frauen gewesen. Wie erwähnt hatte die Regierung bereits am 30. November eine entsprechende 63 Zur Vielfalt der kulturell-gesellschaftlichen Neuansätze und Anregungen der Region vgl. Jürgen John und Volker Wahl (Hrsg.), Zwischen Konvention und Avantgarde. Doppelstadt JenaWeimar, Weimar, Köln und Wien 1995. Speziell zur geistigen Konstruktion „Weimar“ Justus H. Ulbricht, „Deutsche Renaissance“. Weimar und die Hoffnung auf die kulturelle Regeneration Deutschlands zwischen 1900 und 1933, ebd., 191–208. Ulbricht zeigt hier aber auch, daß der Weimarer Bürgergeist von Anfang an rechts stand. 64 Die technische Durchführung des Beschlusses wurde den einzelnen Regierungen am 20.1.’19 in einem Erlaß von Hugo Preuß mitgeteilt, den ich nach dem Exemplar im Hamburgischen Staatsarchiv zitiere (SAHH, Bestand 132–1 II, I.A.1a.1, Bd. 1, Bl. 3): „Die Reichsregierung hat beschlossen, die verfassunggebende deutsche Nationalversammlung am 6. Februar in Weimar zusammentreten zu lassen. Als Unterkunft für die Reichsregierung, die obersten Reichsbehörden und die Vertreter der Landesregierungen ist das Schloß in Weimar in Aussicht genommen. Trotz der Größe des Schlosses, das allerdings nicht in vollem Umfange zur Verfügung gestellt werden kann, wird eine angemessene Unterbringung nur möglich sein, wenn der Kreis der nach Weimar zu entsendenden Personen so eng wie irgend möglich gezogen wird, d.h. nur Persönlichkeiten entsendet werden, deren dauernde Anwesenheit während der Verhandlungen der Nationalversammlung im Hinblick auf die Verfassungsberatungen unerläßlich ist. Dies wird auch ohne Gefährdung der dienstlichen Interessen geschehen können, da für gute Zug- und Telephonverbindungen in großem Maßstabe gesorgt werden soll und außerdem Sorge getragen wird, daß Kommissare, die bei Einzelberatungen gebraucht werden, auf kurze Zeit in Weimarer Hotels oder Bürgerquartieren eine angemessene Unterkunft finden.“
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9. Das Verfassungswerk von Weimar
Verordnung erlassen, die das Wahlrecht für die Nationalversammlung regelte. Im Vorfeld dieser Verordnung hatte am 18. November Erich Koch, damals Oberbürgermeister von Kassel, an seinen Parteifreund Preuß geschrieben65 und ihm vorgeschlagen, die Wahlkreise ungefähr in der Größe eines Regierungsbezirks zu gestalten. Auf 75’000 oder 100’000 Stimmen sollte ein Mandat entfallen. Die damit verbundene Ungewißheit über die Zahl der Abgeordneten hielt Koch für vertretbar. Es läßt sich nicht genau sagen, ob Preuß sich außer vom Vorentwurf seines Hauses auch von Koch hat inspirieren lassen, aber jedenfalls kommt sein Vorschlag der zwölf Tage später gefundenen Regelung schon einigermaßen nahe. Die allgemeine Zustimmung der Einzelstaaten zum Wahlgesetz ergab sich auf einer Besprechung im Reichsamt des Inneren am 29. November, in der aber auch festgestellt wurde, „daß die in der Wahlkreiseinteilung vorgesehene Abgrenzung der Wahlkreise in keiner Weise der endgültigen Abgrenzung der Einzelstaaten vorgreift“66. Die frühzeitige und einvernehmliche Regelung des Wahlrechts zur Nationalversammlung rettete die Reichsbehörden jedoch nicht davor, auch nach diesem Termin mit Vorschlägen überschüttet zu werden, wie das Verhältniswahlsystem anders und besser ausgestattet werden könnte. Mißfallen erregten vor allem die starren Listenvorschläge, die vom Bürger nicht beeinflußt werden konnten, und der Verlust von Reststimmen in den Wahlkreisen des Reiches, der nicht über eine Reichsliste ausgeglichen werden konnte. Letzteres ging besonders zu Lasten der Deutschen Demokraten, die einerseits nicht Listenverbindungen mit den Sozialdemokraten eingehen wollten, andererseits aber auch mit den rechten bürgerlichen Parteien nicht gut zusammenarbeiten konnten. Auch eine weitere Hoffnung, die Preuß mit dem Verhältniswahlrecht verbunden hatte, erfüllte sich nicht: Eigentlich hätte es jetzt einfacher sein sollen, Kandidaten aufzustellen, die im Reich gebraucht wurden, auf Grund lokaler Probleme aber bislang nicht in den Reichstag hatten gelangen können – wobei Preuß sicher nicht an seine eigene Person dachte, auch wenn die Beschreibung auf ihn selbst zutraf. Aber bei der Kandidatenaufstellung zeigten sich ähnliche Probleme wie schon im Kaiserreich. Preuß selbst wurde ebensowenig nominiert wie Max Weber67; unter den 75 Abgeordneten, die die DDP nach Weimar entsandte, fand sich kein Platz für den Mitbegründer dieser Partei und Reichsinnenminister68. Prinzipiell stand Preuß also einer erneuten Abänderung des Wahlrechts durchaus positiv gegenüber, praktisch war es allerdings ausgeschlossen, das Wahlrecht 65 BAK, NL Koch-Weser, Nr. 187, nicht fol. 66 Bericht Sievekings an Predöhl, SAHH, Bestand 132-1 II, I.A.1b.1, Bl. 7. 67 Zu Webers gescheiterter Kandidatur siehe W. J. Mommsen, Max Weber und die deutsche Politik, 330ff. Mommsen merkt allerdings auch an, daß Weber selbst für seine Kandidatur nur wenig tat und offenbar erwartete, per Akklamation zum Kandidaten gekürt zu werden, was angesichts versierter Mitbewerber scheitern mußte. 68 Zur DDP in der Wahl zur Nationalversammlung vgl. Lothar Albertin, Liberalismus und Demokratie am Anfang der Weimarer Republik. Eine vergleichende Analyse der Deutschen Demokratischen Partei und der Deutschen Volkspartei, Düsseldorf 1972, 138ff.
9.2 Die Berufung zum Staatssekretär
347
so kurz vor dem Wahltermin wieder umzustoßen69. Die Probleme der Umsetzung der Verordnung vom 30. November waren auch so groß genug. Trotz allem gelang es, und am 19. Januar konnten die Wahlen ruhig und ordnungsgemäß abgehalten werden. Mit dem Ergebnis konnten die demokratischen Parteien im großen und ganzen zufrieden sein, wenn auch die SPD sicher mehr erhofft hätte. SPD, Zentrum und DDP hatten eine solide Dreiviertel-Mehrheit erreicht70. Hugo Preuß war inzwischen rastlos tätig gewesen und hatte seine hauptsächliche Aufgabe vorangetrieben. Fristgerecht konnte der Nationalversammlung ein Entwurf für eine Reichsverfassung vorgelegt werden. Allerdings trug diese Vorlage in einigen wesentlichen Punkten nicht mehr die frische Farbe der Entschließung, mit der Preuß seine Arbeit begonnen hatte. Des Gedankens Blässe war ihr bereits jetzt angekränkelt. Der Verfassungsentwurf Die Neuordnung der Verfassungsverhältnisse war eine Aufgabe, die nicht nur die von Amts wegen damit befaßten Politiker beschäftigte, sondern die zahlreiche Bearbeiter anlockte. Die Zahl der privaten Verfassungsentwürfe, die zum Teil bereits 1918, größtenteils aber während der Verfassungsberatungen in der Nationalversammlung und als Alternative zu den amtlichen Entwürfen vorgelegt wurden, war Legion. Sie deckten das gesamte mögliche politische Spektrum ab; teils verlangten sie die spartakistische Diktatur, teils eine geläuterte Monarchie; teils wurde ein straffer Einheitsstaat propagiert, teils ein lockeres Bündnis der souveränen deutschen Staaten. Einige Vorlagen orientierten sich an einem organischen Rätemodell, das an die Stelle des parlamentarischen Systems treten sollte. Zumeist jedoch wurde eine mittlere Linie vertreten, die wenigstens in einigen Punkten den späteren Weimarer Bestimmungen bereits nahe kam. Die Volkswahl des Reichspräsidenten, ein demokratisches Reichstagswahlrecht und ein Zweikammernparlament findet sich in den meisten Entwürfen wieder71. Trotzdem war der Einfluß aller dieser privaten Autoren auf die endgültige Verfassung gering. Wer mit ausgefeilten Verfassungsentwürfen an die Öffentlichkeit trat, war in der Regel kein Akteur im eigentlichen politischen Willensbildungsprozeß. Die Neigung der politisch Handelnden, aus dieser Flut von Vorschlägen auch nur einzelne Ideen aufzugreifen, war begrenzt. Zudem stand in den meisten 69 Zur Wahlrechtsdiskussion etwa E. Altenkirch, Freie Wahl! Ein Antrag an die Nationalversammlung, Berlin 1919; A. Hartmann, Vorschlag, wie die Verhältniswahl als Einerwahl vorgenommen werden kann, Karlsruhe 1919. Vgl. auch E.R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte V, 1067. 70 Zum Wahlergebnis E.R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte V, 1069ff. 71 Zu den verschiedenen Entwürfen siehe M. Dreyer, Föderalismus als normatives und ordnungspolitisches Prinzip, 576ff.; L. Richter, Kirche und Schule in den Beratungen der Weimarer Nationalversammlung, 186ff.
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9. Das Verfassungswerk von Weimar
der Privatentwürfe auch nichts, was nicht von irgendeiner politischen Richtung ohnehin schon im Laufe der Beratungen auf die Tagesordnung gebracht wurde. Wichtiger für die Gestaltung des Verfassungsentwurfes, der dann tatsächlich der Nationalversammlung zur weiteren Beratung und Entscheidung vorgelegt wurde, waren statt dessen eine ganze Serie von Beratungen und Konferenzen, die sich vom Dezember bis zum Februar hinzogen72. Unter diesen ragen die Verhandlungen im engen Expertenkreis im Reichsinnenamt vom 9. bis zum 12. Dezember und die Verhandlungen an gleicher Stelle mit den Vertretern der deutschen Staaten am 25. Januar, an die sich weitere Diskussionen bis zum 21. Februar anschlossen, hervor. In den unterschiedlichen Stadien dieser Vorberatungen wurden unterschiedliche Fassungen des Entwurfs erarbeitet. Es hat sich eingebürgert, dem Staatsrechtler Heinrich Triepel folgend die Abfolge der Entwürfe durchzunumerieren, wobei „Entwurf I“ die erste Fassung vom 3. Januar nach Abschluß der Expertengespräche bezeichnet, „Entwurf II“ die im Reichsamt weiter modifizierte und am 20. Januar, also am Tag nach den Wahlen zur Nationalversammlung veröffentlichte Version, „Entwurf III“ die Vorlage der Reichsregierung für den Staatenausschuß vom 17. Februar auf Grund der Beratungen vom 25. Januar und der folgenden Tage. „Entwurf IV“ ist das Resultat dieser Verhandlungen von Staatenausschuß und Reichsregierung vom 21. Februar, das der Nationalversammlung als amtlicher Entwurf der Reichsverfassung vorgelegt wurde. Als „Entwurf V“ werden die Beschlüsse des Verfassungsausschusses der Nationalversammlung vom 18. Juni angesehen, als „Entwurf VI“ endlich die Ergebnisse der 2. Lesung im Plenum am 15. Juli. Am 11. August war die gesamte Verfassung bereits verabschiedet73. In tabellarischer Zusammenstellung läßt sich der Überblick in Tabelle 2 ausmachen. Formal war die Nationalversammlung frei in ihren Entscheidungen, und als Nationalversammlung war sie vor allem auch nicht an die Wünsche und Vorstellungen der einzelnen aus dem Kaiserreich fortbestehenden Bundesstaaten gebunden. Zudem war nach dem Zusammentritt der Nationalversammlung die von ihr gewählte Reichsregierung zweifellos demokratisch weit besser legitimiert als die Revolutionsregierungen, die in den einzelnen Gliedstaaten amtierten. Faktisch und praktisch sah die Sache jedoch anders aus. Die Verfassungsberatungen von 1919 72 Vgl. zu den Entwürfen und Vorberatungen v.a. Walter Jellinek, Revolution und Reichsverfassung. Bericht über die Zeit vom 9. November 1918 bis zum 31. Dezember 1919, in: JöRG, 9 (1920), 1–128, hier 120ff.; sowie ders., § 12. Insbesondere: Entstehung und Ausbau der Weimarer Reichsverfassung, in: Gerhard Anschütz und Richard Thoma (Hrsg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, 2 Bde., Tübingen 1930 und 1932, hier 1. Bd., 127–138. Zum Stand der Verfassungsdiskussion Ch. Gusy, Die Weimarer Reichsverfassung, 63ff. Als Übersicht auch J. Mauersberg, Ideen und Konzeption Hugo Preuß‘, 60ff. 73 Diese Numerierung folgt E.R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte V, 1178ff., der seinerseits Heinrich Triepel, Quellensammlung zum Deutschen Reichsstaatsrecht, 3., völlig neu bearb. Aufl., Tübingen 1922, folgt. Vgl. auch die Synopse von Godehard J. Ebers, Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919. Die amtlichen Entwürfe, die Beschlüsse des Verfassungsausschusses und die endgültige Fassung in vergleichender Gegenüberstellung nebst der vorläufigen Reichsverfassung, Berlin 1919.
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9.2 Die Berufung zum Staatssekretär
sind ein gutes Beispiel, um Georg Jellineks Satz von der „normativen Kraft des Faktischen“ zu illustrieren74. Verhandlung
Resultat
Vorgelegt am
Fortgang
Expertentagung 9.–12. Dezember 1918
Entwurf I
3. Januar 1919
Unveröffentlicht; interne Beratungsvorlage
Beratungen im Reichsamt des Innern
Entwurf II
20. Januar 1919
Veröffentlicht, mit Denkschrift vom 3.1.
1. Lesung im Staatenausschuß
Entwurf III
17. Februar 1919
Vorlage für 2. Lesung im Staatenausschuß
Kompromiß Staatenausschuß / Reichsregierung
Entwurf IV
21. Februar 1919
Amtliche Vorlage für die Nationalversammlung
Verfassungsausschuß der Entwurf V Nationalversammlung
18. Juni 1919
Vorlage für die 2. Lesung der Nationalversammlung
2. Lesung im Plenum der Entwurf VI Nationalversammlung
15. Juli 1919
Vorlage für die 3. Lesung der Nationalversammlung
Weimarer 3. Lesung im Plenum der ReichsNationalversammlung verfassung
31. Juli (Abstimmung) 11. Aug. 1919 (in Kraft)
Verfassung für das Deutsche Reich
Tab. 2: Übersicht über die Entwürfe zur Weimarer Reichsverfassung
Als das Parlament im Februar eröffnet wurde, konnte es in vielerlei Hinsicht nur noch Entscheidungen ratifizieren oder allenfalls modifizieren, die bereits getroffen waren. Eine solche Vorentscheidung betraf die Wahl zur Nationalversammlung selber, die in sich eine Entscheidung für eine repräsentative Demokratie und gegen die von der USPD favorisierten räte- und direktdemokratischen Modelle darstellte. Mit der Wahl der Regierung Scheidemann aus den Reihen der Nationalversammlung war auch die Entscheidung für ein parlamentarisches Regierungssystem kaum noch reversibel. Daß die kleineren Parteien, die ihre Mandate dem erstmals angewandten Verhältniswahlrecht verdankten, einer Rückkehr zum Mehrheitswahlrecht zugestimmt hätten, war auch dann ausgeschlossen, wenn nicht, wie bereits erwähnt, auch die Sozialdemokraten ohnehin dieses Wahlrecht bevorzugt hätten. Zwei weitere Fakten waren durch den Verlauf der Revolution geschaffen; 74 G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 337ff.
350
9. Das Verfassungswerk von Weimar
zum einen die Entscheidung für eine Republik an Stelle einer noch im September und Oktober, vielleicht sogar Anfang November gut denkbaren parlamentarischen Monarchie. Zum anderen war die grundsätzliche Entscheidung für den Fortbestand des Föderalismus gefallen75. Hugo Preuß sprach später davon, daß Deutschland keine Revolution gehabt hätte, sondern „25 Einzelrevolutiönchen“76, die überall neue Regierung hatten entstehen lassen. Eine letzte Vorentscheidung war spätestens mit der Wahl Eberts zum provisorischen Reichspräsidenten gefallen; abgesehen von der USPD und Teilen der MSPD konnte sich aber ohnehin niemand mit dem Gedanken anfreunden, an der Spitze des Reiches etwas anderes als einen starken, mit wichtigen Prärogativen ausgestatteten Reichspräsidenten zu sehen. Obwohl die Frage der Ausgestaltung des föderativen Systems Deutschlands, insbesondere der möglichen Neugliederung des Reichsgebietes, in Weimer intensiv diskutiert wurde, zeigte sich sehr schnell, daß die Einzelrevolutiönchen Konsequenzen hatten, mit denen im November 1918 wohl noch niemand gerechnet hatte. In allen deutschen Staaten gab es gesonderte Revolutionsregierungen, und der Tenor lag wenigstens im Verhältnis zum Reich immer weniger auf „Revolution“ als auf „Regierung“ mit einem Selbstbehauptungswillen, der sich von dem der alten Gewalten kaum noch unterschied. Zumeist war die Revolution auf Länderebene „im letzten doch nur Übernahme der Verfügungsgewalt über die Verwaltung“77 gewesen. Die Erfahrung, was das für die Neugestaltung des Reiches und für das Verhältnis von Reich und Ländern bedeutete, mußte auch Hugo Preuß sehr bald machen, der zunächst noch geglaubt hatte, ohne die Mitwirkung der Einzelstaaten auskommen zu können. Bei der ersten Expertenkonferenz verzichtete Preuß auf die Vertretung der Einzelstaaten als solchen im Teilnehmerkreis. Es war ein kleiner elitärer Zirkel von 13 Personen, der sich am 9. Dezember im Reichsamt des Inneren traf, um „die Grundzüge des der verfassunggebenden deutschen Nationalversammlung vorzulegenden Verfassungsentwurfs“ durchzusprechen78. Außer Preuß und seinen 75 Zur Revolution auf Länderebene als Überblick E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte V, 1002ff. Zu den besonders bewegten Ereignissen in Bayern umfassend Karl Bosl (Hrsg.), Bayern im Umbruch. Die Revolution von 1918, ihre Voraussetzungen, ihr Verlauf und ihre Folgen, München und Wien 1969; und zuletzt Ralf Höller, Der Anfang, der ein Ende war. Die Revolution in Bayern 1918/19, Berlin 1999. 76 „Reich und Länder“, 158. 77 G. Schulz, Zwischen Demokratie und Diktatur I, 104. 78 In seinen einleitenden Bemerkungen führte Preuß aus, „daß die Verhandlungen nur dem Zwecke einer vertraulichen Aussprache dienen, daß Abstimmungen nicht stattfinden, und die Einzelstaaten als solche dabei nicht vertreten seien“. Die „Aufzeichnung über die Verhandlungen im Reichsamt des Innern über die Grundzüge des der verfassunggebenden deutschen Nationalversammlung vorzulegenden Verfassungsentwurfs, vom 9. bis 12. Dezember 1918“ finden sich an vielen Stellen. Ich zitiere nach dem Exemplar im BAK, NL Payer, Nr. 11, hier 2. Um Vergleichbarkeit herzustellen, benutze ich hier ausnahmsweise nicht die Blattnummern, sondern die Seitenzahlen der Vorlage. Als Darstellung zu dieser Tagung siehe J. Mauersberg, Ideen und Konzeption Hugo Preuß‘, 60ff.; E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte V, 1178ff.;
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engsten Mitarbeitern, in erster Linie Unterstaatssekretär Theodor Lewald79, nahmen auch die beiden Beigeordneten im Innenamt, Dr. Quarck (MSPD) und Dr. Herzfeld (USPD) teil. Das Auswärtige Amt hatte zwei Teilnehmer, Simons und Dr. Riezler, entsandt, das Justizamt war durch seinen Leiter, Staatssekretär Dr. von Krause, vertreten. Die großdeutschen Hoffnungen verkörperten die österreichischen Gesandtschaftsangehörigen Hartmann und Verdross. An auswärtigen Experten waren nur der Hamburger Senator Petersen und Max Weber angereist, es fehlten die gleichfalls eingeladenen Anschütz, Drews, Payer und von den aktiven Politikern Haase und Landsberg. Bei den auswärtigen Abwesenden waren es in erster Linie Reiseschwierigkeiten, die zur Absage führten. Die Einladungen waren einigermaßen kurzfristig erfolgt; das Telegramm Preuß’ an Payer etwa ist auf den 4. Dezember datiert. Ein handschriftlicher Antwortentwurf Payers enthält nur den Satz: „Werde zur Besprechung erscheinen.“ Gestrichen wurde der Zusatz: „Verkehr nach Berlin unsicher und sehr umständlich. Würde trotzdem abreisen, wenn annehmen müßte, daß bei meinem Ausbleiben süddeutsch-föderalistischer Standpunkt unvertreten wäre.“ Payer nahm dann aber doch nicht teil80. Preuß legte der Versammlung keinen ausgefeilten Entwurf vor. Anders als 1917 hatte er seine Vorstellungen nicht in einzelne Paragraphen gegliedert; weniger klar und bestimmt waren sie deshalb aber nicht. Die Orientierung an den Ideen des Freiherrn vom Stein, an der Paulskirche und an England und den USA, aber auch die Abweichungen hiervon waren schon anhand der vorrevolutionären Schriften Preuß’ zu erwarten81. Preuß hatte keine detaillierte Vorlage entwickelt, aber das hieß nicht, daß er keine klaren Vorstellungen davon hatte, wie der Verfassungsentwurf aussehen sollte. Die Verfassungsberatungen vom Dezember hatten für ihn eher die Funktion eines „brainstorming“ und einer generellen Aussprache mit anderen Experten. Der Entwurf, der dabei entstanden ist, trägt eindeutig seine Handschrift. Insbesondere ist es fraglich, welchen Einfluß man konkret einzelnen Teilnehmern an der Beratung zuschreiben kann. Nicht jeder Teilnehmer hatte das Glück, hinterher engagierte Biographen zu finden, die die Rolle des von ihnen W. J. Mommsen, Max Weber und die deutsche Politik, 380ff.; L. Richter, Kirche und Schule in den Beratungen der Weimarer Nationalversammlung, 130ff. 79 Lewald war ein erfahrener Verwaltungsbeamter, der seit 1892 im Reichsamt des Innern tätig war, ab 1917 als Unterstaatssekretär. Er ist in dieser Zeit der wichtigste Mitarbeiter von Preuß. Nach seinem Ausscheiden aus dem Innenministerium 1921 nahm er noch verschiedene politische Aufgaben wahr, erlangte aber vor allem als Sportorganisator Bedeutung. Ab 1932 war er Präsident des Organisationskomitees für die Berliner Olympiade. 80 Das Telegramm Preuß’ findet sich BAK, NL Payer, Nr. 11, Bl. 147. Ebd. der Antwortentwurf Payers. Vgl. auch den Brief Preuß an Payer vom 12.12., ebd., Bl. 148–149. 81 Außenminister Brockdorff-Rantzau hatte Preuß am 31.1.’19 gebeten, möglichst viel aus der US-Verfassung zu übernehmen, wovon er sich eine propagandistische Wirkung auf die USA und die Friedenskonferenz erhoffte; vgl. K. Schwabe, Deutsche Revolution und WilsonFrieden, 285; sowie Werner Link, Demokratische Staatsordnung und außenpolitische Orientierung. Die Einstellung zu den USA als Problem der deutschen Politik im 20. Jahrhundert, in: L. Albertin und ders. (Hrsg.), Politische Parteien, 63–89, hier 67f.
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9. Das Verfassungswerk von Weimar
Untersuchten in helles Licht stellen konnten. Vor allem Max Webers Einfluß wird gerne überschätzt82, wenn seine Beiträge zur Gestaltung des Reichspräsidenten und als föderatives Gegengewicht zu Hugo Preuß herausgestellt werden. Eine starke Position des Reichspräsidenten war ohnehin ein Ziel von Preuß wie auch von praktisch jedem anderen Experten, wenn man von der extremen Linken einmal absieht. Zu keinem Zeitpunkt der Beratungen, nicht während der Expertentagung, nicht während der Länderberatungen, nicht während der Debatten im Plenum der Nationalversammlung und auch nicht im Verfassungsausschuß der Nationalversammlung ist jemals ein anderer Vorschlag als der eines starken Reichspräsidenten ernsthaft und mit Aussicht auf Erfolg beraten worden. Diskutiert wurde nur über die Details der Ausgestaltung des Amtes, und hierbei gab es in der Tat Differenzen, die aber oftmals im Wege des Kompromisses beigelegt werden konnten. Es war den im Kaiserreich sozialisierten Politikern, selbst auf der gemäßigten Linken, völlig undenkbar, an die Spitze des Reiches eine Symbolfigur zu stellen. Im Grunde war auch unumstritten, daß der Präsident vom Volk gewählt werden sollte, auch wenn gelegentlich andere Modelle kurz angedacht wurden. Max Weber hat sicherlich in die gleiche Richtung gewirkt, aber auch wenn er nicht an der Expertentagung teilgenommen und überhaupt geschwiegen hätte, wäre das Resultat das gleiche gewesen83. Und die Mär vom Preußschen Antiföderalismus läßt sich nur aufrecht erhalten, wenn man das Problem Preußen ebenso übersieht wie das dezidierte Eintreten Preuß’ für Selbstverwaltungskörper, die „Staaten“ oder „Ländern“ praktisch identisch sind. Auf der Zusammenkunft vom Dezember konnten die Sachverständigen eine offene Debatte um die großen Themenbereiche führen, die in der künftigen Verfassung geregelt werden mußten; sie klebten dabei nicht an einzelnen Paragraphen fest. Man begann mit einer Debatte der Grundfragen, an die sich die Abgrenzung der Zuständigkeiten von Reich und Einzelstaaten anschloß. Bereits hier wurde deutlich, daß die föderativen Kräfte nicht einfach beiseitezuschieben waren. Skepsis herrschte hinsichtlich einer möglichen Aufgliederung Preußens in einzelne Staaten84. In den konkreten Einzelfragen befürworteten aber alle Teilnehmer eine Stärkung der Reichskompetenzen gegenüber den Staaten. Preuß gelang es auch, den 82 Vgl. W. J. Mommsen, Max Weber und die deutsche Politik, 380, für den Webers „große Stunde“ kam, der gegen „dogmatischen Unitarismus energisch zu Felde“ zog (382), dessen „mit großer Wucht und Überzeugungskraft vorgetragenen Argumenten“ (382f.) sich Preuß nicht verschließen konnte, der „den einzigen Weg“ (383) wies. 83 Im Anschluß an Mommsen schreibt, um nur ein Beispiel zu nennen, auch Reinhard Schiffers, Elemente direkter Demokratie im Weimarer Regierungssystem, Düsseldorf 1971, 118, Weber eine überzogen große Rolle zu. 84 Max Weber äußerte sich wie folgt (Aufzeichnungen über die Verhandlungen, BAK, NL Payer, Nr. 11, 3): „Ein weitgehender Föderalismus werde durch die Tatsachen gefordert, so sehr an sich der Unitarismus vorzuziehen sei. ... Preußen mit seinen 40 Millionen Einwohnern werde im Reich zu mächtig sein, wenn seine Befugnisse nach der Zahl der Einwohner abgemessen würden. An den Zerfall Preußens in mehrere Staaten glaube er nicht. Er meine also: Es muß
9.2 Die Berufung zum Staatssekretär
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Gedanken einer ausgedehnteren kommunalen Selbstverwaltungskompetenz, der Verfassungsrang gegeben werden sollte, in die Debatte einzubringen85. Vergleichsweise knapp war demgegenüber die Diskussion um die Grundrechte. Preuß stellte warnend voran, daß die Paulskirche „großenteils infolge der Endlosigkeit der Verhandlungen über die Grundrechte gescheitert“ sei86. Der Vorschlag, den Grundrechtsteil so knapp wie möglich zu gestalten, fand allgemeine Zustimmung. Intensiver debattiert wurde wieder die Frage der künftigen Stellung Preußens und die Vertretung der Staaten in einem Reichsorgan; eine Frage, die eng verwandt war mit den einleitenden Diskussionen. Hier konnte keine Einigkeit erzielt werden, weder über die von Preuß befürwortete Aufteilung Preußens, noch über die Vertretung der Staaten in einem parlamentarischen Staatenhaus an Stelle des bisherigen Bundesrats. Bei letzterem Punkt stellte Preuß abschließend fest, „daß eine geschlossene Mehrheit für das Staatenhaus sich nicht herausgestellt habe, daß er aber diese Lösung für das kleinere Übel gegenüber den sonstigen vorgeschlagenen Lösungen halten müsse“87. Auch dieser Satz sollte zur Vorsicht stimmen gegenüber allen Versuchen, einzelnen Teilnehmern der Tagung zuviel Einfluß zuzurechnen. Beim Volkshaus, dem nächsten Punkt, kreiste die Debatte um die Länge der Legislaturperiode, das Enquete-Recht und die Frage der Wahlprüfungen durch das Parlament selber oder durch ein Gericht. Alle diese Punkte wurden später von der Nationalversammlung erneut aufgegriffen. Auch beim Staatsoberhaupt schieden sich die Geister. Vor allem der USPD-Beigeordnete Herzfeld befürwortete eine kollegiale Spitze des Reiches. Die Mehrheit folgte demgegenüber Preuß und stimmte für einen in Volkswahl auf 10 Jahre gewählten Präsidenten. Preuß stellte hierzu fest, daß die überwiegende Meinung für die Präsidentschaft sei. Bezüglich der Präsidentenwahl käme das amerikanische (Wahl durch das Volk) und das französische System (Wahl durch das Parlament) in Frage. Das letzte System sei ein unechtes parlamentarisches System; es sei nicht folgerichtig, daß der Präsident aus der Wahl des Parlaments hervorgehe. Aber auch das amerikanische System sei in sich widerspruchsvoll. In Deutschland müsse eine mittlere Linie gewählt werden, der Präsident müsse aus Volkswahlen hervorgehen. Das Volk müsse zwei Organe schaffen, den Präsidenten und das Volkshaus. Das Bindeglied zwischen beiden stelle die parlamentarische Regierung dar. Bei der Wahl wünsche er kein Elektorensystem, wie es in Amerika gelte. Vielmehr müsse das Volk in unmittelbarer und geheimer Wahl mit relativer, nicht mit absoluter Mehrheit den Präsidenten wählen. Eine Stichwahl verursache bedeutende Kosten und führe die Gefahr unlauterer Machenschaften mit sich. Der Präsident müsse das
soviel Unitarismus als möglich in eine föderalistische Verfassung aufgenommen werden.“ Ähnlich Unterstaatssekretär Lewald (ebd., 4): „An den Zerfall Preußens glaube er nicht. Daraus folge aber ohne weiteres, daß der Föderalismus für das Deutsche Reich das Gegebene sei.“ 85 Ebd., 10ff. 86 Ebd., 16. Horst Möller, Die historische Bedeutung der Grundrechte in der Weimarer Verfassung, in: A. Rödder (Hrsg.), Weimar und die deutsche Verfassung, 105–116, hier 106, stimmt Preuß und seinen Befürchtungen zu. 87 Ebd., 24. Der Hamburger Petersen befürwortete – was kaum jemanden überrascht haben dürfte – von den kleinen Staaten wenigstens Hamburg fortbestehen zu lassen, gegebenenfalls auch vereinigt mit Lübeck, ebd., 19.
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9. Das Verfassungswerk von Weimar Ministerium ernennen und dieses wiederum müsse vom Volkshaus abhängen. Ein Minister, der des Vertrauens des Volkshauses ermangele, müsse abtreten. Eine Bestimmung, daß jeder Minister dem Parlament angehören müsse, halte er nicht für notwendig. Sie sei auch in den wenigsten Verfassungen anzutreffen. Mit diesem System gelange man zu einer starken demokratischen Exekutive aber ohne schädigenden Dualismus.88
Die Funktionen und Kompetenzen des Präsidenten sollten aber trotzdem ähnlich gestaltet sein wie die des Monarchen in parlamentarischen Staaten. Die eigentümliche Diskrepanz zwischen diesem einheitlich festgestellten Ziel und der Volkswahl scheint nicht zum Gegenstand der Diskussion gemacht worden zu sein89. Diese Vorstellungen klangen ein wenig so, als sollte im Prinzip das bisherige System weitgehend in einer demokratisierten Variante beibehalten werden. Aber auch zwischen dem Postulat eines starken Reichspräsidenten und dem Vergleich mit einem parlamentarischen Monarchen scheint ein Widerspruch zu bestehen. Er löst sich auf, wenn man den theoretischen Hintergrund betrachtet, auf dem diese Überlegungen beruhen. Das ist die einflußreiche, 1918 erschienene Abhandlung von Robert Redslob über die „wahre Form“ der parlamentarischen Regierung90. In diesem Werk wird begründet, warum einem gewählten Parlament als Gegengewicht ein starker, gewählter Präsident gegenüberstehen müsse. Das Gegenbeispiel war Frankreich, wo der Präsident entgegen der Verfassungskonstruktion völlig hinter das Parlament zurückgetreten war91. Als positives Beispiel wurde England erläutert,
88 Ebd., 31f. 89 Ebd., 33, führte Preuß aus: „Eine zu große Machtfülle des Präsidenten sei nicht zu befürchten, wenn seine Stellung derjenigen eines beschränkten Parlamentarischen Monarchen ähnlich gemacht werde. Der Hauptgrund , warum er für die Präsidentschaft eintrete, liege darin, daß jeder andere Weg ungangbar erscheine. Er halte es für ausgeschlossen, daß der Reichstag mittelbar oder unmittelbar das oberste Organ des Reichs bestimme. Das sei gerade vom demokratischen Standpunkt aus verwerflich.“ Ebd., 34, wurde resümiert: „Bezüglich der Zuständigkeit des Präsidenten ist die Mehrheit, die ihn für notwendig hält, einverstanden, daß seine Stellung ähnlich zu gestalten sei wie diejenige eines Monarchen in einem parlamentarisch regierten Staate.“ An gleicher Stelle wurde auch über einen Vizepräsidenten gesprochen: „Bezüglich des Vizepräsidenten kommt man dahin überein, daß der Präsident des Staatenhauses, der von diesem gewählt werden soll, zugleich stellvertretender Reichspräsident sein soll.“ Ähnlichkeit und Unterschied zu den USA sind erneut deutlich; anders als beim Vorbild setzte man beim Vizepräsidenten beim Parlament an, nicht bei der Exekutive. 90 Robert Redslob, Die parlamentarische Regierung in ihrer wahren und in ihrer unechten Form. Eine vergleichende Studie über die Verfassungen von England, Belgien, Ungarn, Schweden und Frankreich, Tübingen 1918. Heute ist Redslob fast vergessen. In Wilhelm Hofmann und Gisela Riescher, Einführung in die Parlamentarismustheorie, Darmstadt 1999, wird eine Vielzahl von theoretischen Ansätzen vorgestellt, aber Redslob wird nicht erwähnt. 91 Der Verfassungstext sah, ganz im Sinne Redslobs, ein Gleichgewicht der Gewalten vor. Aber mutwillige und im Effekt gescheiterte Parlamentsauflösungen in der Frühphase der Dritten Republik führten dazu, daß die Rechte des Präsidenten obsolet wurden.
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aber Redslob neigte dazu, die Rolle des englischen Königs, dem er die entscheidende Position in der Regierungsbildung zuschrieb, erheblich zu überschätzen92. Die Berliner Expertenrunde folgte Redslob in dieser Einschätzung und sah daher keinen Widerspruch zwischen einem parlamentarischen Monarchen und einem starken Reichspräsidenten. Damit war die Diskussion im wesentlichen abgeschlossen93. Nach vier Tagen, am 12. Dezember, gingen die Teilnehmer an der Expertenrunde wieder auseinander, und Hugo Preuß machte sich mit seinen Beratern daran, die empfangenen Anregungen in einen Entwurf umzuarbeiten. Am 3. Januar war dieser „Entwurf I“ fertiggestellt. Es läßt sich kaum im Detail nachzeichnen, wie weit einzelne Vorschläge der Konferenzteilnehmer ihren Weg in den Entwurf I gefunden haben. Alles in allem trägt er eindeutig die klare Handschrift von Preuß94. Er sah ein Zweikammernparlament mit Volks- und Staatenhaus vor. Die Grundrechte kamen bis auf die Gleichheit vor dem Gesetz, die Glaubens- und Gewissensfreiheit und den Schutz nationaler Minderheiten überhaupt nicht vor. Der Reichspräsident sollte direkt vom Volke gewählt werden, abweichend von Preuß’ ursprünglicher Haltung jetzt aber in zwei Wahlgängen (§ 53). Kernpunkt der späteren Auseinandersetzungen war aber der § 29, in dem die 16 Gebiete aufgezählt waren, die Abgeordnete ins Staatenhaus zu entsenden hatten. Wie angekündigt nahm Preuß hier auf die überkommenen Grenzen keine Rücksicht. Zwar bedeutete diese Vorlage noch keine Neugliederung des Reichsgebietes, da es hier ja nur um die Wahlkreise ging, die Bestand haben sollten, „(b)is sich die neuen Freistaaten gebildet haben“ (§ 29). Aber der politische Impetus ging doch weit über eine rein technische Wahlkreiseinteilung hinaus. Nur dieser Entwurf I entspricht wirklich den Vorstellungen von Hugo Preuß. Auf der Basis eines gründlich durchgeführten demokratischen Pluralismus sollte das Selbstverwaltungsrecht der territorialen Einheiten bis hin zum Selbstregierungsrecht ausgedehnt werden, während an der Spitze des Reiches eine duale Exekutive aus volksgewähltem Reichspräsidenten und parlamentsgewähltem Reichskanzler stand. Dies war kein Föderalismus im überkommenen Sinne, und hieran entzündete sich auch der Protest der Gliedstaaten, an ihrer Spitze Preußen. Die Preußschen Vorstellungen sind in der Literatur in der Regel als „dezentralisierter Einheitsstaat“ bezeichnet worden, mit dem impliziten Vorwurf, daß dies eine 92 R. Redslob, Die parlamentarische Regierung in ihrer wahren und in ihrer unechten Form, 41. Diese Fehleinschätzung der englischen Verfassung ist unter Rechtspositivisten verbreitet gewesen; vgl. G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 681f. 93 Außerdem sprach man noch über die Stellung der Minister und die Verantwortlichkeit der obersten Reichsbehörden, das Reichsgebiet, die Reich- und Staatsangehörigkeit, die Reichshauptstadt und die Reichsflagge; ebd., 37f. Bei allen diesen Fragen hat man angesichts des mageren Protokolls den Eindruck, daß man hier bereits in Zeitdruck war und dementsprechend zu keiner echten Diskussion mehr finden konnte. Durchweg wurde vorgeschlagen, diese Fragen später zu klären. 94 Abgedruckt ist er bei H. Triepel, Quellensammlung, 3. Aufl., Nr. 7. Die Denkschrift von Hugo Preuß vom 3. Januar ist am einfachsten zugänglich in „Staat, Recht und Freiheit“, 368–394. Vgl. auch E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte V, 1179f.
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Abkehr von der deutschen Tradition des Föderalismus sei. Dieser Vorwurf ist nur dann haltbar, wenn man in der spezifisch deutschen historischen Variante des Bundesstaates, wie er auch im Kaiserreich verkörpert war, das Maß der föderalistischen Staatsorganisation sieht. Dieser deutsche Föderalismus war in seiner Kompetenzverteilung Regierungs- und Verwaltungsföderalismus. Blickt man statt dessen über die Grenzen Deutschlands hinaus, so findet man (wie Preuß nicht müde wurde zu betonen) etwa in der Schweiz und in den USA keine Beteiligung der Kantone und Staaten als solchen an der Willensbildung des Gesamtstaates, wohl aber ausgedehnte lokale Rechte. Dies ist der politische Hintergrund zu dem, was Preuß in seinen theoretischen Reflexionen in Anlehnung an englische Begriffe als „local selfgovernment“ und „national selfgovernment“ bezeichnete. Die praktischen Überlegungen Preuß gingen in eine ähnliche Richtung, was sich insbesondere im Staatenhaus zeigte. Sein deutsches Vorbild hatte das Staatenhaus in der gleichnamigen, wenn auch etwas anders gestalteten Parlamentskammer der Paulskirchenverfassung, aber auch im amerikanischen Senat und im Ständerat der Schweiz. Es hätte nach den Vorstellungen von Hugo Preuß aus frei gewählten Abgeordneten bestanden, deren Wahlkreise unabhängig vom Gebiet der deutschen Staaten gewesen wären und auch hätten sein müssen, solange der preußische Staat einerseits und Zwergstaaten andererseits bestanden. Dieser Entwurf I ist vor Verabschiedung der Verfassung nicht veröffentlicht worden, und bereits der Entwurf II, der am 20. Januar der Öffentlichkeit übergeben wurde, zeigt die glättende Arbeit des Kompromisses95. Die Amtszeit des Präsidenten war auf sieben Jahre reduziert, der Grundrechtskatalog kräftig ausgedehnt, so daß er schon beinahe ganz dem klassisch-liberalen Kanon entsprach. Und vor allem waren die Bestimmungen über das Staatenhaus in Antizipation der föderalistischen Kritik entscheidend entschärft worden. An Stelle der klaren Gliederung in 16 Wahlgebiete traten jetzt Bestimmungen, die zunächst einmal zu Lasten der kleineren Staaten mit weniger als einer Million Einwohnern gingen (§§ 32–35). Wenn man jedoch gehofft haben sollte, damit der Kritik der großen Staaten, vor allem aus Preußen, den Boden entzogen zu haben, dann war dies ein Irrtum. Und dafür hatte auch schon die Reichsregierung selber gesorgt, indem sie dem Entwurf II eine Denkschrift von Hugo Preuß beigab, die das Datum des 3. Januar trug und sich auch auf diesen Entwurf I bezog. In einer mehr wissenschaftlichen als politischen Abhandlung gab Preuß erneut einen Abriß seiner historischen Anschauungen über die Fehlentwicklung Deutschlands im 19. Jahrhundert. Sehr gelehrt wurden die politischen Systeme Frankreichs und der USA untersucht und begründet, warum Deutschland bei seinen politischen Institutionen einen Mittelweg zwischen beiden einschlagen solle. Der brisanteste Satz der Denkschrift war aber rein politisch: (D)er Fortbestand einer einheitlichen Republik von 40’000’000 Einwohnern innerhalb einer von ihr organisatorisch getrennten Republik von zusammen 70’000’000 Einwohnern ist schlechthin eine staatsrechtliche, politische und wirtschaftliche Unmöglichkeit. ... (E)s ist
95 Abgedruckt bei H. Triepel, Quellensammlung, 3. Aufl., Nr. 10. Vgl. E.R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte V, 1181.
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unmöglich, die Einheitlichkeit der Spitze des Reichs und Preußens wiederherzustellen, ohne in allem Wesentlichen wieder in jenen alten Zustand zurückzufallen, von dem uns die Revolution befreit hat. Ein Einzelstaat aber, der 4/7 der Fläche des gesamten Reichs umfaßt, ist nur als Hegemoniestaat möglich. Ist die preußische Hegemonie in Deutschland unmöglich geworden, so ist damit auch ein einheitliches Preußen in Deutschland unmöglich geworden.96
Es ist nicht ganz klar, warum dieser Satz stehen geblieben war, nachdem der § 29 entfallen war, oder warum § 29 aus dem Entwurf I gestrichen wurde, wenn die Denkschrift unverändert blieb. Wie dem auch sei, die schlimmsten Befürchtungen der Anhänger Preußens waren bestätigt. In wütenden Reaktionen wurde jedes erdenkliche Wortspiel zwischen dem Namen Hugo Preuß und Preußen prompt zu Papier gebracht, und in den Blättern der Rechten wurde auch nie der Hinweis vergessen, daß es sich bei Hugo Preuß um einen Juden handele. Aber es waren nicht nur die Anhänger des alten Preußen, die sich zur Verteidigung berufen sahen. Auch in liberalen und sozialdemokratischen Kreisen stieß der Neugliederungsplan nicht auf ungeteilte Zustimmung97. Und schon gar nicht bei der preußischen Revolutionsregierung. Es half, daß es einen direkten Draht von der preußischen „Doppelspitze“, den gleichberechtigten Ministerpräsidenten Paul Hirsch (SPD) und Heinrich Ströbel (USPD) zu Ebert und Haase gab, und daß sich die militärischen Stellen von Anfang an für die unveränderte territoriale Integrität Preußens aussprachen. Auf diesen Kanälen und auf einigen weiteren arbeiteten die preußischen Stellen, um Preußen als nunmehr demokratischen Staat und losgelöst von der bislang bestehenden organisatorischen Verbindung mit der Reichsspitze bestehen zu lassen98. Horst Möller hat treffend darauf hingewiesen, daß die Zeit dabei für Preußen arbeitete. Je längere Zeit Anfang 1919 verging, desto schwieriger wurde es, dem wachsenden Gewicht des demokratischen Preußen mit Auflösungsplänen entgegenzutreten. Wahrscheinlich bestand die einzige Chance, diesen Teil des Planes von Preuß durchzuführen, unmittelbar nach der Revolution, vielleicht sogar nur in den ersten Tagen nach der Umwälzung im Reich, als das alte preußische Kabinett vom Oktober noch drei Tage länger Bestand hatte 96 „Denkschrift zum Entwurf des allgemeinen Teils der Reichsverfassung vom 3. Januar 1919“, in: „Staat, Recht und Freiheit“, 368–394, hier 374f. Erstmals wurde die Denkschrift am 20.1. im Reichsanzeiger veröffentlicht. 97 Siehe etwa „‚Ueberflüssige Beunruhigung?‘“, DTZ, Nr. 40 (22.1.’19); „Herr Preuß und sein Mandat“, DTZ, Nr. 52 (29.1.’19), „Was wird aus Preußen?“, BLA, Nr. 30 (24.1.’19); „Der Preußische Verfassungsentwurf“, Die Post, Nr. 37 (21.1.’19) M, wo SPD und DDP als die Totengräber Deutschlands bezeichnet werden; „Der Mordanschlag auf Preußen“, DZ, Nr. 27 (21.1.’19) M, wo die Rede ist von einem „Vorgang ohnegleichen, so scham-, gewissen- und ehrlos, so voll hämischer Niedertracht gegen das Preußentum“. Nichtpreußen und Juden wollten Preußen zerschlagen. Mit den Angriffen gegen Preuß aus den eigenen Reihen wird sich das nächste Kapitel befassen. 98 Zu diesen Aktivitäten siehe Horst Möller, Preußen von 1918 bis 1947: Weimarer Republik, Preußen und der Nationalsozialismus, in: W. Neugebauer (Hrsg.), Handbuch der preußischen Geschichte III, 149–316, hier 193ff.; und Enno Eimers, Das Verhältnis von Preußen und Reich in den ersten Jahren der Weimarer Republik (1918–1923), Berlin 1969, 37ff.
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als die Reichsregierung unter Prinz Max99. Aber im November und Dezember hatten die Volksbeauftragten andere Sorgen und waren möglicherweise sogar froh, daß ihnen ein Teil dieser Sorgen von einem funktionierenden preußischen Staatsministerium abgenommen wurden. Hirsch und Ströbel überließen jedenfalls nichts dem Zufall, und in den ersten nachrevolutionären Monaten konnten sie auch unmöglich wissen, ob ihr Staat unbeschadet bleiben würde. Schon am 16. Dezember hatte Preußen verlangt, zu den Verfassungsberatungen hinzugezogen zu werden – die Expertengespräche hatten anscheinend große und nicht ganz unberechtigte Besorgnis ausgelöst. Hugo Preuß antwortete am 24. Dezember, daß „(d)ie Beteiligung der Preußischen Regierung an den schwebenden Verfassungsverhandlungen ... stattfinden [werde], sobald die Erwägungen über den Verfassungsentwurf sich zu Entschlüssen oder Vorschlägen verdichtet haben“100. Das reichte der preußischen Regierung bei weitem nicht, denn man wollte nicht nur den fertigen Entwurf nachträglich korrigieren und kritisieren, sondern von Anfang an mitgestalten. Auf diesem Ohr blieb Hugo Preuß jedoch taub, und das änderte sich zunächst auch nicht, als nach und nach auch die anderen Staaten immer intensiver eine Beteiligung an den Vorgesprächen verlangten101. Am 24. Dezember verlangte die Regierung Württembergs, auch im Namen Bayerns, Badens, Hessens und Sachsens die Beteiligung der Bundesstaaten an der Gesetzgebung102. Die Volksbeauftragten übermittelten dieses Schreiben den wichtigsten Ministerien am 3. Januar mit der Bitte um „schleunigste Stellungnahme“, und vier Tage später antwortete Preuß staatsrechtlich korrekt, aber auch mit trockenem Humor, daß angesichts der Gleichberechtigung von Bundesrat und Reichstag nach dem revolutionsbedingten Ausscheiden des letzteren auch ersterer nicht mehr agieren könne103. Im Grunde war die Antwort irrelevant, den Staaten ging es ja nicht um die Wiederbelebung der alten Institutionen, sondern um eine Mitbeteiligung an der Gestaltung der neuen. Es ist kaum vorstellbar, daß Preuß dies entgangen sein sollte. Vorsichtiger antwortete Brockdorff-Rantzau am 23. Januar, was zugleich ein Vorgeschmack darauf war, welchen Zeitrahmen der Außenminister auch in Versailles noch als ‚schleunigst‘ empfand: eine Entscheidung gegen den Willen der süddeutschen Staaten allein durch die souveräne Nationalversammlung bringe die Gefahr des Reichszerfalls mit sich. 99 Vgl. Hagen Schulze, Otto Braun oder Preußens demokratische Sendung. Eine Biographie, Frankfurt a.M., Berlin und Wien 1977, 224f. 100 Die Schreiben sind im BAB, 07.01 Reichskanzlei, Film Nr. 13269, Bl. 23–24; und im GStAPK, Rep. 90 Preußisches Staatsministerium, Nr. 300, Bl. 3–5. 101 BAB 07.01 Reichskanzlei, Film Nr. 13269, enthält den ganzen Schriftwechsel hierzu. 102 Ebd., Bl. 25–26. Zu ihrer Politik siehe Wolfgang Benz, Süddeutschland in der Weimarer Republik. Ein Beitrag zur deutschen Innenpolitik 1918–1923, Berlin 1970. 103 Das Schreiben der Volksbeauftragten ebd., Bl. 29–34; die Antwort Preuß’ vom 7.1. Bl. 35–36: „Mit Rücksicht darauf, daß nach der Reichsverfassung Bundesrat und Reichstag gleichberechtigte gesetzgebende Körperschaften sind und der Reichstag durch die Revolution beiseite geschoben worden ist, scheint es mir nicht möglich zu sein, dem Bundesrat irgend welche Befugnisse auf gesetzgeberischem Gebiet einzuräumen.“
9.2 Die Berufung zum Staatssekretär
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Inzwischen war die preußische Regierung des Wartens müde und wandte sich am 24. Januar mit einem energischen Rundschreiben an die Leidensgenossen: In der Sitzung vom 17. d.M. hat das Preußische Staatsministerium beschlossen, bei der Reichsregierung entschiedenen Einspruch dagegen zu erheben, daß die Ausarbeitung des Entwurfs zu einer neuen Reichsverfassung im Reichsamt des Innern zu erfolgen scheine, ohne daß – trotz wiederholter schriftlicher und mündlicher Vorstellungen ... – die Preußische Regierung an der Beratung beteiligt wurde. Es wurde gleichzeitig beschlossen, die Reichsregierung zu ersuchen, das bisher Unterlassene schnellstens nachzuholen und eine Beteiligung der Bundesregierungen nicht etwa erst dann ins Auge zu fassen, wenn der Entwurf, wenn auch nur vorläufig, abgeschlossen vorläge. Bevor dieser Einspruch erfolgen konnte, ging der fertige Entwurf von seiten des Herrn Staatssekretärs des Reichsamts des Innern hier ein. Fast gleichzeitig damit ist der Entwurf der Öffentlichkeit übergeben worden. ... Der Entwurf enthält, wie nicht anders möglich, eine Anzahl Bestimmungen, die für die Geschicke der deutschen Bundesstaaten von der einschneidensten Bedeutung sein müssen. Es hätte deshalb erwartet werden können, daß die Bundesregierungen schon in einem Stadium der Vorberatung, nicht aber in einem so vorgerückten Stande beteiligt würden, in welchem es naturgemäß weit schwieriger ist, eine abweichende Meinung zur Geltung zu bringen. Vor allen Dingen wäre es alsdann möglich gewesen, zu der einen oder anderen vom Standpunkt der Bundesstaaten aus bedenklichen Bestimmung Stellung zu nehmen, ohne die Öffentlichkeit damit zu befassen und die an sich schon erregte öffentliche Meinung auch hierdurch noch weiter beunruhigen zu müssen. Dies wird sich jetzt leider nicht mehr vermeiden lassen.104
Die Indignation spricht aus jeder Zeile. Nun hatte Preuß inzwischen, am 17. Januar, die Regierungen bereits eingeladen, auf einer Länderkonferenz am 25. Januar ihre Ansichten zum Entwurf darzulegen. Aber das war kein Ersatz für die eigentlich gewünschte Beteiligung, und zudem hatte Preuß seiner Einladung beigefügt, daß es sich bei der Besprechung um eine „unverbindliche Aussprache“ handeln solle. Man wird sich mühelos die Meinung des preußischen Beamten oder Politikers denken können, der auf dem im Archiv vorhandenen Exemplar handschriftlich die Unterstreichung anbrachte und an den Rand ein Ausrufezeichen setzte105. Trotzdem konnten die Regierungen, allen voran wieder die preußische, einen Monat später mit dem Ergebnis ihrer Einflußnahme zufrieden sein. Auf der Besprechung vom 25. Januar wurde die Einsetzung eines Staatenausschusses beschlossen, der in den kommenden Wochen ganze Arbeit leistete und der Reichsregierung ein gewichtiges Zugeständnis nach dem anderen abtrotzte. Bereits am 25. Januar war die Kritik am Entwurf II fast einhellig gewesen. Der bayerische Ministerpräsident Eisner brachte es am pointiertesten zum Ausdruck: 104 Eine Abschrift hiervon findet sich im SAHH, Bestand 132-1 II, I.A.1a.1, Bd. 1, Bl. 5. Zur Auseinandersetzung der Preußischen Regierung mit Reichinnenminister Preuß siehe E. Eimers, Das Verhältnis von Preußen und Reich, 66ff. 105 Das Exemplar, das das Blut des Lesers in Wallung brachte, findet sich im GStAPK, Rep. 151 HB Nr. 564, Bd. 1, nicht fol. Die Einladung auch im GStAPK, Rep. 90, Preußisches Staatsministerium, Nr. 300, Bl. 25; GStAPK, Rep. 84a, Preußisches Justizministerium, Nr. 6239, Bl. 75–76; SAHH, Bestnd 132-1 II, I.A.1a.1, Bd. 1, Bl. 1.
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9. Das Verfassungswerk von Weimar Dieser Entwurf bedeutet die Existenzunmöglichkeit der Einzelstaaten. Er nimmt ihnen nicht nur die politische Kraft, sondern auch die wirtschaftliche Lebensfähigkeit, deshalb lehnen wir Bayern diesen Entwurf von Haus aus ab. Wir halten ihn nicht einmal für diskutabel. Grundsätzlich sagen wir: wir wollen nicht zentralisiert sein, wir wollen die Lebensmöglichkeit haben. Ich begreife nicht ganz Herrn Preuß, der doch ein begeisterter Anhänger der Selbstverwaltung ist, daß er die Selbstverwaltung aufheben will, anstatt sie zu verstärken. Jede einzelne Kompetenzerweiterung des Reichs bedeutet ebensoviele Existensschwächungen der Gliedstaaten. ... Ich warne Sie. Wenn Sie mit diesem Verfassungsentwurf vor die Nationalversammlung kommen, erregen Sie Aufstandsstimmung.106
Als nach langen Beratungen am 17. Februar der „Entwurf III“ entstand, der in der endgültigen Fassung der 2. Lesung im Staatenausschuß am 21. Februar als „Entwurf IV“ soweit war, daß er der Nationalversammlung vorgelegt werden konnte, war man in der Tat nicht weit von der durch Eisner beschworenen Aufstandsstimmung entfernt – aber wegen der unübersehbaren föderalistischen Zugeständnisse. Über den Gang der Beratungen berichtete der Friedrich Sthamer, der seit 1904 dem Hamburger Senat angehörte und der daher den Vergleich mit dem Bundesrat des Bismarck-Reiches ziehen konnte, mit einer Mischung aus Amüsement und Erleichterung nach Hause: Der Gesamteindruck war zunächst überraschend. Es war, als wenn nicht ein neuer StaatenAusschuß tagte, sondern der alte Bundesrat mit seinen engherzigen, altgewohnten partikularistischen Strömungen und Auffassungen. Nichts gelernt und nichts vergessen, konnte man vielfach bei den ersten Beratungen sagen, bei denen die süddeutschen Sonderrechte die überragende Rolle spielten. Bayern ging zuweilen bis an die äußerste Grenze des Möglichen, indem es nicht nur eine Abstimmung über Reservatrechte ablehnte, sondern bei Militär-, Post-, Telegraphen-, Bier- und Branntwein-Fragen kurzweg, fast im trotzigen Ton erklärte, wenn seinen Forderungen nicht entsprochen werde, mache es nicht mehr mit. Wobei allerdings unklar blieb, was Bayern solchenfalls tun wolle. Interessant war es zu sehen, daß der Partikularismus trotz Revolution sofort auch die sozialistischen Minister aller Bundesstaaten erfaßt hatte und von ihnen gelegentlich ... fast in schärferer Form vertreten wurde, als früher durch die alten Regierungen.107
106 „Aufzeichnung über die Besprechungen im Reichsamt des Innern vom 25. Januar 1919 über den der verfassunggebenden deutschen Nationalversammlung vorzulegenden Verfassungsentwurf“, 12. Ich habe das Exemplar im BAK, R 43 I, Bd. 1863, 65–100, benutzt. 107 Das Schreiben Sthamers an den Hamburger Bürgermeister (seit 1901) Max Predöhl vom 26.2. ist im SAHH, Bestand 132-1 II, I.A.1a.1, Bd. 1, Bl. 17. Ebd. auch eine aufschlußreiche Charakteristik Sthamers über Preuß als Vorsitzender der Beratungen: „Dieser erwies sich dabei als kluger, kenntnisreicher Jurist, der innerlich wohl reiner Unitarier sein dürfte, der aber aus politischen wie Opportunitäts-Gründen dem Entwurf den Charakter einer Föderativ-Verfassung jedoch mit starker Zentralisation gegeben hatte. Seine Neigung, zentralistisch auszubauen trat im Laufe der Verhandlungen wiederholt hervor. Andererseits machte sich bei ihm die Schwäche bemerkbar, daß er Effekthaschereien liebte, die in einem Kollegium wie dem alten Bundesrat wenig am Platze waren und mißbilligende Kritik hervorriefen. Auch sonst begegnete seine Persönlichkeit, die den rassereinen Juden nicht verleugnen konnte, vielfach einer gewissen Abwehr. Anzuerkennen waren aber seine intime Kenntnis aller Einzelfragen juristischer wie historischer Art, seine große Gewandtheit und sichere Dialektik, seine Ausdauer und sein Fleiß wie
9.3 Die Verfassungsberatungen in der Nationalversammlung
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Die Vertreter der Staaten hatten sich einen Anteil an der Außenpolitik gesichert, die Neugliederung des Reichsgebietes konnte nicht mehr gegen ihren Willen durchgeführt werden, die Aufteilung Preußens tauchte nicht mehr auf, und aus dem Staatenhaus war ein altvertrauter Reichsrat geworden, dessen Einspruch nur mit verfassungsändernder Mehrheit oder durch Volksentscheid zu überwinden war108. Dies war auch nicht annähernd mehr die Verfassungsordnung, die Hugo Preuß ursprünglich angestrebt hatte. Die Reichsregierung hatte den einzelnen Staaten weitgehende Zugeständnisse gemacht, das letzte Wort sollte damit aber noch nicht gesprochen sein. Schon gegen Ende der Beratungen mit den Staatenvertretern hatte man sich schlicht geweigert, die Änderungswünsche, die man zwar in den Entwurf allesamt hineinschrieb, nun auch allesamt vor der Nationalversammlung zu vertreten. Und auch die Einführungsrede von Hugo Preuß, mit der dieser am 24. Februar den vorgelegten Entwurf begründete, drückte recht unverhohlen die Hoffnung aus, daß das Parlament einige der föderativen Exzesse wieder beseitigen werde109. Die Einzelstaaten hatten ihre Einflußmöglichkeiten zwischen dem 25. Januar und dem 21. Februar gehabt, und sie hatten sie gut genutzt. Ab dem 24. Februar aber lag die politische Entscheidung allein in den Händen der Nationalversammlung. 9.3 Die Verfassungsberatungen in der Nationalversammlung Die erste Hälfte des Jahres 1919 bis zum Abschluß der Weimarer Verfassungsberatungen ist sicherlich die mit weitem Abstand bestuntersuchte Phase im Leben von Hugo Preuß110. In allen Abhandlungen über die Entstehung der Weimarer Reichsverfassung wird natürlich auch der Anteil Preuß’ an dem weiteren Schicksal seines Entwurfs beleuchtet111. Es kann daher hier nicht darum gehen, diesen detaillierten
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seine gerechte Leitung der Verhandlung. Neben ihm wurde die Vorlage von dem Unterstaatssekretär Lewald vertreten, dem insbesondere die Fragen verwaltungstechnischer Art zufielen, der aber neben dem Vorsitzenden in jeder Beziehung nur eine zweite Rolle spielte.“ Sthamer wurde 1920 selbst kurzzeitig Bürgermeister von Hamburg, bevor er im gleichen Jahr für zehn Jahre als Botschafter nach London ging. Vgl. zu diesen Verhandlungen ebd., Bl. 12, ein Schreiben Senator Schäfers an Bürgermeister Predöhl vom 19.2. Die Aufzeichnungen über die Beratungen zwischen dem 26.1. und 21.2. finden sich im BAK, R 43 I, Bd. 1863, 193–216, 217–227, 229–240, 241–294, 297–340 u. 341–348. Zum Resultat der Beratungen vgl. E.R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte V, 1183f. Die Rede ist wieder abgedruckt als „Begründung des Entwurfs einer Verfassung für das Deutsche Reich“, in: Staat, Recht und Freiheit, 394–421. J. Mauersberg, Ideen und Konzeption Hugo Preuß’; D. Lehnert, Verfassungsdemokratie als Bürgergenossenschaft, 285ff. und passim; zuletzt Jörg-Detlef Kühne, Demokratisches Denken in der Weimarer Verfassungsdiskussion – Hugo Preuß und die Nationalversammlung, in: Ch. Gusy (Hrsg.), Demokratisches Denken in der Weimarer Republik, 115–133. Besonders intensiv G. Schulz, Zwischen Demokratie und Diktatur I, 114ff.; Ernst Portner, Die Verfassungspolitik der Liberalen – 1919 –. Ein Beitrag zur Deutung der Weimarer Reichsverfassung, Bonn 1973; L. Albertin, Liberalismus und Demokratie, 265ff.sowie, im Kontrast zu Weber, W. J. Mommsen, Max Weber und die deutsche Politik, 305–405.
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9. Das Verfassungswerk von Weimar
Betrachtungen eine weitere an die Seite zu stellen. Lediglich anhand einiger neuralgischer Punkte soll die Frage aufgeworfen werden, inwieweit sich die ursprüngliche Konzeptionen Preuß, ob in ihrer originalen Form oder in der verwässerten Fassung des Entwurfs IV, aufrecht erhalten ließen oder inwieweit es die Parteien der Nationalversammlung verstanden, der Verfassung ihren Stempel aufzudrücken. Es sind vor allem vier Problemfelder, die man paradigmatisch hervorheben kann, weil sie zugleich für die Verfassungsideen von Preuß, für ihr durchaus unterschiedliches Schicksal in der Nationalversammlung und für die Positionen der Parteien typische Punkte beleuchten. Dabei handelt es sich erstens um die Debatte um den Föderalismus und das „Problem Preußen“, zweitens um die Rolle des Rätegedankens in der liberalen Verfassung, drittens um die Ausgestaltung der obersten Reichsbehörden und viertens um die Grundrechte. Das erste und das dritte Problemfeld haben eher staatorganisatorischen, das zweite und vierte normativen Charakter, obwohl die Grenzen hier fließend sind. Das Fortbestehen Preußens hatte für viele Politiker einen eminent normativen Charakter, wie umgekehrt der Versuch unternommen wurde, den Rätegedanken auch als Verfassungsorgan zur Geltung zu bringen. Bei der Betrachtung der Verfassungsberatungen ist zu berücksichtigen, daß die Nationalversammlung zwei gleichgewichtige und gleich schwierige Aufgaben zu lösen hatte; neben der Verfassunggebung noch die formale Beendigung des Krieges durch einen Frieden mit der Entente. Diese zweite Aufgabe verdrängte spätestens ab dem Mai, nach der Übergabe der Friedensbedingungen, fast alle weiteren Überlegungen. Die 38. Sitzung der Nationalversammlung findet am 15. April statt, die 39. Sitzung am 12. Mai in der Form einer feierlichen Protestkundgebung gegen den Versailler Frieden, und die 40. Sitzung am 22. Juni bringt die Regierungserklärung der neuen Regierung Bauer. Dazwischen liegen hektische Wochen, der Rücktritt des Kabinetts Scheidemann und die Einsicht, daß Deutschland sogar diesen Frieden unterzeichnen müsse. Verfassungsberatungen kamen darüber zu kurz, mit dem Resultat, daß man sich nun geradezu überstürzen mußte – ein Zeitdruck, der zwar die Bereitschaft zu Kompromissen steigerte, der aber einer sorgfältigen Verfassungsredaktion mehr als hinderlich war112. Die Begründung der Verfassung und die Generaldebatte hatte in der 14. Sitzung am 24. Februar begonnen. Vom 15. April bis zum 22. Juni gab es, wie gesagt, nur drei Sitzungen im Plenum, aber danach überstürzten sich die Beratungen. Am 2. Juli begann in der 44. Sitzung die 2. Lesung im Plenum, am 29. Juli in der 69. Sitzung die 3. Lesung. Zwei Tage später
112 Die Eintragung im Tagebuch Koch (BAK, NL Koch-Weser, Nr. 16, Bl. 15) lautet am 6.6.: „Verfassungsberatung unter der Hetzpeitsche. Überstürzt arbeiten wir hier ohne vorherige Vorbereitung mit ungedruckten Anträgen auf den wichtigsten Gebieten, den Schlußtermin vor Augen.“
9.3 Die Verfassungsberatungen in der Nationalversammlung
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wurde die Verfassung verabschiedet – die Nationalversammlung war aus den Tagungen gar nicht mehr herausgekommen113. Die lange Tagungspause war aber kein Zeichen der Untätigkeit. Vom 4. März bis zum 18. Juni tagte unermüdlich der Verfassungsausschuß, dessen Protokolle gesondert veröffentlicht wurden und die mindestens ebenso aufschlußreich für die Entstehungsgeschichte sind wie die Plenumsberatungen. Demgegenüber sind die Protokolle des Kabinetts Scheidemann wenig hilfreich; überraschenderweise kommt in ihnen die Verfassung so gut wie nicht vor114. Vielleicht sind diese Erörterungen, ähnlich wie brisante Diskussionen über die Friedensverhandlungen, wenigstens zu Teil bewußt nicht protokolliert worden. Hugo Preuß begleitete den ganzen Prozeß der Verfassungsberatung, zunächst als Reichsminister des Inneren, nach dem Ausscheiden der Demokraten aus der Regierung wegen der Unterzeichnung des Versailler Vertrages als Reichskommissar und Vertreter des Reichsministeriums im Range eines Reichministers, ohne weiterhin formal der Regierung anzugehören115. Die Regierungsbildung im Februar war nicht einfach gewesen116. Erich Koch, später selbst Reichsinnenminister, 113 Bereits die Begründung der Verfassung hatte Hugo Preuß lediglich mündlich vorgenommen; für eine schriftliche Begründung hatte die Zeit gefehlt („Verhandlungen der verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, Bd. 326–343. Stenographische Berichte und Anlagen“, Berlin 1920, hier 326. Bd., 284). Auch zur 2. Lesung konnte der Vorsitzende des Verfassungsausschusses Haußmann lediglich mit einem mündlichen Bericht vor das Plenum treten, da der Zeitdruck eine schriftliche Begründung verhindert habe (ebd., 327. Bd., 1201). Der Bericht des Verfassungsausschusses ist als Drucksache Nr. 391 in den Anlagen im 336. Bd. veröffentlicht worden. In der 3. Lesung dankten Preuß’ Parteifreund Haußmann, der Zentrumsabgeordnete Spahn und der Sozialdemokrat Katzenstein Hugo Preuß, ohne dessen Hilfe der Zeitplan nicht einzuhalten gewesen wäre (ebd., 328. Bd., 2074, 2077 u. 2081). Neben den amtlichen Stenographischen Berichten habe ich herangezogen Eduard Heilfron (Hrsg.), Die Deutsche Nationalversammlung im Jahre 1919[9. Bd.: 1920] in ihrer Arbeit für den Aufbau des neuen deutschen Volksstaates, 9 Bde., Berlin o.J. (1919 und 1920). 114 Vgl. Hagen Schulze (Hrsg.), Das Kabinett Scheidemann. 13. Februar bis 20. Juni 1919, Boppard am Rhein 1971; gleiches gilt für Anton Golecki (Hrsg.), Das Kabinett Bauer. 21. Juni 1919 bis 27. März 1920, Boppard am Rhein 1980. Der Verfassungsausschuß tagte unter dem Vorsitz des Demokraten Haußmann, seine Stellvertreter waren Spahn (Z) und Quarck (MSPD). Vgl. hierzu E.R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte V, 1190f. 115 Zu diesem Vorgang vgl. BAK, R 43 I, Bd. 913, Bl. 4, 5, 10–13, 22. Als Reichskommissar erhielt Preuß weiterhin auch das Gehalt eines Reichsministers. Allerdings brachte die Auszahlung Verzögerungen mit sich. Am 12.9., am 29.9. und am 23.10. (Bl. 11–13) fragte das Büro des Reichskanzlers im Reichsinnenministerium an, wann endlich die Vergütung erfolgen werde. Der Ton der Anfragen „(i)n höherem Auftrage“ (Bl. 11) – womit wohl nur der Reichspräsident gemeint sein kann – wurde schärfer. Erst am 6.11. konnte die befriedigende Antwort erfolgen, daß das Finanzministerium die Mittel bereit gestellt habe. 116 Zur Regierungsbildung siehe Susanne Miller, Die Bürde der Macht. Die deutsche Sozialdemokratie 1918–1920, Düsseldorf 1978, 243ff.; und v.a. Ludwig Richter, Der Reichspräsident bestimmt die Politik und der Reichskanzler deckt sie: Friedrich Ebert und die Bildung der Weimarer Koalition, in: Eberhard Kolb (Hrsg.), Friedrich Ebert als Reichspräsident. Amtsführung und Amtsverständnis, München 1997, 17–59 (zu Preuß: 39). Der Titel des Aufsatzes ist ein Satz von Ebert; vgl. Ph. Scheidemann, Memoiren eines Sozialdemokraten II, 355.
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9. Das Verfassungswerk von Weimar
beklagte sich in seinem Tagebuch, das zu den wichtigsten Quellen dieser Zeit gehört, daß zu hastig vorgegangen wurde; die Regierung sei keine „wirkliche“ Regierung, sondern ein schwacher Ausschuß der Parteien. Die Fraktionen besetzten die ihnen zukommenden Stellen autonom, was auch die Position des in der von ihm mitbegründeten DDP nicht eben unumstrittenen Preuß erschwerte. Koch schreibt: Umgekehrt mußte die Fraktion durch Stimmzettel darüber entscheiden, ob sie den Minister Preuß im Reichsamt des Innern belassen wollte, was mit einer schwachen Mehrheit bejaht wurde, obwohl nicht nur die Föderalisten gegen ihn waren, sondern auch alle diejenigen, die seine persönliche Ungeschicklichkeit und Arroganz in der Führung von Verhandlungen kannten. Ein Ministerpräsident, der ein Kabinett bildet, würde der Demokratischen Fraktion diese Schwierigkeiten wohl erspart haben.117
Die Langwierigkeit der Regierungsbildung und das zähe Verhandeln der Fraktionen um einzelne Positionen fand ein kritisches Presseecho, gerade auch in der demokratischen Presse118. Die noch ungewohnten Usancen parlamentarischer Regierungsbildung stießen gleichfalls auf wenig Verständnis bei den liberalen Blättern, die sich durchweg gewünscht hätten, daß eine starke Persönlichkeit an der Spitze der Regierung seine Mitarbeiter ausgesucht und nicht einfach von den Fraktionen präsentiert bekommen hätte. So war das neue Kabinett „eigentlich nichts weiter als der alte interfraktionelle Ausschuß der Reichstagsmehrheit, nur daß die Mitglieder dieses Gremiums gleichzeitig Portefeuilles übernommen haben“119. Neben die Unzufriedenheit über Dauer und Procedere der Auswahl trat die Unzufriedenheit oder doch nur laue Zufriedenheit mit dem Resultat. Scheidemann, so befand die Frankfurter Zeitung, sein kein großer Staatsmann, er sei ohne Entschiedenheit. Alle Minister „sind tüchtige Leute, ohne daß man sich verhehlen könnte, daß zu wünschen übrig bleibt“. Das galt auch für Hugo Preuß: Auch Herr Dr. Preuß bleibt Minister des Innern, der die Verfassungsarbeit zu fördern hat, ein ja uns schon sehr bekannter Mann, mit bedeutendem Wissen, der sich selber zu schätzen weiß, aber leider nicht mit einer ebenso großen Neigung, Energie an das Werk zu setzen.120
Es war wohl nur die Unentbehrlichkeit Preuß’ als Verfassungsexperte, die seine Partei an ihm festhalten ließ. Alles in allem hatte die DDP nicht das Gefühl, in den 117 BAK, NL Koch-Weser, Nr. 186, Aufzeichnung Weimar 13.2., 26. Die Arbeitspläne der Demokraten und Sozialdemokraten zur Bildung der Reichsregierung finden sich im BAK, NL Payer, Nr. 12, Bl. 148–149, Bl. 150–153 u. Bl. 154–158. 118 Z. B. [E. Dombrowski,] Die Beratungen der Fraktionen, BT, Nr. 60 (9.1.’19) M; „Eine Ministerliste“, ebd.; und Th. Wolff, Leitartikel, ebd., Nr. 61 (10.2.’19) M, der den Streit der Fraktionen „nicht gerade erbaulich“ nennt. 119 E. Dombrowski, Das neue Reichskabinett, BT, Nr. 67 (13.2.’19). Ähnlich kritisch der Leitartikel der FZ, Nr. 122 (14.2.’19) A: „Die Regierung soll Regierung sein und nicht ein interfraktioneller Ausschuß der Mehrheitsparteien, deshalb muß der Ministerpräsident sich selbst seine Mitarbeiter nach sachlicher und persönlicher Eignung auswählen können, nicht gebunden an die gebieterische Präsentation der Fraktionen, die zu einer ernsthaften Auswahl nicht geeignet sind.“ 120 „Die neue Regierung des Deutschen Reiches“, FZ, Nr. 119 (13.2.’19) A.
9.3 Die Verfassungsberatungen in der Nationalversammlung
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Verhandlungen mit ihren Koalitionspartnern gut abgeschnitten zu haben; ihren ungeliebten Minister hatte sie behalten, aber die angestrebten Positionen konnte sie nicht besetzen. In den Fraktionsberatungen am 8. Februar121 hatte man noch verlangt, daß sich die Sozialdemokraten mit dem Posten des Ministerpräsidenten begnügen sollten. Wenn sie auch das Amt des Reichspräsidenten fordern würden, sollte zumindest der Präsident der Nationalversammlung ein DDP-Politiker sein. Daraus wurde nichts. Mit Ebert, Scheidemann und David belegten die Sozialdemokraten alle drei Präsidentenstühle, und als Eduard David nach wenigen Tagen in die Regierung einzog, wurde sein Nachfolger Konstantin Fehrenbach vom Zentrum – ein Mißerfolg auf ganzer Linie für die DDP. Wenigstens den Vorsitz im wichtigen Verfassungsausschuß konnte sie mit einem der ihren, Conrad Haussmann, besetzen. Am 6. Februar wurde die Eröffnungssitzung von Friedrich Ebert eingeleitet. Er sprach von der jetzt errungenen Freiheit, dem Friedensschluß, der baldigen Vereinigung mit Österreich und dem zu leistenden Aufbau. Nach ihm betonte als Alterspräsident der SPD-Veteran Wilhelm Pfannkuch wenn möglich noch pointierter die Volksfreiheit und die alleinige Souveränität der Nationalversammlung. Eröffnungssitzungen können im Lichte späterer Ereignisse symptomatisch für den ganzen Verlauf der Beratungen sein. In Frankfurt hatte man 1848 bereits in der ersten Zusammenkunft viel Zeit mit hitzigen Debatten darüber verbracht, ob und wie man einem Gruß des alten Bundestages antworten sollte. In Weimar verzeichnet das Protokoll nach exakt 58 Worten Eberts den ersten „lebhaften Widerspruch rechts“. Die Frankfurter Beratungen verzettelten sich auch weiterhin in nicht immer wichtigen Details, die Weimarer Debatten wurden von der grundsätzlichen Ablehnung durch rechts und links überschattet. Entsprechend gemischt war auch schon das Echo auf die Reden von Ebert und Pfannkuch122. Doch die prinzipiellen Gegner zur Republik von rechts (DNVP, DVP) und links (USPD) machten zusammen nicht mehr als ein Viertel der Abgeordneten der Nationalversammlung aus und mußten sich damit begnügen, im Hause und in ihrer Parteipresse die grundlegende Ablehnung der Weimarer Beratungen zum Ausdruck zu bringen, ohne sie behindern zu können123. 121 BAK, NL Payer, Bl. 140 u. Bl. 141. Zur DDP-Fraktion in Weimar siehe auch L. Albertin, Lieberalismus und Demokratie, 145ff. und 265ff. 122 „Sten. Ber.“, 326. Bd., 1ff. Wohlwollend besprochen wurde die Rede Eberts im BT („Eberts Eröffnungsrede in Weimar“, Nr. 56 [7.2.’19] M), während die DAZ („Die Eröffnung der Nationalversammlung“, Nr. 63 [7.2.’19] M) Ebert mit eher spärlichem Lob bedachte, dafür aber über Pfannkuch schrieb: „Vorsichtig und sachlich waren seine Worte, ernst und eindringlich.“ Keine Gnade fanden die Redner in der KZ („Politische Tagesübersicht“, Nr. 61 [7.2.’19] A), die ihnen vorhielt, „sich im Ton gründlich vergriffen“ und die Eröffnung „zu scharfer Parteipolemik mißbraucht“ zu haben. 123 Mit unterschiedlicher Zielrichtung herrschte doch in der Ablehnung Einigkeit unter den Organen von DNVP, USPD und KPD; vgl. etwa „Weimar“, RF, Nr. 20 (6.2.’19); J. Herzfeld, Die künftige Reichsverfassung, Freiheit, Nr. 42 (24.1.’19), „Zwischen Rechts und Links“, KZ, Nr. 70 (12.2.’19) A. Hier heißt es offen: „Nur die Not des Vaterlandes veranlaßt uns, bei dieser Regierung mitzuarbeiten. Nicht nur in ‚Einzelfragen‘ gehen ... unsere Anschauungen auseinander. Wir lehnen diese junge Republik ab. Nicht aus zwingender Notwendigkeit ist sie geboren, wie uns demokratischen Blätter alltäglich weismachen wollen: auf Verrat, Bestechlichkeit
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9. Das Verfassungswerk von Weimar
Sticheleien und Ausfälle befriedigten vielleicht die eigenen Anhänger, hatten aber (noch) keine weitere Wirkung124. Die drei Verfassungsparteien der Weimarer Koalition, MSPD, Zentrum und DDP, stellten mit drei Viertel der Wählerstimmen eine überwältigende Mehrheit des Hauses. Zunächst siegte die Einsicht in die Notwendigkeit raschen Handelns. Am 8. Februar begründete Hugo Preuß den Entwurf einer vorläufigen Reichsverfassung, die bereits am 10. Februar mit großer Mehrheit verabschiedet wurde. Über die Reihen der Weimarer Koalition hinaus hatten auch DVP und DNVP zugestimmt125. Deutschland hatte damit wieder eine legitime, nichtrevolutionäre Rechtsordnung und eine gewählte Regierung126. Auch die Jungfernrede von Hugo Preuß wurde freundlich aufgenommen. Das Lob der reaktionären „Kreuzzeitung“, seine Rede stehe „was Sachlichkeit anbelangt, turmhoch über den aggressiven Auslassungen seiner Vorgänger“127, wird Preuß dabei weniger erfreut haben als das des ihm stets wohlgesonnenen „Berliner Tageblatts“: Seine Parlamentarische Jungfernrede machte den besten Eindruck. Er sprach frisch, angeregt und einleuchtend, pointiert, flocht geistvolle Bemerkungen hinein, ging, ehe er streng sachlich die einzelnen Paragraphen der Vorlage erläuterte, von großen historischen und staatsrechtlichen Gesichtspunkten aus und gab seiner Rede einen gewissen idealistischen Schwung.128
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durch ausländische Gelder, Fahnenflucht und Gewalttat baut sie sich auf. Darum werden wir unseren verneinenden Standpunkt niemals aufgeben.“ Bemerkenswert ist die Meldung des Organs des Spartakus-Bundes, der „Roten Fahne“, zur Wahl Eberts zum Reichspräsidenten, die hier vollständig wiedergegeben wird („Nos habemus papam“, Nr. 26 [12.2.’19]): „Herr Fritz Ebert ist von der deutschen Nationalversammlung zum Reichspräsidenten gewählt worden. Das freudige Ereignis ist den Weimarern mit den bei der Papstwahl üblichen Formalitäten bekannt gegeben worden.“ Vor allem die Zustimmung der DNVP überrascht. Trotz im Prinzip klarer Ablehnung der Demokratie gab es auch in dieser Fraktion interne Auseinandersetzungen zwischen (wenigen) gemäßigteren Abgeordneten und der Mehrzahl der Radikalen; vgl. Christian F. Trippe, Konservative Verfassungspolitik 1918–1923. Die DNVP als Opposition in Reich und Ländern, Düsseldorf 1995, 62ff. und v.a. 68. „Sten. Ber.“, 326. Bd., 12ff. Zur Notverfassung vgl. „Die Annahme des Verfassungsentwurfs“, DAZ, Nr. 70 (11.2.’19) M (mit scharfen Ausfällen gegen die USPD); E. Heilfron, Die vorläufige Verfassung des Deutschen Reiches, DAZ, Nr. 71 (11.2.’19) A. „Jämmerlich die Form und jämmerlich der Inhalt“ lautete das Urteil in „Ein neuer Reichsverfassungsentwurf“, Freiheit, Nr. 52 (30.1.’19) M. Aber auch der Leitartikel der FZ, Nr. 110 (10.2.’19) A, merkte kritisch an, daß die Politiker anscheinend vergessen hätten, daß in Deutschland eine Revolution stattgefunden habe. Die vorläufige Verfassung brächte nicht genug Mut auf für eine neue Politik, für Einheitsstaat und gründliche Demokratie. Ähnlich G. Bernhard, Neuschöpfung der Widerstände, VZ, Nr. 73 (9.2.’19) M: „Ist dazu schließlich die Revolution über das Reich hereingebrochen, daß die alten temperamentlosen Halbheiten, dieselben bänglichen Fragen, kurzum, die alte Kompromisserei von neuem das Reich regiert?“ Die Kritik von liberaler Seite hatte durchweg die Zugeständnisse an die Einzelstaaten im Auge. „Nationalversammlung“, KZ, Nr. 64 (9.2.’19) M. E. D[ombrowski], Die Rede des Staatssekretärs Preuß, BT, Nr. 60 (9.2.’19) M. Vgl. G. Bernhard, Neuschöpfung der Widerstände, VZ, Nr. 73 (9.2.’19) M, wo es zur Rede heißt: „Sie war gut vorgetragen und klug aufgebaut und wirkte am letzten Ende doch nicht so, wie es im
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Von der Einigkeit, die bei der Verabschiedung der vorläufigen Reichsverfassung im Plenum geherrscht hatte, war nicht mehr viel zu spüren, als es an die Beratungen der einzelnen Bestimmungen des Entwurfs für die endgültige Verfassung ging. In vertikaler Richtung sind es die ständigen Proteste und versuchten Einflußnahmen, mit denen die deutschen Staaten auf Reichsregierung und Nationalversammlung eindrangen. Vor allem Preußen war immer noch in einer prekären Lage. Die Revolution hatte die personelle Einheit an der Spitze des Reiches beseitigt, die in der Person Wilhelms als deutscher Kaiser und König von Preußen bestanden hatte. Eher noch wichtiger ist die fast das ganze Kaiserreich hindurch bestehende Personalunion zwischen Reichskanzler und preußischem Ministerpräsidenten, die gleichfalls weggefallen war. Größte Befürchtungen mußte die Tatsache bereiten, daß praktisch jede vernünftige Gebietsreform in Deutschland zu Lasten Preußens gehen mußte. Dies galt für die irrationale territoriale Gemengelage der thüringischen Staaten129, das galt vor allem aber für die unsicheren Provinzen außerhalb der preußischen Kernlande, die zudem zum Teil noch nicht lange im preußischen Staatsverband waren (Rheinland, Hannover, Hessen). Daß mit Hugo Preuß ein Innenminister an der Spitze der Verfassungsberatungen stand, der ein erklärter Befürworter der Aufteilung Preußens war, wird die Beunruhigung nur vergrößert haben. Horizontal waren die Auseinandersetzungen der Parteien je länger je schärfer, zumal, nachdem mit dem Mai das alles beherrschende Thema Versailles hinzugekommen war. Eigentlich hätten die Parteien der Weimarer Koalition angesichts der Mehrheitsverhältnisse kaum etwas zu fürchten gehabt in der Durchsetzung ihres legislativen Programms. Aber die Mehrheitsparteien waren keineswegs so festgefügt in ihrer Partnerschaft, wie es wünschenswert gewesen wäre. Die Friktionen und Gegensätze waren auch in zentralen Fragen zu finden, was wiederum die Hoffnungen der kleineren Flügelparteien stärkte. Die Friedensfrage, die zum Ausscheiden der DDP aus der Regierung führte, ist nur die sichtbarste und letztlich einzig unlösbare Konfliktlinie gewesen. In allen Fragen, die mit der konfessionell gebundenen Schule und generell mit der Verhältnis von Kirche und Staat zusammenhingen, stand das Zentrum oftmals den Rechtsparteien näher als den Koalitionspartnern130. Die Frage der Vergesellschaftung der Bodenschätze sah hingegen die beiden sozialistischen Parteien allein gegen den Rest der Versammlung stehen. Und Interesse der großen Sache der Neuschöpfung des Reiches hätte gewünscht werden müssen.“ Daran sei aber nicht Preuß schuld, sondern die partikularistischen Kräfte, die sich durchgesetzt hätten. 129 Vgl. zu diesem Komplex Jürgen John, Thüringer Verfassungsdebatten und Landesgründung 1918 bis 1921, in: H. Mittelsdorf (Red.), 80 Jahre Weimarer Reichsverfassung, 67–122, v.a. 83ff. 130 Rudolf Morsey, Die Deutsche Zentrumspartei 1917–1923, Düsseldorf 1966, 63, beschreibt die Wende des Zentrums vom Juli 1917 als „abrupte politische Kehrtwendung“, die die Parteimitglieder unvorbereitet traf. Das Zusammengehen mit den Parteien der Linken blieb seitdem stets umstritten. Zur Schulfrage als Konfliktherd der demokratischen Koalitionen siehe auch Herbert Hömig, Das Preußische Zentrum in der Weimarer Republik, Mainz 1979, 43f.
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9. Das Verfassungswerk von Weimar
in der Frage der Farben der neuen Republik verließ die DDP mehrheitlich die Gemeinschaft der demokratischen Parteien und sprach sich für die Beibehaltung der alten Flagge aus. In der Frage der Verfassungsausgestaltung des Föderalismus endlich gingen die Brüche quer durch die Parteien und waren eher von geographischen als von ideologischen Variablen bestimmt. Bereits die Begründung des eigentlichen Verfassungsentwurfs durch Hugo Preuß fand deutlich weniger Resonanz, weder im Haus noch in der Öffentlichkeit. Von rechts wurde die alte Bismarck-Verfassung gelobt, von links der mangelnde Sozialismus angemahnt, in der Mitte die viel zu weit gehenden Zugeständnisse an den Föderalismus beklagt. Kurz, alle politischen Richtungen waren mit dem Entwurf IV unzufrieden131, und es wird für Hugo Preuß keine geringe Genugtuung gewesen sein, daß man sich wieder auf die Meriten seines ersten Entwurfes besann, der jetzt der Vorlage gegenübergestellt wurde132. Die allgemeine Beratung der Reichsverfassung hatte sowohl hier wie auch in den Einleitungen zur 2. und 3. Lesung, wie auch in den Anfangsdebatten der 1. und 2. Lesung im Verfassungsausschuß vor allem die Funktion, die unterschiedlichen Standpunkte der Parteien der Öffentlichkeit gegenüber herauszustellen133. Hierzu gehörte es auch, daß aus Anlaß dieser Debatten die Punkte besonders herausgegriffen wurden, die den höchsten Symbolwert besaßen. Für den konkreten Staatsaufbau, für das Funktionieren des Regierungssystems ist es relativ belanglos, ob das ganze Gebilde „Deutsches Reich“ oder „Deutsche Republik“ heißt, ob es unter einer schwarz-weiß-roten oder unter einer schwarz-rot-goldenen Flagge die politische Bühne betritt. Aber eben deshalb eigneten sich diese und ähnliche Fragen auch besonders gut für die Austragung der prinzipiellen Gegensätze der politischen Kräfte. Dies geschah in Weimar in reichem Maße. Eine erregte Debatte gab es darum, ob der 1. Mai, bislang der Kampftag der Arbeiter, von einem Partei- und Gewerkschaftsfeiertag zu einem nationalen Feiertag umgestaltet werden solle134. Im Verfassungsausschuß beantragte der DVP-Vertreter Kahl, die Verfassung mit einer einfachen, nüchternen Verkündigungsformel anfangen zu lassen. Es ist ebenso bezeichnend, daß ihm hierbei die DNVP durch Delbrück sofort beisprang, wie es bezeichnend ist, daß alle Parteien des Weimarer Bündnisses großen Wert auf eine Präambel legten, die die Ziele der Republik darlegen sollte. Hugo Preuß traf die Motivation Kahls in gewohnter Ironie auf den Kopf: 131 Die Rede Preuß’ in der 14. Sitzung am 24.2., „Sten. Ber.“ 326. Bd., 284 (auch in „Staat, Recht und Freiheit“). Die allgemeine Beratung der Reichsverfassung vgl. ebd., 326. Bd., 371ff., die Reden von Fischer (MSPD, 371), Delbrück (DNVP, 384), Heinze (DVP, 396), Cohn (USPD, 401) und Düringer (DNVP, 471). 132 Etwa von Delbrück (ebd., 384). Preuß griff dies (452) dankbar auf. Ähnlich auch die Presse, vgl. LA, FZ, Nr. 148 (24.2.’19) A; E. Dombrowski, Die endgültige Verfassungsvorlage, BT, Nr. 88 (24.2.’19) A; H.v. Gerlach, Die verpfuschte Republik, WaM, Nr. 9 (3.3.’19). 133 Vgl. im Plenumg „Sten. Ber.“, 327. Bd., 1201ff. u. 328. Bd., 2071ff., im Verfassungsausschuß 336. Bd., 22ff., 401ff. u. 490ff. 134 „Sten. Ber.“, 327. Bd., 1049ff.
9.3 Die Verfassungsberatungen in der Nationalversammlung
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Ich bin ja überzeugt, daß der Grund dazu nicht der ist, daß er dieser Verfassung, die vielleicht nicht seinen inneren Herzenswünschen entspricht, einen solchen schwungvollen Anfang nicht gönnen sollte.135
Wie Hugo Preuß sehr wohl wußte, war genau dies der Grund. Noch erheblich kontroverser wurden aber die Auseinandersetzungen über den Namen des Staates und insbesondere über seine Flaggenfarben ausgetragen. Als Bezeichnung standen hauptsächlich die Fortführung des Namens „Deutsches Reich“ oder der Wechsel zur „Deutschen Republik“ zur Debatte; die von Friedrich Naumann im Verfassungsausschuß vorgeschlagene Bezeichnung „Deutscher Bund“ hatte, wie so viele Vorstellungen des geistreichen, aber weniger praktischen Nestors des Linksliberalismus, keine Chance. Die historischen Erfahrungen sprachen zu sehr gegen einen „Bund“, zumal in dem Moment, in dem starke politische Kräfte eigentlich den Übergang zum Einheitsstaat anstreben wollten. Manches sprach aber für eine „Deutsche Republik“, nicht zuletzt die Schwierigkeit, „Reich“ ins Englische und Französische zu übersetzen, ohne daß sofort Anklänge an das Kaiserreich aufkamen. Aber das war nicht der eigentliche Grund, aus dem sich die USPD und Teile der SPD für eine Namensänderung aussprachen. Hier sollte ein politisches Signal gesetzt und das Prinzip der Republik proklamiert werden136, und eben deshalb hielt eine große Mehrheit letztlich am althergebrachten „Deutschen Reich“ fest137. Damit blieb noch die Frage Schwarz-Weiß-Rot oder Schwarz-Rot-Gold. Keine Debatte wurde ähnlich erhitzt geführt, von einer gleich zu behandelnden Sachfrage vielleicht abgesehen. Der Riß ging quer durch die Koalition. Die Mehrheit der DDP, der Partei des Erbes von 1848, befürwortete leidenschaftlich die Beibehaltung der alten Farben. Erich Koch, dessen innerparteilicher Einfluß den von Hugo Preuß bei weitem überstieg, setzte alle Hebel in Gang, um den Wechsel zu verhindern. Von ihm wurde die Admiralität eingeschaltet, die gerne bestätigte, daß Schwarz-RotGold auf See schlecht zu sehen seien und daher nicht in Frage kämen138. Dieses scheinbar rein praktische Argument, dem später auch mit einer gesonderten Handelsflagge Rechnung getragen wurde, wurde zwar von vielerlei Seiten bemüht; größtenteils handelte es sich dabei aber um vorgeschobene Behauptungen. Am besten sichtbar wird dies bei dem mehrfach vorgebrachten Argument, die neue 135 Ebd., 336. Bd., 491. 136 Zur Vielschichtigkeit und Ambivalenz dieses Begriffes vgl. Rolf Gröschner, Das Republikprinzip der Weimarer Reichsverfassung und des Bonner Grundgesetzes, in: E. Eichenhofer (Hrsg.), 80 Jahre Weimarer Reichsverfassung, 49–70. 137 Siehe „Sten. Ber.“, 326. Bd., 371, 327. Bd., 1209, 336. Bd., 24f. Vgl. auch H. Preuß, Das Verfassungswerk von Weimar, 7. 138 Die ganzen Aktivitäten Kochs in dieser Frage, die alle einen leicht konspirativen Zug annehmen, sind dokumentiert im BAK, NL Koch-Weser, Nr. 195. Es ist immerhin ungewöhnlich, daß sich ein führender Abgeordneter einer Regierungspartei hinter dem Rücken der Regierung an die Admiralität wendet, um ein Gutachten zu bekommen, das sich gegen die erklärte Politik eben dieser Regierung wendet.
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Flagge sei mit der Belgiens leicht zu verwechseln!139 Hugo Preuß brachte den Kern der Frage im Verfassungsausschuß auf den Punkt: Von Interessenten sind verschiedentlich heraldische Feinheiten geltend gemacht worden; es kommt jedoch nicht auf diese an, sondern auf die Durchsetzung des Prinzips ‚schwarz-rotgold‘.140
Hier lag der eigentliche Streitpunkt. Wer von der nationalen Würde sprach, die gerade jetzt einen Flaggenwechsel verbiete, nutzte dies häufig genug als ein Vehikel, um in einer populären Frage seine generelle Ablehnung der Republik zum Ausdruck zu bringen. Es waren keine guten Auspizien, daß auch die berufenen Verteidiger der Republik in der Frage ihres zentralen Symbols von Anfang an gespalten waren. Die Diskussion im Parlament setzte sich in der Presse mit den gleichen Argumenten, aber noch schärfer im Ton, fort141. Man kann darüber spekulieren, ob es angesichts der weiteren Auseinandersetzungen in der Flaggenfrage, die sich durch die ganze Weimarer Republik hindurchziehen, nicht klüger gewesen wäre, dem unzweifelhaften Wunsch der Mehrheit der Bevölkerung im Jahre 1919 nachzukommen und die alten Farben bestehen zu lassen. Aber eine solche Spekulation verkennt, daß die Feinde der Republik von rechts in diesem Falle eben ein anderes Vehikel für ihre Agitation gesucht und gefunden hätten. Wie die gesamte Weimarer Republik litt auch ihre Fahne 1919 und in den Jahren danach weniger an den Angriffen der Gegner142, als vielmehr an der wenig überzeugten und deshalb auch wenig überzeugenden Verteidigung durch ihre Freunde. 139 Z.B. „Sten. Ber.“, 336. Bd., 402 vom DVP-Abgeordneten Kahl. Die Argumente der Gegner von Schwarz-Rot-Gold wiederholten sich in ähnlichen Worten in allen Lesungen; vgl. ebd., 326. Bd., 384f., 400; 327. Bd., 1226ff.; 336. Bd., 28 u. 402ff. 140 Ebd., 336. Bd., 28. 141 Für Schwarz-Rot-Gold vgl. etwa M.O., Schwarz-rot-gold, VZ, Nr. 336 (5.7.’19) M; K.A. Junge, Schwarz-Rot-Gold und Schwarz-Weiß-Rot, FZ, Nr. 491 (6.7.’19) 1.M; dagegen P. Behncke, Unsere schwarz-weiß-roten Farben, KZ, Nr. 92 (24.2.’19) A; Prof. Dr. Fabricius, Woher stammen die Farben ‚Schwarz-Rot-Gold‘?, KZ, Nr. 217 (11.5.’19) B (wo der Nachweis versucht wird, daß sie aus der Uniform der mecklenburgischen Ritter stammen); H.W., Der Abschluß des Verfassungswerkes, KZ, Nr. 358 (1.8.’19) A; und v.a. „Die Parteifahne“, KZ, Nr. 115 (14.3.’19) A, Hier wird Rot als die Farbe der Schmach bezeichnet, „ein Sozialdemokrat hat rot mit weißem Stern (Davidsstern?) verlangt“. 1848 war Schwarz-Rot-Gold weniger eine Einheits- als eine Freiheitsfahne: „Wenn Herr Preuß die Farben einer überlebten Revolution als das Symbol der großdeutschen Einheit zu empfehlen sucht, so spekuliert er damit auf die Kreise, die an die Freiheit nicht glauben wollen.“ Die Farben seien die Belgiens; „gerade diese Übereinstimmung mit unserem giftigsten Gegner wirkt peinlich“. Und noch einmal zu Hugo Preuß: „Drei Internationale (sic) neben einander machen noch nicht die ‚deutsche Demokratie‘ aus, von der Herr Preuß pathetisch redete (Gott bewahre uns auch vor dem Preuß’schen Preußen!)“ Mit den drei Internationalen sind die angeblich schwarze (= Zentrum), rote (= SPD) und goldene (= DDP und Juden) Internationale gemeint. 142 Siehe beispielhaft Elfi Bendikat und Detlef Lehnert, ‚Schwarzweißrot‘ gegen ‚Schwarzrotgold‘. Identifikation und Abgrenzung parteipolitischer Teilstrukturen im Reichstagswahlkampf des Frühjahrs 1924, in: Detlef Lehnert und Klaus Megerle (Hrsg.), Politische Teilkulturen zwischen Integration und Polarisierung. Zur politischen Kultur in der Weimarer Republik,
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Diese Auseinandersetzungen in den allgemeinen Debatten hatten, wie gesagt, wenig praktischen, aber viel symbolischen Gehalt. An Schärfe wurden sie eigentlich nur von einer Sachdebatte erreicht, in der aber gleichfalls der symbolische Gehalt des Themas die Fakten zu überlagern drohte: die Auseinandersetzung um die „Zerschlagung Preußens“. Das ‚Problem Preußen‘ und der Föderalismus Eine, wenn nicht die zentrale Frage der Nationalversammlung war das breitgefächerte Problem der künftigen Ordnung des Reiches im Spannungsfeld von Unitarismus und Föderalismus143. Hier gab es keine klaren Mehrheiten, in fast allen Parteien gab es ebenso überzeugte Unitaristen wie Föderalisten. Auch die Problemlage war vielgestaltig; Kleinstaaten, Mittelstaaten und das übermächtige Preußen hatten alle ihre je eigenen Problematiken, die nicht einfach zu vereinen waren. In der Nationalversammlung, auf der Ebene der Staaten untereinander, wo jegliche Weimarer Aktivitäten mit großem und unverhohlenem Mißtrauen betrachtet wurden und in der Öffentlichkeit wurden diese Fragen leidenschaftlich diskutiert. Schon die erste Debatte in der Nationalversammlung zeigte, daß die Unitaristen alles in allem die Mehrheit der Versammlung stellten. Der vorgelegte Entwurf IV wurde durchweg als zu föderalistisch kritisiert, und der USPD-Abgeordnete Cohn lag wohl nicht sonderlich falsch, als er mutmaßte, Hugo Preuß selber habe „diesen Teil des Entwurfs sicher nicht einmal mit einem lachenden und einem weinenden, sondern nur mit zwei weinenden Augen vertreten“144. Die Unzufriedenheit machte Opladen 1990, 102–142; zum Flaggenstreit im Kabinett Luther 1926 siehe E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte VII, 581ff. und H. Schulze, Otto Braun, 502f. Ebd., 530f., zum Flaggenstreit mit den Berliner Hotels 1927. 143 Zur Weimarer Begrifflichkeit siehe Gerhard Anschütz und Karl Bilfinger, Der deutsche Föderalismus in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Berichte auf der Tagung der deutschen Staatsrechtler zu Jena am 14. und 15. April 1924 (Veröffentlichungen der Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer, H. 1), Berlin und Leipzig 1924. Vgl. auch Richard Thoma, Das Reich als Bundesstaat, in: G. Anschütz und ders. (Hrsg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts I, 169–186. Als Überblick R. Rürup, Entstehung und Grundlagen der Weimarer Verfassung, 232ff.; L. Albertin, Liberalismus und Demokratie, 277ff.; Ernst Deuerlein, Föderalismus. Die historischen und philosophischen Grundlagen des föderativen Prinzips, Bonn 1972, 171ff.; Jürgen John, „Unitarischer Bundesstaat“, „Reichsreform“ und „Reichs-Neugliederung“ in der Weimarer Republik, in: ders. (Hrsg.), „Mitteldeutschland“. Begriff, Geschichte, Konstrukt, Rudolstadt 2001, 297–375. 144 „Sten. Ber.“, 326. Bd., 404. Vgl. Ebd. die Reden von Fischer (MSPD, 372f.), Spahn (Z, 377), Delbrück (DNVP, 389), Koch (DDP, 394), Heinze (DVP, 399). Nur Spahn bekannte sich zum Föderalismus, Fischer sagte pointiert: „Die Revolution ist nicht gemacht worden bloß darum, daß eineinhalb oder zwei Dutzend jener unnützen Zivillisten beseitigt werden.“ Bei der vorläufigen Reichsverfassung (ebd., 14) hatte Preuß den Passus, daß das Gebiet eines Staates nur mit dessen Zustimmung geändert werden könne, resigniert verteidigt: „(D)iese Einräumung kann gemacht werden, weil das Gegenteil ja doch nicht durchführbar wäre.“ Vgl. auch ebd., 452ff.,
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sich in doppelter Richtung breit. Die Revolution hatte in ihrem föderativen Verlauf nicht den sofortigen Einheitsstaat gebracht, sondern nur die Fürsten durch eine gleiche Anzahl von Revolutionsregierungen ersetzt. Andererseits mußten aber auch lokale Autonomiebestrebungen etwa im Rheinland oder in Hannover erkennen, daß ihre Ziele im sozialdemokratischen Preußen keineswegs auf wohlwollendere Betrachtung stießen als vorher. Die versuchte Schaffung vollendeter Tatsachen, wie sie im Rheinland unternommen wurde, konnte leicht als unpatriotische Kollaboration mit den französischen Besatzern angeschwärzt werden und scheiterte daher145. War die Problemlage für die Nationalversammlung breitgefächert, so waren es natürlich auch die Interessen der beteiligten Staaten. Gleichwohl lassen sie sich immerhin auf einen gemeinsamen Nenner bringen; auf den für Revolutionsregierungen einigermaßen bemerkenswerten der Bewahrung des Status quo ante. Die Vereinigung der zum Teil winzigen Kleinstaaten ging nur sehr zögerlich voran, obwohl alle Reichspolitiker sich einig waren, daß wenigstens die kleinsten der „Staaten“ verschwinden müßten. Das sah man in den beteiligten Staaten durchaus anders. Hugo Preuß kam bereits in seiner Verfassungsbegründung am 24. Februar vor der Nationalversammlung darauf zu sprechen: Sie wissen, Coburg und Gotha wollen sich voneinander losreißen und jedes verlangt Anerkennung als selbständiger Gliedstaat. Ich habe dieser Tage eine Eingabe sämtlicher Parteien des Fürstentums Pyrmont bekommen, Demokraten, Sozialdemokraten und Deutsche Volkspartei vereinigt, protestieren leidenschaftlich gegen die unerhörte Tyrannei von Waldeck! [Heiterkeit] Pyrmont müsse los von Waldeck. [Erneute Heiterkeit] Auch ich habe gelächelt, als ich das las. Die Sache hat aber einen sehr ernsten Hintergrund.146
Den hatte sie in der Tat. Da die provisorische Reichsverfassung Gebietsänderungen nur mit Zustimmung der Betroffenen vorsah, waren dem Reich die Hände gebunden. Man verfiel zunächst auf den Ausweg, den Kleinstaaten kein Stimmrecht mehr im Reichsrat zuzugestehen; womit man lediglich sofortige Proteste auslöste147. 336. Bd., 23ff. Hier, im Verfassungsschuß, vertrat Beyerle (BVP, 25f.) den Gedanken, die Verfassung durch die Länder ratifizieren zu lassen. Preuß war nicht der einzige, der strikt dagegen war. Ein späteres Urteil Preuß’ zu den föderalistischen Zugeständnissen der Vorlage siehe in seinem „Reich und Länder“, 118–121. 145 Vgl. etwa „Die verbrecherischen Umtriebe in den Rheinlanden“, BT, Nr. 244 (28.5.’19) A; „Die Rheinlande im Kampf mit den Hochverrätern“, BT, Nr. 253 (3.6.’19) M. Ausführlich hierzu E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte V, 1128ff. 146 „Sten. Ber.“, 326. Bd., 288. Zu den erfolglosen Überlegungen zu einer Vereinigung von Baden und Württemberg im März und April 1919 vgl. die Unterlagen im BAK, NL Payer, Bl. 236, Bl. 237, Bl. 250–51, Bl. 252–63, Bl. 263–65. 147 Vgl. etwa die Eingabe des Direktoriums des Freistaates Oldenburg vom 23.5. an den Reichstag (BAB, 01.01 Reichstag, Bd. 2894, Bl. 576–577), das Schreiben vom Volkskommissar für Inneres aus Braunschweig (ebd., Bl. 468–473) oder das Schreiben des Staatsrats für Anhalt vom 24.5. (ebd., Bl. 456), wo die „schmerzliche und tiefgehende Erregung“ des anhaltischen Volkes beklagt wird. Im SAHH, Bestand 132-1 II, I.A.1a.1, Bd. 1, Bl. 32, findet sich eine „Denkschrift über die künftige Stellung des Freistaats Anhalt im neuen Deutschen Reich“, die gleichfalls nicht vom Gedanken des Einheitsstaates ausgeht. Zum Aufmarsch der
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Die Schärfe dieser Proteste war dadurch bedingt, daß es für die Kleinstaaten um nicht weniger als die bloße Fortexistenz ging. Etwas gelassener konnte man die Lage in den Mittelstaaten sehen. Aber auch der Streit um Kompetenzen und um nach Meinung der Staaten, insbesondere Bayerns, wohlerworbene Rechte, die Reservatrechte, konnte für Aufregung sorgen. Schon mehr symbolische Akte riefen Alarm hervor, und die Zugeständnisse des Entwurfs IV sah man in der Nationalversammlung in höchster Gefahr schweben. Gar nicht anfreunden konnte man sich mit der Bezeichnung „Länder“ an Stelle der besser klingenden „Staaten“148. Auch das Staatenhaus des Anfangsentwurfes geisterte gelegentlich wieder durch die Debatten, jedenfalls in der Gestalt der freien Stimmabgabe der Reichsratsmitglieder149. Geharnischte Proteste der einzelnen Regierungen blieben nicht aus, teils vereinzelt, teils in konzertierter Aktion miteinander150. Man befürchtete sozusagen eine Neuauflage der Situation vom Dezember und Januar, als die Staaten ebenfalls von den Gesprächen ausgeschlossen gewesen waren. Jetzt war die Situation eher noch kritischer, da man jetzt nicht mehr einem Rat der Volksbeauftragten gegenüberstand, sondern einer demokratisch legitimierten Nationalversammlung. Wenigstens bei den Reservatrechten kämpften die Regierungen aber für eine verlorene Sache151. In diesem Punkt war die Nationalversammlung geschlossen, und vor allem Bayern wurde seine letztlich vergebliche Hartnäckigkeit anklagend vorgehalten152. Neben dem direkten, offenen Eintreten für die Vorrechte einzelner Staaten standen aber auch Bekenntnisse zum Einheitsstaat, die als theoretische Überzeugung zum Teil von den gleichen Stellen ausgingen, die in ihrer praktischen Politik in Wahrheit auf die Zementierung des Status quo ausgerichtet waren. In erster Linie trat die Preußische Regierung dann als Advokat des Einheitsstaates auf, wenn sie faktisch die Rechte Preußens verteidigte. Die Argumentation bleibt immer wieder
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Ländervertreter im Verfassungsausschuß zu dieser Frage siehe „Sten. Ber.“, 336. Bd., 147ff. u. 441ff. „Sten. Ber.“, 336. Bd., 401. Hugo Preuß war die Bezeichnung gleichgültig. Zunächst hatte er von Freistaaten gesprochen, dann von Gliedstaaten, und der Verfassungsausschuß wandelte diesen sprachlich unschönen Begriff in Länder um. Vgl. sein „Reich und Länder“, 27. Vgl. „Sten. Ber.“, 336. Bd., 117ff. Zu den Widerständen gegen das Staatenhaus siehe Preuß’ „Reich und Länder“, 249ff. Im GStAPK, Rep. 90, Nr. 302, ist der Schriftwechsel der Preußischen Regierung mit den anderen Staaten vom April bis Juli gesammelt, der die Sicherung der Rechte der Gliedstaaten zum Inhalt hat. Am 4.4. hatten bereits Bayern, Baden, Württemberg und Hessen gegen die Stärkung des Reiches auf Kosten der Gliedstaaten protestiert, am 16.4. hatte Sachsen sich angeschlossen; siehe SAHH, Bestand 132-1 II, I.A.1a.1, Bd. 1, Bl. 27 u. Bl. 29. Vgl. auch BAK, R 43 I, Bd. 1863, 417–418, wo sich ein Protestschreiben des Preußischen Ministerpräsidenten Hirsch an Scheidemann vom 4.6. findet. Vgl. „Sten. Ber.“, 336. Bd., 43ff. Ebd., 49, sagte Delbrück: „Die Vertreter Bayerns haben nur als Bayern und nicht als Deutsche gesprochen.“ Der Streit drehte sich außer um die Reservate v.a. um die Eisenbahnfrage; vgl. ebd., 324. Bayern wehrte sich vehement gegen eine Verreichlichung der finanziell einträglichen Eisenbahnen; vgl. auch den Schriftverkehr im BAK, R 43 I, Bd. 1863, 57, 157–158, 163–164.
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die gleiche; Preußen sei gerne bereit, sich in einen deutschen Einheitsstaat einzubringen, aber der Weg dahin könne nicht damit beginnen, daß man die bestehende Einheit eines so großen Teilgebietes Deutschlands aufopfere. Auch Erich Koch benutzte zu diesem Zeitpunkt den Gedanken des Einheitsstaates nicht zuletzt zur Verteidigung der preußischen Staatseinheit153. Das Hauptproblem, das der gedeihlichen Entwicklung föderativer Selbstverwaltung im Wege stand, der preußische Großstaat mit seinen Zweidrittel-Majoritäten an Fläche und Bevölkerung in Deutschland, wurde in seinem Kern von der Nationalversammlung nicht einmal angepackt. Der große Wurf, der die Aufteilung Preußens in eine Zahl von Staaten mittlerer Größe ermöglicht hatte, fand nur im Schwung des ersten Vorentwurfs seinen Platz. Hugo Preuß hielt zwar unverändert daran fest, daß man „(v)om Ganzen auf vier Siebentel des Ganzen ... nicht dezentralisieren“154 könne, mußte aber selbst bedauernd konstatieren, daß die deutsche Öffentlichkeit für diesen Schritt offenbar noch nicht reif sei. Das Presseecho, die scharfe Debatte über die „Zerschlagung Preußens“, die sich sofort erhob, bestätigte dies nachdrücklich155. Wenigen Stimmen, die sich für den ursprünglichen Preußschen Plan aussprachen, standen quer durch die politischen Lager die Anhänger Preußens gegenüber156. Diese unklare Frontstellung gab es auch in der Nationalversammlung, wo selbst auf der extremen Rechten etwa Hannoveraner DNVP-Abgeordnete zu finden waren, die in die Preußenbegeisterung ihrer politischen Freunde nicht mit einstimmen 153 Etwa in Erich Koch, „Die Aufteilung Preußens“, Casseler Tageblatt, 23.3.’19 (im BAK, NL Koch-Weser, Nr. 78, Bl. 62). 154 „Deutschland und die preußische Verwaltungsreform“, in: Staat, Recht und Freiheit, 130. Vgl. „Der deutsche Nationalstaat“, 28f. 155 Im Plenum sagte der Deutschnationale Schultz („Sten. Ber.“, 327. Bd., 942): „Ich hoffe, Preußen wird diejenigen überleben, die seinen Namen, wie ich glaube, mit Unrecht tragen.“ Nicht weit davon entfernt ist der preußische Unterstaatssekretär der Revolutionsregierung Freund in seinem Artikel „Groß- oder Klein-Preußen, DAZ, Nr. 54 (2.2.’19) M (Bb.): „Und endlich pustet nun gar ein Mann, der – lucus a non lucendo! – sich Preuß nennt und in seinem Entwurf zur deutschen Reichsverfassung für die Zerstückelung oder besser Auseinanderentwicklung Preußens kämpft. Aber er pustet die Eiche nicht um!“ 156 Vgl. etwa Freiherr v. Maltzahn, Preußen heraus!, KZ, Nr. 27 (20.1.’19) A; Ev., die Zukunft Preußens, KZ, Nr. 33 (23.1.’19) A; „Der Entwurf der neuen Reichsverfassung und die Aufteilung Preußens“, KZ, Nr. 36 (25.1.’19) M; „Die Demokraten und die Zerstückelung Preußens“, ebd.; Freiherr v. Zedlitz und Neukirch, Preußen und das Reich, BLA, Nr. 41 (30.1.’19); „Preußens Ende“, DTZ, Nr. 45 (25.1.’19). Hier heißt es: „Der blinde Haß gegen Preußen hat den Plan entworfen und geschichtsloser Doktrinarismus hat die Feder geführt. ... Ar um Ar wird die deutsche Erde im slawischen Meere verschwinden. ... wird der Plan des Herrn Dr. Preuß Wirklichkeit, so wird wieder, wie vor 1000 Jahren, im Laufe der Zeit die Elbe die Grenze zwischen Deutschen und Slawen.“ Gegenüber solchen apokalyptischen Visionen unterstützten Preuß etwa M.Quarck, Zur Verfassungsfrage, BTR, Nr. 32 (25.1.’19) M; W.v. Grumbkow, Der Einheitsstaat, VZ, Nr. 38 (21.1.’19) A; R. Friedländer, Die Frage Preußen, VZ, Nr. 46 (25.1.’19) A; G. Bernhard, Preußen, VZ, Nr. 47 (26.1.’19) M; „Die Reichskonferenz“, FZ, Nr. 72 (28.1.’19) 1.M; LA, FZ, Nr. 105 (8.2.’19) A; „Die Reichsverfassung der Revolution“, FZ, Nr. 145 (23.2.’19) 1.M.
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mochten. Umgekehrt plädoyierte in der SPD-Fraktion Otto Braun, damals Abgeordneter für den Düsseldorfer Wahlkreis und später lange Jahre preußischer Ministerpräsident, gleich von Anfang an für die Beibehaltung der preußischen Einheit157. Viele wählten den von Koch vorgezeichneten Weg, indem sie sich gleichzeitig für den Einheitsstaat und gegen die Aufteilung Preußens aussprachen. Theoretisch klang es plausibel, den Gang zum erwünschten Einheitsstaat nicht ausgerechnet damit zu beginnen, daß man die größte zusammenhängende Fläche in Staaten aufgliederte. Praktisch lief die Verkettung der beiden Problematiken aber darauf hinaus, daß der Stillstand in beiden Fällen fast komplett war158. Die preußische Regierung konnte es sich unter diesen Umständen leisten, einigermaßen unbeweglich auch in kleineren Fragen zu bleiben. Die Einheit des preußischen Staatsgebietes war gesichert159. Mehr aber auch nicht. Da man den großen Wurf versäumt hatte, rächte sich die Tücke des Objekts, die unförmige Größe Preußens, nun im Detail. Wenn der Reichsrat nicht zu einer Farce werden sollte, mußte Preußen unterrepräsentiert werden160. Zudem wollte man auf die „Zerschlagungs-Option“ wenigstens für die Zukunft nicht verzichten; Art. 15, der spätere Art. 18, stellte die Möglichkeit in Aussicht, daß sich preußische Gebiete auch gegen den Willen des preußischen Gesamtstaates aus dessen Verbund lösen könnten. Ihre Minimalforderung, die Wahrung der Staatseinheit hatte die preußische Regierung für den Moment erreicht. Diese beiden neuen Bedrohungen vermochte sie jedoch nicht abzuwenden. Um beide Fragen wurden langanhaltende Debatten geführt, die zum Teil in allen Lesungen im Plenum wie im Verfassungsausschuß die gleichen Anträge wieder hervorbrachten. Die immer gleichen Argumente sollen hier nicht wiedergegeben werden. Nach mühseligsten Verhandlungen hinter der Bühne wurde beim Art. 18 letztlich ein Kompromiß gefunden, dem sowohl die Reichsregierung wie auch Preußen ohne Enthusiasmus zustimmten; er knüpfte die territoriale Umgestaltung neben anderen Kautelen auch an die erschwerte Form eines verfassungsändernden 157 So in der Fraktionssitzung vom 25.2. 1919; Heinrich Potthoff (Hrsg.), Die SPD-Fraktion in der Nationalversammlung 1919–1920. Bearbeitet von Heinrich Potthoff und Hermann Weber, eingeleitet von Heinrich Potthoff (Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Reihe 3, Bd. 7), Düsseldorf 1986, Nr. 19, 42–46, hier 45f. 158 Am 15.3. schrieb Koch an seinen Parteifreund Richthofen (BAK, NL Koch-Weser, Nr. 186, nicht fol.), daß er gegen den Preußschen Entwurf sei, „weil er von Preußen alles verlangt, die süddeutschen Staaten aber ängstlich schont“. Da es keinen Einheitsstaat gegen den Widerstand Süddeutschlands geben werde, dürfe Preußen auch nicht geteilt werden. 159 So etwa in der Frage preußischer Gebietsabtretungen an ein neu zu bildendes Land Thüringen; vgl. J. John, Thüringer Verfassungsdebatten, 92f. 160 Zum Reichsrat siehe Ch. Gusy, Die Weimarer Reichsverfassung, 254ff. und die zeitgenössischen Aufsätze von Carl Bilfinger („Bedeutung und Zusammensetzung“, 545–559; und „Zuständigkeit und Verfahren“, 559–567) und Carl Heyland („Rechtsstellung der Reichsratsmitglieder“, 567–577) in G. Anschütz und R. Thoma (Hrsg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts I.
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Gesetzes161. Weniger zufrieden konnte die preußische Regierung bei der Stimmabgabe im Reichsrat sein. Nicht nur, daß Preußen lediglich zwei Fünftel der Stimmen bekam, nicht nur, daß die preußische Regierung diese Stimmen auch noch mit dem Provinzen teilen mußte. Der Kern des Ärgers, der nicht beseitigt werden konnte, lag darin, daß die Provinzialvertreter als Relikt aus der Zeit des Staatenhaus-Entwurfes ein freies Mandat haben sollten. Preußen sah hier die realistische Gefahr auf sich zukommen, daß sich die preußischen Stimmen wechselseitig „totstimmen“ könnten und drang daher darauf, alle Stimmen eines Staates auch im Falle Preußens nur einheitlich abzugeben. Das hätte aber die genaue Absicht dieser Clausula antiborussica konterkariert, und so blieb die Nationalversammlung hart162. Neben diesen wichtigsten föderativen Streitpunkten fallen andere Themen weniger ins Gewicht163. Obwohl die Nationalversammlung in manchen Punkten die Kompromisse vom Februar zu Gunsten des Reiches wieder revidierte, kann man doch auch nicht davon sprechen, daß die Länder oder Staaten von Weimar aus einfach majorisiert wurden. Letztlich war die Verfassung nicht nur ein Kompromiß der Mehrheitsparteien untereinander, sondern nicht weniger ein Kompromiß der Reichsregierung mit den gliedstaatlichen Regierungen, die auch in dieser Phase ihre Wünsche deutlich zu Gehör brachten. Die weitgehende Kompromißbereitschaft der Reichsregierung auf der Konferenz mit den Staaten vom 28. Mai war dabei von der Einsicht geprägt, daß eine Verfassung gegen den erklärten Willen der Mehrheit der Staaten, vor allem gegen den Willen Preußens, kaum durchführbar gewesen wäre164. 161 Zu den Debatten siehe „Sten. Ber.“, 328. Bd., 1802ff., 329. Bd., 2142ff. für das Plenum, und 336. Bd., 92ff. u. 429ff. An letzterer Stelle bedauerten Preuß, Quarck und Katzenstein, dem Kompromiß mit der erschwerten Gesetzesform zustimmen zu müssen. Wegen des Widerstandes Preußens sei es aber die einzige Chance, überhaupt einen Abschluß zustande zu bringen. An späteren Äußerungen Preuß’ hierzu vgl. sein „Deutschland und die preußische Verwaltungsreform“, in: Staat, Recht und Freiheit, 131; „Reich und Länder“, 154ff. 162 Vgl. hierzu ein Schreiben an den preußischen Finanzminister vom 28.3. (GStAPK, Rep. 151 HB Nr. 564, Bd. 1, nicht fol.): „Leider ist es uns nicht gelungen, im Artikel 21 durchzusetzen, daß die Stimmen eines Staates nur einheitlich abgegeben werden dürfen. Man wird also das Schauspiel erleben können, daß die Vertreter der Regierungen bezw. in Preußen die Vertreter der Regierungen und der Provinzen einander tot stimmen, so daß unter Umständen ein Großstaat überhaupt nicht in der Abstimmung zur Geltung kommt. Diese Verschlechterungen sind dem Zentrum zu verdanken, das unter allen Umständen der Rheinprovinz die Möglichkeit schaffen will, gegen Preußen zu stimmen und hierbei von der Demokratie und der Sozialdemokratie unterstützt wurde. Das Ergebnis ist höchst unbefriedigend.“ Es wurde noch unbefriedigender, als die Einheitlichkeit für alle Staaten außer Preußen wieder hergestellt wurde. Auch der Einspruch von Hirsch bei Scheidemann (BAK, R 43 I, Bd. 1863, 417–418) änderte nichts mehr. Vgl. „Sten. Ber.“, 328. Bd., 2113; 336. Bd., 445f. 163 Etwa die Frage reichsrechtlicher Normen für einzelstaatliche Verfassungen, die von den Rechtsparteien abgelehnt wurden; vgl. „Sten. Ber.“, 327. Bd., 1255ff. 164 Vgl. die „Niederschrift über die Verhandlungen zur Änderung einiger Bestimmungen des Entwurfs einer Verfassung des Deutschen Reiches“ vom 28.5., BAK, R 43 I, Bd. 1863, 407– 410. Zu dem dort erreichten Kompromiß vgl. „Die Einigung über das Verfassungswerk“, BT, Nr. 249 (31.5.’19) A.
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So tragen im Grunde alle Bestimmungen über die föderative Ordnung des Reiches einen etwas unausgegorenen Kompromißcharakter, der den Status quo festschrieb, zugleich aber unter erschwerten Bedingungen die Möglichkeit eröffnete, später daran auch gegen den Willen der beteiligten Staaten Änderungen vorzunehmen. Das befriedigte letztlich niemanden, weder die Unitaristen in der Versammlung, die sich auf später vertröstet sahen, noch die Föderalisten und die Länderregierungen, die für die Zukunft Befürchtungen hegen mußten. Doch war der Kompromiß das Resultat der unklaren Mehrheitsverhältnisse in der Nationalversammlung – wenigstens in dieser Frage! – und der unklaren politischen Verhältnisse im Reich. Eindeutigere Verhältnisse und dementsprechend auch eindeutigere Bestimmungen gab es hingegen bei der Entscheidung über Rätedemokratie oder liberaler Demokratie. Rätegedanke und Liberalismus Die Revolution im November 1918 war wesentlich durch Arbeiter- und Soldatenräte durchgeführt worden, die sich wenigstens formal am russischen Vorbild orientierten165. Die Idee, die Willensbildungsprozesse der liberalen Demokratie westlichen Typus durch den Einschluß eines Parlamentes der Arbeit zu erweitern, fand aber weit über den Kreis der Revolutionäre hinaus Zustimmung. Clemens von Delbrück stellte für die DNVP in der Nationalversammlung fest, der Rätegedanke ist der einzige neue politische Gedanke, den die Revolution bis jetzt zutage gefördert hat, und namentlich der einzige neue politische Gedanke des Verfassungsentwurfs, wie er jetzt vorliegt, denn im übrigen ist ja die Verfassung nichts als eine moderne Überarbeitung der Ideen von 1789 und 1848166.
Auch Hugo Preuß war der Auffassung, daß der Rätegedanke eine wichtige Ergänzung der Demokratie sein könne. Die Eingliederung der Arbeit in die Institutionen der Demokratie gebe ihm seine eigene Berechtigung. Hier zog Preuß aber auch die Grenze. Als Ergänzung und Bereicherung demokratischer Willensbildung ließ er das Rätemodell gelten, als Ersatz für die Ideen von 1789 und 1848 konnte es ihm nicht dienen167. Delbrücks Charakterisierung hatte insofern den Kern der Sache korrekt getroffen. 165 Grundlegend E. Kolb, Arbeiterräte in der deutschen Innenpolitik; und U. Kluge, Soldatenräte und Revolution. Als regionales Beispiel siehe Peter Brandt und Reinhard Rürup (Bearb.), Arbeiter-, Soldaten- und Volksräte in Baden 1918/19, Düsseldorf 1980. 166 „Sten. Ber.“, 328. Bd., 1772. 167 Vgl. etwa „Reich und Länder“, 147; „Deutschlands Republikanische Reichsverfassung“, 86f.; und „Das Verfassungswerk von Weimar“, in: Staat, Recht und Freiheit, 428: „Wenn man dieser sogenannten formalen Demokratie neuestens den sogenannten Rätegedanken entgegengestellt hat, so sehe ich hier von den recht zahlreichen Äußerungen ab, in denen sich der Rätegedanke nur als eine schön klingende Verhüllung einer gewissen Rat- und Gedankenlosigkeit zeigt. Er hat auch seinen berechtigten und bedeutsamen Inhalt; er hat ihn namentlich insoweit, als es sich
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Eine solche eingeschränkte Verwendung des Rätemodells ging der USPD nicht weit genug. Ihr war es ja gerade darum zu tun, Arbeiterräten die entscheidende Rolle im Staate zu sichern. Wo sie wenigstens vorübergehend über die politische Macht verfügte, wie etwa in Bayern, war sie umgehend darum bemüht, das Parlament durch die Räte auszuschalten oder es doch zumindest an die zweite Stelle zu verwiesen. Selbst die DDP konnte in Bayern dazu gebracht werden, einer solchen Rätedemokratie weitgehend zuzustimmen168. Das war aber nur von kurzer Dauer, denn auf Bitten von Ludwig Quidde, der einen bayerischen Wahlkreis in der Nationalversammlung vertrat, brachte die Weimarer DDP nach einer kurzen internen Kontroverse ihre Landtagskollegen in München zur Räson169. Auf Reichsebene gab es für ein umfassendes Rätemodell eine etwas unwirkliche Allianz aus USPD und DNVP, die publizistisch von der Vossischen Zeitung unterstützt wurde, da deren Chefredakteur Georg Bernhard, der eigenwilligste der großen liberalen Journalisten Deutschlands, in der Rätefrage eigene Wege ging170. So bietet sich in der Nationalversammlung das erstaunliche Bild, daß zwar alle Parteien die generelle Ergänzung der Demokratie durch Räte befürworten, daß sie dabei aber durchweg an ein Gebilde wie den späteren Reichswirtschaftsrat des Art. 165 denken, der mehr formale als realistische Machtbefugnisse besitzen sollte171. Einzig USPD und DNVP verlangen in scheinbarer Eintracht Regelungen, die die wirkliche Übertragung von Entscheidungsbefugnissen bedeutet hätten. Aber diese Eintracht ist bei genauerer Betrachtung eben nur scheinbar. Schon in der Wortwahl wird deutlich, daß die USPD an Arbeiterräte russischer Provenienz
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um die Eingliederung der Organisation der Arbeit und ihres Rechts in die Verfassung der politischen Demokratie handelt. Jedenfalls hat die Verfassung von Weimar, glaube ich, den Ansatz geliefert und den Einschlag, um jenen Gedanken der Organisation der Arbeit und ihres Rechts und deren Eingliederung in den politischen Verfassungsbau vorzubereiten.“ Vgl. den „Vertraulichen Brief Nr. 3“ vom 10.3.’19; BAK, NL Payer, Nr. 12, Bl. 193–196. Koch notierte am 11.3. (BAK, NL Koch-Weser, Nr. 16, Bl. 69), daß in der DDP-Fraktion im bayerischen Landtag eine Mehrheit dafür zu sein schien. „Quidde ist dagegen und erbittet unsere Hilfe. Naumann, der heute den Vorsitz führt, ist dagegen. Man soll jetzt keinen Konflikt herbeiführen, der zum Bruche treibt, ehe das Heer fertig ist, und man soll auch die Bayern nicht bevormunden. Er beantragt Erledigung durch Kenntnisnahme. Ich protestiere. Wenn die Bayern nachgeben, so gibt es keinen Halt mehr und es wird dieselbe Forderung im Reich auftreten.“ Koch setzte sich durch. Zu Stärke des linken DDP-Flügels in Bayern Joachim Reimann, Der politische Liberalismus in der Krise der Revolution, in: K. Bosl (Hrsg.), Bayern im Umbruch, 165–199, hier 188. Während des Krieges war Quidde, damals Landtagsabgeordneter, von seiner eigenen Fraktion als pazifistischer Paria behandelt worden (182); jetzt stand er plötzlich auf dem rechten Flügel! Vgl. auch F.v. Oppeln-Bronikowski, Die Staatsform. Gedanken und Anregungen, KZ, Nr. 653 (23.12.’18) A; ders., Der Berufsstaat, KZ, Nr. 144 (30.3.’19) M. In der DAZ sprachen sich sowohl Postminister Giesberts („Das Rätesystem“, Nr. 206 [29.4.’19] A) wie auch der DNVPAbgeordnete Behrens („Die Gestaltung des Rätewesens“, Nr. 213 [4.5.’19] M Bb.) für die Einfügung der Räte in die Verfassung aus. Vgl. Ch. Gusy, Die Weimarer Reichsverfassung, 366ff. Zur Genese des Artikels Gerhard A. Ritter, Die Entstehung des Räteartikels 165 der Weimarer Reichsverfassung, in: HZ 258 (1994), 73–112.
9.3 Die Verfassungsberatungen in der Nationalversammlung
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denkt, die DNVP aber an berufsständische Kammern, die in gewisser Weise an die Ersten Kammern der Parlamente der Monarchie anknüpfen sollten. Die USPD verlangte die Räte als ein Mittel der sozialistischen Klassenkampfpolitik, die DNVP die Berufskammer zur reaktionären Behinderung des liberaldemokratischen Parlaments172. Eine Verständigung auf dieser Basis war nicht möglich, und selbst wenn sie möglich gewesen wäre, hätten die Mehrheitsverhältnisse in Weimar die stärkere Berücksichtigung in der Verfassung verhindert, da auch die Sozialdemokraten in diesem Punkt ganz auf dem liberalen Boden des Preußschen Entwurfs standen. Das verhielt sich anders in der davon getrennten, aber trotzdem geistig damit im Zusammenhang stehenden Frage der möglichen Sozialisierungen. Das Minimalziel schien die Überführung der Bodenschätze, also insbesondere des gesamten Bergbau-Sektors, in Gemeineigentum zu sein. Aber nachdem diese Sozialisierung in der Zeit unmittelbar nach der Revolution versäumt wurde, als sie von jedermann erwartet wurde und auch ohne große Widerstände durchsetzbar gewesen wäre173, hatten sich inzwischen die bürgerlichen Widerstände gegen jede Form der Sozialisierung verfestigt. Die Weimarer Koalition konnte hier zu keiner gemeinsamen Linie finden; wie in den Tagen des alten Reichstags schied sich die Nationalversammlung in dieser wirtschaftspolitisch zentralen Frage in bürgerliche und sozialistische Abgeordnete. Das Sozialisierungsgesetz, das erneut für die USPD prinzipiell nicht annähernd ausreichend war, wurde mit 152:170 Stimmen abgelehnt. „Stürmische Pfuirufe“ bei SPD und USPD änderten auch nichts mehr daran174. Bei der Betrachtung der Debatten um den Räteartikel und um die Sozialisierung fällt auf, daß im Grunde keiner der Beteiligten – mit Ausnahme natürlich der USPD – so recht weiß, was die Räte in der Verfassung sollen. Sie werden institutionalisiert, weil sie als Ergebnis der Revolution nun einmal vorhanden waren und weil sich alle politischen Kräfte einig waren, daß Räte eine prinzipiell sinnvolle und moderne Ergänzung der Demokratie seien. Aber wirklich integriert in den Entscheidungsprozeß wurden sie nicht, sie blieben ein Fremdkörper im Verfassungsgefüge. Die realen Kompetenzen lagen anderswo.
172 Vgl. in der 1. Lesung die Reden von Düringer (DNVP) und Henke (USPD), „Sten. Ber.“, 326. Bd., 473 u. 489; in der 2. Lesung die Reden Delbrücks (DNVP) und Koenens (USPD); 328. Bd., 1772ff. u. 1778ff.; in der 3. Lesung erneut die Reden von Delbrück und Koenen; 329. Bd., 2183 u. 2184f.; im Verfassungsausschuß den USPD-Antrag von Haase, der von Cohn begründet wurde, und wiederum Delbrück; 336. Bd., 393ff. u. 398f. Zur historischen Einordnung Gerhard A. Ritter, Politische Repräsentation durch Berufsstände. Konzepte und Realität in Deutschland 1871–1933, in: Wolfram Pyta und Ludwig Richter (Hrsg.), Gestaltungskraft des Politischen. Festschrift für Eberhard Kolb, Berlin 1998, 261–280. 173 H. A. Winkler, Weimar, 47. 174 „Sten. Ber.“, 329. Bd., 2182. Vgl. 327. Bd., 1005.
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Bipolare Exekutive und Parlamentarismus Ähnlich wie beim Föderalismus und bei der Stellung Preußens hatte Hugo Preuß auch bei der Ausgestaltung des Verhältnisses der obersten Reichsbehörden zueinander sehr bestimmte Vorstellungen, die sich einerseits aus seiner Betrachtung der deutschen Geschichte ergaben, andererseits aber auch aus übergreifenden theoretischen Überlegungen. Und im Gegensatz zum Föderalismus-Problem gelang es ihm hier, sich weitestgehend durchzusetzen175. Auf wohl keinem Teilgebiet der Verfassung entsprachen die letztlich getroffenen Regelungen der Vorlage so sehr wie hier. Ein Grund dafür liegt sicherlich darin, daß hier anders als beim Föderalismus nicht am Status quo gerüttelt werden mußte, da ohnehin eine Neuschöpfung erforderlich wurde und daß es anders als bei den Grundrechten nicht um normative Überzeugungen der Parteien ging. Zudem besaß bislang im Grunde keine Partei wirklich festgefügte Vorstellungen darüber, wie eine republikanische Reichsspitze organisiert sein solle, da es im Kaiserreich keine erkennbare Chance oder Notwendigkeit gegeben hatte, jemals eine solche Aufgabe angehen zu müssen. Hugo Preuß befürwortete auf Grund seiner theoretischen Überlegungen eine Mischung aus französischem und amerikanischem Modell. Frankreich habe in Folge der absoluten Parlamentsherrschaft einen unechten Parlamentarismus, die USA führe mit ihrem Dualismus zum Beutesystem bei der Besetzung der Beamtenschaft und lasse das organische Miteinander der politischen Potenzen vermissen. Beide Fehler gelte es zu vermeiden: Der echte Parlamentarismus setzt zwei einander wesentlich ebenbürtige höchste Staatsorgane voraus, unterscheidet sich jedoch vom Dualismus dadurch, daß diese beiden höchsten Organe nicht unverbunden neben- und gegeneinander stehen, sondern daß die parlamentarische Regierung das bewegliche Bindeglied zwischen ihnen bildet.“ Und weiter: „Dies System schafft die belebende Wechselwirkung zwischen Regierung und Parlament; es sichert der Volksvertretung in vollstem Maße den ihr gebührenden Einfluß auf die politische Führung; aber es begründet keinen schrankenlosen Parlaments-Absolutismus. Die unmittelbare Volkswahl gibt dem Präsidenten eine Art tribunizischer Stellung neben dem Parlament. Der Gefahr, daß die tribunizische Stellung zur cäsarischen werde, wirkt das streng parlamentarische Regierungssystem entgegen.176
175 Zum Verhältnis von Reichspräsident, Reichstag und Reichsregierung vgl. Ch. Gusy, Die Weimarer Reichsverfassung, 98ff. Zur Beratung über die Institutionen auch R. Rürup, Entstehung und Grundlagen der Weimarer Verfassung, 234ff. 176 „Deutschlands Republikanische Reichsverfassung“, 69 u. 70. Vgl. „Das Verfassungswerk von Weimar“, in: Staat, Recht und Freiheit, 426: „Der Parlamentarismus widerstrebt jedem Absolutismus, auch dem des Parlaments.“ Sowohl Frankreich wie die USA taugen für sich allein als Vorbild nichts: „In beiden Systemen fehlt das organische Ineinandergreifen und das organische Ausbalancieren der beiden Potenzen.“ Ebd., 427.
9.3 Die Verfassungsberatungen in der Nationalversammlung
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Das entsprach ziemlich genau dem Modell von Robert Redslob, das allerdings nicht nur auf Hugo Preuß einwirkte, sondern das sehr weitgehende Zustimmung erfuhr177. Das Gleichgewichtsmodell zwischen den Gewalten und die jeweils zugewiesene Kompetenz, die Präsident, Kanzler und Parlament wahrnehmen sollten, ohne deshalb eine strikte Gewaltenteilung nach amerikanischem Muster zu übernehmen, wirkte bis in die Details des politischen Alltags hinein. Schon in seiner Kritik an dem Procedere der Regierungsbildung in Weimar hatte Preuß ebenso wie Koch den Gedanken geäußert, daß in einem wirklichen Parlamentarismus der Reichskanzler selbständig seine Minister auswählen müsse178. Alle diese Überlegungen waren durchdacht, offenbarten aber auch ein gewisses Schwergewicht auf theoretischen Gedankengängen. Das Wechselspiel der Gleichgewichtsfaktoren Präsident und Parlament, mit der Regierung zwischen beiden, bewährte sich im rationalen Diskurs besser als in der politischen Praxis179. Allerdings konnte man in Weimar auch noch keine praktischen Erfahrungen haben, da ein solcher Versuch noch nie unternommen worden war. Die grundsätzliche Frage, die es zunächst zu beantworten galt, war die Frage nach dem Reichsoberhaupt. USPD und Teile der SPD lehnten aus prinzipiellen Gründen einen einzelnen Reichspräsidenten ab und plädierten für eine kollektive Staatsspitze. Demgegenüber befürworteten alle bürgerlichen Parteien einen vom Volk gewählten Präsidenten, wobei die Faustregel gilt, daß seine Stellung um so stärker gewünscht wurde, je weiter rechts die Partei stand180. Die Debatte um den Reichspräsidenten brachte durch alle Lesungen hindurch auch einige Kuriosa zutage. So wurden als Amtsbezeichnung an Stelle des Fremdwortes auch Begriffe 177 R. Redslob, Die parlamentarische Regierung in ihrer wahren und in ihrer unechten Form, 4f. Eine Darstellung der Gedanken Redslobs bei W. J. Mommsen, Max Weber und die deutsche Politik, 372ff. 178 Als der DVP-Abgeordnete Heinze („Sten. Ber.“, 327. Bd., 1339) kritisierte, daß die Ministerauswahl bisher streng kontingentiert nach den Mehrheitsparteien erfolgt sei und somit im Widerspruch zum parlamentarischen System stehe, konnte Preuß den „höchst gesunden und richtigen Grundsätzen“ (1340) Heinzes nur zustimmen. Später schrieb Preuß hierzu („Parlamentarische Regierungsbildung“, in: Staat, Recht und Freiheit, 445): „Parlamentarische Regierung heißt nicht, daß das Parlament oder seine Fraktionen in ihrer vielköpfigen Unverantwortlichkeit unmittelbar regieren, sondern daß eine Regierung klar verantwortlicher Persönlichkeiten besteht, deren Stärke vor Ausland und Inland darin wurzelt, daß sie die anerkannten Führer der im Parlament organisierten herrschenden öffentlichen Meinung ihres Volkes sind.“ Der Reichskanzler müsse mithin selbst in der Lage sein, seine Minister auszuwählen. Ähnlich „Deutschlands Republikanische Reichsverfassung“, 73. 179 Mit der Hellsichtigkeit des Gegners hatte Conrad Bornhak („Selbständige oder parlamentarische Präsidentschaft“, KZ, Nr. 311 [7.7.’19] A) darauf verwiesen, daß die beabsichtigte Vereinigung des amerikanischen und französischen Systems unmöglich sei. Man hätte sich für eines entscheiden müssen; am Gegensatz von Präsident und Parlament werde die Weimarer Republik scheitern. 180 In der allgemeinen Verfassungsberatung der 1. Lesung äußerte bereits der erste Redner, der MSPD-Abgeordnete Fischer, Bedenken gegen die Kompetenzen des Reichspräsidenten; „Sten. Ber.“, 326. Bd., 374.
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wie Reichswalt, Reichsvogt, Reichsverweser, Reichswart oder Reichshauptmann vorgeschlagen. Der Reichstagspräsident sollte nach den Vorstellungen der gleichen Sprachpuristen Obmann oder Worthalter heißen181. Ernster waren Auseinandersetzungen über die Wahlperiode und die Art der Wahl. Die zum Schluß gefundene siebenjährige Amtszeit war erneut ein Kompromiß zwischen den von Hugo Preuß favorisierten 10 Jahren und den 5 Jahren, die der SPD wünschenswert erschienen182. Bei der Wahl war ursprünglich ein einziger Wahlgang mit relativer Mehrheit vorgesehen. Hiergegen hatten die Parteien der Weimarer Koalition Bedenken; sie hofften, durch die Einführung einer Stichwahl Zufallsmehrheiten verhindern zu können183. Damit setzten sie sich über die Opposition von rechts ebenso durch wie in der Frage, ob nur gebürtige Deutsche oder auch naturalisierte Deutsche das passive Wahlrecht besitzen sollten. Das Argument der Koalition richtete sich auf die Deutschen in den nach dem Versailler Vertrag abzutretenden Gebieten184. Es mutet im nachhinein gespenstisch an, daß bei einer Ausgestaltung der Verfassung nach den Wünschen der Rechtsparteien weder der Hindenburg-Coup von 1925 noch die Kandidatur des gebürtigen Österreichers Hitler 1932 möglich gewesen wären; jedenfalls nicht im Rahmen der dann geltenden Verfassungsordnung. Die alten Fronten zwischen bürgerlichen und sozialistischen Parteien gab es in der Frage einer passiven Wahlberechtigung der Mitglieder ehemals regierender Häuser in der Reichspräsidentenwahl. Die bürgerliche Mehrheit setzte sich durch, wobei für die demokratischen Parteien die Rechtsgleichheit und das Selbstbewußtsein der Demokratie ausschlaggebend waren, während die Rechtsparteien noch weiterreichende Gedanken hegten185. Allein auf weiter Flur standen schließlich die Unabhängigen Sozialdemokraten, als sie dem Präsidenten ein Notverordnungsrecht absprechen wollten. Gerade im Hinblick auf die Revolutionskämpfe mit USPD und Spartakus waren sich hier einmal alle anderen Parteien einig186. Verglichen mit der intensiven und über Strecken ausgesprochen niveauvollen Auseinandersetzung über das Amt des Reichspräsidenten kamen die anderen obersten Reichsbehörden etwas kurz, was zum Teil sicherlich daran lag, daß wichtige Detailfragen, wie etwa das Reichstagswahlrecht, einem später zu erlassenden Gesetz vorbehalten blieben. Bei der Wahlperiode gab es erneut einen Kompromiß; die Linksparteien wollten zwei oder drei Jahre als Periode, die Rechtsparteien fünf Jahre mit ähnlichen Begründungen, wie man sie auch schon beim Reichspräsidenten gehört hatte. Man verständigte sich auf den naheliegenden Kompromiß einer 181 Siehe „Sten. Ber.“, 327. Bd., 1283 u. 1326; 336. Bd., 238, 254 u. 458. Besonders aktiv waren in dieser Hinsicht der bayerische Zentrumsabgeordnete Beyerle und der DDP-Vertreter Ablaß. 182 Siehe ebd., 336. Bd., 292. 183 Ebd., 327. Bd., 1306f.; 336. Bd., 235 u. 459. 184 Ebd., 327. Bd., 1306. 185 Ebd., 326. Bd., 374. Der Art. 164 der Vorlage wurde in 3. Lesung mit 198:141 Stimmen gestrichen; ebd., 329. Bd., 2191. 186 Ebd., 327. Bd., 1328ff. In der erhitzten Debatte stand Cohn für die USPD allein auf weiter Flur.
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vierjährigen Legislaturperiode187. Ein Versuch der USPD, mit scheinbar minimalen Korrekturen dem Reichstag die Oberaufsicht über die Verwaltung zu geben und damit, wie Hugo Preuß im Verfassungsausschuß sagte, „aus dem parlamentarischen Rechtsstaate die Willkürherrschaft eines Konvents“ zu machen, scheiterte188. Viele Probleme wurden von der Nationalversammlung überhaupt nicht berührt oder zumindest nicht endgültig entschieden, wie etwa die Frage des richterlichen Prüfungsrechts für die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen189. Auch diese Nachlässigkeit sollte sich später als Fehler im Organisationsgefüge der Republik erweisen. Alles in allem läßt sich für die Struktur der Regierung sagen, daß die Nationalversammlung hier den von der Situation erzwungenen Mut aufbrachte, mit einem bislang unerprobten Regierungssystem ein Experiment zu wagen. Umgekehrt ist dies aber auch der Punkt, an dem die intensivste Kritik einsetzte, zumindest nach dem Untergang der Weimarer Verfassung. Auf diese Kritik, die sich gerade in diesem Kontext auch an Hugo Preuß persönlich richtete, soll später noch eingegangen werden. Jedenfalls ist es zutreffend, daß Preuß’ Vorstellungen nirgendwo so unmittelbar, und damit auch mit so großer Verantwortung für den Urheber in den endgültigen Verfassungstext eingingen, wie das hier der Fall war. Der Kontrast könnte kaum größer sein, wenn wir uns jetzt mit den Grundrechtsartikeln dem letzten zentralen Thema der Weimarer Beratungen zuwenden. Die Grundrechte Die ursprüngliche Absicht von Hugo Preuß war es gewesen, überhaupt keine Grundrechte in die Verfassung aufzunehmen190, denn für das Mehr oder Weniger von Kompromissen ist die gesetzliche Einzelregelung ein günstigerer Boden als die Aufstellung von Grundrechten, bei denen wegen ihrer abstrakten Allgemeinheit allzuleicht die Gegensätze der Doktrinen mit eigensinniger Härte aufeinander stoßen191.
187 Siehe ebd., 327. Bd., 1270ff. u. 1288; 336. Bd., 292ff. 188 Ebd., 336. Bd., 263. Cohn hatte beantragt, dem Reichstag die Oberaufsicht über die Verwaltung zu geben – womit die Exekutive praktisch ausgeschaltet und in die Hände des Parlaments gelegt worden wäre. 189 Vgl. ebd., 328. Bd., 1464ff.; 336. Bd., 362. Die USPD wollte die Richter demokratisch und auf Zeit wählen lassen, drang damit aber nicht durch. Zur Debatte um das Referendum ebd., 336. Bd., 306ff. 190 Zu den Grundrechten in den Beratungen und in der letztlich verabschiedeten Fassung Christoph Gusy, Die Grundrechte in der Weimarer Republik, in: Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte 15 (1993), 163–183; R. Rürup, Entstehung und Grundlagen der Weimarer Verfassung, 236ff.; Michael Stolleis, Weimarer Kultur und Bürgerrechte, in: A. Rödder (Hrsg.), Weimar und die deutsche Verfassung, 89–103, Fritz Stern, Grundrechte und politische Kultur in der Weimarer Republik, in: ebd., 117–124. 191 „Deutschlands Republikanische Reichsverfassung“, 91.
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Diese Auffassung hatte historische, rechtsvergleichende und theoretische Argumente für sich. Die Idee der Grundrechte ist in ihrer ideengeschichtlichen Begründung intensiv mit der Entwicklung des Naturrechts verbunden, und das galt 1919 als hoffnungslos veraltet. Die Verfassung des Kaiserreiches hatte keine Grundrechte enthalten, so daß hier auch keine Rücksicht auf einen Status quo genommen werden mußte. Und betrachtete man andere wichtige Verfassungen, dann konnte man sich in der Sache durchaus bestätigt fühlen. In Großbritannien gab es einen ausgefeilten Grundrechtskanon ebensowenig wie eine schriftlich in einem Dokument fixierte Verfassung, während Frankreich über alle Verfassungsumbrüche hinweg zwar die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 bewahrt hatte, aber dies eher als historische Reminiszenz und Verbeugung vor den Ansprüchen an französische Weltgeltung und weniger als unmittelbar geltendes Recht. Selbst die USA waren nur scheinbar ein Gegenbeispiel, denn wenn es hier auch einen seit 1791 geltenden Grundrechtskatalog gab, spielte der doch in der Verfassungswirklichkeit kaum eine Rolle, da er nur für die Bundesregierung bindende Wirkung besaß, nicht aber für die in dieser Hinsicht weit wichtigeren Einzelstaaten192. Folgerichtig enthielt der Vorentwurf denn auch nur wenige Punkte, die überhaupt in die Nähe von Grundrechten kamen; die Gleichheit vor dem Gesetz, die Glaubens- und Gewissensfreiheit und der Schutz nationaler Minderheiten. Wenigstens der letzte Punkt war überwiegend auf das Ausland und die zu erwartenden Gebietsverluste gerichtet. Diese knappe Behandlung oder eigentlich Nicht-Behandlung der Grundrechtsfrage fand bei den Parteien keine Gnade. Bereits in die nächste Fassung des Entwurfs mußte Preuß einen Grundrechtskatalog aufnehmen, und dieser immer noch recht knappe Katalog war in der endgültigen Verfassung dermaßen angeschwollen, daß er als eigener Hauptteil der Verfassung neben die Regelung des Organstatuts gestellt werden mußte193. Damit waren die schlimmsten Befürchtungen Hugo Preuß bestätigt worden. Die Debatte über die Grundrechte nahm einen guten Teil der Zeit weg, die Preuß lieber für die ihm wichtigeren Organisationsfragen verwendet hätte. Zudem brachte 192 Die Ausdehnung der vom Bund garantierten Grundrechte auf die Einzelstaaten erfolgte in den USA weitestgehend erst im Rahmen der Bürgerkriegsrechtsprechung der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Vgl. Michael Kent Curtis, „Incorporation Doctrine“, in: Kermit L. Hall (Hrsg.) The Oxford Companion to the Supreme Court of the United States, New York und Oxford 1992, 426f.; Henry J. Abraham, Freedom and the Court. Civil Rights and Liberties in the United States, 2. Aufl., New York, London und Toronto 1972, 29ff., wo eine vollständige Übersicht über die Entwicklung der „Inkorporation“ der Bill of Rights gegeben wird. 193 Vgl. ebd. zur Schilderung Preuß’ über die Ausweitung der Grundrechte in der Verfassung. Eigentlich wollte er gar keine Grundrechte formulieren, aber auf einhelligen Wunsch „nahm ich dann eine Anzahl von Grundrechten in den Verfassungsentwurf auf, die sich freilich mit vorsichtiger Zurückhaltung auf einige möglichst unverfängliche Sätze beschränkten“. Plenum und Verfassungsausschuß weiteten sie kräftig aus (ebd., 92f.), so sehr, daß sich „(d)ie Gliederung der Verfassungsurkunde in zwei Hauptteile ... bei der Schlußredaktion als notwendige Folge der breiten Ausgestaltung, die der Verfassungsausschuß den Grundrechten gegeben hatte“ ergab („Reich und Länder“, 24), da sie nun für eine Einfügung zu umfangreich waren.
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die Diskussion um die mit Grundrechten immer verbundenen normativen Fragen der Wertorientierung und der Werthierarchie die fragile Mehrheit der Weimarer Parteien mehrfach an den Rand des Zerfalls. Und das alles wegen einer Frage, die für Preuß ohnehin keine große praktische Bedeutung besaß. Die Formulierung von Grundrechten war für ihn mit der Erlangung der vollen Demokratie obsolet geworden; als Abwehrrechte gegen den Obrigkeitsstaat hatten sie anscheinend ausgedient194. Mit dieser Auffassung stand Preuß keineswegs allein. Von rechts sekundierte ihm, wenn auch mit anderer Zielrichtung, sein Fachkollege Conrad Bornhak195, in seiner eigenen Partei fand er Unterstützung bei Erich Koch, der noch in der Preußen-Frage der schärfste Widersacher Hugo Preuß’ gewesen war. Kochs Rede für die DDP in der 2. Lesung hätte auch von Preuß stammen können: Es muß ... anerkannt werden, daß die Zeit, wo es unbedingt notwendig war, Grundrechte zu schaffen, vorüber ist. Die Grundrechte hatten ihre hohe Bedeutung im Gegensatz des Obrigkeitsstaates zu der Bevölkerung. ... Sie hatten ihren Wert darin, daß das Volk bei der Gelegenheit, wo es eine Verfassung erhielt, von vornherein sich gegen Übergriffe der Obrigkeit, der Regierung zu schützen versuchte. ... Aber ... davon ist natürlich vieles überholt in einem Augenblick, wo das Volk in einem demokratischen Staate lebt und jederzeit die Gelegenheit hat, durch Mehrheitsbeschlüsse in den geordneten Wegen der Gesetzgebung tatsächlich das zum Gesetz zu erheben, was hier in den Grundrechten immer nur mehr oder weniger flüchtig und oberflächlich angedeutet werden kann. Zugleich aber ist mit unseren parteipolitischen Zuständen auch die große Gefahr verbunden, daß man, um die Grundrechte festzulegen, nicht hinauf in die Gestirne greift, sondern daß man statt dessen das Rüstzeug aus dem Arsenal des Parteiprogrammes und der Parteibroschüren herausholt ... und auf diesem Wege dasjenige als Grundrecht zu verewigen sucht, was eigentlich Parteiangelegenheit ist.196
Der nächste Redner in der gleichen Sitzung war Hugo Preuß, und er antwortete
194 Noch 1924 („Reichsverfassungsmäßige Diktatur“, in: ZfP, 13. Bd. [1924], 97–113, hier 99) schrieb Preuß: „Das durch die lange überalterte Herrschaft des Obrigkeitssystems tief eingewurzelte Mißtrauen aller Regierten gegen alle Regierenden verlangte nach der ‚Verankerung‘ aller möglichen Garantien in der Verfassung. Bezeichnend ist das besonders lebhafte und eifrige Interesse für die Ausgestaltung der Grundrechte. Vergeblich habe ich mich immer wieder bemüht, diesen Eifer etwas abzudrosseln, in Erkenntnis der Gefahr, daß die unvermeidlichen Gegensätze bei den kirchen-, schul-, sozial- und wirtschaftspolitischen Problemen die für die nationalpolitische Organisation vorhandene starke Mehrheit zersetzen könnten. Nur durch vorsichtigstes Nachgeben, Einlenken und Vermitteln, durch endlose Kompromisse und Verklausulierungen konnte die oft sehr unmittelbar drohende Gefahr abgewendet werden.“ 195 C. Bornhak, Die Grundrechte des deutschen Volkes, KZ, Nr. 356 (31.7.’19) A: „Die Grundrechte bilden den charakteristischen Aufputz der neuen Reichsverfassung. Sie sind das Spielzeug politischer Kinder und lenken von ernsteren Dingen ab. Unschädlich ist das Spielzeug insofern, als die neue Reichsverfassung ohnehin aus anderen Gründen undurchführbar ist. Aber die Grundrechte bilden auch außerdem ein eigenes Hemmnis. Sie müssen schließlich beitragen zu der Erkenntnis: Mit dieser Verfassung kann es nicht gehen.“ Diesem Schluß konnte Preuß natürlich nicht mehr zustimmen. 196 „Sten. Ber.“, 328. Bd., 1500.
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9. Das Verfassungswerk von Weimar auf die Frage des Herrn Abgeordneten Koch, ob sich die Regierung oder ich als Vertreter der Regierung zur Vaterschaft der Grundrechte, wie sie hier vorliegen, bekenne, ... mit einem lauten und vernehmlichen Nein197.
Die von vielen Seiten geäußerte Kritik der 2. Lesung reihte sich im Grunde nahtlos an frühere Vorgänge an. Bereits in der 1. Lesung hatten die Grundrechtsartikel allgemeine Unzufriedenheit ausgelöst. Kritisiert wurde teils, daß sie überhaupt in der Verfassung standen, teils, daß wichtige Grundrechte vor allem im sozialen Bereich fehlten, teils, daß sie schon jetzt zu ausgedehnt waren198. Im Verfassungsausschuß legte dann jede Partei ganz ausgedehnte Anträge vor, die ausformulierte Grundrechtsartikel aus der Sicht der jeweiligen Partei anboten. Allein vier Sitzungen wurden im Verfassungsausschuß damit zugebracht, über die Stellung der Kirche zu debattieren. In der Nationalversammlung ermahnte Präsident Fehrenbach in der 54. Sitzung die Abgeordneten, die Reden kurz zu halten, da sich neue Gesichtspunkte doch nicht ergäben und die Reden erfahrungsgemäß die Abstimmungen nicht mehr beeinflußten. Wie wenig Erfolg der Appell hatte, zeigt sich etwa daran, daß Fehrenbach ihn in der 56. und in der 57. Sitzung wiederholte199. Erich Koch notierte in seinem Tagebuch zur gleichen Zeit: Es geht entsetzlich langsam voran mit der Verfassung im Plenum. Die Grundrechte ruinieren uns, wie ich immer prophezeit habe. Jeder weiß noch etwas Neues, das notwendig hineingehört, und jeder weiß auch über das, was schon drinsteht, eine Rede zu halten, auch wenn sie keinen neuen Gedanken enthält.200
Im Verfassungsausschuß stammte der einzige völlig vom Einerlei der Parteien abwiechende Vorschlag von Friedrich Naumann. Er hatte eine Liste volksverständlicher Grundrechte vorgelegt, die seine Ausschußkollegen einigermaßen ratlos dastehen ließ. Naumann führte eine kräftige, volkstümliche und zum Teil fast poetische Sprache, aber justiziable Grundrechte waren auf seiner Liste kaum zu finden201. In der Debatte im Verfassungsausschuß ist die Verlegenheit deutlich zu 197 Ebd., 1502. 198 Ebd., 326. Bd., 376 u. 380 mit den divergierenden Ansichten der SPD und des Zentrums zur Schulfrage. Auch Preuß’ Parteifreund, der Völkerrechtler Schücking äußerte sich (478) unzufrieden über die Grundrechte: „Dieses Kapitel des Verfassungsentwurfs hat uns allerdings außerordentlich enttäuscht; denn wir finden hier ... eigentlich doch nur die ältesten Ladenhüter aus dem Jahre 1848.“ 199 Ebd., 328. Bd., 1495, 1528 u. 1573. Im Verfassungsausschuß wurde allein vier Sitzungen (18.– 21. Sitzung) über den Art. 30 und das Verhältnis von Kirche und Staat debattiert. 200 BAK, NL Koch-Weser, Nr. 16, Bl. 233f. Die Eintragung ist vom 15.7. Am 17.7. (ebd., Bl. 235f.) klagt er über die „Gelegenheitsgesetzmacherei“ bei den Grundrechten. Bereits am 28.5. notierte er (Bl. 147): „Die Grundrechte sind nun einmal nichts anderes als angedeutete Gesetze. Und über nichts kann man soviel schreiben als über unfertige Gesetze.“ Am 3.6. (Bl. 157) moniert er, daß das Zentrum plötzlich weitere Zugeständnisse in der Schulfrage verlange: „Das kommt davon, wenn man alles Mögliche in die Grundrechte hineinarbeitet, was ebenso gut später geregelt werden könnte.“ 201 Gertrud Bäumer, Lebensweg durch eine Zeitenwende, Tübingen 1934, 375 beschreibt plastisch die Reaktion: „Den Juristen standen die Haare zu Berg, und auch viele von uns erschraken ein
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spüren, mit der nach Formulierungen gesucht wurde, die Naumann nicht verletzten, zugleich aber die völlige Unbrauchbarkeit seiner Vorlage klarstellten202. Die 2. Lesung im Plenum brachte in erster Linie jede Menge Kritik an der Vorlage des Verfassungsausschusses und die Rückverweisung der Grundrechtsartikel an dieses Gremium203. Diese Kritik wurde auch innerhalb des Regierungslagers geübt. Zwischen Zentrum und SPD, den beiden nach der Unterzeichnung des Versailler Vertrages noch übrig gebliebenen Regierungsparteien, war während der ganzen Beratungen die Frage von Kirche, Schule und Religionsunterricht umstritten gewesen. Erst in letzter Minute verhinderte ein Kompromiß zwischen den Fraktionsführern Löbe und Gröber ein Scheitern der Grundrechte an diesem Problem204. Dieser Kompromißcharakter haftet dem gesamten Grundrechtsteil an, noch mehr als der Weimarer Verfassung überhaupt. Es kann kaum ein Zweifel daran bestehen, daß der aus allen Proportionen geratene Grundrechtsteil, in dem Gesetzesregelungen, klassische Abwehrrechte und programmatisch-visionäre Erklärungen unvermittelt nebeneinander stehen, der schwächste Abschnitt der ganzen Verfassung ist. Es ist ein Kuriosum, daß diese 57 Artikel der Verfassung letztlich wenig.“ Bäumer war eine enge Mitarbeiterin Naumanns. Peter Theiner, Sozialer Liberalismus und deutsche Weltpolitik. Friedrich Naumann im Wilhelminischen Deutschland (1860–1919), Baden-Baden 1983, 293f., nennt den Grundrechtsvorschlag eine „Mischung aus lapidaren Sentenzen, Nationalhymnenversatzstücken und Rechtssätzen“. 202 Naumann begründete seinen Vorschlag als Berichterstatter im Verfassungsausschuß in einer niveauvollen Rede („Sten. Ber.“, 336. Bd., 176ff.). Zu den ausgedehnten Anträgen aller Parteien ebd., 171ff. Für den Mitberichterstatter Düringer (ebd., 182) war der Antrag Naumanns „ein liebenswürdiger Versuch und eine Idee, die an und für sich Sympathie erwecken kann“ – nur eben völlig unbrauchbar. Ähnlich auch Heinze (369): „Der Zweck der Verfassung ist doch der, Rechtssätze zu schaffen, und nicht Lehrsätze einzuführen. Ein Verfassungsgesetz kann doch nicht volkstümlich sein.“ Im Plenum (328. Bd., 1495) übernahm dann bezeichnenderweise Düringer und nicht Naumann die Aufgabe des Berichterstatters. Auch hier nannte er den Entwurf Naumanns „eine Art politischer Aphorismensammlung“, aus der Beyerle einige der Leitgedanken juristisch verwertbar umformuliert habe (1496). 203 Die Rede Kochs ist bereits oben zitiert worden, für die DVP äußerte Heinze Bedenken gegen die unsystematischen Grundrechte, die zu viele neue Rechtssätze einführten und aus allen Bereichen etwas übernommen hätten („Sten. Ber.“, 328. Bd., 1498). Der Sozialdemokrat Quarck drückte das Unbehagen am pointiertesten aus (ebd., 1504f.): „(M)an hat den Eindruck einer etwas uneinheitlichen und ... salatähnlichen Komposition.“ Die angesichts dieser vielfältigen Kritik nicht mehr überraschende Rückverweisung an den Ausschuß ebd., 1507. 204 Vgl. ebd., 336. Bd., 524ff.; 328. Bd., 1673ff.; 329. Bd., 2161ff. Auch mit den Ländern, die sich in ihrer Kulturhoheit eingeschränkt sahen, mußte ein Kompromiß gefunden werden. In der zweiten Julihälfte entfalteten die Kultusminister hektische Aktivitäten, um die Rechte der Länder zu wahren. Dazu gehörte auch eine Konferenz am 22.7. Vgl. hierzu den Aktenniederschlag im BAK, R 43 I, Bd. 1862, 563–596. Preuß war an diesen Debatten kaum beteiligt. Vgl. Günther Grünthal, Reichsschulgesetz und Zentrumspartei in der Weimarer Republik, Düsseldorf 1968, 35ff.; und umfassend L. Richter, Kirche und Schule in den Beratungen der Weimarer Nationalversammlung.
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verabschiedet wurden, obwohl die Regierung ursprünglich überhaupt keine Grundrechte wollte und obwohl in allen Lesungen im Plenum wie im Verfassungsausschuß überwiegend Kritik an den Vorlagen geäußert wurde. Der Kompromiß erlaubte allen Parteien, an irgendeiner Stelle ihre jeweiligen Wünsche zu manifestieren, und dies führte dann dazu, daß alle widerwillig zustimmten. Bezeichnenderweise griff Hugo Preuß kaum in die Grundrechtsdebatten ein. Ihm paßte die ganze Debatte nicht, und so ließ er die Parteien ohne seine helfende Hand frei schalten und walten. Zum Zeitpunkt der letzten Beratungen über die Grundrechte war Hugo Preuß ohnehin nicht mehr der verantwortliche Reichsinnenminister. Zwar stand er als Reichskommissar nach wie vor für die Verfassungsdebatte zur Verfügung, aus der Reichsregierung war er aber bereits ausgeschieden. Ursache hierfür war der Versailler Vertrag. 9.4 Weimar und Versailles Parallel zur Vorbereitung der Verfassungsberatungen war die zweite große Aufgabe angepackt worden, mit der sich die Regierung Ebert-Scheidemann als Erbe der bankerotten Politik des Kaiserreiches konfrontiert sah: der Fortführung von Waffenstillstandsverhandlungen und der Vorbereitung der Versailler Friedenskonferenz205. Verhandlungsführer war in der ersten Phase der einflußreiche Zentrumsabgeordnete Matthias Erzberger gewesen, einer der wenigen Demokraten in seiner Partei schon lange vor Ende des Kaiserreiches206. Seit der Friedensresolution 1917, deren Architekt Erzberger gewesen war, wurde er von den Rechten mit unversöhnlichem Haß verfolgt, der sich durch Erzbergers angeblich zu nachgiebige Haltung in den Gesprächen mit den Siegern immer weiter steigerte. Als Reichsfinanzminister konnte Erzberger gerade noch eine epochemachende Finanzreform durchsetzen, die das Bismarcksche Steuersystem grundlegend zugunsten des Reiches änderte. Damit schuf er die Grundlagen der Finanzordnung Deutschlands, die noch in der Bundesrepublik bis in die späten sechziger Jahre hinein in weiten Teilen unverändert blieben. 1921 erreichte die Hetze ihr Ziel; Erzberger wurde von den Feinden der Republik ermordet. Die Versailler Ereignisse unterbrachen empfindlich und im Grunde sogar irreparabel den Gang der Beratungen. An Optimismus herrschte anfänglich kein Mangel; trotz der Härte der Waffenstillstandsbedingungen glaubte man für den Frieden feste Zusagen zu haben und im amerikanischen Präsidenten Wilson zudem einen Garanten, der die Einhaltung dieser Zusagen auch verbürgen konnte. Die 205 Siehe Klaus Schwabe (Hrsg.), Quellen zum Friedensschluß von Versailles, Darmstadt 1997. Als Darstellung immer noch Peter Krüger, Versailles. Deutsche Außenpolitik zwischen Revisionismus und Friedenssicherung, München 1986, und ders., Die Außenpolitik der Republik von Weimar, Darmstadt 1985. 206 Zu Erzberger siehe Klaus Epstein, Matthias Erzberger und das Dilemma der deutschen Demokratie, Frankfurt a.M. usw. 1976.
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öffentlichen Äußerungen, die allen warnenden Vorzeichen zum Trotze anscheinend auch den tatsächlichen Erwartungen der Reichsregierung entsprachen, waren in der Zeit vor der Übergabe des Vertragsentwurfes von einer Zuversicht geprägt, die geradezu erstaunlich wirkt. So erklärte der Kolonialminister Bell noch Anfang März vor der Nationalversammlung „Deutschlands Forderung nach Wiederherstellung seines Kolonialbesitzes“ für „(u)nabweisbar und unverzichtbar“207. Die Realitätsferne solcher Forderungen war mit den Händen zu greifen, aber ernste Skepsis zeigte sich fast nur bei den Parteien der Rechten. Die Mehrzahl der Politiker und der Öffentlichkeit glaubte, daß Deutschland nach seiner Demokratisierung Anspruch darauf habe, von der Völkergemeinschaft wieder aufgenommen zu werden. Um so härter wirkte der Schock, als die Bedingungen des alliierten Vertragsentwurfes der deutschen Delegation und der deutschen Öffentlichkeit bekannt wurden208. In den Protokollen der Reichsregierung dominiert schon vor der Übergabe der Versailler Friedensbedingungen am 7. Mai 1919 das Thema „Friedensvertrag“ gegenüber dem Thema „Reichsverfassung“ eindeutig. Danach gibt es kaum noch etwas anderes209, und zusätzlich wurde jetzt auch die bislang konzentriert an der Verfassung arbeitende Nationalversammlung paralysiert. In den guten zwei Monaten nach ihrer Eröffnung hatte sie bis zum 15. April immerhin bereits 38 Sitzungen absolviert. Die 39. Sitzung aber erfolgte erst am 12. Mai in der Aula der Berliner Universität, in die man umgezogen war, um in feierlicher Inszenierung den Protest aller Parteien gegen den Vertragsentwurf auszusprechen. Reichsministerpräsident Scheidemann sprach in dieser Sitzung sein in ganz Deutschland bejubeltes „unannehmbar“ aus210. Bis zur nächsten, der 40. Sitzung am 22. Juni, verging wieder mehr als ein Monat. In ihr, nun wieder in Weimar, wurde die Regierungserklärung von Gustav Bauer abgegeben und Scheidemanns ‚unannehmbar‘ in die nur durch wenige kosmetische Korrekturen geschönte bedingungslose Annahme des Versailler Vertrages umgewandelt. Danach ging es wieder schneller; schon am 2. Juli erfolgte in der 44. Sitzung die 2. Lesung der Verfassung, an der in der Zwischenzeit der Verfassungsausschuß (4. März bis 18. Juni) weitergearbeitet hatte. In den nächsten 28 Tagen gab es nicht weniger als 26 Sitzungen, bis am 29. Juli in der 69. Sitzung die 3. Lesung erfolgen konnte. Zwei Tage später, am 31. Juli, wurde die Verfassung verabschiedet. In der großen Zwischenperiode scheinbarer äußerer Untätigkeit, in den 41 Tagen, die zwischen dem 12. Mai (‚Unannehmbar‘) und dem 22. Juni (Vertrags 207 In der 18. Sitzung am 1.3.; „Sten. Ber.“, 326. Bd., 413. Bereits in der 7. Sitzung am 14.2. (ebd., 66) hatte Außenminister Graf Brockdorff-Rantzau gleichfalls die Kolonien reklamiert und zugleich bekräftigt, daß nur ein Frieden der Gerechtigkeit unterzeichnet werden könne. 208 Vgl. zu diesem Schock und den unmittelbaren Reaktionen hierauf M. Dreyer und O. Lembcke, Die deutsche Diskussion um die Kriegsschuldfrage 1918/19, 123ff. 209 H. Schulze (Hrsg.), Das Kabinett Scheidemann; A. Golecki (Hrsg.), Das Kabinett Bauer. 210 Auch später fand Scheidemann starke Worte; in seinen Erinnerungen nennt er den Versailler Vertragsentwurf „das infamste Machwerk, das blinder Haß und sinnlose Wut jemals produziert haben“; Ph. Scheidemann, Memoiren eines Sozialdemokraten II, 363.
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annahme) lagen, spielte sich das Drama ab, das auch der Weimarer Reichsverfassung seinen Stempel aufdrückte. Versailles beherrschte alle Gedanken der deutschen politischen Öffentlichkeit. Betrachtet man die Wirksamkeit des Reichsinnenministers in diesem Kontext, dann stellt man fast, daß es von Preuß praktisch kaum Einflußnahme auf die Versailler Verhandlungen gab. Schon im April hatte Preuß an die Sieger appelliert, dem geschlagenen Deutschland mit Vertrauen und Nachsicht zu begegnen. Sein Vertrauen in die angeblich so sichere Rechtsbasis war weit geringer ausgeprägt als bei den meisten seiner Ministerkollegen211. So sah er sich auch nach Übergabe der Vertragsbedingungen weniger genötigt, seiner Empörung Raum zu geben212. Preuß arbeitete die ganze Zeit über weiter mit dem Verfassungsausschuß an der Verfassung, die Orchestrierung der internen wie der öffentlichen deutschen Position überließ er anderen, ebenso die ständigen und an Schärfe zunehmenden Reibereien zwischen dem Kabinett und der Delegation. Die ohnehin schon kaum lösbare Aufgabe, Zugeständnisse von der Entente zu erlangen, wurde durch die mehr als ungeschickte Diplomatie des Außenministers und Versailler Delegationsleiters, Graf Brockdorff-Rantzau, gänzlich unmöglich gemacht. Sein „Notenkrieg“ mit der Entente, der ohne Wissen und zum Teil gegen ausdrückliche Weisung Berlins durchgeführt wurde, verhärtete die Fronten in Versailles weiter213. Dies lag durchaus im Kalkül des selbstbewußten Grafen, der, gestärkt durch das Scheidemannsche ‚unannehmbar‘ mit einem Resultat, bei dem der Vertrag wirklich unannehmbar zu sein schien, durchaus zufrieden war. Aber dieses Kalkül mußte scheitern, denn Deutschland war weder militärisch noch sonstwie in der Lage, das bei einer möglichen Vertragsablehnung drohende Wiederaufflammen der Kämpfe durchzustehen. Anders als dem in einer Phantasiewelt lebenden Außenminister war dies der Bevölkerung wie der Mehrheit der Nationalversammlung bewußt, und so gab es letztlich keine Alternative. Wenn von den Geburtsfehlern die Rede ist, die schon am Anfang der Weimarer Republik der deutschen Demokratie das Leben erschwerten, dann sollte man auch der verfehlten Diplomatie des Grafen Brockdorff-Rantzau gedenken. Seine indiskutable Verhandlungsführung verbaute den Weg zu Konzessionen der Sieger, führte zum Ultimatum 211 Am 4.4.’19 appellierte Preuß in einem Brief an einen englischen Kollegen, der am 28.4.’19 im Manchester Guardian veröffentlicht wurde (BAB, NL Hugo Preuß, Bd. 1, Bl. 133), an die Sieger, jetzt Vertrauen zum neuen Deutschland zu zeigen. „I still place my hope upon the common sense and fairness of the English national spirit.“ Sonst drohe eine europäische Katastrophe. Es sei einfacher für die Sieger, den ersten Schritt zu tun; „only confidence begets confidence“. 212 Trotzdem schrieb Preuß später (undat. Fragment „Aufzeichnungen über die Friedenskrisis“, BAB, NL Hugo Preuß, 90 Pr 1, Bd. 1, Bl. 22–37, hier Bl. 22), daß die Bekanntgabe der Bestimmungen „auch auf den, der sehr Schlimmes und Hartes erwartet hatte, mit niederschmetternder Wucht wirken“ mußte. 213 Zum Notenkrieg, der entgegen den Berliner Wünschen die Kriegsschuldfrage in den Mittelpunkt stellte, siehe M. Dreyer und O. Lembcke, Die deutsche Diskussion um die Kriegsschuldfrage 1918/19, 133ff. Zur Person des Außenministers Leo Haupts, Graf BrockdorffRantzau. Diplomat und Minister in Kaiserreich und Republik, Göttingen und Zürich 1984.
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und mit dessen unumgänglicher Annahme zum Sturz der Regierung und zur weiteren Vergiftung der politischen Atmosphäre in Weimar. Es ist viel geschrieben worden über die Belastung, die der Versailler Vertrag als Starthypothek für die Weimarer Republik bedeutete. Reichsregierung nach Reichsregierung hatte sich mit seinen Folgewirkungen auseinanderzusetzen, hatte die Reparationszahlungen aufzubringen und hatte den in der Regel vergeblichen Versuch zu unternehmen, um eine Milderung der Bedingungen nachzusuchen. Umgekehrt verkörperte sich für die republik- und demokratiefeindliche Rechte im Versailler Vertrag alles, wofür sie die Republik verantwortlich machte. Er war der Punkt, an dem sich die Gegner des „Systems“ sammeln konnten, um die den politischen Prozeß vergiftende Mär vom „Dolchstoß“214 der „Novemberverbrecher“ fortzuspinnen. Diese Belastung der Weimarer Republik ist Hugo Preuß von Anfang an klar gewesen. Seine späteren Äußerungen über Versailles sind ebenso scharf wie aufschlußreich: Von Anbeginn lastete der Fluch des unmöglichen und widersinnigen Scheinfriedens von Versailles auf dem Schicksal der neuen Reichsverfassung und der jungen deutschen Demokratie. Seitdem ist all das Unheil, das dem Sumpfboden jener großen Friedenslüge entsprießen mußte, giftig ins Kraut geschossen; es drückt Deutschland zu Boden, ruiniert Europa und schändet den Gedanken der Demokratie. Im Namen der siegreichen Demokratie hat man jenes undemokratischste Gewaltwerk der Geschichte erzwungen; im Namen der demokratischen Selbstbestimmung der Völker hat man das deutsche Volk verstümmelt und entrechtet; im Namen des internationalen Rechts hat man Deutschland um die rechtsverbindlichen Voraussetzungen des Waffenstillstandes und Friedensschlusses betrogen; im Namen desselben Rechts begeht man an dem wehrlosen Deutschland im Rheinland und an der Ruhr Verbrechen ohne Beispiel in der neueren Geschichte der Völker.215
Preuß wußte, welche Waffe dieser Vertrag den rechten Feinden von Demokratie und Republik ungewollt in die Hand gab. Das war auch der Hauptgrund, warum er sich in der Entscheidungsphase, als sich alles auf die Frage ‚annehmen oder ablehnen?‘ zuspitzte, gegen die Unterzeichnung des Vertrags aussprach. Man muß hier 214 Klischeegesättigt und mit Anklängen an Wagner und die deutsche Sagenwelt hat Paul von Hindenburg, Aus meinem Leben, 121.–130. Tsd., Leipzig 1925 dies ausgedrückt: „Wie Siegfried unter dem hinterlistigen Speerwurf des grimmen Hagen, so stürzte unsere ermattete Front; vergebens hatte sie versucht, aus dem versiegenden Quell der heimatlichen Kraft neues Leben zu trinken.“ 215 „Deutschlands Republikanische Reichsverfassung“, 3. „(D)er verbrecherische Wahnsinn des Versailler Diktats“ (ebd., 100) sei gegen Recht und politische Vernunft gerichtet. Die Unerfüllbarkeit des Vertrages stehe außer Frage. „Und weil sich das neue Reich nun einmal zum Allerunmöglichsten verpflichtet hatte, konnten ihm in der Folge die Gegner unter dem falschen Schein der Milderung immer wieder Unmögliches auferlegen und so die deutsche Demokratie von Demütigung zu Demütigung zerren und ihre Regierungen eine nach der anderen unmöglich machen.“ (101) In „Republik oder Monarchie? Deutschland oder Preußen“, in: Staat, Recht und Freiheit, 472, schreibt Preuß, daß die Alliierten angeblich für die Demokratie gekämpft hätten, den Sieg aber auf eine Art nutzten, „die nicht nur den Prinzipien der Demokratie, sondern jeder vernünftigen Politik ins Gesicht schlägt“. Ähnlich auch „Bergbriefe“, 8, mit der bitteren Bemerkung, daß 1814/15 die Solidarität der Reaktionäre größer gewesen war als 1918/19 die der Demokraten.
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erneut zwischen Hugo Preuß und seiner Partei unterscheiden. Für viele in der DDP standen die Ehrenpunkte und die weiteren Vertragsbedingungen als solche im Vordergrund, Preuß dachte primär an die Folgen für die deutsche Demokratie. In der Ablehnung des Versailler Vertrages sah er eine durchaus realistische Chance; eine bessere Hoffnung jedenfalls, als es die bisherigen Verhandlungen gewesen waren: Der feindliche Entwurf war das Resultat monatelanger mühseliger Verhandlungen zwischen den Alliierten gewesen; jede Abänderung an irgend einem wesentlichen Punkte mußte den kaum erreichten und viel umstrittenen Ausgleich der einander mannigfach durchkreuzenden Interessen der Verbündeten wieder in Frage stellen. Warum sollten sie sich dieser Gefahr aussetzen?
Deutschland konnte den Krieg nicht wieder aufnehmen. Aber vielleicht konnte es darauf hoffen, daß durch die Ablehnung des Vertrages durch Deutschland auch die Entente in Gefahr gebracht worden wäre: Und diese Gefahr konnte nach Lage der Dinge nur eine einzige sein: daß sich nämlich keine geordnete, im Besitz organisierter Macht befindliche Regierung in Deutschland finden werde, die die Versailler Bedingungen annähme. Die Entente mußte also vor die Wahl gestellt werden: entweder ihre Bedingungen in der Richtung der deutschen Gegenvorschläge wesentlich zu modificieren, oder keine Regierung in Deutschland zu finden, mit der sie Frieden schließen konnte; abgesehen etwa von den Unabhängigen ohne Nationalversammlung und mit allen Folgen eines solchen Zustandes. Das war also der allein entscheidende Punkt.216
Das war die Drohung mit dem politischen Selbstmord, die eher von der verzweifelten Lage spricht als von nüchterner Überlegung217. Immerhin hat Preuß später genügend Einsicht gehabt, seine die Erregung des Augenblicks atmenden Aufzeichnungen nicht zu veröffentlichen. In den Debatten der letzten Tage vor der Unterzeichnung machten die süddeutschen Staaten deutlich, daß eine Ablehnung des Vertrages den sofortigen Einmarsch der Franzosen und möglicherweise die Teilung Deutschlands zur Folge haben würde, und die Militärs zeigten, daß an eine Gegenwehr nicht zu denken sei. Auch das Volk war von den Kriegsjahren erschöpft, und die verschiedenen in den Akten zu findenden vertraulichen Stimmungsberichte der Zeit, die ein besseres Bild von der realen Lage bieten als die Leitartikel und Parlamentsreden, bestätigen den fehlenden Widerstandswillen218. Unmittelbar nach der Unterzeichnung des Versailler Vertrages schrieb Ernst Troeltsch in einem seiner klug beobachtenden Spektator-Briefe: Je mehr man im Lande, namentlich im Westen, dem Wiederaufleben des Krieges als ernsthafter Konsequenz dieser Politik ins Auge sehen mußte, um so mehr entstand Widerwille vor neuem Krieg. Ein absolutes Friedensbedürfnis erfüllte die Massen, die nicht mehr wollten und nach
216 Beide Stellen „Aufzeichnungen über die Friedenskrisis“, BAB, NL Hugo Preuß, 90 Pr 1, Bd. 1, Bl. 24 u. Bl. 25. 217 Zu diesen und ähnlichen Drohgebärden vgl. E. Kolb, Internationale Rahmenbedingungen einer demokratischen Neuordnung, 160. 218 Detailliert und mit Nachweisen hierzu M. Dreyer und O. Lembcke, Die deutsche Diskussion um die Kriegsschuldfrage 1918/19, 157ff.
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der Äußerung von kundigen Führern auch nicht mehr konnten. Die Leute sind körperlich und seelisch gebrochen durch all die Leiden und Stürme der letzten Zeit.219
Anders sah es bei der DDP aus. Der Fraktionsvorsitzende Friedrich von Payer, als Süddeutscher direkt von einem möglichen Einmarsch der Entente betroffen, war einer der wenigen Befürworter des Vertrages in der Fraktion gewesen. Payer hatte Brest-Litowsk vor Augen, wo die deutschen Truppen nach der Ablehnung des Friedensvertrages durch die russische Revolutionsregierung einfach weitermarschiert waren. „Wie konnte man denn eigentlich annehmen, die Franzosen und Belgier werden uns gegenüber schonender verfahren?“220 Es gelang Payer nicht, seine Fraktion zu überzeugen. Am 19. Juni hielt Walther Schücking, der als Unterhändler in Versailles gewesen war und somit aus erster Hand berichten konnte, ein emphatisches Plädoyer gegen die Unterzeichnung, in dem er ebenso wie Preuß auf die Munition hinwies, die eine Unterzeichnung den reaktionären Gegnern der Republik unweigerlich geben mußte221. Schückings Rede gab die Stimmungslage der Fraktion korrekt wieder, und Payer wurde an der Spitze der Fraktion von Eugen Schiffer abgelöst. Die Ablehnung des Vertrages durch die DDP führte auch zu ihrem Ausscheiden aus der Regierung, obwohl insbesondere Ebert nichts unversucht ließ, die Weimarer Koalition trotz allem zu bewahren. Im Grunde wurde die DDP weiter dringend benötigt, zumindest als Gegengewicht gegen das Zentrum und gegen den übermächtig werdenden Minister Erzberger. In seinen Memoiren brüstete sich Schiffer damit, in der Fraktion nach der Entscheidung für die Ablehnung des Friedensvertrages als Konsequenz den Rücktritt der Minister verlangt zu haben: „Dernburg und Preuß machen saure Gesichter.“ Die Fraktion schwankte, wurde aber von Schiffer auf Linie gebracht, da es sonst wie ein Scheinmanöver ausgesehen hätte222. Das beendete auch die wenigen Monate, die Hugo Preuß in politisch verantwortlicher Stellung wirken konnte. Mit dem Rücktritt der Regierung Scheidemann wurde der Reichsministerpräsident durch den farblosen Gustav Bauer ersetzt. Obwohl er sein Amt nicht der DDP verdankte, die bei der Regierungsbildung im Februar nur widerwillig an Eberts Wahl vom November festgehalten hatte, und obwohl der Präsident seinen Verfassungsminister zum Bleiben zu bewegen suchte, 219 Ernst Troeltsch, Spektator-Briefe. Zusammengestellt und hrsg. von Hans Baron, Tübingen 1924, 65 (vom 26. Juni). 220 F. von Payer, Von Bethmann Hollweg bis Ebert, 297. 221 Walther Schücking, Annehmen oder ablehnen? Rede in der Fraktion der Demokratischen Partei zu Weimar am 19. Juni 1919. Als Manuskript gedruckt, Berlin o.J. [1919], 13. Ebd., 9, erwähnte er die Nichtzulassung Deutschlands zum Völkerbund, in dem „(d)ie Negerrepublik Liberia ... ihren gesicherten Platz“ habe. 222 BAK, NL Schiffer, Nr. 1, Bl. 55. In der Partei fand dies nicht nur Zustimmung. Im BAK, NL Payer, Nr. 12, Bl. 312–313, findet sich ein Brief von Carl Kindermann vom 16.7.: „Die d[eutsche] demokratische Partei hat sich durch Ablehnung des Friedensvertrages von der unmittelbaren Einwirkung auf die Regierung und auf viele grundlegende Fragen (Verfassung, Finanzen, Schule) ausgeschaltet. Damit ist dem gleißnerischen Zentrum und dem Sozialismus eine Übermacht gegeben und ist die ausgleichende Arbeit der Demokratie zurückgedrängt.“
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fühlte Preuß sich an die Parteidisziplin gebunden. Zwischenzeitlich hatte es so ausgesehen, als werde Preuß unabhängig von der DDP-Fraktion weiter zur Verfügung stehen223, aber wie stets hielt Hugo Preuß seiner Partei stärker die Treue, als dies umgekehrt der Fall war und gab sein Amt auf224.. Die Fraktion und die Parteiführung sahen es gar nicht ungern, den unabhängigen und unbequemen Querdenker Preuß auf diese elegante Art losgeworden zu sein. Als man nach einer Schamfrist von einigen Monaten wieder in die Regierung eintrat, kam der Gedanke, auch Preuß wieder zu berufen, überhaupt nicht erst auf. Die Ungeduld des DDP-Abgeordneten und späteren Vorsitzenden der Partei, Erich Koch, endlich das Innenministerium zu übernehmen, läßt sich überdeutlich seinem Tagebuch entnehmen225. Als Reichskommissar begleitete er weiter die Beratungen, aber dieses rasch für ihn geschaffene Amt war kein echtes Ministerium und entbehrte daher der politischen Rückendeckung in der neuen Koalition aus SPD und Zentrum. Da Hugo Preuß nicht über die Legitimation eines Mandats verfügte, konnte er in der entscheidenden Phase der Verfassungsberatungen nur noch als Makler zwischen den Parteien vermitteln, aber nicht mehr eigene politische Zielvorstellungen durchsetzen. Die Verfassung war noch vor ihrer Verabschiedung einer wesentlichen Stütze beraubt. In der Zeit zwischen Übergabe des Friedensvertragsentwurfs und Vertragsabschluß wurde nur lustlos und wie gelähmt an der Verfassung weiter beraten. Am 18. Juni, also kurz vor dem Höhepunkt der Krise um die Unterzeichnung des Vertrages, notierte Erich Koch, einer der vehementesten Gegner der Unterzeichnung, in seinem Tagebuch:
223 In der SPD-Fraktionssitzung vom 21.6. wurde in Aussicht gestellt, daß Dernburg und Preuß in ihren Ämtern verbleiben würden; H. Potthoff (Hrsg.), Die SPD-Fraktion in der Nationalversammlung, Nr. 53, 102–104, hier 104. 224 An seinen Freund Nathan schrieb Preuß am 25.6. (BAB, NL Paul Nathan, 90 Na 5, Bd. 13, Bl. 12): „Lieber Freund! Besten Dank für Ihre freundlichen Worte. Ja ich ‚mußte gehen, weil ich nicht bleiben konnte‘. Aber los bin ich die Last eigentlich nicht. Zunächst habe ich noch die Verfassung vor der Nat[ional]-Vers[ammlung] zu vertreten, und überhaupt ist es ein eigentümlicher Zwischenzustand; nicht mehr in und noch nicht out.“ 225 Schiffer behauptete in seinen Memoiren (BAK, NL Schiffer, Nr. 1, Bl. 95): „Für das Reichsministerium des Innern brachte ich die Wiederberufung von Preuß in Vorschlag. Zu meiner Verwunderung wollte Ebert nicht.“ Ebert kannte die Mehrheitsverhältnisse in der DDP anscheinend besser als Schiffer. Preuß hatte in seiner eigenen Partei keine Basis, anders als der von Ebert nicht gewollte Koch. In seinem Tagebuch (BAK, NL Koch-Weser, Nr. 16) findet sich am 20.9. erstmals eine Eintragung, daß er auf den baldigen Regierungseintritt drängt (Bl. 259). Am 26.9. (Bl. 263) dann Ungeduld mit dem bisherigen Minister, dem Sozialdemokraten David: „David will von seinem Amt nicht zurücktreten, so krank und unfähig er ist.“ Und am 6.10. (Bl. 271) endlich Zufriedenheit: „Nun schwimme ich schon mitten drin. Es ist verdammt viel Wasser, und man kann leicht versinken. Aber es macht Spaß. Heute mittag hat David mich in die Geschäfte eingeführt. Theoretische Deduktionen, aber ein ehrlicher anständiger Kerl.“
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Ganz eigenartig ist es, daß wir nun nebenbei immer noch die Verfassung beraten. Diese formal juristische und formal politische Arbeit ist beinahe eine Erholung. Man strengt die Logik seines Gehirns an und versenkt sich in Bilder einer ruhigen politischen Zukunft.226.
In dieser Haltung äußert sich auch die Enttäuschung, die auch und gerade bei den Demokraten (im Parteisinne wie im übertragenen Sinne) über das Verhalten der Entente bestand. Die Rechten konnten sich bestätigt fühlen; in der Parteipresse der DNVP und der DVP war schon immer vor der Blauäugigkeit der Regierung gewarnt worden, die zu große Hoffnungen vor allem auf den amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson gesetzt habe. Aber die Demokraten aller Schattierungen waren mit dem Friedensvertrag auf den Boden der Realität zurückgeholt. Die Hoffnung war eine Wiederholung des Wiener Kongresses gewesen, auf dem das restaurative Frankreich nach 1814 in die europäische Friedensordnung eingegliedert wurde. Was sie bekamen, war eine Wiederholung von Brest-Litowsk 1917 – auch wenn sich in Deutschland kaum noch jemand an die drakonischen Bedingungen zu erinnern schien, mit denen Deutschland das unterlegene revolutionäre Rußland geknebelt hatte. Ein anderer Aspekt des Versailler Vertrages wird in der Regel weniger hervorgehoben: Versailles zerriß die Arbeit an der Verfassung in zwei Teile. Daß Deutschland selber hieran nicht ganz unschuldig war, ist oben an der Person des Außenministers angedeutet worden. Doch ist die Schuldfrage in unserem Kontext letztlich müßig; es zählt allein die fatale Verzögerung bei der Verfassungsarbeit. Die Frage nach den Auswirkungen muß Spekulation bleiben, aber es läßt sich kaum ernsthaft bezweifeln, daß eine im Mai oder spätestens Anfang Juni verabschiedete Weimarer Reichsverfassung mit anderem Schwung und Elan an die Öffentlichkeit getreten wäre, als es das Verfassungsdokument vom August konnte. Umgekehrt wäre die Öffentlichkeit fraglos aufnahmebereiter gewesen, wenn die Verfassung vor dem Friedensvertrag ins Leben getreten wäre. Erich Koch hatte dies erfaßt, als er schon am 28. Mai in seinem Tagebuch notierte, daß die Verfassung noch vor der Entscheidung über den Friedensvertrag schnell verabschiedet werden müsse, auch wenn sie dann „kein ausgereiftes Werk“ sei227. So, wie die historische Abfolge statt dessen kam, blieb das fatale Erstgeburtsrecht des Versailler Vertrages als Makel über der anderthalb Monate später Gültigkeit erlangenden Verfassung heften. Damit muß abschließend noch der Frage nachgegangen werden, wie Hugo Preuß selbst das Ergebnis der Verhandlungen, die Weimarer Reichsverfassung beurteilt hat.
226 BAK, NL Koch-Weser, Nr. 16, Aufz. vom 18.6., 171/245. 227 BAK, NL Koch-Weser, Nr. 16, Aufz. vom 28.5., 147/233.
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9. Das Verfassungswerk von Weimar
9.5 Die Weimarer Reichsverfassung und Hugo Preuß Das Œuvre von Hugo Preuß ab dem Sommer 1919 ist der wissenschaftlichen Interpretation und publizistischen Verteidigung der Weimarer Reichsverfassung gewidmet, trotz dem gespaltenen Verhältnis, das er nach allen Umgestaltungen, die sein erster Entwurf über sich ergehen lassen mußte, zu ihr hatte. Die hypertrophen Grundrechte, und, mehr noch, nahezu sämtliche Regelungen auf dem weiten Feld föderativer Beziehungen von Reich und Ländern entsprachen nicht seinen Vorstellungen. Und auch der Rest war von zahlreichen Kompromissen gekennzeichnet. Gleichwohl blieb noch genügend übrig. Ein ganzer Strom von Artikeln und Reden diente der Verteidigung der Verfassung, und, wie schon gelegentlich ausgeführt, auch die wissenschaftlichen Äußerungen zum staatsrechtlichen Gehalt „seiner“ Verfassung haben immer auch eine politische Nebenbedeutung. Der große, vierbändig geplante Kommentar zur Weimarer Verfassung und ihrer historischen und ideengeschichtlichen Grundlage konnte nicht mehr fertiggestellt werden, und auch die beiden aus seinem Nachlaß herausgegebenen Bände über die „Verfassungspolitische Entwicklung in Deutschland und Westeuropa“ (1927) und über „Reich und Länder“ (1928) blieben Fragmente, sowohl als Teil des Gesamtkommentars wie auch in sich. Die vielen kleineren Kommentare, die Preuß gewissermaßen als Vorschuß auf das große Werk erscheinen ließ, wurden bezeichnenderweise immer durch eine konkret anstehende politische Frage bedingt, zu der Preuß sich als der berufenste Interpret der Verfassung zu Wort meldete228. So etwa, als ein Ausführungsgesetz zum Art. 18 drohte, das nach Ansicht Preuß’ eher ein Verhinderungsgesetz zu werden versprach. Preuß hatte seine Überzeugung von der notwendigen Restrukturierung der territorialen Gliederung des Reiches nicht aufgegeben, und so gab er jetzt dem Art. 18 und den Eingriffsmöglichkeiten des Reiches eine weite Interpretation, die eine Neugliederung auch über den Willen der beteiligten Regierungen hinweg erleichtern sollte229. Daran entspann sich eine Kontroverse mit vorhersehbarer Frontstellung. Unitarier und solche Föderalisten, die eine Reichsreform unter Einbeziehung Preußens anstrebten, stimmten ihm zu230, während Autoren, denen es um die Wahrung der Länder 228 Neben diesen beiden großen Werken ist am wichtigsten „Artikel 18 der Reichsverfassung. Seine Entstehung und Bedeutung“, Berlin 1922. 229 Ebd., 31, 33f. u. 44. Im Vorwort, V, äußert sich Preuß zur Entstehungsgeschichte des Art. 18, die von zahlreichen Kompromissen geprägt war; Art. 18 sei der am heißesten umkämpfte und am schwersten verständliche Artikel der Verfassung: „Freilich ließe sich diese Bedeutung in dem Satze aussprechen: Artikel 18 besagt, daß die territoriale Neugliederung des Reiches in Länder aus inneren Gründen notwendig, und daß sie aus äußeren Gründen zurzeit nach einem einheitlichen Plane unmöglich durchzuführen ist.“ 230 Vgl. Gerhard Anschütz, Besprechung von „Hugo Preuß, Artikel 18 der Reichsverfassung. Seine Entstehung und Bedeutung, Berlin 1922“, in: Verwaltungsarchiv, 29 (1922), 404–407; [Otto] Koellreutter, Besprechung von „Hugo Preuß, Artikel 18 der Reichsverfassung. Seine Entstehung und Bedeutung, Berlin 1922“, in: AöR 43 (1922), 361–363; Dr. Kaisenberg,
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grenzen, vor allem um die Einheit Preußens ging, die Ausführungen von Preuß ablehnten. Heinrich Triepel sah im Art. 18 einen „Sturmbock gegen die Existenz des preußischen Großstaates“, der „stündlich der Gefahr der Zerpulverung ausgesetzt“ sei231. Restriktiv wollte Preuß dagegen den Art. 48 angewendet sehen, in dessen großzügiger Auslegung er eine Unterhöhlung des Rechtsstaates erblickte. Auch hier war es wieder ein konkreter Anlaß, der ihn zur Feder greifen ließ, nämlich die exzessive Nutzung des Art. 48.4 durch die bayerische Landesregierung im offenen Widerspruch zum Reich. Daß dies ungestraft blieb, war für Preuß kein Beleg für die Rechtmäßigkeit, sondern nur für die Schwäche der Reichsregierung232. Erneut auf den Plan gerufen sah er sich, als die Praxis überhand nahm, die Frage der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen auf die technische Frage zu reduzieren, ob das jeweilige Gesetz mit verfassungsändernder Mehrheit angenommen wurde. Gegen die Mehrheit der Staatsrechtslehrer hielt Preuß daran fest, daß die Verfassung nur durch ein Gesetz geändert werden könne, das explizit den Wortlaut der Verfassung revidiert233. Reichminister Preuß und das Neugliederungsrecht, in: Preußisches Verwaltungs-Blatt, 43 (1921/22), Nr. 31 (6.5.’22), 363–366. 231 Heinrich Triepel, Der Föderalismus und die Revision der Weimarer Reichsverfassung, in: ZfP 14 (1925), 193–230, hier 223. Ähnlich ablehnend Fritz Stier-Somlo, Besprechung von „Hugo Preuß, Artikel 18 der Reichsverfassung. Seine Entstehung und Bedeutung, Berlin 1922“, in: ZfP 13 (1924), 194f. 232 Gerade die Breite der Möglichkeiten des Art. 48 zwinge zu strikter Auslegung: „Je umfassender danach diese außerordentliche Befugnis inhaltlich ist, desto unbedingter und gewissenhafter muß daran festgehalten werden, daß sie von der Verfassung nur unter einer ganz bestimmten Voraussetzung eingeräumt wird. Sie wird nämlich nicht, wie das Notverordnungsrecht nach der preußischen Verfassung, auch zur ‚Beseitigung eines ungewöhnlichen Notstandes‘ oder dergleichen gegeben, sondern einzig und allein zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, wenn diese erheblich gestört oder gefährdet ist. Da es sich um eine Ausnahmebestimmung schärfster Art handelt, darf sie unter gar keinen Umständen ausdehnend interpretiert werden, sonst würde eine Bestimmung, die lediglich zum Schutze der verfassungsmäßigen Ordnung gegeben ist, zur Untergrabung dieser Ordnung mißbraucht werden.“ („Die Bedeutung des Artikel 48 der Reichsverfassung“, Die Hilfe, 31. Jg., Nr. 10 (15.5.’25), 224– 226, hier 225) Das gelte besonders für Art. 48.4, der diese Rechte unter bestimmten Umständen auf eine Landesregierung überträgt: „Was ein durch die Schwäche der Reichsregierung übermütig gewordener Partikularismus aus dieser klaren und völlig zweifellosen Bestimmung gemacht hat, haben wir bei dem Vorgehen Bayerns schaudernd erlebt. Eine Bestimmung, die die außerordentliche Stärkung der Reichsgewalt in gefährlicher Lage dienen sollte, ist zu einem Mittel für die Schwächung und Gefährdung der Reichsgewalt gegen den Wortlaut und Sinn der Verfassung verfälscht worden.“ Ebd., 226; ähnlich „Reichsverfassungsmäßige Diktatur“, 110; vgl. auch „Um die Reichsverfassung von Weimar“, 115. 233 In „Verfassungsändernde Gesetze und Verfassungsurkunde“, in: DJZ, 29. Jg. (1924), Sp. 649– 654, hier Sp. 653, schreibt Preuß über die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes: „Und er [der Reichstag] kann sich dieses Kopfzerbrechen auch nicht in der jetzt beliebten Weise dadurch ersparen, daß er im Zweifelsfall feststellt, das Gesetz sei mit den für Verfassungsänderungen erforderlichen Zweidrittelmehrheiten angenommen worden, und daß er meint, nun sei alles in schönster Ordnung. Nein, damit ist alles in schlechtester Unordnung. denn, wenn das
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9. Das Verfassungswerk von Weimar
In der Mehrzahl der Fälle ging es Preuß also nicht um etwaige interne Probleme des Verfassungsaufbaus, sondern um Fehler bei ihrer Interpretation und Anwendung. Charakteristisch ist sein Stoßseufzer in „Reich und Länder“: Wie viele Mißgriffe und welche Verbitterung der politischen Lage wären vermieden worden, wenn die Reichsregierung beim Schutze der Reichsverfassung diese selbst korrekt und kundig angewendet hätte. ... Die Feinde der Verfassung von Weimar sehen in all diesen Wirren den Beweis für deren Fehlerhaftigkeit und Revisionsbedürftigkeit. Nun taugt die beste Verfassung nichts, wenn sie von ihren berufenen Vollstreckern falsch oder dilettantisch angewendet wird.234
Im Grunde kommt Preuß immer wieder auf sein altes Thema von der Unfähigkeit des deutschen Volkes zu selbstverantwortlicher Politik zurück. Schon im Sommer 1919 muß Preuß gefühlt haben, was für ein prekäres Instrument er dem deutschen Volke mit dieser Verfassung übergab, ein Instrument, das gerade wegen der kritischen Machtbalance der Verfassungsorgane an die politische Reife des Volkes und der Politiker appellieren mußte. Preuß’ Vorwort zur Textausgabe der Verfassung schließt mit einem Kassandra-Satz: „Wenn das Volk nicht die Verfassung des Volksstaats schützt, ist die Verfassung, aber auch das Volk, schutzlos.“235 Die verfassungsimmanente Kritik Preuß’ erschöpfte sich in einer Detailkritik, generell verteidigte er die in Weimar gefundenen Kompromisse als das beste, was unter den gegebenen Umständen zu erreichen war. So hält er prinzipiell unverändert am Gedanken des Staatenhauses fest236, sagt aber gleichzeitig, daß Rücksicht auf
betreffende Gesetz keine Verfassungsänderung enthält, so darf es nicht als verfassungsänderndes Gesetz erlassen werden; wenn es aber eine Verfassungsänderung enthält, so muß es bekunden, was es an der Verfassung ändert, und das kann nur geschehen durch Änderung des Verfassungstextes oder durch einen Zusatz zur Verfassungsurkunde.“ Und weiter, ebd., Sp. 654: „Solcher Zwiespalt zwischen dem geltenden Verfassungsrecht und der legislatorischen Praxis mahnt eindringlich dazu, das richterliche Prüfungsrecht über die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen als unentbehrlichen Schutz des Rechtsstaats festzuhalten und auszubauen.“ 234 „Um die Reichsverfassung von Weimar“, 42. Ebd., 38, beklagt er „eine gewisse dilettantische Fahrigkeit in der Anwendung der Reichsverfassung“. 235 „Vorwort“, in: Die deutsche Reichsverfassung vom 11. August 1919. Textausgabe, o.Pag. Vgl. hierzu G. Gillessen, Hugo Preuß, 145: „Die kunstvolle Balance zwischen Gesetzgebung und Verwaltung, die vor allem voraussetzte, daß die Wähler in Augenblicken der Krise ihr Schiedsrichteramt klug wahrzunehmen verstehen, hätte der Reife des englischen Volkes bedurft. Trotz dem Verständnis, das Hugo Preuß für ‚das deutsche Volk und den Parlamentarismus‘ in vielen schmerzlichen Erfahrungen gewonnen hatte, hatte er die deutschen Wähler sehr hoch eingeschätzt, als er ihnen in dieser Verfassung ein so schönes, aber auch so empfindliches Instrument in die Hand gab.“ 236 Vgl. „Deutschlands Republikanische Reichsverfassung“, 58; „Verfassung des Freistaates Preußen vom 30. November 1920“, in: JöRG, 10. Bd. (1921), 222–279, hier 268.
9.5 Die Weimarer Reichsverfassung und Hugo Preuß
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den Föderalismus genommen werden mußte und daß das Reich ohnehin alle Kompetenzen besitze, die es benötige237. Er hält am Verhältniswahlrecht fest, kritisiert aber im Detail die starre Liste, die dem Wähler zu wenig Auswahlmöglichkeiten lasse238. Von der Verantwortung für die deutsche Parteienzersplitterung spricht er aber das Wahlrecht frei; die habe es auch vorher gegeben, sie finde ihre Ursache in den politischen und sozialen Gegebenheiten Deutschlands239. Ähnlich verteidigt Preuß die Funktion des Reichspräsidenten als des Hüters der Verfassung über dem Streit der Parteien240, die Institution des Referendums als eines notwendigen Korrektivs in der Hand des Volkes241 und die Stellung des Reichstags, der das zentrale politische Organ der neuen Verfassungsordnung ist, ohne in den französischen Fehler des Parlamentsabsolutismus zu verfallen242. Im normativen Mittelpunkt des Weimarer Verfassungslebens steht aber das Volk als einziges primäres Verfassungsorgan. Preuß vermeidet in Einklang mit seiner generellen Ablehnung des Souveränitätsbegriffes bewußt die Vokabel Volkssouveränität, und die Stellung des Volkes als primäres Verfassungsorgan soll ihm auch nicht mehr Rechte geben, als konkret in der Verfassung als seine Kompetenz aufgeführt sind. Trotzdem ist klar, daß alle anderen Verfassungsorgane ihre Legitimation nur durch das Volk erfahren können243. Hierin liegt denn auch der wesentliche Wandel im Vergleich zu den früheren Verfassungszuständen244, und wenn Preuß daneben, nicht ohne einen ironischen Seitenhieb auf die offiziöse Staatsrechtslehre des Kaiserreiches, auch die Rechtskontinuität betont245, dann kann doch kein Zweifel bestehen, daß er den Wandel für das entscheidende ansieht. 237 „Deutschlands Republikanische Reichsverfassung“, 41, 51ff. u. 67; „Artikel 18 der Reichsverfassung“, 3 u. passim; und v.a. „Reichspolizei und Landespolizei“, in: Staats- und Selbstverwaltung, 3. Jg., Nr. 12 (16.2.’22), 248f., hier 249. 238 Zum Wahlrecht und seinen Entwicklungen E. Schanbacher, Parlamentarische Wahlen und Wahlsystem in der Weimarer Republik. Zu einzelnen Resultaten und sozialstrukturellen Variablen siehe Jürgen Falter, Thomas Lindenberger und Siegfried Schumann, Wahlen und Abstimmungen in der Weimarer Republik. Materialien zum Wahlverhalten 1919–1933, München 1986. Ebd., 23ff. zum Wahlrecht und Wahlsystem. 239 Vgl. zum Wahlrecht „Deutschlands Republikanische Reichsverfassung“, 80; „Reich und Länder“, 274ff.; „Verfassung des Freistaates Preußen“, 263; „Um die Reichsverfassung von Weimar“, 77ff.. Zur überkommenen Parteizersplitterung ebd., 77. 240 „Um die Reichsverfassung von Weimar“, 66; „Reich und Länder“, 245. 241 „Deutschlands Republikanische Reichsverfassung“, 85. 242 Vgl. „Verfassung des Freistaates Preußen“, 264; „Reich und Länder“, 238, 265, 270 u. 274. 243 „Reich und Länder“, 15 u. 50. 244 Die alte Verfassung hatte die Reihenfolge Bundesrat, Bundespräsident, Reichstag; die neue Reichstag, Reichspräsident und Reichsregierung, Reichsrat, und darin liege durchaus eine politische Wertung; ebd., 236f. Zu den Leitgedanken der Präambel und ihrer Anlehnung an die Verfassung der USA ebd., 14 u. 22f. 245 Der Übergang von der Monarchie zur Republik sei für die öffentliche Meinung und den gesunden Verstand klar; nicht jedoch für die Staatsrechtslehre: „Danach war nämlich der monarchische Charakter der früheren Reichsverfassung sehr bestritten; führende Theoretiker, wie Laband und Jellinek, erklärten schon das Kaiserreich staatsrechtlich für eine (allerdings eigenartige) Republik. Als Folge der Revolution wäre also nicht ein Wechsel der Staatsform
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9. Das Verfassungswerk von Weimar
Bei aller Kritik an Einzelheiten verlor Preuß in seinen Kommentaren zur Weimarer Reichsverfassung nie das Auge dafür, daß diese Verfassung die großen Errungenschaften gebracht hatte, die er für das Überleben des deutschen Volkes als Staatsvolk im 20. Jahrhundert stets für unumgänglich gehalten hatte: Demokratie, Parlamentarismus und Rechtsstaat waren seine drei Essentials246, und mit dem Blick auf diese Essentials war es ihm in Weimar möglich gewesen, Kompromisse in allen zunächst weniger wichtigen Fragen einzugehen und danach, diese Kompromisse nachsichtig zu beurteilen. Hugo Preuß wurde nicht müde, den tauben nationalistischen Ohren zu predigen, daß die Reichsverfassung aus den Schrecken des verlorenen Krieges immerhin ein Gut gerettet habe, nämlich die nationale Einheit als Staat und als Staatsvolk247. Daß diese Einheit nicht zugleich auch Einigkeit bedeutet, war die große Gefahr, in der Preuß weniger „seine“ Verfassung schweben sah, als vielmehr das deutsche Volk. Hugo Preuß wußte, daß die demokratische Verfassung aus den Trümmern der Niederlage geboren war, belastet durch den Frieden von Versailles. Trotzig wollte er gerade hieraus ein glückliches Omen ablesen: Die Verfassung von Weimar ist nicht im Sonnenglanz des Glückes geboren, sondern im tiefsten Schatten der nationalen Niederlage, des nationalen Unglücks. Sie ist nicht von einem siegreichen Machthaber dem dankbar jubelnden Volke geschenkt worden, sondern sie ist vom Volke durch seine gewählten Vertreter in mühsamen Verhandlungen zustande gebracht worden. Unscheinbar vollzog sich ihr Eintritt in die Geschichte. Aber ich möchte gerade aus dieser Unscheinbarkeit ihres Anfangs ein günstiges Vorzeichen dafür entnehmen, daß sie einer mühsamen, langsamen, aber im Innersten kraftvollen, aufsteigenden Entwicklung entgegengeht.248
Das war mehr Wunschdenken als die realistische Einschätzung, die Preuß tatsächlich hatte. Die Kritik der Zeitgenossen ist nicht die einzige Kritik, die die Weimarer Reichsverfassung und Hugo Preuß einstecken mußten. Die historische Beurteilung ist mit dem Werk von Weimar auch nicht eben nachsichtig umgegangen.
selbst, sondern nur eine Umgestaltung der schon bestehenden republikanischen Staatsform eingetreten!“ („Reich und Länder“, 30) Vgl. ebd., 5, 9f., 11 u. 103; „Deutschlands Republikanische Reichsverfassung“, 12f. 246 Diese drei seien „die drei einander ergänzenden und begrenzenden Organisationsgedanken der Verfassung“, „Deutschlands Republikanische Reichsverfassung“, 77. Vgl. „Die Bedeutung des Artikel 48 der Reichsverfassung“, 224. 247 Vgl. „Das Verfassungswerk von Weimar“, in: Staat, Recht und Freiheit“, 424: „An der Spitze steht die Einheit des deutschen Volkes. Aus dem Willen des einheitlichen deutschen Volkes geht diese Verfassung hervor. Und die Länder, die Staaten, die Einzelstaaten heißen, sind nur die Gliederungen, die mit weitgehender Selbstverwaltung ausgestatteten Gliederungen des einheitlichen deutschen Staatsvolkes.“ Siehe auch das „Vorwort“ zur Textausgabe der Reichsverfassung, o.Pag.; „Reich und Länder“, 3 u. 14. 248 „Das Verfassungswerk von Weimar“, in: Staat, Recht und Freiheit, 421.
9.6 Probleme (mit) einer Verfassung
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9.6 Probleme (mit) einer Verfassung Es ist viel geschrieben worden über die tatsächlichen und vermeintlichen Fehler der Weimarer Verfassung, wie über den mehr vermeintlichen als tatsächlichen Anteil dieser Fehler am Untergang der ersten deutschen Demokratie. Wenn auch unsere bisherigen Betrachtungen gezeigt haben, daß die Verfassungsberatungen von Weimar ebensowenig wie ihr Resultat ohne Versäumnisse und Probleme waren, geht es doch weit über das Ziel hinaus, in den Bestimmungen der Weimarer Verfassung bereits den Anfang vom Ende zu erblicken. Vor allem Karl Dietrich Bracher hat in seiner einflußreichen Deutung der Auflösung der Weimarer Republik die Defizite der Verfassung an den Pranger gestellt249. Dem gegenüber ist hier festzuhalten, daß die Weimarer Verfassung bei allen Mängeln durchaus ein passables Instrument für eine überlebensfähige Demokratie bereitstellte. Wenn man schon auf die Verfassung schauen will, muß man mehr als den Ursprungstext seine Veränderungen und den Umgang mit ihm in den Blick nehmen250. Eines der Grundübel des Weimarer Verfassungslebens war die Gesetzgebungspraxis, der Verfassung widersprechende Gesetze dann als unbedenklich zu betrachten, wenn sie mit der für Verfassungsänderungen erforderlichen Mehrheit zustande gekommen waren. Diese Praxis führte natürlich umgehend dazu, daß die durch viele einzelne solchermaßen verabschiedete Gesetze „durchbrochene“ Verfassung251 sehr schnell unsicher wurde in ihrem Bestand. Viel gescholten worden ist die Ausstattung und Gestaltung des Reichspräsidenten. Aber dieses Amt war als ausdrückliche Reservemacht gedacht, das in einer Situation mit festen Parlamentsmehrheiten auf nicht viel mehr praktische Kompetenzen blicken konnte als der Bundespräsident heute252. Erst in Krisenzeiten ohne klare Führung durch Reichsregierung und Reichstag konnte und mußte der Präsident aktiv werden. Zu Zeiten des Präsidenten Ebert ist die Bestimmung des ominösen Artikels 48 zur Festigung und Stärkung der Republik angewendet worden, obwohl sich auch gegen Eberts Anwendung Kritik gerichtet hat. Ob die Demokratie ohne entsprechende präsidiale Vollmachten die erste große Krise des Jahres 1923 überstanden hätte, ist sehr fraglich. Ob irgendeine andere Verfassungskonstruktion nach 1930 das Abgleiten in diktatorische Zustände, die ja nicht erst am 30. Januar 1933 begannen, hätte verhindern können, ist nicht minder fraglich. Wie sieht es mit dem konstruktiven Mißtrauensvotum aus, das zweifellos aus dem „Anti-WeimarAffekt“ des Grundgesetzes zu erklären ist? Sicherlich hätte es verhindert, daß ein Reichkanzler von einer destruktiven Mehrheit radikaler Parteien gestürzt worden wäre. Aber das Regieren besteht nicht nur daraus, Mißtrauensvoten zu überleben. 249 Karl Dietrich Bracher, Die Auflösung der Weimarer Republik. Eine Studie zum Problem des Machtverfalls in der Demokratie, 2. ND der 5. Aufl. 1971, Düsseldorf 1984 (erstmals 1955). 250 So auch D. Lehnert, Verfassungsdemokratie als Bürgergenossenschaft, 310ff. 251 Vgl. Carl Schmitt, Verfassungslehre, 8. Aufl., Berlin 1993 (erstmals 1928), 106f. 252 So auch H. Boldt, Deutsche Verfassungsgeschichte II, 239: „Gegen eine stabile Reichstagsmehrheit mit einem festen politischen Willen konnte der Reichspräsident, so wie die Verfassung ihn konzipiert hat, ohnehin nichts ausrichten.“
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9. Das Verfassungswerk von Weimar
Der parlamentarische Alltag wäre auch nicht einfacher geworden. Das verfassungsfeste Minimum des Art. 79.3 des Grundgesetzes? Weimar ist nicht am „doppelten Zweidrittelquorum“ zugrunde gegangen, und zudem wäre der Nationalversammlung kaum eine noch restriktivere Lösung zu vermitteln gewesen. Schon die vorgenommene Änderung der Bismarckschen Verfassungsänderungsbestimmungen bedeutete in den Augen der Zeitgenossen eine Erschwerung, die nur schlecht mit der Demokratisierung des Staatswesens in Übereinstimmung zu bringen war. Letztlich sind dies alles Spekulationen. Ein komparativer Blick auf die Zeitumstände hilft vielleicht, die Verfassungsfrage in Perspektive zu sehen. Im Zeitraum zwischen den Weltkriegen ist der Übergang von der Demokratie zur Diktatur außer in Deutschland auch in Albanien, Bulgarien, Estland, Griechenland, Jugoslawien, Italien, Lettland, Litauen, Österreich, Polen, Rumänien, Spanien und Ungarn erfolgt. Portugal, Rußland und die Türkei haben mit dem System der Demokratie nicht einmal experimentiert. Von den Ländern, die nicht bereits vor dem Ersten Weltkrieg demokratisch regiert wurden, hat lediglich die Tschechoslowakei die Demokratie bewahren können, bis sie durch äußere Gewalt beendet wurde. Vor diesem Hintergrund kann der Siegeszug autoritärer und totalitärer Diktaturen, der das Europa der Zwischenkriegszeit unabhängig von der jeweiligen Verfassungslage heimsuchte, für Deutschland schwerlich aus den Mängeln der Weimarer Reichsverfassung hergeleitet werden. Die Konstruktion der bipolaren Exekutive findet sich heute in ähnlicher struktureller Gestaltung wie in Weimar auch in Finnland, in Frankreichs V. Republik, in Griechenland und in Österreich. Ein Verhältniswahlrecht ohne effektive Sperrklausel gibt und gab es in vielen europäischen Ländern, etwa in Skandinavien und bis vor wenigen Jahren in Italien. Beide Elemente sind nicht unbedingt ein Muster an Effektivität und Effizienz, sie erschweren nicht unerheblich die Bildung klarer Regierungsmehrheiten; aber niemand wird behaupten, daß die genannten Länder sich wegen ihrer unheilbaren Verfassungsfehler auf dem Weg in die Diktatur befänden253. Wesentlich wichtiger für Bestand oder Untergang einer Demokratie als die einzelnen Verfassungsregeln ist die geistige Bereitschaft zur Demokratie, die sich in der politischen Kultur eines Landes ausdrückt. In dieser Betrachtungsweise ist die Entscheidung der Mehrzahl der DDP-Abgeordneten, sich für die Beibehaltung von Schwarz-Weiß-Rot und gegen das neue und zugleich alte Schwarz-Rot-Gold auszusprechen, problematischer als Warnzeichen am Anfang der Republik als jede einzelne Verfassungsbestimmung. Heinrich August Winkler hat ein Kapitel seiner Geschichte der Weimarer Republik treffend mit „(d)ie hingenommene Verfassung“ betitelt254. Eine Verfassung nur hinzunehmen, reicht in einer Demokratie nicht aus, 253 Kritisch zur These von der Schuld des Wahlrechts am Untergang Weimars H. A. Winkler, Weimar 1918–1933, 106f. 254 Ebd., 99ff.
9.6 Probleme (mit) einer Verfassung
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jedenfalls dann nicht, wenn ein gewichtiges Segment der Bevölkerung die Verfassung aktiv bekämpft. Die Namensgeberin der Verfassung, die Stadt Weimar selbst und das Land Thüringen sind ein gutes Beispiel für diese Problematik. In der Stadt der Verfassunggebung zog mit den Landtagswahlen 1924 der erste NSDAP-Abgeordnete in ein deutsches Parlament ein255. Hier sorgte eine Rechtskoalition dafür, daß das mit der demokratischen Kultur der Weimarer Republik so eng verbundene Bauhaus 1925 die Stadt verlassen mußte. Gleichzeitig hatte Hitler in allen deutschen Staaten Redeverbot – außer in Thüringen. Folgerichtig hielt er 1926 den ersten Reichsparteitag der NSDAP in der Stadt Goethes ab, und zwar in dem Nationaltheater, in dem nur wenige Jahre zuvor Hugo Preuß um die Gestaltung der demokratischen Verfassung gerungen hatte. Daß es gleichfalls Thüringen war, wo 1930 mit Wilhelm Frick der erste Nationalsozialist Minister eines deutschen Landes wurde, rundet das Bild nur noch ab. Daß zu einer beständigen Demokratie neben den äußeren Regularien eines politischen Systems vor allem eine demokratische politische Kultur gehört256, ist nur von wenigen Zeitgenossen erkannt worden257. Hugo Preuß gehörte dazu, und er war sich der Hindernisse bewußt, die sich dieser notwendigen Voraussetzung einer gedeihlichen Entwicklung entgegenstellten. Die Jahre von seinem Ausscheiden aus dem Reichsdienst bis zu seinem Tode 1925 arbeitete er als Politiker in Preußen und im Reich daran, diese Hindernisse aus dem Wege zu räumen.
255 Vgl. zu diesem Komplex Bernhard Post, „Weimar gegen Weimar“. Der Nationalsozialismus in Weimar, in: H. Wilderotter und M. Dorrmann (Hrsg.), Wege nach Weimar, 219–242, und Karsten Rudolph, Ein Menetekel für die Weimarer Republik. Das Ministerium Frick in Thüringen, in: ebd., 243–252. 256 Zur Konzeption vgl. die dem Aufbau und der Bewahrung einer demokratischen politischen Kultur verpflichtete klassische Studie von Gabriel A. Almond und Sidney Verba, The Civic Culture. Political Attitudes and Democracy in Five Nations, Boston und Toronto 1965. Zur politischen Kultur Weimars siehe Detlef Lehnert und Klaus Megerle (Hrsg.), Politische Identität und nationale Gedenktage. Zur politischen Kultur in der Weimarer Republik, Opladen 1989. 257 Treffend ist der Schlußsatz in Gusy, Die Weimarer Reichsverfassung, 467: „Eine Verfassung, die auf Freiheit und Demokratie basiert, kann aber jedenfalls nicht sämtliche ihrer Voraussetzungen selbst garantieren.“
10. ALS POLITIKER IN DER WEIMARER REPUBLIK 10.1 Die politische Entwicklung Weimars Seit dem Rücktritt der Regierung Scheidemann und endgültig seit der Verabschiedung der Verfassung befand sich Hugo Preuß nicht mehr in verantwortlicher politischer Stellung. Auf den eigentlichen politischen Entscheidungsprozeß konnte er lediglich noch über die Leitungsgremien der DDP und über sein Mandat im preußischen Landtag Einfluß nehmen. Das war nicht eben viel und jedenfalls weniger, als Hugo Preuß für sich erstrebt hatte. Nach einem ganzen Leben, das bei allem politischen Tatendrang größtenteils im Abseits der Entscheidungen verbracht wurde, wiederholte sich dieser Zustand nun auch in der Republik nach einem zu kurzen Intermezzo, in dem Preuß den Geschmack der Macht hatte kosten dürfen. Es gibt viele Berichte, einige wurden hier auch schon zitiert, die von der Arroganz Hugo Preuß’ sprechen. Da sie allesamt von politischen Gegnern innerhalb und außerhalb seiner Partei stammen, muß man sie mit Vorsicht genießen. Vielleicht geben sie auch nur die Ressentiments von Politikern wieder, die den intellektuellen jüdischen Quereinsteiger an einer Stelle sahen, die ihm ihrer Meinung nach nicht zustand. Fest steht aber, daß Preuß sein Ministeramt in den Monaten von Weimar bei aller Anspannung und durch alle Krisen und Schwierigkeiten genoß. Damit war es jetzt vorbei. Wie schon im Kaiserreich konnte Preuß auch in der Weimarer Republik die Wendepunkte der Politik des Reiches nur vom Rande her kommentieren. Immerhin durfte er jetzt, da er seine Zeitungsartikel mit dem Zusatz „Reichsminister a.D.“ und mit dem ideellen Gewicht des geistigen Vaters der Verfassung schmücken konnte, darauf rechnen, daß seine Stimme jederzeit gehört wurde. Die ersten Jahre der Weimarer Republik sind eine einzige Abfolge von Katastrophen, die aber nicht zufällig und wie durch Naturgewalt hereinbrechen, sondern die das Ergebnis politischer Entscheidungen sind. Nur wenige dieser Entscheidungen werden von den politischen Führern der Republik getroffen; die meisten sind entweder schon vorher, noch im Kaiserreich, eingeleitet und wirken sich erst jetzt aus, oder sie sind das Resultat des Handelns innerer und äußerer Kräfte, die überwiegend jenseits der Kontrolle der Reichsregierung liegen. Innerhalb Deutschlands glauben die Feinde der Demokratie auf beiden Extremen des politischen Spektrums, daß die junge Republik bereits reif für den Untergang ist. Und in Europa herrscht der Geist von Versailles. Der Kapp-Putsch und andere rechtsextremistische Putschversuche, die Morde an Erzberger, Rathenau und anderen führenden Repräsentanten der jungen Republik, die beginnende und dann galoppierende Inflation, die kommunistisch gelenkten Aufstände, die Besetzung des Ruhrgebietes und der sich daran anschließende Ruhrkampf, die Ultimaten der Entente und die Durchführung des Friedensvertrages mit seinen erdrosselnden materiellen Bedingungen bilden ein
10.1 Die politische Entwicklung Weimars
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Präludium, das nahtlos zum Jahr 1923 hinführt1. Es ist eigentlich weniger erstaunlich, daß die Weimarer Republik 1932/33 zerstört wurde, sondern vielmehr, daß sie 1923 überlebt hat. Alle diese Ereignisse mußte Hugo Preuß miterleben, ohne die Antwort der Republik mitgestalten zu können, und wenn er auch 1924 einen leichten Hoffnungsschimmer am Horizont erkennen konnte 2, mußte er doch gleichzeitig einsehen, daß er auch die Wendung zum Besseren nur vom Rande her kommentieren konnte3. Am schlimmsten war für Preuß die Kontinuität der Politikunfähigkeit der Parteien über die Umbrüche des Jahres 1918/19 hinaus. Nichts funktionierte in der Weimarer Republik so, wie Preuß es sich erhofft hatte. Man hatte kein parlamentarisches Regierungssystem, sondern dessen Karikatur. Nicht der Reichspräsident wählte den Kanzler aus, sondern die Fraktionen. Das war zwar nicht im Sinne von Preuß, aber es wäre für sich genommen auch noch kein erhebliches politisches Problem gewesen, wenn die Parteien in der Lage gewesen wären, diese Aufgabe verantwortlich wahrzunehmen. Aber der eigentliche Grund, aus dem Preuß bei der Verfassunggebung diese Rolle dem Reichspräsidenten zugedacht hatte, lag im Parteiensystem selbst begründet. Schon 1918/19 war er davon überzeugt, daß die aus dem Kaiserreich stammenden Parteien nicht in der Lage sein würden, ihre innere Struktur, ihren Umgang miteinander und ihre politischen Verhaltensweisen den neuen Verhältnissen anzupassen. Das Mißtrauen gegen eine zu starke Rolle des Reichstages bei der Regierungsbildung ist bei vielen kritischen Stimmen der Zeit aus einer generellen Parlamentarismusfeindschaft gespeist worden4, die im „Parteienstaat“ das Synonym für alles sah, was sich im Vergleich zum Kaiserreich zum Schlechteren gewandt hatte. Bei Preuß ist es genau umgekehrt die Erkenntnis, daß sich seit dem 1
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Zu den „Krisenjahren der Republik“ als Überblick Horst Möller, Weimar. Die unvollendete Demokratie, München 1985, 138ff. Vgl. auch Heinz Hürten, Bürgerkriege in der Republik. Die Kämpfe um die innere Ordnung von Weimar 1918–1920, in: K. D. Bracher, M. Funke und H.A. Jacobsen (Hrsg.), Die Weimarer Republik 1918–1933, 81–94; Klaus Schwabe, Der Weg der Republik vom Kapp-Putsch bis zum Scheitern des Kabinetts Müller 1930, in: ebd., 95–133, hier 95–119. „Dunkel ist unser Horizont; und doch kann es Frühling für Deutschland werden; es kann sich international behaupten, wenn das deutsche Volk seinen nationalen Staat begreift.“ Auch wenn Preuß hier („Deutscher Frühling?“, BBC, Nr. 153 (1.4.’23) M) Zukunftschancen sieht, klingt er in einer Vielzahl von Artikeln und Schriften normalerweise pessimistischer. Vgl. etwa von 1920 „Die ‚Unmöglichkeit‘ des Notwendigen“ und „Nationale Demokratie“, von 1921 „Unser Parlamentarismus und unsere auswärtige Lage“, die „Bergbriefe“, „Um die Reichsfarben“ und „Parlamentarische Regierungsbildung“, von 1922 „Deutschlands innenpolitisches Elend und die Verfassungspartei“ und von 1923 „Deutschlands Republikanische Reichsverfassung“, „Zur ‚Agonie des deutschen Parlamentarismus‘“, „Regierungsfähige Opposition“ und „Länderstaatlichkeit – nationale Ohnmacht“. Etwa „Der deutsche Nationalstaat“, passim. Das bekannteste Beispiel ist die erstmals 1923 erschienene Schrift von Carl Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, 2. Aufl., München und Leipzig 1926. Zur rechten Parlamentarismus- und Parteienstaatskritik immer noch Kurt Sontheimer, Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik, München 1983 (erstmals 1962), 155ff.
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10. Als Politiker in der Weimarer Republik
Kaiserreich eben nichts oder doch nicht viel geändert hatte, die den Kern seiner Kritik ausmachte. In ihrer Kontinuität, die sich teilweise im Führungspersonal, mehr aber noch im Denken und Handeln zeigte, waren die Parteien nicht in dem Maße politikfähig, wie es in einer parlamentarischen Demokratie notwendig ist5. Die eigenständige und starke Rolle des Reichspräsidenten bei der Regierungsbildung darf nicht mit der späteren Praxis der Präsidialkabinette verwechselt werden. Diese verfassungsmißbräuchliche Anwendung der Notstandsartikel hat einige Autoren mit überzeugenden Argumenten dazu gebracht, den entscheidenden Bruch mit dem Geist der Weimarer Verfassung nicht erst im Kabinett Papen, sondern bereits in der Reichskanzlerschaft Heinrich Brünings zu sehen6. Die Hoffnung und Erwartung, daß der Präsident bei der Regierungsbildung eine starke Rolle spielen sollte hatte damit zu tun, daß es für die eine Person des Reichspräsidenten einfacher sein würde, ein den politischen Erfordernissen entsprechendes Ethos zu entwickeln, als dies bei einer Vielzahl von Gremien, Vorständen und Fraktionen in einem Mehrparteiensystem von heute auf morgen zu erwarten war. Bei Ebert war dieses politische Verständnis zweifellos vorhanden7, aber er konnte es nicht ausspielen. Einerseits erging es ihm so wie den Nachfolgern von Charles de Gaulle, die in der Verfassungsordnung der französischen V. Republik feststellen mußten, daß die Prärogativen des Präsidenten unter den Bedingungen einer anders ausgerichteten Parlamentsmehrheit wenigstens in der Innenpolitik drastisch beschnitten werden. Winfried Steffani hat dies zum Anlaß genommen, den in der Politikwissenschaft lange gängigen Staatsformentypus des Semipräsidentialismus als eine unzutreffen-
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Eine profunde Diskussion der Weimarer staatsrechtlichen Theorie und politischen Praxis bietet Hans Boldt, Die Stellung von Parlament und Parteien in der Weimarer Reichsverfassung. Verfassungstheorie und Verfassungswirklichkeit, in: Eberhard Kolb und Walter Mühlhausen (Hrsg.), Demokratie in der Krise. Parteien im Verfassungssystem der Weimarer Republik, München und Wien 1997, 19–58. Das ist bereits die These von A. Rosenberg, Entstehung und Geschichte der Weimarer Republik, 476f. Ausgesprochen kritisch gegenüber Brüning auch K. D. Bracher, Auflösung der Weimarer Republik, 295ff. Ähnlich Hans Boldt, Der Artikel 48 der Weimarer Reichsverfassung, in: M. Stürmer (Hrsg.), Die Weimarer Republik. Belagerte Civitas, 288–309, hier 300. Auch Heinrich August Winkler, Der Weg in die Katastrophe. Arbeiter und Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik 1930 bis 1933, Berlin und Bonn 1987, 580ff.; und Gerhard Schulz, Zwischen Demokratie und Diktatur. Bd. 3: Von Brüning zu Hitler. Der Wandel des politischen Systems in Deutschland 1930–1933, Berlin und New York 1992, sehen den Übergang von der Demokratie zur Diktatur auch bereits mit Brüning beginnen. Vgl. als Forschungsüberblick E.Kolb, Die Weimarer Republik, 128; A. Wirsching, Die Weimarer Republik, 112ff. Vgl. L. Richter, Der Reichspräsident bestimmt die Politik, 40; und generell die Beiträge in E. Kolb (Hrsg.), Friedrich Ebert als Reichspräsident. Amtsführung und Amtsverständnis. Siehe auch Gotthard Jasper, Die verfassungs- und machtpolitische Problematik des Reichspräsidentenamtes in der Weimarer Republik. Die Praxis der Reichspräsidenten Ebert und Hindenburg im Vergleich, in: Rudolf König, Hartmut Soell und Hermann Weber (Hrsg.), Friedrich Ebert und seine Zeit. Bilanz und Perspektiven der Forschung, 147–159.
10.1 Die politische Entwicklung Weimars
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de Typenbildung abzulehnen. Statt dessen sieht er in der Abberufbarkeit der Regierung das entscheidende Merkmal des Parlamentarismus, in diesem Fall eben eines Parlamentarismus mit Präsidialdominanz bzw. Präsidialhegemonie8. Konfligierende politische Ausrichtungen zwischen Reichstagsmehrheit und Reichspräsident waren nicht selten, doch andererseits gab es auch Phasen, in denen Ebert durchaus eine Reichstagsmehrheit in seinem Sinne hätte haben können. Aber selbst dann blieb die Rolle des Reichspräsidenten gegenüber den Fraktionen wesentlich stärker eingeschränkt, als dies in entsprechenden Konstellationen in Frankreichs V. Republik der Fall ist. Der Unterschied in der praktischen Anwendung prinzipiell kongruenter Verfassungsnormen muß an der politischen Kultur und an den Parteien liegen, die in Weimar eben, wie von Preuß befürchtet, die entsprechende politische Disziplin nicht aufbrachten. Eberts Versuche der Regierungsbildung im Sinne des Verfassungsvaters Preuß wurden bereits von seiner eigenen Partei unterlaufen, denn „[d]ie Sozialdemokratie war, wie die anderen Parteien auch, für eine parlamentarische Demokratie kaum vorbereitet“9. Die Auffassung, daß die Parteien in ihren Strukturen und ihrem Politikverständnis nicht den Erfordernissen des Regierungssystems entsprachen und damit einen wesentlichen Faktor bei der Zerstörung der Weimarer Demokratie darstellten, ist in der Forschung inzwischen so unumstritten, daß die Feststellung fast ein Gemeinplatz geworden ist10. Kurioserweise steht bei vielen späteren Kritikern daneben aber die Kritik an der Konstruktion des Reichspräsidenten, der als „Nebenverfassung“ oder „Reserveverfassung“ bereit stand und so den Kompromißdruck vom Reichstag und den Parteien nahm11. Daß die Ausgestaltung des Reichspräsidenten in der Weimarer Verfassung damit zu tun hat, daß Preuß eine realistische Einschätzung der 8
Winfried Steffani, Zur Unterscheidung parlamentarischer und präsidentieller Regierungssysteme, in: ZParl, 14 (1983), 390–401, hier 392f. und 396. 9 Heinrich Potthoff, Friedrich Ebert, die deutsche Sozialdemokratie und die Koalitionsfrage 1919–1925, in: R. König, H. Soell und H. Weber (Hrsg.), Friedrich Ebert und seine Zeit, 111– 129, hier 128. Siehe auch Klaus Megerle, Friedrich Ebert, die deutsche Sozialdemokratie und die Koalitionsfrage 1919–1925, in: ebd., 131–145, v.a. 135ff.; Detlef Lehnert, ‚Staatspartei der Republik‘ oder ‚revolutionäre Reformisten‘? Die Sozialdemokraten, in: ders. und Klaus Megerle (Hrsg.), Politische Identität und nationale Gedenktage, 89–113. 10 Statt vieler Nachweise nur Martin Vogt, Parteien in der Weimarer Republik, in: K. D. Bracher, M. Funke und H.-A. Jacobsen (Hrsg.), Die Weimarer Republik 1918–1933, 134–157, hier 135f.; Michael Stürmer, Koalitionen und Oppositionen: Bedingungen parlamentarischer Instabilität, in: ders. (Hrsg.), Die Weimarer Republik. Belagerte Civitas, Königstein/Ts. 1980, 237– 253, hier 244 (erstmals PVS 1967); Hagen Schulze, Das Scheitern der Weimarer Republik als Problem der Forschung, in: Karl Dietrich Erdmann und ders. (Hrsg.), Weimar. Selbstpreisgabe einer Demokratie. Eine Bilanz heute, Düsseldorf 1980, 23–41, hier 31. 11 Besonders pointiert und in vielen Arbeiten seit seiner Auflösung der Weimarer Republik Karl Dietrich Bracher; als Zusammenfassung seiner Thesen siehe sein „Demokratie und Machtvakuum: Zum Problem des Parteienstaats in der Auflösung der Weimarer Republik“, in: K. D. Erdmann und Hagen Schulze (Hrsg.), Weimar. Selbstpreisgabe einer Demokratie, 109–134, hier 117. Gegen den Begriff der „Reserveverfassung“ siehe zutreffend H. Boldt, Die Stellung von Parlament und Parteien in der Weimarer Reichsverfassung, 47f.
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10. Als Politiker in der Weimarer Republik
Politikfähigkeit der Parteien besaß, wird ihm nicht zugebilligt, sondern beide Übel, das reale und das vermeintliche, stehen nebeneinander. Preuß drückte die Problematik des Parteienstaates ohne geeignete Parteien auf dem Höhepunkt des Krisenjahres 1923, in dem es insgesamt vier verschiedene Kabinette unter drei Kanzlern gab, so aus: Das wahre und verhängnisvolle Übel ist, daß unser Parteiwesen äußerlich und innerlich fast unverändert aus der verantwortungslosen Unmündigkeit des Obrigkeitsstaates in die neue Ordnung staatspolitisch verantwortlicher Selbstregierung herübergekommen ist, in der es sich nicht zurecht zu finden weiß. Der alte Fraktionsgeist und die alten Fraktionsführer, die immer nur Redner, Taktiker, Agitatoren waren und nie Staatsmänner sein konnten, wollen jetzt im Gefühl neugewonnener Macht Regierung spielen, wie sie einst Opposition gespielt haben; und am liebsten möchten sie, das Nützliche mit dem Angenehmen verbindend, Regierung und Opposition zugleich spielen.12
Die ganze Kritik bislang richtete sich überwiegend an die Adresse der demokratischen Parteien Weimars, denn ihre Aufgabe wäre es gewesen, durch das Zusammenspiel miteinander und die Kompromißfähigkeit untereinander den Parlamentarismus lebensfähig zu machen. Auf einem ganz anderen Blatte standen die antidemokratischen Parteien, die den Parlamentarismus prinzipiell ablehnten und daher auch keinerlei Veranlassung sahen, sich gemäß seinen Regeln zu verhalten. Den im Sinne Preuß’ und der Demokratie nationalen Sinn, die Regierungsfähigkeit auch der Opposition, die als Grunderfordernis des Parlamentarismus später von Ernst Fraenkel in einen Mittelpunkt seiner demokratietheoretischen Überlegungen gestellt worden ist13, gab es in Deutschland immer noch nicht. Das wiederkehrende Preußsche Thema der Politikunfähigkeit der Deutschen, der Unmöglichkeit des Notwendigen, läßt sich aus fast jeder Zeile ablesen, die Preuß in Weimar verfaßt hat14. Besonders vehement reagierte er, als Bayern den Moment der ersten Beruhigung der politischen Umstände nutzte, um 1924 einen Reichsreformplan vorzulegen, der später noch ausführlicher betrachtet werden soll. Dabei war Bayern bereits im Jahr zuvor der deutsche Staat gewesen, der in flagranter Verletzung der 12 „Zur ‚Agonie des deutschen Parlamentarismus‘“, in: Die Deutsche Nation, 5 (1923), 27–30, hier 29. Ebd., 27, geißelt er „diese Karikatur eines parlamentarischen Regierungssystems“, in dem die Parteien den Kanzler ebenso selbstherrlich auswählen, wie dies früher vom Kaiser geschehen sei. Die Bestimmung über die Ernennung des Kanzlers durch den Reichspräsidenten habe damit ihren Sinn verloren. 13 Fraenkel hat den Gedanken, daß es einen strittigen und einen unstrittigen Teil der Verfassung geben müsse, wenn die Demokratie Erfolg haben soll, an vielen Stellen ausgedrückt; etwa Ernst Fraenkel, Deutschland und die westlichen Demokratien, Frankfurt a.M. 1991, 246ff. 14 Etwa „Verfassungspolitische Entwicklungen“, 46: „Die Demokratie ist ohne den Parteibetrieb nicht lebens- und handlungsfähig; aber ohne ein starkes, allen ihren Parteien gemeinsames nationales Staatsbewußtsein ist die Demokratie auf die Dauer nicht regierungsfähig.“ Die Notwendigkeit verlange den Parlamentarismus der nationalen Demokratie („Regierungsfähige Opposition“, BT, Nr. 355 [31.7.’23] M), „aber so oft schon in unserer Geschichte hat sich das Notwendige immer wieder zugleich als das Unmögliche erwiesen“.
10.1 Die politische Entwicklung Weimars
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Reichsverfassung, in mißbräuchlicher Anwendung des Art. 48.4 und in offenem Hohn gegen die Reichsregierung zu einer sicheren Zufluchtstätte für alle rechten Feinde der Republik geworden war15. Die Reichsregierung reagierte schwach und ausweichend, während gleichzeitig die Volksfrontregierungen in Sachsen und Thüringen auf dem Wege der Reichsexekution abgelöst wurden. Diese unterschiedliche Behandlung rechter und linker Abweichungen mag damit begründet gewesen sein, daß der Reichskanzler Gustav Stresemann in realistischer Einschätzung der Lage gewußt hat, daß eine Reichsexekution gegen Bayern militärisch nicht durchsetzbar gewesen wäre. Die SPD jedenfalls nahm es zum Anlaß, im November 1923 aus der Regierung der Großen Koalition auszuscheiden und wenig später Stresemann zu stürzen. Auch in dieser Frage folgte die Partei nicht ihrem Reichspräsidenten, der vergebens versuchte, die SPD in der Regierung zu halten. Nach dem Bruch der Großen Koalition blieben die Sozialdemokraten bis zum Sommer 1928 von der Regierungsverantwortung auf Reichsebene ausgeschlossen16. In dieser Situation kam mit der bayerischen Denkschrift „eine freundliche Einladung zum nationalpolitischen Selbstmorde“17. Die nationalstaatliche Einheit des deutschen Volkes, das einzige, was in Weimar aus den Trümmern des Zusammenbruchs hatte gerettet werden können, sah Preuß jetzt in Gefahr. Bayern betrieb nach seinem Urteil im Effekt das Spiel Frankreichs18; ein kaum noch zu steigernder Vorwurf nationaler Unzuverlässigkeit so kurz nach der Niederlage im Ruhrkampf. Am meisten empörte Preuß dabei wohl die Unaufrichtigkeit, mit der nach der Restituierung der Verfassungszustände von 1871 gerufen wurde. Denn ein integraler Bestandteil dieser Verfassungszustände war die Hegemonie Preußens gewesen. Davon war natürlich in der bayerischen Denkschrift nicht die Rede gewesen. Bayern versuchte, nur die eine Hälfte des Gebäudes, die süddeutschen Reservatrechte, zu rekonstruieren, nicht aber ihr Korrelat19. Trotzdem konnte Bayern „den dröhnenden Beifall der ostelbischsten Reaktion“20 für sich verbuchen, die sich 15 Zum Konflikt des Reiches mit Bayern siehe G. Schulz, Zwischen Demokratie und Diktatur I, 404ff. 16 Zu diesen Vorgängen H. Möller, Weimar, 159f. Dort, wie auch an vielen anderen Stellen, ist auch der angebliche Satz Eberts an die Führung seiner Partei zitiert: „Was Euch veranlaßt, den Kanzler zu stürzen, ist in sechs Wochen vergessen, aber die Folgen Eurer Dummheit werdet Ihr noch zehn Jahre lang spüren.“ Gustav Stresemann, Vermächtnis, 1. Bd., Berlin 1932, 245. Aber auch H. Potthoff, Die deutsche Sozialdemokratie und die Koalitionsfrage, 126, stimmt der Einschätzung zu, daß hier „ein kapitaler Fehler der SPD“ vorlag. 17 „Um die Reichsverfassung von Weimar“, 19. 18 Vgl. ebd., 21, 34f., 45, 83 u. 90ff.; „Deutschlands Republikanische Reichsverfassung“, 103 u. 111; und die Preußschen Artikel im Berliner Tageblatt „Bayerns Verfassungswünsche. Länder oder Bundesstaaten?“ Nr. 34 (20.1.’24) M; „Länder oder ‚Bundesstaaten‘?“, Nr. 36 (22.1.’24) M; „Reichsverfassung und Reichsregierung“, Nr. 40 (24.1.’24) M. 19 „Um die Reichsverfassung von Weimar“, 100f. u. 110f. 20 „Reichsverfassung und Reichsregierung“, BT, Nr. 40 (24.1.’24) M. Vgl. „Um die Reichsverfassung von Weimar“, 118f.: „Der Standpunkt, den die preußische Reaktion zur Sache einnimmt, ist verblüffend einfach und hirnverbrannt. ... Ihre Staatsgelehrten haben in ihrer Presse ‚Gedanken‘ zu einer neuen Reichsverfassung veröffentlicht, die im Tollhaus erdacht zu sein
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10. Als Politiker in der Weimarer Republik
erhoffte, ihre alte Stellung in Preußen beim bayerischen Vorstoß wiederzuerlangen. Hugo Preuß, der Urheber der Neugliederungsgedanken für Preußen, wird das Ungewohnte seiner neuen Rolle nicht übersehen haben: auf einmal mußte er, wenigstens für die Gegenwart, für die Einheit des demokratisch regierten Preußen eintreten, um wenigstens ein festes Bollwerk gegen die Angriffe auf die Weimarer Republik zu besitzen21. In Preußen regierte unter Ministerpräsident Otto Braun die Große Koalition unter Einschluß der DVP, die im Reich gerade auseinandergebrochen war. Diese Konstellation unter Einbeziehung der DVP war nicht die politische Präferenz von Preuß, aber im Vergleich zur Reichspolitik immer noch vorzuziehen. Die generellen Strukturüberlegungen über die Rolle Preußens in einem föderativen (oder hoch dezentralisierten) deutschen Staat hatten hinter den politischen Erwägungen auch für Preuß momentan zurückzustehen. Allerdings sollte, nachdem man die Chance von 1918 verpaßt hatte, nie wieder ein besserer Moment kommen, in dem Preuß die von ihm nach wie vor prinzipiell für erforderlich gehaltene Aufteilung Preußens auch politisch für machbar hielt. Die Parteinahme für Preußen blieb nicht der einzige Fall, in dem Preuß eher der Not gehorchend sich engagierte. Ähnlich verhielt es sich 1925, als er für den Zentrumskandidaten Wilhelm Marx Wahlkampf machte. Marx war als Nachfolger Stresemanns 1923 Reichskanzler geworden und hatte dieses Amt an der Spitze eines bürgerlichen Minderheitenkabinetts bis zum Januar 1925 ausgeübt. Nach den Reichstagswahlen vom Dezember 1924 wurde er gestürzt, und es kam zu einer spektakulären neuen rechtsbürgerlichen Koalition unter dem bisherigen Finanzminister Hans Luther, mit Einbeziehung der DNVP. Schon die vorige Reichsregierung war keine Konstellation, die Preuß sich gewünscht hätte, aber die neue Regierung war noch ein ganz anderes Thema. Immerhin war die DDP in der neuen Koalition nicht mehr vertreten. Gleichzeitig leistete sich auch Preußen eine Regierungskrise, die durch das Ausscheiden der DVP aus der großen Koalition bedingt war. Die verworrenen, über Wochen hinweg zu wiederholten Neuwahlen des Ministerpräsidenten führenden Verhandlungen im Landtag Preußens sollen hier nicht nachvollzogen werden22. Nach zehn Wochen und fünf Wahlen, in denen zwischenzeitlich auch Wilhelm Marx zum Ministerpräsidenten gewählt worden war, fanden sich die Parteien der Weimarer Koalition letztlich unter Otto Braun als altem und neuem Ministerpräsidenten wieder – jetzt aber ohne die DVP. Das personelle Gezerre wurde noch pikanter dadurch, daß Marx und Braun inzwischen, nachdem Ebert am 28. Februar 1925 überraschend gestorben war, die Kandidaten ihrer Parteien für die Wahl des Reichspräsidenten waren. Zumindest für Braun, der seine Aufgabe in Preußen und nicht im Reich sah, war dies mehr die Erfüllung einer scheinen; der geringste Versuch zu ihrer Ausführung würde uns dem wildesten Bürgerkrieg im Innern und der verdienten Verachtung der ganzen Welt preisgeben.“ 21 Etwa „Um die Reichsverfassung von Weimar“, 25 u. 122. 22 Vgl. dazu H. Schulze, Otto Braun, 466ff.; H. Möller, Preußen von 1918 bis 1947, 230ff. Zum Taktieren des Zentrums in dieser Krise H. Hömig, Das Preußische Zentrum in der Weimarer Republik, 121ff.
10.2 Die DDP zwischen Erneuerung und Kontinuität
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Pflicht gegenüber der Partei als eigene Neigung23. So fiel es ihm nicht schwer, nach dem ersten Wahlgang am 29. März darauf zu verzichten, die Kandidatur weiter zu betreiben. Die SPD unterstützte im Reich die Kandidatur von Wilhelm Marx und das Zentrum votierte für Braun als Ministerpräsidenten. Am 3. April wählte der Landtag, nachdem zuvor noch Verstimmungen bei der DDP ausgeräumt werden konnten, Otto Braun erneut zum Ministerpräsidenten, womit die stabilste und langlebigste Regierungsphase einer Weimarer Koalition im wichtigsten deutschen Land begann. Aber Marx war nunmehr der einheitliche Reichspräsidentenkandidat der demokratischen Parteien. Damit sah Preuß sich genötigt, einen Kandidaten zu unterstützten, dessen Reichsregierung er zuvor über ein Jahr lang bekämpft hatte und mit dem ihn nicht viel verband. Immerhin, Marx war kein Hindenburg, und das machte es letztlich doch möglich, daß Preuß sich am Wahlkampf aktiv beteiligte. Man merkt es aber seinen Reden und Artikeln deutlich an, daß hier jemand die Wähler zu überzeugen suchte, der im Grunde selbst nicht überzeugt war24. Viele andere Aktivitäten, etwa seine Arbeit im „Reichsbanner Schwarz Rot Gold“25 und für die Verbindung mit Österreich26 konnte er mit mehr innerer Überzeugung angehen. Der Erfolg war jedoch ebenfalls nicht nennenswert. Im Prinzip gilt das gleiche für die einzige institutionelle Bindung zur politischen Entscheidungsfindung auf Reichsebene, die Preuß nach seinem Ausscheiden aus dem Kabinett geblieben war: die Mitwirkung in der Parteiführung der DDP. 10.2 Die DDP zwischen Erneuerung und Kontinuität Die Deutsche Demokratische Partei war in ihren Anfängen ein Kind der Revolution. Ganz bewußt knüpfte sie – wenigstens zunächst – nicht an die Parteitraditionen des etablierten Linksliberalismus an, sondern versuchte, als neue Sammlungsbewegung mit der Revolution und der Republik auch parteipolitisch einen neuen Akzent zu setzen27. Der kleine Kreis um Theodor Wolff und Alfred Weber, von 23 H. Schulze, Otto Braun, 471. 24 So etwa „Die Reichspräsidentenwahl und die ‚klerikale Gefahr‘“, Illustrierte ReichsbannerZeitung, Nr. 16 (18.4.’25), 242. Die Bedenken in der DDP gegen die Kandidatur Marx’ werden artikuliert in der Sitzung des Parteiausschusses vom 5. April; BAK, R 45 III/12, Bl. 166–176. 25 K. Rohe, Das Reichsbanner Schwarz Rot Gold, 304f. Zum Reichsbanner-Engagement des von Preuß sehr geschätzten Wirth siehe U. Hörster-Philipps, Joseph Wirth, 312ff. Vgl. auch Detlef Lehnert, Von der politisch-kulturellen Fragmentierung zur demokratischen Sammlung? Der ‚Volksblock‘ des ‚Reichsbannerlagers‘ und die katholischen Republikaner, in: ders. und Klaus Megerle (Hrsg.), Pluralismus als Verfassungs- und Gesellschaftsmodell. Zur politischen Kultur in der Weimarer Republik, Opladen 1993, 77–129. 26 Vgl. hierzu im BAK, NL Dietrich, Nr. 202. 27 Zur Gründung der DDP vgl. L. Albertin, Liberalismus und Demokratie, 54ff.; Lothar Albertin, Einleitung. Deutsche Demokratische Partei/Deutsche Staatspartei, in: Konstanze Wegner (Hrsg.), Linksliberalismus in der Weimarer Republik. Die Führungsgremien der Deutschen
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10. Als Politiker in der Weimarer Republik
dem die Gründungsinitiative ausging, hatte vor der Revolution durchweg keine entscheidende Rolle in der Fortschrittlichen Volkspartei gespielt. Die Kritik an dieser Partei, die der meinungsbildende linksliberale Journalismus geübt hatte, fand jetzt seinen Niederschlag darin, daß es Journalisten waren, die bei der Gründung der DDP in vorderster Linie standen und die der jungen Partei damit zugleich in den großen Organen des Liberalismus, dem Berliner Tageblatt, der Vossischen und der Frankfurter Zeitung das Ausmaß an Publizität sicherten, das die einfache Fortführung der überkommenen Parteistrukturen unmöglich machte oder doch zu machen schien28. Die alten Parteiführer des Liberalismus beider Richtungen waren dabei von den Parteigründern prinzipiell willkommen geheißen und zur Mitarbeit aufgefordert worden. Diese etwas herablassende Aufforderung führte zu allerlei Verstimmungen29, zumal sie ohne Ansehen der Person erfolgte. Auf die Politiker, die sich vor allem in der Nationalliberalen Partei durch extreme Kriegszielprogramme profiliert hatten, wollte man bewußt verzichten, um den Bruch mit der Vergangenheit auch personell zu dokumentieren. Damit war aber auch das Einigungskonzept im Grunde von Anfang an zum Scheitern verurteilt; man konnte zwar verhindern, daß Gustav Stresemann in der neuen DDP mitwirkte, nicht aber, daß er auf jede politische Tätigkeit verzichtete30. In gewisser Weise ist die Deutsche Volkspartei von Wolff und Alfred Weber ins Leben gerufen worden. Aber auch in der DDP war der Gründungselan schnell wieder der Normalität gewichen. Ein entscheidendes Moment ist sicherlich der frühe Wahltermin für die Nationalversammlung. Die schnelle demokratische Legitimierung wurde von allen Seiten gewünscht, für die innerparteiliche Neuorientierung erwies sie sich aber als fatal. Für den Wahlkampf wurden die organisatorischen Strukturen und Kräfte der alten Fortschrittspartei benötigt. Das hieß aber auch, daß große Teile des überkommenen Parteiapparates nach Überwindung der ersten Lähmung seine gewohnte Stellung wieder einnahm. Die erste Probe aufs Exempel war die Nominierung der Demokratischen Partei und der Deutschen Staatspartei 1918–1933. Bearbeitet von Konstanze Wegner in Verbindung mit Lothar Albertin, eingeleitet von Lothar Albertin (Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Reihe 3, Bd. 5), Düsseldorf 1980, IX–LI, hier XIf.; sowie Werner Stephan: Aufstieg und Verfall des Linksliberalismus 1918– 1933. Geschichte der Deutschen Demokratischen Partei, Göttingen 1973, 14ff. Stephans Bericht ist aus der Perspektive des Teilnehmers geschrieben; er war 1922–29 Reichsgeschäftsführer der DDP, später dann Bundesgeschäftsführer der FDP. Zur Vorgeschichte auch BAK, NL Payer, Nr. 12, Bl. 198–226. 28 Vgl. L. Albertin, Liberalismus und Demokratie, 55; W. Stephan, Aufstieg und Verfall des Linksliberalismus, 16. Zur späteren Rolle der Pressevertreter im DDP-Vorstand siehe auch H.-D. Fischer, Handbuch der politischen Presse in Deutschland, 260. Ebd., 230ff. generell zur Presse in Weimar. 29 Friedrich Naumann nannte die Gründung „eine Art Staatsstreich“, der vom Berliner Tageblatt ausging und fühlte sich „bolschewisiert“; Wolfgang Hartenstein, Die Anfänge der Deutschen Volkspartei 1918–1920, Düsseldorf 1962, 16. Vgl. auch P. Theiner, Sozialer Liberalismus und deutsche Weltpolitik, 288. 30 Vgl. L. Albertin, Liberalismus und Demokratie, 59ff. u. 70ff.; W. Stephan, Aufstieg und Verfall des Linksliberalismus, 26ff.
10.2 Die DDP zwischen Erneuerung und Kontinuität
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Kandidaten für die Nationalversammlung. Da es hier, anders als bei den späteren Reichstagswahlen, noch keine Reichsliste zum Ausgleich der Stimmenüberschüsse in den Wahlkreisen gab, mußten alle Bewerber irgendwo Gnade vor den Augen der lokalen Parteileitungen finden. Im neuen Vorstand in Berlin bemühte man sich zwar durchaus, die Männer der neuen Richtung in den Wahlkreisen unterzubringen, aber der Erfolg war verheerend. Bis zu einem gewissen Grade ist dies auch verständlich; angesichts der Kürze der Zeit konnten sich längst nicht alle Kandidaten aus Berlin mit den Parteiorganisationen, die sie repräsentieren sollten, bekannt machen. Die Verkehrsbedingungen im Revolutionswinter waren schlecht, und Briefe und Telegramme aus Berlin wurden in der Provinz fast durchweg ignoriert. Hugo Preuß scheiterte gleich in zwei Wahlkreisen, Pommern und Potsdam; ebenso Max Weber in Baden und Hessen-Nassau. Dieses Schicksal teilten sie mit einer ganzen Reihe anderer Politiker31, und so hatten weder das Verhältniswahlrecht, das doch eigentlich die Wahl dringend gebrauchter, aber lokal schlecht vermittelbarer Kandidaten möglich machen sollte, noch die Erneuerung des Linksliberalismus ihre Feuertaufe bestanden. Es zeigte sich schon bald, daß dies kein einmaliger Ausrutscher war. Bei der Kandidatenaufstellung zur Berliner Kommunalwahl im Februar 1919 hatte die alte Parteihierarchie des Kommunalfreisinns die Dinge bereits wieder soweit unter Kontrolle, daß eine Liste aufgestellt werden konnte, ganz als ob keine Revolution stattgefunden habe. Die sicheren Plätze gingen an die alten Parteiführer und Funktionsträger, während die neue Garde sich weit hinten auf den Listen wiederfand. Und diesmal handelte es sich eben nicht um die Provinz, sondern um die Reichhauptstadt, in der die Initiative zum Neuanfang ja begonnen hatte. Erst eine Vielzahl von Protesten in der liberalen Öffentlichkeit und unter den Anhängern des Parteineuanfangs vom November erzwang eine nachträgliche Korrektur der Liste, die sich allerdings auf das Notwendigste beschränkte32. Bei der Wahl zum ersten Reichstag 1920 hatte man auf Reichsebene eine verbundene Liste geschaffen, die die restlichen Stimmen einer Partei aus den einzelnen Reichstagswahlkreisen auffing und die damit das Problem der Listenverbindungen aus der Wahl zur Nationalversammlung überflüssig machte33. Geändert hatte sich damit jedoch wenig, und auch Hugo Preuß sollte bei seinem zweiten Anlauf nicht zum Zuge kommen. Eugen Schiffer, der 1919 selbst beinahe gescheitert wäre, gab 31 Vgl. L. Albertin, Liberalismus und Demokratie, 78ff.; W. Stephan, Aufstieg und Verfall des Linksliberalismus, 41. Zur gescheiterten Kandidatur von Preuß siehe die Sitzungen des Geschäftsführenden Ausschusses der DDP vom 9.12.’18, 23.12.’18 und 4.1.’19; BAK, R 45 III/9, Bl. 10–13, Bl. 26–30 u. Bl. 38–41. Ich zitiere hier aus den Akten im Bundesarchiv Koblenz; die entsprechenden Dokumente bei K. Wegner (Hrsg.), Linksliberalismus in der Weimarer Republik, lassen sich anhand der Daten und Aktenangaben leicht auffinden. 32 Zu diesem Vorgang vgl. die Schreiben und Aufzeichnungen im BAB, 90 NA 5, NL Paul Nathan, Bd. 18, vom Februar 1919. 33 Hierzu E. Schanbacher, Parlamentarische Wahlen und Wahlsystem in der Weimarer Republik, 83ff.
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10. Als Politiker in der Weimarer Republik
eine plastische Schilderung des Vorgangs, der durchaus typisch auch für die Vorgänge bei anderen Parteien ist und der deshalb ausführlicher zitiert werden soll. So hatten sich die Befürworter des Verhältniswahlrechts die politische Praxis nicht vorgestellt: Es gibt wenige Dinge, die so komisch und zugleich so widerwärtig sind, wie der Kampf um die politische Futterkrippe der Reichsliste. Er vollzieht sich in allen Parteien nach demselben Schema und mit der gleichen Erbitterung. Zunächst muß auf die Reichsliste in jedem Fall ein Landwirt, ein Handwerker, ein Lehrer, ein mittlerer oder unterer Beamter und vor allen Dingen eine Frau kommen. Alle diese Gruppen sind nämlich stark organisiert, zählen sehr viele Mitglieder und ihre Vertreter erklären mit hochgezogenen Brauen, daß sie zwar, wenn ihnen eine sichere Stelle auf der Reichsliste eingeräumt würde, nicht unbedingt für ein vollzähliges Eintreten ihrer Freunde zu Gunsten der Partei einstehen können, wohl aber dafür, daß wenn sie ihnen nicht eingeräumt würden, kein Einziger von ihnen für die Partei stimmen würde. Zu diesen Zahlenmächten gesellen sich die Geldmächte. Die kleinen, aber leistungsfähigen Organisationen der Arbeitgeber, Großindustriellen, Grußgrundbesitzer und Großkaufleute sowie einzelne Großgeldgeber reden nicht viel, sondern klimpern mit dem Beutel und finden Verständnis und Beachtung. Eine dritte Gruppe bilden die Wahlkreise, die ihres bisherigen Vertreters überdrüssig sind oder für einen jüngeren strebsamen Politiker einen Platz brauchen. Sie erklären, daß sie leider nicht mehr in der Lage seien, ihren alten Herrn wieder zu placieren, aber unter keinen Umständen es ertragen könnten, wenn er dem Parlamente verloren ginge. So müsse die Reichsliste die Brücke bilden, auf der er in die Volksvertretung zurückkehren könne. Alle diese Bestrebungen und Begierden stoßen nun aufeinander, geraten sich in die Haare, feilschen um jeden einzigen Platz und gewähren das abstoßende Bild einer politischen Börse schlimmster Art. Die Personen, die weder Geld noch Wählermassen hinter sich haben, fallen völlig hinten herunter, obgleich doch gerade zum Ruhme des Proportionalwahlsystems herausposaunt wurde, daß sich die Möglichkeit biete, geistige Autoritäten, denen man einen Wahlkreis nicht zuweisen oder einen Wahlkampf nicht zumuten könne, im Parlament unterzubringen. So konnte es geschehen, daß ich mich gezwungen sah, für Herrn Preuß einzutreten, der mir politisch wirklich recht fern steht, aber in einer für mein Empfinden geradezu schmählichen Weise behandelt wurde. Für den Schöpfer der deutschen Reichsverfassung wurde bei den Reichstagswahlen überhaupt kein Platz freigemacht und bei den Landtagswahlen ein beinahe aussichtsloser oder mindestens sehr zweifelhafter Platz zur Verfügung gestellt. Auch Max Weber und Walther Rathenau fanden keine Gnade vor den Augen der Wahlmacher; ersterer mußte noch im letzten Augenblick einem Postassistenten Platz machen.34
Dabei blieb es dann auch, die Reichslisten wurden im ausgeklügelten Proporz vergeben, und da Hugo Preuß als unabhängiger Kopf keiner dieser Gruppen angehörte, mußte er dem Reichstag weiterhin fernbleiben. Sein Mißerfolg von 1920 wird wenigstens zum Teil verursacht worden sein durch den erneuten „Fall Preuß“ Ende Januar 1919 – ein „Fall Preuß“, der diesmal nicht von einem Oberhofmeister der Kaiserin ins Rollen gebracht wurde, sondern von Preuß’ Parteifreunden. Eine Woche nach den Wahlen zur Nationalversammlung am 19. Januar waren die Wahlen für die Verfassunggebende Preußische 34 BAK, NL Schiffer, Nr. 3, Bl. 76–78. Die Tagebucheintragung ist vom 2.5.’20. Auch Schiffer war einer der lauen Freunde der Demokratie, die für Preuß das Grundübel waren. Seine schon in der Bundesrepublik erschienenen Memoiren sind ein Hohelied auf die Monarchie, und aus seinen Bedenken gegen die Verfassung der Republik, der er als Reichsminister diente, macht er keinen Hehl; Eugen Schiffer, Ein Leben für den Liberalismus, Berlin-Grunewald 1951, 215.
10.2 Die DDP zwischen Erneuerung und Kontinuität
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Landesversammlung angesetzt. Die Terminplanung, wenige Tage vor dieser Wahl den Verfassungsentwurf zu veröffentlichen, und zwar mit der nicht mehr zutreffenden Denkschrift, die die Aufteilung Preußens vorsah, war politischer Dilettantismus. Sicherlich wäre es möglich gewesen, ihn noch eine Woche zurückzuhalten, um die Wahlen nicht mit der plötzlichen und erregten Stimmung zu belasten, die die Veröffentlichung der Begründung für einen so nicht mehr existierenden Teilungsplan notwendig nach sich ziehen mußte. Wenn nicht später, dann hätte der Entwurf früher bekanntgegeben werden müssen, um der Aufregung des ersten Momentes etwas Zeit zur Beruhigung zu geben. So, wie es tatsächlich geschah, leisteten die Volksbeauftragten mit einer ihrer letzten Regierungshandlungen eine unvermutete Wahlhilfe für die rechten Oppositionsparteien. Wie alle Parteien Preußens bekannte sich auch die DDP sofort zur Einheit Preußens. Damit war sie aber in einem Dilemma, das ihr die politische Konkurrenz sofort vorhielt. Am 25. Januar konnte man in der DNVP-nahen „Deutschen Tageszeitung“ lesen: Daß die Deutsche Demokratische Partei ... bei der Kandidatenauswahl eine merkwürdig geschickte Hand bewies, dafür zeugt die Kandidatur des Staatssekretärs Preuß an dritter Stelle des Berliner Wahlvorschlags. Herr Preuß ist der Urheber der Zerstückelungspläne Preußens. Die Deutsche Demokratische Partei resolutioniert entrüstet für die Erhaltung des preußischen Staates. Sie desavouiert also auf schärfste ihren eigenen Kandidaten und empfiehlt den Desavouierten gleichzeitig zur Wahl in die preußische Nationalversammlung.35
Zu diesem Zeitpunkt war die preußische DDP jedoch schon mit sich ins Reine gekommen. Der Geschäftsführende Ausschuß der Partei, dem eigentlich auch Preuß angehörte, hatte sich in dessen Abwesenheit schon am 21. Januar getroffen und einen Beschluß gefaßt: Eine besondere Schwierigkeit für die Preußenwahl ergibt sich daraus, daß im Lande jetzt große Erregung herrscht über die Stellung von Dr. Preuß zur Frage der Zerlegung Preußens in mehrere kleinere Staaten. Da Dr. Preuß auf unserer Berliner Kandidatenliste steht, muß der Geschäftsführende Ausschuß sich zu der Sache äußern. ... Nach einer längeren Debatte ... wird beschlossen, mit allem Nachdruck für die Unteilbarkeit und Unversehrtheit Preußens sich auszusprechen und eine entsprechende Kundgebung in der ‚Demokratischen Parteikorrespondenz‘ zu veröffentlichen. An diese Kundgebung soll die Korrespondenz einen Kommentar knüpfen, in dem zur Entlastung von Preuß gleichzeitig betont wird, daß auch von deutschnationaler und klerikaler Seite ähnliche Zerteilungspläne aufgetaucht sind. ... Endlich wird Herr Fischbeck an Herrn Preuß ein Schreiben richten, in dem er von der Stellungnahme des Geschäftsführenden Ausschusses Mitteilung macht. Es wird erwartet, daß die Berliner Organisation ebenfalls ihrerseits zu der Angelegenheit in derselben Weise wie der Geschäftsführende Ausschuß Stellung nehmen wird und Herrn Preuß auffordert, aus der dadurch geschaffenen Sachlage als Kandidat seine Konsequenzen zu ziehen.36
35 „Deutschdemokratische Kandidaten – Judentum – Preußen.“, DTZ, Nr. 46 (25.1.’19) A. Ähnlich „Deutsch-demokratisches Kunststück“ DTZ, Nr. 45 (25.1.’19) M; und „Vor der Entscheidung“, BLA, Nr. 33 (25.1.’19). 36 BAK, R 45 III/9, Bl. 46–49, hier Bl. 46f.
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10. Als Politiker in der Weimarer Republik
So geschah es. Am gleichen Tag noch richtete Otto Fischbeck, der ehemalige Vorsitzende der Fortschrittlichen Volkspartei und ihrer Reichstagsfraktion und jetzt DDP-Führer in Preußen, ein Schreiben an Preuß und forderte ihn wenigstens implizit auf, seine Kandidatur aufzugeben. Der Multifunktionär Fischbeck war zusätzlich zu seinem Reichstagsmandat ab 1900 Stadtrat in Berlin gewesen, später auch noch Mitglied des Preußischen Abgeordnetenhauses. Er verkörperte nahezu perfekt die alte freisinnige Parteihierarchie des Kaiserreiches, und es ist gut möglich, daß die Schärfe der Auseinandersetzung auch durch die Erinnerung an vergangene Unstimmigkeiten begründet war. Preuß blieb in seinem Antwortbrief nichts schuldig, hielt sich selbst mit öffentlichen Äußerungen aber noch zurück, auch nachdem das Schreiben Fischbecks an die Öffentlichkeit gelangte und in der Presse diskutiert wurde37. Auch nach der Wahl wurde Preuß von seinen Parteifreunden aufgefordert, sein Mandat nicht anzunehmen, wobei die reaktionäre Presse schadenfroh beipflichtete38. Preuß dachte überhaupt nicht daran, diesem Druck nachzugeben. Am 29. Januar, also erst nach den Wahlen, wehrte er sich in der Vossischen Zeitung auch öffentlich. Er ließ das Schreiben Fischbecks wie auch seine recht scharfe Antwort darauf abdrucken und begleitete dies mit weiteren Überlegungen: Man mache sich die Situation klar: Ich bin Mitbegründer und Mitglied des Vorstandes der Demokratischen Partei. Ohne je mit mir Fühlung genommen zu haben, läßt mir der Geschäftsführende Ausschuß dieser Partei in einer der wichtigsten Fragen meiner politischen verantwortlichen Arbeit den Ukas zugehen, zu einer Zeit, wo selbstverständlich die Richtlinien des ersten Verfassungsentwurfs längst festgelegt waren. Das ist so ungeheuerlich, daß demgegenüber die – übrigens unbedingt zu verneinende – Frage zurücktritt, ob der Geschäftsführende Ausschuß zu einer solchen Festlegung überhaupt befugt war. Daß meine alten Gönner in der Berliner Bezirksvereins-Hierarchie die vermeintliche Gelegenheit, mir ein Bein zu stellen, mit Wonne ergriffen, wundert mich ebensowenig, wie es mich überrascht, daß die politische Tragweite der Angelegenheit völlig jenseits ihres Gesichtskreises liegt.39
Der Geschäftsführende Ausschuß, der mit der Antwort von Preuß keineswegs zufrieden war, befaßte sich erneut in mehreren Sitzungen mit dem „Fall Preuß“, stellte aber etwaige weitere Aktionen sicherheitshalber bis nach dem Parteitag zurück40. Dabei blieb es dann auch. Die Aufregung legte sich fast so schnell wieder, wie sie entstanden war. Am 4. Februar gab es auf der Tagung des Hauptvorstandes der DDP in Erfurt noch ein Nachspiel, und hier zeigte sich, daß die Meinung der lokalen 37 „Die Deutsche Demokratische Partei gegen Staatssekretär Preuß“, VZ, Nr. 44 (24.1.’19). 38 Vgl. BT, Nr. 43 (31.1.’19); und „Preuß und die Demokratische Partei“, VZ, Nr. 51 (29.1.). Von rechts siehe etwa „Herr Preuß und sein Mandat“, DTZ, Nr. 52 (29.1.); „Anti-Preuße Preuß als Prophet“, BNN, Nr. 46 (31.1.); „Kleinkrieg in der Demokratie“, BLA, Nr. 42 (30.1.); „Demokratische Nöte“, Nat. Korr. (30.1.). 39 „Staatssekretär Preuß und sein Mandat“, VZ, Nr. 52 (29.1.’19) A. Bereits in der Morgenausgabe des gleichen Tages hatte sich die VZ auf der Titelseite mit dem Artikel „Der Fall Preuß“ kritisch mit der DDP auseinandergesetzt. 40 Sitzungen des Geschäftsführenden Ausschusses vom 28.1. und 1.2., BAK, R 45 III/9, Bl. 50– 53 u. Bl. 55–59.
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Parteiführung vom Rest der DDP kaum geteilt wurde. Preuß fand hier die benötigte Unterstützung, und damit war auch das Thema eines möglichen Mandatsverzichts vom Tisch41. Der Fall Preuß hatte aber auch eine gewisse organisatorische Schwäche der DDP offengelegt, in der verschiedene Gremien mit unklaren Kompetenzen nebeneinander und gegeneinander standen, und in der auch von einer personellen Einheit der Parteiführung keine Rede sein konnte. Ein von Lothar Albertin entwickeltes Organigramm der Parteistruktur ist informativ, zeigt aber auch nach der Konsolidierung des Parteiaufbaus ein immer noch verwirrendes Bild. In der Gründungsphase ging die an Chaos grenzende Vielfalt noch darüber hinaus42. Erst im Sommer 1919 wählte die Partei einen Vorsitzenden, und erst im Winter des gleichen Jahres gab sie sich ein Programm, in dem der Abschnitt über den Staat von Preuß, Walther Schücking, Ludwig Quidde und dem Strafrechtslehrer und späteren Reichstagsabgeordneten Heinrich Gerland ausgearbeitet worden war43. Erster Vorsitzender war Naumann geworden, der entgegen der Berliner Regie vom Parteitag auf den Schild gehoben wurde. Von den drei von der Parteiführung offerierten Kandidaten, Carl Petersen, Otto Fischbeck und Erich Koch erhielt ersterer das zweitbeste Resultat. Das erwies sich jedoch als ausreichend; als Naumann nur wenig später starb, ließ man einfach den etwas farblosen und auf Ausgleich bedachten späteren Hamburger Bürgermeister eine Stufe aufrücken, während der dynamische Koch noch einige Jahre warten mußte, bis er die ersehnte Stelle einnehmen konnte44. Unübersehbar war es aber, daß sich die DDP mit der Wahl Petersens wieder ein Stück weg von den Idealen der Gründungsväter bewegt hatte. Petersen verkörperte keinen Neubeginn, sondern Kontinuität mit dem alten, im Kaiserreich saturierten Liberalismus. Dafür steht etwa sein leidenschaftliches Eintreten für die alten Reichsfarben Schwarz-Weiß-Rot45. Es ist bemerkenswert, daß dieser Rechtsruck, der sich schon im Frühjahr 1919 in der Flaggenfrage und beim Versailler Vertrag zeigt, von den Wählern und der Öffentlichkeit nicht honoriert wurde. Anders als von Petersen und anderen erhofft kam es statt dessen dazu, daß sich nämlich die linksliberalen Kräfte zum Teil von der Partei abwendeten, ohne daß man von rechts 41 Das Protokoll findet sich im BAK, R 45 III/15, Bl. 40–59, hier Bl. 56–58. 42 Das Schaubild ist abgedruckt in L. Albertin, Einleitung. Deutsche Demokratische Partei/ Deutsche Staatspartei, XXI. Zum provisorischen Geschäftsführenden Ausschuß 1918/19 ebd., XX, und generell zur Organisationsstruktur L. Albertin, Liberalismus und Demokratie, 91ff. 43 W. Stephan, Aufstieg und Verfall des Linksliberalismus, 143. 44 Vgl. ebd., 125. 45 Zur Flaggenfrage vgl. ebd., 90ff. Preuß bemerkte später („Reich und Länder“, 76f.) zur Abstimmung in der Nationalversammlung dazu: „Das politisch Bemerkenswerteste dabei war, daß der Abgeordnete Dr. Petersen namens der Mehrheit der demokratischen Fraktion sich gegen die Annahme der Reichsfarben aussprach, die nach alter Überlieferung recht eigentlich als das Symbol großdeutscher Demokratie galten.“ Der führende badische DDP-Politiker Hermann Dietrich glaubte schon am 20.2.’19 zustimmend und befriedigt konstatieren zu können, daß die Partei „sehr national geworden“ sei (BAK, NL Dietrich, Nr. 216, Bl. 181.)
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neuen Anhang gewinnen konnte. Mit der Abkehr von der klar akzentuierten und offensiven Verteidigung der Ergebnisse der Revolution hin zu taktisch bedingten Kompromissen und Zugeständnissen nach rechts war bereits jetzt der innere Niedergang eingeleitet, dem der äußere folgte. Hugo Preuß drückte dies 1921 in seinen „Bergbriefen“ so aus: Die Demokratische Partei ist entstanden als die Partei des neuen demokratischen Nationalstaates schlechthin. Im Unterschied von sämtlichen anderen Parteien hat sie gar keinen anderen Daseinsgrund und Lebenszweck als die Erhaltung, die Konsolidierung und den Ausbau dieses demokratischen deutschen Nationalstaates; alle sonstigen Punkte ihres Programms haben nur Bedeutung als Mittel zu diesem höchsten und letzten Zwecke. Dadurch unterscheidet sie sich nicht bloß von den beiden Parteien der Rechten, sondern auch vom Zentrum und den sozialistischen Parteien; sie alle haben jedenfalls programmatisch noch ein ebenbürtig neben dem demokratischen stehendes Ziel nicht staatspolitischer Natur.46
Damit war auch der Kurs abgesteckt, den Preuß im Vorstand der DDP steuerte. Bereits während der Diskussion um die Regierungsbildung im Februar 1919 hatte Preuß einer Koalition mit dem Zentrum mit sehr gemischten Gefühlen entgegengesehen47. Ihm ging es dabei nicht, wie wenig später fast der ganzen Partei um die ungeliebte Person Erzbergers48, sondern um die programmatische Affinität von Sozialdemokratie und Linksliberalismus, die sich in dieser reinen Form am besten politisch durchsetzen könne. In der ganzen Folgezeit warnte Preuß auch immer wieder vor einer Zusammenarbeit mit der DVP, der er das Bekenntnis zur Demokratie und Republik nicht glaubte. Das Mißtrauen war durchaus gegenseitig; während der Verfassunggebung hatte die DVP zu den erbitterten Gegnern des Preußschen Neugliederungsplanes gehört49, aber auch unabhängig davon war das Verhältnis der beiden Parteien
46 „Bergbriefe“, 16. 47 In der Sitzung des Hauptvorstandes der Partei am 4.2.’19 in Erfurt (BAK, R 45 III/15, Bl. 40– 59, hier Bl. 43) führte Preuß aus: „Es ist dringend davor zu warnen, das Zusammengehen mit dem Zentrum als unbedingte Voraussetzung für unseren Eintritt in die Regierung hinzustellen. Andernfalls käme es zu einem Herandrängen der Mehrheitssozialisten an die Unabhängigen und sodann auf der anderen Seite zu einem bürgerlichen Block, der eine neue Revolution bedeuten würde. Die Sozialdemokratie braucht uns aber auch. An sich wäre es freilich besser, wenn das Zentrum auch einträte. Aber dem stehen große Schwierigkeiten gegenüber: vor allem die partikularistischen Tendenzen und die Kirchenpolitik dieser Partei. Wir können die Vermittler zwischen der Sozialdemokratie und dem Zentrum sein. Aber wir dürfen uns nicht auf den Standpunkt stellen: entweder beide bürgerliche Parteien in die Regierung oder gar keine.“ 48 Zu Erzberger etwa die Sitzungen des Parteiausschusses der DDP vom 28.9.’19 (BAK, R 45 III/10, Bl. 11–30) und vom 17./18.4.’20 (Bl. 110–123). Vgl. auch W. Stephan, Aufstieg und Verfall des Linksliberalismus, 119. 49 Auf der Sitzung des DVP-Zentralvorstandes am 12./13.4 1919 hieß es: „Niemals hätte auf dem Boden nationaler Tradition irgendein Politiker, der zu ihr sich zählt oder auch nur zu irgendeiner Zeit seines Lebens irgendwelche Eindrücke von ihr empfangen hat, einen Entwurf herausgeben können wie der Staatsminister Preuß.“ Eberhard Kolb und Ludwig Richter (Hrsg.),
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anfänglich so schlecht, daß von „Feindschaft“ gesprochen werden konnte50. Preuß wandte sich zum einen gegen eine Zusammenarbeit in einer förmlichen Regierungskoalition, sowohl auf Reichsebene wie auch in Preußen, zum anderen aber um so mehr gegen die immer wieder auftauchenden Pläne einer Fusion beider Parteien51. Auch nach dem Wahldebakel der DDP von 1920, als sie ebenso wie die anderen Parteien der Weimarer Koalition einen drastischen Stimmenverlust hinnehmen mußte52, hielt Preuß daran fest, daß die Partei ihren eigenen Weg finden müsse, und zwar zurück zu den Anfängen im Winter 1919. Ob dies Erfolg gehabt hätte, ist fraglich. Aber weniger Erfolg als der tatsächlich eingeschlagene Weg hätte es auch nicht haben können, und wenn die in einer Demokratie notwendigen politischen Kompromisse zu Halbheiten werden und zum Taktieren von Demokraten mit den Feinden der Republik führen, ist der Mißerfolg klarer vorgezeichnet, als er dies beim Steuern einer festen demokratischen Linie gewesen wäre. Wiederum ist das Problem nicht primär die Stärke der Flügelparteien, sondern die innere Schwäche der Demokraten. Seit 1920 gab es auf Reichsebene nie wieder eine Mehrheit der Verfassungsparteien, aber auch die extremistischen Parteien hatten zunächst keine Mehrheit, und schon gar keine untereinander arbeitsfähige Mehrheit53. In Preußen zeigten die Parteien der Weimarer Koalition, was mit einem festen Bündnis untereinander möglich war. Aber dieses Modell, das sehr stark abhing von der Persönlichkeit Otto Brauns, von der im Vergleich zur Reichspartei eindeutig stärker linken Ausrichtung des preußischen Zentrums und von einer DDP, in der die Vorstellungen von Politikern wie Hugo Preuß Gehör fanden, wurde auf Reichsebene nicht übertragen54. Mit seinen Bemühungen, die DDP in der Reichspolitik auf demokratischen Kurs ohne übermäßiges Taktieren zu halten, ist Preuß, wie mit so vielen politischen
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Nationalliberalismus in der Weimarer Republik. Die Führungsgremien der Deutschen Volkspartei 1918–1933 (Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Reihe 3, Bd. 9), 2 Halbbde., Düsseldorf 1999, hier 1. Halbbd., Nr. 5, 16–138, hier 86. W. Hartenstein, Die Anfänge der Deutschen Volkspartei, 127. Zu den aus der Gründungsphase herrührenden „tiefen Wunden“ auch Eberhard Kolb und Ludwig Richter, Einleitung, in: dies. (Hrsg.), Nationalliberalismus in der Weimarer Republik, 9*–50*, hier 9* und 16*f. Vgl. die Sitzungen des Parteiausschusses vom 27.11.’20 (BAK, R 45 III/10, Bl. 130–146, hier Bl. 137ff.) und vom 12./13.3.’21 (BAK, R 45 III/11, Bl. 14–44, hier Bl. 17ff.); sowie des Hauptvorstandes vom 30.5.’21 (BAK, R 45 III/16, Bl. 44–45) und vom 22.1.’22 (BAK, R 45 III/18, Bl. 17–42, hier Bl. 33). Bei allen diesen Gelegenheiten sprach Preuß sich dezidiert gegen die DVP aus. Vgl. H. A. Winkler, Weimar 1918–1933, 138f. Zur beginnenden Erosion des liberalen Wählerpotentials Lothar Albertin, Die Auflösung der bürgerlichen Mitte und die Krise des parlamentarischen Systems von Weimar, in: E. Kolb und W. Mühlhausen (Hrsg.), Demokratie in der Krise, 59–111, hier 72f. Vgl. auch Jürgen W. Falter unter Mitarbeit von Hartmut Bömermann, Die Wählerpotentiale politischer Teilkulturen 1920–1933, in: D. Lehnert und Klaus Megerle (Hrsg.), Politische Identität und nationale Gedenktage, 281–305. Vgl. H. Möller, Weimar, 148f. Zur überlegenen Kompromißfähigkeit der Parteien in Preußen vgl. Horst Möller, Parlamentarismus in Preußen 1919–1932, Düsseldorf 1985, 23.
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Zielen seines Lebens, gescheitert. Als Parteitaktiker war er wendigen Politikern wie Koch hoffnungslos unterlegen, und als einfachem Vorstandsmitglied war es ihm erst recht unmöglich, die zusammengeschmolzene Reichstagsfraktion in seine Richtung zu beeinflussen. Dort fielen die Entscheidungen, und nicht in den Parteigremien, deren Machtlosigkeit gegenüber der Fraktion schon bald zu Tage trat55. So bleib lediglich das Mandat in der Landesversammlung Preußens, das er nach dem Willen der preußischen Parteiführung eigentlich gar nicht hätte haben sollen, als Forum für die aktive Politik Hugo Preuß’. 10.3 Hugo Preuß als Abgeordneter im Preußischen Landtag Die preußische Verfassung Die preußische verfassunggebende Landesversammlung wurde eine Woche nach der Weimarer Nationalversammlung gewählt. Obwohl die radikalen Parteien leichte Fortschritte erzielen konnten, reichte es auch hier für eine komfortable Mehrheit der Parteien der Weimarer Koalition. In vielerlei Hinsicht war der parlamentarische Umbruch in Preußen sogar noch größer als eine Woche zuvor im Reich, denn das bisherige, nach dem Dreiklassenwahlrecht bestimmte Abgeordnetenhaus war noch viel weniger repräsentativ für die politischen Kräfteverhältnisse im Lande gewesen als es der Reichstag war. Bis 1918 gab es im Abgeordnetenhaus gerade 10 sozialdemokratische Parlamentarier, ab dem Januar 1919 waren es 145, unter denen sich notwendigerweise noch mehr politische Neulinge befanden als in der Nationalversammlungsfraktion56. Mit den schnellen Wahlen und der darauf folgenden demokratischen Legitimierung der Revolutionsregierung hatte man sich in Preußen dem Tempo angepaßt, das vom Reich vorgelegt worden war. Danach allerdings ließ man sich mehr Zeit; während die Reichsverfassung im August verabschiedet war, trägt die preußische Verfassungsurkunde das Datum vom 30. November 1920. In mancher Hinsicht spiegelten die Debatten der Landesversammlung die der Nationalversammlung wider. Bei der Eröffnung des Parlaments am 13. März begrüßte Ministerpräsident Paul Hirsch die Abgeordneten mit einer Rede, in der er 55 So erklärte Theodor Wolff bereits im April 1919 seinen Austritt aus dem Hauptvorstand der Partei „mit Rücksicht auf die tatsächliche politische Einflußlosigkeit des Hauptvorstandes gegenüber der Fraktion“ (BAK, R 45 III/9, Bl. 98). Ähnliche Klagen wurden auf der Sitzung des Geschäftsführenden Ausschusses vom 27.9.’19 (ebd., Bl. 144) artikuliert: „Herr Friedberg weist auf die Bestimmung der Satzung hin, wonach der Vorstand die laufende politische Führung der Partei habe und bedauert, daß diese Führung ihm dadurch erschwert werde, daß die Fraktion es nicht für notwendig befinde, einige Mitglieder des Vorstandes, oder auch nur den Vorsitzenden des Vorstandes zu den Verhandlungen der Fraktion über den Wiedereintritt in die Regierung hinzuzuziehen. Der Vorstand wolle nicht als quantité négligeable behandelt werden.“ 56 Zum Wahlergebnis und zur Regierungsbildung siehe E.R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte V, 1013; H. Möller, Preußen von 1918 bis 1947, 200f.
10.3 Hugo Preuß als Abgeordneter im Preußischen Landtag
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ähnlich wie Ebert und Pfannkuch in Weimar die Bedeutung der Revolution hervorhob, und ähnlich wie in Weimar regte sich hiergegen sofort der Widerspruch der Parteien der Rechten. Zwei Tage später wurde die vorläufige Verfassung beraten, von der zu diesem Zeitpunkt noch niemand ahnte, daß sie mehr als anderthalb Jahre würde gelten müssen57. Der SPD-Abgeordnete Ernst Heilmann sprach für alle Kollegen mit seiner Annahme, die Landesversammlung werde nur „auf ein paar Monate“ bestehen58. Ansonsten brachte die Eingangsdebatte, was niemanden überrascht haben dürfte, die heftige Entrüstung nicht nur der Rechtsparteien über die mögliche Aufteilung Preußens zum Ausdruck. Hugo Preuß stand dabei gar nicht einmal im Mittelpunkt der Kritik, die sich vielmehr an die Adresse des Zentrums richtete. Die Zentrumsabgeordneten aus dem Rheinland und einige über die Parteien verstreute Hannoveraner, Schleswig-Holsteiner und Schlesier waren denn auch die einzigen, die nicht in der unversehrten Fortexistenz Preußens ein Dogma sahen59. Wichtig war aber, daß die vorläufige Verfassung an einer anderen wichtigen Stelle eine Vorentscheidung traf: sie verzichtete auf die Schaffung eines eigenen preußischen Staatspräsidenten. Dieser Verzicht fiel nicht leicht, und ursprünglich hatte die preußische Regierung diese Position auch vorgesehen. Nach Verhandlungen mit dem Reich und vor allem, nachdem die SPD sich davon überzeugt hatte, daß ein preußischer Präsident nur ein Konkurrent des Reichspräsidenten sein konnte, wurde davon Abstand genommen60. Das war im März 1919, die Vorlage des endgültigen Verfassungsentwurfs erfolgt fast ein Jahr später, am 25. Februar 1920. Wenn man die zwischenzeitliche Arbeit der Landesversammlung betrachtet, wird bei allem Fleiß und Engagement doch unübersehbar deutlich, daß die wichtigsten Entscheidungen an anderer Stelle getroffen wurden. Man erregte sich etwa über Versailles, debattierte über die Kriegsschuldfrage in noch schärferem Ton als in Weimar61 – aber die Entscheidungen fällte eben doch die Nationalversammlung, und zwar auch über die Abtretung preußischen Gebiets im Friedensvertrag. Im Frühjahr und Sommer verbrachte man Sitzung um Sitzung mit Haushaltsberatungen, die fraglos von großer 57 Vgl. H. Möller, Preußen von 1918 bis 1947, 203f. 58 Sitzungsberichte der verfassunggebenden Preußischen Landesversammlung, 12 Bde., Berlin 1921 (weiter zitiert als „Sten. Ber. LV“), hier Bd. 1, Sp. 144. Die Eröffnungsrede Hirschs ebd., Sp. 1ff. Zur Debatte über die Revolution ebd., Sp. 121ff. Heilmann war später Fraktionsvorsitzender seiner Partei im Landtag und Reichstagsabgeordneter. 1933 wurde er verhaftet und 1940 im KZ Buchenwald ermordet. Zur Zusammenarbeit Heilmanns mit Braun, die dessen Erfolg als Ministerpräsident erst möglich machte, siehe H. Schulze, Otto Braun, 388f. 59 Vgl. die Debatte zur Preußenfrage am 21.3., 22.3. und 24.3.’19; ebd., Sp. 427ff. 60 Zu den ursprünglichen Plänen der preußischen Regierung siehe die Sitzung der Staatsregierung vom 21.2.’19 in Weimar (GStAPK, Rep. 90a. Abt. B, Tit III. 2b. Nr. 6, Bd. 168, Bl. 25). Bei den Beratungen über die vorläufige Verfassung am 20.3.’19 war sie jedoch bereits davon abgerückt; vgl. „Sten. Ber. LV“, Sp. 382ff. Zu diesem ganzen Prozeß vgl. Preuß’ „Verfassung des Freistaates Preußen“, 224. 61 Vgl. M. Dreyer und O. Lembcke, Die deutsche Diskussion um die Kriegsschuldfrage 1918/19, 176ff.
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10. Als Politiker in der Weimarer Republik
Bedeutung für das Land Preußen waren. Trotzdem ist es ein Symptom für die veränderte Stellung Preußens, daß man in dem ehemaligen Königreich und der Hegemonialmacht des Kaiserreiches mit dem Beginn der eigentlichen Aufgabe der Landesversammlung, der Beratung und Verabschiedung einer preußischen Verfassung, erst die Reichsverfassung abwarten mußte. Und selbst danach verging noch ein halbes Jahr bis zur Regierungsvorlage. Diese neuerliche Wartezeit wurde aufgefüllt mit Beratungen über die erweiterte Selbständigkeit der Provinzen, die nicht zu einem Ergebnis geführt werden konnten62, und über das an anderer Stelle schon angesprochene Groß-Berlin-Gesetz, das im April 1920 mit einer relativ knappen Mehrheit zur kühnen Tat der Schaffung einer einheitlichen, großen Stadtgemeinde führte. Sozialdemokraten beider Schattierungen und die Mehrheit der DDP setzten sich dabei gegen die bürgerlichen Parteien durch, die nicht nur eine Neuauflage aller Bedenken in der Debatte aussprachen, die von jeher von den reichen Vorortgemeinden gegen die Vereinigung mit Berlin ins Feld geführt worden waren, sondern die als neue Sorge die sichere Gefahr sahen, daß in der so geschaffenen Vier-Millionen-Metropole Berlin der USPD eine entscheidende Machtbasis bereitet wurde63. Im Winter war dann eine neue Runde der Haushaltsberatungen auf der Tagesordnung. Hier ergriff erstmals auch Hugo Preuß das Wort, als er den Universitätsetat zum Anlaß nahm, in einem seiner allgemeinen Rundblicke die Verteidigung der Republik gegen die Feinde von rechts zu verlangen, auch und gerade an den Universitäten64. Der Grund für diese lange Verzögerung bis zur Vorlage des Verfassungsentwurfs lag in der zweiten Jahreshälfte darin, daß man sich im Lager der Regierungsparteien zunächst vor dem jetzt vorhandenen Hintergrund der Reichsverfassung auf einen Kompromiß einigen wollte. Ein Kompromiß kam aber trotzdem nicht zustande; an der Frage des vorgeschlagenen Staatsrates entzweiten sich die Parteien65. Die Sozialdemokraten wehrten sich gegen alles, was irgendwie einer zweiten Parlamentskammer ähnlich sah. Demgegenüber verlangte das Zentrum einen Staatsrat, in dem die Provinzen ähnlich wie die Länder im Reichsrat vertreten sein sollten. Hinter den theoretischen Differenzen über Ein- oder Zwei-Kammern-Parlamente 62 Zu den Selbständigkeitsrechten der Provinzen beriet man im Juli und November 1919; vgl. „Sten. Ber. LV“, Bd. 3, Sp. 3553ff.; u. Bd. 5, Sp5853ff. Im Oktober sprach man über die besondere Situation Oberschlesiens; Bd. 4, Sp. 5141ff. 63 Das Groß-Berlin-Gesetz stand im Dezember 1919 und im April 1920 auf der Tagesordnung; ebd., Bd. 6, Sp. 6990ff. u. Bd. 9, Sp. 10853ff. In der Schlußabstimmung standen sich 165:148 Stimmen gegenüber; die Minderheit bestand aus DNVP, DVP, Zentrum und wenigen DDPAbgeordneten. Es kam wie befürchtet oder erhofft, je nach Standpunkt: Die USPD erhielt in Berlin ein Gestaltungsfeld für ihre Politik, und schon im September und Oktober 1920 wurde über eine Revision des Berlin-Gesetzes beraten. Inzwischen stand die DDP auf der Seite der in Berlin drangsalierten bürgerlichen Parteien, so daß die Abstimmung diesmal 161:122 für eine Revision ausging; ebd., Bd. 10, Sp. 12334ff., Sp. 12558ff., Sp. 12825ff. u. 12996ff. Die namentliche Abstimmung ebd., Sp. 12933ff. 64 Ebd., Bd. 6, Sp. 7598ff. 65 Vgl. H. Möller, Parlamentarismus in Preußen, 116.
10.3 Hugo Preuß als Abgeordneter im Preußischen Landtag
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standen handfeste politische Interessen. Eine regionale Aufteilung des Staatsrates mußte die Parteien begünstigen, die ihre Stärke in wenigen Regionen Preußens konzentriert hatten, während sie die Parteien benachteiligte, die über das ganze Land hindurch vertreten waren, aber außer den Großstädten keine besonderen regionalen Stärken aufwiesen. Die SPD befürchtete nicht ohne Grund, daß in einem so gestalteten Staatsrat die Rheinlande vom Zentrum, der Osten aber von Rechtspolitikern vertreten sein würde. Jedenfalls konnte eine solche Kammer unmöglich den Interessen der SPD dienen, und so weigerte sie sich denn auch konsequent, einen Staatsrat im Entwurf mitzutragen. An seine Stelle trat ein Finanzrat, der eine Verlegenheitslösung ohne echte Kompetenzen und ohne politischen Rückhalt war66. Auch sonst brachte der Entwurf zwar vieles, aber gleichwohl den meisten nicht das Erwünschte. In vielen Punkten hatte sich Innenminister Wolfgang Heine durchgesetzt; außer beim Staatsrat auch beim Verzicht auf jeden plebiszitären Einschlag der Verfassung. Heine favorisierte einem Staatspräsidenten, stellte aber bedauernd fest, daß seine eigene Partei dies ablehnte. An seine Stelle trat wenigstens für die Berufung des Ministerpräsidenten im Entwurf der Landtagspräsident. Immerhin gelang es Heine, mehr von seinen ursprünglichen Ideen im Entwurf der Versammlung vorzulegen, als es für Hugo Preuß bei der Reichsverfassung möglich gewesen war67. Die erste Lesung der Verfassung erfolgte am 26. April 1920, also wiederum zwei Monate nach der Vorlage des Entwurfs. Diesmal allerdings gab es einen guten Grund für die Verzögerung: der Kapp-Putsch68 hatte auch in Preußen zu einem Revirement in der Regierung geführt. Der Putschversuch brach schnell zusammen, was an der Entschlossenheit der Gegner, aber auch an der Schwäche der Putschisten lag. Horst Möller nannte die Führer des Putsches treffend „bestenfalls dritte Wahl“69 und nimmt dies als Ausweis der politischen Schwäche der Rechtsextremen. Im Umfeld des Putsches hatten gleichwohl nicht alle demokratischen Politiker eine gute Figur abgegeben, einige hatten sich zu taktierenden Verhandlungen mit den Putschisten bereitgefunden. Die Rage und geradezu biblische Wucht, mit der Conrad Haußmann am 22. März in seinem Tagebuch notierte, „[n]ie ist eine fluchwürdigere Dummheit in Deutschland verübt worden“70, wurde nicht von allen geteilt. Aber Otto Braun empfand ganz ähnlich, lehnte strikt jede Verhandlung und 66 Die parteipolitischen Hintergründe werden deutlich etwa in einem Schreiben des Innenministers Heine vom 9.1.’20 an den Sekretär der SPD-Fraktion Heller; GStAPK, Rep. 151 HB, Nr. 554, Bd. 1 (nicht fol.). 67 Vgl. hierzu die Vorlage Heines an alle Staatsminister vom 30.10.’19; ebd. In dieser 13 Seiten umfassenden Denkschrift sind die Grundlinien des späteren Entwurfes vorgezeichnet. 68 Zu den Auswirkungen auf Preußen vgl. H. Möller, Preußen von 1918 bis 1947, 211ff. Generell Johannes Erger, Der Kapp-Lüttwitz-Putsch. Ein Beitrag zur deutschen Innenpolitik 1919/20, Düsseldorf 1967; und Hagen Schulze, Freikorps und Republik 1918–1920, Boppard am Rhein 1969, 202ff. Schulze ist allerdings etwas verharmlosend, wenn er insgesamt die Entwicklung der Freikorps als „eine Tragödie ohne Bösewichter“ (326) bezeichnet. 69 H. Möller, Weimar, 145. 70 C. Haußmann, Schlaglichter, 304.
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jeden Kompromiß ab, womit er sich eindeutiger positionierte als Paul Hirsch71. Noch während der Generalstreik bereits angelaufen war, hatte Hirsch sich und einige ihm folgende Minister durch Verhandlungen mit Kapp in den Augen seiner Partei kompromittiert und war jetzt, nach der Niederschlagung des Putsches, nicht mehr zu halten. Damit war ein direktes Ergebnis des Umsturzversuches, daß einer der langfristig erfolgreichsten Politiker des demokratischen Deutschland zum Ministerpräsidenten des wichtigsten deutschen Staates gemacht wurde. Eine zusätzliche Ironie liegt darin, daß die stark von ostelbisch-agrarischen Kreisen getragenen Putschisten es nicht zuletzt auf die Person des ihnen verhaßten Landwirtschaftsministers Braun abgesehen hatten. Statt dessen beförderten sie seine Karriere. Neben Hirsch wurde auch der Innenminister Wolfgang Heine ersetzt, und an seine Stelle trat Carl Severing. Der letztere war es, der den Entwurf vor die Landesversammlung zu bringen hatte. Seine kargen Einführungsworte umfassen in den Stenographischen Berichten nicht mehr als vier Spalten, und nach einer Übersicht über die quälend langsame Entstehungsgeschichte des Entwurfs und nach einigen allgemeinen Worten, die nicht viel mehr als eine Inhaltsangabe der Vorlage boten, ließ Severing keinen Zweifel darüber bestehen, was er von der ganzen Angelegenheit hielt: Ich darf vielleicht, nachdem ich mich dieses Auftrags der Staatsregierung entledigt habe, hinzufügen, daß ich nicht ein Kind, sondern ein Erbe zu vertreten habe und daß, falls ich an dieser Stelle die Pflicht hätte eine Meinung zu vertreten, und nicht in dieser besonderen Mission ein Amt, ich mit Ihnen, meine Herren, in der Kritik des Entwurfs vielleicht in manchem einig wäre.72
Die Debatte der 1. Lesung griff diesen Gedanken auf und behandelte den Entwurf nicht als Basis für die Verfassung, sondern als „unverbindliches Diskussionspapier“73, das die Debatten strukturierte, ansonsten aber kein weiteres Gewicht hatte. Zufrieden mit der Vorlage war keine Seite, kritisiert wurde der nichtssagende Finanzrat, den man rechts durch eine berufsständische Kammer, in der Mitte durch einen Staatsrat der Provinzen ersetzt und links ganz abgeschafft sehen wollte. Das Fehlen des Volksentscheids wurde von allen Seiten kritisiert, von rechts wurde auch ein preußischer Präsident gefordert, sowie die Festschreibung der preußischen Farben Schwarz-Weiß in der Verfassung74. Hauptredner der DDP war hier wie auch 71 Vgl. H. Schulze, Otto Braun, 290ff. 72 „Sten. Ber. LV“, Bd. 9, Sp. 11006. Der USPD-Abgeordnete Adolph Hoffmann, immer für einen Zwischenruf gut, warf an dieser Stelle mit gewissem Recht ein: „Dann hätten Sie die Erbschaft ablehnen sollen!“ 73 H. Möller, Parlamentarismus in Preußen, 127. Zur Verfassung siehe H. Möller, Preußen von 1918 bis 1947, 214ff.; E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte VI, 745ff. Hugo Preuß hat die Verfassung dargestellt in „Die Verfassung des Freistaates Preußen“, in: DJZ, 25 (1920), Sp. 793–799. Als zeitgenössischen Kommentar und auch mit umfangreicher Entstehungsgeschichte Ludwig Waldecker, Die Verfassung des Freistaates Preußen vom 30. November 1920. Kommentar für Wissenschaft und Praxis, 2. Aufl., Berlin 1928 (erstmals 1921). 74 „Sten. Ber. LV“, Bd. 9, Sp. 11006ff.
10.3 Hugo Preuß als Abgeordneter im Preußischen Landtag
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durchweg in den weiteren Verfassungsberatungen Hugo Preuß. Er teilte die allgemeine Kritik; die Einleitungsworte Severings sprachen nicht gerade von einer besonderen Begeisterung, die der neue Vertreter des Ministeriums des Innern für diesen Entwurf hegt. Er hat auch keine Veranlassung, zärtliche Vatergefühle für diesen Entwurf zu hegen. Er bezeichnete ihn als eine Erbschaft, die er übernommen hat, und machte dabei nicht eigentlich den Eindruck eines lachenden Erben75.
Einen weiteren Satz ließ er aber nicht durchgehen, denn er entstammte dem Arsenal und dem geistigen Umfeld der alten kaiserlichen Staatssekretäre. Wieder einmal ist Preuß bereit zu einer kleinen Vorlesung über das Wesen des Parlamentarismus: Der Herr Minister sagte auch, er habe hier nur ein Amt und keine Meinung. Ich hoffe, er hat diese Äußerung nur dem Zitat zuliebe getan. Denn ich wüßte nicht, worin vornehmlicher das Amt des verantwortlichen parlamentarischen Ministers bestünde, als darin, eine eigene Meinung zu haben. ... Das Amt des Ministers ist sein Ministerium. Auch vom Standpunkt des parlamentarischen Systems ist es von entscheidender Bedeutung, daß das Ministerium die Meinung des Ministers habe, und nicht etwa umgekehrt der Minister die Meinung seines Ministeriums.76
Viele Regelungen waren bereits durch die Reichsverfassung vorweggenommen, so daß der Landesversammlung hier die Hände gebunden waren. Während der gesamten Beratungen taucht etwa nie die Forderung nach einem spezifischen preußischen Grundrechtskatalog auf77. Trotzdem blieb das Verhältnis des Staates Preußen zu den höheren und tieferen Gebietskörperschaften, zum Reich und zu den Provinzen, die zentrale Problematik der Beratungen. Das zweite große Thema war bei der internen Gestaltung der obersten Behörden und Institutionen die Staatsratsfrage, in der eine Mehrheit in der Versammlung gefunden werden mußte, nachdem die Koalition intern ja keine Lösung gefunden hatte. Hier zeichnete sich ab, daß die SPD nur die Wahl hatte, nachzugeben oder überstimmt zu werden, da alle bürgerlichen Parteien den Staatsrat wollten. Andererseits bestand für die Rechten kaum eine Aussicht, sich auch mit ihren Auffassungen zum Staatspräsidenten durchzusetzen, da hier die DDP einheitlich neben der SPD stand. 75 Ebd., Sp. 11110. 76 Ebd. Diese Bemerkungen stießen auf ein „Sehr richtig! rechts“, was erneut Adolph Hoffman zu dem Zwischenruf „Beifall rechts!“ veranlaßte. Preuß antwortete: „Das wird vielleicht noch öfter vorkommen.“, was erneut mit „Sehr gut! rechts und Heiterkeit“ quittiert wurde. Sehr häufig allerdings wurde Preuß auch in diesem Parlament Beifall von der rechten Seite des Hauses nicht gezollt. 77 Die Festlegung durch die Reichsverfassung wurde gelegentlich konstatiert; etwa in der 1. Lesung durch den oberschlesischen Zentrumsabgeordneten Beyer („Sten. Ber. LV“, Bd. 9, Sp. 11147), in der 3. Lesung durch seinen Parteifreund Oppenhoff (Bd. 11, Sp. 14004). Vgl. hierzu auch Preuß’ „Verfassung des Freistaates Preußen“, 255f. Im Verfassungsausschuß warnte Preuß davor, zuviel in die Verfassung zu schreiben, was Sache der Spezialgesetzgebung sei; „Sammlung der Drucksachen der verfassunggebenden Preußischen Landesversammlung. (Anlagen zu den Sitzungs-Berichten), Tagung 1919–1921, 10. Bd., Berlin 1921, Nr. 3120 B: 12. (Verfassungs-)Ausschuß. Wörtliche Niederschrift der Verhandlungen über den Entwurf einer Verfassung für Preußen. Drucksache Nr. 2000, 5224–5283 (Sp. 1–318)“, hier Sp. 12 u. Sp. 30 (weiter zitiert als „Sten. Ber. LV/VA“ und mit der gesonderten Spaltenzählung).
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Die Fronten der nun folgenden Auseinandersetzungen waren vorhersehbar, und größere Überraschungen blieben denn auch aus. Das gilt auch für den Verfassungsausschuß, der im Sommer seine Arbeit aufnahm – nach den Reichstagswahlen, mit ihren empfindlichen Verlusten für die Weimarer Koalition. Die Sieger der Reichstagswahl, USPD und DNVP, forderten umgehend und vergebens Neuwahlen auch für Preußen, was die Verfassungsarbeit aber nicht behinderte. Wenigstens dieser Ausschuß, in dem Hugo Preuß die DDP vertrat, arbeitete schnell; in 17 Sitzungen führte er vom 16. Juni bis zum 10. Juli die 1. Lesung durch, in vier weiteren Sitzungen vom 25. bis zum 29. September die 2. Lesung, und in der 22. Sitzung am 8. Oktober die 3. Lesung. Am 28. Oktober 1920, dem 60. Geburtstag von Hugo Preuß78, begann die 2. Lesung im Plenum, am 26. November die 3. Lesung, und am 30. November ergab die Schlußabstimmung eine breite Mehrheit für die Verfassung: 280 Ja-Stimmen standen nur 60 Nein-Stimmen gegenüber. Damit gab es, wie auch schon zuvor im Verfassungsausschuß, doch wenigstens eine bemerkenswerte Abweichung von der Reichsverfassung: die DVP begann, von ihrer grundsätzlichen Ablehnung der demokratischen Verfassung abzugehen und stimmte zu. Nur die extremen Flügelparteien beharrten auf ihrer Ablehnung79. Verglichen mit den entsprechenden Beratungen in Weimar boten die Debatten in der Landesversammlung wenig, was einen Anspruch auf Originalität oder außergewöhnliches Niveau hätte beanspruchen können. Zum Teil waren es Neuauflagen von Auseinandersetzungen, die schon die Nationalversammlung beherrscht hatten, etwa als es um die Länge der Legislaturperiode ging80. Zum Teil wurden Streitfragen Weimars von vornherein entschärft, als etwa die Mehrheit dem Verlangen der Rechtsparteien, die schwarz-weiße Fahne in der Verfassung festzuschreiben, nachgab81. Das war in diesem Fall auch kein großes Opfer, denn anders als bei den Reichsfarben ging es hier nicht um ein dahinterstehendes politisches Prinzip. Zum Teil wurde entgegen der Vorlage einfach die Regelung des Reiches übernommen, als etwa für Verfassungsänderungen schon in 1. Lesung vom Verfassungsausschuß das doppelte Zweidrittelquorum an Stelle der entsprechenden Zahl an Zustimmung 78 „Sten. Ber. LV“, Bd. 10, Sp. 13230ff. Glückwünsche für Hugo Preuß wurden etwa von den Rednern der DVP und des Zentrums ausgesprochen. 79 Im Verfassungsausschuß war das Stimmenverhältnis 20:5 gewesen; „Sten. Ber. LV/VA“, Sitzung vom 8.10.’20. Ebd., Nr. 3120 D, 5433–5471, findet sich eine hilfreiche „Vergleichende Darstellung des Entwurfs einer Verfassung für Preußen – Drucksache Nr. 2000 – mit den Beschlüssen des 12. (Verfassungs-)Ausschusses in erster, zweiter und dritter Lesung“, wo die Änderungen der jeweiligen Lesungen synoptisch zusammengestellt sind. Zur 3. Lesung und Abstimmung im Plenum „Sten. Ber. LV“, Bd. 11, Sp. 13981ff. Ebd., Sp. 14319ff. die namentliche Abstimmung. Zu den vorherigen Detailberatungen und den sie leitenden Grundsätzen H. Möller, Parlamentarismus in Preußen, 133ff. 80 „Sten. Ber. LV/VA“, Sp. 108ff. 81 Für die DDP erklärte Preuß in der 2. Lesung der Verfassung („Sten. Ber. LV“, Bd. 10, Sp. 13257), daß die Bestimmung über die Landesfarben zwar überflüssig sei, daß man sie aber trotzdem unterstützen werde, um keinen Vorwand für eine Fahnenagitation zu geben. Ähnlich äußerte sich Preuß auch später in seiner „Verfassung des Freistaates Preußen“, 261.
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der Mitglieder des Landtags gesetzt wurde. Auch das Referendum, das der Heinesche Entwurf ausgeklammert hatte, wurde auf einhelligen Wunsch der Parteien bereits in der 1. Lesung eingeführt. Der Staatspräsident wurde dagegen erwartungsgemäß nicht übernommen, beim Staatsrat entschied sich die SPD ebenso erwartungsgemäß, auf dem Wege des Kompromisses wenigstens Einfluß auf die Gestaltung des Staatsrates zu nehmen, da sie ihn schon nicht verhindern konnte. Immerhin konnte sie eine Schwächung seiner Kompetenzen sowie eine Verteilung der Mandate im Staatsrat nach dem Parteienproporz in den Provinziallandtagen durchsetzen, sowie eine Staffelung der Mandatszahl nach der Bevölkerungsstärke der Provinzen. Damit war gesichert, daß es nicht zur völligen Dominanz von Zentrum und DNVP kommen würde, worauf die SPD dem Kompromiß zustimmen konnte82. Damit blieb noch das Verhältnis zu den Provinzen, die Frage des inneren Föderalismus Preußens. Nachdem die erste Erregung über mögliche Teilungspläne abgeklungen war, fehlte es gegenüber dem Reich nicht an Bekenntnissen Preußens zum Einheitsstaat83. Die theoretische Bereitschaft zum Aufgehen Preußens in Deutschland diente Politikern der Rechten wie der Linken primär dazu, praktische Zugeständnisse an die Selbstverwaltung der Provinzen zu vereiteln84. In der Generaldebatte zur 2. Lesung brachte es der Bonner Theologe und Zentrumsabgeordnete Albert Lauscher auf den Punkt: Nur finde ich, wenn ein Großstaat in Deutschland, der allein viel stärker ist als die anderen zusammengenommen, immer wieder sagt: erst müssen die kleinen Harakiri machen, ehe ich selber dazu übergehe, so klingt das etwas eigentümlich.85
Das war zwar eine treffende Bemerkung, es hinderte die Vertreter der anderen Parteien aber nicht daran, weiterhin dieses Junktim aufzustellen. Hier stand das Zentrum vielfach allein gegen den Rest des Parlamentes, da ihm wegen der Rheinlande an einer möglichst weitgefaßten Selbstverwaltung gelegen war86. Ein Sonderfall in diesem Zusammenhang war Oberschlesien, da hier die Gefahr eines Verlustes an Polen drohte87. Es ist natürlich kein Zufall gewesen, daß ausgerechnet beim Abschnitt über die Selbstverwaltung der oberschlesische Zentrums-Abgeord 82 Die entscheidende Wendung erfolgte in den Sitzungen des Verfassungsausschusses vom 18. und 19. Juni; „Sten. Ber. LV/VA“, Sp. 39ff.; vgl. v.a. die Erklärung des Ex-Ministerpräsidenten Hirsch, ebd., Sp. 64. 83 Vgl. H. Möller, Parlamentarismus in Preußen, 114. 84 Vgl. die Generaldebatten der 1. und 2. Lesung im Plenum; „Sten. Ber. LV“, Bd. 9, Sp. 11001ff. u. Bd. 10, Sp. 13230ff. 85 Ebd., Sp. 13536. 86 Die Versuche, weitreichende und großzügig gefaßte Provinzialrechte in die Verfassung aufzunehmen, scheiterten bereits im Verfassungsausschuß; vgl. „Sten. Ber. LV/VA“, Sp. 207ff., Sp. 277ff. u. Sp. 299ff. 87 Zur Oberschlesien-Frage siehe E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte VII, 185f. und 203ff.; H. Schulze, Otto Braun, 412ff.
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10. Als Politiker in der Weimarer Republik
nete Beyer als Berichterstatter im Verfassungsausschuß fungierte, während alle anderen Themenbereiche dem DDP-Vertreter Berndt übertragen waren. Im Bestreben, Oberschlesien bei Deutschland und Preußen zu halten, bestand ausnahmsweise einmal völlige Einmütigkeit. Selbst die USPD setzte sich dafür ein, wenn auch mit der abweichenden Begründung, daß das Los der Arbeiter in Polen noch schlechter wäre als in Deutschland88. Die Bemühungen aller Parteien, oberschlesischen Autonomievorstellungen weitestgehend entgegenzukommen, und sei es nur, um schlimmeres zu verhüten, war unverkennbar. So endeten die preußischen Verfassungsberatungen, anders als die von Weimar, in fast ungetrübter Harmonie. Der Geist des breiten Kompromisses durchwehte spätestens seit der 3. Lesung im Verfassungsausschuß die Debatten, und wenn auch im Plenum noch in manchen Reden die reine Doktrin der jeweiligen Partei ausgebreitet wurde, hatte man doch das Gefühl, daß die gefundenen Kompromisse fast alle zufriedenstellten. Und trotzdem hatte die Landesverfassung, die am 30. November 1920 verabschiedet wurde, vor einigen zentralen Problemen bewußt die Augen verschlossen. Das gilt besonders für das Verhältnis zum Reich und zu den Provinzen. Bei der Neugliederung des Reichsgebiets hatte man nicht einmal ansatzweise Gesprächsbereitschaft erkennen lassen, und das reichsrechtlich zwingend vorgeschriebene Gesetz über die Vertretung der preußischen Provinzen beim Reichsrat ignorierte man einfach. Die preußische Frage, die Hugo Preuß 1918/19 ergebnislos aufgegriffen hatte, blieb auch in den kommenden Jahren virulent. Zugleich aber war auch die relative Harmonie der Verfassungsverabschiedung ein Indikator für die Zukunft. Zwar ist diese Harmonie, wie fast alles in Weimar, nur als relativer Begriff zu verstehen; von einem tragfähigen Konsens aller Parteien über grundlegende demokratische Fragen kann keine Rede sein. Und seinen Anteil an Turbulenzen innerhalb und außerhalb des Parlamentes hat auch Preußen erfahren. Aber anders als im Reich gelang es hier den demokratischen Parteien, ihre Zusammenarbeit auf eine solidere und längerfristige Basis zu stellen. Koalitionen und Regierungen In den knapp fünf Jahren parlamentarischer Tätigkeit, die Hugo Preuß zwischen der Verabschiedung der preußischen Verfassung und seinem frühen Tod verblieben, ist seine Wirksamkeit begrenzt geblieben, aber das heißt nicht, daß er überhaupt keine Wirksamkeit gehabt hätte. Auf Reichsebene konnte er im Vorstand seiner Partei der Entwicklung der DDP nach rechts nicht entgegensteuern, aber in Preußen war sein Einfluß in der Landtagsfraktion etwas größer. Allerdings reichte es nicht dafür aus, einen richtungweisenden politischen Einfluß in der schrumpfenden Fraktion der DDP zu erhalten. Zu viele Parteifreunde standen nach wie vor der engen Bindung 88 So der Abgeordnete Cohn bei der 3. Lesung der Verfassung; „Sten. Ber. LV“, Bd. 11, Sp. 14020.
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an die Sozialdemokratie skeptisch gegenüber, zu viele erinnerten sich an alte kommunalpolitische Differenzen, zu viele an die Pläne zur „Zerschlagung Preußens“, zu viele waren mit dem scharfzüngigen Preuß aneinandergeraten. Es gab keine Chance, daß die DDP ihren linken Vordenker in ein preußisches Kabinett entsandt hätte. Trotzdem konnte man nicht auf ihn verzichten. In der Fraktion trat er mit ähnlichen Themen hervor, wie sie auch seine Publizistik und seine wissenschaftliche Arbeit beherrschten. Er arbeitete an den immer neuen Anläufen zur seit Jahrzehnten angekündigten preußischen Verwaltungsreform mit, befaßte sich mit dem Verhältnis Preußens zum Reich, den preußischen Universitäten, und vor allem immer wieder mit dem Schutz der Republik gegen ihre inneren Feinde von rechts. Dieses zentrale Thema der Preußschen Weimarer Publizistik durchzieht auch seine Landtagsreden wie ein roter Faden. Positiv bedeutete dies das Eintreten für die Weimarer Koalition auch in Preußen, negativ die Abgrenzung nach rechts durch das Prinzip der wehrhaften Demokratie. Symptomatisch ist die unterschiedliche Rolle Preuß’ in den beiden anhaltenden Regierungskrisen im Frühjahr 1921 und 1925. Bei den Landtagswahlen vom 20. Februar 1921 hatten die bisherigen Regierungsparteien der Weimarer Koalition empfindliche Verluste hinnehmen müssen. Zwar verfügten sie noch über eine Mehrheit, aber bei Zentrum und DDP tauchte der Gedanke an eine Verbreiterung der Koalitionsbasis um die DVP auf. Die zunächst anscheinend unüberwindlichen Gräben zwischen SPD und DVP, die von beiden Seiten gepflegt wurden, ließ die Erfolgsaussichten für einen solchen Plan sehr fraglich erscheinen. Aber auf Reichseben bestand zu diesem Zeitpunkt erstmals eine Koalition unter Einbeziehung der DVP unter dem Zentrumspolitiker und ehemaligen Reichstagspräsidenten Konstantin Fehrenbach. Das machte es für die beiden demokratisch-bürgerlichen Parteien naheliegend, die DVP auch in Preußen in die Regierungsarbeit einzubinden. Das Taktieren und die hohen Forderungen der SPD hatten den überraschenden Effekt, daß die Sozialdemokraten sich plötzlich ganz ausgeschlossen sahen89 und darauf beschränkt blieben, gegen eine bürgerliche Minderheitenregierung eine wenig ergiebige Oppositionshaltung einzunehmen. Diese Entwicklung entsprach den schlimmsten Befürchtungen Hugo Preuß’: der Streit der Weimarer Parteien untereinander und der Rückfall in überwunden gehoffte Frontstellungen aus dem Kaiserreich. In der Debatte um die Regierungserklärung des neuen Ministerpräsidenten Stegerwald flogen die Anschuldigungen, für den Bruch der alten Koalition verantwortlich zu sein, reichlich hin und her. Preuß, der sich ebenso wie die SPD zu den Verlierern der Ereignisse zu zählen hatte, war an der Debatte nicht beteiligt90. Sehr lange Dauer hatten allerdings weder das Kabinett Fehrenbach 89 H. Schulze, Otto Braun, 336ff. 90 Die Debatte findet sich in den „Sitzungsberichten des Preußischen Landtags. 1. Wahlperiode“ (weiter zitiert als Sten. Ber. LT, 1. WP bzw. 2. WP), Bd. 1, Sp. 631ff. Redner der SPD (Limbertz, Sp. 728) behaupteten, die alte Koalition hätte eine ausreichende Mehrheit gehabt. Das wurde von DDP (Oeser, Sp. 715) bestritten. Für Oeser war „vor allen Dingen taktischer
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noch das neue, rein bürgerlich preußische Kabinett des Zentrumspolitikers Adam Stegerwald. An die Stelle von Fehrenbach trat im Reich eine Große Koalition unter Joseph Wirth, und wenige Monate später trat diese Konstellation, die im Januar noch gescheitert war, auch in Preußen die Regierung an. Bis zuletzt hatte es bei Zentrum und DVP Vorbehalte gegen eine erneute Ministerpräsidentschaft von Otto Braun gegeben, aber im November konnte er trotzdem in sein Amt zurückkehren. Diese Regierung hielt bis zu den nächsten Landtagswahlen, aber dann begann, wie oben schon erwähnt, ein politischer Zirkus großen Ausmaßes. Jetzt war es die DVP, die den Fehler der SPD von 1921 wiederholte. Im Wahlkampf hatte sie sich von der alles in allem erfolgreichen Koalitionsarbeit gelöst und strebte jetzt ein rein bürgerliches Kabinett mit DNVP und Zentrum an, was die inzwischen veränderte politische Konstellation des Reiches in Preußen wiederholt hätte91. Die Wahlen vom 7. Dezember 1924 gaben der bisherigen Koalition eine solide Mehrheit, stärkten aber auch die Rechtsparteien und hätten der von der DVP angestrebten neuen Koalition gleichfalls eine breite Mehrheit verschafft. Aber das Kalkül der DVP ging nicht auf. Im Zentrum setzten sich die gemäßigten Kräfte durch, die einer bürgerlichen Rechtskoalition ablehnend gegenüberstanden. Daß sie dies konnten, war nicht zuletzt dem jetzt erheblich geschickteren Taktieren der SPD unter Braun zu verdanken. Nach allen Irrungen und Wirrungen, zu denen kurzfristig auch ein von der DDP gestellter Ministerpräsident gehörte, war auch die DDP zur erneuten Wahl von Otto Braun bereit. Dies geschah nicht ohne gewisse Verstimmungen, denn auch in kurzer Zeit hatte sich die Partei daran gewöhnt, mit Hermann Höpker-Aschoff92 den Posten des Ministerpräsidenten zu besetzen. Ihn wieder abzutreten fiel schwer, zumal der stets rührige und extrem ehrgeizige Erich Koch, inzwischen Reichsvorsitzender der DDP, diese Gelegenheit nutzte und seinen preußischen Parteifreunden abstruse Vorstellungen über die künftige Größe der Partei nahezubringen suchte. In Verkennung der Größe des liberalen Wählerpotentials sah er die Chancen eines DDP-Kandidaten bei der anstehenden Reichstagswahl als aussichtsreich an, und daß er für sich selbst das Kanzleramt anstrebte, wurde auch in späteren Jahren noch mehrfach deutlich93. Trotzdem konnte Koch mit diesen hochfliegenden Ideen bei den nüchternen Landespolitikern nicht landen. Hugo Preuß hatte maßgeblichen
Eigensinn“ der SPD (Sp. 716) dafür verantwortlich, daß es nicht zur Bildung einer großen Koalition gekommen war. Er kritisierte aber auch die Angriffe der DVP auf die SPD und mahnte ebenso wie das Zentrum (Dr.Heß, Sp. 748) zur Zurückhaltung. Man merkte deutlich, daß der SPD die Tore für einen späteren Beitritt zur Koalition offen gehalten werden sollten. 91 Die Einbindung der DNVP in Koalitionen ist ein Leitmotiv der DVP seit 1923; M. Stürmer, Koalitionen und Oppositionen, 245; H. Hömig, Das Preußische Zentrum in der Weimarer Republik, 123. 92 Statt als Ministerpräsident trat Höpker-Aschoff als Finanzminister in die neue Regierung Braun ein. 1948/49 war er Mitglied des Parlamentarischen Rates, 1949 Mitglied des Bundestages und von 1951 bis zu seinem Tode 1954 Präsident des Bundesverfassungsgerichtes. 93 H. Schulze, Otto Braun, 474.
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Anteil daran, daß die Fraktion auf dem Boden blieb, den unsicheren Absprung unterließ und ins Kabinett unter Braun zurückkehrte94. Dies tat nun auch das Zentrum im Rahmen des oben angesprochenen Übereinkommens zwischen Marx, dessen Ehrgeiz sich ohnehin auf das Reichspräsidentenamt richtete, und Braun, dessen Ehrgeiz nie außerhalb Preußens ging. Das überraschende Resultat der von der DVP ausgelösten langen Krise war, daß sich die DVP unvermittelt draußen vor der Tür wiederfand, so wie es 1921 der SPD ergangen war. Und anders als 1921 stand diesmal die Koalition auf einer zwar knappen, aber soliden Basis. An der absoluten Mehrheit fehlten den Weimarer Parteien nur einige Stimmen, und die konnte man sich wechselweise bei den kleineren bürgerlichen Parteien und durch die Duldung der Neuwahlen fürchtenden Kommunisten holen. Die DVP hatte sich eine konservative Wende versprochen und stand nun mit leeren Händen da. Diese Vorgänge, die immerhin über vier Monate in Anspruch nahmen, waren eine taktische Meisterleistung Otto Brauns. Aber auch Hugo Preuß sah sich über Wochen hinweg in seinem Element. Jetzt galt es, nach vier Jahren einer von ihm nur unwillig und aus Parteiräson mitgetragenen Großen Koalition für das ideale Bündnis einzutreten und die Weimarer Koalition wiederherzustellen. Daß die DVP sich hauptsächlich durch ihre eigenen Fehler in die Abseitsposition manövriert hatte, muß Preuß über alle Maßen erfreut haben. Er hatte dieser Partei nie getraut, und nun tat sie ihm aus freien Stücken den Gefallen, den seine eigenen Parteifreunde zu tun sich geweigert hatten. Preuß’ Polemik und sein beißender Witz, dem eine gehörige Portion Schadenfreude beigemischt war, flossen jedenfalls reichlich. Als der DVP-Fraktionsvorsitzende Rudolf von Campe ganz am Anfang der Regierungskrise für die Brückenbildung zwischen altem und neuem Staat eintrat und dafür plädierte, das neue Preußen nicht allein den Republikanern zu überlassen, griff Preuß diese Vorlage auf: Ja, meine Herren von der Volkspartei, das haben Sie ja gar nicht getan; Sie waren ja in der großen Koalition drin; da war also der Staat gar nicht den Republikanern allein überlassen; Sie waren – wie ich von meinem Standpunkt beinahe sagen möchte –: leider auch dabei. Und was wollen Sie jetzt machen? Sie wollen nicht eine Brücke vom alten zum neuen Staate, sondern von dem kaum sich bildenden neuen hinüber zum alten Staate, zur Reaktion schlagen. Ich würde es für ganz logisch und korrekt halten, die Regierung der Republik den Republikanern zu überlassen. Auf jeden Fall ist das logischer, als die Regierung der Republik den Feinden der Republik zu überlassen. Denn daß dies jetzt im Reiche geschehen ist, daran können doch irgendwelche Erklärungen nichts ändern. Die Herren, die sich hier als Hyperparlamentarier und Hyperdemokraten auftun, verkennen das moralisch-politische Wesen des parlamentarischen Systems. Es besteht in der Hauptsache darin, daß die Minister, sei es als Persönlichkeiten, sei es als Repräsentanten einer Partei, durch ihr ganzes Vorleben, durch ihr ganzes politisches
94 H. Hömig, Das Preußische Zentrum in der Weimarer Republik, 137, Fn. 14. Eine lebendige Darstellung der Ereignisse aus der persönlichen Sicht eines Beteiligten bietet Albert Grzesinski, Im Kampf um die deutsche Republik. Erinnerungen eines Sozialdemokraten, hrsg. von Eberhard Kolb, München 2001, 159ff. Grzesinski war damals einer der Führer des SPD-Landtagsfraktion und wurde später preußischer Innenminister. Sein Manuskript entstand 1933.
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10. Als Politiker in der Weimarer Republik Wirken ein politisches Programm darstellen. Nicht dadurch kann eine parlamentarische Regierung charakterisiert werden, daß Leute, die bisher die Republik beschimpft, bekämpft, in den Schmutz gezogen haben, nun als republikanische Regierung auftreten und einer, die Verfassung halbwegs respektierenden Erklärung wenigstens nicht öffentlich widersprechen. Das ist nichts.95
Das war Hugo Preuß in seiner besten Form. Später in der Rede fuhr er fort: Die Herren von der Volkspartei werden sich ja nun mal rückblickend fragen, ob in der Tat zur Erreichung ihrer politischen Ziele das die geeigneten Mittel waren. Herr von Campe hat uns ja in Aussicht gestellt, er hätte uns nicht auf ewig verlassen. Ich weiß nicht, ob nur auf absehbare oder unabsehbare oder vorläufig unabsehbare Zeit. Es erinnert mich etwas an das Lustspiel, wo die unternehmungslustige junge Frau ihrem Manne durchgeht und einen Brief hinterläßt: In spätestens vier Wochen bin ich wieder bei Dir. Ewig die Deine. [Große Heiterkeit] Aber ich weiß nicht, ob bei der Rückkehr Sie noch so duldsame Genossen finden werden, wie wir bisher gewesen sind. Und da muß ich eins sagen. Ich fühle mich ständig im Kampfe gegen die Rechte; aber etwas erkenne ich mit Bewunderung und nicht frei von Neid an. Nicht Ihren Verstand [Heiterkeit], nicht Ihre Gesinnung, aber die zähe Kraft Ihres Willens, und die bedeutet in der Politik ungeheuer viel. Freimütig bekenne ich, daß auf unserer Seite es oft an dieser Zähigkeit gefehlt hat, an der Zähigkeit des Willens, die Macht zu ergreifen und festzuhalten. [Sehr gut! bei den D. Dem.] Ohne den Mangel dieser Zähigkeit und dieses Willens wäre trotz allen äußeren Elends, trotz aller Bedrückung die Deutsche Republik doch nicht auf die reaktionäre Regierung Luther gekommen. Es ist unsere Schuld; Mangel an Energie, Mangel an Zähigkeit, an Kraft des Willens. Jetzt, meine Damen und Herren, ist es zum äußersten gekommen.96
Dabei ging es Preuß nicht nur um das Land Preußen. Im Hintergrund stand für die DVP ja die Rechtskoalition im Reich, die Preuß erbittert bekämpfte. Die preußischen Koalitionsauseinandersetzungen waren also auch eine Art Stellvertreterkrieg für die ihm verwehrte Auseinandersetzung auf Reichsebene. Wie die DVP hoffte, die Reichskoalition in Preußen zu wiederholen, hoffte Preuß umgekehrt, zur Weimarer Koalition in Preußen zurückzukehren und damit zugleich das Ende der Regierung Luther einzuläuten: Untrennbar ist die Entscheidung, die hier in Preußen fällt, von der Reichspolitik. Gelingt es uns, hier mit Zähigkeit durchzuhalten, gelingt es uns, eine Rechtsregierung in Preußen unmöglich zu machen, dann wird auch der Spuk und Schemen dieser reaktionären Reichsregierung sehr bald verflogen sein.97
Ausnahmsweise sollte Preuß mit seinem seltenen Optimismus wenigstens für Preußen recht behalten. Im Reich blieb die Koalition bestehen, aber am 30. April konnte er im Landtag für die DDP in der Debatte um die Regierungserklärung von Ministerpräsident Braun ans Rednerpult treten und befriedigt der DVP die Quittung für ihre launische Haltung präsentieren. Jetzt waren die Fronten wenigstens in Preußen endlich wieder in der Form geklärt, wie Preuß dies seit der Revolution befürwortete. Jetzt konnte er wieder „den größten Sieg des Gedankens der Volksgemeinschaft in 95 Sten. Ber. LT, 2. WP, Bd. 1, Sp. 305. 96 Ebd., Sp. 308. 97 Ebd..
10.3 Hugo Preuß als Abgeordneter im Preußischen Landtag
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der Weimarer Koalition, ... die Deutschland gerettet hat“, sehen98. Auch diese Rede geriet Hugo Preuß wieder zum leidenschaftlichen Appell an die Einheit dieser Volksgemeinschaft auf republikanischer Grundlage99 und zur Mahnung an die Verfassungsparteien zu kämpferischer Offensive bei der Verteidigung der Republik100. Preußische Frage und Verwaltungsreform Wochen wie diese waren Höhepunkte purer politischer Strategie und Taktik, aber sie waren nicht der Alltag im preußischen Landtag. Manche Themen verfolgte Preuß über die Jahre hinweg, über Krieg und Revolution und in Wissenschaft und Politik. Aber das lag nicht an seiner Obsession, sondern daran, daß es zwischenzeitlich keine Lösung gegeben hatte. Eines dieser Themen war die nach wie vor aktuelle Reform der preußischen Verwaltung101. Verfassungen waren einfacher zu ändern als ein vielschichtiger Verwaltungsaufbau. Die Verwaltung griff zugleich praktischer und direkter in den Alltag der Bürger ein, als dies die oftmals abstrakteren Bestimmungen der Verfassung taten. In der fehlenden Homogenität der über-
98 Ebd., Sp. 1594. Die Sorge um die Volksgemeinschaft begleitete Preuß nicht nur in seiner Publizistik, sondern auch im Landtag. In einer Universitätsdebatte am 22.2.’22 (1. WP, Bd. 5, Sp. 7375) nahm er gleichfalls den von rechts gerne benutzten Begriff der Volksgemeinschaft für sich in Anspruch, „deren bestimmende Elemente ... Staatsidee und Kulturgemeinschaft“ seien. Den Zwischenruf „Rasse!“ kommentierte er nur mit „Aha: ‚Rasse‘ – der moderne Hexenwahn.“ 99 Ebd., 2. WP, Bd. 1, Sp. 1595f.: „Die gemeinsame Grundlage für alle Parteien und unter allem Parteistreit ist die Gemeinsamkeit des Staates, die Gemeinsamkeit der nationalen Lebensnotwendigkeiten. Meine Herren, sind diese Lebensnotwendigkeiten von der rechten Seite, von der Seite, mit der sich jetzt die Deutsche Volkspartei durchaus verbünden will, in dem Parteikampf wirklich gewahrt worden? Ist es der Weg zu solcher Volksgemeinschaft, wenn die Politik und die Agitation darauf ausgeht, immer den einen Volksteil gegen den anderen aufzuhetzen, genau so wie die Nationalisten drinnen und draußen ihr ganzes Sinnen und Trachten darauf richten, ein Volk gegen das andere aufzuhetzen?! Und dann sollten Sie doch wenigstens die Einheit des Volkes, des eigenen Volkes zu bewahren suchen. Aber nein, da heißt es: Hie Marxisten, hie Bürgerliche – hie Katholiken, hie Protestanten! Von Juden spreche ich schon gar nicht. [Heiterkeit]“ 100 Ebd., Sp. 1596: „Wenn man Vorwürfe gegen das jetzige Regiment zu erheben hat, so liegen sie nicht in der Richtung der Exklusivität und des Ausschließens, sondern in einer Nachsicht, die über das erlaubte Maß weit hinausgeht. [Sehr richtig! bei der Soz.-Dem. P. und den D. Dem.] Wenn ein Staat und insonderheit eine Republik mit sich Schindluder treiben läßt, dann darf sie sich über die Folgen nicht wundern. [Sehr richtig!]“ 101 Als Überblick Werner Frotscher, Organisation der Reichsverwaltung und der Länderverwaltungen einschließlich Vorschläge zur Reichsreform, in: Kurt G. A. Jeserich, Hans Pohl und Georg-Christoph von Unruh (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte. Bd. 4: Das Reich als Republik und in der Zeit des Nationalsozialismus, Stuttgart 1985, 111–137, hier 124f. und 130ff., und vor allem Horst Möller, Preußen, in: ebd., 540–557.
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nommenen altpreußischen Verwaltung mit den neuen demokratischen Verfassungsstrukturen sah Preuß denn auch „die wichtigste unmittelbare Ursache für die meisten Schwächen des neuen Staates“102. Die Suche nach Wegen zu einer Verwaltungsreform hatte in Preußen zwei Ausgangspunkte. Der innere Aspekt mußte in einer Demokratisierung der alten obrigkeitlichen Verwaltungsordnung oder eigentlich „Verwaltungsunordnung“ bestehen und dabei zugleich das schon beinahe uralte Problem der preußischen Verwaltungsanarchie anpacken. Der äußere Aspekt bestand in dem ungeklärten Verhältnis Preußens zum Reich. Das „Problem Preußen“ verlangte nach wie vor nach einem Nachdenken über die Neugliederung des Reichsgebietes. Dazu kam es auch, und zwar mit einer Leidenschaft und Intensität, die Klaus-Jürgen Matz als Obsession bezeichnet hat103. Aber der Hintergrund dieser Obsession war die versäumte Umgestaltung Preußens im Sinne eines lebensfähigen Föderalismus. Matz, wahrscheinlich der schärfste wissenschaftliche Kritiker der bis auf den heutigen Tag periodisch wiederkehrenden Neugliederungsdebatten und ihrer Fruchtlosigkeit, hat sich gleichzeitig für die Sinnhaftigkeit der von Preuß vorgeschlagenen ursprünglichen Reichsneugliederung ausgesprochen104. Die wurde 1919 versäumt, aber die gleichen Hinderungsgründe, die damals die Reform verhindert hatten, waren nach der Festigung der Landesgewalten in Preußen und anderswo nicht verschwunden, sondern eher stärker geworden. Da zugleich aber auch die Probleme immer deutlicher wurden, wurden von privater und amtlicher Seite in den wenigen Jahren der Weimarer Republik Reformvorschläge in Hülle und Fülle erarbeitet105. Die Energie wäre anderweitig besser investiert gewesen, etwa für den Schutz der Republik gegen ihre Feinde. Hugo Preuß wäre eigentlich der berufene Fackelträger für den Gedanken der Reichsreform gewesen. Schließlich war er es, der 1918/19 am eindringlichsten die politische Zweckmäßigkeit einer solchen Neugliederung vertreten hatte. Aber die 102 „Deutschland und die preußische Verwaltungsreform“, in: Staat, Recht und Freiheit, 130–143 [erstmals FZ 1925], hier 129. Die Remedur gegen das antidemokratische und partikularistische Landesbeamtentum sah Preuß – nicht überraschend – im Ausbau der Selbstverwaltung; selbst dann, wenn in den Gemeinden antidemokratische Parteien die Mehrheit hätten (ebd., 141). Vgl. auch den Art. „Verwaltungsorganisation. Preußen“, in: Handwörterbuch der Kommunalwissenschaften, Bd. 4, 350, zur im Vergleich zur Verwaltung einfacheren Änderung der Verfassung. 103 Klaus-Jürgen Matz, Länderneugliederung. Zur Genese einer deutschen Obsession seit dem Ausgang des Alten Reiches, Idstein 1997; und ders., Der deutsche Neugliederungsdiskurs im internationalen Vergleich, in: J. John (Hrsg.), „Mitteldeutschland“, 285–296. 104 K.-J. Matz, Länderneugliederung, 55. 105 Zu der Reichsreformdebatte in der Weimarer Republik siehe Jürgen John, Die Reichsreformdiskussion in der Weimarer Republik, in: Jochen Huhn und Peter-Christian Witt (Hrsg.), Föderalismus in Deutschland. Traditionen und gegenwärtige Probleme, Baden-Baden 1992, 101– 126; ders., „Unitarischer Bundesstaat“, „Reichsreform“ und „Reichs-Neugliederung“, 306ff.; Peter Burg, Die Neugliederung deutscher Länder. Grundzüge der Diskussion in Politik und Wissenschaft (1918 bis 1996), Münster 1996. Vgl. auch G. Schulz, Zwischen Demokratie und Diktatur I, 453ff.
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damalige öffentliche Reaktion auf seine Vorstöße ließ ihn offenbar vorsichtig werden, und wenn er auch bedauerte, daß seine damaligen Gedanken nicht aufgegriffen wurden106, so hielt er sich doch in der Folgezeit mit politischen Vorstößen zurück. Die erneute Intensivierung der Diskussion um die Reichsreform in den späten zwanziger Jahren hat Hugo Preuß nicht mehr erlebt. Der „Bund zur Erneuerung des Reichs“, der sogenannte Luther-Bund unter dem Vorsitz des ehemaligen Reichskanzlers beschäftigte sich ab 1928 mit dem vergeblichen Versuch, die Versäumnisse von 1919 nachzuholen107, und gedanklich führend beteiligt an den verschiedenen Debatten war auch der DDP-Vorsitzende Erich Koch-Weser, der als Reichsinnenminister Anfang der zwanziger Jahre die Schwierigkeiten mit dem großen Block der preußischen, dem Reichseinfluß entzogenen Verwaltung in der Praxis hatte erkennen müssen. Der Enthusiasmus, mit dem er sich der Reichsreform verschrieb, fand jedoch kein Echo in der Öffentlichkeit, auch wenn die Debatte in zahlreichen Schriften fortgesetzt wurde108. Im ersten Jahrfünft der Republik jedenfalls, als auch Preuß noch an der Diskussion hätte teilnehmen können, beschränkte sich die Neugliederungsdebatte größtenteils auf folgenlose Denkschriften und Pläne, die zwar in der preußischen Regierung regelmäßig für Alarm sorgten, die aber nie auch nur in die Nähe politischer Handlungen gelangten109. Angesichts der Turbulenzen dieser Jahre ist es auch kaum verwunderlich, daß diese weitreichenden Reformpläne, die ein ruhigeres politisches Umfeld erfordert hätten, im Sande verliefen. Das gilt auch für den einzigen großen politischen Vorstoß der Zeit, die bayerische Verfassungsdenkschrift vom 3. Januar 1924, der eine föderalistische Revision der Weimarer Verfassung im Sinne der Bismarckschen alten Reichsverfassung propagierte. Dies klang harmlos, hätte aber die Grundgedanken der neuen Verfassung aus den Angeln gehoben, ohne die alte wirklich wieder einzuführen. Denn es ging Bayern letztlich nur um die Wiedereinführung der alten Partikularrechte, ohne daß deren Äquivalent, die verdeckte preußische Hegemonie, gleichfalls wieder zum Le 106 In „Deutschlands Republikanische Reichsverfassung“ (1923), 49, nennt Preuß es einen Fehler der Revolution, daß sie nur die Dynastien beseitigt habe, nicht aber die Hindernisse für eine zweckmäßige Reichsgliederung. In „Artikel 18 der Reichsverfassung“ (1922), V, heißt es: „Eine Neugliederung des Reiches, die dem Leitgedanken nationaler Einheit und administrativer Dezentralisation durch autonome Selbstverwaltung der Landschaften entspräche war ... eine Notwendigkeit. Aber zugleich war leider die Verwirklichung dieses Notwendigen unmöglich.“ Und ähnlich „‚Republik und Monarchie‘ – ‚Reich und Preußen‘“, in: DP, 6, Nr. 6 (4.2.’21), 127–131, hier 129, wonach 1919 eine Lösung möglich gewesen wäre, hätte nicht „dem deutschen Volke leider politische Einsicht und Schwungkraft gefehlt“. 107 Es mag als ein Beleg für die Ergebnislosigkeit der Bemühungen gelten, daß sie in den späteren Memoiren von Luther stillschweigend übergangen werden; Hans Luther, Politiker ohne Partei. Erinnerungen, Stuttgart 1960. 108 Zu Kochs fast manisch zu nennender Konzentration auf Einheitsstaat und Reichsreform vgl. BAK, NL Koch-Weser, Nr. 188–199. 109 Vgl. hierzu etwa die Akten GStAPK, Rep. 151 HB, Nr. 575, Bd. 1, passim.
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ben erweckt werden sollte. Die verbindliche Form der Vorstellung bei der Reichsregierung nahm der Denkschrift allerdings viel von ihrem scharfen Ton, und zudem war die zu diesem Zeitpunkt gut einen Monat im Amt befindliche Regierung unter Reichskanzler Marx durchaus bereit, das bisherige Reich-Länder-Verhältnis grundlegend zu überdenken. Das „annus horribilis“ 1923 war gerade beendet, und es konnte ein Neuanfang gewagt werden110. Das sah man in der Regierung Preußens allerdings anders. Braun wandte sich am 16. Februar an alle Staatsministerien mit der Bitte um Stellungnahme zur bayerischen Denkschrift111. Die Stellungnahmen waren durchweg ablehnend und forderten statt dessen die Beseitigung der gegen Preußen gerichteten „privilegia odiosa“, also die Abschaffung des Art. 18 der Reichsverfassung und die Aufhebung der Provinzstimmen im Reichsrat. Das war der Tenor der Antwort des Innenministeriums vom 20. März, und am 5. April kam ein ausführliches Schreiben des Finanzministeriums zum gleichen Schluß. Die anderen Ministerien brachten kaum neue Ideen ein, aber auf der Basis dieser Schreiben war bereits erkennbar, daß es zu keiner Verständigung kommen würde. Das war ganz im Sinne von Hugo Preuß, denn er sah den Plan noch negativer als die Regierung Preußens. Für ihn bedeutete er einen neuen Höhepunkt in den schon seit Jahren andauernden Auseinandersetzungen zwischen Bayern und dem Reich. Bislang hatte sich eine Abfolge von zunehmend rechtsgerichteten bayerischen Regierungen damit begnügt, einzelne Bestimmungen der Reichsverfassung via facti für Bayern außer Kraft zu setzen, jetzt ging man daran, das ganze Werk zu zerstören. Vor diesem Hintergrund sah Preuß keine andere Wahl, als sich für die Einheit Preußens auszusprechen, das immerhin ansatzweise schon so war, wie das Reich erst werden sollte112. Aber das war eine Konzession, die Preuß erneut der Not des Augenblicks zu machen bereit war, mehr nicht. An seiner prinzipiellen Überzeugung, daß Preußen in seiner jetzigen Struktur ein störender Fremdkörper im Reich sein mußte, hielt er unbeirrt fest. Das galt zunächst für die Größe Preußens, die es als eine eigene Ebene zwischen das Reich und alle Selbstverwaltung schob, denn „(v)om Ganzen auf vier Siebentel des Ganzen kann man nicht dezentralisieren“113. Die faktische Ungleichheit der Länder konnte durch keine Fiktion aufrechterhalten werden; „Preußen und 110 Vgl. G. Schulz, Zwischen Demokratie und Diktatur I, 457f. 111 GStAPK, Rep.151 HB, Nr. 569, Bd. 1, nicht fol. Ebd. auch die Antwortschreiben. 112 Etwa „Deutschlands Republikanische Reichsverfassung“, 107; „Um die Reichsverfassung von Weimar“, 121. 113 „Deutschland und die preußische Verwaltungsreform“, in: Staat, Recht und Freiheit, 130. Ähnlich auch „Ist Preußen ein ‚Land‘?“, in: ebd., 434–439 [erstmals Die Deutsche Nation 1921], hier 438; „Der deutsche Nationalstaat“, 135; „Artikel 18 der Reichsverfassung“, 2. Dies erinnert an den Satz von Constantin Frantz, des größten föderalistischen Kritikers des Bismarck-Reiches: „Der Löwe und die Maus können sich nicht conföderieren.“ Constantin Frantz, Der Föderalismus als das leitende Princip für die sociale, staatliche und internationale Organisation, unter besonderer Bezugnahme auf Deutschland, kritisch nachgewiesen und constructiv dargestellt, Mainz 1879 (auch ND Aalen 1962), 232.
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Lippe können eben tatsächlich nicht im gleichen Verhältnis zum Reich stehen“114. Die innere Verwaltungsstruktur Preußens tat nichts, um diese Problematik weniger dringend erscheinen zu lassen: Das Übel ist nicht, daß Deutschland kein Einheitsstaat ist, vielmehr, daß hier zwei Einheitsstaaten nebeneinander stehen: ein sehr stark dezentralisierter, das Reich, und für vier Siebentel seines Gebietes und seiner Bevölkerung ein stark zentralisierter Einheitsstaat, Preußen.115
Sehr scharf erkannte Preuß auch, daß im Problem Preußen auch die Frage nach dem Verhältnis des Reiches zu den anderen Einzelstaaten begründet lag, für die die Fortexistenz des preußischen Großstaates eine ganz eigene Funktion besaß. Preuß ließ seine Gedanken zu den Neugliederungsplänen von 1918/19 zurückschweifen und zu den unterschiedlichen Beweggründen der damaligen Opposition, wenn er schrieb: Mit des Basses Grundgewalt erhob sie [die preußische Reaktion; MD] das Kampfgeschrei von der ‚Zerschlagung Preußens‘ und fand auch weit außerhalb ihrer Reihen in Mengen gute Leute und schlechte Musikanten, die eifrig mitschrieen. Daß die anderen größeren Einzelstaaten, namentlich die süddeutschen, die die preußische Hegemonie verabscheuten und immer noch fürchteten, gern in jenen Chor mit einstimmten, ist sehr begreiflich. Denn erstens ist eben die kräftige Abneigung gegen die preußische Hegemonie das wirksamste Reizmittel ihres ‚Staatsbewußtseins‘; dafür ist ihnen die Existenz Preußens unentbehrlich. Und zweitens wird dieses ‚Staatsbewußtsein‘ mächtig durch die Tatsache gehoben, daß sie de jure die Pairs des großen Preußen sind. Man braucht weder an den Rechten noch an den Gebieten dieser Mittelstaaten auch nur das Geringste zu ändern; und doch wäre ihr Wesen völlig geändert, sobald sie nicht mehr neben Preußen, sondern nur noch etwa neben Hannover oder Rheinland oder Schlesien ständen.116
Das Problem hatte Hugo Preuß erkannt, eine Lösung vermochte er allerdings auch nicht anzubieten. Sein Ziel war unverändert ein stark dezentralisierter Unitarismus, ob man ihn nun als Einheitsstaat oder als Bundesstaat bezeichnen wollte. Er hätte mit beiden Etiketten leben können, denn er hat nie einen Unterschied zwischen hochentwickelten Provinzen mit weitreichender Selbstverwaltung und Ländern gesehen117. Aber die Jahre von 1920 bis 1923 hatten gezeigt, daß eine Aufteilung Preußens in neue Staaten für den Moment mehr Risiken als Chancen bot. In den Turbulenzen der Zeit erwies sich das „Bollwerk Preußen“ mehr und mehr als die einzige sichere 114 „Der deutsche Nationalstaat“, 135; die Fiktion der Gleichheit werde beim Reichsrat sofort gebrochen; „Ist Preußen ein ‚Lan‘?“, in: Staat, Recht und Freiheit, 437. 115 „Zur preußischen Verfassungsfrage“, 101. Vgl. „Ist Preußen ein ‚Land‘?“, in: Staat, Recht und Freiheit, 436: „In Wirklichkeit ist er [der Großstaat Preußen, MD] kein Land, sondern ein engeres, aber zentralisiertes Reich im weiteren, aber dezentralisierten Reich.“ Fast wortgleich findet sich der gleiche Gedanke in „Der deutsche Nationalstaat“, 135. Vgl. auch ähnlich „Deutschlands Republikanische Reichsverfassung“, 106f.; „Verfassung des Freistaates Preußen“, 228. 116 „‚Republik und Monarchie‘ – ‚Reich und Preußen‘“, 128. 117 Vgl. hier „Deutschland und die preußische Verwaltungsreform“, in: Staat, Recht und Freiheit, 130; „Deutschlands Republikanische Reichsverfassung“, 55.
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Bastion der Demokraten und Republikaner. Eine Hoffnung auf die Überwindung des Partikularismus durch die finanzielle Not mußte gleichfalls auf die Zukunft verweisen, und eine immerhin mögliche Vereinigung Preußens mit den diversen Kleinstaaten zu einem Einheitsstaat nördlich der Mainlinie barg die Gefahr einer Sprengung des Reiches in sich. Dieser Gefahr wäre natürlich zu begegnen gewesen, wenn Süddeutschland sich dem anschlösse, aber „wer das nach allem, was wir seit 1918 erlebt haben, für wahrscheinlich hält, ist im Glauben stärker als in der Politik“118. Was blieb, war demnach einzig die Hoffnung auf eine spätere, langsame und schwierige Umgestaltung der Reichsstruktur auf den verklausulierten und kompromißbeladenen Wegen des Art. 18 der Reichsverfassung. Preuß war nie ein Anhänger der umständlichen Bestimmungen des Art. 18 gewesen; als Notbehelf war er jetzt allerdings bereit, ihn zu akzeptieren und als einen Wechsel auf die Zukunft anzusehen119. Auf eine Mitwirkung der preußischen Regierung hieran durfte allerdings nicht gerechnet werden. Ebenso, wie man 1919 den Neugliederungsplänen mit allen Mitteln entgegengetreten war, sah man auch später im Art. 18 lediglich eine antipreußische Verfassungsbestimmung, die es nach Kräften zu behindern galt120. Auch die kleinere Lösung, die Dezentralisation Preußens, konnte nicht auf die Mitwirkung der zweiten Regierung in Berlin rechnen. Bill Drews, der schon beim letzten Anlauf zu einer preußischen Verwaltungsreform vergebens geführt hatte, legte am 27. Januar 1920 eine Denkschrift „Deutscher Einheitsstaat und preußische Verwaltungsreform“ vor121, in der er eine Rationalisierung der preußischen Verwaltung durch starke Dezentralisation über Selbstverwaltung vorschlug. Drews’ Denkschrift war eher von der verwaltungstechnischen Seite her gedacht als von der politischen Selbstverwaltung, aber auch so hätte die Verwirklichung seiner Gedanken einen wesentlichen Schritt zur Aufweichung des preußischen Zentralstaates bedeutet. Erich Koch, seit einigen Monaten Reichsinnenminister und am Anfang 118 „Deutschland und die preußische Verwaltungsreform“, in: Staat, Recht und Freiheit, 132f. Ähnlich „Ist Preußen ein ‚Land‘?“, in: Staat, Recht und Freiheit, 435; „‚Republik und Monarchie‘ – ‚Reich und Preußen‘“, 130. 119 Etwa „Deutschlands Republikanische Reichsverfassung“, 105; „‚Republik und Monarchie‘ – ‚Reich und Preußen‘“, 129; und v.a. „Artikel 18 der Reichsverfassung“. Preuß gibt hier eine ausführliche Geschichte der kompromißbeladenen Entstehung des Art. 18, der „nicht nur der am heißesten umstrittene Artikel der Reichsverfassung von Weimar [war]; er ist wohl auch in seiner schließlichen Fassung der am schwersten verständliche“ (V). Preuß interpretiert den Artikel in allen Zweifelsfragen zugunsten einer Stärkung der Reichskompetenzen und gegen die Möglichkeiten der beteiligten Staaten, Regelungen zu behindern. Und dennoch: „Ob das große Problem der Neugliederung des Reichs auf den Wegen des Art. 18 endgültig und gedeihlich zu lösen ist, kann bezweifelt werden; um so mehr, als seiner rücksichtslosen Anwendung ernste Bedenken infolge der gegenwärtigen allgemeinen Lage Deutschlands entgegenstehen.“ Ebd., 46. 120 So die Akten im GStAPK, Rep. 151 HB, Nr. 566 Bd. 1, die in der Vorbereitung zu einem Ausführungsgesetz zum Art. 18 keinerlei Bereitschaft erkennen ließen, abspaltungswilligen preußischen Gebieten den Weg aus dem preußischen Staatsverband zu erleichtern. 121 Zu diesem Vorgang G. Schulz, Zwischen Demokratie und Diktatur I, 257ff.
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einer jahrelangen Besessenheit mit dem Gedanken der Reichsreform, griff die Denkschrift auf und regte eine gemeinsame Kommission auf Ministerebene zwischen dem Reich und Preußen an, die noch weit über Drews’ Vorstellungen hinausgehende Schritte auf dem Wege zur dezentralisierten Reichseinheit beraten sollte. Die Kommission trat sogar zusammen, aber es zeigte sich sehr schnell, daß die preußischen Teilnehmer kein Interesse daran hatten, an einer vom Reich initiierten Debatte über die Veränderung der preußischen Verwaltung und Politik teilzunehmen. Die Gespräche scheiterten. Von ähnlicher Unbeweglichkeit war die Stellung der preußischen Regierung zur „clausula antiborussica“ der Reichsverfassung, der Bestimmung über die Reduzierung der preußischen Reichsratsstimmen auf zwei Fünftel aller Stimmen im Reichsrat bei gleichzeitiger Teilung dieser Stimmen zwischen preußischer Staatsregierung und Provinzen. Bei der Durchführung dieser Aufteilung ließ man preußischerseits keine Eile erkennen. Eine willkommene Verzögerung bot 1920 die Bildung des Landes Thüringen122, die nach der Berechnung gemäß Art. 61 der Reichsverfassung die Zahl der preußischen Reichsratsstimmen auf 22 reduzierte. Nun besaß Preußen aber inklusive Berlin dreizehn Provinzen, und das machte die Halbierung der Stimmen zwischen Regierung und Provinzen schwierig, wie Otto Braun gegenüber der Reichsregierung gebührend hervorhob123. Das Reich zeigte ein Einsehen, und am 24. März 1921 wurde Art. 61 in einer Form geändert, die Preußen nunmehr die erforderlichen 26 Stimmen zusicherte124. Damit wurde es nun aber auch erforderlich, die Frage im preußischen Landtag aufzugreifen. Das geschah mit einem Landesgesetz vom 3. Juni 1921, das die Wahl der dreizehn Provinzvertreter zum Reichsrat festlegte. Die Zufriedenheit damit war durchaus nicht einhellig. Am 26. Januar 1924 unternahm die DVP, zu diesem Zeitpunkt als Partner der Großen Koalition an der Regierung beteiligt, im Landtag einen Vorstoß zur Änderung dieses Gesetzes. Der Fraktionsvorsitzende von Campe begründete einen Antrag, der eine Instruktion der preußischen Reichsratsstimmen inklusive aller Provinzstimmen durch die Staatsregierung vorsah. Die gegenwärtige Situation, in der Preußen sich durch die Aufsplitterung seiner eigenen Stimmen im Effekt wechselseitig totstimmen könne, sei nicht im Reichsinteresse. Die Debatte brachte eigentümliche Bündnisverhältnisse zutage. Unterstützt wurde Campe nur vom SPD-Redner, dem späteren Innenminister Grzesinski, und von Bredt für die kleine Wirtschaftspartei, der das Gesetz von 1921 sogar für verfassungswidrig hielt, da es das freie Mandat der Provinzvertreter im Gegensatz zur Instruktion aller 122 Auch in den hier zu führenden Verhandlungen hatte sich Preußen alles andere als kooperativ gezeigt; die anfangs vorgeschlagene Verwaltungs- und Interessengemeinschaft hätte die Interessen Thüringens unter Wahrung des Scheins der Selbständigkeit weitgehend Preußen untergeordnet. Als man darauf nicht einging, lehnte Preußen alle nennenswerten Gebietsabtretungen an den neuen Mittelstaat ab. Vgl. zu diesen Vorgängen J. John, Thüringer Verfassungsdebatten und Landesgründung, 94ff. 123 Schreiben Brauns an die Reichsregierung vom 6.7.’20, BAK, R 43 I, Bd. 1864, 199–207. 124 Vgl. E.R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte VI, 377f.
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anderen Reichsratsstimmen vorsah125. Zweifellos war die eigenartige Stellung der Provinzvertreter im Reichsrat eine Anomalie, aber das gleiche galt für die Größe Preußens im Reich. Die Debatten drehten sich ohnehin nur um das Plenum des Reichsrates; in den Ausschüssen hatte der Vertreter der Landesregierung die Stimmführung. Natürlich hätte man auch die Frage aufgreifen können, ob die Provinzvertreter, deren politische Natur nicht zu umgehen war, statt von den Verwaltungsspitzen der Provinzen nicht auch von der jeweiligen Volksvertretung hätten gewählt werden können, aber eine solche Reform lag anscheinend in niemandes Interesse. Gegen die zentralistischen Stimmen warnte erwartungsgemäß der Zentrumsabgeordnete Oppenhoff vor einer weiteren Einschränkung der Rechte der Provinzen, und Prelle beklagte für die Deutschhannoveraner einmal mehr in bewegten Worten „die Versklavung, in der wir in Hannover leben“126. Aber auch die DNVP, die sonst in ihrem Preußentum von niemand übertreffen ließ, erklärte durch den Abgeordneten Negenborn in gewundenen Worten, daß man prinzipiell zwar dem Vorstoß positiv gegenüberstehe, daß man aber reichsverfassungsrechtliche Bedenken habe und daher den Antrag nicht unterstützen könne. Negenborn zitierte zur Untermauerung dieser Ansichten ausführlich Schriften von Hugo Preuß und schloß mit dem für diese Debatte wenig hilfreichen Wunsch nach einer Änderung der Reichsverfassung127. Diese zunächst überraschende politische Konstellation der Debattenredner wird verständlich, wenn man sich damit beschäftigt, wer diese Provinzvertreter im Reichsrat waren128. Zum Zeitpunkt der Debatte wurden nicht weniger als fünf Provinzen von der DNVP vertreten, vier vom Zentrum, zwei von der SPD und je einer von der DVP und von der Regionalpartei aus Hannover, der DHP. Mit anderen Worten, der Status quo mußte DNVP, Zentrum und DHP gefallen, während SPD und DVP von einer Verlegung der Entscheidungsebene von den Provinzen nach Berlin nur größeren Einfluß zu erwarten hatten. Gleiches gilt grundsätzlich natürlich auch für die DDP, die zu diesem Zeitpunkt in keiner einzigen Provinz den Vertreter stellte. Trotzdem erklärte Hugo Preuß für die DDP die Ablehnung seiner Partei, wobei er sich „in der überaus seltenen und mich gerade jetzt besonders überraschenden Lage [fand], in wesentlichen Punkten mit den Darlegungen des Herrn Vertreters der Deutschnationalen Volkspartei übereinzustimmen“129. Preuß war nicht glücklich mit der bestehenden Lösung, die er in Weimar bekämpft hatte, sah aber klar, daß der DVP-Vorstoß einen verfassungswidrigen Zustand herbeizuführen trachtete. Die Stellungnahme der DDP scheint die einzige gewesen zu sein, die rein aus verfassungsrechtlichen Überlegungen und nicht aus politischem Eigeninteresse 125 126 127 128
Die Debatte findet sich in den Sten. Ber. LT, 1.WP, 15. Bd., Sp. 20901ff. Ebd., Sp. 20926. Ebd., Sp. 20904ff. Eine Übersicht mit Parteizugehörigkeit bei E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte VI, 381. Vgl. auch Ch. Gusy, Die Weimarer Reichsverfassung, 254f. 129 Sten. Ber. LT, 1.WP, 15. Bd., Sp. 20908.
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gespeist wurde. Der DNVP jedenfalls nahm niemand die juristischen Skrupel ab, und im Verlauf der Debatte gab sie auch unumwunden zu, daß es das Mißtrauen in die Regierung Braun war, das ihre Haltung bestimmte130. Die Frage der Provinzvertretung im Reichsrat stand an der Nahtstelle zwischen der äußeren und der inneren Verwaltungsreform. Die Themen, um die es dabei ging, blieben monoton und unverändert die gleichen, die schon seit Jahrzehnten die Diskussion beherrschten. So kann es nicht überraschen, daß Hugo Preuß in allen Grundfragen auf Gedanken zurückgreifen konnte, die er gleichfalls schon seit Jahrzehnten propagierte. Das bedeutete vor allem sein Eintreten für den Wegfall der Regierungsbezirke als eigenständiger Verwaltungsinstanz und die Stärkung der lokalen und provinziellen Selbstverwaltung131. Das bedeutete auch, daß er mit den lückenhaften Reformansätzen nicht zufrieden sein konnte und statt dessen auf die längst überfällige große Reform aus einem Guß drängte132. Er war eher bereit, Reformwünsche zurückzustellen, als mit kleinen Schritten am Flickwerk der preußischen Verwaltung weiter nur Löcher zu stopfen. Daß er in einer großen Landtagsrede vom 19. Januar 1923 auf die unveränderte Aktualität seiner Denkschrift von 1910 verweisen konnte, ist bezeichnend für diesen Zustand133. Als im Sommer des folgenden Jahres der Reformentwurf endlich vorgelegt wurde, bestand über die Parteigrenzen hinweg Einigkeit, daß dieser Entwurf vollkommen unzulänglich war. Wenn der DNVP-Abgeordnete von Kries, der als langjähriger Landrat die Praxis der Verwaltung kannte, in seiner Rede bemerkte, er „habe vielfach die Erfahrung gemacht, daß Teilreformen großen Reformen nicht vorarbeiten, sondern geeignet sind, großen Reformen den Weg zu verbauen“134, dann war das ein Satz, der Hugo Preuß aus der Seele gesprochen war. Ansonsten aber gingen die Meinungen weit auseinander, vor allem in der anscheinend ewigen Frage, ob eine und gegebenenfalls welche Verwaltungsinstanz abgebaut werden sollte. Die Vorlage jedenfalls gedachte keineswegs den von Preuß für die Quelle alles Übels gehaltenen Regierungspräsidenten abzuschaffen, sondern stärkte seine Position sogar noch. Innenminister Severing sprach sich zwar prinzipiell für die Abschaffung der Regierungspräsidien aus, glaubte sie aber „im Augenblick“135 noch beibehalten zu müssen. Bei dieser 130 Leidig (DVP, Sp. 20929f.) hielt der DNVP vor, sie solle sich klarmachen, daß sie in dieser Frage mit den Welfen zusammengehe, und Campe (DVP, Sp. 20933) sagte in seinem Schlußwort unwidersprochen, daß die rechtlichen Bedenken der DNVP nur vorgeschoben seien. Der Berliner DNVP-Abgeordnete Baecker (Sp. 20931) drückte die wahren Beweggründe seiner Partei unmißverständlich aus. 131 Etwa „Deutschland und die preußische Verwaltungsreform“, in: Staat, Recht und Freiheit, 142; „Die Mär von der preußischen Verwaltungsreform“, BT, Nr. 462 (28.9.’24) M. 132 „Deutschland und die preußische Verwaltungsreform“, in: Staat, Recht und Freiheit, 137; „Die Mär von der preußischen Verwaltungsreform“, BT, Nr. 462 (28.9.’24) M. 133 Sten. Ber. LT, 1.WP, 10. Bd., Sp. 14145ff. Die Rede ist – einmal mehr – quasi ein Überblick über das gesamte Selbstverwaltungsprogramm von Preuß. 134 Sten. Ber. LT, 1. WP, 16. Bd., Sp. 22946. Die Debatte fand am 2.7.’24 statt. 135 Ebd., Sp. 22968. Preuß bedauerte es, als Mitglied der Koalition in Opposition zur Vorlage sein zu müssen, sah aber keine andere Wahl (Sp. 22960ff.).
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Lage war das Schicksal der Reform vorhersehbar; ein großer Wurf konnte sie von Anfang an nicht werden, sie versandete letztendlich. Erst wesentlich später, 1929, konnte der inzwischen amtierende Innenminister Albert Grzesinski wenigstens eine gewisse kommunale Verwaltungsreform erfolgreich in Angriff nehmen. In seinen Erinnerungen schreibt er nicht ohne Stolz, sein Gesetz „war das wichtigste und größte auf dem Gebiete der kommunalen Reform, das je in Preußen geschaffen worden ist“136. Das mochte richtig sein, und der Stolz Grzesinskis, dort Erfolg gehabt zu haben, wo vor ihm so viele gescheitert waren, ist nicht unberechtigt. Aber die große, notwendige Reform war auch dies nicht. Letztlich stand und fiel das Schicksal der Weimarer Republik auch nicht mit der Frage, ob das Regierungspräsidium in der preußischen Verwaltungsordnung aufgehoben oder beibehalten wurde. Es waren andere Probleme, Geisteshaltungen und Ereignisse, die hier größere Bedeutung hatten. Das Prinzip der wehrhaften Demokratie 1930 veröffentlichte der Karlsruher Psychologe Willy Hellpach, damals Reichstagsmitglied, vorher badischer Minister und Staatspräsident sowie 1925 DDPKandidat für das Amt des Reichspräsidenten einen Aufsatz unter dem Titel Partei und Weltanschauung137, der das Wesen der Partei im modernen Staat behandelte. Es ist viel von platonischer Tugendlehre die Rede, von dialektischer Synthesis und ein wenig auch vom Kantschen Sittengesetz. Daneben gibt es aber auch viele kluge genuin politische Beobachtungen, etwa über das Wesen des Kompromisses in der Politik, einen Vergleich des amerikanischen, parteipolitisch gebundenen Präsidenten mit seinen neutraleren Widerparts in Frankreich und Deutschland138 und über das pragmatische Wesen der amerikanischen Parteien. Auch einige Kuriositäten finden sich, etwa die Analyse des Faschismus als „der erste vollbewußt auftretende politische Pragmatismus von Stil auf dem europäischen Festlande“139. Und Deutschland? Hellpach kommt zu dem Schluß, daß die deutschen Parteien auf dem Wege zu einer pragmatischen Entleerung ihres geistigen Gehaltes sind. Aller Pragmatismus sei relativ, und die Bestimmtheit des weltanschaulichen Dogmas fehle ihm. Weltanschauung sei aber gerade genuin deutsch, ein Erbe deutscher Philosophie, das es nicht leichtfertig abzuschütteln gelte. Hier sieht Hellpach denn auch das Problem. So sei es die „Existenzproblematik der heutigen stärksten Partei“, der SPD, „daß sie weltanschaulich entwurzelt und auf dem Wege zum politischen 136 A. Grzesinski, Im Kampf um die deutsche Republik, 197f. Vgl. Thomas Albrecht, Für eine wehrhafte Demokratie. Albert Grzesinski und die preußische Politik in der Weimarer Republik, Bonn 1999, 169ff. 137 Willy Hellpach, Partei und Weltanschauung, in: Kant-Studien 35 (1930), 76–99. 138 Ebd., 86. 139 Ebd., 93.
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Pragmatismus ist“140. Auch in der politischen Mitte, „die man parteitechnisch gesehen vom linken Flügel der Deutschnationalen bis zu den Demokraten einschließlich spannen darf“ gebe es keine weltanschauliche Bindung mehr: Man scheut, was irgendwie nach weltanschaulicher Dogmatisierung der Partei aussehen könnte – denn man treibt längst im Fahrwasser des politischen Pragmatismus, der bei der demokratischen Partei mehr ein Staatspragmatismus („Weimarer Verfassung“ – demokratische Republik), bei der Deutschen Volkspartei mehr ein Wirtschaftspragmatismus ist.141
Das ist also die Quintessenz. Es geht Hellpach nicht um die Befestigung demokratischer Grundüberzeugungen, sondern das Bekenntnis zur Demokratie ist selbst lediglich eine Form von prinzipienlosem Pragmatismus, der einer weltanschaulichen Fundierung außerhalb der Politik bedarf, um deutschem Wesen zu genügen. Etwas anders in der Stoßrichtung stellte sich die Sache dar, als wenige Jahre zuvor der bedeutende, politisch auf dem rechten Flügel beheimatete Staatsrechtler Heinrich Triepel beim Antritt seines Rektorats an der Berliner Universität eine Rede über Staatsrecht und Politik hielt142. Triepel versteht „unter Politik staatliches Handeln“143 und begrüßt es, daß im Gegensatz zum Rechtspositivismus heute der Einfluß politischer Motive im Staatsrecht offen zugestanden werde. Aber dann wendet er sich der Frage zu, welche Staatsrechtler sich auch persönlich politisch betätigen und kommt zu dem Schluß, daß es früher wesentlich mehr gewesen seien als heute. Und der Grund dafür? Die „zunehmende Verdrängung des Persönlichen durch das Parteigemäße“, die Entwicklung der Politik zu einem „handwerksmäßigen Betrieb politischer Geschäfte“ gibt der Politik einen Rahmen, „in den sich der Professor nur schwer noch einfügen mag“. Und weiter: Der naturrechtliche Rationalismus, der einen großen Teil der Staatslehre bis tief in das 19. Jahrhundert beherrscht hat, setzt den Gelehrten in ein anderes Verhältnis zu dem auf Wille und Tat abgestellten politischen Leben als eine Gedankenrichtung, deren Vertreter sich auf die Bildung von Begriffen und auf das Argumentieren aus dem System beschränken wollen.144
Zwischen Triepel und Hellpach, die eigentlich geistig-politischen Lagern angehörten, die wenig geistigen Austausch und Interaktion untereinander hatten145, gibt es durchaus Gemeinsamkeiten. Beide beklagen die Entwicklung der Politik zu einem pragmatisch-handwerklichen Geschäft, aber während Hellpach die Ursache hierfür 140 Ebd., 90. 141 Ebd., 92f. 142 Heinrich Triepel, Staatsrecht und Politik. Rede beim Antritte des Rektorats der FriedrichWilhelms-Universität zu Berlin am 15. Oktober 1926, Berlin 1926. Zu Triepel siehe jetzt die erschöpfende Biographie von Ulrich M. Gassner, Heinrich Triepel. Leben und Werk, Berlin 1999. 143 H. Triepel, Staatsrecht und Politik, 10. 144 Alle zitierten Stellen ebd., 11f. 145 Vgl. Dietmar Schirmer, Politisch-kulturelle Deutungsmuster: Vorstellungen von der Welt der Politik in der Weimarer Republik, in: D. Lehnert und Klaus Megerle (Hrsg.), Politische Identität und nationale Gedenktage, 31–60, hier 31.
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darin sieht, daß die Parteien keine Prinzipien haben, ist für Triepel das Problem, daß sie nur noch ihr jeweils eigenes Prinzip kennen. Beide Aufsätze sind gelehrte Auseinandersetzungen, die in ihrer Suche nach Tiefe übersehen, daß Politik notwendig immer auch Pragmatismus sein muß. Pragmatismus wird von Triepel wie von Hellpach negativ besetzt, und mit dieser Prädispositon können sie gar nicht mehr anders, sie müssen die Politik als defizitär empfinden. Außerdem übersehen beide, daß im demokratischen Verfassungsstaat die einzige, dafür aber auch entscheidende „weltanschauliche“ Grundlage das „Bekenntnis“ zur Demokratie sein kann, zu ihren Prinzipien und zu ihrem Recht auf nationaler und internationaler Ebene146. Die Details können um so unterschiedlicher gestaltet werden je fester die Basis steht. Wenn Demokratie nur eine Weltanschauung unter vielen ist, wenn sie ein geistig aufgezwungenes System ist, dann hat sie den Kampf mit dem antidemokratischen Denken schon verloren. Vor allem Hellpach zeigt, wie weit dieser Relativismus, der sich als Prinzipiensuche ausgibt, auch in das demokratische Lager vorgestoßen war147. Hellpach und Triepel symbolisieren das doppelte Problem, gegen das Hugo Preuß vergebens ankämpfte: Einerseits die Verachtung des Pragmatismus, die die Kompromißfähigkeit der Parteien untereinander so erschwerte, und andererseits die philosophische Verfeinerung, die den grundlegenden Unterschied zwischen dem demokratischen Verfassungsstaat – dem Preußschen Volksstaat – und den Feinden der Demokratie nicht mehr sah und vor allem nicht zum bewußten und engagierten Mittel der Verteidigung der Demokratie machte. Es ginge zu weit, sagen zu wollen, daß Weimar eine wehrlose Demokratie war. Unter der Betrachtung der letzten Jahre der Weimarer Republik und ihres Endes läßt sich leicht übersehen oder gering einschätzen, daß die Republik in den Jahren zuvor durchaus zum Kampf bereit war. Republikschutzmaßnahmen gab es nicht nur seit dem Mord an Rathenau, der allerdings zu ihrer Systematisierung führte und auch die tatsächliche Anwendung erleichterte. Parteien und Verbände wurden verboten148, und die Polizei in Berlin 146 Das schließt in der Gegenwart neben dem Grundgesetz auch die Charta der Vereinten Nationen ein. Grundrechte haben inzwischen eine nationale und internationale Dimension; vgl. Klaus Dicke, „Wir, die Völker der Vereinten Nationen – fest entschlossen, ... unseren Glauben an die Grundrechte des Menschen...“, in: Stephan Hobe (Hrsg.), Die Präambel der UN-Charta im Lichte der aktuellen Völkerrechtsentwicklung, Berlin 1997, 47–58. 147 Vgl. K. Sontheimer, Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik, 141ff. Grundlegend jetzt Ch. Gusy (Hrsg.), Demokratisches Denken in der Weimarer Republik, in diesem Kontext vor allem die Aufsätze von Markus Llanque (Massendemokratie zwischen Kaiserreich und westlicher Demokratie, 38–70), Oliver Lepsius (Staatstheorie und Demokratiebegriff in der Weimarer Republik, 366–414) und Ulli F. H. Rühl (Nationale Demokratie und Parteienstaat, 469–504). Lepsius und Rühl gehen sehr stark auf staatsrechtliches Denken ein. Siehe auch Norbert J. Schürgers, Politische Philosophie in der Weimarer Republik. Staatsverständnis zwischen Führerdemokratie und bürokratischem Sozialismus, Stuttgart 1989. 148 Vgl. G. Jasper, Der Schutz der Republik; Ch. Gusy, Weimar – die wehrlose Republik?; M. Grünthaler, Parteiverbote in der Weimarer Republik. Eine juristische Aufbereitung der Thematik bietet die Untersuchung von Katrin Stein, Parteiverbote in der Weimarer Republik, Berlin 1999.
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und in Preußen galt als Bollwerk der Demokratie gegen ihre rechten und linken Feinde. Carl Severing und Albert Grzesinski führten als Innenminister und Polizeichef in Preußen eine bewußt demokratische Politik und auch Personalpolitik, die durchaus ihre Früchte trug149. Aber neben konkreten politischen Handlungen war auch das Prinzip der wehrhaften Demokratie wichtig, und darauf kam es Preuß an. Jedes Thema konnte für Preuß die Gelegenheit bieten, sich im Landtag und anderswo für die Gemeinsamkeit der Demokraten und die wehrhafte Demokratie auszusprechen. Es gab offensichtliche Anlässe, wie die erregten Debatten um Republikschutzgesetze nach dem Mord an dem mit Preuß auch persönlich gut bekannten und entfernt verwandten Außenminister Rathenau150. In diesem Moment kann man davon sprechen, daß das von Preuß geforderte Bewußtsein um die Gefährdung der Demokratie weitgehend bei den Parteien vorhanden war. Joseph Wirths Mahnung, daß der Feind rechts stehe, wurde für diesen Augenblick Gegenstand praktischer Politik151. Das galt auch für Preußen, aber es ist bezeichnend, daß Preuß, obwohl er mit den generellen Zielrichtungen des Republikschutzgesetzes natürlich übereinstimmte, gerade jetzt zur Mäßigung und zur Beachtung rechtsstaatlicher Verfahren mahnte152. Darin sah er sich einig mit Ministerpräsident Braun, dessen Reaktion rhetorisch weniger wirkungsvoll war als die von Wirth, der aber in einer überlegten Mischung von Ruhe und Kraft die Rolle Preußens als demokratischen Rückgrats der Weimarer Republik zu festigen verstand153. Gleichwohl ist es bezeichnend, daß auch die demokratischen Parteien in ihrer Reaktion differenzierten. Mord war nicht gleich Mord, und die Erregung über den Mord an Rathenau reicht weit über die Reaktionen hinaus, mit denen Angriffe und Mordanschläge auf andere Repräsentanten der Demokratie beantwortet wurden. Bestes Beispiel ist der Mord an Matthias Erzberger, dessen Geschick als Finanzminister der jungen Republik überhaupt erst die Chance gab, die Belastungen aus dem Friedensvertrag wenigstens halbwegs zu erfüllen. Natürlich wurde der Mord nicht gerade gutgeheißen, aber eine eindeutige und solidarische Aktion der Demokraten hat es auch nicht gegeben. Der fast pathologische Haß auf Erzberger reichte 149 Eine plastische Schilderung gibt A. Grzesinski, Im Kampf um die Republik, 202ff. und 225ff. Vgl. auch Th. Albrecht, Für eine wehrhafte Demokratie, 292ff. 150 Vgl. hierzu Martin Sabrow, Die verdrängte Verschwörung. Der Rathenau-Mord und die deutsche Gegenrevolution, Frankfurt a.M. 1999. 151 U. Hörster-Philipps, Joseph Wirth, 259ff. 152 Vgl. Sten. Ber. LT, 1. WP., Bd. 8, Sp. 11280, wo Preuß für die DDP zur Besonnenheit, aber auch zur energischen Verteidigung der Republik anhält. Die tumultuarische Sitzung war am 24.6.’22, dem Tag der Ermordung Rathenaus. Vier Tage später wurden Gesetze zum Schutz der Republik eingebracht, über die am 6.7. nach Vorlage des Berichtes des Verfassungsausschusses weiter beraten wurde. Heilmann, der Berichterstatter, schloß seine Rede (ebd., Sp. 11676) mit dem Satz: „Die Welt ist aus den Fugen. Haben wir den Mut und die Kraft, sie wieder einzurenken!“ Preuß nannte die Vorschläge sehr maßvoll (ebd., Sp. 11714), bekannte sich aber zu ihnen: „Gerade weil wir die Faust der Willkür kennen, wollen wir uns nicht dazu hergeben.“ 153 H. Schulze, Otto Braun, 416ff.
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10. Als Politiker in der Weimarer Republik
bis weit in das demokratische Lager hinein, und die „drohende“ Rehabilitierung Erzbergers nach dem zurückliegenden Helfferich-Prozeß, die den Wiedereinstieg Erzbergers in die Politik zur Folge gehabt hätte, empfanden nicht nur die Politiker der Rechten als Gefahr154. Nur am Rande kann hier erwähnt werden, daß alle Republikschutzmaßnahmen wesentlich auf Aktivitäten der ersten und zweiten Gewalt beschränkt blieben. Die Mörder Erzbergers konnten der Strafverfolgung entkommen oder wurden freigesprochen, und das ist durchaus typisch für viele Gerichte der Republik, die generell ein Hort rechten, antirepublikanischen Gedankenguts waren155. Ein weiteres Problem lag darin, daß in Weimar nicht nur der Feind rechts stand, sondern auch der Geist; jedenfalls dann, wenn es sich um den an Universitäten gelehrten Geist handelte. Eine Gelegenheit, diese Problematik im Landtag aufzugreifen boten die jährlich wiederkehrenden Aussprachen um die Universitäten, die Preuß als universitätspolitischer Sprecher seiner Fraktion nutzte, um die nach wie vor bestehenden Nachteile für Demokraten in akademischen Laufbahnen, die Berufung von konservativ-antirepublikanischen Professoren gerade in staatspolitisch wichtigen Fächern und die entsprechende Beeinflussung der Studentenschaft zu beklagen und zur Abhilfe aufzurufen156. Schließlich hatte Preuß diese Praxis im Kaiserreich am eigenen Leibe erfahren müssen und erwartete nun, daß der demokratische Staat auch demokratische Hochschullehrer förderte. Als parteiloser Staatssekretär und zeitweise Minister amtierte im Kultusministerium viele Jahre lang der bedeutende Orientalist Carl Becker157, der als graue Eminenz des Hauses der DDP nahe stand. Becker hatte selbst ein kritisches Verhältnis zu den überkommenen preußischen Universitätsverhältnissen und war am Anfang der Republik mit einem Reformplan hervorgetreten158. Trotzdem kam es nicht zu den von Preuß gewünschten Berufungen. Becker betrieb keine durchgehend aktive demokratische 154 K. Epstein, Matthias Erzberger und das Dilemma der deutschen Demokratie, 342f. und 392ff. Vgl. auch M. Dreyer und O. Lembcke, Die deutsche Diskussion um die Kriegsschuldfrage 1918/19, 143ff. und 174ff. Fast nirgendwo wird die konservative Ausrichtung von Hubers Verfassungsgeschichte so deutlich wie in seinen Ausführungen zum Prozeß HelfferichErzberger, wo er unverhohlen die Partei Helfferichs ergreift; E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte VII , 40f. 155 Vgl. Heinrich Hannover und Elisabeth Hannover-Drück, Politische Justiz 1919–1933, Frankfurt 1966; Gotthard Jasper, Justiz und Politik in der Weimarer Republik, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 30 (1982), 167–205. Dagegen Theo Rasehorn, Rechtspolitik und Rechtsprechung. Ein Beitrag zur Ideologie der ‚Dritten Gewalt‘, in: K. D. Bracher, M. Funke und H.-A. Jacobsen (Hrsg.), Die Weimarer Republik 1918–1933, 407–428, hier 424, der keinen entscheidenden Miteinfluß der Justiz auf den Untergang der Republik sieht. 156 Vgl. etwa Preuß’ Reden vom 13.12.’21 (ebd., Bd. 4, Sp. 5816), 22.2.’22 (Bd. 5, Sp. 7374) und vom 12.5.’23 (Bd. 12, Sp. 17315). Die Problematik blieb die gleiche, der Tenor der Preußschen Reden auch. 157 Zu ihm siehe Wolfgang W. Wittwer, Carl Heinrich Becker, in: W. Treue und K. Gründer (Hrsg.), Wissenschaftspolitik in Berlin, 251–267. 158 Carl Heinrich Becker, Gedanken zur Hochschulreform, Leipzig 1919.
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Hochschulpolitik, sondern überließ die Universitäten weitestgehend ihrer Selbstverwaltung, was in der Praxis die weitere Begünstigung antidemokratischen Denkens bedeutete159. Einzelne Gegenbeispiele, etwa die Berufung Hermann Hellers nach Berlin gegen den Widerstand der Juristischen Fakultät, können das Gesamtbild nicht ändern160. Eine von Becker unterstützte Aktivität, die bereits kurz betrachtet wurde, war allerdings die Gründung der Deutschen Hochschule für Politik 1920 in Berlin. Becker hat intensiv die Soziologie und andere neue, synthetische Fächer gefördert, aber eine wissenschaftliche Untersuchung der Politik hatte für ihn noch Experimentalcharakter. In diesem Sinne ist auch die Hochschule für Politik zu verstehen, als ein Experiment zwischen politischer Bildung und Politikwissenschaft im moderneren Sinne. Diese Zielrichtung wurde von Ernst Jäckh, dem Gründungsrektor, in der Jubiläumsschrift zum zehnjährigen Bestehen der Hochschule auf den Punkt gebracht: Politische Wissenschaft ist fruchtbar, wenn sie angewandte Wissenschaft ist, und angewandte Kunst wird. Eine Politik aus Wissenschaft bleibt nicht pure Theorie, sie ist schöpferische Lebenskraft.161
Dazu gehörte auch der Anspruch, die Grundlagen demokratischer Politik in das Volk hineinzutragen, oftmals auf dem Umweg über Lehrer, die eine auch politischpädagogische Ausbildung erhalten sollten. Gleich zwei Aufsätze im Jubiläumsband sind dieser Thematik gewidmet162. Man kann also nicht sagen, daß die Kulturpolitik in Preußen und Weimar die Aufgabe nicht erkannt hätte. Auch andere Institutionen, wie die „Reichzentrale für Heimatdienst“163, waren an politischer Bildungsarbeit intensiv beteiligt. Aber alle diese Aktivitäten erreichten nicht ihr Ziel. Die alten, aus dem Kaiserreich übernommenen Lehrer standen der Republik weitgehend skeptisch gegenüber, die akademischen Lehrer nicht minder, und ein Eintreten für die Demokratie wurde häufig nicht belohnt, sondern konnte sich in Weimar ebenso wie im Kaiserreich als Karrierehindernis herausstellen. Politische Bildung war gut erdacht, blieb aber ohne Wirkung auf die politische Kultur. Das gleiche läßt sich im großen und ganzen auch über die gesamte politische Tätigkeit Hugo Preuß’ im Landtag in diesen Jahren sagen. Die politischen Ergebnisse seines parlamentarischen Wirkens bleiben ausgesprochen mager; Preuß ist nie 159 Vgl. F. K. Ringer, Die Gelehrten. Der Niedergang der deutschen Mandarine, 330ff., und die polemischen, aber in ihrer Polemik anregenden Ausführungen von H. Heiber, Universität unterm Hakenkreuz I, 8ff. 160 Vgl. U. M. Gassner, Heinrich Triepel, 96f. Zuvor war mehrfach die Berufung Schückings nach Berlin gescheitert. 161 E. Jäckh, Beiträge zum Locarno- und Kellogg-Vertrag, in: ders. (Hrsg.), Politik als Wissenschaft, 3–12, hier 3. Mit diesem Satz leitet Jäckh seinen Aufsatz ein. 162 Fritz Poetzsch-Heffter, Die Erziehung zum deutschen Staat, in: ebd., 55–77; und Albert Salomon, Innenpolitische Bildung, in: ebd., 94–110. Auch in anderen Aufsätzen des Bandes ist der pädagogische Aspekt aufgegriffen worden. 163 Klaus W. Wippermann, Politische Propaganda und staatsbürgerliche Bildung. Die Reichszentrale für Heimatdienst in der Weimarer Republik, Bonn 1976.
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ein maßgeblicher Politiker seiner Partei gewesen. Seine Unzufriedenheit mit dem Gang der politischen Entwicklung, insbesondere auch in seiner eigenen Partei, ist unverkennbar. Preuß nahm dies zum Anlaß, sich langsam mehr und mehr aus der parlamentarischen und Parteipolitik zurückzuziehen, auch wenn einzelne Ereignisse, wie die Koalitionsbildungskämpfe von 1925 durchaus wieder den Kämpfer in Preuß herausfordern. Anders aber als im Kaiserreich gab es auch keine intensive Beteiligung Preuß’ an der staatsrechtlichen Diskussion der Weimarer Republik. Vielleicht geht es zu weit, von Resignation zu sprechen, aber Preuß’ Haltung sieht dem zumindest ähnlich.
IV. EPILOG – SPUREN EINES LEBENS 1925, das Todesjahr von Hugo Preuß, war nicht das schlechteste Jahr der Weimarer Republik. Gewiß, im Reich regierte eine Rechtskoalition unter Einschluß der DNVP, die keineswegs von ihrer prinzipiellen Gegnerschaft gegen die Republik abgelassen hatte, und Hindenburg wurde zum Reichspräsidenten gewählt. Aber die Koalition im Reich wurde dadurch aufgewogen, daß gleichzeitig die Weimarer Koalition in den Landtagswahlen in Preußen im Amt bestätigt wurde und daß es sogar gelang, den Koalitionspoker in Berlin im Sinne der demokratischen Parteien Preußens zu beenden. Und die Wahl Hindenburgs kann wenigstens zum Teil auch so verstanden werden, daß hier eine unpolitische Vaterfigur an die Spitze gestellt wurde, weil man es sich leisten zu können glaubte. Die bewaffneten Aufstände im Innern gehörten der Vergangenheit an, das Ruhrgebiet wurde von der alliierten Besetzung geräumt und in Locarno kam es zur Verständigung zwischen Deutschland und Frankreich, die außenpolitisch ein ruhigeres Fahrwasser für die Zukunft versprach. Die große Debatte über die Weimarer Verfassung begann eigentlich auch erst ab 1925; sie wurde wesentlich im zweiten Jahrfünft der Republik geführt. Es ist häufig bemerkt worden, daß die Summa des Staatsrechts der Weimarer Republik, das große, von Gerhard Anschütz und Richard Thoma herausgegebene Handbuch des deutschen Staatsrechts erst 1930 und 1932 erschien, also genau in dem Moment, in dem die Verfassungsordnung der Weimarer Republik bereits ausgehöhlt wurde. Aber 1922 oder 1923 hätte es wohl auch noch gar nicht erscheinen können, denn die geistige Klärung war zu diesem Zeitpunkt noch nicht erfolgt. Vielleicht waren die Jahre am Anfang der Republik zu unruhig für eine intensive staatsrechtliche Debatte, vielleicht brauchte es auch Zeit, die Wirkungsweise der Verfassung in der Praxis zu sehen, vielleicht hat auch der Generationswechsel, den die deutsche Staatsrechtslehre erfuhr, zur Verzögerung beigetragen. Außerdem brauchen große Bücher, wie sie ab 1925 in bemerkenswerter Zahl zu erscheinen begannen, auch geistige Zeit für Reflexionen und physische Zeit, um die Gedanken auch tatsächlich zu Papier zu bringen. Was auch immer der Grund war, in den ersten Jahren der Republik gab es jedenfalls nicht die große und grundsätzliche Debatte um das Wesen der Verfassung, wie sie die zweite Hälfte kennzeichnete. Preuß konnte sich also schon deshalb nicht an der Debatte beteiligen, weil sie im Moment seines Todes eigentlich erst begann1. Hätte er sich weiter an ihr beteiligt? Das ist sehr wahrscheinlich, obwohl er sich in den letzten Jahren mit staatsrechtlichen Arbeiten sehr zurückgehalten 1
Ausführlich zur staatsrechtlichen Debatte in Weimer unter dem Blickwinkel des Preußschen Werkes D. Lehnert, Verfassungsdemokratie als Bürgergenossenschaft, 316ff.
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IV. Epilog – Spuren eines Lebens
hatte. Aber einer Grundsatzdebatte hätte er wohl nicht ausweichen wollen, und mit den beiden aus seinem Nachlaß edierten großen Fragmenten, der großen historischpolitischen Studie über Verfassungspolitische Entwicklungen in Deutschland und Europa und dem teilweisen Verfassungskommentar Reich und Länder stand er bereit, seinen Beitrag zu liefern. Nur blieben beide Werke eben Fragmente, und ihr Autor konnte nicht mehr eingreifen, um seine Stimme zu Gehör zu bringen. 1925 erschien Kelsens Allgemeine Staatslehre2, 1927 Hellers Buch über die Souveränität3, 1928 Schmitts Verfassungslehre4 und Smends Verfassung und Verfassungsrecht5. Es ist kaum eine Frage, daß Preuß auch mit den Vertretern einer neuen Generation um die Grundlagen von Recht und Politik gerungen hätte, wie er auch schon mit Laband und Jellinek, mit Seydel und Hänel eine Generation zuvor gestritten hatte. Einzig Gerhard Anschütz, 1867 geboren und damit nur wenig jünger als Preuß, hatte sein eigenes Opus magnum, den Verfassungskommentar zur Weimarer Reichsverfassung, schon 1921 vorgelegt6. Mit Anschütz verband Preuß politisch und auch menschlich am meisten von allen engeren Kollegen, aber wissenschaftlich trennte den Rechtspositivisten Anschütz viel von seinem Freund. Die Grundlagendebatte nach 1925 ging von anderen Positionen aus als von denen des Genossenschaftsrechts. Vielleicht wäre dies etwas anders gewesen, wenn auch Preuß sich an ihr hätte beteiligen können. So blieb es eine Debatte zwischen Positionen des Rechtspositivismus (Anschütz), der neuen Integrationslehre (Smend), des Dezisionismus (Schmitt), der Reinen Rechtslehre (Kelsen) und einer sich entwickelnden Lehre des sozialen Rechtsstaates (Heller), deren politische Implikationen Preuß sicher am nächsten kamen. Auch diejenigen, die Preuß in die Debatte hätten einbringen können, wie Hugo Sinzheimer, der zu diesem Zeitpunkt mit pluralistischen Gedanken experimentierte, wollten oder konnten die Verbindung zu Preuß nicht sehen. Selbst in seinem großen Werk über Jüdische Klassiker der deutschen Rechtswissenschaft, der noblen Antwort auf die Hetzartikel des Opportunisten Schmitt7, hat Sinzheimer Hugo Preuß nicht unter die Klassiker gezählt. Auch Sinzheimers Schüler Ernst Fraenkel, der für seinen Neopluralismus durchaus gedankliche Anleihen bei Preuß hätte machen können, hat später darauf verzichtet. Seine ausgesprochen negative Sicht der Wei 2 3 4 5 6 7
Hans Kelsen, Allgemeine Staatslehre, Berlin 1925. Hermann Heller, Die Souveränität. Ein Beitrag zur Theorie des Staats- und Völkerrechts, Berlin 1927. Carl Schmitt, Verfassungslehre, München 1928. Rudolf Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, München 1928. Gerhard Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919. Ein Kommentar für Wissenschaft und Praxis, 3. Bearbeitung, 12. Aufl., Berlin 1930 (erstmals 1921). Hugo Sinzheimer, Jüdische Klassiker der deutschen Rechtswissenschaft, Amsterdam 1938; Carl Schmitt, Die deutsche Rechtswissenschaft im Kampf gegen den jüdischen Geist. Schlußwort auf der Tagung der Reichsgruppe Hochschullehrer des NSRB vom 3. und 4. Oktober 1936, in: Deutsche Juristen-Zeitung, 41 (1936), Sp. 1193–1199. Es ist der gleiche Schmitt, der 1930 so freundlich über Hugo Preuß gesprochen hatte.
IV. Epilog – Spuren eines Lebens
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marer Verfassung hat sein Urteil über den Urheber des Entwurfs gefärbt. Es ist bedauerlich, daß Fraenkel der Blick verstellt war, denn gerade wegen seiner einflußreichen Stellung in der deutschen Politikwissenschaft der sechziger Jahre hätte er viel für eine Rezeption von Preuß tun können. Was bleibt? Um heute noch politikwissenschaftliches Interesse beanspruchen zu können, reicht es nicht aus, daß Preuß eine historisch wichtige Figur war. Die ist er fraglos, aber das gilt auch für andere Männer (und einige Frauen) aus dieser Zeit, die trotzdem noch nicht einmal die wissenschaftliche Aufmerksamkeit gefunden haben, die Hugo Preuß jedenfalls in letzter Zeit auf sich gezogen hat. Aus seinem Denken und Handeln muß eine Erkenntnis struktureller politischer Prozesse gewonnen werden können, muß eine politiktheoretische Substanz sichtbar werden, die grundlegende Fragen aufwirft oder gar beantwortet, und muß zumindest eine Vorläuferrolle für ideengeschichtliche Prozesse deutlich werden, die auch heute noch wichtig sind. Ist Hugo Preuß in diesem Sinne ein auch heute noch lebendiger politischer Theoretiker? Es spricht eine Menge dafür, daß das der Fall ist. 1. Preuß ist anscheinend der erste Praktiker und Theoretiker der deutschen Demokratie, der das Prinzip der wehrhaften Demokratie entdeckt hat. Er hatte schon bei den Verfassungsberatungen gesehen, daß eine Demokratie ihren erklärten Feinden entschlossen gegenübertreten muß. Dieser Gedanke ist nicht erst eine Erfindung der Bundesrepublik Deutschland, er ist auch nicht erst in der unmittelbaren Abwehr des Nationalsozialismus diskutiert worden8. Hugo Preuß hat ihn ab 1919 ebenso unermüdlich wie ergebnislos eingefordert. Abgesehen von der kurzen Periode nach der Ermordung Rathenaus hat es nie eine wirklich entschlossene und von der Bereitschaft aller demokratischen Kräfte getragene kämpferische Abgrenzung der Demokratie nach rechts gegeben. 2. Eine wehrhafte Demokratie ist nicht durch Verfassungsregeln, Strafandrohungen und Verordnungen allein zu erreichen, sondern durch die Gemeinsamkeit der Demokraten, die ihr Korrelat ist. Auch hier hat Hugo Preuß für Einheit in den wesentlichen Strukturfragen der Republik geworben, auch hier hatte er nur wenig Erfolg. Die Einheit der Demokraten läßt sich nicht erzwingen, sie muß aus einer inneren Bereitschaft zur Demokratie geboren werden, die in Weimar fehlte. Golo Mann hat diese Voraussetzung richtig gesehen: Dies setzte die Weimarer Verfassung eigentlich voraus: daß die Deutschen sich über die Grundbegriffe ihres Zusammenlebens einig wären. Daß man untereinander sich achtete, mit einander zu leben bereit war. Verschiedenheiten der Interessen, der Meinungen, die durfte es geben; es gab sie überall, mit ihnen konnte man fertig werden. Aber die Nation mußte in leidlichem
8
Vgl. Loewensteins Beiträge in der Diskussion „Aussprache am zweiten Tage. Wahlrechtsreform“, in: Verhandlungen der Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer 1932, Heft 7, 193. Hierzu siehe Markus Lang, Das Problem der Macht in der Verfassungstheorie Karl Loewensteins, unveröff. Magisterarbeit, Jena 1998, 44.
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IV. Epilog – Spuren eines Lebens Frieden mit sich selber und mit der Außenwelt sein. War sie das nicht, so konnte keine Verfassung ihr helfen.9
3. Damit ist bereits angesprochen, daß politische Stabilität einer bestimmten politischen Kultur, auch einer Streitkultur bedarf, um wirksam zu werden. Der Gedanke der Bürgergesellschaft, der „civic society“ im Sinne von Gabriel Almond und Sidney Verba ist eine normative Forderung von Preuß, weil er ihre Unabdingbarkeit für eine demokratisch verfaßte Gesellschaft erkannt hatte. 4. Ein analytischer Ausfluß hiervon sind die Überlegungen Preuß’ zu den Grundlagen des Parteiensystems. Nicht jedes Parteiensystem harmonisiert mit jedem Staatsaufbau, und die Kompromißfähigkeit der Parteien untereinander ist eine wesentliche Voraussetzung für die parlamentarische Demokratie. 5. Die Selbstverwaltung als Grundlage der Demokratie ist auch die Grundlage von Preuß’ politischem Denken. Dies ist eine Basis, die er nicht nur deshalb betont hat, weil es im Kaiserreich wenig andere Möglichkeiten gab, verantwortliches Handeln in der Bürgergesellschaft zu praktizieren. Preuß’ Vertrauen in die Selbstverwaltung reicht tiefer; sie ist für ihn nicht die kleine, noch nicht perfekte Form des großen Staates, sondern umgekehrt ist der Staat die nationale Form der Selbstverwaltung, auf der er beruht. Gerade dieser Gedanke hat in einer Zeit der Globalisierung und Lokalisierung, also der „glocalization“, eine hohe Aktualität. 6. Aus dem Selbstverwaltungsbegriff entwickelt sich eine Theorie des Föderalismus, die über die einfachen Bund-Länder-Gleichungen hinausgeht und auch den heutigen Politikwissenschaftler einlädt, analytische Kategorien für die Vielzahl neuer Gestaltungen zu finden. Regionen, ob im Rahmen der Europäischen Union institutionalisiert oder nicht, lokale Zusammenarbeiten über bis vor kurzem noch kaum überschreitbare Grenzen hinweg, das „Mehrebenensystem“ des heutigen Europa sind alles Phänomene, die mit dem alten, staatszentrierten Föderalismusbegriff nicht so recht in den Griff zu bekommen sind. Das Ideengerüst einer demokratischen Genossenschaftslehre kann hier vielleicht Hilfestellung leisten; zumindest ist es ein möglicher Zugang, der erst noch auf einen Versuch harrt. 7. Die Überwindung der Fixierung auf den Staat führt auch zur Preußschen Abrechnung (so muß man es wohl nennen) mit dem Souveränitätsbegriff. An keiner Stelle hat Preuß in einer rein staatstheoretischen Frage so vehement, so engagiert und zugleich mit so viel Gift in der Feder argumentiert wie hier. Der Verbindung der Souveränität mit ihrem historischen Entstehen im frühneuzeitlichen Staat entspricht für Preuß ihr Untergang mit der Überwindung des Absolutismus im modernen Verfassungsstaat. Den Begriff der Souveränität hat Preuß nicht aus der Staatslehre verbannen können. Aber in der Sache hat er zu einem guten Teil weitsichtig richtig gelegen, denn was heute als innere und äußere Souveränität eine 9
Golo Mann, Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, Frankfurt am Main 1992 (erstmals 1958), 681. An gleicher Stelle bewertet er insgesamt: „Eine wohlausgedachte Verfassung, alles in allem. Eine späte Erfüllung des Traumes, den die Männer der Paulskirche kaum zu träumen gewagt hatten.“ (ebd., 680). Und zu Hugo Preuß: „Hugo Preuß glaubte an das Deutsche (sic) Volk und an die Weisheit der Mehrheit. Es wurde dann einiges Wasser in seinen klaren Wein getan. Preußen blieb Preußen“ (ebd., 679).
IV. Epilog – Spuren eines Lebens
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dogmatische Rolle spielt, ist so vielfach gebrochen, eingeschränkt, antastbar und auf Rücksichten angewiesen, daß dies längst nicht mehr der robuste Begriff ist, gegen den Preuß angetreten ist. 8. Die positive Seite der Ablehnung des Souveränitätsdogmas ist die pluralistische Theorie der Demokratie als eines Nebeneinander, Miteinander und Gegeneinander von Interessen, aus deren Wechselspiel das entsteht, was Fraenkel später als „Gemeinwohl a posteriori“ bezeichnet hat. Preuß und auch schon Gierke haben dieses notwendige Entwicklungselement der modernen Gesellschaft gesehen und auch in seinen politischen Folgen akzeptiert. Vor allem Preuß hat nicht versucht, „den Staat“ von „der Gesellschaft“ künstlich getrennt zu halten. Vielmehr ist eine vibrierende, ihre Interessen auf vielerlei Arten artikulierende und politisch wahrnehmende Gesellschaft die einzige Methode, den staatlichen Mechanismus vor der doppelten Gefahr der neoliberalen Unterregulierung und der autoritären oder gar totalitären Überregulierung zu bewahren. In beiden Fällen hätte er seine Aufgabe nicht erfüllt. 9. Die analytische Seite des Pluralismus ist für Preuß auf dem Weg über den Organismusbegriff und die demokratische Genossenschaft die Systemtheorie. Die Verknüpfung der Elemente von Politik und Gesellschaft zu einem in sich verwobenen System von Abhängigkeiten, Chancen und Aufgaben ist nicht das geringste Erbe des Preußschen theoretischen Denkens, zugleich aber auch das am wenigsten beachtete. Wenn man die Schlacken der Terminologie entfernt, findet man ein bemerkenswert funktionsbereites System als Kern der Preußschen Politikanalyse. 10. Alles dies läuft darauf hinaus, daß Preuß’ Denken eine wichtige Vorreiterfunktion für den demokratischen Verfassungsstaat erfüllt. Das gilt in doppeltem Sinne, zum einen als politikwissenschaftliches Begreifen der Grundlagen und Strukturen, die einen solchen Staat erfolgreich sein lassen, bzw. deren Abwesenheit sein Gedeihen gefährden, zum anderen als normatives Modell, das die Quintessenz des praktischen und theoretischen Bestrebens von Hugo Preuß darstellt. Er hat dieses Modell als Volksstaat bezeichnet und dem Obrigkeitsstaat gegenübergestellt, aber es ist der moderne, aus der westlichen politischen Tradition stammende demokratische Verfassungsstaat, der damit gemeint war. Das alles ist sowohl analytisch fruchtbar wie praktisch umsetzbar, normativ durchdacht und historisch-genetisch argumentiert, so daß man sich noch einmal fragen muß, warum die deutsche Politikwissenschaft nicht früher auf die Ideen und Ansätze von Hugo Preuß zurückgegriffen hat. Einige Hindernisse wurden bereits erwähnt, die Abgrenzung von der gescheiterten Republik von Weimar, die auch die geistige Abgrenzung gegen ihren Vater zur Folge hatte, die Orientierung von Fraenkel und anderen frühen Politikwissenschaftler an den USA, was die Sicht auf deutsche Vorläufer versperrte. Die antiquierte Terminologie von Preuß, die in der genossenschaftlichen Sprache, wenn auch nicht in der Sache, ein wenig in die Irre geführt hatte, trug das ihre dazu bei, daß man erst mit einigem Bemühen auf die nach wie vor wertvollen Bestandteile stieß. Erst jetzt scheint die Zeit für dieses Bemühen gekommen zu sein. Preuß ist nicht der erste wichtige demokratische Theoretiker, der lange auf die gebührende Anerkennung warten mußte. Johannes Althusius war über Jahrhunderte
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IV. Epilog – Spuren eines Lebens
hinweg nicht einmal Experten bekannt, bis Otto Gierke ihn im Rahmen seiner Arbeit an der Geschichte des deutschen Genossenschaftsrechts wiederentdeckte. Heute ist Althusius aus der Ideengeschichte des modernen und demokratischen Staates, bei allen Disputen im Detail, nicht mehr wegzudenken. Hugo Preuß ist vielleicht kein Klassiker im Sinne des Althusius. Aber die deutsche Politikwissenschaft ist auch nicht so reich an demokratischen Vordenkern, daß man auf herausragende Beispiele verzichten kann. Harry Graf Kessler, ein Zeitgenosse, aber nicht unbedingt ein Freund von Hugo Preuß, hat 1928 die Deutsche Demokratische Partei charakterisiert. Sie sei durch Naumann von vornherein sozial gewesen, durch die Diplomaten und Pazifisten in ihren Reihen auf weltpolitische Verständigung aus und „durch große Intellektuelle wie Max Weber und Hugo Preuß auf die Vorherrschaft des Geistes ... eingestellt“10. In dieser Umgebung ist der richtige Platz für Preuß.
10 Harry Graf Kessler, Walther Rathenau. Sein Leben und sein Werk, Berlin-Grunewald 1928, 271.
QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS A. SCHRIFTEN VON HUGO PREUß 1. Bücher und selbständige Schriften 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23.
Friedenspräsenz und Reichsverfassung. Eine staatsrechtliche Studie, Berlin 1887 Gemeinde, Staat, Reich als Gebietskörperschaften. Versuch einer deutschen Staatskonstruktion auf Grundlage der Genossenschaftstheorie, Berlin 1889 Das Völkerrecht im Dienste des Wirtschaftslebens, Berlin 1891 (Volkswirthschaftliche Streitfragen, 13, H. 99/100) Die Bodenbesitzreform als sociales Heilmittel, Berlin 1892 (Volkswirthschaftliche Streitfragen, 14, H. 109–111) Reichs- und Landes-Finanzen, Berlin 1894 (Volkswirthschaftliche Streitfragen, 16, H. 121/22) Die Junkerfrage, Berlin 1897 (Sonderabdruck aus der Wochenschrift „Die Nation“) Die Maßregelung jüdischer Lehrerinnen an den Berliner Gemeindeschulen. Rede, gehalten in der Sitzung der Stadtverordneten am 1. Dezember 1898 (Stenographischer Bericht nebst einer orientirenden Vorbemerkung), Berlin 1898 Das städtische Amtsrecht in Preußen, Berlin 1902 Das Recht der städtischen Schulverwaltung in Preussen, Berlin 1905 Die Entwicklung des deutschen Städtewesens, 1. Bd.: Entwicklungsgeschichte der deutschen Städteverfassung, Leipzig 1906 Die wirtschaftliche und soziale Bedeutung der Stein-Hardenbergschen Reform, Berlin 1908 (Volkswirthschaftliche Streitfragen, 29, H. 232) Zur preußischen Verwaltungsreform. Denkschrift verfaßt im Auftrage der Ältesten der Kaufmannschaft von Berlin, Leipzig und Berlin 1910 Das deutsche Volk und die Politik, 6.–8. Tsd., Jena 1916 (erstmals 1915) Obrigkeitsstaat und großdeutscher Gedanke. Zwei Vorträge, Jena 1916 Deutschlands Staatsumwälzung. Die verfassungsmäßigen Grundlagen der deutschen Republik, Berlin o.J. (1919) Bergbriefe, Frankfurt a.M. 1921 (Flugschriften der Frankfurter Zeitung) Artikel 18 der Reichsverfassung. Seine Entstehung und Bedeutung, Berlin 1922 Deutschlands Republikanische Reichsverfassung, 2. erw. Aufl., Berlin o.J. (1923) Der deutsche Nationalstaat, Frankfurt a.M. 1924 (Die Paulskirche. Eine Schriftenfolge. [2. Bd.]) Um die Reichsverfassung von Weimar, Berlin 1924 Staat, Recht und Freiheit. Aus 40 Jahren deutscher Politik und Geschichte. Mit einem Geleitwort von Theodor Heuss, Tübingen 1926 Verfassungspolitische Entwicklungen in Deutschland und Westeuropa. Historische Grundlegung zu einem Staatsrecht der Deutschen Republik. Aus dem Nachlaß hrsg. und eingel. v. Hedwig Hintze, Berlin 1927 Reich und Länder. Bruchstücke eines Kommentars zur Verfassung des Deutschen Reiches. Aus dem Nachlaß d. Verf. hrsg. v. Gerhard Anschütz, Berlin 1928
456
Quellen- und Literaturverzeichnis
2. Aufsätze, Beiträge in Sammelwerken und Zeitungsartikel 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27.
Kolonialpolitik und Reichsverfassung, in: Die Nation, 2 (1884/85), Nr. 16, 214–217 „Aus den Denkwürdigkeiten eines Deutsch-Amerikaners“, in: Die Nation, 2 (1884/85), Nr. 28, 409–412 Eine Entwicklungsgeschichte der deutschen Einheit, in: Die Nation, 2 (1884/85), Nr. 42, 637f. Deutschland und sein Reichskanzler gegenüber dem Geist unserer Zeit, Berlin 1885 (Deutsche Zeit- und Streitfragen, H. 209) Die russischen Auslieferungsverträge und die Reichskompetenz, in: Die Nation, 3 (1885/86), Nr. 9, 127–129 Eine Biographie des englischen Parlaments, in: Staat, Recht und Freiheit, Tübingen 1926, 510–518 (erstmals Die Nation 1886) Bluntschli und Lieber, in: Vierteljahrsschrift für Volkswirtschaft, Politik und Kulturgeschichte, 23, 1. Bd., 89. Bd. (1886), 60–80 Franz Lieber, ein Bürger zweier Welten, Berlin 1886 (Sammlung gemeinverständlicher wissenschaftlicher Vorträge, hrsg. v. Rud. Virchow und Fr. v. Holtzendorff, N.F., I. Serie, H. 1–24, Hamburg 1886, hier: H. 12, 437–480) „Finis Britanniae!“, in: Die Nation, 4 (1886/87), Nr. 4 (23.10. 1886), 55–57 Nationalitäts- und Staatsgedanke, in: Staat, Recht und Freiheit, Tübingen 1926, 527–537 (erstmals Die Nation 1887) Die neue Militärvorlage, in: Die Nation, 5 (1887/88), Nr. 12 (17.12. 1887), 161–163 Ein Besuch in Hottingen-Zürich, in: Staat, Recht und Freiheit, Tübingen 1926, 554–560 (erstmals Die Nation 1888) Die Jubelfeier der französischen Revolution, in: Staat, Recht und Freiheit, Tübingen 1926, 538–550 (erstmals Deutsches Montagsblatt 1888) Liberale und autokratische Revolutionäre, in: Staat, Recht und Freiheit, Tübingen 1926, 519– 527 (erstmals Die Nation 1888) Was uns fehlt. Politische Anregungen. Sonderabdruck aus dem Deutschen Montagsblatt, Berlin 1888 Entwicklung und Bedeutung des öffentlichen Rechts. Eine akademische Antrittsrede, in: Schmollers Jb., 13 (1889), 1349–1362 Die organische Bedeutung der Art. 15 und 17 der Reichsverfassung, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, 45 (1889), 420–449 Die Persönlichkeit des Staates, organisch und individualistisch betrachtet, in: Archiv des öffentlichen Rechts, 4 (1889), 62–100 Die Organisation der Reichsregierung und die Parteien, in: Staat, Recht und Freiheit, Tübingen 1926, 172–200 (erstmals Die Nation 1890) Besprechung zu „August Trieps, Das deutsche Reich und die deutschen Bundesstaaten in ihren rechtlichen Beziehungen, Berlin 1890“, in: Archiv des öffentlichen Rechts, 6 (1891), 581–584 Die Sozialdemokratie und der Parlamentarismus, in: Staat, Recht und Freiheit, Tübingen 1926, 144–172 (erstmals Der Zeitgeist. Beilage zum Berliner Tageblatt 1891) Naturgesetze der Politik?, in: Der Zeitgeist. Beiblatt zum Berliner Tageblatt, Nr. 1 (4.1. 1892); und Nr. 2 (11.1.) Rudolf von Gneist, in: Staat, Recht und Freiheit, Tübingen 1926, 503–509 (erstmals Die Nation 1895) Die Umsturzvorlage und die Städte, in: Soziale Praxis, 4, Nr. 32 (6.5. 1895), Sp.472–475 Politik und Kommunalpolitik, in: Die Nation, 15 (1897/98), Nr. 9 (27.11. 1897), 132f. Vor den Landtagswahlen, in: Die Nation, 15 (1897/98), Nr. 46 (13.8. 1898), 654–657; und Nr. 47 (20.8. 1898), 668–671 Konfessionelle Kandidaturen, in: Die Nation, 16 (1898/99, Nr. 2 (8.10. 1898), 17–19
Quellen- und Literaturverzeichnis 28. 29. 30. 31. 32. 33. 34. 35. 36. 37. 38. 39. 40. 41. 42.
43.
44. 45. 46. 47. 48. 49. 50. 51. 52. 53. 54.
457
West-Oestliches Preußen, in: Staat, Recht und Freiheit, Tübingen 1926, 200–230 (erstmals Die Nation 1899) Das Bekenntnis des Kultusministers und die Konfessionalität der Berliner Schulen, in: Die Nation, 16 (1898/99), Nr. 28 (8.4. 1899), 396–398 Zuschrift an die Vossische Zeitung, Nr. 512 (31.10. 1899) A Zur Methode juristischer Begriffskonstruktion, in: Schmollers Jb., 24 (1900), 359–372 Die staatliche Bestätigung der Mitglieder städtischer Schuldeputationen nach preussischem Recht, in: Archiv des öffentlichen Rechts, 15 (1900), 202–225 „Politik und Selbstverwaltung“, in: Die Nation, 18 (1900/01), Nr. 9 (1.12. 1900), 132–135 Qu’est-ce que le tiers-état?, in: Die Nation, 17 (1899/1900), Nr. 29 (21.4. 1900), 402–405 Geschichte des Bestätigungsrechts in Preußen, in: Pr.Jbb., 107 (1902), 261–298 Über Organpersönlichkeit. Eine begriffskritische Studie, in: Schmollers Jb., N.F. 26 (1902), 557–596 Stellvertretung oder Organschaft? Eine Replik, in: Iherings Jbb., 44, 2.F. 8 (1902), 429–479 Sozialismus und Konstitutionalismus, in: Staat, Recht und Freiheit, Tübingen 1926, 230–251 (erstmals Die Nation 1903) Novae epistolae obscurorum virorum, in: Staat, Recht und Freiheit, Tübingen 1926, 560– 582 (erstmals Die Nation 1903–1907) Ein Zukunftsstaatsrecht, in: Archiv des öffentlichen Rechts, 18 (1903), 373–422 Vom ministeriellen Bekleidungsstück, in: Die Nation, 22 (1904/05), Nr. 3, 37f. Germany – The Government, in: The Americana. A Universal Reference Library. Comprising the Arts and Sciences, Literature, History, Biography, Geography, Commerce, etc., of the World. Hrsg. v. Frederick Converse Beach, 16 Bde., New York 1904–1906, hier 7. Bd., o.J., unpag. [6 S.] Germany – The Judiciary, in: The Americana. A Universal Reference Library. Comprising the Arts and Sciences, Literature, History, Biography, Geography, Commerce, etc., of the World. Hrsg. v. Frederick Converse Beach, 16 Bde., New York 1904–1906, hier 7. Bd., o.J., unpag. [3 S.] Das Recht der Stadtgemeinden an den Gemeindeschulen in Preußen, in: Die Nation, 22 (1904/05), Nr. 1, 3–5 Kommunale Steuerfragen. Korreferat zum Referat A. Wagners vor der Ortsgruppe Berlin der Gesellschaft für Soziale Reform, in: Schriften der Gesellschaft für soziale Reform, 2, H. 3 (H.15 der ganzen Reihe), Jena 1904, 34–59 (= 171–195) Zur sozialen Entwickelungstendenz städtischer Selbstverwaltung, in: Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik, 1 (18.5. 1905), 858–856 Zum Recht der städtischen Schulverwaltung. Eine Replik, in: Archiv des öffentlichen Rechts, 20 (1906), 230–264 Der Liberalismus im Block, in: Der Morgen. Wochenschrift für deutsche Kultur, Jg. 1907, 568–570 Die internationale Entwicklung des Selbstverwaltungsprinzips, in: Kommunale Praxis, 7, Nr. 32 (9.8. 1907), Sp.745–748; und Nr. 33 (16.8.), Sp.769–772 Ein Jahrhundert städtischer Verfassungsentwicklung, in: Staat, Recht und Freiheit, Tübingen 1926, 25–73 (erstmals Städte-Zeitung 1908) Selbstverwaltung, Gemeinde, Staat, Souveränität, in: Staatsrechtliche Abhandlungen. Festgabe für Paul Laband zum fünfzigsten Jahrestage der Doktor-Promotion. Dargebracht von Wilhelm van Calker et al., Tübingen 1908, 2. Bd., 197–245 Verwaltungsreform und Politik. Eine Säkularbetrachtung, in: Zeitschrift für Politik, 1 (1908), 95–126 Zur Säkularfeier der Stein’schen Städte-Ordnung. 19. November 1808–1908, Frankfurter Zeitung, Nr. 321 (18.11. 1908) 4.M Zum 60. Geburtstag Theodor Barths, in: Staat, Recht und Freiheit, Tübingen 1926, 550–554 (erstmals Berliner Tageblatt 1909)
458 55. 56. 57. 58. 59. 60. 61. 62. 63. 64. 65. 66. 67. 68. 69. 70.
71. 72. 73. 74.
75. 76. 77. 78. 79.
Quellen- und Literaturverzeichnis Ein sozialpolitischer Schwanengesang, in: Pr.Jbb., 136 (1909), 103–116 Staat und Stadt, in: Staat, Recht und Freiheit, Tübingen 1926, 73–102 (erstmals Vorträge der Gehe-Stiftung, 1909) Politische Literaturglossen, Berliner Tageblatt, Nr. 64 (5.2. 1909) M; und Nr. 66 (6.2. 1909) M [Ansprache bei der Trauerfeier für Theodor Barth], in: Die Trauerfeier in Heidelberg; Mitteilungen aus dem Verein zur Abwehr des Antisemitismus 10. Juni 1909, 172f. Die Lehre Gierkes und das Problem der preussischen Verwaltungsreform, in: Festgabe der Berliner juristischen Fakultät für Otto Gierke zum Doktorjubiläum 21. August 1910, 1. Bd., Breslau 1910, 245–304 Die wahre Bedeutung des Tempelhofer Streites, Berliner Tageblatt, Nr. 587 (15.10. 1910) Der Tempelhofer Feldzug, in: Die Hilfe, 16, Nr. 40 (19.10. 1910), 634–636 Anschütz’ Kommentar zur preußischen Verfassung, in: Preußische Jahrbücher, 150 (1912), 473–483 Öffentliches und Privatrecht im Städtebau, in: Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie, 6 (1912/13), 341–365 Die kommunale Selbstverwaltung in Deutschland, in: Paul Laband et al. (Hrsg.), Handbuch der Politik, 1. Bd.: Die Grundlagen der Politik, Berlin und Leipzig 1912, 198–218 Verwaltungsreform und Staatsreform in Österreich und Preußen, in: Zeitschrift für Politik, 5 (1912), 219–235 Politik oder Demagogie, Vossische Zeitung, Nr. 460 (15.9. 1912) Verwaltung, in: Das Jahr 1913. Ein Gesamtbild der Kulturentwicklung. Hrsg. v. D. Sarason, Leipzig und Berlin 1913, 112–121 Wohnungsreform, Staatspolizei, Selbstverwaltung, Vossische Zeitung, Nr. 79 (13.2. 1913) M; und Nr. 92 (20.2.) M Karl Schrader als Politiker, in: Die Hilfe, 19, Nr. 20 (15.5. 1913), 308f. Zur Verwaltungsorganisation größter Städte, in: Die Hilfe, 19, Nr. 47 (20.11. 1913), 740– 743; und Nr. 48 (27.11. 1913), 757–760 [Teilwiedergabe des ersten Artikels auch unter dem Titel „Die Verwaltungsorganisation ganz großer Städte“, in: Kommunale Praxis, 14, Nr. 1 (3.1. 1914), Sp.10–13] Handwörterbuch der Kommunalwissenschaften, hrsg. v. Josef Brix, Hugo Lindemann, Otto Most, Hugo Preuß und Albert Südekum, 4 Bde., Jena 1914–1924, und 2 Ergänzungsbde., Jena 1927. Hieraus: 1. Bd. (1918): Art. „Autonomie“, 213f.; „Beamte“, 313–321; „Bestätigung“, 396–400; „Bürgermeisterei- und Ratsverfassung“, 481–488; „Decentralisation und Zentralisation“, 536– 539 2. Bd. (1922): Art. „Gemeinde“, 186–198; „Gemeinderat“, 258; „Gemeindesatzung“, 258; „Gemeindebeamte. Allgemeines“, 204–208; „Gemeindeverfassungen. Allgemeines“, 284; „Genehmigung“, 340; „Gilde“, 392 3. Bd. (1924): Art. „Kommunalverbände. I. Preußen“, 93–100; „Kreis“, 164; „Magistratsrat“, 322; „Provinz“, 503; „Ratsherr“, 513; „Ratsmann“, 513; „Reichs- und Gemeindeverfassung“, 541–543; „Rekognitionsgebühr“, 543; „Schöffen“, 627; „Selbstverwaltung“, 768–776; „Staatsaufsicht“, 808–813 4. Bd. (1924): Art. „Stadt und Stadtverfassung“, 1–17; „Stadtrat“, 45; „Verwaltungsorganisation. Allgemeines“, 342–344; „Verwaltungsorganisation. Preußen“, 344–356 Die Novelle zum preußischen Kommunalabgabengesetz, in: Deutsche Juristenzeitung, 19 (1914), Sp.402–407 Groß Berliner Neuorientierung?, Vossische Zeitung, Nr. 496 (28.9. 1915) A „Neue Zeit?“, Fränkischer Kurier, Nr. 505 (30.11. 1915) Burgfriedliche Gedanken zur Verwaltungsreform, in: Staat, Recht und Freiheit, Tübingen 1926, 102–109 (erstmals Frankfurter Zeitung, Nr. 357, 25.12. 1915, 1.M)
Quellen- und Literaturverzeichnis 80. 81. 82. 83. 84. 85. 86. 87. 88. 89. 90. 91. 92. 93. 94. 95. 96. 97. 98. 99. 100. 101. 102. 103. 104. 105. 106. 107. 108.
459
Die Legende vom Störenfried, in: Staat, Recht und Freiheit, Tübingen 1926, 252–273 (erstmals Internationale Rundschau 1916) Neuorientierung der inneren Verwaltung, in: Alfred Bozi und Hugo Heinemann (Hrsg.), Recht, Verwaltung und Politik im Neuen Deutschland, Stuttgart 1916, 163–176 Die Wandlungen des deutschen Kaisergedankens, in: Staat, Recht und Freiheit, Tübingen 1926, 273–289 (erstmals Rede vom 27.1. 1916) Innere Staatsstruktur und äußere Machtstellung. Vortrag Wien 6.4. 1916, in: Obrigkeitsstaat und großdeutscher Gedanke, Jena 1916, 3–25 Großdeutsch, Kleindeutsch und die Idee des nationalen Staate. Vortrag Wien 8. 4. 1916, in: Obrigkeitsstaat und großdeutscher Gedanke, Jena 1916, 29–57 Rudolf Gneist. 13. August 1816 – 23. Juli 1895, Vossische Zeitung, Nr. 412 (13.8. 1916) Völkerrecht und Völkerkrieg, Neue Badische Landeszeitung, 61, Nr. 446 (1.9. 1916) Die Kanzlerfalle. Eine Säkular-Erinnerung, Berliner Tageblatt, Nr. 505 (2.10. 1916) A [anonym erschienen] Deutsche Demokratisierung, in: Staat, Recht und Freiheit, Tübingen 1926, 335–344 (erstmals Internationale Rundschau 1917) Des Reiches bundesstaatlicher Charakter in Gefahr?, in: Der März. Eine Wochenschrift, 11 (1917), 371–379 Stein-Hardenbergsche Neuorientierung, in: Staat, Recht und Freiheit, Tübingen 1926, 109– 129 (erstmals Annalen für soziale Politik und Gesetzgebung 1917) Vorschläge zur Abänderung der Reichsverfassung und der preußischen Verfassung, nebst Begründung, in: Staat, Recht und Freiheit, Tübingen 1926, 290–335 (erstmals als Manuskript gedruckt 1917) Weltkrieg, Demokratie und Deutschlands Erneuerung, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, 44 (1917/18), 242–264 Wahlrechtsfragen und „Konservativer Fortschritt“, in: Europäische Staats- und Wirtschaftszeitung, 2, Nr. 21 (26.5. 1917), 533–535 Zur Verwaltungsreform in Preußen, Berliner Tageblatt, Nr. 294 (12.6. 1917) M Parlamentarisierung, Frankfurter Zeitung, Nr. 213 (4.8. 1917) 1.M Wahlen ohne Wahlkreise, Frankfurter Zeitung, Nr. 228 (19.8. 1917) 2.M Obrigkeitspolitik und Wahlrecht, Berliner Tageblatt, Nr. 605 (27.11. 1917) M Einfach das Reichstagswahlrecht!, Frankfurter Zeitung, Nr. 352 (21.12. 1917) 1.M Groß-Berlins Zukunft, Berliner Tageblatt, Nr. 660 (28.12. 1917) M Der Kernpunkt der preußischen Wahlrechtsfrage, in: Europäische Staats- und Wirtschaftszeitung, 2, Nr. 52 (29.12. 1917), 1184–1186 Offener Brief an Herrn William Harbutt Dawson, in: Die neue Rundschau, 39. Jg. der freien Bühne (1918), 397–407 Deutschland und die „Zentren des europäischen Gewissens“, Frankfurter Zeitung, Nr. 235 (25.8. 1918) 1.M Nationaler Gegensatz und internationale Gemeinschaft, in: Staat, Recht und Freiheit, Tübingen 1926, 345–361 (erstmals Rektoratsrede vom 19.10. 1918, auch Deutsche Allgemeine Zeitung, Nr. 591, 20.11. 1918) Die Improvisierung des Parlamentarismus, in: Staat, Recht und Freiheit, Tübingen 1926, 361–364 (erstmals Norddeutsche Allgemeine Zeitung 26.10. 1918) Volksstaat oder verkehrter Obrigkeitsstaat?, in: Staat, Recht und Freiheit, Tübingen 1926, 365–368 (erstmals Berliner Tageblatt, Nr. 583, 14.11. 1918 M) Das Verfassungswerk von Weimar, in: Staat, Recht und Freiheit, Tübingen 1926, 421–428 (erstmals Das Neue Reich, Nr. 32, 1919, 6–9) Vorwort, in: Die deutsche Reichsverfassung vom 11. August 1919. Textausgabe, o.O. 1919 Denkschrift zum Entwurf des allgemeinen Teils der Reichsverfassung vom 3. Januar 1919, in: Staat, Recht und Freiheit, Tübingen 1926, 368–394 (erstmals Reichsanzeiger, 20.1. 1919)
460 109. 110. 111. 112. 113. 114. 115. 116. 117. 118. 119. 120. 121. 122. 123. 124. 125. 126. 127. 128. 129. 130. 131. 132. 133. 134. 135. 136. 137. 138. 139.
Quellen- und Literaturverzeichnis Begründung des Entwurfs einer Verfassung für das Deutsche Reich, in: Staat, Recht und Freiheit, Tübingen 1926, 394–421 (erstmals Rede in der 14. Sitzung der Weimarer Nationalversammlung) Der Grundstein für Deutschlands Wiederaufbau, Deutsche Allgemeine Zeitung, Nr. 369 (4.6. 1919) Die Verabschiedung der neuen Reichsverfassung, Deutsche Allgemeine Zeitung, Nr. 308 (1.7. 1919) Zur Verabschiedung der neuen Reichsverfassung, Hannoversche Zeitung, Nr. 152 (3.7. 1919) Literaten-Politik, in: Demokratische Partei Correspondenz, Nr. 209 (18.9. 1919) Das Bollwerk der Reichsverfassung, Berliner Börsen-Courier, Nr. 466 (6.10. 1919) Die Ursachen der Staatsumwälzung, Königsberger Hartungsche Zeitung, Nr. 571 (6.12. 1919) Vom Innern zum Aeußeren!, Berliner Tageblatt, Nr. 617 (25.12. 1919) Die Entwicklung der kommunalen Selbstverwaltung in Deutschland, in: Gerhard Anschütz et al. (Hrsg.), Handbuch der Politik. 1. Bd.: Die Grundlagen der Politik, 3. Aufl., Berlin und Leipzig 1920, 266–286 Vom Obrigkeitsstaat zum Volksstaat, in: Gerhard Anschütz et al. (Hrsg.), Handbuch der Politik, 3. Aufl., 3. Bd.: Die politische Erneuerung, Berlin und Leipzig 1920, 16–26 Die Verfassung des Freistaates Preußen, in: Deutsche Juristenzeitung, 25 (1920), Sp.793– 799 Zur preußischen Verfassungsfrage, in: Deutsche Politik, 5, Nr. 30 (23.2. 1920), 99–104 Das preußische Verfassungsproblem, Magdeburger Zeitung, Nr. 168 (6.3. 1920) Die „Unmöglichkeit“ des Notwendigen, Frankfurter Zeitung, Nr. 253 (4.4. 1920) 1.M Was bedeutet die Republik für Deutschland?, Frankfurter Zeitung, Nr. 339 (9.5. 1920) Warum bekenne ich mich zur Demokratie, Frankfurter Zeitung, Nr. 392 (31.5. 1920) Die Materialien zur Reichsverfassung. Eine Zuschrift, Berliner Tageblatt, Nr. 404 (31.8. 1920) Nationale Demokratie, in: Staat, Recht und Freiheit, Tübingen 1926, 429–433 (erstmals Berliner Tageblatt, Nr. 454, 26.9. 1920 M) Schwarz-Rot-Gold. Zum Nürnberger Parteitag, Berliner Tageblatt, Nr. 561 (8.12. 1920) Verfassung des Freistaates Preußen vom 30. November 1920, in: JöRG, 10 (1921), 222–279 „Republik und Monarchie“ – „Reich und Preußen“, in: Deutsche Politik, 6, Nr. 6 (4.1. 1921), 127–131 Die preußische Verfassung und die demokratische Landtagsfraktion, in: Der Demokrat, Nr. 2 (13.1. 1921) Ist Preußen ein ‚Land‘?, in: Staat, Recht und Freiheit, Tübingen 1926, 434–439 (erstmals Die Deutsche Nation, 3, Nr. 3, März 1921, 199–203) Unser Parlamentarismus und unsere auswärtige Lage, Berliner Tageblatt, Nr. 171 (13.4. 1921) M Um die Reichsfarben, in: Staat, Recht und Freiheit, Tübingen 1926, 439–442 (erstmals Frankfurter Zeitung, Nr. 428, 12.6. 1921, 1.M) Bergbriefe I–V, Frankfurter Zeitung, Nr. 523 (17.7. 1921), Nr. 530 (20.7.), Nr. 536 (22.7.), Nr. 542 (24.7.), Nr. 549 (27.7.) Zum zweiten Jahrestage der republikanischen Reichsverfassung, Berliner Tageblatt, Nr. 374 (11.8. 1921) M Parlamentarische Regierungsbildung, in: Staat, Recht und Freiheit, Tübingen 1926, 442–446 (erstmals Berliner Tageblatt, Nr. 476, 9.10. 1921) Republik oder Monarchie? Deutschland oder Preußen?, in: Staat, Recht und Freiheit, Tübingen 1926, 446–473 (erstmals Deutsche Revue 1922) Politischer Silvestertraum, Berliner Tageblatt, Nr. 1 (1.1. 1922) Volksgemeinschaft, Berliner Tageblatt, Nr. 1 (1.1. 1922)
Quellen- und Literaturverzeichnis 140. 141. 142. 143. 144. 145. 146. 147. 148. 149. 150. 151. 152. 153. 154. 155. 156. 157. 158. 159. 160. 161. 162. 163. 164. 165. 166. 167. 168. 169. 170. 171. 172. 173.
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B. UNGEDRUCKTE QUELLEN 1. Bundesarchiv Berlin (BAB) 01.01, Reichstag, Bd. 2844, 2889, 2892, 2894 06.01, Präsidialkanzlei, Bd. 225 (Film 19762) 07.01, Reichskanzlei, Nr. 2519 (Film 13269), 15.01, Reichsamt des Innern, Bd. 5686, 5687, 6114, 17141, 13504, 16447/1 61 Re 1, Reichslandbund Pressearchiv, Bd. 360 (Pön–Pre) 90 Pr 1, Nachlaß Hugo Preuss, Bd. 1–2 90 Hi 2, Nachlaß Max Hirsch, Bd. 16 90 Ha 4, Nachlaß Konrad Haenisch, Bd. 301 90 Br. 3, Nachlaß Broemel, Bd. 55 90 Na 5, Nachlaß Paul Nathan, Bd. 13
2. Bundesarchiv Koblenz (BAK) R 43/I: Akten der Reichskanzlei, Nr. 2298, 511, 913, 1863, 1864 Nachlaß David, Nr. 11, 14 Nachlaß Dietrich, Nr. 202, 216 Nachlaß Georg Jellinek, Nr. 23 Nachlaß Koch-Weser, Nr. 15, 16, 18, 19, 21, 24–26, 32, 78, 141, 142, 186–191, 193–196, 199 Nachlaß Lüders, Nr. 5 Nachlaß Lujo Brentano, NL 1/49 Nachlaß Luppe, Nr. 9, 57 Nachlaß Otto Landsberg, Nr. 328-1 Nachlaß Payer, Nr. 11, 12 Nachlaß Roesicke (MdR), Nr. 4 Nachlaß Schücking, Nr. 88 Nachlaß Solf, Nr. 60
3. Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin (auch Bestände des ehemaligen Deutschen Zentralen Staatsarchivs, Merseburg) (GStAPK) Rep. 76-Va, Sekt. 2, Tit. IV: Ministerium der Geistlichen, Unterrichts- und Medicinalangelegenheiten. Unterrichts-Abtheilung. Berlin. Universitätssachen. IV. Abtheilung, Nr. 49, Bd. II, III Rep. 84a: Preußisches Justizministerium, Nr. 6239–6241 Rep. 90: Preußisches Staatsministerium, Nr. 300–303, Nr. 185, 186, 226, 1880, 2501 Rep. 90a: Preußisches Staatsministerium. Abt. A, Tit. VIII. 1b. Nr. 6, Bd.1
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4. Stadtarchiv Berlin (StAB) Rep. 01: General-Bureau, Bd. 2733 (Akten betreffend den unbesoldeten Stadtrat, bisherigen Stadtverordneten, Professor Dr. Hugo Preuss) Rep. 14: Verkehrsdeputation, Bd. 4032 Bd. 1 und 4, 4036, 13405, Rep. 20-01: Schuldeputation, Bd. 364, 365
5. Staatsarchiv Hamburg (SAHH) Bestand 132-1 I, R IV (Deutsche Reichverfassung) Bestand 132-1 II, I.A.1a.1, Bd. 1–3 (Verfassung des deutschen Reiches vom 11. August 1919) Bestand 132-1 II, I.A.1b.1 (Nationalversammlung) Bestand 132-1 II, I.A.1d.1, Bd. 1 (Reichsrat. Allgemeines) Staatliche Pressestelle I–IV, 4300 Familienarchiv Petersen, L 53, L 54, L 59, L 62
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SACH- UND PERSONENREGISTER Die eingeklammerten Zahlen beziehen sich auf Fußnoten. Auf die Aufnahme von Begriffen, die die geamte Arbeit durchziehen (wie etwa „Hugo Preuß“, „Deutschland“, „Liberalismus“, „Staat“), wurde verzichtet. Albrecht, Eduard 18, 20, 44, 69 Althoff, Friedrich 222 (7), 224 (11), 231 (36), 232 (39), 236, 237 Amendement Bennigsen 87 Anhalt-Dessau, Wahlkreis 287 Anschütz, Gerhard 23 (27), 39, 42, 54, 83, 304f., 351, 449f. Anstalt 9, 32–34, 50, 68–71, 78, 106, 118, 120 (111), 125 (128), 132, 151, 247, 266 Antisemitismus 24, 193 (161), 210–218, 226, 229, 235 (50), 269, 270 (78), 288f., 297, 316 (149) Antisemitismus; Verein zur Abwehr des A. 160, 213, 218 Apt, Max 238–242, 247 (90) Aufsicht 68 (121), 83, 93, 104f., 165, 215, 228, 230, 243, 249, 251f., 254, 257, 265f., 268f., 271, 277, 280, 313, 383
Baden, Prinz Max von 326, 331, 336, 358 Bamberger, Ludwig 12, 155, 157–159, 161f., 188, 284 (10), 286 Barker, Ernest 137f., 145, 148f. Barth, Theodor 12f., 158–161, 182, 183 (119), 188, 196 (174), 213, 224, 255, 262, 286–288, 330, 337 Bauer, Gustav 362, 363 (114), 389, 393 Bayern 21, 26, 27, 29 (47), 101, 341 (46), 350 (75), 358–360, 373, 378, 382, 397, 408–410, 435f. Bayern, Verfassungsdenkschrift 409, 435f. Becker, Carl 446f. Bellamy, Edward 177–179 Bentley, Arthur F. 139 Berlin, Gemeindeschulen 215 (239), 228, 262–264, 266–270 Berlin, Groß-Berlin 258, 260–262, 275 (102), 276, 422 Berlin, Handelshochschule 3, 237–239, 241– 248, 282, 327 Berlin, jüdische Lehrer 215, 228, 230 (32), 269, 271
Berlin, kommunale Versorgungsbetriebe (Gas, Elektrizität, Wasser, Verkehr) 259, 271–274 Berlin, Lehrer 215, 228, 230 (32), 231, 234 (46), 235, 237f., 247, 262f., 266, 268– 270, 277 Berlin, Magistrat 98–100, 110, 127 (134), 163, 228f., 249, 253, 257, 260, 262, 264, 266–269, 270 (76), 275–281 Berlin, Nahverkehr 261, 272 (85), 274–276 Berlin, Schuldeputation 263f., 266f., 271, 277, 282 Berlin, Schulverwaltung 266 Berlin, Stadtrat 12, 121 (113), 163, 183, 253, 255 (24), 257, 276–279, 339, 344 (62), 416 Berlin, Stadtverordnetenversammlung 8 (29), 12, 92, 98f., 153, 163, 165, 170, 172, 182 (118), 209, 215 (239), 228–230, 233f., 249, 255–257, 259f., 262f., 266– 268, 270–273, 275–283, 285, 289 (33) Berlin, Stadtverordnetenversammlung, Beamte und Angestellte 277, 280, 282f., 289 (33) Berlin, Stadtverordnetenversammlung, Linke Fraktion 256, 260 Berlin, Stadtverordnetenversammlung, Sozialfortschrittliche Fraktion 260 Berlin, Stadtverordnetenversammlung, SPD 257, 267 Berlin, Universität 12, 220, 222 (8), 223 (8), 226–228, 231–237, 239, 241f., 244f., 305, 339, 389, 422, 429, 433 (98), 443, 446f. Berlin, Zweckverband 208, 250, 261, 276 Berliner Tageblatt 160, 162, 164, 169, 307, 334, 336, 339, 366, 409 (18), 412 Bernstein, Eduard 174, 176, 179f. Beseler, Georg 17, 31, 62 Bethmann Hollweg, Theobald von 238 (66), 307, 320f.
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Sach- und Personenregister
Bismarck, Otto Fürst von 4f., 16, 27, 85– 87,88 (203, 205), 112 (85), 156, 158f., 168 (62), 170 (68), 172, 187 (136), 188f., 191, 201, 216, 220, 234, 284, 286, 292f., 298, 303,309f., 360, 368, 388, 402, 435, 436 Bluntschli, Johann Caspar 77, 78 (162) Bodenreform 178 Bornhak, Conrad 223–225, 382 (179), 385 Bosse, Robert 222, 231 (36), 232, 269 Bracher, Karl Dietrich 2, 7, 401 Braun, Otto 375, 410f., 419, 421 (58), 423f., 430–432, 436, 439, 441, 445 Breitscheid, Rudolf 288 Brockdorff-Rantzau, Ulrich von 337 (32), 351 (81), 358, 389 (207), 390 Bülow, Bernhard Fürst von 4, 169, 231 (35), 285, 287f., 294, 297, 331 (9) Bundesrat (Kaiserreich) 39 (2), 86–89, 323, 353, 358, 360, 399 (244) Bundesstaat 21, 26 (36), 27f., 36 (77), 38– 40, 51 (54), 52, 56, 62, 84, 86, 89, 90–92, 101 (43), 108 (69), 110–114, 115 (89), 222, 292, 306 (108), 307 (111), 333 (19), 348, 356, 358, 359f., 371 (143), 409 (18), 434 (105), 437 Bürgertum (oder bürgerlich) 10, 91, 96, 106f., 117, 123 (121), 131 (146), 156– 158, 165, 167–169, 170 (67), 173f., 177 (94), 181, 182 (118), 183 (121), 186, 192 (155), 195, 196 (172), 198, 205 (203), 208f., 210 (221), 212–216, 218, 227, 239, 241, 247, 249, 254–256, 263, 283, 285, 287, 289, 294f., 309, 313, 329, 331, 333–339, 344, 346, 379, 381f., 410, 418, 422, 425, 429–431, 433 (99) Bürokratie 93 (11), 100, 103, 106f., 128f., 165, 193, 195 (168), 236f., 247, 283, 315, 334, 336
Cassel, Oskar 255 (24), 264 (54), 266, 268, 283 Claß, Heinrich 289, 297 Coker, Francis W. 139, 145 Cole, G.D.H. 137, 138, 151 Common Law 143
Dahl, Robert A. 138f., 145 (38) Dahlmann, Friedrich 14, 75 Darwin(ismus), Sozialdarwinismus 59f., 78, 80f., 134, 145, 153, 175 (86), 195, 212 David, Eduard 365, 394 (225)
DDP 163, 165, 187 (133), 203, 207f., 210, 213, 217, 248, 283, 304, 332, 346f., 357 (97), 364–368, 370 (141), 371 (144), 378, 382 (181), 385, 392–394, 402, 404, 410–412, 413 (31), 415–419, 422, 424– 426, 428–430, 432, 435, 440, 442, 445 (152), 446 DDP, Kandidatenaufstellung 14, 208, 217 (246), 283, 346, 365, 394, 411 (24), 417, 430, 442 Delbrück, Clemens 239f. 356, 369, 372, 380, 381 (179), 384, 392f., 395, 399, 402, 406f., 409, 442, 449 Delbrück, Hans 163, 298–301, 303 (93), 304–306, 317, 326, 368, 371 (144), 373 (152), 377, 379 (172) Demokratie, wehrhafte 204, 429, 442, 445, 451 Deutsche Allgemeine Zeitung (vorher Norddeutsche Allgemeine Zeitung) 327, 365 (122), 378 (170) Deutsche Hochschule für Politik 247, 447 Deutsche Tageszeitung 325, 333, 415 Dezentralisation 93, 98, 99 (32), 151 (59), 251, 435 (106), 438 Dietrich, Hermann 217, 218 (247, 248), 411 (26), 417 (45) DNVP 36, 148, 203, 210, 211 (224), 239 (66), 365–368, 371 (144), 374, 377–379, 395, 410, 415, 422 (63), 426f., 430, 440f., 449 Dolchstoßlegende 199 (184), 331 Dreiklassenwahlrecht (Preußen) 91, 202, 254, 256, 261f., 277, 285, 306, 324, 420 Drews, Bill 313, 315, 351, 438f. DVP 210, 365f., 368, 370 (139), 371 (144), 327 (178), 387 (203), 395, 410, 418, 419 (51), 422 (63), 426, 429–432, 439f., 441 (130)
Ebert, Friedrich 1, 197, 209, 334, 336–338, 343, 350, 357, 365, 366 (124), 388, 393, 394 (225), 401, 406f., 409 (16), 410, 421, Einheitsstaat 27, 112, 115 (89), 347, 366 (126), 369, 372f., 375, 427, 435 (108) Einheitsstaat, dezentralisierter 93, 98f., 114, 151, 175, 251, 275, 355, 374, 410, 435 (106), 436–439 Eisner, Kurt 1, 341 (46), 359f. Eltzbacher, Paul 242f., 245, 247 (90) Engels, Friedrich 174, 179 Erzberger, Matthias 315, 333, 388, 393, 404, 418, 445f.
Sach- und Personenregister Evolution 30, 50, 58–61, 77, 80, 131 (147), 132–134, 194f.
Feder, Ernst 1 (1), 9f., 12 (43), 209 (216) Fehrenbach, Konstantin 3, 258 (33), 365, 386, 429f. Fischbeck, Otto 217 (246), 415–417 Flürscheim, Michael 177f. Follett, Mary Parker 139 Fortschrittliche Volkspartei 189 (144), 254, 260, 285, 287, 291, 412, 416 Fortschrittspartei 26, 160, 173, 282, 284f., 412 Fraenkel, Ernst 140, 150, 204, 408, 450f., 453 Frankfurter Zeitung 162, 166 (50), 170 (67), 325, 330, 332, 338 (33), 364, 412 Frankreich 17, 73, 95 (19), 107f., 113, 120 (110), 125 (129), 157, 165 (49), 167 (55, 56), 168, 173 (78), 186 (131), 192, 200 (187), 212 (226), 278, 294, 297, 301, 303, 309 (125), 313 (136), 325, 326 (174), 353f., Frantz, Constantin 75, 77, 436 Freisinnige Vereinigung 158–160, 241, 285f., 288 (24) Freisinnige Volkspartei 26, 256 Friedrich, Deutscher Kaiser und König von Preußen 161, 234 Gemeinde 23 (27), 27, 35 (74), 39, 41 (10), 56, 66f., 69, 89f., 100–106, 110f., 112 (83), 114 (88), 120, 122, 127f., 130f., 136, 161, 184 (121), 193 (159), 194 (167), 215 (239), 228f., 250f., 253, 254 (20), 258 (33), 259, 260, 262–266, 268– 270, 295, 312, 315 (147), 344 (62), 422, 434 (102) Gemeindebeamte 23 (27), 103, 104 (51), 266, 268 (71) Genossenschaft 22, 24, 26, 30–32, 34f., 38, 41, 50, 54 (66), 58–60, 62, 64 (112), 68– 72, 83, 89, 90, 93 (11), 95 (19), 96, 101 (41), 102, 106, 108, 110–114, 116 (91), 118–120, 124 (125), 125, 130, 132, 137, 144–148, 151, 174, 180, 196 (172), 211 (222), 296 (60), 301f., 450, 452–454 Genossenschaftsrecht 145, 148, 450, 454 George, Henry 177, 178 Gerber, Carl Friedrich von 16, 19, 20, 22, 26, 40 (7), 44, 62, 71, 75f. Gerlach, Hellmuth von 288
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Gierke, Otto von 5, 12, 21 (20), 22, 26, 29– 36, 37 (77), 40, 50, 52 (57), 61 (96), 62, 68, 70–72, 94–96, 110, 116, 137, 139, 143–151, 153, 164, 174, 203, 211 (222), 223, 301f., 304, 453f. Gillessen, Günther 2, 6, 8, 9, 13 (46), 14 (47), 186 (131), 212 (225), 213 (229), 255 (24), 320 (166) Gneist, Rudolf von 5, 12 (43), 13 (45), 31, 52 (57), 92–97, 106f., 149, 163, 181, 213 Gothein, Georg 160, 213 Großbritannien / England 9 (34), 48f., 92– 94, 95 (19), 96 (24), 97 (27), 98 (28), 103 (50), 105 (55), 107–110, 113 (87), 137– 139, 143–149, 167 (55), 168, 212 (226), 222, 272, 299, 302 (90), 303, 313 (136), 351, 354–356, 369, 384, 390, 398 (235) Großdeutschland 201–204, 352, 370 (141), 417 (45) Grzesinski, Albert 431 (94), 439, 442, 445 Haller, Carl Ludwig von 17, 29 Hänel, Albert 12, 26, 40, 160, 162f., 223 (9), 450 Haussmann, Conrad 365 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 73, 92, 94, 138, 147, 148f., 301 Heine, Wolfgang 289–291, 423f., 427 Heller, Hermann 43 (18), 204, 423 (66), 450 Hellpach, Willy 442–444 Herrschaft 18, 23, 29, 31–34, 62, 65–68, 96 (25), 101f., 112, 118, 131 (147), 132f., 147, 185, 191f., 198, 284, 298f., 307, 329, 331 (8), 380, 383, 385 (194) Hertzka, Theodor 177 Herzfeld, Joseph 351, 353 Heuss, Theodor 1, 3, 9, 12f., 36, 115 (90), 122 (117), Hilferding, Rudolf 135 Hindenburg, Paul von 1, 199 (184), 320, 324f., 382, 391 (214), 411, 449 Hirsch, Paul 344, 357f., 373 (150), 376 (162), 420, 424, 427 (58) Hohenzollern 23, 36, 148, 156, 198, 228, 260, 279, 291, 293, 312, 323, 328, 334 Humboldt, Wilhelm von 128 (137) Ideen von 1798 121f., 165, 294, 377 Ideen von 1914 294, 300, 304, 316 Imperialismus 135, 156, 196 (174), 303 (90) Industrie 99, 143, 147, 159, 185f., 192, 249, 252, 296, 414
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Sach- und Personenregister
James, William 138f., 145 Jastrow, Ignaz 239, 241–244 Jellinek, Georg 12, 23–26, 30, 40, 58 (86), 102, 112 (83) 227, 349, 399 (245), 450 Jhering, Rudolf von 47f., 55, 59f. Jordan, Sylvester 14, 74 Judentum 4, 211, 217f. Junker 88 (205), 125–127, 182–189, 191– 196, 202, 214f., 257 Kaempf, Johannes 239f., 243, 256, 282, 285 Kahl, Wilhelm 223, 368 Kaiserreich, Verfassungsreformvorschläge (1917) 320–324, 328, 338 Kant, Immanuel 7, 10, 45, 73f., 121, 133, 137, 143, 442 Kautsky, Karl 174, 179, 333 Kelsen, Hans 204, 450 Kessler, Harry Graf 454 Kirschner, Martin 239, 250, 268 Klassenkampf 174, 208f., 212, 333, 335, 379 Klüber, Johann Ludwig 14, 17, 40, 74 Koch(-Weser), Erich 332, 346, 362–364f., 369, 371 (144), 374f., 378 (169), 381, 385–387, 394f., 417, 420, 430, 435, 438 Kommunitarismus 71 (134), 141f., 301 Körperschaft 12, 32, 34–36, 39, 61, 68–70, 82, 89, 96–98 (22, 27, 28) 101f., 106, 120, 125, 130–132, 153f., 220, 314, 358 (103), 425 Kreuzzeitung 164 (43), 198, 232, 325, 330f., 366 Laband, Paul 12, 16, 19–27, 29–31, 34–36, 40, 42 (13), 50–53, 56, 62, 65, 67, 70f., 75, 83–87, 89, 94, 98, 101f., 113f., 144, 154, 164, 221, 227, 291, 306 (108), 316f., 399 (245), 450 Land 18, 131, 253, 311f., 375 (159), 403, 411, 422, 432 Langerhans, Paul 234 (46), 282 Laski, Harold 30 (49), 42, 137f., 146, 149, 151 Lehnert, Detlef 6, 10, 268, 277 (110) Lewald, Theodor 351, 353 (84), 361 (107) Lex Arons 231f. Liebknecht, Karl 1 Liebknecht, Wilhelm 179 Lilienfeld, Paul von 79 Ludendorff, Erich 1, 320f., 324–326 Luther, Hans 411, 432, 435 Luxemburg, Rosa 1, 290, 333, 335
Maitland, Frederick 137f., 145–149, 151 Marx, Karl 11, 61 (96), 173f., 176f., 179, 181, 195, 203 (194), 208, 213 (228), 229 (31), 238 (60) Marx, Wilhelm 208, 411f., 432, 437, Maurenbrecher, Romeo 17f., 29, 69 Michaelis, Georg 309 Michels, Robert 176 (91), 299 Mirbach, Ernst Freiherr von 231–234 Mogi, Sobei 149 Mohl, Robert von 17, 74f., 147 Monarchie, konstitutionelle 18f., 29, 33f., 38, 88, 186 (131) 296f., 299, Monarchisches Prinzip 17f., 75, 86, 147, 193 (162) Nathan, Paul 9, 12, 162, 209, 287 (19), 305 Nation, Die (Zeitschrift, hrsg. von Theodor Barth) 83, 161f., 173, 202, 286 Nationalökonomie 53, 223 Nationalversammlung 3, 8 (29), 36 (75), 187 (75), 198, 210, 217, 239 (66), 330, 332– 353, 358, 360–363, 365–367, 371–379, 383, 386, 389f., 390, 402, 412–415, 417 (45), 420f., 426 Naumann, Friedrich 159 (19), 195f., 287f. (19, 24), 292, 369, 378 (169), 386f., 412 (29), 417, 454 Neugliederung des Reichsgebiets 155 (1), 289, 314, 350, 355, 357, 361, 396, 410, 418, 428, 434f, 437f., Notverordnungsrecht 382, 397 (232) Obrigkeitsstaat 40f., 67, 93 (11), 101, 103, 105, 116 (94), 123–125f., 127, 129 (138), 151, 162–168, 173, 196, 199f., 206, 214f., 219,291, 295f., 299–302, 304, 307f., 310, 313f., 319, 326, 328, 334f., 338, 385, 408, 453 Opposition 22, 26, 50, 125, 127, 138, 163– 165, 188f., 206f., 210, 220, 249, 254, 257, 259, 277, 284, 286, 328, 329f., 337f., 341 (45), 382, 408, 415, 429, 437, 441 (135), 462 Organismus 29, 35f., 56 (79), 60–65, 70–82, 101f., 113, 120, 124 (in den 125), 130f., 151, 153, 174, 453, Patriotismus 214, 278 Paulskirche; Verfassung von 1849 14f., 19, 157, 159, 193, 290, 321, 328, 351, 353, 356, 452 (9)
Sach- und Personenregister Payer, Friedrich von 306 (107), 308 (115) 351, 393 Person, juristische, Gliedperson, reale Gesamtperson 22, 28–32, 34f., 41, 51, 61–71, 82, 86 (192), 109, 118, 131f., 136, 144, 151, 153 Petersen, Carl Wilhelm 351, 353 (87), 417 Pfannkuch, Wilhelm 289, 365, 421 Pluralismus 5 (15), 42, 72, 82f., 89, 110, 136–145, 147–153, 175, 327, 355, 450, 453 Politikunfähigkeit 125, 169, 171, 300, 405, 408 Polizei 103, 106, 126f., 129, 173–175, 177, 193, 256f., 262, 264f. (55), 399 (234), 444f. Preuß, Else, geb. Liebermann 10 Preuß, Ernst (Sohn) 9, 163 (40), 212 (225), 310, 320 (166) Preußen, Abgeordnetenhaus 12, 26, 249, 254, 256, 282f., 285f., 298, 344, 416, 420 Preußen, Adel 184f., 192 Preußen, Allgemeines Landrecht (1795) 104 (51), 120, 124, 128f., 249–251, 265, 485 Preußen, Aufteilung 353, 361, 367, 374f., 410, 415, 421, 423, 437, 439 Preußen, Herrenhaus 186, 193, 261, 306, 314, 344 Preußen, Landtag 10, 14, 88 (205), 153f., 263, 404, 410f., 420, 432f., 439, 445–447 Preußen, Ministerpräsident (Kaiserreich) 88, 221, 293f., Preußen, Ministerpräsident (Weimarer Republik) 344, 357, 367, 373, 375, 410f., 420f., 423f., 429f., 432, 445, Preußen, Staatsrat 122, 422–425, 427 Preußen, Verfassung von 1920 420 Preußen, verfassunggebende Landesversammlung 420 Preußen, Verwaltungsreform 311, 313, 315, 429, 433f., 438, 441f. Preußische Jahrbücher 163, 298, 304 Problem Preußen 322, 352, 362, 371, 434, 437 Quarck, Max 352, 364 (114), 375 (156), 377 (161), 388 (203) Quidde, Ludwig 156, 164 (43), 187, 379, 418 Rat der Volksbeauftragten (auch Volksbeauftragte) 332, 334, 336–338, 339 (37), 340f., 358, 373, 415
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Räte (auch Rätedemokratie u.a.) 152, 199, 337, 340, 341 (42), 344, 347, 349, 362, 377–379 Rathenau, Walther 4, 10, 205, 217, 326, 404, 414, 444f., 451 Rawls, John 57, 141–143 (Rechts-)Positivismus 3, 16f., 20f., 23f., 26 (35, 36), 28f., 31, 43 (19), 50f., 53–55, 58, 72, 78 (162), 94, 112, 114, 144, 147, 223, 225, 265, 295, 355 (92), 443, 450 Rechtsstaat 18, 21, 31, 34, 41f., 70f., 82 (181), 85, 89, 105, 114 (88), 131 (147), 133, 213, 215, 227, 265 (55), 297, 383, 397, 400, 445, 450 Redlich, Josef 93–95, 107 (64) Redslob, Robert 354f., 381 Reichsamt des Inneren (auch Innenministerium) 280, 313, 336, 342 (47), 346, 350, 351 (79), 363 (115), 394, 436 Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold 208, 411 Reichskanzler (Kaiserreich) 87–89, 155, 188f., 221, 234 (48), 239, 285f., 293f, 297, 309, 321, 323, 331, 367, 406 Reichskanzler (Weimarer Republik) 3, 205, 355, 363 (115, 116), 405 Reichsrat 323, 361, 372, 373, 375f., 399 (244), 422, 428, 436, 437 (114) Reichsreform 86 (190), 396, 408, 433 (101), 434f., 439 Reichstag (Kaiserreich) 3, 12, 23 (27), 26, 84f., 87–89, 159f., 172f., 181, 191, 220f., 231 (35), 239, 243, 249, 256, 263, 267, 282, 284–288, 292f., 295, 298f., 306– 309, 321, 323f., 379, 416, 420 Reichsverfassung, Art. 18 375, 396f., 435 (106), 436, 438 Reichsverfassung, Art. 48 397, 409 Revisionismus (auch Revision und Revisionist) 174, 176, 179 (105), 180, 192 (154), 265, 290, 321, 322 (169), 397 (231), 398, 422 (63), 435 Rheinland 342, 367, 372, 391, 421, 423, 427, 437, Richter, Eugen 26, 159, 182, 282f., 285 (14), 286 Rickert, Heinrich 12, 160, 162, 213, 284 (10), 286 Romantik 76f., 102 (45), 148, 158 Römisches Recht 30f., 34, 41, 64, 70f., 110, 119, 143f. Rönne, Ludwig von 83 Rote Fahne 333, 366 (124) Rotteck, Karl von 14, 17, 74
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Sach- und Personenregister
Savigny, Friedrich Carl von 22 (24), 55, 62, 64, 96 (23) Schäffle, Albert 78–80 Scheidemann, Philipp 1, 213, 309, 327, 333f., 344 (59), 349, 362–365, 376 (162), 388–390, 404 Schiffer, Eugen 217, 393, 394 (225), 413, 414 (34) Schmitt, Carl 3, 18f., 43 (18), 49, 76, 149, 150 (53), 241, 247 (90), 292, 450 Schmoller, Gustav 211, 232, 304–306, 318 Schrader, Karl 12, 160, 162, 286f., 291 Schücking, Walther 132, 164, 241, 247 (90), 301, 304, 317, 386 (198), 393, 417, Schulze, Heinrich 12, 83 (182) Schulze, Hermann 75 Schwarz-Rot-Gold 203f., 208, 368f., 370 (139,141), 402 Schwarz-Weiß-Rot 203, 368f., 370 (141), 402, 417 Selbstverwaltung (auch Selfgovernment) 5, 13 (44, 45), 24 (27), 35, 41 (10), 54 (66), 56 (79), 91–110, 114 (88), 136, 257, 336 Selfgovernment, lokales 96, 98, 101, 106, 108, 110, 129, 295, 441 Selfgovernment, nationales 13 (45), 93, 95, 98, 101, 106, 108, 110, 113, 129, 356, 452 Separatismus 341 Severing, Carl 424f., 441, 445 Seydel, Max von 12, 21, 26–30, 35 (73), 36, 40, 48, 56, 58, 65, 67, 83, 111, 112 (82), 450 Simons, Walter 3, 9, 352 Singer, Paul 231 (35), 260, 264 (54), 267f., 277, 282 Skinner, Quentin 11 Smend, Rudolf 451 Souveränität 21f., 23 (27), 27, 28 (43), 36, 37 (77), 38–47, 49f., 70f., 87, 89, 102, 110f., 112 (82), 114 (88), 132, 138f., 143, 148, 365, 399, 450, 452f. Souveränität, Staatssouveränität 18f., 38, 47, 67, 69, 301 Souveränität, Volkssouveränität 17f., 29, 38f., 43f., 50, 298, 399 Sozialisierung 180, 352, 379 Sozialrecht 32, 58, 50f., 66f., 69, 89, 118, 131, 151 (58) Spann, Othmar 153 SPD (auch MSPD und Sozialdemokraten) 5 (12), 169, 172–174, 176, 179–183, 198 (181), 207–210, 215 (239), 230 (32), 231 (35), 255–257, 260, 267, 275, 277, 282,
284f., 287–289, 291, 329, 331 (8), 334f., 339f., 344, 346f., 350f., 357, 364 (117), 365f., 369, 370 (141), 372, 375, 379, 381f., 386 (198), 387, 394, 409, 411, 421–423, 425, 427, 429–431, 439f., 442 Staat, nichtsouveräner 21f., 27, 92, 102, 111, 114 Staatenhaus 353, 354 (89), 355f., 373, 376, 398 Staatslehre 17, 19, 21, 23 (27), 28, 58, 69, 72, 75, 79, 111, 112 (82), 130, 147, 290, 443, 450, 452 Staatstheorie, organische 29, 72f., 78, 81f., 114, 130 Staatswissenschaft 53, 59 (87), 60 (95), 78, 164, Stadt, Geschichte 2, 33, 91, 275 Städteordnung 91, 98, 103 (50), 105, 122, 124–129, 168, 229, 249, 254f., 257, 264– 266, 277 (109), 295, 312, 315 Städteordnung, Bürgermeisterverfassung 99 Städteordnung, Magistratsverfassung 98f., 278 Stadtrat 12, 121 (113), 163, 183, 253, 255 (24), 257, 276, 277 (109), 278f., 339, 344 (62), 416 Stahl, Friedrich Julius 17f., 29, 40, 75 Stegerwald, Adam 430f. Stein, Karl vom 13 (45), 107, 120–124, 129, 351 Stein, Lorenz von 95, 147 Stresemann, Gustav 210, 409f., 412 Ströbel, Heinrich 357f. Studt, Konrad von 231, 232, 233 (45) Subordination 93, 104, 137, 251 Sybel, Heinrich von 156, 232 (38) 351f., 413f. Treitschke, Heinrich von 52, 87, 129 (139), 156, 163, 298 Triepel, Heinrich 348, 397, 443f. Troeltsch, Ernst 197, 303f., 392, Trott zu Solz, August von 237 Tucholsky, Kurt 197 Undeutsch 4, 202, 210, 211, 216, 218 (250) Unitarismus 28 (43), 86 (190), 87, 322, 352 (82, 84), 371, 377, 437 USA (auch Amerika) 49, 82, 108, 110, 113f., 134 (156), 138f., 141, 145, 146 (43), 149f., 177, 179, 200 (186), 241, 297–299, 321, 326, 351, 353, 354 (89), 356, 380f., 384, 388, 395, 399 (244), 442, 453
Sach- und Personenregister USPD (auch Unabhängige) 152, 217 (244), 329, 334, 336–338, 340f., 344, 349–351, 353, 357, 365, 366 (126), 369, 371, 378, 379, 381–383, 392, 418 (47), 422, 426, 42/ Verfassungsstaat, demokratischer (auch moderner) 14, 33, 34 (68), 39, 46, 50, 71, 131, 201, 296, 444, 452f. Verhältniswahlrecht 324f., 340 (40), 339, 345f., 349, 399, 402, 413f. Versailler Vertrag (auch Versailles und Friedensvertrag) 199, 301, 327, 331, 358, 367, 388–395, 400, 404, 421, 445 Völkerrecht (auch Völkerrechtler) 44, 46– 49, 77, 84 (188), 113, 132–136, 155 (3), 164, 181 (111), 221, 223, 244, 304, 317– 319, 327, 386 (198) Volkssouveränität 17f., 38f., 43f., 46, 50, 298, 399 Volksstaat 13, 40, 162, 165, 171, 196, 198, 200f., 205, 211 (222), 214, 218f., 295f., 299–302, 304, 306, 308f., 313, 320, 323f., 326, 334, 398, 444, 453 Vollgraff, Karl 74 Vossische Zeitung 162, 234, 331 (9), 333f., 378, 412, 416 Wahlkampf (auch Wahlkämpfe) 206, 207 (209), 283, 289f., 340, 409–412, 414, 430 Wahlrecht, Preußen (Dreiklassenwahlrecht) 91, 202, 254–257, 261f., 277, 285, 306f., 310, 324, 420 Waitz, Georg 21, 27, 40, 52, 75, 111 (82), 112 (82) Weber, Alfred 411f. Weber, Max 11, 24, 63, 67, 134, 166, 169, 170 (68), 180, 191f., 195, 196 (174), 197, 206 (204), 290, 295, 308, 332, 336, 338f., 346,Wehrhafte Demokratie 204, 429, 445, 451 Weimarer Reichsverfassung, „clausula antiborussica“ 376, 439 Weimarer Reichsverfassung, Expertenkonferenz 348–352, 355, 358 Weimarer Reichsverfassung, Grundrechte 353, 355f., 362, 380, 383–388, 396, 425, 444 (146)
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Weimarer Reichsverfassung, Länder 39 (4), 70, 108, 110, 113, 152 (60), 154, 203 (194), 339 (37), 350, 352, 372 (144), 373, 376, 384 (193), 387 (204), 396, 398, 400 (247), 402, 422, 436f., 450, 452 Weimarer Reichsverfassung, Länderkonferenz 339 (37), 359, 376 Weimarer Reichsverfassung, plebiszitäre Elemente 361 Weimarer Reichsverfassung, Reichspräsident 208, 350, 352, 354f., 363 (115, 116), 365, 366 (124), 380 (175), 381f., 399, 401 (252), 405–407, 408 (12), 410f., 421, 431, 442, 449 Weimarer Reichsverfassung, Reichsrat (und Staatenhaus) 323, 353, 354 (89), 355f., 361, 372f., 375f., 398, 399 (244), 422, 428, 436, 437 (114), 439–441 Weimarer Reichsverfassung, Staatenausschuß 348f., 359f. Weimarer Reichsverfassung, Verfassungsentwürfe 2f., 86, 88, 162, 211, 322, 324f., 337–340, 346–351, 355– 362, 366–368, 371, 373f., 376 (164), 377, 379, 384, 386 (198), 396, 415f., 421, 423, 451 Welcker, Carl Theodor 14, 17, 74, 77 Weltbühne (Zeitschrift) 197 Weltkrieg, Erster 109 (72), 112, 132, 135f., 148, 165, 198f., 214f., 228, 252, 257, 261, 269, 296, 300f., 308, 310, 316–319, 324f., 339, 402 Wermuth, Adolf 250, 255 (24), 275 (101), 279f., 281 (120), 343f. Wilhelm I., Deutscher Kaiser und König von Preußen 156, 234 Wilhelm II., Deutscher Kaiser und König von Preußen 163, 187, 232 (38), 294 (52) Wilson, Woodrow 200, 326f., 331, 388, 395 Wirth, Joseph 205, 210, 411 (25), 430, 445 Wolff, Theodor 169, 330, 411f., 420 (55) Wolzendorff, Kurt 300–303 Zentrum 182, 207, 209f., 218, 284, 285 (12), 309, 327, 336, 347, 363 (113), 366f., 370 (141), 376 (162), 382 (181), 386 (198, 200),387f., 394, 410f., 418f., 421–423, 425 (77), 426 (78), 427, 429–431, 440 Zorn, Philipp 12, 16 (2), 26 (36), 28 (43), 40, 83, 86 (190), 87, 132, 164
Michael Dreyer / Andreas Braune (Hg.)
Weimar als Herausforderung Die Weimarer Republik und die Demokratie im 21. Jahrhundert
Weimarer Schriften zur republik – band 1 die herauSgeber Michael Dreyer ist Professor für politische Theorie und Ideengeschichte an der FriedrichSchillerUniversität Jena, Vorstandsvorsitzender des Weimarer Republik e.V. und Leiter der Forschungsstelle Weimarer Republik. Andreas Braune ist Politikwis senschaftler und stellvertreten der Leiter der Forschungsstelle Weimarer Republik an der FriedrichSchillerUniversität Jena.
Die deutsche Demokratie steht im 21. Jahrhundert vor neuen und vielfältigen Herausforderungen: Sinkende Wahlbeteiligung und steigende Politikverdrossenheit, neue Parteien und Protest bewegungen (zum Teil mit sehr alten Ideen), Terror in der Welt und die Rückkehr des Krieges nach Europa, soziale Ungleich gewichte in Europa und in Deutschland – die Liste ließe sich verlängern. Soll ausgerechnet die Weimarer Republik, die „überforderte Republik“ (Ursula Büttner), Antworten auf diese Fragen parat haben? Mit dem näher rückenden Zentenarium der ersten deut schen Demokratie untersuchen die Autorinnen und Autoren, welche Herausforderungen „Weimar“ heute an Wissenschaft und museale Vermittlung, an politische Bildung und politische Praxis stellt – und wie „Weimar“ helfen kann, unsere Demokratie heute zu beleben. mit beiträgen von Heiko Maas, Alexander Gallus, Andreas Braune, Marcus Llanque, Tim B. Müller, Ursula Büttner, Detlef Lehnert, Christoph Gusy, Franz Josef Düwell, Walter Mühlhausen, Torsten Oppelland, Martin Sabrow, Arnulf Scriba, Alf Rößner, Thomas Schleper, Stephan Zänker, Christian Faludi, Moritz Kilger, Michael Dreyer
2016 XVI, 310 Seiten mit 11 s/w-Fotos, 10 s/w-Abbildungen und 3 Tabellen 978-3-515-11591-9 kart. 978-3-515-11592-6 e-book
Hier bestellen: www.steiner-verlag.de
Andreas Braune / Michael Dreyer (Hg.)
Republikanischer Alltag Die Weimarer Demokratie und die Suche nach Normalität
Weimarer schriften zur republik - band 2 die herausgeber Andreas Braune ist Politikwissenschaftler und stellvertretender Leiter der Forschungsstelle Weimarer Republik an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Michael Dreyer ist Professor für politische Theorie und Ideengeschichte an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Vorstandsvorsitzender des Weimarer Republik e.V. und Leiter der Forschungsstelle Weimarer Republik.
2017 XVIII, 353 Seiten mit s/w-4 Fotos, 4 s/w-Abbildungen und 3 Tabellen 978-3-515-11952-8 kart. 978-3-515-11954-2 e-book
Die Jahre von 1918/19 bis 1933 sind eine turbulente Zeit in der deutschen Geschichte. Zwischen Putschversuchen und Wirtschaftskrisen, Straßenkämpfen und einem „Staatsstreich auf Raten“ kannte die Weimarer Republik nur eine kurze Phase der Stabilität. Für die Zeitgenossen war sie aber das politische System, das das Kaiserreich abgelöst hatte und nun das politische und gesellschaftliche Leben der Bürgerinnen und Bürger prägte – und zwar vermeintlich auf Dauer. Überall deuteten sich ein neues republikanisches Selbstverständnis, neue demokratische Spielregeln und Handlungsformen an. Die Republik wurde mehr und mehr zur Normalität. Einen selbstverständlichen und unangefochtenen republikanischen Alltag gab es in der Weimarer Republik jedoch nicht. „Weimar“ war eine Transformationsgesellschaft, die nach dem Alltag der Republik suchte und um ihn rang. Die Autorinnen und Autoren dieses Bandes bieten mit den hier vereinten aktuellen Forschungen ein Kaleidoskop der Normalitäten, mit allen Anfeindungen und Erfolgen, die die Weimarer Republik kennzeichneten. mit beiträgen von Marcel Böhles, Andreas Braune & Michael Dreyer, Albert Dikovich, Sebastian Elsbach, Christian Faludi, Reiner Fenske, Anne Gnausch, Oded Heilbronner, Dominik Herzner, Florian Heßdörfer, Friederike Höhn, Volker Köhler, Paul Köppen, Daniel Münzner, Ronny Noak, Martin Platt, Sebastian Schäfer, Antonia Schilling, Rebecca Schröder, Thomas Schubert, Alexander Wierzock, Verena Wirtz
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Andreas Braune / Mario Hesselbarth / Stefan Müller (Hg.)
Die USPD zwischen Sozialdemokratie und Kommunismus 1917–1922 Neue Wege zu Frieden, Demokratie und Sozialismus?
Weimarer schriften zur republik - band 3 die herausgeber Andreas Braune ist Politikwissenschaftler und stellvertretender Leiter der Forschungsstelle Weimarer Republik an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Mario Hesselbarth ist Historiker und ehrenamtlicher Mitarbeiter der Rosa-LuxemburgStiftung Thüringen e.V. Stefan Müller ist Historiker und Referent im Archiv der sozialen Demokratie (AdsD) der Friedrich-Ebert-Stiftung.
Die Spaltung der Arbeiterbewegung zwischen Kommunismus und Sozialdemokratie prägte die verhängnisvolle Geschichte des 20. Jahrhunderts in Deutschland entscheidend mit. In Vergessenheit gerät dabei oft, dass sich zu Beginn nicht KPD und SPD gegenüberstanden. Vielmehr hatte sich im April 1917 die USPD in Opposition zur Burgfriedenspolitik der SPD gegründet. Sie war an den Protesten und Massenstreiks gegen den Krieg beteiligt und trat in der Revolution 1918/19 für einen radikaleren Schnitt mit der alten Ordnung ein. Zwischen einer an Stabilität orientierten SPD und dem zur Weltbewegung strebendem Kommunismus war für die USPD als radikalem Flügel der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung jedoch bald kein Platz mehr. Die kurze Phase der USPD als Massenpartei von 1917 bis 1922 veranschaulicht, dass es in den Vorstellungen der Zeitgenossen viele Wege zu Frieden, Demokratie und Sozialismus gab – in jedem Fall mehr als zwei. Der Blick auf die USPD lädt dazu ein, den offenen Zukunftshorizont der Akteure des demokratischen Aufbruchs seit 1918 ernster zu nehmen. mit beträgen von Stefan Müller & Andreas Braune & Mario Hesselbarth, Hartfrid Krause, Wolfgang Kruse, Thilo Scholle, Walter Mühlhausen, Max Bloch, Marcel Bois, Stefan Bollinger, Bernd Braun, Mike Schmeitzner, Axel Weipert, Reiner Tosstorff
2018 XXXII, 262 Seiten mit 7 s/w-Fotos und 3 s/w-Abbildungen € 46,– 978-3-515-12142-2 kart. 978-3-515-12148-4 e-book
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Hugo Preuß (1860–1925) war nicht nur einer der wichtigsten theoretischen Vordenker der modernen Demokratie in Deutschland, sondern war als Politiker auch wesentlich an der Verfassunggebung der Weimarer Republik beteiligt. Als Staatsrechtler entwickelte Preuß die demokratische Genossenschaftstheorie und zählt damit zu den Begründern des Pluralismus in Deutschland. Zudem war Preuß als politischer Publizist aktiv im Kampf für die Demokratisierung des Kaiserreiches und ergriff nach 1919 zur Verteidigung der Republik und zur Abwehr des Antisemitismus die Feder. Preuß war damit ein früher Verfechter des Konzepts der wehrhaften Demokratie gegen die vor allem rechten Feinde der Weimarer Republik. Als liberaler Politiker wurde Preuß in der Berliner Kommunalpolitik ein Exponent sozialliberaler Ideen. 1918 war er Mitbegründer der Deutschen Demokratischen Partei und zeichnete als erster Reichsinnenminister der Weimarer Republik für die Wahlen zur Nationalversammlung und für den Prozeß der Verfassunggebung verantwortlich, den er vom ersten Entwurf der Verfassung bis zur Verabschiedung begleitete. Bis zu seinem Tod gehörte er dem Landtag Preußens an, wo er in der DDP für die Weimarer Koalition eintrat.
ISBN 978-3-515-12168-2
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