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German Pages IX, 421 [424] Year 2020
Holocaust Education – Historisches Lernen – Menschenrechtsbildung
Markus Gloe · Anja Ballis Hrsg.
Holocaust Education Revisited Orte der Vermittlung – Didaktik und Nachhaltigkeit
Holocaust Education – Historisches Lernen – Menschenrechtsbildung Reihe herausgegeben von Anja Ballis, München, Deutschland Michele Barricelli, München, Deutschland Markus Gloe, München, Deutschland
Die Reihe „Holocaust Education – Historisches Lernen – Menschenrechtsbildung“ verbindet inter- und transdisziplinär die beiden Ansätze von Holocaust Education und Menschenrechtsbildung, die sowohl im Bereich der Gesellschaftswissenschaften, der Sprachwissenschaften als auch im erziehungswissenschaftlichen Gesamtkontext der Vermittlung von demokratischen Werten in bildungspolitischen Zusammenhängen adressieren. Ausgewiesene Expertinnen und Experten aus verschiedenen Disziplinen, aber auch der wissenschaftliche Nachwuchs präsentieren in dieser Reihe neueste For schungsergebnisse, theoretische Grundlagen und dokumentieren die aktuelle interund transdisziplinäre Diskussion. Der wissenschaftliche Beirat der Reihe setzt sich zusammen aus Prof. Dr. Sascha Feuchert (Justus-Liebig-Universität Gießen), Prof. Dr. Jeanette Hoffmann (Technische Universität Dresden), Prof. Dr. Martin Lücke (Freie Universität Berlin), Prof. Dr. Tonio Oeftering (Carl von Ossietzky Universität Oldenburg), Prof. Dr. Martin Rothgangel (Universität Wien) und Dr. Noah Schenker PhD (Monash University, Melbourne). Die Reihe „Holocaust Education – Histori sches Lernen – Menschenrechtsbildung“ wendet sich an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich mit Fragen der Vermittlung des Holocausts und Fragen der Menschenrechtsbildung beschäftigen, sowie historisch-politische Bildnerinnen und Bildner in Schule und außerschulischen Kontexten.
Weitere Bände in der Reihe http://www.springer.com/series/16330
Markus Gloe · Anja Ballis (Hrsg.)
Holocaust Education Revisited Orte der Vermittlung – Didaktik und Nachhaltigkeit
Hrsg. Markus Gloe Ludwig-Maximilians-Universität München München, Deutschland
Anja Ballis Ludwig-Maximilians-Universität München München, Deutschland
ISSN 2662-1886 (electronic) ISSN 2662-1878 Holocaust Education – Historisches Lernen – Menschenrechtsbildung ISBN 978-3-658-24206-0 ISBN 978-3-658-24207-7 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-24207-7 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informa tionen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer VS ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany
Inhalt
Zur Einführung Warum, Wo und Wie? Überlegungen zu Holocaust Education im Spannungsfeld von Orten der Vermittlung und nachhaltigen Bildungskonzepten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Markus Gloe und Anja Ballis Orte der Vermittlung „Man behandelt sie bewusst wie Tiere.“ Sprachliche Zugänge zur Erinnerung bei Führungen in KZ-Gedenkstätten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Moritz Lautenbach-von Ostrowski Außerschulische Lernorte wie das KZ Osthofen neu entdeckt. Wie „aktivierte Rundgänge“ durch selbstreguliertes Lernen und Fachsprachentraining tiefgreifende Lernprozesse fördern . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 Cornelia Dold „Ich brauch des auch immer, dass ich mir des vor Ort anschau …“ Studierende und ihre Auseinandersetzung mit Holocaust und NS-Verbrechen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 Cathrin Eckerlein
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Inhalt
„Mit der Schule in einer KZ-Gedenkstätte – an was erinnere ich mich noch heute?“ Ergebnisse einer Befragung von Studierenden geschichtswissenschaftlicher Studiengänge an der Ludwig-MaximiliansUniversität München . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 Bernhard Schoßig Holocaust Education und schulische politische Bildung. Chancen und Grenzen der Vermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 Andreas Brunold „Diesen Spagat weiß ich selber jetzt noch nicht so genau, wie ich den überhaupt lösen kann.“ Eine Typologie des didaktischen Ichs von Lehrkräften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 Michael Penzold NS-Dokumentationszentren als neue Zentren der Holocaust Education? Historisches Lernen am historischen Ort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 Hannes Liebrandt Nähe und Distanz zu Täterschaft in der Auseinandersetzung mit Propaganda. Empirische Befunde zu Orientierungen in Lern- und Bildungsprozessen Jugendlicher am ehemaligen Reichsparteitagsgelände Nürnberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 Karl-Hermann Rechberg „Bis zu meinem vierten Lebensjahr wohnte ich in Frankfurt.“ Frankfurts heterogene Erinnerungstopographien und verspätete Gedenkpraktiken an den Holocaust . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 Oxane Leingang Erinnerung an das Weiterleben. Ein jüdisches Displaced Persons (DPs) Kinderlager als Schulprojekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 Winfried Adam Trace and Aura at Sites of Former Nazi Concentration Camps . . . . . . . . . . . . 203 Gary Bruce
Inhalt
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„Machen Sie eigentlich auch was mit Flüchtlingen?“ Bildungsarbeit an Erinnerungsorten und Gedenkstätten in rassismuskritischer Absicht . . . . . . 219 Jennifer Farber und Jens Hecker Didaktik und Nachhaltigkeit Incorporating Campus-Based Cultural Resources into the Humanities Curriculum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 Susan Jacobowitz Teaching and Learning History with the Concept of the Nazi Volksgemeinschaft – An Alternative for Holocaust Education? . . . . . . . . . . . 243 Uwe Danker and Astrid Schwabe Digitizing Willi Graf of the White Rose: A Role Model for the Millennials. Presentation for the Didactics and Sustainability Session . . . . . . 257 Stephani Richards-Wilson Spuren von (Selbst-)reflexivität in Texten von Schülerinnen und Schülern im Anschluss an eine Exkursion zur Mahn- und Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau. Überlegungen zu einem Dissertationsprojekt . . . . . . . 269 Ruth Fiona Pollmann Rechtfertigungsmuster nationalsozialistischer Verbrechen als Gegenstand von Holocaust Education. Die Moralstufenanalyse als Lehr-Lern-Arrangement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 Christian Fischer Holocaust Oral History – a Never Ending Story? Nachkomm*innen von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen in US-amerikanischen Memory Museums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 Anna Valeska Strugalla Das Schülerprojekt Geschichtomat. Zur Vermittlung jüdischer Geschichte mit digitalen Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 Carmen Bisotti
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Inhalt
Interactive 3D testimonies of Holocaust survivors in German language. Methodological framework for research and education . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 Anja Ballis and Markus Gloe Creating the Next Generation of “Witnesses”. My Journey through the Field of Holocaust Education . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 David Marshall Traumatisierendes oder allgemein-bildendes Lernangebot? Holocaust Education in der Grundschule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 Heike Wolter „Verfolgt und vertrieben“. Lernen mit Lebensgeschichten jüdischer Flüchtlingskinder auf der Schweizer Primarstufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 Christian Mathis und Urs Urech Zum Abschluss Comment on the conference “Holocaust Education Revisited – Near but far” . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 Michele Barricelli
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
Adam, Winfried, OStR: Lehrer für Deutsch, Geschichte und Sozialkunde am Karolinen-Gymnasium Rosenheim, teilabgeordnet an den Lehrstuhl für Didaktik der Deutschen Sprache und Literatur sowie Didaktik des Deutschen als Zweitsprache der Ludwig-Maximilians-Universität München. Forschungsschwerpunkte: Außerschulische Lernorte im Deutschunterricht; deutschsprachige Literatur aus Mittelosteuropa. Ballis, Anja, Prof. Dr.: Professorin für Didaktik der Deutschen Sprache und Literatur sowie Didaktik des Deutschen als Zweitsprache an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Forschungsschwerpunkte: Holocaust Studies; Bildungsmedienforschung; mehrsprachige Kinder- und Jugendliteratur. Barricelli, Michele, Prof. Dr.: Professor für Didaktik der Geschichte und Public History an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Forschungsschwerpunkte: Historische Kompetenzmodelle unter besonderer Berücksichtigung der narrativen Kompetenz; Geschichtsunterricht in der Migrationsgesellschaft; Zeitzeuginnen und Zeitzeugen im digitalen Zeitalter; Erinnerung an Demokratie und historisch-politisches Lernen. Bisotti, Carmen, Dr.: Projektleiterin des Geschichts- und Kulturvermittlungsangebots „Geschichtomat“ am Institut für die Geschichte der deutschen Juden in Hamburg; freie Mitarbeiterin auf dem Jüdischen Friedhof in Hamburg-Altona und im Museum für Hamburgische Geschichte. Forschungsschwerpunkte: Deutsche Nachkriegsgeschichte; Erinnerungskultur; Kulturvermittlung.
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Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
Brunold, Andreas, Prof. Dr.: Professor für Politische Bildung und Politikdidaktik an der Universität Augsburg. Forschungsschwerpunkte: Entwicklungspolitik und entwicklungspolitische Bildung; Bildung für nachhaltige Entwicklung; Kommunalpolitik; Global Governance und Globales Lernen; Politische Partizipation und Demokratie-Lernen; Holocaust Education. Bruce, Gary, Prof.: Professor für deutsche Geschichte an der Universität von Waterloo, Kanada. Forschungsschwerpunkte: Deutsche Demokratische Republik; Wiederstand, Opposition und Kriegsverbrechen in der Nazi-Ära. Danker, Uwe, Prof. Dr.: Professor für Geschichte und ihre Didaktik am Seminar für Geschichte und Geschichtsdidaktik der Europa-Universität Flensburg, Direktor der Forschungsstelle für regionale Zeitgeschichte und Public History (frzph) der Europa-Universität Flensburg. Forschungsschwerpunkte: Regionale Zeitgeschichte; NS-Geschichte und Kontinuitäten; Geschichte und Gesellschaft; Erinnerung und Geschichtskultur; Historisches Lernen außerhalb der Schule; Geschichte in neuen Medien; Kriminalitätsgeschichte der Frühen Neuzeit, Biografik. Dold, Cornelia, Dr.: Historikerin und Pädagogin, langjährige Mitarbeiterin der Gedenkstätte KZ Osthofen und seit April 2019 Leiterin des Hauses des Erinnerns – für Demokratie und Akzeptanz Mainz. Forschungsschwerpunkte: Regionalgeschichte; historisch-politische Bildung; außerschulisches Lernen; Gedenkstättenpädagogik; empirische Bildungsforschung. Eckerlein, Cathrin: Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Didaktik der deutschen Sprache und Literatur sowie des Deutschen als Zweitsprache an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Forschungsschwerpunkte: Holocaust literatur und ihre Didaktik; empirische Gedenkstättenpädagogik; Methoden der qualitativen Sozialwissenschaft in der Deutschdidaktik. Farber, Jennifer: Bildungsreferentin der NS Dokumentation Vogelsang IP. Arbeitsschwerpunkte: Themenfeld Erinnerungskultur und Migration; Partizipation; rassismuskritische Bildungsarbeit. Fischer, Christian, Dr.: Lehrer für Sozialkunde und Geschichte, Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Erfurt, Erziehungswissenschaftliche Fakultät, BMBF-Projekt: „Diktaturerfahrung und Transformation“. Forschungsschwerpunkte: Methoden der Politischen Bildung; Interpretative Unterrichtsforschung;
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
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politikdidaktische Praxis- und Aktionsforschung; politisch-historische Bildung; historische Bildungsforschung. Gloe, Markus, Prof. Dr.: Professor für Politische Bildung und Didaktik der Sozialkunde am Geschwister-Scholl-Institut der Ludwig-Maximilians-Universität München. Forschungsschwerpunkte: Historisch-politische Bildung; Demokratielernen; Lernen durch Engagement; Menschenrechtsbildung; Politische Urteilskompetenz. Hecker, Jens: Wissenschaftlicher Mitarbeiter am LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte. Arbeitsschwerpunkte: Projektmanager; Kurator; rassismuskritische Bildungsarbeit. Jacobowitz, Susan, Dr.: Außerordentliche Professorin für Englisch am Queensborough Community College (City University of New York). Forschungsschwerpunkte: Literatur der zweiten Generation; Jüdische Literatur; Jüdische Graphic Novels; Jüdische Literatur in Australien; Jüdische Nachkriegsliteratur in Europa. Lautenbach-von Ostrowski, Moritz: 2011–2014 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Universitäten Hamburg und Paderborn; 2015–2017 Promotionsstipendiat der Universität Hamburg am Institut für Germanistik; seit 2019 außerschulischer Lehrer in der Sozialen Arbeit. Forschungsschwerpunkte: Formen der Kommunikation in Institutionen und das Verhältnis von Sprache und Erinnerung, insbesondere in Bezug auf Nationalsozialismus, oral history und Gedächtnistheorien. Leingang, Oxane, Dr.: Akademische Rätin auf Zeit an der Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Technischen Universität Dortmund. Forschungsschwerpunkte: Kriegskindheiten; kinderliterarischer Kulturtransfer im 18. und 19. Jahrhundert; Märchenforschung. Liebrandt, Hannes, Dr.: Akademischer Rat am Lehrstuhl für Didaktik der Geschichte und Public History der Ludwig-Maximilians-Universität München. Promotion im Bereich der nationalsozialistischen Suizidforschung; seit 2015 Freier Mitarbeiter des NS-Dokumentationszentrums in München. Forschungsschwerpunkte: Geschichtsund erinnerungskulturelle Verortung der Dokumentationszentren in Deutschland. Marshall, David, PhD: Professor für Geschichte am Suffolk County Community College in Brentwood, New York und stellvertretnder Leiter am Social Sciences Department. Forschungsschwerpunkte: Holocaust Education im 21. Jahrhundert; Geschichtspräsentation im ehemaligen Museum für Deutsche Geschichte in der DDR. XI
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Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
Mathis, Christian, Prof. Dr.: Professor für Didaktik der Geschichte an der Pädagogischen Hochschule Zürich (PHZH). Forschungsschwerpunkte: Lehren und Lernen von Geschichte; frühes historisches Lernen; Außerschulisches Lernen; Geschichte im öffentlichen Raum; Geschichtskultur / Public History; Archäologie als Lerngegenstand; Holocaust Education; Politische Bildung; Sachunterricht; fächerverbindender Unterricht; Epistemic Cognition; Lehrpersonenbildung; Didaktische Rekonstruktion. Penzold, Michael, Dr.: Akademischer Oberrat am Lehrstuhl für die Didaktik der deutschen Sprache und Literatur sowie des Deutschen als Zweitsprache an der Ludwig-Maximilians-Universität München, Mitarbeiter im Projekt „Holocaust Education Revisited“. Forschungsschwerpunkte: Lehrkräfte und Holocaust / Shoah Education; Literatur- und Medien im Horizont der Holocaust Education. Pollmann, Ruth Fiona: Promotionsstudentin der Geschichtsdidaktik an der RWTH Aachen, Stipendiatin der Begabtenförderung der Konrad-Adenauer-Stiftung sowie Mitarbeiterin des Lehr- und Forschungsgebiets Didaktik der Gesellschaftswissenschaften an der RWTH Aachen. Forschungsschwerpunkte: Geschichtskultur; Erinnerungskulturen; Historisches Lernen. Rechberg, Karl-Hermann, Dr.: Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Institut für Praxisforschung und Evaluation (IPE) an der Evangelischen Hochschule Nürnberg. Forschungsschwerpunkte: Hilfe für Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen / Inklusion und Partizipation; Hilfe für Menschen speziell mit autistischer Dia gnose; Hilfe für geflüchtete Menschen, Hilfe für Menschen in Wohnungslosigkeit, Jugendhilfe; Jugendbildung; Lebens- und Arbeitszufriedenheit verschiedener Bereiche kirchlicher Arbeit; Qualitative Sozialforschung; Quantitative Sozialforschung; Instrumententwicklung; Organisationsentwicklung im sozialen, kirchlichen und im Gesundheitsbereich; Gemeinwohlökonomie; Lernen an historischen Orten zum Nationalsozialismus. Richards-Wilson, Stephani, Dr. Dr.: Direktorin des MBA-Studiengangs am Alverno College in Milwaukee, Wisconsin, USA. Forschungsschwerpunkte: Widerstand im „Dritten Reich“; das Führungsverhalten von Frauen; Betriebswirtschaft. Schwabe, Astrid, Prof. Dr.: Juniorprofessor für Public History sowie historisches Lernen im Sachunterricht am Seminar für Geschichte und Geschichtsdidaktik der EuropaUniversität Flensburg. Forschungsschwerpunkte: Außerschulische Geschichtskultur
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
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in Theorie, Analyse und Pragmatik; Historisches Lernen in, mit und durch digitale(n) Medien; Historisches Lernen im Grundschulalter; Neueste Regionalgeschichte einschließlich ihrer Vermittlung. Strugalla, Anna Valeska: Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Geschichtsdidaktik und Public history an der Eberhard Karls Universität Tübingen. Schoßig, Bernhard Dr.: Pädagogischer Leiter des Jugendgästehauses Dachau (heute: Max-Mannheimer-Haus – Studienzentrum und Internationales Jugendgästehaus) i. R., Lehrbeauftragter am Lehrstuhl für Didaktik der Geschichte und Public History der Ludwig-Maximilians-Universität München. Urech, Urs: Primarlehrer, Soziokultureller Animator, Gastdozent an der Pädagogischen Hochschule Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW). Geschäftsleiter der Stiftung Erziehung zur Toleranz, SET. Wolter, Heike, Dr.: Akademische Rätin in der Abteilung Geschichtsdidaktik an der Universität Regensburg. Forschungsschwerpunkte: Deutsch-jüdische Geschichte; Tourismusgeschichte; Geschichte von Räumen und DDR-Geschichte; Familie, Schwangerschaft und Geburt; Verlust und Trauer.
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Index of Authors Index of Authors
Adam, Winfried, OStR: Secondary school teacher (Germany, History, Social Studies) and research assistant at the Department of Didactics of German Language and Literature Education at the Ludwig-Maximilians-University Munich. Research interests: out-of-school places of learning in German classes; German literature from Central Eastern Europe. Ballis, Anja, Prof. Dr.: Chair of German Language and Literature at the Ludwig-Maximilians-University Munich. Research interests: Holocaust Studies; educational media research; multilingual children‘s and youth literature. Barricelli, Michele, Prof. Dr.: Chair of Didactics of History and Public History at the Ludwig-Maximilians-University Munich. Research interests: Historical competence models with special regard to narrative competence; history teaching in the migration society; contemporary witnesses in the digital age; memory of democracy and historical-political learning. Bisotti, Carmen, Dr.: Project manager of the history and culture education programme “Geschichtomat” at the Institute for the History of German Jews in Hamburg; freelancer at the Jewish Cemetery in Hamburg-Altona and at the Museum of Hamburg History. Research interests: German post-war history; culture of memory; cultural mediation. Brunold, Andreas, Prof. Dr.: Chair of Citizenship Education and Didactics of Social Studies at the University of Augsburg. Research interests: education for sustainable development, local politics, global governance and global learning; political participation and learning about democracy; Holocaust education. XV
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Index of Authors
Bruce, Gary, Prof.: Full Professor of German history at the University of Waterloo, Canada. Research interests: GDR; resistance and opposition, and war criminals of the Nazi era. Danker, Uwe, Prof. Dr.: Professor for History and History Didactics in the Department of History and History Didactics of the Europa-University Flensburg, Director of the Research Centre for Regional Contemporary History and Public History (abbreviated as frzph) at the Europa-University Flensburg. Research interests: regional contemporary history; NS-history and continuities; history and society; memory and historical culture; historical learning outside school; history in new media; criminal history of the early modern period; biography. Dold, Cornelia, Dr.: Historian and educator; staff member of the memorial site of the concentration camp Osthofen; since April 2019 director of the Haus des Erinnerns – für Demokratie und Akzeptanz Mainz. Research interests: regional history; historical-political education; extracurricular learning; memorial education; empirical educational research. Eckerlein, Cathrin: Research associate at the Chair of German Language and Literature Education at the Ludwig-Maximilians-University Munich. Research interests: Holocaust literature, empirical memorial sites pedagogy; methods of qualitative social science. Farber, Jennifer: Educator at NS Documentation Centre Vogelsang IP. Main areas of work: remembrance culture and migration; participation; racism-critical education. Fischer, Christian, Dr.: Teacher of Social Studies and History, Research Assistant at the University of Erfurt, Faculty of Education, BMBF project: “Dictatorship Experience and Transformation”. Research interests: methods of citizenship education; interpretative research on teaching; research citizenship education in practice and action; political-historical education; historical research on education. Gloe, Markus, Prof. Dr.: Head of the Department of Political Education and Didactics of Social Studies at the Geschwister-Scholl-Institute of the Ludwig- Maximilians-University Munich. Research interests: historical-political education; democracy citizenship education; Service Learning; human rights education.
Index of Authors
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Hecker, Jens: Research assistant at The Regional Association of Westphalia-Lippe (LWL). Main areas of work: project manager, curator, racism-critical educational work. Jacobowitz, Susan, Dr.: Associate English Professor at Queensborough Community College. The City University of New York. Research interests: second generation literature; Jewish & immigrant literature; the Jewish graphic novel; Australian Jewish literature; post-war Jewish writing in Europe. Lautenbach-von Ostrowski, Moritz: 2011–2014 research assistant at the Universities of Hamburg and Paderborn; 2015-2017 doctoral fellow at the University of Hamburg at the Institute of German Studies; since 2019 out-of-school teacher in social work. Research interests: forms of communication in institutions and the relationship between language and memory, especially with regard to National Socialism; oral history and theories of memory. Leingang, Oxane: Postdoctoral Researcher at the Faculty of Cultural Studies at the TU Dortmund University. Research interests: war childhoods; children’s literary cultural transfer in the 18th and 19th centuries; fairy tale research. Liebrandt, Hannes, Dr.: Assistant Professor at the Department of Historical Education and Public History at Ludwig-Maximilians University Munich; Ph.D. researching suicides in National Socialist culture; freelance docent at the Munich Documentation Centre for the History of National Socialism since 2015. Research interests: historical and commemorative localization of documentation centers in Germany. Mathis, Christian, Prof. Dr.: Professor of History Education at Zurich University of Teacher Education (PHZH). Research interests: teaching and learning of history; early historical learning; extracurricular learning; history in public space; history culture / public history; archaeology learning; Holocaust education; civic education; social studies; epistemic cognition; teacher education; educational reconstruction. Marshall, David, PhD: Professor of History at Suffolk County Community College in Brentwood, New York and Assistant Chair of the Social Sciences Department and Coordinator of the campus’ honors program. Research interests: teaching of the Holocaust in the 21st century; Presentation of history at the former das Museum fuer Deutsche Geschichte in der DDR. XVII
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Index of Authors
Penzold, Michael, Dr.: Senior Assistant Professor at the Chair for the Didactics of German Language and Literature Education at the Ludwig Maximilians University of Munich. Research interests: teachers and the Holocaust / Shoah; literature and media in Holocaust education. Pollmann, Ruth Fiona: Doctoral student of history didactics at the RWTH Aachen, scholarship recipient of the Konrad-Adenauer-Stiftung since 2017 and since 2016 member of the teaching and research group, didactics of social sciences at the RWTH Aachen. Research interests: history culture; memory cultures; historical learning. Rechberg, Karl-Hermann, Dr.: Research assistant at the Institute for Practice Research and Evaluation (IPE) at the Evangelical University of Applied Sciences Nuremberg. Research interests: Help for people with various disabilities/inclusion and participation; help for people with autistic diagnosis; help for refugees, help for people in housing, youth welfare; youth education; life and work satisfaction in various areas of church work; qualitative social research; quantitative social research; instrument development; organisational development in the social, church and health sectors; public welfare economy; learning in historical places about National Socialism. Richards-Wilson, Stephani, Dr. Dr.: Director of the MBA program at Alverno College in Milwaukee, Wisconsin, USA. Research interests: resistance in the “Third Reich”; women’s leadership; business administration. Schwabe, Astrid, Prof. Dr.: Juniorprofessor for Public History and Historical Learning in Social Studies and Science in primary schools in the Department of History and History Didactics at the Europa-Universität Flensburg. Research interests: public history; historical learning in primary schools; historical learning with digital media. Strugalla, Anna Valeska: Research assitant at the Department of Didactics of History and Public History at the Eberhard Karls University Tübingen. Schoßig, Bernhard, Dr.: Head of Education (retired) of the Youth Guesthouse Dachau (now : Max Mannheimer House – Study Center and International Youth Guesthouse), Assistant lecturer at the Department of Didactics of History and Public History at the Ludwig-Maximilians-University Munich.
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Urech, Urs: Primary teacher, socio-cultural animator, guest lecturer at the University of Teacher Education, University of Applied Sciences Northwestern Switzerland (FHNW). Executive Director of the Foundation Education for Tolerance, SET. Wolter, Heike, Dr.: Academic advisor in the Department of History Didactics at the University of Regensburg since 2012. Research interests: German-Jewish history; tourism history; history of spaces and GDR history; family, pregnancy and childbirth; loss and sadness.
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Warum, Wo und Wie? Überlegungen zu Holocaust Education im Spannungsfeld von Orten der Vermittlung und nachhaltigen Bildungskonzepten Markus Gloe und Anja Ballis
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Von aktuellen Entwicklungen – „Holocaust Education revisited“
Die Tagung „Nähe und Distanz – ‚Holocaust Education Revisited‘“ im Februar 2018 setzte sich zum Ziel, die internationale Forschung zum Thema Holocaust Education mit der Forschung an der Ludwig-Maximilians-Universität München zu vernetzen und interdisziplinär nach neuen Zugängen zu suchen. Dies schien notwendig, weil sich gegenwärtig ein Wandel in der Rezeption des Holocaust vollzieht, der didaktisch noch nicht ausreichend reflektiert worden ist. Dieser Wandel hat verschiedene Ursachen: zum einen sterben die letzten Verbliebenen aus der Generation der unmittelbaren Zeitzeuginnen und Zeitzeugen in absehbarer Zeit; zum anderen hat der mediale Wandel im Zuge der Digitalisierung Auswirkungen auf die Rezeption des Holocaust. Es verändert sich gegenwärtig auch die Museumskultur und ihre Vermittlungskonzepte. Im ersten Band der Schriftenreihe „Holocaust Education – Historisches Lernen – Menschenrechtsbildung“ wurden die Tagungsbeiträge zu den Aspekten „Wahrnehmung und Vermittlung“, „Fiktion und Fakten“ sowie „Medialität und Digitalität“ dargestellt (Ballis/Gloe 2019). Dieser zweite Band der Schriftenreihe widmet sich „Orten der Vermittlung“ und geht Fragen der „Didaktik und Nachhaltigkeit“ nach. Holocaust Education ist vielfältig herausgefordert. Populismus erfährt weltweit einen wachsenden Zuspruch, Antisemitismus macht sich in unserer Gesellschaft zunehmend breit und das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in unser politisches System erodiert durch eine zunehmende Demokratiemüdigkeit bis hin zur Demokratieverdrossenheit. Sich mit den Verbrechen der nationalsozialistischen
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Gloe und A. Ballis (Hrsg.), Holocaust Education Revisited, Holocaust Education – Historisches Lernen – Menschenrechtsbildung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24207-7_1
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Markus Gloe und Anja Ballis
Diktatur im Sinne des „Bewusstseins einer Gefährdung“ (Reemtsma 2010: 9) auseinander zu setzen, kann zu einer Stabilisierung der demokratischen Praxis beitragen. Des Weiteren haben sich nicht nur mit Blick auf die Auseinandersetzung mit Nationalsozialismus und NS-Verbrechen Lebens- und Erfahrungswelten von Jugendlichen verändert. Zum einen nimmt die zeitliche Distanz zu den historischen Ereignissen zu. Die Zeit des Nationalsozialismus ist für die meisten Schülerinnen und Schüler kein Bestandteil ihrer eigenen, bewusst erlebten Familienbiographie mehr. Zudem wird ein geringes Wissen über den Holocaust bei Jugendlichen beklagt. So belegt die Studie von Silbermann und Stoffers um die Jahrtausendwende noch, dass jeder fünfte Jugendliche nicht weiß, wer oder was „Ausschwitz“ war oder ist und auch im Hinblick auf konkrete Ereignisse der NS-Zeit eine „breite Ahnungslosigkeit“ herrsche (Silbermann/Stoffers 2000). Dagegen weist eine Forsa-Umfrage aus dem Jahr 2017 nach, dass mit 86 % eine große Mehrheit der Bundesbürger weiß, dass Auschwitz-Birkenau ein Konzentrations- bzw. Vernichtungslager war. Bei den Schülerinnen und Schüler wissen dies jedoch nur 59 %; bei den 14- bis 16-Jährigen nur 47 %, bei den 17 Jahre und älter immerhin 71 % (forsa 2017). Allerdings wird an solchen Studien auch immer wieder die Kritik laut, dass sich aus der Kenntnis von Fakten, Namen und Orten nicht zwingend Rückschlüsse auf die Kompetenzen der Jugendlichen ziehen lassen können. Schülerinnen und Schüler gehören heute einer postmigrantischen Generation an, auch wenn das gesellschaftliche Selbstbild häufig noch einer Prä-Migrationsgesellschaft entspricht (Yildiz 2010). Statt einer Anpassung an hegemoniale Muster muss Bildung daraus andere Konsequenzen ziehen. Werden pauschal „Jugendliche mit Migrationshintergrund“ als eine besonders schwierige Gruppe in Bezug auf die Auseinandersetzung mit und die Erinnerung an den nationalsozialistischen Völkermord bezeichnet, wird „häufig eine Homogenität unterstellt, die es so in der Realität nicht gibt“ (Ehricht 2010: 104). Nicht einmal Jugendliche mit ähnlichem kulturellen Hintergrund können als homogene Gruppe angesehen werden: „Unsere aktuelle Gesellschaft und damit auch die Schulen sind transkulturell. Dieser Befund ist nicht neu. Die Fragen, wie damit umzugehen ist, auch nicht. Eine Vermittlung der nationalsozialistischen Verbrechen muss daher auf diesen Umstand eingehen, das heißt, sie muss eine Bevölkerung bzw. Jugend einbeziehen, die in ihrer Zusammensetzung, ihren Erfahrungen und Geschichtsbildern heterogen ist“ (Schacht 2012).
Auch bei den medialen Angeboten zum und der medialen Verarbeitung des Holocaust sowie beim Einsatz entsprechender Medien im Bildungsbereich sind Veränderungen zu verzeichnen. Zahlreiche Jugendbücher zu dieser Thematik werden durch Graphic Novels ergänzt, die bereits jüngeren Kindern eine altersgerechte Auseinandersetzung mit dem Holocaust eröffnen. Hinzu treten zahlreiche Filme
Warum, Wo und Wie?
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und Fernsehserien, die die Zeit des Nationalsozialismus behandeln (Birkmeyer 2008). Auch über die Rolle von Social Media wird zunehmend nachgedacht, wenn Holocaust und NS-Verbrechen „neu“ erzählt werden. Der Zunahme der medialen Vielfalt steht die Abnahme von Erzählungen der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen gegenüber. Bald wird eine direkte Begegnung mit Überlebenden des Holocaust nicht mehr möglich sein. Viele Archive und Einrichtungen digitalisieren daher ihre videographierten Zeitzeugengespräche und andere Archivquellen und machen diese im Netz frei und öffentlich zugänglich. Die USC Shoah Foundation in den USA, die Forever Holding in Zusammenarbeit mit dem National Holocaust Centre and Museum in Großbritannien und ein Projektteam der LMU arbeiten darüber hinaus an interaktiven digitalen 2D/3D-Zeugnissen (Ballis et al. 2019). Die skizzierten Veränderungen beeinflussen pädagogische Konzepte der Holocaust Education und fordern sie zum Teil auch heraus. Zunehmend bedeutsam werden dabei die Orte, die das Vermittlungsgeschehen prägen, verbunden mit der grundsätzlichen Frage: Wie kann die Ausbildung demokratischer Werte an KZ-Gedenkstätten befördert werden? Mit der medialen Ausdifferenzierung wird der Wunsch nach einer nachhaltigen Auseinandersetzung mit den historischen Ereignissen verbunden, die Lebenswelten und Fragestellungen der Lernenden integriert. Die Fragen nach dem Warum, Wie und Wo müssen aufgrund der Veränderungen aus Sicht der Holocaust Education neu beantwortet werden.
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Orte der Vermittlung
Gedenken und Erinnern sowie historisch-politisches und literarisches Lernen am Gegenstand Nationalsozialismus und Holocaust findet längst nicht mehr nur in Schule und Universität statt, sondern auch an Orten im öffentlichen Raum, wie z. B. den gegenwärtig bundesweit rund 118 Gedenkstätten zur NS-Vergangenheit. Dabei erfüllen solche Orte im öffentlichen Raum unterschiedliche Funktionen: Zunächst sind sie historische Orte, sie dienen aber auch als Gedenkorte und werden seit den späten 1980er Jahren als Lernorte genutzt. Heute wandeln sie sich außerdem von Orten der Überlebenden zu Orten der Nachkommen der Überlebenden. Jugendliche besuchen schon seit Jahrzehnten Erinnerungs- und Gedenkorte der NS-Diktatur. Der aktuelle gesellschaftliche Wandel fordert Gedenkstätten, Dokumentationszentren und Museen heraus. Der Ort des Gedenkens erfährt eine neue Bedeutung als Ort der Erinnerungsarbeit im Spannungsfeld des Historischen und der vermittelnden Rekonstruktion.
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Im ersten Teil des Tagungsbandes werden empirische Studien zur Arbeit an und zur Wirkung von Orten der Vermittlung vorgestellt und konzeptionelle Überlegungen reflektiert. Moritz Lautenbach-von Ostrowski behandelt in seinem Beitrag „‚Man behandelt sie bewusst wie Tiere.‘ Sprachliche Zugänge zur Erinnerung bei Führungen in KZ-Gedenkstätten.“ Rundgänge für Jugendliche an KZ-Gedenkstätten aus linguistischer Perspektive. Rundgänge werden im Sinne der Funktionalen Pragmatik als eine Form der Kommunikation in Institutionen erfasst und als eine Diskursart untersucht, die der Umsetzung v. a. zweier institutioneller Zwecke dient: Erinnern und Gedenken an die Opfer der NS-Verbrechen und Beitragen zur historisch-politischen Bildung. Ausgehend von der Kopräsenz der Aktanten an historischen Orten zeigen Analysen des sprachlichen Handelns von Guides, welche Leistungen diese Aktanten aufbringen, um Wissen und Vorstellungen der Hörerinnen und Hörer zu bearbeiten. Zugleich öffnet der Beitrag eine interdisziplinäre Perspektive auf Guides als „Gedächtnisexperten. Gerade das Zusammenspiel von fachlichem und sprachlichem Lernen soll ein tiefgreifendes Verstehen an Gedenkstätten als außerschulische Lernorte befördern, das Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft miteinander verknüpft. Cornelia Dold geht in ihrem Beitrag „Außerschulische Lernorte wie das KZ Osthofen neu entdeckt“ der Frage nach, welche pädagogischen Angebote an außerschulischen Lernorten geschaffen werden müssen, um ein solch tiefgreifendes Lernen zu ermöglichen. Dazu wird ein für die KZ Gedenkstätte Osthofen neu entwickeltes Konzept, die so genannten „aktivierten Rundgänge“, vorgestellt. Dieses Konzept setzt auf selbstreguliertes Lernen mittels intensiver angeleiteter Quellenarbeit. Es werden die Ergebnisse einer Pilotstudie zur Arbeit mit diesem Konzept präsentiert. Cathrin Eckerlein stellt Befunde zu den sinnlich-körperlichen Rezeptionskanälen von Studierenden vor, die sie zur Erschließung der an den historischen Orten vorzufindenden originalen Gebäude und ausgestellten Exponate nutzen. Sie zeigt anhand von zwei aus dem Material herausgearbeiteten „Resonanztypen“ auf, inwiefern die an den KZ-Gedenkstätten Dachau und Auschwitz verspürten Resonanzen als Impulsgeber für eine Auseinandersetzung mit dem Thema „Holocaust und Nationalsozialismus“ fungieren und eine Art „Pendelbewegung“ zwischen erfahrbarer Gegenwart und imaginierter Vergangenheit in Gang setzen. Unter dem Titel „Mit der Schule in einer KZ-Gedenkstätte – an was erinnere ich mich noch heute?“ präsentiert Bernhard Schoßig die Ergebnisse einer Befragung von Studierenden geschichtswissenschaftlicher Studiengänge an der Ludwig-Maximilians-Universität München Aus den Ergebnissen leitet er zehn Schlussfolgerungen für die Durchführung von Gedenkstättenbesuchen ab. Wer sich mit Gedenkstätten beschäftigt, setzt sich mit dem damaligen politischen System auseinander und gleicht die gemachten Eindrücke mit der eigenen Position
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ab. Es werden Themen wie Grund- und Menschenrechte, Veränderungsprozess der (politischen) Institutionen und der Gesellschaft zum Gegenstand gemacht, die in der historischen wie politischen Bildung eine Rolle spielen und diese miteinander verbinden. Gedenkstätten können daher als Schnittstellen beider Disziplinen einen Beitrag zur historisch-politischen Bildung leisten. Andreas Brunold geht am Beispiel von studentischen Exkursionen auf mögliche Anknüpfungspunkte, aber auch auf Risiken ein. Wie nehmen diese Lehrerinnen und Lehrer die Gedenkstättenfahrt im Hinblick auf ihren Unterricht wahr? Wie sehen sie sich im Verhältnis zu dem, was sie an der Gedenkstätte erleben? Der Beitrag von Michael Penzold versucht eine Antwort auf diese Fragen zu geben. Auf der Grundlage von Interviews und Feldprotokollen wird eine Typologie der didaktischen Einstellungen von Lehrerinnen und Lehrern vorgeschlagen. Sie entfaltet sich auf der Grundlage ihrer Nähe- und Distanzerfahrungen zu ihrer Schülerschaft und zur Gedenkstätte. In seinem Beitrag „NS-Dokumentationszentren als neue Zentren der Holocaust-Education?“ entfaltet Hannes Liebrandt die These, dass NS-Dokumentationszentren für einen Umbruch innerhalb der Geschichts- und Erinnerkultur zum Nationalsozialismus stehen. Ausgehend von der Feststellung, dass die Spuren ehemaliger „Täterorte“ des Nationalsozialismus im öffentlichen Raum jahrzehntelang bewusst getilgt wurden, zeigt er am Beispiel des NS-Dokumentationszentrums Münchens. Auf der Grundlage empirischer Befunde zu Orientierungen von Lern- und Bildungsprozessen Jugendlicher am ehemaligen Reichsparteitagsgelände Nürnberg geht Karl-Hermann Rechberg der Frage nach, welche Prozesse in der Auseinandersetzung mit Täterschaft bei Lernenden ablaufen. Es zeigt sich, dass Jugendliche dazu tendieren können, die Selbstinszenierung der Nationalsozialisten affirmativ zu übernehmen und dabei zum Teil sogar Anerkennung gegenüber Täterinnen und Tätern entwickeln. Jedoch zeigen sich ebenfalls Prozesse der Distanzierung sowie Aspekte einer Lernumgebung, die der Distanzierung von Täterinnen und Tätern förderlich sein kann. Aus diesen Erkenntnissen leitet Rechberg Vorschläge für die didaktische Arbeit ab. Oxane Leingang beleuchtet verschiedene Erinnerungs- und Lernorte in Frankfurt am Main in ihren retroperspektiven und prospektiven Funktionen und lotet das didaktische Potential aus. Im Beitrag „Erinnerung an das Weiterleben. Beschäftigung mit einem jüdischen displaced persons (DPs) Kinderlager als Schulprojekt“ stellt Winfried Adam eine Aktivität vor, die sich dem Rosenheimer „Transient Children’s Center“ widmet. Die Lebenswege von jüdischen DPs lassen Schülerinnen und Schüler erkennen, dass
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Markus Gloe und Anja Ballis
der Holocaust nicht eine abgeschlossene Geschichte ist, sondern für die betroffenen Personen Folgen bis in die Gegenwart hat. Gary Bruce widmet sich dem „Holocaust-Tourismus“ an Orte der Vergangenheit am Beispiel der Gedenkstätten Ravensbrück und Sachsenhausen. Auf der einen Seite besitzen solche Orte für Besucherinnen und Besucher eine hohe Anziehungskraft. Sie erwarten dort auf Grund des authentischen Ortes ein intensiveres Erlebnis als in z. B. einem Museum. Solche Erwartungen werden aber sehr oft enttäuscht. Statt authentischer Baracken aus der NS-Zeit finden sie Rekonstruktionen und eine vielschichtige Erinnerungslandschaft, die nicht einfach zu verstehen ist. Entgegen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die in der Aura der Gedenkstätten eine Hürde für das Verständnis sehen, vertritt Bruce die Meinung, dass die Aura der Gedenkstätten ein Plus für die Pädagogik sein kann. Den Abschluss dieses ersten Teils bildet der Beitrag von Jennifer Farber und Jens Hecker, der die Tätigkeiten des Arbeitskreises „Räume Öffnen“ vorstellt. Der Arbeitskreis ist ein Netzwerk von Bildnerinnen und Bildnern, die an unterschiedlichen (Lern-)Orten zum Nationalsozialismus arbeiten und sich mit rassismuskritischer Erinnerungskultur befassen. Die enthaltenen Reflexionen können als Diskussionsgrundlage, z. B. im Kreis mit Fachkolleginnen und Fachkollegen, aufgegriffen werden oder individuelle Reflexionen anregen.
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Didaktik und Nachhaltigkeit
Didaktisch stellt sich – insbesondere angesichts aktueller politischer Entwicklungen – die Frage nach Relevanz und Nachhaltigkeit von „Holocaust Education“. Längst gibt es interdisziplinäre Ansätze, die verstärkt nicht nur auf Wissen, sondern auch auf Empathie, Erfahrung und konkretes Handeln setzen. Die Vermittlung entdeckt hier zunehmend Ressourcen in der Kombination von schulischem und außerschulischem Lernen. Wie kann ein angemessener und verantwortungsvoller Umgang mit Bildungsangeboten modelliert und reflektiert werden? Susan Jacobowitz eröffnet diesen Teil mit ihrem Beitrag „Holocaust Education Revisited: Incorporating Campus-Based Cultural Resources into the Humanities Curriculum“. Darin zeigt sie auf der Grundlage ihrer persönlichen Erfahrungen und ihres pädagogischen Ansatzes, wie Studierende in einem Kolloquium unter dem Namen „Der Holocaust in einem globalen Kontext: Verbindungen über das Community College“ den Holocaust unter der Perspektive der sozialen Gerechtigkeit reflektieren.
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Uwe Danker und Astrid Schwabe gehen in ihrem Beitrag „Teaching and Learning History with the Concept of the Nazi Volksgemeinschaft – An Alternative for Holocaust Education?“ auf die gegenwärtige produktive Diskussion des Begriffs der NS-Volksgemeinschaft in der Geschichtswissenschaft ein. Mit der Transformation von der zeitgenössischen, programmatischen Idee zum historiografischen Konzept erweitert er inzwischen als wesentliche analytische Kategorie das Instrumentarium zum Verständnis des Nationalsozialismus. Die Auseinandersetzung mit der NS-Volksgemeinschaft, ihrem ambivalenten Wirkmechanismus von (vermeintlicher) Harmonie einerseits und gewaltsamer, mitunter mörderischer Exklusion andererseits, zeigt, dass gesellschaftliche Homogenität auf Ausgrenzung beruht. Das Konzept der NS-Volksgemeinschaft birgt in den Augen der Autorin und des Autors auch hinsichtlich des historischen Lernens und der gegenwärtigen wie auch zukunftsorientierten Vermittlung der Geschichte von Nationalsozialismus und Holocaust in Bildungseinrichtungen und Geschichtskultur großes Potential: Abseits von Ethikunterricht sowie erhobenen moralischen Zeigefingern und damit als Gegenentwurf einer herkömmlichen, vielfach dekontextualisierten, vom historischen Kontext gelösten und moralisierenden Holocaust-Education findet hierbei stets die Auseinandersetzung mit dem realen historischen Gegenstand statt, wird nachhaltige Erkenntnis über vergangene Wirklichkeit möglich. Wie können Studierende von heute die Zivilcourage von Willi Graf von der Weißen Rose nachempfinden und selbst solche Courage entwickeln? Dieser Frage widmet sich Stephani Richards-Wilson in ihrem Beitrag „Digitizing Willi Graf of the White Rose A Role Model for the Millennials“. Sie will den Nutzen von digitalen Postern aufzeigen und wie sich Studierende über Zeit und Raum hinweg mit Vorbildern wie Willi Graf verbinden können Die Erstellung von digitalen Postern fördere eine künstlerische Auseinandersetzung und lenke den Blick der Studierenden auf ihre eigene Fähigkeit, die moralischen Implikationen des eigenen Handelns zu erkennen und Verantwortung dafür zu übernehmen. Selbstreflexion und Orientierung für eigenes Handeln werden mit historischem Lernen an Gedenkstätten ehemaliger Konzentrations- und Vernichtungslager in Verbindung gebracht. Komplementär zu klassischen Befragungsstudien skizziert in ihrem Beitrag „Spuren von (Selbst-)reflexivität in Texten von Schülerinnen und Schülern im Anschluss an eine Exkursion zur Mahn- und Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau“ Ruth Fiona Pollmann ihr geschichtsdidaktisches Disserta tionsprojekt. Den Untersuchungsgegenstand bilden von Schülerinnen und Schülern verfasste Texte mit reflexiven Anteilen zum Thema „Verfolgung und Massenmord zur Zeit des Nationalsozialismus“, die im Kontext von Schulfahrten zur Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau entstanden sind. Pollmann sucht damit eine Antwort auf die Forschungsfrage, welcher Grad an Reflexion und Selbstreflexivität sich in
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Texten von Schülerinnen und Schülern nach einer Schulfahrt zur Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau erfassen lässt. Im Beitrag „Rechtfertigungsmuster nationalsozialistischer Verbrechen als Gegenstand von Holocaust Education. Die Moralstufenanalyse als Lehr-Lern-Arrangement“ stellt Christian Fischer vor, wie den Fragestellungen „Wie ließen sich die nationalsozialistischen Verbrechen persönlich und gesellschaftlich rechtfertigen, um begangen zu werden? Welche Rechtfertigungsmuster wurden konstruiert, um das Unmoralische zu legitimieren?“ mit Schülerinnen und Schülern im Geschichts- oder Politikunterricht nachgegangen werden kann. Fischer begründet die entwickelte Moralstufenanalyse und verweist auf erste Erfahrungen aus der Unterrichtspraxis. Mit dem Ende der Zeugenschaft von Holocaust Überlebenden verändert sich auch die Vermittlung von Geschichte. Der Beitrag von Anna Valeska Strugalla „Holocaust Oral History – a Never Ending Story? Nachkomm*innen von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen in US-amerikanischen Memory Museums“ stellt die Frage, wie nach dem Ende der Geschichtsvermittlung durch Überlebende umgegangen werden sollte und nimmt dabei die Nachfolgegenerationen in die Überlegungen mit auf. Es werden Interviews mit Museen sowie mit Nachkommen geführt und deren Motivation und Vorgehen in den Blick genommen. Dabei werden durchaus kritische Aspekte eines erzählenden Zugangs zur Geschichte beleuchtet Wie kann jüdische Geschichte für Jugendliche „zeitgemäß“ und alltagsnah vermittelt werden? Dieser Frage geht Carmen Smiatacz nach und will mit dem Hamburger Geschichtomat eine Antwort geben. Das Projekt regt Schülerinnen und Schüler dazu an, Geschichte eigenständig zu erforschen und eigene Fragestellungen zu entwickeln. Die Einbeziehung digitaler Medien hilft dabei, das Projekt für Schülerinnen und Schüler interessant und alltagsnah zu gestalten. Die Einbettung der von Schülerinnen und Schülern erarbeiteten Beiträge auf der Geschichtomat-Website sorgt für Nachhaltigkeit. Anja Ballis und Markus Gloe beschreiben, auf welche Weise die Entwicklung interaktiver digitaler 3-D-Zeugnisse an der LMU München mit Hilfe des Forschungsund Entwicklungsansatzes Design-Based Research initiiert und durchgeführt worden ist. Der Beitrag gibt einen Einblick in die methodischen Grundlagen der Projektentwicklung und schließt mit einem Ausblick auf Herausforderungen, die sich zwischen „Authentizität“ und „Algorithmus“ bewegen. Der Artikel „Creating the next generation of ‘witnesses’: my journey through the field of Holocaust education“ von David Marshall zeigt, dass Holocaust Education nicht nur auf den geschichtlichen Aspekt beschränkt bleiben muss. Marshall stellt viele Praxisbeispiele dar, wie Studierende aktiv entscheiden lernen, auf der
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Grundlage der Reflexion des Holocaust ein Beitrag zur Veränderung der heutigen Welt geleistet werden kann. Die Behandlung des Holocaust in der Grundschule wird bereits seit Jahrzehnten immer wieder diskutiert. Während Kritiker vor allem die Überforderung der Kinder und ihre Verletzlichkeit als mögliche Risiken sehen und den besonderen Schutz der Primarschülerinnen und -schüler anführen, weisen die Befürworterinnen und Befürworter auf die unkontrollierbare Konfrontation außerhalb der Schule hin. Die Erfahrungen der Kinder beruhen vor allem auf der medialen Präsenz des Themas. Heike Wolter plädiert in ihrem Beitrag dafür, dass eine Aufarbeitung, u. a. zur Einordnung des Gehörten und Gesehenen, notwendig sei, da es sonst zu Verkürzung und somit möglichen Verfälschung der komplexen Thematik komme. Darüber hinaus zeigt die Autorin auf, dass die Behandlung des Holocaust im Grundschulbereich auch Teil einer Erziehung zu verantwortungsvoller, gesellschaftlicher und demokratischer Teilhabe ist. Auch Christian Mathis und Urs Urech setzen sich dafür ein, dass Lehrerinnen und Lehrer es als wichtige Aufgabe erachten, das Thema Holocaust bereits in der Primarstufe zu behandeln. Um das Wissen zu erweitern und ein historisches Lernen anzuregen, wurde 2018 das Lehrmittel „Verfolgt und vertrieben. Lernen mit Lebensgeschichten“ veröffentlicht, das auf den Ergebnissen einer Studie der Autoren fußt und in drei sechsten Klassen erprobt worden ist. Es folgt dem Konzept „Lernen mit und an Biografien“, was Schülerinnen und Schülern einen individuellen Zugang zu Schicksalen jüdischer Kinder und Jugendlicher ermöglicht. Dadurch kann Perspektivwechsel bzw. Perspektivübernahme geübt und Empathie geweckt werden. Michele Barricelli schließt den Band mit einem Tagungskommentar ab. Er betont dabei, dass die Brücke zu früheren Perioden zu schlagen, die schon lange zurückliegen, in der Tat keine leichte Aufgabe sei. Man müsse beweisen, dass scheinbar zerrissene Epochen und zweifelhafte Lehren aus dem, was gewesen ist, dem Leben der Lernenden dennoch etwas Wertvolles und Sinnvolles hinzufügen können. Die Tagung konnte – so Barricelli – einen Beitrag dazu leisten, dass erneut über die Ziele, die pädagogischen Mittel zur Erreichung dieser Ziele sowie die Evaluation von entsprechenden Bildungsmaßnahmen nachgedacht wird. Für ihn bleibt noch so viel zu tun, damit Holocaust Education zu einem Bildungsmodell werden kann. In Zukunft wird eine stärkere Vernetzung der verschiedenen Angebote der Vermittlungsorte (Schule, Gedenkstätten, Dokumentationszentren und Museen) notwendig, um Synergieeffekte zu erzielen und die Nachhaltigkeit der Lernprozesse zu sichern. Zudem ist im Bildungsbereich eine stärkere interdisziplinäre Zusammenarbeit von Nöten. In den unterschiedlichen Fachbereichen gibt es intensive Forschung und innovative Ansätze im Feld der Holocaust Education. Allerdings
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bewegen sich viele Forscherinnen und Forscher in der „Filterblase“ ihrer Community, z. B. der Geschichtsdidaktik, der Deutschdidaktik oder der historisch-politischen Bildung. Hier herrscht Handlungsbedarf, in Zeiten einer Gefährdung der Demokratie die Bemühungen zu bündeln und damit die Erfolgschancen von Konzepten der Holocaust Education auch im Hinblick auf Menschenrechts- und Demokratiebildung zu wahren. Gerade ein medial vielfältiger Zugang könnte hier Kooperationen stärken und gesellschaftlich bedeutsame Lernprozesse anbahnen. Wir bedanken uns bei Ena Bahtiri, Vanessa Braunmiller, Simone Griener, Ahammed Haase, Lisa Schwendemann und Marianne Wischer für die tatkräftige Unterstützung bei der Erstellung dieses Bandes. Für eine kritische Durchsicht der Texte wissen wir uns Melanie Heithorst und Moritz Lautenbach-von Ostrowski verbunden. Die Endredaktion des Bandes lag in Händen von Dr. Carmen Preißinger, der wir für Sorgfalt, Kritik und Umsicht besonders danken.
Literatur Ballis, Anja/Gloe, Markus (Hrsg.) (2019): Holocaust Education Revisited: Wahrnehmung und Vermittlung – Fiktion und Fakten – Medialität und Digitalität, Wiesbaden: Springer VS. Ballis, Anja/Barricelli, Michele/Gloe, Markus (2019): Interaktive digitale 3-D-Zeugnisse und Holocaust Education – Entwicklung, Präsentation und Erforschung. In: Ballis, Anja/ Gloe, Markus (Hrsg.): Holocaust Education Revisited: Wahrnehmung und Vermittlung – Fiktion und Fakten – Medialität und Digitalität, Wiesbaden: Springer VS, S. 403–436. Birkmeyer, Jens (2008): Holocaust-Literatur und Deutschunterricht. Perspektiven schulischer Erinnerungsarbeit, Hohengehren: Schneider. Ehricht, Franziska (2010): Schwierige Themen für schwierige Zielgruppen? – Politisch-historische Bildung zu den Themen Holocaust, Nahostkonflikt und jüdische Geschichte mit Jugendlichen mit Migrationshintergrund. In: Mischok, Andreas (Hrsg.): „Schwierige Jugendliche gibt es nicht …! Historisch-politische Bildung für ALLE. Projekt zur Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus für besondere Zielgruppen, Braunschweig: Bildungsvereinigung ARBEIT UND LEBEN, S. 103–124. forsa (2017): Geschichtsunterricht, Berlin, online: www.koerber-stiftung.de/fileadmin/ user_upload/koerber-stiftung/redaktion/handlungsfeld_internationale_verstaendigung/pdf/2017Ergebnisse_forsa-Umfrage_Geschichtsunterricht_Koerber-Stiftung. pdf [15.09.2019]. Reemtsma, Jan Philipp (2010): Wozu Gedenkstätten. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 25-26, S. 3–9. Schacht, Axel (2012): Holocaust-Vermittlung im Kontext der Post-Nationalsozialistischen Migrationsgesellschaft. In: Gedenkstättenrundbrief, Nr. 168, S. 3–15, online: https://
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www.gedenkstaettenforum.de/nc/aktuelles/einzelansicht/news/holocaust_vermittlung_im_kontext_der_post_nationalsozialistischen_migrationsgesellschaft/ [15.09.2019]. Silbermann, Alphons/Stoffers, Manfred (2000): Auschwitz: Nie davon gehört? Erinnern und Vergessen in Deutschland, Berlin: Rowohlt. Yildiz, Erol (2010): Die Öffnung der Orte zur Welt und postmigrantische Lebensentwürfe, online: www.uni-klu.ac.at/frieden/downloads/yildiz-artikel-postmigrantisch.pdf [15.09.2019].
Orte der Vermittlung
„Man behandelt sie bewusst wie Tiere.“ Sprachliche Zugänge zur Erinnerung bei Führungen in KZ-Gedenkstätten Moritz Lautenbach-von Ostrowski
Zusammenfassung
Dieser Beitrag behandelt Führungen für Jugendliche in KZ-Gedenkstätten aus linguistischer Perspektive. Führungen werden mit der Funktionalen Pragmatik als eine Form der Kommunikation in Institutionen erfasst und als eine Diskurs art untersucht, die der Umsetzung v. a. zweier institutioneller Zwecke dient: dem Erinnern und Gedenken an die Opfer der NS-Verbrechen und solchen der historisch-politischen Bildung. Ausgehend von der Kopräsenz der Aktanten am historischen Orten zeigen Analysen des sprachlichen Handelns von Guides, welche Leistungen diese Aktanten aufbringen, um Wissen und Vorstellungen der Hörer zu bearbeiten. Insbesondere relevant sind sprachliche Handlungen, die als „Zugänge zur Erinnerung“ fungieren, mit denen Guides historisches, ehedem erfahrungsgesättigtes Wissen vermitteln, das in die Bestände des sog. kulturellen Gedächtnisses eingegangen ist. Zugleich öffnet der Beitrag eine interdisziplinäre Perspektive auf Guides als „Gedächtnisexperten“, die zwischen dem kommunikativen und dem kulturellen Gedächtnis agieren und für die Besucherinnen und Besucher textlich erstarrtes Wissen in Diskurs zurückführen. Abstract
This article deals with guided tours for young people at concentration camp memorial sites from a linguistic perspective. On the basis of the functional pragmatic discourse analysis these tours are being examined as a form of communication in institutions and as a type of discourse that serves the implementation of particularly two institutional (i. e. societal) purposes: the remembrance and commemoration of the victims of Nazi crimes and historical-political education. Taking in account the co-presence of the actors at a historical site, it is shown © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Gloe und A. Ballis (Hrsg.), Holocaust Education Revisited, Holocaust Education – Historisches Lernen – Menschenrechtsbildung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24207-7_2
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which linguistic achievements one guide applies in order to work on the listeners’ knowledge and ideas. Particularly relevant are speech actions that function as “approaches to memory”. With them guides convey and transmit historical, originally experience-saturated knowledge that has been incorporated into the holdings of “cultural memory”. The article thus opens up a linguistic perspective on guides as “memory experts” who act between the memory formations “communicative” and “cultural” and return textually frozen knowledge into discourse for the listeners.
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Führungen in KZ-Gedenkstätten
Bestehen an historischen Orten nationalsozialistischer Konzentrationslager Gedenkstätten, werden häufig Führungen angeboten. Diese Museumsgespräche sind eine gängige gedenkstättenpädagogische Praxis, mit der vor allem zwei institutionelle Zwecke umgesetzt werden: historisch-politische Bildung und die Vergegenwärtigung der leidvollen Geschichte durch erinnerndes und gedenkendes Handeln. Doch wie die Institution der KZ-Gedenkstätten unter erhöhtem politischen Druck steht (Garbe 2015: 484ff.), konfrontieren auch Führungen verschiedene Probleme, z. B. aktuell im Rahmen einer Debatte um „Zwangsbesuche“ von KZ-Gedenkstätten für Schülerinnen und Schüler. Auf institutioneller sowie auf der Ebene der Akteurinnen und Akteure unterliegen Führungen einem Spannungsfeld aus Interessen und Erwartungen (Haug 2015) und insofern ihre Lerneffekte umstritten sind (Jürgensen 2003; Heyl 2011, 2013), misstraut pointiert ausgedrückt auch die Institution der KZ-Gedenkstätten ihrer eigenen Praxis. Dies gilt auch mit Blick auf das Ende der „Ära des Zeugen“ (Wieviorka): Wissen und Erfahrungen Überlebender nationalsozialistischer Verbrechen zählen zum Inventar eines gesellschaftlich-historischen Wissens, das durch stete Vermittlung relevant gehalten werden muss. Wie können, aus kulturwissenschaftlicher Perspektive gesprochen, an der Schwelle vom kommunikativen zum kulturellen Gedächtnis Formen des Erinnerns und Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus gestaltet werden? Dies berührt unterschiedliche Handlungsfelder und Probleme, die in öffentlichen Debatten auch überlagert diskutiert werden und zu denen KZ-Gedenkstätten als Institutionen gefordert sind, sich zu positionieren. In der Gedenkstättenpraxis sind es jedoch vor allem einzelne Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die für Besucherinnen und Besucher die Institution nachgerade personifizieren – z. B. Guides bei Führungen. Obgleich sich Gedenkstätten dafür interessieren, was Besucherinnen und Besucher
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an den historischen Orten lernen (u. a. Pampel 2007), sind die Arbeitsbedingungen und (selbstentwickelten) didaktischen Vorgehensweisen von Guides ebenso wenig beforscht (Ballis 2018) wie die Praxis der Führungen selbst; Ausnahmen bilden die einschlägigen Beiträge von Gudehus (2006) und Haug (2015). Dieser Artikel behandelt Führungen für Jugendliche in KZ-Gedenkstätten auf der Grundlage der linguistischen Handlungstheorie der Funktionalen Pragmatik. Er basiert auf meiner Dissertation und meinem Beitrag zur Tagung „Nähe und Distanz“ an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Aus dieser Perspektive sind KZ-Gedenkstätten maßgeblich versprachlichte Institutionen und Führungen sind Konstellationen sprachlichen Handelns in diesen Institutionen. Aleida Assmann weist auf einen „initiatorischen Charakter“ hin, den Besuche von Gedenkstätten haben könnten, da Besucherinnen und Besucher dort mit dem „kollektive[n] Gedächtnis“ in Kontakt kämen und einen „Übergang von Vergangenheit in Gegenwart“ erleben könnten (Assmann 2006: 208). Linguistisch interessiert die Frage, wie solche „Übergänge“ im konkreten sprachlichen Handeln eröffnet werden, wie sie sich sprachlich manifestieren und im Wissen der Beteiligten verankert werden. Indem funktional-pragmatische Diskursanalysen bei Führungen relevante sprachliche und mentale Handlungen und deren Zwecke und Funktionen rekonstruieren, können sie zur Erhellung dieser sprachlichen Bildungspraxis beitragen, wovon auch disziplinär andere Untersuchungen profitieren können. Linguistisch sind Führungen eine Form der institutionellen Kommunikation, Lehr-Lern-Diskurse, in die stets Sprecher und Hörer eingebunden sind. Diese Aktanten begegnen sich am historischen Ort als Agenten (Guides) und Klienten (hier: Jugendliche) der Institution und handeln in der Konstellation der Führung maßgeblich sprachlich miteinander. Eine Anmerkung zur Verwendung der maskulinen Ausdrücke Aktant, Sprecher (S), Hörer (H), Agent und Klient: Sie werden hier als analytische Termini der Funktionalen Pragmatik verwendet, die von biologischer und soziologischer Geschlechtlichkeit abstrahieren und insofern nicht im alltagssprachlichen Sinne zu verstehen sind. Vielmehr werden einzelne Sprachverwender damit zum Zweck sprachtheoretischer Verallgemeinerung in ihrer jeweiligen Funktion als Produzierende und Rezipierende sprachlicher Handlungen betrachtet. Diese systematische Abstraktion betrifft in der Funktionalen Pragmatik auch andere Merkmale von Aktanten wie z. B. unterschiedliche Klassenzugehörigkeit, Wissensbestände oder Sprachkenntnisse, mit dem Unterschied, dass im Deutschen für diese Merkmale keine Ausdifferenzierung auf der Formseite sprachlicher Ausdrücke ausgebildet ist. In der Analyse konkreten sprachlichen Handelns werden solche individuell unterschiedlichen gesellschaftlichen Dispositionen von Handelnden jedoch mit einbezogen – insofern sie als handlungsrelevant für die Sprechsituation angesehen werden, bzw. von den Aktanten überhaupt bekannt sind.
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Ein charakteristisches Merkmal von Formen der Kommunikation in Institutionen ist ein „systematisches Wissensgefälle“ zwischen Agenten und Klienten. So auch in der hier betrachteten Konstellation, in der die Guides in der Regel wesentlich mehr über den Ort und seine Geschichte wissen als ihre Zuhörerinnen und Zuhörer. Aus dieser Perspektive sind Führungen eine komplexe Form sprachlichen Handelns, die auf die Angleichung der Wissensstände der Aktanten zielt.
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Zur Konzeption sprachlicher „Zugänge zur Erinnerung“
Meine Studie rekonstruiert in linguistischen Diskursanalysen, wie Sprecher und Hörer bei Führungen gesellschaftliche Erinnerung an NS-Verbrechen und deren Opfer kooperativ sprachlich verfertigen und teilen. Die Ergebnisse der Analysen werden in die Diskussion mit der Geschichtswissenschaft und -didaktik sowie mit der Gedenkstättenpädagogik und den Kulturwissenschaften gestellt. Der Beitrag illustriert dieses Vorgehen an zwei exemplarischen Belegen und nimmt in den Blick, wie bei Führungen für Jugendliche an KZ-Gedenkstätten als einer Form der diskursiven Vermittlung historischen Wissens „Nähe und Distanz“ hergestellt werden. Fachgeschichtlich schließt die Funktionale Pragmatik kritisch an die Sprechakttheorie Austins und die Sprachtheorie Karl Bühlers an, als eigenständige Sprach theorie und Diskursanalyse wird sie seit den 1970er-Jahren v. a. anhand empirischer Untersuchungen gesprochener Sprache entwickelt (Ehlich/Rehbein 1986). Sprache ist eine gesellschaftlich-historisch entwickelte Form menschlichen Handelns und das phylogenetisch entscheidende Werkzeug des Menschen als einem kooperativen und historischen Wesen. Ehlich (1997: 15) bestimmt drei „Grundfunktionen von Sprache“: diese wirkt teleologisch (kommunikativ-zweckbezogen), gnoseologisch (erkenntnis- und wissensbezogen) und kommunitär (gemeinschaftskonstituierend, gruppenbezogen). Im sprachlichen Handeln von Individuen schlagen sich gesellschaftlich entfaltete Zweck-Mittel-Verhältnisse nieder, d. h. individuelles sprachliches Handeln leitet sich aus gesellschaftlichen sprachlichen Handlungsformen ab: „Sprachliche Handlungsmuster“ bilden sich aus dem Verhältnis gesellschaftlicher Zwecke und sprachlicher Handlungsmittel, indem sie sich als Formen sprachlicher Kooperation historisch bewähren und standardisieren. Mit ihrem sprachlichen Handlungsbegriff grenzt sich die Funktionale Pragmatik von Konzeptionen ab, die Sprache als regelgeleitetes Zeichensystem bestimmen. Sprachliches Handeln („p“) zielt auf die Veränderung von Wirklichkeit („P“) und die Bearbeitung von Wissen („Π“ – „Pi“) ab: Sprecher und Hörer nehmen sprachlich handelnd Be-
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zug auf Ausschnitte aus der (außersprachlichen) Wirklichkeit und kooperieren, um diese ihren Zwecken und Zielen gemäß zu verändern. Die außersprachliche Wirklichkeit ist in den mentalen Bereichen („Pi“) der Handelnden widergespiegelt (zum Konzept der sprachlichen Handlungsmuster sowie zum „p-Pi-P-Verhältnis“ vgl. Ehlich/Rehbein 1986, u. a. 95ff.). Damit bestimmt die Funktionale Pragmatik Wissen als einen weiteren wichtigen Begriff. Wissen ist, wie die Wirklichkeit und sprachliches Handeln, strukturiert (Ehlich/Rehbein 1977) und wird konstellationsgebunden erworben oder aktualisiert (Redder 2002). „Pi“ repräsentiert den Bereich psychischer Prozesse und beinhaltet auch Emotionen, das Erinnern, Planen, Phantasieren und Vorstellen (Ehlich 1984). Begrifflich zentral sind ferner die Konstellation und die Sprechsituation. Eine Konstellation ist eine Situation mit ihren handlungsrelevanten Momenten. Elemente der Wirklichkeit und des mentalen Bereichs der Aktanten fließen in das Handlungspotenzial einer Konstellation ein (Rehbein 1977: 265), Sprechsituationen sind in Konstellationen eingebettet. „Diskurs“ bezeichnet hierbei die „elementare Sprechsituation“ einer (mündlichen) face-to-face-Kommunikation (anders als „Text“; s. u.). Funktional-pragmatische Diskursanalysen rekonstruieren sprachliche und mentale Handlungen in ihren weiteren Handlungszusammenhängen und mitsamt ihren Bedingungen. Interdependenzen von sprachlichem Handeln und Wissen sowie von Konstellation und Sprechsituation sind v. a. anhand von Kommunikation in Institutionen untersucht und begrifflich aufeinander bezogen worden (Ehlich/Rehbein 1986). Institutionen sind gesellschaftliche Apparate, die dem Vollzug je spezifischer gesellschaftlicher Zwecke dienen. Vor diesem Hintergrund erachte ich die institutionellen Zwecke des Erinnerns und Gedenkens sowie der historisch-politischen Bildung für die Diskursanalyse von Führungen als besonders relevant. Anzumerken ist, dass die historisch-politische Bildung in KZ-Gedenkstätten erst seit jüngerer Zeit stärker in den Vordergrund tritt (Heyl 2011). Eine sprachliche Handlung gliedert sich in drei Teilakte: Äußerungsakt, Proposition und Illokution. Im Äußerungsakt, der lautlichen Dimension, setzt ein Sprecher seine Gedanken seinen Zielen gemäß verbal um. Der propositionale Akt beinhaltet die gedanklich-inhaltliche Dimension, den Gehalt einer Äußerung. Die Illokution ist die Handlungsdimension einer Äußerung, sie veranlasst einen Hörer zu Anschlusshandlungen, sei es mental, aktional oder interaktional, z. B. auf eine Frage eine Antwort zu geben. Illokutionen sind als „Tiefenstrukturen“ (Redder 2007: 137) sprachlichen Handelns nicht unbedingt an der lautlichen (bei „Text“: syntaktischen) Oberfläche einer Äußerung ablesbar. Vielmehr bilden die Teilakte einen Form-Funktionszusammenhang, der analytisch rekonstruiert werden muss. Je spezifische Sprechsituationen und zugleich die größten Einheiten sprachlichen Handelns sind „Diskurs“ und „Text“. Während Diskurs sprachliches Handeln
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in „kopräsenten Sprechsituationen“ fasst (tendenziell: Mündlichkeit; also auch Führungen), bezeichnet Text kulturhistorisch abgeleitete Formen sprachlichen Handelns in „zerdehnten Sprechsituationen“ (vgl. Ehlich 1983). Obgleich Autor und Leser (analog zu Sprecher und Hörer) bei der Produktion und Rezeption eines Textes räumlich und/oder zeitlich voneinander getrennt sind, konserviert Text Sprache mitsamt ihrer Handlungsdimension über zeit-räumliche, „diatope“ und „diachrone“ Entfernungen hinweg: Der Zweck von Text liegt in der Überwindung „zerdehnter Sprechsituationen“ und Text zielt auf die Überlieferung auch von Illokutionen. Es kann in diesem Sinne auch linguistisch zutreffend sein, von Texten der Mündlichkeit zu sprechen (vgl. ebd.). Über diesen Textbegriff wendet meine Studie kulturwissenschaftliche Konzepte des „kommunikativen“ und „kulturellen Gedächtnisses“ linguistisch: Das kulturelle Gedächtnis tendiert zu Text, das kommunikative Gedächtnis zu Diskurs. Ähnliche Positionen vertreten Czachur (2015) in der Linguistik und Gudehus/Eichenberg et al. (2010) in der Erinnerungs- und Gedächtnisforschung. So gewinnt meine Studie ferner einen sprechhandlungstheoretischen Zugriff auf die Begriffe des Zeugen, des Zeugnis und der Zeugenschaft und setzt sie ins Verhältnis zu anderen Bestimmungen (Assmann 2007; Schmidt et al. 2011). Schließlich werfen die Überlegungen zum Verhältnis von Text und Diskurs im Hinblick auf die Handlungsqualitäten von Führungen in KZ-Gedenkstätten die interessante Frage auf, inwiefern es eigentlich treffend ist, diese als Diskursart zu bestimmen. Ich denke, dass diese Führungen zwischen Text und Diskurs positioniert sind. Sichtbar wird dies zum einen an Routinen von Guides, die zum wiederholten Male Führungen geben. Hier können die Analysen mentale Skripte und didaktische Kniffe rekonstruieren, um sie weiterer Reflektion zugänglich zu machen. Zum anderen zeigt sich die spezifische Position der Führungen zwischen Text und Diskurs, kulturellem und kommunikativem Gedächtnis, auch an sprachlichen „Zugängen zur Erinnerung“, Handlungen, mit denen Guides auf die Überwindung zeitlicher und wissensbezogener Distanz zielen und den Hörern das historische Geschehen vergegenwärtigen. Abschließend ist auf die funktionale Kritik traditioneller Grammatiken hinzuweisen (u. a. Redder 2007), die sich mit Kategorien wie Wortart, Wort und Satz auf formale Bestimmungen von Sprache konzentrieren, weniger auf deren Zwecke und Funktionen. Funktional-pragmatische Studien zeigen empirisch, dass sich sprachliches Handeln auch aus kleinsten Einheiten komponiert, „Prozeduren sprachlichen Handelns“. Darunter werden auch Ausdrücke wie „Hm“ oder „Ähm“ funktional gefasst, die in klassischen Grammatiken kaum anerkannt oder als funktional betrachtet werden. Das Konzept der „Prozeduren sprachlichen Handelns“ steht der Kategorie Wort kritisch entgegen, das Konzept der „sprachlichen Handlungsfelder“ der Kategorie Wortart (u. a. Redder 2007). „Prozeduren“ sind jeweils einem von fünf
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Feldern sprachlichen Handelns zugehörig: Auf dem Zeigfeld, Symbolfeld, Lenkfeld, Malfeld und dem operativen Feld fungieren jeweils deiktische, symbolische, expeditive, malende oder operative Prozeduren (u. a. Ehlich 1982). Die empirische Grundlage meiner Studie bildet ein Korpus aus sechs Führungen für durchschnittlich 16-jährige Schülerinnen und Schüler, ca. 12 Stunden Diskurs mit ungefähr 120 Teilnehmenden, die ich an den KZ-Gedenkstätten Bergen-Belsen, Neuengamme und Ravensbrück begleitet, aufgenommen und in Teilen transkribiert habe. Die Transkription erfolgte mit der Software Exmaralda (Rehbein/Schmidt et al. 2004) nach der HIAT-Konvention (vgl. Ehlich/Rehbein 1976). Trotz seines statistisch kleinen Umfangs enthält das Korpus reiches Sprachmaterial. Anhand von 32 exemplarischen und qualitativen Fallstudien aus vier der sechs Führungen untersuche ich in meiner Studie das sprachliche Handeln von Guides im Zusammenhang mit mentalen Prozessen der Bearbeitung von Wissen und des Aufbaus von Vorstellungen aufseiten der Hörer. Hinzu kommen Analysen von zwei Passagen aus Interviews mit einem Überlebenden aus den Jahren 2000 und 2015, die ich vergleichend mit der Darstellung seiner Erlebnisse durch eine Guide bei einer Führung betrachte. Insbesondere diese Analysen machen den Weg sichtbar, den die Original-Aussagen und das in ihnen geborgene Wissen des Zeugen vom kommunikativen ins kulturelle Gedächtnis nehmen – und wieder zurück aus dem kulturellen Gedächtnis in den Diskurs der Führung, d. h. ins kommunikative Gedächtnis, durch die Arbeit der Guide. Diese Analysen zeigen, welche Elemente historischer Konstellationen und Erfahrungen des Zeugen im Diskurs der Führung kommemoriert werden und wie die Guide dessen Zeugenschaft vermittelt, indem sie sein historisches sprachliches Handeln nachgerade überliefert. Eine für den Forschungsprozess zentrale Bedeutung hatten zudem Gespräche, Interviews und E-Mail-Korrespondenzen mit den Guides, die mir flankierende Einblicke in ihre Arbeitsbedingungen, Methoden und Motivation gaben. Die Arbeit berücksichtigt v. a. ein Interview mit Guides in Bergen-Belsen, das ich orientiert an der Methode des narrativen Interviews nach Schütze (1983) führte. Eine systematische Aufbereitung und Analyse dieser zusätzlichen Informationen beinhaltet die Arbeit angesichts des stets knappen Zeitrahmens der Feldforschungen und der fragilen Datenschutzsituation solcher Interviews jedoch nicht; ein m. E. lohnenswertes Unterfangen für eine institutionell größer gerahmte Studie. Mit Bezug auf die „Grundfunktionen von Sprache“ (Ehlich 1997, s. o.) erfasst meine Studie Assmanns „Initiation“ (Assmann 2006, s. o.) als einen kommunitären Aspekt von Führungen, wo diese auf die Verfertigung von Gedächtnisgemeinschaften abzielen. Ein teleologischer Aspekt der Führungen liegt in Begründungen dieser Gedächtnisgemeinschaften und in Argumentationen, warum es die KZ-Gedenkstätten gibt (Beispiele dafür finden sich auch in den Daten von Gudehus 2006 und
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Haug 2015). Eine gnoseologische Funktion von Führungen liegt in der Überwindung von Distanz und zwar weniger einer räumlichen – die Gruppen befinden sich ja am vermeintlich „authentischen Ort“ des Geschehens – als vielmehr einer gnoseologischen Distanz im Wissen der Hörer. Eine zentrale These meiner Arbeit ist, dass bei Führungen insbesondere zur Umsetzung dieses kommunikativen Zwecks bestimmte sprachliche Handlungen zum Tragen kommen: „Zugänge zur Erinnerung“ vergegenwärtigen den Hörern die Historie und stellen sie ihnen als ein zeitlich (und räumlich) relativ nahes historisches Handeln vor. Die „sprachlichen Zugänge“ können abhängig von der Kopräsenz der Aktanten am historischen Ort sein und auf die Überwindung der Distanz im Wissen der Hörer abzielen, indem sie deren Vorstellungskraft in Anspruch nehmen. In diesem Sinne fokussieren die Analysen v. a. folgende sprachliche Handlungen: A. Gestisches und sprachliches Zeigen am Ort: dient z. B. der Orientierung der Hörer auf dem Gelände, ist jedoch auch relevant für den Aufbau von Vorstellungen. Sprachliches Zeigen wird mit deiktischen Prozeduren vollzogen (u. a.: hier, da, jetzt, ich, du). Ich bezeichne diese Verfahren als „Arbeit mit dem Ort“ (Lautenbach-von Ostrowski 2014, 2015). B. Metaphern, Vergleiche und Analogien: fungieren veranschaulichend (Brünner 2013) und zielen auf die Übertragung von Handlungswissen aus einem bekannten auf einen unbekannten Bereich (Brünner 2013; Lakoff/Johnson 1980). C. Redewiedergaben: vergegenwärtigen den aktuellen Hörern historische Aktanten und deren Handlungen. Sie haben ebenfalls veranschaulichenden Charakter und sind geeignete Mittel zur Überlieferung von Erfahrungswissen (Brünner 1991).
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„Man behandelt sie bewusst wie Tiere“ – Empirische Beispiele
Die folgenden Belege „B1 – Massensterben“ und „B2 – Zoobesuch“ stammen aus einer Führung, die 2012 in Bergen-Belsen stattfand und ca. 129 Minuten dauerte. Sie dokumentieren jeweils ca. 30 Sekunden zu Beginn des Diskurses. Die Darstellung gliedert sich in Partiturflächen (kurz: PF) und Segmentierungen (kurz: Seg.). Letztere sind von mir zu Analysezwecken eingeführt worden und dienen der kleinteiligeren Bezugnahme auf die Äußerungen.
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B1 „Das Massensterben“ (Minuten im Diskurs: 00:07:45–00:08:20)
Zum Zeitpunkt der Aufnahme befindet sich die Gruppe in einem Seminarraum, von dem aus sie vom historischen Ort nichts sieht. Die Guide eröffnete die Führung mit einer Art „Lehrervortrag mit verteilten Rollen“ (Ehlich/Rehbein 1986), bei dem sie eine Einführung in die Geschichte des Ortes gab. Darin ähnelte die Konstellation in den ersten 45 Minuten schulischem Frontalunterricht, das aktionale und sprachliche Handeln der Aktanten weist entsprechende Parallelen zum Diskurstyp „Unterrichtsdiskurs“ auf (Ehlich/Rehbein 1977). Die Wahl dieser Gestaltung oblag der Guide. In den oben erwähnten flankierenden Interviews wurde deutlich, dass sie dieses Vorgehen in Abhängigkeit zur Komplexität der Geschichte und der heutigen Beschaffenheit des Ortes entwickelt hat. Da ihr die Gruppen als „black box“ mit unbekanntem Vorwissen und Erwartungen begegnen, hat es sich in ihrer Praxis als kommunikativ zweckmäßig erwiesen, Einführungen im „Unterrichtsdiskurs“ zu geben. So kann die Guide konzise individuelle Wissensstände angleichen und die Hörer an die Geschichte Bergen-Belsens heranführen, die dem aktuellen Ort kaum mehr anzusehen ist. Der heutigen spezifischen Beschaffenheit
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der Gedenkstätte Bergen-Belsen ist z. B. geschuldet, dass Ad-hoc-Bezugnahmen auf den Ort durch sprachliches oder aktionales Zeigen, wie sie von mir auch zu Beginn von Führungen in Ravensbrück und Neuengamme rekonstruiert wurden (Lautenbach-von Ostrowski 2014, 2015), erschwert sind. Da sich Ravensbrück und Neuengamme durch eine Vielzahl sichtbarer historischer Gebäude auszeichnen, sind Formen des gestischen oder sprachlichen Zeigens an jenen Orten verständlicherweise einfacher und zielführender umzusetzen. Doch zeigt die folgende detailliertere Analyse, wie diese Guide das Wissen der Hörer in der „Klassenzimmer-Situation“ vorstrukturiert, indem sie ihnen die Geschichte in ihrer historischen Chronologie vermittelt. In Beleg B1 spricht sie über die Veränderung des Lagers Bergen-Belsen von einem Kriegsgefangenenlager für französische und belgische Soldaten zu einem ausschließlich für sowjetische. Von diesen sog. „Russenlagern“ gab es in der Lüneburger Heide mehrere, Soldaten der Wehrmacht begingen dort 1941/42 Massenmord an sowjetischen Kriegsgefangenen, indem sie sie systematisch verelenden ließen. Diese Verbrechen sind jedoch zum einen in der deutschen Erinnerungskultur kaum präsent (Keller 2011: 424); Bergen-Belsen wird vielmehr mit den Fotografien der britischen Befreier assoziiert und ist (auch Jugendlichen) als Todesort der Anne Frank bekannt. Zum anderen existieren von dieser historischen Tat nahezu keine Bilder. Diesem Umstand ist auch geschuldet, dass die Guide für ihre Wissensvermittlung über dieses Verbrechen lediglich ein sehr nüchternes Medium nutzt, eine Karte, die sie an die Wand des Seminarraums projiziert (es wird unten erläutert, was die Hörer zum dokumentierten Zeitpunkt sehen). Dennoch vermittelt die Guide den Hörern in B1 ein Bild, indem sie sprachlich auf den Aufbau einer Vorstellung zielt. Dafür nutzt sie eine Vergleichsperspektive, die sprachliche, aktionale und mentale Handlungsqualitäten hat. Auf der Ebene der Prozeduren (s. o.) zählt die Verwendung von „Abladen“ dazu (Seg. 1), ein Ausdruck, der zur Gruppe der Symbolfeldmittel (u. a. Substantiva, Nomen und Verben) zählt. Die Funktion dieser Prozeduren besteht darin, bei einem Hörer ein gesellschaftliches Wissen von bzw. über ein Element der Wirklichkeit, etwas oder jemanden, zu aktualisieren. Im Falle von „Abladen“ ist dies ein alltagspraktisch verankertes Wissen über Transport und Beförderung, das eine negative Einschätzung beinhaltet, wenn es sich auf den Umgang mit Menschen bezieht. Für den vorliegenden Zusammenhang ist relevant, dass die Guide kurz zuvor über die französischen und belgischen Kriegsgefangenen sagte, diese seien im Lager „untergebracht“ und „menschenwürdig behandelt“ worden (diese Äußerungen liegen in der unmittelbaren diskursiven Vorgeschichte von B1). Im Zuge dessen hatte sie die begriffliche Dimension des Ausdrucks „Kriegsgefangene“ erläutert und über die Frage, was es heißt „im Krieg jemanden menschenwürdig zu behandeln“, eine Diskussion initiiert, an der sich auch mehrere Jugendliche beteiligten. „Abladen“
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steht hier also in einem vergleichenden Zusammenhang mit „Unterbringen“ und die propositionale Dimension des Ausdrucks steht konträr zu einem gerade aktualisierten Wissen über „Menschenwürde“. Auch die Aussagen „ein bisschen erweitert“ und „einundzwanzigtausend Kriegsgefangene“ (Seg. 1) zielen auf mentale Handlungen des Vergleichens ab: Den Hörern drängt sich quasi die Frage auf, wie 21.000 Menschen auf einem „ein bisschen erweiterten“ Areal in sechs Barracken „menschenwürdig“ untergebracht werden könnten. Diese Wissensvermittlung ist zusätzlich geknüpft an Elemente des Wahrnehmungsraums bzw. an das aktionale Handeln der Guide, da sie ihre Äußerungen visuell stützt mit Overheadfolien, auf denen Karten des historischen Ortes zu sehen sind. In der Vorgeschichte von Beleg B1 haben die Hörer einige Zeit eine der folgenden Abbildung ähnliche Karte gesehen:
Abb. 1 Bergen-Belsen 1938 (aus: Stiftung niedersächische Gedenkstätten 2008, 4f.)
Kurz bevor die Guide die in Beleg B1 dokumentierte Stelle erreicht, hat sie zu dieser Folie gewechselt:
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Abb. 2 Bergen-Belsen um 1941 (Stiftung niedersächsische Gedenkstätten 2008, 6f.)
Die Äußerungen der Guide in Segment 1f. beziehen sich auf die in Abbildung 2 dunkelgrau schraffierte Fläche (Pfeil), die das „ein bisschen erweiterte“ Lagerareal markiert, auf dem die sowjetischen Kriegsgefangenen 1941 „abgeladen“ wurden. Die sechs Kästchen markieren die sechs Baracken, in denen die Menschen unterkommen sollten. Mit Blick auf das sprachliche Handeln der Guide an dieser Stelle ist relevant, dass die Ausdrücke „dieses (Lager)“, „hier“, „(in) diesem (Gebiet)“ und „jetzt“ (alle in Seg. 1) deiktische Ausdrücke der Nähe sind: Sie zeigen auf etwas oder jemanden als lokal und/oder temporal nah und fokussieren die Aufmerksamkeit eines Hörers neu. Mit diesen Ausdrücken – zumal in geballter Form – vergegenwärtigt die Guide ihren Hörern die historische Tat des Abladens und den Ort der Tat – das heute nicht mehr sichtbare Lager – als lokal und temporal nah. Das vergegenwärtigende Moment dieses sprachlichen Zeigens macht die Guide zusätzlich sprachlich und wahrnehmungsbasiert explizit: Ihre Folgeäußerung „Und ihr seht, die Barracken reichen nicht aus […]“ (Seg. 2) bezieht sich auf die Folien als Mittel des Beweises durch Augenschein. Diese Äußerung stützt das visuelle Vergleichen der Karten und zielt auf die mentale Arbeit der Hörer, auf der Grundlage dessen, was
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die Guide ihnen „erzählt“ und visuell verdeutlicht zu einer eigenen Einschätzung zu gelangen. Obgleich die Guide ihnen keine Fotografien zeigt, tritt den Hörern die katastrophale Verschlechterung im Lager mitsamt ihren Voraussetzungen als evident entgegen: Sie „sehen“ gewissermaßen selbst und können selbst vergleichend einschätzen, dass „hier“ „jetzt“ (Seg. 1) eine einzige „Masse Mensch“ (Seg. 2) war, die gar nicht versorgt werden konnte, weil die Täterinnen und Täter es nicht wollten. Deixeis zeigen in „Verweisräumen sprachlichen Handelns“, von denen Ehlich (1982) fünf herausarbeitet: Wahrnehmungsraum; Rederaum; Textraum; Wissensraum; Vorstellungsraum. Interaktionales Zeigen ist auch auf temporaler Ebene möglich und kann aktionales Zeigen ersetzen. Insofern sich die Guide in Segment 1 auf die Folien bezieht, zeigen die von ihr verwendeten Deixeis im Wahrnehmungsraum der Gruppe. Ich denke jedoch, dass sie auch die Vorstellung der Hörer vom historischen Ort in Anspruch nehmen. Dies ist auch wichtig in Bezug auf die Äußerung „Man behandelt sie bewusst wie Tiere“ (Seg. 4), die ebenfalls im propositionalen Zusammenhang mit der in der Vorgeschichte zu B1 geführten Diskussion um „Menschenwürde“ steht und die handlungspraktisch verankertes Wissen der Hörer aktualisiert: Ob diese über konkrete eigene Erfahrungen mit Tierquälerei verfügen oder nicht – die Metaphorik dieser Mensch-Tier-Semantik illustriert die Existenzbedingungen der Kriegsgefangenen und dient dem Verstehen der Hörer, ebenfalls über einen Vergleich. Auf der Grundlage dieser Vergleichsperspektive stellt die Guide sodann das Leid der Gefangenen detaillierter dar. Dabei ist interessant, dass ihre Äußerungen in den Segmenten 5–7 im Präsens stehen, das „vergegenwärtigende Funktion“ hat (Hoffmann 2013: 254). Wie oben erwähnt, zählen aus funktional-pragmatischer Perspektive auch Verben zu den Symbolfeldmitteln, deren Funktion in der Aktualisierung (gesellschaftlich-historischen) Wissens liegt. Anders jedoch als z. B. Substantive, die Elemente der Wirklichkeit benennen, aktualisieren Verben ein Wissen über die Wirklichkeit unter dem Aspekt ihrer Veränderung (Redder 2005). Im vorliegenden Fall aktualisieren z. B. „eingraben“, „einstürzen“ und „verrecken“ ein Wissen der Hörer über das historische Handeln und die körperlichen und emotionalen Zustände und Wahrnehmungen der Gefangenen. Über die zeitliche Form der Darstellung im Präsens werden diese Handlungen und Wahrnehmungen zusätzlich nah an die aktuelle Sprechsituation „herangeholt“. Ich denke, dass die Guide mit dieser Darstellung eine Vorstellung stiftet, die eine Vermittlung von Zeugenschaft leistet. Angemerkt sei indes, dass m. E. weder das sprachliche Handeln dieser Guide an dieser Stelle, noch das von anderen Guides bei Führungen allgemein und pauschal als „Erzählen“ erfasst werden kann: Vielmehr kommen wiederholt „nicht-erzählerische rekonstruktive Verfahren“ (Rehbein 1984: 76ff.) zum Tragen wie das „Schildern“, „Berichten“ und „Beschreiben“.
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In B1 eröffnet die Guide drei „Zugänge zur Erinnerung“: über Vergleiche und Metaphern sowie vermittels einer Form der „Arbeit mit dem Ort“ durch deiktisches Zeigen, das auf die Vorstellung der Hörer vom historischen Ort abhebt. Da in B1 keine Redewiedergaben vorliegen, werden diese im Folgenden kurz in den Blick genommen. Beleg B2 folgt ca. 40 Sekunden später auf B1, der propositionale Zusammenhang ist noch gegeben.
B2 „Zoobesuch“ (Minuten im Diskurs: 00:09:00–00:09:30)
In B2 erhält die Guide die in B1 etablierte Mensch-Tier-Semantik aufrecht und verwendet weiterhin das Präsens. Auch hier macht sie zwei Vergleiche explizit, mittels der Redewiedergabe „Bestien in Menschengestalt“ (Seg. 3) und „Zoobesuch“ (Seg. 4). Historisch waren immer wieder Menschen an die Zäune der Heidelager gekommen. Der „Lagertourismus“ war zwar politisch umstritten, wurde jedoch
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geduldet bzw. sanktioniert. Als die Wehrmacht die Sperrung der Wege veranlasste, empörte sich der Bürgermeister von Wietzendorf: „[In] der Bevölkerung [wird] der Eindruck erweckt, man habe etwas zu verbergen. Weiter wird der Bevölkerung wertvolles Anschauungsmaterial entzogen. Es kann nichts schaden, wenn sich die Bevölkerung diese Tiere in Menschengestalt ansieht, zum Nachdenken angeregt wird und feststellen kann, was geworden wäre, wenn diese Bestien über Deutschland hergefallen wären“ (Hamburger Institut für Sozialforschung 2002: 261).
In B2 vermittelt die Guide den Hörern Wissen über das Handeln und die faschisierte Mentalität dieser historischen Aktanten, wobei die Redewiedergaben und Vergleiche als Veranschaulichungsverfahren fungieren, die das Handeln und die ihm zugrunde liegenden Einstellungen und Haltungen der Menschen am Zaun illustrieren. Die Funktion von Redewiedergaben habe ich in Publikationen aus den Jahren 2014 und 2015 detaillierter referiert und auf Führungen bezogen, hier sei dies nur kurz zusammengefasst: Redewiedergaben sind sprachliche Handlungsmittel, mit denen ein Sprecher einem aktuellen Hörer Einblicke in eine vergangene Sprechsituation gibt und Vorstellungen von Konstellation aufbauen kann. Brünner (1991) bestimmt das „Involvieren“ und die „Zeugnisfunktion“ als charakteristische Merkmale von Redewiedergaben und arbeitet heraus, dass sie geeignete Mittel zur Weitergabe von erfahrungsgesättigtem Wissen sind. Sprechhandlungstheoretisch wichtig ist, dass (direkte) Redewiedergaben keine eigenständige Illokution haben – diese ist blockiert oder suspendiert –, sondern illokutiv innerhalb der aktuellen Sprechsituation wirken (Ehlich 1976: 355). Genau darin liegt ihre involvierende Kraft: Der aktuelle Hörer muss sich das Handlungspotenzial der originalen Äußerung und ihres Zusammenhangs selbst erschließen und wird darüber nachgerade in mentales Mithandeln an Vorstellung und Wissen verstrickt. Dies ist auch relevant mit Blick auf die Redewiedergaben in B2, die aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive kritikwürdig sein mögen, weil sie fingiert, vulgo: ausgedacht, sind. Zwar erwähnt die Guide in der Führung den Brief des Bürgermeisters nicht, doch zeigt das kurze Zitat, wie nah ihre Verwendung von „Bestien in Menschengestalt“ (Seg. 3) dem Sprachgebrauch der historischen Täterinnen und Täter ist. In funktionaler Perspektive ist die Frage nach der Authentizität von Redewiedergaben auch insofern sekundär, als dass diese den interessierten Hörer (Leser/Zuschauer) unabhängig von ihrer Echtheit involvieren. Auch mit der Äußerung „Bei denen hat man immer gesagt: ‚Das sind Bestien in Menschengestalt!‘“ (Seg. 2f.) zielt die Guide bei den Hörern auf den Aufbau einer Vorstellung ab und zwar von der NS-Propaganda und ihrer Wirkung. Der Äußerungsteil „Bei denen hat man immer gesagt“ strukturiert das in der Redewiedergabe vermittelte historische Wissen als „Bildwissen“, ein „Wissens-
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strukturtyp“ (Ehlich/Rehbein 1977), bei dem ein Aktant mehrere Einschätzungen zu etwas oder jemandem synthetisiert. Dieses dezidiert gesellschaftliche Wissen kann als „Image“ von mehreren Aktanten geteilt werden. Die Redewiedergabe und die ihr vorangestellte Äußerung vermitteln den Hörern ein Bildwissen über ein Kollektiv von Täterinnen und Tätern, die etwas mehrfach gesagt, gehört und ggf. auch geglaubt haben. Dies trägt zum Aufbau einer Vorstellung von ganz normalen Menschen jener Zeit bei, die rezente Topoi der NS-Propaganda übernahmen, als Image teilten und auf deren Grundlage sie Erwartungen ausprägten. Diese Erwartungen skizziert die Guide auch mit der zweiten, fingierten Redewiedergabe „Wie sehen sie denn nun aus“ (Seg. 5), mit der sie die Handlungsmotive der historischen Menschen als eine Gemengelage aus Neugier und Schaulust vorstellt. Das Verstehen dieser Handlungsmotive seitens der Hörer sichert die Guide erneut mithilfe eines Vergleichs, indem sie die den Jugendlichen vertraute Erfahrung eines „Zoobesuchs“ in Anspruch nimmt (Seg. 4). Aus gedenkstättenpädagogischer Sicht problematisieren Gaede und Gryglewski (2015) das Vergleichen, vor allem mit Blick auf die Besucherinnen und Besucher. Gerade Jugendliche „scheinen sich einem historischen Sachverhalt über Vergleiche besser annähern zu können. Ihre Fragen gehen in der Regel von etwas Vertrautem aus, um die historischen Fakten besser einzuordnen“ (Gaede/Gryglewski 2015: 347). Gaede und Gryglewski empfehlen Guides, zwischen „illegitimen“ und „legitimen“ Vergleichen der Besucherinnen und Besucher zu unterscheiden. Legitim seien Vergleiche, die als „Orientierung und Entscheidungshilfe“ fungierten (Gaede/Gryglewski 2015) oder als „Aktualisierungen“ dem „Aufzeigen von Kontinuitätslinien“ dienten (Gaede/Gryglewski 2015: 351ff.). Illegitim seien solche „der Provokation“ oder „Apologetik“, die „problematische Einstellungen“ ausdrückten (Gaede/Gryglewski 2015: 349ff.). Linguistisch betrachtet nehmen Gaede und Gryglewski damit weniger konkrete sprachliche Handlungen des Vergleichens in den Blick, sondern problematisieren Vergleiche als Strukturmerkmale von Argumentationen. Über ihre Hörerzentrierung betrachten sie zudem v. a. die „Objekte“ gedenkstättenpädagogischen Handelns. Die obigen Belege zeigen indes, dass und wie Vergleiche auch von Guides verwendet werden – und zwar unterhalb des Argumentierens als einer komplexeren diskursiven Struktur, auf der Ebene einzelner sprachlicher Handlungen. Nicht zuletzt ob des Stellenwerts von Metaphern und Vergleichen für das Denken allgemein (Lakoff/Johnson 1980) und ob ihrer Funktionalität als „Tropen historischen Erzählens“ (White 1994: 50ff.), dürfte es eine gehörige Selbstdisziplinierung von Guides erfordern, Vergleiche wie die in B1 und B2 im Fluss des Diskurses gezielt zu vermeiden.
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4 Ausblick Die Belege zeigen exemplarisch, wie eine Guide bei einer Führung auf die Überwindung von Distanz im Wissen der Hörer abzielt. Die in B1 und B2 genutzten „sprachlichen Zugänge zur Erinnerung“ wirken gnoseologisch, indem sie den Hörern historische Konstellationen und Aktanten mit deren Handlungen und Erfahrungen vergegenwärtigen und veranschaulichen sowie auf mentale Tätigkeiten des Vorstellens zielen. Dafür ist auch die Analyse der weiteren Äußerungen der Guide in B2 aufschlussreich; hier nur im Ausblick: Auch mit der Äußerung es „gibt Jugendliche, die ein Stückchen Brot oder einen Apfel über diesen Zaun werfen“ und sich über die Verelendeten „lustig machen“ (Seg. 6) zielt die Guide bei den Hörern auf die mentale Tätigkeit des Vorstellens. So zeigt z. B. die Deixis „diesen (Zaun)“ nicht im Wahrnehmungs- sondern im Wissensraum der Hörer, genauer: in deren Vorstellung. Die Guide elaboriert die Konstellation des Lagers als einen historischen Handlungsraum mit einem Außen und einem Innen und „objektiven“ und „subjektiven Dimensionen“ (Rehbein 1977). „Dieser Zaun“, außerhalb dessen die Lagertouristen und -touristinnen standen und sich mokierten, zählte zu den „objektiven Dimensionen“ des Lagers. Die Wissensvermittlung über „subjektive Dimensionen“ dieses historischen Handlungsraums knüpft die Guide an die Perspektive der Opfer, die wie Bestien im Zoo begafft werden, in Erdlöchern hausen und sich mit ihren Händen eingraben (s. o.). Diese Menschen werden den Hörern als „Personnage“ einer grauenvollen „Szenerie“ (Rehbein 1980: 77) vorgestellt, in der sie jeglicher Handlungsmöglichkeiten beraubt waren. In der Geschichtsdidaktik haben u. a. Lange (2011a, 2011b) und Zülsdorf-Kersting (2007) auf den Stellenwert des Vorstellens für das historisch-politische Lernen hingewiesen. Auch die obigen Analysen weisen auf die Relevanz dieser mentalen Tätigkeit bei der Vermittlung historischen Wissens hin und zeigen, dass das sprachliche Handeln der Guide eine gleichermaßen orts- wie vorstellungsbezogene Arbeit am Wissen der Hörer ist. Mithilfe des Zeigens im Wissensraum der Hörer hebt die Guide ihre Beschreibung und Schilderung der historischen Konstellation und ihrer Aktanten in die Vorstellung der Hörer. Das sprachliche Zeigen und die Verwendung einer Art historischen Präsens stiften aufseiten der Hörer eine Vorstellung von den historischen Aktanten in ihrer Konstellation und holen sie nah an die Hörer der aktuellen Sprechsituation heran. Dennoch handelt es sich nicht um ein Erzählen im engeren Sinne; die Darstellung hat eher schildernden und beschreibenden Charakter. Insofern lässt sich mit Blick auf die Frage nach dem Erzählen bei Führungen sagen, dass die Guide in B1 und B2 eine narrative Voreinstellung nutzt, ohne die Handlungsform des Erzählens voll auszuschöpfen. Dennoch: In B1 und B2 vermittelt sie ein Zeugnis
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und ein Bild von den Opfern eines bilderlosen Verbrechens, an einem Ort, dem man seine Geschichte heute kaum mehr ansieht. An die Frage nach dem Verhältnis von Erzählen, Beschreiben, Schildern und anderen Handlungsformen bei Führungen knüpfen sich Fragen, die über die Linguistik hinaus relevant sein können. Zum Beispiel ob Darstellungen des Leidens, wie jene in B1 und B2 eigentlich im Widerspruch zu den Maßgaben des Beutelsbacher Konsenses stehen („Überwältigungsverbot“). Ich denke, dass dem nicht so ist und dass dies mit dem eingangs erwähnten Problem der doppelten institutionellen Zwecksetzung von historisch-politischer Bildungsarbeit und Erinnern und Gedenken zu tun hat: Diese Zwecke sind unterschiedlich gelagert und können konfligieren – und dies kann sich im sprachlichen Handeln der Guides niederschlagen. Während historisch-politische Bildungsarbeit mit nüchternen sprachlichen Darstellungen umgesetzt werden kann, erfordern Erinnern und Gedenken die empathische Hinwendung der Hörer auf jene Menschen, die zu „Tieren“ gemacht wurden. Für Guides kommt erschwerend hinzu, dass sie sich auch empathisch ihren Hörern zuwenden sollten (Heyl 2013). Dies berührt auch das eingangs skizzierte Problem des Erwartungsdrucks an Führungen bei gleichzeitig mangelnder Forschung. Als Diskurse bieten Führungen generell andere Verstehens-Potentiale und kooperative Möglichkeiten als Texte und Bilder. Potentiale der Verflüssigung von Wissen des kulturellen Gedächtnisses liegen bei Führungen offenbar in der Veranschaulichung von historischem Wissen (z. B. über Redewiedergaben), im Anschluss tendenziell „Ich-fernen“ historischen Wissens an alltagspraktisch verankertes „Ich-nahes“ Wissen (Pöppel 2000) sowie in der Übermittlung und Strukturierung historischen Wissens als „Bildwissen“. Dieser Befund bietet m. E. Anschluss an geschichtsdidaktische Erkenntnisse (Lange 2011a, 2011b; Zülsdorf-Kersting 2007) – und er berührt auch das Problem der zukünftigen Gestaltung von Formen des Erinnerns: Führungen sollten, pointiert gesagt, keinesfalls durch Apps ersetzt werden – wie es in der Fachszene mitunter diskutiert wird –, sondern weiter auf ihre kommunitären, teleologischen und gnoseologischen Potentiale als Diskurse untersucht werden, auch um sie als spezifische Lehr-Lern-Diskurse didaktisch weiter unterfüttern zu können. Die Analyse des sprachlichen Handelns von Guides kann aufschlussreich für eine interdisziplinäre Forschung sein, die sich mit der Vermittlung und gesellschaftlichen Relevanz des Wissens von Zeuginnen und Zeugen beschäftigt und/ oder mit der Frage, wie Guides als geschichtspolitische Akteurinnen und Akteuren agieren (Ballis 2018). Auch für Praktikerinnen und Praktiker dieser Bildungsarbeit können funktional-pragmatische Analysen als Werkzeug und als Reflexions- und Schulungsmaterial dienen. Ein weiteres Potential von Diskurs liegt in der Möglichkeit von Rückfragen und Beiträgen durch die Hörer. Auch wenn diese mitunter zaghaft vorgetragen werden, zeigt sich am empirischen Material, dass sie vorkommen. Hörer
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handeln dann selbst als Sprecher, die ihr Wissen im Diskurs erproben. Bildungsarbeit in KZ-Gedenkstätten ist politisch relevant und lebt maßgeblich von „Diskurs“, im linguistischen Sinne einer „face-to-face“-Kommunikation wie im politischen Sinne einer öffentlichen Debatte um den Umgang mit einer Geschichte, die keinesfalls in die „gnoseologische“ Distanz abgeschoben werden darf.
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Außerschulische Lernorte wie das KZ Osthofen neu entdeckt Wie „aktivierte Rundgänge“ durch selbstreguliertes Lernen und Fachsprachentraining tiefgreifende Lernprozesse fördern Cornelia Dold
Zusammenfassung
Gedenkstätten sollen als außerschulische Lernorte zu einem tiefgreifenden Verstehen beitragen, das Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft miteinander verknüpft. In fachdidaktischen Ansätzen wird darauf hingewiesen, dass gerade das Zusammenspiel aus fachlichem und sprachlichem Lernen ein solches Verstehen fördert. Es stellt sich die Frage, welche pädagogischen Angebote an außerschulischen Lernorten geschaffen werden müssen, um ein tiefgreifendes Lernen zu ermöglichen. Der vorliegende Beitrag widmet sich einem für Osthofen neu entwickelten Führungskonzept, den sogenannten „aktivierten Rundgängen“. Dieses Konzept setzt auf selbstreguliertes Lernen mittels intensiver angeleiteter Quellenarbeit. Zudem wurde ein Fachsprachen- und Methodenmodul entwickelt, mit dessen Hilfe Schülerinnen und Schüler den spezifischen Umgang mit Quellen erlernen. Anhand quasi-experimenteller Studien wird folgender Frage nachgegangen: Fördern Instruktionen zu Selbstregulation und Fachsprachentraining tiefgreifendes Lernen am außerschulischen Lernort? Ziel dieses Beitrags ist es, den theoretischen Hintergrund und die Methode der „aktivierten Rundgänge“ sowie das Fachsprachen- und Methodentraining darzustellen und die Ergebnisse der Pilotstudie zu präsentieren. Somit möchte der Beitrag eine erste Antwort auf die Frage geben, welche Chancen sich durch die Methode der „aktivierten Rundgänge“ für die Gedenkstättenpädagogik ergeben. Der folgende Beitrag enthält Teile der von der Autorin 2019 am Fachbereich 02 der Johannes Gutenberg-Universität Mainz eingereichten Dissertation „Außerschulische Lernorte neu entdeckt. Feldstudien in der Gedenkstätte KZ Osthofen zur Förderung tiefgreifender Lernprozesse durch ‚aktivierte Rundgänge‘ mit selbstreguliertem Lernen und Fachsprachentraining“ (Dold 2019). © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Gloe und A. Ballis (Hrsg.), Holocaust Education Revisited, Holocaust Education – Historisches Lernen – Menschenrechtsbildung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24207-7_3
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Cornelia Dold
Abstract
Memorial sites are extracurricular learning centres that are supposed to contribute to a deeper learning that connects past, present, and future. Educational approaches indicate, that a synergy between content and language learning in particular promotes deeper learning. The question remains which educational propositions must be created at extracurricular learning centres in order to achieve this deeper learning. This paper deals with a newly created tour concept for the KZ Osthofen, the so called “activated tours”. This concept depends on self-regulated learning which is implemented under instructional scaffolding through intensive work with original historical sources. Additionally, a terminology and method training has been developed by means of which students learn the specific approach to deal with primary sources. On the basis of quasi-experimental studies, the following question will be analysed: Do instructions for self-regulation and terminology training promote deeper learning at extracurricular learning centres? The aim of this paper is to present the theoretical background and method of the “activated tours” as well as to depict the terminology and method training and to display the results of the pilot run. Therefore, this paper aims at giving a first answer to the question, which chances “activated tours” have to offer for memorial education. The following paper contains excerpts from the dissertation “Außerschulische Lernorte neu entdeckt. Feldstudien in der Gedenkstätte KZ Osthofen zur Förderung tiefgreifender Lernprozesse durch ‘aktivierte Rundgänge’ mit selbstreguliertem Lernen und Fachsprachentraining” by Cornelia Dold, submitted to Department 02 of the Johannes Gutenberg-University of Mainz in 2019 (Dold 2019).
1 Einleitung „Gedenkstätten möchten mehr erreichen als nur die Vermittlung des historischen Geschehens. Sie wollen zu einem eigenständigen, kritischen Umgang mit Geschichte befähigen und ihre Bedeutung für die Gegenwart zeigen“ (Lutz 2013: 379). Gerade in einer Zeit des gesellschaftlichen Wandels, in der leichte Antworten auf komplexe Fragen und sogenannte „alternative Fakten“ eine immer wichtigere Rolle spielen, wachsen die Aufgaben der Gedenkstätten. Als außerschulische Lernorte möchten sie nicht nur historisches Geschehen vermitteln, sondern zu einem tiefgreifenden Verstehen beitragen, das Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft miteinander
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verknüpft (Bauer 2008: 184). Es stellt sich die Frage, welche Chancen sich an einem außerschulischen Lernort wie dem ehemaligen KZ Osthofen für Schülerinnen und Schüler ergeben. Fachdidaktische Ansätze weisen darauf hin, dass das Zusammenspiel zwischen Fachsprache, Strategien und Faktenwissen tiefgreifendes Lernen ermöglicht. Wie an außerschulischen Orten gearbeitet werden kann, um solche Lernprozesse zu fördern, ist jedoch ein weitgehendes Forschungsdesiderat. Im Zuge des Promotionsprojektes „Selbstregulation und Fachsprachentraining am außerschulischen Lernort KZ Osthofen in Rheinland-Pfalz“ habe ich ein Modell entwickelt, in dem der Einfluss von Selbstregulation sowie Fachsprachen- und Methodentraining auf das Lernen am außerschulischen Lernort dargestellt wird. Mit Hilfe einer Verknüpfung der Fachbereiche Geschichtsdidaktik und Psychologie soll dies einen Beitrag leisten, die oben genannte Forschungslücke zu schließen. Folgende Forschungsfrage steht im Zentrum des Projektes: Fördern Instruktionen zur Selbstregulation sowie Fachsprachen- und Methodentraining tiefgreifendes Lernen am außerschulischen Lernort? Im vorliegenden Beitrag wird zunächst die Gedenkstätte KZ Osthofen kurz vorgestellt. Anschließend wird der theoretische Hintergrund mit den Themen Selbstregulation und Fachsprachentraining, Emotionen im Lernprozess, Motivation und tiefgreifendes Lernen dargestellt. Daraufhin steht die Methode der „aktivierten Rundgänge“ im Zentrum. Da bereits eine Pilotierung der neu entwickelten Methode stattgefunden hat, werden im Anschluss daran die Erhebungsinstrumente, ausgewählte Hypothesen, die geplante Hauptstudie sowie erste Ergebnisse der Pilotierung präsentiert.
2
Die Gedenkstätte KZ Osthofen
Das Konzentrationslager Osthofen in der Nähe von Worms in Rheinland-Pfalz war eines der ersten Lager im Deutschen Reich. Es wurde bereits im März 1933 in einer leerstehenden Papierfabrik eingerichtet (Abb. 1). Zeitungsartikel der damaligen Zeit berichteten über dieses KZ als „Erziehungs- und Besserungs-Anstalt in Osthofen“, um „verwilderte Marxisten zu anständigen Menschen“ zu erziehen (Niersteiner Rheinwarte 1933). Das Lager diente der Inhaftierung und Ausschaltung politischer Gegner. In den anderthalb Jahren, in denen das Gebäude als KZ genutzt wurde, waren circa 3.000 Menschen hier inhaftiert. Namentlich bekannt sind etwa 1.800. Im KZ Osthofen wurde zwischen März 1933 und Juli 1934 kein Häftlinge ermordet. Die Gefangenen wurden menschenunwürdig behandelt, misshandelt und gefoltert. Viele der in Osthofen Inhaftierten wurden nach der Schließung des KZ Osthofen weiter
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Abb. 1 Außenansicht des KZ Osthofen, April 1933 (Quelle: NS-Dokumentationszentrum Osthofen ©)
verfolgt, in andere Lager oder Haftstätten deportiert und später getötet (http:// www.gedenkstaette-osthofen-rlp.de [29.03.2019]). In der Gedenkstätte KZ Osthofen kann man heute den Appellplatz mit seinen damaligen Ausmaßen und die Schlaf- und Aufenthaltshalle der Häftlinge sehen, in der auf Rekonstruktionen verzichtet wurde. Zudem befindet sich in der Gedenkstätte KZ Osthofen seit 2004 eine Dauerausstellung, in der die beiden Konzentrationslager Osthofen und Hinzert im Mittelpunkt stehen. Einen weiteren Schwerpunkt bildet das Thema „Verfolgung und Widerstand“ auf dem Gebiet des heutigen Rheinland-Pfalz. Im NS-Dokumentationszentrum in der Gedenkstätte KZ Osthofen können Besucherinnen und Besucher zu den beiden Konzentrationslagern, aber auch allgemein zur NS-Zeit im heutigen Bundesland Rheinland-Pfalz recherchieren und forschen. Das pädagogische Angebot der Gedenkstätte für Schulklassen umfasst vor allem „klassische“ Führungen, aber auch Projekttage und Projektwochen. Dabei stellt sich die Frage, wie man bei den Besichtigungen einen Rahmen schaffen kann, der nachhaltiges und tiefgreifendes Lernen fördert. An einem außerschulischen
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Lernort wie dem KZ Osthofen bietet sich die Möglichkeit, Schülerinnen und Schüler eigenständig mit historischen Quellen arbeiten zu lassen und den Ort zu erkunden. Für das Promotionsprojekt wurde genau hier angesetzt und mit den sogenannten „aktivierten Rundgängen“ ein pädagogisches Angebot geschaffen, das selbstreguliertes Lernen am außerschulischen Lernort möglich macht.
Theoretischer Hintergrund
3.1
Das zugrunde liegende Modell und seine Annahmen
Abb. 2 Didaktisches Strukturmodell, basierend auf Vollmeyer/Rheinberg 2006 (eigene Darstellung)
Lernen am außerschulischen Lernort setzt sich – wie jeder Lernprozess – aus drei Schritten zusammen: aus Voraussetzungen, einem Prozess und einem endgültigen Produkt (Vollmeyer/Rheinberg 2006: 240; siehe Abb. 2). Jeder dieser Schritte ist durch drei Aspekte charakterisiert: Schülerinnen und Schüler bringen bestimmte, individuelle Voraussetzungen für das Lernen mit. Dies sind motivationale Aspekte (1) wie Interesse, kognitive Aspekte (2) wie Vorwissen und emotionale Aspekte (3), also Einstellungen zur Situation und zum behandelten Thema. Der Lernprozess der Schülerinnen und Schüler wird wiederum von drei Aspekten geprägt, wobei
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im Bereich der Kognition neben dem Vorwissen auch angewandte Lernstrategien eine wichtige Rolle spielen. Am Ende eines jeden Lernprozesses sollte ein Produkt stehen, ein Ergebnis. Auch das Produkt wird durch die kognitiven, motivationalen und emotionalen Aspekte bestimmt. Die drei Schritte eines Lernprozesses hängen zusammen: Voraussetzungen haben einen Einfluss auf den Lernprozess und der Prozess wiederum auf das Produkt. Aus der Theorie leiten sich sowohl Selbstregulation als auch Fachsprachen- und Methodentraining als wichtige Einflussfaktoren auf das Lernen ab. Es stellt sich jedoch die Frage, wie genau dieser Einfluss aussieht und inwiefern sich Selbstregulation und Training auf diese Schritte auswirken. Dieses didaktische Strukturmodell (siehe Abb. 2) baut auf dem kognitiv-motivationalen Prozessmodell von Vollmeyer und Rheinberg (2006) auf. Die kognitiven und motivationalen Aspekte, die hier als Mediatoren, also Einflussfaktoren, auf Lernen definiert werden, werden in der oben gezeigten didaktischen Struktur um emotionale Aspekte ergänzt, da Emotionen ein wichtiger Einfluss sowohl auf Motivation als auch auf kognitive Ressourcen zugeschrieben wird (Goetz et al. 2007: 14). Daher gelten sie in jeglicher Lernsituation als bedeutungsvoll (Meyer/ Imhof 2017: 22–24). Im Zuge des Promotionsprojektes wurde ein neues Konzept für Rundgänge entwickelt, die sogenannten „aktivierten Rundgänge“, bei denen die Schülerinnen und Schüler zu Expertinnen und Experten einzelner Themenbereiche der Geschichte des ehemaligen KZs Osthofen werden. Themenbereiche und übergeordnete Fragestellungen lauten dabei wie folgt: • Das KZ Osthofen im nationalsozialistischen Lagersystem: Wie ist das KZ Osthofen im nationalsozialistischen Lagersystem einzuordnen? • Die Errichtung des Konzentrationslagers Osthofen: Welche Umstände führten dazu, dass in Osthofen ein KZ errichtet wurde? • Haftgründe und Herkunft der Häftlinge: Aus welchen Gründen wurden die Menschen in Osthofen inhaftiert und wo kamen die Häftlinge her? • Häftlingsalltag: Wie sah der Alltag für die Häftlinge im KZ Osthofen aus? • Wachpersonal: Wer war für die Organisation des Lagers und die Bewachung der Häftlinge zuständig? • Die Entstehung der Gedenkstätte KZ Osthofen: Wie wurde das ehemalige KZ in Osthofen zur Gedenkstätte? Die Schülerinnen und Schüler erhalten für eine vierstündige Vorbereitung in der Schule Mappen mit Informationstexten und Quellen zu ihrem jeweiligen Thema. Anhand von Arbeitsaufträgen werden die Schülerinnen und Schüler zu einer intensiven Quellenarbeit angeleitet. Teil dieser Arbeitsaufträge ist es, einen Vor-
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trag zu dem jeweiligen Themenkomplex zu erarbeiten. Sie dienen also dazu, dass sich die Schülerinnen und Schüler beim Besuch der Gedenkstätte selbst über das Gelände führen. Die Arbeitsaufträge wurden so entwickelt, dass sie den Historical Thinking Concepts von Seixas und Morton (2013) folgen, indem sie zunächst zu einer Analyse, einer Einordnung in den historischen Kontext und abschließend zur kritischen Beurteilung der Quellen anleiten. Zudem wurde darauf geachtet, unterschiedliche Quellen und Darstellungstexte zusammenzustellen, die die Schülerinnen und Schüler in besonderem Maße zu einer kritischen Reflexion sowie einem eigenständigen Urteil befähigen. So werden im Material zum Thema „Wachpersonal“ Erinnerungen oder Gerichtsaussagen ehemaliger Wachen Zitaten ehemaliger Häftlinge gegenübergestellt. Die Quellen zum Thema „Die Entstehung der Gedenkstätte KZ Osthofen“ umfassen Zeitungsberichte, in denen die Errichtung der Gedenkstätte gefordert wird, aber auch Leserbriefe, die sich gegen die Entstehung einer Gedenkstätte in Osthofen aussprechen. Diese intensive Vorarbeit befähigt die Schülerinnen und Schüler dazu, einen Vortrag über ihr Thema vorzubereiten. Am Tag des Gedenkstättenbesuchs führen sich die Schülerinnen und Schüler in Begleitung einer pädagogischen Fachkraft gegenseitig über das Gelände und halten nach und nach ihre Vorträge. Dabei können sie eigenständig entscheiden, wer aus der Gruppe den Vortrag hält, welche Quellen sie der Gesamtgruppe präsentieren und an welchem Ort sie ihren Vortrag halten möchten. Das Fachsprachen- und Methodentraining umfasst ebenfalls Material zur Vorbereitung in der Schule. Es setzt sich aus einem Informationstext zur Sprache des Nationalsozialismus, einem Sprachtraining zu Euphemismen, Leitfäden zur Analyse von Text- und Bildquellen sowie einer abschließenden Übung zur Analyse eines Bildes und eines Textes zusammen. Dieses Training absolvieren die Schülerinnen und Schüler in einer weiteren Unterrichtsstunde in Einzelarbeit. Neben selbstreguliertem Lernen wird vom Fachsprachen- und Methodentraining ebenfalls ein Einfluss auf den Lernprozess erwartet. Durch ein gezieltes Training im Umgang mit Quellen soll die Kompetenz der Schülerinnen und Schüler, Quellen zu analysieren und kritisch zu reflektieren geschult werden. Um die Lernqualität in den drei Schritten des Lernprozesses zu fördern, wurden in dem Projekt selbstreguliertes Lernen und Fachsprachentraining miteinander verknüpft. Sowohl im Fachbereich Psychologie als auch im Fachbereich Geschichtsdidaktik gibt es theoretische Annahmen und einzelne Studien zum Einfluss von Selbstregulation und Fachsprache auf Lernen. Aus geschichtsdidaktischer Perspektive besteht in Bezug auf das Zusammenwirken dieser beiden Konstrukte jedoch eine Forschungslücke. Die Frage besteht darin, ob Lernen durch Selbstregulation positiv beeinflusst werden kann und ob sich dieser Effekt durch ein zusätzliches Fachsprachen- und Methodentraining noch verstärkt.
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3.2
Selbstreguliertes Lernen und Fachsprachentraining am außerschulischen Lernort
Ehe der theoretische Hintergrund zu selbstreguliertem Lernen und Fachsprache vorgestellt wird, werden diese Konstrukte zunächst einmal definiert. Dabei wird für selbstreguliertes Lernen auf die Definition von Schiefele und Pekrun (1996: 258) zurückgegriffen, für Fachsprache auf die Definition von Michalak et al. (2015: 10). „Selbstreguliertes Lernen ist eine Form des Lernens, bei der eine Person in Abhängigkeit von der Art ihrer Lernmotivation selbstbestimmt eine oder mehrere Steuerungsmaßnahmen (kognitiver, metakognitiver, volitionaler oder verhaltensmäßiger Art) ergreift und den Fortgang des Lernprozesses selbst überwacht“ (Schiefele/Pekrun 1996: 258).
Im Rahmen der „aktivierten Rundgänge“ wird selbstreguliertes Lernen durch die angeleitete Quellenarbeit umgesetzt: Somit können die Schülerinnen und Schüler in den Expertengruppen selbständig Aufgaben untereinander verteilen und es müssen nicht alle das gesamte Material bearbeiten. Zudem werden sie dazu angeleitet, eigenständig Schwerpunkte zu setzen und diesbezüglich Quellen zur Präsentation in ihrem Vortrag auszuwählen. Um am Tag des Gedenkstättenbesuches der Gesamtgruppe einen Vortrag präsentieren zu können, müssen die Schülerinnen und Schüler – wie in der obigen Definition beschrieben – ihren Lernprozess selbst überwachen. Die Selbstregulation wird insbesondere dadurch realisiert, dass die Schülerinnen und Schüler einen eigenen Vortrag zum jeweiligen Thema erarbeiten. Die Herausforderung dieses Vorgehens besteht darin, Selbstregulation und angeleitetes Lernen in Balance zu bringen. Dies wird möglich, indem die Schülerinnen und Schüler nicht nur die Arbeitsaufträge aus der Quellenarbeit präsentieren sollen. Die „Anleitungen“ sollen sie vielmehr zum kritischen Umgang mit den Quellen anregen, um daraus im Anschluss einen eigenständig erarbeiteten Vortrag zu ihrem Thema halten zu können. „Fachsprache zu verwenden, bedeutet nicht nur, den (Fach-)Wortschatz zu gebrauchen, sondern auch die sprachlichen Handlungsmuster, z. B. die angemessene Form bestimmter Texte, sog. Textmuster, zu berücksichtigen“ (Michalak et al. 2015: 10).
Im Fachsprachentraining wird dieser Definition folgend sowohl auf Fachwortschatz als auch auf sprachliche Handlungsmuster des Faches Geschichte eingegangen. Die sprachlichen Handlungsmuster werden durch die Analyseleitfäden und Übungsaufgaben zur Bild- und Textquellenanalyse berücksichtigt. Der Fachwortschatz findet vor allem im Material der „aktivierten Rundgänge“ Beachtung, das im Zuge des Fachsprachentrainings durch Glossare zum Fachwortschatz erweitert wird.
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Aus psychologischer Sicht wird von einigen Forscherinnen und Forschern auf den Zusammenhang von Selbstregulation und Lernqualität hingewiesen. Deci und Ryan beschreiben bereits 1993, dass das Erleben von Autonomie die Lernqualität erhöht. Tiefgreifendes Lernen, oder optimales und hochwertiges Lernen wie Deci und Ryan dies nennen, hängt demnach von der Selbstregulation ab (Deci/Ryan 1993: 235). Mit den „aktivierten Rundgängen“ wurde ein Konzept geschaffen, das selbstreguliertes Lernen für Schulklassen am außerschulischen Lernort KZ Osthofen ermöglicht. Inwiefern dieses selbstregulierte Lernen in Form der „aktivierten Rundgänge“ Einfluss auf die Lernqualität hat, wird in dem Promotionsprojekt untersucht. Aus geschichtsdidaktischer Sicht wird vor allem auf die Bedeutung von Fachsprache hingewiesen. Oleschko (2015) betont, dass gerade das Erlernen von Strategien und Werkzeugen im Umgang mit Quellen tiefgreifendes Lernen ermöglicht. Defensive Ansätze, die historische Kompetenzen durch eine Anpassung bzw. Reduzierung des Anspruchsniveaus erreichen wollen, weist Oleschko zurück. Ihm zufolge geht es darum, Schülerinnen und Schüler mit Strategien und Werkzeugen auszustatten, die ein selbständiges Erfassen und Durchdringen eines Lerngegenstandes ermöglichen (Oleschko 2015: 91). Durch diese Strategien und Werkzeuge sollen Schülerinnen und Schüler Kompetenzen erlernen, die es ihnen ermöglichen, sich eigenständig mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen (Oleschko 2015: 92). Er weist zeitgleich darauf hin, dass es in der Geschichtsdidaktik noch eine Forschungslücke in Bezug auf den Zusammenhang zwischen der Sprachfähigkeit und historischem Lernen gibt (Oleschko 2015: 90). Auch Handro zeigt auf, dass das Potenzial sprachlichen Lernens in den unterschiedlichen Fächern noch unzureichend erforscht sei (Handro 2015: 8f.). Doch sie verweist zugleich auf die Didaktik historischen Erzählens von Rüsen (2008: 48–54), in der bereits die enge Verbindung von sprachlichem und fachlichem Lernen diskutiert wurde. Somit sei vor allem die Analyse von Quellen und Darstellungen zum Erlernen und Einüben fachspezifischen Sprachwissens wichtig (Handro 2015: 13). Doch auch wie eine gemeinsame Vermittlung von Sprach- und Fachwissen konkret umzusetzen ist, bleibt ein fachdidaktisches Desiderat. Klar ist jedoch, dass es nicht nur um die Vermittlung von Fachwortschatz geht, sondern auch um das Erlernen eines Umgangs mit fachspezifischen Textmustern (Michalak 2014: 2f.). Im Fach Geschichte handelt es sich dabei v. a. um den kritischen Umgang mit historischen Quellen aus unterschiedlichen Perspektiven. Gerade die Verknüpfung von selbstreguliertem Lernen und Fachsprachentraining im Bereich der außerschulischen Bildung stellt eine Neuerung dar und soll im Zuge des Promotionsprojektes empirisch untersucht werden. Durch diese Verknüpfung soll die angeleitete Quellenarbeit noch intensiviert werden. So wird
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erwartet, dass das Fachsprachen- und Methodentraining einen kritischen und reflektierten Umgang mit Quellen verstärkt.
3.3
Emotionale Einstellungen zum Lernen am außerschulischen Lernort
Das diesem Projekt zugrunde liegende didaktische Strukturmodell misst Emotionen in allen drei Schritten eines Lernprozesses eine Bedeutung zu (siehe Abb. 2). Diesbezüglich gibt es unterschiedliche theoretische Annahmen. Goetz et al. weisen darauf hin, dass Emotionen Wirkung auf die Motivation, die Lernstrategien sowie kognitive Ressourcen haben (Goetz et al. 2007: 14). Gläser-Zikuda geht davon aus, dass Emotionen kognitive Kapazitäten, z. B. Aufmerksamkeit, binden, die dann bei der Aufgabenbearbeitung und Aufgabenlösung fehlen (Gläser-Zikuda 2001: 48). Studien beschränken sich jedoch zumeist auf das Erleben von Prüfungsangst (Goetz et al. 2004: 54). Brauer und Lücke beschreiben für das Fach Geschichte, dass Emotionen den Zugang zur Vergangenheit sowohl öffnen als auch verschließen können. Verinnerlichen und Erinnern seien Praktiken, die von Emotionen bestimmt würden (Brauer/Lücke 2013: 11, 19). Über den Zusammenhang zwischen dem Erleben von Emotionen und Lernstrategien gibt es ebenso theoretische Annahmen. So gehen Sann und Preiser davon aus, dass fehlende positive Emotionen dazu führen, dass Schülerinnen und Schüler Informationen oberflächlicher verarbeiten und somit die Lernmotivation sowie die Lernleistung geringer sind (Sann/Preiser 2008: 209, 218). Ebenso wird darauf verwiesen, dass Selbstregulation und Emotionen in Zusammenhang stehen: „Je weniger die Lernenden glauben, die Dinge im Griff zu haben, desto weniger positive Emotionen und desto mehr negative Emotionen erleben sie“ (Goetz et al. 2007: 16). Durch das Projekt zur schülergeleiteten Gedenkstättenarbeit wird anhand eines Fragebogens zu Emotionen und Einstellungen überprüft, inwiefern Emotionen in Bezug auf die Situation des Gedenkstättenbesuchs und auf das Thema „Nationalsozialismus“ in Zusammenhang mit Selbstregulation, intrinsischer Motivation und Lernverhalten stehen.
3.4
Die Rolle der Motivation im Lernprozess am außerschulischen Lernort
Motivationale Aspekte spielen, genau wie emotionale Aspekte, in jedem Schritt eines Lernprozesses eine wichtige Rolle. Auch diesbezüglich gibt es mehrere theo
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retische Annahmen. Helmke und Schrader (2006; nach Dresel/Lämmle 2011: 84) gehen davon aus, dass Lern- und Leistungsmotivation einen großen Einfluss auf die Qualität des Lernens, die Vorbereitung und somit auch auf die Schulleistungen haben. Sie sehen in der Förderung der Motivation von Schülerinnen und Schülern ein zentrales Bildungsziel der heutigen Gesellschaft. Die konkrete Lehr-Lern-Situation kann demnach in gewissem Maße Einfluss auf die Motivation der Schülerinnen und Schüler haben (Dresel/Lämmle 2011: 85–87; Sann/Preiser 2008: 209, 219). So hängen die interessante Gestaltung des Lehrstoffes, die Schwierigkeit der Themen, Möglichkeiten der Lernunterstützung und Autonomie sowie das Feedbackgeben eng mit der Höhe der Motivation der Schülerinnen und Schüler zusammen (Dresel/ Lämmle 2011: 131f., 138; Sann/Preiser 2008: 219f.). Emotionen können das Erleben von Motivation sowohl fördern als auch hindern. Außerschulische Lernorte wollen eine Lernumgebung schaffen, in der v. a. die intrinsische Motivation bei Schülerinnen und Schülern geweckt wird, wobei man von intrinsischer Motivation spricht, wenn Dinge „um ihrer selbst wegen“ ausgeführt werden (Deci/Ryan 1993: 225; Goetz et al. 2007: 15). Dabei spielen Selbstregulation und kompetentes Handeln von Seiten der Schülerinnen und Schüler eine große Rolle (Wilde et al. 2009: 33f.). Der außerschulische Lernort soll ein Ort sein, der frei von Notendruck und schulischer Leistungsmessung ist (Lutz 2013: 371, 378). Somit bietet sich hier eine gute Gelegenheit, die intrinsische Motivation der Schülerinnen und Schüler zu fördern (Wilde et al. 2009: 33f.). Das Material der „aktivierten Rundgänge“ soll genau dazu beitragen und die intrinsische Motivation der Schülerinnen und Schüler fördern. Die Schwierigkeit des Materials variiert, sodass die Schülerinnen und Schüler je nach Leistungsniveau entscheiden können, welche Aufgaben sie bearbeiten möchten. Die Autonomie aufseiten der Schülerinnen und Schüler entsteht dadurch, dass sie die Materialien mit den dazugehörigen Aufgaben selbständig untereinander aufteilen können. Es wurden also mehrere Aspekte berücksichtigt, die sich aus den oben beschriebenen theoretischen Annahmen als motivationsförderlich erweisen.
3.5
Tiefgreifendes Lernen („deeper learning“) an außerschulischen Lernorten initiieren
Gedenkstätten wollen mehr als reine Fakten vermitteln, sie wollen zu einem tiefgreifenden und langfristigen Lernen beitragen, das Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft miteinander verknüpft (Bauer 2008: 184). Bei der Graz Group, einer internationalen Arbeitsgruppe aus Expertinnen und Experten im Bereich Content and Language Integrated Learning, ist von vertieftem Lernen, oder auch „deeper
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learning“, zu lesen. Für das hier beschriebene Projekt wurde jedoch der Begriff des tiefgreifenden Lernens gewählt. Bereits Schiefele und Schreyer (1994: 11) sowie Pekrun und Schiefele (1996) sprechen von einer „Tiefenverarbeitung“ bzw. einer „tiefergehenden Informationsverarbeitung“. An dieser Wortwahl wurde sich orientiert, um im Vergleich zum Begriff des vertieften Lernens noch deutlicher zu machen, dass es um eine tiefergehende, langfristigere Verarbeitung geht. Abgesehen von der Begrifflichkeit wurde allerdings auf die Definition der Graz Group zurückgegriffen, nach der sich vertieftes, bzw. tiefgreifendes Lernen wie folgt zusammensetzt (siehe Abb. 3):
Abb. 3 The Graz Group Pluriliteracies Model zum „deeper learning“ (Graz Group 2015 ©)
Lernen findet hier auf einem Wissens- und einem Kommunikationskontinuum statt. Die Entwicklung einer Sachfachliteralität steht somit im Zentrum dieses Modells. Sachfachliteralität ist definiert als die Beherrschung von Fachsprache sowie „[…] die Fähigkeit, sachfachliche Zusammenhänge zunehmend adäquat versprachlichen zu können […]“ (Meyer/Imhof 2017: 21). Schülerinnen und Schüler erlernen Fakten, Strategien, Methoden und Konzepte (Wissenskontinuum). Jede Aufgabe, jeder Text,
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jede Quelle beinhaltet unterschiedlich komplexes Wissen, das von Schülerinnen und Schülern zunächst einmal verstanden und verarbeitet werden muss. Das Kommunikationskontinuum widmet sich der Verbalisierung von Wissen. Wenn Schülerinnen und Schüler ihr Wissen versprachlichen, können sie dies in unterschiedlichem Stil, Modus und zu unterschiedlichen Zwecken tun. Expertinnen und Experten auf diesem Kontinuum sind in der Lage, aufgrund eines bestimmten Zwecks, den richtigen Stil, die richtige Modalität sowie das richtige Genre für die Verbalisierung zu finden. Die Kreise zwischen den beiden Achsen (siehe Abb. 3) symbolisieren typische Aufgaben, die die Schülerinnen und Schüler zum Handeln, Organisieren, Erklären und Bewerten anleiten. Je weiter Schülerinnen und Schüler auf den beiden Achsen voranschreiten und je besser fachliches und sprachliches Wissen miteinander verknüpft werden, desto tiefgreifenderes Lernen liegt vor. In der Geschichtsdidaktik sind historisches Denken und tiefgreifendes Lernen unweigerlich mit einem kritischen Umgang mit Quellen verbunden (Handro 2015: 12). Seixas und Morton (2013: 2f.) heben jedoch hervor, dass Schülerinnen und Schüler allzu oft nur mit einem Endprodukt konfrontiert werden, sprich aufbereiteten Darstellungstexten von Historikerinnen und Historikern. Mit ihren Big Six Historical Thinking Concepts zeigen sie, wie man diesem Umstand entgegenwirken kann. Sie weisen darauf hin, dass Schülerinnen und Schüler nur durch den kritischen Umgang mit unterschiedlichen Quellen verstehen, wie Historikerinnen und Historiker arbeiten und Vergangenheit in Geschichte transformieren. Nur so können sie letztlich selbst beginnen, Geschichte zu „konstruieren“ (Seixas/Morton 2013: 3, 14). “To be able to construct accounts of events – to ‘make’ history – students need to learn how to handle multiple primary documents – to assess where they reinforce each other and, perhaps even more important, where and why they contradict each other” (Seixas/Morton 2013: 48).
Für einen kritischen Umgang mit Quellen und die eigenständige Urteilsbildung ist demnach vor allem das Arbeiten mit sehr unterschiedlichen Quellen notwendig. Die Arbeit mit Primärquellen sollte also immer dem Prinzip der Multiperspektivität folgen, um Schülerinnen und Schüler dazu zu befähigen, sich kritisch mit Geschichte auseinanderzusetzen. Der Umgang mit Quellen passt sehr gut in das oben dargestellte Pluriliteracies Modell der Graz Group mit den sprachlichen Handlungsfeldern „Handeln“, „Organisieren“, „Erklären“ und „Beurteilen“. „Handeln“ meint hierbei fachspezifisches Handeln, also für Historikerinnen und Historiker die Arbeit mit Primärquellen. Schülerinnen und Schüler erhalten durch das Material der „aktivierten Rundgänge“ die Möglichkeit, selbst Wissenschaft zu betreiben. „Organisieren“ zielt darauf ab, Inhalte zunächst einmal zu beschreiben und zu klassifizieren. Beim Material der
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„aktivierten Rundgänge“ geht es darum, die bereitgestellten Quellen zu beschreiben und in bestehendes Wissen einzuordnen. Auch ein Einordnen der Quellen je nach dargestellter Perspektive ist hier möglich. „Erklären“ beinhaltet das Wahrnehmen und Darstellen von inneren Zusammenhängen, wie z. B. von Ursache und Wirkung. Bei den „aktivierten Rundgängen“ werden die Schülerinnen und Schüler durch Arbeitsaufträge genau dazu angeleitet. Es geht im Fach Geschichte immer wieder darum, den historischen Kontext bestimmter Ereignisse zu erklären. Das komplexeste Handlungsfeld stellt das „Beurteilen“ dar. Hier liegt der Fokus auf der kritischen Bewertung von Inhalten und dem Argumentieren eigener Urteile. Im Material der „aktivierten Rundgänge“ wird dieser Punkt dadurch umgesetzt, dass die Schülerinnen und Schüler Quellen aus unterschiedlichen Perspektiven erhalten, diese kritisch beurteilen und zu einer eigenen Sichtweise auf die Geschichte gelangen. Diese Arbeit mündet mit dem Vortragen der erarbeiteten Ergebnisse durch die Schülerinnen und Schüler, also der konkreten Verknüpfung fachlichen und sprachlichen Wissens.
3.6
Forschungsfragen und Hypothesen des Dissertationsprojektes
Aus obigen Annahmen verschiedener Disziplinen und Modelle leitet sich nun folgende Forschungsfrage ab: ▶ Fördern Anleitungen zu Selbstregulation und Fachsprachen- und Methodentraining tiefgreifendes Lernen am außerschulischen Lernort? Gemäß dem entwickelten Modell (siehe Abb. 2) wird die Forschungsfrage in folgenden Hypothesen exemplifiziert.
Selbstregulation und Einstellung zum Gedenkstättenbesuch Hypothese 1.1
Hypothese 1.2
Selbstreguliertes Lernen in Form der „aktivierten Rundgänge“ führt vor einem Rundgang an einem außerschulischen Lernort zu positiveren Einstellungen bzgl. des Gedenkstättenbesuches als dies bei „klassischen Rundgängen“ der Fall ist. Selbstreguliertes Lernen in Form der „aktivierten Rundgänge“ führt nach einem Rundgang an einem außerschulischen Lernort zu positiveren Einstellungen bzgl. des Gedenkstättenbesuches als dies bei „klassischen Rundgängen“ der Fall ist.
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„Aktivierte Rundgänge“ / „Klassische Rundgänge“ und Lernverhalten Hypothese 2.1 Hypothese 2.2
„Aktivierte Rundgänge“ führen bei Schülerinnen und Schülern zu tiefgreifenderem Lernverhalten als „klassische Rundgänge“. „Aktivierte Rundgänge“ führen bei Schülerinnen und Schülern zu einer höheren Lerntiefe beim Umgang mit Quellen als „klassische Rundgänge“.
Fachsprachen- und Methodentraining, Interesse und Lernverhalten bzw. Lerntiefe Hypothese 3.1
Erhalten Schülerinnen und Schüler ein Fachsprachen- und Methodentraining, weisen sie tiefgreifenderes Lernverhalten auf, als Schülerinnen und Schüler ohne ein solches Training. Hypothese 3.2 Erhalten Schülerinnen und Schüler ein Fachsprachen- und Methodentraining, weist deren Analyse von Quellen eine höhere Lerntiefe auf, als die Quellenanalysen von Schülerinnen und Schülern, die kein Training erhalten. Hypothese 3.3 Je interessierter die Schülerinnen und Schüler sind, ein desto tiefgreifenderes Lernverhalten wenden sie an.
Emotionen und intrinsische Motivation Hypothese 4:
Je positiver die Schülerinnen und Schüler gegenüber der Situation und dem Thema eingestellt sind, desto höher ist ihre intrinsische Motivation.
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Methode der empirischen Erhebung
4.1
Anlage der geplanten Hauptstudie
In einer quasi-experimentellen Studie mit Pre- und Posttest sowie Unterscheidung in Experimental- und Kontrollgruppen, werden die Effekte von Selbstregulation sowie Fachsprachen- und Methodentraining auf Lernen am außerschulischen Lernort untersucht. Um analysieren zu können, inwiefern sich Selbstregulation und Fachsprachen- und Methodentraining auf die drei Schritte eines Lernprozesses auswirken, wurde das neue Führungskonzept der „aktivierten Rundgänge“ entwi-
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ckelt, das auf Selbstregulation setzt. Diese „aktivierten Rundgänge“ werden einer klassischen Führung durch pädagogische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gegenübergestellt. Zudem findet eine Variation im Fachsprachen- und Methodentraining statt, sodass sich folgende vier Gruppen ergeben (siehe Abb. 4): Schülerinnen und Schüler, die sowohl am „aktivierten Rundgang“ als auch am Fachsprachen- und Methodentraining teilnehmen, Schülerinnen und Schüler, die nur an einem der beiden genannten Punkte teilnehmen und Schülerinnen und Schüler, die an einer klassischen Führung ohne Fachsprachen- und Methodentraining teilnehmen. Die Schulklassen werden den Gruppen zufällig zugewiesen, jedoch wird der Klassenverband nicht aufgehoben. In der später präsentierten Pilotstudie bestand die Variation lediglich in der Selbstregulation, es wurde bisher also nur der in Abbildung 4 grau hinterlegte Teil getestet.
Abb. 4 Didaktische Variation in der geplanten Hauptstudie zum Projekt „aktivierte Rundgänge“
4.2 Erhebungsinstrumente Um Daten zu den unterschiedlichen Aspekten erheben zu können, die in jedem der drei Lernschritte eine Rolle spielen, werden mehrere Fragebögen, die im Zuge des Dissertationsprojektes entwickelt wurden, eingesetzt. Ein Fragebogen zum Erleben von Emotionen – einmal vor dem Rundgang und einmal nach dem Rundgang. Anhand dessen werden Einstellungen zum Thema aber auch zur Situation des Gedenkstättenbesuchs erfasst. Er umfasst 20 Emotionsdarstellungen mit jeweils dazu passenden Aussagen, denen zugestimmt oder widersprochen werden kann (siehe Abb. 5).
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Abb. 5 Beispielitems des Fragebogens zur Erfassung der Einstellungen zum Gedenkstättenbesuch (Smileys von OpenMoji 2018)
Der Fragebogen zur intrinsischen Motivation, eine bearbeitete Version der Kurzskala intrinsischer Motivation nach Wilde et al. (2009), umfasst drei Skalen. Es werden wahrgenommene Kompetenz, wahrgenommene Wahlfreiheit und Interesse gemessen. Auf die Erhebung der Subskala Druck/Anspannung wurde verzichtet, da sich die Items dieser Skala in der Validierung als wenig trennscharf erwiesen und die interne Konsistenz lediglich bei Cronbachs α = .64 lag (Wilde et al. 2009: 36f.). Damit werden motivationale Aspekte in Bezug auf den Prozess sowie das Produkt erhoben. Fragen zum Interesse am Fach Geschichte und am Thema Nationalsozialismus ermöglichen einen Einblick in die motivationalen Voraussetzungen der Schülerinnen und Schüler. Diese beiden Fragen können auf einer Likert-Skala von 1 gar nicht interessiert bis 5 total interessiert beantwortet werden. Im Fragebogen zum Lernverhalten können die Schülerinnen und Schüler selbst Angaben zu ihrem angewandten Lernverhalten machen. Dieser Fragebogen wurde in Anlehnung an den Fragebogen zur Erfassung subjektiver Lernkonzepte von Nieder (2006: 113f., 249ff.) eigens entwickelt. Während der Fragebogen von Nieder sehr allgemeine Aussagen bezüglich des Lernverhaltens umfasst, wurden hier Aussagen verwendet, die sich speziell auf das Lernverhalten am außerschulischen Lernort KZ Osthofen beziehen. Um den fachlichen Lernzuwachs aber auch die Lerntiefe genauer messen zu können, werden zudem noch ein Vorwissens- und ein Abschlusstest eingesetzt. Diese wurden ebenfalls eigens entwickelt und umfassen sechs Single- bzw. MultipleChoice-Fragen sowie eine Analyseaufgabe im Freitextformat. Der fachliche
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Lernzuwachs wird anhand des erzielten Fachwissens in den Single- und Multiple-Choice-Fragen erhoben. Nur die Analyseaufgabe unterscheidet sich bei Pre- und Posttest. Anhand dessen können die kognitiven Aspekte in den Schritten Voraussetzungen und Produkt erhoben werden.
5 Pilotstudie 5.1 Durchführung Anfang Dezember 2017 fand die erste Pilotierung statt, in der sämtliche oben beschriebenen Erhebungsinstrumente sowie das Material der „aktivierten Rundgänge“ getestet wurden. Auch wurden einzelne Hypothesen getestet, um einen ersten Eindruck von der Wirkung des Materials, das bei den „aktivierten Rundgängen“ verwendet wird, zu erhalten. Der 13. Jahrgang der IGS Osthofen, 45 Schülerinnen und Schüler, wurden in eine Experimental- (N=27; 13 männlich; 14 weiblich) und eine Kontrollgruppe (N=18; 6 männlich; 12 weiblich) aufgeteilt. Diese Aufteilung erfolgte nach den Schulkursen, eine Randomisierung wird nicht vorgenommen. Aufgrund dessen befanden sich alle Schülerinnen und Schüler des Geschichtsleistungskurses in der Kontrollgruppe. Die beiden Gruppen waren hinsichtlich ihres Alters sowie ihres Leistungsniveaus vergleichbar. Die Schülerinnen und Schüler der Experimentalgruppe, die am „aktivierten Rundgang“ teilnahmen, waren im Durchschnitt M=18.63 (SD=1.36) Jahre alt und wiesen ein befriedigendes Leistungsniveau (M=2.96; SD=.78) auf. Die Schülerinnen und Schüler der Kontrollgruppe, also der klassischen Führung, waren im Durchschnitt M=18.44 (SD=.51) Jahre alt und wiesen ebenfalls ein befriedigendes Leistungsniveau (M=2.91; SD=.59) auf. Da die Schülerinnen und Schüler keine Zeit zur Vorbereitung in der Schule hatten, fand die gesamte Erarbeitung in der Gedenkstätte an einem Tag statt. Aufgrund dessen wurde auf das Fachsprachen- und Methodentraining verzichtet und die Variation der Gruppen bestand lediglich in der Selbstregulation. Die Überprüfung des Zusammenhangs von Selbstregulation und Fachsprachen- und Methodentraining ist Teil der Hauptstudie und kann demnach nicht durch die Ergebnisse der Pilotierung beantwortet werden. Die Schülerinnen und Schüler der Experimentalgruppe hatten vor Ort eineinhalb Stunden Zeit, sich in Kleingruppen zu Expertinnen und Experten der einzelnen Themenbereiche zu bilden und einen Vortrag vorzubereiten. Im Anschluss daran gingen alle Schülerinnen und Schüler der Experimentalgruppe gemeinsam über das Gelände und jede Gruppe hielt ihren Vortrag zum jeweils ausgewählten Thema.
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Ergebnisse und Diskussion
Die Ergebnisse dieser Pilotierung werden im Folgenden ausschnitthaft präsentiert. Die Gruppen unterschieden sich signifikant hinsichtlich ihres Interesses, wobei die Schülerinnen und Schüler, die an der klassischen Führung teilnahmen, deutlich interessierter waren. Dies zeigt sich nicht nur auf der Subskala für Interesse der Kurzskala intrinsischer Motivation (t (39) = -3.54, p < .001), sondern auch bei weiteren Fragen. So auch bei der Bewertung des Gedenkstättenbesuchs, dem Interesse an einer weiteren Exkursion sowie dem Erleben von Emotionen vor und nach dem Rundgang. Die Schülerinnen und Schüler, die am „aktivierten Rundgang“ teilnahmen, bewerteten den Gedenkstättenbesuch anhand einer Schulnote im Schnitt mit M = 2.66 (SD = 0.85), die Schülerinnen und Schüler der klassischen Führung mit M = 2.13 (SD = 0.52). Die beiden Gruppen unterschieden sich auch hinsichtlich ihres Interesses an einer weiteren Exkursion teilzunehmen signifikant, wobei die Schülerinnen und Schüler der klassischen Führung interessierter waren (t (39) = -2.87, p < .01). Bei der Einordnung dieser Ergebnisse ist es wichtig zu wissen, dass sich alle Schülerinnen und Schüler des Leistungskurses Geschichte in der Gruppe der klassischen Führung befanden. Entscheiden sich Schülerinnen und Schüler – zumindest zu einem Teil – aufgrund ihres Interesses für das Fach Geschichte als Leistungskurs, kann dieser Unterschied zwischen den Gruppen dadurch erklärt werden. Bei weiteren Erhebungen mit anderen Gruppenzusammensetzungen werden daher andere Ergebnisse erwartet. Die Annahme, dass Interesse ein wichtiger Einflussfaktor für das Lernen ist, konnte in der Pilotierung bestätigt werden, so zeigte sich eine Korrelation zwischen Interesse und tiefgreifendem Lernen (r = .46; p < .01; N = 39). Des Weiteren konnte die Annahme bestätigt werden, dass es einen positiven Zusammenhang zwischen positiven Emotionen und intrinsischer Motivation gibt. Die Einstellungen zur Situation und zum Thema korrelieren mit der Gesamtskala intrinsischer Motivation (r = .39; p = .034; N = 29) und insbesondere mit der Subskala Interesse (r = .65; p < .001; N = 34). Beim Lernverhalten zeigten sich auf den Subskalen Zunahme an Wissen (t (42) = -3.21, p < .01) und Verstehen (t (42) = -2.93, p < .01) signifikante Unterschiede zwischen den Gruppen. Die Schülerinnen und Schüler der klassischen Führung nehmen dies deutlich intensiver wahr. Hinsichtlich des tiefgreifenden Lernverhaltens, also den Strategien Anwenden in der Praxis, Veränderung der Sichtweise und Veränderung der Person, zeigte sich kein signifikanter Unterschied zwischen den Gruppen. Bei der Auswertung des Wissens- und Kompetenztests wurden zunächst nur die Single- und Multiple-Choice-Aufgaben berücksichtigt, in denen maximal 24
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Punkte erreicht werden konnten. Vorwissens- und Abschlusstest, also Pre- und Posttest, zeigen, dass die Schülerinnen und Schüler der klassischen Führung mit einem deutlich höheren Vorwissen gestartet sind. Interessant ist, dass beide Gruppen signifikant dazulernen, der Abstand zwischen den Gruppen beim Abschlusstest jedoch geringer ist als beim Vorwissenstest. Dass die Gruppe der klassischen Führung beim Posttest besser abschneidet als die Gruppe des „aktivierten Rundgangs“ liegt sicherlich daran, dass sie bereits mit einem höheren Vorwissen gestartet ist. Auch, dass sich alle Schülerinnen und Schüler des Leistungskurses Geschichte in der Gruppe der klassischen Führung befanden, kann einen Einfluss auf den Lernzuwachs nehmen. Dennoch heißt das, dass obwohl die Schülerinnen und Schüler des „aktivierten Rundgangs“ deutlich weniger Interesse und Vorwissen hatten und der Situation gegenüber negativer eingestellt waren, sie signifikant dazulernten und annähernd das Niveau der Gruppe erreichten, die mit dem anspruchsvolleren Wissensstand gestartet ist (siehe Abb. 6).
Abb. 6 Fachwissenszuwachs von Pre- zu Posttest mit Differenzierung in „aktivierter Rundgang“ und klassische Führung
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Praktische Implikationen und Ausblick
Zunächst war es wichtig, das Material zu testen: Wie kommen die Schülerinnen und Schüler mit Material, Quellen, Fragebögen, Tests und der Situation eines „aktivierten Rundgangs“ zurecht? Die Pilotierung hat gezeigt, dass das gesamte Material der „aktivierten Rundgänge“ von den Schülerinnen und Schülern als gut und zielführend wahrgenommen worden ist. Das Produkt war ein guter und gelungener Rundgang mit der Gesamtgruppe. Sämtliche Vorträge waren fachlich korrekt und zeigten, dass die Schülerinnen und Schüler erfolgreich mit dem Material arbeiten konnten. Auch mit den eingesetzten Erhebungsinstrumenten kamen die Schülerinnen und Schüler gut zurecht, sowohl beim „aktivierten Rundgang“ als auch bei der klassischen Führung. Zudem gaben diejenigen, die am „aktivierten Rundgang“ teilgenommen haben in einer offenen Reflexionsrunde am Tag des Gedenkstättenbesuchs an, dass sie die Arbeit mit Quellen und das eigenständige Präsentieren der Themen als sehr interessant und spannend empfunden haben. Auch wenn es nicht Ziel der Pilotierung war, alle Hypothesen zu testen und dies allein aufgrund der fehlenden Randomisierung nicht möglich war, zeigte sich doch ein wichtiger Einflussfaktor auf den Lernprozess und das Lernprodukt, nämlich das Interesse. In der pädagogischen Praxis ist es somit von besonderer Wichtigkeit, eine Lernumgebung zu schaffen, in der das Interesse der Schülerinnen und Schüler geweckt wird. Genau das wird vom Material der „aktivierten Rundgänge“ erhofft. Ob dies tatsächlich der Fall ist, müssen zukünftige Erhebungen zeigen. Auch müssen weitere Erhebungen vorgenommen werden, um Aufschluss über das Fachsprachenund Methodentraining zu erhalten. Bei nachfolgenden Durchführungen muss auf jeden Fall auf eine bessere Randomisierung geachtet werden. Nur so können die aufgestellten Hypothesen überprüft und die Daten genauer ausgewertet werden. Diese weitergehende Analyse erlauben dann zukünftige Erhebungen. Bereits die erste Pilotierung deutet die Chancen des Projektes an: „Aktivierte Rundgänge“ an außerschulischen Lernorten ermöglichen selbstreguliertes Lernen und eine intensive und relevante Auseinandersetzung mit dem Stoff für Schülerinnen und Schüler. Die Pilotierung zeigt, dass selbstreguliertes Lernen in Form von „aktivierten Rundgängen“ sehr vielversprechend ist. Schülerinnen und Schüler werden zu Expertinnen und Experten einzelner Themenbereiche, lernen aber auch im Gesamten signifikant dazu.
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„Ich brauch des auch immer, dass ich mir des vor Ort anschau …“ Studierende und ihre Auseinandersetzung mit Holocaust und NS-Verbrechen Cathrin Eckerlein
Zusammenfassung
Dieser Beitrag stellt erste Befunde meines Dissertationsvorhabens vor, in dem es um die Auseinandersetzung Studierender mit der Thematik Holocaust und Nationalsozialismus geht. Dazu wurden in einem Zeitraum von drei Jahren, zwischen dem Sommersemester 2014 und dem Wintersemester 2016/17, 26 Germanistikstudierende der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) beforscht, die an meinem deutschdidaktischen Seminar zur Holocaust-Literatur teilnahmen. Die Daten, die sich aus Beobachtungsprotokollen und transkribierten leitfadengestützten Interviews zusammensetzen, werden mittels der Reflexiven Grounded Theory Methodologie (Breuer 2017) ausgewertet und sollen zu einer Theorie der Auseinandersetzung verdichtet werden. Da die Studierenden des erhobenen Samples dem im Rahmen der Seminare stattgefundenen Besuch der KZ-Gedenkstätten Auschwitz und Dachau einen wesentlich höheren Stellenwert zuzuschreiben scheinen als der in den universitären Veranstaltungen gelesenen Literatur oder dem vermittelten historischen Sachwissen über den Nationalsozialismus und Holocaust, wird im vorliegenden Beitrag der Fokus auf die sinnlich-körperlichen Rezeptionskanäle der studentischen Probandinnen und Probanden gelegt, die sie zur Erschließung der an den historischen Orten vorzufindenden originalen Gebäude und ausgestellten Exponate nutzen. Anhand von zwei der bisher vier aus dem Material herausgearbeiteten ‚Resonanztypen‘ soll aufgezeigt werden, inwiefern die an den KZ-Gedenkstätten Dachau und Auschwitz verspürten Resonanzen als Impulsgeber für eine Auseinandersetzung mit den Themen Holocaust und Nationalsozialismus fungieren können und eine Art ‚Pendelbewegung‘ zwischen erfahrbarer Gegenwart und imaginierter Vergangenheit in Gang setzen. In diesem Zusammenhang soll auch die Bedeutung kognitiven Wissens über historische Sachverhalte eruiert sowie die Auswirkungen © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Gloe und A. Ballis (Hrsg.), Holocaust Education Revisited, Holocaust Education – Historisches Lernen – Menschenrechtsbildung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24207-7_4
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Cathrin Eckerlein
der normativ-geprägten Verhaltensmuster auf den Re-Inszenierungsprozess der Studierenden verdeutlicht werden. Abstract
The following article will present initial findings of a dissertation project that focuses on the different ways university students approach and access the subjects of Holocaust and National Socialism. For this purpose, research was performed on a total of 26 students of German studies at the Ludwig-Maximilians-University (LMU) Munich who attended a didactic seminar on Holocaust literature between 2014 and 2017. The data, which consist of observation protocols and transcribed guided interviews, will be analyzed according to the principles of Reflexive Grounded Theory Methodology (Breuer 2017) with the goal of condensing the data into a theory of thematic approaches and accesses. The observed and interviewed students attached significantly greater importance to the visits of the concentration camp memorial sites at Dachau and Auschwitz that were made within the scope of the seminar than to the literature that was read or the historical knowledge that was learned during the semester. For this reason, this article focuses on the physical and sensory channels of reception which students used to mentally approach and access the (often original) buildings and exhibits found at those historic sites. On the basis of two of the four ‘resonance types’ found in the data so far, this article will demonstrate how the sensory experiences made at the concentration camp memorial sites at Dachau and Auschwitz can open up a thematic access to the subjects of Holocaust and National Socialism and how they can initiate a ‘pendular’ mental movement between the tangible present and the imagined past. The significance of cognitive knowledge of historical facts and the effects of normative behavior patterns on the students’ imaginative power will also be examined in this context.
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Der Status Quo der universitären Lehre zum Thema Holocaust in Deutschland
Die Themen Holocaust und Nationalsozialismus sind im schulischen Curriculum der Bundesrepublik Deutschland fest verankert. In der Regel ist das Thema in den Jahrgangsstufen 9 und 10 verpflichtender Unterrichtsgegenstand, teils bereits auch schon in der Jahrgangsstufe 8. Während der Schwerpunkt auf den gesellschafts-
„Ich brauch des auch immer, dass ich mir des vor Ort anschau …“
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wissenschaftlichen Fächern wie Geschichte und Sozialkunde liegt, wird im Bericht der KMK zum „Unterricht über Nationalsozialismus und Holocaust“ auch auf die fächerverbindende Aktivität mit Deutsch und Religionslehre bzw. Ethik verwiesen (KMK 2005: 4). Darüber hinaus ist der Besuch einer KZ-Gedenkstätte an bayerischen Schulen fester Bestandteil. Während die historische und emotionale Bedeutsamkeit der Thematik bei Schülerinnen und Schülern hohe Erwartungen an die schulische Vermittlung erzeugt, fühlen sich Lehrerinnen und Lehrer ob der Komplexität des Themas und der an die Unterrichtsgestaltung herangetragenen Forderungen häufig verunsichert. Für eine sachgerechte und didaktisch sinnvolle Darstellung des Unterrichtsgegenstands benötigen (angehende) Lehrkräfte folglich nicht nur ein solides Grundwissen über die Geschichte des Holocaust und Nationalsozialismus, sondern auch Kenntnis über unterrichtspraktische Umsetzungsmöglichkeiten. Wirft man aber gegenwärtig einen Blick auf das entsprechende universitäre Angebot, so lässt sich feststellen, dass Lehramtsstudierende im Rahmen ihres Hochschulstudiums mit der Thematik kaum in Berührung kommen. Zu diesem Ergebnis gelangt auch eine im Jahr 2017 veröffentlichte empirische Studie der Freien Universität Berlin zur universitären Lehre über den Holocaust in Deutschland (Kahle/Nägel 2017). In der Untersuchung wurden über einen Zeitraum von zwei Jahren die online zur Verfügung stehenden Vorlesungsverzeichnisse von insgesamt 79 deutschen Hochschulen nach universitären Veranstaltungen über den Holocaust und Nationalsozialismus durchsucht und im weiteren Verlauf der Erhebung verschiedenen Ober- und Unterkategorien zugeordnet. An 19 der 79 untersuchten deutschen Hochschulen war es gar nicht oder nur in einem der vier evaluierten Semester möglich, eine Veranstaltung zum Thema Holocaust zu belegen (Kahle/Nägel 2017: 32). Betrachtet man das Lehrangebot über die Realgeschichte des Holocaust im untersuchten Zeitraum, so zeichnet sich ein noch größerer Mangel ab. Hier war es an 45 Universitäten gar nicht oder nur in einem der vier untersuchten Semester möglich, eine Lehrveranstaltung über die Realgeschichte des Holocaust zu belegen (Kahle/Nägel 2017: 32). Dieser Befund ist für angehende Lehrerinnen und Lehrer besonders bedeutsam, wenn sie in ihrer späteren Berufstätigkeit Schülerinnen und Schüler über die Geschichte des Holocaust und seine Nachwirkungen unterrichten sollen. Alarmierend ist auch die Aussage des in der Berliner Studie interviewten Geschichtsdidaktikers Martin Lücke, laut dem Studierende geschichts- und politikwissenschaftlicher Studiengänge trotz des vorhandenen Angebots die Möglichkeit haben, die Thematik während ihrer Ausbildung zu umgehen (Kahle/Nägel 2017: 73). Aus diesem Grund plädieren die interviewten Geschichtsdidaktikerinnen und -didaktiker der Studie für eine „Institutionalisierung des Themas“ (Kahle/Nägel 2017: 102) an deutschen Hochschulen, die eine regelmäßige, wenn nicht sogar verpflichtende Belegung von Lehrveranstaltungen zur Geschichte des Holocaust
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und Nationalsozialismus für Lehramtsstudierende gewährleistet. Durch das flächendeckende Angebot wäre sichergestellt, dass „alle Absolvent(inn)en über ein Grundwissen über den Nationalsozialismus und Holocaust verfügen“ (Kahle/ Nägel 2017: 102). Gleichzeitig macht die empirische Untersuchung von Kahle und Nägel auch deutlich, dass das Thema „Holocaust“ mittlerweile nicht nur in den geschichtswissenschaftlichen Fächern, sondern auch in der Literaturwissenschaft, Germanistik und Kulturwissenschaft behandelt wird (Kahle/Nägel 2017: 26).
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Zugänge zum Thema Holocaust im Rahmen universitärer Lehre
Gerade weil entsprechende universitäre Angebote dünn gesät sind, ist es umso bedeutsamer, ein präzises Verständnis von den genutzten Zugängen der Studierenden zu erlangen, um entsprechende Kurse möglichst wirksam gestalten zu können: Wie steht es aber um die Einstellungen und Umgangsweisen derjenigen Studierenden, die Lehrveranstaltungen zum Thema Holocaust und Nationalsozialismus besuchen? Dieser Frage möchte ich in meinem Dissertationsprojekt nachgehen und Studierende und ihre Auseinandersetzung mit diesem Themenbereich im Rahmen ihres Studiums in den Blick nehmen. Dazu wurden in einem Zeitraum von drei Jahren, zwischen Herbst 2014 und Frühjahr 2017, insgesamt 26 Germanistikstudierende der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) befragt, die im Bereich der Fachdidaktik Deutsch an Seminaren zu Holocaust-Literatur teilnahmen. In den Lehrveranstaltungen setzten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit wirkungsgeschichtlichen Fragen der literarischen und medialen Aufarbeitung des Holocaust auseinander. Zwei Seminare habe ich dabei als wissenschaftliche Hilfskraft begleitet: Das im Sommersemester 2014 stattgefundene Blockseminar „Lernen am Ort des Schreckens – Holocaust-Lyrik in Dachau lesen“, das unmittelbar an der KZ-Gedenkstätte Dachau abgehalten wurde, sowie das Projektseminar „Lernen am Ort des Schreckens – Holocaustlyrik in Dachau und Auschwitz lesen“ im Wintersemester 2014/15, das als mehrtägige Studienreise an die KZ-Gedenkstätten Dachau und Auschwitz gestaltet war. Im Wintersemester 2016/17 war ich selbst als Lehrende tätig und habe die Studierenden meines eigenen Proseminars zum Thema „Der Umgang mit Holocaust-Literatur an schulischen und außerschulischen Lernorten“ befragt. Allen drei Seminaren war eine intensive Beschäftigung mit literarischen Texten Überlebender und Opfer des Holocaust gemein sowie eine Exkursion zu mindestens einer KZ-Gedenkstätte. Um zu erfahren, wie die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der untersuchten Seminare mit der Thematik
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im Allgemeinen, aber auch mit den literarischen und medialen Zeugnissen sowie dem historischen Ort im Besonderen umgehen, habe ich die Studierenden sowohl während des Seminars und des Gedenkstättenbesuchs begleitet als auch im Anschluss an das Seminar interviewt. Folgende Fragestellungen standen dabei im Fokus meiner Untersuchung: Welche Relevanz schreiben Studierende literarischen und medialen Texten von Überlebenden und Opfern des Holocaust für eine Auseinandersetzung mit dem Thema zu? Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang ein Gedenkstättenbesuch für Studierende? Welche Resonanzerfahrungen werden von Studierenden im Anschluss an eine Auseinandersetzung mit literarischen, medialen und historischen Repräsentationen geäußert? Welche didaktischen Vorstellungen sind bei Studierenden in der schulischen Vermittlung der Thematik zu erkennen, d. h. wie sollten diese ihrer Ansicht nach im Unterricht behandelt werden? Da solchen Fragen in der Holocaust-Forschung meines Wissens bislang nur punktuell (Ahlheim/Heger 2003; Hilmar 2014) und vor allem mit Augenmerk auf jugendliche Besucherinnen und Besucher (Pampel 2011; Klein 2012) nachgegangen wurde, sollen die oben aufgeführten Forschungsfragen mithilfe des skizzierten Samples beantwortet werden. Zwar wird diese zu Beginn der Lehrveranstaltungen mittels eines kurzen Fragebogens abgefragt, die meisten Studierenden geben aber an, aus persönlichem Interesse, beruflichem Engagement oder pragmatischen Gründen das Seminar gewählt zu haben. Diese Aussagen mögen angesichts der freiwilligen Belegung der Lehrveranstaltung kaum verwundern. So gibt auch Frank Bajohr in einem Interview zu bedenken, dass Studierende, die grundsätzlich kein Interesse an dem Thema haben, auch kein Seminar dazu belegen und somit nicht in Erscheinung treten würden (Kahle/Nägel 2016: 95). Die sich durch meine Rolle als Forscherin, Feldteilnehmerin und Dozentin ergebende subjektive Involvierung in das Feld stellt für mich als Wissenschaftlerin eine große Herausforderung dar. So nehme ich nicht nur durch meine physische Anwesenheit, sondern vor allem auch durch die Gestaltung der Kurse, die Auswahl der Texte und außerschulischen Lernorte sowie durch meine persönlichen Einstellungen und Äußerungen Einfluss auf die Studierenden. Unabdingbar ist dabei eine differenzierte, selbstreflexive Haltung meiner Person, die es mir ermöglicht, die bei der Auseinandersetzung mit dem zu untersuchenden Feld entstehenden personalen Resonanzen wahrzunehmen und die im Forschungskontakt zustande kommenden Störungen bei den Interaktanten aufmerksam zu beobachten (Breuer 2017: 98). Die durch die Forschungsinteraktionen ausgelösten subjektseitigen Resonanzen (Breuer 2017: 117) halte ich in einem Forschungstagebuch fest. Hilfreich dabei ist der von Marion Linska (2015) erstellte Leitfaden, der aus verschiedenen Fragen zur Selbstreflexion der forschenden Person besteht.
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Bei der Auswertung der Daten wird auf die Methodologie der Reflexiven Grounded Theory (Breuer 2017) zurückgegriffen. Diese Methode orientiert sich eng an den sozialen Akteurinnen und Akteuren und deren Alltagspraxis und zielt auf eine empiriegestützte Theoriebildung ab. Zudem verlangt sie von der forschenden Person eine selbstreflexive Haltung, wie ich sie oben beschrieben habe. Durch ihren offenen Duktus ermöglicht sie es, verschiedene Datentypen – mein Datenmaterial besteht derzeit aus neun leitfadengestützten Gruppeninterviews sowie diversen Beobachtungsprotokollen und meinem Forschungstagebuch – zu kodieren, zu vergleichen und miteinander in Beziehung zu setzen. Die dem theoretischen Sample zugrunde liegende „hermeneutische Spiralbewegung“ (Breuer 2017: 9) erlaubt darüber hinaus ein paralleles Erheben, Kodieren und Auswerten der Daten. Bereits während der Transkription meiner Daten wurde ich in meiner Annahme, dass dem Gedenkstättenbesuch eine bedeutungstragende Rolle für eine Annäherung und Auseinandersetzung mit dem Thema Holocaust und Nationalsozialismus zukommt, bestärkt. Die Studierenden meines Samples schienen dem historischen Ort einen wesentlich höheren Stellenwert zuzusprechen als der im Seminar gelesenen Literatur oder dem vermittelten Wissen über die Geschichte des Nationalsozialismus und Holocaust. Eingedenk der in den letzten Jahren erschienenen Studien zur Wirkung von Gedenkstätten auf ihre Besucherinnen und Besucher (u. a. Burger/ Ribarek 2015; FRA 2010; Langer et al. 2008; Pampel 2011) mag dieser Befund kaum verwundern. Auch in diesen Untersuchungen messen die befragten Probandinnen und Probanden dem Gedenkstättenbesuch eine herausragende Bedeutung für die Beschäftigung mit der Thematik bei. Durch seine materiellen Spuren, die von den am Ort begangenen Gewaltverbrechen der Nationalsozialisten zeugen, wird dem historischen Ort ein Authentizitätsanspruch zugeschrieben, der ein unmittelbares Erleben möglich zu machen scheint. Die Betonung der Authentizität ist dabei ambivalent zu bewerten. Einerseits verdeutlicht das Verlangen nach authentischen Erfahrungen am historischen Ort den unbedingten Wunsch nach einer Überbrückung der zeitlichen Distanz, andererseits erfordert ihre permanente Reinszenierung eine enorme kognitive Anstrengung der Besucherinnen und Besucher (Langer et al. 2008: 69f.). Die Studierenden meines Samples machen sich die an den KZ-Gedenkstätten Dachau und Auschwitz vorzufindenden baulichen Überreste und ausgestellten Exponate ebenfalls zu Nutze. Sie geben sich jedoch nicht mit der bloßen Bedeutungszuschreibung des ‚authentischen Ortes‘ zufrieden, vielmehr setzen sie ihren Seh-, Hör- und Geruchssinn ein, um sich den historischen Ort mit seinen noch erhaltenen originalen oder teilrekonstruierten Gebäuden zu erschließen. Im folgenden Kapitel soll dieser sinnlich-körperlichen Rezeptionsweise der studentischen Probandinnen
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und Probanden weiter nachgegangen und die Auslöser der Resonanzerfahrungen und deren Wirkung auf die Studierenden eruiert werden.
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Die Bedeutung von Resonanzen für die Auseinandersetzung mit Holocaust und NS-Verbrechen
Vergleicht man diverse Wirkungsuntersuchungen von KZ-Gedenkstätten auf ihre Besucherinnen und Besucher, äußern die befragten Personen häufig den Wunsch nach einer „fühlbare[n] Verlebendigung der eigenen bisherigen Kenntnisse“ und einem „sinnlichen Zugang zu den materiellen Spuren“ (Morsch 2002: 44). Sie wollen bedrückende Gefühle verspüren und einen möglichst unvermittelten Eindruck vom Leben der Häftlinge bekommen (Solterbeck 2010). Durch die dem historischen Ort zugeschriebene Aura und „Authentizität“ glauben die Besucherinnen und Besucher „eine direkte Verbindung zwischen sich selbst und jenen, die den Holocaust erlebt haben, [zu] spüren“ (FRA 2010: 70). Verstärkt wird die vermeintliche Identifikation mit den Häftlingen durch äußere Bedingungen, die am originalen Ort physisch erlebt werden (FRA 2010: 70). Bleibt den Besucherinnen und Besuchern eine derartige körperliche Erfahrung und eine Erfüllung der eigenen „Erwartungen nach anschaulicher und wirklichkeitsnaher Vermittlung“ (Pampel 2007: 101) verwehrt, schlägt die Enttäuschung solcher Ansprüche zumeist in Frustration um. Besonders Schülerinnen und Schülern gelingt es oft nicht, die Grenzen der subjektiven Nacherlebbarkeit der historischen Vergangenheit kritisch zu reflektieren und die Abwesenheit des „echten“ Ortes zu akzeptieren (Pampel 2007: 101). Darüber hinaus sehen sich gerade jüngere Besucherinnen und Besucher mit dem normativen Anspruch konfrontiert, mit dem Thema Holocaust Gefühle der Trauer und Betroffenheit verbinden zu müssen (Klein 2012). Derartige Erwartungshaltungen werden nicht nur von Seiten der Lehrkräfte an die Schülerinnen und Schüler herangetragen, sondern auch von den Gedenkstätten selbst evoziert. Grund dafür ist die sakrale Aufladung des Ortes durch die Besucherinnen und Besucher, die einen respektvollen und angemessenen Umgang mit dem Ort verlangt (Heyl 2013: 244f.). Können derartige Gefühle in der Auseinandersetzung mit dem Ort nicht aufgerufen werden, reagieren viele der Jugendlichen mit einer Zurückweisung der gebotenen Trauer und nehmen den Ort im Rahmen ästhetischer Erfahrung wahr (Klein 2012). Ähnlich gehen auch die Studierenden meines Samples vor, wenn sie sich auf dem Gelände der ehemaligen Konzentrationslager Dachau und Auschwitz befinden.
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Allerdings ist bei ihnen nicht die Zurückweisung des normativen Anspruchs der Grund für ihre sinnliche Annäherung an den historischen Ort, vielmehr greifen sie von vornherein auf ihre sinnlich-körperlichen Rezeptionskanäle zurück, um sich mit dem historischen Ort und seinen Ausstellungsräumen auseinanderzusetzen. Im Moment der Konfrontation mobilisieren sie ihren Seh-, Hör- und Geruchssinn und konzentrieren sich auf sinnliche Reize und am Körper verspürte Resonanzen. Nach Hartmut Rosa stellt Resonanz „ein spezifisch kognitives, affektives und leibliches Weltverhältnis“ dar, „bei dem ein Subjekt einerseits von einem Weltausschnitt affiziert, also berührt und bewegt wird, während es andererseits mit einer entgegenkommenden, nach außen gerichteten emotionalen Bewegung, mit intrinsischem Interesse […] und entsprechenden Wirksamkeitserwartungen reagiert“ (Rosa 2017: 279). Auslöser der Eigenresonanzen sind vor allem emotionalisierende Bilder, originale Gegenstände oder extreme Temperaturen, die sie am historischen Ort wahrnehmen, über deren Existenz und intensive Wirkung sie sich im Vorfeld der Begehung aber nicht bewusst waren. Das historische Wissen scheint bei den Studierenden zu Beginn der Auseinandersetzung mit dem Ort eine untergeordnete Rolle zu spielen. Erst im Verlauf ihrer imaginativen Vergegenwärtigung rekurrieren sie auf ihr (Vor-)Wissen, das sie entweder im Rahmen des universitären Seminars, während des Rundgangs über die KZ-Gedenkstätte oder bereits in der Schulzeit, beispielsweise im Geschichtsunterricht, erworben haben. Aktuell versuche ich, die von den Studierenden an den KZ-Gedenkstätten Dachau und Auschwitz ausgemachten Resonanzen zu kategorisieren und eine entsprechende Typologie zu konstruieren. Bei der Herausarbeitung der Resonanztypen orientiere ich mich am Stufenmodell nach Kluge (1999), das mit seiner systematischen Vorgehensweise eine empirisch begründete Typenbildung ermöglicht. Mithilfe der methodologischen Instrumentarien haben sich bisher vier Resonanztypen eruieren lassen, die, den Typenbezeichnungen Breuers (2017) folgend, sogenannte Idealtypen bilden, also „abstrakt-idealisierte, ‚bereinigte‘ Merkmalskonfigurationen eines Typenkonzepts, die sich empirisch gar nicht finden lassen müssen bzw. lediglich Grenzfälle darstellen“ (Breuer 2017: 311). Anhand zweier Resonanztypen sollen nachfolgend erste Ergebnisse der Typenbildung präsentiert werden.
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Der ästhetisch-visuelle Typ
Der ästhetisch-visuelle Typ konzentriert sich vornehmlich auf die am historischen Ort ausgestellten Exponate und Relikte. Die Studierenden dieses Typs haben ein aufmerksames Auge für Details und verweilen besonders lange vor überlebensgroßen Häftlingsfotografien, Portraitbildern oder Vitrinen, in denen menschliche Überreste
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und Relikte ausgestellt sind. Die ästhetische Darstellungsweise der ausgestellten Bild-Ikonen und Gegenstände scheint die Betrachterinnen und Betrachter sinnlich anzusprechen und ihnen im Gedächtnis zu bleiben: „Also bei mir war’s Auschwitz, des Stammlager, weil da v’auch verschiedene (--), ähm::, (--) wie sagt man, Ausstellungen waren, genau, wo man dann teilweise die Haare gesehen hat von den Häftlingen, die ihnen abgeschoren wurden und des hat bei mir eigentlich einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Oder Bilder, Videos von den Familien, von den jüdischen Familien (-) vor (--) dem Holocaust, ja“ (Transkript, Auschwitz-Dachau Interviewgruppe 4, Z. 188–192).
Sowohl Portrait- als auch Familienbilder haben eine emotionale Wirkung auf den ästhetisch-visuellen Typ. Durch die Nahaufnahmen bekommen die Beobachtenden einen Eindruck vom Aussehen der zuvor namen- und gesichtslosen Menschenmasse und die Möglichkeit, die Mimik in den Gesichtern der Personen zu studieren. Entsprechen die ablesbaren emotionalen Regungen eigenen bekannten Gefühlen, scheint sich die Distanz zwischen Gegenwart und imaginierter Vergangenheit dank vertrauter Empfindungen aufzulösen. Ähnlich ergeht es den Betrachterinnen und Betrachtern mit Zeichnungen, vor allem solchen, die von deportierten Kindern angefertigt wurden: „Also für mich, ähm, die besondere Sache, da war ein Raum, das war, in Auschwitz, da war ein Raum mit, äh, also die Wände waren ganz, ähm, weiß und da, äh, gab es nur diese kleinen Bilder, die von Kindern, die, äh, in Auschwitz waren, ähm, gemacht wurden. Das war für mich sehr, sehr berührend, weil am Anfang konnten wir normale Bilder, wie zum Beispiel, ich weiß nicht, eine Prinzessin oder ähm, ein, ein Kind spielt mit einem anderen Kind und so weiter sehen. Und dann, äh, haben sich die Bilder, ähm, geändert also, äh, auch schreckliche Sachen, die Leute mit Karabinern zum Beispiel äh, oder die Menschen, die im KZ leiden und so weiter. Und das war für mich, äh, echt berührend und, ja“ (Transkript, Auschwitz-Dachau Interviewgruppe 5, Z. 192–201).
Besonders der Kontrast in den kindlichen Malereien beschäftigt die Rezipientinnen und Rezipienten. Während die Darstellung fröhlicher Alltagssituationen und Fantasien dem stereotypischen Zeichnungsstil eines Kindes entspricht, stellt die Drastik der abgebildeten Gewaltverbrechen der Nationalsozialisten an den KZ-Häftlingen einen Bruch dar. Die explizite Art der gewalttätigen Bilder scheint eine enorme Wirkkraft auf die Betrachterinnen und Betrachter zu haben und in deren Köpfen eigene imaginäre Bilder entstehen zu lassen. Das emotionale Potenzial der infantilen Zeichnungen zeitigt sich in der Betroffenheit, die sich bei den Studierenden des ästhetisch-visuellen Typs einstellt.
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Aber nicht nur bewusst in Szene gesetzte Fotografien und Illustrationen scheinen sich in das Gedächtnis des ästhetisch-visuellen Typs einzubrennen (Transkript, Auschwitz-Dachau Interviewgruppe 4, Z. 219), auch Lichteffekte, wie Hell-Dunkel-Kontraste beeinflussen die Rezeption des historischen Ortes. Als äußerst wirkungsvoll werden dabei Schwarz-Weiß-Kombinationen beschrieben, die nicht nur in den Ausstellungsräumen, sondern vor allem auch außerhalb der Gebäude auf dem Gelände der ehemaligen Konzentrationslager wahrgenommen werden: „Also .hhh es war bedrückend, weil’s natürlich dann auch dunkel wurde u:::nd der ganze Schnee. Aber ich mein, des haben die Häftlinge ja so ja auch alles erlebt […]“ (Transkript, Dachau Interviewgruppe 8, Z. 88f.) Die am historischen Ort visuell rezipierte Schwarz-Weiß-Optik erweckt in den Betrachterinnen und Betrachtern das Gefühl eines subjektiven Nacherlebens der damaligen Zeit. Sie sind davon überzeugt, dieselben sinnlichen Reize wahrzunehmen wie die Häftlinge früher. Dass es sich bei der imaginativen Vergegenwärtigung des historischen Zustandes jedoch nur um eine Rekonstruktion der eigenen Gegenwart handelt, scheint dem ästhetisch-visuellen Typ nicht bewusst bzw. unwichtig zu sein. Eine bedeutungstragende Rolle wird auch den räumlichen Strukturen der historischen Örtlichkeiten zugeschrieben. Je nach Größenverhältnis haben sie eine divergente Wirkung auf die Betrachterinnen und Betrachter. So ist die enorme Weite des Lagergeländes der KZ-Gedenkstätten visuell aber auch kognitiv kaum greifbar: „Was ich immer am Beeindruckensten find, ähm, ähnlich was du gesagt hast, so diese Weite, ähm, also du hast ja eher so in Richtung wie, wie, wie komplex des alles ist, dieser ganze .hh ähm, diese ganze Sache, aber ich find immer so an diesem Appellplatz zu stehen, .h und ähm sich so vorstell::en, sich so vorzustellen, wie riesig des ist und wie viel Leute da irgendwie .hh ähm sind, […] man kann sich des irgendwie gar nicht .hh ähm vorstellen, wie des ist, wenn da so viele Leute stehen“ (Transkript, Dachau Interviewgruppe 8, Z. 34–41).
Aufgrund der fehlenden Besucherinnen und Besucher an der KZ-Gedenkstätte Dachau – die ungewöhnliche Leere auf dem Appellplatz des ehemaligen Konzentrationslagers resultierte vermutlich aus dem für die Exkursion gewählten Datum Ende Januar 2017, an dem sich spätnachmittags kaum Besucherinnen und Besucher auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte Dachau befanden – und der Distanz zur historischen Zeit bleibt dem ästhetisch-visuellen Typ eine Vergegenwärtigung des damaligen Geschehens in diesem Fall verwehrt. In der Folge schlägt das anfängliche Erstaunen der Rezipientinnen und Rezipienten schnell in Fassungslosigkeit um. Eine intensive Auseinandersetzung mit dem historischen Ort scheint in diesem Moment nicht weiter möglich zu sein, eine Reinszenierung ausgeschlossen. Im Gegensatz dazu lassen die klaustrophobischen Verhältnisse in den Zellen des
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Lagergefängnisses eines ehemaligen Konzentrationslagers eine sinnlich hautnahe Erfahrung der damaligen Welt zu: „[…] was, was mir da so immer im, im Kopf blieb war, dass wir eben in diesem Bunker waren und diesen, in diesen .hh in diesen Zellen, die es da gab. Irgendwie so niedrige, wo man dann so, in so Stresspositionen setzt, sitzen musste […]“ (Trankskript, Dachau Interviewgruppe 8, Z. 320–322).
Die unmittelbar am eigenen Körper verspürte Enge löst emotionale Resonanzen des Unbehagens und der nervlichen Belastung bei den Beobachtenden aus. Zugleich macht sie ihnen ein subjektives Nacherleben der Häftlingssituation glaubhaft. Um sich empathisch in die Lage der Opfer hineinzuversetzen, bedienen sich die Studierenden aber nicht nur ihrer Wahrnehmung der am Ort vorzufindenden baulichen Überreste, sondern sie greifen auch auf ihr kognitives Vorwissen zurück: „Bei mir war’s Auschwitz-Birkenau, die Todesrampe. Wo man da ’drauf stand und wusste, ok, hier sind tausende Menschen angekommen und sie wurden sofort SELEKtiert entweder nach rechts oder nach links, und wenn man nach rechts musste, musste man sterben, sofort“ (Trankskript, Auschwitz-Dachau Interviewgruppe 4, Z. 193–196).
Das Zusammenspiel von sinnlicher Wahrnehmung und historischem Sachwissen lässt immaterielle Bilder in den Köpfen der Betrachterinnen und Betrachter entstehen, die ihnen einen Zugang zum historischen Geschehen gewähren und die Perspektive der Opfer einnehmen lassen. Weist die KZ-Gedenkstätte noch realhistorische Relikte auf, ist es den Rezipientinnen und Rezipienten möglich, ihr Vorstellungsvermögen aufgrund des Authentizitätsgehalts des Gesehenen anzuregen und eine Verbindung zum historischen Ort herzustellen. Anders verhält es sich, wenn die bauliche Beschaffenheit der Gedenkorte nicht mehr dem originären Zustand entspricht. Häufig stört sich der ästhetisch-visuelle Typ dann an den überbauten Geländeflächen und dem neuartigen Aussehen der ausgestellten Exponate, wie etwa an der nachgebauten Baracke in der KZ-Gedenkstätte Dachau, deren als steril wahrgenommene Erscheinung mit einer Berghütte (Transkript, Dachau Interviewgruppe 8, Z. 137) oder einem Schullandheim (Transkript, Dachau Interviewgruppe 8, Z. 296) verglichen wird. Diese äußerst drastische Verharmlosung mag mit den konkreten Vorstellungen des Aussehens der damaligen Baracken zu tun haben, die die Betrachterinnen und Betrachter bereits im Kopf zu haben scheinen: „Also des, ich find, da fehlt mir so ein bisschen die .hhh ähm:: ja des, des vielleicht des Schmutzige, des, des Wahnsinnige, dass da so viele Leute drin, drin .hh gepennt haben oder sich drin aufgehalten haben. .hh Ähm:: des kommt da überhaupt in
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Cathrin Eckerlein den Baracken, zumindest was so die Schlafplätze oder .hh auch dieser Raum mit den ganzen Spinden irgendwie äh hergibt. Ähm ist für mich nicht richtig greifbar“ (Transkript, Dachau Interviewgruppe 8, Z. 141–148).
Da sich die mit an den Ort gebrachten immateriellen Bilder aufgrund der Schönheit und Sterilität der einzelnen Exponate materiell nicht vorfinden lassen, bleibt den Rezipientinnen und Rezipienten ein Hineinversetzen in die historische Vergangenheit an dieser Stelle verwehrt. Es scheint unmöglich, die Diskrepanz zwischen materiellem Erscheinungsbild und immaterieller Vorstellung kognitiv zu überwinden. Interessanterweise greifen die Studierenden auch hier wieder auf ihr historisches (Vor-)Wissen zurück, das sie sich zu einem früheren Zeitpunkt in der Schule, im universitären Seminar oder während eines Rundgangs über den historischen Ort angeeignet haben. Durch das realgeschichtliche Wissen über den Nationalsozialismus sowie den historischen Ort können ein verändertes Erscheinungsbild oder bauliche Unterschiede zwischen einzelnen KZ-Gedenkstätten erklärt werden: „Aber des is eben auch ein riesen Problem, was die Gedenkstätten allgemein haben, ja? Dass sie halt diese Authen’, diesen Authentitätsverlust (--) ALLE erleiden. Der’ die eine Gedenkstätte mehr, die andere weniger. Also wenn man sich Auschwitz beispielsweise anschaut, da hat man natürlich noch bestimmte Realien .hh und Überreste, äh die einfach ganz klar als Beweis ausreichen und sagen, schaut her, das gabs und so war’s tatsächlich. .hh Und andere Ort haben halt da mehr damit zu kämpfen. Des is glaub ich auch, je nachdem was sie für ne Nachkriegsgeschichte dann auch ähm (--) durchlitten haben. .hh Und des is halt bei Dachau ganz wichtig, dass man da auch ruhig im Vorhinein als Lehrkraft darauf hinweist und den Schülern durchaus bewusst macht .hh ähm::, dass der Ort einfach nicht mehr aufgrund seiner Geschichte, nicht mehr so viel hergibt wie andere Orte eventuell, ja“ (Transkript, Dachau Interviewgruppe 8, Z. 397–406).
Trotz der Bereitschaft zur empathischen Reimagination scheint der ästhetischvisuelle Typ geprägt von aufoktroyierten Verhaltensregeln und -normen. Mehrfach tadeln sich die Beobachtenden selbst für ihre ununterbrochene und offensichtlich wirkende Suchbewegung und ermahnen sich zu mehr Zurückhaltung: „Ja ich hab ähm ((lacht)) in jedem Raum, in den wir reingekommen sind, nach mich, nach ner Heizung umgeschaut, […]. Und dann dacht ich mir, des ist ja auch irgendwie .hh ähm:: ja also da gabs keine Heizung und die Häftlinge, […] die des dann irgendwie so überleben mussten oder es teilweise ja auch nich’ oder VIELE nicht überlebt haben. .hh Das kam mir auch sehr unreal vor und dann dacht’ ich, ich darf jetzt so nicht, ich kann jetzt so nicht nach ner Heizung schauen“ (Transkript, Dachau Interviewgruppe 8, Z. 220–227).
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Die Suche nach einer Heizung im Ausstellungsraum einer KZ-Gedenkstätte wird bei genauem Nachdenken als pietät- und respektlos den Opfern gegenüber empfunden, die zur damaligen Zeit über keine Heizung verfügten, sondern der Kälte hilflos ausgeliefert waren. Das Wissen über die damaligen Lebensumstände der Häftlinge führt zu einer Restriktion des eigenen Verhaltens. Mit dem selbstauferlegten Verbot „Ich darf nicht …“ schaffen die Beobachterinnen und Beobachter eine nicht zu hinterfragende Tabu-Sphäre, die einen weiteren unangemessenen Umgang mit dem Ort verhindern soll. Mit ihrer normativ geprägten Haltung stilisieren die Studierenden die Gedenkstätte zu einem sakralen Ort, an dem man sich angemessen zu verhalten und zu kleiden hat. Fallen den Rezipientinnen und Rezipienten diesbezüglich Regelverstöße von Seiten der Besucherinnen und Besucher oder der Kommilitoninnen und Kommilitonen auf, werden diese unverzüglich negativ gewertet: „Speziell auch in Dachau, wenn die Leute mit kurzen Hosen und Fußball Trikots da, ähm:, REINgehen, dann is’ des sehr (--), äh::, so ein bisschen Freizeit äh:: beschäftigung. Was ich nicht so angebracht finde“ (Transkript, Auschwitz-Dachau Interviewgruppe 4, Z. 58ff.).
Die Einhaltung normativer Vorgaben sowie vermeintlich sozial erwünschter Verhaltensweisen scheint für die Betrachterinnen und Betrachter essentiell zu sein und wiederholt ihre ganze Aufmerksamkeit in Anspruch zu nehmen. Die daraus resultierende Einbuße an Konzentration beeinträchtigt die Suche nach den am Ort zu findenden sinnlichen Spuren und lässt den Prozess der imaginativen Vergegenwärtigung ins Stocken geraten. Dem ästhetisch-visuellen Typ fällt es schwer, die Verfolgung von sinnlichen Reizen wiederaufzunehmen und sich von den beobachteten Aktivitäten anderer Besucherinnen und Besucher zu lösen.
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Der thermorezeptive Typ
Für den thermorezeptiven Typ steht weniger die ästhetisch-visuelle Rezeption des historischen Ortes und seiner ausgestellten Exponate im Vordergrund, als vielmehr die an den KZ-Gedenkstätten Dachau und Auschwitz jeweils vorherrschende Temperatur. Die am historischen Ort verspürte Hitze oder Kälte beschäftigt die Studierenden dieses Typs ununterbrochen und spielt für sie eine wichtige Rolle in der Auseinandersetzung mit dem Ort und den dort stattgefundenen Ereignissen. Befinden sich die Probandinnen und Probanden beispielsweise außerhalb der Ausstellungsräume auf dem offenen Gelände, rekurrieren sie unversehens auf die Außentemperatur, die sie am eigenen Körper wahrnehmen:
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Cathrin Eckerlein „Und die Kälte. Ich fand’s krass, weil’s so kalt war und weil ich dachte, des war den Personen, die da ja gelebt haben, des war ja, also ich hatte ne dicke Jacke an, ich hatte Schuhe, ich hatte Handschuhe, und des ham die alles nicht“ (Transkript, Dachau Interviewgruppe 8, Z. 21ff.).
Die kalten Temperaturen gewähren den Studentinnen und Studenten eine Vorstellung der physischen Bedingungen, denen sich die Häftlinge unentwegt ausgesetzt sahen. Die eisigen Wetterverhältnisse lassen die individuellen Erfahrungen am historischen Ort noch „authentischer“ erscheinen und ein emphatisches Reimaginieren der Situation der Häftlinge zu. Die imaginierte Vergegenwärtigung wird jedoch jäh unterbrochen, da die Studierenden mit dem Verweis auf ihre wärmende Kleidung in die Gegenwart zurückkehren und auf ihre eigene Person Bezug nehmen. Der anschließende Vergleich zwischen ihrer für den Winter funktionalen Ausrüstung und der ärmlichen Bekleidung der Häftlinge ermöglicht den Studierenden erneut ein Einfühlen in die Lebenslage der Häftlinge. Durch die Rückkehr zeichnet sich eine Art ‚Pendelbewegung‘ zwischen Gegenwart und imaginierter Vergangenheit ab, die ein typisches Charakteristikum des thermorezeptiven Typs ist. Eine ähnliche Dynamik lässt sich in nachfolgender Sequenz ausmachen, in der die Studentinnen und Studenten mit besonders heißen Temperaturen konfrontiert werden: „[…] wenn man dort ist und es ist richtig heiß dann und man sich vorstellt, diese Leute stehen auf dem Appellplatz und .hh die Sonne (--) prallt einfach runter und man selber hastet wirklich nur so von Bedeckung zu Bedeckung und Baum zu Baum, und .hhh die standen da einfach und durften nicht und […] dann immer zur Strafe stehen mussten (--). U:::nd also (--) i’ also (--) 10 Stunden lang in der Kälte oder in der Sonne oder allgemein, einfach 10 Stunden stehen, des ist abartig“ (Transkript, Dachau Interviewgruppe 8, Z. 116–121).
Die am historischen Ort erlebte Hitze, die für den thermorezeptiven Typ schon nach wenigen Minuten zu einer großen körperlichen Belastung wird, lässt eine Vorstellung von den physischen Strapazen zu, denen sich die Häftlinge täglich im Konzentrationslager ausgesetzt sahen. Die extremen Temperaturen fungieren erneut als Impuls für die nun einsetzende Pendelbewegung. Nach einem kurzen Versuch der Imagination der Häftlingssituation rekurrieren die Studierenden auf sich und die Möglichkeit, sich unter schattenspendende Bäume stellen zu können. Die Vorstellung, dass demgegenüber die Häftlinge stundenlang regungslos auf dem Appellplatz stehen mussten, ist für die Studierenden „abartig“ und imaginativ nicht weiter gangbar. So konstatieren sie: „[…] man kann sich gar nicht vorstellen, wie man, wie man da leben kann“ (Transkript, Dachau Interviewgruppe 8, Z. 23f.). Die Reimagination – und damit auch die Pendelbewegung – scheinen an dieser Stelle aufgrund der Unmöglichkeit oder dem Unwillen, sich die physische Unerträglichkeit
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vorzustellen, abzubrechen. Interessant ist dabei die Paradoxie in der Aussage des thermorezeptiven Typs: So wird im Moment der imaginativen Vergegenwärtigung der körperlichen Erfahrung der Häftlinge eine Unvorstellbarkeit der damaligen Situation formuliert. Zudem scheint sowohl dem ästhetisch-visuellen Typ als auch dem thermorezeptiven Typ seine normativ geprägte Haltung im Wege zu stehen. Allerdings kritisieren sich beide Typen nicht für die Suche nach einer Heizung in den Ausstellungsräumen der KZ-Gedenkstätte Dachau, sondern für ihre vermeintliche Dreistigkeit, sich am historischen Ort über ihre eigenen Befindlichkeiten Gedanken zu machen oder sich gar darüber zu beschweren: „In den Momenten. Sich über die Kälte dann zu beschweren. […] Man da drüber schlendert und denkt, man hat jetzt drei, vier Schichten an. .hh Die standen da in nem Schlafanzug (--) ungefähr so draußen. Zwei Stunden. Ähm:: so nach dem Motto ‚Da darfst du dich gar nicht beschweren.‘ Da fühl ich mich schlecht dabei, wenn ich mich genau über des beschwer“ (Transkript, Dachau Interviewgruppe 8, Z. 102–105).
Erneut taucht der prohibierende Satz „Da darfst du dich gar nicht …“ auf, der die von Normen bestimmte Haltung des thermorezeptiven Typs verdeutlicht. Auch die für Temperaturen empfindsamen Studierenden schreiben dem historischen Ort einen sakralen Charakter zu, an dem der gequälten und ermordeten Häftlinge gedacht werden soll. Im Bewusstsein über die schrecklichen Lebensumstände in den Lagern halten die Studentinnen und Studenten ihre persönlichen Belange und alltäglichen Sorgen für völlig banal und deren Verbalisierung für unangebracht. Gleichzeitig scheinen derartige „Alltagstheorien“ mehrheitlich der Auslöser für eine imaginäre Verbindung zwischen dem Selbst und dem Fremden zu sein. Das Ertasten dagegen steht für den thermorezeptiven Typ nicht im Mittelpunkt. Dies mag zum einen an den bestehenden Verhaltensregeln liegen, die von den KZ-Gedenkstätten Dachau und Auschwitz aufgestellt worden sind (Besucherordnung der KZ-Gedenkstätte Dachau 2014, Besucherordnung der KZ-Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau 2018), zum anderen moralische Gründe haben, die es den Studierenden verbieten, Realien oder Exponate am historischen Ort zu berühren bzw. zu befühlen.
4 Ausblick Die aufgeführten Beispiele machen deutlich, dass die am historischen Ort verspürten Resonanzen (Rosa 2017) als Impulse für eine Auseinandersetzung mit den Themen Holocaust und Nationalsozialismus fungieren können. Sie setzen eine Dynamik in
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Cathrin Eckerlein
Gang, durch die sich die Studierenden wie ein Pendel zwischen sinnlich erfahrbarer Gegenwart und imaginierter Vergangenheit bewegen können. Wird der sinnliche Zugang aber durch die Abwesenheit des echten Ortes beeinträchtigt, so ist das kognitive Wissen über historische Sachverhalte ein wichtiger und notwendiger „Mittler“, um ein Reimaginieren in die vor Ort noch vorhandenen Spuren zu ermöglichen. Auffällig ist, dass beide der vorgestellten Resonanztypen von normativen Verhaltensmustern geprägt sind, die eine deutliche habituelle Blockade zeitigen und die energetische Bewegung zwischen dem Jetzt und dem gedeuteten Früher abrupt abrechen lassen. In dem vorgestellten Dissertationsprojekt soll den hier aufgezeigten Typen ausführlicher nachgegangen sowie weitere Typen aus dem Material ermittelt werden. In diesem Zusammenhang gilt zu eruieren, inwiefern subjektseitige Resonanzen, historische Wissensbestände, medial geprägte Erwartungsprofile, kulturell bedingte Deutungsmuster sowie persönliche emotionale Erinnerungen Einfluss auf die Auseinandersetzung Studierender mit den Themen Holocaust und Nationalsozialismus nehmen und welche Bedeutung dabei der universitären Lehre zu literarischen, medialen und historischen Repräsentationen des Holocaust zukommt.
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„Ich brauch des auch immer, dass ich mir des vor Ort anschau …“
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„Mit der Schule in einer KZ-Gedenkstätte – an was erinnere ich mich noch heute?“ Ergebnisse einer Befragung von Studierenden geschichtswissenschaftlicher Studiengänge an der Ludwig-Maximilians-Universität München Bernhard Schoßig „Mit der Schule in einer KZ-Gedenkstätte“
Zusammenfassung
Im Zentrum dieses Beitrags steht die Befragung Studierender der Geschichtsdidaktik zum Besuch einer KZ-Gedenkstätte während ihrer Schulzeit mit Hilfe eines Fragebogens. Die ausgefüllten Fragebögen stellen einen Informationsfundus dar, der Rückschlüsse auf die Nachhaltigkeit von schulischen Gedenkstättenbesuchen ermöglicht. Außerdem liefern die Befragungsergebnisse wichtige Hinweise, um daran Überlegungen und Thesen zur Sinnhaftigkeit und Nachhaltigkeit von Gedenkstättenbesuchen sowie zu Bedingungen für zukünftige Besuche von Gedenkstätten anzuschließen. Abstract
The focus of this essay is the survey of students of history education on the visit of a concentration camp memorial during their school years. The completed questionnaires represent information that enables conclusions about the sustainability of school memorial visits. In addition, the results of the survey provide important information that can be used as a basis for considerations and theses on the meaningfulness and sustainability of visits to memorials and on the conditions for future visits to memorials.
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Gloe und A. Ballis (Hrsg.), Holocaust Education Revisited, Holocaust Education – Historisches Lernen – Menschenrechtsbildung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24207-7_5
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Bernhard Schoßig
1 Vorbemerkung Die nachstehend vorgestellten Ergebnisse beruhen nicht auf einer eigens konzipierten Studie, sondern auf der Auswertung eines Materialfundus, der ursprünglich zu einem anderen Zweck im Rahmen von mehreren Lehrveranstaltungen im Fach Didaktik der Geschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München entstanden ist. Um einen Einstieg in das Thema herzustellen, habe ich zu Beginn meiner Lehrveranstaltungen einen kleinen Fragebogen an die Studierenden verteilt, der unter der Überschrift „Mit der Schule in einer KZ-Gedenkstätte – an was erinnere ich mich noch heute“ mehrere Fragen enthielt, die von den Teilnehmenden der Übung schriftlich – stichwortartig oder auch ausführlich – beantwortet werden sollten. Im Anschluss daran haben sich die Studierenden erst in Kleingruppen und danach in einer Plenumsrunde bekannt gemacht und dabei auch über ihren Bezug zum Thema unter Rückgriff auf ihre Antworten im Fragebogen ausgetauscht. Die Fragebögen wurden dann am Ende der ersten Sitzung von mir eingesammelt. Im Laufe mehrerer Jahre ist dadurch ein Fundus von 90 Fragebögen entstanden. Da ich – auch aus früheren Jahren, wo diese Einstiegsmethode noch nicht verwendet worden war – den Eindruck gewonnen hatte, dass bei den meisten Studierenden nur noch sehr wenige Erinnerungen an den schulischen Gedenkstättenbesuch vorhanden waren, bot es sich an, die Fragebögen einer genaueren Analyse zu unterziehen, um zu überprüfen, ob sich diese subjektive Einschätzung aufrecht erhalten lässt
2
Der Fragebogen
Der Fragebogen wurde zwischen Sommersemester 2015 und Wintersemester 2017/18 in sechs als Übung bezeichneten Lehrveranstaltungen ausgeteilt, die zu folgenden Themen angeboten wurden: „KZ-Gedenkstätten, NS-Dokumentationszentren und andere historische Orte des Nationalsozialismus als außerschulische Lernorte der historisch-politischen Bildung“ (5x) und „Künstlerische Gedenk- und Erinnerungsprojekte zur NS- und Nachkriegszeit“ (1x). Die Beantwortung der Fragen, darunter auch einige Angaben zur Person, erfolgte anonym. Die Studierenden sollten auf die nachstehenden Aspekte und Fragen eingehen: a. Rahmen der Veranstaltung (welche Gedenkstätte, wann, wie lange, Lehrperson(en), Begleitperson(en), Führung, Vorbereitung, Nachbereitung) b. Inhalte: An was kann ich mich noch erinnern?
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c. Was ist mir besonders aufgefallen? d. Wie beurteilen Sie den Besuch aus Ihrer heutigen Sicht?
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Auswertung der Angaben zur Person (N = 90)
Herkunft: Die meisten Studierenden haben ihre Hochschulreife in Bayern erlangt (76 = 84,4 v. H.). Ansonsten verteilt sich die Herkunft auf folgende Bundesländer: Baden-Württemberg (3); Berlin, Hessen, Sachsen (jeweils 2); Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein (jeweils 1) sowie auf Österreich (1). Geschlecht: weiblich 64, männlich 26. Alter: 20–25 Jahre: 68; 26–29 Jahre: 17; 30 Jahre und älter: 5. Wenn man davon ausgeht, dass der Gedenkstättenbesuch im Regelfall in der 9. Klasse und damit im Alter von 15 Jahren stattfindet, dann liegt dieser Besuch bei der Altersgruppe 20–25 Jahre zwischen fünf und zehn Jahren zurück, bei den älteren Studierenden entsprechend länger.
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Auswertung der Frage: „An was wird sich heute noch erinnert?“
Die Auswertung erfolgte in Form einer qualitativen Analyse, bei der die Antworten vom Autor einer von drei Kategorien zugeordnet wurden: positive Äußerungen (insgesamt 31), negative Äußerungen (24), sonstige bemerkenswerte Äußerungen (17). Einzelne Fragebögen enthalten dabei sowohl positive wie negative Äußerungen. Die meisten Studierenden waren überwiegend – nicht überraschend angesichts der dominierenden bayerischen Herkunft – in der KZ-Gedenkstätte Dachau (70). Mehrere Nennungen entfallen auf Buchenwald (5) und Mauthausen (2). Privat waren in Gedenkstätten drei Studierende, während vier Personen nie eine Gedenkstätte besucht hatten. Je einmal werden angegeben: Bergen-Belsen, Mühldorf (ehemaliges Außenlager des KZ Dachau), ein KZ in der Nähe von Prag, Struthof sowie die NS-Dokumentationszentren München und Obersalzberg.
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4.1
Bernhard Schoßig
Positive Äußerungen
Vielfach werden die Besuche als gelungen und wichtig bezeichnet. Begründet wird das u. a. mit folgenden Stichworten: Veranschaulichung der Verbrechen, Besuch des authentischen Ortes und die Verknüpfung theoretischer Inhalte des Geschichtsunterrichts mit eigener visueller und affektiver Wahrnehmung. In einem Fragebogen wird festgestellt: „Absolut notwendig, um die NS-Vergangenheit und -Verbrechen greifbarer zu machen“. Ganz wesentlich für eine positive Bewertung des Besuchs ist die Qualität der Führung, die dann auch bis heute in Erinnerung geblieben ist. So wird von einer exzellenten Führung in Mauthausen und einem Besuch in Buchenwald berichtet, bei der der Mitarbeiter die Führung „unglaublich gut, lebendig und wissensreich gestaltet“ hat. Auch die gezielte Aktivierung der Schülerinnen und Schüler durch Referate von Kleingruppen, die zu Hause vorbereitet und dann an den jeweiligen Stationen des Rundgangs in der Gedenkstätte gehalten wurden, wird im Nachhinein als positive Erfahrung beschrieben. Im Rahmen von besonderen Situationen wurden intensive Erfahrungen ermöglicht, die positiv bewertet werden. Beispiele dafür sind Schulaustauschprogramme mit Israel, ein W-Seminar in Auschwitz in der 12. Klasse mit viel Vor- und Nachbereitung sowie Schulen mit besonderem Engagement in der Erinnerungsarbeit, die mehrfach Gedenkstättenbesuche durchgeführt haben. Die positiven Bewertungen von Gedenkstättenbesuchen lassen sich anhand zweier Äußerungen verdeutlichen: „Insgesamt war die Veranstaltung eine aufwühlende, aber auch informative Gelegenheit, um über die Verbrechen dort nachzudenken“ und „Der Besuch hat mich geprägt“. Allerdings soll auch auf ein Problem aufmerksam gemacht werden. Es lässt sich nicht feststellen, inwieweit es sich beim Ausfüllen des Fragebogens um sozial erwünschte Antworten aus heutiger Sicht handelt.
4.2
Bemerkenswerte Äußerungen
Als bemerkenswerte Äußerungen werden Aussagen eingeordnet, die weder positive noch negative Bewertungen enthalten, aus denen sich aber gleichwohl wesentliche Hinweise zur Planung, Durchführung und zum Ertrag des Gedenkstättenbesuchs entnehmen lassen. Dabei ist von besonderem Interesse, an was sich heute noch erinnert wird. Viele Bemerkungen beziehen sich auf die äußeren Umstände des Besuchs, z. B. das Wetter – die Hitze an einem Sommertag oder der Schneesturm
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bei einem Besuch im Januar. Auch die Größe des Geländes und die bedrückende Stimmung werden erwähnt. Das nachstehende Zitat verdeutlicht diesen Aspekt des Besuches: „Das Wirken des Ortes als Mahnmal, die Düsternis des Ortes war intensiv.“ Die Aussagen zu Inhalten, an die man sich heute noch erinnert, beziehen sich fast ausschließlich auf die „Schreckensperspektive“ des Lagers: Barracken, Verbrennungsöfen, Krematorium, Gaskammer, Folterkammer. Auch hierzu ein bezeichnendes Zitat: „Ich kann mich noch daran erinnern, wie die Hütten ausgesehen haben, und an die Gaskammer, in der die Menschen getötet wurden und auf einen Haufen zusammen geschmissen wurden (wurde uns von der Führerin dort erzählt). Mehr Erinnerungen habe ich daran nicht.“ In diesem Zusammenhang ist auch darauf zu verweisen, dass Inhalte vergessen oder falsch erinnert werden. So war nicht mehr der Name des besuchten KZ in der Nähe von Prag erinnerlich und in Buchenwald sei die Inschrift des Eingangstores „Arbeit macht frei“ gewesen – dort lautet die Inschrift aber „Jedem das Seine“. Auch der Sprachgebrauch ist auffällig. Sehr oft wird vom Besuch des KZ Dachau gesprochen und von Führungen durch Mitarbeitende des KZ. Damit wird sprachlich nicht differenziert zwischen dem damaligen Konzentrationslager und der heutigen KZ-Gedenkstätte.
4.3
Negative Äußerungen
Die negativen Bewertungen lassen sich in vier Punkten zusammenfassen. Vor- und Nachbereitung: Eine entsprechende Vor- und/oder Nachbereitung fand entweder gar nicht statt oder war viel zu knapp. Auch Formen wie Einzelbericht und Aufsätze werden kritisiert. Wünschenswert wären dagegen Diskussionen und Gespräche. Probleme ergeben sich auch bei der Einbindung des Besuchs in den Unterricht, wenn etwa der Stoff bereits Monate zuvor behandelt wurde. Planung und Organisation: Verfehlte oder schlechte Planung gehört zu den besonders auffallenden Kritikpunkten. Das reicht etwa von einem Besuch am Montag, wo die Gedenkstätte (seinerzeit) geschlossen hatte, bis zu Besuchen in Zeiten, in denen die Gedenkstätte von Schülergruppen überfüllt war und man sich daher auf den Ort nicht einlassen konnte. Kritisiert wird wiederholt, dass der Besuch „Wandertagscharakter“ hatte. Negativ wird auch gewertet, dass der Besuch viel zu kurz ausgefallen sei, sodass man regelrecht durchgejagt wurde, die Führung zu kurz war und es keine Zeit gab, Erläuterungstafeln zu lesen. Bemängelt wird weiterhin, dass die Gruppen zu groß waren. Das trifft vor allem dann zu, wenn ganze Jahrgangs-
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stufen bzw. mehrere Parallelklassen einer Schule gleichzeitig in die Gedenkstätte fahren und die Führungen in zahlenmäßig großen Klassenverbänden stattfinden. Führung: Bemängelt wird weiterhin die Qualität der Führungen, vor allem, wenn sie als monotone Erzählungen ohne Einbezug der Schülerinnen und Schüler abgehalten werden. Alter beim Besuch: Kritische Anmerkungen finden sich auch in Bezug auf das Alter zur Zeit des Besuchs. Man sei damals zu jung und als Teenager vor Ort überfordert gewesen. Die Auswertung zeigt ein starkes Auseinanderdriften von positiven und negativen Erinnerungen. Die ursprüngliche Vermutung, dass mit den schulischen Gedenkstättenbesuchen kaum eine nachhaltige Erinnerung und Wirkung verbunden ist, lässt sich angesichts auch vieler positiver Anmerkungen in dieser Allgemeinheit nicht aufrechterhalten. Es zeigt sich, dass einerseits ein sorgfältig geplanter und durchgeführter Gedenkstättenbesuch für Schülerinnen und Schüler einen inhaltlichen und emotionalen Mehrwert bieten kann. Dem steht jedoch auf der anderen Seite gegenüber, dass Gedenkstättenbesuche nicht nur in Einzelfällen schlecht oder gar nicht vorbereitet und durchgeführt werden, die dann überhaupt keinen nachhaltigen oder – im schlimmsten Fall – sogar einen negativen Effekt zeitigen. Im folgenden Abschnitt sollen deshalb noch Überlegungen für eine gelungene Durchführung von Gedenkstättenbesuchen, die sich primär aus der vorliegenden Untersuchung ergeben, vorgestellt werden. An einigen Stellen fließen dabei aber auch zusätzliche Erfahrungen des Verfassers mit ein.
5 Schlussfolgerungen 1. Ein Gedenkstättenbesuch ist weder ein gewöhnlicher Schulunterricht an einem anderen Ort noch ein Wandertag. Er sollte als eigenständiges Projekt konzipiert werden. Vor- und Nachbereitung sind im Wesentlichen in der Schule zu leisten. 2. Wenn der Gedenkstättenbesuch in die Zeit der schulischen Behandlung des Nationalsozialismus fällt, können Vor- und Nachbereitung dort eingebunden werden. Jedoch sollte das ganze Projekt von Leistungsnoten frei gehalten werden. 3. Terminierung: Angesichts des Andrangs zu bestimmten Zeiten, z. B. kurz vor den Sommerferien, sollte versucht werden, den Besuch auf andere Zeitpunkte des Schuljahres zu legen.
„Mit der Schule in einer KZ-Gedenkstätte“
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4. Grundsätzlich ist ein Besuch auch denkbar und durchaus sinnvoll in einer Zeit, in der andere Themen bzw. Epochen im Unterricht behandelt werden. Dann muss das Projekt „Gedenkstättenbesuch“ als eigenständiges Modul so konzipiert werden, dass trotzdem eine genügende Vor- und Nachbereitung gewährleistet ist. 5. Sinnvoll ist die Verbindung einer Führung mit einschlägigen thematischen Workshops in Form von Halb- und Ganztagesprogrammen. Dabei bietet sich an diesem außerschulischen Lernort auch die Kooperation mit außerschulischen Bildungsträgern an, die dort aufgrund einschlägiger methodisch-didaktischer Konzepte auch neue und andere Lernerfahrungen für die Schülerinnen und Schüler ermöglichen können. 6. Führungen durch die eigenen Lehrerinnen und Lehrer sind dann angezeigt, wenn diese das gut vorbereiten können. Es ist aber auch eine Chance, die Führungsangebote der jeweiligen Gedenkstätte wahrzunehmen. Insbesondere sollten Führungen nicht mit der ganzen Klasse, sondern in kleineren Gruppen (max. ca. 15 Schülerinnen und Schüler) stattfinden. 7. Inzwischen gibt es eine Reihe neuerer Führungskonzepte, die auf eine Aktivierung der Schülerinnen und Schüler zielen, z. B. die „wechselseitige Führung“. Hierbei bereiten einzelne Schülerinnen und Schüler bzw. Kleinteams bereits zu Hause anhand von zur Verfügung gestellten Materialien einzelne Stationen vor, die sie dann beim Rundgang in der Gedenkstätte erläutern. Aufgabe der Begleitperson ist es dann, mögliche Fehler zu korrigieren oder gegebenenfalls noch Ergänzungen vorzunehmen. 8. Es stellt sich die Frage, ob ein Besuch in der 9. Klasse sinnvoll ist oder ob es nicht besser wäre, diesen Besuch in die 10. Klasse (oder noch später) zu verlagern; denn angesichts der Entwicklungsstadien des Jugendalters kann man ein Jahr später bereits eine weitaus größere Reife und Offenheit für die Thematik voraussetzen. 9. Die Geschichte des Konzentrationslagers ist differenziert darzustellen, z. B. ist ein Überblick zu geben über den mehrfachen Funktionswandel und die verschiedenen Häftlingsgruppen. Dabei ist diese Geschichte nicht von dem chaotischen Schreckensende zu erzählen, sondern vom Anfang: der Ausschaltung der politischen Gegner, der Etablierung eines rechtsfreien Raumes, der Zerstörung des Rechtsstaates und der Demokratie sowie der Durchsetzung einer rassistischen Ideologie. Dabei ist auch die Einbettung der Konzentrationslager in das gesamte nationalsozialistische Herrschaftssystem deutlich zu machen, z. B. an dem Gegensatz Volksgemeinschaft – Gemeinschaftsfremde. 10. Im Hinblick auf Gedenkstättenbesuche und auf die Realgeschichte der Konzentrationslager scheint der Begriff „Holocaust Education“ weniger geeignet
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Bernhard Schoßig
zu sein als „historisch-politische Bildung“. Es besteht ansonsten die Gefahr, dass damit eine unzutreffende Akzentuierung vorgenommen wird. 1933 ging es nicht um die Ermordung der jüdischen Bevölkerung, sondern um die Zerstörung einer politischen und gesellschaftlichen Ordnung, die auf den grundlegenden Menschen- und Bürgerrechten beruhte, und die Ersetzung durch ein Ordnungsmodell, das durch die Ideologie der Ungleichheit und durch Gewalt gegen Menschen als Mittel der Politik gekennzeichnet war.
Holocaust Education und schulische politische Bildung Chancen und Grenzen der Vermittlung Andreas Brunold
Zusammenfassung
Wer sich mit Gedenkstätten beschäftigt, setzt sich automatisch mit dem damaligen politischen System auseinander und gleicht die gemachten Eindrücke mit der eigenen Position ab. Es werden Themen wie Grund- und Menschenrechte, Veränderungsprozessen der (politischen) Institutionen und der Gesellschaft angeschnitten, die sowohl in der historischen wie politischen Bildung eine Rolle spielen und diese miteinander verbinden. Gedenkstätten können daher als Schnittstellen beider Disziplinen einen Beitrag bezüglich historisch-politischer Bildung leisten. Im Folgenden geht der Autor auf mögliche Anknüpfungspunkte, aber auch Risiken ein. Außerdem erläutert er die zugrundeliegenden Prinzipien und daraus folgenden Ziele historisch-politischer Bildung und ihren Beitrag zur Global Citizenship Education. Abstract
Those who deal with memorials automatically deal with the political system of the time and compare the impressions made with their position. Topics such as fundamental and human rights, processes of change in (political) institutions and society are addressed, which play a role in both historical and political education. Memorials, as interfaces between the two disciplines, can, therefore, contribute to historical-political education. In the following, the author discusses possible points of contact, but also risks. Also, he explains the underlying principles and resulting goals of historical-political education and its contribution to global citizenship education.
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Gloe und A. Ballis (Hrsg.), Holocaust Education Revisited, Holocaust Education – Historisches Lernen – Menschenrechtsbildung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24207-7_6
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Andreas Brunold
Vorbedingungen und historisch-politische Bezüge
Spuren nationalsozialistischer Gewaltverbrechen begegnet man heute nicht zuletzt in Gedenkstätten, die – entweder als zeitgeschichtlich-authentische Zeugnisse oder als im Nachhinein errichtete Denkmäler – auf gegenwärtige Generationen nachwirken. Einer solchen „Spurensuche“ sowie der Beschäftigung mit haptischen Zeichen und Symbolen des Holocaust an den Stätten der damaligen Massenvernichtung nachzugehen, birgt dabei stets eine doppelte Aufgabe in sich: einerseits sich mit dem damaligen politischen System auseinanderzusetzen, andererseits sich aber auch der eigenen Position zu vergewissern. In Verbindung mit der politischen Bildung in Deutschland nimmt die Thematisierung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen sowohl in der historischen Bildung als auch in den Lehrplänen aller Schularten einen breiten Raum ein. Somit repräsentiert diese Thematik einen wichtigen interdisziplinären Querschnittsbereich der Fächerverbünde Geschichte und Politik. Wie im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland die Erfahrungen des Nationalsozialismus als Prinzipien einer moralisch verantworteten Demokratie entfaltet werden, so kann aus einer „Erziehung nach Auschwitz“ ebenso eine Bildung zu den universell gültigen Menschenrechten entwickelt werden.
2
Holocaust Education als Bestandteil einer Global Citizenship Education
Der politische Begriff der „Global Citizenship Education“ kann als Globales Lernen für die Weltgesellschaft verstanden werden, der aus einer globalen Perspektive der Welt und durch lebenslanges Lernen einen Schwerpunkt in der formalen Bildung von Schule und Hochschule haben soll (UNESCO 2014). In diesem Sinne strebt Global Citizenship Education bürgerschaftliche Partizipation an globaler Entwicklung an, um in einer zunehmend globalisierten Welt die dafür notwendigen Kompetenzen ausbilden zu können. Essentiell sind hierfür sicherlich die Wertschätzung und Vermittlung der unveräußerlichen Grund- und Menschenrechte sowie deren vorauszusetzende Werthaltungen, welche die Achtung der Menschenwürde sowie die Ablehnung von Menschenrechtsverletzungen, Gewalt und Völkermord konstituiert. Grundvoraussetzungen für in der Politikdidaktik relevante Lern- und Kompetenzziele sind in der Anbahnung bzw. Entwicklung des Bürgerleitbildes eines mündigen und interventionsfähigen Bürgers bzw. einer mündigen und interventionsfähigen Bürgerin zu sehen. Dieser bzw. diese versteht sich als Teil der Weltge-
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meinschaft und ist in der Lage, sich aktiv in politische Prozesse für eine friedliche Gesellschaft einzubringen. Hierzu gehört unabdingbar auch die Förderung der kritischen Auseinandersetzung mit den Verbrechen des Nationalsozialismus und deren Genese, so dass die Triebkräfte des Holocaust analysiert und in Beziehung zu diesen folgenreichen Menschenrechtsverletzungen des 20. Jahrhunderts gesetzt werden können. Um an Gedenkstätten als Orte der politischen Bildung sinnhaft Bildungsarbeit zu initiieren, bedarf es folglich nicht nur der individuellen Unterrichtsvorbereitung sowie der Zusammenarbeit zwischen Schulen und außerschulischen Partnern; vielmehr ist gleichermaßen aufschlussreich, welche curricularen Bildungsziele, Handreichungen und Beschlüsse verschiedene bildungspolitische Institutionen im Laufe von Jahrzehnten bereits vorgegeben haben. So setzt sich die „Empfehlung über Erziehung für internationale Verständigung, Zusammenarbeit und Frieden sowie Erziehung bezüglich der Menschenrechte und Grundfreiheiten“ der UNESCO aus dem Jahr 1974 unter anderem für eine international ausgerichtete Lehrerinnen- und Lehrerbildung ein, die gegen Kolonialismus und Neokolonialismus, Rassismus, Faschismus und Apartheid sowie gegen alle sonstigen Ideologien, die dazu angetan sind, Völker- und Rassenhass zu erzeugen, immun ist (Deutsche UNESCO-Kommission 1997). In der weiteren Fortentwicklung dieser wegweisenden Empfehlung wurde im Jahr 2014 durch die Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder (KMK) unter dem Titel „Erinnern für die Zukunft – Empfehlungen zur Erinnerungskultur als Gegenstand historisch-politischer Bildung in der Schule“ ein neuer Beschluss formuliert, der in einem engen Zusammenhang mit den Anforderungen an die politische Bildung und die Gedenkstättenarbeit verbunden ist (KMK 2014). Im Spannungsfeld verschiedener möglicher Deutungen von Geschichte geht es hierbei gleichermaßen um den Erwerb historischen Wissens, von Bewusstsein und Empathie und um die Entwicklung einer demokratischen Grundhaltung sowie um die Förderung politischen Urteilsvermögens und Handlungskompetenz. Erinnern bzw. die Erinnerungskultur werden als Teil der historisch-politischen Bildung und somit auch allgemein als Gegenstand des schulischen Lernens angesehen (KMK 2014: 3). Hier schließen sich Grundsätze der Erinnerungskultur im Horizont historisch-politischer Bildung an, die auf die drei folgenden Formen des Erinnerns in Bezug auf Menschenrechtsverletzungen des Nationalsozialismus abzielen (KMK 2014: 3ff.): So lenkt das individuelle und gesellschaftliche Erinnern die Aufmerksamkeit sowohl auf die Opfer als auch die Täterinnen und Täter des NS-Gewaltregimes sowie ebenfalls auf die Rolle der Angepassten und Mitläuferinnen und Mitläufer. Der Widerstand gegen das NS-Unrechtsregime wirft die Frage nach den individuellen und kollektiven Handlungsspielräumen auf, ebenso wie die Vermittlung von
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Andreas Brunold
Empathie gegenüber den Opfern sowie die Wertschätzung gegenüber Menschen mit Zivilcourage und Widerstandsgeist. Erinnern wird als ein Prozess gesehen, der in unterschiedlichen sozialen und kulturellen Zusammenhängen die Vergangenheit auf Gegenwart und Zukunft bezieht. So lassen sich heutige Konflikte und Kriege aus früheren Kriegen, den jeweiligen Kriegsgründen und wiederum neuen Anlässen für weitere, oft auch wiederum kriegerische Auseinandersetzungen ableiten (KMK 2014: 3). Im Kontext von kultursensiblem und multiperspektivischem Erinnern steht unter anderem die Frage, wie Akteurinnen und Akteure bzw. Lernende mit unterschiedlichen Familienbiografien Ereignisse und Orte deutscher, europäischer und globaler Geschichte erleben, verstehen und bewerten. Historisch-politische Bildung sollte deshalb die didaktischen Prinzipien der Multiperspektivität und der Kontroversität berücksichtigen, ebenso wie die Reflexion von Geschichtsdeutungen sowie die möglichst aktive Beteiligung an historischen und gesellschaftlichen Kontroversen (KMK 2014: 4f.). Beispiel- und symbolhaft stehen hierfür die Orte der nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslager, allen voran Auschwitz, aber auch viele andere Orte und Ereignisse von Verbrechen gegen die Menschlichkeit wie beispielsweise der Genozid an den Armeniern, die „killing fields“ in Kambodscha, die Massaker von Katyn, Sarajevo und Srebrenica, in Darfur und Ruanda, aber auch die Haftbedingungen in Workuta, Bautzen oder Berlin-Hohenschönhausen. Damit ist jedoch keine Gleichstellung der Verbrechen intendiert. Unter reflexivem Erinnern und einer damit verbundenen Handlungsorientierung ist zu verstehen, dass die NS-Verbrechen nicht durch die Gleichsetzung mit den Verbrechen der sozialistischen Diktaturen relativiert und deren Verbrechen nicht durch die Verbrechen des NS-Regimes bagatellisiert werden dürfen. Reflexives Erinnern erfordert einen kritischen Umgang mit Geschichte sowie mit Ausformungen von Geschichtspolitik und historisch-politischer Bildung. Ein moralischer Imperativ allein reiche nicht aus. Handlungs- und Zukunftsorientierung stünden in einem ständigen Spannungsverhältnis mit einem reflexiven und kritischen Umgang mit Geschichte und Geschichtsbildern (KMK 2014: 5).
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Politikkompetenz als Ziel der schulischen politischen Bildung
Es kann somit konstatiert werden, dass die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus an Gedenkstätten stets auch mit historisch-politischer Bildung einhergeht. In diesem Sinne müssten in der schulischen oder in der außerschuli-
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schen politischen Bildung Anknüpfungspunkte an die Frage gefunden werden, ob und wie das Erbe der nationalsozialistischen Terrorherrschaft Kontinuitäten vor und nach dem Zweiten Weltkrieg aufzuweisen hat. Daran müsste sich die Frage anschließen, was in der Überlieferung des obrigkeitsstaatlichen Denkens und Handelns bis in die Gegenwart hinein tradiert wurde. Damit würden gleichsam Bezüge zur Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes der Bundesrepublik sowie zur Idee der Grund- und Menschenrechte aufgenommen. Insofern ist die Betrachtung der Grund- und Menschenrechte als ethisch-moralische und universell angelegte gültige Werteorientierung ebenfalls unabdingbar, steht sie doch zunächst in unmittelbarem Zusammenhang mit dem internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg sowie den Bestimmungen in der Präambel der Menschenrechtserklärung vom 10.12.1948. In direkter Linie können dann unter anderem der Bergen-Belsen-Prozess im Jahr 1945, der Krakauer Auschwitz-Prozess 1947, die Frankfurter Auschwitz-Prozesse von 1963 bis 1966, die Majdanek-Prozesse 1944, 1946 bis 1948, 1975 bis 1981 sowie weitere sich daran anschließende Kriegsverbrechertribunale genannt werden. Die Stationen und Etappen der Strafverfolgung und Kriegsverbrecherprozesse bergen vertiefte Einblicke in die Psyche der Täterinnen und Täter sowie die Zwangslagen der Opfer. Gleichermaßen ermöglicht die politisch-symbolische Interpretation von Gedenktagen deren Bedeutung für die Vergangenheit, die jedoch weit in die politische Sphäre von Gegenwart und Zukunft hineinreicht, wie dies beispielsweise für den 22.02.1943, den 20.07.1944, den 27.01.1945, den 17.06.1953 oder für die jeweiligen 09.11.1848, 1918, 1923, 1938, 1939 und 1989 der Fall ist. Mitgedacht werden müssen in diesen Zusammenhängen auch die Veränderungsprozesse in den Institutionen bzw. in der Gesellschaft. Zahlreiche konstituierende Elemente der NS-Herrschaft, wie der „Führerstaat“, das Gleichschaltungsprinzip und die eklatante Diskriminierung und Ausgrenzung von Minderheiten, hatten selbstverständlich ihre Wurzeln bereits in den unterschiedlichen kulturellen und sozialen Verhältnissen des Kaiserreichs und der Weimarer Republik. Nicht ohne Grund skizzierte Thomas Mann jene Verhältnisse mit der formelhaften Typologie des „General Dr. von Staat“ mit ihrem Bezug auf Militär, akademische Eliten, Aristokratie und den Obrigkeitsstaat (Mann 1960: 247). Die zahlreichen und tief verwurzelten personellen und strukturellen Kontinuitäten der Eliten im Bereich des Militärs sowie in Justiz und Verwaltung sind – vor allem nach dem Ersten Weltkrieg, doch auch nach dem Ende des Nationalsozialismus – allzu deutlich (Görtemaker/Safferling 2016). So bestanden in der jungen Bundesrepublik die ersten beiden Bundestage in nicht unerheblichem Maße aus „altgedienten“ Nationalsozialisten bzw. ehemaligen NSDAP-Parteimitgliedern, sodass von einer „Stunde Null“ nicht die Rede sein konnte. Zum Teil sind diese Politiker der „Ersten
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Stunde“ dann bis in die höchsten Staatsämter aufgestiegen, wie dies beispielsweise bei Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger oder dem ehemaligen Marinerichter und späteren Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Hans Filbinger, der Fall war. Politikdidaktisch gesehen lohnt hier der biographische Ansatz, der unter anderem politische Sozialisationsprozesse erklärt und sozialpsychologisch durch die Theorie der autoritären Persönlichkeit (Adorno 2003: 674ff.) bzw. die Deprivationstheorie die Entstehung von rechtsextremen Persönlichkeitsstrukturen erklären kann (Marczinzik 2009: 35ff.). In den vielen Fällen missglückter Entnazifizierung mit Hilfe von durch „Persilscheine“ in Spruchkammerverfahren reingewaschenen Kriegsverbrechern zeigt sich das Versagen der Aufarbeitung der NS-Verbrechen vonseiten der alliierten Siegermächte, deren Bemühungen einer Bildungspolitik der „Reeducation“ dadurch bereits zum Scheitern verurteilt war. Das Ziel eines demokratisch verfassten Schulsystems – verbunden mit der Wunschvorstellung des Leitbildes eines mündigen und interventionsfähigen Bürgers – konnte in der Bundesrepublik Deutschland deshalb nur sehr langsam erreicht werden. Ziel eines politischen Unterrichts muss es folglich sein, zu vermitteln, dass insbesondere die individuelle Freiheit als Wert und Norm der Demokratie stets aufs Neue (wieder) erstritten und bewahrt werden muss. Hier kann durchaus die Thematisierung vergangener wie auch institutionell verankerter Tradierungen und ihrer Analyse den Blick für aktuelle Gefährdungen von Freiheits-, Grund- und Menschenrechten wie auch Bürgerrechten schärfen. Insofern bildet der Gegenwartsbezug historischen Lernens die Brücke zum politischen Lernen (Kaiser/ Rinke 2015: 151). Wenn es gelingt, die Thematisierung von Gegenwartsbezügen auf die Reflexion historischer Gegenstände zu beziehen, dann können gegenwärtige politische Gegebenheiten und Probleme vor der Folie auch der nationalsozialistischen Gewaltverbrechen schülergerecht aufbereitet werden. Hierzu kann auch die Analyse der Sprache und ihrer verschleiernden Semantik dienen, wie sie beispielsweise im Begriff der „Sonderaktion“ für das Aussondern zum Massenmord zum Tragen kommt. Ein oft angeführter Beleg für die schreckliche Kanzleisprache der Täter und Mittäter ist die Patentanmeldungsschrift der Firma Topf und Söhne (Erfurt, 05.11.1942) über „kontinuierlich arbeitenden Leichen-Verbrennungsofen für Massenbetrieb“. „[Da] in den durch den Krieg und seine Folgen bedingten Sammellagern der besetzten Ostgebiete mit ihrer unvermeidbar hohen Sterblichkeit die Erdbestattung der großen Menge verstorbener Lagerinsassen nicht mehr durchführbar sei, bestehe daher der Zwang, die ständig anfallende große Zahl von Leichen durch Einäscherung schnell, sicher und hygienisch einwandfrei zu beseitigen“ (Giordano 1991: 275ff.).
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Lernziele und Politikkompetenzen aus der Perspektive der schulischen politischen Bildung
Ausgehend von den mittlerweile in der Politikdidaktik eingeführten und etablierten Dimensionen der Politikkompetenz (Detjen et al. 2012: 13) können im Hinblick auf die Ideologie des Nationalsozialismus bzw. des nationalsozialistischen Führerstaats zunächst die Dimensionen des Fachwissens in den Vordergrund gerückt werden. Innerhalb des Basiskonzepts der Ordnung können Fachkonzepte wie Grundrechte (Art. 1–20 GG), Gewaltenteilung, Rechtsstaat und Internationale Beziehungen zur Klärung von fundamentalen demokratischen Prinzipien beitragen. Nicht zuletzt herrschte nach 1933 durch die Außerkraftsetzung der Grund- und Menschenrechte das „Recht des Stärkeren“. Subjektive öffentliche Rechte mit Verfassungsrang und deren Bindung an die Staatsgewalten wurden ausgehebelt. Im Rahmen der internationalen Beziehungen stellt die Achtung des Friedens sowie die Ächtung des Krieges gleichermaßen eine essentielle außenpolitische Wertprämisse und eine Grundlage des humanitären Völkerrechts dar, was sich unter anderem im Verbot des Völkermords und bei dem Tatbestand von Verbrechen gegen die Menschlichkeit manifestiert. Beim Basiskonzept des Gemeinwohls ist der Zugang zum Grundgesetz durch die Fachkonzepte Menschenwürde, Frieden und Sicherheit, Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit unmittelbar gegeben. So ist der Schutz der Menschenwürde als überstaatlicher und universeller Verfassungswert in Artikel 1 verankert, das Verbot des Angriffskriegs in Artikel 26 setzt die Achtung des Friedens voraus. Die freie Entfaltung der Persönlichkeit sowie das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit ist als Freiheitsrecht in Artikel 2 verbürgt, ebenso wie das Grundrecht auf wirkungsvollen Rechtsschutz in Verbindung mit Artikel 20 Abs. 3. Erwähnt werden können weiter der Gleichheitsgrundsatz in Artikel 3, die Glaubens- und Gewissensfreiheit sowie die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses in Artikel 4 und die Meinungs- und Pressefreiheit in Artikel 5 des Grundgesetzes. Im internationalen Völkerrecht spielen die Menschenrechtsabkommen der Vereinten Nationen, wie sie sich sukzessive nach dem Zweiten Weltkrieg herauskristallisiert haben, eine herausragende Rolle. Dies kommt beispielsweise im Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Sozialpakt), im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (Zivilpakt), im Internationalen Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (UN-Rassendiskriminierungskonvention) oder in den Übereinkommen der Antifolterkonvention und der Rechte von Menschen mit Behinderungen zum Ausdruck. Innerhalb der regionalen Menschenrechtsabkommen im europäischen Kontext wären als curriculare Gegenstandsfelder einer politikdidaktisch akzentuierten
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Holocaust Education die Europäische Menschenrechtskonvention oder auch die Charta der Grundrechte der Europäischen Union zu nennen.
Abb. 1 Basis- und Fachkonzepte der Politik (Weißeno et al. 2010: 12)
Im Modell der Politikkompetenz bzw. in der Domäne der Politikdidaktik hat die Kompetenzdimension der politischen Urteilsfähigkeit schon immer eine herausragende Rolle gespielt. In der Abstufung der verschiedenen Urteilsformen eröffnet sich ein graduelles Anspruchsniveau, das von Feststellungs- und Erweiterungsurteilen über Werturteile bis hin zu anspruchsvolleren Entscheidungs- und Gestaltungsurteilen reicht. Bei der Analyse historisch-politischer Ereignisse und Prozesse beziehen sich die kognitiven Tätigkeiten bei Feststellungsurteilen eher auf das Beschreiben und Kategorisieren, bei Erweiterungsurteilen auf das Vergleichen, Prüfen und logisches Schlussfolgern von Sachverhalten. Im Falle von Werturteilen können beispielsweise Grund- und Menschenrechte als Maßstäbe und Perspektiven der Bewertung gelten oder auch die Missachtung der humanistischen Wertprämissen und Prinzipien des freiheitlichen demokratischen Verfassungsstaates einbezogen werden. In einem weiteren graduellen Schritt können in Abwägungsprozessen Entscheidungen getroffen und entsprechende Entscheidungsurteile gefällt sowie begründet werden. Dies kann beispielsweise bei der Notwendigkeit der Strafverfolgung von Täterinnen und Täter oder bei der Notwendigkeit der Errichtung von Gedenkstätten zur Pflege einer Erinnerungskultur der Fall sein. Entscheidungsrelevant in diesem Sinne war auch die Absicht einer demokratischen Umerziehung des
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deutschen Volkes durch die alliierten Besatzungsmächte in Form einer Politik der „Reeducation-“ bzw. der „Reorientation“. Als anspruchsvollste Urteilsform können Gestaltungsurteile für die politische Handlungsfähigkeit überaus unterstützend und befördernd wirken. So ermöglichen Gestaltungsurteile – in Auseinandersetzung mit ausgewählten Bild-, Text-, Ton- und Videodokumenten zu Kriegsverbrecherprozessen – Einblicke in den strafrechtlichen Umgang mit den Täterinnen und Täter. Weiter eröffnen sie Perspektiven in das Leben und die Gräueltaten in den Konzentrations- und Vernichtungslagern im Rahmen von Exkursionen zu Gedenkstätten, Mahnmalen und Museen. Gleichfalls ergeben sie eine bildungspolitische Herausforderung hinsichtlich einer Erziehung nach Auschwitz.
Abb. 2 Modell der Politikkompetenz (Detjen et al. 2012: 15)
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Beutelsbacher Konsens und Holocaust Education
Der Beutelsbacher Konsens hat für die Politikdidaktik noch immer eine zentrale Bedeutung. In Bezug auf die Holocaust Education sind seine drei Leitsätze dezidiert für das historisch-politische Lernen in Gedenkstätten adaptiert bzw. übernommen worden. So hat die internationale Gedenkstätten-Charta, die von der International
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Holocaust Remembrance Alliance verabschiedet worden ist, „diese Grundsätze aufgegriffen und als ‚universal principals‘ bezeichnet“ (Kaiser/Rinke 2015: 150): „This demand, that the visitors are not overwhelmed or indoctrinated that the subjective view of the individuals be respected and that controversal subject be treated as controversal.“ Wenn Besucherinnen und Besucher von Gedenkstätten in emotionaler Weise mit Folter, Ausgrenzung und Lagerbedingungen konfrontiert werden, ist das Überwältigungsverbot sicherlich nicht anwendbar oder in Frage zu stellen, wie dies mittlerweile in der politischen Bildung Konsens ist (Brunold 2017a). Ebenso ist das Kontroversitätsgebot stets weit auszulegen, ohne dass historisch gesicherte Erkenntnisse in Frage zu stellen oder eine Relativierung oder gar Leugnung der NS-Verbrechen zu akzeptieren sind. Im Interesse der Schülerinnen und Schüler müssen jedoch stets auch unterschiedliche und wissenschaftlich begründbare Interpretationslinien zur Diskussion gestellt werden (Kaiser/Rinke 2015: 151). Es stellt sich jedoch die Frage, wie weit die inhaltliche Grenzziehung von Kontroversen bei politischen Themen gehen darf. Dabei ist offensichtlich, dass der Beutelsbacher Konsens nicht zuletzt auch die Werteordnung des Grundgesetzes repräsentiert. Eine Kontroverse im Unterricht kann also niemals den Schutz der Menschenwürde oder die Gleichheit der Menschen vor dem Gesetz in Frage stellen. Extremistische Positionen, die dem Kern der Verfassung widersprechen, können daher nicht als gleichwertig dargestellt werden. Werden sie dennoch vertreten, müssen die Lehrkräfte entsprechend gegensteuern. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass der erste Konsenspunkt die politische Bildung auf das Ziel der „Mündigkeit“ als normativer Zielorientierung verpflichtet. Der zweite Punkt integriert diejenigen didaktischen Positionen, welche die „Rationalität“ als Kernprinzip der Politischen Bildung beinhalten und verpflichtet Lehrende darauf, nicht Meinungen und Ideologien, sondern Urteile und Argumentationen zu vermitteln. Der dritte Konsenspunkt lässt sich als Referenz auf die gesellschaftskritische Didaktik der 1970er Jahre verstehen. Ihr Ziel war es, die Möglichkeiten zur personalen Selbstbestimmung und gesellschaftlichen Mitbestimmung von Lernenden zu verbessern. Die Kompetenz zur Partizipation kann deshalb als Bedingung für Emanzipation und demokratische Teilhabe gesehen werden. Insgesamt können somit die Prinzipien der Mündigkeit, der Rationalität und der Emanzipation als Grundorientierungen politischer Bildung gelten, die im Beutelsbacher Konsens durch die Grundsätze Überwältigungsverbot, Kontroversitätsgebot und Partizipationskompetenz gewährleistet werden.
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Grundorientierungen politischer Bildung Mündigkeit Rationalität Emanzipation Abb. 3
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Grundsätze des Beutelsbacher Konsenses Überwältigungsverbot Kontroversitätsgebot Partizipationskompetenz
Grundorientierungen und Grundsätze des Beutelsbacher Konsenses
In Zeiten der europäischen Migrations- und Flüchtlingskrise werden im Hinblick auf daraus zu ziehende Lehren bisweilen Parallelen zu den Gewaltverbrechen des Nationalsozialismus hergestellt, um damit quasi reflexhaft einen Vergleich mit dem Völkermord an den europäischen Jüdinnen und Juden oder mit Gräueltaten in Bürgerkriegsgebieten in Beziehung zu setzen. Ein Blick in die Geschichte der nach dem Zweiten Weltkrieg verabschiedeten, ratifizierten sowie in Kraft getretenen internationalen Statuten, Übereinkommen und völkerrechtlichen Verträgen zeigt jedoch, dass die Weiterentwicklung des Völkerrechts stets als eine Reaktion auf verbrecherische Verfehlungen einzelner staatlicher Gewaltregime zu verstehen und letztlich auf diese zurückzuführen ist. Im nationalstaatlichen deutschen Kontext ist dies mit am deutlichsten wohl am Asylrecht zu erkennen – Artikel 16 wurde als Konsequenz aus den nationalsozialistischen Gewaltverbrechen in das Grundgesetz aufgenommen. In diesem Zusammenhang könnte sich nun die Frage stellen, ob die Lehren aus dem Holocaust als Schablone für aktuelle Probleme wie Asyl, Flucht oder Xenophobie dienen können. Solche Vergleiche sind jedoch nur dann sinnvoll, wenn sie mit ihrem jeweiligen historischen Kontext vermittelt werden und nicht zu einer Gleichsetzung führen, welche die Gefahr einer Verharmlosung des Holocaust in sich birgt. Aktuelle Bezüge können sinnvoll sein, beinhalten aber immer auch die Gefahr einer Überfrachtung von populistischen mit medial aufgeladenen gesellschaftspolitischen Diskussionen. Dies gilt auch für die Vorstellung, Holocaust Education könne ein Präventivmittel gegen Antisemitismus, Rechtsextremismus, Intoleranz und Ausländerfeindlichkeit sein oder würde gar gegen solche gesellschaftlichen Auswüchse immunisieren; solcherlei Zuschreibungen sind indes höchst umstritten (Wetzel 2008). Hier spielen Aspekte örtlicher Nähe und ursachengebundener Ferne sowie vereinfachender Anschaulichkeit bzw. Sichtbarkeit und globaler Komplexität eine Rolle. Es muss daher kritisch hinterfragt werden, ob aus dem Phänomen von massenhaften Migrations- und Wanderungsbewegungen aus Bürgerkriegsregionen eine Verbindung hergestellt werden kann, die bis zu den nationalsozialistischen Gedenkorten der Gewaltherrschaft reicht.
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Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass im Zusammenhang mit einer Holocaust Education – und mehr noch mit Gedenkstättenbesuchen – Lernprozesse didaktisch geplant werden müssen. Häufig wird der pädagogischen Gedenkstättenarbeit auch zugeschrieben, dass sie zum sogenannten Demokratielernen oder zur Menschenrechtsbildung beitragen könne (Kaiser/Rinke 2015: 153). So war es zweifellos das Versagen der Parteien und deren verschiedener Protagonisten in der Weimarer Republik bzw. auch deren Verfassung, die zum Entstehen der Hitler-Diktatur maßgeblich beitrug. Dies manifestiert sich heute eindrücklich in Gedenkstätten wie Dachau, die direkt auf die Zerstörung der ersten deutschen Demokratie im Jahre 1933 hinweisen. Eine Parallelisierung zu Bürgerkriegsflüchtlingen und Migrationsbewegungen aus Drittlandstaaten oder auch afrikanischen Herkunftsländern verbietet sich hier und würde viel zu weit führen. Erlaubt sei hier jedoch die Bemerkung, dass mit Bezug auf die in Bayern ab August 2018 eröffneten „Ankerzentren“ ein mitunter geführter diesbezüglicher Vergleich mit Konzentrationslagern des NS-Regimes völlig fehl gehen muss. Dagegen dient Gedenkstättenarbeit in Verbindung mit ihrer notwendigerweise oftmals symbolischen Erinnerungskultur der Ursachenforschung sowie vor allem der stets mahnenden Überwindung der NS-Diktatur. Insofern kann das Überwältigungsverbot des Beutelsbacher Konsenses hier keine Anwendung finden.
6 Politische Bildung, Demokratiepädagogik und Menschenrechtsbildung an KZ-Gedenkstätten Abseits des Demokratielernens und in Bezug auf die deutsche Vergangenheit wird der Menschenrechtsbildung als einer Bildung über Wissen, Sachkompetenz, Empowerment und Handlungskompetenz an den Orten der nationalsozialistischen Gewaltverbrechen ein zweiter Anknüpfungspunkt zugeschrieben (Kaiser/Rinke 2015: 155). Hier können durchaus Demokratiepädagogik und Menschenrechtsbildung miteinander verknüpft werden, woran sich Ziele, Inhalte und Methoden einer gedenkstättenadäquaten Menschenrechtsbildung anschließen können. Insofern ist die Verbindung einer Bildung über, für und durch Menschenrechte mit historischem und politischem Lernen in Gedenkstätten durchaus plausibel (Kaiser/Rinke 2015: 15f.). Die Fragen, warum und durch wen die Verbrechen der Nationalsozialisten ermöglicht werden konnten, berühren selbstverständlich auch den Kern der politischen Bildung. Das Lernen über Menschenrechte und die Demokratie als Kernelement des Politischen mit seinen Verbindungen zu den historischen Dimensionen ist hier eine unabdingbare Aufgabe. Die Aushöhlung der Weimarer Reichsverfassung
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durch die Reichstagsbrandverordnung, das „Ermächtigungsgesetz“ und das „Gesetz Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ zeigen die Stationen der kollektiven wie der individuellen Entrechtung auf (Kaiser/Rinke 2015: 162). Eine allzu starke Fokussierung auf die Geschichtsvermittlung, die aufgrund des immer noch dominierenden Übergewichts des Fachs Geschichte gegenüber dem Fach Politik in der Schule nach wie vor mit Blick auf dieses Themenfeld besteht, negiert die Komplexität der politischen Bildung für ein solches didaktisches Vorgehen (Haug 2015: 114). Aus dieser Perspektive dient die Geschichtswissenschaft als Grundlage für die politische Bildung, sodass die Geschichtswissenschaft zwar Ursachenforschung betreibt und Erklärungen für die Ermöglichung der Hitler-Diktatur bereitstellt, dafür aber weniger zukunftsgerichtete Orientierungen und damit zusammenhängende Wissensbestände offeriert. Eine „Betroffenheitspädagogik der Katharsis“ führt hier nicht weiter, bleibt sie doch weitgehend in einer emotionalen Sphäre stecken. Zwar sind Fragen nach moralisch-ethischen und menschenrechtsverletzenden Gesichtspunkten unabdingbar, doch ermöglichen sie keine weiteren Schritte zur politischen Notwendigkeit, aus der Geschichte zu lernen.
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Die Beispiele Auschwitz und Majdanek: Kompetenzerwartungen
Das System der Konzentrations- und Vernichtungslager des nationalsozialistischen Terrorregimes stellt zweifelsohne ein untrügliches Abbild des totalitären Führerstaates dar. Ein streng gegliedertes hierarchisches System der Lager, Unterordnung, Befehl und Gehorsam sowie Drill und Willkür sind kennzeichnend. Hierfür können im Folgenden exemplarisch die beiden Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz und Majdanek stehen. Im Rahmen des Seminars „Erziehung nach Auschwitz heute“ im Wintersemester 2016/17 veranstaltete die Professur für Politische Bildung und Politikdidaktik an der Universität Augsburg vom 30.01.2017 bis 06.02.2017 eine Studienexkursion nach Polen, die zu verschiedenen Gedenkstätten des Holocaust nach Krakau, Auschwitz/Birkenau (Oświęcim) und Majdanek (Lublin) führte. Das Ziel der Exkursion bestand vor allem in „Annäherungen“ an die Geschichte des Holocaust in diesem mit Deutschland eng verbundenen Nachbar- und Mitgliedsland der Europäischen Union. Durch Besuche von ausgewählten Gedenkstätten an Orten der nationalsozialistischen Gewaltverbrechen konnten die im Seminar erarbeiteten Inhalte nochmals didaktisch aufgearbeitet und mit weiteren Erfahrungen vor Ort verknüpft werden. Bei den Exkursionsteilnehmerinnen und -teilnehmern handelte es sich um angehende Politiklehrkräfte verschiedener Lehramtsstudiengänge, also um künftige
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Multiplikatoren der politischen Bildung an unterschiedlichen Schularten. Für diesen Personenkreis kann mit hoher Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass sie im Rahmen ihrer späteren Lehrtätigkeit das Themenspektrum des nationalsozialistischen Gewaltregimes curricular aufgreifen und gleichfalls Exkursionen zu entsprechenden Gedenkstätten – verbunden mit deren didaktischer Aufarbeitung – unternehmen werden. Folgende Fragestellungen ergaben sich für die Exkursion: 1. Was kann an historischen Orten generell gelernt werden, was können Gedenkstätten leisten und wo liegen die Grenzen der didaktischen Vermittlung? 2. Wie verändern sich Erinnern und Gedenken mit wachsender zeitlicher Distanz und wie kann historisches Lernen hierüber für die Zukunft aussehen? 3. Wie lassen sich die Lehren aus dem Holocaust für nachfolgende Generationen aktualisieren? 4. Welche Konsequenzen ergeben sich für eine Didaktik der Menschenrechtsbildung? 5. Welche methodischen Möglichkeiten sind geeignet und anwendbar, um Antisemitismus politikdidaktisch zu begegnen und eine dem Sachverhalt angemessene moralisch-ethische Haltung einzunehmen bzw. zu befördern? Die Schwerpunktsetzungen des Exkursionsprogramms erforderten von daher bereits einen umfangreichen und als bekannt vorauszusetzenden Wissensstand über die Geschichte des Genozids in Deutschland wie auch in Polen. Die nachfolgenden Programmpunkte der Exkursion vom 30.01.2017 bis 06.02.2017 können als Modell für eine einwöchige Studienexkursion nach Polen dienen: 30.01.2017 31.01.2017 01.02.2017
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Reise von Augsburg nach Krakau Begehung der Stadt Krakau und erste Annäherungen an die Geschichte Polens, u. a. durch den Besuch des Königschlosses Wawel. Spurensuche der deutschen Besatzungsgeschichte. Besuch der Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz und Birkenau. Führung durch die Anlagen mit Hilfe eines Experten des Gedenkstättendienstes. Diskussion der unmittelbaren Eindrücke, Emotionen, Gedanken und Erkenntnisse vor Ort. Aufarbeitung des Erlebten im dortigen Dokumentationszentrum. Besuch des Zentrums für Holocaustforschung an der Jagiellonen Universität in Krakau. Begehung und selbst organisierte Führung durch das jüdische Viertel Kazimierz; Besuch der dortigen Tempel-Synagoge und des Galicia Jewish Museums. Spurensuche an Orten des ehemaligen Arbeits- und Konzentrationslagers Płaszów.
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03.02.2017 04.02.2017 05.02.2017
06.02.2017
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Ankunft in Lublin. Selbst organisierte Führung durch die Stadt und Spurensuche deutscher Vergangenheit. Erarbeitung der unterschiedlichen Themenstellungen und Informationen über die „Aktion Reinhardt“. Besuch des Vernichtungslagers Majdanek. Auswertung der Eindrücke, Emotionen und Gedanken in Gruppengesprächen. Rückreise nach Krakau. Besuch der „Schindler-Fabrik“ in Krakau und Analyse des museumdidaktischen Konzepts der Ausstellung über die deutsche Besatzungszeit der Stadt. Auswertung der Eindrücke, Emotionen und Gedanken in Gruppengesprächen. Rückreise nach Augsburg
Um die zeitliche Distanz überbrücken zu können und eine ungefähre Vorstellung von den damaligen Abläufen in einem Konzentrations- und Vernichtungslager zu bekommen, erscheint für die politikdidaktische Perspektive ein Nachempfinden der Schicksalswege der zur „Vernichtung durch Arbeit“ und zum Tode verurteilten Lagerinsassen unumgänglich zu sein. Dies soll im Folgenden anhand einer Fotostrecke des Lagers Majdanek dokumentiert werden.
Abb. 4 Das „Tor zur Hölle“ im Konzentrations- und Vernichtungslager Majdanek (eigene Aufnahmen der Exkursionsteilnehmenden)
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Abb. 5 Baracken im Konzentrations- und Vernichtungslager Majdanek, die als Ausstellungsräume genutzt werden (eigene Aufnahmen der Exkursionsteilnehmenden)
Abb. 6 Ehemalige Baracke im Konzentrations- und Vernichtungslager Majdanek für „Bad und Desinfektion“ (eigene Aufnahmen der Exkursionsteilnehmenden)
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Abb. 7 Die Wohnbaracken der Häftlinge auf Feld III im Konzentrationsund Vernichtungslager Majdanek (eigene Aufnahmen der Exkursionsteilnehmenden)
Abb. 8 Die Stockbetten in einer der Wohnbaracken im Konzentrationsund Vernichtungslager Majdanek (eigene Aufnahmen der Exkursionsteilnehmenden)
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Abb. 9 Eine der Gaskammern im Konzentrations- und Vernichtungslager Majdanek (eigene Aufnahmen der Exkursionsteilnehmenden)
Abb. 10 Das Mausoleum im Konzetrations- und Vernichtungslager Majdanek (eigene Aufnahmen der Exkursionsteilnehmenden)
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6.2
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Die NS-Verbrechen im Spiegel der Strafverfolgung und Rechtsprechung – Kontinuitäten nach 1945
Gleich nach Kriegsende begannen die Siegermächte damit, NS-Verbrecher vor den Gerichten zur Rechenschaft zu ziehen. Der Nürnberger Kriegsverbrecherprozess 1946/47 gegen die namhaftesten noch lebenden Repräsentanten des Hitler-Regimes, bei dem es darum ging, in den Fällen besonders schwerer und offensichtlicher Schuld auch Todesurteile auszusprechen, ist in diesem Zusammenhang jedoch nur als die Spitze des Eisbergs auszumachen. Alleine die alliierten Militärgerichte verurteilten unmittelbar nach Kriegsende etwa 5.000 Personen. Zehntausende mussten sich darüber hinaus vor alliierten Gerichten im In- und Ausland verantworten und wurden vielfach belangt (Heideking 1982: 272). Durch Artikel 131 GG, im Jahr 1951 in Kraft getreten, konnten jedoch ehemalige Nationalsozialisten und Kriegsverbrecher wieder in den Staatsdienst übernommen werden. Nachdem die Alliierten der bundesdeutschen Justiz wieder autonome Handlungsfähigkeit zugebilligt hatten, übernahmen deutsche Gerichte die Verfolgung nationalsozialistischer Straftäterinnen und Straftäter. Nach Angaben des Bundesjustizministeriums wurden bis zum Jahresende 1977 insgesamt 84.403 Ermittlungsverfahren gegen mutmaßliche NS-Verbrecherinnen und NS-Verbrecher eingeleitet. Verurteilt wurden schließlich 10.140 Angeklagte (Vogel 1979). Die restlichen Verfahren wurden entweder eingestellt oder endeten mit Freisprüchen. Der Gesetzgeber entschloss sich von Anfang an dazu, für nationalsozialistische Verbrechen kein Sonderstrafrecht zu schaffen, sondern die allgemeinen bundesdeutschen Gesetze anzuwenden. Die Todesstrafe blieb außen vor, und deshalb unterlagen alle NS-Verbrechen dem Grundsatz nach auch den allgemeinen Regeln für die Verjährung von Straftaten. Der Paragraph 220a des Strafgesetzbuches, der Völkermord ahndet, traf nach seiner Definition auf die Verbrechen gegen die Jüdinnen und Juden sowie die Völker Osteuropas zu. Da er jedoch erst 1955 in Kraft trat und es zu den Grundsätzen der Rechtsprechung gehört, dass neu geschaffene Gesetze nicht rückwirkend angewandt werden dürfen, brauchten die meisten NS-Verbrecherinnen und -Verbrecher bereits zehn Jahre nach Kriegsende nichts mehr zu befürchten. Wer mit nationalsozialistischer Billigung geraubt, andere verletzt oder ihrer Freiheit beraubt hatte und bis zum 08.05.1955 nicht entdeckt worden war, konnte aufatmen – solche Verbrechen waren mit dem Ablauf von zehn Jahren verjährt. So begann einheitlich der Ablauf der Verjährungsfrist mit dem 08.05.1945, dem Tag der bedingungslosen Kapitulation des „Dritten Reichs“. Schon 1960 konnten sich auch die wegen Totschlags Bezichtigten sicher fühlen. Die fünfzehnjährige Verjährungsfrist für dieses Delikt war verstrichen, ohne dass
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sich im deutschen Bundestag eine Mehrheit gefunden hätte, die dies verhindern konnte. Immerhin hatte die SPD-Bundestagsfraktion zuvor einen Gesetzentwurf eingebracht, der vorsah, die Verjährung aller Verbrechen, die mit mehr als zehn Jahren bestraft werden, erst mit dem 15.09.1949 beginnen zu lassen. Der Paragraph 220a des Strafgesetzbuches wurde im Jahr 2002 aufgehoben und durch das Gesetz zur Einführung des Völkerstrafgesetzbuches ersetzt. Es ist also den ersten Bundesregierungen selbst anzulasten, dass sie ihrer Verantwortung für die Verfolgung der nationalsozialistischen Straftaten nicht nachgekommen sind. Darüber hinaus hatten sie es immer wieder abgelehnt, auf die Archive der osteuropäischen Länder zurückzugreifen, obwohl doch die überwiegende Zahl der Verbrechen in Osteuropa, vor allem in Polen und der Sowjetunion, verübt worden waren. Erst unter dem Druck der herannahenden Verjährung aller NS-Morde zum 08.05.1965 bat die Bundesregierung alle Staaten, die für die Strafverfolgung notwendigen Beweismaterialien, insbesondere der Ludwigsburger Zentralstelle für die Verfolgung von NS-Verbrechen, zur Verfügung zu stellen. Das Ergebnis der Nachforschungen in Polen übertraf die hochgesteckten Erwartungen noch um ein Vielfaches, so dass sich der Umfang der zu erwartenden Ermittlungsverfahren nicht einmal erahnen ließ. Hier nun wurde es erst möglich, die weitere Strafverfolgung der Verbrechen in den Lagern der Aktion Reinhard mit Erfolg aufzunehmen. Das Schicksal des Kommandanten von Sobibor und Treblinka, Franz Stangl, kann biografisch wie auch exemplarisch für viele andere Fälle stehen. Nach seiner Flucht aus einem amerikanischen Internierungslager in Österreich setzte er sich 1946 nach Rom ab, wo er den unter katholischen SS-Offizieren bekannten österreichischen Bischof Hudal, den Fluchthelfer des Vatikan, aufsuchte (Sereny 1997: 305). Dieser besorgte ihm falsche Ausweispapiere in Form eines Rot-Kreuz-Passes, Geld, eine Schiffskarte und einen Arbeitsplatz in Syrien. Nachdem Stangl dann bis 1951 in Damaskus lebte, wanderte er mit seiner Familie nach Brasilien aus. Dort wohnte er völlig unbehelligt und – ohne sich eine fremde Identität zulegen zu müssen – unter seinem eigenen Namen, während er bei einem deutschen Zweigwerk von VW arbeitete. Erst 1967 wurde er verhaftet, nach Deutschland ausgeliefert und im zweiten Treblinka-Prozess 1969/70 vor dem Landgericht Düsseldorf verurteilt. Die Persönlichkeitsstrukturen der Täterinnen und Täter lassen sich sozialpsychologisch erklären, wie dies eindrücklich an den autobiographischen Aufzeichnungen des Lagerkommandanten von Auschwitz, Rudolf Höß (Höß 1958) sowie in dem dokumentarisch aufbereiteten Spielfilm „Aus einem deutschen Leben“ aufgezeigt wird. In diesem Psychogramm wird der Charakter des nicht hinterfragenden und willfährigen nationalsozialistischen Gefolgsmanns gezeigt und analysiert, so wie es im Milgram-Experiment nachgewiesen werden konnte (Milgram 1963). Das-
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selbe Psychogramm trifft auf Adolf Eichmann zu, dem ein absoluter Mangel an Vorstellungskraft attestiert wurde (Arendt 1986: 78). Trotz aller Missstände konnte man sich im Bundestag – auch wegen des Grundsatzes der Gleichbehandlung aller Verbrechen – nicht zu einer generellen Abschaffung der Verjährbarkeit von Mord entschließen. So stand am Ende der Verjährungsdebatte des Jahres 1965 schließlich nur ein Kompromiss, der vorsah, alle mit lebenslangem Zuchthaus bestraften Verbrechen erst vom 31.12.1949 an verjähren zu lassen. Damit war die nächste Verjährungsdebatte für das Jahr 1969 vorprogrammiert. Obwohl diesmal das Bundesverfassungsgericht bereits vor der Abstimmung im Bundestag klargestellt hatte, dass eine Aufhebung der Verjährung von Morden durchaus mit der Verfassung zu vereinbaren sei, konnte man sich nicht einigen, wie sogenannte „Schreibtischtäter“ zu behandeln seien. Letztendlich fand man dann in der dreißigjährigen Verjährungsfrist für Mord eine erneute Kompromissformel, die die Entscheidung nochmals vertagen sollte, bis in das Jahr 1979. Ab Ende der siebziger Jahre war die Diskussion um die Verjährbarkeit von NS-Verbrechen durch den zunehmenden zeitlichen Abstand und die immer schwierigere Verfolgung der Täterinnen und Täter geprägt. Im Bundestag fand sich schließlich im Sommer 1979 eine Mehrheit, die der Unverjährbarkeit von Mord ihre Zustimmung gab. Allen sachlich-juristischen Bedenken steht letzten Endes die moralische Bewertung der Verfolgung von NS-Straftaten gegenüber, die ohne die kritische Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus nicht stattfinden kann. Im Verlaufe des von 1975 bis 1981 dauernden Kriegsverbrecherprozesses um das Konzentrations- und Vernichtungslager Lublin-Majdanek verlautbarte der damalige CDU-Vorsitzende Helmut Kohl: „Ich bin für den Frieden mit den Opfern. Sie aber können keinen Frieden finden, wenn sie fürchten müssen, eines Tages Männern oder Frauen zu begegnen, die sie gepeinigt, die ihre Familienangehörigen ermordet haben“ (Lichtenstein 1979: 176). Dieses Zitat beleuchtet schlaglichtartig die gängige politische Meinung über die Verfolgung und Verjährung von NS-Verbrechen. Es geht hierbei nicht um den Rechtsfrieden, sondern um den Frieden mit den Täterinnen und Täter.
6.3
Das Phänomen der Holocaust Leugnung – Der Fall Günter Deckert
Schon seit ihrer Gründung im Jahr 1964 tritt die circa 5000 Mitglieder starke NPD unverändert für eine „objektive“ Geschichtsschreibung ein und bekennt sich unverhüllt zu einem den Holocaust leugnenden Revisionismus. So polemisierte sie
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1993 auch unverblümt gegen die Absichten aller Parteien im Bundestag, die Erhaltung der Gedenkstätten Auschwitz und Birkenau mit deutscher Finanzhilfe zu unterstützen (Deutscher Bundestag 1999). Stattdessen forderte sie deren Abriss, so dass nicht weiterhin die Herzen nachwachsender Generationen von Jüdinnen und Juden sowie Deutschen durch eine „Holocaustlegende“ vergiftet werden könnten. In diesem Zusammenhang wurde einer der wohl exponiertesten Vertretenden aus der Szene der Verfechter der „Auschwitz-Lüge“ und des „Gaskammer-Mythos“, der ehemalige NPD-Vorsitzende Günter Deckert, angeklagt und am 22.06.1994 vom Mannheimer Landgericht durch ein äußerst mildes Urteil quasi von seiner neonazistischen Gesinnung freigesprochen (Spiegel 1994). Ausgangspunkt der Anklage war eine Einladung an den Holocaustleugner Fred Leuchter, einen amerikanischen Konstrukteur von Hinrichtungsmaschinen und Gaskammern, der in seinem dubiosen „Leuchter-Report“ behauptete, dass in Auschwitz längst nicht so viele Jüdinnen und Juden hätten getötet werden können, wie dies seit Jahrzehnten unumstritten feststeht. Der „Leuchter-Report“ ist die zentrale Publikation revisionistischer Bestrebungen, die jüngere deutsche Geschichte zu negieren oder umzuschreiben, die Apologetinnen und Apologeten des NS-Regimes unternehmen. Dieser „Fachmann“ hielt im November 1991 einen Vortrag vor rund 120 geladenen Personen, den der damalige NPD-Vorsitzende Günter Deckert mit seinen Kommentaren versehen auf Videobänder aufnehmen und verbreiten ließ. Auf den Bändern, die dem Gericht als Beweismittel zur Verfügung standen, höhnte Deckert, auf die „Fakten“ Leuchters verweisend, dass es circa 68 Jahre dauern würde, bis sechs Millionen Menschen exekutiert seien bzw. 35 Jahre, bis sie verbrannt seien. Wenn dies zuträfe, so Deckert, seien die Exekutionen noch in Gang und würden bis zum Jahr 2006 andauern (Wolf 1992: 5). Aufgrund der „Leuchter-Veranstaltung“ wurde Deckert am 13.11.1992 zu einem Jahr Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. Nachdem Deckert und die Staatsanwaltschaft Revision gegen das Urteil eingelegt hatten, hob der Bundesgerichtshof das Urteil am 15.03.1994 auf und es musste in Mannheim neu verhandelt werden. Das Karlsruher Gericht prüfte in seiner Entscheidung nicht, ob das Verbreiten der Auschwitz-Leugnung an sich bereits den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllt. Darüber hatte es in der Öffentlichkeit nach dem Urteil des Bundesgerichtshofes im Deckert-Verfahren im März 1994 heftige Diskussionen gegeben. Der Bundesgerichtshof hatte im Bestreiten der Gaskammermorde noch nicht die Tatbestände der Volksverhetzung und Holocaustleugnung erfüllt gesehen und begründete dies mit folgender Begründung: Deckerts Unterstützung und Verbreitung der Behauptung Leuchters allein, es seien keine Juden vergast worden, erfülle diese Straftatbestände nicht, da sich Deckert dafür auch durch sein Verhalten mit der NS-Rassenideologie
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hätte identifizieren müssen – etwa über einen Angriff auf die Menschenwürde und/ oder das Anknüpfen an die Rassenideologie des Nationalsozialismus. Bei dieser Entscheidung bleibt zu fragen, ob die Menschenwürde der Opfer und ihrer Hinterbliebenen nicht schon dadurch verletzt wurde, dass man ihre Ermordung öffentlich leugnete? So unterband der Bundesgerichtshof in der Tradition seiner umstrittenen Urteile der 1950er und 1960er Jahre die Verurteilung von NS-Tätern in Richterroben, weil nicht der Mord an sich, sondern das Beugen des Rechts zur Voraussetzung der Strafbarkeit gemacht wurde. Die NS-Richter konnten sich dabei auf den für sie befreienden Satz „Wir hielten für Recht, was wir gesprochen hatten“ berufen (Müller 1989). Dieser Akt der Straflosigkeit bildete das Fundament für die „zweite Schuld“ (Giordano 1990), die keinen Frieden mit den Opfern bringen konnte, da alle, die die Taten und Morde begangen hatten, ungesühnt in Deutschland weiterlebten – eine untilgbare Schmach, bei der Bundesjustiz und NS-Justiz eine unheilige Allianz bildeten. Im Urteil vom 22.06.1994 tauschten die Richter dann nur die Begründungen aus (Perger 1994). Lediglich die technisch-juristischen Voraussetzungen für die Strafbarkeit der Volksverhetzung wurden nachgetragen, obwohl erst kurze Zeit zuvor durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bestätigt worden war, dass die Verbreitung der „Auschwitz-Lüge“ unter Strafe zu stellen ist und nicht durch das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung geschützt wird (Bundesverfassungsgericht 1994). Das Leugnen der systematischen Judenverfolgung im Nationalsozialismus sei eine „erwiesen unwahre Tatsachenbehauptung“ und unterliege schon allein deshalb nicht dem Schutz der Meinungsfreiheit, so das Gericht. Darüber hinaus sei in der Leugnung der Judenverfolgung eine strafbare Beleidigung der in Deutschland lebenden Jüdinnen und Juden zu sehen. Den Auschwitzleugnenden ist es mit ihren pseudowissenschaftlichen Aussagen gelungen, die liberale Demokratie in Deutschland an einer ihrer sensibelsten Stellen zu treffen, nämlich der Meinungsfreiheit. Für die Politikdidaktik muss deshalb die Prämisse gelten, dass aufgrund der Erfahrungen mit der NS-Diktatur der analysierende und reflektierende Umgang mit der deutschen Geschichte stets zur aktuellen politischen Bildung werden muss.
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Schlussbetrachtung und Verbindungslinien in die Gegenwart
Der Umgang mit den Folgen des Nationalsozialismus wird immer belastend bleiben, und diese Last kann aus der Rückschau nur bewältigt werden, wenn man sich über die Komplexität seiner Ursachen bewusst ist (Mitscherlich/Mitscherlich 1967: 40). Bis zum Jahre 1985 hat es 40 Jahre gedauert, bis der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker in einer bahnbrechenden Rede im Deutschen Bundestag den 8. Mai als einen „Tag der Befreiung“ würdigte (von Weizsäcker 1985). Zuvor wurde das Kriegsende entweder eher als Niederlage oder auch als „Stunde Null“ bezeichnet. Die Zeit vor 1945, die Verantwortung für den Holocaust, die Entfesselung des II. Weltkriegs und die Gründe für die Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahre 1933 sowie die zuvor erfolgte Erodierung der jungen Demokratie der Weimarer Republik ließen sich damit bequem verdrängen. In seiner Rede analysierte Richard von Weizsäcker treffend, wie der abgrundtiefe Hass Hitlers gegen die jüdischen Mitmenschen ein ganzes Volk zum Werkzeug seines Hasses gemacht hatte. Nicht zuletzt hatte Hitler in seinem Testament vom 30.04.1945 der „Führung der Nation“ die perfide Verpflichtung auferlegen wollen, „Gefolgschaft zur peinlichen Einhaltung der Rassengesetze und zum unbarmherzigen Widerstand gegen den Weltvergifter aller Völker, dem internationalen Judentum“ zu leisten (von Weizsäcker 1985: 4f.). Heute werden Gedenkstätten wie Auschwitz massenhaft besucht, so dass sich einerseits die Balance und der Übergang zum „KZ-Tourismus“ als fließend erweist. Andererseits aber können Gedenkstätten durch die konkreten Überreste der entsetzlichen Verbrechen im Bewusstsein des Betrachters bzw. der Betrachterin Rekonstruktionsanstrengungen in Gang setzen und den qualvollen Prozess des Erinnerns aktivieren, so dass die „museale Ausstellung“ gerechtfertigt ist. Von daher muss Auschwitz als Erkenntnisgrund für die Zukunft verstanden werden, „denn nur so könne die Kluft zwischen dem, was Menschen herstellen und dem, was sie sich vorstellen können, zumindest im Rückgriff – und damit vielleicht auch im Vorgriff auf Kommendes – allmählich überwunden werden“ (Arendt 1986: 16).
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„Diesen Spagat weiß ich selber jetzt noch nicht so genau, wie ich den überhaupt lösen kann.“ Eine Typologie des didaktischen Ichs von Lehrkräften Michael Penzold Holocaust Education im Modus von Nähe und Distanz
Zusammenfassung
Immer wieder begleiten Lehrerinnen und Lehrer ihre Schulklassen bei Exkursionen an KZ-Gedenkstätten, die im Unterricht vorbereitet werden. Sie sind dabei auf vielfache Weise didaktisch herausgefordert, da sie nicht nur als Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner für ihre Schülerinnen und Schüler zur Verfügung stehen, sondern auch persönliche Einstellungen zu den Gedenkstätten und der durch sie repräsentierten historischen Epoche entwickeln. Wie nehmen diese Lehrerinnen und Lehrer die Gedenkstättenfahrt in Hinblick auf ihren Unterricht wahr? Wie sehen sie sich im Verhältnis zu dem, was sie an der Gedenkstätte erleben? Der vorliegende Aufsatz versucht eine Antwort auf diese Fragen zu geben. Auf der Grundlage von Interviews und Feldprotokollen wird eine Typologie der didaktischen Einstellungen von Lehrerinnen und Lehrern vorgeschlagen. Sie entfaltet sich auf der Grundlage ihrer Nähe- und Distanzerfahrungen zu ihren Schülerinnen und Schülern einerseits und zur Gedenkstätte andererseits. Die Studie schließt mit einem Plädoyer für die wertschätzende Wahrnehmung von Diversität auf der Seite der Lehrerinnen und Lehrer, von der die Gedenkstättenpädagogik insgesamt profitieren könnte. Abstract
Again and again, teachers accompany their students on trips to memorial sites. They prepare these trips in class. They feel professionally challenged in their teaching role, because they are not only the recipients of their students’ questions, but also bring their personal experience and understanding to the memorial sites and the historical events connected with. How do they incorporate © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Gloe und A. Ballis (Hrsg.), Holocaust Education Revisited, Holocaust Education – Historisches Lernen – Menschenrechtsbildung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24207-7_7
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the trip to the memorial site into their teaching? How do they perceive their teaching role while at the memorial site? This essay tries to give an answer to these questions. On the data base of interviews and written reports the author proposes a typology of attitudes on the part of the teacher. The typology unfolds whether or not the teacher feels close or distant to both the students and what the memorial site represents. The essay concludes with a plea to appreciate the different perceptions of teachers, this diversity of the educational theory might enrich the practice of memorial site pedagogy.
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Nähe und Distanz – Lehrkräfte und Schülerinnen und Schüler an KZ- Gedenkstätten
KZ-Gedenkstätten oder andere Orte, die an die Verbrechen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft erinnern, sind bereits seit langer Zeit Unterrichtsthema und Ziel von schulischen Exkursionen. Lernarrangements, bei denen Schulklassen aufbauend auf den Unterricht zusammen mit begleitenden Lehrerinnen und Lehrern an solche Orte fahren (Meseth et al. 2004: 17), sind inzwischen weit verbreitet. In den meisten Fällen beinhalten sie geführte Rundgänge über das Gelände und durch Ausstellungen. Solche Gedenkstättenfahrten können, wie beispielsweise in Bayern, verpflichtend sein, sie können aber auch in der Folge schulischer Gebräuche oder auf Initiative einzelner Lehrerinnen und Lehrer stattfinden. Sie sind zumeist im Sinne eines fächerübergreifenden Unterrichts gestaltet. Bei der Untersuchung dessen, was an der Gedenkstätte passiert, sind zumeist die Schülerinnen und Schüler, die an einer Gedenkstättenfahrt teilnehmen, im Fokus sozialwissenschaftlicher Forschungen (Klein 2012; Haug 2015a; Geißler 2015). Lehrerinnen und Lehrer werden aus Sicht der Gedenkstättenpädagogik als Repräsentantinnen und Repräsentanten der Institution Schule mitunter kritisch gesehen (Haug 2015a: 136f.). In Rechnung zu stellen ist aber auch, dass die Lehrkräfte sich häufig auf der Grundlage einer mangelnden spezifischen Ausbildung als überfordert wahrnehmen (Stevick 2017: 193ff.). Ausgehend von der Annahme, dass bei einem Besuch an einem Gedenkort „die Schülerinnen und Schüler untereinander, aber auch die Lehrkräfte […] nicht die Rollen [verlassen], die sie im Rahmen des schulischen Alltags gewohnt sind“ (Kößler 2018: 25), werden letztere als wie fremdgesteuert von institutionellen Rahmenbedingungen wahrgenommen: „Lehrkräfte agieren in einem festen Korsett von Lehrplänen, Prüfungsanforderungen, Fachkonferenzbeschlüssen“ (Kößler 2018: 25). Auch wird behauptet, dass eine
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„inhaltlich informierte Planung von Gedenkstättenbesuchen nicht weit verbreitet ist“ (Kößler 2018: 29), weshalb Gottfried Kößler in Bezug auf das Verhältnis von Schule und Gedenkstätte „eine Kommunikationskultur in beide Richtungen“ (Kößler 2018: 25) fordert. Sind sie aber als Begleitpersonen beispielsweise von Gedenkstättenfahrten wirklich so fremde, in auf institutionell vorgefertigte Rollen unerbittlich festgelegte Personen? Befragt man Lehrerinnen und Lehrer, die selbst eine Gedenkstättenfahrt oder Exkursion an einen anderen Gedenkort begleitet und unterrichtlich vorbereitet haben, ergibt sich ein differenziertes Bild. Auf der Grundlage von acht Gesprächen mit jeweils mehreren Lehrerinnen und Lehrern und ebenso vielen Feldprotokollen, die vom Verfasser dieses Aufsatzes im Zeitraum von 2016 bis 2018 erhoben und verfasst wurden, kann gezeigt werden, dass Lehrkräfte in dieser Situation durchaus interessante didaktische Einstellungen entwickeln und entsprechende kommunikative Positionen beziehen. Dabei haben sich die Begriffe „Nähe“ und „Distanz“ als Faktoren einer „Sortierlogik“ (Breuer et al. 2017: 310) erwiesen, die diese verschiedenen Selbstpositionierungen erkennbar machen: Lehrerinnen und Lehrer verorten sich demnach auf der Grundlage ihrer persönlich erlebten, reflektierten „Nähe“ bzw. „Distanz“ zum Gedenkort einerseits und einer emotionalen und erzieherischen „Nähe“ bzw. „Distanz“ zu den Schülerinnen und Schülern, die sie auf dem Lern-Gang durch das Gelände und die Ausstellungsbereiche begleiten andererseits. Wie genau sich Lehrkräfte im Kontext eines Besuchs eines zur Holocaust Education passenden außerschulischen Lern- oder Gedenkortes selbst verstehen und wie sie selbst ihre Rolle im damit verbundenen Bildungsprozess konzipieren, wird vergleichsweise selten gefragt. Dass sie im Vergleich zu den Schülerinnen und Schülern als empirisch handelnde Personen in der Forschung eher nur oberflächlich in den Blick kommen, lässt sich exemplarisch durch einen Blick in den 2017 erschienenen Forschungsbericht der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA 2017) erkennen. Während das von drei Autorinnen und Autoren verantwortete Kapitel 10 mit „Students Learning about the Holocaust“ – also mit einem Bezug zu einem Personenkreis – überschrieben ist (IHRA 2017: 223), hat sich Doyle Stevick, der Autor des 9. Kapitels, mit der weitaus unpersönlicheren Überschrift „Teaching the Holocaust“ (IHRA 2017: 191) begnügt. Dass Lehrerinnen und Lehrer als Akteurinnen und Akteure im Kontext einer an außerschulischen Lernorten orientierten Holocaust Education mitunter schwer zu greifen sind, liegt möglicherweise auch daran, dass sie hier eine eigentümliche Zwischenposition einnehmen. Während sie im Klassenzimmer die Gedenkstättenfahrten – zumindest idealerweise – inhaltlich und praktisch vorbereiten, folgen sie an
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der Gedenkstätte den Guides mehr oder weniger passiv zusammen mit ihrer Klasse über das Gelände. Wie das, was die Klasse nun zu hören und zu sehen bekommt, zu dem Vorwissen passt, das die Lehrkraft gegebenenfalls mit den Schülerinnen und Schülern erarbeitet hat, ist vor Ort zunächst unklar. Hier wird die Klasse von einer Expertin oder einem Experten, dem Guide des Gedenkortes oder des Museums mit Wissensbeständen konfrontiert, die sowohl allgemeine Kenntnisse über die Geschichte der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft voraussetzt als auch die Bereitschaft erfordert, sich lokalen Besonderheiten oder lokal wichtigen Aussagen von Zeitzeuginnen und -zeugen zu widmen. Für die Lernenden hat der Ort zudem an sich schon den Reiz des Neuen und Befremdlichen, d. h. ein Teil der Aufmerksamkeit richtet sich auf das, was am Ort vorfindlich ist und als neu oder irritierend erfahren wird. Was bedeutet dies für die begleitenden Lehrkräfte? Wie sehr möchten sie sich auf die Irritationen ihrer Schülerinnen und Schüler einlassen, wie sehr müssen sie auf der disziplinierten Durchführung eines Lernvorgangs in ungewohnter Umgebung insistieren, zur Not auch mit disziplinarischen Mitteln? Wie nahe stehen sie den Klassen? Wie sehr beschäftigt sie auch persönlich das, was sie an der Gedenkstätte erfahren? Die Bedeutung der Lehrkräfte als Vermittlerinnen und Vermittler, die unterschiedliche Wissensbestände, implizite und explizite Vermittlungsstrategien miteinander kompatibel machen müssen, steht außer Frage: Sie sind an Gedenkstätten einerseits verantwortliche Begleiterinnen und Begleiter des Vermittlungsvorgangs und sie sind zur persönlichen Reflexion gezwungen, denn sie sollten das an der Gedenkstätte Gelernte, das Angedachte, das Erfragte mit dem fachdidaktisch und schulpädagogisch Wünschbaren und zu Erreichenden in Einklang bringen. Sie sind zudem nicht selten mit ihren eigenen Wünschen und Interessen, mit ihrer eigenen Familiengeschichte sowie mit ihrer eigenen, zuweilen langjährigen Auseinandersetzungsgeschichte mit dem Holocaust anwesend. Neben der sowohl professionellen wie persönlichen Position zwischen Schülerinnen und Schülern, Guides und Gedenkstätte ergeben sich also auch auf weiteren Ebenen Zwischenpositionen, die eine Selbstverortung nahelegen – zwischen Aktualität und Historizität, zwischen Erinnerungen, die in den Familien präsent sind und akademischen Zugängen aus dem Studium, zwischen medial immer wieder aktualisierten Thematisierungen des Nationalsozialismus und gegenwartsbezogenen moralischen Ansprüchen, zwischen schulischem Alltag und außerschulischen Lernchancen. Dies alles fließt letztlich ein in die für den vorliegenden Aufsatz relevanten Aussagen der Lehrkräfte, die verschiedene Modellierungen von Nähe-und-Distanz-Verhältnissen zum Gedenkort und zu den Lernenden erkennen lassen. Bei der Interpretation der Aussagen der Lehrkräfte ist somit zu fragen: Wie lassen sich diese komplexen und von den Lehrerinnen und Lehrern zuweilen sehr unterschiedlich
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beschriebenen Nähe-Distanz-Verhältnisse modellieren? Ist es möglich, aufgrund empirischer Materialien verschiedene signifikante Varianten oder gar „Typen“ zu ermitteln und miteinander in Bezug zu setzen? Lässt sich auf der Grundlage einer solchen Systematisierung sodann das Handlungs- und Reflexionsspektrum nachvollziehen, in das sich ein didaktisches Ich einer Lehrkraft im Kontext einer umfassenden Holocaust Education gestellt sieht? Zunächst noch ein paar methodologische Hinweise: Das Arbeiten mit Typologien in einem spezifischen Datenfeld ist auf Grundlage der Grounded Theory (Eisewicht 2018: 20ff.) zu verstehen als „eine Systematisierung von Konzepten in Form von Modellen“, die durch die „Bildung von Fallgruppen“ eine feldbezogene „Orientierung“ (Breuer et al. 2018: 310) ermöglichen. Es geht bei qualitativen Ansätzen nicht um Häufigkeiten, sondern um die „Herausbildung gegenstandsbezogener Systematiken“ (Breuer et al. 2018: 310). Im vorliegenden Fall wurde versucht, eine für bestimme didaktische Konzepte von Lehrerinnen und Lehrern grundlegende Merkmalskombination zu nutzen, um eine Typologie zu entwickeln. Diese Typologie kann verschiedene Konsequenzen für die Gedenkstättenarbeit haben: Das heißt, die Tatsache, dass es leicht möglich ist, eine solche Typologie zu entwickeln, sagt, dass es bezüglich der impliziten und expliziten Konzeptionen der Einbettung eines Gedenkstättenbesuchs in den didaktischen Alltag von Lehrkräften interessante und vor allem markante Varianten gibt, die umgekehrt auch für die Gedenkstättenpädagogik und ihr möglicherweise etwas reduktionistisches Bild von der begleitenden Lehrkraft relevant sind. In diesem Sinne kann die hier entwickelte Typologie als Beitrag dazu verstanden werden, dass „die tatsächliche, interaktive Zusammenkunft von Gedenkstättenpädagogin, Lehrer und Klassen […] komplexer beschrieben und reflektiert werden“ (Haug 2015b: 122) kann. Wenn im vorliegenden Artikel der Versuch gemacht wird, empirisch nachweisbare Typen von Selbstverortungen im Sinne des didaktischen Ichs zu beschreiben, so ist damit impliziert, dass keinem der durch die Typologie erfassten Ansätze ein Vorzugsrecht zugesprochen wird. Es ist davon auszugehen, dass auf der Grundlage von jedem der ermittelten Typen ein guter Unterricht entwickelt und durchgeführt werden kann. Alle können auf verschiedene Weisen eine erfolgreiche Holocaust Education in die Wege leiten, alle können aber auch scheitern. Es ist allerdings davon auszugehen, dass es dem Unterricht und der Wirksamkeit der Gedenkstättenfahrt zugutekommt, wenn sich Lehrkräfte vor und während der Gedenkstättenfahrt ihrer spezifischen Ansätze und Präferenzen bewusst werden. Die auf Kodierungen beruhende Systematisierung der Erzählungen der in diesem Aufsatz zu Wort kommenden Lehrerinnen und Lehrer kann zudem natürlich auch keine unumstößliche Typologie generieren. Sie ist aber ein wichtiger und, wie ich meine, produktiver Weg, das didaktische Ich der Lehrerinnen und Lehrer zu
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verstehen und sie nicht mehr nur als Begleitpersonen, sondern als gedenkstättenpädagogisch hoch relevante personale Instanzen wahrzunehmen. Im Folgenden werden die verschiedenen vorgeschlagenen Typen mit der weiblichen Form benannt, dafür bleibt es bei der formalen maskulinen Form beim Begriff „Typ“.
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Typ 1: Die Begleiterin
Eine besonders markante und in unterschiedlichen Abtönungen immer wieder im Material auftretende Position ist die in diesem Kontext als Begleiterin bezeichnete Ausprägung des didaktischen Ichs einer Lehrkraft. In ihren Aussagen, in denen sie das eigene Verhältnis zum Ort als ein sehr nahes bestimmt, lässt Typ 1 dies erkennen, wenn dieser Ort im Zuge z. B. einer Gedenkstättenfahrt „revisited“ wird. Im Folgenden sei eine Passage aus dem Bericht einer Lehrerin (N) zitiert, die über eine Klassenfahrt an die KZ-Gedenkstätte Auschwitz spricht. Sie steht exemplarisch für Typ 1: „[…] und in eh des ist also was mich persönlich am meisten betrifft … und die schiere Größe ganz einfach von Birkenau also wenn man da durch dieses bekannte Tor geht und dann sieht man das hört irgendwie nicht auf. Also da sieht man gar nicht mehr, wo dieses Lager aufhört … ehm und des hat den Kindern auch eh … hat sie auch geschockt […] und in Dachau … da ist es für mich und ich glaub für die meisten Kinder eh … entweder der Bunker oder die gas- diese Gaskammer“ (L 66, 15).
Die als exemplarisch für diesen Typus ausgewählte Aussage einer Lehrerin hebt zunächst das Grenzenlose der Raumerfahrung hervor. Sie scheint am Ort des Gedenkens regelrecht unterzugehen. Fast scheint es, als ob sie allein schon durch die Entgrenzungserfahrung auf sich selbst geworfen ist. Das Näheverhältnis zum Ort ist ihr wichtig, weil der Ort einen elementar starken Mehrwert gegenüber dem Geschichtsbuch hat: Es gibt etwas am Ort, das die Nähe zu ihm, die Anwesenheit an ihm notwendig macht. Es ist das nicht durch Intellektuelles, nicht über das Geschichtsbuch vermittelte ganz Andere des Ortes. So gesehen vertraut die Lehrkraft darauf, dass das Aufsuchen des Ortes auch für die Schülerinnen und Schüler etwas anderes und doch gerade Entscheidendes vermitteln kann, das über das schulische Lernen hinausgeht. Dies ist nicht nur auf der Grundlage einer fast schon überwältigenden Raumerfahrung wie in Birkenau möglich, sondern auch an einem weniger beeindruckenden Setting anderer Gedenkorte. An diesen wirkt der Ort dann zumeist nicht generell, sondern nur an einigen ausgewählten Stellen. Die
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Vorstellung einer speziellen Aura des Ortes oder einer bestimmten Stelle scheint jedoch wichtig zu sein. Lehrkräfte dieses Typs scheuen sich nicht, sich zusammen mit ihren Schülerinnen und Schülern auch emotional auf den Ort einzustellen. Das Beispiel der von mir ausgewählten, für Typ 1 repräsentativen Lehrkraft zeigt dies überdeutlich an einer späteren Stelle des Interviews. Die Lehrerin berichtet hier von einem Moment an der Gedenkstätte in Auschwitz, als sie beim Anblick eines ausgestellten Kinderkleides eines Vergasungsopfers die Tränen nicht mehr zurückhalten kann: „Da ist ein Kinderkleid von einem zweijährigen Kind und des ist einfach … ja und ich bin da auch ganz offen mit den Kindern ich finde sie sollten selber emotional sein dürfen in der Situation und bin selber auch also ich fang dann da zum Plärren an und das find ich … darf und muss eigentlich so sein, wenn man sich danach fühlt … falls da waren glaub ich einige der Jugendlichen ein bisschen irritiert …“ (L 66, 15).
Der Ort wird hier so beschrieben als wirke er emotional ungefiltert auf sie ein. Sie verstärkt die emotionale Wirkung des Ortes auf die Schülerinnen und Schüler, indem sie mit gutem Beispiel voran geht (L 66, 15, 7–10): „Ich finde, sie sollten selber emotional sein dürfen, in der Situation und bin selber auch also fang ich dann da zum Plärren an und das find ich darf und muss eigentlich so sein, wenn man sich danach fühlt.“ Die zitierte Lehrerin konstruiert an dieser Stelle ihr didaktisches Ich so, dass es auf dem Weg der Emotionalität die Nähe der Schülerinnen und Schüler aufsucht. Das emotionale Lernziel verdankt sich nicht einer erzieherischen oder curricularen Setzung, sondern ist der Wirkung der empfundenen Nähe zum Ort geschuldet. Auch die Tatsache, dass der Anblick ausgerechnet eines Kinderkleides das Weinen auslöst, ist wichtig. Auslöser des Weinens ist ein Gegenstand, der einerseits nahe auf dem Leib getragen wird, dessen Bezug zur Kindheit Nähe und Intimität, aber auch Wehrlosigkeit impliziert – und der doch andererseits als relativ nahe bei den Schülerinnen und Schülern verortet wird: Immerhin bezeichnet sie ihre Schülerinnen und Schüler, allerdings schon Zehntklässlerinnen und Zehntklässler, in dieser Textpassage auffällig als „Kinder“, später erst wieder als „Jugendliche“ (L 66, 15). Mitgehen, sich mit den Schülerinnen und Schülern dem Raum aussetzen, Mitbeobachten, Mitweinen – so könnte man das Vorgehen dieser Lehrperson zusammenfassen und ihren Modus der Nähe bestimmen. Deshalb ist es angemessen, den durch sie repräsentierten Typus als Begleiterin zu bezeichnen. Sie konstruiert ihr didaktisches Ich als Begleiterin ihrer Schülerinnen und Schüler durch einen auratischen Ort und Erfahrungsräume hindurch. An der Gedenkstätte kann die Lehrerin dieses Typs zuweilen zu einer Art Mentorin werden. Wichtig ist aber, dass hier nicht quasi naiv auf eine spontane oder, umgekehrt, verordnete Emotionalität
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gesetzt wird. Emotionalität wird hier eng verbunden mit dem Verstehen des Ortes, der ja etwas anderes als das diskursiv Fassbare vermittelt. Denn die gemeinsame Begehung der Gedenkstätte ist zugleich auch ein gemeinsames, durch die Exkursion als Bildungs-Inszenierung didaktisch konstruiertes Ganzes. In dieses fügen sich die geistige und soziale Herausforderung der Beschäftigung mit dem Thema und eventuell auch der Unterricht mit ein. Die Tränen als Intensitätsindikatoren finden durchaus in einem Bildungszusammenhang ihren Ausdruck und haben in einem solchen auch eine Funktion. Die Lehrerin hebt in diesem Sinne wenig später im Interview hervor, dass sie in ihrem Oberstufenunterricht viel Wert auf wissenschaftliches und methodisch kontrolliertes Vorgehen lege. Die Arbeiten, die sie die Schülerinnen und Schüler anfertigen lasse, kommentiere sie kritisch, ihre Ansprüche an Rationalität und Fachlichkeit sind dadurch klar abgesteckt. Diese Information aus dem Fallbeispiel lässt zumindest den Verdacht zu, dass der Typ 1, die Begleiterin, nicht zwingend einen rein emotionalen, spontanen und wenig reflektierten Zugang zum Feld sucht. Für Lehrerinnen und Lehrer des Typ 1 ist die Gedenkstättenfahrt aber auf eine spezifische Weise das „Framing“ der emotionalen und rationalen Auseinandersetzung mit dem Thema Holocaust und NS-Verbrechen.
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Typ 2: Die Sammlerin
Während Typ 1 die Nähe zum Gedenkort als Eintauchen in einen auratisierten Kontext konstruiert, geht es Typ 2 darum, sich Vorstellungen zu machen. Um dies erreichen zu können, muss sie sich konstruieren als ein didaktisches Ich, das sich auf der Grundlage einer größeren Distanz zum Ort konstruiert. Dieser Unterschied zu Typ 1 lässt sich relativ leicht erkennen, wenn man das folgende Zitat liest, in dem ebenfalls Fragen der räumlichen Dimensionen von Gedenkstätten angesprochen werden. Eine Lehrerin erinnert sich: „Da war zum Beispiel dann auch ehm dass man ne Vorstellung hatte, ehm … eh wie groß ist jetzt so ne Baracke und wie viele Leute sind haben jetzt hier so als in in so Hauptzeiten dann wo wo’s dann ganz extrem wurde eh eh hausen müssen und wie ist das überhaupt möglich wir eh wir wir saßen da mit eh vierundzwanzig Schülern und des war schon ziemlich voll und wir haben jetzt nur gesessen auf irgendwelchen Tischen oder sowas und jetzt sollen die da schlafen und eh essen und alles Mögliche und waren ja dann auch noch viel viel viel mehr und das eh das so dieser Zusammenhang sich das mal vorzustellen war jetzt auch für die Schüler eher möglich als wenn’s z jetzt einfach ne blanke Zahl im Unterricht nennst oder sowas jetzt ne, so … und wie gesagt, was ja jetzt schon erzählt worden ist vom Fußbodenreinigen oder
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von diesen Sachen also dass dann auch man sich das mal ankucken kann wie sieht denn hier ein Fußboden aus lässt sich das eigentlich so reinigen eh vor allen Dingen auch wenn man jetzt von draußen kommt und da eher die Wege hat und e- die nicht ge- eh teert oder sonstiges sind, sondern kann das überhaupt so sauber sein oder auch die Sachen die man anhat oder so- solche Sachen ehm .. und eh das das begreifen sie dann alle eh doch schon viel mehr an diesem … an diesem Ort wenn man jetzt ganz konkret diese Sachen bespricht, ne?“ (L 62, 18)
Einzelne Elemente der Gedenkstättenbegehung, so könnte man das Textbeispiel zusammenfassen, ergänzen und vertiefen den Unterricht in der Schule. Der Ort der Gedenkstätte wird demnach als ein Ort der Repräsentation wahrgenommen. Sowohl atmosphärische Eindrücke als auch historisches, politisches und lebenspraktisches Wissen können an der Gedenkstätte gesammelt werden. Dadurch kann das, was im Unterricht gelernt werden kann, punktuell ergänzt und vertieft werden. Während Typ 1 vor allem auf das Ganze der Gedenkstätte setzt und die Eindrücke hier als im wahrsten Sinne umfassende Erfahrung nutzt, ist Typ 2 selektiver. Die größere Distanz zur Gedenkstätte ermöglicht es Typ 2, eine zielgeleitete Auswahl der prägnanten Stellen und Informationsmöglichkeiten zu treffen. Hier ist die Gedenkstätte auch mehr als eine Bildungseinrichtung im Blick, an der mit Störfaktoren beispielsweise in Gestalt zu vieler anderer Besucherinnen und Besucher zu rechnen ist. Die Lernsituation muss erst einmal hergestellt und kontrolliert werden. Die Lehrerin vom Typ 2, die Sammlerin, geht mit ihrer Klasse vor allem deshalb an die Gedenkstätte, weil sich diese als Wissens- und Erfahrungsreservoir konstruieren lässt. Hier sind diejenigen Vorstellungen zu entwickeln, die den schulischen Wissenserwerb ergänzen und anreichern. Die relative Enge, die die Klasse bei einer Diskussion in einer Baracke erfahren hat, als der Guide mit ihnen über die Zustände im Lager sprechen will, deutet sie beispielsweise als illustrative Erfahrung von der Überfüllung eines Raumes, die komplementär zu der im Unterricht genannten „blanken Zahl“ der in den Baracken bedrängt lebenden Lagerhäftlinge steht. Also nicht die Aura des Ortes, sondern konkret vermittelte, partikulare Vorstellungsgehalte sind entscheidend. Die Nähe zu den Schülerinnen und Schülern ist hier primär dadurch bestimmt, dass die Lehrkraft sich intensiv mit deren Vorstellungsvermögen auseinandersetzt. Distanziert wirkt die Verhältnisbestimmung dadurch, dass die Lehrkraft den Lernprozess aus der Ferne beobachtet und kontinuierlich mit dem schulischen Unterricht in der Schule in Verbindung setzt. Wichtig ist, dass der Besuch der Baracke ermöglicht, „sich [etwas] vorzustellen“ und die Bedeutung der Worte in einem kontextuell angemessenen Sinn zu ergründen: Das Wort „Fußbodenreinigen“ in Bezug zum Wort „Baracke“ ist im Unterricht schnell gesagt, erst aber bei genauem Hinsehen, „wenn man sich das mal ankucken kann wie sieht denn hier ein Fußboden aus“, erschließt sich der
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Klasse, so hofft Typ 2, die für das Lagerleben ausschlaggebende Bedeutung. Der Modus der Zusammenführung des unterrichtlichen Verstehens einerseits und des Verstehens an der Gedenkstätte andererseits wird hier mit „besprechen“ und „begreifen“ benannt. Emotionale und intellektuelle bzw. historische Anteile sind hierbei in unterschiedlicher Gewichtung und Verteilung denkbar. Das Besondere an dieser Form der Verschränkung des unterrichtlich vermittelbaren Wissens mit den Erfahrungen an der Gedenkstätte ist, dass die Erfahrungen sich hier als reziprok erweisen. Beide Welten der Vermittlung – die Konkretion an der Gedenkstätte und die Abstraktion im Unterricht – lassen sich ständig aufeinander beziehen, wobei die Erfahrungen der Bezüge durchaus überraschend möglich werden können. Die Erfahrung der Enge, wie sie sich beim Gespräch mit dem Guide einstellt, ist ja nicht oder nur eingeschränkt planbar. Sie wird hier sozusagen von Typ 2 aus dem Strom der Erfahrungen herausgepickt und mit dem propositionalen Wissensgehalt der „blanken Zahl“ verbunden. Der Klasse fällt die Art des Fußbodens, wie er in der Baracke anzutreffen ist, und seine materielle Beschaffenheit nicht auf, wenn nicht vorher der intellektuelle Bezug zu einer unmenschlichen Lagerordnung hergestellt ist. Solcherlei Zusammenhänge herzustellen und schulisch vermittelbares und außerschulisch erfahrbares Wissen zu verknüpfen, ist die Grundlage der Selbstkonstitution des didaktischen Ichs einer Lehrkraft dieses Typs. Funktionen der Vermittlung können hier durchaus großzügig an die Institution des Guide abgetreten werden. Für Typ 2 stellt der Guide eher eine wertvolle Hilfe dar, weil hier ein inhaltlicher Transfer vom Wissen zum Sehen und Erfahren angestrebt wird – und umgekehrt. Auch bei Typ 2 sind unterschiedliche Grade an Emotionalität und Rationalität denkbar. Hier entwickelt sich ein emotionaler Gesamteindruck schrittweise und als Resultat mehrerer, möglicherweise sehr verschiedener Akte der Empathie und des Wissenserwerbs. Das ermöglicht die Konstruktion des Ortes als Dispositiv von Wissensbeständen und die Modellierung des didaktischen Ichs als qualifizierte Sammlerin. Was sie vor Ort mit den Schülerinnen und Schülern zusammenträgt, fügt sich unterrichtlich zu einem Ganzen.
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Typ 3: Die Kommentatorin
Bei Typ 3, der Kommentatorin, herrscht ein kritisches Grundverständnis hinsichtlich des Ortes vor, der, gerade auch als Ort des Gedenkens etwas Missverständliches, wenn nicht sogar etwas Täuschendes an sich haben kann. So schreibt sich die Distanznahme von Typ 3 aus einem Problem der Konzentrationslager und der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft selbst her – denn immerhin haben die
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SS, die Betreiber und Organisatoren der Konzentrationslager, mithin die Täter, auf eine grundlegende Art mit dem Element der Täuschung gearbeitet. An der Gedenkstätte Dachau beispielsweise ist bis heute die Aufschrift „Brausebad“ auf den Eingängen zu den Gaskammern oder die verlogene Inschrift „Arbeit macht frei“ in oder über den Zugangstoren des ehemaligen Konzentrationslagers zu sehen (Hammermann et al. 2017: 39, 61). Die Lehrkraft vom Typ 3 fühlt sich unter diesen Voraussetzungen intellektuell besonders herausgefordert. Die Konfrontation mit dem, was die Gedenkstätte überliefert, ist hier als durchaus ambivalent konstruiert. Der Gedenkort ist für die Lehrkräfte von Typ 3 weiterhin ein wichtiger Ort – allerdings nur, wenn er aus einer kritischen Distanz und im Kontext der nationalsozialistischen Ideologie gesehen wird. Da sich gerade durch die unmittelbare Anschauung des Gedenkorts diese nur partiell erschließt, ist eine aktive, aufklärerische Positionierung der Lehrperson gefordert. Die Vertreterinnen des Typs 3 greifen damit aktiv und komplementär zum Guide in die Vermittlung ein. Sie verweisen beispielsweise auf die historischen, politischen und ideologischen Hintergründe des Lagers und verstehen dies zumeist als eine wichtige, auf die Schülerinnen und Schüler unmittelbar zu beziehende Ergänzung der von den Guides geleisteten Arbeit. Die Aktualisierung dessen, was das Lager politisch bedeutete und was die Gedenkstätte zu denken gibt, qualifiziert das Nähe- und Distanz-Empfinden gegenüber den Schülerinnen und Schülern und gegenüber der Gedenkstätte. Die Lehrerinnen und Lehrer des Typs 3 wollen ihre Schülerinnen und Schüler während und nach dem Aufenthalt an der Gedenkstätte mit ihren Eindrücken nicht allein lassen, dadurch drücken sie ihre persönliche Nähe zu ihnen aus. Die Distanz zu dem, was die Gedenkstätte als Medium einer Partialeinsicht ausdrückt, ist relativ groß – sie ist jedoch nicht gleichzusetzen mit Desinteresse. Für Typ 3 ist vielmehr eine große Nähe zum Thema und ein großes Interesse am Thema kennzeichnend, das als sehr aktuell und durchaus bedrohlich empfunden wird. Der Nationalsozialismus und seine bis heute auftretenden Ideologeme (Antisemitismus, Rassismus, Ausspielen von Machtpositionen etc.) können an jeder Ecke lauern. Die Konzentrationslager sind dabei direkter Ausdruck einer menschenverachtenden und Pluralität vernichtenden Ideologie. Eindrücklich illustrieren lässt sich die Haltung des Typs 3 in einer Passage aus einem Feldprotokoll. Der Lehrer, der hier zur Sprache kommt, hat gerade mit einer 10. Klasse einen Rundgang über das Gelände der KZ-Gedenkstätte Dachau absolviert. Auf dem Weg zwischen den Stationen hat er sich immer wieder angeregt mit dem Guide oder mit Schülerinnen unterhalten. Er hat also für die Lernenden sichtbar und engagiert an den Ausführungen des Guides Anteil genommen, was sich auch in den Fragen gezeigt hat, die er gestellt hat. Er scheint der Gedenkstätte insofern didaktisch nahe zu sein, als er dem Guide fachlich nahe sein kann. Dieses
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Verhalten hat eventuell für die Schülerinnen und Schüler insofern anregend gewirkt, als auch sie sich an dem Gespräch mit dem Guide sehr aktiv beteiligt haben. Dennoch scheint der Lehrer nach dem Rundgang ein ungutes Gefühl zu haben – und Distanz zu suchen. Er wendet sich vor der Abfahrt der Busse, mit denen die Gruppe angereist ist, abschließend noch einmal an die Klassen, unter die sich in diesem Fall auch der Guide gemischt hat, und richtet einen Appell an die Zuhörenden: „Die Nazis entwickeln eine ‚Sammelsuriumsideologie‘ aus Gedanken, ‚die in sich logisch werden, wenn man daran glaubt‘. Wir haben das behandelt bei der ‚Euthanasie‘, ein ‚giftiger‘ Gedanke stecke dahinter, mit der Ideologie haben die Nazis das ‚Gift unter die Leute gebracht, denen es logisch zu sein schien, andere zu töten, sie meinten, dass diese Leben einer Lösung zugeführt werden.‘ Es seien ‚antijüdische, rassistische Gedanken‘. Er hebt noch einmal hervor: ‚Das war mir einfach wichtig, das zu sagen‘ […] ‚Das Böse beginnt oft mit der Ideologie, auch mit Worten beginnt es‘, dies müsse aber nicht zwangsläufig geschehen, sondern könne verhindert werden. Wichtig sei, hinzuhören ‚was erzählen die Leute.‘ […] Ich verstehe ferner, dass er jetzt keine Parteien nennen wolle, aber der ‚Nationalismus‘ habe auch ‚Potenzial für Hässliches‘. Es sei aber nicht damit getan, ‚dass wir uns am Terror voyeuristisch ergötzen. […]“ (F 86, 11).
Dieser Lehrer nimmt den möglichen Missbrauch eines Gedenkstättenbesuchs in den Blick. Die Gedenkstätte, so lässt sich vor allem aus der letzten Passage des Zitats ableiten, ist erst durch eine angemessene Rezeptionshaltung erschließbar, für die das didaktische Ich der Lehrkräfte die Verantwortung übernimmt. Den Lehrerinnen und Lehrern kommt die Funktion der Vernetzung der Wissensbestände und der Erfahrungen zu. Anders gesagt: Sie müssen es sich aktiv vornehmen, der Gedenkstätte zu der Bedeutung zu verhelfen, die sie verdient. Typ 3 traut der Gedenkstätte und ihren Vertreterinnen und Vertretern also subjektiv durchaus sehr viel zu, sieht sich aber als Verbindungsinstanz zwischen dem Alltag der Schülerinnen und Schüler und dem Unterrichtsgegenstand vor ungleich größere Schwierigkeiten gestellt als dies bei den anderen Typen fassbar wird.
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Typ 4: Die Kämpferin
Das didaktische Ich der Kämpferin, Typ 4, geht mit großem Bedauern davon aus, dass ein Gedenkstättenbesuch an sich möglicherweise keinen berechenbaren positiven Effekt auf die Lernenden hat – zumindest kurz- und mittelfristig nicht. Für diesen Typ ist es denkbar, dass Schülerinnen und Schüler völlig unberührt und gelangweilt über das Gelände einer Gedenkstätte gehen – egal, was auch immer
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dort zu sehen, zu hören und zu riechen ist, egal, was auch immer die Guides erzählen. Insofern ist die vom didaktischen Ich der Lehrkraft konstruierte Distanz zum Gedenkort ausgesprochen groß. Das persönliche Urteil über die Gedenkstätte kann dabei durchaus sehr positiv sein. Die didaktische Nähe zu den Schülerinnen und Schülern ist allerdings entscheidend. Die Kämpferin hat einen spezifischen Blick für diejenigen Rolle(n), die Schülerinnen und Schüler im schulischen Kontext einnehmen. Die Kämpferin lehnt Gedenkstättenfahrten zwar nicht ab, für sie ist die Gedenkstätte aber vor allem ein Ort unter vielen, an denen es auf existentielle Weise um Demokratie und Menschenrechte geht. Die Kämpferin fühlt sich der Gedenkstätte fern und erwartet sich möglicherweise weniger von diesen Besuchen als andere. Die Emotionalität dieses Typs zeigt sich aber weniger als Reaktion auf bestimmte Orte, Exponate oder Narrationen, als vielmehr in Form einer Leidenschaft für bestimmte Werte und Lebenshaltungen. Diese Werte sieht die Kämpferin schon im Schulalltag gefährdet. Die Gedenkstätte rückt in eine relativ große Distanz zum Unterrichtsgeschehen. Fast hat es den Anschein, als solle sie nur zur besseren Verankerung des Themas Holocaust und Nationalsozialismus im Gedächtnis dienen: Die Gedenkstättenfahrt selbst ist für Typ 4 wohl eher als Exkursion, als Abwechslung interessant. Die Themen NS-Verbrechen und Konzentrationslager sind für Typ 4 in erster Linie Ausgangspunkte für weitere Transferleistungen, die direkt auf die individuellen Einstellungen von Schülerinnen und Schülern hinführen. Als Lehrerin sieht sich Typ 4 in besonderer Weise mit einer schulischen Alltagskommunikation konfrontiert, die nicht immer den Erwartungen im Hinblick auf eine aufgeklärte Schülerinnen- und Schülerschaft entspricht. Für Typ 4 sind die vielen moralischen und politischen Gewissheiten, die sich nach einer jahrzehntelang wirkenden Holocaust Education ergeben haben, keineswegs mehr selbstverständlich. Holocaust Education ist hier mit einem ständigen Kampf um Demokratie und Menschenrechte verbunden. Typ 4 sieht sich aber mit einem andauernden Rollen- und Versteckspiel der Lernenden konfrontiert, das nur sehr schwer zu durchschauen und durch Belehrungen und Kontextualisierung von Wissen allein nicht zu durchbrechen ist. Insofern die Kämpferin mit und um die Schülerinnen und Schüler kämpft, ist sie ihnen nahe – auch wenn sie sich eingestehen kann, dass sie die Welt und die Sprache vieler Schülerinnen und Schüler als fremd empfindet. Sie sucht deswegen auch eher den Einzelkontakt und die Konfrontation als die moralische Instruktion. Im ersten Fallbeispiel wird auf der Grundlage einer geradezu dramatischen Situation sichtbar, was das bedeuten kann: „Find ich auch ganz wichtig also ich mach das auch in der achten Klasse ganz explizit mit Antisemitismus im Kaiserreich weil wir das da auch schon derart ausgeprägt feststellen können mit Ausgrenzung verschiedenen verschiedener Gruppen und da ist es dann tatsächlich der Antisemitismus ein riesiger Part davon […] also s- es
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ging dann eben um sie sollten dann halt von Bildmaterialien sagen wie die jüdische Bevölkerung hier dargestellt wird mit welchen Eigenarten und eh … und am Ende meinte dann ehm so ein Schüler Ja aber so ist es ja auch. Und es war so tatsächlich, ich habe versucht darauf einzugehen […] ich hatte so das Gefühl ich kann das doch so nicht stehen lassen, aber es war ich bin überhaupt nicht an ihn rangekommen weil meine Argumen- ich war natürlich argumentativ schon stärker nur ich hab gemerkt, das dringt gar nicht zu ihm durch sondern er macht einfach dicht und sagt Ja und lächelt weil’s dann weil er schon genau weiß, dass er das nicht dass er das eigentlich öffentlich nicht sagen darf …“ (L 69, 8).
In diesem Beispiel, in dem von einer Unterrichtssequenz zur Vorbereitung einer Gedenkstättenfahrt berichtet wird, kommt die für Typ 4 charakteristische Dialektik von Nähe und Distanz in der Begegnung zwischen Lernenden und Lehrkraft zum Ausdruck. Die Kämpferin ist hier herausgefordert, zu einer antisemitischen Aussage Stellung zu nehmen. Eingebettet ist diese in einen Kontext, der die Anwesenheit an der Gedenkstätte eigentlich nur zum Anlass nimmt, sich Gedanken über alltägliches Verhalten und dessen Denkvoraussetzungen zu machen. Typ 4 bezahlt für diese spezifische Nähe- und Distanz-Erfahrung mit den Schülerinnen und Schülern übrigens durchaus einen spezifischen persönlichen Preis. Dies kann mit dem Verweis auf ein kurzes Statement einer Lehrerin veranschaulicht werden, die schon beim Rundgang über die Gedenkstätte und in Gesprächen mit der Guide immer wieder die Frage nach der Hilflosigkeit und Wehrlosigkeit der KZ-Häftlinge angesprochen hat. Im Gespräch nach der Fahrt an die Gedenkstätte sagt sie: „Und da diesen Mittelweg zu finden, auf der einen Seite des warum wehrt sich niemand, auf der anderen Seite die Ohnmacht, wenn ich jetzt was dagegen tue, dann bin ich selber dran diesen Spagat weiß ich selber jetzt noch net so genau wie ich den überhaupt lösen kann …“ (L 50,6).
Typ 4, die Kämpferin, ist den Schülerinnen und Schülern nahe. Zur Gedenkstätte pflegt sie als didaktisches Ich aber eine relativ große Distanz. In der Aussage, sie habe Angst, den „Spagat“ nicht bewältigen zu können, ist das Element des schwierigen, von Widersprüchen geprägten Kampfes um die Wahrheit spürbar. In der direkten, „nahen“ Konfrontation mit den Schülerinnen und Schülern entscheidet sich bei ihr, was vom Gedenkstättenbesuch bleibt. Die Gedenkstätte gibt hier für das didaktische Ich eine Art logisch-existenzielles Rätsel vor, das auf der Grundlage einer Erfahrung der Nähe zu den Lernenden erörtert wird.
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6 Schlussbemerkung Möchte man die im vorliegenden Aufsatz vorgeschlagenen Typen in Form einer Systematisierung miteinander in Verbindung bringen, könnte man dies mit einem Vierfelderschema (Breuer et al. 2018: 194f.) versuchen, durch das die Beziehungen der Lehrkräfte zur Gedenkstätte einerseits und zu den Schülerinnen und Schülern andererseits durch die Faktoren Nähe und Distanz bestimmt werden. Die folgende Zuordnung könnte vorgenommen werden, wobei die Zahlen auf die jeweiligen Typen verweisen:
Nähe zu … Distanz zu …
Gedenkstätte 1,2 3,4
Schülerinnen und Schüler 1,4 2,3
Abb. 1 Viefelderschema zum didaktischen Ich der Lehrkräfte
Typ 1, die Begleiterin, zeichnet sich demnach dadurch aus, dass sie sowohl eine große Nähe zur Gedenkstätte als auch zu den Lernenden anstrebt, doch ist ihre Art, Nähe zur Gedenkstätte auszudrücken eine qualitativ andere als die der Sammlerin, Typ 2. Eine Zuordnung, wie sie das Vierfelderschema aufweist, ermöglicht es einerseits, systematisierende Entscheidungen zu spiegeln, die der induktiven Bildung der Typen zu Grunde liegen können, insofern jeder Typ in jeder Spalte nur einmal vorkommt. Andererseits bleiben die spezifische Qualität und Dynamik der Nähe-und-Distanz-Verhältnisse außer Acht. Eine solche Tabelle nötigt zwar zu einer Radikalisierung der Wahrnehmung, zu einer Betonung von Tendenzaussagen, doch kann sie die spezifischen Formen der Modifizierung der Nähe und Distanz, wie sie in den Typen 1 bis 4 greifbar sind, nicht erfassen. Wichtig ist, dass es sich bei den unterschiedlichen Nähe-Distanz-Relationen vor allem um didaktische Selbstpositionierungen von Lehrkräften handelt, die diese wiederum auf der Grundlage persönlicher und professioneller Dispositionen vornehmen. Aufgrund der Typologie selbst lässt sich auch keine Hierarchisierung der Typen vornehmen. Zu vermuten ist lediglich, dass die vier hier vorgestellten Typen didaktisch interessante Positionen vertreten und möglicherweise diejenigen Lehrkräfte durch sie nicht erfasst werden können, die im Sinne einer weitgehend unreflektierten Pflichterfüllung den Gedenkstättenbesuch gestalten und sich den Lernenden nur als Aufsichtspersonen zu erkennen geben.
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Wünschenswert wäre es, dass durch die Wahrnehmung der hier vorgeschlagenen Typologie die immer wieder zu vernehmenden stereotypen Wahrnehmungen von Lehrerinnen und Lehrern durch die Gedenkstättenpädagogik hinterfragt werden. Vielleicht ist es auf der Grundlage der Typologie möglich zu verstehen, dass mit den didaktischen Nähe- und Distanzkonstruktionen der Lehrkräfte keine normativen Einstellungen zur Arbeit eines spezifischen Guides oder zur Qualität von Gedenkstätten verbunden sind. Das Verhältnis von Schulen zu Gedenkstätten könnte davon profitieren. Grundsätzlich ist es wichtig, in der vorgestellten Typologie einen Beitrag zur Wahrnehmung und Strukturierung eines vielfältigen Feldes zu sehen. Die hier festzustellende Diversität zeigt, für wie aktuell und relevant Lehrkräfte das Thema Holocaust halten. In einer pluralistischen Gesellschaft ist es angebracht, auch den die Lernarrangements verantwortenden Lehrerinnen und Lehrern Diversität zuzugestehen und als Potenzial zu nutzen. Die didaktischen Nähe- und Distanzerfahrungen sind freilich nicht ohne Verluste und Unschärfen zu haben. Die Typologie umschreibt letztlich vier verschiedene Arten und Weisen, rationales, historisches Wissen und emotionale Beteiligung, Wertebildung und politisches Bewusstsein miteinander zu verrechnen und in eine Balance zu bringen. Jeder Typus markiert dabei eine Tendenz, wie das auf unterschiedliche Weise geschehen kann – und de facto geschieht.
Literatur Breuer, Franz/Muckel, Petra/Dieris, Barbara (2017): Reflexive Grounded Theory. Eine Einführung für die Forschungspraxis, Wiesbaden: Springer VS. Cowan, Paula/Maitles, Henry (2017): Understanding and Teaching Holocaust Education, London: Sage. Eisewicht, Paul (2018): Schreibtischarbeit. Varianten interpretativer Typenbildung. In: Burzan, Nicole/Hitzler, Ronald (Hrsg.): Typologische Konstruktionen. Prinzipien und Forschungspraxis, Wiesbaden: Springer VS, S. 13–32. Geißler, Cornelia (2015): Individuum und Masse. Zur Vermittlung des Holocaust in deutschen Gedenkstättenausstellungen, Bielefeld: transcript. Hammermann, Gabriele/Pilzwerger-Steiner, Stefanie (Hrsg.) (2017): KZ-Gedenkstätte Dachau. Ein Rundgang, München: utzverlag. Haug, Verena (2015a): Am „authentischen“ Ort. Paradoxien der Gedenkstättenpädagogik, Berlin: Metropol. Haug, Verena (2015b): Gedenkstättenpädagogik als Interaktion. Aushandlungen von Erwartungen und Ansprüchen vor Ort. In: Gryglewsky, Elke/Haug, Verena/Kößler, Gottfried/Lutz, Thomas/Schikorra, Christa (Hrsg.): Gedenkstättenpädagogik. Kontext, Theorie und Praxis der Bildungsarbeit zu NS-Verbrechen, Berlin: Metropol, S. 113–126.
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NS-Dokumentationszentren als neue Zentren der Holocaust Education? Historisches Lernen am historischen Ort Hannes Liebrandt
Zusammenfassung
Das Gedenken und Erinnern an den Nationalsozialismus und Holocaust findet längst nicht mehr nur in den Institutionen Schule und Universität statt, sondern insbesondere auch im öffentlichen Raum. Dieses Bewusstsein hat sich jedoch sehr zögerlich entwickelt und konnte sich keineswegs vollständig durchsetzen. Ehemalige Täterorte des Nationalsozialismus blieben davon meist unberührt, beziehungsweise wurden deren Spuren im öffentlichen Raum jahrzehntelang bewusst getilgt. Wie kaum ein anderer Erinnerungsort stehen Dokumentationszentren für einen Wandel dieses Bewusstseins, ja sogar für einen Umbruch innerhalb der Geschichts- und Erinnerungskultur zum Nationalsozialismus. Die Eröffnung des NS-Dokumentationszentrums München im Jahr 2015 zeigt dies in aller Deutlichkeit. Abstract
The remembrance of National Socialism and the Holocaust is something no longer limited to institutions such as schools and universities, but is now especially found in the public. This new awareness is slowly rising. Most former Nazi crime locales are lacking in any distinguishing identification. In fact, many of those places have been kept purposely hidden from the public for decades. Few places reveal the newly emerging awareness as keenly as documentation centres, which could aptly be described as revolutionizing Germany’s historical and memorial culture as it pertains to National Socialism. The opening of the Munich Documentation Centre for the History of National Socialism in 2015 was a benchmark of this awareness. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Gloe und A. Ballis (Hrsg.), Holocaust Education Revisited, Holocaust Education – Historisches Lernen – Menschenrechtsbildung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24207-7_8
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Hannes Liebrandt
Die Aufarbeitung des Nationalsozialismus in der Geschichtskultur – ein Überblick
Initiierung, Etablierung und Ausformung von Erinnerungsorten ist stets Ausdruck eines spezifischen zeitgenössischen Denkens, weshalb ihnen bereits in der Konzeptions- und Planungsphase eine gesellschaftspolitische Aufgabe beigemessen wird, die sie auf unterschiedliche Weise erfüllen. Erinnerungsorte an den Nationalsozialismus nehmen dabei zweifellos eine Sonderstellung ein, ohne die umstrittene Singularitätsdebatte der Holocaustforschung in diesem Zusammenhang nachzeichnen zu wollen (Augstein 1987; Evans 1991; Kühnl 1987). Der kurze Blick in die Vergangenheit der bundesrepublikanischen Erinnerungsgeschichte ist jedoch notwendig, um die Gründung von NS-Dokumentationszentren ebenso als Ausdruck einer erinnerungskulturellen Wende, ja sogar eines Umbruchs seit ca. 1990 verstehen zu können. Nach einer Phase des kollektiven Beschweigens, in der die öffentliche Abkehr vom Nationalsozialismus nicht selten auch in ein kollektives Vergessen mündete (Frei/Steinbacher 2001: 8), folgte in den 1960er bis 1980er Jahren eine Phase der aktiven öffentlichen Auseinandersetzung. Der Eichmann-Prozess in Israel (1961), die Frankfurter Auschwitz-Prozesse (1963–1965) sowie die Debatten zwischen 1964 und 1969 um die Aufhebung der Verjährungsfristen bei Mord (Wolfrum 2007: 179ff.; Schildt/Siegfried 2009: 208–211) sensibilisierten zahlreiche Menschen für die Thematik sowie für die Defizite der Aufarbeitung und förderten einen öffentlichen und gesellschaftlichen Rahmen für die Auseinandersetzung mit biographischer Schuld und persönlicher Verantwortung. In dieser Phase konstituierten sich zahlreiche Gedenkstätten, die die deutsche Erinnerungslandschaft bis heute maßgeblich prägen. Vor dem Hintergrund dieses steigenden Interesses der Öffentlichkeit seit den 1960er Jahren kam dem Thema Nationalsozialismus insbesondere mit der Ausstrahlung der amerikanischen TV-Serie „Holocaust“ im Januar 1979 gesellschaftliche Aufmerksamkeit zu. Die unerwartet große Resonanz sowie die emotionale Betroffenheit, die die fiktive jüdische Familie Weiss beim Publikum hervorrief, war erstaunlich und führte auch dazu, dass sich der Begriff „Holocaust“ als Bezeichnung für den Mord an den europäischen Juden durchsetzte (Brenner/Strnad 2012: 11f.). Seit Ende der 1980er Jahre hat sich die Form der deutschen Erinnerungsgeschichte an den Nationalsozialismus nochmals grundlegend gewandelt, wofür die zahlreichen Gründungen von Gedenkstätten oder deren pädagogisch-didaktische Profilierung exemplarisch stehen. Neben Denkmälern, Mahnmalen, Gedenkstätten und Museen ohne Ortsbezug sind vor allem ehemalige Täterorte in den Fokus der Erinnerungskultur gerückt, in deren Kontext auch die meisten Dokumentationszentren einzuordnen sind. Hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang die Eröffnungen des ‚Haus
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der Wannseekonferenz‘ in Berlin, der ‚Dokumentation Obersalzberg‘, des ‚Dokumentationszentrums Reichsparteitagsgelände‘ in Nürnberg, des NS-Dokumentationszentrums in Köln sowie des ‚Dokumentationszentrums NS-Zwangsarbeit‘ in Berlin. Mit der Etablierung insbesondere dieser Dokumentationszentren wurde in der deutschen Erinnerungspolitik ein neues Kapitel aufgeschlagen, welches bis heute relevant bleibt, bedenkt man die jüngste Eröffnung des NS-Dokumentationszentrums in München im Jahr 2015. Die Frage, ob NS-Dokumentationszentren die Fortführung oder eher einen Bruch in der geschichtskulturellen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus markieren, lässt sich erst nach einer fachdidaktischen Verortung der Dokumentationszentren und ihrer Arbeit in der deutschen Geschichts- und Erinnerungskultur beantworten.
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Das Selbstverständnis: Museum, Gedenkstätte oder neuer Akteur?
Die Unterschiede zwischen Museen und Dokumentationszentren zeigen sich bereits in der unterschiedlichen Wortherkunft. Museum, abgeleitet aus dem altgriechischen „mouseion“, verweist auf den Sitz oder das Heiligtum der „Musen“, welche wiederum in der griechischen Mythologie die Schutzgöttinnen der Künste darstellten. Im Begriff der Dokumentation hingegen fehlt jeder künstlerische oder emotionale Bezug. Vielmehr wird das Moment eines Arbeitsprozesses in den Vordergrund gestellt, wenn beispielsweise im Duden auf die Zusammenstellung und Nutzbarmachung von Dokumenten und Materialien jeder Art hingewiesen wird. Der Begriff des Dokumentationszentrums erscheint dadurch neu, vielleicht sogar konstruiert und darüber hinaus spezifisch für die deutsche Geschichts- und Erinnerungskultur des 20. und 21. Jahrhunderts. Man könnte sagen, dass der Begriff des Dokumentationszentrums augenscheinlich meist dann Anwendung findet, wenn jeglicher Eindruck einer Musealisierung vermieden und stattdessen die Bedeutung einer kritischen Auseinandersetzung mit problematischer, sensitiver Geschichte herausgestellt werden soll. Der Blick auf die bedeutendsten und bekanntesten Dokumentationszentren in Deutschland eröffnet drei vordergründige Erkenntnisse, die wiederum auf das Selbstverständnis verweisen, welches sie von „traditionellen“ Geschichtsmuseen unterscheidet: Erstens sind sie erst seit dem Ende des 20. Jahrhunderts Bestandteil der bundesrepublikanischen Geschichts- und Erinnerungskultur. Zweitens – und dies ist wohl der Grund für ihre zunehmende Bedeutung – liegt ihr inhaltlicher Schwerpunkt fast ausschließlich auf der Zeit des Nationalsozialismus bzw. der
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Aufarbeitung von Formen totalitärer und autoritärer Herrschaft. Drittens eröffnen nahezu alle Dokumentationszentren die lokale und regionale Perspektive auf die gewählte Zeitepoche, weshalb die Potentiale regionalgeschichtlicher Betrachtungen deutlich zu Tage treten. Trotz dieser zentralen Bestimmungsmerkmale zeigt ein Blick in die fachdidaktischen Standardwerke, dass bis heute sehr weitgefasste Museumsdefinitionen kursieren, die ebenso Gedenkstätten und Dokumentationszentren einschließen können. Das Wörterbuch Geschichtsdidaktik verweist hierzu auf folgende Definition: „Das Museum ist eine gemeinnützige, öffentliche Einrichtung, die im Dienste der Gesellschaft und ihrer Entwicklung materielle Zeugnisse von Menschen und ihrer Umwelt zum Zwecke des Studiums, der Bildung und der Unterhaltung sammelt, bewahrt, erforscht und durch Ausstellungen vermittelt“ (Mayer et al. 2014: 144).
Der Deutsche Museumsbund bezieht sich hinsichtlich der Museumsdefinition auf die ICOM-Statuten aus dem Jahr 2010: „Ein Museum ist eine nicht auf Gewinn ausgerichtete, dauernde Einrichtung im Dienste der Gesellschaft und ihrer Entwicklung, offen für das Publikum, die sammelt, bewahrt, forscht, kommuniziert und präsentiert, zu Zwecken des Studiums, der Bildung und des Vergnügens, der materiellen Grundlagen der Menschen und ihrer Umwelt“ (https://www.museumsbund.de/themen/das-museum/ [25.07.2018]).
Im grundsätzlichen Selbstverständnis überwiegen ganz eindeutig die Gemeinsamkeiten, weshalb zahlreiche Fachdidaktiker und -didaktikerinnen bis heute einen weit gefassten Museumsbegriff bevorzugen. Bestärkt wird diese Ansicht durch die Tatsache, dass eine entsprechende Definition von Dokumentationszentren bis heute in fachdidaktischen Standardwerken ausbleibt. Bei genauerer Betrachtung fällt auf, dass beide Definitionen auf ähnliche Kernaufgaben rekurrieren: Sammeln, Bewahren, Erforschen und Ausstellen/Kommunizieren. Das Geschichtsmuseum ist als Institution der Geschichtskultur ebenso eine „Agentur des kulturellen Gedächtnisses“ (Schönemann 2006: 25). In Anlehnung an Assmanns Unterscheidung in ein kommunikatives und ein kulturelles Gedächtnis (Assmann 1992: 48–65), erscheint das Geschichtsmuseum als ein Ort, an dem Erinnerungen gesammelt, gespeichert und weitergegeben werden. Während das kommunikative Gedächtnis biographische Geschichtserfahrungen beinhaltet, die mündlich tradiert werden und nur über eine Zeitspanne von wenigen Generationen erhalten bleiben, verstetigen sich im kulturellen Gedächtnis Erinnerungen durch ausgewählte Speichermedien wie Schrift, Bild oder auch Sachobjekt (Schönemann 2006: 26f.). Genau hier liegt das Selbstverständnis der Geschichtsmuseen: Das Museum transzendiert bloß
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individuelle Sammeltätigkeiten, indem es diese auf professionelle Weise verstetigt und anschließend einer breiten Öffentlichkeit zugänglich macht. Im Gegensatz dazu verfolgen Dokumentationszentren meist nicht den Anspruch, originale Quellen zu sammeln und zu bewahren, weshalb in der Regel mobile Sachquellen nicht den gleichen Stellenwert einnehmen wie in Museen. Sie befinden sich jedoch im Gegensatz zu den meisten Museen und Archiven direkt an bedeutsamen historischen Orten. Historische Orte sind nach Ulrich Baumgärtner (2005: 12) „originale Orte insofern, als sie durch geschichtliche Ereignisse, Prozesse oder Strukturen geprägt sind, die an Ort und Stelle rekonstruiert werden können“. In Anlehnung an Berit Pleitners Typologisierung sind Geschichtsmuseen hingegen, ebenso wie Archive, zumeist als Stätten der Sammlung, Erforschung und Präsentation historischer Zeugnisse zu charakterisieren, in welchen, im Gegensatz zu historischen Orten, die Zeugnisse ihrem ursprünglichen Funktionszusammenhang und räumlichen Umfeld entrissen und neu kontextualisiert wurden (Pleitner 2017: 291). Es gibt natürlich auch Museen mit direkten topographischen Bezügen, wie etwa „memorial museums“, die den Charakter von Gedenkstätten aufweisen können, weshalb eine trennscharfe kategoriale Unterscheidung oftmals nicht möglich ist. Dokumentationszentren fokussieren thematisch jedoch viel stärker auf einen bestimmten, oftmals kürzeren Abschnitt der Geschichte. Bedeutsam erscheint zudem ein weiterer Aspekt hinsichtlich des Ausstellungscharakters: Der selbst auferlegte Authentizitätsanspruch wird bei beiden Lernorten auf unterschiedliche Weise erreicht. Das Geschichtsmuseum verweist auf Exponate, auf originale Quellen, während Dokumentationszentren (und auch Gedenkstätten) durch topographische Bezüge und quellenkundliche Überreste ihre besondere Bedeutung erlangen. Die Ausstellung soll eben nicht vordergründig durch Originalquellen geleitet sein, die ggf. bedeutsame Themenbereiche nicht abdecken können, weil es keine oder nur kaum verfügbare Originalquellen dazu gibt. Das Hauptnarrativ der Ausstellung in Dokumentationszentren bilden demnach eben nicht ausgewählte Schlüsselexponate, deren optische und inhaltliche Verbindung die unterschiedlichen Erzählungen und Inhalte zusammenführt, wie dies z. B. ausdrücklich die Dokumentation Obersalzberg für sich beansprucht, welches sich bezeichnenderweise als Geschichtsmuseum definiert (https://www.obersalzberg.de/neugestaltung/neukonzeption/ [11.07.2018]). Vielmehr besteht die Absicht der meisten Dokumentationszentren darin, zunächst relevante Themenbereiche abzustecken und erst anschließend die Quellen und somit die Narration daran auszurichten. Hierin besteht ein wesentlicher Unterschied zu den meisten Geschichtsmuseen, was auch ein Grund ist, weshalb in Dokumentationszentren oftmals unterschiedliche Thementouren angeboten werden, da die Fülle der dargestellten Themenbereiche die Besucherinnen und Besucher an die Grenzen der rezeptiven Aufnahme bringen kann. Sie nehmen dadurch auch nicht
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in dem Maße wie Museen die Aufgaben zur Etablierung und Bewahrung eines kulturellen Gedächtnisses wahr, da die Sammlung von originalen Speichermedien (Schrift, Bild, Sachobjekt) meist nicht erfolgt. Die punktuellen Unterschiede zwischen Geschichtsmuseum und Dokumentationszentrum liegen daher vor allem im eigenen Selbstverständnis und im unterschiedlichen Umgang mit Authentizität als Faktor für historisches Lernen. Das Selbstverständnis der Dokumentationszentren konstituiert sich trotz gradueller Unterscheidungen meist aus folgenden Aspekten: • breit angelegte Dokumentation von schriftlichen, fotografischen und filmischen Dokumenten, • Unterteilung in Dauer-, Sonder- und Wanderausstellungen, • inhaltliche Fokussierung auf lokale, bzw. regionale Bedeutung, • Interaktion mit dem „historischen Ort“; topographische Bezüge als Authentizitätskriterium, • breites pädagogisches Angebot durch Vorträge, Workshops, Podiumsdiskussionen, Filmabende, etc., • moderner Medieneinsatz durch digitalisierte Ausstellungen, Smartphone-Apps, etc., • Perspektivenübernahme statt Empathie; Vermeidung stark moralisierender Erinnerungsnarrative; Archivästhetik statt originale Rekonstruktion, • Aufteilung in einen Bildungs- und einen Forschungsbereich; Verbindung von Gedenk- und Forschungsort; eigenständige Publikationen sowie Projekte. Während zahlreiche dieser Aspekte die punktuellen Unterschiede zu Geschichtsmuseen offenlegen, bleibt die Abgrenzung zu Gedenkstätten offen. Jedoch verwendet beispielsweise das ‚Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit‘ in Berlin-Schöneweide den Begriff „Gedenkstätte“ ausdrücklich nicht, weil sich dort im Gegensatz zu den KZ-Gedenkstätten kein Massengrab befindet und der Aspekt des Gedenkens eine eher untergeordnete Rolle spielt (Auskunft der Leiterin des Dokumentationszentrums, Dr. Christine Glauning, auf Nachfrage per Mail am 28.06.2018.). Das NS-Dokumentationszentrum in Köln hingegen verwendet den Begriff „Gedenkstätte Gestapogefängnis“ als einen Teil des gesamten Dokumentationszentrums, da sich ein Hausgefängnis im EL-DE-Haus befand, welches weitgehend im Originalzustand erhalten geblieben ist. Trotz dieser graduellen Unterschiede bleibt festzuhalten, dass das Moment des Gedenkens oder Mahnens in KZ-Gedenkstätten die Narration stärker bestimmt als in Dokumentationszentren. KZ-Gedenkstätten sind in viel stärkerem Ausmaß Tatorte sowie Orte des Totengedenkens (Christmeier 2009: 23). Auch deshalb werden Dokumentationszentren in der Öffentlichkeit mehr als
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Täterorte, denn als Opferorte wie z. B. Gedenkstätten wahrgenommen. Auch wenn die Begriffe „Opferort“ bzw. „Täterort“ nicht unumstritten sind, verweisen sie doch auf einen elementaren Unterschied, der insbesondere im unterschiedlichen Umgang mit der Form des Gedenkens begründet liegt: „Opferorte sind durch einen konkreten Opferbezug gekennzeichnet, durch das an den jeweiligen Ort gebundene, teils anonym gebliebene, großenteils aber auch gruppen- und individualbiographisch dokumentierte Leiden und Sterben von Menschen […] Der Täterort eignet sich umso weniger als Ort des Gedenkens und Trauerns, als dieses Trauern und Gedenken, dem der konkrete Leidbezug fehlt […] Der Opferort spricht unser Gefühl an […] und begrenzt auf diese Weise die Möglichkeiten einer kognitiven Auseinandersetzung mit der Geschichte. Der Täterort weckt durch die ihm eigene historische Authentizität die menschliche Neugier, den Wissensdrang und gibt der verstandesmäßigen Annäherung an das historische Geschehen weit mehr Freiheit als der Opferort“ (Dahm 2011: 24).
Insofern es keine Verfolgten ohne Verfolger und keine Opfer ohne Täterinnen und Täter gibt, erscheint eine trennscharfe Unterscheidung von Opferort und Täterort bisweilen widersinnig. Ernst Piper plädiert sogar dafür, eine dritte Kategorie hinzuzufügen, die weder Opfer- noch Täterorte beinhaltet, sondern Orte der Selbstinszenierung des Regimes darstellt, wie z. B. das „Haus der Deutschen Kunst“ in München (Piper 2003: 193). Unter diese Kategorie würde auch das ‚Reichsparteitagsgelände‘ in Nürnberg und somit das heutige Dokumentationszentrum auf dem ehemaligen Gelände zählen, woran die Komplexität einer solchen definitorischen Einordnung sichtbar wird. Volker Dahm verweist jedoch in seinem Definitionsansatz bereits auf einen wichtigen Unterschied, der auch das unterschiedliche Ausstellungskonzept zwischen „Opferort“ (KZ-Gedenkstätte) und „Täterort“ (Dokumentationszentrum) bestimmt und auch im Entwurf eines „mission statement“ des ‚Dokumentationszentrums NS-Zwangsarbeit‘ offensichtlich wird: „Das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit in Berlin-Schöneweide informiert in Ausstellungen, Publikationen und Veranstaltungen über die Geschichte und Dimension der NS-Zwangsarbeit und macht das Schicksal der zur Arbeit verschleppten Männer, Frauen und Kinder sichtbar. Es will zur aktiven Auseinandersetzung mit der Geschichte der NS-Diktatur anregen“ (Dahm 2011: 24).
An „Opferorten“ dominiert demnach eher der Opferbezug, hier stehen die Verfolgung, das Leiden und Sterben von Menschen im Mittelpunkt. Dokumentationszentren zentrieren Aufmerksamkeit und bündeln diese in einer sachorientierten, multiperspektivischen Ausstellung, die vor allem auf Text- und Bildquellen beruht.
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Sie befinden sich im Gegensatz zu den KZ-Gedenkstätten meist in zentraler städtischer Lage, woraus sich auch deren spezifische Lernrelevanz ableiten lässt. In der Etablierung und dem Ausbau ehemaliger „Täterorte“ zu Erinnerungsorten liegt nun der neue, aber doch entscheidende erinnerungskulturelle Impetus der Zeit nach 1990. Jahrzehntelang wurden die Spuren der Täterinnen und Täter im öffentlichen Raum entweder getilgt oder ignoriert. Dokumentationszentren stehen wie kaum eine andere Institution für einen Wandel hin zur bewussten Auseinandersetzung mit der Vergangenheit am ehemaligen „Täterort“, ohne dass das Gedenken an „Opferorten“ dadurch marginalisiert wird. Neben dem NS-Dokumentationszentrum in München gehören gewiss die Dokumentationszentren in Köln (NS-Dokumentationszentrum), Nürnberg (Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände) sowie Berlin (‚Topographie des Terrors‘, NS-Zwangsarbeit Dokumentationszentrum) zu den bekanntesten in Deutschland. Das ‚Dokumentationszentrum Oberer Kühberg‘ in der Nähe der Stadt Ulm stellt dabei eine Sonderform dar, da ebenso eine Gedenkstätte am Ort des ehemaligen Konzentrationslagers errichtet wurde. Auch die etwas kleineren Gedenkorte wie die ‚Dokumentation Obersalzberg‘, das ‚Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti & Roma‘ in Heidelberg sowie das ‚Dokumentationszentrum des Landes für die Opfer der Diktaturen in Deutschland‘ in Schwerin zeigen als Problemfelder und -dimensionen die Diktatur der Nationalsozialisten bzw. die Aufarbeitung totalitärer Herrschaft(en) auf, wenn auch unter unterschiedlichem thematischen Blickwinkel. Aufgrund der definitorischen Unbestimmtheit ist es schwer, die genaue Anzahl der Dokumentationszentren in Deutschland zu ermitteln. Kleinere Erinnerungsorte, wie z. B. die Denkstätte der Weißen Rose an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU), beinhalten zweifellos eine Dokumentation, sind jedoch schwer als Zentren auszumachen. Ähnlich verhält es sich beim ‚Haus der Wannseekonferenz‘ oder bei der ‚Villa ten Hompel‘ in Münster, die eine Ausstellung zur Geschichte der Ordnungspolizei bietet. Hier zeigt sich die spezifische Möglichkeit, sich einem ausgewählten Aspekt der NS-Geschichte zuzuwenden – als Dokumentationszentrum werden sie deswegen weder von der Öffentlichkeit wahrgenommen, noch prägt diese begriffliche Zuschreibung deren Selbstverständnis. Die Entstehung und Etablierung größerer Dokumentationszentren und kleinerer Dokumentationen zeigt neben dem gesellschaftlichen Interesse an historisch-politischen Themen (insb. Nationalsozialismus) ebenso, dass sich diese Form der Geschichtsvermittlung bereits nach kurzer Zeit in der Geschichts- und Erinnerungskultur etabliert hat. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass viele Dokumentationszentren steigende Besucherzahlen melden. Das ‚NS-Dokumentationszentrum Köln‘ verzeichnete für das Jahr 2017 einen neuen Rekord (89.212 Besucherinnen und
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Besucher). Dies bedeutet einen Anstieg von 10,76 % im Vergleich zum Vorjahr und einen Anstieg um das Dreieinhalbfache im Vergleich zum Jahr 2002 (http://www. museenkoeln.de/Downloads/nsd/NS-DOK_Jahresbericht-2017.pdf [26.07.2018]). Das Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände in Nürnberg war ursprünglich nur für ca. 100.000 Besucher pro Jahr ausgelegt, während mittlerweile jedes Jahr über 250.000 Besucher des Dokumentationszentrums gezählt werden (https:// museen.nuernberg.de/dokuzentrum/das-dokuzentrum/hintergruende-zum-haus/ [25.07.2018]). Ähnlich hohe Zahlen verzeichnet das ‚NS-Dokumentationszen trum‘ in München. Im Zeitraum von Mai 2015 bis Mai 2018 wurden über 400.000 Besucherinnen und Besucher gezählt (https://www.ns-dokuzentrum-muenchen. de/fileadmin/user_upload/07_ publikationen/flyer_broschueren_downloads/ NS_Jahresbericht_2017_WEB-1.pdf. [26.07.2018]).
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Dokumentationszentren und historisches Lernen: Relevanz für das Lernen
Aus der Erfahrung lässt sich sagen, dass der Begriff „Dokumentationszentrum“ bei Besucherinnen und Besuchern Erwartungen nach einem umfassenden Informationsangebot weckt (Dokumente, Datenbanken, Statistiken). Diese Zentren sollen demnach dokumentieren, Ereignisse und historische Abläufe transparent machen, an eine möglichst breite Öffentlichkeit vermitteln und diese anschließend zur kritischen Reflexion anregen. Als breite Öffentlichkeit wird im weiteren Sinne die Gesellschaft, unabhängig vom sozialen Milieu und vom Bildungsstand, verstanden. Die Lernrelevanz von Dokumentationszentren im schulischen wie außerschulischen Bildungskontext ergibt sich auf vielfältige Weise. Sie werden in den derzeit gültigen Curricula jedoch – im Gegensatz zu Museen und Gedenkstätten – nicht explizit erwähnt, was sicherlich an ihrer geringeren Verbreitung liegen dürfte. Zunächst bietet die räumliche Erfahrung sowie das Bewusstsein von der Größe eines Platzes, der Höhe eines Raumes, ein großes Lernpotential, welches sich nicht zuletzt aus der auratischen Wirkung ableitet, die historische Orte auslösen (Kuchler 2012: 32–55). Weitere Lernchancen ergeben sich durch die Imagination historischer Phänomene, durch die physische Präsenz des lernenden Subjekts am historischen Ort sowie durch Möglichkeiten der Methodisierung einer Vielzahl weiterführender Informationen, die an Dokumentationszentren bereitgestellt werden. Der weitgehende Verzicht auf Originale erweist sich unter dem Aspekt des ganzheitlichen Lernens als förderlich, da nicht der Versuch unternommen werden muss, das jeweilige Exponat durch eine eigenständige narrative Struktur in die
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Ausstellung einzubinden. Dies führt dazu, dass viele curricular relevante Themenbereiche in Dokumentationszentren tatsächlich berücksichtigt und somit reflektiert werden können. Sie bieten für unterschiedliche Jahrgangsstufen und für zahlreiche Fragestellungen Anknüpfungspunkte und somit ein hohes Maß an Flexibilität für die Lehrenden und Lernenden. Aufgrund ihrer thematischen Ausrichtung auf die nationalsozialistische Geschichte bzw. Zeitphasen der Diktatur und Unterdrückung wirken Dokumentationszentren zumeist noch stärker in die Gegenwart hinein als „klassische“ historische Museen, wobei die Aufarbeitung historischer Ereignisse eher im Vordergrund steht als deren reine Ausstellung. Durch die Selbstwahrnehmung als Rechercheort werden in Dokumentationszentren deshalb handlungsorientierte Zugänge als besonders wichtig erachtet und Sinn- und Erkenntnisfragen bei den Besucherinnen und Besuchern bewusst provoziert. Momente des Erlebens, Auslebens oder Imaginierens sind anders als in historischen Museen weniger bedeutend, da auf museologische Techniken zur Aktivierung des Interesses, die sich z. T. aus wirtschaftlichen Interessen ableiten, meist bewusst verzichtet wird. Die inhaltliche Fokussierung der Ausstellungen auf das 20. und 21. Jahrhundert setzt zwar Grenzen hinsichtlich der prinzipiellen thematischen Bezugnahme, doch eröffnet sie gleichermaßen das enorme Potenzial regionalgeschichtlicher Zugänge sowie des modernen Medieneinsatzes. Multimediale Recherchetools, digitalisierte Ausstellungsinhalte oder eigens entwickelte Smartphone-Apps, wie „Orte erinnern“ (NS-Dokumentationszentrum München), stellen nur eine kleine Auswahl der Möglichkeiten dar, die in Dokumentationszentren angeboten werden. Problem orientierte Zugänge, die durch entsprechende Leitfragen das Ausstellungskonzept bestimmen, fördern die kritische Reflexion sowohl der Inhalte als auch, auf einer Metaebene, der Ausstellung selbst. Die maßgebliche Lernrelevanz konstituiert sich aus der Bedeutung der Gegenwartsbezüge und dies in zweifacher Hinsicht: Wenn es darum geht, Ursachenforschung für gegenwärtige Entwicklungen und Phänomene zu betreiben, wird der Gegenwartsbezug als Ursachenzusammenhang gefördert (Bergmann 2016: 105ff.). Dies lässt sich an der Sonderausstellung des NS-Dokumentationszentrums München „Nie wieder. Schon wieder. Immer noch. Rechtsextremismus in Deutschland seit 1945“ zeigen, in der basierend auf den zeithistorischen NSU-Morden die ideologischen Anknüpfungspunkte (= Ursachen) des Nationalsozialismus beleuchtet wurden. Gleichsam wird jedoch auch der Gegenwartsbezug als Sinnzusammenhang berücksichtigt, da durch die Einbindung der Zeitebenen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ein Bewusstsein dafür geschärft wird, dass es in der Vergangenheit vergleichbare oder nicht-vergleichbare Ereignisse und Prozesse gab. Diese Erfahrung von Kongruenz und Alterität fördert die Einsichtnahme in historische Situationen und Denkweisen, wodurch sich die Besucherinnen und Besucher einen eigenen Sinnzusammenhang
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erschließen können. Historisches Lernen am historischen Ort ist somit erklärtes Ziel eines jeden Dokumentationszentrums – dies soll im Folgenden am Beispiel des NS-Dokumentationszentrums in München verdeutlicht werden.
4 München – Von der „Hauptstadt der Bewegung“ zum Erinnerungsort Am 30.04.1945 marschierten US-amerikanische Truppen in die ehemalige „Führerstadt“ München ein. Mit dem Fall der „Hauptstadt der Bewegung“ endete zwar noch immer nicht der Zweite Weltkrieg, aber mit München fiel eben jene Stadt in alliierte Hand, in der sowohl Hitler als auch der Nationalsozialismus ihren Aufstieg begonnen hatten. Exakt 70 Jahre nach diesen Ereignissen wurde am Königsplatz und somit inmitten des ehemaligen Parteienviertels der NSDAP das NS-Dokumentationszentrum eröffnet. Dazwischen lag eine Phase, in der sich Verdrängung, Verleugnung, aber auch zaghafte Versuche der Vergangenheitsbewältigung abwechselten. Ohne diese Entwicklung in Gänze nachzeichnen zu wollen (Nerdinger 2018; Rosenfeld 2004), seien einige bedeutende Eckdaten hier genannt, um die Eröffnung des NS-Dokumentationszentrums München im Jahr 2015 richtig einordnen zu können. Zu der Phase des kollektiven Verdrängens gehörte zunächst die Tilgung von Erinnerungsspuren im öffentlichen Raum. Auf Drängen der US-Behörden wurden 1947 die „Ehrentempel“ am Königsplatz, zentrale Orte des NS-Totenkultes, gesprengt. Daraufhin erließ das Bayerische Kultusministerium eine Anordnung, dass kein „ruinenhafter Zustand“ geschaffen werden solle, sondern eine „definitive Form […] anzustreben [sei], die dem Besucher weder über die Tatsache der Veränderung noch über die Art der Veränderung etwas sagt“ (Nerdinger 2015: 550). Die Sockel der ehemaligen Ehrentempel blieben bestehen und wurden bald von Vegetation überwuchert. Die Haltung des „Gras-darüber-wachsen-Lassens“ bestimmte fortan das Bewusstsein eines großen Teils der Bevölkerung (Nerdinger 2015: 550) und markierte den Beginn einer zaghaften und in sich oftmals widersprüchlichen Aufarbeitung in München. Bereits am Anfang dieser Entwicklung wurde eine Chance vertan, um einen zentralen Erinnerungsort zu schaffen: Der Abriss des Wittelsbacher Palais im Jahr 1950/51 sowie des Gefängnisbaus im Hof der ehemaligen Gestapo-Zentrale 1964 zeigte, dass keine Notwendigkeit an ein Gedenken direkt an einem Täterort wahrgenommen wurde (Hockerts 2017: 53). Heute erinnert nur eine kleine Gedenktafel sowie eine Ausstellung im Foyer der Bayerischen Landesbank an einen zentralen
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historischen Ort in München, der ebenso einen geeigneten Platz für die Errichtung eines NS-Dokumentationszentrums dargestellt hätte. Ebenfalls ersichtlich wird dies am Beispiel Köln, wo das EL-DE-Haus, der ehemalige Sitz der Kölner Gestapozentrale, als Standort eines NS-Dokumentationszentrums gewählt wurde. Der „Platz der Opfer des Nationalsozialismus“, unweit des ehemaligen Wittelsbacher Palais, zunächst nur als Straßenschild sichtbar, 1965 um einen Granitstein mit Gitterkäfig erweitert, in dem eine Flamme als Symbol der Freiheit brennt, war im Kontext der Aufarbeitung nur ein schwacher Trost. Jahrzehntelang wurden ehemalige NS-Bauten in München „gezielt neutralisiert“ (Nerdinger 2015: 554) und für Kultur und Verwaltung verwendet. Aus dem „Führerbau“ wurde die Hochschule für Musik, in den NSDAP-Verwaltungsbau zogen Kulturinstitute. Dies ist keineswegs ungewöhnlich und sogar begreiflich, wenn man der Gefahr entgehen möchte, solche Orte zu „Wallfahrtsorten“ für entsprechende Gruppierungen werden zu lassen. Nur fehlte jeglicher Hinweis auf die ursprüngliche Nutzung und somit auf einen relevanten Teil der eigenen Geschichte. Sehr zaghaft und verspätet richtete sich allmählich das öffentliche Interesse auf die jahrzehntelang ausgeblendeten „Täterorte“ (Nerdinger 2015: 555). Während aber in anderen Städten dieses Interesse in der Etablierung von Dokumentationszentren und Gedächtnisorten mündete (z. B. Berlin, Nürnberg, Köln), gab es in München weitere Initiativen, die Spuren im öffentlichen Raum noch stärker zu neutralisieren. Mit dem erklärten Ziel, die bauliche Erinnerung an die NS-Zeit zu beseitigen, wurden am Königsplatz die Granitplatten auf Betreiben des Stadtrates entfernt und der Platz, der bis dato als Parkplatz fungierte, wurde wieder begrünt (Hockerts 2017: 58). Eine zentrale, inhaltlich und fachdidaktisch reflektierte Aufarbeitung der Stadtgeschichte Münchens im öffentlichen Raum blieb bis 2015 aus. Darüber können auch die Gründungen des Kreisjugendrings, der Hochschule für Politik sowie des Instituts für Zeitgeschichte nicht hinwegtäuschen, die zwar im Kontext der „Holocaust Education“ bedeutende Akteure wurden, das Erinnern im öffentlichen Raum jedoch niemals besetzen konnten und wollten. Bürgerinnen und Bürger sowie Besucherinnen und Besucher der Stadt konnten mit Ausnahme einzelner Informationstafeln und Einzelinitiativen weder Zeichen noch Orte der Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit erkennen oder besuchen. Dieser Abriss zeigt, dass es den politisch Verantwortlichen der Stadt lange Zeit sehr schwer gefallen ist, dem Gedenken an den Nationalsozialismus einen entsprechenden Raum zu geben. Umso bedeutender erscheint deshalb die Eröffnung des NS-Dokumentationszentrums am 30.04.2015, direkt auf dem Gelände des ehemaligen Braunen Hauses, das von 1930 bis 1945 die Parteizentrale der NSDAP in München war. Das Parteienviertel der Nationalsozialisten, das „Forum der Bewegung“, bildete mit seinen mehr als 50 Gebäuden, die von der Partei genutzt wurden, eine zentrale
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Stätte der NS-Täterschaft. Hier saßen die wichtigsten Schaltstellen des Parteiapparates mit dem Braunen Haus, dem „Führerbau“ sowie dem „Verwaltungsbau“ als Zentrum. Die Ehrentempel für die sogenannten „Blutzeugen der Bewegung“ bildeten den Mittelpunkt des nationalsozialistischen Toten- und Märtyrerkultes und jedes Jahr am 09. November (Jahrestag des Putschversuchs) verwandelt sich der Platz in ein Fahnenmeer, um das „Sterben für Volk und Führer“ rituell einzuüben. Die Gründung des NS-Dokumentationszentrums direkt am historischen Ort war deshalb nicht nur folgerichtig, sondern zwingend notwendig und markierte einen erinnerungskulturellen Umbruch in der Stadt.
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Das NS-Dokumentationszentrum in München als Fallbeispiel für Historisches Lernen
Das NS-Dokumentationszentrum in München eignet sich besonders als Fallbeispiel, da es erst im April 2015 eröffnet wurde und somit gegenwärtige Trends und Tendenzen der fachdidaktischen und musealen Ausstellungskonzeption bereits in der Planungsphase berücksichtigt werden konnten. Die Aufgabe als „Lernort“ für eine breite Öffentlichkeit zu wirken, ist zentrales Anliegen der Bildungsabteilung, weshalb für verschiedene Zielgruppen spezielle Formate (Rundgänge, Seminare, Workshops) entwickelt wurden. Zusätzlich wurde im Untergeschoss des Gebäudes ein Lernforum errichtet, in dem die komplette Dauerausstellung digital einsehbar ist und wo an interaktiven Medienstationen handlungsorientierte Zugänge zur „Topographie des Terrors“ oder zum „Netzwerk der DAP/NSDAP“ erprobt werden können. Insbesondere die Bereitstellung von biographischen Informationen von über 15.000 Verfolgten des NS-Regimes führte zu großer Resonanz, die nicht selten in weiterführende Seminararbeiten mündete. Die Betreiberinnen und Betreiber des Dokumentationszentrums melden eine steigende Nachfrage nach gerade diesen fachdidaktisch-pädagogischen Spezialangeboten, was sich an folgenden Zahlen ablesen lässt:
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Abb. 1 Angemeldete und durchgeführte Seminare mit je einem Referenten bzw. einer Referentin im NS-Dokumentationszentrum München im Zeitraum vom 01.09.2017 bis 31.08.2018 aufgeteilt nach Schularten (absolute Zahlen). Jede Gruppe besteht i. d. R. aus 15 bis max. 20 Personen (offizielle Zahlen des NSDokumentationszentrums München. Nach Anfrage per Mail übermittelt am 24.07.2018).
Dokumentationszentren sind bedeutende außerschulische Lernorte, weshalb der schulische Bezugsrahmen und die damit verbundenen Anforderungsprofile für jeden Erinnerungsort an den Nationalsozialismus elementar wichtig sind. Zur Realität gehört jedoch auch, dass sich Dokumentationszentren verstärkt an den gymnasialen Schulunterricht richten bzw. sie vorwiegend von höheren Schulklassen aufgesucht werden. Mehr als die Hälfte aller Rundgänge und Seminare, die von Schulen im Zeitraum vom 01.09.2017 bis 31.08.2018 gebucht wurden, haben einen gymnasialen Hintergrund. Während die relativ niedrige Zahl der Grundschulen aufgrund der curricularen Einschränkung verständlich ist, erscheint die geringe Nachfrage der Mittelschulen bedauerlich und sollte kritisch hinterfragt werden. Dies soll jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass ebenso andere Berufs- und Gesellschaftsgruppen das Angebot nutzen und Dokumentationszentren somit keine ausschließlichen außerschulischen Lernorte sind. Folgende Besucherkategorien wurden für den Zeitraum vom 01.09.2017 bis 31.08.2018 erfasst.
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Abb. 2 Durchgeführte Seminare mit je einem Referenten im NSDokumentationszentrum München im Zeitraum 01.09.2017–31.08.2018 aufgeteilt nach sonstigen Gruppen (absolute Zahlen). Jede Gruppe besteht i. d. R. aus 15 bis max. 20 Personen (offizielle Zahlen des NS-Dokumentationszentrums München. Nach Anfrage per Mail übermittelt am 24.07.2018).
Diese Zahlen zeigen, dass trotz des Übergewichts der schulischen Nachfrage Dokumentationszentren eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe wahrnehmen. Insbesondere Berufsgruppen, die in ihrer Ausbildung historisch-politische Inhalte lehren und vermitteln, greifen gern auf die Angebote des Dokumentationszentrums zurück. Die relativ hohe Zahl der Erwachsenengruppen verdeutlicht aber ebenso, dass nicht zwingend ein beruflicher Hintergrund für die Rezeption ausschlaggebend sein muss. Nicht berücksichtigt sind hierbei die Statistiken über die Individualbesucherinnen und -besucher, die aufgrund ihrer heterogenen (und internationalen Zusammensetzung) diese These nochmals stützen würden. Die Nachfrage nach Rundgängen und Seminaren erfolgt in der Regel aus Deutschland bzw. durch deutschsprachige Gruppen. Von den über 1.700 Gruppen, die sich für diese Formate angemeldet haben, wünschten 1.527 Gruppen den Rundgang oder das Seminar in deutscher, nur 121 in englischer Sprache. Weit dahinter folgen Nachfragen in französischer (33), italienischer (26) und spanischer Sprache (5). Natürlich kann ausgehend von diesen Zahlen für angemeldete Gruppen die internationale Dimension des Dokumentationszentrums nicht per se abgesprochen werden. Viele internationale Individualbesucherinnen und -besucher bevorzugen den eigenständigen Rundgang
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mit Audiosystemen, die mittlerweile in zehn Sprachen (Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch, Hebräisch, Russisch, Polnisch, Türkisch, Arabisch) sowie Leichter Sprache verfügbar sind. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass Formate, wie Workshops und Seminare vorwiegend Bestandteile einer bestimmten Ausbildungsphase sind und somit bildungsrelevante Zielsetzungen beinhalten. Das Ausstellungskonzept des NS-Dokumentationszentrums orientiert sich dabei deutlich an der Prämisse, vornehmlich als Informationsort und erst in zweiter Linie als Gedenkort wahrgenommen zu werden. Die Dokumentation verzichtet vollständig auf Exponate und damit auch gänzlich auf Sachquellen. Diese Entscheidung ist bis heute Gegenstand zahlreicher Diskussionen (https://www.hsozkult.de/ exhibitionreview/id/rezausstellungen-222 [30.07.2018]), erscheint jedoch vor dem eigenen Selbstverständnis nachvollziehbar. Die zentralen Diskussionspunkte drehen sich neben formalästhetischen Fragen der Innengestaltung des Hauses vor allem um die Dokumentendichte sowie um den Verzicht auf Exponate. Die Fülle an Bildund Textquellen ist nicht zu leugnen und damit auch die Gefahr der inhaltlichen Überfrachtung. Der Verzicht auf Exponate wird jedoch bis heute von zahlreichen Kritikerinnen und Kritikern missverstanden, da der Rückgriff auf Exponate und inszenierende Darstellungsformen auch stets die Aufmerksamkeit der Besucherinnen und Besucher selektiv beeinflusst und exemplarisches Lernen fördert. Das NS-Dokumentationszentrum versteht sich deshalb auch ausdrücklich nicht als genuines Museum, wie der Gründungsdirektor Winfried Nerdinger mehrfach feststellte (https://www.hsozkult.de/exhibitionreview/id/rezausstellungen-222 [30.07.2018]). Die Berliner Dokumentation „Topographie des Terrors“ und andere Dokumentationszentren verzichten ebenfalls bewusst auf dreidimensionale Objekte. Sowohl die chronologische Anordnung der Leitbilder als auch die breite thematische Darstellung von zumeist Bild- und Textquellen anhand sogenannter Intensivierungsebenen zeigen den Versuch, Geschichte möglichst „vollständig“ darzustellen und damit exemplarisches Lernen zu minimieren. Diese „Dokumentendichte“ beinhaltet Chancen und Grenzen hinsichtlich historischen Lernens. Jede Ebene, jeder Text und jedes Bild kann einen Impuls geben und die Beschäftigung mit der Vergangenheit initiieren. Betrachtet man die inhaltlichen Schwerpunkte der Dauerausstellung, so sind die thematischen Anknüpfungspunkte und somit potenziellen Zugänge nicht zuletzt für den Schulunterricht offensichtlich. Nahezu jeder curricular relevante Themenbereich des bayerischen Lehrplans zum Themengebiet „Nationalsozialismus“ findet entsprechende Ausstellungsinhalte, die bereits erworbene Kenntnisse sichern können. Eine mögliche thematische Überfrachtung bei den Rezipientinnen und Rezipienten ist dabei schwer zu leugnen, doch sollte hierbei die Erkenntnis reifen, dass sich Dokumentationszentren nicht nur auf den unmittelbaren historischen Ort berufen, sondern im konkreten Fall die Stadtge-
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schichte Münchens im Vorfeld, während und nach dem Nationalsozialismus darstellen. In weiterer Hinsicht erscheint der Verzicht auf Exponate lernrelevant. Die rationale und auf Evidenz zielende Präsentation verzichtet auf bzw. verhindert stark emotionalisierende Erinnerungsnarrative und versucht eine Perspektivübernahme zu fördern, ohne dabei Empathie zu erzwingen. Die Dauerausstellung verbindet die drei Referenzpunkte historischer Sinnbildung (Vergangenheitsdeutung, Gegenwartserfahrung, Zukunftserwartung) durch die breite Dokumentation der entsprechenden Geschichte(n), ohne den Besucherinnen und Besuchern Werturteile zu oktroyieren. Dieses Selbstverständnis ist keineswegs frei von Kritik, da die weitgehend wertneutrale Darstellung oftmals auf eine Öffentlichkeit trifft, die sehr wohl einen wertbasierten und womöglich gar emotionalen Umgang mit der (nationalsozialistischen) Vergangenheit erwartet. Das Selbstverständnis des Dokumentationszentrums und dessen Image in der Öffentlichkeit sind somit nicht immer identisch und geben Raum für heftige Diskurse, zeigen aber gleichzeitig die wesentliche Bedeutung in der Geschichtskultur. Das hier angedeutete Überwältigungsverbot, welches auf den Beutelsbacher Konsens aus dem Jahr 1976 zurückgeht, bestimmt das Ausstellungskonzept der meisten Dokumentationszentren und resultiert auch aus der Funktionslogik des historischen Lernens nach Peter Gautschi (Gautschi 2015: 42–48). Die Dauerausstellung ermöglicht den Fokus auf einen „Ausschnitt aus dem Universum des Historischen“ (Gautschi 2015: 42f.), wodurch eine Sachanalyse auf Basis der Dokumente ermöglicht wird. Das resultierende Sachurteil und damit auch die Wertung der Ereignisse (Werturteil) ist jedoch das Ergebnis der individuellen Herangehensweise und durch die Rezeptionsvoraussetzungen des Besuchers bzw. der Besucherin (Alter, Sozialisation, Interessen, Vorkenntnisse, etc.) bestimmt. Die sachorientierte Darstellung soll demnach verhindern, bereits durch die Art und Weise der Geschichtsdarstellung Werturteile und „fertige Geschichte“ zu präsentieren. Impulse geben, wie bereits angesprochen, die 32 ausgewählten Thementafeln („Leitbilder“), die mit dem Ende des Ersten Weltkriegs einsetzen, jeweils auf einen spezifischen Themenbereich fokussieren und Historisches Lernen anregen. Beim Historischen Lernen setzen sich Individuen mit einem Ausschnitt aus dem Universum des Historischen auseinander (Gautschi 2015: 42–43). Dabei geht es weniger um das Akkumulieren von Wissen, als vielmehr um die Einübung und Erprobung eines Denkstils (Pandel 2006: 126). Im NS-Dokumentationszentrum München beginnt Historisches Lernen dadurch, dass die Besucherinnen und Besucher durch die Leitbilder und Leitfragen ihre Aufmerksamkeit gezielt auf einen Ausschnitt aus dem Universum des Historischen richten.
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Abb. 3 Das zweite Leitbild der Dauerausstellung im NS-Dokumentationszentrum München zeigt den Trauerzug zu Ehren von Kurt Eisner durch die Straßen Münchens. Kurt Eisner war der erste Ministerpräsident des Freistaates Bayern und wurde am 21.02.1919 von dem völkisch-nationalen Studenten Anton Graf von Arco auf Valley ermordet.
Im konkreten Fall wird die Aufmerksamkeit der Betrachterinnen und Betrachter durch die zweite Thementafel auf das Jahr 1919 und das Attentat auf Kurt Eisner gelenkt. Im Zuge der Bildbeschreibung, -analyse und -interpretation sowie durch weiterführende Quellen und Darstellungen der Intensivierungsebenen wird das Wahrgenommene erschlossen. Die Betrachterinnen und Betrachter identifizieren ein aus historischen Zeugnissen rekonstruiertes Faktum und klären den historischen Sachverhalt. Sie erarbeiten sich in der Begrifflichkeit von Jeismann eine „Sachanalyse“ (Jeismann 2000: 63). Für diese Phase der Sachanalyse präsentiert das Dokumentationszentrum zahlreiche potenzielle thematische Zugänge, die in diesem Fall vom Sonderfall der Münchner Räterepublik über völkische Organisationen, zu denen der Attentäter mutmaßlich Kontakt pflegte, bis hin zur „Ordnungszelle Bayern“ als spezifischem nationalen Sonderweg der ersten Nachkriegsjahre reichen. Die Betrachterinnen und Betrachter können eigenständig erschließen, dass das Attentat eine revolutionäre Entwicklung in München auslöste, die das politische Klima in Bayern nachhaltig prägte und in der Folgeentwicklung die Entstehung des Nationalsozialismus begünstigte. Die breite Dokumentation von Bild- und Textquellen ermöglicht eine ebenso breit angelegte Sachanalyse, in der jede Besucherin
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sowie jeder Besucher nach eigenen Interessen und Schwerpunkten das Impulsbild kontextualisieren bzw. narrativieren kann. Im nächsten Schritt interpretieren die Betrachterinnen und Betrachter ihre Erkenntnisse aus der Sachanalyse, stellen Bezüge zu anderen historischen Sachverhalten her und ordnen ihre Erkenntnisse in einem größeren Zusammenhang von Ursache und Wirkung ein. Sie gelangen nach Jeismann (2000: 64) zu einem „Sachurteil“. In dieser Phase der historischen Kontextualisierung und Bewertung können die Intensivierungsebenen hilfreich sein. Dort werden zahlreiche Informationen zu den bayerischen Freikorps-Gliederungen, zu prominenten Anarchisten und Kommunisten, zu reaktionären Eliten in München sowie zu völkischen Organisationen wie der Thulegesellschaft oder der Organisation Consul angeboten. Auch wenn der Fokus naturgemäß auf München bleibt, kann der Sonderweg Münchens z. B. als „Anti-Berlin“ erschlossen werden. Das detailliert dargestellte völkisch-antisemitische Netzwerk Münchens sowie die biographischen Erfahrungen Adolf Hitlers und zahlreicher weiterer Nationalsozialisten zeigen den Sonderweg Münchens deutlich auf und prägen somit das Sachurteil der Besucherinnen und Besucher. Der Prozess historischen Lernens endet nach Gautschi jedoch nicht in der Feststellung eines historischen Sachverhaltes. Es liegt vielmehr in der menschlichen Psyche begründet, dass die Lernenden eine Beziehung zwischen dem historischen Faktum und seiner geschichtlichen Bedeutung einerseits und der persönlichen Betroffenheit andererseits herstellen. Sie beurteilen das Erlernte auf Basis eigener Interessen und Vorstellungen und gelangen zu einem „historischen Werturteil“ (Jeismann 2000: 64). Historisches Lernen führt also dazu, dass die Besucherinnen und Besucher erfahren, welche Bedeutung der ausgewählte Inhalt (hier: das Attentat auf Kurt Eisner) in der damaligen Zeit hatte, wie dieser mit anderen Inhalten zusammenhängt (hier: Ausrufung und spätere Niederschlagung der Räterepublik; Etablierung einer „Ordnungszelle“ in Bayern) und welche Folgen der Inhalt schließlich zeigte (Gründung und Aufstieg des Nationalsozialismus). Im Laufe dieses Prozesses entwickeln die Besucherinnen und Besucher Kompetenzen: Folgt man der Einschätzung Rüsens, ist für historisches Lernen vor allem die menschliche Fähigkeit entscheidend, „durch historisches Erzählen auf eine bestimmte Weise Sinn über Zeiterfahrung“ (Rüsen 2008: 62) zu erlangen. Die Dauerausstellung des NS-Dokumentationszentrums mag aufgrund des einseitigen Rückgriffs auf zwei „traditionelle“ Quellengattungen (Text- und Bildquellen) und durch das Fehlen interaktiver Zugänge ein Innovationsdefizit zeigen, sie ermöglicht jedoch durch das breite Angebot in konsequenter Weise historisches Lernen und fördert damit u. a. „narrative Kompetenz“ (Barricelli 2005: 7). Mit anderen Worten: Erfolgreiches historisches Lernen äußert sich in sinnvollen Erzählstrukturen. Diese Erzählungen werden durch die Thementafeln und Intensivierungsebenen provoziert und
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durch die Audioguides ebenso strukturiert. Die Interaktion mit dem historischen Ort ist dabei unerlässlich und diese Bedeutung muss für jeden Besucher und jede Besucherin geklärt werden. Ohne spezifische Vorkenntnisse der Besucherinnen und Besucher bzw. ohne professionelle Führungen durch geschultes Personal kann diese Lernchance schnell im Sande verlaufen. Dokumentationszentren sind durch die Fülle an Informationen, durch die relativ gleichbleibende Ausstellungsform und nicht zuletzt durch die Darstellung sensitiver Geschichte kognitiv und emotional anspruchsvoll. Die in Dokumentationszentren genutzten Vermittlungsformen sollten ständig überdacht und ggf. überarbeitet werden, auch damit diese Häuser weiterhin als bedeutende Akteure der Geschichts- und Erinnerungskultur wahrgenommen werden.
6 Fazit Geschichtsmuseen, Gedenkstätten und Dokumentationszentren sind unabhängig von der Definitionsproblematik zu elementaren Bestandteilen der deutschen Geschichts- und Erinnerungskultur und somit auch zu zentralen Orten Historischen Lernens geworden. Trotz der konzeptuellen und thematischen Unterschiede verbindet sie ihre gesellschaftspolitische Aufgabe und auch ihr Selbstverständnis als Lernorte. Dabei ist es zunächst unerheblich, ob man Dokumentationszentren in einem weiten Museumsbegriff als ein solches versteht oder nicht. Insbesondere Dokumentationszentren stellen relativ neue „Akteure“ im Kontext der Holocaust Education dar und sie stehen auch repräsentativ für einen erinnerungskulturellen Umbruch. Sie ergänzen das Angebot um Geschichtsmuseen und Gedenkstätten vielmehr, als dass sie in Konkurrenz zu ihnen stehen. Die Bedeutung von „ratio“ und „emotio“ als wechselseitiges Abhängigkeitsverhältnis wird an diesen Lernorten unterschiedlich aufgefasst, grundsätzlich verkannt wird sie dabei nicht. Die Geschichtskultur hat in Deutschland durch die Eröffnung und Etablierung von Dokumentationszentren enorm an Profil gewonnen. Es bleibt abzuwarten, ob die weitgehende thematische Fokussierung auf die Zeitphase des Nationalsozialismus sowie die weitgehend regionale Beschränkung der Ausstellung in mittlerer Zukunft zu halten sein wird.
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Nähe und Distanz zu Täterschaft in der Auseinandersetzung mit Propaganda Empirische Befunde zu Orientierungen in Lern- und Bildungsprozessen Jugendlicher am ehemaligen Reichsparteitagsgelände Nürnberg Karl-Hermann Rechberg Nähe und Distanz zu Täterschaft
Zusammenfassung
An Orten der Erinnerungsarbeit stehen neben den Opfern des Nationalsozialismus zuweilen auch Täterinnen und Täter im Fokus der Auseinandersetzung. Dies gilt insbesondere für sogenannte „Täterorte“, an denen diese sich in besonderer Weise inszenierten. Zur Frage, welche Prozesse während der Auseinandersetzung mit Täterschaft bei Lernenden ablaufen, wurden bislang ausschließlich Meinungen von Expertinnen und Experten zusammengetragen. Empirische Befunde fehlen jedoch. Reagierend auf dieses Desiderat hat der Autor empirisch die Lern- und Bildungsprozesse von Schulklassen bei Geländebegehungen auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände in Nürnberg untersucht. Die Ergebnisse beruhen auf Gruppendiskussionen, die mit der dokumentarischen Methode ausgewertet wurden. Es zeigt sich, dass Jugendliche dazu tendieren, die Selbstinszenierung der Nationalsozialisten affirmativ zu übernehmen und dabei zum Teil sogar Anerkennung gegenüber den Täterinnen und Täter zu entwickeln. Jedoch zeigen sich im Material ebenfalls Prozesse der Distanzierung sowie Aspekte einer Lernumgebung, die der Distanzierung von Täterinnen und Tätern förderlich sein kann. Diese Ergebnisse werden diskutiert und Vorschläge für die didaktische Arbeit formuliert. Abstract
Memorial Places focus on the victims of National Socialism as well as on the perpetrators. This is especially true for so-called “places of perpetrators”, where they presented themselves in a special way. Regarding the processes take place
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Gloe und A. Ballis (Hrsg.), Holocaust Education Revisited, Holocaust Education – Historisches Lernen – Menschenrechtsbildung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24207-7_9
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among learners during the examination of the perpetrators, only expert opinions have been collected so far. Empirical studies are missing. Responding to this desideratum, the author has empirically examined the learning processes of school classes during field inspections at the Nazi Party Rally Grounds in Nuremberg. The results are based on group discussions, which were analyzed by the documentary method. The results demonstrate that sometimes adolescents tend to adopt the self-staging of the National Socialists in an affirmative way and in some cases even develop a perspective of recognition for the perpetrators. However, the empirical data also show processes of distancing from the perpetrators and give hints as to how such processes can be supported through a particular learning environment. These results are discussed and suggestions for the didactic work are formulated.
1 Vorbemerkung Im Folgenden werden Teile aus den empirischen Ergebnissen einer Untersuchung vorgestellt, die bereits an anderem Ort veröffentlicht wurde (vgl. Rechberg 2020). In dieser Arbeit geht es um Lern- und Bildungsprozesse an einem Ort, an dem die Täterinnen und Täter im Fokus stehen – im Gegensatz beispielsweise zu KZ-Gedenkstätten, an denen in erster Linie die Opfer in den Blick genommen werden. Bei dem Ort, auf den sich die vorgestellte Untersuchung bezieht, handelt es sich um das ehemalige Reichsparteitagsgelände in Nürnberg. An diesem Ort hat sich die NSDAP inszeniert und gefeiert. In den Jahren 1927 bis 1938 hat sie ihre Parteitage dort abgehalten. Dabei ging es nicht um politische Debatten, sondern um Massenveranstaltungen zur Selbstinszenierung, also um ein Instrument der Propaganda. Das Reichsparteitagsgelände fällt vor allem durch seine Größe auf. Seine Grundfläche umfasst ungefähr 11 km2. Das heutige Messegelände der Stadt Nürnberg ist auf dem Gelände untergebracht, bedeckt jedoch nur einen kleinen Ausschnitt davon. An diesen Verhältnissen lassen sich die riesigen Dimensionen ermessen. Ein Großteil des Geländes ist heute zerstört oder umgebaut. Jedoch sind einige Gebäude noch zum Teil erhalten, wie beispielsweise die sogenannte Kongresshalle, die dem Kolosseum in Rom nachempfunden ist. Wie überdimensional groß diese Halle ist, kann auch heute noch von Besuchenden wahrgenommen werden. Die Größe der Gebäude und des ganzen Geländes kann als das hervorstechendste Merkmal der NS-Propaganda auf dem Gelände betrachtet werden. Im Folgenden soll anhand empirischer Ergebnisse gezeigt werden, dass diese Propaganda bei
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Besuchen von Schulklassen immer noch eine Wirkung zeigt, die dem Ziel von Holocaust Education diametral entgegensteht. Anhand einer Übersicht über den Forschungsstand wird zunächst das Desiderat aufgezeigt, auf das die beschriebene Arbeit reagiert (Abschnitt 2). Anschließend wird knapp die Methode dieser Arbeit skizziert (Abschnitt 3), um daraufhin einen Ausschnitt der dabei generierten empirischen Ergebnisse darzustellen (Abschnitt 4). Anhand von zwei Transkriptbeispielen wird demonstriert, dass sich bei den Jugendlichen neben Distanzierungen auch Annäherungen an die Täterinnen und Täter zeigen. Aus diesem empirischen Befund lässt sich die Schlussfolgerung ziehen, dass die Lernerfahrungen an einem solchen historischen Lernort der Botschaft „Nie wieder!“ nicht automatisch entsprechen. Der Befund wird vor dem Hintergrund eines wahrnehmungspsychologischen Ansatzes zum Bildverstehen diskutiert (Abschnitt 5). Schließlich werden einige Anregungen für die Didaktik formuliert (Abschnitt 6).
2 Forschungsstand In seiner Überblicksarbeit über die Besucherforschung an historischen Orten zum Nationalsozialismus hat Pampel (2007) unter anderem das Resümee gezogen, keine Untersuchung habe sich bislang dezidiert der Frage gewidmet, was und wie Besucherinnen und Besucher bei ihren Aufenthalten lernen. Viele Arbeiten konzentrierten sich beispielsweise auf die Zufriedenheit der Besuchenden mit ihrer Exkursion. Daneben wurden auch andere Aspekte untersucht, aber nicht die Frage, auf welche Art und Weise an solchen Orten gelernt wird. Pampel selbst stellt in seiner Arbeit schließlich eine erste eigene Studie zu Aspekten von Lernprozessen bei erwachsenen Besuchenden von KZ-Gedenkstätten vor. Inzwischen sind Studien von Zülsdorf-Kersting (2007) und Eberle (2008) erschienen, die sich auf unterschiedliche Weise mit diesem Thema befasst haben. Auch ihre Arbeiten konzentrieren sich auf Lernprozesse an KZ-Gedenkstätten. In einer weiteren Untersuchung von Klein (2012) geht es um die Rezeption des Denkmals für die ermordeten Juden Europas in Berlin. Eine Studie von Geißler (2015) befasst sich nicht mit der Besichtigung der Orte selbst, sondern mit der Rezeption von dort untergebrachten Ausstellungen. Diese Übersicht zeigt eine Leerstelle bezüglich empirischer Arbeiten, die sich mit Lern- und Bildungsprozessen an Orten befassen, an denen insbesondere die Täterinnen und Täter in den Blick geraten. In diesem Zusammenhang kann auf die Arbeiten von Jelitzki und Wetzel (2010b, 2010a) verwiesen werden, die auf-
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grund von Interviews mit Expertinnen und Experten erste Hypothesen für die Thematisierung von Täterschaft formulierten. Eine unmittelbare Beschreibung der Lern- und Bildungsprozesse von Besucherinnen und Besuchern solcher Orte setzt jedoch diese Personengruppe selbst als Datenquelle voraus. Dies ist bei der im Folgenden vorgestellten Untersuchung der Fall. Sie beruht auf Gruppendiskussionen mit Jugendlichen, die im Rahmen einer Schulexkursion an einer Führung über das ehemalige Reichsparteitagsgelände teilgenommen haben.
3 Methode Die hier vorgestellte Studie hatte das Ziel, zu beschreiben, welche Orientierungen Lern- und Bildungsprozesse in Schulklassen bei der Auseinandersetzung mit historischen Orten strukturieren, bei denen der Fokus auf den Täterinnen und Tätern liegt. Zu diesem Zweck wurden insgesamt 36 Gruppendiskussionen mit Jugendlichen geführt, die einige Tage zuvor im Rahmen einer Schulexkursion mit ihrer Klasse das Gelände besucht hatten. Im Sinne des theoretischen Samplings (Glaser/Strauss 2010) wurden Gruppen ausgewählt und ihre Daten mithilfe der dokumentarischen Methode nach Bohnsack ausgewertet. Dieses Verfahren ermöglicht, sogenannte kollektive Orientierungen zu rekonstruieren. Diese Orientierungen umfassen die Ziele, Werte und Relevanzen, die das Handeln von Gruppen strukturieren. Als ein solches Handeln kann auch das Lernen von Gruppen an einem historischen Ort aufgefasst werden. Die methodologische Basis für dieses Verfahren ist die Wissenssoziologie nach Mannheim (1970, 1980). Mannheim ging davon aus, dass diejenigen Aspekte, die das Handeln von Personen orientieren, diesen Personen oft nicht bewusst sind, sich aber in ihren Handlungsstrukturen zeigen. Die dokumentarische Methode ermöglicht, diese Orientierungen aus den Diskursverläufen von Gruppendiskussionen zu rekonstruieren. Eine Typik solcher Orientierungen wurde im Rahmen der hier vorgestellten Arbeit aus den Gruppendiskussionen der Schülerinnen und Schüler rekonstruiert. Ein Ausschnitt aus dieser Typik wird im Folgenden genauer erläutert.
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Empirischer Befund
In allen 36 Gruppendiskussionen konnte eine bestimmte Typik von Lern- und Bildungsprozessen nachgewiesen werden. Diese zeichnet sich im Wesentlichen durch zwei Aspekte aus, die in diesem Abschnitt skizziert werden. Zum einen befassen sich alle Gruppen auf unterschiedliche Weise mit dem historischen Ort. Insgesamt wurden drei Formen rekonstruiert, in denen solche Vorgänge beschrieben werden können. Eine dieser drei Formen, die sinnesbezogene Auseinandersetzung, wird in diesem Artikel exemplarisch vorgestellt. Sie beschreibt, wie sich die Jugendlichen damit befassen, was sie beispielsweise gesehen oder angefasst haben. Zum anderen wurde nachgewiesen, dass sich alle Gruppen bei diesem Umgang mit dem historischen Ort in irgendeiner Art und Weise mit Elementen der Inszenierung befassen, wie in erster Linie der NS-Architektur, die unter anderem durch die Größe der Gebäude die vermeintliche Macht des Nationalsozialismus inszeniert. Im empirischen Material zeigen sich unterschiedliche Ausprägungen von Resonanz auf diese Inszenierung. Als Resonanz wird im Rahmen der vorgestellten Arbeit die Selbstpositionierung der Jugendlichen im Hinblick auf die Nationalsozialisten verstanden: Nähern sich diese den Täterinnen und Tätern eher an oder distanzieren sie sich eher von ihnen? Insgesamt wurden drei Ausprägungen dieser Resonanz nachgewiesen. Zwei davon werden im Folgenden exemplarisch an zwei Transkriptausschnitten vorgestellt: die affirmative Resonanz und die distanzierende Resonanz. Zur Erläuterung weiterer Aspekte der rekonstruierten Struktur sei auf die Gesamtuntersuchung verwiesen (Rechberg 2020). Der folgende Transkriptausschnitt dokumentiert affirmative Lern- und Bildungsprozesse, die sich durch eine Zustimmung zur Selbstinszenierung der Täter auszeichnen. Er stammt aus der Gruppendiskussion der Gruppe Kümmel. Wie alle anderen Gruppen hat sich auch diese unter anderem mit den Bauwerken auf dem Gelände befasst. Dabei lag der Fokus ihrer Diskussion auf einem sinnesbezogenen Eindruck dieser Gebäude, der die architektonische Inszenierung von Macht in den Vordergrund stellt. Dies zeigt der folgende Transkriptausschnitt exemplarisch.
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Y
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einschüchternd=denn (.) was (.) damals (.) hitler halt alles └ts: erreichen wollte zum=beispiel=s (.) riesen=was Aus- sche Aussah └@(.)@ wie dieses kolosseum von rom zum=beispiel des war wirklich └○((brummt))○ Riesich=und=er wollt des noch Weiter Rausbaun (.) das man └hmhm? wirklich (.) man fühlte sich wie so=n (1) Kleines Gengstand=was (.) ein kleiner gengstand=was darumläuft=hal=wirklich
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Cm
sowas sieht man=halt nich=jen tag also
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Y
hmhm?
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Dm
ja ich find auch also w=ä=em (.) wenn=ich so von hitler gehört hab dacht ich eintlich=s war nur so (.) aso den man haha- (.) dann (.) den jeder Hasst un sowas (.) aber=ich wusste=nich dass
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└○((räuspert sich))○
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Y
└hmhm
60
Dm
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Y
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Dm
wie ich jetz gesehn hab da
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Y
└hmhm
er auch so Schlau=is=un sowas erreichen (.) so viel erreicht hat └hmhm
└hmhm
Kümmel, Eingangspassage, 43–63
Der Ausschnitt zeigt: Die Gruppe beschäftigt sich mit dem Aussehen eines Gebäudes, das als „riesig“ (49) beurteilt wird. Es wird bezeichnet als etwas, das man nicht alle Tage sehe. Die Jugendlichen setzen sich also mit dem Gebäude im Hinblick darauf auseinander, was sie visuell von ihm wahrnehmen können. Die Auseinandersetzung mit dem Ort geschieht in einer Form, die sich auf das sinnlich Wahrnehmbare bezieht. Im Rahmen dieser Auseinandersetzung zeigt sich eine Resonanz auf die Inszenierung: Besonders an der Formulierung „so etwas sieht man nicht alle Tage“
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(54) zeigt sich, dass die Gruppe die Inszenierung als etwas Besonderes beurteilt und beeindruckt ist. Sie übernimmt affirmativ den Eindruck der Inszenierung. Diese Affirmation bezieht die Gruppe direkt auf Hitler: Sie sagt, sie habe bisher gehört, dass er jemand sei, „den jeder hasst“ (58), aber jetzt haben sie auch gesehen, er sei „schlau“ (60) gewesen und habe „viel erreicht“ (60). Die Jugendlichen zollen ihm Anerkennung – trotz ihres Wissens um die Ablehnung, die man Hitler sonst entgegenbringt. Dieser Transkriptausschnitt zeigt exemplarisch eine Orientierung, die sich bei der Betrachtung anderer Gruppen in ähnlicher Form wiederfinden und verdichten lässt: Diese Orientierung ist in der Auseinandersetzung mit dem Ort sinnesbezogen ausgerichtet sowie affirmativ hinsichtlich der Resonanz auf die Inszenierung. Es lässt sich also nachweisen, dass die Auseinandersetzung mit einem historischen Ort, der durch Täterschaft sowie Propaganda geprägt ist, das Risiko in sich birgt, dass Botschaften der Propaganda von den Betrachterinnen und Betrachtern unkritisch übernommen werden. Solche affirmativ gefärbten Auseinandersetzungen können eine Annäherung der Besuchenden an die Täterinnen und Täter mit sich bringen. Im folgenden, zweiten Transkriptausschnitt ist eine andere Form von Lern- und Bildungsprozess dokumentiert als im ersten. Es handelt sich in nachstehendem Beispiel um einen Prozess, in dem sich die Jugendlichen von der Inszenierung distanzieren. Der Ausschnitt stammt aus der Gruppendiskussion der Gruppe Safran. Auch diese kam im Verlauf ihrer Diskussion auf ein Gebäude zu sprechen, das sie als Kolosseum bezeichnete. Der Text zeigt die Auseinandersetzung mit diesem Bauwerk. 1
Aw
der=at doch auch dieses (.) äh Art kollusSeum baun lassen
2
Cw
ja des e- (.) Des fand=i eingtlich von Außen voll Schön
3
Dw
└ja
4 5
Aw
└ja └voll Schön und Dann sin=wir Reingegang? (.) un=dacht mir So (1) Was Das? @(.)@
6
Ew
└und dann (.) von Innen
7 8
Cw
9 Ew 10 11
└Oah (.) (mir gings) Auch so (.) @mm@
wie roter Ziegelstein oder (
)
└sah aus wie (1)
└ja vor allm er wollte doch da auch dann dieses (.) aso die (.) Kuppel dann so haben dass (.) auf ihn dann des Licht is (.) und dann dass er wie so (.) @Gott@ oder so
Safran, Kolosseum, 1–11
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Die Gruppe beschäftigt sich in diesem Abschnitt mit einem Gebäude, von dem sie betont, dass sie es nicht nur von außen gesehen habe. Die Gruppe habe auch den Innenhof betreten und von dort habe das Gebäude ganz anders gewirkt. Hervorgehoben wird nicht nur, dass der Ort visuell wahrnehmbar, sondern auch begehbar gewesen sei. In diesem Fall zeigt sich ebenso wie im ersten Beispiel, dass die Auseinandersetzung mit dem Ort auf der Ebene der Sinneswahrnehmung verläuft. Diese Ebene schließt nicht nur das Visuelle mit ein, sondern auch das Sich-Hineinbegeben in den Ort, wobei beispielsweise auch von haptischen Wahrnehmungen auszugehen ist. Der Transkriptausschnitt zeigt ebenso die Resonanz der Gruppe auf die Wahrnehmung des Ortes: Die Gruppe beurteilt seine Gestaltung, seine Inszenierung zunächst als „voll schön“ (2, 4), also als ästhetisch ansprechend. Nachdem sie jedoch den Innenraum betreten hat, scheint der Ort auf sie allerdings grotesk gewirkt zu haben. In ihrem Lachen – im Transkript werden lachend gesprochene Passagen zu Beginn und zum Ende des Lachens mit „@“ gekennzeichnet – und durch Formulierungen, wie „Ich dacht mir so – was ist das?“ (5) zeigt sich: Die Gruppe geht nun doch auf Distanz. Dort bleibt sie offensichtlich auch, denn die Vorstellung, Hitler als Gott zu inszenieren, löst erneut Lachen aus. Die Resonanz auf die Inszenierung, die sich an dieser Stelle zeigt, hat eine distanzierende Ausprägung. Zum Anlass nimmt diese Distanzierung die visuelle Kontrastierung zwischen der Außen- und Innenansicht des Gebäudes. Salopp könnte man diesen Blick hinter die Kulissen mit „außen hui, innen pfui“ zusammenfassen. Auch dieser Transkriptausschnitt zeigt exemplarisch eine Orientierung, die sich bei der Betrachtung anderer Gruppen in ähnlicher Form wiederfinden und verdichten lässt: Diese Orientierung ist in der Auseinandersetzung mit dem Ort sinnesbezogenen ausgerichtet, sowie distanzierend hinsichtlich der Resonanz auf die Inszenierung. Es lässt sich also nachweisen, dass die Auseinandersetzung mit einem historischen Ort, der durch Täterschaft sowie Propaganda geprägt ist, auch mit einer gewissen Distanz einhergehen kann, aus der die Botschaften der Inszenierung von den Besuchenden nicht unkritisch übernommen werden.
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5 Folgerungen Aus dem bisher beschriebenen empirischen Befund sollen im Folgenden einige Schlussfolgerungen gezogen werden. Die Botschaft „Nie wieder!“ kann sicher als gemeinsames Ziel aller pädagogischen Arbeit an historischen Orten zum Nationalsozialismus verstanden werden. So stellt es beispielsweise auch Kößler (2015) im aktuellen Standardwerk der AG Gedenkstättenpädagogik dar. Damit stellt sich die Frage, wie gesichert es ist, dass diese Botschaft ankommt. Wie schwer die Erfüllung dieses Auftrags nachzuweisen ist, wurde bereits mehrfach betont (Pampel 2007, 2011, 2014; Eberle 2008). Das empirische Material der in diesem Artikel vorgestellten Untersuchung weist jedoch auf ein weiteres Problem hin, das in Erfahrungsberichten aus der pädagogischen Praxis schon länger eine Rolle spielt: Es geht um die Sorge, dass die Täterinnen und Täter auf die Besuchenden nicht nur abschreckend wirken, sondern auf manche auch eine gewisse Faszination ausüben (Brebeck 1995; Jelitzki/Wetzel 2010a, 2010b; Brachmann 2014). Zudem wird die Sorge geäußert, dass die Lernenden bei der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus dessen Perspektive unkritisch übernehmen könnten, insbesondere wenn didaktisch auf Material zurückgegriffen wird, das von Täterinnen und Tätern selbst geprägt wurde, wie beispielsweise Propagandamaterial aber auch Quellen, wie Tagebücher und dergleichen (Kaiser 2012). Hinsichtlich dieser Sorge liefert die vorliegende Untersuchung einen empirischen Nachweis: Für die Auseinandersetzung mit den Täterinnen und Tätern lassen sich beispielsweise am ehemaligen Reichsparteitagsgelände affirmative Prozesse nachweisen, in denen die Botschaft der NS-Inszenierung übernommen wird und diese sich auf das Täterbild der Rezipierenden in Form einer Annäherung auswirken. Die Betrachtenden übernehmen dann diejenige Perspektive auf die Täterinnen und Täter, die ihnen durch die Inszenierung angeboten wird. Sie betrachten den Ort nicht aus der Perspektive der Opfer, wie sie beispielsweise an KZ-Gedenkstätten naheliegt, sondern aus der von Geländebesuchenden. Dabei erfahren sie ihn mithilfe der von den Erbauern suggerierten Sichtweise. Beachtenswert erscheint zudem, dass sich die Jugendlichen den Täterinnen und Tätern annähern, obwohl ihnen die gesellschaftliche Konvention der Ablehnung, beispielsweise gegenüber Adolf Hitler, bewusst ist. Jedoch werden auch Prozesse sichtbar, in denen sich die Lernenden von den Nationalsozialisten distanzieren. In dem erläuterten Transkriptausschnitt wurde eine solche Distanzierung von der Gruppe im Rahmen einer Konfrontation mit dem Kontrast zweier visueller Eindrücke vollzogen.
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Der Befund der Annäherung entgegen der bekannten Konvention der Ablehnung sowie der Befund der Distanzierung sollen nun vor dem Hintergrund des Ansatzes zum Bildverstehen von Weidenmann (1988, 2006) erläutert werden, der in der Geschichtsdidaktik bereits im Hinblick auf die Auseinandersetzung mit Abbildungen rezipiert wird (Lange 2011; Bernhardt 2011). Weidenmann (2006) unterscheidet zwei Formen von Bildverstehen: • Natürliches oder ökologisches Bildverstehen: Dieses ermöglicht zu erfassen, was dargestellt werden soll. • Indikatorisches Bildverstehen: Diese Form des Bildverstehens „zielt darauf, das bildhaft kodierte Argument zu rekonstruieren, das der Bildautor kommunizieren möchte. Merkmale des Bildes werden als Indikatoren für die Absicht des Bildautors interpretiert (‚Was will er mir mitteilen?‘)“ (Weidenmann 2006: 451). Lernende sind beispielsweise auf der Ebene des natürlichen Bildverstehens in der Lage, aus zwei Punkten und einer darunter gesetzten Linie die Darstellung eines Smileys zu erkennen. Auf der Ebene des indikatorischen Bildverstehens kann zudem deutlich werden, ob der Smiley Freude oder Missmut ausdrücken soll, je nachdem, ob dieser mit hängenden oder steigenden Mundwinkeln dargestellt wird. Voraussetzung für ein indikatorisches Bildverstehen ist, dass dem Betrachtenden sogenannte „Steuerungscodes“ (Weidenmann 2006: 451) bekannt sind, durch die die Bildaussage zum Ausdruck kommt. Im Falle des Smileys dient diesem Zweck die Stellung der Mundwinkel. Weidenmann (2006) untergliedert seine zwei Formen des Bildverstehens mit zwei Arten von Prozessen: • Präattentive Prozesse: „Das rasche Erkennen verläuft beim Bildverstehen wie bei der Wahrnehmung unserer Umwelt präattentiv, nicht als bewusste Leistung“ (Weidenmann 2006: 451). Das Dargestellte wird „auf einen Blick“ erfasst. • Attentive Prozesse: Hierbei kann ein „gezieltes und sorgfältiges attentives Muster des Dargestellten“ (Weidenmann 2006: 451) dem vorherigen präattentiven Prozess nachfolgen, um verschiedene weitere einzelne Bildelemente respektive weitere Einzelaspekte an Bildargumenten zu erfassen. Vor dem Hintergrund dieses Ansatzes sollen nun die dargestellten empirischen Befunde der affirmativen und der distanzierenden Lern- und Bildungsprozesse auf der sinnesbezogenen Ebene diskutiert werden. Natürliches Bildverstehen verläuft nach Weidenmann „analog zur Wahrnehmung der realen Umwelt“ (Weidenmann 2006: 451). „Das Bild wird quasi als
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Fenster zur Welt benutzt“ (Weidenmann 2006: 451). Dies spricht dafür, dass Weidenmanns Ansatz auf die Betrachtung von Kulturgegenständen der realen Welt, wie beispielsweise Architektur übertragbar ist. Man könnte in einem solchen Fall auch von Architekturverstehen statt Bildverstehen sprechen. Als ökologisches Architekturverstehen würde man in diesem Fall beispielsweise das Vermögen betrachten, in der unfertigen Kongresshalle ein großes Gebäude zu erkennen. Als indikatorisches Bildverstehen können erste Eindrücke wie Beeindruckung oder Einschüchterung verstanden werden, in denen die Lernenden rezipieren, was die NS-Architektur gegenüber den Betrachtern auszudrücken suchte. In diesem Sinne könnten Eindrücke wie die der Gruppe Kümmel gedeutet werden: „Man fühlte sich wie so ein kleiner Gegenstand“ (Kümmel, Eingangspassage, 51). Im Hinblick auf die Wahrnehmung von Architektur unterscheidet Mittig (1992) beispielsweise stilistische Referenzen von sogenannten „Spontanwirkungen“ (Mittig 1992: 248): Die stilistische Referenz der Kongresshalle auf das Kolosseum in Rom setzt voraus, dass die Betrachtenden das Kolosseum kennen. Dies entspricht im Ansatz von Weidenmann der Kenntnis von Steuerungscodes. Die davon unterschiedenen „Spontanwirkungen“ (Mittig 1992: 248) sind ohne Vorwissen spontan zu erfassen und gehen vor allem von der Größe der Gebäude aus. Die Betrachtenden erfassen unmittelbar, dass das vor ihnen stehende Bauwerk um ein Vielfaches größer ist als sie selbst, wodurch sie sich im Vergleich klein und unbedeutend vorkommen. Dies zeigt sich im empirischen Befund verschiedener Gruppen, die diesen Eindruck als „erschlagend“, „beeindruckend“ oder „einschüchternd“ bezeichneten. Die bereits erwähnte Gruppe Kümmel formuliert: „Man fühlte sich wie so ein kleiner Gegenstand“ (Kümmel, Eingangspassage, 51f.). Was diese zweite Wirkungsweise im Sinne eines indikatorischen Bildverstehens auszeichnet, ist, dass die Steuerungscodes nicht erst erlernt werden müssen, die dazu notwendig sind, die Größe der Gebäude als beeindruckend zu erfahren. Daher sind diese Spontanwirkungen der NS-Architektur nicht nur präattentiv, sondern im Vergleich mit Bildaussagen sogar voraussetzungslos. Mittig (1992) nennt sie „zeitlos“ (Mittig 1992: 254). Der einzige Steuerungscode, den die Jugendlichen benötigen, um in der Architektur die vermeintliche Übermächtigkeit des Nationalsozialismus zu sehen, ist das Wissen, dass eben diese Architektur im Nationalsozialismus errichtet wurde. Dieses Wissen ist bei den Schülerinnen und Schülern vorauszusetzen. Die Herausforderung der Guides angesichts der beschriebenen architekturpsychologischen Effekte besteht nun darin, die Lernenden zu befähigen, dem unmittelbaren, präattentiven und damit noch vor jeder Bewusstwerdung ablaufenden Kommunikationsvorgang der NS-Architektur etwas entgegenzusetzen. Sie tun dies in der Regel nachgeordnet, attentiv: Sie versuchen, das Sichtbare in seiner
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Deutung zu ergänzen durch Kommentare, die beispielsweise über den Missbrauch von architektonischen Wirkungen berichten. Die Strategie des nachgeordneten Kommentares adressiert jedoch ausschließlich die Ebene attentiver Prozesse. Sie muss also die Lernenden zu einem kognitiven Lernprozess anregen, der in der Lage ist, den präattentiven, vorhergehenden Prozess zu verändern. Gelingt den Guides dies, könnte sich der Eindruck der Kongresshalle beispielsweise von einem Ausdruck vermeintlicher Übermacht des Nationalsozialismus zu einem Symbol für Täuschung und Manipulation wandeln. Dass dies nicht immer gelingt, zeigen die Ergebnisse der vorliegenden Studie, in denen die Diskurse der Jugendlichen noch Tage und Wochen nach dem Geländebesuch die affirmativen Eindrücke auf der sinnesbezogenen Ebene dokumentieren. Wie voraussetzungsvoll das Initiieren attentiver Prozesse auf Ebene des indikatorischen Bildverständnisses ist, zeigen die Untersuchungen von Lange (2011) und Bernhardt (2011). Letzterer erklärt, dass hierfür zwei kognitive Voraussetzungen geschaffen werden müssen: Zum einen müssen die Schülerinnen und Schüler über ein Wissen verfügen, das die Intention einer Bildaussage durch den Bildautor verständlich macht. Zum anderen müssen sie grundsätzlich die Möglichkeit einer intentionalen Bildaussage begriffen haben. Bernhardt (2011) erklärt, er habe im Rahmen einer Studie mit über 100 Schülerinnen und Schülern von der Grundschule bis zur Oberstufe „immer wieder beobachtet, dass Schülerinnen und Schüler bis in die neunte Jahrgangsstufe keine Vorstellung davon haben, dass ein Bild eine intentionale Aussage enthält“ (Bernhardt 2011: 48). Es erscheint daher denkbar, dass es für viele Jugendliche eine beträchtliche Herausforderung bedeutet, zu begreifen, dass ein Gebäude nicht nur einen praktischen Nutzen hat, sondern auch eine intentionale ästhetische Aussage enthalten kann. Die kognitive Herausforderung erscheint umso größer, je mehr die Schülerinnen und Schüler diese Aussage auch im Hinblick auf ihre historischen Folgen betrachten und sich dabei von ihr distanzieren sollen. Vor diesem Hintergrund erscheint es plausibel, dass die Gruppe Kümmel, aus deren Diskussion das erste dargestellte Transkriptbeispiel stammt, nicht in der Lage war, den indikatorischen Eindruck, den sie auf der präattentiven Ebene von der Kongresshalle erhielt, durch kognitive Prozesse auf der attentiven Ebene zu brechen. Es stellt sich jedoch die Frage, unter welchen Voraussetzungen Jugendliche zu einer solchen Brechung in der Lage sein können, wie es beispielsweise bei der Gruppe Safran der Fall war. Distanzierende Lern- und Bildungsprozesse konnten im Material anhand unterschiedlicher Rahmenbedingungen nachgewiesen werden. Eine davon zeigte sich im bereits erläuterten zweiten Transkriptausschnitt. Sie soll als visuelle Kontrastierung bezeichnet werden und wird im Folgenden ebenfalls vor
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dem Hintergrund des wahrnehmungspsychologischen Ansatzes von Weidenmann (1988, 2006) genauer erläutert. Im zweiten Transkriptausschnitt hat sich gezeigt, dass die Außenansicht der Kongresshalle bei den Jugendlichen zunächst zu positiven Eindrücken geführt hatte. Von außen präsentiert sich die Halle als ein 40 Meter hoher Rundbau aus verschiedenen getönten, mehreren Quadratmeter großen Granitplatten. Diese Ansicht wurde von der Gruppe Safran als „voll schön“ bezeichnet. Die Gruppe hatte jedoch berichtet, dass sie auch den Innenhof der Kongresshalle betreten habe. Wenn Besuchsgruppen diesen Innenhof betreten, finden sie dort nicht mehr die von außen sichtbaren großformatigen Granitsteine, sondern viele kleine, gewöhnlich und zerbrechlich wirkende Ziegelsteine. Aus dieser Perspektive fällt ebenfalls auf, dass dem Bau ein Dach fehlt. Seine fehlende Vollendung tritt also deutlich hervor. Außerdem zeigt der Innenhof Spuren von Verschleiß und es stehen Baugeräte herum. Die Gruppe Safran lachte über diesen Innenhof mit den Worten „Was ist das denn?“ Der ästhetische Kontrast hat offensichtlich zu einer Distanzierung geführt. Dieser Effekt soll erneut in Entsprechung zum indikatorischen Bildverstehen als indikatorisches Architekturverstehen bezeichnet werden. Die Jugendlichen haben auf der präattentiven Ebene zwei unterschiedliche Erfahrungen mit demselben Gebäude gemacht: Während die erste Erfahrung zu einem gewissermaßen affirmativen Prozess geführt hat, in dem die Inszenierung als „voll schön“ bestätigt wurde, führte der zweite Prozess zu einer Distanzierung. Dies führt zu der Schlussfolgerung, dass die visuelle Kontrastierung eine Möglichkeit darstellt, den Besuchenden von historischen Orten mit propagandistischer NS-Architektur dazu zu verhelfen, sich von der sich ihnen darbietenden Propaganda zu distanzieren. Es soll betont werden, dass dies lediglich eine Strategie neben anderen ist, um Besuchende bei einer distanzierten Haltung zu Propaganda zu unterstützen. Beispielsweise stellt die Darbietung von historischen Kontextinformationen, die den Missbrauch dieser Architektur deutlich machen, eine weitere Strategie dar. Die Strategie der visuellen Kontrastierung hat jedoch gegenüber der Kontextualisierung den Vorteil, Besuchende auf der präattentiven Ebene zu erreichen, was bei Personen von Vorteil ist, die sich auf den kognitiven Prozess, den die attentive Ebene erfordert, nicht ausreichend einlassen. Es ist jedoch zu betonen, dass die visuelle Kontrastierung alleine nicht ausreicht, die Bedeutung des Ortes oder die Funktionsweise der Architektur ausreichend zu erschließen.
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Didaktische Vorschläge
Aufbauend auf den bisher dargelegten Schlussfolgerungen sollen nun einige didaktische Vorschläge für die pädagogische Praxis formuliert werden. Es wurde auf das Risiko der affirmativen Lernprozesse bei der Beschäftigung mit Täterinnen und Tätern hingewiesen. Damit stellt sich die Frage, wie didaktisch mit diesem Risiko umgegangen werden kann. Hierzu finden sich bereits Anregungen in der Literatur (Jelitzki/Wetzel 2010b; Kaiser 2012). In erster Linie wird betont, wie wichtig es sei, multiperspektivisch zu arbeiten. Insbesondere wird darauf hingewiesen, dass beispielsweise KZ-Gedenkstätten immer aus der Opfer-Perspektive zu betrachten seien und empfohlen, diese Perspektive auch bei der Auseinandersetzung mit den Täterinnen und Tätern beizubehalten. Diese Perspektive wird jedoch an Orten wie dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände deutlich erschwert. Juden und Jüdinnen waren keine NSDAP-Mitglieder und waren bei den Reichsparteitagen auf dem Gelände nicht anwesend. Das änderte sich erst nach dem letzten Reichsparteitag im Jahre 1938. In den Barracken der SA- und HJ-Lager wurden später Kriegsgefangene untergebracht. Zudem diente der Bahnhof Märzfeld später der Deportation der Opfer. Im empirischen Material zeigen sich hierauf bisher jedoch noch keine Verweise. Bei den Geländebegehungen wurde der Ort bislang scheinbar ganz mit dem Fokus auf die Reichsparteitage betrachtet. Die Zeitschicht der Parteitage bietet jedoch keine Artefakte, die auf die Opfer hinweisen, wie beispielsweise die Zellen in KZ-Gedenkstätten, in denen die Opfer gefangen gehalten und gequält wurden. Eine Möglichkeit für die Einbindung der Opferperspektive könnte darin bestehen, zumindest den Bahnhof Märzfeld prominenter in die Führungen einzubinden. Im Gegensatz zu den Barracken der Kriegsgefangenen besteht dieser noch heute. Er liegt jedoch sehr weit abseits, wodurch die Nähe zum restlichen Gelände nicht unmittelbar erfahrbar wird. Auch sind die Kongresshalle und das Zeppelinfeld wesentlich eindrucksvoller und es ist gut möglich, dass sie den Eindruck des Bahnhofs dominieren. Hier zeigt sich eine wesentliche Komponente der Propagandaarchitektur: Das Ausblenden der Opfer und des Leids war laut Mittig (1992) ein bewusstes Ziel der NS-Architektur, um deren „Werbewirkung“ (Mittig 1992: 250) nicht zu gefährden. Die Propaganda-Bauten zielen darauf, mit der Inszenierung von Größe und vermeintlicher Macht und Zeitlosigkeit extrem im Vordergrund zu stehen. Die Schattenseiten werden dabei visuell bis heute zunächst nicht erfahrbar. Es scheint also an solchen Orten deutlich erschwert, das Einnehmen der Opfer-Perspektive anzuregen, um eine Distanzierung von den Täterinnen und Tätern zu erwirken. Daher stellt sich die Frage, in welchem Rahmen dann die Jugendlichen
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Unterstützung gegen die Werbewirkung der Architektur erfahren könnten. Auch hinsichtlich dieser Frage lassen sich aus den empirischen Daten Schlussfolgerungen ziehen. Es haben sich mehrere Aspekte gezeigt, die die Schülerinnen und Schüler zu distanzierenden Prozessen angeregt haben. Einer davon, die visuelle Kontrastierung, wurde bereits vorgestellt. Hierbei wird durch einen visuellen Perspektivenwechsel der inszenierten Werbebotschaft des Geländes eine entgegengesetzte Botschaft auf visueller Ebene gegenübergestellt. Dies wurde anhand des zweiten Transkriptausschnitts illustriert. Hier zeigte sich, wie dem Eindruck der repräsentativen Fassade der sogenannten Kongresshalle die baufällige Innenansicht desselben Gebäudes gegenübergestellt wurde. Während der erste Eindruck zu gewissermaßen affirmativen Prozessen führte, entstand im Rahmen der Darbietung des zweiten Eindrucks eine Distanzierung bei der Gruppe. Der Effekt der visuellen Kontrastierung zeigte sich im empirischen Material der Untersuchung nicht nur an den Reaktionen auf die Kongresshalle. Ähnliches ließ sich auch in anderen Gruppen beispielsweise in Bezug auf die sogenannte Zeppelintribüne zeigen. Auf dem sogenannten Zeppelinfeld versammelten sich die Besucherinnen und Besucher der Reichsparteitage, um Reden zu hören, die von der Tribüne aus gehalten wurden. Die Jugendlichen können sich auf diese Bühne stellen und von oben auf einen großen Teil des Geländes herunterschauen. Der Ausblick wird zuweilen auch als „gigantisch“ bezeichnet. Manche Jugendliche erwähnen in diesem Zusammenhang aber auch, dass sie auf den Verfall der Tribüne aufmerksam gemacht wurden. Sie hat Risse, durch welche immer mehr Unkraut wächst. Eine Gruppe erklärte angesichts der Spuren dieses Verfalls, Hitler habe zwar ein tausendjähriges Reich versprochen, aber das Unkraut auf der Tribüne zeige, dass schon dieses Bauwerk wohl keine tausend Jahre halten werde. Visuelle Kontrastierung bedeutet also, durch einen visuellen Perspektivenwechsel der inszenierten Werbebotschaft des Geländes eine entgegengesetzte Botschaft gegenüberzustellen. Hierfür lassen sich verschiedene Spielarten zeigen, wie beispielsweise einen Ortswechsel vorzunehmen und dadurch einen Blick vor und hinter die Kulissen zu spendieren, oder an beeindruckenden Schauplätzen der Propaganda auf deren Verfall hinzuweisen. Aus historischer Sicht ist selbstverständlich darauf zu achten, diese visuellen Kontraste angemessen zu kontextualisieren. Der Hinweis auf den Verfall der Zeppelintribüne beispielsweise kann im Rahmen eines Kommentars geschehen, der darauf hinweist, dass all die beeindruckenden Ansichten der Zeppelintribüne nur eine Inszenierung des Nationalsozialismus darstellen und dass diese Inszenierung unter anderem deutlich wird, wenn man hinter ihre Kulissen blickt. Diese Kulisse bricht auch an ihren Verfallsspuren deutlich auf. Im Rahmen eines solchen Kommentars kann auf die deutlich sichtbaren Verfallsspuren hingewiesen werden. Auf
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diese Weise kann nicht nur Kritik an der Inszenierung auf der Kontextebene, sondern auch eine Brechung der Inszenierung auf der sinnesbezogenen Ebene angeregt und dadurch Distanzierung zur Inszenierung auf mehreren Ebenen gefördert werden. Gerade der Kontrast von Beeindruckung und deren Brechung kann es ermöglichen, die Mechanismen der Propaganda einerseits zu erfahren und dadurch nachvollziehbar zu machen, dies jedoch andererseits aus einer ausreichenden Distanz zu tun. Die Strategie der visuellen Kontrastierung auf der Wahrnehmungsebene kann die historischen Erläuterungen der Guides bei der Auseinandersetzung mit Täterschaft sowie Propaganda nicht ersetzen, aber sie kann sie ergänzen. Sie verhilft nicht dazu, beispielsweise die Bedeutung der Orte oder den Missbrauch von Architektur zu erklären. Aber sie scheint eine wirksame Unterstützung für die Lernenden zu sein, sich noch vor einer theoretischen Auseinandersetzung von der Wirkung der Propaganda zu distanzieren. Dies erscheint insbesondere bei der Arbeit mit Besuchenden, denen diese Auseinandersetzung auf der kognitiven Ebene schwerfällt, ein bedeutender Aspekt zu sein.
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„Bis zu meinem vierten Lebensjahr wohnte ich in Frankfurt.“ Frankfurts heterogene Erinnerungstopographien und verspätete Gedenkpraktiken an den Holocaust Oxane Leingang
Zusammenfassung
Obwohl Anne Frank nicht mal vier Jahre alt war, als ihre Familie die Stadt verlassen musste, gehört sie zu den berühmtesten Frankfurterinnen. Mit einem 2017 erstmals organisierten Anne-Frank-Tag will die Stadt Frankfurt mit Veranstaltungen und Kunstaktionen nun jedes Jahr an sie erinnern. Das Mahnmal für die Opfer der Deportation am Areal der Europäischen Zentralbank im Osten der Stadt ist ein mehrdimensionaler Palimpsest: Die Kellerräume der damaligen Großmarkthalle dienten 1941 als Sammelpunkt für Deportationen Frankfurter Jüdinnen und Juden. Ihre tragischen Biographien sind in einer Datenbank archiviert, die zum Gedenkensemble Börneplatz gehört. Mit Hilfe des virtuellen Erinnerungsfundus können Schulklassen dort individuelle Lebensund Leidensgeschichten rekonstruieren. Wie die ehemalige Großmarkthalle so ist auch der Börneplatz ein auratischer und geschichtsträchtiger Ort: Als in den 1980er Jahren der Bau eines Gebäudekomplexes die Hausfundamente und zwei Mikwen, die Ritualtauchbäder, der ehemaligen Judengasse freigelegt hatte, wurde die neuralgische Frage nach dem Umgang mit der Erinnerung an den Holocaust sogar auf der bundesrepublikanischen Ebene virulent. An Frankfurts kommemorativen Praktiken, die erst nach einer langen Latenzzeit und/oder kontrovers geführten Debatten etabliert werden konnten, lassen sich auch erinnerungskulturelle Diskursivierungen ablesen. Darüber hinaus sollen im Kontext der (jüdischen) Stadtgeschichte diese heterogenen Erinnerungsorte als Lernorte in ihrer retrospektiven und prospektiven Funktion beleuchtet und ihr didaktisches Potential ausgelotet werden.
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Gloe und A. Ballis (Hrsg.), Holocaust Education Revisited, Holocaust Education – Historisches Lernen – Menschenrechtsbildung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24207-7_10
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Abstract
Born in Frankfurt am Main the four-year-old Anne Frank had to move with her family to Amsterdam, when National Socialist persecution of Jews began to increase. In 2017, the city council decided to celebrate her birthday for the first time. The memorial in the newly built skyscraper of the European Central Bank palimpsestuously combines memories of the Holocaust: In 1941, the basement of the Grossmarkthalle, the former market hall, served as an assembly point for ten-thousand Jews before they were deported to concentration camps. Their tragic biographies are archived in the database of the memorial ensemble Börneplatz, an annex of the Jewish Museum of Frankfurt. During the process of excavation in the late 1980s, walls and relicts of the Judengasse, the Jewish quarter, were unearthed. As repercussions of nationwide civil protests, the city council decided to integrate the remnants into the municipal utility building. Along with five house foundations, two mikvehs (ritual baths), two wells, dating back to the 15th century, were reconstructed. Established after a latency period and/or after fierce public debates Frankfurt’s commemorative practices reflect German discourses of remembrance. In context of the (Jewish) town history, the article will discuss these heterogeneous sites and their educational potential as learning environment in both their retrospective and prospective dimensions.
1 Vorbemerkung In seinem Aufsatz Die Welt des Holocaust im 20. Jahrhundert problematisiert der Moskauer Historiker und Philosoph Michail Gefter die semantische Fixierung des Genozids an den europäischen Jüdinnen und Juden wie folgt: „Drei Namen – drei Facetten der Tragödie des 20. Jahrhunderts. Die Bitterkeit des Hebräischen – Shoah: Katastrophe. Katastrophe, welche die Juden ereilte, nicht die erste in der Reihe der Verderben, die seit biblischer Zeit auf sie lauerten; nicht die erste – vielleicht nicht die letzte? Das nazistische Henkergeheimnis – Endlösung: Die endgültige Entscheidung; endgültig für die Juden – Ausstreichen aus dem Verzeichnis der Lebenden; endgültig für die Deutschen – Verewigung der „Herrenrasse“; endgültig für die Welt – Verwandlung der sie zusammensetzenden Völker in eine Hierarchie der Parias. […] Und schließlich der inzwischen eine globale Eintragung erfahrende Holocaust – Allverbrennung: ein Krematorium für die Lebenden; heidnischer Opferungsritus, der in die sich am Rande des Selbstverlustes befindende neu-europäische Zivilisation zurückgebracht wurde – das Niederreißen ihres progressiven Imperativs;
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die Asche, welche die Menschen an ihre unzerstörbaren ,Anfänge‘ und an ihr nicht auszuschließendes (in der Nahperspektive) ENDE erinnert. In mehr verallgemeinernder Form – geistige Erfahrung, die direkt oder auf Umwegen in allen Problemen, welche die Welt heute befallen, anwesend ist“ (Gefter 1995: 24; Hervorhebung im Original).
Am negativen Gedächtnis, das begangene und zu verantwortende Verbrechen abbildet, lassen sich nicht nur lokale, sondern auch landesweite erinnerungskulturelle Diskursivierungen ablesen. Aufgrund der „radikale(n) Asymmetrie zwischen einem starken Vergessenswunsch einerseits und einem starken Erinnerungsgebot andererseits“ (Assmann 2016: 134) ist Frankfurt in dieser Hinsicht für die (bundesrepublikanische) Auseinandersetzung mit dem Holocaust prototypisch. Unter der Ägide des hessischen Generalstaatsanwalts Fritz Bauer wurde die Stadt zur Bühne für den größten Strafprozess, der zwischen 1963 und 1965 die Gräueltaten des NS-Regimes vor der deutschen und internationalen Öffentlichkeit publik machte (dazu stellvertretend Krause 2002). Auch der Börneplatz-Konflikt, um den es im dritten Abschnitt gehen wird, löste eine bundesweite Debatte aus: „Konkurrierende Geschichtsdeutungen und der Streit um den gesellschaftlichen Stellenwert authentischer Gedenkorte wurden zu einem Thema erbitterter Kontroversen“, bilanziert der Historiker Fritz Backhaus (2016b: 219). Im Folgenden sollen im Kontext der (jüdischen) Stadtgeschichte heterogene loci memoriae als repräsentative Erinnerungs- und Lernorte beleuchtet sowie ihr didaktisches Potential ausgelotet werden.
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Anne Franks Frankfurt – Frankfurts Anne Frank
Anne Frank, eine der berühmtesten Frankfurterinnen und eine „(Kinder-)Ikone des Holocaust“ (Frübis 2014: 12–22), wurde am 12. Juni 1929 im liberalen und gutsituierten Stadtteil Nordend geboren. Annes erstes Zuhause, das Doppelhaus Marbachweg 307, ist ein einfacher Zweckbau „bescheidenen und nüchternen Charakters“ (Boehm zit. nach Quiring 2016: 115), das im Rahmen des städtischen Innovationsprogramms entstanden war. Das Doppelhaus wurde von der Siedlungsgenossenschaft des Frankfurter Lehrervereins kostengünstig und ohne jeglichen repräsentativen Aufwand gebaut, um Lehrerinnen und Lehrern den Traum vom Eigenheim zu erfüllen. Durch die Vermietung des ersten und zweiten Stockwerks sollten die Baukredite sukzessiv abbezahlt werden. Aus diesem Grund waren die Hausbesitzer ausschließlich an seriösen und solventen Mietern interessiert. Annes Vater erhielt den Zuschlag, weil er beide Etagen mieten wollte und weil jüdische Mieter als besonders zuverlässig galten (Steen 1985: 46). Vom Marbachweg zog die Familie Frank mit der knapp zweijährigen Anne in die kleinere und preiswertere
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Wohnung in der Ganghoferstraße, wo sie sich im Erdgeschoss einquartierte. Dass ihnen vom Vermieter, einem fanatischen Nationalsozialisten, gekündigt wurde, wie Mirjam Pressler später behauptet (2009: 131f.), lässt sich an den älteren Quellen nicht belegen; der „Wohnungsnachfolger der Franks im Marbachweg“ schreibt der Historiker Jürgen Steen, „wurde 1931 ein jüdischer Börsenmakler“ (Steen 1985: 67). Bereits wenige Tage nach dem knappen Sieg der NSDAP bei den Kommunalwahlen im März 1933 wehten am Römerberg die Hakenkreuzfahnen. Ab diesem Zeitpunkt sollten antisemitische Diskreditierungspraktiken und soziale Ächtung den Alltag der Familie bestimmen (Steen 1985: 5). Die endgültige Entscheidung der Familie Frank, NS-Deutschland zu verlassen, fiel bereits einige Wochen später, als auf der Schule von Annes Schwester Margot die „jüdischen“ und die „deutschen“ Kinder voneinander getrennt wurden. Nach der Emigration riss die Verbindung zu Frankfurter Freunden und Bekannten erst nach der „Reichskristallnacht“ 1938 völlig ab, weil sie zu kompromittierend wurde (Steen 1985: 78). „Bis zu meinem vierten Lebensjahr wohnte ich in Frankfurt“, notierte Anne Frank in ihrem Tagebuch am 20. Juni 1942 (Frank 2011: 20). So wundert es nicht, dass ihr eigene Erinnerungen an Frankfurt fehlten. Das Wenige wusste sie aus den Erzählungen ihres Vaters Otto, dessen Familiengeschichte bis in das 16. Jahrhundert zurückreicht (Steen/ von Wolzogen 1990: 8; Pressler 2009). Das erste Erinnerungszeichen an Anne in ihrer Geburtsstadt ist eine bronzene Gedenktafel, die 1957 in der Ganghoferstraße angebracht wurde. Der Zeitpunkt ist nicht zufällig: Im Herbst 1956 fand in sieben deutschen Städten (Düsseldorf, Berlin, Karlsruhe, Hamburg, Konstanz, Aachen und Dresden) die Erstaufführung von Das Tagebuch der Anne Frank statt. Die Dramatisierung aus der Feder des erfolgsverwöhnten Ehepaars Frances Goodrich und Albert Hackett, die zuvor zahlreiche Drehbücher für Hollywoodkomödien und Broadway-Musicals geschrieben hatten, stieß bei vielen zeitgenössischen Kritikerinnen und Kritikern auf schroffe Ablehnung. In der Oktoberausgabe des SPIEGELS (1956) findet sich die Rezension eines anonymen Journalisten: „Dieses Buch, in dem die verzweifelte Situation der Juden zum unbekümmerten Jungmädchengeplauder einen ebenso schaurigen wie eindrucksvollen Kontrast bietet, ist von dem Hollywood-erfahrenen Autorenehepaar Hackett-Goodrich in Drehbuchmanier zu einer auf Effekte berechneten Szenenfolge umgeschrieben worden, deren theatralische Wirkungen freilich von den Abgründen der Wirklichkeit nur einen begrenzten Eindruck geben: ‚Ein verwöhntes Weltstadtpublikum‘, so kommentierte die Zeitschrift ‚The New Yorker‘ den anhaltenden Broadway-Erfolg, ‚wird durch eine Talsperre von Tränen gerissen‘“ (o. V. 1956: 39f.).
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Bis heute bleibt das Theaterstück höchst umstritten: Auch der amerikanische Literaturwissenschaftler Gene A. Plunka monierte die süßliche Sentimentalisierung und Idealisierung von Anne durch die massive Verbrämung von Fakten (Plunka 2009: 107). “Instead of Anne Frank as the emaciated, lice-covered, malnourished victim of Nazi persecution, her legacy has become a popular culture fantasy of an average teenager seeking attention and love in an estranged, adult world that fails to understand her” (Plunka 2009: 110).
Ungeachtet des Entkontextualisierungsvorwurfs löste die Dramatisierung beim zeitgenössischen deutschen Theaterpublikum Tränen der Ergriffenheit und stiller Trauer aus (Fischer 2014: 52). Das Stück, das Fanal der kritischen Vergangenheitsaufarbeitung (Plunka 2009: 104), wurde als ein modernes Requiem (Graver 1995: 127) sakralisiert und avancierte in West-Deutschland zu einem Theaterphänomen im politischen Sinne; der Besuch der Aufführung selbst wurde zum Akt der quasi-religiösen Reue und zum nationalen Ritual (Graver 1995: 127). In der nächsten Spielzeit erlebte das Stück bereits in 58 Städten mit 90 Spielstätten über 2.200 Aufführungen und wurde von über einer Million Menschen gesehen (Graver 1995: 128). Dieser beispiellose Erfolg auf den bundesrepublikanischen Bühnen, die seit Jahren am „chronischen Schauspiel-Mangel“ litten (o. V. 1956: 39), wurde von einem amerikanischen Beobachter wie folgt begründet: „the play never pointed an accusing finger at anyone and because it took place in Holland, not in Germany“ (zit. nach Graver 1995: 129). Das Bühnenstück beflügelte auch den bis dahin moderaten Verkauf der gedruckten Fassung des Tagebuchs, das sofort zum Best- und später zum Longseller wurde. Anne selbst wurde zur Heldin stilisiert und als Mythos idealisiert (allgemein dazu Barnouw 2015; Graver 1995: 128). Insbesondere junge Menschen seien von dem Werk und dessen Autorin besessen gewesen, so der amerikanische Literaturwissenschaftler Lawrence Graver (1995). In die gleiche Kerbe schlug bereits im Juni 1957 Norbert Muhlen im Anti-Defamation League Bulletin: “Many young Germans identify with Anne Frank, see in her the prototype of all youth-helplessness, imprisoned, at the mercy of elders, defiant of the outside world and terrified within. And the persecution and murder of Jews seems to them to be merely a peculiar external circumstance – secondary to the personal tragedy of the heroine” (zit. nach Plunka 2009: 111).
So wundert es nicht, dass ausgerechnet die Frankfurter Jugend zu der treibenden Kraft der ersten kommemorativen Geste an Anne Frank wurde. Die Gedenktafel
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des Frankfurter Bildhauers und Grafikers Hans-Bernt Gebhardt am Haus in der Ganghoferstraße markiert zwar ihren Wohnort, aber ohne den jüdischen Kontext explizit hervorzuheben: „In diesem Haus lebte Anne Frank, geboren am 12.06.1929 in Frankfurt am Main | Sie starb als Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung 1945 im KZ-Lager Bergen-Belsen * ihr Leben und Sterben – unsere Verpflichtung | Die Frankfurter Jugend“.
Die Plakette wurde bei Fackelschein nach einer Gedenkveranstaltung an der Frankfurter Universität enthüllt. Unter den Magistratsakten findet sich auch die pathetische Rede von Karl Semmelbauer, dem Vorsitzenden des Jugendrings, eines 1920 gegründeten Dachverbandes für Frankfurter Jugendvereine. Semmelbauer erwähnt weder Holocaust noch Nationalsozialismus, stattdessen spricht er lieber „von dunkle[n] drohende[n] Wolken über das vierjährige Mädchen, als das Unrecht das Recht verdrängte – die Lüge trat unter die Menschen […]. Breite Schichten unseres Volkes vermochten nicht zu erkennen, welchen dunklen Gewalten sie sich mit ihrem Idealismus und einer aufrichtigen Begeisterung verschrieben“ (zit. nach Backhaus 2016b: 215f.).
Apologetisch konstatiert Semmelbauer die Verführung der Massen durch eine verbrecherische Clique, die hier zusätzlich als amorphe „dunkle Gewalten“ dehumanisiert wird. Durchaus zeittypisch greift er mit diesen Interpretationsschemata die radikale Form der Exkulpation – das Externalisieren – auf (dazu Assmann 2006: 170–174). Ein weiterer Erinnerungsort an Anne ist eine 2009 errichtete, frei stehende, scheinbar unmittelbar aus dem Boden herausragende, gläserne Gedenkstele des Offenbacher Künstlers Bernd Fischer vor ihrem Geburtshaus: Umrahmt vom Edelstahlprofil zeigen drei mannshohe Sicherheitsglasscheiben (als eine Schutzmaßnahme gegen Vandalismus) auf einer mit keramischen, wetterfesten Farben bedruckten Folie ein Photo von Anne, ihrer Schwester Margot und der Freundin Grace in dezentem Rosé. Als Subscriptio dient eine Zeile aus dem Tagebuchnotat vom 11. April 1944: „Einmal wird dieser schreckliche Krieg doch vorbeigehen, einmal werden wir doch wieder Menschen und nicht nur Juden sein!“ Kontrapunktisch überlagern sich hier unterschiedliche Zeitebenen der Erinnerung: Die spätere Verfolgung, die das Zitat antizipiert, wirft einen dunklen Schatten auf die Frankfurter Kindheitsidylle, deren Momentaufnahme dieses Photo festhält. Die Einweihung der Stele am 12.06.2009, am 80. Geburtstag von Anne, datiert und verortet den Akt der öffentlichen Erinnerung. Die Entscheidung für das per se ephemere Glas und nicht für die ewigkeitsversprechende Bronze begründet Fischer wie folgt: „Nichts
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interagiert so mit Licht wie farbiges Glas“, beim Einfall der Sonnenstrahlen werde das Material Glas, das für ihn wie die „feste Luft“ sei, wieder „lebendig“ und evoziere die pulsierende Geschäftigkeit und Heiterkeit von damals (Fischer zit. nach Bulgrin 2008). Die Angst vor (antisemitisch motiviertem) Vandalismus wurde einige Jahre später zur bitteren Realität: 2012 und 2013 beschädigten unbekannte Täter die Stele in einer „brutalen Art und Weise“ (Dietermann 2013a). An Anne erinnern soll auch die raumfüllende, auf Konfrontation angelegte, übergroße Photo-Tafel – ein monochromes Triptychon aus Grau- und Rotbrauntönen. Der berühmte Schnappschuss, aufgenommen von Otto Frank, einem passionierten Photographen, zeigt Edith, Margot und Anne (die bei der Bildbearbeitung farblich hervorgehoben wurde) im Zentrum der Stadt – an der Frankfurter Hauptwache – zwei Tage vor der Machtergreifung durch den Nationalsozialismus. Mit dem Verweis auf Annes Geburts- und Wohnhaus, auf die Anne-Frank-Schule und Bildungsstätte Anne Frank, also auf biographische und kommemorative Orte, wird hier die memoriale Topographie explizit (Seibert 2014: 195–198). Diese gläserne, dreidimensionale Wand wurde wiederum am 12.06.2009 in der stark frequentierten U-Bahn-Passage am Dornbusch, in unmittelbarer Nähe von Annes Geburtshaus, aufgestellt. Auch sie wird zu einem Reflexionspunkt im wörtlichen und übertragenen Sinne: Der technisch bedingte Glanz der Folie als ästhetisches Moment spiegelt die Passantinnen und Passanten und verschränkt auf diese Weise die Vergangenheit mit der Gegenwart. Vertrackt gestaltete sich vor allem die rituelle Kommemoration an Anne Frank, welche die Dynamiken des Verdrängens, Vergessens und Wiedererinnerns widerspiegelt. Wie die Debatten bzw. Gedenkveranstaltungen mehrmals zeigten, ist das öffentliche Erinnern an Anne kein passiver Reflex, sondern ein produktiver Akt einer neuen Wahrnehmung. „Im Großen und Ganzen“, schreibt der Journalist Hans Riebsamen (2016: 55) resigniert: „hat Frankfurt das weltweit wohl bekannteste weibliche Wesen aus Frankfurt, das Anne zweifellos ist, jahrzehntelang nur am Rande wahrgenommen.“ Als Reaktion auf die bereits erwähnte Theaterpremiere von Das Tagebuch der Anne Frank organisierten der Verband für Freiheit und Menschenwürde und die Union deutscher Widerstandskämpfer zum 28. Geburtstag von Anne eine Gedenkfeier in der Paulskirche, bei der Eugen Kogon der Hauptredner war (Backhaus 2016b: 215). Weitere Gedenkveranstaltungen fanden in den folgenden Jahren in der Aula der Frankfurter Universität statt, zu denen Fritz Bauer und Max Horkheimer eingeladen wurden (Steen 1985: 83). Bereits 1970 flaute das Interesse merklich ab: Zur Gedenkfeier in der Aula mit ihren 500 Sitzplätzen kamen lediglich 70 Teilnehmende, deren Durchschnittsalter auf 60 Jahre geschätzt wurde. Es war vorerst die letzte Veranstaltung dieser Art in Frankfurt.
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Eine Feier zum 50. Jubiläum wurde von offizieller Seite nicht begangen (Steen 1985: 83). Die einzige öffentliche Veranstaltung fand in der Anne-Frank-Realschule statt, zu der auch Otto Frank eingeladen wurde, der aus gesundheitlichen Gründen absagen musste (Kothe 2008: 59f.). „Der Ortsbeirat strebte eine Feierstunde an, wollte sich aber bei der Gestaltung auf die Anne-Frank-Schule verlassen“, erinnert sich der damalige Schulrektor Bernhard Kothe (2008: 62). „Auf dieser Linie lag auch der Magistrat der Stadt. Man zeigte großes Interesse daran, was denn die Schule plante, ließ aber selbst keine Initiative erkennen. Eine vorgesehene Kranzniederlegung in der Ganghoferstraße war ein symbolischer Akt, das war auch alles.“ Subtextuell wird hier die Sinnentleerung des Erinnerungsortes als „Kranzabwurfstelle“ (Leggewie/ Meyer 2005: 10) problematisiert. Kothe wehrte sich rechtzeitig beim Staatlichen Schulamt gegen die politische Instrumentalisierung der internen Schulfeier (Kothe 2008: 62). Eine intime, nachdenkliche Schulveranstaltung an Annes Geburtstag, bei der die Auschwitz-Überlebende Trude Simonsohn (*1921) zum ersten Mal ihr Schweigen brach, wurde zur Zielscheibe der öffentlichen Kritik: „Als sei angestrengte Feierlichkeit der Beweis für eine richtige Pädagogik oder einzig mögliche Form, sich des Vermächtnisses des Tagebuchs würdig zu erweisen. […] Es spricht vieles dafür, dass Eigenständigkeit als pädagogisches Prinzip, offene Lernprozesse und die Diskussion fundamentaler Werte dem Vermächtnis des Tagebuchs näher stehen als bloße Erinnerungsarbeit an Terror und Leiden“ (Steen/von Wolzogen 1990: 156).
Bereits ein Jahr nach ihrer Gründung im Jahre 1960 wurde die Dornbusch-Mittelschule, die sich im Schulbezirk des Geburtshauses von Anne befindet, umbenannt. Bis heute bleibt die Schule ihrer Namenspatronin besonders verbunden, sei es durch Theater- und Schulkunstprojekte sowie Ausstellungen oder durch symbolische Gesten, sei es die Pflanzung einer Anne-Frank-Rose (2005), einer Anne-Frank-Kastanie (2008)1 oder die Aufstellung eines Stammbaums der Familie Frank (2009) (Lieberz-Groß 2010: 14–33). 1980 optierte das Stadtschulamt für die Errichtung „einer Anne-Frank-Gedenkstätte“ im Schulhof, also an jenem Ort, wo „die Kinder spielend entspannen und ihr Pausenbrot essen, […] sich austoben und die älteren ihre Zigaretten rauchen“, so Kothe (2008: 73). Mit der Gedenkstätte werde der Schulhof zum Ort der „Besinnung, der Stille und der feierlichen Kranzniederle-
1 Der etwa zweieinhalb Meter hohe Ableger des Amsterdamer Kastanienbaums, der inzwischen wegen Morschheit gefällt werden musste, wurde im Dezember 2013 „professionell“ abgesägt und gestohlen. Die Polizei, die einen antisemitischen Hintergrund nicht ausschloss, konnte keine Täter ermitteln (dazu Dietermann 2013b).
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gung“. Dagegen legte der Schulrektor sein pädagogisches Veto ein: „Ein Schulhof ist kein Kirchhof und kein Friedhof“ (Kothe 2008: 73). Auch die Aufstellung der Anne-Frank-Büste (1981) wurde zum Politikum. In einer vom Magistrat perfekt choreographierten Großveranstaltung unter freiem Himmel mit über 500 Gästen übergab der Oberbürgermeister Dr. Walter Wallmann der Schule die umstrittene Bronzeplastik des renommierten Künstlers Knud Knudsen, eines Spezialisten für bildhauerische Portraits (Hock 2017). Ein langes, höchst polemisches Flugblatt wurde vor der Feier ausgeteilt, in dem die vermeintlichen Engpässe an der Schule angeprangert wurden: „Es ist ein Hohn, wenn man den Klassen der Anne-Frank-Schule in einer Stunde vor der Enthüllung des Denkmals noch einmal schnell erklärt, wer Anne Frank war, damit es nicht peinlich wird – schließlich ist die Presse zugegen!“ (Kothe 2008: 78). Bereits in der darauffolgenden Nacht wurde die Reliefbüste mit roter Malerfarbe beschmiert. Der beiliegende Zettel imitierte den Duktus des Flugblatts: „Liebe Leute, mit 50.000 hätte man was Besseres anfangen können, z. B. den Geschichtsunterricht könnte man besser machen und man könnte mehr Lehrer einstellen. Aus Protest gegen dieses Prestigeprojekt, das nicht mal gut gelungen ist, besudeln wir dieses! Durch ein Denkmal wird eine Schule nicht besser. Drinnen stinkt der Unterricht nach Mief und Außen ist man repräsentativ“ (zit. nach Kothe 2008: 83).
R. Meyer, der zusammen mit C. Kuhn das Flugblatt verfasste, zwei Mitglieder der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, forderte eine Stellungnahme der Schule. Ein ausführliches und eloquentes Antwortschreiben des Schulleiters wurde im Jüdischen Gemeindeblatt aus Platzgründen stark gekürzt und im Anzeigenteil abgedruckt (Kothe 2008: 82). Zwar verweisen eine Gedenktafel und zwei Gedenkstelen mit ihrem indexikalischen Gestus an Annes Wohnorte, zum wichtigsten Erinnerungsort wurde aber seit 1996 die Jugendbegegnungsstätte Anne Frank, die in den Räumlichkeiten der ersten, 1930 eröffneten Jugendherberge der Stadt ihren Platz fand. Bereits kurz nach dem Zweiten Weltkrieg äußerte Otto Frank, dem alles Museale und Pathetische widerstrebte (Steen/von Wolzogen 1990: 150), den Wunsch nach einer Begegnungsstätte in Annes Namen. Doch erst 1994 wurde als Weiterführung des Schülerprojekts
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„Spurensuche“2 der Verein Jugendbegegnungsstätte Anne Frank e. V. von den Lehrerinnen und Lehrern aus dem Stadtteil gegründet. „Lippenbekenntnisse von Politikern habe es viele gegeben“, resignierte damals Alexander Quirin, der Vorsitzende des Vereins, „der Wille sei nie stark genug gewesen. Mehrmals habe es die Möglichkeit gegeben, das ehemalige Wohnhaus der Franks an der Ganghoferstraße zu erwerben, doch am Ende sei es bei einer Gedenktafel geblieben“ (zit. nach Lohmar 1996: 33). Zum Publikumsmagneten, vor allem für die Schulklassen aus der Region, wurde die interaktive, multimediale Dauerausstellung zum Tagebuch (Krieg 2014: 204–217). 2013 wurde die Jugendbegegnungsstätte in Bildungsstätte umbenannt. Diese Namensänderung signalisiert, dass die Stadtteilinitiative zum Kompetenzzentrum avancierte, dass sie sich neben der Jugendarbeit der pädagogischen Trias widmet: der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, der Menschenrechtsbildung und der Völkerverständigung. Die mittlerweile international agierende Institution, deren Mitarbeiterstab erweitert und der Etat maßgeblich durch das Engagement des Direktors, des Historikers Meron Mendel, auf 1,7 Millionen Euro aufgestockt werden konnte, unterhält außerdem eine Beratungsstelle gegen Diskriminierung, Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus (Riebsamen 2015: 35). Das „schönste Geburtstagsgeschenk, das Frankfurt seiner berühmten Tochter machen könnte“, so Trude Simonsohn (zit. nach Riebsamen 2018: 32), ist das am 12.06.2018 eingeweihte, interaktive Lernlabor „Anne Frank. Morgen Mehr“, konzipiert aus einer jugendlichen Perspektive für Gruppen, die von gleichaltrigen Trainerinnen und Trainer begleitet werden. Bereits im Februar 1957 schrieb ein Theaterkritiker der Frankfurter Rundschau vom Vermächtnis Anne Franks an die Vaterstadt, das es noch zu erfüllen gelte (Steen 1985: 85). Die Erinnerung an das jüdische Mädchen sei als demonstrative, erinnerungspolitische Geste der Stadt zwingend notwendig, ersetze aber nicht die Verpflichtung für jene Ziele, die der Name symbolisiere (Steen 1985: 85). Doch auch dieser Appell stieß auf taube Ohren. Es dauerte wiederum fast sechzig Jahre, bis dieses Vermächtnis eingelöst werden konnte. Als Reverenz an Anne Frank wurde 2015 für das jährliche Stadt-Literaturfestival „Frankfurt liest ein Buch“ die 2
Beim Schülerprojekt „Spurensuche Anne Frank“ sollten jene Orte wieder ins öffentliche Bewusstsein rücken, die Annes Kindheit im Frankfurter Stadtteil prägten. Im Rahmen der Zeitzeugengespräche entstand auch das folgende Interview eines Schülers: „Schüler: Wissen Sie, wo Anne Frank geboren ist? Passant: Die hat doch in Amsterdam gelebt, oder? Schüler: Wissen Sie, warum sie mit vier Jahren hier ausgezogen ist? Passant: Hier ausgezogen, daß weiß ich jetzt nicht. Schüller: Wissen Sie, wo sie hier gelebt hat? Passant: In Frankfurt? Nein“ (zit. nach Köhler 1996: 67).
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dokumentarische Monographie Grüße und Küsse an alle – Die Geschichte der Familie von Anne Frank (2009) der Übersetzerin und Schriftstellerin Mirjam Pressler ausgewählt. Mitorganisiert wurde dieses „Frankfurter Lesefest für die Franks“ von Annes Cousin, dem Theater-, Film- und Fernsehschauspieler und Clown, Bernhard „Buddy“ Elias (1925–2015), dem letzten Mitglied der Frank-Familie. Diese Familienchronik basiert auf etwa 500 Briefen aus dem archivalisch aufbereiteten Konvolut, das auf dem Dachboden seines Baseler Hauses gefunden wurde; ein Schnappschuss des dreijährigen Buddy auf dem Bürgersteig der Frankfurter Innenstadt ziert das Cover des Buches. Mirjam Pressler, die auch die weltweit verbindliche Version des Tagebuchs kompilierte, betont in einem Interview die lange Verwurzelung der Familie in der Stadtgeschichte und plädiert für deren Neupositionierung im Selbstbild der Stadt: „Ich wünsche mir vor allem, dass die Menschen in Frankfurt endlich verstehen, dass Anne Frank zu Frankfurt gehört, ein Kind Frankfurts ist. Ich habe selber lange Zeit Anne Frank mit Amsterdam assoziiert. Sie hat ja bekanntlich das Tagebuch auf Niederländisch verfasst – sie kam mit vier Jahren nach Amsterdam, hat dort auch einen Kindergarten besucht. Ihr Deutsch war nicht besonders gut. Aber dennoch war sie sehr von Frankfurt geprägt – die ganze Familie war durch und durch eine alteingesessene Frankfurter Familie. Ihre Großmutter hat bis zu ihrem Tode Frankfurterisch gesprochen. Diese Geschichte gehört daher nach Frankfurt“ (Pressler zit. nach Frank 2015: 13).
Die medial inszenierte, kollektive Rezeption dieser Familienchronik zeigt, wie Literatur als Teil der übergeordneten Sinnstiftungsprozesse ihre (erinnerungs-)kulturelle Wirksamkeit entfalten kann. Sie trägt nicht nur zu einer Neuperspektivierung extratextueller Wissensordnungen und Werthierarchien bei, sondern beeinflusst auch die Reflexion und Revision von kollektiven Vergangenheitsdeutungen. Ein Jahr zuvor übergab Buddy Elias dem Jüdischen Museum Frankfurt den Nachlass der Familie Frank-Elias als Dauerleihgabe – über 1000 Bücher, Gemälde, Photos, Alltagsgegenstände, Kleidungsstücke, Souvenirs, Porzellan, Silber, Möbel und Spielzeug. Diese Schenkung wurde als eine symbolische Heim- bzw. Rückkehr der Familie Frank interpretiert (Riebsamen 2013: 33). Das Gros des Nachlasses stammt aus dem Haushalt von Alice Frank, geb. Stern (1865–1853), Annes Großmutter väterlicherseits. Die untereinander verwandten Familien Frank, Stern und Cahn gehören zum „jüdischen Urgestein in Frankfurt“ (Riebsamen 2016a: 55). Im Gegensatz zur Amsterdamer Anne Frank Stiftung, die einen universalistischen Einsatz verfolgt, favorisierte der von Otto Frank 1963 ins Leben gerufene Anne Frank Fonds Basel (AFF), dessen Präsident Buddy Elias seit 1996 war, die spezifisch jüdische Lebens- und Leidensgeschichte und die deutsch-jüdische Kontextualisie-
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rung (Gross 2015). Diese Entscheidung ausgerechnet für Frankfurt und nicht für Amsterdam gründete auf den Frankfurter Wurzeln der Familie, die prototypisch für die lange Geschichte deutsch-jüdischen Lebens in Frankfurt am Main steht. Museal präsentiert im Rahmen einer Dauer- und verschiedener Themenausstellungen werden die Exponate im Familie Frank Zentrum der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und leisten damit einen kontinuitätsstiftenden Beitrag zur Sozial- und Mentalitätsgeschichte des deutschen Judentums. Mit einem 2017 erstmals organisierten Anne-Frank-Tag an ihrem Geburtstag will die Stadt Frankfurt nun jedes Jahr an Anne erinnern. Den Impuls gab Meron Mendel, der Direktor der Bildungsstätte Anne Frank. Die Stadt Frankfurt optierte lediglich dafür, Anne posthum die Ehrenbürgerwürde zu verleihen, was abermals ein bezeichnendes Licht auf das Procedere im Magistrat wirft. Um ein möglichst breites Publikum zu erreichen, wurden verschiedene Veranstaltungen und Kunstaktionen geboten: von der Aufführung der Mono-Oper des jüdisch-sowjetischen Komponisten Grigorij Frid, deren Libretto im Wortlaut auf den Tagebuchnotaten basiert (Leingang 2014: 81–85), den Stadtrundgängen auf Annes Spuren, über eine Führung durch die Westend-Synagoge bis hin zu Podiumsdiskussionen, Lesungen, Preisverleihungen, welche die inzwischen entkontextualisierte Erinnerung an den Nationalsozialismus sowie an die Gegenwart und ihre Herausforderungen rückkoppeln (Kößler 2010: 45–52). Durch die Installationen und Streetart wurde die Vergangenheit re-konkretisiert. Drei Dimensionen des Gedenkens kamen dabei zum Tragen: Als performative Form der Wieder-Holung durch die Reaktivierung medial stimulierter und inszenierter Aufmerksamkeit ermöglichte dieser kommemorative Tag Anlässe für Interaktion und Partizipation und sollte kritische Reflexion provozieren. Die Totenmemoria an Anne Frank zeigt, wie die medial initiierten Impulse zunächst die Erinnerungstopographie Frankfurts punktuell veränderten, während die rituellen Kommemorationspraxen erst nach einer sehr langen Latenzzeit von der Peripherie ins Zentrum des urbanen Selbstverständnisses rückten.
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„Gemüsekirche“, Deportationsort, Europäische Zentralbank
Während es sich bei der Bildungsstätte Anne Frank und dem Familie Frank Zentrum um ex post zugewiesene Erinnerungsorte handelt, ist das Mahnmal für die Opfer der Deportation am Areal der Europäischen Zentralbank (EZB) im Osten der
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Stadt ein architektonischer Palimpsest, bei dem das mehrschichtig Authentische im Vordergrund steht. „Ähnlich wie sich in einem Palimpsest“, so Aleida Assmann, „einem wiederverwendeten Pergamentmanuskript, dessen Beschriftung entfernt, überschrieben und nachträglich wiederhergestellt werden kann, historische Schichten erhalten und abzeichnen, halten symbolische Überschreibungen noch etwas von der Grundstruktur des Überschriebenen fest“ (Assmann 2016: 23).
Der monumentale Zweckbau der Großmarkthalle am rechten Mainufer, erbaut von Martin Elsässer, wurde 1928 eingeweiht. Von den Frankfurtern liebevoll „Gemieskerch“, „Gemüsekirche“, genannt, war sie ein Wahrzeichen der Moderne im Stile der Neuen Sachlichkeit, der größte Gebäudekomplex der Stadt sowie der fortschrittlichste Markt Europas (Bachmann 2001). Gerade weil die Großmarkthalle über einen eigenen Bahnhof mit Gleisanschluss verfügte, hatte sie in der Vernichtungsmaschinerie des Nationalsozialismus eine traurige Funktion: Ab Oktober 1941 dienten die Kellerräume als Sammelpunkt zur Deportation von jüdischen Männern, Frauen und Kindern aus dem Rhein-Main-Gebiet (Kingreen 2016: 153–190). Sie wurden in die Ghettos von Lodz, Minsk, Kausnas, Irbiza, in das KZ Majdanek und in das Vernichtungslager Sobibor „evakuiert“ und „zum Arbeitseinsatz nach Osten“ gebracht, wie es im nationalsozialistischen Jargon hieß (Schlosser 2013: 221–255). Für die Deportationen mussten die Opfer zusätzlich 50 Reichsmark als Transportkosten zahlen. Von etwa 10.000 Menschen überlebten nur 179 Personen. In den darüber liegenden Etagen ging der Marktbetrieb wie gewohnt seinen Gang. Wenn eine Deportation abgeschlossen war, wurde aus dem Kerker wieder ein Keller für Obst- und Gemüselagerungen. Erst seit 1997 erinnert eine Bronzetafel daran, flankiert von einem Zitat aus Paul Celans Todesfuge werden neben den vierzehn Daten der Deportationen auch die Orte der Vernichtung aufgelistet. Im Sommer 2004 wurde nach mehr als 75 Jahren in der Frankfurter Großmarkthalle zuletzt gehandelt. Als die Stadt das Grundstück 2005 an die Europäische Zentralbank (EZB) übergab, wurde auch der kulturpolitische Imperativ zur Musealisierung des traumatischen Ortes virulent, denn „[die] Gedenkstätten sind in Deutschland heute materieller Ausdruck einer gesellschaftlichen Selbstbeschreibung. Darin ist – subkutan oder gar tiefer – verinnerlicht, dass man das ‚dunkle Kapitel‘ deutscher Geschichte nicht loswerden kann und also gut daran tut, die Erinnerung an die nationalistischen Verbrechen zu einer gesamtgesellschaftlichen und staatlichen Aufgabe zu machen“ (Haug 2010: 33).
In ihrem Konzept greifen die Architekten Tobias Katz und Marcus Kaiser die bereits erwähnte, stupende Beiläufigkeit und Nebensächlichkeit als urbane Ver-
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haltensformen auf (Katz/Kaiser 2016: 25–40). Wie alle traumatischen Orte ist die Gedenkstätte zwar authentisch, doch kostspielig inszeniert, denn die baukonstruktive Konservierung des Ortes im Interesse der Authentizität bedeutet unweigerlich auch einen Verlust an Authentizität. Die Kellerräume bleiben bewusst Nicht-Orte, Orte des Transits, der Verzweiflung und der Todesangst. Eine betonierte Bodenplatte verbindet die Kellerräume über die Rampe mit den verbliebenen Gleisanlagen. Die Trias „Keller, Rampe und Gleisfeld“ konkretisiert die Infrastruktur und Logistik der Massendeportationen. Ein weiteres wesentliches Element des Konzepts sind die in Beton eingravierten und auf diese Weise monumentalisierten, lakonischen Zitate von Zeitzeugen und Opfern, die palimpsestartig den gesamten Ort überschreiben und auf diese Weise die traumatische Aura der Räume intensivieren.. Eingeweiht wurde die Erinnerungsstätte schließlich erst am 22. November 2015, am Jahrestag der Abfahrt des dritten Transports nach Kaunas in das Fort IX; dort werden 992 Personen aus Frankfurt sofort nach der Ankunft erschossen (Kingreen 2016: 165). Die Gedenkstätte problematisiert implizit auch die Ambivalenz der städtischen Architektur, die einerseits zeitgebunden funktional und anderseits als Deportations- bzw. jetzt Erinnerungsort fungieren kann (Wionski 2016: 93). So ist ein Bereich der Erinnerungsstätte entlang des Bahndamms öffentlich zugänglich, während jener Teil der Erinnerungsstätte, der sich auf dem Gelände der Europäischen Zentralbank befindet, besonderen Sicherheitsvorkehrungen unterliegt und nur im Rahmen von Gruppenführungen des Jüdischen Museums besichtigt werden kann (Scheurich 2010: 38–44).
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Der Börneplatz(-Konflikt) als Paradigmenwechsel
Wie die ehemalige Großmarkthalle so ist auch der Börneplatz ein geschichtsträchtiger Ort. Auf dem längst überlagerten Areal wurde 1462 eines der ersten Ghettos Europas errichtet (Backhaus 2016a: 67f.), das bis zu seiner Auflösung 1796 eines der bedeutendsten kulturellen Zentren des deutschsprachigen Judentums war. Johann Wolfgang von Goethe, dessen Geburtshaus im Großen Hirschgraben sich in unmittelbarer Nähe der sogenannten Judengasse befand, notierte im vierten Buch von Dichtung und Wahrheit Folgendes: „Zu den ahndungsvollen Dingen, die den Knaben und auch wohl den Jüngling bedrängten, gehörte besonders der Zustand der Judenstadt, eigentlich die Judengasse genannt, weil sie kaum aus etwas mehr als einer einzigen Straße besteht, welche in den frühen Zeiten zwischen Stadtmauer und Graben wie in einem Zwinger mochte eingeklemmt worden sein. Die Enge, der Schmutz, das Gewimmel, der Akzent einer
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unerfreulichen Sprache, alles zusammen machte den unangenehmsten Eindruck, wenn man auch nur am Tore vorbeigehend hinübersah. Es dauerte lange bis ich allein mich hineinwagte, und ich kehrte nicht leicht wieder dahin zurück, wenn ich einmal den Zudringlichkeiten so vieler etwas zu schachern unermüdet fordernder oder anbietender Menschen entgangen war“ (Goethe 1998: 159f.).
Auch der dänische Schriftsteller Jens Baggesen schildert in seinem Reiseführer Labyrinten eller Reise gjennem Tydskland til Schweiz (Das Labyrinth oder Reise durch Deutschland in die Schweiz, 1789) die soziale Misere und die vom Magistrat gewollte Beengtheit der Judengasse: „Man stelle sich eine Sammlung von einigen tausend zerlumpten Männern, einigen tausend halbnackten Frauen und einigen tausend vollkommen nackten Kindern zusammengedrängt und zusammengepfercht in einer einzigen Gasse vor! … Welch ein entsetzlicher Haufen Elend! Welch ein Gewimmel von jammervollen Gestalten! Welch ein schwülwarmer Pestdunst von lebendigem, leblosem und totem Unflat …“ (Baggesen 1985: 254).
Auch Victor Hugo (zit. nach Hierholzer 2017: 31) beschrieb noch 1840 „zwei […] Reihen schwarzer, düsterer, hoher, unheimlicher Häuser, […] gleichsam in Angst zueinander gedrängt“. Ende der 1860er Jahre wurden die längst verfallenen Ruinen des mittelalterlichen Ghettos, die inzwischen zum pittoresken Touristenmagneten avanciert waren, im Zeichen der erfolgreichen Akkulturation jüdischen Bürgertums – nach entsprechenden Zahlungen – abgerissen (Heimann-Jelinek 2016: 43) und als Reverenz an den jüdischen Publizisten Ludwig Börne in Börnestraße bzw. Börneplatz umbenannt (Stern/Gierlinger 2003). Während des Novemberpogroms wurde die 1882 aus dem Main-Sandstein erbaute Hauptsynagoge durch das Feuer stark zerstört. Ihre Reste mussten auf Kosten der jüdischen Gemeinde abgetragen werden. Auch der alte jüdische Friedhof sollte der damnatio memoriae zum Opfer fallen und nach dem Erlass des Frankfurter Oberbürgermeisters Friedrich Krebs zur „Schuttabladestelle“ eingeebnet werden (Heimann-Jelinek 2016: 47): „Diejenigen, deren Namen aus den Annalen gestrichen und von den steinernen Monumenten weggemeißelt werden, sollen symbolisch ein zweites Mal sterben“ (Assmann 2016: 49). Zwar konnte diese Direktive nicht realisiert werden, zwei Drittel der Grabstellen wurden dennoch zertrümmert. Nach dem Zweiten Weltkrieg fanden auf dem Areal der inzwischen komplett verschwundenen Judengasse eine Tankstelle und ein Blumengroßmarkt Platz – explizit apolitische Zweckbauten, die sich lediglich durch ihre „Nachkriegs-Häßlichkeit“ (Boehlich 1987) auszeichnen. In den 1960er und 1970er Jahren scheiterten zwei Initiativen zum adäquaten Umgang mit der jüdischen Stadtgeschichte am Desinteresse der Bevölkerung und des
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Magistrats (Heimann-Jelinek 2016: 49). Als in den 1980er Jahren begonnen wurde, einen Gebäudekomplex der Stadtwerke zu errichten, war es abzusehen, dass dabei auch die archäologischen Spuren des früheren Ghettos und der zerstörten Synagoge frei gelegt werden würden. Gegen die Überbauung des Platzes wurde daher schon frühzeitig protestiert, auch seitens der jüdischen Gemeinde, die eine „Denkpause und einen Baustopp“ forderte (Heimann-Jelinek 2016: 50). Das Areal, das früher der jüdischen Gemeinde gehörte, war mittlerweile in Besitz der Stadt Frankfurt übergegangen, die es in einem Akt „eine(r) Arisierung post festem (Hervorhebung im Original)“ (Boehlich 1987) mithilfe der Militärregierung von IRSO (Jewish Restitution Successor Organization) zum Schnäppchenpreis erworben hatte. Bei ihrem Bauboom hätten die Frankfurter „das Pech“, schreibt der Literaturkritiker und Herausgeber Walter Boehlich im Juli 1987, auf etwas zu stoßen, „was ihnen im Wege ist, auf Erinnerungen“ (Boehlich 1987). Der Titel seines polemischen Pamphlets „Das Loch von Frankfurt“ wird zum geflügelten Wort. Tatsächlich kamen 19 Hausfundamente und zwei Mikwen, die rituellen Tauchbäder, der ehemaligen Judengasse ans Tageslicht. „Überraschend war nicht der Fund, sondern die hervorragende Erhaltung. Überraschend war auch nicht die Reaktion der Stadtwerke: Das können wir hier nicht gebrauchen. Die Frage ist aber nicht, ob die Stadtwerke den Fund brauchen können, sondern ob Frankfurt ihn brauchen will“ (Boehlich 1987).
So wundert es nicht, dass die Bauarbeiten und mit ihnen die Entsorgung der Geschichte und Erinnerung unvermindert weitergingen. Im Namen des Dementierens wurde weiter demoliert. Auch die Überreste der zerstörten Synagoge beseitigte man schnell. Um den vollständigen Abriss der Fundamente zu stoppen, besetzten protestierende Bürgerinnen und Bürger am 28. August 1987 den Börneplatz. Mit den Plakaten „Macht Geschichte nicht zunichte“, „Die Vergangenheit bewahren statt mit Baggern drüberfahren“ und „Diskutieren statt betonieren“ forderten die Demonstrantinnen und Demonstranten einen vollständigen Erhalt der Ruinen, während Stadtwerke und Stadtverwaltung mit Vehemenz auf die Realisierung des Bauvorhabens pochten (Heimann-Jelinek 2016: 51). „Es ist vollkommen gleichgültig, wo die Verwaltung der Stadtwerke untergebracht wird“ räsonierte Boehlich, „aber es ist nicht gleichgültig, ob dieser Platz der Erinnerung an die Geschichte Frankfurts und die Geschichte der Juden wird oder nicht“ (Boehlich 1987). In der Tat wurde mit dieser Ausgrabung die neuralgische Frage nach dem Umgang mit den wenigen Relikten jüdischer Erinnerung sogar auf bundesrepublikanischer Ebene virulent. Das zunächst lokale, moralische Skandalon zog bald weitere Kreise. Schließlich wurde zwischen der Stadt Frankfurt und der jüdischen Gemeinde ein Kompromiss ausgehandelt: Fünf der entdeckten
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Hausfundamente und zwei Mikwen wurden abgetragen, konserviert und im Kellergeschoss am originalen Platz wiederaufgebaut. Als materielle Rudimente einer Vergangenheitskulisse bilden sie den Mittelpunkt des 1992 eröffneten Museums Judengasse, einer Dependance des Jüdischen Museums Frankfurt. Die Exponate gerieten nicht unter die Zuständigkeit des Historischen Museums, was „eindeutiger eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung signalisiert hätte“, sondern wurden in „ein jüdisches Eck entsorgt“ (Heimann-Jelinek 2016: 55). „So macht man es eben in Frankfurt: Museen, in denen die Vergangenheit stückweis eingesargt wird, aber bitte keine konkrete Anschauung von Geschichte“, resigniert Boehlich (1987). 1996 wurde am Neuen Börneplatz eine Gedenkstätte für die aus Frankfurt deportierten Jüdinnen und Juden eingeweiht. Gemeinsam mit dem Museum Judengasse und dem angrenzenden alten jüdischen Friedhof bilden diese drei Orte seither ein historisches und erinnerungspolitisches Ensemble. Ende 2004 brachte die Stadt Frankfurt am Main ein für die Bundesrepublik Deutschland einzigartiges Projekt zu einem vorläufigen Abschluss: Mit Hilfe der Datenbank, eines Erinnerungsdepots, können Schulklassen vor Ort individuelle Lebens- und Leidensgeschichten der jüdischen Bevölkerung recherchieren. Auf diese Weise werden abstrakte, archivalische Daten mit unverwechselbaren Individuen mit je besonderer Biographie verknüpft. Zudem wurden in die Umfassungsmauer des Friedhofs kleine Metallblöcke als Kenotaphe eingelassen: eine Art mazevot für die alle Opfer Frankfurter Judenschaft, also für jene, die entweder in Frankfurt geboren oder von hier verschleppt wurden. Als symbolische Grabsteine sind sie mit Geburts- und Todesdaten sowie Deportationsorten beschriftet; die Totensorge besteht bekanntlich aus der Verewigung des Namens. Jeder Block ragt aus der Mauer hervor, damit dort kleine Steine als Zeichen des Gedenkens abgelegt werden können – so will es der jüdische Glaube. Die Tatsache, dass hier jeder Einzelne als Individuum geehrt wird, macht den Namenfries nach Ansicht des jüdischen Historikers und KZ-Überlebenden Arno Lustiger (1924-2012) zur „eindrucksvollste[n] Gedenkstätte Deutschlands“ (Lustiger zit. nach Riebsamen 2006: 45). Auch diesmal kam der Impuls nicht von den städtischen Gremien, die später zwar alle Kosten übernahmen, sondern auf Wunsch der Jüdischen Gemeinde Frankfurt (Backhaus 2016: 222), was – wie bereits mehrfach erwähnt – für den erinnerungskulturellen modus operandi des Frankfurter Magistrats charakteristisch ist.
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5 Fazit Wie in der Bundesrepublik Deutschland generell, so kann man resümieren, wurde auch in Frankfurt die Erinnerung an Verschleppung und Ermordung der jüdischen Bürgerinnen und Bürger in den ersten Jahrzehnten nach dem Krieg ausgeblendet und vergessen. Hauptsächlich von jüdischen Interessenvertretungen initiiert, konnten Frankfurts memoriale Topographie und selbstreflexive Erinnerungsakte erst nach einer langen Latenzzeit und höchst kontrovers geführten Debatten etabliert werden. Gemeinsam führen sie zur revisionistischen Neuvermessung des öffentlichen Erinnerungsraums, denn die NS-Verbrechen unterliegen weder moralischer Verjährung noch historischer Distanzierung. Das (negative) Gedenken ist inzwischen institutionalisiert: Dass der Nationalsozialismus als ein integraler Bestandteil der (Stadt-)Geschichte anerkannt wird, zeigt sich daran, dass Frankfurt mittlerweile über mehr als 100 Gedenkorte und Einrichtungen hat, die sich in ihren Veranstaltungen und Publikationen mit der NS-Zeit auseinandersetzen, nach den Folgen des Holocaust für die Gegenwart fragen und sich so der aktiven Erinnerungsarbeit widmen. Für die Holocaust Education in Frankfurt ist vor allem das Pädagogische Zentrum des Fritz Bauer Instituts (gegr. 1995) und das Jüdische Museum Frankfurt verantwortlich, die zwei Hauptthemenfelder – jüdische Geschichte und Gegenwart sowie Geschichte und Nachgeschichte des Holocaust – verbinden. Institutionen, wie das Museum Judengasse oder die Gedenkstätte Großmarkthalle, sind Gedächtnisorte, die auf materielle Dauer ausgerichtet sind: Stätten werden konserviert, Erinnerung aufgezeichnet und Repräsentationen ausgestellt. Das Gedenken an Anne Frank durchlief alle drei Stadien der rituellen Kommemoration (Winter 2008: 70-72) – Markierung der Geschichtsorte, Etablierung eines Gedenktages durch die feste Verankerung im Kalender und schließlich Bedeutungsverlust bzw. Wiedererinnerung und Transformation zu einem Stadt-Event. Dieser Gedenktag soll wiederum zur Institution der gesamten Stadtgesellschaft werden, die zwar auf Wiederholung ausgerichtet ist, aber ohne in ritualisiertes, routiniertes Gedenken mit pathetischen Politikerreden zu verfallen. Durch diese Gelegenheit der Wir-Inszenierung einer multikulturellen Metropole wird eine Selbstdefinition der Stadt aufs Neue konfiguriert, denn mit der Erinnerung an den Holocaust werden auch aktuelle Formen des Rassismus und der Diskriminierung jeder Art angeprangert.
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Erinnerung an das Weiterleben Ein jüdischen Displaced Persons (DPs) Kinderlager als Schulprojekt Winfried Adam
Zusammenfassung
Erst seit etwa gut zehn Jahren erfährt das Schicksal der knapp 250.000 jüdischen Displaced Persons (DPs), die in den Jahren unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem in Südbayern lebten, größere Aufmerksamkeit in Forschung und Öffentlichkeit. Das Rosenheimer „Transient Children’s Center“ aus den Jahren 1946/47 stand im Mittelpunkt eines Schulprojekts, das in diesem Beitrag näher vorgestellt wird. Genese, Durchführung und Reflexion dieses fächerübergreifenden Projekts regen zu weiteren Überlegungen an: Inwiefern kann die Beschäftigung mit den Lebenswelten jüdischer DPs einen sinnvollen Beitrag zur Holocaust Education leisten? In den komplexen und für die Schülerinnen und Schüler (konkret) erfahrbaren Lebenswegen der ehemaligen DPs wird der Holocaust nicht als abgeschlossene Geschichte begriffen, sondern kann in seinen Folgen bis in die Gegenwart betrachtet werden. Abstract
In the last ten years there has been an increasing interest of the public and the scientific community in the destiny of the 250.000 Jewish Displaced Persons (DPs), who lived predominantly in southern Bavaria in the years following World War II. The “Transient Children’s Center” located in Rosenheim in the years 1946/47 was topic of a school project, which will be outlined in this article. Developement, implementation, and reflection of this interdisciplinary project encourage further considerations: How can teaching the life of Jewish DPs become a meaningful part of the Holocaust education? In becoming fa-
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miliar with the complex journeys of the former DPs the students realize, that the Holocaust cannot be understood as a chapter in history, but its impacts also influence the present.
1 Jüdische DPs in der amerikanischen Besatzungszone – Ein blinder Fleck der deutschen Nachkriegsgeschichte Displaced Persons (DPs) so lautet der Sammelbegriff für die etwa sieben Millionen Kriegsgefangenen, Zwangsarbeiter und Überlebenden des Holocaust, die sich nach Kriegsende in den westlichen Besatzungszonen befanden. In unserem Zusammenhang richtet sich der Blick auf die etwa 250.000 jüdischen DPs, die Überlebende des Holocaust überwiegend aus (Mittel-)Osteuropa waren und sich in den ersten Nachkriegsjahren in der amerikanischen Besatzungszone aufhielten. Die statistischen Daten sind bei diesem Thema recht ungenau und beruhen häufig auf Schätzungen (vgl. dazu Grossmann 2012: 218f.). Viele dieser DPs hatten sich aufgrund erneuter Verfolgung und Diskriminierung in ihrer Herkunftsregionen in die amerikanische Zone geflüchtet und bereiteten sich dort auf ihre Auswanderung nach Palästina vor. Nach einem Bericht des amerikanischen Sondergesandten Harrison über die dramatische Lage der jüdischen DPs vom August 1945 verbesserte sich der politische wie materielle Status der jüdischen Überlebenden in der US-Zone: Es wurden eigene Lager für jüdische DPs mit weitgehender Selbstverwaltung und verbesserter Versorgung eingerichtet, auch die angestrebte Auswanderung nach Palästina wurde von amerikanischer Seite aus grundsätzlich befürwortet, im Gegensatz zu den Vorstellungen der britischen Besatzungsmacht, die eine jüdische Einwanderung in ihr Mandatsgebiet zu verhindern suchte (Grossmann/Lewinsky 2012: 74ff.). Hilfsorganisationen wie die UNRRA, die 1947 durch die Nachfolgeorganisation IRO, dem internationalen Flüchtlingshilfswerk der UNO abgelöst wurde, und der „Joint“, eine seit 1914 in Europa tätige Hilfsorganisation amerikanischer Jüdinnen und Juden, stellten die Unterstützung der jüdischen DPs und ihrer Einrichtungen sicher. Mit Krankenhäusern, Schulen, beruflichen Ausbildungseinrichtungen, gar einer kurzzeitigen Universität (Bschorr 2008; Grossmann/Lewinsky 2012: 99) und religiösen, kulturellen sowie sportlichen Aktivitäten entstand in den DPCamps innerhalb kurzer Zeit ein intensives jüdisches Leben, das sich aufgrund der überwiegend osteuropäischen Herkunft der Überlebenden größtenteils auf Jiddisch, aber auch zunehmend auf Hebräisch, abspielte. Diese „bemerkenswerte Übergangsgesellschaft“ (Grossmann/Lewinsky 2012: 67) im Land der Täterinnen
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und Täter löste sich in den Jahren bis 1949 schrittweise auf, als die Mehrzahl der jüdischen DPs in den neugegründeten Staat Israel oder in die Vereinigten Staaten ausgewandert waren. Das Verhältnis von DPs und deutscher Bevölkerung gestaltete sich nicht unproblematisch: Wohnungsnot, Schwarzmarkt, Beschlagnahmungen durch die amerikanische Besatzungsmacht dienten der einheimischen Bevölkerung quasi als Bestätigung ihrer weiter bestehenden antisemitischen Haltungen; besonders der Zustrom osteuropäischer Jüdinnen und Juden rief an vielen Orten mehr oder weniger offen geäußerte Ablehnung hervor (Grossmann 2012: 268f.). Augenfällig wurden diese Spannungen im August 1949 in München, als zahlreiche DPs gegen antisemitische Leserbriefe in der Süddeutschen Zeitung demonstrierten, die Münchner Polizei gewaltsam gegen die Proteste vorging und es erst der amerikanischen Militärpolizei gelang, die Lage zu beruhigen (Grossmann 2012: 414). Die Zeit der jüdischen DPs mache „einen seltsam unsichtbaren Teil der deutschen Geschichte“ aus, resümiert die amerikanische Historikerin Atina Grossmann (2012: 428) in ihrem Standardwerk über die Thematik. Während der Holocaust und seine Vorgeschichte spätestens seit den 1970er Jahren breiten Raum im öffentlichen wie wissenschaftlichen Diskurs einnehmen, begannen erst vor gut zwanzig Jahren Historikerinnen und Historiker, sich verstärkt mit dem Schicksal der jüdischen DPs im Nachkriegsdeutschland zu beschäftigen. Die deutsche Gedächtnis- und Erinnerungskultur nimmt sich erst in jüngster Zeit Aspekten jüdischen Lebens nach 1945 an. So existiert beispielsweise seit 2012 ein Verein, der aus dem historischen Badehaus des größten und am längsten bestehenden (bis 1957) DP-Camps Föhrenwald in der Nähe von Wolfratshausen eine Dokumentations- und Begegnungsstätte schaffen möchte, die 2020 eröffnet werden soll (www.badehauswaldram. de [25.06.2018]). Zu verschiedenen DP-Camps liegen mittlerweile immerhin eine Reihe von Einzelstudien vor (Übersicht unter www.after-the-shoa.org [25.06.2018]). Dagegen existieren so gut wie keine didaktischen Annäherungen an das Thema. Eine kürzlich erschienene Abhandlung mit dem etwas plakativen Titel „Als die Juden nach Deutschland flohen“ (Föhrding/Verfürth: 2017) versucht, die Geschichte und das Schicksal der jüdischen DPs nun einer breiteren Öffentlichkeit näherzubringen. Diese stark verzögerte oder weitgehende Nichtrezeption des DP-Themas bildete schließlich auch den Ausgangspunkt der Überlegungen, ein entsprechendes Schulprojekt zu konzipieren.
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Genese und Durchführung eines Schulprojekts zum DP-Camp Rosenheim
Auch die oberbayerische Stadt Rosenheim beherbergte in den Nachkriegsjahren Einrichtungen für jüdische DPs: Zunächst das „Transient Children’s Center“ als Erstaufnahmestelle für unbegleitete jüdische Minderjährige von September 1946 bis April 1947, die von dort häufig später in andere Camps überstellt wurden. In der Folgezeit bis zum Mai 1949 existierte auf demselben Gelände als allgemeines DP-Lager das „Camp Kadimah“ (hebr. „vorwärts“), das sich vor allem der beruflichen Bildung der jungen Erwachsenen verschrieben hatte. Obgleich bereits seit 2006 eine erste Arbeit zur Geschichte des Camps vorliegt (Tobias/Schlichting 2006), ist das Thema Displaced Persons in der Rosenheimer Stadtgeschichte und Öffentlichkeit kaum präsent. Daher entschloss sich ein Team engagierter Geschichtslehrerinnen und Geschichtslehrer am Karolinen-Gymnasium im Rahmen einer Themenwoche zur jüdischen Geschichte nach 1945 der Erinnerung an das DP-Camp eine entsprechende Resonanz zu verschaffen. Dieses Vorhaben wurde durch den Umstand erleichtert, dass ein Kontakt mit einem Vertreter der zweiten Generation der Holocaust-Überlebenden zustande kam, dessen Familie im Rosenheimer DP-Camp gelebt hatte. Prof. Dr. Gideon Reuveni, selbst Historiker und Direktor des Instituts für deutsch-jüdischen Studien an der Universität von Sussex in Großbritannien, erklärte sich bereit, nach Rosenheim zu kommen und das Vorhaben zu unterstützen. Das Ziel der Themenwoche war es, möglichst viele Schülerinnen und Schüler miteinzubeziehen und verschiedene Aspekte jüdischen Lebens nach 1945 aufzugreifen. Im Mittelpunkt stand dabei die Konzeption einer Plakatausstellung durch Schülerinnen und Schüler der 9. Jahrgangsstufe, die den Titel „Hoffnung und Neubeginn – Das jüdische DP-Lager in Rosenheim“ tragen sollte. Die umfangreichen Vorarbeiten für diese Themenwoche nahmen etwa ein halbes Jahr in Anspruch, die von der Sichtung und Aufbereitung der Quellen über den Kontakt zu Referierenden und der konkreten Programmplanung reichten. Die Ausstellung selbst wurde von den Schülerinnen und Schülern innerhalb von zwei Wochen als fachübergreifendes Projekt (in Geschichte, Englisch und Deutsch) erstellt. Insgesamt erforderte die Recherche und Ausstellungskonzeption ein sehr kleinschrittiges und lehrergelenktes Vorgehen, um die Schülerinnen und Schüler mit der für sie völlig neuen Materie vertraut zu machen bzw., um die häufig auf Englisch, Jiddisch oder Polnisch vorliegenden Quellen auswerten zu können. Auf diese Weise entstand eine Ausstellung, die neben allgemeinen Informationen zur Situation der DPs insbesondere die Lebenssituation der in Rosenheim untergebrachten jüdischen Kinder und Jugendlichen thematisierte und anhand zweier Beispiele
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die individuellen Lebenswege von jugendlichen Überlebenden nachzeichnete, die im Rosenheimer Camp Aufnahme gefunden hatten. Die Projektwoche im April 2016 beinhaltete sehr unterschiedliche Annäherungen an das Thema: Für die 9. Klassen wurde ein Workshop mit Quellenarbeit zum Thema Holocaustüberlebende organisiert, das ehemalige Gelände des DP-Camps, das heute eine Kaserne der Bundespolizei beherbergt, wurde besucht und für die Schülerinnen und Schüler der Oberstufe gab es passend zu einem Schwerpunktthema des Geschichtsunterrichts ein Expertengespräch zur Geschichte Israels mit Prof. Reuveni. Einen literarischen Abschluss fand die Themenwoche mit einer Lesung der Autorin Lena Gorelik (2011), die sich mit dem jüdischen Leben im gegenwärtigen Deutschland beschäftigt und mit Übertreibungen und Ironie Vorurteile und Stereotype über Jüdinnen und Juden zu entlarven versucht. Den Höhepunkt der Themenwoche markierte sicher eine Abendveranstaltung für die Öffentlichkeit, in der die Schülerinnen und Schüler ihre Ausstellung zum DP-Camp in Kurzpräsentationen vorgestellt haben. In einen größeren historischen Kontext ordnete Dr. Siegel vom Institut der Geschichte der deutschen Juden in Hamburg das Projekt der Schülerinnen und Schüler ein, indem er unter der Frage „gehen oder bleiben“ die Situation jüdischer Überlebender in Europa zur „Stunde Null“ darstellte. Wie tiefgehend jedoch das „Displacement“ der Holocaust-Überlebenden war, zeigte Prof. Reuvenis bewegender Vortrag über das Schicksal seiner Familie. Sein Vater kam aus dem polnischen Wroclaw in das Rosenheimer Camp und traf dort wieder auf seine Mutter, von der er während des Krieges getrennt wurde. 1947 emigrierte sein Vater nach Palästina und gründete einen Kibbuz in Jerusalem. Doch stelle sich die Frage, ob das Ankommen dort tatsächlich eine Rückkehr in die Heimat gewesen ist. Prof. Reuveni erinnerte sich an seine Kindheit: In Jerusalem geboren, wurde er mit mitteleuropäischer Küche und Geschichten über Skifahren und Europas Wälder und Seen groß. Eine Art „Grund-Displacement“ habe seinen Vater weiter begleitet und auch für die nachfolgende(n) Generation(en) sei die grundsätzliche Frage nach Zugehörigkeit weiter bestehen geblieben. Eine kurze Evaluation des Projekts unter den 14/15-jährigen Schülerinnen und Schülern, die die Ausstellung konzipiert hatten, brachte durchweg positive Ergebnisse: So stellten sich für sie die persönlichen Geschichten und individuellen Schicksale sowie der lokale Bezug am interessantesten dar. Die öffentliche Anerkennung bei der Präsentation und das zunehmende Vertrauen bzw. die Kompetenz, sich in eine schwierige Materie einzuarbeiten können, prägten rückblickend die Wahrnehmung des Projekts. Die eigene Auseinandersetzung mit einem für sie unbekannten Thema und das gemeinschaftliche Arbeiten machten laut der Schülerinnen und Schüler den besonderen Charakter dieser Unternehmung aus.
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Didaktische Überlegungen
Jüdisches Leben nach 1945 bzw. das Thema der jüdischen DPs spielt im (Geschichts-)Unterricht faktisch keine Rolle, eine Untersuchung über die Behandlung deutsch-jüdischer Themen in den Schulbüchern verschiedener Bundesländer zeigt, dass sich lediglich 2,8 % dieser Inhalte dem jüdischen Leben nach 1945 widmen, während – wenig überraschend – zwei Drittel der Inhalte sich mit der Diskriminierung und Verfolgung in der NS-Zeit beschäftigen (Liepach/Geiger 2014: 17). Selbst in der Handreichung des Leo Baeck Instituts zur deutsch-jüdischen Geschichte im Unterricht findet sich nur ein Halbsatz zur DP-Thematik (Leo Baeck Institut 2011: XXV). Dieser Umstand verweist auf eine grundsätzliche Problematik bei der Vermittlung jüdischer Geschichte, die in den meisten Fällen von einem chronologischen Narrativ der Verfolgung und Ausgrenzung der jüdischen Bevölkerung in Mitteleuropa dominiert wird (Liepach/Geiger 2014: 176f.), das schließlich im Holocaust kulminiert. Das Thema jüdische DPs besitzt dagegen das Potential, diese ausschließliche Opferperspektive aufzubrechen und den immensen Überlebensund Aufbauwillen, der gerade bei den jungen Bewohnerinnen und Bewohnern der DP-Camps und ihren Bildungsanstrengungen ersichtlich wird, zu thematisieren. Einen interessanten Aspekt stellt in diesem Zusammenhang der starke Babyboom dar, der bei den Bewohnerinnen der DP-Camps registriert wurde (Grossmann 2012: 302ff.). Weiter wäre an dieser Stelle auch die politische Aufbruchsstimmung im Hinblick auf die Staatsgründung Israels in den Blick zu nehmen: „Nirgends auf der Welt fand ich ein solch zionistisches Publikum wie in München und seiner Umgebung, und ich begriff, daß dies einen gewaltigen Faktor bei unserem Kampf ausmachen könne“ (zit. nach Zertal 1997: 146). Diese Einschätzung vertrat der erste Ministerpräsident von Israel, David Ben-Gurion, nachdem er im Herbst 1945 einige DP-Lager in Bayern besucht hatte. „Hoffnung und Neubeginn“, so lautet der Titel unserer Ausstellung und dies bezieht sich – nicht nur im Fall Rosenheim – sehr stark auf die neuen Lebenschancen, die die DP-Camps insbesondere einer großen Zahl von Kindern und jugendlichen Überlebenden des Holocaust ermöglichten. Mit der Betrachtung von Lebenswelten und Einzelschicksalen dieser Kinder und Jugendlichen ergibt sich ein Anknüpfungspunkt, der bei den am Projekt beteiligten Schülerinnen und Schülern erheblich zu gesteigertem Interesse und Motivation beigetragen hat. So empfanden es unsere Schülerinnen und Schüler als besonders aufschlussreich, unter welch schwierigen Umständen im Rosenheimer Camp Kindergarten, Schule und Berufsausbildung für die Überlebenden organisiert wurde. Nicht zuletzt ermöglicht das Thema DPs eine exemplarische Verknüpfung lokaler und regionaler Geschichte mit globaler (Migrations-)Geschichte, insofern kann
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diese Thematik auch im Sinne des Tagungstitels „Nähe und Distanz“ verstanden werden. Indem die vielfach vergessene oder verdrängte Geschichte der vielen DPEinrichtungen in der ehemaligen amerikanischen Besatzungszone aufgearbeitet oder zumindest neu erzählt wird, geraten die bewegenden Migrationsgeschichten ihrer ehemaligen Bewohnerinnen und Bewohner in den Blick: Menschen, die in der Sowjetunion bzw. in Mittelosteuropa unter schwierigsten Bedingungen den Holocaust überlebt hatten, die dann in den bayerischen Camps innerhalb kürzester Zeit ins Leben zurück zu finden versuchten, und die schließlich in den meisten Fällen eine beschwerliche Weitermigration nach Palästina oder Israel zu bewältigen hatten. Exemplarisch sei hier auf die Odyssee des Flüchtlingsschiffes Exodus im Jahr 1947 verwiesen, das Holocaust-Überlebende nach Palästina bringen sollte, oder auf den Weg von tausenden DPs über die Kimmler Tauern aus der amerikanischen Zone Österreichs nach Italien im Sommer 1947 (https://www. alpinepeacecrossing.org/historisches/ [25.06.2018]). Die Beschäftigung mit den jüdischen DPs im Nachkriegsdeutschland könnte damit eine Möglichkeit sein, den Holocaust und seine Nachgeschichte anhand lokaler Geschichte authentisch und differenziert zu vermitteln. Noch etwas kommt hinzu: Gemäß des Aktualitätsprinzips versuchen einige neuere Publikationen von der DP-Thematik Linien zur Flüchtlingsbewegung von 2015/16 (z. B. Pletzing/Velke 2016: 8f.; Föhrding/ Verfürth 2017: 313f.) zu ziehen. Nun erweisen sich solche historischen Analogien häufig als problematisch, im Fall des Rosenheimer Lagers bleibt zumindest eine erstaunliche Koinzidenz festzuhalten: Nach der Schließung des Camps wurden die Gebäude seit 1954 als Bundespolizeikaserne genutzt, die wiederum bei der Registrierung und Erstversorgung der Flüchtlinge in den vergangenen Jahren von entscheidender Bedeutung war.
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Weiterführende Überlegungen und Perspektiven
Das vorgestellte Projekt hat im schulischen und lokalen Rahmen einige Weiterführungen erfahren: In Zusammenarbeit mit den Nachkommen der Bewohnerinnen und Bewohner des Rosenheimer DP-Camps wurde auf dem Gelände der Bundespolizei eine Gedenktafel angebracht, die im Beisein einer israelischen Delegation im Juni 2017 enthüllt wurde. Für die Schülerinnen und Schüler der Oberstufe bietet eine Kollegin ein wissenschaftspropädeutisches W-Seminar an, das das Thema DPs unter historischen, literarischen und kulturellen Aspekten betrachtet. Wichtiger erscheinen an dieser Stelle aber eine Reihe von grundsätzlichen Überlegungen: Wie aus der konkreten Projektarbeit bereits ersichtlich wurde, legt die Beschäftigung
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mit jüdischen DPs im Unterricht ein fachübergreifendes Vorgehen nahe. Neben der historischen Perspektive bietet die sprachliche Seite des Themas interessante Aspekte. Außer polnischen und englischen Quellen kann hier die Rolle des Jiddischen als Kommunikationssprache in den DP-Camps thematisiert werden. Gerade über Zeitungen, Theatergruppen und Kulturveranstaltungen ergab sich in den Lagern für kurze Zeit ein letzter Nachklang der vernichteten ostjüdischen Welt der Shtetl (Förding/Verfürth 2017: 149). Ein weiterer, gut nutzbarer Zugang sind die mittlerweile zahlreichen literarischen Texte, darunter viele im Bereich der Kinder- und Jugendliteratur (z. B. Erben 2017; Lewin 2014; Pressler 2011), die sich mit den Schicksalen von jüdischen DPs wie ihrer Nachkommen befassen. Darüber hinaus finden sich entsprechende filmische Auseinandersetzungen: Beispielsweise thematisiert der Film Let’s go von Michael Verhoeven (2014), der sich an der Autobiographie von Laura Waco Von Zuhause wird nichts erzählt (1996) orientiert, die schwierige Identitätsfindung der Nachkommen von Holocaust-Überlebenden zwischen Deutschland und den USA. Die Romane Die Teilacher (2011) und Machloikes (2013) des Autors Michel Bergmann bilden die Grundlage des Films Es war einmal in Deutschland … von Sam Garbarski aus dem Jahr 2017, der das Leben jüdischer DPs in Frankfurt zum Thema hat. Dieser literarisch-ästhetischen Annäherung an das Thema wird grundsätzlich eine große Bedeutung in der Erinnerungskultur zugeschrieben (Kammler 2008: 49f.). Der Umgang mit den jüdischen DPs, das (Nicht-)Verhältnis zur einheimischen Bevölkerung, die Frage nach der Bewältigung der erlittenen Verfolgungserfahrungen lenken den Blick auf drängende ethische Fragen, die ebenfalls eine Behandlung im Unterricht nahelegen. Weiter würde es sich anbieten, das Thema zu jüdischen DPs im Nachkriegsdeutschland als Querschnitts- oder Ankerthema für viele Fächer zu profilieren, anhand dessen Fragen von Migration und Integration, Identität und Zugehörigkeit diskutiert und reflektiert werden können. Die Planungen zum neuen Lehrplan an bayerischen Gymnasien gehen zumindest teilweise in die Richtung, stärker mit fachübergreifenden Verknüpfungen und Projekten zu arbeiten. Letztlich wäre die Beschäftigung mit den jüdischen DPs und ihrer Lebensumstände auch eine Chance, einen ritualisierten Erinnerungsdiskurs und eingefahrene Vermittlungsverfahren zum Holocaust, die häufig beklagt werden (Birkmeyer 2008: 69), ein Stück weit aufzubrechen, indem man lokalen und transnationalen sowie subjektiv-identitätsbildenden Sichtweisen bei diesem Thema eine stärkere Gewichtung verschafft.
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Literatur Bergmann, Michel (2011): Die Teilacher, München: dtv. Bergmann, Michel (2013): Machloikes, München: dtv. Birkmeyer, Jens (2008): Erinnerung als didaktische Kategorie. Ethische Zugänge zum Literaturunterricht. In: Birkmeyer, Jens (Hrsg.): Holocaust-Literatur im Deutschunterricht. Perspektiven schulischer Erinnerungsarbeit, Baltmannsweiler: Schneider, S. 61–78. Bschorr, Nina (2008): „Wir wollten alle so gerne lernen …“ Die UNRRA-Universität im DP-Camp Deutsches Museum in München. In: Jahrbuch für Antisemitismusforschung 17, S. 269–293. Erben, Eva (2017): Mich hat man vergessen. Erinnerungen eines jüdischen Mädchens, Weinheim: Beltz & Gelberg. Föhrding, Hans-Peter/Verfürth, Heinz (2017): Als die Juden nach Deutschland flohen. Ein vergessenes Kapitel der Nachkriegsgeschichte, Köln: Kiepenheuer & Witsch. Gorelik, Lena (2011): Lieber Mischa…der Du fast Schlomo Adolf Grinblum geheißen hättest, es tut mir so leid, dass ich Dir das nicht ersparen konnte: Du bist ein Jude, München: Graf. Grossmann, Atina/Lewinsky Tamar (2012): 1945–1949 Zwischenstation. In: Brenner, Michael (Hrsg.): Geschichte der Juden in Deutschland – von 1945 bis zur Gegenwart, München: Beck, S. 67–152. Grossmann, Atina (2012): Juden, Deutsche, Alliierte. Begegnungen im besetzten Deutschland, Göttingen: Wallstein. Kammler, Clemens (2008): Literarisches Lernen in der Erinnerungskultur. Anmerkungen zu einer Aufgabe des Deutschunterrichts. In: Brinkmeyer, Jens (Hrsg.): Holocaust-Literatur und Deutschunterricht. Perspektiven schulischer Erinnerungsarbeit, Baltmannsweiler: Schneider, S. 47–60. Leo Baeck Institut (Hrsg.) (2011): Deutsch-jüdische Geschichte im Unterricht. Eine Orientierungshilfe für Schule und Erwachsenenbildung, 2. erweiterte und aktualisierte Fassung, Frankfurt a. M.: VAS – Verlag. Lewin, Waldtraut (2014): Nenn mich nicht bei meinem Namen. Ein Mädchen an Bord der Exodus, München: cbj. Liepach, Martin/Geiger, Wolfgang (2014): Fragen an die jüdische Geschichte. Darstellungen und didaktische Herausforderungen, Bonn: bpb. Pletzing, Christian/Velke, Marcus (2016): Statt eines Vorwortes: Lernen aus der Geschichte? Zur Relevanz der Displaced Persons-Forschung. In: Pletzing, Christian/Velke, Marcus (Hrsg.): Lager – Repatriierung – Integration. Beiträge zur Displaced Persons-Forschung, München u. a.: Kubon und Sagner, S. 7–15. Pressler, Mirjam (2011): Ein Buch für Hanna, Weinheim: Beltz & Gelberg. Tobias, Jim G./Schlichting, Nicola (2006): Heimat auf Zeit. Jüdische Kinder in Rosenheim 1946–47, Nürnberg: Antago. Waco, Laura (1996): Von Zuhause wird nichts erzählt. Eine jüdische Geschichte aus Deutschland. München: Kirchheim. Zertal, Idith (1997): Schicksalhafte Begegnung: Israel und die Holocaust-Überlebenden. In: Giere, Jacqueline (Hrsg.): Überlebt und unterwegs. Jüdische Displaced Persons im Nachkriegsdeutschland, Frankfurt a. M.: Campus, S. 145–172.
Trace and Aura at Sites of Former Nazi Concentration Camps Gary Bruce
Abstract
Tourism at sites related to the Holocaust and the Nazi past typically encounters the twin, interrelated challenges of trace and aura. On the one hand, tourists are drawn to ruins, remnants, and other traces of the horrific past because they expect that such physicality from a bygone era will offer them an immersive experience superior to other sites, such as museums. Yet such expectations are frequently dashed when the tourist finds that the historic sites offer reconstructions instead of authenticity, layers of memory that are difficult to decipher, and the distractions of other tourists. Based on my experience over the past seven years of leading Canadian university students to Nazi sites in and around Berlin on annual study trips, this paper offers insights into the effect of trace and aura on visitors to two Nazi-era sites near Berlin: the former concentration camps of Sachsenhausen and Ravensbrück. It argues that the “aural misunderstanding” is less notable at Ravensbrück due to the presence of untouched ruins and the geographical distance from a major center. The paper furthermore explores the significance of aura and trace in the context of visitors who typically have no direct cultural reference points to the sites of atrocity. Here I argue that the aura of these sites, which some scholars have suggested creates a hindrance to education, can, with careful management, be used as an effective tool to both create an interest in learning about the Nazi past, and to increase specific knowledge about the sites in question.
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Gloe und A. Ballis (Hrsg.), Holocaust Education Revisited, Holocaust Education – Historisches Lernen – Menschenrechtsbildung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24207-7_12
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Zusammenfassung
Holocaust-Tourismus muss sich in der Regel mit den Herausforderungen von Spuren und Aura beschäftigen. Auf der einen Seite besitzen Ruinen und andere Spuren dieser schrecklichen Vergangenheit für Touristinnen und Touristen eine enorme Anziehungskraft. Sie erwarten dort aufgrund des authentischen Ortes ein intensiveres Erlebnis als z. B. in einem Museum. Ihre Erwartungen werden aber sehr oft enttäuscht. Statt authentischer Baracken aus der NS-Zeit finden sie Rekonstruktionen und eine vielschichtige Erinnerungslandschaft vor, die nicht einfach zu verstehen sind. Die vielen anderen Touristinnen und Touristen lenken ebenfalls von einem authentischen Moment ab. Im vorliegenden Beitrag beschäftige ich mich mit Aura und Spuren in den Gedenkstätten Ravensbrück und Sachsenhausen. Der Schwerpunkt liegt auf Erfahrungen mit kanadischen Studierenden auf Studienreise im Laufe der letzten sieben Jahre. Aus dieser Erfahrung stellte ich fest, dass die Wahrscheinlichkeit eines „auralen Missverständisses“ in Ravensbrück geringer ist als in Sachsenhausen, aufgrund der authentischen Ruinen und der Entfernung von Berlin. Darüber hinaus untersuche ich die Rezeption von Aura und Spuren durch Besucherinnen und Besucher, die zum größten Teil keine kulturelle Kenntnis der Gedenkstätten haben. Im Gegensatz zu den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die in der Aura der Gedenkstätten eine Hürde für das Verständnis sehen, vertrete ich die Meinung, dass die Aura der Gedenkstätten ein Plus für die Pädagogik sein kann. Sie ist vor allem Ausgangspunkt, um Grundwissen, nicht über den Holocaust, sondern von den Konzentrationslagern Ravensbrück und Sachsenhausen zu vermitteln.
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Why do we choose to remember?
In 2008, Tony Judt, the late notable historian of Europe at New York University, wrote in the New York Review of Books: “Maybe all our museums and memorials and obligatory school trips today are not a sign that we are ready to remember but an indication that we feel we have done our penance and can now begin to let go and forget, leaving the stones to remember for us” (Judt 2008). Judt’s observation is a powerful one, that instead of being inspired to further historical vigilance by sites of memory, we seem to have sub-contracted our duty to remember to the site itself, and if the site is one of atrocity with authentic ruins, all the better; its semblance of
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permanence and its possession of unique artifacts suggests to us that there is little danger of the site and its message fading, when our individual memories inevitably do. Given that the Sachsenhausen memorial site at the former Nazi concentration camp on the outskirts of Berlin receives nearly 700,000 visitors annually, I might amend Judt’s line to read that we leave both the stones – and other tourists – to remember for us. Judt’s words seem even more poignant a decade later, when the business of memory booms while we can barely see historic events through the fog of time which grows thicker with each passing generation. Organized, institutionalized memory, delivered up in convenient bite-sizes for the tastes of the modern consumer abound, yet the sobering reality of the late 20th and early 21st century is that memory of past atrocities is no guarantee of better behavior in the present. As David Rieff, the brilliant son of the even more brilliant Susan Sonntag recently wrote in his devastating book In Praise of Forgetting: “Never Again” is a “magical thinking, and of a fairly extreme kind” (Rieff 2016: 83). As we know, Auschwitz did not prevent Cambodia, Rwanda, Darfur or, on the same continent, Bosnia (although one might argue that the fact of Auschwitz hastened German involvement in the Bosnian war). Theodor Adorno, not quite as skeptical about the overall value of remembering, still nevertheless recognized the danger of ritualized, rote remembrance, writing that “organized fame and remembrance lead ineluctably to nothingness” (Rieff 2016: 21). As we establish memorial sites and monuments, each new one seemingly having to convey a more profound message than the last, they tend to become less extraordinary, simply part of the landscape, as if they were always there. Robert Musil has put it in a way that depresses while it illuminates: “There is nothing in this world as invisible as a monument” (Musil 1987: 61). To cavalierly disregard these criticisms with easy rejoinders from George Santayana about the unpleasant, recurring fate that awaits those who forget, would be a mistake. The subsequent history of human violence since the atrocious wars of the 19th and 20th centuries reveals the essential fragility of historic sites and their messages. In the USA, the ubiquitous civil war memorials have not ended racial tensions about the nature of that war, while outside of Europe and the West, the Holocaust has already lost much of its resonance (Rieff 2016: 61).
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Does a historic site have intrinsic value?
The underlying assumption about visiting a historic site, in the cases at hand in this chapter, former Nazi concentration camps, is that there is some valuable lesson to
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be learned, typically an admonition for the present. For educators involved in these sites, such messages often revolve around promotion of tolerance, the treatment of minorities, the dangers of discrimination, and responsibility for one’s actions (Haug 2015: 51; Heyl 1997: 213). Real people, making real decisions, led to Sachsenhausen, Ravensbrück, Dachau and the thousands of lesser-known concentration camps which so characterized National Socialist rule. Indeed, it almost seems that all educational programming about the “Third Reich” is just a variation on Yehuda Bauer’s memorable lessons of the Holocaust: “Do not be a perpetrator, do not be a victim, and above all, do not be a bystander” (Bauer 1998). The ultimate goal, then, of Holocaust education is ambitious and lofty: to learn from these events and make moral decisions in our own lives, perhaps even inspire visitors to a life fighting injustice. This is of course a very high bar for success. The journalist Sam Schulman, if not making a mockery of such efforts to use the Nazi era to educate citizens, does help keep educators’ intentions in check with his cutting observation: “Give me a child, the Holocaust education movement said to the world, and after passing through my exhibits and taking one of my courses, I will give you back a woman like Samantha Power or a man like Warren Christopher or even Kofi Annan – a warrior against genocide, or at least a person immunized forever against racism” (Schulman 2011).
There can also be a temptation to go a step further and find a positive message within the darkness of the “Third Reich”. This desire is certainly understandable. Stories of resilience allow us to believe that there is hope for humanity, that all was not lost in those fateful years between 1933 and 1945. Popular culture plays an important role here in presenting the image of the noble resistor, even if the real-life individuals are more complex and less heroic than Hollywood portrays. Movies such as Stephen Spielberg’s Schindler’s List about Oskar Schindler’s efforts to save Jews at his enamelware factory in occupied Poland, or Elser about Hitler’s would-be assassin who planted a bomb in Munich’s Bürgerbräukeller on 8 November 1939, or Valkyrie about the ill-fated Stauffenberg assassination attempt of 20 July 1944 contribute to the notion that there were bright moments in the darkness. For the post-war period, the 2006 movie The Lives of Others chronicled the fictional life of Gerd Wiesler, a captain with East Germany’s notorious secret police (Stasi) who is moved by the music and poetry of his surveillance subject that he encounters from his listening post in the attic (Bruce 2010: 5). In a character reversal reminiscent of A Tale of Two Cities, he comes to side with his subjects and protects them from the wrath of the state, thereby becoming the “good man” of the sonata that he overhears played on the piano. Thus, individual, moral actions can triumph over totalitarian regimes. As most scholars of the period would argue, however, the notion that the
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Holocaust could have been prevented if there had only been more “good men” is a very poor lesson when the topic at hands is state-sponsored industrialized killing. The prevalence of mass murder since the Holocaust is perhaps the best evidence that good will is not enough to prevent genocide.
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How did the Holocaust come to pass?
Apart from the skewed educational message that the Holocaust happened in part because there were not enough Davids to slay the genocidal Goliaths, such an approach sidesteps the much more problematic issue of individuals who did not involve themselves in the regime, for whom even “bystander” seems exceedingly unfair. For all of the emphasis on ordinary Germans in the Holocaust, spearheaded by the debate between Daniel Goldhagen and Christopher Browning in the 1990s (Browning 1992; Goldhagen 1996), the vast majority of works about “ordinary” Germans pertain to those who participated in atrocities. In truth, however, those individuals were hardly ordinary at all, given that the vast majority of Germans did not participate in genocide. Similarly, scholars like Robert Gellately (1990) and Vandana Joshi (2003) who emphasize the ordinariness of Germans who denounced their fellow citizens to the Gestapo also contribute to the notion that the central question about the Nazi regime is why ordinary Germans participated in it, whereas we know that the vast majority of Germans did not denounce anyone. The percentage of Germans who directly participated in genocide or the instruments of repression during the Nazi era was exceptionally small. The notorious Treblinka death camp, for example, employed but 80 Germans, relying instead on Ukrainian helpers known as Trawniki and on the victims themselves to provide the labor. At Auschwitz-Birkenau, the nearly 2,000 Sonderkommandos assisted in ushering Jews unwittingly into the gas chambers and disposing of the corpses once the gassing was complete, while the Jewish councils (Judenräte) administered the ghettos in eastern Europe on behalf of the Nazis, an act that Hannah Arendt has controversially described as “the darkest chapter of the whole dark story” for Jews (Arendt 1963: 117). Although surely there are far darker chapters in this story, Arendt’s memorable phrasing does highlight the fact that the Nazis employed other sources of labor besides Germans in their murderous agenda. All the attention of late on “ordinary Germans” and the Holocaust has perhaps cast attention away from this fact. Thus, although “ordinary” perpetrators and famous resisters have a place in Holocaust education, neither address the millions of people who adopted a “don’t
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disturb me” attitude, which allowed the regime to flourish. Historians have been limited in their efforts to research this group because of the paucity of sources, but there is an emerging consensus that Germans by and large did not know of the death camps in occupied Poland, although they were aware on some level that Jews faced extreme hardship and likely some form of brutality when they were deported to eastern Europe (Johnson/Reuband 2005; Longerich 2006). Holocaust education tends to, understandably, focus its messaging on easily identifiable groups in the Holocaust, like “righteous” gentiles, and the triangle of perpetrators, victims, and bystanders, but the vast majority of non-Jewish visitors to sites of Nazi atrocities would not conceptualize themselves in that way. It is much more likely that they would have been part of the masses, largely ignorant of the worst of the regime’s atrocities, that simply tolerated the regime. Is it a reasonable lesson of the Holocaust that such an individual should become a fanatical assassin to stop a genocide of which they were quite possibly unaware? Or, at an earlier stage, to speak out in defense of Jews as their civil rights were eroded, although the regime had received the sanction of the Pope via the concordat and had also exhibited on “Night of the Long Knives” its willingness to elevate murder of perceived opponents to a state-sanctioned enterprise? Imparting a desire to act righteously under exceedingly constrained and dangerous circumstances – not only to the one who speaks out but also to her entire family who may have had nothing to do with the resister’s actions – is a dubious goal of Holocaust education.
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German and Canadian Perspectives on Holocaust Education at memorial sites
For Germans, education at sites of Nazi atrocities takes on an added urgency because it plays a role in nation-building. The collective memory of these events has helped to frame notions of a tolerant, anti-authoritarian, and pluralistic society, and these aspects are by no means relegated to the distant past. With German unification in 1990, Holocaust education began almost afresh in the states of the former German Democratic Republic, a country that had woven a myth that there was little Nazi legacy in the land that emerged from the Soviet Occupation Zone; the capitalists of western Germany were the Nazis’ heirs. The importance of these sites extends beyond Germany, however. Although scholars from Hannah Arendt to Daniel Goldhagen have sought the explanation for Nazi atrocities in German culture, the increasing scholarly consensus is that the “Third Reich” perpetrators were not particularly distinct. Christopher Browning’s important work was, after
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all, entitled Ordinary Men, not Ordinary Germans, and the last line of his book could not be clearer about his thesis: “If the men of Reserve Police Battalion 101 could become killers under such circumstances, what group of men could not?” (Browning 1992: 189). In the initial post-war years, the “Germanness” of the camp guards and members of the Einsatzgruppen may have been a comfort to scholars writing from afar, but over time, the perpetrators of the “Third Reich’s” crimes have come to seem less and less alien. In Daniel Mendelsohn’s sobering analysis, “Anyone is capable of anything” (Marrus 2016: 152). Tony Judt has drawn a similar conclusion, identifying perpetrator behavior not in any particular cultural environment, but in the universality of humanity: “Yes the problem of evil in the last century, to evoke Arendt […] took the form of a German attempt to exterminate Jews. But it is not just about Germans and it is not just about Jews. It is not even just about Europe, though it happened there. The problem of evil – of totalitarian evil, of genocidal evil – is a universal problem” (Marrus 2016: 136).
I consider it important to note at this stage that as much as I have outlined the limitations of sites of memory, I do not dismiss their role in education. What is imperative, however, is that those involved with Holocaust education be as reflective as possible about what Nazi sites can and cannot do. Rather than lofty aims about making something straight out of the crooked timber of humanity, educators who use Nazi sites as part of their curriculum (not least because they do not have the luxury of time) would be better served by imparting knowledge about a limited number of events specific to the site, rather than a comprehensive survey of the “Third Reich”. It will be helpful at this juncture to provide a brief summary of the types of historical tours I have conducted with my students, as they are the experiences upon which I draw for the remainder of this chapter. Over the past ten years, I have led trips of between 10 and 20 Canadian students from the University of Waterloo to Berlin, where we reside for ten days. The students are typically between the ages of 18 and 22, and come from a wide range of academic backgrounds, from the pure and applied sciences, to the humanities and social sciences. In the main, they are not history majors but they are required to do background reading before the trip, both academic monographs with a significant focus on the history of concentration camps (Gellately 2001; Wachsmann 2015) as well as works that examine Nazi sites within the context of public history (Koshar 2000). We visit various memorial sites in and around Berlin, including the Monument to the Murdered Jews of Europe, the Wannsee Conference Villa, the German Resistance Memorial Site, and the former concentration camps Ravensbrück and Sachsenhausen, where we dedicate the better part of a day for each site. In order to provide a contrast to the curated, developed
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sites, we also visit smaller installations such as the Stih and Schnock memory project in the Bavarian Quarter of Berlin, various ‘stumbling blocks’ (Stolpersteine) and lesser-known Holocaust memorials like the Spiegelwand in Steglitz at the site of the former synagogue. Students are required to keep a diary in which they record their scholarly impressions of the sites that we have visited, and following the trip they submit a research paper which contrasts two historic sites, oftentimes the two former concentration camps on the trip. Although I maintain that we need to temper our expectations from memorial sites, they do offer several advantages, including physicality. They offer a sense of space and scale, and do not tax the imagination in a way that, for example, World War II battles in the Pacific might. The United States has been innovative in its commemoration at Pearl Harbor with its boat launch from the main museum out to a floating interpretation center above the rusting hulk of the battleship Arizona, but a battle like Midway in a remote part of the ocean defies site-based memorialization. Closer to our topic here, even the death marches are markedly more difficult for students and visitors to conceptualize because of the lack of a defined space where the atrocity took place. The typically small Death March plaques dotted around eastern Germany, often in remote places, cannot capture the suffering that occurred on these marches, and by their size seem to visually signal that the atrocity was of less importance than that which occurred at the more easily curated physical sites. (The memorial to the Soviet liberation of one of the death marches at Raben-Steinfeld near Schwerin is somewhat of an exception, but it is nonetheless relatively modest and does not capture the sheer distance that the inmates were forced to walk from Sachsenhausen.) Ruins and other physical remnants can also help to convey the magnitude of a historic event, particularly when combined with an easily definable moment. Buchenwald’s clock, frozen at the time of its self-liberation at 3:15 pm, provided a convenient moment upon which the GDR could justify its existence, while the Pompeii-like ruins of Oradour, the inhabitants of which were massacred by the SS, symbolize the suffering of France under occupation. At Oradour, it has been June 10, 1944 for the past seventy years. Other sites such as the Villa of the Wannsee Conference also offer a compressed time frame around which a narrative can rotate. Conversely, sites like Sachsenhausen and Ravensbrück do not lend themselves easily to a defining moment in time, requiring a more nuanced interpretation of events there. Artifacts and ruins can also compel a visit in the first place. Walter Benjamin’s notion that artifacts obtain an aura by virtue of having been present during a historic era has stood the test of time for good reason (Polzer 2014: 701f.; Hansen-Glücklich 2014: 120) History tourists are attracted to authenticity, particularly
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now in the Internet age, where fleeting, pixelated images, rather than satisfying the impulse-buy desires around which much of our society is built, create a longing for stability and permanence. An object’s aura is, of course, not intrinsic, but dependent on the broader culture for its meaning (Young 1993: xii). Moreover, as Matthias Heyl (1997) has pointed out, the aura around former concentration camps includes the fact that they allow a forensic perspective to uncover the atrocities ourselves (Haug 2015: 57). It is clear that the aura extends to even western countries such as Canada removed from the sites of atrocity, in large part because of our education system, which teaches the Holocaust in high school, but also due to popular culture which highlights the Holocaust in TV and film, and due to Canada’s role in the war. Many of my students who participate in these trips will have a grandfather who served in World War II. The aura of a former concentration camp serves a legitimate purpose – it entices students from afar in the first place, providing an opportunity for further learning on site, a phenomenon that repeats itself in other study tours typically offered at Canadian universities, such as the battlefields of France. The often-touted emotional component of these sites, however, does not always materialize. Although they might appear more emotionally laden, and thereby ideal to stimulate a more cognitive response especially in contrast to the sterilized classroom environment (Haug 2015: 54), the sites themselves can be so overwhelmed with tourists that much of the emotional element is lost. Upon arrival, the aura that has compelled students to undertake a long and expensive journey, requires careful management so as not to disappoint. These sites are not like they once were. Like Michael Berg, the protagonist in Bernhard Schlink’s novel The Reader (Schlink 1997) who visits the former Natzweiler-Struthof camp and comes away frustrated that he did not experience an emotional moment there, it can be difficult to imagine these sites filled with the perpetrators and victims of which one reads. These silent sentinels, with manicured grounds and mature trees, and more often than not plenty of other tourists, can, by virtue of their failure to optically embody the notion of evil, fail to create that bridge to the past that we seek. And this failure is significant for, as Detlef Hoffmann has written, memorial sites like these trick us into thinking that the closer we get physically to the site of atrocity, the closer we are in time to the events themselves (Haug 2015: 10). At Sachsenhausen and Ravensbrück, for example, it is difficult for any guide to convey the suffering that took place on the roll call square (Appellplatz). For many visitors, it simply does not look that bad, nor does the fact of visiting in warmer weather, when these sites are busiest, make it any easier for visitors to sympathize with the plight of inmates who were required to stand sometimes for up to 25 hours in the middle of a northern European winter (Benz 2017: 60). Similarly, the shoe
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testing track at Sachsenhausen does not always resonate with visitors, compared to the other, better known horrors of Auschwitz. Even knowing that the inmates had to walk nearly 40 kilometres carrying 50 kilogram weights for 11 hours/day, it seems to many students that Sachsenhausen’s inmates, to put it bluntly, had it easy. Inmates despised working in the nearby quarries that fueled the monumental architecture in Berlin, and in the enormous brick factory which hardly produced a viable brick. Hundreds died there for no purpose, yet because these locations are physically removed from the Sachsenhausen site, visitors have no sense of the suffering that took place there. The persistent hunger and thirst that the inmates experienced are almost impossible to comprehend by affluent western visitors, for whom the absence of the most basic needs is completely alien. They simply cannot conceive of a breakfast and lunch of ½ liter of thin soup, and a dinner of 300 grams of bread and 200 grams of potatoes. Hunger was a persistent torture. There is a further challenge with former concentration camps in that the sites themselves represent a culmination of historic forces, rather than symbolizing any one particular force. Although some were established very early in Hitler’s regime, the aspects of them which exude an aura relate more to the later stages when the camps were more lethal than penal in nature. In many ways then, the concentration camps represent the end of the story, which is frequently a poor place to begin one’s efforts to understand an historic phenomenon. It is difficult to convey how the Nazis reached the concentration camp stage at the concentration camps themselves, which do not lend themselves to strong narrative lines. It is true that these sites have interpretation centers with a basic chronology of the Nazi period, but they do not deal with deeper, structural aspects of western civilization, such as Christianity’s teachings about Judaism, the development of mass bureaucracies, an increasingly slavish devotion to technology, and a modernity which valued efficiency over morality, nor are these sites necessarily better suited than history books for understanding the complexity of the period. It is also not necessarily reasonable to expect that students will spend the requisite time to master the chronology when the aura which attracted them in the first place awaits outside. For this reason, the order in which one visits sites of the Nazi period on such study tours matters. The highly effective memory project in the Bavarian Quarter by Renate Stih and Frieder Schnock offers one such starting point (A comprehensive list of images used by the project is available at http://stih-schnock. de/9783000302848_pdf.pdf). By illustrating the small, incremental steps of social ostracizing in the neighborhood where they took place, the artists convey the sense of development over time. Because atrocities are often the center of attention in the interpretation of concentration camps, time gets compressed. It appears that death occurs quickly. Stih
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and Schnock slow down the “Third Reich” for us, revealing a regime that engaged in genocide after the Nazis had issued dozens of laws and policies in full view of the German public, over the course of nearly a decade (Wiedmer 1999: 107). The concept of incremental exclusion conveyed at the memory project provides useful background to the era of the concentration camps. At the camps themselves, however, rather than attempting to explain what happened there by virtue of a sweeping narrative that would of necessity need to cover topics as diverse as the social roots of racism and the Treaty of Versailles, study tour guides would be well served to focus on select aspects of the camp that incorporate the visual, and physical aspects of the camp; that utilize the camp itself. Gottfried Kößler said years ago that History is not structured optically, but as a story, (Haug 2015: 289) a pithy phrase that brilliantly captures the power of narrative. Nevertheless, at former concentration camps, visual representations can enhance the narrative line. At Sachsenhausen, the Jewish barracks 38 and 39 are frequently the focus of educators’ attention because they offer an opportunity to engage students in questions about authenticity and the persistence of discrimination today. The barracks themselves are problematic, in that they have been rebuilt several times, first in 1958 as Sachsenhausen was being prepared to become a national memorial site for the GDR, and then again in the 1990s to replace the barracks burned down in 1992 by neo-Nazi arsons in protest of Israeli Prime Minister Yitzhak Rabin’s visit to the camp (Wiedmer 1999: 189–192). Does the fact that no Jews ever resided in these barracks, that they are only made to look old matter for the educational experience? Since these sites are always a dialogue between the visitor and the curator, it is perhaps not surprising that the lacking authenticity of the Jewish barracks provokes varied responses. For some students, the barracks help them conceive of the dismal conditions in which inmates lived. Others are dismayed and feel manipulated by Sachenhausen’s efforts to elicit an emotional response. Another intellectual exercise, one that unsettles the black and white understanding that many students bring with them, can be found in contrasting the experience of Russians as both victims and perpetrators in the camp. At Station Z, students have a visceral experience of the single greatest atrocity in the camp, the terrible murder of nearly 10.000 POWs in the fall of 1941, ostensibly a retaliation for the Russian murder of German POWs. Carried out near the camp’s ovens, SS “doctors” administered the killing by having the victim stand as if being measured for height and then another SS shooting the POWs in the neck through a hole to an adjacent room. The killing went on for weeks, at the rate of 250–300 victims/day. This event in itself can surprise students who have come to associate in their minds the terms “camps” and “Jews”. There is no question that Jews also suffered
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at Sachsenhausen, commencing with Night of the Broken Glass when those who were not outright murdered were subjected to merciless ridicule, but they were not murdered on the same scale as Russians in the camp. This level of detailed knowledge of the Nazi era should not be underestimated as an educational goal. As general public awareness of the Holocaust and related atrocities has increased, the factual knowledge has not kept pace. The disconcerting result is that the Nazi era is increasingly discussed by those with only a passing familiarity with the era. Michael Marrus, the eminent Toronto historian of the Holocaust has identified this factual knowledge as one of the most important goals of Holocaust education: “To be faithful to the event from which the lesson is claimed to derive. To be able to speak with authority about the event. And to seek an independent-minded understanding of these events” (Marrus 2016: 159). With this knowledge, students may then subsequently visit the graves of some of the 12,000 Germans who died at the hands of the Russians when they administered Sachsenhausen as Special Camp Number 7 (and later 1) (Heitzer 2017: 95). Of course, the circumstances were different in that the Nazis murdered whereas the Russians typically left their victims to die, but the notion of Russians as victims and perpetrators causes the students to have to think historically, to recognize actors within their circumstances, and to develop a critical approach to not only the past, but to the many grey areas found in modern life. Unlike Sachsenhausen, the former Nazi concentration camp Ravensbrück lends itself to a singular message about the ordinariness of the perpetrators, one that is intimately tied to the setting itself. For one, with the exception of the Wannsee conference, it is rare to have a site in which the perpetrators figure as prominently as they do in Ravensbrück. Sachsenhausen has a small display about perpetrators in one of the guard towers, somewhat removed from the camp’s more visited areas. The fact that the future Auschwitz commandant Rudolf Höß learned the ropes at Sachsenhausen plays little role at the site. The homes of the camp leadership, including the three commandants in the camp’s history, Günther Tomaschke, Max Koegel, and Fritz Suhren, have been sanitized and made accessible to visitors, but equally important, the homes of other camp leaders sit crumbling beside the refurbished ones. Although off limits to visitors, these ruins are genuine, unlike the reconstructed Jewish barracks in Sachsenhausen, and by virtue of this authenticity, they provide a raw, unsanitized link to the Nazi era. The fact of these dilapidated structures lends authenticity to the other houses that have been polished up for public consumption. Indeed, the location of the commandant’s house, perched on the hillside overlooking the camp and the surrounding area, exudes power. It does not tax the imagination to see the appeal of the high-end, comfortable housing and the sense of importance suggested by its physical location.
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Every participant on my study tour is struck, perhaps unsettled would be a better word, by Ravensbrück’s idyllic location on the shores of the Schwedtsee. Although the memorial site was not chosen for the lakeside setting but rather simply inherited it from its initial location, it harkens back to the Romantic era when people viewed nature itself as a memory landscape. During that era, monuments were frequently located in striking natural settings in order to orchestrate an emotional tie to the events in question. Nature itself could even be used as a monument, as was the case when trees were planted to symbolize fallen soldiers (Koshar 2000: 101). Just by chance, then, the Ravensbrück memorial site finds itself in a setting not so terribly different from the misty ruins of Caspar David Friedrich’s paintings. The tranquility of the lake, a much quieter lake than the bustling Wannsee with its many sailboats and sun bathers on the beach opposite, and the sound of the water washing up against the base of the monument invite quiet contemplation. Unlike Sachsenhausen, located in close proximity to houses in Oranienburg and directly across from a busy police academy, visitors to Ravensbrück do not need to fight outside distractions. Ravensbrück’s setting is significant in another way: Visitors can understand, at a glance, the attraction that the location held for the SS who worked the camp. The female overseers who had frequently led a dull and difficult life of domestic servitude, suddenly found themselves in a position of authority, in comfortable accommodations and enjoying the diversion of the lake after hours. The exhibit “Im Gefolge der SS” (unfortunately currently temporarily closed) in the former female SS quarters does a masterful job of communicating the very ordinary motives of many of these women to work at the camp. Here, visitors are offered a glimpse into the mind of the perpetrator in a way that resonates with the modern observer. The cold-blooded killer in the fields and forests of Eastern Europe may be difficult for the average law-abiding western citizen to comprehend, but it is much easier to recognize the attraction in the guard who accepts a vastly improved life in exchange for administering punishment to inmates. Primo Levi is not the only one to recognize the allure of power in the atrocities of the “Third Reich”, but I am not sure that anyone has said it so eloquently. In reference to Chaim Rumkowski, the leader of the Lodz ghetto Jewish council, Levi wrote in his indispensable essay The Gray Zone “His fever is ours, the fever of our western civilization that ‘descends into hell with trumpets and drums,’ and its miserable adornments are the distorting image of our symbols of social prestige. […] Like Rumkowski, we are so dazzled by power and prestige as to forget our essential fragility” (Levi 1988: 69).
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Rather than a grandiose lesson from the “Third Reich”, simply reflecting on the allure of power while contemplating the lovely scenery around Ravensbrück would help students mature in their thinking.
5 Conclusion To summarize, the aura of Nazi sites, regardless of its precise nature or origin, serves a purpose in attracting visitors to the site in the first place, although it must then be handled with caution upon arrival at the site lest the large amount of visitors or mature, leafy trees bother the visitor who had equated in their mind “aura” with something resembling a time-traveling experience back to World War II. As much as we would like it to be otherwise, these sites do not lend themselves to imparting major lessons in morality; this dark period in history can hardly be considered a branch of moral philosophy, thus educators would do well to aim for smaller, more manageable goals (Johnson 1997: 153). In those instances where the site is particularly well suited, such as the motives of female overseers at Ravensbrück or the murder of Russian POWs in Sachsenhausen, educators should set as a goal the acquisition of factual knowledge about camps during the Nazi era. Beyond this important goal, the sites prove useful in developing a more critical mind by posing questions of authenticity and the complex issue of victims who become perpetrators. These in themselves are “praiseworthy” goals, and avoid the pitfalls of trying to find sound-bite lessons from the Holocaust. Those involved in Holocaust education would do well to remember the wise advice of David Hackett Fischer (1970), who wrote that historians should concentrate on the “how” and leave the “why” to God.
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„Machen Sie eigentlich auch was mit Flüchtlingen?“ Bildungsarbeit an Erinnerungsorten und Gedenkstätten in rassismuskritischer Absicht Jennifer Farber und Jens Hecker
Zusammenfassung
Der Arbeitskreis „Räume Öffnen“ versteht sich als ein Netzwerk von Personen, die an unterschiedlichen (Lern-)Orten zum Nationalsozialismus arbeiten und sich mit rassismuskritischer Erinnerungskultur befassen. Seit 2016 treffen wir uns regelmäßig, um uns über unsere Praxis auszutauschen und diese zu hinterfragen sowie uns gegenseitig zu beraten. Das auf der Tagung vorgestellte Poster bildet den bisherigen Stand unserer Reflexionen ab und basiert auf einer Auswahl von grafischen Protokollen, die bei den Treffen (Stand: Januar 2018) angefertigt wurden. Dieser Beitrag, bestehend aus einer Auswahl der Protokolle in Kombination mit ergänzenden Texten, bildet die verschriftlichte Version unseres Posters. Die Protokolle sind als Grafiken und Bilder konzipiert, um einen markanten und einprägsamen Überblick über unseren bisherigen Diskussionsstand zu bekommen. Abstract
The workgroup “Räume Öffnen” (roughly: opening spaces) is a network of educators who work at different (learning-)sites related to National Socialism and who focus on aspects of an anti-racist culture of remembrance. Since 2016 we have been meeting to exchange experiences of our practical work, to investigate and discuss our approaches and methods. The poster which was presented during the conference is based on a selection of grafic recordings that were composed during our meetings. It therefore displays the current state of our self-reflections (Dec 2017). This contribution, with selected grafic recordings and accompanying texts depicts the content of our poster. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Gloe und A. Ballis (Hrsg.), Holocaust Education Revisited, Holocaust Education – Historisches Lernen – Menschenrechtsbildung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24207-7_13
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1 Einleitung In den letzten Jahren erlangte kaum eine imaginierte „Zielgruppe“ der Bildungsarbeit an Gedenkstätten und Erinnerungsorten mehr (projektgeförderte) Aufmerksamkeit als Personen, die noch nicht lange in Deutschland leben oder hier Asyl beantragen möchten. In Zeiten, in denen Projektförderungen die Personalstruktur dieser Orte maßgeblich beeinflussen, wollen wir uns – als Personen, die dort arbeiten – über weitere Förderprogramme gar nicht aufregen, aber interessant fanden wir das schon; ergeben sich daraus doch Folgerungen und Implikationen, die zumindest irritierend erscheinen. Die Fülle an Förderprogrammen lässt darauf schließen, dass die Auseinandersetzung mit NS-Verbrechen von Angehörigen der Aufnahmegesellschaft besonders den Menschen als Aufgabe zugeschrieben wird, die noch nicht lange in Deutschland leben. Im gesamtgesellschaftlichen Diskurs wird darüber hinaus nicht selten die Meinung vertreten, dass gerade Geflüchtete einen gewissen Nachholbedarf an Menschenrechtserziehung hätten und Gedenkstätten und NS-Dokumentationen dafür genau die richtigen Orte wären. Wie können wir uns als in der historisch-politischen Bildungsarbeit Tätige in diesem Diskurs bewegen, ohne ihn zu bestätigen oder so zu reproduzieren? Unterschwellig wird hier u. E. der erinnerungskulturellen Bildungsarbeit eine integrierende Wirkmacht zugesprochen: Dass durch diese eine Assimilation in das Phantasma einer vermeintlichen deutschen erinnerungskulturellen „Leitkultur“ gelingen könnte – mal ganz abgesehen davon, ob das überhaupt irgendjemand als erstrebenswert erachtet. Ganz generell gilt es also zu fragen: • Wie positionieren sich Gedenkstätten und NS-Dokumentationen in diesen Diskursen? • Welchen Einfluss haben die genannten Implikationen und Zuschreibungen auf die Arbeit an den Orten selbst? • Welchen Handlungsspielraum haben Mitarbeitende Integrationslogiken eine inklusivere Bildungsarbeit entgegenzusetzen? Wir nehmen hier eine gewisse Verunsicherung wahr, sowohl bei anderen als auch bei uns selbst. Wir sind weniger verunsichert, weil jetzt eine überschaubare Zahl an Geflüchteten unsere Ausstellungen und Seminare besuchen. Vielmehr regt sich ein Verdacht, dass die Institution selbst ganz allgemein noch nicht in der Gesellschaft der Vielen angekommen ist. Um diesem Verdacht nachzuspüren, haben wir uns
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mit Gleichgesinnten getroffen, um ein Setting des kritischen Austausches zu finden, der auch über den eigenen Tellerrand hinaus schaut. Dies war die Grundlage für die Idee des Arbeitskreises (AK) „Räume Öffnen“.
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Informationen zum Arbeitskreis „Räume Öffnen“
Der Arbeitskreis „Räume Öffnen“ versteht sich als ein Netzwerk von Personen, die an unterschiedlichen (Lern-)Orten zum Nationalsozialismus arbeiten und sich mit rassismuskritischer Erinnerungskultur befassen. Wir alle sind in den Feldern Bildung, Pädagogik, Kuratieren und Projektmanagement tätig. Seit 2016 treffen wir uns regelmäßig, um uns über unsere Praxis auszutauschen, diese zu hinterfragen und uns gegenseitig zu beraten. Das auf der Tagung vorgestellte Poster zeigt den bisherigen Stand unserer Reflexionen und basiert auf einer Auswahl von grafischen Protokollen, die während unserer Treffen angefertigt wurden. Dieser Text und eine Auswahl der Protokolle stellen die verschriftlichte Form unseres Posters dar. Bereits 2017 entstand ein erster Artikel unseres Arbeitskreises mit dem Titel „Bildungsarbeit zum Thema Nationalsozialismus mit und für Geflüchtete?“, der im Magazin „Lernen aus der Geschichte“ 05/2017 mit dem Titel „Bildungsarbeit zum Thema Nationalsozialismus mit und für Geflüchtete?“ veröffentlicht wurde. Die Veröffentlichungen sind auch ein Teil der Vernetzungsstrategien. Die Protokolle sind als Grafiken und Bilder konzipiert, um einen markanten und einprägsamen Überblick über unseren bisherigen Diskussionsstand zu geben (siehe: http://lernen-aus-der-geschichte.de/Lernen-und-Lehren/content/13627 [19.02.2019]).
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Unsere Fragen und Ausgangslagen (Protokoll 1)
Der Arbeitskreis setzt sich (lose) aus Personen zusammen, die Bildungsarbeit zum Nationalsozialismus an unterschiedlichen historischen Orten konzipieren und durchführen. Viele von uns sind seit einigen Jahren in Projekte involviert, die das eingangs beschriebene Themenfeld abdecken. Hierbei handelt es sich um Institutionen mit unterschiedlichen Selbstbezeichnungen und Schwerpunkten – Dokumentation, Gedenkstätte, Denkort, oder mehrere gleichzeitig, zum Beispiel: Die NS-Dokumentation Vogelsang IP in der Eifel, die Gedenkstätte Stalag 326 (VI K) Senne bei Bielefeld, der Geschichtsort Villa ten
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Hompel in Münster, der Denkort Bunker Valentin bei Bremen, die KZ-Gedenkstätte Neuengamme. Zu Beginn hatten wir trotz unterschiedlicher Ausgangslagen relativ ähnliche Fragen, über die wir uns austauschen wollten: ▶ Wen wollen wir überhaupt ansprechen und wie? Welche strukturellen Hindernisse müssen wie beachtet werden? Welche Themen eignen sich gut, welche sind weniger geeignet? Wie ist mit unterschiedlichem Vorwissen umzugehen? Wie gehen wir mit Sprachbarrieren um?
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Menschen mit XYZ Hintergrund sind keine Zielgruppe (Protokoll 2)
Neben den genannten Fragen war innerhalb der Gruppe auch ein Unbehagen zu spüren, von Menschen, die aus unterschiedlichsten Gründen in Deutschland Asyl suchen, als „Zielgruppe“ zu denken oder zu sprechen. Da außerdem die Mehrheit der Teilnehmenden der Runde einen deutschen Pass hat und „weiß“ ist, fanden wir „Glaskugellesen“ an dieser Stelle wenig zielführend. Anstatt aus den vielschichtigen Voraussetzungen, Interessen und Bedürfnissen von Geflüchteten einheitliche Zielgruppen zu generieren, hielten wir es für angemessener, unseren Blick auf die Institutionen selbst zu richten und zu fragen: Warum stellt die Tatsache, dass Menschen, die neu in Deutschland sind und vielleicht einen Gedenk- und Erinnerungsort besuchen, die Orte bzw. deren pädagogisches Material vor vermeintliche Unsicherheiten? Die Bedürfnisse von Menschen sind im Einzelfall sicher speziell und sollen in diesem Denkprozess auch weder negiert noch nivelliert werden. Allerdings fragen wir uns, ob viele Bedürfnisse, die Geflüchteten zugeschrieben werden – wie z. B. Wertschätzung, Sich-Willkommen-Fühlen, Fragen stellen dürfen und Schutz vor emotionaler wie kognitiver Nicht-Überforderung – nicht eigentlich so universell sind, dass sie generell in der Erinnerungsarbeit unabdingbar sind. An die Stelle der Konzeption aufwendiger „Spezialprogramme“ trat für uns deshalb die Suche nach Möglichkeiten für tief greifende Veränderungen, um unsere Institutionen als Lernräume weiter zu öffnen.
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„Räume Öffnen“ heißt die eigene Praxis reflektieren – Die Institutionen auf dem Prüfstand (Protokoll 3)
In der Diskussion entstand ein fruchtbarer Diskurs über etwas, für das wir uns mehr als Expertinnen und Experten verstehen: Die Innenansicht der Gedenkstätten und Erinnerungsorte sowie unsere eigenen Arbeitspraxen. Anstatt uns über hypothetische Gäste und Teilnehmende den Kopf zu zerbrechen, sprachen wir über Herausforderungen für unsere Institutionen und ihre gesellschaftlichen Rollen: als Gedenkstätten/Dokumentationsorte, Lernorte und als Orte politischer Repräsentation. Das derzeitige gesellschaftliche Klima nehmen wir dabei als sehr polarisiert war. Neben dem hohen zivilgesellschaftlichen Engagement sind auch Vorbehalte, offene Ablehnung und Hass eine Reaktion auf den kurzen „Herbst der Freizügigkeit“ 2015. Diskurse, die lange Zeit nur innerhalb des rechten Spektrums und an (rassistischen) Stammtischen vermutet wurden, sind seit längerer Zeit im Mainstream „sagbar“ und mittlerweile auch in den Bundestag wählbar geworden. Offene Ablehnung und Hass zeigen sich dabei nicht nur in Form von sprachlicher Gewalt, sondern schlagen sich auch in Angriffen und Anschlägen gegen Menschen und Einrichtungen nieder. Soweit sich die Gedenkstätten und NS-Dokumentationen als gesellschaftlich relevante (Lern-)Orte verstehen, stehen sie vor der Herausforderung, sich gegen das Klima der Gewalt zu positionieren und sich mit denjenigen, die als „Andere“ markiert werden, solidarisch zu zeigen. Nicht zuletzt auch wegen der geografischen Nähe mancher Sammelunterkunft (Vogelsang) und temporäre Erstaufnahmelager (Stukenbrock-Senne) auf dem historischen Gelände und in Sichtweite der Institutionen.
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Antisemitismus als „Problem der Migration“? – Sich selber den Spiegel vorhalten (lassen) (Protokoll 4)
Im Zusammenhang mit den erwähnten Projekten wird immer wieder ein zentrales Thema an unsere Institutionen herangetragen: Die Frage nach dem Umgang mit etwaigen antisemitischen Äußerungen. In Bezug auf erinnerungskulturelle Bildung zu NS und Shoah ist und war das Thema „Antisemitismus“ allerdings von jeher zentral. Die meisten Teamenden an Gedenkstätten und NS-Dokumentationen haben bereits Erfahrungen gesammelt und ein Repertoire an möglichen Strategien im souveränen Umgang mit antisemitischen Äußerungen aus jeglicher Richtung entwickelt. Das Thema sollte demnach also ein „alter Hut“ sein und nicht erst in Bezug auf Menschen, die neu nach Deutschland
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kommen. Beziehen sich solche Fragen auf Menschen, die als „Migrationsandere“ markiert werden, so unsere Schlussfolgerung, kann es hilfreich sein, eine rassismuskritische Perspektive einzunehmen und sich einem angemessenen Umgang differenziert anzunähern. Was bzw. wer genau wird problematisiert? Zu welchem Zweck? Welche Bilder und Vorannahmen werden bedient? Diese Idee ist nicht neu. Bereits 2013 stellte Elke Gryglewski die Frage, ob nicht „die Defizite der Mehrheitsgesellschaft in Hinblick auf den Antisemitismus und die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit auf Jugendliche nicht-deutscher Herkunft projiziert werden“ (Gryglewski 2013: 72). Oder anders: Um in der Bildungsarbeit zum Thema „Nationalsozialismus“ auf antisemitische Ressentiments zu treffen oder antisemitische Aussagen zu hören, bedarf es keiner Migration. Wer einen Blick auf die erinnerungskulturellen Positionen rechter Bundestagsparteien wirft, kann das leicht bestätigen. Eine Wahrnehmung von Antisemitismus, die antimuslimische Ressentiments aufgreift und transportiert, hat daher auch mit Kontinuitäten und Funktionsweisen von Rassismus zu tun (Cheema 2017: 69). In der Bildungsarbeit gilt demnach (wie schon lange) die Maxime a) nicht zu pauschalisieren und (kulturalisierende) Zuschreibungen zu vermeiden, b) zu differenzieren, welche Motivation einer eventuellen Äußerung zugrunde liegen könnte und c) gesprächsbereit zu sein. Anknüpfend an Nora Sternfeld, den Lernort zu einer Kontaktzone werden zu lassen, in der Themen zur Sprache kommen können und sollen, so die Auseinandersetzung mit ihnen einem menschenfreundlichen Grundkonsens unterliegt (Sternfeld 2013).
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Goldener Weg oder Drahtseilakt? (Protokoll 5)
Wir als AK sehen uns inmitten eines Prozesses, den wir kontinuierlich weiterführen möchten. Statt einfacher Antworten entstehen immer weitere Fragen, wie zum Beispiel: 1. Wie können Erinnerungskulturen inklusiv(er) gestaltet werden? 2. Wie kann das Lernen an Gedenkstätten und NS-Dokumentationen noch mehr Menschen ermöglicht werden? 3. Welche gesellschaftliche Verantwortung tragen Gedenkstätten und NS-Dokumentationen im Kontext von rassistischer Mobilisierung gegen Migrantinnen und Migranten sowie Geflüchtete? 4. Welchen Beitrag können unsere Institutionen dabei leisten, völkischen Reinheitsfantasien eine „Gesellschaft der Vielen“ entgegenzusetzen?
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Gleichzeitig stellen wir fest, dass wir vor weitaus weniger „neuen Herausforderungen“ stehen, als wir zu Beginn unserer Arbeit im AK dachten. Unsere eigentliche Aufgabe ist vielmehr, eine konsequente rassismus- und herrschaftskritische Per spektive einzunehmen und beizubehalten. Dabei kann es keinen „goldenen Weg“ geben, der für jede Institution funktioniert. Vielmehr geht es um eine Grundhaltung, die wir immer wieder gegenseitig in Form von Feedback und Beratung aufbauen und reflektieren wollen. Es ist unser Ziel uns dafür einzusetzen, dass aus dem gefühlten Drahtseilakt, der alles unter einen Hut bekommen möchte, ein sicheres Netz aus nachhaltigen Strukturen in den jeweiligen Institutionen und solidarischen Kolleginnen und Kollegen in den unterschiedlichen Häusern zu knüpfen. Dabei geht es auch um strukturelle Hindernisse auf dem Weg zu einer inklusiver(en) Bildung zum Thema „Nationalsozialismus“, die wir hier unter dem Begriff „Projektitis“ anreißen möchten. In einem extrem kurzen Zeitraum soll am besten mit unterschiedlichen Communities ein möglichst innovatives, partizipativ ausgerichtetes Projekt geplant, durchgeführt und dokumentiert werden. Hierbei schließen sich beispielsweise alleine schon der kurze Projektzeitraum und das Zusammenarbeiten mit z. B. Selbstorganisationen unterschiedlicher Communities gegenseitig aus. Im Rahmen kurzfristiger Projekte steht die Mitarbeit von Personen, die noch nicht hochqualifiziert sind und nicht perfekt Deutsch sprechen sowie die Institutionen in der Konzeption und Gestaltung noch nicht gut kennen, im direkten Zielkonflikt mit dem Erreichen vieler vorausgesetzter Projektziele. Auf lange Sicht heißt Teilhabe ermöglichen also auch, die uns vorgegebenen Förderlogiken offen zu hinterfragen und zu kritisieren und die Verstetigung von Projekten zu fordern. Dafür möchten wir Räume des Diskurses öffnen und sowohl die schon vielfältige Expertise von „Betroffenen“ einbeziehen als auch die bereits seit langem existierende Theorie zum Thema (Paul Mecheril, Astrid Messerschmidt, uvm.) kritisch auf unsere Arbeit anwenden, um uns gemeinsam auf „die Suche nach einer inklusiven Erinnerungskultur“ zu begeben (Lücke 2016: 53). Als erste Orientierungshilfen dienen uns bislang u. a. die folgenden zwei Publikationen: Der Aufruf: „Für solidarische Bildung in der globalen Migrationsgesellschaft. Ein Aufruf aus Erziehungswissenschaft, Pädagogik und Sozialer Arbeit.“ http://www.aufruf-fuer-solidarische-bildung.de/ [27.04.2017]. Und die Erklärung von RISE (Refugees, Survivors & Ex-Detainees, Australien): „10 things you need to consider if you are an artist – not of the refugee and asylum seeker community – looking to work with our community.“
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http://riserefugee.org/10-things-you-need-to-consider-if-you-are-an-artistnot-of-the-refugee-and-asylum-seeker-community-looking-to-work-with-ourcommunity/ [27.04.2017].
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Didaktik und Nachhaltigkeit
Incorporating Campus-Based Cultural Resources into the Humanities Curriculum Susan Jacobowitz Incorporating Campus-Based Cultural Resources …
Abstract
The article sheds light on the subject of changing the Holocaust learning experience for students by incorporating cultural resources in the curriculum, such as The Kupferburg Holocaust Center (KHC) in Queensborough or the United States Holocaust Memorial Museum in Washington D.C. As many students do not have a direct connection the Holocaust, educators sought out to find how to teach students about the Holocaust in a way they understand the importance thereof. In the article, Jacobowitz presents her personal experience, her educational approach and how she ultimately started a Colloquium Series under the name of “The Holocaust in a Global Context: Connections Across the Community College” with the intent that students reflect the social justice perspective. As they do so, they find comparisons between the past and presents, upon which they vow to make sure history does not repeat itself. Zusammenfassung
Der Artikel zeigt die Veränderung der Holocaust Education für Studierende durch den Einbezug kultureller Ressourcen auf, wie beispielsweise des Kupferburg Holocaust Centers (KHC) in Queensborough oder das Holocaust Memorial Museums der Vereinigten Staaten in Washington DC. Da viele Studenten keinen direkten Bezug zum Holocaust haben, suchten die Lehrenden nach neuen Möglichkeiten, den Studierenden die Bedeutung des Holocaust zu vermitteln. Im Artikel präsentiert Jacobowitz ihre persönlichen Erfahrungen, ihren pädagogischen Ansatz und wie sie eine Kolloquiumsreihe unter dem Namen „Der
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Holocaust in einem globalen Kontext: Verbindungen über das Community College“ mit der Absicht startete, dass die Studierenden die Perspektive der sozialen Gerechtigkeit reflektieren.
The Holocaust is the most infamous crime in the history of the world. We need to understand how this obscenity was possible (xv). Laurence Rees, The Holocaust: A New History
For students at a community college or in an introductory course, who may not be familiar with the history of the Holocaust and World War II, a nuanced, comprehensive, and interdisciplinary approach offers the best opportunity for deeper understanding. On the frontispiece of Lawrence Langer’s (2006) Using and Abusing the Holocaust, he offers the following quote by Giorgio Agamben, an Italian philosopher: Human beings are human only insofar as they bear witness to the inhuman. As a scholar and the daughter of a Holocaust survivor, I believe that I understand the mission and the urgency of trying our best to bear witness – if such a thing is possible – to the Holocaust. Yet the challenges inherent in both teaching and studying the Holocaust are manifold, and experienced by both student and instructor. They involve the breadth, scope, and depth necessary to study the Holocaust and the emotional toll that the study of the Holocaust can exact. As Peter Hayes (2017: xiv) describes, “To understand the Holocaust requires solving multiple puzzles that surround it.” The Holocaust is a very difficult subject to teach, as the typical experience was death. Courses are often built around the testimony of survivors, and often survivors of Auschwitz. But that testimony is by its very nature exceptional: two out of every three European Jews died, and they died quickly. By 1942, Polish Jewry had been destroyed. In contrast, the War Refugee Board wasn’t even established in the United States until 1944. What we “know” about the Holocaust – survival at Auschwitz – isn’t enough. A recent focus on the mobile killing units that were operating in the East – the Einsatzgruppen – and what has been termed “the Holocaust by bullets” has shifted or expanded the emphasis in Holocaust education. Writes Timothy Snyder (2014: 361): “More Jews were gassed at Auschwitz than at any other site, so its centrality in histories of the Holocaust is fully understandable. But in most respects, Auschwitz was an exception. More Jews were killed with carbon monoxide at other facilities than with
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hydrogen cyanide (Zyklon B) at Auschwitz. Moreover, in the Holocaust, more Jews were killed by shooting than by either method of gassing. Also, Auschwitz was a large killing facility attached to a large concentration camp. This was unusual… Auschwitz is atypical in another way. It became the major killing site of the Holocaust very late, and so its victims and its survivors do not represent the main Jewish populations that fell victim to extermination. The vast majority of Polish Jews, the largest victim group of the Holocaust, died farther east, in the carbon monoxide facilities or by shooting. The second largest group, the Soviet Jews, was hardly present at Auschwitz at all. Yet, a considerable number of Jews and others survived the concentration camp, which is one reason we are relatively familiar with this death facility.”
Real comprehension of the Holocaust lies in understanding how, why, and where people were targeted and put to death. For students, studying the Holocaust from a realistic perspective can feel like the equivalent of watching an action film in which, instead of the protagonist surviving thousands of bullets shot at him by villains while he runs in a serpentine pattern, he takes a bullet to the head and collapses – dead – within the first five minutes of the film.1 As Michael Berenbaum (2004: 120f.) notes, Raul Hilberg suggested that there were six stages to the destruction of the European Jews: (1) definition, (2) expropriation, (3) concentration, (4) deportation, (5) mobile killing units, and (6) death camps. All of these should be explained and understood. In addition, there is a list of “essential antecedents” that need to be addressed when teaching about this genocide: “the origin of the Jews, the religious roots of antisemitism, the three forms of antisemitism – religious, political, and racial – the Armenian genocide, extreme nationalism, industrialization, social Darwinism, totalitarianism.” Timothy Snyder writes (2014: 368): “First, the history of the Holocaust must include traditional subjects of study as geography, military history, diplomatic history, political economy, and the prewar history of Jewish and non-Jewish Eastern European societies. The study of the Holocaust has veered, following the profession of history generally, toward culture, literature, and memory. These are all valuable approaches from which I have learned. But they can all be enriched and improved upon by a traditional historical grounding.”
1 I remember my father telling me once that it is impossible to make realistic films about the Holocaust because after five minutes of watching the way it really was, people wouldn’t be able to take any more.
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The challenge is to create a successful Holocaust education program. The Berman Center (2006: 4) outlines how they “include appropriate content that does justice to historical facts and perspectives; create an atmosphere that is responsive to readiness and emotional sensitivities of the students; create a framework both in history and in the personal connection to historical figures and their perspectives; work across the curriculum and integrate diverse disciplines; [and] use powerful personal artifacts and historical materials.”
In terms of best practices, the Center suggests that educators use powerful teaching vehicles and materials to engage students using an interdisciplinary approach that focuses “not only on historical fact but also poetry, art, music, theology, psychology, literature, and other disciplines” (Berman Center 2006: 8). To understand Holocaust literature, students need to understand the complicated chronology and complex history of the Holocaust. Lawrence Langer (2006: 4) writes: “It…require[s] some context because, unlike most other literature, it draws on experiences so foreign to the ordinary reader that one might be inclined to mistake its vision for an alien world of fantasy…Holocaust literature is a literature of the moment, seeking vainly to unite with the stream of time.”
In their essay “Teaching the Holocaust: The Case for an Interdisciplinary Approach,” Jacqueline Berke and Ann L. Saltzmann (1996: 131) write: “By definition, the study of the Holocaust is – and must be – interdisciplinary, for each discipline in and of itself allows us to understand only one aspect of the Holocaust: history tells us what happened; psychology probes the psyches of those involved: perpetrators, victims, survivors, rescuers, bystanders (what made them behave as they did?); literature and the arts shape what happened in the Holocaust into an aesthetic form which enables us to enter events imaginatively and vicariously, to feel them ‘on the pulse’ as Coleridge put it; philosophy and theology raise questions about morality and ethics, the nature of good and evil and the possibilities of leading a meaningful life in the post-Holocaust world… Only in combination do the disciplines provide the many perspectives required for understanding at any depth or breadth. Although the advantages of an interdisciplinary approach seem self-evident, there appear to be relatively few courses built around multiple perspectives.”
Elizabeth R. Baer (2004: 195) illustrates how this interdisciplinary approach might unfold in the classroom. Given decades of experience teaching about the Holocaust in an interdisciplinary humanities context, she cites the following objectives in her course syllabus:
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“acquaint the students with the historical background of the Nazi Holocaust; introduce and discuss the literary and artistic response to the Holocaust; interrogate the issues of memory and memorialization as they relate to the Holocaust; study changing perspectives and attitudes towards the Holocaust; and bring awareness of how the Holocaust bears on contemporary events and thought.”
This last item – bringing awareness of how the Holocaust bears on contemporary events and thoughts – is at the nexus of interdisciplinary approaches. Teaching the Holocaust and genocide has to do with enabling students to make the strongest and most powerful connections possible by relating what they study and learn to their own societies, communities, families, and lives. This is especially important in an era when a college education might be looked upon as being more vocational and the important subjects STEM subjects – science, technology, engineering and math – with a lessened focus on the richness of a traditional liberal arts and humanities education. In difficult economic times, a liberal education is often viewed as a luxury item, and something to which only the elite can hope to lay claim. Queensborough Community College is one of seven two-year, open admission community colleges that are part of The City University of New York. The City University spans twenty-four campuses across the five boroughs of New York City and is the largest public urban university in the United States, educating over 500,000 students. There are eleven senior colleges, each with a rigorous baccalaureate degree program, and six graduate and professional schools, including a school of journalism, a law school and – most recently – a school of medicine. The seven two-year community colleges provide high-quality associate degree programs that prepare students for senior colleges or entry into professional careers. Queensborough is located in Queens County, one of the most diverse counties in the United States. The college comprises nearly equal populations of white, black, Asian and Hispanic students, representing 127 nations of birth and 78 native languages. Many Queensborough students are immigrants or the children of immigrants, and/or the first in their families to attend university. CUNY was created in 1961, by New York State legislation, and integrated existing institutions into a coordinated system of higher education for the city. The oldest of these was The Free Academy, founded in 1847 by Townsend Harris. It was fashioned as “a Free Academy for the purpose of extending the benefits of education gratuitously to persons who have been pupils in the common schools of the city and county of New York.” The Free Academy later became the City College of New York, and CUNY maintained the same sense of mission and purpose. Its four-year colleges offered a high quality, tuition-free education to the poor, the working class and the immigrants of New York City. During the post-World War I era, when some
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elite universities discriminated against Jews or had a Jewish quota, many Jewish academics and intellectuals studied and taught in New York City. The City College of New York developed a reputation as “the Harvard of the proletariat” and CUNY is known for having produced 13 Nobel Prize winners.2 CUNY is no longer tuition-free, but it still serves a largely minority, immigrant and low-income population. Nationally, 50 % of all college students begin their education at a community college, making attendance at a two-year college for some period of time the norm rather than the exception. Two-year institutions are sometimes referred to as “democracy’s college” because of the important access to opportunity they provide. One of the cultural resources available at Queensborough is The Kupferberg Holocaust Center (KHC), established in 1983. It started with two professors, Dr. Sheena Gillespie in English and Dr. William Schulman in History, who started collecting materials for their students who were studying the Holocaust in a linked history and English seminar. Queens had a high concentration of Holocaust survivors, and they began to utilize the Center, using it as a place to meet with one another, volunteer and share their stories with students. The Center continued to collect archival material, create exhibits and offer educational experiences to visitors when a generous gift from Harriet Kupferberg enabled an expansion into a new building and space, and continued growth as new directors – following the retirement of Dr. Schulman – took the helm. Dr. Arthur Flug and Dr. Dan Leshem continued the growth and development of the Center. Dr. Flug came from a background in education and had worked in state politics – he excelled at reaching out into the community to build support for the mission of the Center. Dr. Leshem was a scholar with a doctorate in comparative literature who came to the Center from The Shoah Foundation. They provided faculty who wanted to use and expand the scope of what the Center was able to provide to Queensborough students with encouragement and opportunities. I began teaching at QCC in 2000, in the English Department. My own background involved graduate degrees in history and literature with a focus and concentration in Jewish Studies. My doctoral dissertation analyzed second-generation experience, 2 Former U.S. Secretary of State Henry Kissinger – who won a Nobel Peace Prize in 1973 – studied accounting at City College of New York before he was called for duty in the U.S. Army in 1943. The school’s list of Nobel-winning graduates includes physicist Leon M. Lederman (1988), Physiology or Medicine winners Arthur Kornberg (1959), Julius Axelrod (1970) and Rosalyn Yalow (1977), Chemistry winner Herbert A. Hauptman (1985) and esteemed economists Kenneth J. Arrow (1972) and Robert J. Aumann (2005). Nobel-winning economist Harry M. Markowitz was honored in 1990 while working as a professor at City University of New York’s Baruch College.
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focusing on creative works by sons and daughters of Holocaust survivors. My father is also a survivor. Some of my creative and academic work focuses on researching and writing about what happened to my father and to his community during the Holocaust, and on my own experience growing up in a survivor family. Very few of my students are Jewish or have any kind of personal connection to the Holocaust. Many have grown up in countries where there is no mandated Holocaust education. I teach a unit on Holocaust literature in my introduction to literature classes for beginning students. Consistent with the reviewed research, the challenge has always been to provide the context and connections necessary to make an event that happened so many years ago, on a different continent, involving people who are “other,” relevant in the 21st century. To accomplish this, I do three things. First, I provide a range of materials; students watch films, view archival footage, review primary source documents and maps, and read letters, diary excerpts, memoirs, poetry, and short stories. They also learn about the lives of the people whose work they are reading. For example, I often share parts of my father’s story with my students – it impresses upon them that these things happened to real people, who continue to feel the effects of the horror today. My father’s mother and four younger brothers and sisters were killed at Auschwitz in 1944. I’m named after one of his sisters, who was only ten years old when she was murdered. Second, I relate the struggles of that time period to social justice issues and challenges today. There are many connections that my students make – many know what it is like to have to escape war or persecution, to lose citizenship and become a refugee, to deal with discrimination or being targeted because of race, sexual orientation, or religion. Third, I involve them in a research project that makes use of digital archives at two Holocaust museums – The United States Holocaust Memorial Museum in Washington, DC, and Yad Vashem in Jerusalem – and oral history interviews with local survivors that are available at the KHC. By working with these archival collections, students interact directly with objects and testimony from the past and do original research and creative writing to generate work that is personal and immediate. As they explore objects that have been excavated or donated only recently to these museums, they realize that survivors are passing away, that all of the stories have not been told, and that they themselves have become a part of this perpetuation. In addition to teaching introduction to literature courses at QCC, I was able to revive a Holocaust literature course. I worked with the curriculum committee of my department and the college to institutionalize the course as a permanent upper-division elective. I recruited other faculty members who were willing to teach the course, so that one section could be offered each semester. I also began
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working with the KHC’s director at the time, Dr. Arthur Flug, to strengthen the connections between the Center and the English Department. I taught a section of the class at the Kupferberg Center one semester. There was a strong desire to have an even stronger connection between the Center and other academic departments and students at QCC. I was invited to be part of a team that wrote a successful grant application for the KHC that helped to provide more Holocaust programming and educational opportunities. In 2011, the National Endowment for the Humanities chose six community colleges in the United States with a focus on creating national demonstration models of effective incorporation of campus-based cultural resources. With the NEH matching support of $500,000, the KHC was able to raise $1,000,000 to endow a program that generates $50,000 each year to support a year-long series of faculty-coordinated events that are both open to the public and available for incorporation into the syllabi of classes across the campus. Holocaust education is meant to fight genocide. Genocide will continue to be a problem going forward, as a result of war and conflict and because of the continuing vulnerability of ethnic and religious minorities. There is an expectation that factors such as climate change will contribute to more scarcity of resources, more struggles, and the creation of more displacement. All of these pressures contribute to the likelihood of ethnic violence and genocide. Historian Yehuda Bauer (2001: 2f.) writes: “Let me state my biases. I think that the planned total murder of a people was an unprecedented catastrophe in human civilization. It happened because it could happen; if it could not have happened, it would not have done so. And because it happened once, it can happen again. Any historical event is a possibility before it becomes a fact, but when it becomes a fact, it also serves as a possible precedent. And although no event will ever be repeated exactly, it will, if it is followed by similar events, become the first in a line of analogous happenings. The Holocaust can be a precedent, or it can become a warning. My bias is, in a sense, political: I believe we ought to do everything in our power to make sure it is a warning, not a precedent.”
Holocaust education involves understanding that it can definitely happen again, and that the goal must always be working towards anything that might prevent it. I began to put together the proposal to be the faculty coordinator of the 2013–2014 NEH/KHC Colloquium Series “The Holocaust in a Global Context: Connections Across the Community College”. I wanted the series to be interdisciplinary – open to anyone and everyone on campus who wished to participate, and utilizing speakers from various disciplines from both our faculty and the outside – and I wanted to encourage faculty and student participation by enlisting faculty within
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my own department, both adjunct and full-time, to create units that could be part of the required English classes that every student on campus takes: Introduction to Composition and Introduction to Literature. Towards this end, I formed a faculty work group and I was able to offer participants stipends to support their work. Instructors were encouraged to be creative and to work with their own strengths, instincts, and interests to create small units within their classes that would provide connections to the planned events, without students having to be in designated Holocaust courses. The faculty work group met during the fall to design their units, and participants taught their units in the spring. Fourteen English faculty participated and created units that included and incorporated Holocaust literature, the genocides in Cambodia and Rwanda, concentration camps, World War II, poetry, film, Japanese internment camps, biopolitics, Hannah Arendt and Giorgio Agamben, “A Letter from Birmingham Jail” by Martin Luther King, the American Dream, assimilation, hate literature and propaganda, the experiences of American servicemen in Vietnam and the experience of being “other” in America today. I wanted the colloquia series I created to reflect a social justice perspective. As in my classes and with my teaching, I wanted students to be able to make connections between the persecution of the past and on-going struggles in the present. One of the most difficult things about studying the Holocaust is that we are too late. We are too late to save a single person or change the fate of even one victim. I remember attending a conference for survivors and children of survivors in the 1980s. Holocaust memorials and museums were going up everywhere – I believe, at last count, there were eighty-seven in the United States alone. One survivor told me, “I wish they would stop raising money for museums. Take that money and use it to save one mother and one child who are suffering somewhere now – enough with the museums.” I have often felt that almost everything bad that is happening in the world today can be traced back to or related to something bad that was happening during the “Third Reich”: discrimination, prejudice, racism, persecution, occupation, deportation, murder. When something is happening during our own time or within our own society, at least we have the possibility of engaging and making a difference. Thus, I planned a special session entitled “Being ‘Other’ in America Today” and asked one of my colleagues in the English Department, Dr. Trikartikaningsih Byas, to facilitate. This event featured speakers including: Dr. Rose Marie Äikäs, Professor of Criminal Justice at QCC, who discussed the prison population today and issues of legal justice in America; Ms. Jessica Rogers, a lecturer in the English Department who was knowledgeable about New York’s controversial “stop-and-frisk” policy; Mr. Jordan Schneider, a lecturer in the English Department who discussed class, race, and issues in public higher education; New York City Councilman Daniel Dromm,
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who spoke on behalf of the challenges facing the LGBTQ community, particularly in New York City; and Dr. Genny Beemyn, director of The Stonewall Center at the University of Massachusetts at Amherst, who had published and spoken extensively on the experiences and needs of trans people, particularly gender-nonconforming students. Students attending made strong connections between prejudice and discrimination in the past and the struggle against prejudice and discrimination now. The KHC uses the lessons of the Holocaust and other mass atrocities to teach and empower citizens to become agents of positive social change in their lives and in their communities. Through its student and community programs and two galleries for original exhibits, library and archives, the KHC now serves approximately 20,000 visitors each year. Through the NEH grant, the KHC has been able to sponsor programming connecting Holocaust education to Queensborough students: “Genocide, Justice and Human Rights,” organized by Dr. Sarah Danielsson (History) in 2012–2013; “Testimony Across the Disciplines: Students Respond to Genocide through Culture and Art” led by Dr. Cary Lane (English) and Steven Dahlke, D.M.A. (Music) in 2014–2015; “Gender, Mass Violence and Genocide,” led by Dr. Amy Traver (Social Sciences) in 2015–2016; “Fleeing Genocide Displacement, Exile and the Refugee,” led by Dr. Aliza Atik and Dr. Katherine Alves (English) and Dr. Mirna Lekić (Music) in 2016–2017. The most recent faculty colloquia series, “Complicity and Collaboration,” was created by Dr. Azadeh Aalai (Social Sciences) and ran in 2017–2018. A culmination of the work done at Queensborough is a teaching volume entitled Humanistic Pedagogy Across the Disciplines: Approaches to Mass Atrocity Education in the Community College Context, edited by Dr. Amy Traver and Dr. Dan Leshem, published by Palgrave Macmillan. The volume, which details key insights from and lessons learned through the first five years of faculty-led colloquia, reflects four approaches to mass atrocity education in the community college context: Arts-Based, Social Justice, Textual and Outcomes-Based. Multiple chapters in this volume present examples of social justice approaches to Holocaust, genocide, and mass violence education at QCC. In these chapters, faculty from very different courses within different academic departments demonstrate how they created units and assignments that connected to the genocide and human rights programming provided by the NEH/KHC Colloquium Series. In “Incarceration through the Lens of Genocide and Restorative Justice,” Rose Marie Äikäs describes how her criminology students draw on genocide, mass incarceration, and restorative justice frameworks to explore testimonials by formerly incarcerated women. In “Dancing to Connect: An Interdisciplinary Creative Arts Approach to Holocaust Education within Liberatory Pedagogy,” the interdisciplinary team of Aliza Atik, Ben Miller and Aviva Geismar created a pedagogical project involving an English
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literature course, a dance choreography course, and an English composition course at Queensborough Community College (QCC). In “ELLS3 Benefit from Peer-toPeer Collaboration Focused on Acquiring a Multicultural Education,” Julia B. Carroll describes how this educational focus can benefit English language learners and acknowledges the on-going challenges of hateful rhetoric, mass violence and genocide. In “What Will They Get Out of It? Utilizing Learning Outcomes from Both Music and Holocaust Education in Developing a Choral Music Project,” Steven Dahlke discusses some of the myriad benefits and significant outcomes for students as justification of a learning institution’s value as an engine for practical, economic, and positive societal growth. Barbara K. Emanuele, in “Trust No Scorn on the Page and No Hate in the Frame,” details a project that required students’ close reading of some of the vilest hate texts ever written, their assessment of these texts for patterns in language and image composition, and their creative efforts to reframe them to promote tolerance and understanding. Franca Ferrari-Bridgers, in “‘I thought Natives were all living an idyllic country life …’: Students Reconsider North American Indigenous Peoples’ Lives Through Speech, Gender, and Genocide” links the study of the Holocaust to Native American experience in the United States. Danny Sexton’s “Using Cultural Resources and Problem-Based Learning to Prepare Students to Become Global Citizens,” describes shifts in composition theory that shift the focus to the larger global community and the ability of students to become active participants in changing their communities and the world. In “Students Reflect on the Intersection of Sex, Gender, and Genocide from a Social-Psychological Perspective,” Azadeh Aaalai details some of the challenges inherent in presenting the Holocaust to students and how she strives to present her students with different textual or theoretical perspectives with which to understand and analyze it. The range illustrated by these projects is a testament to how far the Queensborough faculty has come in a relatively short period of time with regard to integrating quality Holocaust and mass atrocity education into the humanities curriculum at Queensborough Community College. The kind of work being done at Queensborough in integrating Holocaust education into the humanities curriculum of an undergraduate degree requires different kinds of investment, support, engagement and “buy-in”. It begins with funding – the funding from the National Endowment for the Humanities enabled the Kupferberg Center to focus more on Queensborough students and try to connect the Center to the various disciplinary departments on campus. A program like the colloquia series also requires administrative support to engage and support faculty and plan and hold large events. It is helpful to have support and participation from the commu3 ELLS = English Language Learners
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nity – the Center has many partners and events are open to both students and the public. In addition to financial support, faculty who planned year-long colloquia series received important administrative support from the staff at the Kupferberg Holocaust Center. Some faculty members organized the year-long programs; others planned or supported individual events, brought classes or encouraged students to attend on their own, participated in assessment activities and connected the colloquia series to classroom pedagogy. The interdisciplinary focus of the colloquia series was important – it fostered inclusivity and created collaborative connections, drawing faculty from across departments and disciplines. It was also important to build in professional development opportunities. During my colloquia year, I was able to offer participating faculty stipends that supported their work and enabled them to create something new, perhaps a little bit outside of what they normally taught. In my own department, fourteen faculty members – both adjunct and full-time – participated in creating units in required introductory English classes that connected to the Holocaust, genocide and the Kupferberg Holocaust Center. There is a debt that we owe to the past – to the sufferings of the innocent. Many of my students tell me that the Holocaust feels like the most important thing that they have ever studied. Once again, we are living through the rise of autocratic rulers and right-wing governments. The rhetoric is familiar: xenophobia, nationalism, white supremacy. Minorities and immigrants are targeted. The global refugee crisis – estimated at 65 million – is considered the worst since the aftermath of World War II. Many victims fleeing war, conflict and persecution are trapped between countries. Laurence Rees (2017: 429) writes, “… I believe it is still important to understand how and why this crime happened. For this history tells us, perhaps more than any other, just what our species can do.” My students reflect on comparisons between the past and present, and share their fears and hopes for the future. One made the comment, “I want to figure out how they did it then, so that I can work to keep it from happening now.”
Bibliography Baer, Elizabeth R. (2004): ‘The Terribleness Runs Through You:’ An Evolving Paradigm of Holocaust Pedogogy. In: Sibelman, Simon P. (Ed.): Teaching the Shoah in the Twenty-First Century: Topics and Topographies, Symposium Series, Vol. 78, Lewiston: The Edwin Mellen Press, pp. 193–206. Bauer, Yehuda (2001): Rethinking the Holocaust, New Haven: Yale University Press.
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Berenbaum, Michael (2004): Case Studies of Genocide Perpetrated in the Twentieth Century, Case Study 3: The Holocaust. In: Totten, Samuel (Ed.): Teaching About Genocide: Issues, Approaches, and Resources, Greenwich, CT: Information Age Publishing, pp. 119–132. Berke, Jacqueline/Saltzman, Ann L. (Eds.) (1996): Teaching the Holocaust: The Case for an Interdisciplinary Approach. In: Millen, Rochelle L. (Ed.): New Perspectives on the Holocaust: A Guide for Teachers and Scholars, New York: New York University Press, pp. 131–140. Best Practices in Holocaust Education (2006): Report to The San Francisco Jewish Community Endowment Fund, submitted by The Berman Center for Research & Evaluation in Jewish Education, Leora W. Isaacs, Ph.D., Director. Hayes, Peter (2017): Why? Explaining the Holocaust, New York: W. W. Norton & Co. Langer, Lawrence (2006). Using and Abusing the Holocaust, Bloomington, Indiana: Indiana University Press. Leshem, Dan/Traver Amy E. (Eds.) (2018): Humanistic Pedagogy Across the Disciplines: Approaches to Mass Atrocity Education in the Community College Context, New York: Palgrave Macmillan. Rees, Laurence (2017): The Holocaust: A New History, New York: Public Affairs. Snyder, Timothy (2014): Holocaust History: An Agenda for Renewal. In: Weiss, Theodore Zev/Earl, Hilary (Eds.): Lessons and Legacies XI: Expanding Perspectives on the Holocaust in a Changing World, Evanston, IL: Northwestern University Press, pp. 357–368.
Teaching and Learning History with the Concept of the Nazi Volksgemeinschaft – An Alternative for Holocaust Education? Uwe Danker and Astrid Schwabe
The concept of the Nazi Volksgemeinschaft Abstract
In history, the concept of the Nazi Volksgemeinschaft is currently enjoying a productive discussion. The transformation from a time-bound, programmatic model for society to a historiographical concept, it has become a crucial analytic category in the canon of instruments used in the attempt to understand National Socialism. In shifting the focus to the measures of inclusion and exclusion, which culminated in the events of the Holocaust, the concept of the Volksgemeinschaft delivers a broader view of society under the Nazi regime, of its social practices and changes. The image of the “ordinary Germans” becomes more contoured; the approaches to explaining and discussing individual patterns of behavior become more comprehensive. The study of the Nazi Volksgemeinschaft, with its ambivalent mechanisms of (alleged) harmony on the one hand and violent, at times murderous exclusion on the other, shows that social homogeneity is based on exclusion. The concept of the Nazi Volksgemeinschaft has far-reaching potential – not only as an analytic instrument, but also with regard to history education and to the current and forward-looking discourse on the history of National Socialism and the Holocaust in schools, universities and any other place of history learning. With no ethics lessons and finger-wagging, and as an alternative to conventional Holocaust education, which is often moralistic and detached from the historical context, analyzing the Nazi Volksgemeinschaft keeps the real historical subject in the foreground and makes it possible to gain sustained knowledge about a past reality.
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Gloe und A. Ballis (Hrsg.), Holocaust Education Revisited, Holocaust Education – Historisches Lernen – Menschenrechtsbildung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24207-7_15
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Uwe Danker and Astrid Schwabe
Zusammenfassung
In der Geschichtswissenschaft wird gegenwärtig der Begriff der NS-Volksgemeinschaft produktiv diskutiert: Mit der Transformation von der zeitgenössischen, programmatischen Idee zum historiografischen Konzept erweitert er inzwischen als wesentliche analytische Kategorie das Instrumentarium zum Verständnis des Nationalsozialismus: In den Fokus rücken nunmehr Maßnahmen von Inklusion und Exklusion, kulminierend im Geschehen des Holocaust, und ermöglichen damit einen umfassenderen Blick auf die Gesellschaft unter dem nationalsozialistischen Regime, ihre sozialen Praktiken und Wandlungen – konturierter wird so das Bild der „ganz normalen Deutschen“, umfassender werden die Ansätze zur Erklärung und Diskussion individueller Handlungsmuster. Weitreichende Potenziale birgt das Konzept der NS-Volksgemeinschaft dabei nicht nur analytisch, sondern auch hinsichtlich des historischen Lernens und der gegenwärtigen wie auch zukunftsorientierten Vermittlung der Geschichte von Nationalsozialismus und Holocaust in Schule, Universität und übriger Geschichtskultur: Abseits von Ethikunterricht sowie erhobenen moralischen Zeigefingern und damit als Gegenentwurf einer herkömmlichen, vielfach dekontextalisierten, vom historischen Kontext gelösten und moralisierenden Holocaust-Education, findet hierbei stets die Auseinandersetzung mit dem realen historischen Gegenstand statt, wird nachhaltige Erkenntnis über vergangene Wirklichkeit möglich.
“Yes, it’s all just horrible and dreadful. No argument. But there must have been something positive about National Socialism, a different side, that convinced our grandparents to choose Hitler. What could it have been?” (Danker 2014: 7). This is what a young woman wrote into the guestbook after visiting a concentration camp memorial site. Her question is more than warranted. It expresses her guileless interest in the eternal questions of “How was it possible?”, “Why did the people do it?” To put it in academic terms: It is a question about the mechanisms of Nazi society. When we do that, it takes us right to the central point of our proposal.
The concept of the Nazi Volksgemeinschaft
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From erstwhile promise to instrument of analysis in the study of history
In recent years, the field of history has seen the development of an intense and productive debate on the concept of the National Socialist national community – the Volksgemeinschaft. When viewed not as a historical “program” but rather as a historiographical concept, it extends the analytical repertoire for understanding and explaining National Socialism, despite some criticism from prominent scholars (Mommsen 2008; Kershaw 2011). The term can, at present, be considered as accepted within the scientific community: The concept of the Nazi Volksgemeinschaft contributes, as we will show, a new breadth to the study of Nazi society and Nazi rule. And we believe it can do even more. Until the 1980s, German historical scholarship saw the Nazi term Volksgemeinschaft as merely a propaganda term or a myth. It has only been in the last 15 years that the Volksgemeinschaft has become a potential category of analysis, but in that time it has been studied and debated intensively. Currently, the National Socialist Volksgemeinschaft is understood as a system of social order, with considerable potential for the „self-empowerment of the Volksgenossen (members of the national community)“ in the Nazi consensus dictatorship. Numerous studies, edited volumes, and research reviews on the debate are now available (Frei 2005; Wildt 2007a, 2007b, 2010; Bajohr/Wildt 2009; Schmiechen-Ackermann 2012; Oltmer 2012; Reeken/Thießen 2013; Steuwer 2013; Reinicke et al. 2014; Steber/Gotto 2014a, 2014b; Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 2014). Meanwhile, the development of the debate of the Volksgemeinschaft over time has been historicized and several studies have precisely traced its course (Schmiechen-Ackermann 2012; Steuwer 2013; Mühlenfeld 2013; Danker 2014: 63–68; Bajohr 2017; Steber/Gotto 2017).
2 The Volksgemeinschaft concept and its mechanisms The Nazi Volksgemeinschaft, if we assume that it was real, was Janus-faced, even to its fundamental mechanisms. As early as in 1982, Detlev Peukert recognized this “highly oppressive dimension” of the Volksgemeinschaft, which engendered “an acceptance of terror” (Peukert 1982: 233). Understood as an alternative to the highly disparaged “disconnected” society of the western world, the Volksgemeinschaft – new, German, and charged with emotions and expectations – would take hold in the “Third Reich” on the foundation of National Socialism. The Nazi regime promised those whose race, health, and social, political and ideological stance conformed to
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the Nazi norm – for most of the German population – the experience of a highly homogenous community with none of the social, political, or cultural conflicts so endemic in the modern age, in part with a return to a traditional social order. The Volksgemeinschaft was about common experiences and a perceived reality, not about new, possibly even egalitarian social structures. The promise specifically called for the “creation of inequality” (Bajohr/Wildt 2009: 19), which would be established primarily along biological-racial lines (Bajohr 2009: 89f). German “Aryans” would experience homogeneity, while “Jews,” “gypsies,” and “mentally retarded ‘ballast’,” “Berufsverbrecher” [criminals by profession],” or “antisocial characters” and, with the outbreak of the war, “Volksschädlinge” [racial parasites, public enemies], would be “culled” or “eradicated”. Those who “stood on the wrong side” politically or ideologically, could, so the assumption, still be assimilated by means of re-education in a concentration camp. The motor that ran the Nazi Volksgemeinschaft thus had two components: harmonious inclusion on the one side, brutal to murderous exclusion on the other. This is the self-feeding mechanism underlying any national community! The terms Volksgenosse [ethnic/racial comrade] and Volksschädling [enemy/parasite of the people] manifest the inseparable processes of inclusion and exclusion. But the interdependence of the two opposing poles cannot be ignored: Homogeneity is created by marginalization and exclusion. – Incidentally: Inherent in a “we-feeling” is a perception of otherness, of “them”. Yes, all social groups use this mechanism, but rarely in such an extreme and escalated form. We’ll come back to this. Michael Wildt takes the most forceful position with his empirically underpinned argument that the Volksgemeinschaft’s harmonious inclusion was based on “a brutal practice of exclusion” (Wildt 2007b: 67). The Volksgemeinschaft was formed “in action” – it was “a community that had an enemy, whose persecution and expulsion became the touchstone of its existence” (Wildt 2010: 93). According to Frank Bajohr, the goal of the Nazi domination project was the generation of a “war-ready Volksgemeinschaft” (Bajohr 2009: 78), which would act as an accomplice to its leadership. This kind of complicity – in the Holocaust, for example – certainly contributed to binding the followers and the leadership of the Nazi Volksgemeinschaft to each other (Sandkühler 2010: 126ff.; Kundrus 2010: 135; Wildt 2007b: 73). At the same time, a (pseudo-)harmonious project was created that many Volksgenossen were drawn to, especially after the social upheavals of the previous decades. Without the “adoption of considerable social cohesion” by means of a “feeling of social equality,” according to Norbert Frei with reference to the “realities of German life” during the period of National Socialist rule, the “functioning of the Nazi regime” cannot be explained (Frei 2005: 110, 114).
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Result: To deepen historiographical understanding
Many historians agree nowadays that the Volksgemeinschaft, as a historical term and analytical category in historiography, allows a deeper understanding of society during the Nazi regime, of its practices and changes, and its inclusionary and exclusionary processes. It allows for a sharper view of the “ordinary Germans” and thus the expanded opportunity to explain and discuss individual patterns of behavior. In it, as we will show, the classic groups of perpetrator – victim – by-stander disintegrate. The analytic potential of the Volksgemeinschaft is obvious. But does it help in transmitting an understanding of National Socialism with regard to Holocaust education? More precisely: What role, if any, does the analysis of Nazi society play in Germany when National Socialist history is relayed, be it in classrooms, at historic sites, or in popular culture? First we will discuss impressions of some places of education. Even without specific empirical proof, one thing is obvious: The subject of Nazi society, long neglected by historical research, is likewise neglected in current history education. Of all things, it is the basest propaganda myths – the (supposed) reaction to the Great Depression and Hitler’s salvation-bringing Autobahns – that live on, decades later, in the collective German memory. Something has to change in Nazi/Holocaust education. All of the problems named tend in the same direction: Education must deal more intensively with Nazi society, in order to learn about mechanisms by which violence is radicalized and about motives for involvement. It must look at the perpetrators, followers, and by-standers, and analyze the Nazi Volksgemeinschaft.
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On learning history
History scholarship is thus negotiating the use of the Volksgemeinschaft as both a primary source and an instrument for analyzing the social history of National Socialism. These fruitful debates are taking place within academia. If one takes into consideration that understanding and explaining history smooth the path to learning history – the domain of the didactics of history, as we specifically call it in Germany – then one can conclude that this deeper understanding must be transferred to the teaching of history, to history education. The strengths of the concept must be made available to those learning about National Socialism and the
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Holocaust. Thus after determining the analytical potential, the didactic potential must also be examined. But there we find a noticeable and completely surprising deficit: The debate about the concept of the Nazi Volksgemeinschaft is practically non-existent in the field of history education. The educational benefit of this concept and its implications for learning processes about nationalism are barely discussed on the theoretical-conceptual level – this is particularly true of Holocaust education. When the Volksgemeinschaft term is mentioned in practice, problematic implications can be recognized. The issue was first addressed in 2015 at an academic conference, with the question of whether the concept of the Volksgemeinschaft could be understood as “a key to learning history” (Danker/Schwabe 2017; This article draws from the outcome of that conference. See also: Thiessen 2014; Barth 2017). The issue of using the Nazi Volksgemeinschaft for learning history can be contextualized: We want to make the Volksgemeinschaft the starting point and the focus of teaching about National Socialism, because reflective historical knowledge is useful in learning about history. To what extent does the concept of the Nazi Volksgemeinschaft hold specific opportunities to better understand the functioning of National Socialism in terms of ruling and social aspects? Which possibilities, but also which difficulties and problems, does a more analytical, more reflective view of the “attractive”, “auspicious” sides of Nazi rule offer in the context of history education – can we answer the young woman’s question with which we opened this article? Once again for the record: Teaching history derived specifically from the study of history, and not just from general education, has, in our opinion, the normative task of transferring innovative, knowledge-expanding scholarly approaches to historical subjects into the practice of conveying history, both in the classroom and in anarchically uncontrolled extracurricular learning. It is not expedient to wait and see how academic insight makes its way into education. Our approach is to normatively intervene in this process by formulating claims and standards, justifications and reflections, expectations and theses. If we use the term “history-didactics potential”, we are, of course, talking about the teaching of history, the initial approach to and furthering (or even hindering) of history learning. This applies, however, by no means only within state institutions of history education – these we see as special, albeit important, cases – but rather everywhere that history is dealt with, be it in literature and mass media, memorials and museums, in intergenerational transmission in families or by culturally institutionalized contemporary witnesses. For all sectors of the suggested Geschichtskulturen (historical cultures) (Rüsen 1994, 1997a; Schönemann 2014b; Pandel 2013: 161–177): We assume a positive his-
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tory-didactic potential if a concept really helps find answers to historical questions and promotes historical understanding. This sounds simplistic, but there is a concept behind it. Even though we have neither a convincing theory nor even an indisputable definition of history learning (Rüsen 1997b; Bergmann 1998; Pandel 2013), all current historiographical or history-didactical approaches are based on the central category of historical consciousness (Geschichtsbewusstsein) (Schönemann 2014a; Pandel 2013: 123–160, 1987), which, depending on the school, is the development of the ability to judge based on history (historische Urteilsfähigkeit) (Jeismann 2000) or the construction of meaning from history (historische Sinnbildung) (Rüsen 2008: 70–114), or is constituted in the current perspective from acquired historical knowledge, however that knowledge may be defined (Heil 2012; Körber et al. 2007; Sauer 2006). Regardless of whether these changes of the individual historical consciousness are purposefully taught or acquired anarchically, and regardless of whether they show progression or regression, we choose to see them as history learning, based not on facts and bits of knowledge, but on the development of recognition procedures and competencies of the learners, who, as autonomous-minded people, can work out answers to their historical questions and find orientation in their present world. It is not about simple lessons learned from the past, but about historical thinking, critical, reflective involvement with constructions of history.
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Potentials of the Volksgemeinschaft concept for historical learning
And now a more concrete look at the potentials of the Volksgemeinschaft concept: What is its specific contribution to deepen an understanding of National Socialism and thus to a modified communication of Nazi history? To which questions can the concept provide (in-depth) answers, where might it further and improve historical understanding? We can outline six stages of learning: a. Initially, the concept integrates what are viewed as opposing aspects of Nazi rule and society. That sounds trivial, but if it helps to respond to our young person’s desperate question about “the positive” in National Socialism – not to rebuff it with platitudes, but rather to take it seriously, to analyze it and consider the complexity of why her (great-)grandparents, despite the concentration camp in the neighboring village, didn’t distance themselves from it – then essential understanding is generated. It is depressing, indeed distressing; but the way is open (and the goal).
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b. With sober distance and analytical radicalism, perhaps initially supported by a not-quite-accurate image of “two sides of a coin”, one comes nearer to the motor of the Nazi Volksgemeinschaft: the model of inclusion and exclusion in generating a supposedly harmonious homogeneity. In this mechanism, one cannot be had without the other, each explains and requires the other. The equality of opposites, their interdependent presence is the key to understanding. c. The memories can then be arranged and integrated phenomenologically. Those who experienced the Nazi era (if they were not among the victims) may remember the pre-war period with feelings of consolidation, community and upward mobility, and the war phase with feelings of victimhood, while later generations’ memory is dominated by the Holocaust and the war of extermination. But these “disparate memories” are both valid, each being one side of the same coin. An understanding of the concept of the Volksgemeinschaft resolves the contradiction, brings the two sides together, results in integration. d. On the analytic application of the concept: The cumulative unfolding of the ultimately unbridled brutality of the Nazi regime cannot be sufficiently explained by dictatorial structures and fanatical hatred. The explanation must include the strictures and the power of the social interdependencies (Norbert Elias) of inclusion and exclusion, which can be examined by focusing on the empirically proven broad acceptance and mass participation. Doing so gives contour to the society in which the historical process of the Holocaust was embedded, which gave birth to it, gave it room to grow, and supported it. After decades of defiance, this approach to analytical learning shifts the focus to the “ordinary” Germans, to behavioral patterns, and to room for maneuver on a playing field of opportunism, bystanderism, active involvement and levels of entanglement. e. This also has consequences for the choice of perspective for orientation. Thanks to Hilberg’s great works, we have learned to distinguish between victims, perpetrators and bystanders (Hilberg 1992). Now boundaries are blurring, in particular between perpetrators and bystanders, a differentiation which could so reassuringly be verbalized with the contrasting pairs of “Nazis” and Germans, abnormal and normal, guilty and non-affected. No more. The Nazi Volksgemeinschaft, driven and escalated by the underlying exclusion and inclusion, created, without a doubt, a completely different reality with many shades of gray, shadows and cross-border collective and individual biographies. f. Incidentally, there is much to suggest that the Nazi Volksgemeinschaft, with its processes of inclusion and exclusion, represents the extreme case of universality. The fields of group sociology, system theory and social psychology are well-acquainted with the social orientation and design mechanism (Luhmann 2008: 229; Tajfel 1982; Petersen 2011; Pohl 2012; Howind 2011). In creating a
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we-conscioussness, groups do not always take recourse to delimiting images of the other, the non-belonging, but it does often happen. Social homogeneity is also generated by exclusion, of both minorities and outsiders, expressed on the macro level by racism, on the micro level through stereotypes, prejudice and discrimination. Depending on the group structure, its norms or culture, its makeup, goals, or processes, this dynamic mechanism is sometimes more pointed, sometimes less so. Without further examining these implications, one last word: Applying what we know about group sociology to the Nazi Volksgemeinschaft, which, to our knowledge, has not yet been done, seems very fruitful. Danker points to the connection between biographical experiences of the Holocaust and the work of important researchers of group sociology in the 1950s and 1970s, such as Henri Tajfel (Danker 2014: 83).
6 Conclusion Our focus is history education, not ethics lessons, not decontextualized moralizing, not rejecting or practicing tolerance. Our profession is history, understood as a thought process, always related to past reality, which we seek to reconstruct and understand. This applies to didactically-supported history education as well as to scholars researching the field. We want to once again emphasize the radical education in which our approach is anchored: In contrast to some approaches to Holocaust education, with their established values of good and evil and their moral goals, our approach also addresses a sensitive area of potential conflict between an intentional lack of pre-defined values – it is left to the learners to decide – and the progressive development of moral awareness (Baumgärtner 2003). Our approach always remains historically relevant – it deals with historical National Socialism and its social and ideological structures, and that is where we stay. The subject is concrete and at the same time very complex. The aim is to understand and gain knowledge about a former reality, about the perception as it was at the time, and to analyze the concept of the Volksgemeinschaft, with its motor of inclusion and exclusion, which culminated in, among other things, the singular events of the Holocaust. Without claiming that the National Socialist Volksgemeinschaft actually existed, we gradually draw nearer to Nazi society, examining its shades of gray and its complexity, thereby scrutinizing the threshold between perpetrators and bystanders, the fluidity of the contours of each group. National Socialism is
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analyzed and its social structures are revealed using the Volksgemeinschaft concept as a concrete, empirically documented example. This is namely the important difference to some approaches in Holocaust Education, especially in the USA, Great Britain and the Netherlands, which are often far removed from the actual historical-events. Indeed, they often de-contextualize the Holocaust, characterizing it as the quintessence of evil, and declare mechanisms to be perceived patterns and supposed certainties (Sandkühler 2012: 50–76, especially 53–56; Knigge 2005; Zumpe 2012: 64–67. On the universalization and contextualization of the Holocaust in general see also Levy/Sznaider 2007; Assmann 2013; Eckel/Moisel 2008; Pohl/Schwabe to appear in 2018). In part, Holocaust education is used to teach tolerance, to educate about human rights, and to promote civil courage without explicitly addressing the historical events of the Holocaust (Hanfland 2008: 27f.). We do want to take into consideration, however, that the field of Holocaust Education is very broad and often disordered, in both the German-speaking countries and, more particularly, in other national contexts. What is understood by the term, which is often used as a catchword, usually remains vague (Mounajed 2012; Völkel 2015). Often it is used as a kind of umbrella term for any effort to commemorate National Socialism and the Holocaust and the transmission of this history. It is quite rare to find an attempt to more closely define the term, whether in public discourse or in specialist literature (Matthes/ Meilhammer 2015: 10f.). Matthes and Meilhammer broadly classify the numerous approaches to Holocaust education into two fields, with the proviso that they are ideal types and cannot be strictly separated. They regard the connecting element between the fields in a relation to their respective present, closely bound to commemoration. While one sees the concrete reference to the history of the Holocaust as indispensable, the other considers the Holocaust more as a kind of case study to reflect upon issues of tolerance, discrimination, persecution, and human rights. Our reflections on history education using the concept of the Nazi Volksgemeinschaft are an alternative to a de-contextualized, ethical-moral education distanced from the historical subject. There is one final remark to be made: Understanding and deciphering National Socialism in more depth, we are at once confronted with a universalism, namely the mechanism of inclusion and exclusion known to all societies, nations and groups. This specific type of history education suspends us between the singularity of the historical Holocaust and the mechanism’s manifestation in the present and the future, which can, at least in part, be considered as analogous to mechanisms of the Nazi Volksgemeinschaft, even if we keep the differences in mind. Those who see Cambodia of 1976, Rwanda of 1994, Srebrenica of 1995, and a number of other instances as examples of fairly modern genocidal crimes will
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become more cautious in emphasizing the unique and incomparable nature of Nazi crimes, even though some elements are indisputably singular. Increasingly, the realization will come to the forefront that certain structures and processes inherent in genocidal crimes have anatomical similarities, seem to be comparable, indeed must count as pathological degenerations of human collectivization. With all necessary caution and distance: Through an understanding of history, it may be possible to learn to see patterns of repetition.
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Digitizing Willi Graf of the White Rose: A Role Model for the Millennials Presentation for the Didactics and Sustainability Session Stephani Richards-Wilson
Abstract
For almost two decades, Alverno College has confronted the monumental moral lapse of the Holocaust by hosting an annual remembrance service at which survivors tell their stories. Yet, with the passage of time, their testimonies can seem far away and unimaginable. Moreover, the acts of the perpetrators, bystanders, and victims leave little space for the accounts of resisters such as Willi Graf of the White Rose. How can today’s students relate to his moral courage from so long ago and develop their own? The intent of my contribution is to demonstrate the usefulness of creating digital posters as a means by which students can connect in time and space to role models such as Willi Graf, offering them the opportunity to promote aesthetic engagement and to assess their own ability to recognize the moral dimensions of one’s decisions. Including a self-assessment component allows students to join the narrative and to reflect on the consequences of accepting responsibility for one’s actions. In addition to the educational benefits, digital posters serve as virtual reminders of what ordinary individuals like Graf, a student himself, can do in extraordinary times. Zusammenfassung
Seit fast zwei Jahrzehnten erinnert das Alverno College mit einer jährlichen Gedenkveranstaltung an den Holocaust, bei der Überlebende ihre Geschichten erzählen. Die große zeitliche Distanz kann ihre Erlebnisse bisweilen jedoch fern und unvorstellbar erscheinen lassen. Die Berichte über Täterinnen und Täter, Mitläuferinnen und Mitläufer und Opfer lassen zudem wenig Raum für
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Gloe und A. Ballis (Hrsg.), Holocaust Education Revisited, Holocaust Education – Historisches Lernen – Menschenrechtsbildung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24207-7_16
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die Geschichten der Widerstandleistenden, wie Willi Graf von der Weißen Rose. Wie können Studierende von heute seine damalige Zivilcourage nachempfinden und selbst solche Courage entwickeln? Erklärtes Ziel des Beitrages ist es, den Nutzen von digitalen Postern aufzuzeigen und wie sich Studierende über Zeit und Raum hinweg mit Vorbildern wie Willi Graf verbinden können. Dies fördert eine künstlerische Auseinandersetzung und lenkt ihren Blick auf ihre eigene Fähigkeit, die moralischen Implikationen des eigenen Handelns zu erkennen und Verantwortung dafür zu übernehmen. Digitale Poster erinnern virtuell daran, was gewöhnliche Bürger wie Willi Graf in außergewöhnlichen Zeiten leisten können.
1 Introduction Alverno College is a Catholic Franciscan women’s college and was founded in 1887 by three nuns from Schwarzach, Germany. The School Sisters of St. Francis established the college on what had been an old German beer garden near Milwaukee, Wisconsin. Their German notion of Bildung or self-cultivation is still evident in Alverno’s didactics and student-centric approach to teaching and learning. Alverno College has been recognized in U.S. News and World Report as one of the most innovative schools in the US Midwest. Alverno’s ability-based learning approach to undergraduate women’s education has also been chronicled in Time Magazine, The New York Times, and USA Today. In fall 2017, The Wall Street Journal reported that Alverno College was voted “most inspiring among peers” by university students surveyed in the United States. The curriculum continues to focus on reflective learning and students’ individual abilities. What has changed over the course of time is the way in which we educate students and the modality in which knowledge is transferred and expressed. Today, Alverno College is one of the largest Catholic women’s colleges in the United States and is the only Catholic Franciscan women’s college that offers an ability-based curriculum. An ability is the way knowledge is enacted when students learn something. It differs from a competency in that an ability is a transferrable skill, such as analysis, communication, problem-solving, or aesthetic engagement. Performance is a way an ability can be evaluated as in a digital poster created by students. Alverno students engage in experiential learning and must demonstrate what they learned by applying it to their own self-development and ideally in the world at large. They cannot simply memorize facts or recite dates of historical
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significance. They learn by doing and by integrating course content into their lives through meaningful application. Alverno students must also think about their coursework through self-assessment which is essential for ongoing personal growth and transformation. An assessment is an organic process that leads to an acquisition of both knowledge and self-knowledge. Self and peer assessments are part of Alverno’s curriculum as is narrative feedback from instructors. In addition to self-assessment, Alverno College adheres to Franciscan intellectual values such as the pursuit of knowledge through dialogue and collaboration with others. This pursuit of knowledge is a communal activity which must have a moral purpose to promote the common good. Alverno’s annual Holocaust remembrance service is an example of communal learning with a moral purpose. Each year, a Holocaust survivor is invited to campus to talk about his or her experiences during the Second World War. Visiting commemorative sites in Europe is cost prohibitive for many American students who struggle to afford college tuition. Many work and do not have the means or time to travel abroad. The annual remembrance service bridges the distance in time and space and enables students to participate in the life of a Holocaust survivor. Those in attendance are profoundly moved after hearing their stories, however, time is limited and doesn’t permit adequate discussion about resistance among perpetrators, bystanders, and victims. Therefore, in preparation for the remembrance service held every April, faculty are encouraged to assign a project, reading, or activity related to the Holocaust which augments the students’ knowledge base. In 2017, Holocaust survivor Eric Blaustein spoke at Alverno’s remembrance service and exclaimed, “I want the truth.” In today’s digital age where many continue to search for the truth among alternative facts, fake news, and misinformation, assigning a digital poster project that connects the past with the present is an effective way to develop students’ information literacy and ability to critically evaluate the truth. And who better than a Nazi resister to exemplify the truth during the Holocaust? For this reason, I assigned a digital poster activity in which students were to conduct scholarly inquiry and digitize Willi Graf of the White Rose. I will discuss the benefits, criteria, guidelines, and software to demonstrate how digital posters can be incorporated in didactical instruction to bring Holocaust education closer to the hearts and minds of millennial learners. Willi Graf (1918–1943) spent much of his young life seeking the truth and believed every individual was responsible for confronting it. Graf, like the other core members of the White Rose resistance group, was a student at Ludwig-Maximilians-Universität München and was executed for high treason on October 12, 1943. He grew up in Saarbrücken, Germany which acknowledged Graf as an honorary citizen in 2003. The Willi Graf memorial year or “Willi Graf Gedenkjahr,” began
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in 2018 to commemorate the 75th anniversary of his execution and 100th birthday (January 2, 1918) had he lived. With these milestones in mind and in preparation for Alverno’s annual remembrance service, I introduced Willi Graf to my undergraduate students and asked them to reflect on his civic courage. I assigned a two-part interactive activity in the form of a digital poster and self-assessment in which students examined their own values and moral decision-making in lieu of what they learned about Willi Graf in the process. This assignment fostered mindful reflection and self-awareness and can be replicated to focus on other individuals and/or topics within Holocaust education.
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Digital Poster and Self-Assessment Assignment Criteria
Students receive written guidelines and criteria prior to starting the project. Criteria are as follows: • Thoughtfully considers the implications of bystander inaction versus non-violent resistance during the Holocaust, in this case through the actions of Willi Graf. • Critically conducts primary and secondary research to understand and portray the individual (Willi Graf) in the historical context and time. • Clearly states a research question at the top or beginning of the poster and includes a list of references on the last page formatted according to APA mechanics of style. • Creates a digital and aesthetic response that includes photographs, images, quotations, videos, audio, and/or related social media, articles, or insights from books. • Accurately summarizes key findings such as core values and motivations which influenced Willi Graf’s moral discernment and corresponding actions. • Reflects on shared values and completes a self-assessment of his or her learning and new perspectives. • Completes an in-class peer assessment offering constructive feedback on peers’ digital posters and commentaries. Alverno does not issue letter grades. Therefore, upon completion of the assignment, the student’s poster and self-assessment are assessed as “S” for “Successful” or “U” for “Unsuccessful”. In the past, I have asked students to create traditional poster boards. Digital posters, in contrast, are portable and virtual and can instantly reach a vast audience through the internet. A digital poster can focus on an individual, case study,
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or micro-history of people or places. The link can be uploaded and posted on the students’ social media sites. This provides students with opportunities to control their own learning and to create an impact beyond the classroom via a digital trail. Most millennial students are comfortable with technology because they are familiar with it. They grew up in a technology enabled society with immediate access to information. Asking them to critically evaluate and apply online information related to the people and places of the Holocaust builds their digital scholarship and knowledge. While millennial students have always had access to information, they haven’t always had the reflective time and space to consider what it means, what is factual, or who is real. Encouraging students to constantly question, probe, and research shows them the importance of not taking information at face value just because it is on the internet. Many students struggle with evaluating the validity of digital data and can benefit from a digital poster assignment that requires critical thinking. For example, many American students have not heard about the White Rose or Willi Graf. In addition, much of the resources posted on the internet are in the German language. While this poses a challenge in terms of evaluating the existing sources, it forces English-speaking students to seek the most basic information and to question gaps and timelines, contradictions, and/or missing information related to the websites they researched. They are instructed to look for proper citations, lists of references, appropriate language, and reputable sources. They are also encouraged to continue their research in library databases, through email correspondence with archives, memorials, and through direct contact with scholars who published in print or online. For example, students are asked to read Willi Graf’s biography on the German Resistance Memorial Center website and to listen to the audio guide on the White Rose Foundation website. I even show them my own online article and dissertation about the role of Bildung in Graf’s decision to resist National Socialism. As a class, we discuss the circumstances and challenges in which he lived and review the six flyers created by the White Rose students. My students come to know a young man who refused to join the Hitler Youth, refused to enroll in the liberal arts because he believed the Nazis had corrupted the curriculum, and refused to kill once drafted into the German army. Instead, he joined illegal Catholic youth groups for boys, pursued medical studies, joined the Red Cross, and served as a combat paramedic where he saved lives at his own risk and peril on the Russian Front. I instruct students to process what they learned, who they are, and who they want to become. Graf did the same and made time each day for personal reflection and growth. He referred to this as his work or Arbeit in which he searched for meaning and ways to remain true to himself and his beliefs. I also ask the students to review others’ responses to Graf’s story through commentaries posted about him on Wikipedia, Linked In,
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Pinterest, Facebook, and Twitter. That way, they encounter aspects of his life as well as others’ reactions to his self-sacrifice. As a conscientious Christian, Graf didn’t view his life as having been lost. Rather, he saw it being exchanged for a better one in the next world. He made an intentional choice to move from passive to active non-violent resistance. Of all the core White Rose members, he was incarcerated the longest and spent eight months in isolation in Munich’s Stadelheim prison before being beheaded at age twenty-five. Students are asked to consider who or what inspired Graf to act and why? How did he develop the mental strength not to cooperate with the Gestapo? And more to the point, how does Graf inspire them? Student research also includes institutionalized and symbolic commemorations that have memorialized Graf with an online presence and/or physical marker such as the schools in Germany named after him, the city hall in Saarbrücken which honors him with a statue, and the old St. Johann cemetery where he is buried and acknowledged with an honorary gravesite and exhibit maintained by the City of Saarbrücken. For American students who are unable to travel to Germany, independent and uninterrupted viewing of multimedia extends their learning. It allows them to emotionally connect with both Graf and the places that have memorialized him in traditional ways with commemorative plaques on his childhood home and student flat, street names, Catholic masses, and/or memorial services such as the public wreath laying ceremony held each year on the anniversary of his death, October 12, 1943. And for many, making an emotional connection fosters remembrance. In her book, Minds Online: Teaching Effectively with Technology, Michelle D. Miller advocates for contemporary instructional technology and how it can optimize teaching and learning. She maintains that strategic use of technology can create better learning experiences. For example, technology offers new methods to capture and hold students’ attention which is a precursor for memory. It also provides ways for students to connect and become emotionally invested (Miller 2014: xiif). Emotions are part of our humanity and recent findings suggest that emotional responses and cognitive processing can be active at the same time (Darby 2018). This was the case for Willi Graf who, in his mind, demonstrated both an emotional and rational response to what he had witnessed, namely Nazi atrocities against innocent civilians. He examined his conscience and was deeply troubled at what he had seen. He didn’t ask what can be done, but rather, what can I do? Working in the digital space also allows students the flexibility to research and create their poster according to their own existing schedules, comfort level, learning style, and pace. Moreover, it provides them with access to powerful new inquiries, discussions, and images as they become available in the digital environment. For example, in December 2017 and January 2018, online versions of German newspapers published articles about how the Archdiocese of Munich and Freising opened a cause
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to investigate sainthood for Willi Graf. This is an important new development that became instantly available through an internet search. Technology can also transport students to related events via live streaming and podcasting. It can take them virtually to places they physically are unable to travel to such as the United States Holocaust Memorial Museum, Museum of Tolerance, or USC’s Shoah Foundation. As they search these online resources, they discover even more about the people and places of the Holocaust. At the same, and as Michael Gray points out, today’s students need guidance in critically approaching online information because they can unintentionally come across Holocaust distortion and denial websites (Gray 2015: 56f). He emphasizes that instructors cannot afford to ignore the importance of the internet when it comes to Holocaust education.
3 Software At Alverno, we currently use a free, user-friendly graphic design tool called Canva (www.canva.com). (There are other versions of Canva which can be purchased for business or more professional uses.) Canva is a digital web-based tool used to make and customize posters, flyers, infographics, essays, and other publications. Canva offers free professional templates, layouts, and images. Others are available for purchase. It is used around the world and accounts can be created in various languages. Canva can be applied on an individual basis or in a group. It can be used for collaborative learning where students can contribute and edit the same document, although not all at the same time. To start, students create a free account at www. canva.com. They should use an email account they can access after they graduate. Before creating the digital poster, students should have completed their research, downloaded or saved their images, photographs, and multimedia, and typed their text in a Word document. (Posters can be several pages in length.) Saving their work in advance ensures that they do not lose their text due to technical issues in the online design process. Once they design and conceptualize their layout, they should cut, paste, or insert their text and content into the template, making sure to save their work often as they continue to develop their poster. For photographs related to the Holocaust, they start with the platform called “Photos for Class” (http://www.photosforclass.com) where the photographs are already properly attributed. If they want more photographs that are copyright compliant, they typically conduct a Google Image search. (Click on “Tools,” “Usage Rights,” and then “Labeled for reuse with modification.”) To include audio components, students access SoundCloud, a music and audio platform. Other recommendations
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include using sans serif fonts such as Arial or Verdana which are ideal for the web, bold contrasting colors, bullet points, a minimal number of fonts, and no underlining unless they insert a hyperlink and want to indicate a link behind the text. Students can also upload their own photographs and can insert links to various media which are still accessible when the poster is saved as a PDF file. They can also insert social media graphics which are pre-sized for their various accounts such as Twitter. There is even an app. After they create their poster, they can distribute it digitally or save it as a PDF file and forward it or print it. A link to the digital poster can be placed on the students’ social media, in their professional e-portfolios, or the Canva online community. It can be shared with others such as friends, families, or potential employers to demonstrate their abilities, creativity, and knowledge. Web and mobile tools like Canva increase student engagement with the past and nontechnical tools such as self-assessments that require deep thinking can enhance the impact of newfound knowledge. The application of this knowledge is reflected in the poster as a visual and electronic response to what they learned about the Holocaust or in this case Willi Graf. In terms of a personal transformation, students compare their own values with those of Graf who cherished his faith and freedom. The question is whether those who come to know him share similar values. If so, their challenge is to examine their own conscience and to think about how they will apply them in confronting the moral lapses of their own world and time, such as anti-Semitism, hate speech, violence, and intolerance. They learn that Willi Graf was a real person with real-world struggles. They share his humanity.
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Self-Assessment and benefits to the students
As previously mentioned, students can show their digital poster as an example of their skill sets in an e-portfolio or professional online profile such as Linked In or LiveText, thereby maximizing the exposure of their work to a much broader audience. They not only gain digital expertise in terms of creating a poster, but also familiarity with Canva which offers other applications they can use in academic and professional settings. For example, individuals who can use computer technology and understand literature and the arts have a competitive advantage in the current job market for digital humanists (Cassuto 2017). As they create their poster, students should be reflecting on their learning in terms of their self-assessment which they turn in upon completion of the project. On a much deeper and more personal level, I provide guiding questions to help students consider the saliency of moral discernment and the implications of one’s actions, as
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in the case of Willi Graf. Questions include: How do you think Willi Graf mastered his fear? What obstacles did he have to overcome? What do you imagine were some of his thoughts and feelings during his resistance work? What kind of information did you obtain online that would have been impossible to learn any other way? How has Willi Graf’s story given you a sense of agency and empowerment? What influenced his character development and what influences yours? I ask pointed questions that solicit relevant personal opinions or experiences in response to Graf’s story and require connections to be drawn between the past and present. The objective is to prompt students to reflect, analyze, and apply their learning. A digital poster assignment and self-assessment are not meant to lead to a dense analysis. Rather, this activity is the catalyst to initiate thoughtful discussions, self-reflection, and action which were the very same steps in Willi Graf’s decision-making process to resist the Nazis. The digital or virtual impact is that the students’ work keeps Graf’s memory alive as an online educational resource for the post-millennial generation who can then advance and amplify the discussion through continuous new developments and tools such as animations, newly accessible photographs and videos, or a link to a Google hangout chat, online forum, Instagram page, or Snapchat in which viewers can socialize. One of the advantages of a digital poster or essay is that it allows students to insert multimedia in one document. The post-millennial generation includes individuals born between 1997 and 2015 and is known as Generation Z. Consistent with Alverno College’s mission which mandates communal learning with a moral purpose, students ensure that the significance of the White Rose lives on in the online community through their work. While the White Rose students physically came together as friends near LMU University of Munich, this generation interacts primarily online. Digital posters that are illustrated and narrated provide links with interesting media to both view and watch. This is noteworthy because according to recent statistics published by Pearson Education, Generation Z makes considerable use of their smart phone which makes Canva’s app appealing to their learning style. Their research indicates that 38 % of those surveyed learn by watching and that today’s students like to engage online to learn new skills. Moreover, Generation Z is the most racially diverse generation in the US. This new reality necessitates ongoing discussions about how minorities are and were treated during the Holocaust. And when it comes to resisters, like the White Rose students, what to do about it. As Peter Hayes states in the first chapter in his latest monograph, Why? Explaining the Holocaust: “Outbreaks of hostility against minorities are almost always rooted both in ideas – what the majority thinks about the minority – and circumstances: the ways in which or the terms on which the two groups are interacting at a particular time. In order
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to explain why the Jews became objects of murderous intentions in the twentieth century, one has to look at both sorts of roots” (Hayes 2017: 3f.).
5 Conclusion History isn’t just about learning facts. It is about stories and stories connect us in time and space. Today that includes the digital space. Increased automation, artificial intelligence, and the surplus and ubiquity of online information can seem daunting and confusing however, one benefit of today’s information age is that it allows immediate access to the lives and ideas of real people. Human interaction through the recorded words, ideas, and images of another can impact millennial learners who seek to understand the past through digital content and multimedia. There is intrinsic value to introducing students to Willi Graf and that is they will come to know his courage, compassion, and humility. Similar to today’s students who have fears about an uncertain future, Graf had fears as well. Yet, he was respectful and open to engaging others, even Russian civilians with whom he was not to fraternize or would face serious consequences by his superiors in the Wehrmacht. In their recently published book, Humility is the New Smart: Rethinking Human Excellence in the Smart Machine Age, Edward D. Hess and Katherine Ludwig argue that to stay relevant, we need to promote creativity and to genuinely engage others – behaviors machines cannot excel at. Graf’s humility is just one reason why he is a role model for the millennial and post-millennial generations. They can learn from his example about what it means to be human and to make a difference despite fear and peer pressure. Lastly, a digital poster project with a self-assessment assignment facilitates active learning on several levels. Students learn new knowledge, a new digital tool, and new insights about themselves. Creating digital posters can elevate personal stories in the online world so that others can immediately engage or interact with the media they hear, view, and read. Students also learn how to think critically when researching in a digital environment, to locate and evaluate legitimate resources, and to process information in an innovative and productive way. No passport or supplies are needed and the outcome of their creativity is the memorialization of people like Graf who had a profound appreciation for words, ideas, and books as a means by which to bond with others. He appreciated Russian authors, culture, and language, interests he shared with other White Rose members especially Alexander Schmorell. The White Rose originally came together for literary evening discussions in 1942–43, the same year that Graf read approximately 40 books in
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addition to his medical studies and military assignments. They not only shared the same interests in literary, philosophical, and theological questions but the same humanitarian values. Imagine what they could have done had they had access to the internet to type, design, and circulate their flyers. By including a self-assessment component to this assignment, students are required to think for and about themselves. What did they learn? What does it mean? Connecting the past with the present, they gain a more holistic understanding of their world and how they can live their values like the White Rose students who in their sixth flyer, asked fellow students to pursue free self-determination – to think for themselves. In conclusion, a digital poster assignment reshapes the student experience both in and out of the classroom. The poster itself makes an enduring and universal impact no matter where or when one lives. And isn’t that an appropriate way to honor Willi Graf’s final request to those he left behind, namely to carry on what the White Rose began, “…weitertragen, was wir begonnen haben” (Graf 2004: 200).
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Spuren von (Selbst-)reflexivität in Texten von Schülerinnen und Schülern im Anschluss an eine Exkursion zur Mahnund Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau Überlegungen zu einem Dissertationsprojekt Ruth Fiona Pollmann (Selbst-)reflexivität in Texten von Schülerinnen und Schülern
Zusammenfassung
Selbstreflexion und Orientierung für eigenes Handeln werden mit historischem Lernen an Gedenkstätten ehemaliger deutscher Konzentrations- und Vernichtungslager in Verbindung gebracht. Komplementär zu klassischen Befragungsstudien wendet sich dieses geschichtsdidaktische Dissertationsprojekt schriftlichen Erzeugnissen zu, die zwar häufig in der Nachbereitung von schulischen Gedenkstättenbesuchen entstehen, um Reflexionsprozesse anzuregen und dadurch ein hohes Potential für die Erforschung reflexiven Verhaltens versprechen, doch trotzdem bisher keiner geschichtsdidaktischen Analyse unterzogen wurden: Den Untersuchungsgegenstand bilden von Schülerinnen und Schülern verfasste Texte mit reflexiven Anteilen zum Thema Verfolgung und Massenmord zur Zeit des Nationalsozialismus, die im Zeitraum 2010 bis 2015 im Kontext nordrhein-westfälischer Schulfahrten zur Mahn- und Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau entstanden sind. Ziel der Studie ist, folgende Fragestellung zu beantworten: Welcher Grad an Reflexion und Selbstreflexivität lässt sich in Texten von Schülerinnen und Schülern nach einer Schulfahrt zur Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau erfassen? Die Auswertung des Materials findet mittels einer qualitativen Inhaltsanalyse statt. Das methodische Kategoriensystem der Studie orientiert sich an verschiedenen, die Reflexion bedingenden Aspekten (Emotion, Kognition, Normativität etc.). In diesem Beitrag sollen das Erkenntnisinteresse, der aktuelle Forschungsstand sowie der Entstehungskontext und die Auswahl des Untersuchungsmaterials der Studie vorgestellt werden. Der Beitrag schließt mit methodischen Hinweisen zum Auswertungsverfahren und einem Textbeispiel.
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Gloe und A. Ballis (Hrsg.), Holocaust Education Revisited, Holocaust Education – Historisches Lernen – Menschenrechtsbildung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24207-7_17
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Abstract
Self-reflection and orientation for future action are associated with historical learning at memorial sites of former German concentration- and extermination camps. Complementary to classic written and oral surveys, this PhD project in history education focusses on students’ writings to investigate reflexive behaviour. Texts written for reflection are often produced during post-processing of German school fieldtrips to memorials dedicated to the victims of the Nazi regime, however, in spite of their high potential for self-reflection, have not yet been analysed in history education until today. The empirical material of this study derived from German school trips to the Memorial and State Museum Auschwitz-Birkenau (North Rhine-Westphalia 2010–2015). The aim of the study is to find answers to the following research question: In how far is it possible to deduce the level of self-reflection and reflexivity of a teenage writer from a text written in the context of fieldtrips to the State Museum and Memorial Auschwitz-Birkenau? As research method, a qualitative content analysis is applied. The categories used for the analysis consider different aspects of reflection (emotions, cognition, normativity etc.). This article will present the aim of the research project, state of the arts as well as the setting and design of the study.
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Historisches Denken und (Selbst-)Reflexivität bei Gedenkstättenbesuchen
Historisches Denken bedeutet, in Überlegungen, die Prozesse und Zustände betreffen, den Aspekt Zeit, das Gewordensein und das Werden, mit einzubeziehen. Die Auseinandersetzung mit der Genese der (normativen) Vorstellungen innerhalb des eigenen räumlichen, zeitlichen genauso wie sozialen ,Standortes‘ (Koselleck 2015: 176–207) und möglichen alternativen Entwürfen verschafft dem Mensch Orientierung für persönliche Ziele in der Lebens- und Weltgestaltung (Bergmann 2007: 91; Jeismann 1997; Rüsen 1983: 50f.). Bei einem Gedenkstättenbesuch eines ehemaligen Konzentrations- und Vernichtungslagers wird die zeitliche Standortgebundenheit und die Differenz zur zeitgenössisch-historischen Raumwahrnehmung sichtbar: Wer beispielsweise den historischen Ort Auschwitz-Birkenau besucht, findet ein ehemaliges deutsches Lager in Abwesenheit der historischen Akteurinnen und Akteure, stellt fest, wie sich der Raum über die Zeit seit der Befreiung natürlich und durch menschliche,
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gestalterische Eingriffe verändert hat (Weiss 1981 wiedergegeben in Klüger 2012: 75 sowie in Assmann 1999: 332; Assmann/Brauer 2011: 72f.). Heute befindet sich hier ein Ort des Gedenkens, der informationell sowie ästhetisch zu einem historischen Lernort aufbereitet wurde (für eine genaue Beschreibung der Gedenkstätte siehe Ferchland 2016). Was ,damals‘ war, ist heute nicht mehr vorfindlich, stattdessen können Spuren „unterschiedliche[r] historische[r] Schichten“ (Haß 2015: 180) nebeneinander rekonstruiert werden. Immer mehr deutsche Schulen entscheiden sich, Exkursionen zu diesem historischen Tatort anzubieten, u. a. um durch den Gedenkstättenbesuch ihren Schülerinnen und Schülern eine Orientierungshilfe für ein vorurteilskritisches Leben zu bieten. Die Rekonstruktion von sichtbaren Zeitschichten vor Ort bietet jedoch nur begrenzt Orientierungspunkte für das Handeln in der eigenen Lebenswelt. Zielführender ist die Feststellung, dass sich nicht nur der Raum verändert hat, sondern auch die Deutungen und Bewertungen der Vergangenheit, für die dieser Ort bekannt ist. Da die Veränderung von Deutungen nur schwerlich an konkreten Objekten ablesbar ist („geschichtskulturelle Objektivationen“ des Gedenkens seien hier ausgenommen; Meyer-Hamme 2008: 86), bedarf es stattdessen der Hinterfragung von habitualisierten Formulierungen in der Geschichtskultur, einer Betrachtung von mentalitätsgeschichtlicher Genese und der Introspektion im Akt der Selbstreflexion: Was veranlasst mich persönlich dazu, diesen Ort zu besuchen? Worauf sind meine einzelnen Emotionen beim Gedenkstättenbesuch zurückzuführen? Erst aus der kritischen Erschließung gesellschaftlich vorgelebter Deutungsstandards und persönlicher Haltung lässt sich reflektiertes und somit mündiges Handeln ableiten (McLean 2017; Eberle 2008: 60f., 63). Die direkte Übernahme von Positionen der im persönlichen Umfeld unterstützten Erinnerungskultur wäre bei der Orientierungssuche rein affirmativ und gerade nicht reflektiert (von Borries 2004). Reflexion im historischen Denken hingegen umfasst verschiedene Facetten des sich selbst ins Verhältnis Setzens mit dem Prozess des historischen Lernens und der eigenen Konstruktion von Geschichten als kontrollierende Selbstbeobachtung (Schreiber 2002a: 29). Selbstreflexion wiederum bedeutet, den Blick in sich hinein zur Betrachtung der „kogniti[v]-affektive[n] Struktur des Wissens um die eigene Person“ (des ,Selbst‘; Hannover/Greve 2012: 544) mit der Frage nach persönlichen Prämissen bei der Weltsicht (Huhn 1995: 29, 37). Sie klärt die Sicht auf den individuellen räumlichen, zeitlichen und sozialen Standpunkt, auf die persönlichen „Tatsachen- und Wertüberzeugungen“ über Normen und einzuhaltende Standards (Reisenzein 2009: 442), die uns in unseren Bewertungen und unserem Verhalten beeinflussen (Weiner 1986: 8). Durch die geschaffene Klarsicht können wir unser Handeln, das durch Traditionen und biographische Erfahrung geprägt ist, für uns
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selbst kritisch hinterfragen (Heyl 2013: 253ff.; von Borries 2011b: 298; Messerschmidt 2009; Schreiber 2002a; Huhn 1995: 29, 37). Mit diesen Grundannahmen wende ich mich in meinem Dissertationsvorhaben Texten zu, die nordrhein-westfälische Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufen neun und zehn im Anschluss an schulische Exkursionen zur Mahn- und Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau geschrieben haben.
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Erkenntnisinteresse, Forschungsfrage und Ertrag des Forschungsvorhabens
Das Erkenntnisinteresse meines Dissertationsprojektes besteht darin, zu ergründen, wie sich die geschichtsdidaktisch geforderte Reflektiertheit und Selbstreflexivität im Kontext des historischen Denkens (Schreiber 2002b) in Äußerungen von Schülerinnen und Schülern manifestieren. Ich gehe davon aus, dass sich in der Art der Reflexionen und ihrer Tiefe graduelle Unterschiede feststellen lassen, die dazu dienen können, zukünftig verschiedene Reflexionsmuster in vergleichbaren Ausführungen von Schülerinnen und Schülern zu identifizieren. Die Hauptfragestellung, die sich aus diesem Forschungsinteresse ergibt, lautet folglich: Welcher Grad an Reflexion und Selbstreflexivität lässt sich in Texten von Schülerinnen und Schülern nach einer Studienfahrt zur Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau erfassen? Nicht nur soll festgestellt werden, inwiefern Jugendliche eine reflektierte Werthaltung zu Geschichte vertreten, die auch das „Eigenrecht“ der Vergangenheit mit einbezieht (Schreiber 2002a: 27; Huhn 1995: 40; empirische Befunde siehe von Borries 2004: 273), sondern auch, welche Konsequenzen sie aus dieser Haltung für die eigene Gegenwart und Zukunft ableiten (Situationsanalyse Gegenwart – Mitgestaltung eines Zukunftshorizontes). In meiner Analyse gehe ich davon aus, dass in schriftlichen Äußerungen auf unterschiedliche Tiefe selbstbezogener und auf das Selbst bezogener Reflexion geschlossen werden kann. Als Anhaltspunkte dienen die Attribution von Gefühlen vor Ort (Scheele 2003), empathische Imagination (Brauer 2013; Dehne 2008; Schörken 1994) und Beschreibungen eines Lernprozesses, der beispielsweise zu präskriptiven oder persönlich angestrebten Handlungszielen führt.
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Viel Emotion und Haltung, weniger Reflexion – Befunde empirischer Studien
Dem Lernen von Jugendlichen über nationalsozialistische Menschheitsverbrechen kann sich die Forschung auf verschiedene Weisen annähern, wie abgeschlossene und noch laufende Studien zeigen. Verschiedene Wissenschaften – beispielsweise Pädagogik, Fachdidaktiken, Kulturwissenschaft und Psychologie – mit unterschiedlichen theoretischen und methodischen Hintergründen zeigen Interesse an Lernprozessen in Gedenkstätten und den themenspezifischen Überzeugungen von Lernenden und Lehrpersonen respektive Gedenkstättenpädagoginnen und -pädagogen (für einen Überblick zu entsprechenden Studien siehe Eckmann/ Österberg 2017; Werker 2016: insb. Tab. 1–4, 99, 101, 104f., 113ff.; Stubig 2015: Tab. 5, 40f.; älter Pampel 2011; Pampel 2007: 408–413). Klassisch wird hier mit Fragebögen oder dem reaktiven Verfahren Interview gearbeitet. Teilnehmende Beobachtung bei Museumsführungen zeigt der Rezeptionsforschung die Verweildauer und die Aufmerksamkeit von Besuchenden, soweit äußerlich erkennbar. Als neue Methode kommt der Einsatz von Helmkameras hinzu (Mehr 2017), durch den bei Einzelpersonen die optische Erschließung des Raumes noch genauer überprüft werden kann. Keine Studie widmet sich meines Wissens mit einer qualitativen Methode akzidentell in Schulen entstandenen, schriftlichen Erzeugnissen von Schülerinnen und Schülern im Kontext von Gedenkstättenfahrten, obwohl diese einen besonderen Einblick in Lernprozesse gewähren können. Der Auftrag, nach einem Gedenkstättenaufenthalt mit geringer oder weiterer zeitlicher Distanz einen Reisebericht, einen Tagebucheintrag oder eine Schilderung zu schreiben ist verbreitet und erscheint im Sinne des ,Lernens durch Schreiben‘ (Fix 2008) förderlich für eine vertiefte, bewusste Zuwendung zu einem Thema, da ein Selbstbezug im Allgemeinen die Wahrnehmung und die Merkfähigkeit steigern (Sui/Humphreys 2015). An dieser Stelle möchte ich exemplarisch vier Forschungsprojekte, die in den letzten fünfzehn Jahren im deutschsprachigen Raum entstanden sind, methodisch skizzieren und in ihren für mein Forschungsvorhaben relevanten Befunden deuten. Die Historikerin und Pädagogin Annette Eberle führte 2004 eine qualitativ und quantitativ ausgerichtete, schriftliche Fragebogenstudie zur Untersuchung des „Zusammenwirken[s] von ,Fühlen‘ und ,Denken‘“ (Eberle 2011: 97, 109) bei Jugendlichen während eines Besuchs der Gedenkstätte Dachau durch, in der offene und geschlossene Fragen beantwortet werden sollten (Eberle 2011: 97, 99f.). An der Erhebung nahmen postalisch 290 Schülerinnen und Schüler unterschiedlicher Schulformen teil (Eberle 2011: 99). Die Probandinnen und Probanden besichtigten in Gruppen die überarbeitete Dauerausstellung. Die Gedenkstättenbegleitung baute bewusst Reflexionsangebote in den gemeinsamen Rundgang ein (Eberle
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2011: 97f.) – Erläuterungen zur Konzeption dieser Angebote fehlen im Beitrag. In ihrer Analyse kann Eberle „selbstbezogene“ und „empathische“ Emotionen differenzieren (Eberle 2011: 104f.). Bei einer statistischen Auswertung stellt sie fest, dass negative Emotionsäußerungen von Jugendlichen nicht zwangsläufig mit einem empathischen Bezug des „Nachdenken[s] über die Situation der Opfer“ zusammenfallen (Eberle 2011: 106f.). Die Probandinnen und Probanden nutzen Emotionen allerdings als „,Brücken‘ oder ,Transporter‘ für Reflexionen“ (Eberle 2011: 107). Wer sich an „empathische Emotionen“ erinnerte und diese im Fragebogen festhielt, zeigte gleichzeitig „mehr Reflexionen“ (Eberle 2011: 105). Diese blieben bei selbstbezogenen Emotionen („Angst/Schock/Betroffenheit“) zwar tendenziell aus, doch Eberle gibt zu bedenken, es „wäre […] zu spekulativ und angesichts der geäußerten ,Gefühlspaletten‘ nicht haltbar“, davon auszugehen, dass „selbstbezogene“ Emotionen grundsätzlich Reflexionen verhinderten (Eberle 2011: 107). Die fehlende Auskunft über statistische Werte und die Methode der Bemessung von reflexivem Verhalten schränkt die Einschätzung der Ergebnisse an dieser Stelle ein. Das Schreiben über Wahrnehmung, Gefühle und Gedanken scheint den Probandinnen und Probanden dieser Studie, so Eberle, überhaupt erst das Zusammenwirken dieser Komponenten der Erfahrung zu verdeutlichen (Eberle 2011: 107). Der Akt der Reflexion wird hier erst durch den Schreibauftrag grundsätzlich initiiert, es kann also nicht davon ausgegangen werden, dass Jugendliche ohne einen solchen Impuls über die Wirkung eines Gedenkstättenbesuches intentional reflektieren. Wer sich der Selbstreflexivität im Kontext der Auseinandersetzung mit den Themen Nationalsozialismus und Shoah zuwendet, findet wichtige empirische Befunde in der Dissertation von Meik Zülsdorf-Kersting (2007; 2011). Der Geschichtsdidaktiker führte 2004/2005 eine Mittelfriststudie mit 28 Münsteraner Schülerinnen und Schülern (Haupt-, Real-, Gesamtschule und Gymnasium) durch (Zülsdorf-Kersting 2007: 123). Anhand von zwei Fragebögen, drei problemzentrierten Einzelinterviews und ferner zwei Gruppeninterviews arbeitete Zülsdorf-Kersting in einer qualitativen Inhaltsanalyse und mit der dokumentarischen Methode u. a. die „Stabilität vorgefertigter Geschichtsbilder“ von Jugendlichen zum untersuchten Themenkomplex heraus, die sich selbst nach einem kurzzeitigen Gedenkstättenbesuch weiterhin bestätigte (Zülsdorf-Kersting 2011: 176f.). Das heißt, die Einstellung, die jemand bereits vor einem Gedenkstättenbesuch besaß, wurde in dieser Studie entweder vor Ort bestätigt oder es wurde das, was nicht mit dem Präkonzept zusammenpasste, mit dem neuen Wissen so verwoben, dass das originale Geschichtsbild dennoch aufrechterhalten bleiben konnte. Eine dreizehnjährige Gesamtschülerin besuchte während der Studie die Gedenkstätte Buchenwald, doch hielt sie ungeachtet dessen daran fest, ihren Großvater als SS-Mitglied selbst als Opfer darzustellen und die „Mehrheitsgesellschaft“ zu entschuldigen (Zülsdorf-Kersting 2011: 178, 181f.;
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Welzer et al. 2002; kritisch zu Welzer siehe Schörken 2003). Dies ist ein Beispiel für eine Überzeugung von Schülerinnen und Schülern, die erst durch ein detailliertes Gespräch im Rahmen einer freiwilligen Teilnahme an dieser Studie zum Vorschein kam und sonst unbemerkt geblieben wäre (Zülsdorf-Kersting 2011: 189). „[G]eneralisierbar“ auf all jene, die Gedenkstätten besuchen, sei das Fallbeispiel nicht, dies hebt Zülsdorf-Kersting hervor (Zülsdorf-Kersting 2011: 189); innerhalb der Gruppe waren die von ihm beschriebenen „Beharrungskräfte“ jedoch durchgehend vorhanden (Zülsdorf-Kersting 2011: 177). Auf der Forschungsanlage und den Befunden dieser Studie baut das Dissertationsprojekt „Die Wirkung des Geschichtsunterrichts zu Nationalsozialismus und Holocaust auf die Identität von Jugendlichen“ von Silviana S. Stubig auf (2015: 77). Die Psychologin führte 2010 bis 2013 für Nordrhein-Westfalen fünf Studien durch, bei denen sie u. a. Schülerinnen und Schüler (Studie 1, 3) schriftlich befragte (Stubig 2015: 74). Nur auf Teile der Studie 3 soll hier eingegangen werden. Stubig führte diese Studie in der neunten Jahrgangsstufe (N = 94, Gymnasium) durch, u. a. um Präkonzepte der Jugendlichen zu nationaler Identität und „Fremdgruppeneinstellungen“ vor der unterrichtlichen Behandlung des Themenkomplexes im Geschichtsunterricht zu erheben und mit der Verfasstheit dieser Vorstellungen (o. ä.) danach zu vergleichen (Stubig 2015: 126, 134). Die Studie belegt einen hemmenden Effekt auf Indikatoren nationaler Identität durch die Zuwendung zu nationalsozialistischen Gräueltaten und eine gesteigerte „Fremdenfreundlichkeit“ (Stubig 2015: 158f.). Der von Stubig eingesetzte Fragebogen beinhaltet außerdem Items zur subjektiven Wahrnehmung von Lernzielen im Unterricht. Auch wenn die Ergebnisse hier auf das Gymnasium beschränkt sind, macht die Erhebung deutlich, was bei der Beurteilung von Schülerinnen- und Schüleraussagen allgemein kritisch berücksichtigt werden sollte: Bei einer begrifflich engen Skala von „0 = trifft nicht zu“ bis „4 = trifft zu“ liegt das Rating des subjektiven Lernziels „Sozial erwünschte Denkweise“ mit einem Durchschnittswert von 2,92 direkt unter dem Lernziel „Faktenwissen“ (3,33) an zweiter Stelle, beides keine Ziele, die aktueller Geschichtsdidaktik entsprechen. Auch in reflexiven Texten könnten im Schulkontext somit bewusst sozial erwünschte Äußerungen abgerufen werden, die die eigene Überzeugung oder Gleichgültigkeit verschleiern. In der Tendenz durchaus positiv in Bezug auf die Reflexion der Orientierungsfähigkeit durch die Auseinandersetzung mit Geschichte sind in diesem Fall wiederum die weiteren Ergebnisse einzuschätzen: Gleichauf mit „Sozial erwünschter Denkweise“ ist nämlich das Ziel „Bewusstsein über politische Prozesse“, gefolgt von „Ablehnung von Rechtsradikalismus“ (2,82), „Mitgefühl mit den Opfern“ (2,67), „Verantwortungsbewusstsein“ (2,57), „Betroffenheit“ (2,37) (kritisch hierzu Heyl 2013) bzw. „Einfühlungsvermögen“ (2,21) sowie „langfristige Beeinflussung“ (2,1) (Stubig 2015: 143).
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Zu einer Studienfahrt zur Mahn- und Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau durchgeführt von einer deutschen Schule liegt aus den letzten Jahren nur eine Studie vor. Der Sozialkunde- und Geschichtslehrer Sven Urban präsentiert eine Vorher-Nachher-Fragebogenstudie zu einem im Jahr 2015 stattgefundenen zweitägigen Lernaufenthalt eines thüringischen Gymnasiums in dieser Gedenkstätte (Urban 2016: 245–249). Die Fragen waren zum Teil geschlossen, zum Teil offen gestellt, wobei die offenen Items in der zweiten Erhebung verändert wurden (Urban 2016: 246). Die Konzeption der Studie sieht eine Beurteilung der erwarteten und tatsächlichen Emotionen vor und hat das Ziel, den Wissenszuwachs der Schülerinnen und Schüler zu diagnostizieren (Urban 2016: 245). Die elf Teilnehmenden der freiwilligen Reise besuchten die zehnte und elfte Jahrgangstufe. Innerhalb der Auswertung wird zwischen den Zugehörigkeiten jedoch nicht durchgehend differenziert (Ausnahme Urban 2016: 255), obwohl die jüngeren Schülerinnen und Schüler, was den Regelunterricht betrifft, ausschließlich auf Vorwissen des Ethikunterrichts zum entsprechenden Themenkomplex zurückgreifen konnten (Urban 2016: 247, 249, 250). Emotionen, die in der ersten Erhebung zwei Tage vor der Abreise antizipiert wurden, stellten sich während der Fahrt ein: Die Reisenden schrieben von durchweg negativen Emotionen (Trauer, Wut, Scham) (Urban 2016: 258ff., 268f.). Die Heranwachsenden berichteten von den emotional „intensivsten Momente[n]“ (Urban 2016: 263) während des Gedenkstättenaufenthaltes, wobei sich herausstellt, dass es die eigenen Vorstellungen und die Ausstellungspraxis waren, die die Jugendlichen als psychische Belastung wahrnahmen (Urban 2016: 261–264, 272). Die Erkenntnis der Jugendlichen, dass man an seinen zeitlichen Standort gebunden bleibt, selbst wenn man den historischen Tatort besucht, wird hier bereits als Indiz für die Ausformung des „selbstreflexiven Geschichtsbewusstseins“ verstanden (Urban 2016: 273). Das Denken über den zeitlichen Standort ist zwar reflexiv, ob es als selbstreflexiv bezeichnet werden sollte, gilt es zu diskutieren. Urbans Studie zeigt m. E., dass die kleine, im Vorwissen heterogene Gruppe in ihrem „Temporal- und Wandelbewusstsein“ (Pandel 2013: 138ff.) angesprochen wurde und damit in zwei Dimensionen des Geschichtsbewusstseins, die in der Erkenntnis über Historizität erkennbar sind. Die Ausstellungspraxis spricht zudem das moralische Bewusstsein der Probandinnen und Probanden an. Nach Urbans Beobachtung handelt es sich dabei jedoch eher um (bewusst oder unbewusst) eingeübte geschichtskulturelle Appelle (Urban 2016: 250–253) – die Zülsdorf-Kersting wiederum als „kollektive Devotion“ benennt (Zülsdorf-Kersting 2007: 449) oder die Bodo von Borries pointiert als „Glaubensbekenntnis“ bezeichnet (von Borries 2011: 62). Mit Blick auf die vorgestellten Studien kann hypothetisch davon ausgegangen werden, dass ein Schreibauftrag oder ein Gesprächsanlass im Allgemeinen reflexives Verhalten initiieren kann. In den Antworten zeigen sich potentiell festgefahrene
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Geschichtsbilder, die ebenso wie selbstbezogene Emotionen Reflexion verhindern könnten. Jugendliche (zumindest im Gymnasium) wissen um die soziale Erwünschtheit von bestimmten Aussagen, die sie kulturell erlernt haben und setzen sie auch ein. Im Rahmen dieser Einschränkung zeigt sich eine positive Tendenz, dass sich aus historischem Lernen Haltungen und vorurteilskritische Handlungsdispositionen für ein friedfertiges Zusammenleben ergeben können.
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Entstehungskontext und Auswahl des Analysematerials
Das Forschungsvorhaben gilt der Untersuchung von Schülerinnen- und Schülertexten aus Projektarbeiten zu Studienfahrten zur Mahn- und Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau. Die zu analysierenden Texte sind im Kontext mehrtägiger Studienexkursionen nordrhein-westfälischer Schulen entstanden, die im Zeitraum 2010 bis 2015 das Subventionierungsangebot der Stiftung „Erinnern Ermöglichen“ nutzten. Diese Stiftung wurde 2010 – vor dem Hintergrund des Engagements des Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, Jürgen Rüttgers (CDU), in der Internationalen Auschwitz-Stiftung – von der Landesregierung Nordrhein-Westfalens in Kooperation mit dem Unternehmerehepaar Erich und Roswitha Bethe gegründet. Ein Zweck und Ziel der Stiftung liegt darin, junge Menschen finanziell in ihrem Vorhaben zu unterstützen, bildungsbezogen das ehemalige deutsche Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau zu besuchen. Bald nach der Gründung wurden auch Studienreisen zu weiteren ehemaligen deutschen Vernichtungslagern berücksichtigt. Während das Ehepaar mit der Bethe Stiftung nachfolgend mit weiteren Bundesländern Verträge aushandeln konnte, bleibt die Stiftung „Erinnern Ermöglichen“ an das Land Nordrhein-Westfalen gebunden. Ab dem Gründungsjahr 2010 wurden Fahrten gerahmt von einer eigenverantwortlichen Vor- und Nachbereitung durchgeführt. Im Anschluss an die Studienfahrten reichten Schulen und andere Institutionen, die das Finanzierungsangebot nutzten, eine frei gestaltete Fahrtdokumentation bei der Stiftung ein, für deren Erstellung zusätzliche Mittel zur Verfügung gestellt wurden. Der Materialpool von über 580 Studienfahrten liegt gesammelt im Archiv der Stiftung vor. Für die Untersuchung werden jene Fahrten berücksichtigt, die die Mahn- und Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau als außerschulischen Lernort wählten, da mit nur einem Prozent Studienexkursionen zu anderen ehemaligen Vernichtungslagern im Zeitraum 2010 bis 2015 unterrepräsentiert sind. Die Stiftung hat die methodische Gestaltung der schulischen Projektarbeiten nicht vorgegeben, weshalb viel-
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gestaltige Reisetagebücher und -berichte, Fotobücher (mit und ohne Text), Filme, PowerPoint-Präsentationen, Presseberichte etc. eingereicht wurden. Die Beiträge sind weiter darin zu unterscheiden, ob sie als Einzelarbeiten von Schülerinnen und Schülern, von einer Begleitperson oder von mehreren Schülerinnen und Schülern gemeinsam erstellt wurden.. In Bezug auf den in dieser Studie gewählten Zuschnitt werden für die Analyse allein schriftliche Texte berücksichtigt, die von einzelnen Schülerinnen und Schülern verfasst wurden und in der Anlage ihrer Textsorte bereits ein erhöhtes Potential für (selbst)reflexive Äußerungen vermuten lassen: Ein Referat über eine historische Person beispielsweise wäre eine Textform, die nicht in der Analyse berücksichtigt wird, da in dieser Textsorte kein Transfer auf das Selbst vorgesehen ist und die Narration auf Vergangenes bezogen bleibt. Bewusst wurde für diese Untersuchung keine Intervention vorgenommen. Der Umgang mit akziental im Schulkontext entstandenem Material hat den Vorteil, dass die analysierten Texte aus der bestehenden Unterrichtspraxis stammen, in die ein Blick gewährt wird. Zu den Texten sind nur zum Teil die zugrundeliegenden Schreibaufträge bekannt. Es ist daher nicht in allen Fällen klar, ob den Schülerinnen und Schülern durch suggestive Aufträge bereits Gedanken oder Formulierungen nahelegt wurden. Auch eine gegenseitige Beeinflussung unter den Jugendlichen ist nicht ausgeschlossen. Daher ist Aufmerksamkeit geboten, wiederkehrende Ausdrucksweisen in den einzelnen Fahrtgruppen zu erkennen. Andererseits zeigt sich im Materialpool, dass selbst Schülerinnen und Schüler einer Fahrtgruppe jeweils ihren Schwerpunkt in den Texten unterschiedlich legen: stärker berichtend, eine Situation schildernd, ihren Lernzuwachs kommentierend. Da die Dokumentationen der Schülerinnen und Schüler mit ihrem Einverständnis an die Stiftung weitergereicht und ferner zur Veröffentlichung zur Verfügung gestellt wurden, darf nicht angenommen werden, dass jeder Text eine Selbstoffenbarung darstellt, dies wurde beispielsweise in der hier vorgestellten Studie von Sven Urban (2016) erkannt. Schule ist für sich genommen bereits eine „artifizielle“ Situation in der ein Austausch über das Innere stattfinden soll (von Borries 2004: 268, 293). Der Vorwurf, es handle sich bei den Texten allein um Produkte von Jugendlichen, die ihrem „Schülerjob“ (Breidenstein 2006) nachgehen und deswegen gemäß ihrer „Erwartungserwartungen“ (Luhmann 2008: 32) schreiben, kann nicht widerlegt werden. Der ,Generalverdacht‘ gegenüber Schülerinnen und Schülern tut jedoch insbesondere jenen unrecht, die genau das schreiben, was sie während der Erfüllung der Schreibaufgabe dachten. Antwortverhalten passend zur eigenen Vorstellung von angemessenem Verhalten kann ebenso wenig bei anderen Erhebungsverfahren kontrolliert werden.
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Quantitative Zusammensetzung des Samples
Der Fokus dieser Studie liegt auf Studienfahrten von Schülerinnen und Schülern der Jahrgangsstufen neun und zehn verschiedener in Nordrhein-Westfalen vertretener Schulformen, wobei ausschließlich solche Fahrten berücksichtigt werden, die am Ende der Sekundarstufe I stattgefunden haben, um ein weites Spektrum an Reflexionsgraden von Jugendlichen eines Alters zum Zeitpunkt der thematischen Erstbegegnung im Geschichtsunterricht oder einem Verbundfach abbilden zu können. Das Untersuchungsfeld wird auf die Schulformen Hauptschule, Realschule, Gymnasium und Gesamtschule eingegrenzt, da der Einbezug der Vorbereitungsklassen des Berufskollegs eine Einzelfallsichtung und -zuordnung verlangt hätte, die in Stichproben jedoch bereits ergeben hat, dass Klassen, die einen mittleren Abschluss an dieser Schulform anstreben, unterrepräsentiert zu sein scheinen. Insgesamt nutzten drei Förderschulen die Unterstützung der Stiftung, doch sind bei den entsprechenden Fahrten keine reflexiven Einzelbeiträge entstanden. Auch hier ist grundsätzlich die Fallzahl zu gering, als dass sie berücksichtigt werden könnte. Ein Vergleich mit Schülerinnen- und Schülertexten aus der Oberstufe könnte als zukünftige Arbeit angedacht werden. Das Subventionierungsangebot wurde in Nordrhein-Westfalen in verschiedenen Regionen und sowohl von Schulen aus ländlichen als auch aus städtischen Gebieten angenommen. Durch die verschiedenen Schulformen und räumlichen Lagen der Schulstandorte kann von maximalen Kontrasten innerhalb der Textauswahl für die neunte und zehnte Jahrgangsstufe ausgegangen werden. Die eingefügte Graphik visualisiert, wie sich das Sample nach einer Sichtung aller Materialien der berücksichtigten Schulformen und einer Sortierung nach Relevanz für die Analyse zusammensetzt. Insgesamt umfasst das zusammengestellte Korpus der Sekundarstufe I eine Gesamtzahl von 544 Texten mit reflexiven Anteilen aus 42 Fahrten, von denen zwei in Hauptschulen, 31 in Realschulen, drei in Gymnasien und sechs in der Gesamtschule durchgeführt wurden. Der geringe Anteil an Gymnasien und Gesamtschulen entsteht, weil jene Schulformen diese Studienfahrten bevorzugt in der Sekundarstufe II anbieten. Die geringe Beteiligung von Hauptschulen muss im Verhältnis zum Strukturwandel in der Schullandschaft und in der generell geringeren Verbreitung im Bundesland gesehen werden. Ebenso kann von weniger finanzstarken Elternhäusern ausgegangen werden, die, bei ausbleibenden zusätzlichen Sponsoren neben der Stiftung „Erinnern Ermöglichen“, die Studienfahrt finanziell nicht tragen können.
Verbreitung im Bundesland gesehen werden. Ebenso kann von weniger fina
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nen. 80 70 60 50 40 30 20 10 0
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Einreichungen Fahrtdokumentationen mit refl. Texten
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Abb. 1 Zusammensetzung des Samples hinsichtlich der berücksichtigten Schulformen Abb. 1: Zusammensetzung hinsichtlich der berücksichtigten Schulformen un und Sortierung nach Relevanzdes fürSamples die Analyse nach Relevanz für die Analyse
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Auswertungsmethodik und Textbeispiel 6. Auswertungsmethodik und Textbeispiel
derder Auswahl der und Materialien und Transkription folgt eine computerges Nach derNach Auswahl Materialien Transkription folgt eine computergestützte qualitative Inhaltsanalyse mit der Datenanalysesoftware Atlas.ti 8. DasAtlas.ti Verfahren litative Inhaltsanalyse mit der Datenanalysesoftware 8. Das Verfah ist geeignet für die regelgeleitete Interpretation von großen Textmengen, die nicht eignet für die regelgeleitete Interpretation von großen Textmengen, die ni für die empirische Analyse erhoben wurden, sondern akzendental, in diesem Fall im Kontext von schulischen Gedenkstättenfahrten, sind. Hier werden empirische Analyse erhoben wurden, entstanden sondern akzendental, in diesem Fall sowohl deduktive als auch induktive Kategorien für eine strukturierende Analyse von schulischen Gedenkstättenfahrten, entstanden sind. Hier werden sow interpretierend angewandt, die „wie ein Rechen“ analyserelevante Textbestandteile tive als auch induktive für eine strukturierende Analyse interpret erfasst (Mayring/Brunner 2013: 325,Kategorien 327). Mittels eines evaluativen Verfahrens sollen vergleichende Klassifizierungen von Textinhalten vorgenommen werden (Kuckartz gewandt, die „wie ein Rechen“ analyserelevante Textbestandteile erfa 2014: 98–115). Die Kategorienbildung geschieht vor dem Hintergrund des oben skizring/Brunner 2013: 325, 327). eines evaluativen solle zierten Forschungsstandes, in Erweiterung um Mittels geschichtsdidaktische Theorien Verfahrens zum Geschichtsbewusstsein, Reflexivität und Emotionen beim Prozess des historischen chende Klassifizierungen von Textinhalten vorgenommen werden (Kuckartz Lernens sowie der psychologischen Einschätzungstheorie. Die Analyse verläuft in 115). Die Kategorienbildung geschieht vor dem Hintergrund des oben skizz einem mehrstufigen Verfahren, bei dem zunächst in einem doppelten Durchgang aus den reflexiven Texten vonin Schülerinnen undum Schülern der Gesamtschule Codes schungsstandes, Erweiterung geschichtsdidaktische Theorien zum G
bewusstsein, Reflexivität und Emotionen beim Prozess des historische
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entwickelt wurden. Zusammengefasst in Kategorien dienen diese als Grundlage für eine erweiterte deduktive und induktive Codierung des gesamten Materials, aus der schließlich die Kategorien und Codes für eine zielgerichtete Codierung zum Zweck der Graduierung hervorgehen. Die Intercodereliabilität wird geprüft. Ein Textbeispiel soll hier andeuten, welche Merkmale der Reflexion in Schülerinnen- und Schülertexten erkannt werden können (hier im originalen Wortlaut mit angepasster Textformatierung): „Vor dem Besuch in Auschwitz hatte ich am meisten Angst und Respekt, weil ich nicht genau wusste wie ich mich zu Verhalten hatte, obwohl ich mir sehr viele Gedanken darüber gemachte hatte. Darf ich bei dem Besuch, auf den Wegen auch mal lächeln oder gar lachen oder muss ich die ganze Zeit traurig sein und ein betrübtes Gesicht machen? Doch als wir angekommen waren, habe ich mich direkt anders gefühlt, denn es hatte sich erübrigt wie ich mich zu verhalten hatte, weil auch wenn man viel über das ganze Thema KZ und Vernichtungslager im Vorhinein wusste, wirkte diese Visualisierung sehr extrem, dass ich wegen mir nicht bekannten Personen solche Gefühle hervorbringe, allein der Gedanke, dass ich egal wo ich hingehe auf einen Menschen treten könnte oder als Mensch andere Menschen zu verbrennen wird mir ganz unwohl und ich Zweifel am Verstand mancher Menschen die das auch noch toll finden oder darüber Späße machen“ (Einzelperson, Realschule, Jahrgangsstufe neun).
Die Person sieht eine Entwicklung bezüglich der eigenen Einschätzung hinsichtlich ,angemessenen‘ Verhaltens. Sie spricht sowohl von „KZ“ als auch von „Vernichtungslager“, was darauf schließen lässt, dass die begriffliche Unterscheidung von dieser Person wahrgenommen zu werden scheint. Die physische Präsenz hinterlässt einen Eindruck, der nicht auf die Raumwahrnehmung beschränkt ist, sondern auf die historischen Taten übertragen wird. Ein Wandel von Gefühlen wird, auch wenn die genauen Emotionen nicht benannt werden, angesprochen. Die Person deutet auf die eigene Trauer ob der ihr persönlich unbekannten Opfer hin und ist über diese Emotion selbst überrascht. Außerdem leistet sie über Imagination einen Transfer auf mögliche eigene Handlungen, auf zwei unterschiedlichen zeitlichen Ebenen: Zum einen spricht sie den Aspekt der physischen Präsenz in der Gedenkstätte an, dass hier am historischen Ort an jeder Stelle potentiell Überreste von Menschen vorhanden sind, auf die sie, ohne es zu wollen, „treten könnte“. Zum anderen versetzt sie sich in die Lage der Personen, die die Leichname verbrannten. Wer dies genau tat, wird hier nicht benannt. Es bleibt also unklar, mit wessen moralischem Dilemma sich die Person hier auseinandersetzt. Unerläutert bleibt auch, aus welchen Gründen ihr der Akt des Verbrennens (die Tötung bleibt hier unerwähnt) Unwohlsein verschafft. Die Einstellung zur Achtung eines jeden Menschen wird hier als Verstandesentscheidung eingestuft. Die Person bezieht also im Text sowohl
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emotionale als auch vernunftbezogene Bewertungskriterien heran, die den Lesenden wiederum ein Bild vom Selbstkonzept der schreibenden Person vermitteln. Die Analyse könnte um eine Typenbildung erweitert werden, bei der der Text als Ganzes statt in seinen Einzelaspekten betrachtet wird und nach Ähnlichkeitskriterien mit weiteren Texten unter einer Typenbezeichnung gefasst wird, sofern eine Anlage für diese im evaluativen Verfahren erkennbar wird (Kuckartz 2014: 115–131). Dies würde eine bessere Vergleichbarkeit gewährleisten als der Blick o. ä. auf eine Vielzahl einzelner Merkmale. Das hier vorgestellte Forschungsvorhaben generiert aufgrund der Heterogenität des Materialpools keine statistisch repräsentativen Ergebnisse. Die große Fallzahl wird hingegen dafür verwendet, unterschiedliche Arten/Typen o. ä. reflexiven Verhaltens herauszuarbeiten. Die Erarbeitung einer Graduierung birgt zusätzlich das Potential, anschließend im Rahmen von schulischen und außerschulischen Lernarrangements, das Reflexionsvermögen oder zumindest die Reflexionsbereitschaft von Jugendlichen zu evaluieren.
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Rechtfertigungsmuster nationalsozialistischer Verbrechen als Gegenstand von Holocaust Education Die Moralstufenanalyse als Lehr-Lern-Arrangement Christian Fischer Rechtfertigungsmuster nationalsozialistischer Verbrechen
Zusammenfassung
Wie ließen sich die nationalsozialistischen Verbrechen persönlich und gesellschaftlich rechtfertigen, um begangen zu werden? Welche Rechtfertigungsmuster wurden konstruiert, um das Unmoralische zu legitimieren? Diese Fragestellung verweist auf die Analyse einer „Moral“ der Unmoral im Nationalsozialismus. Im vorliegenden Beitrag wird die Moralstufenanalyse als ein didaktisch-methodisches Verfahren vorgestellt, um dieser Fragestellung mit Schülerinnen und Schülern im Geschichts- oder Politikunterricht nachzugehen. Ziel des vorliegenden Beitrags ist es, die entwickelte Moralstufenanalyse als Lehr-Lern-Arrangement vorzustellen, didaktisch zu begründen und zu diskutieren. Dabei wird auch auf erste Erfahrungen aus der Unterrichtspraxis Bezug genommen. Abstract
How did the perpetrators try to legitimate their barbarity against the European jews? This article provides the moral stage analyses as a teaching tool for history lessons and civic education, which offers the opportunity to reflect the legitimating patterns of National Socialist Crimes. The eudcational idea proposes to work out and reflect on the mental mechanisms of the Nazis which lead to social exclusion of Jewry, devaluations and extermination from a moral perspective. The article gives insights into the moral stage analysis. Furthermore the educational concept will be discussed, also regarding to first experiences in school.
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Gloe und A. Ballis (Hrsg.), Holocaust Education Revisited, Holocaust Education – Historisches Lernen – Menschenrechtsbildung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24207-7_18
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1 Problemstellung Der Holocaust hat unendliches Leid über Millionen von Menschen gebracht. Die NS-Täterinnen und Täter handelten zutiefst inhuman. Sie erscheinen daher oft als das Böse schlechthin. Folgt man dem Sozialpsychologen Harald Welzer, hilft uns das Charakterisieren der Täterinnen und Täter als „krank und/oder amoralisch […], mit dem überlebensgroß Grauenhaften der Taten umzugehen, weil es uns in der Überzeugung bestärkt, zu so etwas niemals fähig zu sein“ (Welzer 2016: 42). Diese Einordnung verstellt aber, darauf weist Welzer (2016: 23, 43ff., 257ff.) hin, eine tiefergehende Analyse: Viele Täter hatten den Anspruch, moralisch zu handeln. Sie sahen sich selbst nicht als inhuman, sondern als „gute“ Deutsche und treusorgende Familienväter. Doch wie war das möglich? Wie ließen sich die grauenhaften nationalsozialistischen Verbrechen persönlich und gesellschaftlich rechtfertigen, um sie begehen zu können? Welche Begründungsmuster wurden konstruiert, um das Unmoralische zu legitimieren? Diese Fragestellung verweist auf die Analyse einer „Moral“ der Unmoral im Nationalsozialismus. Aus didaktischer Sicht ist eine solche Analyse wichtig, weil sie die Auseinandersetzung mit einem tragenden Teilaspekt des Holocaust ermöglicht. Sie bietet Schülerinnen und Schülern ganz im Sinne Theodor W. Adornos die Chance, diejenigen „Mechanismen [zu] erkennen, die die Menschen so machen, daß sie solcher Taten [wie der des Holocaust; C. F.] fähig werden“ (Adorno 1966/2015: 90). Indem die Schülerinnen und Schüler die NS-Rechtfertigungsmechanismen, die dem Massenmord an den europäischen Jüdinnen und Juden zugrunde lagen, untersuchen und kritisch reflektieren, kann ein Beitrag zur historischen Erklärung des Holocaust sowie eine Sensibilisierung gegen diese Mechanismen (in gleicher oder ähnlicher Form) geleistet werden. Im vorliegenden Aufsatz stelle ich mit der Moralstufenanalyse ein methodisches Verfahren vor, das dieser Intention folgt. Bei der Moralstufenanalyse handelt es sich um ein erprobtes Lehr-Lern-Arrangement, das der Analyse und Beurteilung von moralischen Denk- und Handlungsmustern in politischen und historischen Kontexten dient. Das Moralstufenmodell von Lawrence Kohlberg kommt dabei in „fachdidaktischer Verfremdung“ (Reinhardt 2008: 280) als Analyseinstrument zum Einsatz. Ziel des vorliegenden Beitrags ist es, das entwickelte Lehr-Lern-Arrangement vorzustellen, didaktisch zu begründen und zu diskutieren.
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Rechtfertigungsmuster nationalsozialistischer Verbrechen: Kohlbergs Moralstufenmodell als Analyseraster
Das kritische Nachdenken über Rechtfertigungsmuster von NS-Verbrechen ist eng mit dem Eichmann-Prozess verbunden (Arendt 1964/2008: 93ff., 231ff., 400ff.; Gross 2010: 171ff.). Hannah Arendt prägte in diesem Zusammenhang den Begriff der „Banalität des Bösen“ (Arendt 1964/2008: 371; Hervorhebung im Original). Nach ihrer Analyse drückt sich diese Banalität in der Bereitschaft aus, Befehle auszuführen, ohne sich für die Konsequenzen persönlich verantwortlich zu fühlen. Es besteht eine moralische „Indifferenz“ (Arendt 1965/2008: 150), eine gedankenlose Gleichgültigkeit gegenüber den Folgen des eigenen befehlsgeleiteten Tuns. Demnach orientierten sich Täter wie Eichmann an der Norm des Befehlsgehorsams und der Pflichterfüllung, wobei ein „Unwillen“ oder eine „Unfähigkeit“ vorlag, „durch Urteil zu Anderen [also zu denjenigen Menschen, die von ihrem Handeln betroffen waren; Anmerkung C. F.] in Beziehung zu treten“ (Arendt 1965/2008: 150; vgl. auch Arendt 1964/2008: 400ff.). Im Nationalsozialismus waren Befehlsgehorsam und Pflichterfüllung zugleich in ein „normatives Modell“ (Welzer 2016: 69) eingelassen, in dem sie als Tugenden galten (Gross 2010: 208ff.). Dieses normative Modell stellte die massenhafte Vernichtung von Menschen jüdischen Glaubens als richtig und sinnvoll heraus. Indem Menschen jüdischen Glaubens kollektiv abgewertet und als fundamentale Bedrohung konstruiert wurden, erschien ihre Vernichtung, auch die von jüdischen Kindern, als Dienst an der Volksgemeinschaft, als eine harte, aber aus dem sozialen Schutzempfinden für die eigene Bezugsgruppe heraus gebotene Tat (Welzer 2016: 31, 37, 57ff., 249; Gross 2010: 202f., 208ff.). Daneben spielt in der nationalsozialistischen Weltsicht noch das sozialdarwinistische Motiv, über den „Schwächeren“ verfügen und ihn vernichten zu dürfen, eine wichtige Rolle. Welche moralische Logik steht aber hinter den hier skizzierten nationalsozialistischen Denk- und Handlungsmustern, die zur Rechtfertigung des Massenmordes herangezogen wurden? Das Moralstufenmodell von Lawrence Kohlberg bietet sich an dieser Stelle als hilfreiches Analyseraster an. Kohlbergs Modell der Moralentwicklung unterscheidet drei moralische Niveaus mit insgesamt sechs Moralstufen. Den einzelnen Niveaus ist jeweils eine spezifische soziale Perspektive immanent. Sie bezieht sich auf die Sichtweise, die eine Person bei der Auseinandersetzung mit einem sozialen Sachverhalt und dessen moralischer Beurteilung einnimmt (Kohlberg 1976/1996: 133). Jedem Niveau sind zwei Moralstufen zugeordnet. Die Moralstufen lassen sich als übergeordnete, orientierende Denkmuster verstehen, nach denen Personen konkrete Einzelfälle urteilend erschließen (Kohlberg 1973/1996: 85).
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Niveau Präkonventionelles Niveau
Stufen – Orientierung an/am Stufe 1
noch kein Verständnis/keine Unterstützung der konventionellen gesellschaftlichen Regeln
… eigenen Wohlergehen/Gehorsam und Unterordnung gegenüber Stärkeren
Soziale Erwartungen und gesellschaftliche Konventionen bleiben dem Subjekt noch äußerlich.
Stufe 2 egozentrische – also konkret-individuelle – soziale Perspektive … strategischer Tauschgerechtigkeit Konventionelles Niveau
Stufe 3
Man entspricht den Regeln und Konventionen der … Erwartungen von BezugspersoGesellschaft. nen (Personen, mit denen man sich gefühlsmäßig verbunden sieht), Ideal Man hat diese Regeln internalisiert/identifiziert des ‚guten Jungen‘ sich mit ihnen. Stufe 4 soziozentrische Perspektive: Perspektive als ein Mitglied der Gesellschaft … Gesetzen/Recht und Ordnung Postkonventionelles Niveau
Stufe 5
Gesellschaftliche Regeln werden grundsätzlich ak- … Sozialvertragsgedanken zeptiert, zugleich aber auch relativiert. Man fragt nach den allgemeinen moralischen Prinzipien, die den gesellschaftlichen Regeln und Stufe 6 Konventionen zugrunde liegen und richtet sich an ihnen aus. … universalen Prinzipien Im Konfliktfall zwischen Regeln und Prinzipien erfolgt eine Orientierung an den Prinzipien. Abb. 1 Moralstufenmodell von Kolberg im Überblick (nach Reinhardt 2008: 278, erweitert)
Im Folgenden soll das Moralstufenmodell von Kohlberg als Analyseraster auf die herausgearbeiteten NS-Rechtfertigungsmuster angewendet werden. Dabei ist der Hinweis wichtig, dass der Begriff „Moral“ hier nicht in einem normativen Sinne, sondern ausschließlich analytisch-deskriptiv verwendet wird. Die Analyse bezieht
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sich darauf, was die nationalsozialistischen Täterinnen und Täter für Moral hielten (Gross 2010: 16, 96; Welzer 2016: 23, 30, 40ff.). Die Rechtfertigung der Ermordung von Menschen jüdischen Glaubens mit der Befehlslage und der Pflicht, Befehlen zu gehorchen, entspricht nach Kohlbergs Moralstufenmodell einer präkonventionellen Orientierung auf Stufe 1. Es geht um Gehorsam und Unterordnung unter Autorität sowie darum, Sanktionen für die eigene Person zu vermeiden. Ordnet man aber Befehlsgehorsam und Pflichterfüllung als Tugenden der eigenen Bezugsgruppe ein, denen man sich im sozialen Interesse verpflichtet fühlt, auch wenn die Tötung anderer Menschen befohlen wird, dann bewegt sich diese Rechtfertigung bereits auf einem konventionellen Niveau, hier auf Stufe 3. Die sozialdarwinistische Begründung, dass man die im „Kampf der Rassen“ unterlegene Seite, das angeblich „Minderwertige“, vernichten dürfe, weil man als Überlegener dazu das Recht habe, folgt einer egozentrischen Perspektive und verweist abermals auf Stufe 1, die Orientierung am Recht des Stärkeren. Resultiert diese Begründung aber aus der Sichtweise, dass mit der Vernichtung von Menschen jüdischen Glaubens der eigenen Bezugsgruppe geholfen und sie von einer existenziellen Bedrohung „befreit“ werde, dann liegt eine soziozentrische Perspektive vor. Die Konstruktion der Menschen jüdischen Glaubens als Feindbild sowie ihre Ausgrenzung und Enthumanisierung bilden die Grundlage für eine Rechtfertigungslogik, die auf die sozialen Verbindungs- und Verpflichtungsgefühle innerhalb der eigenen, strikt definierten Bezugsgruppe rekurriert, die nach Kohlbergs Modell der Stufe 3 entsprechen. Soziale Hilfe, Solidarität und Schutz genießen aus diesem Moralverständnis heraus nur die Mitglieder des eigenen Sozialverbandes; die als existenzielle Bedrohung eingestuften Menschen jüdischen Glaubens trifft hingegen kollektiv das Gebot der Vernichtung. Relevanz besitzt allein die eigene Bezugsgruppe, ihr Wohlergehen und Sieg im vermeintlichen „Endkampf“. Bezug nehmend auf Ernst Tugendhat (2009) lässt sich dieses Moralverständnis auch als „partikulare Moral“ in einer extremen Ausprägung bezeichnen (Gross 2010: 13ff.; Welzer 2016: 31): „Die Nazis haben den Universalismus verworfen. Für sie bestand die Geschichte in einem Kampf der Rassen, und die moralischen Normen einer Rasse seien ausschließlich Binnennormen; gegenüber Außenseitern bestehe keine moralische Verpflichtung. Diese Anschauung lässt sich im Gegensatz zum Universalismus als Partikularismus bezeichnen: Nur die eigene Gruppe zählt, ob man sie nun als Nation oder Rasse versteht. Der Nazismus war ein extremes Beispiel des Partikularismus“ (Tugendhat 2009: 61).
Der Begriff der partikularen Moral unterstreicht die Zuordnung zur Bezugsgruppenorientierung auf Stufe 3 nach Kohlberg.
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Die Verwendung von Kohlbergs Moralstufenmodell als Analyseraster regt weiterführende Reflexionen an: So ist zu fragen, ob das nationalsozialistische „Moral“-Denken nicht auch postkonventionelle Züge enthielt, denn trotz der langen Traditionslinien antisemitischer Ressentiments war die massenhafte Vernichtung von Menschen jüdischen Glaubens und vor allem die von Kindern keineswegs eine sozial geteilte Selbstverständlichkeit in der deutschen Gesellschaft zur Zeit des Zweiten Weltkriegs. Wäre das der Fall gewesen, dann hätte Himmler 1944 in seiner Sonthofener Rede die „Notwendigkeit“, auch die jüdischen Kinder zu ermorden, nicht eigens vor Generälen begründen müssen (Himmler 1944/1974). Insofern verließ der Nationalsozialismus mit seinen normativen Setzungen bestehende gesellschaftliche Konventionen, beziehungsweise ging über sie hinaus – auch in Bezug auf andere Opfergruppen. Diese Überlegung macht auf eine wichtige Eigenschaft des nationalsozialistischen „Moral“-Denkens aufmerksam: Es beruhte auf einer zum Teil radikalen Umdeutung und „Pervertierung“ (Pauer-Studer 2009: 77) bestehender Konventionen und Werte (Arendt 1964/2008: 248f.). Dennoch blieb es in seiner Eigenlogik aber einer soziozentrischen Perspektive verhaftet, deren Besonderheit es war, auf die rassisch definierte Eigengruppe orientiert zu sein, und ein Tötungsgebot für Menschen jüdischen Glaubens (und anderer Menschengruppen) im Interesse der Eigengruppe zu begründen. Aufgrund dieser soziozentrischen Perspektive entsprach es im Kern der Logik einer konventionellen Moral – und das in einer extrem aggressiven Form. Andererseits ließe sich argumentieren, dass der nationalsozialistische Überlegenheits- und Herrschaftsanspruch sowie das hieraus abgeleitete Recht zum Massenmord die Funktion eines Prinzips einnahm, weil es seitens des Nationalsozialismus als allgemeingültig postuliert wurde. Auch hier tritt ein wichtiges Merkmal der NS-„Moral“ hervor: Das eigene, gruppenbezogene „Moral“-Modell wurde als Maßstab (grundsätzliche Überlegenheit der Deutschen und das daraus abgeleitete Recht zur Beherrschung) auf andere Menschengruppen (die Opfer) angewendet. Dennoch handelte es sich um kein prinzipiengeleitetes Denken im Sinne Kohlbergs, denn dieses beruht auf einer sozialen Perspektive, die es ermöglicht, die Interessen und Bedürfnisse auch derjenigen Menschen, mit denen man sich nicht verbunden fühlt, anzuerkennen und mitzudenken. Es war aber gerade diese Form der Empathie und Mitmenschlichkeit, die der Nationalsozialismus konsequent ablehnte. Bei den universellen Werten, die in Kohlbergs Moralstufenmodell das postkonventionelle, prinzipiengeleitete Niveau anleiten, handelt es sich beispielsweise um Menschenwürde, Freiheit und das grundsätzliche Recht auf Leben.
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Die Moralstufenanalyse als Lehr-Lern-Arrangement
Die Moralstufenanalyse als Lehr-Lern-Arrangement wurde im Unterricht bereits auf verschiedene sozialwissenschaftliche Lerngegenstände angewendet, so auf die Volksgemeinschaft als rechtsextremes Ordnungsmodell (Fischer 2011), das DDR-Grenzregime (Fischer 2014), den Markt (Reinhardt 1999: 78ff.; Fischer 2018: 191ff.) und die Orientierung des Handelns in der Sozialistischen Planwirtschaft (Fischer 2018: 191ff.). Aus den damit verbundenen Vorarbeiten (Fischer 2011, 2014, 2018: 191ff.) fließen Ausführungen in den vorliegenden Beitrag direkt ein. Weil Kohlbergs Moralstufenmodell als psychologische Entwicklungstheorie entworfen wurde, kommt dem Hinweis, dass sein unterrichtlicher Einsatz als Analyseraster in „fachdidaktischer Verfremdung“ (Reinhardt 2008: 280) erfolgt, eine zentrale Relevanz zu. Entgegen der ursprünglichen Intention von Lawrence Kohlberg dient es im vorliegenden Fall also nicht der Beschreibung moralpsychologischer Entwicklung, sondern wird als Analyseraster für Politik und Gesellschaft, in gegenwärtiger wie auch in historischer Dimension, im Rahmen einer Unterrichtsmethode genutzt. Allerdings erkannte auch Kohlberg bereits die Möglichkeit, dass sein Moralstufenmodell soziologisch für die Untersuchung der „sozio-moralische[n] Atmosphäre“ von Handlungen eingesetzt werden kann (Kohlberg 1984/1996: 223; Hervorhebung im Original). Bei der hier vorgeschlagenen Form der Verwendung geht es darum, zu untersuchen, nach welchem Muster Menschen • in besonderen Situationen (z. B.: in moralischen Dilemmata), • sowie in Bezug auf politische Theorien, Ideologien und Ordnungsmodelle (Nationalsozialismus, Volksgemeinschaft, Ideologie des SED-Staates und seines Grenzregimes), • oder in einzelnen gesellschaftlichen Lebensbereichen (z. B.: dem Markt). Handlungen als richtig oder falsch begründen und sie damit steuern. Gegenstand ist also die Untersuchung und nähere Bestimmung des moralischen Begründungsmusters von Handlungen – man kann auch von Denk- und Handlungslogiken oder Handlungsorientierungen sprechen. Da die Analyse mit Hilfe des Stufenmodells von Kohlberg vorgenommen wird, bietet sich für dieses methodische Vorgehen die Bezeichnung „Moralstufenanalyse“ an. Die Bestimmung und Reflexion der inhärenten moralischen Orientierung(en) eines Untersuchungsgegenstandes bietet den Lernenden die Chance, ihn tiefergehend zu verstehen. Über das Analyseraster lässt sich der jeweilige Gegenstand
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„informierter, distanzierter und deshalb auch wertender“ untersuchen (Reinhardt 2007: 162). Es werden kritische Analysen und Wertereflexionen angeregt. In der Durchführung einer Moralstufenanalyse sind drei Herausforderungen für die Lernenden angelegt, die unmittelbar aufeinander aufbauen: Zunächst müssen die Lernenden die moralischen Denk- und Handlungsmuster eines Untersuchungsgegenstandes – im vorliegenden Fall die nationalsozialistischen Rechtfertigungsmuster für den Massenmord an den europäischen Jüdinnen und Juden – inhaltlich bestimmen; dies legt die Auseinandersetzung mit Quellenmaterial nahe. Die zweite Herausforderung besteht anschließend darin, dass die Lernenden eigenständig das Moralstufenmodell als Analyseraster verwenden, um die jeweils zugrunde liegende(n) moralische(n) Logik(en)/Orientierung(en) zu bestimmen und einzuordnen. Die Schülerinnen und Schüler müssen demnach das Moralstufenmodell als Untersuchungsinstrument handhaben können, was voraussetzt, es ihnen in einer didaktisch aufbereiteten Form auszuhändigen. Die dritte Herausforderung liegt in der kritischen Reflexion und Auseinandersetzung mit den Untersuchungsergebnissen. Wenn die Schülerinnen und Schüler im Rahmen der Moralstufenanalyse eigenständig mit dem Moralstufenmodell als Analyseraster umgehen, dann geht es keinesfalls darum, ihre Zuordnungen im Unterricht einfach als richtig oder falsch abzuhaken. Die unterschiedlichen Stufenzuordnungen der Lernenden sind vielmehr die Basis der gemeinsamen Reflexion. Der Umgang mit dem Analyseraster regt das gemeinsame Nachdenken über den Untersuchungsgegenstand an.
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Durchführung der Moralstufenanalyse: „NS-Rechtfertigungsmuster“
Die Durchführung der Moralstufenanalyse wird ab der Klassenstufe 10 empfohlen. Ihre methodische Struktur untergliedert sich in vier Phasen:
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4.1 Konfrontation In einem ersten Schritt werden den Lernenden zunächst Fotos gezeigt, die Heinrich Himmler als Familienmenschen gemeinsam mit seiner Frau und seiner Tochter abbilden (Kellerhoff et al. 2014: Kapitel 1 und 2). Wichtig dabei ist, dass die Lernenden hier noch nicht die Information erhalten, dass es sich bei dem Mann um Heinrich Himmler handelt. Die Fotografien werden ergänzt durch die folgenden zwei Briefauszüge:
Quellenmaterial Konfrontation 06.08.1943 „Meine gute, liebe Mami! Zu dem Tag, an dem du mir vor 14 Jahren unter so viel Schmerzen u. Lebensgefahr unser süßes Töchting geschenkt hast, denke ich besonders lieb an Dich u. schicke dir viele Küsse. Gib unserem Racker einen Kuß von mir! Alles Liebe Dein Pappi“ 22.12.1944 „Meine gute, geliebte Mami! Zum ersten Mal haben wir Weihnachten nicht zusammengefeiert; ich habe aber gerade gestern so viel an Dich u. Püppi gedacht. Habt Ihr auch unseren Julleuchter angezündet? – ich hoffe, daß Euch meine Geschenke Freude machen […]. […] […] Ich wünsche Dir, meine gute Mami, alles Liebe zum Weihnachtsfest, u. hoffe Du freust dich doch ein wenig an meinen Geschenken. Viel liebe Grüße u. Küsse Dein Pappi“ Erster Brief: Himmler (1943/2014: 310) Zweiter Brief: Himmler (1944/2014: 333)
Auch an dieser Stelle ist es wichtig, den Namen „Heinrich Himmler“ noch nicht zu nennen. Aus den Fotografien und den Briefauszügen lässt sich gemeinsam mit den Lernenden herausarbeiten, dass für den Mann, um den es hier geht, die Familie wichtig war und er offenbar ein emotionales Verhältnis zu seiner Frau und seiner Tochter hatte. Erst im Anschluss daran werden die Lernenden damit konfrontiert, dass es sich bei dieser Person um Heinrich Himmler, Reichsführer SS, und damit
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um einen der Hauptverantwortlichen für den millionenfachen Mord an Menschen jüdischen Glaubens (und anderen Opfergruppen), an Familien und Kindern, handelt. Diese Information kann durch Bildquellen aus Vernichtungslagern ergänzt werden. Danach folgt ein Blitzlicht zu der Frage, ob hier nicht ein Widerspruch im Denken und Handeln der Person Heinrich Himmlers vorlag. Über das Blitzlicht erhalten die Lernenden die Möglichkeit, erste Emotionen und Deutungen zu formulieren. Hiervon ausgehend lässt sich auf die richtungsgebende Fragestellung des Unterrichts überleiten, nämlich: „Wie konnte Heinrich Himmler seine Verbrechen vor sich selbst und der Gesellschaft rechtfertigen? Hatte Himmler (und der Nationalsozialismus) moralische Vorstellungen, mit denen er versuchte, seine Taten zu rechtfertigen? Und wenn ja, dann ist zu fragen, a) wie diese aussahen und b) wodurch sie sich auszeichneten? Und kann man hierbei überhaupt von Moral sprechen?“
4.2 Erschließung In dieser Phase geht es darum, dass sich die Lernenden die nationalsozialistischen Denkmuster inhaltlich erschließen, mit denen Himmler die Massenmorde an den Menschen jüdischen Glaubens rechtfertigte. Dieser Schritt bildet die grundlegende Voraussetzung für die spätere moralstrukturelle Analyse. Für die Erschließung der NS-Rechtfertigungsmuster bieten sich Auszüge aus Reden von Heinrich Himmler an, in denen er die Ermordung der europäischen Jüdinnen und Juden als notwendig, „richtig“ und „anständig“ begründete. In diesen Reden dokumentieren sich spezifische nationalsozialistische „Moral“-Vorstellungen. Im Folgenden führe ich Auszüge aus zwei Himmler-Reden an, die die Arbeitsgrundlage für die Schülerinnen und Schüler bilden (hier stark gekürzt):
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Quellenmaterial Erschließungsphase Heinrich Himmler, Rede bei der SS-Gruppenführertagung in Posen am 4. Oktober 1943. Auszug „Ein Grundsatz muss für den SS-Mann absolut gelten: ehrlich, anständig, treu und kameradschaftlich haben wir zu Angehörigen unseres eigenen Blutes zu sein und zu sonst niemandem. […] Unsere Sorge, unsere Pflicht, ist unser Volk und unser Blut; Dafür haben wir zu sorgen und zu denken, zu arbeiten und zu kämpfen, und für nichts anderes. Alles andere kann uns gleichgültig sein. […] Ich will hier vor Ihnen in aller Offenheit auch ein ganz schweres Kapitel erwähnen. […] Ich meine jetzt die Judenevakuierung, die Ausrottung des jüdischen Volkes. […] Von Euch werden die meisten wissen, was es heißt, wenn 100 Leichen beisammen liegen, wenn 500 daliegen oder wenn 1000 daliegen. Dies durchgehalten zu haben, und dabei – abgesehen von Ausnahmen menschlicher Schwächen – anständig geblieben zu sein, das hat uns hart gemacht. Dies ist ein niemals geschriebenes und niemals zu schreibendes Ruhmesblatt unserer Geschichte, denn wir wissen, wie schwer wir uns täten, wenn wir heute noch in jeder Stadt – bei den Bombenangriffen, bei den Lasten und bei den Entbehrungen des Krieges – noch die Juden als Geheimsaboteure, Agitatoren und Hetzer hätten. […] […] Insgesamt aber können wir sagen, dass wir diese schwerste Aufgabe in Liebe zu unserem Volk erfüllt haben. Und wir haben keinen Schaden in unserem Inneren, in unserer Seele, in unserem Charakter daran genommen“ (Himmler 1943/2011). Heinrich Himmler, Rede vor Generälen in Sonthofen am 21. Juni 1944. Auszug „Ich darf dies auch in diesem Kreis wieder in aller Offenheit mit ein paar Sätzen sagen. Es ist gut, daß wir die Härte hatten, die Juden in unserem Bereich auszurotten. Fragen Sie nicht, wie schwer das war, sondern haben Sie als Soldaten – ich möchte fast sagen – Verständnis dafür, wie schwer ein solcher Befehl durchzuführen ist. Ziehen Sie aber auch bei kritischster Prüfung, nur als Soldaten für Deutschland denkend, den logischen Schluß, daß es notwendig war. […] Ebenso will ich auch eine Frage, die sicherlich gedacht wird, gleich beantworten. Die Frage heißt: Ja, wissen Sie, daß Sie die erwachsenen Juden umbringen, das verstehe ich, aber die Frauen und Kinder …? – Da muß ich Ihnen etwas sagen: Die Kinder werden eines Tages groß werden. Wollen wir so unanständig sein, daß wir sagen: nein, nein, dazu sind wir zu schwach, aber unsere Kinder können sich mit ihnen mal abgeben. Die sollen das auch einmal auskämpfen. Dann würde dieser jüdische Haß heute kleiner und später groß gewordener Rächer sich an unseren Kindern und Enkeln vergreifen, so daß sie noch einmal das gleiche Problem zu lösen hätten, dann aber in einer Zeit, da kein Adolf Hitler mehr lebt. Nein, das können wir nicht verantworten. Das wäre feige gewesen, und deswegen haben wir eine klare Lösung vorgezogen, so schwer sie auch war“ (Himmler 1944/1974: 203f.).
Der dazugehörige Arbeitsauftrag lautet:
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Aufgabenstellung Erschließungsphase Einzelarbeit: 1. Lies die Auszüge aus den beiden Reden von Heinrich Himmler. Kläre durch Nachschlagen oder Nachfragen unbekannte Begriffe und Zusammenhänge. 2. Arbeite heraus, … a. welche Handlungen/Handlungsweisen Himmler als richtig und „anständig“ ansieht, b. warum er sie als richtig und „anständig“ ansieht. Wie begründet er dies? Gruppenarbeit: 3. Besprecht eure Arbeitsergebnisse zu Aufgabe 2 gemeinsam in der Gruppe. 4. Haltet die Handlungen/Handlungsweisen, die Himmler als richtig und „anständig“ ansieht, auf den ausgeteilten weißen Blättern fest. Schreibt die herausgearbeiteten Begründungen von Himmler (seine Rechtfertigungsversuche) ebenfalls auf den Blättern auf. Ein Hinweis: Verwendet für jede Handlung/Handlungsweise ein separates Blatt.
Bei den Blättern, auf denen die Lernenden ihre Arbeitsergebnisse festhalten sollen, handelt es sich um großformatige Vorlagen, die anschließend der Ergebnispräsentation und der Entwicklung des Tafelbildes dienen. Die Vorlage sieht folgendermaßen aus.
Vorlage Erschließungsphase Aus Sicht Heinrich Himmlers (und des Nationalsozialismus) ist es richtig und „anständig“ …
Er begründet das folgendermaßen:
Die Ergebnisse der Gruppen werden im Plenum vorgestellt und gemeinsam besprochen.
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4.3 Analysephase Mit der inhaltlichen Erschließung der nationalsozialistischen Denk- und Handlungsmuster, mit denen Himmler die Ermordung der europäischen Jüdinnen und Juden rechtfertigte, ist noch nicht geklärt, auf welcher moralischen Logik beziehungsweise auf welchem moralischen Muster sie sich bewegen. Damit rückt die Ausgangsfrage des Unterrichts wieder ins Zentrum. Die zentrale Frage lautet, welche moralische Logik/Orientierung hinter den NS-Rechtfertigungsmustern steht. Es kommt darauf an, diese Kernfrage im gemeinsamen Unterrichtsgespräch erneut zu fokussieren. Danach wird den Schülerinnen und Schülern Kohlbergs Moralstufenmodell als Analyseraster vorgestellt. Sie erhalten das Moralstufenmodell in einer didaktisch – als Untersuchungswerkzeug für Politik und Gesellschaft – aufbereiteten Heftfassung. Das Materialheft kann über den Didaktischen Koffer in der Unterrichtsreihe „Politisch-moralisches Lernen anhand des DDR-Grenzregimes. Die Moralstufenanalyse als Instrument“ (Fischer 2014) bezogen werden. Die Lernenden arbeiten in Gruppen. Die Aufgabenstellung lautet:
Aufgabenstellung Analysephase Welche moralische Logik/Orientierung steht hinter dem Denken Heinrich Himmlers? Aufgabe: Wendet das Moralstufenmodell Kohlbergs als Analyseraster auf Heinrich Himmlers nationalsozialistische Weltsicht an. Untersucht, auf welcher Moralstufe sich seine Denk- und Handlungsmuster bewegen. Eine Gebrauchsanweisung für den Umgang mit dem Moralstufenmodell als Untersuchungswerkzeug findet ihr im Materialheft.
Die Lernenden versuchen nun, die einzelnen Denkmuster und Begründungen aus Himmlers nationalsozialistischer Weltsicht jeweils einer Stufe des Moralstufenmodells zuzuordnen beziehungsweise umgekehrt eine Moralstufe in einem Denkmuster wiederzufinden. Es ist also die konkrete Anwendung, über die die Schülerinnen und Schüler das Moralstufenmodell als Analyseraster erproben und kennenlernen.
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4.4 Reflexion a. Präsentation und Diskussion: Die Gruppen präsentieren ihre Arbeitsergebnisse und diskutieren die einzelnen Stufenzuordnungen im Plenum gemeinsam. Der didaktische Wert dieses Schrittes liegt vor allem im Prozess, also im gemeinsamen moralstrukturellen Nachdenken über den Untersuchungsgegenstand, bei dem unterschiedliche Moralstufenzuordnungen abgewogen werden. Bezug nehmend auf die Ausführungen in Kapitel II lassen sich die NS-Rechtfertigungsmuster auf verschiedene Moralstufen überprüfen, was ihre Besonderheiten erkennbar macht. Im Ergebnis lässt sich aber die Stufe 3 als Kern des NS-„Moral“-Denkens bestimmen.
b. Kontrastierung und Kritik: In diesem Schritt werden die nationalsozialistischen Denk- und Handlungsweisen in ihrer Verbrechensqualität reflektiert und beurteilt. Der Arbeitsauftrag lautet:
Aufgabenstellung Kontrastierung 1. Tragt gemeinsam Begründungen zusammen, die gegen die nationalsozialistischen Denk- und Handlungsweisen sprechen. Vervollständigt dazu den folgenden Satz: „Der NS-Massenmord an Menschen jüdischen Glaubens (und an anderen Opfergruppen) ist ein Verbrechen, weil …“ Sucht nach unterschiedlichen Begründungen und haltet sie schriftlich auf den ausgeteilten blauen Blättern fest! Ein Hinweis: Verwendet für jede Begründung ein separates Blatt. 2. Wendet das Moralstufenmodell von Kohlberg abermals als Analyseraster an. Überlegt, auf welchen Moralstufen sich die Begründungen bewegen. Schreibt die Stufenzuordnungen hinter die inhaltlichen Begründungen.
Wie aus der Aufgabenstellung hervorgeht, kommt auch hier das Moralstufenmodell von Kohlberg als Analyseraster zur Anwendung. Die Intention dieses Schrittes besteht darin, diejenigen Begründungen und Orientierungen zu bestimmen, die gegen Mord und Massenmord sprechen. Im Vordergrund steht dabei der Bezug auf das grundsätzliche Recht auf Leben und die Achtung der Menschenwürde (Stufe 6). Daneben kann aber auch noch nach anderen Begründungen für die moralische Ablehnung des Massenmordes gesucht werden. Über die vorgenommene Kontrastierung lassen sich dann die Besonderheiten der verbrecherischen NS-„Mo-
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ral“ herausarbeiten, vor allem die, dass der Nationalsozialismus ein universelles Werteverständnis ablehnte und das Recht auf Leben als politisch verfügbar und absprechbar verstand. Abschließend ist gemeinsam darüber nachzudenken, ob bei den NS-Rechtfertigungsmustern, die am Beispiel von Heinrich Himmler herausgearbeitet wurden, überhaupt noch von „Moral“ gesprochen werden kann. Außerdem lässt sich diskutieren, ob die Mechanismen der Rechtfertigung von kollektiver Gewalt so oder so ähnlich in Gegenwart und Zukunft wieder auftreten können. Wo liegen die Gefahren der moralischen Orientierung auf die eigene Bezugsgruppe? In welchen Ausprägungen treten sie auf? Und wie lassen sich mögliche Gefahren verhindern?
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Erste Erfahrungen aus der Unterrichtspraxis
Ich erprobte die entwickelte Moralstufenanalyse im Rahmen meiner Aktionsforschung in einer Lerngruppe mit sechzehn- und siebzehnjährigen Jugendlichen an einer Gemeinschaftsschule in Halle (Saale) im fächerübergreifenden Unterricht (Geschichte und Sozialkunde). Die Erprobung erfolgte im Februar 2018. Insgesamt kann gesagt werden, dass sich die einzelnen Phasen der Moralstufenanalyse gut umsetzen ließen. Die Umsetzung erfolgte in einem Zeitumfang von drei Doppelstunden. Die Schülerinnen und Schüler arbeiteten heraus, dass sich der Kern der NS-Rechtfertigungsmuster auf Stufe 3 nach Kohlbergs Moralstufenmodell bewegte, weil das Töten unter Bezug auf den eigenen Sozialverband und mit dessen vermeintlichem Schutz, Erhalt und Wohlergehen begründet wurde. Auch die Stufe 1 als Orientierung an Befehl und Gehorsam wurde von den Lernenden als relevant hervorgehoben. Das nationalsozialistische Überlegenheits- und Machtdenken gegenüber anderen Menschengruppen ordneten die Lernenden ebenfalls der Stufe 1 zu. Diskutiert wurde, ob das befehlsgeleitete Töten nicht auch auf Stufe 4 verortet werden könne, wenn ein Denken vorliegt, wonach der Befehlsgehorsam für die Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung unabdingbar sei. Diskutiert wurde darüber hinaus, ob das NS-Denken nicht auch Elemente einer prinzipiengeleiteten Logik aufweise, weil der eigene Überlegenheitsanspruch und das abgeleitete Recht auf Vernichtung als allgemeingültig (über die Grenzen des eigenen Sozialverbandes hinaus) verstanden wurde. Nach meiner Wahrnehmung war es so, dass das Durchgehen der einzelnen Stufen von Kohlbergs Modell und der Versuch, sie auf die NS-Rechtfertigungsmuster anzuwenden beziehungsweise der Versuch, die NS-Rechtfertigungsmuster auf den
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verschiedenen Moralstufen wiederzufinden, in der Lerngruppe zu einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Phänomen führte. Der Umgang mit dem Moralstufenmodell als Analyseraster trieb die Auseinandersetzung mit dem Gegenstand und seine tiefergehende Durchdringung voran. Abschließend reflektierten die Schülerinnen und Schüler schriftlich die Besonderheiten der NS-Rechtfertigungsmuster und beurteilten sie. Die Aufgabenstellung lautete:
Aufgabenstellung Reflexionstext Schreibe eine Stellungnahme, in der du die drei folgenden Leitfragen bearbeitest: 1. Wie versuchte der Nationalsozialismus die Verbrechen gegen Menschen jüdischen Glaubens und andere Menschengruppen zu rechtfertigen? 2. Was sind die besonderen Merkmale der nationalsozialistischen Denk- und Rechtfertigungsversuche. Welcher Logik folgten sie? 3. Kann man überhaupt von einer nationalsozialistischen „Moral“ sprechen? Zusatz: 4. Welche Schlussfolgerungen kann/muss man aus der Auseinandersetzung mit den NS-Tätern und den NS-Rechtfertigungsmustern für die Zukunft ziehen?
Beispielgebend möchte ich hier Auszüge aus drei Texten von Schülerinnen und Schülern, den von Lasse, Merlin und Johanna (anonymisierende Namensgebung), aufführen (in angepasster Rechtschreibung): „[…] Wie ich bereits schrieb, baut sich die Moral des NS dadurch auf, dass es darum geht, dem eigenen Blut, in diesem Fall dem deutschen, ein perfektes Leben zu ermöglichen. Wie es den anderen dabei geht, ist egal, Hauptsache den Deutschen geht es gut, so war die Denkweise des NS. Das weist stark auf die 3. Stufe von Kohlbergs Studie hin. Ob man das Denkbild als eine Moral bezeichnen kann, ist fraglich. Ich würde es als ein sehr stumpfes Moralbild bezeichnen. Allerdings ist es nach der These Kohlbergs eine Moral. Aus meiner Perspektive ist sie aber unmoralisch, was ihr aber nicht den Status einer Moral abspricht. Sie ist extrem einseitig veranlagt […]. […] Für die Zukunft, vielleicht auch schon die Gegenwart sollte beachtet werden, dass die Menschen damals ihr Handeln nicht als falsch erachtet haben. Sie hatten in ihren Augen Gründe für ihr Handeln, das kann jetzt wie auch in der Zukunft eine Bedrohung darstellen. Muss es aber auch nicht immer. Etwas dagegen zu machen, ist schwer aber möglich. Es muss darüber gesprochen werden. Eine Moral sollte aus meiner Sicht mehrere Stufen vereinen, sonst endet es, denke ich ‚schnell‘ wie damals. Darauf muss man auch in der Zukunft achten“ (Lasse).
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„[…] Die Moral nach der der Nationalsozialismus handelt, lässt sich mit dem Moralstufenmodell von Laurence Kohlberg zuordnen: Niveau II, was bedeutet, dass man nicht als ‚ich‘ denkt, sondern als ‚wir‘. Stufe 3, was bedeutet, dass man sich mit einer bestimmten Volksgruppe verbunden sieht. Allen in dieser Gruppe ist klar, wie man sich zu verhalten hat, und wer dazu gehört. Ich glaube, die moralische Logik, und das hatten diese Menschen damals wahrscheinlich, ist relativ einfach. Man handelt so, dass die Gemeinschaft den größten Vorteil erlangt. Das klingt eigentlich nicht so schlecht. Eine Gruppe hat viele Vorteile. Deswegen laufen auf der Welt nicht nur überall Einzelgänger oder kleine Gruppen herum. Wenn man die Gruppe aber zu hoch stellt, über das Wohl aller anderen, dann hat diese Gruppe zwar noch mehr Vorteile als davor, aber für mich ist das moralisch falsch. Für viele, oder die meisten Leute, damals war es das nicht“ (Merlin). „Heinrich Himmler rechtfertigte die Morde an Juden und anderen Menschen, dass er sie als den Feind seiner Rasse sieht. Er sieht es so, dass, wenn sie am Leben bleiben, das deutsche Volk verderben würde. Menschen, die nicht zu seinem Volk gehören, sind ihm total gleichgültig, so wie er es auch in einer seiner Reden sagt. So liegt es Heinrich Himmler auch sehr am Herzen, dass nicht nur die Männer oder die Erwachsenen aus der feindlichen Kultur/Religion/Rasse vernichtet werden, nein, auch die Kinder und Jugendlichen müssen dem Prozess des Sterbens unterzogen werden. […] Aus meiner Sicht würde ich sagen, dass […] ist eine sehr einfache Denkweise. Es ist nun mal so, dass bei ihnen der Stärkere gewinnt, sie sind halt stärker und die anderen, die Schwächeren, werden unterworfen. Ihr Bild war, dass es richtig ist, was sie tun, sie wurden mitgerissen von dieser Zeit und ihren Regeln. Ich denke, dass dieses Denken von einem Volk, dass alle sich helfen, […] den Menschen ein Gefühl von Sicherheit und Zusammenhalt gibt. Ein Gefühl von Stärke in der Gruppe und gerade das Wissen, dass so viele Leute/mein Volk hinter mir stehen, wenn ich was tue. Das Gefühl von extrem viel Macht. Ich denke, wenn Menschen Macht bekommen (nicht bei jedem) beflügelt es, Sachen zu tun, die er sonst nicht machen würde, Macht über andere. […] Meiner Meinung nach würde ich es nicht direkt als moralisch bezeichnen. Weil Moral für mich etwas Gutes ist, was man auf alle Menschen übertragen kann, wie zum Beispiel, dass jeder Mensch Rechte hat. Für sie war ihre Denkweise richtig und anständig, so wie auch Heinrich Himmler diese beiden Wörter immer hervorgehoben hat. Ich kann es auch nachvollziehen, dass ihre Vorstellung von ‚gut‘ ihnen in dem Moment richtig vorkam. Doch man kann es nicht auf alle Menschen beziehen, deswegen finde ich nicht, dass man es als moralisch bezeichnen kann […]“ (Johanna).
Ohne die Textauszüge hier im Einzelnen detailliert interpretieren zu können, lassen sich die folgenden Hinweise aus ihnen ziehen: 1. In den Reflexionstexten von Lasse und Merlin bleibt das antisemitische Denken des Nationalsozialismus wenig bestimmt. Der Massenmord wird auf das rechtfertigende Motiv, dass es dem eigenen, blutsbegründeten Sozialverband besser gehen soll, reduziert. Dahinter bleibt das nationalsozialistische Dogma, dass die Menschen jüdischen Glaubens eine existenzielle („rassische“, soziale, politische
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und wirtschaftliche) Gefahr für das deutsche Volk seien, unberücksichtigt. Hieraus resultiert der Hinweis, dass die Annahmen des NS-Antisemitismus im Rahmen der Moralstufenanalyse genauer besprochen/wiederholt werden sollten. In Johannas Reflexionstext wird die antisemitische Denkweise des Nationalsozialismus hingegen präziser erfasst. 2. Aus den Ausführungen aller drei Jugendlichen geht hervor, dass sie die „Moral“ des Nationalsozialismus als „stumpf“, „einseitig“ oder „einfach“ einstufen. Gleichzeitig sprechen sie ihr im historischen Kontext eine Rechtfertigungsfunktion für die damaligen Täterinnen und Täter zu. Persönlich ordnen sie sie aber als unmoralisch ein. Das heißt: Lasse, Merlin und Johanna unterscheiden zwischen einer funktionalen und einer normativen Verwendung des Begriffs Moral, auch wenn sie diese Begriffe hier nicht explizit verwenden. 3. Aus Lasses Sicht kann die Tatsache, dass den NS-Täterinnen und -Tätern ihr Handeln „damals“ begründbar erschien, „jetzt wie auch in Zukunft eine Bedrohung“ darstellen. Er zieht hieraus die Schlussfolgerung, dass moralische Vorstellungen nicht verengt werden sollten und über sie gesprochen werden muss. Offenbar scheint ihm ein kommunikativer Austausch, also ein Diskurs über verschiedene Moralvorstellungen, wichtig als Prävention zu sein. Bei Merlin führt die Reflexion der NS-Rechtfertigungsmuster unter anderem zu der Abwägung, dass ein moralisches Denken in Bezugsgruppen nicht per se unmoralisch sei, sondern durchaus auch wichtig und gerechtfertigt sein kann. Moralisch falsch wird seiner Analyse zufolge diese Orientierung erst, wenn man die Gruppe „über das Wohl aller anderen Gruppen stellt“. Und Johanna bestimmt in ihrer Reflexion Moral für sich als „etwas Gutes, was man auf alle Menschen übertragen kann, wie zum Beispiel, dass jeder Mensch Rechte hat“, mit dem sie dann als Urteilsmaßstab operiert. Das heißt: Bei allen drei Lernenden führte die Auseinandersetzung zu jeweils eigenen Reflexionen über Moral im historischen und sozialen Kontext.
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Diskussion
6.1
Nicht nur Chancen, sondern auch Herausforderungen!
Eine Frage, die sich hier stellt, lautet: Kann die entwickelte Moralstufenanalyse nicht auch einen Werterelativismus bei den Jugendlichen befördern? Ich möchte in diesem Zusammenhang einen zweiten Ausschnitt aus Merlins Reflexionstext zitieren. Er schrieb: „Und ich finde, dass man nicht sagen kann, dass Moral nur
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Gutes macht und böse Menschen keine Moral haben können. Denn meiner Meinung nach gibt es kein ‚Gut‘ und ‚Böse‘“. Auch wenn Merlin in seinem Reflexionstext zuvor die moralische Bezugsgruppenorientierung des Nationalsozialismus, die zu Lasten anderer Gruppen ging, für sich als falsch einstufte, sollte die sich in dem Zitat zeigende Tendenz eines Werterelativismus ernst genommen werden. Aus meiner Sicht sollte sie zum Anlass produktiver Überlegungen im Unterricht werden. Das Beispiel der NS-Rechtfertigungsmuster zeigt ja exemplarisch, dass Handlungen, auch wenn sie den Handlungsträgern moralisch gerechtfertigt erscheinen, im Ergebnis zu realen, entsetzlichen Konsequenzen führen können. Daraus folgt die Notwendigkeit, als Einzelperson wie auch als politisches Gemeinwesen Handlungen und ihre Rechtfertigungsmuster stets aus unterschiedlichen Perspektiven zu reflektieren. Eine weitere Herausforderung besteht, wie bereits angesprochen, im Umgang mit dem Moralstufenmodell als Analyseraster, was einem wissenschaftspropädeutischen Arbeiten im Unterricht entspricht. In der entwickelten Moralstufenanalyse ist ein analytisch-reflexiver und diskursiver Modus der unterrichtlichen Auseinandersetzung mit dem Gegenstand angelegt. Das Gelingen des Unterrichtsversuchs in der Lerngruppe wurde gerade dadurch unterstützt, dass die Jugendlichen mit einer analytisch-reflexiven, diskursiven und explorativen Unterrichtskultur vertraut sind. Insgesamt ist der Einsatz der entwickelten Moralstufenanalyse frühestens ab Klassenstufe 10 zu empfehlen.
6.2
Historisches oder politisches Lernen?
Indem im konzipierten Unterricht die zentrale Frage „Wie ließen sich die NS-Verbrechen an den europäischen Jüdinnen und Juden persönlich und gesellschaftlich rechtfertigen, um sie begehen zu können?“ an die Vergangenheit gestellt wird, folgt er einem historischen Denkansatz. Es handelt sich dabei um eine Kernfrage, die auch heute noch viele Menschen aufwühlt und beschäftigt. Diese Fragestellung leitet in der entwickelten Moralstufenanalyse den Blick in die Vergangenheit an und gibt der Analyse von NS-„Moral“-Vorstellungen am Beispiel von Heinrich Himmler eine Richtung. Das bedeutet: In der vorliegenden Unterrichtsreihe löst sich „Holocaust Education“ nicht in einer allgemeinen Menschenrechtsbildung auf, sondern arbeitet mit historischen Dokumenten. Die NS-Rechtfertigungsmuster werden untersucht, um a) die Mechanismen einer „Moral“ der Unmoral im historischen Kontext zu erkennen, und b) darüber nachzudenken, ob sie so oder so ähnlich in unserer Gegenwart und Zukunft wieder auftreten können. Damit leistet der Unterricht einen Beitrag zum historischen Lernen, weil er eine zeitebenenübergreifende Orientierung
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anregt (Bergmann 2008: 25ff.; von Borries 2008: 170ff.); dies spricht für den Einsatz der entwickelten Moralstufenanalyse im Geschichtsunterricht. Allerdings geht es im Rahmen der entwickelten Moralstufenanalyse nicht um • das historische Erzählen des Verlaufs von der Ausgrenzung zur Vernichtung der Menschen jüdischen Glaubens in der Zeit des Nationalsozialismus • oder eine sinnbildende Verknüpfung des Antisemitismus in der Gesellschaft des Deutschen Kaiserreichs und der Weimarer Republik mit dem vernichtungsorientierten Antisemitismus des Nationalsozialismus. Hieraus resultiert ein wichtiger didaktischer Hinweis: Die entwickelte Moralstufenanalyse setzt als Lehr-Lern-Arrangement historische Wissensbestände und Orientierungsleistungen voraus, die sie selbst nicht erbringt. Sie eignet sich deshalb nicht dafür, um im Geschichtsunterricht in das Thema Holocaust einzuführen oder es grundlegend zu erschließen, sondern ausschließlich für eine Metareflexion, bei der das historische Nachdenken über den Holocaust durch moralanalytische Überlegungen ergänzt wird. Die entwickelte Moralstufenanalyse kann daneben aber auch im Politikunterricht zum Einsatz kommen. Hier können die NS-Rechtfertigungsmuster als Exempel für die Rechtfertigung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit untersucht werden. Die kritische Auseinandersetzung mit einer „Moral“ der Unmoral fördert die Reflexion der ihr zugrunde liegenden Mechanismen und kann einen Beitrag zur Wertebildung leisten. Ausdrücklich geht es hierbei nicht um ein „Empowerment“ der Schülerinnen und Schüler für ein Denken und Handeln auf Stufe 6 im Alltag. Der Beitrag zur politisch-moralischen Wertebildung besteht vielmehr in der Erkenntnis und Reflexion der Tatsache, dass Werte wie Solidarität je nach der Ebene des moralischen Denkens sehr unterschiedlich verstanden werden können. Das gruppenbezogene Moralverständnis der Stufe 3 ist für den Alltag zentral und wichtig, es kann aber auch, wie das Beispiel des Holocaust zeigt, eine unglaublich destruktive Kraft entwickeln, für die es die Schülerinnen und Schüler zu sensibilisieren gilt. Die Moralstufenanalyse regt dazu an, darüber nachzudenken, was man persönlich unter Moral, Menschenwürde, dem Recht auf Leben und/oder Solidarität versteht.
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6.3
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Fallbezug und Quellenauswahl, mögliche Alternativen
Ohne Zweifel kann der Fallbezug auf Heinrich Himmler in der entwickelten Moralstufenanalyse auch durch alternative Fälle ersetzt werden. Neben anderen NS-Haupttätern bieten sich „normale“ NS-Täterinnen und Täter oder Menschen, die sich in besonderen Dilemma-Situationen befanden, als Fallbeispiele an. Der didaktische Vorteil des Fallbezugs auf Heinrich Himmler besteht darin, dass er heute (geschichtskulturell) nahezu exemplarisch für das „Böse“ steht. Gerade deshalb können die Familienfotos und die Briefe an seine Frau (trotz des Verhältnisses zu seiner Geliebten, mit der er zwei Kinder hatte) für eine produktive Verwirrung sorgen. Sie zeigen, dass auch dieser Mensch Gefühle hatte und zu Empathie fähig war. Diese (verwirrende) Erkenntnis führt unmittelbar zu der zentralen Frage, die im Rahmen der Moralstufenanalyse untersucht werden soll, nämlich die der persönlichen und gesellschaftlichen Rechtfertigung von NS-Verbrechen. Weiterhin liegen von Heinrich Himmler die beiden Reden als zugängliches Quellenmaterial vor (Himmler 1943/2011; Himmler 1944/1974). Sie enthalten die NS-Rechtfertigungsmuster für die Massenmorde, die an die SS- beziehungsweise Wehrmachtsführung adressiert waren. Hierin besteht ihr besonderer Quellenwert. Verändert man aber den Fallbezug, dann bietet sich auch die Verwendung anderer Quellen an, wie zum Beispiel NS-Schulungsmaterial oder Interviews/Verhörprotokolle mit „ganz normalen“ NS-Täterinnen und -Tätern. Abschließend bleibt festzuhalten: Wenn es der vorliegenden Moralstufenanalyse gelingt, Mut zur eigenen Erprobung oder zur Weiterentwicklung zu machen oder wenn sie zu neuen, ganz anderen Ideen für eine moralgeschichtliche/moralanalytische Auseinandersetzung mit dem Holocaust im Unterricht führt, dann erfüllt sich eine wesentliche Intention meiner Überlegungen.
Literatur Adorno, Theodor W. (1966/2015): Erziehung nach Auschwitz. In: Kadelbach, Gerd (Hrsg.): Theodor W. Adorno. Erziehung zur Mündigkeit, 25. Auflage, Frankfurt a. M.: Suhrkamp, S. 88–104. Arendt, Hannah (1964/2008): Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen, 3. Auflage, München: Piper. Arendt, Hannah (1965/2008): Über das Böse. Eine Vorlesung zu Fragen der Ethik, 2. Auflage, München: Piper.
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Bergmann, Klaus (2008): Geschichtsdidaktik. Beiträge zu einer Theorie historischen Lernens, 3. Auflage, Schwalbach/Ts.: Wochenschau. Borries, Bodo von (2008): Historisch Denken Lernen – Welterschließung statt Epochenüberblick. Geschichte als Unterrichtsfach und Bildungsaufgabe, Opladen/Farmington Hills: Budrich. Fischer, Christian (2011): Die Moralstufenanalyse als Instrument – am Beispiel Rechtsextremismus. In: Gesellschaft – Wirtschaft – Politik (GWP), Jg. 60, H. 2, S. 255–266, online: http:// www.zsb.uni-halle.de/archiv/didaktischer-koffer/unterrichtsreihen/1016159_2490596/ [19.09.2019]. Fischer, Christian (2014): Politisch-moralisches Lernen anhand des DDR-Grenzregimes. Die Moralstufenanalyse als Instrument. In: Gesellschaft – Wirtschaft – Politik (GWP), Jg. 63, H. 1, S. 117–130, online: http://www.zsb.uni-halle.de/archiv/didaktischer-koffer/ unterrichtsreihen/ politisch-moralisches _lernen_/ [19.09.2019]. Fischer, Christian (2018): Wirtschaftsordnungen verstehen und beurteilen – mit der Planspielmethode. Grundlagen, Unterrichtskonzeption und Lernwege als Beitrag zur Politikdidaktik, Berlin/Toronto: Budrich Uni-Press. Gross, Raphael (2010): Anständig geblieben. Nationalsozialistische Moral, Frankfurt a. M.: Fischer. Himmler, Heinrich (1943/2011): Rede bei der SS-Gruppenführertagung in Posen am 4. Oktober 1943, online: http://www.1000dokumente.de/pdf/dok_0008_pos_de.pdf [10.02.1018]. Himmler, Heinrich (1943/2014): Brief vom 06.08.1943. In: Himmler, Katrin/Wildt, Michael (Hrsg.): Himmler privat. Briefe eines Massenmörders, 3. Auflage, München/Zürich: Piper, S. 310. Himmler, Heinrich (1944/1974): Die „Endlösung“ und der Aufstand im Warschauer Ghetto. Rede vor Generalen in Sonthofen am 21.06.1944. In: Smith, Bradley F./Peterson, Agnes F. (Hrsg.): Heinrich Himmler. Geheimreden 1933 bis 1945 und andere Ansprachen, Berlin/Wien: Propyläen, S. 203–205. Himmler, Heinrich (1944/2014): Brief vom 22.12.1944. In: Himmler, Katrin/Wildt, Michael (Hrsg.): Himmler privat. Briefe eines Massenmörders, 3. Auflage, München/Zürich: Piper, S. 333. Kellerhoff, Sven F./Meyer, Simone/Schuster, Jacques (2014): Himmler, online: http://www. welt.de/himmler/ [23.03.2018]. Kohlberg, Lawrence (1973/1996): Zusammenhänge zwischen der Moralentwicklung in der Kindheit und im Erwachsenenalter – neu interpretiert. In: Althof, Wolfgang (Hrsg.): Lawrence Kohlberg. Die Psychologie der Moralentwicklung, Frankfurt a. M.: Suhrkamp, S. 81–122. Kohlberg, Lawrence (1976/1996): Moralstufen und Moralerwerb: Der kognitiv-entwicklungstheoretische Ansatz. In: Althof, Wolfgang (Hrsg.): Lawrence Kohlberg. Die Psychologie der Moralentwicklung, Frankfurt a. M.: Suhrkamp, S. 123–174. Kohlberg, Lawrence (1984/1996): Zum gegenwärtigen Stand der Theorie der Moralstufen. In: Althof, Wolfgang (Hrsg.): Lawrence Kohlberg. Die Psychologie der Moralentwicklung, Frankfurt a. M.: Suhrkamp, S. 217–372. Pauer-Studer, Herlinde (2009): Transformationen der Normativität: Das NS-System aus dem Blickwinkel der Moralphilosophie. In: Konitzer, Werner/Gross, Raphael (Hrsg.): Moralität des Bösen. Ethik und nationalsozialistische Verbrechen, Frankfurt a. M./New York: Campus, S. 76–96.
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Reinhardt, Sibylle (1999): Werte-Bildung und politische Bildung. Zur Reflexivität von Lernprozessen, Opladen: Leske + Budrich. Reinhardt, Sibylle (2007): Werte in der Politischen Bildung. In: Lange, Dirk/Reinhardt, Volker (Hrsg.): Basiswissen Politische Bildung, Bd. 1: Konzeptionen Politischer Bildung, Hohengehren: Schneider, S. 157–165. Reinhardt, Sibylle (2008): Werte in die politische Bildung! Aber wie? In: Gesellschaft – Wirtschaft – Politik (GWP), Jg. 57, H. 2, S. 277–288. Tugendhat, Ernst (2009): Der moralische Universalismus in der Konfrontation mit der Nazi-Ideologie. In: Konitzer, Werner/Gross, Raphael (Hrsg.): Moralität des Bösen. Ethik und nationalsozialistische Verbrechen, Frankfurt a. M./New York: Campus, S. 61–75. Welzer, Harald (2016): Täter. Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden, 7. Auflage, Frankfurt a. M.: Fischer.
Holocaust Oral History – a Never Ending Story? Nachkomm*innen von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen in US-amerikanischen Memory Museums Anna Valeska Strugalla
Zusammenfassung
Mit dem Wegfallen der Holocaust Überlebenden stirbt ein bedeutender Teil der Übermittlung deutscher Geschichte und der tatsächlichen Auseinandersetzung mit unmittelbar Betroffenen und deren Erinnerungen. Der Beitrag stellt die Frage, wie in Bezug auf das Ende der Geschichtsvermittlung durch Zeitzeuginnen und Zeitzeugen des Nationalsozialismus umgegangen werden sollte und nimmt dabei die Nachfolgegenerationen in die Überlegungen mit auf. Es werden Interviews mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an Museen sowie mit Nachkomm*innen geführt und deren Motivation und Vorgehen in den Blick genommen. Dabei werden durchaus kritische Aspekte beleuchtet, wobei hier vor allem die Chancen aufgezeigt werden sollen, die ein erzählender Zugang zur Geschichte ermöglicht. Abstract
With the passing away of Holocaust survivors, a significant part of the transmission of German history and the actual confrontation with those directly affected and their memories dies. The article poses the question of how to deal with the end of transmission of history in the form of contemporary witnesses of National Socialism. It also includes the next generations in its considerations. Interviews are conducted with museums’ staff as well as with descendants, and their motivations and procedures are examined. Critical aspects will be discussed, with a particular focus on the opportunities that a narrative approach to history offers.
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Gloe und A. Ballis (Hrsg.), Holocaust Education Revisited, Holocaust Education – Historisches Lernen – Menschenrechtsbildung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24207-7_19
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„Ohne Zeitzeugen scheint im Museum nichts mehr zu gehen“
„Ohne Zeitzeugen scheint im Museum nichts mehr zu gehen“, so fasst Rosemarie Beier-de Haan die Funktion von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen in zeithistorischen Museen zusammen (Beier-de Haan 2012: 1). Ob in videographierten Interviews, als Leihgeberinnen und Leihgeber von Objekten oder im direkten Gespräch als Akteurinnen und Akteure – nicht nur in der musealen – Geschichtsvermittlung prägen Zeitzeuginnen und Zeitzeugen die Erinnerungskultur unserer Gesellschaft bedeutend mit (für eine grundlegende Auseinandersetzung mit der Figur des Zeitzeugen als Akteur in der bundesdeutschen Erinnerungskultur siehe exemplarisch Sabrow/ Frei 2012; Handro 2014). Die aktive Teilnahme des Holocaust Überlebenden an der Geschichtsvermittlung als „Augenzeugenberichterstatterin“ bzw. „Augenzeugenberichterstatter“ wird absehbar enden. Nur noch wenige Überlebende machen ihre Geschichte aktiv öffentlich, bald wird man nur noch die Dokumentationen ihrer Berichte vernehmen können. Dem Assmannschen Verständnis der Konstitution von Erinnerungen folgend, wird ihre Erzählung aus dem kommunikativen Gedächtnis herausgelöst und Eingang in das kulturelle Gedächtnis unserer Gesellschaft finden (Welzer 2002: 13ff.; Assmann 1992: 48ff.). Das kommunikative Gedächtnis umfasst beispielsweise in einem „Generationen-Gedächtnis“ die Erinnerungen von Menschen, die sie untereinander teilen. Versterben die Trägerinnen und Träger dieses Gedächtnisses, weicht es einem neuen Gedächtnis (Assmann 1992: 50). Im kulturellen Gedächtnis gerinnt Vergangenheit „zu symbolischen Figuren, an die sich Erinnerung heftet. […] Dadurch wird sie [die Erinnerung] nicht unwirklich, sondern im Gegenteil erst Wirklichkeit im Sinne einer fortdauernden normativen und formativen Kraft“ (Assmann 1992: 52). Übertragen auf die von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen geteilten Erinnerungen und zugespitzt auf deren Rolle in der Geschichtsvermittlung, kann man an diesem Punkt fragen: Was bedeutet das für die Zukunft der Holocaust Education und, ganz konkret, für die Geschichtsvermittlung im Museum? Nachkomm*innen von Holocaust-Überlebenden sind heute Teil der öffentlichen Geschichtsdarstellung: Sie ergreifen Berufe und ehrenamtliche Tätigkeiten im Bereich der Holocaust Education, sie bringen sich und ihre Geschichten wissenschaftlich und künstlerisch in den Diskurs mit ein, sie sind untereinander vernetzt. Beispiele für Initiativen im US-amerikanischen Raum sind: • „Generations of the Shoah international“ (http://www.genshoah.org/aboutgsi. html [04.08. 2018]),
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• Initiative „Generation after“ für den Großraum Washington D.C. (http://genafterdc.com [04.08.2018]). Außerdem bilden sich innerhalb der Überlebenden-Verbände Netzwerke der Nachkomm*innen aus: • World Federation of Jewish Child Survivors of the Holocaust and Descendants (https://www.holocaustchild.org/index.php/about/presidents-message/ [04.08. 2018]). Auch in Deutschland gibt es vermehrt Initiativen und Formate: • Die Bildungsabteilung des Zentralrats der Juden in Deutschland vernetzte im Mai 2014 über 100 Angehörige der Enkelgeneration auf einem Treffen (https:// www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/19179 [04.08.2018]). • KZ-Gedenkstätten entwickeln Mehrgenerationen-Formate (https://www.kz-gedenkstaette-neuengamme.de/nachrichten/news/mehrgenerationenbegegnung/ [04.08.2018]). • Der Bundesverband für die Information und Beratung für NS-Verfolgte und die EVZ luden im Frühjahr 2018 zu einem Austausch für „Nachkommen für NS-Verfolgte“ ein (https://www.nsberatung.de/images/Bilder_Projekte/Impulspapier_Historisch-politische_Bildung.pdf [04.08.2018]). Die Holocaust-Überlebenden können bald nicht mehr aktiv ihre Geschichten weitertragen. Dies weist der Gruppe der Nachkomm*innen eine neue Position zu, deren Erzählungen viel direkter auf das kommunikative Gedächtnis wirken werden. Dabei drängt sich die Frage auf, welche Rolle sie in der Geschichtsvermittlung übernehmen könnten und wie mit ihren Erzählungen umzugehen ist. Was passiert, wenn Kinder und Enkelkinder anstelle ihrer Eltern und Großeltern in einem Zeitzeuginnen- bzw. Zeitzeugengespräch im Museum sitzen: Welche Wirkung, welche Funktion hat die Geschichte aus dem Munde der Nachfahren? Wie bewusst sind sich nachkommende Generationen dieser Zeit des Umbruchs? Haben sie eine (eigene) Botschaft, die sie publik machen wollen? Im Rahmen meiner Masterarbeit habe ich während eines Praktikums am Museum of Tolerance in Los Angeles im Zeitraum von Mai 2016 bis Dezember 2016 Erhebungen in drei US-amerikanischen „Memory Museums“ (Pieper 2006) durchgeführt – im Museum of Tolerance, im Illinois Holocaust Museum in Skokie und im United States Holocaust Museum in Washington D.C (Strugalla o. J.). Durchgeführt wurden in diesem Rahmen eine quantitative Befragung unter Nachkomm*innen
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(Fragebogen mit offenen Informationsfragen, N=30), Leitfadeninterviews mit Vertreterinnen und Vertretern der Memory Museums sowie eine teilnehmende Beobachtung bei einem Workshop für Nachfahrinnen und Nachfahren im Museum of Tolerance. Die Befragung wurde anhand eines standardisierten Fragebogens mit Hilfe von „SurveyMonkey“, einer webbasierten Umfrage-Software, durchgeführt. Die Einladung zum Fragebogen wurde per Email mehrfach über einen Verteiler der museumspädagogischen Abteilung des MOT, der explizit für die Kommunikation mit Nachfahr*innen von Holocaust-Überlebenden eingerichtet ist, versendet. Außerdem wurde der Link zum Online-Fragebogen über den privaten Account der Autorin bei Facebook gepostet. Er wurde daraufhin zweimal von Kontakten geteilt, die selbst Nachkomm*innen von Holocaust-Überlebenden sind. Zusätzlich wurden Fragebögen persönlich an interessierte Aktive im MOT verteilt. Der Weg, den die Verbreitung des Fragebogens genommen hat, lässt den Schluss zu, dass ein Großteil der Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Befragung bereits Berührungspunkte mit der Frage nach der Rolle der Nachfahren in diesem Kontext hatte. Die Einladung, an der Befragung teilzunehmen, wurde das erste Mal am 26.07.2016 per Mail verschickt, am 15.12.2016 wurde die Umfrage geschlossen. Der Fragebogen wurde ausschließlich schriftlich beantwortet. Der Fokus der Untersuchung lag auf in den USA lebende Nachfahren von Holocaust-Überlebenden die der Judenverfolgung im Nationalsozialismus zum Opfer fielen. Leitend war dabei die Frage: Wie nehmen sich die Nachfahrinnen und Nachfahren selbst in Zusammenhang mit der Geschichte ihrer Vorfahrinnen und Vorfahren wahr und in welcher Funktion sehen die musealen Institutionen sie? Angesiedelt in der Public History, schließt die Arbeit an grundlegende Fragen der Oral History an: Kann Geschichtsvermittlung mit Hilfe von Geschichten, die immer und immer wieder (nach-)erzählt werden, erkenntnisreich sein und zum Weiterdenken anregen? Gibt es Möglichkeiten, nachkommende Erzählerinnen bzw. Erzähler in den Prozess Historischen Lernens sinnvoll einzubinden? Der Umfang der Erhebung war nicht darauf angelegt, repräsentative Schlüsse zu ermöglichen. Die Analyse der Erhebungen zielte vielmehr darauf ab, Spannungsfelder auszumachen und Modelle für eine zukünftige Holocaust Education ohne Überlebende aber mit deren Nachkomm*innen zu skizzieren und zu problematisieren. Dieser Beitrag wird eine Auswahl an empirischen Befunden und daraus resultierenden Überlegungen vorstellen, die ich im Rahmen meiner Masterarbeit erheben und mittels einer qualitativen Inhaltsanalyse auswerten beziehungsweise anstellen konnte. Eine genaue Dokumentation der empirischen Studie findet sich im Anhang der Masterarbeit (Strugalla o. J.). Die Ausführungen des Abschnitts II basieren auf Zitaten aus den Interviews, die ich mit Vertreterinnen und Vertretern der Museen geführt habe. Abschnitt III
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präsentiert Ergebnisse der Befragung der Nachfahrinnen und Nachfahren und stellt Schlüsse vor, die ich aus der teilnehmenden Beobachtung zweier Workshop-Projekte am MOT ziehen konnte.
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“He said: ‘I have to retire.’ I said: ‘You’re not retiring.’ I said: ‘You have a daughter.’” – Die Perspektive der Memory Museums
Die Auswertung der Interviews mit US-amerikanischen Museumsmitarbeiterinnen und -mitarbeitern, die ich persönlich, telefonisch und schriftlich befragt habe, zeigten, dass die untersuchten Museen dem Modell der ‚neuen Zeitzeuginnen und Zeitzeugen‘ unterschiedlich gegenüberstehen. Das United States Holocaust Memorial Museum ist sich des nahenden Verlustes bewusst, sucht jedoch keinen ‚Ersatz‘ für die Survivors, stattdessen bemüht man sich um eine umfassende Dokumentation ihrer Zeugnisse. Das Museum setzt neben der akribischen Dokumentation der Zeitzeugengespräche (zum Zeitpunkt der Untersuchung wird jedes Zeitzeugengespräch, das im Museum stattfindet, gefilmt und archiviert) auf die „Hologramm-Installationen“, die von der USC Shoah Foundation produziert wurden. Diese Projekt-Beteiligung kann als erster Schritt verstanden werden, um die Geschichten der Holocaust-Zeitzeugen ohne die Survivors selbst zu vermitteln. Der Idee, die Kinder und Enkelkinder der heutigen Zeitzeuginnen und Zeitzeugen für die Geschichtsvermittlung zu gewinnen, steht die Leitung der Education Initiatives kritisch gegenüber: “The idea of 2nd and 3rd generation members presenting the testimony of their parents or grandparents does seem to me to be somehow removed. […] I see a problem especially in the fact, that many survivors didn’t share that much information with their children. So the story of the children can only be a very partial view” (Sonia Booth, Leitung der Education Initiatives des USHMM, 12.07.2016).
Im Museum of Tolerance (MOT) ist oberstes Ziel, die persönlichen Informationen der einzelnen Überlebenden zu dokumentieren und ein wichtiges Anliegen, die „Kraft der Erzählungen“ nicht zu verlieren. Einen möglichen Weg sieht die Leiterin des Educational Department im Einbezug der nachfolgenden Generationen: “For us at the museum – I want stories. […] So to continue telling these stories at the museum, one way will be the second and third generation” (Elana Samuels, Leiterin des Educational Department des MOT, 07.06.2016).
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Anfang 2015 rief die museumspädagogische Leitung des MOT die „Looking to the future“-Gruppe ins Leben, einen Arbeitskreis für Nachkomm*innen von Holocaust-Überlebenden. Die Initiative richtet sich speziell an diejenigen, die planen, die Geschichte ihrer Eltern und Großeltern nach deren Tod – oder schon vorher – öffentlich weiterzuerzählen. Inhaltlich und formal gibt es keine konkreten Vorgaben durch die Institution. Dennoch werden ‚Faktenchecks‘ angeboten und jede oder jeder, der oder die plant, eine Präsentation in der Gruppe oder später auch im alltäglichen Museumsbetrieb zu halten, muss diese vorher von der museumspädagogischen Leitung prüfen lassen. Weiterhin räumt das pädagogische Konzept des Museums den sogenannten primären Zeugnissen höchste Priorität ein (vgl. Interview Elana Samuels vom 07.06.2016). Das Illinois Holocaust Museum begegnet der Aussicht auf das baldige Ende der Ära der Survivors mit zwei Initiativen. Wie das Memorial Museum in Washington ist auch das Museum in Skokie Kooperationspartner der USC Shoah Foundation. Im Gegensatz zu den Kolleginnen und Kollegen in Washington sucht das museumspädagogische Team aktiv den Kontakt zu den Nachkomm*innen der Holocaust-Survivors. In den letzten drei Jahren wurden mehr als ein Dutzend Kinder und Enkelkinder darin unterstützt, eine Präsentation über ihre Eltern und Großeltern zu erstellen. Die Unterstützung seitens der museumspädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern verläuft dabei ähnlich wie im MOT mit Gruppentreffen und Präsentationsbesprechungen. “We help 2Gs and 3Gs to organize the information they have about their family members, create PowerPoints, supplement with maps and other historical visual aids […]. We also help them to be better acquainted with the larger history into which their family member’s story fits, and we provide constructive criticism on their style of presentation” (Lillian Gerstner, 13.12.2016).
Die Intention aller drei untersuchten Museen ist es, die Erzählungen der Holocaust-Überlebenden zu bewahren. Die Nachkomm*innen sollen die Funktion wirkungsvoller Geschichtsvermittlerinnen und -vermittler einnehmen, sie sollen also als sekundäre Zeitzeuginnen und Zeitzeugen im Sinne von Nacherzählerinnen und Nacherzählern auftreten. Eine Reflektion der Erzählperspektive, was es heißt, sich vor dem Publikum an die Geschichte der (Groß-)Eltern zu erinnern und auch die Unterstützung der Nachfahren im Sinne einer „testimonial literacy“ (Shenker 2015: 2ff.), wird zum jetzigen Zeitpunkt nicht angestrebt. Vorrangig wurde deutlich, dass die Museen mit den Nachfolge-Generationen in Kontakt treten, um die Erzählung der Holocaust-Survivors zu erhalten und „lebendig“ präsentieren zu können.
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“I do not think that my experiences are that valuable, but maybe I’m wrong.” – Auswertung der Befragung der Nachfahrinnen und Nachfahren
Die Befragung der Nachfahrinnen und Nachfahren wurde mit Hilfe eines Online-Fragebogens durchgeführt, den die Teilnehmenden schriftlich anonym beantworteten. Das Forschungsvorhaben wurde in einem Anschreiben vorgestellt. Der Fragebogen bestand aus 27 Fragen. Die ersten acht Fragen ermittelten biographische Daten und die Beziehung zum verwandten Holocaust-Survivor. Die weiteren 18 Fragen ermittelten offen gestellt Informationen zu eigenen Einstellungen und Erfahrungen der Teilnehmenden. Dadurch sollte einschätzbar werden, wie die Befragten die eigene Rolle im Prozess des Weitererzählens der Survivor-Geschichte reflektierten. Alle Antworten sind im Anhang der Masterarbeit dokumentiert (Strugalla o. J.). Die biographischen Daten konnten strukturiert quantifizierend ausgewertet werden, die Ergebnisse sind im Text zusammengefasst wiedergegeben. Die Auswertung der offenen Fragen erfolgte mit Hilfe der qualitativen Inhaltsanalyse. Aus den Antworten wurden Trends abgelesen, schriftlich zusammengefasst und mit Ankerbeispielen illustriert. Für zwei der Fragen wurden quantifizierende Kategorien gebildet und die Antworten darunter subsummiert. Die Zuordnung, Strukturierung und Zusammenfassung in Kategorien ist naturgemäß nicht frei von subjektiver Interpretation. Um transparent und nachvollziehbar darzustellen, welche Antwort welcher Kategorie zugewiesen wurde, wurden diese im Anhang der Arbeit tabellarisch dokumentiert. In der Analyse wurden Antworten als Ankerbeispiele für die jeweiligen Kategorien zitiert. Von 30 Befragten gaben 15 an, von ihren Eltern zu berichten, 13 zeichneten sich der Enkelgeneration zugehörig. Die Befragung der Nachkommen signalisierte große Bereitschaft zur Tradierung der (groß-)elterlichen Geschichten. Die Frage, ob sie aktuell die Geschichte ihrer Eltern und Großeltern weitererzählten, bejahten 16 Befragte; von den 13 Personen, die diese Frage verneinten, räumten acht ein, dass sie sich vorstellen könnten, die Geschichte in Zukunft weiterzutragen. Im Gegensatz dazu konnten sich nur zehn von 14 antwortenden Befragten dezidiert vorstellen, ihre eigene Geschichte in diesem Rahmen zu erzählen. Die anderen vier verneinten die Vorstellung nicht direkt, äußerten jedoch Zweifel und Unsicherheiten.
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Question: Do you currently share their [your familiy’s] story? Positiv Negativ 13 16 Davon erklärt negativ gegenüber der Idee, die Geschichte weiterzutragen: 3 Davon positive Rückmeldung zur Idee, die Geschichte weiterzutragen: 8
Keine Antwort
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Auf die Frage nach einer möglichen „Mission“ der Nachfahrinnen und Nachfahren antwortete die überwiegende Mehrheit der Befragten positiv. Die 27 Antworten wurden in vier Analysekategorien eingeteilt, Mehrfachnennungen wurden vorgenommen: Der Auftrag, die Geschichte des Holocaust beziehungsweise die spezifische Geschichte der Eltern und Großeltern weiterzutragen, ist demnach die vorherrschende Motivation für 15 der 30 Befragten. Beispielhaft für diese erste Kategorie „Mission: Geschichte erhalten“ ist folgende Angabe: „Yes, to provide a connection to the survivors, to share their stories, to honor the survivors’ memory.“ Der zweiten Kategorie, „Mission: Never forget – never again“ wurden zwölf Antworten zugeordnet. Der dritten Kategorie „Mission: Demokratie- und Menschenrechtslehre“ wurden sechs der 27 Antworten zugeordnet. Eine exemplarische Angabe dieser Kategorie ist: „Sharing the story but in the context of globalization, meaning as citizens of the world, rather than as members of the Jewish community only.“ Neben dieser Angabe, die eher von einer zivilgesellschaftlichen Warte argumentiert als weniger aus einer Verantwortung als Nachfahre bzw. Nachfahrin heraus, gab es nur eine weitere Antwort, die die „Mission“ nicht nur für die direkten Nachkomm*innen, sondern die gesamte nachfolgende Generation in Anspruch nimmt: “It’s too circumstantial. I believe on a human level we all have a responsibility to do what we can to educate and prevent the kind of prejudice that led to the Holocaust and still leads to violence all over the world, but as for a specific responsibility for second and third generations, I don’t think it’s for anyone to dictate but the individual.”
Eine Person gab an, sich darüber zuvor noch nie Gedanken gemacht zu haben.
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Question: Is there a mission or even a responsibility you see for the 2Gs / 3Gs? „Mission: Die Geschichte der Eltern/ Großeltern erhalten“ 15 „Mission: Never forget – never again“ 12 „Mission: Demokratie- und Menschenrechtslehre“ 6 „keine konkrete Mission“ 3
Die Befragten sahen sich zum Teil in der Position, die Geschichte ihrer Eltern rekonstruieren zu müssen.
Insgesamt 14 Teilnehmende gaben eine positive Antwort auf die Frage, ob sie denken, „die ganze Geschichte“ zu kennen. Dabei bejahten fünf Befragte uneingeschränkt: „I know the whole story and I would probably be able to reconstruct 80 % accurately.“ Bei den anderen neun positiven Antworten wurden beispielsweise Quellen – „thanks to some writing prepared by my grandfather“ – genannt, oder zwischen wissenschaftlichem und persönlichem Wissen unterschieden: „I feel that I know enough […] but not scientifically.“ Zwölf Personen verneinten die Frage dezidiert, nur vier dieser Antworten reflektieren den Begriff der „ganzen Geschichte“ („their whole story“) kritisch. Im Antwortfeld wird dann beispielsweise schlicht notiert: „It’s hard to know anyone’s ‚whole story’.“ Dabei muss berücksichtigt werden, dass die bereitwillige und wenig reflektiert scheinende Verwendung des Terminus „die ganze Geschichte“ auch darauf zurückzuführen sein kann, dass er vom Fragenkatalog vorgegeben und somit von den Teilnehmerinnen und Teilnehmer als seriös eingestuft und rezipiert wurde. Ein Teil der Befragten sieht die Erfahrungsberichte ihrer Eltern und Großeltern als Puzzleteile einer geschlossenen, gesamtgeschichtlichen Erzählung, die man ganz oder in Teilen kennt. Andere grenzen ihre familiäre, private, geschlossene Erzählung klar von einer wissenschaftlichen Schilderung ab. Wieder andere begreifen die Berichte als dynamische, von außen beeinflussbare Wahrnehmung von Erinnerung. Für die teilnehmende Beobachtung wurde an zwei Treffen der „Looking to the Future“-Gruppe des MOT, am 19.05.2016 und am 06.07.2016 in Los Angeles teilgenommen. Die Treffen, an denen insgesamt 14 Nachfahrinnen teilnahmen, allesamt weiblich und Nachfahrinnen der zweiten Generation, wurden aufgezeichnet, transkribiert und gemeinsam mit den Notizen ausgewertet. Sechs Teilnehmerinnen hatten bereits eine Ausarbeitung für eine mögliche öffentliche Präsentation erstellt. Bei beiden Treffen wurde nach einer Vorstellungsrunde (etwa 50 Minuten) eine Präsentation vorgestellt und diskutiert (30 bzw. 60 Minuten). Mittels der Beobachtung dieser Treffen kann beispielhaft gezeigt werden, in welcher Funktion sich Nachkomm*innen in der musealen Geschichtsvermittlung sehen. Dabei lässt sich, was sich mit den Ergebnissen der Befragung deckt, für die gesamte Gruppe, also der Kinder der Holocaust-Survivors feststellen, dass sie sich und ihr Engagement
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in der Geschichtsvermittlung nicht in Konkurrenz zu ihren Eltern und deren Erzählungen sehen. Vielmehr sehen sie sich als Ersatz, als Sprachrohr – allerdings erst dann, wenn die Survivors selbst nicht mehr sprechen können: “So now, since my mum has been diseased, I feel it is my turn, my honor to be her voice and to start speaking and I have two children. […] And now they’re more interested. But now I feel that she needs a voice, other survivors need a voice and it’s up to us, the second generation, to be that voice.“
In ihren Ausführungen und Präsentationen konzentrierten sich die Teilnehmerinnen bis auf wenige Ausnahmen darauf, einen Weg zu finden, die Geschichte des Elternteils nachzuerzählen: „My goal for this class certainly is […] to collect everything that I have […], I’d love to do something with it, I just don’t know what yet.“ Es dreht sich dabei nur um die Tradierung seiner Geschichte: „I’m really excited. Because I’m very close to have him telling his story. Now it’s up to me to get it out there.“ Ambitionen, die eigene Geschichte zu erzählen, existieren allerhöchstens im Ansatz. Die Aussage einer Teilnehmerin zeigt, dass der eigenen Geschichte kein Wert beigemessen wird: „I don’t think that my experiences are that valuable but maybe I’m wrong.“ Die Einbeziehung der eigenen Lebensgeschichte wird nur von einer Teilnehmerin in den Schilderungen ihrer Vorhaben berücksichtigt. In ihren Wortbeiträgen spiegelt sich sowohl die Idee des Erbes als auch das Konzept einer eigenen Geschichte wider: “So my presentation, I go into the introduction of: ‘How is it that Hitler hated the Jews? How did that even happen?’ Then I tell my dad’s story and then I end up, five minutes of how it affected me. And it’s not negative at all […] and this telling the story is to me a legacy. And my dad: ‘Thank you, thank you!’ every time I see him ‘Thank you, thank you!’. Because their fear, the survivor’s fear is that the story will be forgotten.”
Die Beobachtung der Gespräche lässt auf eine große Offenheit der Teilnehmerinnen und Teilnehmer gegenüber den verschiedenen Präsentationsformaten eines möglichen Vortrags schließen. Man fühlt sich an keine bestimmte Form gebunden, man sieht sich auch nicht zwangsläufig oder ausschließlich im MOT sprechen. Es werden Powerpoint-Präsentationen, geschriebene Reden, künstlerische Auseinandersetzungen und – besonders prominent – die Einbeziehung der Interviews der USC-Shoah Foundation diskutiert. Es wird deutlich, dass neben der Frage nach dem angemessenen museumspädagogischen Zugang insbesondere der Wunsch besteht, den Eltern mit der Darstellung gerecht zu werden, und das Bedürfnis, sich durch die passende Präsentationsform eine rhetorische Stütze zu schaffen. Zu
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der Option, die eigenen Erfahrungen in eine Erzählung miteinzuflechten, wurden entweder Zweifel formuliert – oder sie wurde erst gar nicht bedacht.
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Die Erzählung der Nachfahrinnen und Nachfahren als Primär- oder Sekundärquelle
Die vorgestellte Auswahl an Befragungsergebnissen zeigt auf, welche Positionen die neuen Akteurinnen und Akteuren einnehmen könnten. Um Chancen und Probleme dieses Modells auszuloten, muss klar werden, was diese Positionen im Verständnis der Holocaust Oral History beziehungsweise der musealen Geschichtsvermittlung bedeuten. In der geschichtswissenschaftlichen Oral History misst man den Erzählungen eines Holocaust-Survivors als Zeitzeuginnen- und Zeitzeugen-Erzählung Quellenwert zu. Aussagen werden analysiert und interpretiert. Dabei ist seine bzw. ihre Geschichte durch äußere Einflüsse geformt: Die eigene Verfasstheit, die Produzierenden der Zeitzeuginnen- und Zeitzeugen-Interviews, das Publikum, der Vortragsort, die politische Situation etc. sind Faktoren, die in eine solche Erzählung einfließen (Welzer 2012b: 247ff.). Die Erzählungen der Nachkomm*innen können als primäre oder sekundäre Quelle verstanden werden. Als primäre Quellen schildern sie Auswirkungen der (groß-)elterlichen Erfahrungen auf eine Zwischenzeit, es wird aus der Ich-Perspektive berichtet. Die Nachfahrin bzw. der Nachfahre legt ein Ego-Zeugnis für Auswirkungen der (groß-)elterlichen Erfahrungen auf eine Zwischenzeit ab und liefert damit eine Reflektion und Neuinterpretation der Narration seiner Vorfahren. In diesem Fall erzählen die Nachkomm*innen ihre Geschichte. Als sekundäre Quellen sind diese Darstellungen Nacherzählungen von historischen Ereignissen des Holocaust, die Erfahrungen der primären Augenzeugen und -zeuginnen wiedergeben. Die nachfolgende Generation berichtet dann als Ohrenzeuge bzw. -zeugin des Erzählten. Den Nachkomm*innen wird zuweilen eine besondere Wirkung auf ihre Zuhörenden zugeschrieben, die sie von „normalen“ Erzählenden abhebe (Laub 2000: 68). Christian Schneider beschreibt diese Wirkung als „vorgegebene Erfahrungsposition“ – man nutzt die Wirkungsmacht zur Vermittlung einer „Vorstellung“ (Schneider 2007: 173): Der Vertrauensvorschuss, der ihm bzw. ihr qua verwandtschaftlicher Beziehung gegeben wird, kann für historische Deutungen ausgenutzt werden. So zeigen die teilnehmenden Beobachtungen beispielsweise, dass einige der Nachkomm*innen mit ihrem Wissen über den elterlichen Bericht auch ein Wissen über den generellen Verlauf der Geschichte
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verbinden. Einige Teilnehmerinnen der „Looking to the Future“-Gruppe bewegten sich sehr selbstbewusst in gesamtgeschichtlichen Themengebieten, welche sie als Kontext für die Familienerzählung nutzten. Es entstand der Eindruck, dass die Familienerzählung auf eine gesamtgeschichtliche Deutung ausgeweitet werden könnte: Im Hinblick auf das Gebot der Transparenz von Perspektiven in der Geschichtsvermittlung ist so eine Ausdehnung nicht wünschenswert. Eine solche nacherzählende Position birgt das Risiko, dass die Holocaust-Erzählung mit dem Ende der Überlebenden, nicht „in aller Ruhe“ in der Vitrine des Museums, dokumentiert und archiviert ihren Historisierungsprozess „antreten“ kann. Die Erzählung wird so durch eine kontinuierliche Tradierung künstlich am Leben gehalten und droht zur Sage oder zum Mythos zu mutieren.
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Nachkomm*innen von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen in der Holocaust Education
Den hier vorgestellten empirischen Befunden folgend sehen sich die Kinder und Enkelkinder der Holocaust-Überlebenden überwiegend in der Verantwortung, die Geschichte ihrer Eltern und Großeltern weiterzutragen. Seitens der Memory Museums besteht Interesse daran, die Nachfahrinnen und Nachfahren in die museale Geschichtsvermittlung miteinzubinden, um die Erzählungen der Holocaust-Survivors zu erhalten und möglichst wirkungsvoll für museumspädagogische Zwecke zu nutzen. Die Kinder und Enkelkinder werden, so ist es aktuell in zwei der untersuchten Museen vorgesehen, zu diesem Zweck anstelle der Holocaust-Überlebenden „Zeitzeugen-Gespräche“ bzw. „Zeitzeuginnen-Gespräche“ durchführen. Diese neuen Formen der Zeugenschaft werden in einem Raum agieren, in dem die Holocaust-Überlebenden auf verschiedenen Ebenen nachwirken. Besonders die filmische Dokumentation der Augenzeugen-Erzählung wird (vorerst) ein, wenn nicht das Prägemittel des kulturellen Gedächtnisses sein (Taubitz 2016; zur Nutzung videographierter Interviews mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen für den Geschichtsunterricht Brüning 2018). Im Rahmen der Erhebung ist der Trend klar: Die Nachfahrinnen und Nachfahren sehen sich als Nacherzählerinnen und Nacherzähler. Ihr Bericht fungiert damit lediglich als eine Art Neuauflage der Geschichte des Überlebenden – ohne kritische Überarbeitung. „Nähe und Distanz“, das Motto der Tagung sei hier als analytischer Rahmen der Schlussbetrachtung genutzt: Wie nah wird die Zeitzeuginnen- und Zeitzeugenerzählung Rezipientinnen und Rezipienten kommen, beziehungsweise wie fern wird sie ihnen bleiben? Eine zukünftige Geschichtsvermittlung ohne die Nachkomm*innen
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steht für eine Distanz, die zwar einen objektiveren Blick auf die Vergangenheit (wenn auch niemals vollkommene Objektivität) verspricht, die aber auch für eine zunehmende Entfremdung steht, die den Zugang zur Geschichte des Holocaust erschwert: Erzählungen der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen bleiben zwar (bis auf weiteres) als Filmaufnahmen für eine individuelle Perspektive erhalten, allerdings mit abnehmender Wirkung – Stichwort: „talking heads“ – auf die Rezipientinnen und Rezipienten. Die Nachfahrinnen und Nachfahren sind imstande, durch die Vermittlung ihrer eigenen Emotionen und tief berührenden Geschichten, eine Betroffenheit bei den Rezipientinnen und Rezipienten auszulösen, die sprachlos macht, Glauben schenkt und Mitgefühl hervorruft. In der Position des bloßen Nacherzählers geht die Überschneidung mit dem „Hier und Jetzt“ der Rezipientinnen und Rezipienten verloren und die dargestellten Erinnerungen mutieren – trotz ihrer eigentlichen Nähe – zu einem „abzuleistenden Ritual, dessen Inhalt, Ziel und Zweck nicht mehr verstanden werden“ (Giesecke/Welzer 2012: 9). Dann drohen die Erzählungen zu einer monotonen, eintönig-retrospektiven Erinnerungsmasse zu verklumpen. Es besteht die Gefahr, dass die ursprünglich auf Demokratie- und Menschenrechtsbildung zielende zeitzeugenbasierte Geschichtsvermittlung zu einem ritualisierten, rückwärtsgewandten Gedenken degeneriert und somit in letzter Konsequenz Nährboden für Holocaust-Leugnung bietet. Als Zeitzeuginnen und Zeitzeugen öffnen Nachkomm*innen von Überlebenden der Holocaust-Education einen neuen Korridor für den Umgang mit den Erzählungen der Augenzeuginnen und -zeugen. Ihre Perspektive kann eine Survivor-Erzählung kontextualisieren ohne, dass er oder sie sie nacherzählt. Diese Form kann eine „neue, reflexive Erinnerungskultur“ (Welzer 2012a: 44) darstellen, die als Korrektiv des medialisierten und musealisierten Zeitzeugenberichts wirkt und eine Rückkopplung der Holocaust-Erzählung an die Gegenwart zulässt. Sie könnten darüber Aufschluss geben, was das Schicksal der Eltern und Großeltern für die Erziehung der Kinder und Enkelkinder bedeutet hat, welchen Weg die Traumata durch die Generationen genommen haben. Dabei würden die Geschichten der Survivors aus ihrer langsam einstaubenden Vitrine geholt und neu interpretiert. Die neue Erzählergeneration verspricht Kontroversität und Vielfalt, die dem „einen“ monotonen Erinnerungsklumpen entgegensteht. Dennoch ist das Konzept des Lernens mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen mit größter Vorsicht zu genießen: Auch die Nachfahrinnen und Nachfahren erzählen selektiv und sequenziert, ebenso ist ihr Narrativ durch ihr soziales Umfeld und die Gegenwart geprägt (Welzer 2012b: 247ff.). Zudem können Emotionen die Begegnung mit einer Nachfahrin oder einem Nachfahren stark beeinflussen: Sie können Zugang schaffen und eine Verbindung zwischen Lernendem und Medium darstellen, sie
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können aber auch überwältigen, überfordern und die Hemmschwelle für kritisches Hinterfragen und kontroverse Perspektiven einschränken (Brauer 2013: 89f.). So ist eine äußerst bedachte Rahmengebung für diesen Zweck unabdingbar. Die obersten Prämissen sind dabei Reflektion und Kontextualisierung der Position der „Zeitzeuginnen und Zeitzeugen der nachkommenden Generationen“. Dazu kommt die Bereitschaft aller Akteurinnen und Akteure, sich die Entstehung von individueller Erinnerung, gesellschaftlichen Erinnerungskulturen und der eigenen Position in der Geschichtsvermittlung zu vergegenwärtigen. Dass es nicht „die eine Meistererzählung“ gibt und dass die eigene Schilderung nur eine individuelle, von äußeren Einflüssen geprägte Perspektive auf die Vergangenheit unter vielen ist, ist zentraler Ausgangspunkt für nachhaltiges Historisches Lernen (für die Auseinandersetzung mit historischer Narrativität!). Der Kontakt zu Rezipientinnen und Rezipienten sollte so transparent wie nur irgend möglich gestaltet und nur verbunden mit genügend Zeit für Nachfragen und Diskussion stattfinden.
Literatur Assmann, Jan (1992): Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München: C. H. Beck. Beier-de Haan, Rosemarie (2012): Geschichte, Erinnerung, Repräsentation. Zur Funktion von Zeitzeugen in zeithistorischen Ausstellungen im Kontext einer neuen Geschichtskultur. In: Kalinke, Heinke M. (Hrsg.): Zeitzeugenberichte zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa im 20. Jahrhundert. Neue Forschungen, Oldenburg: Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa. Brauer, Juliane (2013): Empathie und historische Alteritätserfahrungen. In: Lücke, Martin (Hrsg.): Emotionen, Geschichte und historisches Lernen. Geschichtsdidaktische und geschichtskulturelle Perspektiven, Göttingen: V&R unipress, S. 75–92. Brüning, Christina Isabel (2018): Holocaust Education in der heterogenen Gesellschaft. Eine Studie zum Einsatz videographierter Zeugnisse von Überlebenden der nationalsozialistischen Genozide im Unterricht, Schwalbach, Ts.: Wochenschau. Giesecke, Dana/Welzer, Harald (2012): Das Menschenmögliche. Zur Renovierung der deutschen Erinnerungskultur, Hamburg: Edition Körber. Handro, Saskia (2014): Musealisierte Zeitzeugen. Ein Dilemma. In: Public History Weekly 2, online: https://public-history-weekly.degruyter.com/2-2014-14/musealisierte-zeitzeugen-ein-dilemma/ [22.06.2018]. Laub, Dori (2000): Zeugnis ablegen oder Die Schwierigkeiten des Zuhörens. In: Baer, Ulrich (Hrsg.): „Niemand zeugt für den Zeugen.“ Erinnerungskultur nach der Shoah, Frankfurt a. M.: Suhrkamp, S. 68–83.
Pieper, Katrin (2006): Die Musealisierung des Holocaust, Köln: Böhlau.
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Das Schülerprojekt Geschichtomat Zur Vermittlung jüdischer Geschichte mit digitalen Medien Carmen Bisotti
Zusammenfassung
Wie kann jüdische Geschichte für Jugendliche „zeitgemäß“ und alltagsnah vermittelt werden? Am Beispiel des Hamburger Schülerprojekts Geschichtomat soll versucht werden, darauf eine Antwort zu finden. Das Projekt regt Schülerinnen und Schüler dazu an, Geschichte eigenständig zu erforschen und eigene Fragestellungen zu entwickeln. Dadurch ist intendiert, einen Bezug zur jüdischen Kultur, Geschichte und zu jüdischem Leben zu erhalten, der im Schulunterricht nur selten vermittelt werden kann. Die Einbeziehung digitaler Medien hilft dabei, das Projekt für Schülerinnen und Schüler interessant und alltagsnah zu gestalten. Sie recherchieren, besuchen Museen und Archive, treffen Zeitzeuginnen und Zeitzeugen sowie Expertinnen und Experten und führen Interviews. Ihre Eindrücke halten die Jugendlichen in Filmen, Fotos und Texten fest, die sie am Ende der Woche in einem digitalen Stadtplan unter www. geschichtomat.de hochladen. Die Einbettung der erarbeiteten Beiträge auf der Geschichtomat-Website sorgt für Nachhaltigkeit. Abstract
How can history be taught in a modern and in a close to everyday life way? Taken the Hamburg student-driven project „Geschichtomat“ as an example, this article tries to find an answer to this question. The project encourages students to discover history and to develop questions on their own. Therefore they establish a relationship to Jewish history, culture and life which school classes cannot offer. The integration of digital media helps to create an interesting and
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Gloe und A. Ballis (Hrsg.), Holocaust Education Revisited, Holocaust Education – Historisches Lernen – Menschenrechtsbildung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24207-7_20
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everyday life experience for students. Under the supervision of experts in the disciplines of history and media education the students will: research, conduct interviews with cultural authorities and contemporary witnesses, visit museums and archives, shoot and cut films, edit photos, and write accompanying texts. Finally, their contributions are uploaded to the geschichtomat.de website. Step by step, a digital map of Jewish life from the perspective of teenagers becomes visible. Publishing the short films on a website makes them accessible. Teachers and students can watch them online and use them in class.
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Warum jüdische Geschichte digital lernen?
Bei der Vermittlung jüdischer Geschichte im Schulunterricht treten verschiedene Probleme auf, die zum Teil mit dem Geschichtsunterricht allgemein, aber auch mit der jüdischen Geschichte im Speziellen zu tun haben. So konstatieren Michele Barricelli und Martin Lücke in der Einleitung ihres 2012 erschienenen Handbuchs „Praxis des Geschichtsunterrichts“, dass der „Geschichtsunterricht […] wohl noch nie, seit es ihn gibt, zeitgemäß“ war (Barricelli/Lücke 2012: 9). Dabei stellt sich die Frage, wie ein „zeitgemäßer“ Geschichtsunterricht oder eine „zeitgemäße“ Vermittlung von Geschichte aussehen könnte. Wird „zeitgemäß“ auf die „Verwertbarkeit des Erlernten“ oder wie es in zitierter Einleitung von Michele Barricelli und Martin Lücke formuliert wird, auf die Ausstattung der Lernenden mit „Handlungswissen“ und „Entscheidungswissen“ beschränkt, mag die Einschätzung noch zutreffen. Bezieht man jedoch die Gestaltung, wie Themenwahl, Vermittlung und Methodik mit ein, kann Geschichtsunterricht durchaus „zeitgemäß“ gestaltet werden. Der Einsatz des Internets und digitaler Angebote als Lernmedien könnten hierfür ein wichtiges Element sein. Ein weiteres Problem tritt bei der Vermittlung des Themas Holocaust auf. Durch den Wegfall der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen entsteht eine Lücke, die geschlossen werden muss. Harald Welzer sieht das Ende der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen vor allem in der erinnerungskulturellen Pädagogik als eine Zäsur. Videoaufnahmen könnten die entstandene Lücke nicht schließen, da sie den Rezeptionsgewohnheiten zuwider liefen und längere Erzählpassagen vor Bildschirmen ermüdend seien. Daher blieben medialisierte Zeitzeuginnen und Zeitzeugen fremd und uninteressant (Welzer 2012: 35f.). Auch Ines Seiter sieht die Erinnerungskultur in ihrer 2017 erschienenen Dissertation in einem kritischen Licht: Die zeitliche Distanz zu den historischen Ereignissen führe zum Verlust der unmittelbaren Erfahrungen.
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Die jüngere Generation besitze nicht mehr die tatsächliche Erinnerung, sondern müsse sich nur noch mit dieser auseinandersetzen, so Seiter. Sie fasst zusammen: „Man erinnert sich nicht mehr aktiv, sondern wird passiv an etwas erinnert“ (Seiter 2017: 372). Zudem liegt ein Problem speziell im Bereich der jüdischen Geschichte. Im deutschen Schulalltag ist wenig Zeit, sich mit jüdischer Geschichte und Kultur jenseits der Opferperspektive zu beschäftigen. Eine empirische Studie deutscher Schulbücher zeigt, dass jüdische Geschichte vorrangig in Verbindung mit dem Nationalsozialismus und dem Holocaust unterrichtet wird (Liepach/Geiger 2014: 15). Auch in anderen Epochen wird jüdische Geschichte meist mit Verfolgungsgeschichte gleichgesetzt. Dies ist problematisch: Die zweitausendjährige jüdische Geschichte Europas steht damit im Rückblick von heute zwangsläufig im Zeichen des Holocaust. Es werden Parallelen von den mittelalterlichen Verfolgungen über den Antisemitismus des 19. Jahrhunderts bis hin zum Nationalsozialismus gezogen. Jüdische Geschichte erscheint so als Vorgeschichte des Holocaust (Liepach/ Geiger 2014: 176f.). Aufgrund der aufgezeigten Probleme ist es nötig, über neue Wege in der Vermittlung jüdischer Geschichte nachzudenken. Potential könnten dabei digitale Vermittlungsangebote haben. Einige Vorteile liegen klar auf der Hand: Ein veränderter Umgang mit Geschichte kann durch digitale Hilfsmittel entstehen. Sie bieten einen offenen Diskurs, die Möglichkeit fragmentarischer Urteile und Bewertungen sowie eine fließende und unabgeschlossene Geschichtsschreibung (Kühberger 2013: 167). Gleichzeitig machen digitale Medien die Nutzung von Geschichtsangeboten internationaler und individueller (Alavi 2013: 5). Durch den Einsatz digitaler Medien kann eine „personalisierte Geschichte“ entstehen. Insbesondere in einem heterogenen Klassenzimmer kann dies von Vorteil sein. Doch digitale Vermittlungsformen bergen auch Gefahren. Eine mögliche Entkontextualisierung von Inhalten und die Nutzung in unerwünschten Zusammenhängen können zu Problemen werden (Alavi 2013: 4). Im Bereich der jüdischen Geschichte könnte dies beispielsweise geschehen, wenn antisemitische Karikaturen oder judenfeindliche Äußerungen historischer Persönlichkeiten ins Netz gestellt werden. Es ist nicht zwangsläufig davon auszugehen, dass der Besucher bzw. die Besucherin der Website die ergänzenden Erläuterungen auch liest und versteht. Zudem darf beim Einsatz digitaler Techniken nicht die Rolle des analogen Vermittlers bzw. der Vermittlerin vergessen werden. Lehrkräfte müssen dafür geschult und weitergebildet werden. Gleichzeitig erfordert der Einsatz digitaler Medien eine gute technische Infrastruktur. Schulen benötigen schnelles Internet, Computer und z. B. Videokameras. Sowohl die Weiterbildung der Lehrkräfte als
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auch die Anschaffung und die Instandhaltung der Technik sind mit Kosten verbunden (Kowitz-Harms/Menny 2014: 342). Es stellt sich zudem die Frage, wie Onlineangebote von Schülerinnen und Schülern sowie Lehrkräften genutzt werden. Doch Studien zum Lernen mit digitalen Hilfsmitteln in Deutschland sind rar (Kowitz-Harms 2015: 10; Alavi 2013: 3). Zu einzelnen deutschsprachigen Online-Plattformen liegen inzwischen empirische Auswertungen vor. So untersuchten Schmitt/Kowski die Plattform historicum.net (Schmitt/Kowski 2011). Astrid Schwabe analysierte die Website vimu.info (Schwabe 2012) und Anke John befasste sich mit einer onlinebasierten geschichtsdidaktischen Einführungsveranstaltung für Studierende (John 2013). Zudem setzte sich Jan Hodel mit dem Lernen im digitalen Medium auseinander. Er fragte, wie Jugendliche sich im schulischen Rahmen selbst Informationen beschaffen und wie sie bei ihren Recherchen vorgehen (Hodel 2013). Soweit zur allgemeinen digitalen Geschichtsvermittlung. Ein Blick auf die jüdische Geschichte zeigt eine noch deutlich schwierigere Lage. Zahlreiche Museen, Gedenkstätten und Institutionen bieten digitale Lernplattformen zu den Themen jüdisches Leben, jüdische Geschichte und Kultur an. Doch bisher gibt es noch kaum veröffentlichte empirische Studien zum digitalen Lernen in diesem Themenfeld. Mit Blick auf die Vermittlung des Holocaust sind bisher zwei Analysen über das Internet als Ort der Erinnerung, Darstellung und Wahrnehmung erschienen (Hein 2009; Frieden 2014). Die Frage ist nun, wie jüdische Geschichte vermittelt werden kann und ob digitale Hilfsmittel eine Unterstützung darstellen. Im Folgenden soll das Hamburger Schülerprojekt Geschichtomat vorgestellt und untersucht werden. Es unternimmt genau diesen Versuch: Jüdische Geschichte und Kultur mit Hilfe digitaler Medien zu vermitteln.
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Das Projekt Geschichtomat: Jüdische Geschichte mit Hilfe digitaler Medien vermitteln
Die aufgezeigten Schwierigkeiten in der Vermittlung jüdischer Geschichte führten zur Suche nach alternativen Lehr- und Lernmöglichkeiten. Ivana Scharf vom Atelier für Gesellschaftsgestaltung in Hamburg entwickelte schließlich 2013 das Projekt Geschichtomat. Damit sollten Jugendliche die Möglichkeit erhalten, einen breiten Einblick in die jüdische Geschichte und Kultur ihrer Nachbarschaft zu bekommen und diese selber zu erforschen. Die Einbindung digitaler Medien sollte das Projekt für die Schülerinnen und Schüler zeitgemäßer und attraktiver
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gestalten. Gleichzeitig sollte durch die Einbettung der erarbeiteten Beiträge auf der Geschichtomat-Website ihre Sichtbarkeit sowie ihre Nachhaltigkeit erhöht werden. Die Entstehung eines digitalen Stadtplans zur jüdischen Geschichte Hamburgs aus der Sicht von Jugendlichen für Jugendliche war das Ziel. Getragen wird Geschichtomat vom Hamburger Institut für die Geschichte der deutschen Juden. Das Projekt wird sowohl organisatorisch als auch wissenschaftlich durch die Autorin dieses Beitrags begleitet. Nach knapp zweijähriger Entwicklungsphase konnte das Projekt im Februar 2013 erstmalig als Modell an einer katholischen Gesamtschule in Hamburg-Barmbek realisiert werden. Seitdem haben 33 Projektwochen (Stand Juli 2018) an verschiedenen Schulen im Hamburger Stadtgebiet stattgefunden, darunter vor allem sogenannte Stadtteilschulen (Gesamtschulen), aber auch Gymnasien und regionale Berufs- und Bildungszentren. Über 600 Schülerinnen und Schüler von der 7. bis zur 12. Klasse haben sich bislang beim Geschichtomat beteiligt: Sie waren auf jüdischen Friedhöfen, haben koschere Gummibärchen verkostet, Matzen gebacken oder die Synagoge besucht. Biografien aus rund 400 Jahren jüdischer Geschichte in Hamburg wurden erforscht. Die Jugendlichen haben sich mit dem Schicksal verfolgter Jüdinnen und Juden im Nationalsozialismus auseinandergesetzt und sich mit den Kindertransporten oder der Bücherverbrennung von 1933 beschäftigt. Dafür haben die Schülerinnen und Schüler Gedenkstätten, Museen, Archive und Stadtteilinitiativen besucht, dort gefilmt und Interviews mit Historikerinnen und Historikern sowie anderen Expertinnen und Experten geführt. In den vergangenen fünf Jahren entstanden so über 150 Kurzfilme.
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Eine Geschichtomat-Projektwoche: Ablauf und Umsetzung
Seit Beginn des Projekts gab es zahlreiche Veranstaltungen für Lehrkräfte und Mitarbeitende von Bildungsinstitutionen, in denen der Geschichtomat vorgestellt wurde. Bei Vorträgen und in Workshops wird jährlich Werbung für das Projekt gemacht. Zudem arbeitet die Projektleitung eng mit der Volkshochschule Hamburg und dem Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung in Hamburg zusammen und wirbt über deren Kanäle ebenfalls für eine Teilnahme. Dies führt dazu, dass pro Jahr etwa sechs bis acht Anfragen von Schulen für Projektwochen umgesetzt werden können. Interessierte Lehrkräfte melden sich mit ihrem Wunschtermin für eine Projektwoche mindestens vier Wochen vor Beginn dieser bei der Projektleitung. Dies gibt
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Zeit, um mögliche Themen im Stadtteil zu recherchieren und Material zusammenzustellen. Thematische Wünsche der Lehrkräfte werden dabei bestmöglich in die Planung der Projektwoche mit einbezogen. In der Regel nehmen die Lehrenden immer mit einer Schulklasse an Geschichtomat teil. Es ist aber auch möglich, einzelne klassenübergreifende oder auch jahrgangsübergreifende Gruppen für das Projekt anzumelden. Vor Beginn der eigentlichen Projektwoche finden in der Regel ein bis zwei Treffen mit der teilnehmenden Schulklasse und der Lehrkraft statt. Diese sogenannten Auftaktveranstaltungen dienen dem gegenseitigen Kennenlernen, der Erklärung des Projekts und des Ablaufs der Projektwoche sowie der Überprüfung des Wissenstands und eventueller Vorkenntnisse der Schülerinnen und Schüler. Hierzu werden die Jugendlichen gebeten, in Gruppenarbeit auf einer Mindmap einzutragen, was ihnen z. B. zur jüdischen Geschichte Hamburgs, zum Judentum oder zum Thema Holocaust einfällt. Die Themen hängen dabei von den ausgewählten Bereichen für die Projektwoche ab. Im Anschluss präsentieren die Schülerinnen und Schüler ihre Ergebnisse, stellen ihren Mitschülerinnen und Mitschülern einzelne Punkte und Schlagworte vor und das Geschichtomat-Team ergänzt gegebenenfalls oder stellt aufgeschriebene Begriffe in den richtigen Kontext. Zudem werden den Jugendlichen am Ende der Auftaktveranstaltung die verschiedenen Themen ihrer Projektwoche vorgestellt. Maximal fünf Teilnehmende finden sich jeweils in einer Gruppe zusammen und wählen ein Thema aus. So entstehen in jeder Projektwoche vier bis fünf unterschiedliche Beiträge. In Hamburg findet während dieser Auftaktveranstaltung noch eine Rallye durch das Grindelviertel, dem ehemaligen jüdischen Viertel der Stadt, statt. Die Jugendlichen bekommen so die Möglichkeit, frühere und heutige Orte jüdischen Lebens zu erforschen und einen ersten Eindruck von der jüdischen Geschichte ihrer Heimatstadt zu gewinnen. Die Ergebnisse der Rallye werden gemeinsam besprochen und präsentiert. Inzwischen gibt es die Grindelrallye auch zum Download auf der Geschichtomat-Website. So kann sie von Lehrkräften auch außerhalb des Projekts durchgeführt werden. Geleitet wird jede Projektwoche von einem Team aus zwei Medienpädagoginnen und -pädagogen sowie einer Kulturvermittlerin. Diese unterstützen die teilnehmenden Schülerinnen und Schüler sowohl im Umgang mit der Technik und dem Schnitt als auch bei der inhaltlichen Erarbeitung der Themen; bei Verständnisproblemen stehen sie als Expertinnen und Experten zur Verfügung. Das benötigte technische Equipment, wie Kameras, Ton und Schnittrechner (MacBooks inklusive der Schnittsoftware Final Cut) wird zudem vom Geschichtomat-Team mit in die Schule gebracht.
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Die einzelnen Themen werden im Vorfeld von der Projektleiterin recherchiert. Wünsche oder thematische Vorgaben der teilnehmenden Schule werden dabei mit einbezogen. Die Projektleiterin stellt Materialien zusammen und recherchiert, ob sich ein Thema auch visuell umsetzen lässt, ob es z. B. noch Bildmaterial gibt oder einen aktuellen Ort, der gefilmt werden kann. Zudem sucht sie gegebenenfalls nach Expertinnen und Experten sowie Ansprechpersonen für Interviews, wie z. B. Historikerinnen und Historiker, Gemeindemitglieder oder Mitarbeitende von Stadtteilinitiativen und Geschichtswerkstätten. Diese besitzen noch Dokumente und Bildmaterialien, beantworten den Jugendlichen ihre Fragen und können helfen, ein Thema verständlich zu erklären. Zu Beginn der Projektwoche erhalten die teilnehmenden Jugendlichen verschiedene Materialien, darunter Texte und Bildmaterial zur Einarbeitung in ihr Thema. Die thematische Bandbreite ist dabei groß: ein nahegelegener Straßenname oder ein Stolperstein können zu einer Biografie führen, ein Denkmal erzählt eine Geschichte, ein jüdischer Feiertag fällt in die Zeit der Projektwoche. Teilweise befinden sich frühere oder auch aktuelle Orte jüdischen Lebens in der Nähe der Schule, wie z. B. eine jüdische Schule, eine Synagoge oder auch ein Friedhof. Auch gibt es allgemeinere Themen, wie etwa die jüdische Geschichte eines bestimmten Stadtteils. Die Jugendlichen erhalten ebenfalls eine Übersicht, ob und wann sie Interviews haben und wer ihre Interviewpartnerinnen und -partner sind. Diese Interviews müssen vorbereitet, Fragen erarbeitet und gegebenenfalls passende Drehorte gesucht werden. Bereits am ersten Projekttag ist es wichtig, dass sich die Schülerinnen und Schüler einen Überblick über ihre Arbeit verschaffen. Ein sogenanntes Drehbuch soll dafür erstellt werden. Dieses beinhaltet Ideen für den späteren Beitrag, z. B. welches Bildmaterial verwendet werden soll, welche Orte besucht und gefilmt werden und ob die Jugendlichen selber vor eine Kamera treten. Parallel findet für jede Schulgruppe eine Einführung in die Technik durch die Medienpädagoginnen und -pädagogen statt. Für viele Schülerinnen und Schüler ist es der erste Umgang mit einer professionellen Kamera. Das Einstellen und Aufbauen der Technik will geübt sein, aber auch das Platzieren eines Interviewpartners bzw. einer Interviewpartnerin muss erlernt werden. Der zweite und dritte Tag der Projektwoche dienen dem Sammeln von Materialien. Interviews werden geführt, Fotos gemacht, Ansagen vor der Kamera eingesprochen. Während ihrer Recherche lernen die Jugendlichen unter anderem durch unterschiedliche Primärzeugnisse oder Interviews mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen sowie Expertinnen und Experten verschiedene Sichtweisen auf die Vergangenheit kennen (Bergmann 2008: 160). Außerschulische Lernorte spielen bei Geschichtomat eine große Rolle. Die Jugendlichen erforschen ihren Stadtteil und treten dabei in Kontakt mit verschiedensten
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Einrichtungen. Museen, Archive, Gedenkstätten, aber auch Stadtteilinitiativen, kirchliche Vereinigungen sowie Nachbarn und Zeitzeuginnen bzw. Zeitzeugen sind wichtige Ansprechpersonen für die Jugendlichen. Hierdurch können Kontakte entstehen, die auch nach Abschluss der Projektwoche von Schulen, Lehrenden, aber auch den Jugendlichen selbst genutzt werden. Durch die Verankerung der zu bearbeitenden Themen in der eigenen Nachbarschaft, erhalten die Schülerinnen und Schüler gleichzeitig einen persönlichen Bezug. So ist das Projekt Stolpersteine, welches in Hamburg stark verankert ist, ein Beispiel für diesen persönlichen Bezug. Die meisten Jugendlichen passieren auf ihrem Schulweg mehrere der Gedenksteine. Die Biografien hinter den Namen sind ihnen jedoch unbekannt. Eine einzelne Biografie selbstständig zu erforschen und zu verstehen, dass in ihrer unmittelbaren Umgebung jemand lebte, der im Nationalsozialismus verfolgt und ermordet wurde, bietet ihnen einen anderen, einen individuelleren und teilweise auch leichter verständlichen Zugang zur Geschichte des Holocaust. Der Schnitt der Videos dauert in der Regel am Längsten. Hierfür müssen mindestens zwei Schultage eingerechnet werden. Die Interviews müssen wieder und wieder angehört, wichtige Informationen herausgefiltert und Zusammenhänge verstanden werden. Auf diese Weise findet noch einmal eine tiefere inhaltliche Auseinandersetzung mit dem gewählten Thema statt. In der Regel haben die Schülerinnen und Schüler selten mit einem professionellen Schnittprogramm gearbeitet. Vereinzelt ist auf Smartphones gefilmt und geschnitten worden. Einige Jugendliche haben bereits bei YouTube Videos hochgeladen. Für Geschichtomat sollen aber kurze Dokumentationen entstehen, die sachlich korrekt sein müssen. Diese haben einen anderen Anspruch als selbstgedrehte Handyvideos. Die späteren Beiträge müssen jedoch nicht nur inhaltlich richtig sein, sie sollen auch visuell ansprechen. Um die Aufmerksamkeit späterer Nutzerinnen und Nutzer zu sichern, sollen die Videoclips eine Länge von vier bis fünf Minuten haben. Spannung muss in ihnen aufgebaut werden, sie sollten abwechslungsreich gestaltet sein und gegebenenfalls unterschiedliche Medien, wie zum Beispiel Musik oder Fotos einbinden (Kowitz-Harms/Menny 2014: 335). Gleichzeitig dürfen die Jugendlichen keiner „Technikfaszination“ erliegen. Der Inhalt darf bei aller gestalterischen Freiheit nicht zu kurz kommen. Dass dies nicht geschieht, liegt in der Verantwortung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Geschichtomat-und der Lehrkraft. Zum Abschluss einer jeden Projektwoche werden die fertigen Beiträge auf die Geschichtomat-Website hochgeladen. So erhalten die Jugendlichen die Möglichkeit, ihre Ergebnisse direkt online anzusehen und diese ihrem Freundeskreis und ihrer Familie zu präsentieren. Die Veröffentlichung der Beiträge auf einer Website verleiht den Beiträgen eine höhere Wertigkeit gegenüber einer Präsentation im Klassenraum. Dies kann zu einer Reflexion über die Macht des Mediums Internet
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führen. Gleichzeitig erlaubt die niedrigschwellige Publikationsmöglichkeit den Jugendlichen, selbst die Rolle von Geschichtsproduzierenden einzunehmen und bietet Raum für eigene Gestaltung und Selbstdarstellung. Die Veröffentlichung von Beiträgen im Internet birgt jedoch auch Gefahren. Die Verbreitung der Videos ist kaum kontrollierbar. Geschichtomat-Beiträge sind deshalb auf einem nicht-öffentlichen Kanal bei YouTube eingebunden. So können sie auf dieser Plattform nicht direkt gefunden und ausschließlich über die Geschichtomat-Website aufgerufen werden. Eine Weiterverbreitung und Verlinkung wird dadurch erschwert. Neben der Veröffentlichung auf der Website findet zum Abschluss jeder Projektwoche noch eine klassische Präsentation der Ergebnisse im Klassenraum statt. Die Gruppen stellen ihre Filme entweder einander oder auch weiteren Klassen vor, erklären ihr Thema und berichten von Schwierigkeiten wie auch Erfolgen während der Projektwoche. Dies gibt die Möglichkeit, den Jugendlichen direkt Feedback zu ihrer Arbeit zu geben.
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Fünf Jahre Geschichtomat: Eine Zwischenbilanz
In den letzten fünf Jahren wurde eine Fülle an Videobeiträgen produziert und über 30 verschiedene Projektwochen konnten durchgeführt werden. Dies erlaubt, eine kurze Zwischenbilanz zu ziehen. So wurden die teilnehmenden Schülerinnen und Schüler in Fragebögen um ihre Meinung gebeten. Rund 500 Geschichtomat-Teilnehmende evaluierten das Projekt bisher. Im Fokus stand dabei zuerst einmal die Frage, ob ihnen das Projekt grundsätzlich gefallen hat. 46 % der befragten Jugendlichen gefiel ihre Geschichtomat-Projektwoche, 31,5 % sogar sehr. Die restlichen 22,5 % fanden es mittelmäßig bis schlecht. Die Möglichkeit, einen eigenen Film zu gestalten und möglichst viele Entscheidungen eigenständig treffen zu können, ist ein wichtiger Faktor bei Geschichtomat. Rund Dreiviertel der Schülerinnen und Schüler bestätigten, dass sie viel oder sogar sehr viel während der Projektwoche mitentscheiden konnten. Ein Viertel der Teilnehmenden hatte hingegen das Gefühl, wenig bis gar nichts selbst entscheiden zu können. Geschichtomat bietet den Schülerinnen und Schülern einen Einblick in verschiedene Themen und Bereiche, mit denen sie sich unter Umständen wenig oder noch nie befasst haben. So ist die jüdische Geschichte ein Gebiet, das im regulären Geschichtsunterricht oftmals zu kurz kommt oder ausschließlich im Rahmen des Holocaust gelehrt wird. 68 % der befragten Schülerinnen und Schüler erklärten, dass sie sich noch nie mit jüdischer Geschichte befasst hätten. 25,4 % der Teilnehmenden
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bestätigten dies auch für die Arbeit mit Medien. Die meisten Jugendlichen hatten hingegen zuvor schon in den Bereichen Projektarbeit und Gruppenarbeit, beides wichtige Faktoren bei Geschichtomat, Erfahrungen gesammelt. Ziel des Geschichtomat-Projekts ist es, die gesamte jüdische Geschichte Hamburgs abzubilden. Bis April 2018 entstanden 154 Beiträge, die auf der Geschichtomat-Website abrufbar sind. Sie alle wurden mit Schlagworten versehen und zeitlich eingeordnet. Ein Blick auf die zeitliche Einordnung lässt einen deutlichen Fokus der Beiträge auf die Zeit des Nationalsozialismus erkennen. Von 154 Beiträgen fallen 100 in diese Zeit, 53 befassen sich mit der Zeit nach 1945, 13 mit der Weimarer Republik und 7 mit dem Kaiserreich (eine Mehrfachnennung war möglich). Tab. 1
Auswertung der Schlagworte auf www.geschichtomat.de. Mehrfachnennung möglich (insgesamt 154 Beiträge, Stand April 2018)
Thema Antisemitismus Friedhof Gedenken (inkl. Stolpersteine) Gemeindeleben Kultur Migration Nationalsozialismus Politik Religion Schulwesen Sport Wirtschaft Zeitzeuginnen und Zeitzeugen
Anzahl 38 19 68 23 27 31 100 15 41 16 4 19 15
Prozent 9,1 % 4,6 % 16,4 % 5,5 % 6,5 % 7,5 % 24 % 3,6 % 9,9 % 3,8 % 1 % 4,6 % 3,5 %
Bei den verwendeten Schlagworten (eine Mehrfachvergabe war wieder möglich) zeigt sich ebenfalls, dass ein starker Fokus auf den Themen Nationalsozialismus und Gedenken liegt. Die Projektwochen sind ein Aspekt des Geschichtomat-Projekts. Durch die Einbindung der erarbeiteten Beiträge auf der Website www.geschichtomat.de entsteht eine Nachhaltigkeit der Ergebnisse, da diese dauerhaft abrufbar sind. Die Videos können und sollen weiterverwendet werden. Lehrkräfte haben zum Beispiel die Möglichkeit, einzelne Beiträge in ihren Unterricht zu integrieren. Zu diesem Zweck wurden bereits passende Unterrichtsmaterialien zu einzelnen Themen, wie
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etwa Antisemitismus und Kindertransporte entwickelt. Inwieweit dieses Angebot tatsächlich genutzt wird, lässt sich zurzeit nur schwer sagen, da keine Zahlen dafür vorliegen. Generell stellt sich die Frage, inwieweit Geschichtomat als Website genutzt wird: Die Zugriffsdaten sprechen eine recht deutliche Sprache. In der Regel sind bis zu 10 Seitenaufrufe am Tag zu vermerken. Eine Ausnahme stellen die Tage kurz nach Beendigung einer Projektwoche dar. Hier sind bis zu 120 Aufrufe pro Tag zu verzeichnen. Daher lässt sich vermuten, dass in erster Linie die eigenen selbstproduzierten Videos angeschaut und gegebenenfalls weiterverbreitet werden.
Abb. 1 Zugriffe vom 1. Januar 2016 bis zum 1. April 2018, Quelle: Google Analytics
Diese Vermutung bestätigt ein Blick auf den Verhaltensfluss auf der Website. Rund 60 % der Besucherinnen und Besucher verweilen ausschließlich auf der Startseite. 14 % gehen von dort aus direkt zu den Videobeiträgen in der Rubrik Orte/Geschichten. Dies ist die mit Abstand am häufigsten besuchte Unterseite der Website. Die Unterrichtsmaterialien im Bereich Downloads werden zum Beispiel nur von 1,6 % der Website-Besuchenden aufgerufen. Die durchschnittliche Sitzungsdauer liegt dabei bei 3 Minuten und 36 Sekunden (Quelle: Google Analytics). Dies lässt ebenfalls die Vermutung zu, dass die Website gezielt nach einem Video durchsucht und dieses anschließend zumindest in Teilen angesehen wird. Die meisten Zugriffe erfolgten entweder über eine organische Suche (40 %), wie z. B. über eine Suchmaschine oder aber durch direktes Ansteuern der Website (33 %). Nur eine Minderheit (22 %) erfolgte durch eine Verlinkung von anderen Websites oder durch einen Hinweis und Link in den Sozialen Medien. Auch dies bestätigt, dass die meisten Website-Nutzerinnen und -Nutzer gezielt die Geschichtomat-Website ansteuern.
durch einen Hinweis und Link in den Sozialen Medien. A 338
meisten Website-Nutzerinnen und -Nutzer gezielt die Ges ern.
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Abb. 2 Übersicht der Akquisition, Quelle: Google Analytics
Abb. 2: Übersicht der Akquisition, Quelle: Google Analytics
Anhand von YouTube Analytics lassen sich Aussagen über das Nutzungsverhalten Anhand von YouTube Analytics sich Aussagen ü und die Häufigkeit der Wiedergabe der Videos treffen. So beträgtlassen die durchschnittliche Wiedergabezeit 2:10 Minuten. Dies zeigt, dassder es sinnvoll ist,treffen. So und der dieBeiträge Häufigkeit der Wiedergabe Videos Videos kurz zu halten, da die Aufmerksamkeitsspanne vieler Nutzerinnen und Nutzer nach einigen Minuten nachlässt. der In derBeiträge Regel haben2:10 Geschichtomat-Beiträge Wiedergabezeit Minuten. Dies zeigt, das deswegen eine Länge von vier bis fünf Minuten. zu halten, die bisher Aufmerksamkeitsspanne vieler Nutzerinn Die meist gesehenen Videosda wurden über 300 Mal geklickt und besitzen eine Wiedergabedauer von über 800 Minuten. Dabei sind die ältesten Videos aus Minuten nachlässt. In der Regel haben Geschichtomat-Be den Jahren 2013 und 2014 die mit den höchsten Aufrufen. Dies erklärt sich sicherlich dadurch, dass sievon am längsten online sind. Es lassen sich jedoch Trends feststellen. vier bis fünf Minuten. Insbesondere Beiträge über bekannte Hamburger Persönlichkeiten, wie etwa den Die Hamburgs meist gesehenen Videos wurden bisheroder über 300 Ma letzten Oberrabbiner im Nationalsozialismus, Joseph Carlebach, den Reeder Albert Ballin stiegen in der Wiedergabeliste schnell nach oben.
Wiedergabedauer von über 800 Minuten. Dabei sind die ä
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Digitale Bildung – Chancen Risiken dass sie am längstenund online sind.– Es lassen sich jedoch T Problem der Nutzung dere Beiträge über bekannte Hamburger Persönlichkeiten
Das Internet ist aus dem Alltag der Jugendlichen kaum mehr wegzudenken. Es ist zu rabbiner Hamburgs im Nationalsozialismus, Jospeh Carl einem zentralen Informationsmedium geworden. Die ausführliche Beschäftigung mit einzelnen Web-Angeboten, so stellt Astrid in ihrer Untersuchung bert Ballin stiegen in derSchwabe Wiedergabeliste schnell nach ob fest, steht dabei aber nicht im Fokus. Stattdessen geht es um die schnelle Informationsgewinnung, bei der auf Urheberinnen bzw. Urheber und Quellenangaben selten geachtet wird. Viele Schülerinnen und Schüler sehen das Internet als ver-
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Das Internet ist aus dem Alltag der Jugendlichen kaum m
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trauenswürdige Informationsmöglichkeit zum Thema Geschichte an. Deswegen muss es als potenzieller Einflussfaktor auf das individuelle wie auch das kollektive Geschichtsbewusstsein ernst genommen werden, so Schwabe (2013: 35f.). Umso wichtiger ist das Erlernen eines adäquaten, konstruktiv-kritischen Umgangs mit dem Medium Internet auch im Schulunterricht. Zielgerichtete Recherchen müssen eingeübt und der Blick für die Gefahren und Probleme des Netzes geschärft werden (Kowitz-Harms/Menny 2014: 341). Die Einbindung digitaler Medien in den Unterricht bedeutet die Einbindung der Lebenswelt der Jugendlichen. Geschichte begegnet ihnen nicht mehr nur in Büchern, sondern im Netz, so zum Beispiel auf YouTube, Facebook, Instagram und in Computerspielen. Die Aufgabe der Schule ist es, kompetent zu machen für die Auseinandersetzung mit Geschichte jenseits des Unterrichts. Daher führt die Einbindung digitaler Medien zu einer Kompetenzorientierung der Schülerinnen und Schüler. Die Erstellung eigener digitaler Angebote, wie zum Beispiel Videos, hilft beim „Digital Storytelling“. Es entstehen neue Formen historischer Narration durch den Einsatz von Text, Ton und Bildmaterial. Gleichzeitig beginnt die Auseinandersetzung mit der Frage, wie welches Element genutzt wird (Bernsen et al. 2012: 12). Besonders das Format des Videos stößt bei den Jugendlichen während einer Projektwoche auf großes Interesse. Die meisten von ihnen schauen sich regelmäßig u. a. auf YouTube selbstproduzierte Beiträge ihrer „YouTube Stars“ zu unterschiedlichsten Themen an. Nun selber einmal einen YouTube-Clip zu produzieren, weckt ihr Interesse. Gerade das Medium Video verlangt den Schülerinnen und Schülern Kreativität ab. Dadurch können die individuellen Stärken einer bzw. eines jeden in den Vordergrund treten. Einige können gut organisieren und übernehmen die Projektleitung, andere haben Interesse an Journalismus und erarbeiten Fragen für Interviews. Wieder andere haben künstlerische oder musische Fähigkeiten und lassen diese in die Videos einfließen. Nicht jede Schülerin oder jeder Schüler besitzt ein ausgeprägtes Interesse an Geschichte. Teilweise liegt dies vielleicht an einem generellen Desinteresse am Thema oder aber an veralteten Vermittlungsformen. Mit der Aussicht auf die Produktion eines Videos und den Einsatz digitaler Medien werden aber auch diese Schülerinnen und Schüler für das Projekt geworben. Um jedoch den späteren Beitrag erarbeiten zu können, muss zwangsläufig eine intensive Auseinandersetzung mit dem eigenen, kleinen historischen Thema erfolgen. So lassen sich oftmals Interessen für Geschichte wecken, die vorher nicht existierten. Die Aussicht auf eine Arbeit mit digitalen Medien bietet für einige den Anreiz, sich letztlich auch mit Geschichte zu beschäftigen.
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Das Projekt Geschichtomat nutzt den alltäglichen Umgang der Jugendlichen mit dem Internet und vermittelt ihnen gleichzeitig einen adäquaten Umgang mit diesem Medium. Zielgerichtete Recherchen werden eingeübt und der Blick für die Gefahren und Probleme des Netzes eingeschärft. So müssen sich die Teilnehmenden mit schwierigen Aspekten wie Persönlichkeits- und Urheberrechten und dem nicht vorhandenen ‚Recht auf Vergessen‘ auseinandersetzen. Die Vermittlung jüdischer Geschichte und Kultur kann zugleich zu einer Sensibilität gegenüber problematischen Inhalten sowie den Grenzen des Sag- und Darstellbaren führen. Die teilnehmenden Jugendlichen erforschen und entdecken ihre Nachbarschaft und lernen jüdische Geschichte auf eine neue, einzigartige Weise kennen. Dadurch entwickeln sie einen Bezug zur jüdischen Kultur, Geschichte und zu jüdischem Leben, der ihnen durch den normalen Schulunterricht nicht vermittelt werden kann. Jüdinnen und Juden sind nicht mehr nur Opfer, jüdische Geschichte nicht mehr nur eine Verfolgungsgeschichte, sondern Teil der Stadtteilgeschichte. Die Einbeziehung digitaler Medien kann dabei helfen, das Interesse von Schülerinnen und Schülern neu zu wecken und die Attraktivität historischen Lernens zu erhöhen.
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Das Schülerprojekt Geschichtomat
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Interactive 3D Testimonies of Holocaust Survivors in German language Methodological Framework for Research and Education Anja Ballis and Markus Gloe
Abstract
The article shows how the development of interactive digital 3-D testimonies was initiated and is carried out at the LMU Munich. In a first step, current developments in Holocaust education are presented to locate the development of 3-D testimonies. Furthermore, an overview of the educational framework at university and school in Germany is given to refer conditions and contexts for teaching and learning about the Holocaust. In a second step, the project’s research and development approach – design-based research – is presented and the development of the testimonies outlined. This includes a self-positioning of the researchers as well as a first interim conclusion. The paper ends with an outlook and reflections between authenticity and algorithm. Zusammenfassung
Im Beitrag wird aufgezeigt, auf welche Weise die Entwicklung interaktiver digitaler 3-D-Zeugnisse an der LMU München initiiert und durchgeführt worden ist. In einem ersten Schritt werden aktuelle Entwicklungen der Holocaust Education dargestellt und die Entwicklung der 3-D-Zeugnisse verortet. Des Weiteren wird der organisatorische Rahmen an Universität und Schule aufgezeigt, um institutionelle Bedingungen und inhaltliche Kontexte formaler Vermittlungsarbeit in Deutschland darzulegen. In einem zweiten Schritt wird der gewählte Forschungs- und Entwicklungsansatz – Design-based Research – vorgestellt und die Entwicklung der Zeugnisse skizziert. Dies schließt eine Verortung der Forschenden ebenso ein wie ein erstes Zwischenfazit. Der Bei-
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Gloe und A. Ballis (Hrsg.), Holocaust Education Revisited, Holocaust Education – Historisches Lernen – Menschenrechtsbildung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24207-7_21
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Anja Ballis and Markus Gloe
trag endet mit einem Ausblick, in dem offene Fragen und Herausforderungen zwischen Authentizität und Algorithmus reflektiert werden.
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Interactive 3D testimonies of Holocaust Survivors – Connecting educational tools, technological conditions and institutions
For a long time there has been reflection on how teaching and learning about and of the Holocaust will change when the survivors will have passed away (Gross/Stevick 2015). An important aspect which is emphasized repeatedly is the gap arising between the survivors’ original narratives and the changed conditions of the mediation of the Holocaust. In Germany, survivors of the Holocaust were “discovered” relatively late for educational work. Especially between the 1990ies and the beginning of the 21st century they were publicly honoured because of their contribution to the memory of the Holocaust (Gryglewski 2018: 168). Some of the survivors felt it as their duty to go to schools, be at memorial sites, and talk to especially the younger generation. By sharing their stories, they have had an important influence on historiography as well as on education (Ballis 2019). As a matter of fact, this era of personal mediation is coming to an end and various activities have been undertaken to preserve the individual stories of the victims. In the 21st century different ideas are reflected, and in general two trends can be discerned which are in parts intertwined. On the one hand, the focus is on personal experience and action orientation. Schools and museums are making attempts to bring the history of Holocaust survivors onto a stage, which is referred to as “reenactment”. This form of dealing with history aims at replaying and re-experiencing historical events. There is no fixed definition of the term; some are the different authors that it is about showing “how it was;” and the visitors experience “how it might have felt” (Roselt/Otto 2012: 8; Samida 2019: 135). One example is the project “The Witness Theater” with its central idea of bringing together students and survivors in an intergenerational project. The Witness Theater originated in Israel and was brought to the United States in 2012 by Selfhelp Community Services, one of the largest agencies supporting survivors in New York City. For several months High School students and survivors meet weekly; they get to know and trust each other; the survivors tell the stories of their lives and students begin to enact certain elements of it. The end of the project is marked by a public performance in which students portray key moments in the lives of the survivors, often with the survivors
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being live on stage. Both the process and the results – theatre performances – can be watched on YouTube or in a movie (www.youtube.com/watch?v=cNHcCgOLvBs [19.09.2019]; www.witnesstheaterthefilm.com/witness-theater [19.09.2019]). The encounter of the young generation with survivors still plays an important role in the activities in New York; in a way are the briding the time with and without survivors. The efforts of the Ghetto Fighter Museum in Israel differ from that concept; in the exhibition “Jewish Warsaw: A Story of the Human Spirit” technology, both video testimonies, and reenactment of Holocaust survivors is used; professional actors who resemble the survivors recreate scenes that are captured in films; they play the life of the survivors and try to reduplicate the situation of persecution (https://haifaholocauststudies.wordpress.com/2018/12/17/seminar-at-the-ghetto-fighters-house-museum/ [19.09.2019]). Eva Stories, which is a format developed for Instagram, point in a similar direction: The story is based on the Holocaust survivor Eva Heymann. The title of the so-called IGTV stories accumulated under the Instagram account “eva.stories” reflects the main character’s basic question: “What If a Girl in the Holocaust Had Instagram?” An Israeli sponsor has initiated and funded the project in spring 2019; within a week, 1.6 million followers are reported. Actors are showing Eva’s story and social media channels are telling history. These projects are characterized by proximity: similarities are sought to the appearance of the survivors and their history and the actors telling their stories. Encounters between the generation of the survivors and the young generation are important, too: They listen to each other and tell their stories together. Since survivors will soon have passed away, institutions look for substitutes, who can play their role. Therefore, physicality shapes the engagement to a large extent. On the other hand, a variety of technical tools are available to digitize, i. e. secure, and transform testimonies of Holocaust survivors. Since 2012 different institutions like the USC Shoah Foundation (US) or the Forever Holding (GB) have started developing interactive 3D testimonies of Holocaust survivors for educational purposes. In Europe, these forms of witnessing can be found at the UK National Holocaust Museum and Centre in Laxton (Nottinghamshire) as part of the educational programme. From the time the museum was founded in 1995, survivor talks have played an important role in its educational work. To this day, the stories of the survivors are an integral part of the educational offerings at the National Holocaust Centre and Museum. School classes in particular visit the museum and can choose between a programme addressed either to children or to young people. For example, there is an exhibition on the “kindertransport” for children between the ages of nine and eleven; secondary school students can find historical knowledge from the years 1933 to 1945 in the permanent exhibition. What all the activities have in common is that at the end of the exhibition there
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is a conversation with a Holocaust survivor: “Every single person can listen to a Holocaust survivor” (www.youtube.com/watch?v=Zgdo64Qg4_M [19.09.2019]). Thus, a pedagogical principle of the museum is articulated, which understands the stories of the survivors as key for the educational work: The individual report enables a connection to the person of the narrator and his or her loss. It was therefore only consequent to develop tools to reduplicate survivor talks (www. holocaust.org.uk/foreverproject1 [19.09.2019]). In 2019 the Swedish History Museum in Stockholm staged the contemporary exhibition “Speaking Memories. The Last Witnesses of the Holocaust” on Swedish Holocaust survivors. As part of the exhibition, the interactive testimonies of Pinchas Gutter and Eva Schloss were integrated which were developed by the USC Shoah Foundation. Although the two survivors had no connection to Sweden, they were placed in the exhibition to enrich the visitors’ experience. Here, too, this exhibition was preceded by an intensive preoccupation with survivors (Scheja 2019: 12). In the US, this kind of testimonies can be experienced for example at the Illinois Holocaust Museum & Education Center in Skokie (Chicago) or at the Holocaust museums in Dallas and Houston. The USC Shoah Foundation attaches great importance to the life-size projection of the testimonies, which should always be presented in a protected space; in this way an atmosphere of “intimacy” should be created, which opens up an immersive encounter between the questioners and the recording. Central for creating such testimony is an interactive component. Visitors are provided with some biographical data and a brief overview of the testimony. The further development of the testimony should then take place as “naturally and dialogically” as possible between the visitor and the recording (Ballis et al. 2019). In order to produce these forms of testimonies, the survivors were asked up to 2.000 questions each, referring to their lives before, during and after the Holocaust. The narrative of a survivor is – depending on the institution and its methodology applied – almost completely dissolved into questions (Ballis et al. 2019). The survivors were filmed as they answer the questions. This was done in order to enable the development of a 3D projection later on. By using the help of a speech recognition program, one can ask questions to such a digital survivor testimony, which are then automatically assigned to the respective answer which was recorded before. In the US the project “(New) Dimensions in Testimony” of the USC Shoah Foundation is of particular influence with its primary goal to ensure a “virtual dialogue” with the survivor’s testimony (https://sfi.usc.edu/dit [19.09.2019]). If one compares the two approaches – reenactment and digitization – some similarities are obvious: The question of originality arises: What happens when students play Holocaust survivors on stage? How does speech recognition work and has the survivor really given this answer? These questions are also linked
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to considerations of the historical correctness of the representations. This often becomes an important indicator for the evaluation of the offered “products”. It is also obvious that reenactment and digitization of suvivors’ testimonies make use of various media, which are often combined with each other (Otto 2012: 235). This is associated with the changed role of the user or learner: They are actively involved in the “doing history”; history becomes a space of experience in which past and present meet. It is also central that these experiences are replicable. The media ensure that questions are played back form the interactive 3D testimony, users can relate many times to history. A positive effect is that – while playing or talking – community is created: The users or learners perceive themselves as witnesses of history. This experience is centred around the Holocaust survivors: They are the core, their simulated or digital physicality shall guarantee the truthfulness of the performance. When we deal with digital testimonies in Germany, we are well aware of these trends and forms of doing history and shaping memory. In one article we have already explained that these media transformations can be interpreted as a cultural practice of remix (Ballis et al. 2019). So far, the production of German-language interactive testimonies is still in its early stages and is viewed with great scepticism in the public and scientific discourse. These digital testimonies are currently being developed by the USC Shoah Foundation (US) on the one hand and by the University of Munich in cooperation with the Forever Holding (UK) on the other hand. In the following, the Munich project, which we have been planning and researching since 2018, will be discussed in greater detail. It is precisely this dual role that enables us to gain far-reaching insights and perspectives. Being active in the field of Holocaust Education, we realize that much research in educational technology still ignores the complex interaction between technological interventions, the roles of educational institutions such as schools and universities, the purposes of education, and the meaning of research (Amiel/Reeves 2008: 32). From the perspective of a German university involved in teacher education and different Holocaust projects, we focus on the interplay between these dimensions. In Munich we are especially interested in how to deal with testimonies in the context of education against the background of digitization, while the possibilities of processing and opening up individual stories of Holocaust survivors to the next generations are the core of the project. Before describing our project in greater detail, we give a rough overview on how Holocaust and Nazi crimes are taught at schools and universities in Germany. Outlining the embedding in the school framework is important, since in England and the USA, the interactive testimonies are mainly presented in museums. Of course, we also cooperate with museums, documentary centres and memorials in Germany, but we always focus on the connection to educational work in schools.
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This can be explained by our interests in the field of teacher training at the University of Munich.
2
Teaching and learning about the Holocaust – The German perspective
2.1
A curricular outline for Germany
Germany, the country primarily responsible for the persecution and systematic extermination of Jews and other victim groups, has a special task in dealing with this part of its history. To this day, the examination of the events that took place between 1933 and 1945 and their reappraisal have had a far-reaching impact on the self-image and national identity of the German state. Of course, they also had and still have an influence on the mediation of the topic at school and out-of-school places of education. What curricular guidelines are set for teaching and learning about the Holocaust in German schools? To answer this question it is necessary referring to an organisational peculiarity of the German educational situation. Germany is a federal union consisting of 16 states; these states enjoy sovereignty in terms of teaching and learning at schools and universities in their territory. However, to ensure that the situation in the education sector remains comparable throughout Germany, the Standing Conference of the Ministers of Education and Cultural Affairs of the States in the Federal Republic of Germany (i. e. KMK) was founded in 1948. It is a consortium of ministers responsible for education and schooling, higher education, research and cultural affairs, and in this capacity formulates the joint interests and objectives of all 16 federal states. They set regulations to ensure mobility within Germany for learners, students and teachers, to promote the equality of living conditions throughout Germany, and to represent common interests of the states in the cultural sector. The instruments of the KMK are resolutions, recommendations, agreements or state agreements. The resolution of April 1978 stated that it is an important task of the school to lead students to political judgement and to underpin it with solid knowledge, in particular of the history of our recent past. The schools have to counteract the uncritical acceptance of trivializing or glorifying representations of the “Third Reich”, characterized by dictatorship, genocide and inhumanity, and its representatives. In 2004, the KMK published a report on “Education on National Socialism and the Holocaust” [Unterricht über Nationalsozialismus und Holocaust], which con-
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sists of three parts focusing on anchoring the topic in the curricula and education plans of the states, teacher training measures, and ideas for organising the 10th anniversary of the introduction of the “International Holocaust Remembrance Day” at schools. As expected, the topic is mainly anchored in history and political social sciences with a high proportion of history; German language and religion or ethics are also mentioned when it comes to reflecting on books of Holocaust survivors and ethical issues. The topic is dealt with in grades 9 and 10, sometimes also in grade 8, so students are between 13 und 17 years of age. The explicit goal is that no student leave school without having learned something about Germany’s history between 1933 and 1945. In many cases, this includes a visit to a concentration camp memorial site. With regard to the objectives, it is strived for investigating the topic in an interdisciplinary way as well as cooperating closely with extracurricular institutions (memorials, museums) (www.kmk.org/fileadmin/Dateien/pdf/Bildung/ AllgBildung/Zusammenfassung-Holocaust-November-05_01.pdf [19.09.2019]). This document describes the status quo of the curricular situation, while the resolution of the KMK “Remembering our past for our future – Recommendations for a culture of remembrance to form an object of historical and political education in schools” (2014) is more reflexive and discursive in character: Objectives and general issues of educational work are described and linked to discourses and methodological principles. The aim is to achieve historical awareness, knowledge and empathy to develop as a basic democratic understanding and to promote judgement and decision-making skills. Each generation must ask the questions of memory anew. In this way, on the one hand, the changed social requirements are taken into account: The heterogeneity of students, who often have a history of migration, shapes learning at schools in Germany. On the other hand, the time gap to historical events is widening and the following generations must be granted – in addition to historical knowledge – free space for ways of interaction and receptions (www.kmk.org/ fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2014/2014_12_11-Empfehlung-Erinnerungskultur_englisch.pdf [19.09.2019]).
2.2
Key topics with special consideration of Holocaust survivors
As seen before, the topics of the Holocaust and NS crimes are firmly anchored in German resolutions. However, little is said about the content and school practice of the curriculum, which will be presented in the following as key topics. German educational debates reflect on the tension between cognition and empathy. Cognition refers to all learning processes that deal with knowledge of historical events
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between 1933 and 1945. Central milestones are the failure of the Weimar Republic, the rise and expansion of the rule of the NSDAP with special regard to ideology, the persecution of opponents of the system, and the planned persecution of the Jewish population and other groups (e. g. Sinti and Roma, homosexuals, Jehovah’s Witnesses, people with disabilities) as well as the course and consequences of the Second World War. In addition to these historical events, which are often discovered from “sources of perpetrators”, it is also important to inspire empathy among students. Empathy is a term used in various disciplines. Young people should be sensitized to the effects of political changes on the lives of individual and ordinary people. In this way, they should be encouraged to take a stand for humanity and democracy. However, care must be taken to ensure that students are not emotionally overburdened (Langer et al. 2008: 32). A visit to a concentration camp memorial site plays an important role in educating German students. In some federal states, such as Bavaria, a visit to a concentration camp memorial site in Dachau or Flossenbürg is financially supported. Memorial sites can be understood as an interface between school lessons and everyday understanding, between knowledge and emotion, between now and then. It is essential that cognitive competences should also be promoted. Further on, human rights education is an important topic at memorial sites. It is expected that this will lead to new reasons for visiting concentration camp memorials, especially narrowing the distance between now and then (Zumpe 2012). Another important role play talks with Holocaust survivors. Historically, survivor talks have their origin in the 1970s. To this times, initiatives draw attention to regional history beyond a national historiography and to addressing socio-historical issues such as industrialization and the labour movement, gender and womens’ issues as well as the Holocaust and Nazi crimes. In those days, new methodological approaches have been adopted and witnesses have been asked about their everyday experiences and about their involvement in historical events. This leads to a connection with the oral history movement from the USA and its grassroots democratic, human rights-oriented claims. In this article, we will make consequent use of the term “survivor” when talking about any person who was displaced, persecuted or discriminated due to the ideology of the Nazis and their collaborators. In addition to the former inmates of concentration camps and ghettos, the term also refers to persons who had to hide or were fleeing (www.ushmm.org/remember/resources-holocaust-survivors-victims/ individual-research/registry-faq#11 [19.09.2019]). Nevertheless, at this point we would like to refer to a term that has had a lasting influence on the debate in Germany: ‘Contemporary witness’ is often used when people persecuted during the National Socialism era – or because of other crimes they witnessed – give testimony and are
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involved in educational work: „Definieren würde ich den Begriff des ‚Zeitzeugen‘ über das, was auch seine didaktische Qualität ausmacht: die Aura.“ [I would define the concept of the ‘contemporary witness’ through what also constitutes its didactic quality: the aura] (Sabrow 2007: 81) This aura serves as a “bridge for young people” into the past. Therefore, conversations with this group are important for historical learning and the interpretation of history: They are the personification of authentic proof that everything that is taught in class has really happened (Sigel 2015: 54). Stories by witnesses should therefore be measured less by the historical facts than by the individual experiences of everyday life. The subjective access to Holocaust events and Nazi crimes is quite often criticized, while at the same time, it is also the power of such narrations. Important arguments for conversations with survivors and victims of Nazi persecution are the authenticity and affective-moral impact of personal experience in order to intensify the learning process of students in this field: The real encounter with people from the time of National Socialism should give students an insight into the everyday effects of National Socialist policies of exclusion and annihilation, enable them to empathize and sensitize them to human rights and tolerance (www.bpb.de/geschichte/zeitgeschichte/geschichte-und-erinnerung/39849/bedeutung-von-zeitzeugen [19.09.2019]). Wide-ranging goals are to be achieved with the help of a two- to three-hour conversation. In history education in particular concerns are raised as to whether sufficient attention would be paid to students and their interests (Meseth 2008). There is doubt as to whether the goals of a historical-political education can be derived from the individual insights (Kaiser 2009; Bertram 2017). Hardly any empirical studies deal with the impact of Holocaust survivors in giving their testimonies to school classes. Most of the German speaking studies are done by historians and reflect the source value of the testimonies and students’ reactions on it (Galda 2013). Important for the German context is the qualitative micro study of Obens and Geißler-Jadozinski (2009): In observing sessions with survivors in school classes and in interviewing the students they could show that students tend to mix the story of the victims with their families’ story, quite often the stories of the perpetrators. Moreover, the aura of the survivor ensures that the young people do not recognize contradictions of the narrations they heard. Summarizing the key topics of teaching and learning about the Holocaust and Nazi crimes in German schools, factual knowledge combined with biographical work are important dimensions. A reflexive attitude based on factual knowledge is to be initiated, including an emotional approach. However, teachers, as well as pedagogical staff at memorial sites, are often not sure how to initiate empathic approaches – in combination with survivor encounters, for example (Stevick 2017: 221). Consequently, there often remains an “emotional void”. It seems that
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the German debate in the 21st century is still strongly influenced by Adorno’s dictum – „Die Forderung, dass Auschwitz nicht noch einmal sei, ist die allererste an Erziehung.“ [The premier demand upon all education is that Auschwitz not happen again.] (Adorno 1966).
2.3
Teacher education at the University Munich
In contrast to other German universities (Nägel/Kahle 2018), student teachers in Munich have a variety of Holocaust related courses to choose from within the framework of their studies. The courses are distributed among various institutions, such as the Leibniz Institute for Contemporary History, as well as among various subjects, such as Jewish Cultural History, History, Political Science, German and Media Studies. Online courses enrich this offer even more. Students at the University Munich can take a course on the Holocaust every semester. However, it is unclear to what extent students who want to become teachers also attend such courses since they are not mandatory. Some studies point out that only a few students turn to this question in the course of their studies. In addition to very engaged students who deal intensively with the topic, there is probably a large number of people who don’t attend such courses (Nägel/Kahle 2018: 100). This has far-reaching consequences for teaching and learning about the Holocaust in schools. Quite often teachers feel unprepared and struggle in school practice. They are well aware that the topic differs from other topics in the classroom. However, how to deal with it in the classroom remains unclear to them. They feel a certain fear of doing something wrong, of overwhelming students emotionally. This is accompanied by the fact that they have no methodological tools at their disposal to prepare the subject in a scientifically sound way in class. They are self-taught und quite often unclear about the purposes of teaching that subject (Stevick 2017: 221). Despite the wide range of courses, we are also aware that only a small percentage of the teaching profession students are exposed to the topic Holocaust. In the area of teacher training, we focus in particular on the subjects of history, citizenship education, German language education, and religious and ethical issues. In consideration of the challenges of learning in the 21st century, we have put a digital focus in Munich on the confrontation with survivors of the Holocaust. As a central issue in teaching and research, we focus on the extent to which digitalization changes the transmission of testimonies and their reception. This applies both to oral history interviews, which are available in digital form, and to new and remixed forms of media testimony, such as those placed on social media. At the same time, we also consider the topography of Munich and its surroundings, which has played an
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important role for Nazi ideology as the “capital of the movement”. The Dachau concentration camp memorial site with its satellite camps and the documentation centre are just two examples. With the institution of the Munich Documentation Centre for the History of National Socialism, the perspective of the perpetrators also becomes virulent and relevant, which is also taken into account (https://www. ns-dokuzentrum-muenchen.de/en/home/ [19.09.2019]. Our inter- and transdisciplinary oriented teaching and research led us to interactive 3D testimonies. In such forms of transmission of testimony, we see important questions bundled, which we deal with in Munich and which have an impact on teaching and learning about the Holocaust. The questions that arise evolve around two issues: Questions of agency are to be asked, to explain intentions, responsibilities and choices. Furthermore, the institutions which develop such testimonies, promote their dissemination and thus shape the culture of remembrance are important. • • • •
Which institutions develop such forms of testimony? What role do Holocaust survivors play? What ethical issues are touched concerning originality and authenticity? What is the specific of this media form compared with other engaging performances?
In addition, the question of reception in times of digitization must be posed. In particular, the technical innovation must be taken into account, which gives the testimonies a certain temporality. Therefore, the question of the source value of the testimonies must always be reflected upon and, if necessary, enriched with other forms of tradition. • • • •
(How) can people connect and interact with the testimony? What skills do lecturers and teachers need to teach with this form of testimony? What effects does it have on learning about the Holocaust? How can this media form be combined with other sources?
To answer these questions, we started to develop German-language testimonies. Our goal is to enrich an understanding of the media nature of the testimonies and their reception. In relation with other forms of active learning of history, we want to create a theoretical framework for dealing with the testimonies of Holocaust survivors in the digital age.
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Anja Ballis and Markus Gloe
3
The Munich Project – Interactive 3D testimonies meets design-based research
3.1
A methodological framework
For the Munich project, the design-based research approach sets the methodological framework for development and research activities of interactive German-language 3D testimonies. This is mainly because the technical innovation of interactive testimonies has an effect on teaching and learning about the Holocaust: testimonies of Holocaust survivors are digitized, presented in 3D and in this way made accessible interactively. These testimonies are produced to be used in schools and university, museums and at memorial sites. The project is being developed by us, scientists, in close cooperation with partners from the educational and memorial work. We were also in close contact with Abba Naor (Naor 2014) and Eva Umlauf (Umlauf 2016), the two Holocaust survivors on whose stories the project is based on. Taking into consideration these correlations of diverse interests and actors, the methodology of design-based research seemed helpful to initiate, develop and critically reflect the production of interactive 3D testimonies of two Holocaust survivors as well as the possible implementation of interactive 3D testimonies in educational contexts. The approach of design-based research emphasizes the relevance of the process of designing both for research and for practice. Plomp (2009) presents the following definition: “As stated educational design research is the systematic study of designing, developing and evaluating educational interventions (such as programs, teaching-learning strategies and materials, products and systems) as solutions for complex problems in educational practice, which also aims at advancing our knowledge about the characteristics of these interventions and the processes of designing and developing them” (Plomp 2009: 14).
According to this definition, “design” is quite important for this methodology: it is part of the research process, becomes central for the learning activities and serves as a source for developing theories. Design is embedded in the development of educational interventions and in the research process (Reinmann 2005). It also has to be stressed that design-based research is more a framework than an unified methodology; it summarizes a group of approaches which are based on the idea that the design and implementation of an educational innovation is a way to gain insight into the nature and conditions of learning (Richter/Allert 2017: 2). For the Munich project, the methodology serves as a framework in which other methodologies of social science and subject matter education, e. g. German, history,
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political sicence, can be integrated. We make special use of Grounded Theory which focuses on the social actors and their daily practice for the purpose of developing a theory based on empirical evidence (Strauss/Corbin 1999: 7–9). Its aim is not to further develop the existing “theories of great men” (Glaser/Strauss 2010: 27), but to discover new theoretical concepts. Theoretical sampling is central to the Grounded Theory: Data is simultaneously collected, coded and analysed. Subsequently, the researcher decides which data needs to be collected next and where it can be found (Strauss/Corbin 1999). Accordingly, data collection, analysis and theory interact in a dynamic process. Since we ourselves are involved as actors in this project, we also follow a reflexive approach in order to critically question our own actions (Breuer et al. 2017). An important goal of design-based research is to solve real-world problems in educational practice with special focus on media “innovations”. Closely linked to this is the goal of developing theories based on the educational problems which are embedded in a learning context and are usable in practice; in addition scientific knowledge for learning and teaching increases. From a research perspective there are goals that emerge in the course of the design and research process (Reinmann 2005); Reichertz coined the term “abduction” for these often unexpected and new insights and findings, which appear to researchers like a “flash of genius” (Reichertz 2013). This form of conclusion is not only knowledge-applying, but also knowledge-expanding. Abduction is always required in the research process when something incomprehensible is found in the collected data that cannot be explained with the previous rules and theories. New ideas are formulated that may be somewhat daring and by no means compelling. Especially in today’s times, which are characterized by manifold upheavals, such forms of gaining knowledge are necessary. Regarding our goals of teacher education in Munich, important questions can be addressed with the design-based research approach, integrating a critical and reflective perspective (Richter/Allert 2017: 11): The central goal is to find appropriate technical ways to integrate survivors’ individual stories in teaching and learning about the Holocaust for the next two decades. We consciously choose this period because we assume that the process of technical development will produce further media forms in 20 years at the latest. Therefore, we – on the one hand side – reflect the process of producing the interactive 3D testimonies by asking questions: what kind of outcomes do we expect? And are those outcomes desirable? Furthermore, what can and should be done to integrate individual stories of Holocaust survivors in teaching and learning? On the other hand, we are able to systematically shape the process of how the testimonies were produced and which mechanisms of power were affected. In addition, context conditions are kept in mind, e. g. the teaching and learning about the Holocaust in Germany with particular emphasis
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on coping with its difficult past; as it is essential to reflect on how the testimonies of the victims shape the discourse and practices of memory in the former country of the perpetrators. This also applies to the question of the significance of language for the confrontation with the Holocaust (Bajohr/Löw 2015). What does it mean when specific forms of testimonies of the Holocaust are only available in English? At this point, the scope of the design-based approach must be critically reflected. Up to now, it is vague to what extent this approach is established as an independent research program within the social science research community. From a methodological point of view, little is known about how additional quantitative and qualitative methods can fit into the framework. There is no decision yet on the role of subjective theories and abductive themes in action-oriented approaches (Moser 2017: 48). Obviously, design-based research holds some risks for us in working in a highly moral field like Holocaust education. At the beginning of the process it is not possible to completely rationalise and explain what this product will be; we cannot define the outcome precisely since we only have a few role models in English language. The form of the interactive 3D testimonies in German language and its effects on learning in school and university classes have to emerge during the process. These new forms of memory work and relations in dealing with testimonies of individual Holocaust survivors are generated during the process and visible at the end of the production (Allert 2018). It takes a lot of trust on the part of those involved to carry out the project.
3.2
Iterative cycles of the project
An essential feature of design-based research is its development in iterative cycles which promotes the reflective, critical, and long-term foundation of such research. Various suggestions have been made on how iteration can be integrated in the process. Some authors point out different phases like analysing, prototyping, testing and evaluation. Others add the re-design as a further phase or integrate a phase of implementation separately (Reinmann 2017). Two process models are briefly sketched as they highly influenced the Munich project: Amiel and Reeves (2008) shaped the process in a linear way. The process begins with the negotiation of research goals between practitioners and researchers. Next, a design for the learning environment is proposed. This design could be a new set of strategies or it could be based on research gathered from previously tested design principles. In recognizing the complexity of interactions that occur in real-world environments and the contextual limitations of proposed designs, the development of design principles will undergo a series of testing and refinement cycles. This is followed by scientific
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monitoring with data collection and evaluation. Based on these results, a set of design principles or guidelines are derived empirically and described in depth, which then can be implemented by others interested in doing similar projects (Amiel/Reeves 2008: 35; McKenney/Reeves 2012). In the second model the process is designed in a more circular way. Euler (2014) proposes a six-phase model representing a circle: Firstly, the researchers specify the problem in close cooperation with people of practice. Then they evaluate the literature and experiences and create a theoretical frame of reference. Afterwards, the researchers develop prototypes and therefore settle and refine the design. The next step is dedicated to testing and evaluating in order to establish generalizable design principles. If necessary, (re-)design will be undertaken which means that the process will be repeated until the intervention has reached a degree of maturity that allows us summative evaluation and then, if necessary, to specify a problem again. All phases require cooperation between science and practice (Euler 2014: 20). Based on these two models, a “two-circle”-model with linear components was designed for the Munich project that takes up the dual orientation, more precisely the development of the testimonies with guidelines of producing such forms of memory on the one hand and the reception of the testimonies in education and its effects on teaching and learning about the Holocaust on the other hand. The complexity of the technical development of interactive 3D testimonies and their close connection to teacher training might cause the two branches of the design to lead to the shaping of theories on Holocaust Education in the 21st century.
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Fig. 1
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Two-circle-model with linear components of the Munich project
The first step of the project (1) is to specify the problem. As already mentioned before, we focus on technical ways to integrate survivors’ individual stories in teaching and learning about the Holocaust for the next two decades. If the survivors passed away who will tell their stories? And how should their stories be integrated in educational concepts? Answers to these questions are manifold: Some researches argue that the story should come to a natural end and the survivors should rest in peace and not “live forever”, being present as “digital ghosts” (Brumlik 2015; Kansteiner 2017); existing sources and recordings, such as video testimonies, should be used instead. Another answer is given by institutions like the USC Shoah Foundation and the Forever Holding. They intend to capture the testimonies in an interactive way to use them in museums. In addition, ethical issues are of concern because with the captured data of the survivors, new answers can be generated. In the German-language context, learners are largely excluded from those technical innovations of the USC Shoah Foundation (US) or the Forever Holding (GB) because of language barriers. Neither survivor talks at schools nor museums nor interactions with the interactive
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3D testimonies developed so far are accessible in the context of teacher education in Germany. Discussing the issue with teachers, university staff, and memorial workers it seemed worthwhile to have German-speaking digital testimonies. From the perspective of teaching, the digital interactive testimonies are a substitute for talks with survivors in school classes; and teachers regard them as motivation for students to get involved in the topic Holocaust. We, the researchers in the project, emphasize an explorative approach in the field of digitization. Moreover, we have close personal connections with the survivors Abba Naor und Eva Umlauf who both were open-minded about the project from the very beginning. Once we had grasped the meaningfulness in theory and practice, the second step of the project (2) ensued: We went to the Great Britain and to the US for field studies. There we visited museums in New York City (USA), Skokie (USA), Laxton (GB) and Stockholm (Sweden). Of particular interest was how the visitors reacted to the testimonies; we are interested in the interaction between audience and 3D testimonies which we also experienced by ourselves. For that purpose we drew field protocols (Ballis/Gloe 2020). Moreover, we talked to and conducted interviews with those responsible at the institutions to gain a deep understanding of the technical and ethical implications, as well as of the implications of the topic. These talks and interviews were also documented by using protocol notes. We are currently working on the evaluation of these notes in order to capture the peculiarities of the pedagogical approach at the respective locations. As a basic principle, it can already be said that the testimonies are generally integrated into the museum’s programme – expected the contemporary exhibition “Speaking Memories. The Last Witnesses of the Holocaust” in the Swedish History Museum in Stockholm. The programmes differ markedly in their aims (human rights education or encounter with a survivor) and in the degree of freedom as to who may ask what questions of the representation and when. Of central importance is also the hit rate of question and answer, which can quickly lead to frustration or cheerfulness among museum visitors. These experiences are valuable for the Munich project, especially when circle 3b is used. In addition to the travel activities, the sparse literature was collected and contacts were established with researchers working in this field. These contacts include the cooperation with computer scientists at the Leibniz Supercomputing Centre of the Bavarian Academy of Sciences and Humanities in Munich. In such a way, we moved a lot in the practice field and gathered contextual knowledge. The third step is dedicated to the interventions (3). In our case this means both the development of digital interactive testimonies as well as the development of educational concepts for teaching and learning. Young people between 16 and 25 years of age had been identified as the target group for these activities as this would allow both school learners and university students to learn with the kind of media
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developed. This is a way of looking at the phase of youth. We are well aware that this phase will expand over the next few years and should be extended to the age of 30 (Hurrelmann/Quenzel 2016: 17). In this third step, two iterative cycles are located which are in parts intertwined: The first circle (3a) deals with the development of questions and the setting for filming. Here we made use of an explorative access. By this, we mean that we had to bow to technical development and could partly implement our ideas. This approach is therefore rather explorative, because the criteria have been largely adopted by the Forever Holding; their criteria are mainly based on experience and only in part empirically verified. Nevertheless, we created our own ideas within the framework, which in particular related to the generation of the questions as the filming conditions were fixed and mainly not negotiable. Abba Naor and Eva Umlauf are well known in Munich, so students in the Munich area were asked to write down their questions to survivors. About 500 questions were collected in this way. Since we accompanied both persons to school classes and to readings, here questions could also be noted (Ballis 2019). In addition, Abba Naor and Eva Umlauf published their memories so that life after 1945 could also be documented (Naor 2014; Umlauf 2016). From this source questions were also derived. And last but not least questions were raised by evaluating literature (e. g. Horsky 1988; Levi 2003) and internet forums. This catalogue of questions developed in this way was examined by ten experts from various disciplines. In such manner, we were able to enrich the ideas of the Forever Holding; together with them, we discussed further questions based on their experiences in filming in the UK. Going back and forth, we finally agreed on a catalogue of 2.000 questions, which was the basis for the filming (Ballis et al. 2019). To sum up, the design principles of the question generation have a topical focus: The history of persecution and suffering of Abba Naor und Eva Umlauf, but also their lives before and after the Holocaust are of special interest. Furthermore, attention was given to the questions of today’s students. Currently we are going through the proofing phase of this first circle and are testing the questions: on the one hand, test persons are called in and interact with the presentations of Abba Naor und Eva Umlauf; on the other hand, the questions which were asked in the studio are systematically varied on the basis of linguistic knowledge (Ballis et al. 2019). Closely connected with these activities is the second circle (3b) where the reception of the interactive testimonies is discussed in greater detail. At present, this phase is still under construction; however, we are looking at learners and prospective teachers whose reception patterns are to be surveyed in a mixed method design with quantitative (questionnaire, question analysis) and qualitative methods (field observation, interviews).
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In addition, the interplay with other sources of the Holocaust is initiated in order not to isolate the testimonies but to integrate them in educational work. The main question will be which effect can be achieved with interactive 3D testimonies in the media network. In a class taught at the University of Munich in summer 2019 we gained our first impressions of students being confronted with those forms of memory; especially, the setting of the filming – the chair, the background and the atmosphere – was of special concern. Moreover, we talked with media and Holocaust experts in that particular field and analysed parts of the filming (June/July 2019). Continuously, the first circle has to be enriched and evaluated in order to allow a stable use of the interactive dimension of the testimonies; this leads into intersections with the second circle, because the technical side of the project strongly determines the recipients’ perception. The interaction and perception has vice versa an impact on the presentation of the testimonies. Therefore, we will be tracking the issues of the second circle. Since the development of testimonies is dedicated to certain technical principles, these should be taken into account in the educational concept. Therefore, the project will be assessed in a summative evaluation (4) once both cycles have been completed. The result of this evaluation is open: either there are possibilities to integrate the testimonies into the educational work and derive theoretical findings for learning (5a); or they do not contribute to a commemoration work in the 21st century and won’t be used in the field of practice. The data will be archived at the Leibniz Supercomputing Centre of the Bavarian Academy of Sciences and Humanities and accessible for further research (5b).
3.3
Intermediate conclusion and a self positioning
Since February 2018 we have been working on the development of digital testimonies in the Munich project. If we – in summer 2019 – critically assess this process, the following points are particularly worth mentioning: The project is characterized by a tremendous dynamic that motivates activities and binds energies in equal parts. As a matter of fact, it is not easy to integrate all actors from practice and science. Therefore, many decisions had to be made ad hoc. On some issues, such as filming, we had limited influence. It should also be mentioned that the production of interactive 3D testimonies requires a certain amount of financial resources. In such a way, after comparing methods and means of the two institutions, we actually had no choice and had to collaborate with the Forever Holding (GB). It is interesting to note that the project is – in science as well as in public – mainly discussed and judged on the technical side. The technical side of the project and the
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thematic implications for Holocaust Education are in a competitive relationship where currently the technical side dominates. These far-reaching experiences in the field of digitization occupy and challenge our self-concept as researchers. In addition, we work with partners who have very different practical understandings: One is the Forever Holding (GB); it develops technical formats for Holocaust and science museums; this is connected with the fact that it grants survivors – as common in the Anglo-Saxon region – a central role for the mediation of the Holocaust. Besides we are partners of schools and memorial sites in Germany who have special interests and are quite often not used to collaborate with each other. The presentation of the testimonies at the University of Munich proved to be motivating: Here we could get into discussions at the Leibniz Supercomputing Centre of the Bavarian Academy of Sciences and Humanities (www.lrz.de [19.09.2019]) and we do meet students willing to explore the testimonies critically and with curiosity. There are many critiques in Germany who argue on this project. In many cases their objections cannot be dismissed. The fact that we nevertheless dare to undertake this venture is justified by our point of view as researchers. Access to the data of Forever Holding and the USC Shoah Foundation is limited and often neglected to keep companies’ secrets; in order to record the impact of such testimonies, a comprehensive database is required; we have created this data base and now we have access to it – with all the advantages and disadvantages included. In addition, the debate about testimonies in times of digitization attracts us, which also needs to be explored in combination with other media forms. The creative activity connected with the production of testimonies has a fascinating and enriching effect on the research process. And finally, information about Abba Naor and Eva Umlauf could be captured in a sustainable way, which now supplement the traditional sources of the two Holocaust survivors. It is not always easy for us as researchers to maintain the balance between development and research. Sometimes we very strongly identify with the project and cannot argue in a critical way. The reflective research approach helps us to question our own role and to act as a border crosser between science and everyday life.
4
An outlook with many unanswered questions – Between authenticity and algorithm
As already mentioned at the beginning, an area of tension has also opened up in the course of the project so far: This ranges from the desire for an authentic experience in talking with a survivor to the highly automated and independent phenomenon
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of the algorithm, as it can be found in the matching of questions and answers. Thus, the project fits into the larger context of visualization and machine learning. As the example of reenactment mentioned at the beginning shows, visualization and digitization are also associated with a performative representation. Nowadays, visualizations are often used in educational contexts, politics and pop culture. The fact that the Jean-Luc Mélenchon, the French left-wing presidential candidate, was seen six times on screen as a hologram during the French election campaign in 2017 has been documented many times in the press. In Asia, there are amusement parks in which holograms are used for guidance and entertainment. In Japan, Hatsune Miko is quite famous: She is a software that appears on stage as a “vocaloid,” an artificial singer, at concerts as a 3D projection. Meanwhile she accompanies stars like Madonna at their concerts; her repertoire is growing continuously because it is an open source software for which everyone can write songs for (www.stern.de/kultur/musik/japan--von-manga-maedchen-und-singenden-hologrammen-8549272.html [19.09.2019]). Even though the interactive 3D testimonies presented here are not holograms in the strict sense, but stereoscopic film recordings, they can be located in the context of visualization. History and its mediation are increasingly characterized by images which shape the perception of ourselves. Such visual phenomena must be taken into account when the interactive 3D testimonies encounter students. This is accompanied by the ability to distinguish an authentic experience and the kind of encounter that takes place between man and machine (Ballis/Gloe 2020). It is also unclear to us whether this boundary line can still be drawn; we have to re-visit authenticity in times of visualization and digitization (Heyl 2019: 172). A way could be to emphasize responsibility instead of authenticity. Which visualizations and learning environments enable people to take responsibility for their own and for the next generation? The Holocaust survivors gave a 3D testimony, hoping to make the world better. But the testimonies do need a mentorship of responsibility to make them accessible and to unlock the messages included. We should not run the risk of people stepping away from this responsibility of mentorship because of enhanced technology (Turkle 2016: 322). The responsibility we are talking about here does not relate to a historical confrontation with the Holocaust. Rather, it is understood more broadly in the world of the digital: It is the responsibility for freedom, which will enable people to live self-determined and free in a democratic and peaceful world. To achieve this, the individuals must commit themselves to freedom. Freedom comes along with orientation on values and decision-making. These abilities are too often taken away from us by machines fed with our preferences (Welzer 2016: 226). Responsibility for the life in society substitutes the desire for authenticity in talking to Abba’s and Eva’s interactive 3D
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testimonies. Such a framing of the learning process concludes a reflection on the perception of media as well as a historical critique of sources. With regard to the interactive component of the interactive 3D testimonies, we face the challenge of machine learning. Here we are at the point where we might lose control, responsibility and freedom to the machine. The algorithm of speech recognition must be described as precisely as possible, so that it becomes clear where the survivor’s answer turns away from the question asked in the studio. The question for us is whether the algorithm can become an agent in our interface. We have to find out at which point the assignment of question and answer carried out by humans is indispensable. When we talk about algorithms in the field of digital speech recognition, the ideas of deep learning and neural networks have to be considered. In deep learning it depends on the training data and the parameter the computer has to learn to distinguish the data. In our project the basic data sets are determined at the beginning; no one knows exactly what then happens in the further course, according to which criteria the computer distinguishes from now on. Neural networks consist of different layers; those that are frequently used are called deep and are automatically calculated by deep learning (www.dbs.ifi.lmu.de/Lehre/MaschLernen/SS2019/ lecture/03_DeepLearning.pdf [19.09.2019]). These parameters are changeable with weights and/or learning rate. At the end there is a value of probabilitiy which then leads to generalization (www.dbs.ifi.lmu.de/Lehre/MaschLernen/SS2019/ lecture/02_NeuralNetworks.pdf [19.09.2019]). Currently we are involved in this process of deep learning; people determine whether the matching of questions and answers is suitable. The criteria applied here refer both to the questions asked in the studio and to the meaningfulness of the answers. However, the process of speech recognition must be critically reflected at this point, especially when it comes to forgetting by the machine. Which answers are not used and thus automatically sorted out? At the same time, we should keep in mind that language is learned through routines; phrases are central for managing communicative situations. We should critically review one-sided, deficient attributions of speech recognition. Important questions of the digital age appear on the horizon: What do we understand by communication? What roles do conversations play for teaching and learning processes that take place between man and machine? And what influence can algorithm have on our thoughts and actions heading for mentorship of responsibility?
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Anja Ballis and Markus Gloe
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Creating the Nex Generation of “Witnesses” My Journey through the Field of Holocaust EducationMy journey through the field of Holocaust education David Marshall
Abstract
The article shows how Holocaust education is not limited to just teaching the history of the Holocaust. Not only did many students receive a sugar-coated version of history but many teachers had neglected the variety of Holocaust education, whether that be art, film, literature or music. Marshall writes about the journey of his approach to make students “witnesses”. Not only teaching the history but then having the students actively choose how to reflect and think about how to do their part to change the contemporary world. That could result in a song, volunteering at a veterans’ home or Holocaust center, a painting, interview projects or a research paper. At the end of the semester, students felt strongly about doing good and accomplishing positive outcomes for society, making sure the Holocaust never happens again. Zusammenfassung
Der Artikel zeigt, dass Holocaust Education nicht nur auf den geschichtlichen Aspekt beschränkt ist. Viele Studierende erhielten nicht nur eine beschönigende Version der Geschichte, sondern viele Lehrerinnen und Lehrer vernachlässigten die Vielfalt der Medien in der Holocaust Education, sei es Kunst, Film, Literatur oder Musik. Marshall skizziert seinen Ansatz, Studierende zu „Zeugen“ zu machen. Er lehrt nicht nur die geschichtlichen Fakten, sondern lässt die Studierenden auch aktiv entscheiden, welchen Beitrag zur Veränderung der heutigen Welt sie aufgrund von Reflexion und kritischem Denken leisten können. Dies kann zu kreativen Aktivitäten führen, zu freiwilligem Engagement
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Gloe und A. Ballis (Hrsg.), Holocaust Education Revisited, Holocaust Education – Historisches Lernen – Menschenrechtsbildung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24207-7_22
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David Marshall
in einem Veteranenheim oder einem Holocaust-Zentrum, zum Malen eines Gemäldes, zur Durchführung eines Interviewprojektes oder zu einer eigenen Forschungsarbeit. Am Ende des Semesters haben die Studierenden ein starkes Interesse daran, Gutes zu tun und positive Ergebnisse für die Gesellschaft zu erzielen, um sicherzustellen, dass der Holocaust nie wieder vorkommt.
In 2012, during a program review that involved extensive conversations about the future of the history discipline at Suffolk County Community College where I teach, I raised a question regarding Humanities 111 (HUM111), the course my college offers on the Holocaust. HUM 111 is not a history class; it is instead part of the humanities options available to the students fulfilling their general education requirements during their first two years of American undergraduate studies. The class is taught in the English/Humanities Department, which at the time had bothered me, because I wanted this course to become part of the history program. Had I been successful, our program would have gained an extra transferable course for our students; in addition, I felt the Holocaust was a subject best suited for historians to teach. A variety of factors caused me to lose this fight, which is fortunate because in the past several years my approach to teaching the Holocaust has become more effective. I now teach this topic in a more interdisciplinary way. Above all I push the students to see themselves as the next generation of “witnesses”, so that they are not only learning about the history of the Holocaust, but are also exploring a variety of approaches to this topic – including art, literature and music – so that when they leave my classroom they can use the lessons of the course to help improve the contemporary world. In my opinion, this is the most effective way to teach this subject, and by doing so it enables the Holocaust to remain relevant for the 21st century and beyond, and provide lessons that will hopefully prevent this nightmare from happening ever again. Suffolk County Community College is a “community college”, which means the school is designed to serve the entire community in Suffolk County, New York. Admission is open to almost everyone. Even those students who would not normally qualify for a four-year institution are given the opportunity to enroll in classes and improve their lives. A large percentage of our students, especially on the Brentwood Campus where I teach, are drawn from so-called underprivileged backgrounds. Many are the first in their families to enter higher education. If they succeed in at our college – which is our goal for every one of them – they can transfer to a four-year university or at least use the skills they acquire to increase their options
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in the working world. Students take a variety of classes, especially if they enroll in the general studies program, part of which requires at least one-two courses in the Humanities. HUM 111 is one of several electives available to the students and almost every student enrolling in the course wants to learn about the Holocaust. While they might have had some exposure to this subject in high school, most of them possess only a rudimentary understanding of what happened during that time and are therefore learning about these events in detail often the first time in their lives. They are often an idealistic group of young people, who want to better their world and have proven receptive to my mission to transform them into the next generation of witnesses (For more information about the college, please see https://www.sunysuffolk.edu/ [19.09.2019]). To create witnesses, is it therefore sufficient to teach the Holocaust as history, which was my initial approach to the subject? Using history at least helps students address why the Holocaust happened by providing them a wealth of information including a variety of accounts of this time, ranging from perpetrators, to victims to bystanders. Students at all levels within the university should never exhaust the available historical research topics. In their upper-division courses, taken during their third and fourth years of college, students can begin to address the historiography of the Holocaust and learn about the major historical debates on this topic that have happened since 1945. Obviously as a historian, I find these debates fascinating and enjoy sharing them with my students. These are compelling reasons to teach the Holocaust as history, which I found satisfying during the first few semesters I taught the course. I was first offered a section of HUM 111 in Spring Semester 2010, and given the opportunity to teach honors-level students interested in the Holocaust. The books on the reading list should demonstrate my interests in the history of this subject. There were survivors’ accounts plus some of the standard Holocaust historiography, including Christopher Browning’s Ordinary Men: Reserve Police Battalion 101 and the Final Solution in Poland and Richard Evans’ Lying About Hitler: History, Holocaust and the David Irving Trial. Students concluded the course by reading Haing Ngor and Roger Warner, Survival in the Killing Fields, which though about Cambodia, was also a work of history. In class the students were allowed to use film as source material for some assignments: however, the overall focus of the semester, including lectures and discussions, was on history. Student response back then was positive, and I saw no reason to make any changes during the next couple years (Marshall, HUM 111 syllabus, Spring 2010, Unpublished manuscript). Because of my lack of experience teaching this class back in 2010, I almost immediately began participating in conferences on the subject, the first two of which were at Middle Tennessee State University (MTSU). These are international
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conferences that attract serious scholars and teachers from all over the world. I attended in 2009 and 2011, mainly to introduce myself to various approaches to teaching the Holocaust and network with fellow teachers and scholars. During my first visit, I learned about the concept of “creating the next generation of witnesses”, a main theme of the conference. Each generation, starting with the actual survivors of the Holocaust, must pass the torch to the next. This is essentially a mission that links the survivors, to their children, and then to me, my students, and everyone who follows them. Successive generations of witnesses would emerge to continue spreading the message of the Holocaust and its consequences. This was a powerful message, which the conference organizers enhanced by providing each attendee with a wealth of great material. Everyone received a variety of DVDs with survivor interviews, along with written survivor testimonies and a short work on how the Holocaust has been treated through comic books in the 20th and 21st centuries. Little did I know that all this information would eventually influence my teaching and transform my course into something much stronger (For more information on the Middle Tennessee State University Holocaust Conferences please see http:// www.mtsu.edu/holocaust_studies/conference.php [19.09.2019]). I hit a roadblock in Fall Semester 2011 for reasons that affect both those who teach and enroll in a holocaust course. The subject is very emotional and in some ways more painful than the other topics I teach. Indeed it has always been difficult for me to construct an emotional barrier against this subject whenever I teach it to the students. Weeks of confronting humanity at its most vile would take a toll, which should not have surprised me, given an earlier experience visiting concentration camps. My first visit to a concentration camp in 2001, when I toured Sachsenhausen during my dissertation research also resulted in some nightmares. It wasn’t the camp itself that triggered me; it was instead the whole idea of spending time in a concentration camp that was traumatic. My mood soured further after exiting the camp and passing a stand that served Wurst and Bier. The idea of eating and drinking after having visited a concentration camp was so repulsive to me; apparently, I had not worked through these emotions when I began to teach the course nine years later. After two consecutive semesters of presenting material to students about ghettos, gas chambers, genocide and overall evil, I needed a break from HUM 111. Although I was unwilling to give up the class completely, teaching the subject once a year instead of once a semester was better for my mental health, which is why my new self-imposed limit continued for the next two years. Other than some of the films shown in class, not much changed in my courses between Fall Semesters 2011 and 2012. Everything seemed just fine. By Fall Semester 2013 I had worked through at least some of the trauma related to teaching the Holocaust and felt not only ready to again teach it once per semester, but also offer
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some general, non-honors sections of the course, reach more students and work on creating a larger number of witnesses. The reading list needed to be altered somewhat, leading me to assign Doris Bergen’s War and Genocide: A Concise History of the Holocaust and Norman Naimark’s Stalin’s Genocides. The use of films as source material continued and the readings, assignments and lectures remained mostly focused on the history of this topic (Marshall syllabi for HUM 111, Fall 2011, Fall 2012 and Fall 2013; Unpublished manuscripts). The process of changing my course accelerated in Fall 2014 when I was accepted to participate in a German Studies Association (GSA) seminar on teaching the Holocaust in the 21st century. GSA seminars extend beyond the traditional panel discussion because they expect more than just the delivery of a paper from the participants. One writes a paper and submits it to the entire group at least a month before the start of the seminar. In addition, each person must contribute a common reading. A discussion would last approximately two hours per day and the seminar would stretch the entire three days of the conference. Our seminar was interdisciplinary, consisting of a few historians, plus several teachers of German Studies and Literature. The group’s leadership provided a variety of excellent teaching resources, ranging from articles on the art, movies and literature of the Holocaust, to a collection of fact sheets designed to help instructors teach the Holocaust in the 21st century (Brady/Hughes 2006; Lecomte 2001). Discussions were lively and productive, and time passed easily in what was overall an excellent seminar (https://www.thegsa. org/sites/default/files/GSA_program_14.pdf [19.09.2019]). One of the most important benefits of this seminar was that I could finally meet and interact with professionals in other fields who were also teaching the Holocaust. Our discussions left me with eyes wide open to other means of how to create the next generation of witnesses. Reaching all my students would require a diverse set of approaches, for example, the use of art, literature and music along with history to help demonstrate the overwhelming significance of the Holocaust. If visiting a concentration camp for the first time had such a powerful impact on me, someone with years of experience, I could only imagine how overwhelming the material would be for my students. They would need to be able to draw on a variety of sources to not only learn the material, but also to work through their emotions and express their feelings about this subject. Only then could they become real witnesses and carry the torch to the next generation. I therefore had to end the mostly exclusive focus on the Holocaust as history and work hard to reboot my course as something much more interdisciplinary (Horn 2004). In April 2015 I attended a conference in Krakow on how to teach the Holocaust in the 21st century. This was my first opportunity to not only develop what I had learned the previous fall at the GSA, but also to present my ideas in front of a Eu-
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ropean audience. While there had been informal adjustments made to my course after the GSA seminar, anyone comparing my syllabi from Spring 2010 to Spring 2015 would not notice much of a difference. Combined with the GSA, the Krakow conference changed practically major goal I would attempt to accomplish in HUM 111. For example, I learned about the importance of requiring both “reactive” and “proactive” assignments from my students. While I had already been expecting students to choose and write about a topic of their own interest on the Holocaust and explain at the end of the course their thoughts on how to make the world a better place, the Krakow conference compelled me to fine-tune and place more emphasis on these assignments. The students needed to understand that their chosen essay topic was also their personal response to the Holocaust and that there were other options to express themselves should a research paper not prove sufficient. I also needed to emphasize the meaning of improving the contemporary world; that this is more than a simple paper to write at the end of a college course. They need to seriously reflect on how to do their parts to break the cycle of death and destruction that has plagued humanity for centuries (http://holocaustworld. ug.edu.pl/ [19.09.2019]. The major changes to the course were first introduced in Fall Semester 2015, including a stronger and more interdisciplinary reading list. Although I had assigned Art Spiegelmann’s The Complete Maus almost every semester since Spring 2010, I never placed much emphasis on anything other than using the book as an interesting example of a survivor’s story. I would now add discussion and writing assignments on thy way Spieglemann developed a unique way to represent the Holocaust. In addition, I experimented with using comics as a teaching tool (https:// holocaustvisualarchive.wordpress.com/ [19.09.2019]; Kaplan 2008). I assigned X-Men – Magneto: Testament, an origins story of a young Jewish boy named Max Eisenhhardt, the future Magneto, who had to survive life in Nazi Germany and then later at Auschwitz (Marshall, HUM 111 Fall 2015 syllabus, Unpublished manuscript). Magneto is a popular member of the X-Men franchise and familiar to most of my students, giving them the chance to read the character’s fictitious experiences during the Holocaust, appreciate the powerful graphic art in the book and compare it with other visual representations, such as the characters of Maus. Because this assignment has remained popular each semester, I attempted something even more experimental in Fall Semester 2017 and decided that graphic novels would comprise the majority of the course readings. In addition to Maus and Magneto, students read graphic novels of other genocides, including Igort’s The Ukrainian and Russian Notebooks: Life and Death under Soviet Rule, which provides a powerful look at life during the Holodomor and compares this with modern-day persecution in Russia. They finish the course by reading J. P. Stassen’s Deogratias, A
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Tale of Rwanda. Students’ response to a focus on more visual and artistic readings has been overwhelmingly positive. The most serious revision to the course involved the “reactive” assignment or how students would respond to the Holocaust. The assignment begins with a simple question. “This semester you are learning about the Holocaust. You are being confronted with some of the most horrifying stories of evil that humanity has ever seen. How do YOU wish to respond to this material?” (Marshall, HUM 111 Fall 2017 syllabus, Unpublished manuscript). I request a personal answer from each student. They must absorb and reflect on material, which should help them to develop a response to the Holocaust that is uniquely theirs. For example, is there a relevant topic they wish to explore in greater depth? If so, then students are permitted to research a variety of topics, which have included various individuals from this period – Joseph Mengele has been a popular choice over the years; the concentration camps; Holocaust denial – another popular topic; and additional examples of humanity at its most horrific, such as the experiences of Native Americans, Cambodia (the Killing Fields), the Armenian genocide in the early 20th century and the fate of the Ukrainians during the Holodomar. Students not wishing to research a paper topic are permitted and even encouraged to draw or paint their responses to the Holocaust. Those choosing this option have produced a variety of conceptual paintings, including the fate of children, the bystanders to the Holocaust or the whole world in flames. Some students have drawn me a series of cartoons to conceptualize their response to the material, while other students have written short fiction about the Holocaust. When the above options failed to interest them, I encouraged and permitted service-learning projects. Students would need to volunteer somewhere, for example at a veterans’ home or one of Long Island’s nearby holocaust centers. Their objective would be to work at a chosen location during the semester and write a paper based upon their reflections of the overall experience. Other students have been curious about how their local community understands this topic, which led them to develop unique interview projects consisting of a variety of questions and then interact with friends and neighbors. At the end of the semester, they would present me their thoughts and findings through a reflective paper. Last but not least, when all other options were not acceptable, one student wrote a song. He was a musician and wanted to compose some music based upon his feelings about the Holocaust. Initially, I was hesitant to permit this project, mainly because I am not trained to professionally evaluate music. Fortunately, his song clearly followed the written guide he provided me, and the project became one of my favorites from over the years. It was a piece of music that effectively captured his feelings about the Holocaust and was one of the most enjoyable projects I have ever received.
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My final significant change was influenced by the 2014 GSA Seminar and involves both the proactive assignment and my attempt to properly conclude a course on the Holocaust. Determining the beginning of the Holocaust story is challenging; choosing a proper conclusion could be more difficult, as no one should ever finish the course with the year 1945. Part of the discussion at the seminar focused on a so-called happy ending, which some of the German colleagues felt was a very American approach to the subject. While I have no idea if the way I finish the class is uniquely American, I feel that finding some sort of happy or at least hopeful ending is the most effective final statement to my students each semester and a suitable way to finish the material. Our world has a population of seven billion people, with no signs of this growth slowing anytime soon. There is a climate crisis that is probably more frightening than what most of us realize. In addition, one could argue that the American decision to invade Afghanistan back in 2001 has expanded into a war that has blown up most of the Middle East, spread into Africa, impacted Europe and North America with deadly consequences and brought the world to the brink of World War III. If that isn’t enough to depress most people, the following should. Up until 2016, I thought the post-1945 safeguards that have been guiding international relations could prevent a disaster on the scale of the Holocaust. Since 2016, this order has been collapsing. Add in potential conflicts with North Korea, Iran and other hot spots and it becomes difficult not to conclude that the world is experiencing a crisis that could easily blow up into something more devastating and usher in a new holocaust. Teaching the Holocaust in this current era means grappling with an extremely emotional subject that provokes a variety of powerful responses in both the teachers and students who are living through a present day that is clearly miserable. 15 weeks of examining humanity at its worst, takes a huge toll, which is why in the last week or two, the class’ faith in humanity must be restored. Each semester it is crystal clear that my students in their high schools had often received a sugar-coated version of past and were rarely exposed to the depths of ugliness that lay behind a considerable amount of history. They then enter my course and are faced with one of the most powerful and emotional subjects they have ever encountered. While no one has ever been brought to tears by the material they learn, the pain and sadness and sometimes anger and rage are often crystal clear in the eyes. I often feel terrible seeing how the material pushes the students to the edge of despair, which is why I try to bring them back at the end and close with a message on how simple actions can and will make the world a better place. We close the course by watching Paper Clips, an inspiring film about teaching tolerance and respect, about responding to hatred, about trying to make a difference in this world. This film presents the story of the students of Whitwell Middle School
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in Whitwell Tennessee, who wish to respond in some way to the Holocaust. They decided to build a memorial at their school to the victims. After having learned that a paper clip was used as a sign of resistance to the Germans occupying Norway during the Second World War, the students hope to gather as many of these as they possibly can, with each paper clip representing one of the victims of the Holocaust. The project is modest at its beginning, but snowballs once two German journalists learn of and publicize the efforts of the students. As word spreads across the United States and eventually Germany, people become inspired to contribute paper clips to the students. Letters from children all over the world, along with the paper clips arrive in Whitwell and in the end, the students collect more the 25 million. They then search across Germany for a train car that had been used to transport the victims to the camps; this car is brought to Whitwell and transformed into a memorial that will house 11 million of the paper clips. Six million are for the Jewish victims of the Holocaust, while the other five represent the other groups who were murdered. This memorial is to help current and future generations remember the Holocaust and teach people to be more accepting and tolerant of others, so that we can finally make the world a better place! My students are generally happier after having seen this film. Of course, they are expected to do more than just view Paper Clips. While I don’t require any monuments to the Holocaust to appear on my college campus anytime soon – but would be thrilled to be proven wrong should one ever be constructed – my students need to do something…anything to make the world a better place. Theirs is the generation that is inheriting a huge mess left by previous ones; and it will, unfortunately, be up to them to repair the damage that has been done. They have seen humanity at its worst; they have been exposed to a variety of approaches to understanding the Holocaust; they have had the chance to respond to the Holocaust. Now they must do something. Many of my students are not as aware of the world’s problems as they should be. They don’t vote regularly, if at all. Their worldviews are often provincial. This must stop. Anything that they can do to improve their communities, to spread awareness of what is right and wrong with this world, to teach others about the past and present, to even becoming informed citizens and voting regularly, will help improve this world. I stress that passive citizens enable crimes to be committed in their names, while active citizens prevent these wrongs. None of my students could fix everything wrong with this world; however, if each of them does something, ideally regularly, to improve their part of the world, and spreads their thoughts, hopes and dreams, the road to a better tomorrow begins. Thinking about their actions clearly, incorporating everything they have learned during the semester, and transforming their knowledge into actions is their final exam and my last chance at turning them into the next generation of witnesses.
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From what I have read in the exams, a strong majority of the students leave the class wanting to accomplish real positive outcomes in this world, so that the cycle of human horrors is finally broken.
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Traumatisierendes oder allgemeinbildendes Lernangebot? Holocaust Education in der Grundschule Heike Wolter
Zusammenfassung
Die Behandlung des Holocaust in der Grundschule wird bereits seit Jahrzehnten immer wieder diskutiert. Während Kritiker vor allem die Überforderung der Kinder und ihre Verletzlichkeit als mögliche Risiken sehen und den besonderen Schutz der Primarschülerinnen und -schüler anführen, weisen die Befürworterinnen und Befürworter auf die ungelenkte Konfrontation außerhalb der Schule hin. Die Erfahrungen der Kinder beruhten vor allem auf medialen Darstellungen des Themas. Eine Aufarbeitung, u. a. zur Einordnung des Gehörten und Gesehenen, ist daher notwendig, da es sonst zu Verkürzung und somit möglichen Verfälschung der komplexen Thematik kommt. Dieser Vorwurf richtet sich gegen eine Thematisierung in der Grundschule. Im europäischen und insbesondere deutschsprachigen Raum gehört die Zeit des Nationalsozialismus und des Holocaust wesentlich zur Zeitgeschichte und sollte daher in der Grundschule nicht ausgeklammert werden, da auch hier „Zeit und Wandel“ Teil des Curriculums ist. Des Weiteren ist die Behandlung des Holocaust im Grundschulbereich auch Erziehung zu verantwortungsvoller gesellschaftlicher und demokratischer Teilhabe. Abstract
The treatment of the Holocaust in primary schools has been discussed for decades. While critics see above all the overburdening of children and their vulnerability as possible risks and cite the special protection of primary school students, advocates point to the unguided confrontation outside school. The
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Gloe und A. Ballis (Hrsg.), Holocaust Education Revisited, Holocaust Education – Historisches Lernen – Menschenrechtsbildung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24207-7_23
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children’s experiences are based above all on the media portrayal of the topic. A review, including the classification of what has been heard and seen, is therefore necessary, as otherwise the complex subject matter will be shortened and thus possibly falsified. However, opponents reproach this before all the thematization in the primary school. In European and primarily German-speaking countries, however, the period of National Socialism and the Holocaust is part of contemporary history. It should therefore not be ignored in primary school, since “time and change” is also part of the curriculum here. Furthermore, the treatment of the Holocaust in primary school is also education for responsible social and democratic participation.
1 Problemaufriss In Deutschland hat das historische Thema des Holocaust eine herausgehobene Bedeutung im Lehrplan des Geschichtsunterrichts. Allgemeinere Ziele (Moral-, Werte- und Demokratieerziehung), die damit einhergehen, werden aber umfassend vor allem auf unterrichtspraktischer Ebene formuliert, so zum Beispiel in Lehrbüchern, in Materialangeboten und von Lehrpersonen. Allerdings geschieht das fast ausschließlich für die weiterführenden Schularten. Die Unterrichtung des Holocaust im Grundschulunterricht ist hingegen in Deutschland höchst umstritten. Dekontextualisierung, Trivialisierung und Überwältigung bzw.Traumatisierung versus Empathie, Toleranzerziehung und Orientierungsangebot sind nur einige der Schlagworte, die die gegensätzlichen Positionen spiegeln.
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Erfahrungen in der Praxis, Teil 1
Im Jahr 2016 erhielt ich von der Landeszentrale für politische Bildungsarbeit in Bayern den Auftrag, Unterrichtsmaterial zu einem aus dem Ghetto Theresienstadt stammenden Kinderbuch eines Vaters für seinen mit ihm inhaftierten dreijährigen Sohn („Tommy“) zu entwickeln. Ich legte drei Exposés vor: eines für die Grundschule, eines für die weiterführenden Schularten und eines für die Erwachsenenbildung. Das erste wurde mit dem Hinweis auf die grundsätzliche Entscheidung gegen eine Holocaust Education in der Grundschule abgelehnt, die anderen beiden angenommen.
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Mir lag jedoch daran, das Kinderbuch in der Grundschule zu thematisieren und ich suchte Schulen, die bereit wären, das Buch im Rahmen eines kürzeren Projekts zu verwenden. Zunächst fand sich eine Grundschule, die Interesse daran hatte, das Unterrichtsmaterial im Kontext des 27. Januar auszuprobieren. Kurz vor dem genannten Datum erreichte mich aber überraschend eine E-Mail mit den Worten: „Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass diese Arbeit in der Schule zwar sicherlich sinnvoll und wichtig ist, wir aber letztendlich das aufwühlende Thema ‚Holocaust‘ so nicht behandeln wollen.“ Eine andere Grundschule nahm das Thema schließlich kurzfristig auf, teilte mir vorab jedoch mit: „Aufgrund des Themas haben wir uns entschieden, mit einem Elternbrief die Zustimmung der Eltern einzuholen. Ein Kind wird daher nicht am Projekt teilnehmen.“ – Beide Schulen haben Mut bewiesen, die Beschäftigung mit dem Holocaust nicht grundsätzlich abzulehnen. „Aufwühlend“ und daher „so“ ungeeignet, „aufgrund des Themas“ nur nach „Zustimmung der Eltern“ zeigt aber: Noch immer scheint es große Bedenken zu geben, wenn es um die Beschäftigung mit dem Holocaust geht, von dem aber bereits etliche Kinder etwas gehört haben, bevor er im Unterricht überhaupt angesprochen wird. So entstand die Frage, ob es sich bei der Behandlung des Themas um ein traumatisierendes oder allgemein-bildendes Lernangebot handele.
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Forschungen zur Behandlung des Holocaust im Unterricht der Grundschule
Seit mehr als 20 Jahren haben sich in Deutschland Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit der Frage beschäftigt, welche Voraussetzungen, Folgen und nicht zuletzt Formen eine Thematisierung des Holocaust in der Grundschule haben sollte. Dabei stammen die Studien zumeist aus den Bereichen Pädagogik oder Psychologie, aus der Sachunterrichtsdidaktik oder der Geschichtsdidaktik. Sie haben unterschiedliche Zuschnitte und Fragestellungen, viele sind empirisch orientiert, einige versuchen eine theoretische Annäherung, weitere bieten methodische Vorschläge zur konkreten unterrichtlichen Umsetzung. Die Diskussion hat zwischen der wegweisenden Publikation „Holocaust als Thema in der Grundschule“ als einer von Gertrud Beck herausgegebenen Schwerpunktausgabe der „Grundschulzeitschrift“ aus dem Jahr 1996 und den neuesten Beiträgen von Christina Koch (2017) eine Intensivierung erfahren. Eine detaillierte Übersicht über die Entwicklungen des Diskurses in den vergangenen Jahren geben beispielsweise Detlef Pech in der Ausgabe zu Holocaust Education des Onlineangebots „Widerstreit Sachunterricht“ (Pech 2012) oder Christina Koch in den ersten Kapiteln ihrer Dissertation (Koch
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2017). Auch international wird die Frage nach dem „Ob“ und „Wie“ der Holocaust Education im Primarbereich immer wieder diskutiert. Hoffentlich wegweisend wird der noch nicht erschienene, von bereits seit Längerem einschlägig publizierenden Forschern aus zahlreichen Staaten getragene Sammelband „Holocaust Education in Primary Schools in the Twenty-First Century“ (2018) sein. Es ist anzunehmen, dass er theoretische Diskurse, empirische Befunde und praktische Erfahrungen der letzten Jahre – besonders seit der Einführung eines Holocaust-Gedenktages 2002 (Europaratsbeschluss) / 2005 (UN-Beschluss) – bündelt und reflektiert. Einige Wegmarken in der deutschsprachigen Diskussion aus geschichtsdidaktischer Sicht waren: • Der 1997 gehaltene Hamburger Kongress „Der Holocaust – ein Thema für Grundschule und Kindergarten“ (Moysich/Heyl 1998), bei dem die Frage nach dem „Ob“ der Thematisierung noch bedeutsam war, aber Matthias Heyl, ein Kritiker der Vermittlung in der Primarstufe bereits andeutete, es gehe „um die Form“, in der man den Holocaust vermitteln könne – und damit auch um den geschichtsdidaktischen Kern des Themas. • Einige Publikationen zwischen 1999 und 2004, die überhaupt historisches Lernen im Sachunterricht der Grundschule noch mehr in den Fokus rückten und dabei auch die Frage nach der Zeitgeschichte und der Vermittlung dieser berührten (von Reeken 2004; Bergmann/Rohrbach 2001; Schreiber 2004; Michalik 2004). • Die zwischen 2001 und 2004 publizierten Beiträge von Heike Deckert-Peaceman, wenngleich diese aus einem pädagogischen Ansatz der Kindheitsforschung stammen. Ausgehend von Erfahrungen in den Vereinigten Staaten befasste sie sich mehrfach und teils sehr konkret mit der Ausformung von Holocaust Education in der Grundschule und gab wichtige Impulse. • Das aus dem Jahr 2006 stammende Beiheft der Zeitschrift „Widerstreit Sachunterricht“, das Möglichkeiten und Relevanz der Auseinandersetzung mit dem Holocaust im Sachunterricht der Grundschule vorstellte, zum Beispiel mit Stellungnahmen von Dietmar von Reeken, Detlef Pech und wiederum Heike Deckert-Peaceman. • Die 2006 veröffentlichte Übersichtsdarstellung der OSZE zum Stand der Holocaust Education in verschiedenen Staaten, vor allem in Europa, aber beispielsweise auch in den USA und Kanada. • Seit 2008 die empirischen Studien verschiedener Autorinnen, die die Wirkungen der Thematisierung von Nationalsozialismus und Holocaust in kleineren Gruppen von Grundschülerinnen und Grundschülern untersuchten und dabei für geschichtsdidaktische Überlegungen zentrale empirische Grundlagen schufen (Hanfland 2008; Becher 2009; Flügel 2009; Koch 2017).
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• Die Tatsache, dass die Onlinepublikation „Widerstreit Sachunterricht“ 2012 erneut (indirekt) zur Auseinandersetzung mit dem Holocaust in der Grundschule einlud, mit Beiträgen von Andrea Becher, Isabel Enzenbach und Detlef Pech zum Verhältnis von Grundschulunterricht und Zeitgeschichte. In der nächsten Zeit sollte es ausgehend von bereits bestehenden Erkenntnissen also darum gehen, die Überlegungen nach dem „Wie“ zu vertiefen, Unterrichtskonzepte bereitzustellen und diese zu reflektieren und zu evaluieren. Hierbei sollte nicht nur die Verfolgungsgeschichte zwischen 1933 und 1945 in den Blick genommen werden. Um historisches Lernen zu ermöglichen sollten unterschiedliche Akteursgruppen in ihren Vorstellungen und ihrem Handeln in einem größeren Kontext betrachtet werden. Bezüglich der Verfolgtengruppe der Jüdinnen und Juden bräuchte es dazu auch und vor allem Lerngelegenheiten zu jüdischer Religion, Kultur und Geschichte (Koch 2017: 78).
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Ein traumatisierendes Lernangebot?!
Die Teilüberschrift ist ebenso provozierend wie verengend. Sie greift aber das in der frühen Diskussion bedeutsamste Argument auf: das der emotionalen und kognitiven Überforderung. Das Bestreben, Kindern die Welt dosiert zuzumuten, sie von bestimmten Themen, Problemen, komplexen Fragestellungen und Dilemmata fernzuhalten, ist in vielen Bereichen erkennbar und Teil der Verantwortung, die Erwachsene gegenüber Kindern haben. Insofern argumentiert Matthias Heyl – der prominenteste, aber nicht einzige Kritiker einer Behandlung des Holocaust in der Grundschule – folgerichtig, wenn er die Frage nach der Überforderung zum „Kernproblem“ (Heyl 2001: 9) erklärt und auf die Gefahr hinweist, dass die unterrichtliche Behandlung des Holocaust Kinder „überfordert oder gar traumatisiert“ (Heyl 2001: 9). Eng mit dieser Sorge verbunden ist der Hinweis auf eine Verfrühung des Themas. Hier werden „Geborgenheit und Sicherheit“ und die unnötig zeitige Konfrontation mit den „schrecklichen Seiten der Welt“ ebenso in die Waagschale geworfen, wie betont wird, dass Kinder aufgrund ihrer Verletzlichkeit und ihres Andersseins ein Anrecht auf besonderen Schutz haben (Heyl 1998: 120; Totten 1999: 38). Nun mag eingewendet werden, dass die Darstellung des Holocaust auf unterschiedliche Weise erfolgen kann – und selbstverständlich an die Fähigkeiten von Grundschülerinnen und Grundschülern angepasst werden muss. Doch Heyl sieht eine zweite Gefahr: „Eine Verkürzung der Geschichte auf eine Light-Version aber scheint unangemessen“ (Heyl 2001: 10). Eine Light-Version, das bedeutet
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Reduktion, womöglich Simplifizierung eines komplexen historischen Geschehens, unter Umständen Verfälschung beispielsweise durch Stereotypisierung, durch die Darstellung einer „Tat ohne Täter“. Dieser Ansatz, so Heyl, werde den Betroffenen nicht gerecht. Hingegen machen die neueren kompetenzorientierten Lehrpläne darauf aufmerksam, dass historisches Lernen stets zuerst auf die Entwicklung eines basalen Kompetenzniveaus abzielt und später – beispielsweise in einem spiralförmigen Curriculum – komplexere Lernangebote machen kann und muss (Beck 2001: 18). Ganz ähnlich wie Heyl argumentiert auch Totten, der davon spricht, dass der Wert des Geschehenen nicht genügend berücksichtigt und die Geschichte verzerrt werde, wenn Grundschülerinnen und Grundschüler sich mit dem Holocaust beschäftigten (Totten 1999). Einige (empirische) Befunde stützen diese Zweifel, wenn beispielsweise Enzenbach und Pech darauf hinweisen, dass sich in zahlreichen Texten Überlegungen zum Herrschaftssystem und dem Genozid vermischen oder gar Begriffe sinnentstellend synonym benutzt werden (Enzenbach/Pech 2012: 5). Auch die Gefahr der Stereotypisierung lässt sich empirisch nachweisen. Andrea Becher hat zum Beispiel in Einzel- und Gruppeninterviews mit Dritt- und Viertklässlerinnen und -klässlern herausgefunden, dass diese Jüdinnen und Juden häufiger als Nichtdeutsche sehen, mithin also das Judentum vorrangig nicht als private religiöse Überzeugung unabhängig von nationaler Zugehörigkeit begreifen (Becher 2012: 104). Isabel Enzenbach kommt ebenfalls zu dem Schluss, dass Klischees und Stereotype ein wesentliches Problem der Themenbehandlung sind (Enzenbach 2011: 271). Auch in anderen Staaten ließen sich solche Simplifizierungen empirisch nachweisen. Geoffrey Short machte beispielsweise darauf aufmerksam, dass Schülerinnen und Schüler grundsätzlich missverstehen würden, dass Jüdinnen und Juden eben nicht deshalb zu Opfern wurden, weil sie nicht der sozialen Norm entsprachen, sondern weil Menschen sie aktiv zu Sündenböcken für verschiedene Missstände und Problemlagen machten (Short 2003: 121). Solche Stereotype und Klischees können als Ausdruck mangelnder Kompetenz gewertet werden. Andrea Becher wies in ihrer Dissertation darauf hin, dass Lehrkräfte hier besonders gefordert sind, sich im Rahmen ihrer professionellen Kompetenz „mit ihren eigenen individuellen Familiengedächtnissen reflektiert auseinander[zu]setzen“ (Becher 2009: 250; ähnlich Beck 2001: 20). Die Lehrkraft habe hier als „Dreh- und Angelpunkt“ des Unterrichts (Becher 2015b: 16) – siehe dazu auch themenunabhängig die neueren Befunde der Hattie-Studie – eine große Verantwortung. Für Schülerinnen und Schüler wies Helmut Beilner ganz themenunabhängig nach, dass Kinder im Grundschulalter große Probleme haben, angemessen historische Werturteile zu fällen (Beilner 1999: 147), da sie vorrangig mit ihrem gegenwärtigen Normen- und Wertesystem und vergleichend mit heutigen Themen
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argumentierten. Bezogen auf den Holocaust und die Gültigkeit universeller Werte kann das sicher funktionieren, jedoch auch zu einer überstarken Abgrenzung („Das kann heute nicht mehr passieren.“) führen. Andrea Becher stellte am Beispiel der Vorstellungskomplexe zum Nationalsozialismus bei den interviewten Kindern heraus, dass sie zwar teilweise detaillierte Kenntnis über die Vernichtung der Jüdinnen und Juden im Holocaust hatten, jedoch nur wenig über die Ursachen und die Vorstufen des Holocaust wussten (Becher 2012: 105, 108). Kompetenzzuwächse sind allerdings gerade durch die Behandlung des Themas zu erwarten, wie Alexandra Flügel betonte. Ihre 2009 erschienene Arbeit übertitelte sie mit einem Zitat einer interviewten Schülerin, das diese Kompetenz spiegelt: „Kinder können das auch schon mal wissen“ (Flügel 2009). Die Problematik der inhaltlichen Reduktion durch die befragten Kinder ordnete Flügel als Strategien der emotionalen Distanzierung ein und klassifizierte sie damit als entwicklungspsychologisch notwendiges Vorgehen (Flügel 2009: 245ff.). Geoffrey Short hingegen bezog sich in seinem Beitrag vor allem auf mangelnde Wissensbestände bei Kindern, insbesondere zum Judentum. Er missbilligte, dass Kinder mit dem Holocaust konfrontiert würden, bevor sie entsprechendes Wissen über jüdische Religion, Kultur und Identität sowie über die enge Verbindung von Juden- und Christentum erlangt hätten und fragte sich, welche Fehlwahrnehmungen bestimmter Lebensgeschichten entstünden, wenn diese Grundlagen nicht vorhanden seien (Short 2003: 126, 128; Short/Reed 2004: 127). Neben den genannten Defiziten, die nicht unbedingt ein Nachdenken über das „Ob“, sondern vielmehr das „Wie“ der Vermittlung erfordern, weisen mehrere Autorinnen und Autoren (Rohrbach 2001; Koch 2017) nach, dass es große Unterschiede im Vorwissen der Schülerinnen und Schüler (und wohl auch der Lehrkräfte) gibt. Koch konnte in ihrer Arbeit zeigen, dass besonders Kinder „aus bildungsnahen Familien und mit zwei herkunftsdeutschen Eltern“ größeres Vorwissen einbrachten – aber auch, dass Kinder mit frühen Unterrichtserfahrungen zum Thema profitierten (Koch 2017: 266), und plädierte daher dafür, Kinder so zu unterstützen, dass „herkunftsbedingte Erfahrungsdefizite“ (Koch 2017: 283) ausgeglichen würden. Short schloss an seine Kompetenzargumente gegen eine Thematisierung des Holocaust die Frage an, warum es überhaupt genau dieses Thema sein müsse. Das Ziel dieses Unterrichts sei schließlich, jüngeren Kindern mögliche Folgen von Vorurteilen nahezubringen und allgemein angemessene Moral- und Wertvorstellungen, zum Beispiel zu Gerechtigkeit, auszubilden (Short/Reed 2004: 127). Auch betonte er: „The need to teach tolerance and respect for difference are problematic, for neither follows from a study of the Holocaust“ (Short 2003: 121). Insbesondere im nicht-deutschsprachigen Raum ist dies immer wieder ein Thema in der Debatte, fehlt hier doch die unmittelbare historische Betroffenheit. So argumentiert selbst
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ein Teil der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich in diesen Ländern eng mit Holocaust Education befassen, dass letztlich die Lernziele derselben nicht zwingend am Genozid an den Jüdinnen und Juden festgemacht werden müssten, sondern ebenso andere genozidale Verbrechen thematisiert werden könnten (Sepinwall 1997). Insbesondere im deutschsprachigen Diskurs ist dies aufgrund der unmittelbaren Relevanz des Holocaust für die nationale Geschichte weniger verbreitet, wenn auch Heyl zu Recht darauf verwies, dass die „Beschäftigung mit Problemen zwischen Mehrheiten und Minderheiten […] den ‚Umweg‘ über den Holocaust nicht“ bräuchte, ebenso wie niemandem mit einer Unterrichtseinheit „unter dem Motto ‚Damals war es Friedrich, heute ist es Nasrin‘“ geholfen sei (Heyl 2001: 12). Ebenso argumentierten die niederländischen Pädagogen Ido Abram und Piet Mooren, die sich dafür aussprachen, eine „Erziehung nach Auschwitz“ mit Blick auf das Heute von einer „Erziehung nach Auschwitz“ mit Blick auf das Gestern zu trennen und also „kleinen Kindern“ nur eine „Erziehung nach Auschwitz ohne Auschwitz“ zuzumuten (Abram/Mooren 1998: 93f., 96). Short meinte für Großbritannien, dass eine Erziehung, deren wichtigstes Ziel die Vermeidung von Vorurteilen und das Anbahnen sozialer Gerechtigkeit sei, auf den Holocaust als Thema verzichten könne (Short/Reed 2004: 127). In der Tat ist die Frage, was am historischen Beispiel des Holocaust gelernt werden soll – neben der historischen Tatsache, dass es ihn gegeben hat und welche Merkmale, Voraussetzungen und Folgen er hatte und hat – auch heute in der Praxis noch ungeklärt (Koch 2017: 33). Diese Unsicherheit, was mit einer Holocaust Education eigentlich bezweckt wird, befeuert die Diskussion. Ohne Frage besteht nämlich zwischen der sinnhaften, begründeten Unterrichtung eines Gegenstands und seiner (politischen) Instrumentalisierung besonders im Geschichtsunterricht ein recht schmaler Grat. Und so „witterten“ beispielsweise Heyl (2001: 9), Short (2003: 128) und Pech (2012: 14) eine Verzweckung, Manipulation oder Vernutzung, die unter Umständen sogar auf Kosten der Opfer und Überlebenden gehen könnte, wenn deren Geschichte „heruntergemendelt“ (Heyl 2001: 9) werde. Dass darüber hinaus die ständige Beschäftigung mit dem Thema zu einer Übersättigung und einer Abgrenzung von erwachsenen Erwartungshaltungen gerade in der Sekundarstufe I – Tenor: „Bitte nicht schon wieder!“ – führen könnte, ist ein weiteres Argument (Short 2003: 128; hingegen Roth 2014: 9).
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Kinder stellen Fragen, die ihren gegenwärtigen Informationsbedürfnissen entspringen (Koch 2017: 31). In Deutschland, wo der Holocaust häufiger ein mediales Thema oder auch im lokalen öffentlichen Raum durch geschichtskulturelle Manifestationen erfahrbar sein kann, ist es gut möglich, dass Kinder von selbst im Grundschulalter – oder (seltener) sogar schon vorher – nach dem Holocaust fragen. Medial werden aber auch andere Genozide thematisiert und können zu entsprechenden Fragen führen (Deckert-Peaceman 2004b: 96). Selbst Kritiker wie Matthias Heyl sind sich einig, dass man Kinderfragen mit der gebotenen Ernsthaftigkeit beantworten muss (Heyl 2001: 11). Gemeint ist damit, dass man Kinder mit ihren Fragen, aber auch ihren dahinterstehenden Gefühlen (zum Beispiel Angst, aber auch Vorurteilen und ablehnenden Haltungen) sowie Unklarheiten über Aufgeschnapptes nicht alleinlassen darf, sondern ihnen Gelegenheit geben muss, dies zu verbalisieren, Antworten zu erhalten und Zusammenhänge herzustellen (Langer 2010: 38ff.). Fragen in der dem Geschichtsunterricht eigenen Vorgehensweise zu beantworten meint, die Auseinandersetzung zu systematisieren und im engeren Sinne eine Lerngelegenheit für eine Gruppe von Schülerinnen und Schülern zu schaffen. Während die private Beschäftigung mit dem Thema unterschiedliche Ausprägungen haben kann, bietet der Sachunterricht in der Grundschule die Chance, institutionell und demokratisch geprägt über diesen Teil der deutschen und europäischen Geschichte zu sprechen (OSCE 2006: 29). Dies ist deshalb von basaler Bedeutung, weil Kinder über das schulische Lernen in die Lage gebracht werden sollen, ein begründetes Verhältnis zur Welt einzunehmen: der Welt von gestern, heute und morgen. Immer wieder ist dabei gefragt worden, ob Schülerinnen und Schüler das, was sie dort fragen, oder auf das, worauf sie aufmerksam (gemacht) werden, in der emotionalen Wirkung überhaupt verkraften können. In dieser Hinsicht haben sich im Verlauf der didaktischen und pädagogischen Diskussion der letzten Jahre deutliche Verschiebungen ergeben. Im vorherigen Abschnitt wurde auf die Verfrühungsthese verwiesen, die wesentlich auf der Annahme beruht, die Behandlung des Holocaust in der Grundschule könne eine emotionale und kognitive Überforderung darstellen. Neuere Erkenntnisse der Entwicklungspsychologie lassen aber darauf schließen, dass dies nicht der Fall ist – Christina Koch zitiert in ihrer entsprechenden Beweisführung die Erkenntnisse von Schaub, Enzenbach, Deckert-Peaceman, Hanfland, Flügel und Gläser. Sie betont darüber hinaus, dass Lerngelegenheiten sogar von hoher Bedeutung sind, um die Entwicklung kognitiver Fähigkeiten anzuregen (Koch 2017: 51). Ein praktisches Argument für die Thematisierung des Holocaust in der Grundschule liegt im Curriculum des Sachunterrichts. Die Beschäftigung mit dem
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Gewordensein der Gegenwart wird dort zunächst über die eigene (Familien-)Geschichte und weiter über lokalhistorische Zugänge angeregt. Wie aber – so fragen Isabel Enzenbach und Detlef Pech zu Recht – soll eine „Auseinandersetzung mit der Geschichte des Wohnorts und der Region erfolgen unter Aussparung dieses Zeitabschnitts“ (Enzenbach/Pech 2012: 6)? Ihre Zweifel sind mehr als berechtigt, denn die Auslassung führt unweigerlich zu einer Form von Geschichtsklitterung, wie sie in der Geschichtsschreibung der meisten Orte heute glücklicherweise längst überwunden ist. So kann Holocaust Education in der Grundschule auch eine Ergänzung zu gesellschaftlicher und familiärer Prägung werden. Mehrere empirische Arbeiten zeigen, dass Kinder bereits vor dem schulischen Geschichtsunterricht Vorstellungen über den Nationalsozialismus und oft auch über den Holocaust haben (beispielsweise qualitativ Marx 2011: 143f.; quantitativ Koch 2017: 192ff., jedoch ohne klare Trennung zwischen außerschulischem und schulischem Wissenserwerb). Diese Vorstellungen entstehen durch gesellschaftliche und familiäre Narrative, die prägend sind. In Deutschland dürften beide Sphären besonders wichtig sein. Familiäre Kommunikation kann in vielen Familien noch immer geprägt sein von möglichen familiären Verstrickungen im Nationalsozialismus. Oder aber das Gegenteil ist der Fall und Familien, beispielsweise häufiger, aber nicht nur und nicht zwingend solche mit Migrationshintergrund, betrachten Nationalsozialismus und Holocaust nicht als „ihre“ Geschichte und vielleicht nicht als historischen Aspekt von zentraler Bedeutung (Koch 2017: 282; hingegen Georgi 2009). Insgesamt kommt der Familie in der Auseinandersetzung eine große Bedeutung zu, sei es durch Motivations-, Imitations- oder Instruktionsprozesse (Koch 2017: 269ff.). Gesellschaftliche Auseinandersetzungen entstehen durch die Zugehörigkeit vieler Schülerinnen und Schüler zu einem Volk, in dem vor etwa 80 Jahren Mitläufertum und Täterschaft vorherrschten. Sie werden besonders häufig medial transportiert, in empirischen Untersuchungen nennen Kinder dabei zumeist das Fernsehen als Ursprung ihres Wissens (Koch 2017: 289). Man muss nicht so weit gehen zu sagen, dass die Beschäftigung mit der Geschichte des Nationalsozialismus und des Holocaust eine moralische Verpflichtung sei (Mittnik 2016: 143), um anzuerkennen, dass sie gleichwohl eine „kulturelle Selbstverständlichkeit“ (Zülsdorf-Kersting 2007: 84) ist – und sein muss. Um also für Schülerinnen und Schüler die sie unmittelbar umgebende (Zeit-) Geschichte mit ihren Wirkungen auf die Gegenwart erfahrbar zu machen (Zülsdorf-Kersting 2007: 116), um Kindern, die „das auch schon mal wissen [können] und nicht nur, … dass alles schön ist“ (Flügel 2009: 295), Unterstützung in ihrer Orientierung in der Welt zu geben und um die „relative Bedeutungslosigkeit“ des Geschichtsunterrichts hinsichtlich des Erwerbs von Wissen und Einstellungen
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bezüglich des Holocaust aufzuheben (Zülsdorf-Kerstin 2007: 85), braucht es eine Thematisierung des Nationalsozialismus und des Holocaust vor der curricular verpflichtenden Behandlung in der Sekundarstufe I. Gerade das Verhältnis von Geschichtsdidaktik und Zeitgeschichte ist von immenser Bedeutung, wenn auch beide Disziplinen insbesondere im Primarbereich – so ein Beitrag von Martin Lücke und Michael Sturm in dem Sammelband „Aufklärung, Bildung, „Histotainment“? (2008) – wie „Stiefschwestern“ agieren und kaum überlappende Diskussionen erkennbar sind. Zeitgeschichte – „Geschichte, die noch qualmt“ (Barbara Tuchmann zit. nach Lücke/Sturm 2008: 31), Geschichte, deren Quellenbestände auch für jüngere Schülerinnen und Schüler zumeist gut zugänglich sind (Enzenbach/Pech 2012: 11), Geschichte, deren „Erfahrungsnähe“ (Koch 2017: 80) offensichtlich ist – hat große Potenziale für einen inhaltlich und methodisch zeitgemäßen Sachunterricht. Unabhängig von der historischen Wissensvermittlung um ihrer selbst willen wird immer wieder auch die Bedeutung des historischen Beispiels Holocaust für die Menschenrechts- und Demokratiebildung hervorgehoben – aber auch kritisch diskutiert, wie bereits zu sehen war. Short und Carrington haben beispielsweise empirisch gezeigt, dass Unterrichtseinheiten zur Reduktion von Vorurteilen in der Primarstufe größere Wirkung zeigen als in späteren Lebensjahren (zitiert bei: Short 2003: 127). Diese Argumentation mit einem allgemeineren schulischen Bildungsziel – der Erziehung zu verantwortungsvoller gesellschaftlicher und demokratischer Teilhabe – findet sich sowohl in deutschen Lehrplänen, als auch beispielsweise in entsprechender Gesetzgebung in einigen anderen Staaten (beispielsweise im Scotland Education Act 2000). Deckert-Peaceman weist darüber hinaus auf eine unterstützende Spezifik des Grundschulunterrichts hin: Dieser finde in einer Klassensituation statt, die durch ein enges (Vertrauens-)Verhältnis zwischen Lehrkraft und Schülerin oder Schüler geprägt sei, so dass eine besondere Gesprächssituation entstehe. In dieser hätten gerade Menschenrechtsfragen ihren Platz (Cowan/Maitles 2002: 220). Gertrud Beck weist darüber hinaus darauf hin, dass gerade diese Inhalte für Kinder ab dem dritten Schuljahr von besonderer Relevanz seien, da diese intensiv an allgemeinen Werten wie Gerechtigkeit, Gleichheit und Solidarität interessiert seien (Beck 1996: 12). In der Frage nach dem Wert der Thematisierung des Holocaust für eine „educated citizenry“ (Cowan/Maitles 2002: 228f.) – ein in seinem vollen Bedeutungsumfang schwer zu übersetzender Begriff, der am ehesten eine staatsbürgerliche Grundbildung meint – kulminiert das Argument des Gegenwartsbezugs. Ohne Frage hat die deutsche Geschichte zwischen 1933 und 1945 unmittelbare und mittelbare Auswirkungen – Begriffe und erinnerte Ereignisse und Prozesse, materielle Überreste, Hypotheken und geschichtskulturelle Manifestationen. Die Geschichte
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der Bundesrepublik ist in ihrer Spezifik ohne den Nationalsozialismus und den Holocaust gar nicht zu verstehen. Und um ein Verstehen, nicht nur um bloßes Wahrnehmen geht es, wenn Geschichte Wirkung in Gegenwart und Zukunft zeigen soll (Mankowitz 2007: 199; Marx 2011: 148). Nur dann nämlich vermag Holocaust Education, die kein „Allheilmittel“ (Cowan/Maitles: 221; hingegen Köhler 2005, zitiert bei Knaul 2005) gegen Rassismus und Antisemitismus ist, erlernten Stereotypen und Ablehnung etwas entgegenzusetzen, was Barricelli als „gemeinsam geteilte Erinnerungsbestände“ anstelle von „trennenden Partikulargedächtnissen“ bezeichnet (Barricelli 2013: 95). Schließlich gibt es noch ein für Deutschland spezifisches Argument für dieses allgemein-bildende Lernangebot. Klaus Weber formulierte es 2013 in seinem Beitrag in den „Schönberger Heften“ wie folgt: „Ich wollte ihnen etwas als Erbe mit auf ihren weiteren Lebensweg geben, das mir selbst für unser kulturelles Selbstverständnis unabdingbar erscheint“ (Weber 2013). Weber aus persönlicher unterrichtlicher Erfahrung und der vorhin zitierte Meik Zülsdorf-Kersting aus empirisch gesättigter fachdidaktischer Sicht verweisen darauf, dass ein deutlich wahrnehmbarer Teil der deutschen Geschichtskultur sich gerade mit diesem historischen Ereignis beschäftigt und dass Erinnerungsdiskurse häufig um dieses Thema kreisen. Langfristiges Ziel des Geschichtsunterrichts ist ein reflektiertes Geschichtsbewusstsein – unter anderem zu Fragen von Macht, Identität und Moral. Angebahnt wird dies schon in der Grundschule, wie der aktuelle Perspektivrahmen der Gesellschaft für Didaktik des Sachunterrichts aufzeigt, in dem es heißt, Schülerinnen und Schüler sollten ihre Umwelt sachbezogen verstehen, sich in ihr orientieren, an ihr mitwirken und in ihr handeln (GDSU 2013: 9). Zudem geht es dem Geschichtsunterricht um die Entwicklung einer Orientierungskompetenz, die den Bereich der Handlungsdisposition für aktuelle Herausforderungen beinhaltet (Schreiber et al. 2006: 26) und damit ebenso geschichtskulturelle Kompetenz (Pandel 2013: 222) umfasst.
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Erfahrungen in der Praxis, Teil 2
Um es vorwegzunehmen: Sowohl die die Lehrkräfte an der beteiligten Grundschule wie auch ich schätzen das Unterrichtsprojekt zu „Tommy“ als gelungen ein. Es handelt sich um einen erfolgreichen Unterrichtsversuch: Das beweist zwar keine systematische empirische Auswertung, aber die Rückmeldungen der beteiligten Schülerinnen und Schüler an Lehrkräfte, an mich und nicht zuletzt an den Sohn von Tommy legen das nahe.
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Ich habe im ersten Teil der Praxiserfahrungen angemerkt, dass die Landeszentrale für politische Bildungsarbeit in Bayern einer Veröffentlichung des Lernangebots für die Grundschule ablehnend gegenüberstand. Daher ist das unterrichtliche Vorgehen bisher nicht publiziert und soll hier skizziert werden. Die Produkte zu „Tommy“, die über die Landeszentrale für weiterführende Schularten bestellbar sind, stellen auch für dieses Grundschulangebot die notwendige Materialgrundlage dar. In Klammern sind im Folgenden jeweils ausgewählte Antworten von Schülerinnen und Schülern vermerkt. Das Buch „Für Tommy zum dritten Geburtstag in Theresienstadt“ hat Bedrich Fritta, der Vater von Tomáš Fritta-Haas zum 22. Januar 1944 für seinen Sohn gefertigt, im Ghetto allerdings versteckt, so dass es den Holocaust überdauerte. Tommy, so der Rufname von Tomáš , erhielt es an seinem 18. Geburtstag von seinen Adoptiveltern Erna und Leo Haas, die ihn nach dem Tod der Eltern in Auschwitz bzw. Theresienstadt aufgenommen hatten. Der Unterrichtsentwurf orientiert sich am Holocaust-Gedenktag, dem 27. Januar, kann aber grundsätzlich mit einigen Veränderungen zu einem beliebigen Zeitpunkt unterrichtet werden. Die Einheit beginnt mit dem Auftrag an die Schülerinnen und Schüler auf einem vorbereiteten Bogen, der die Silhouette eines Postpakets zeigt, einzutragen, was sie sich als Inhalt eines Geburtstagspakets wünschen würden. Die Antworten werden gesammelt (Nintendo, Computer, Eiskönigin-Kostüm) und im Anschluss mit dem Bild von Tommys Paket aus dem Buch verglichen, wobei die Schülerinnen und Schüler bemerken, dass Tommy andere Geschenke (Wurst) bekommt, über die er sich sehr freut. Diese Irritation leitet zur kurzen Vorstellung von Tommy über, der vor fast 80 Jahren in einer für ihn und seine Familie schwierigen Zeit geboren ist. Diese Zeit können die Schülerinnen und Schüler benennen und charakterisieren (Ausgrenzung, Konzentrationslager, Zwangsarbeit, Tod, Holocaust), da sie im Vorfeld den häuslichen Auftrag erhalten haben, die ZDF-Kindernachrichten „logo“ anzusehen, in denen der Gedenktag thematisiert wurde. Weiterhin wird hier Vorwissen thematisiert (Hitler) und es werden Fragen geklärt, die die Schülerinnen und Schüler bewegen (Warum?). Anschließend wird im Gespräch verdeutlicht, dass Tommy, sein Vater und seine Mutter drei der Menschen waren, die verfolgt wurden, und dass ihre Geschichte eine besondere ist, weil es dieses Buch gibt, durch das die Schülerinnen und Schüler die Familie besser kennenlernen können. Das Bilderbuch steht im Zentrum der nächsten Phase. Es wird zunächst als multiperspektivisch abfotografierte Sachquelle präsentiert, wobei die Schülerinnen und Schüler überlegen sollen, woran man das Alter des Buches erkennt. Durch eine Animation, die das Buch „durchblättert“, wird dann der Inhalt im Bild und deutschem Text dargeboten, wobei der Text im
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tschechischen Original hörbar gemacht wird. Danach können die Schülerinnen und Schüler ihre Gedanken zum Gesehenen und Gehörten äußern. Daraufhin werden Kleingruppen von etwa drei bis vier Kindern gebildet, die sich bestimmte Themenbereiche des Buches mit Hilfe der entsprechenden Bildkarten – die Gegenwart in Theresienstadt, die Welt draußen, typischer Kinderalltag, die Welt ohne Grenzen, die Wünsche für Tommy in Gegenwart und Zukunft – näher betrachten. Leitfragen zu jedem Bildensemble sind: Welchen Ort zeigt der Vater in euren Bildern?, Was ist typisch für diesen Ort? (Was kann oder darf man da machen, was nicht?), Welche Zeit malt der Vater?, Hat Tommy das, was auf den Bildern zu sehen ist, schon selbst gesehen oder erlebt? Nachdem die Schülerinnen und Schüler ihre Erkenntnisse in Worten und durch die Befestigung der Bilder an einer Zeitleiste / einem Lebensstrahl aus Jute, dem Einbandmaterial des Buches, vorgestellt haben, wird in der Zusammenfassung klar, welche Struktur das Buch hat. Über die Frage, in welchem Alter die frühesten Erinnerungen einsetzen (mit drei Jahren), wird klar, dass Tommy sich an diese Zeit selbst wohl kaum erinnern kann, sondern nur der Vater. Damit greift die Einheit nun auf Beschreibungen Dritter aus, nämlich eines älteren Kindes, das in Theresienstadt inhaftiert war und dort ein Gedicht über seine Lebensverhältnisse geschrieben hat („In Theresienstadt“, Verfasser unbekannt). Es schildert einen Ort, an dem man keinesfalls leben möchte, worüber die Schülerinnen und Schüler nach dem Lesen des Gedichts mit Hilfe eines Bodenbilds und Sprechblasen reflektieren (Dachboden mit Spinnen, Fußboden aus Beton, faulige Kartoffeln). Abschließend wird das Augenmerk auf die letzten zwei Zeilen des Gedichts gelenkt, in denen das schreibende Kind fragt und antwortet: „Wann gehen wir nach Hause? Weiß wirklich nicht wann.“ – Hier ziehen die Schülerinnen und Schüler eine Verbindung zu ihrem Wissen über den Nationalsozialismus (Hilfe im Mai 1945). Rasch raffend wird im Anschluss die weitere Geschichte von Tommy und seinem Buch bis 1959 erzählt. Die Schülerinnen und Schüler sollen vermuten, warum er es zu seinem 18. Geburtstag bekommen hat (Erwachsener, Wertvolles erkennen). Sie erhalten dann den Auftrag, für Tommy eine fiktive Postkarte zu gestalten und zu schreiben, da Tommy bereits verstorben ist. Darauf können sie entweder formulieren, was sie Tommy für sein Leben wünschen (ein schönes Leben, Frieden, Familie) oder anderes, das ihnen im Zusammenhang mit der Einheit wichtig ist („Ich habe eine Bitte: Pass auf das Buch auf.“). Am Ende erfahren die Schülerinnen und Schüler, wie das Leben von Tommy weiter verlief und diskutieren abschließend den von Tommy 2013 ausgesprochenen Satz: „Dieses Buch begleitet mich ein ganzes Leben lang.“ (Wert, einzige Erinnerung an die Eltern)
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Ich führte in der Nachbetrachtung ein Gespräch mit den beteiligten Lehrkräften. In diesem Gespräch lieferten die Lehrkraft für katholische Religion und jene für den Sachunterricht wertvolle Impulse für Handlungsmöglichkeiten im Projekt, die zum großen Teil bereits in die obige Darstellung eingeflossen sind. Bemerkenswert waren darüber hinaus zwei allgemeine Betrachtungen. Eine Lehrkraft meinte, es sei eigentlich schade gewesen, dass nun gerade jenes Kind gefehlt habe, „das es eigentlich am allernötigsten gehabt“ habe. Es sei ein Kind, dessen Eltern bereits vor einiger Zeit an der Schule vorstellig geworden waren, um sich über die angeblich einseitige Behandlung des Themas Bundestagswahl unter Missachtung der Bedeutung der AfD zu beschweren. Zudem erklärten die Lehrkräfte, im nächsten Schuljahr würden sie das das Thema erneut aufgreifen wollen, allerdings: „Da machen wir keinen Elternbrief mehr. Das tun wir ja bei anderen Themen auch nicht.“ – Die Erkenntnis, dass es sich beim Holocaust um ein „legitimes“ Thema handelt, das auch in der Grundschule ein selbstverständliches Angebot sein kann, ist hier unverkennbar.
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Eine notwendige Debatte
2015 konstatierte Andrea Becher: „Die Frage, ob Holocaust im Sachunterricht thematisiert werden kann und darf, löst mittlerweile keine didaktische Grundsatzdebatte mehr aus“ (Becher 2015b: 13). Das ist sicher wahr. Die Argumente sind – wenn auch nicht immer disziplinverschränkend – seit den beginnenden 2000er Jahren ausgetauscht, die theoretischen Überlegungen wurden mittlerweile mehrfach, allerdings teils mit unterschiedlichen Ergebnissen empirischer Prüfung unterzogen. Es ist in der Tat unumstritten, dass es nicht mehr um das „Ob“, sondern das „Wie“ der Unterrichtung des Holocaust in der Grundschule gehen kann. Das bedeutet jedoch nicht, dass es keinen Diskussionsbedarf mehr gäbe – sowohl im wissenschaftlichen Kontext, wo tatsächlich jene Stimmen kaum noch hörbar sind, die ein solches Unterfangen grundsätzlich ablehnen, als auch vor allem in der schulischen Praxis, wo die Vorbehalte noch immer groß sind. Es ist notwendig, zu differenzieren: Keine didaktische Grundsatzdebatte, das mag stimmen. Doch was ist mit anderen Debatten? Eine erste noch weitgehend ausstehende Diskussion ist die curriculare: Aus meiner Sicht sollte der Holocaust kein verpflichtendes Lehrplanthema in der Grundschule sein oder werden. Ohnehin vermeiden die neuen kompetenzorientierten Lehrpläne der Bundesländer die Festlegung auf allzu viele verpflichtende Lerninhalte und orientieren sich an Kompetenzen, die im schulischen Lernen ausgeprägt werden
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sollen. In diesem Sinne kann jedoch gerade die Beschäftigung mit dem Holocaust einen wesentlichen Beitrag leisten. Wenn es darum geht, Zeit und Wandel zu verstehen, das eigene Geschichtsbewusstsein zu reorganisieren, Alterität zu erfahren, Identität zu verhandeln sowie Demokratie und Gesellschaft zusammenzudenken, dann ist eine Auseinandersetzung mit diesen bedeutsamen Jahren der deutschen Geschichte möglich – und vielleicht sogar nötig. In der Grundschule bietet es sich an, dafür die eigene Lokal- und Regionalgeschichte in den Blick zu nehmen und damit Schülerinnen und Schülern Anknüpfungspunkte in der eigenen Lebenswelt zu geben. Dies kann beispielsweise über geschichtskulturelle Manifestationen (Stolpersteine, Gedenkveranstaltungen, Denkmäler oder Gedenkstätten) geschehen, aber auch über biografische Anknüpfungspunkte. Lehrpläne können dazu ermutigen, diesen Bereich der Geschichte zu thematisieren. Aus der möglichen Debatte um die curriculare Anbindung oder sogar die explizite Integration des Holocaust in das Themenangebot des Sachunterrichts entsteht unmittelbar die Frage nach dem „Wie“. Mit welchen Methoden, Materialien und letztlich welchen konkreten Zielen kann der Holocaust jüngeren Schülerinnen und Schülern vermittelt werden? Hier steht eine breite Diskussion noch aus. Bisher gibt es nur relativ wenige grundschulspezifische Angebote, manche frühere Beiträge – vor allem zur Auseinandersetzung mit Kinderliteratur über den Holocaust – sind aus heutiger Sicht nicht mehr zeitgemäß. Prominentestes Beispiel für einen Wandel in der Beurteilung eines belletristischen Zugangs war und ist das Buch „Damals war es Friedrich“ von Hans Peter Richter aus dem Jahr 1961/1969. Eine Möglichkeit – unter vielen – für eine kompetenzorientierte Thematisierung ist das in diesem Beitrag vorgestellte Unterrichtsbeispiel zu „Tommy“. Aus der persönlichen Erfahrung des Unterrichtsversuchs wurde darüber hinaus deutlich, dass elterlichen Befindlichkeiten, Fragen und Vorbehalten begegnet werden sollte. Hierbei braucht es zunächst eine didaktisch-methodische Selbstvergewisserung von Lehrkräften, dass der Holocaust Thema im Grundschulunterricht sein darf und kann. Zweitens benötigen Lehrerinnen und Lehrer fachliche Kompetenz, um Einwendungen sachgerecht begegnen zu können. Zu dieser gehört auch, einen eigenen Standpunkt bezüglich des Themas und seiner Relevanz für den Geschichtsunterricht in der Grundschule zu entwickeln. Eine besondere Relevanz hat das Thema, wenn man aktuelle gesellschaftliche Debatten verfolgt. Zu diesen sollte auch die (Grund-)Schule Stellung beziehen können. Lediglich beispielhaft sei auf zwei Diskussionen der letzten Jahre verwiesen, die aufmerksame Kinder durchaus wahrgenommen haben (,wenn sie sie sicher auch nicht in ganzer Tragweite begreifen): Björn Höckes Provokation in seiner Dresdner Rede vom 17. Januar 2017, in der er das Denkmal für die ermordeten Juden Europas als „Denkmal der Schande“ bezeichnete und die darauf
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folgende künstlerische Auseinandersetzung damit durch die Künstlergruppe ZPS im November 2017; sowie der Hinweis von Alexander Gauland vom 2. Juni 2018, Hitler und die Nazis seien nur ein „Vogelschiss“ in der deutschen Geschichte, die zentrale Bedeutung des Themas in der kollektiven historischen Erinnerung also übertrieben. Der Schule – und auch der Grundschule – fällt, ebenso wie anderen gesellschaftlichen Kräften, die Aufgabe zu, solch „kalkulierten Tabubruch“ (taz) nicht unkommentiert zu lassen. Das gelingt in ersten Ansätzen auch dadurch, dass Kinder frühzeitig überhaupt wissen, um welches historische Geschehen es geht, wenn von „Hitler“, „den Nazis“ oder „den Juden“ die Rede ist.
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„Verfolgt und vertrieben“ Lernen mit Lebensgeschichten jüdischer Flüchtlingskinder auf der Schweizer Primarstufe Christian Mathis und Urs Urech
Zusammenfassung
Die Autoren erachten es als wichtige Aufgabe, den Holocaust in der Primarstufe zu behandeln, da sich in Studien gezeigt hat, dass Kinder und Jugendliche dieser Altersstufe bereits im außerschulischen Bereich mit diesem Thema konfrontiert werden. Durch die oftmals limitierte Darstellung entsteht jedoch bei Schülerinnen und Schülern eine hitlerzentrierte Vorstellung der Vernichtung der Juden, ohne dass Kenntnisse der schrittweisen Ausgrenzung durch die Nationalsozialisten vorhanden sind. Um das Wissen zu erweitern und ein historisches Lernen anzuregen, wurde 2018 das Lehrmittel „Verfolgt und vertrieben. Lernen mit Lebensgeschichten“ herausgebracht, das auf den Ergebnissen einer Studie der Autoren fußt und zu Testzwecken in drei sechsten Klassen erprobt worden ist. Es folgt dem Konzept „Lernen mit und an Biografien“, was den Schülerinnen und Schülern einen individuellen Zugang zu Schicksalen jüdischer Kinder und Jugendlicher ermöglicht, wodurch die Chance besteht, einen Perspektivwechsel bzw. eine Perspektivübernahme zu üben und Empathie zu entwickeln. Aufgrund des Einsatzes unterschiedlicher Quellen und mit Hilfe von Zusatzmaterialien kann auch zu politischen, gesellschaftlichen, ökonomischen und sozialen Ereignissen ein Einblick gewährt und eine Kontextualisierung des Individuellen im Allgemeinen erzielt werden. Dabei ist es keineswegs Ziel, die Gräuel des Holocaust in vollem Ausmaß zu beleuchten, sondern den Schülerinnen und Schülern mit Hilfe verschiedener Aufgabentypen historisches Lernen zu ermöglichen.
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Gloe und A. Ballis (Hrsg.), Holocaust Education Revisited, Holocaust Education – Historisches Lernen – Menschenrechtsbildung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24207-7_24
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Abstract
The authors consider it an important task to deal with the Holocaust in primary school since studies have shown that children are already confronted with this topic in extracurricular activities. The often limited presentation of the Holocaust results in a Hitler-centred conception of the extermination of the Jews. There is no knowledge of the step-by-step procedure of gaining power by the Nazi regime. In order to broaden knowledge and stimulate historical learning, the teaching material “Verfolgt und vertrieben. Lernen mit Lebensgeschichten” was published in 2018, based on the results of a study by the authors and tested in three sixth-grade classes. It follows the concept of “learning with and from biographies,” which enables students to gain individual access to the fates of Jewish children and young people, thus giving them the chance to practice a change of perspective or adoption of perspective and to develop empathy. Through the use of different sources and with the help of additional materials, insight can also be gained into political, social, economic and societal events and contextualization of the individual, in general, can be achieved. It is not the aim of the project to illuminate the horrors of the Holocaust to the full extent, but rather to enable the students to learn about the history of the Holocaust employing different types of tasks.
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Den Holocaust bereits auf der Primarstufe thematisieren
Theodor W. Adorno forderte 1966 als „allererste“ Forderung an Erziehung, „dass Auschwitz nicht noch einmal sei“ (Adorno 2015). Dabei betonte er, sich dabei bereits auf die frühe Kindheit zu konzentrieren. Seither ist seine Rede der zentrale Bezugspunkt in der Diskussion, ob der Holocaust bereits in der Primarschule thematisiert werden soll oder nicht (Becher 2009: 32f.). Die Frage, ob man mit Primarschulkindern den Holocaust thematisieren kann, soll oder muss, wurde in den letzten fünfzig Jahren kontrovers diskutiert. Fest steht, dass es darauf keine abschließende Antwort gibt (Beck 1998; Heyl 1998; Becher 2009: 33–37). Die Schweizer Bildungspolitik sah diesbezüglich lange wenig Diskussionsbedarf. Denn die Schweiz verstand sich als neutrales Land, das nicht am Holocaust beteiligt war (z. B. Meyer 1965). Seit der Aufarbeitung der Geschichte der Schweiz zur Zeit des Nationalsozialismus durch die „Bergier Kommission“ um die Jahrtausendwende
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hat sich dies jedoch geändert (UEK 2002; Maissen 2005; Ziegler et al. 2012; Wisard 2016). Heute wird die Rolle der Schweiz zur Zeit des Nationalsozialismus auf dem Hintergrund der von Raul Hilberg (1992) maßgeblich geprägten Trias „Täter, Opfer, Zuschauer“ diskutiert und die Schweiz versteht sich als sogenanntes „bystander country“ (IHRA 2016; Lienert 2016; Fivaz-Silbermann 2016). Der Holocaust ist nicht explizit Lehrplaninhalt für die Deutschschweizer Primarstufe (D-EDK 2016), die Themen Zweiter Weltkrieg und Holocaust beschäftigen und interessieren jedoch viele Kinder bereits auf der Primarstufe (Klassenstufe 1 bis 6) (Mathis/Urech 2013). Bringen beispielsweise Kinder der fünften Klasse die Frage in die Schule, ob es stimme, dass Hitler sechs Millionen Menschen umgebracht, vergast und verbrannt hat, sollte die Lehrperson darauf reagieren. Geht die Lehrkraft nicht darauf ein, werden Primarschulkindern gesellschaftlich wichtige Themen wie „Holocaust“ und „Nationalsozialismus“ vorenthalten und die Lebensweltorientierung als zentrales Prinzip der Grundschulpädagogik und der Sachunterrichtsdidaktik (Richter 2009: 76–103) missachtet. Diese Position vertritt auch Detlef Pech, der erklärt: „Holocaust und Nationalsozialismus müssen Gegenstände des Sachunterrichts sein – denn sie sind aus lebensweltlicher wie aus bildungstheoretischer Perspektive relevant“ (Pech 2006: 58). Er spricht diesbezüglich gar von einem „Entmündigungsprozess“, wenn versucht werde, den Primarschülerinnen und -schülern gesellschaftlich wichtige Themen wie Holocaust und Nationalsozialismus vorzuenthalten (Pech 2006: 51–69). In den letzten zehn Jahren sind in Deutschland (Hanfland 2008; Becher 2009; Flügel 2009; Klätte 2011; Koch 2017), der Schweiz (Mathis/Urech 2013) und in Großbritannien (Cowan/Maitles 2005; Foster et al. 2016) empirische Studien entstanden, die mit unterschiedlichen methodischen Zugängen und theoretischen Grundannahmen zeigen konnten, dass Primarschülerinnen und -schüler über ein erstaunlich großes Wissen und mehr oder weniger differenzierte Vorstellungen zum Holocaust verfügen. Vor diesem Hintergrund ist das Lehrmittel „Verfolgt und vertrieben. Lernen mit Lebensgeschichten“ entstanden. Es ist 2018 im Lehrmittelverlag Zürich (LMVZ) erschienen und wurde im März 2018 mit dem Dr. Kurt Bigler/Bergheimer-Preis ausgezeichnet (www.biglerpreis.ch [zuletzt: 30.04.2020]). Darin wird anhand von Lebensgeschichten jüdischer Frauen und Männer, die zur Zeit des Nationalsozialismus als sieben- bis sechzehnjährige Kinder in die Schweiz flüchteten, das Thema Holocaust für 5. und 6. Klassen der Primarstufe aufbereitet (Mathis/Urech 2018). Wenn Kinder also in der Primarschule Fragen zum Holocaust stellen oder antisemitische Vorurteile zur Sprache kommen, verfügen Deutschschweizer Lehrpersonen nun über ein stufengerechtes Lehrmittel.
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Das Modell der Didaktischen Rekonstruktion (MDR)
Die Entwicklung des Lehrmittels basiert auf der Arbeit mit dem Modell der Didaktischen Rekonstruktion (MDR). Das MDR ist ein theoretischer und methodischer Rahmen sowohl für die fachdidaktische Lehr-Lernforschung als auch für die Konstruktion von Lernmaterialien. Dabei sind sowohl die Ziele, also die didaktischen Absichten, als auch die Perspektiven der Schülerinnen und Schüler zum jeweiligen Thema explizit zu berücksichtigen (Reinfried et al. 2009). Lerntheoretisch basiert es auf dem Verständnis des „Lernens als Konzeptveränderung“. Im englischsprachigen Raum hat sich die Bezeichnung „Conceptual Change“ durchgesetzt. Da beim historischen Lernen jedoch selten die Konzepte und Vorstellungen wirklich radikal verändert, sondern vielmehr angereichert, ergänzt und insbesondere umgebaut und kontextualisiert werden, eignet sich „Conceptual Reconstruction“ besser (Mathis 2015: 18–27). Das MDR besteht aus drei Teilaufgaben: 1. Fachliche Klärung: das Herausarbeiten elementarer Konzepte der Holocaust Studies in der Kontrastierung mit den Schülervorstellungen (exemplarisch gezeigt in Becher 2009: 42–82); 2. Erfassen der Schülerperspektiven: die empirische Erforschung der Vorstellungen von Lernenden zum Holocaust, zum Beispiel mittels problemzentrierter Interviews (Mathis/Urech 2013); 3. Didaktische Strukturierung: das Erstellen einer Lernstruktur und Formulieren von Leitlinien mit den entsprechenden Konsequenzen für die Konstruktion von Lernmaterialien, bei der die Beziehungen zwischen der erarbeiteten Sachstruktur resp. Fachkonzepten und den erhobenen Schülerperspektiven leitend sind (Mathis/Urech 2018). Die entscheidende Leistung des MDR besteht darin, systematisch Schülervorstellungen und fachlich geklärte Vorstellungen aufeinander zu beziehen und für die Konstruktion von konkreten Lernmaterialien zu nutzen. Das Vorgehen bei den drei Aufgaben ist rekursiv, das heißt, im Prozess werden die drei Aufgaben aufeinander rückbezogen (Kattmann et al. 1997).
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Abb. 1 Das Beziehungsgefüge der drei Teilaufgaben im Modell der Didaktischen Rekonstruktion (Kattmann et al. 1997)
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Das Vorwissen der Schülerinnen und Schüler
Die Schülervorstellungen von Deutschschweizer Fünftklässlerinnen und -klässlern zum Holocaust wurden mittels einer empirischen Studie erhoben (Mathis/Urech 2013). Die Forschungsfragen lauteten: Welche Vorstellungen haben Kinder der 5. Klasse über den Holocaust? Wie erklären sie sich dieses historische Ereignis, welche Akteure kennen sie und welche Motive schreiben sie diesen zu? Dazu wurden drei Jungen und vier Mädchen aus einer 5. Klasse mittels leitfadengestützter Interviews befragt. Der Leitfaden entstand in Anlehnung an Becher (2009: 104). Die Daten wurden mit der Grounded Theory Methodology ausgewertet (Strauss/Corbin 1996: 39–147). Es zeigte sich, dass Kinder mit dem Nationalsozialismus, dem Holocaust und dem Zweiten Weltkrieg im außerschulischen Kontext konfrontiert werden: Fast alle nennen ihre Großeltern, Eltern (eher die Mütter) oder ältere Kinder als Quelle ihres Wissens. Neben dem Fernsehen werden auch Bücher oder Computerspiele, die für ihre Altersgruppe nicht freigegeben sind, genannt. Erst nachdem die Schülerinnen und Schüler im Interview die „Juden“ als Opfergruppe genannt haben, wurden sie gefragt, was denn mit den „Juden“ passiert sei. Typischerweise nennt der große Teil von ihnen zuerst Begriffe wie „jagen“, „erschießen“ und „vergasen“.
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Für den Historiker Raul Hilberg (1999: 1067) folgt der Vernichtungsprozess „einem inhärenten Schema“, das „drei organisch aufeinander folgende Schritte“ umfasst: „Definition-Konzentration-Vernichtung“. Die Schülerinnen und Schüler besitzen vor allem Vorstellungen zur dritten Phase. Hingegen fehlen diese zu den Strukturen und Mechanismen der nationalsozialistischen Herrschaft, der systematischen Verfolgung und Ermordung von Menschen fast ganz. Der Holocaust ist für die Primarschülerinnen und -schüler eine Folge von Hitlers Verfolgungs- und Vernichtungswillen, welcher in erster Linie auf seiner religiös geprägten „Antipathie“ gegenüber den „Juden“ basiert. Die Person Adolf Hitler ist ein zentraler Dreh- und Angelpunkt kindlicher Vorstellungen. Becher (2009: 196–200) spricht in diesem Zusammenhang von „Hitler(zentr)ismus“: Er ist der Übermächtige, der Verführer, der Gefürchtete. Hitler ist für die Kinder der Hauptschuldige der Judenvernichtung. Darin liegt einerseits ein Grund für das Fokussieren auf die Phase der Vernichtung. In den Vorstellungen der Kinder hat Hitler selbst als historischer Akteur auf allen Ebenen der Judenvernichtung gehandelt. Hitler sei aktiv bei der Judenverfolgung als Ausführender dabei gewesen. Er habe die Juden „gejagt“, „eingesperrt“, „gefoltert“, „erschossen“, „vergast“, „getötet“ (Mathis/Urech 2013: 45f.). Andererseits verhindert der Hitler(zentr)ismus den Aufbau historisch korrekter Vorstellungen über die Struktur der nationalsozialistischen Herrschaft und die Durchsetzung der Judenpolitik. In den Vorstellungen der Kinder unterscheiden sich „Juden“ vor allem durch ihren Glauben von „uns“. Von dieser „anderen“ Religion besitzen viele Kinder jedoch keine konkrete Vorstellung. Für einzelne Kinder schlägt sich diese Andersartigkeit im Aussehen nieder: „Ich glaube einfach nicht, dass die eine weisse Hautfarbe haben, sondern eine andere, dunklere, und dann hat er [Hitler] die ausrotten wollen, weil er nur noch eine Rasse von Menschen haben wollte. Halt eben die Weissen“ (Mathis/ Urech 2013: 49). Dieser Junge folgt hier der Argumentation der Nationalsozialisten und bezeichnet die „Juden“ als Rasse. Für die Schülerinnen und Schüler gehören „wir“ zu den Weißen und die jüdischen Menschen zu den „Nicht-Weißen“. Zudem kolportieren einzelne Kinder antisemitische Stereotype: „[…] also [Hitler hat] die Juden versucht umzubringen, weil sie reiche Geschäftsmänner waren und Geld hatten und Öl natürlich auch“ (Mathis/Urech 2013: 49).
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Didaktische Strukturierung: Konsequenzen für die Entwicklung des Lehrmittels
Zwei zentrale Erkenntnisse aus der empirischen Studie waren für die Gestaltung des Lehrmittels im Sinne der Didaktischen Strukturierung leitend: Erstens ist den Kindern nicht bewusst, dass die Ausgrenzung und Entrechtung der von den Nationalsozialisten als „jüdisch“ definierten Menschen schrittweise erfolgte und dass nicht Hitler die „Juden“ selbst eingesammelt und umgebracht hat. Zweitens haben die Schülerinnen und Schüler kaum eine Vorstellung, wer „diese Juden“ überhaupt waren. Mit dem Konzept „Lernen mit und an Biografien“, das in den letzten Jahren in der Holocaust Education breite Akzeptanz gefunden hat, sollen Kinder in der Primarstufe auf der individuellen Ebene an die Thematik des Holocaust herangeführt werden. Das Konzept „Lernen an und mit Biographien“ wurde maßgeblich von Andrea Becher theoretisiert und gestaltet (Becher 2006: 17–34; 2009: 228–233, 252–254). Die „Lebensmitte“ einzelner Personen oder Gruppen steht dabei im Zentrum. Den Individuen wird eine eigene Persönlichkeit zugestanden. Durch das „individualisierende Verfahren“ werden ihre Perspektiven auf das historische Geschehen während ihrer jeweiligen Lebensabschnitte hervorgehoben (Barricelli 2018: 57ff.). Der biografische Zugang ermöglicht es den Kindern, sich in Perspektivenwechsel und -übernahme zu üben und Empathie zu entwickeln (Becher 2013: 31–34; Nägel 2015: 91–94). Für das Lehrmittel wurden Lebensgeschichten von jüdischen Menschen gewählt, die als damals sieben- bis sechzehnjährige Kinder und Jugendliche in die Schweiz geflüchtet sind: Es handelt sich dabei um Werner Hönigsberg, der 1930 in Wiener Neustadt, Österreich, geboren wurde, Ruth Kornfeld, die 1936 als Ruth Meisner in Bozen, Italien, zur Welt kam, Ehud Loeb, der 1934 als Herbert Odenheimer in Bühl, Deutschland, geboren wurde und 2018 in Jerusalem verstorben ist sowie Hanna Meyer-Moses, die 1927 in Durlach, Deutschland, geboren wurde. Zudem wurde die Lebensgeschichte eines aktuellen Flüchtlingskindes analog zu den historischen Beispielen aufgearbeitet. Indem der Blick auf die individuellen Vergangenheiten gerichtet wird, können die Lernenden die Lebensgeschichten der Flüchtlingskinder mit ihrer eigenen Geschichte und Kindheit in Beziehung setzen und Perspektivenübernahme üben. Die Auswahl der vier Biografien erfolgte aufgrund exemplarischer Überlegungen. Dabei stellten sich folgende Fragen: Was sind „gute“ Zeitzeugnisse aus der Zeit des Nationalsozialismus? Was macht einen Zeitzeugenbericht verständlich, eindrücklich, lernreich? Welche Lebensgeschichten eignen sich für Primarschulkinder, welche wollen wir Kindern nicht zumuten? Wieviel Originalton der damaligen
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Flüchtlingskinder können wir in der Sprache, den familiären und persönlichen Erinnerungen erhalten? Welche Balance von Erinnerungen, Gedanken, Gefühlen und Meinungen der Hauptpersonen ist sinnvoll für diese Lebensgeschichten, um Empathie, Perspektivenübernahme und Verständnis zu ermöglichen? Welche und wieviel Kontextinformationen in den Lebensgeschichten können Kinder verstehen? Werner Hönigsberg (*1930) floh vor dem Krieg mit seinen Eltern aus Wien, Österreich, reiste als Tourist in die Schweiz und konnte nach Kriegsausbruch dort bleiben. Ehud Loeb (1934–2018) aus Bühl, Deutschland, überlebte die Deportation und das Lager Gurs, wurde in einer katholischen Familie versteckt und später unmittelbar nach dem Krieg von Schweizer Verwandten adoptiert. Hanna Meyer-Moses (*1927) aus Karlsruhe, Deutschland, hingegen überlebte ihre Deportation und das Lager Gurs, indem sie von Helferinnen und Helfern in einem Waisenhaus versteckt wurde. Im Jahr 1943 flüchtete sie über die grüne Grenze in die Schweiz. Ruth Kornfeld (*1936) aus Bozen, Italien, gelang mit ihrer Familie die Flucht über die schweizerisch-italienische Grenze nur dank eines Grenzsoldaten, der sie aus Mitleid passieren ließ. Anhand dieser vier Lebensgeschichten wird die Vielfalt der Flüchtlingsschicksale aus den Nachbarländern der Schweiz nachvollziehbar gemacht und es wird historisches Lernen über verschiedene Fluchtmöglichkeiten, Fluchtzeitpunkte und -wege sowie Fluchtgründe und -anlässe während der Zeit des Nationalsozialismus ermöglicht.
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Umsetzung – Das Lehrmittel „Verfolgt und vertrieben“
Für die Lehrperson wurde zu jedem Flüchtlingskind eine „Kurzbiografie“ verfasst, die relevante Kontextinformationen enthält. Für die Schülerinnen und Schüler wurden die Berichte der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen thematisch in folgende biografische Aspekte sequenziert: Familie, Kindheit, Ausgrenzung, Flucht und Verlust, Ankunft in der Schweiz, Leben als Flüchtling in der Schweiz, Nachkriegszeit. Für jeden Aspekt wurden Kopiervorlagen im Format DIN A4 erstellt. Sie beinhalten jeweils einen Text aus der Lebensgeschichte, ein Foto und eine Serie von Aufgaben zur jeweiligen Lebenssituation der Person. Die Fotos von Personen und Ausweisen stammen aus den privaten Fotoalben der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, einzelne Fotos von Gebäuden und Denkmälern stammen aus Archiven oder wurden bereits anderweitig publiziert. Die Bilder dienen der Illustration. Aufgrund der Erprobungen konnte festgestellt werden, dass die Kinder sich intensiver auf die Lebensgeschichten einlassen, wenn sie mit Bildern ergänzt sind. Die Kinder nehmen die Geschichten als „authentischer“ wahr, obwohl die damaligen Flüchtlingskinder
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sich oft nicht an den Moment der Fotoaufnahme erinnern können und manche Erinnerungen gar den Fotoaufnahmen widersprechen oder erst dank eines Fotos in die Lebensgeschichte integriert wurden. Die Erzählungen sind in kindgerechter Sprache in der Ich-Form verfasst. Die Anzahl der Lesekarten variiert bei den unterschiedlichen Lebensgeschichten zwischen fünf und fünfzehn Seiten. Zudem wurde ein Glossar mit Worterklärungen zum geschichtlichen Kontext und zum Judentum erstellt. Die aktuelle Lebensgeschichte des syrischen Flüchtlingsmädchens wurde weder illustriert noch kontextualisiert. Diese Kopiervorlagen sollen sich im Erscheinungsbild und auch in der Bearbeitung von denjenigen der damaligen jüdischen Flüchtlingskinder unterscheiden, um vorschnellen Vergleichen vorzubeugen. Jedoch verdeutlicht diese Fluchtgeschichte die Aktualität bzw. den Gegenwartsbezug. Hier besteht für die Eidgenossenschaft eine Kontinuität: Heute noch fliehen Kinder in die Schweiz, wenn auch aus anderen Gründen. Eine doppelte Bedeutung kommt beim historischen Lernen dem Vergleichen als typische Denk-, Arbeits- und Handlungsweise zu: „Mit dem Vergleich als Methode [Hervorhebung im Original] beginnt die Suche nach Unterschieden und Gemeinsamkeiten, die verallgemeinerbar sind und historische Phänomene erklärbar machen“ (Handro 2018: 40ff., hier: 41). Beim Herausarbeiten von Gemeinsamkeiten und Unterschieden, die möglicherweise befremdlich wirken, können erstens „empathische Momente“ entstehen (Becher 2006; 2009), kann Interesse geweckt und Fragen generiert werden (Schreiber 2007). Zweitens werden die Lebensgeschichten mit den gesellschaftlichen, politischen, ökonomischen und kulturellen Bedingungen, Ereignissen und Strukturen der Zeit des Nationalsozialismus mit Hilfe von Zusatzmaterialien verknüpft. So hilft etwa das Erstellen eines Zeitstrahls, in welcher die lebensgeschichtlichen Ereignisse mit relevanten Eckdaten aus der Ereignisgeschichte eingearbeitet werden, die Bedeutung gesellschaftspolitischer Entwicklungen mit jenen auf individueller biografischer Ebene zu verknüpfen (Jeismann 2000: 64). Insbesondere die systematische, sich steigernde Anwendung von antijüdischen und antisemitischen Gesetzen und Maßnahmen soll dabei als Bezugspunkt dienen. Es geht also um die Kontextualisierung des Individuellen im Allgemeinen. Dies kann mithilfe eines Zeitstrahls visualisiert werden. Das hilft den Kindern, sich entsprechend zu orientieren (Hinrichs 2018: 242f.). Als Maßstab für die Werturteile der Schülerinnen und Schüler in der Gegenwart dient ihnen die Arbeit mit der, von der Schweiz ratifizierten, UN-Kinderrechtskonvention, die in Auszügen ebenfalls im Zusatzmaterial des Lehrmittels schülergerecht aufgearbeitet, bereitgestellt wird.
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Die Dreh- und Angelpunkte des historischen Lernens sind jedoch die Aufgaben. Grundsätzlich können im Lehrmittel sechs Aufgabentypen unterschieden werden. Diese verfolgen jeweils unterschiedliche Ziele (Wenzel 2018: 78ff.): 1. Biografien verstehen: Diese Aufgaben dienen in erster Linie dem Textverständnis, dem Aufbau von Empathie mit dem Flüchtlingskind und der Übernahme von dessen Perspektive. Hier ein Beispiel aus der Lebensgeschichte von Werner Hönigsberg: „Mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs schloss die Schweiz ihre Grenzen. Werners Familie durfte bleiben, benötigte aber immer wieder eine neue Aufenthaltsbewilligung. Erfinde in deinem Arbeitsheft einen Tagebucheintrag, in dem Werners Vater beschreibt, wie es der Familie geht, wenn die Aufenthaltsbewilligung abläuft“ (Mathis/ Urech 2018: KV 1.3/3).
2. Bezug zur eigenen Lebenswelt: Es handelt sich um Aufgaben zum Textverständnis mit Bezug zur Lebenswelt der heutigen Kinder. Es folgt ein Beispiel aus der Lebensgeschichte von Ruth Kornfeld Meisner: „Was würde sich für dich und deine Familie verändern, wenn deine Eltern Berufsverbote erhielten? Notiere deine Gedanken in deinem Arbeitsheft“ (Mathis/Urech 2018: KV 2.2/2).
3. Vergleichsaufgaben zu den zentralen Themen der Lebensgeschichten im Kontext der Zeitgeschichte: Dabei geht es um das historische Kontextualisieren der Lebensgeschichten. Die Gemeinsamkeiten in Bezug auf Ausgrenzung, Verfolgung und Vertreibung zeigen deutlich, dass es sich um eine strukturelle, systematische Ausgrenzung, Entrechtung bis hin zur Vernichtung von Jüdinnen und Juden handelte; es waren nicht nur Einzelschicksale. Das Beispiel stammt aus dem Abschnitt „Zusammenfassung“: „Informiere dich mithilfe von Material 2 über das Schulverbot jüdischer Kinder. Notiere auf einem Zettel, ab wann Herbert und Hanna nicht mehr in die öffentliche Schule gehen durften. Lies dazu die Kopiervorlagen 3.2 und 4.3. und klebe das Ergebnis im Zeitstrahl ein“ (Mathis/Urech 2018: KV 7.2/B).
4. Historische Re-Konstruktion: Die Lebensgeschichten der als Kind in die Schweiz geflüchteten Menschen soll in einen Zeitstrahl eingearbeitet werden. Im Anschluss kann die Lebensgeschichte mit Daten aus den Kontextmaterialien (z. B. Einführung des J-Stempels aufgrund eines Abkommens zwischen Deutschem Reich und der Eidgenossenschaft) ergänzt werden. Dadurch wird die exemplarische Lebensgeschichte mit der Ereignisgeschichte sinnhaft verknüpft. Das
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schafft historische Orientierung in der Zeit und fördert innerhalb der historischen Methodenkompetenz die Basisoperation der Re-Konstruktion, wobei Zeitlichkeit in der Abfolge, der Dauer, der Gleichzeitigkeit sowie im Abstand zwischen den Ereignissen wahrgenommen werden kann (Schreiber 2007). Hier ein Beispiel aus dem Material zur Lebensgeschichte von Hanna Meyer Moses: „Informiere dich mithilfe von Material 5 über den J-Stempel. Erkläre in deinem Arbeitsheft in eigenen Worten, warum der J-Stempel eingeführt wurde. Beurteile dies“ (Mathis/Urech 2018: KV 4.4/1).
5. Bezug zur UN-Kinderrechtskonvention herstellen, sich positionieren: Die Verletzungen dieser von der Eidgenossenschaft ratifizierten Rechtsnorm sollen erkannt und benannt werden. Zudem können die Kinderrechte als gegenwärtiger Maßstab dienen, mit denen die historische Entwicklung beurteilt werden kann. Es folgt ein Beispiel aus der Lebensgeschichte von Ehud Loeb: „Hubert wurde wegen seiner Religion verfolgt. Heute versucht man Kinder davor zu schützen. Lies dazu Artikel 2 und 7 der UN-Kinderrechtskonvention im Zusatzmaterial 7.6. Besprecht zu zweit, wie gegen dieses [erst heute gültige] Recht damals verstoßen wurde“ (Mathis/Urech 2018: KV 3.8/4).
6. Vergleichsaufgabe zum aktuellen Flüchtlingskind aus Syrien: Mit dem Einbezug einer aktuellen Biografie eines Flüchtlingskindes wird der Bezug zur heutigen Lebenswelt geschaffen. Dabei können Unterschiede und Gemeinsamkeiten (sowie Wandel und Kontinuitäten) mit den historischen Lebensgeschichten herausgearbeitet werden. Auch können Bezüge zur aktuellen Diskussion über Flüchtlinge und Flüchtlingspolitik hergestellt werden. Das Beispiel stammt aus dem Kapitel „Zusammenfassung“: „Vergleicht Syrias Erlebnisse mit den Lebensgeschichten der jüdischen Flüchtlingskinder aus dem Zweiten Weltkrieg. Geht so vor: Lest die Kopiervorlagen (Syria 5.2 und 5.3, Werner 1.2, Ruth 2.4, Hanna, 4.5). Beantwortet die Fragen in Stichworten. Wie flüchteten Syria, Werner, Ruth und Hanna?“ (Mathis/Urech 2018: KV 7.5/2).
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Schluss – Erkenntnisse aus der Testphase
Schließlich ist zu betonen, dass die Kinder auf der Primarstufe nicht mit den Gräueln der nationalsozialistischen Todesmaschinerie konfrontiert bzw. davon überwältigt werden sollen. Gerade Hannas Lebensgeschichte fordert den Kindern diesbezüglich
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viel ab. Die Unterrichtsmaterialien wollen zwar vor dem Hintergrund des oben referierten Vorwissens der Kinder zentrale Fakten dieser dunklen Geschichte nicht ausblenden oder gar beschönigen, so werden die Kinder – bildlich gesprochen – bis vor die Tore von Auschwitz geführt. Hineingehen müssen sie jedoch nicht. Auch wurden Einzelschicksale gewählt, die die Shoa überlebt haben. Alle im Lehrmittel aufgenommenen jüdischen Flüchtlingskinder konnten in der Nachkriegszeit erfolgreich ihr Leben meistern, Familien gründen und alt werden. In der Testphase des Lehrmittels haben wir das Unterrichtsmaterial in drei unterschiedlichen 6. Klassen erprobt, um die Textverständlichkeit und die Aufgabenqualität zu überprüfen. Die Erkenntnisse aus den Erprobungen mit Schülerinnen und Schülern aus einem städtischen, mehrheitlich migrantischen und bildungsfernen Umfeld in Kleinhünigen (Basel-Stadt), einem bürgerlich bildungsnahen und migrantischen Umfeld in Baden (Aargau) und einem ländlichen, mehrheitlich schweizerischen Umfeld in Tägerig (Aargau) waren durchaus positiv und hilfreich für die abschließende Entwicklung des Lehrmittels. Das Interesse und die Lernbereitschaft der Schülerinnen und Schüler war durchgängig hoch. Alle Kinder ließen sich auf die Lebensgeschichten der damaligen und aktuellen Flüchtlingskinder ein und vertieften sich mit Engagement in die Aufgaben und das Kontextmaterial zu den jüdischen Flüchtlingskindern. Manchen Kindern gingen die Schicksale der Flüchtlingskinder sehr nahe. Sie machten eine Pause und suchten das persönliche Gespräch mit ihrer Lehrperson. Deshalb ist bei der Arbeit mit dem Lehrmittel „Verfolgt und vertrieben“ eine entsprechende pädagogische Haltung der Lehrperson von zentraler Bedeutung: Die Kinder müssen jederzeit aufhören können und alles fragen dürfen. Zudem braucht es regelmäßige Gespräche und genügend Zeit, um die Fragen der Kinder zu besprechen und auf allfällige Ängste einzugehen.
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Zum Abschluss
Comment on the conference “Holocaust Education Revisited – Near but far” Michele Barricelli
Holocaust Education, to this day, is more of a project than a fully fledged concept, and much less a given. In fact, it epitomizes a bit of interdisciplinary turmoil. History, citizenship education, arts, music and literature, social or religious studies, moral pedagogy all work together or struggle for dominance on the topic. This disparity became clear once more in the course of the conference. So allow me to concentrate on my own discipline, history, which may have considerable things to say in the matter. I was reminded of this unique contest of differing perspectives at the very beginning of the conference when Anja Ballis presented and explained the research project “Nähe und Distanz”. The translation of its title was introduced as “Near but far” (although I could not find it in the program). This struck me with surprise. First, a juxtaposition (“und” = “and”) had become an opposition (“aber” = “but”). Secondly, and more significantly, one could also doubt the order of appearance of the two indicants. As a historian I’ve always approached history (and would recommend this to my students) the other way around: Far but – sometimes, hopefully or menacingly – near. Which means: Undoubtedly and before all else, the past – i. e. the Holocaust or the French Revolution or Cesar – is far, very far away. And we have to struggle didactically to make students feel it is at least near enough to them to think of it as a relevant resource for their own lives. However, the past is not only a distant, but also a foreign country, as English writer L. P. Hartley pointed out and American history educator Sam Wineburg repeated pointedly. Teaching history always means making pupils acquainted with something strongly unfamiliar, appearing therefore either useless, ridiculous or even despicable, dangerous or intimidating at worst. Building the bridge to periods from long ago is, as a matter of fact, no easy task. This is because we have to claim and prove that seemingly dissected eras and dubious lessons from what has been, can nevertheless add something valuable and meaningful to the learners’ lives. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Gloe und A. Ballis (Hrsg.), Holocaust Education Revisited, Holocaust Education – Historisches Lernen – Menschenrechtsbildung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24207-7_25
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At first glance this assumption of worthiness seems hardly fitting when dealing with the Holocaust, or any other form of genocide or mass atrocities. Because theirs is the history and memory not of an addition but of a loss: of lives, of hope, of dignity, of humanity. Anja Ballis herself upheld this notion, drawing on empirical evidence gathered from survivor testimonies; she created an intriguing etymological concept of “Losigkeit” or “lessness”, words that do not exist in their own right in either language but help to forge terms that hint at the deception of something known, longed or wished for. Indeed, as my linguistic handbook tells me, the suffix “los” is still profusely productive in the German language, more than in any other: arbeitslos, heimatlos, wertlos, hoffnungslos. It seems as if Germans are always wary of losing something. This conference, however, in no way cultivated German angst . On the contrary. We encountered mostly hope, courage and strength. Hope, that man is finally able to learn not only about, but from the Holocaust (as underlined in the lecture by M. and B. Kearll); courage, to fight so that the trauma of the victims won’t become the ever paralyzing trauma of the next generations – let me punctuate that according to Sigmund Freud, “trauma” is what cannot be told, not be shaped within a narration – whereas we do want to tell and will not stop narrating for a long time to come; and finally strength, not only to formulate concepts, wishes and calls for duty, but to research how we can specify our goals, find means for achieving them, and test the outcome . Most of the entries in the panels, workshops and, not least, the poster session, delivered evidence or experience for exactly these three areas: specifying goals (also the terms, the time lines, the contributors, the resources), finding means for achieving (yes, it is about the didactics), and testing the outcome. And with this better knowledge, we now can restart the thinking process – because so many things still remain to be done in order to make Holocaust Education an educational model on a working basis. Oliver Plessow, referring to the first task in his opening speech mentioned that after at least a quarter decade of Holocaust education, there is, even or exactly now, a “growing irritation” about what this project may contain beyond being a social fabric or a way to earn a living for a plethora of national, regional or international organizations. Furthermore we long to know: What is the use of all this debating about emotion and empathy? In spite of an impressive number of studies presented here, I believe that we still do not discuss the topic comprehensively – because we should consider the nature of the feelings involved more precisely. Museums and memorial sites for events other than the Holocaust often strive to propel and foster feelings of pride, joy and self-confidence. This, of course, is not true for the topic we are dealing with here. For this reason we have to inquire about the special
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kind of emotional upheaval that results from sadness, shame, grief, horror, disgust. And to what action or behaviour do they or should they lead? I have asked this of myself during many a presentation. We need to be clearer about that. Secondly: How do digitalization and media affect Holocaust Education? Many entries dealt with this question. Is it a blessing from above, amplifying themes, multiplying actors, especially from the bottom up perspective, and bringing controversy into a professional setting, which was already on the verge of suffocating in its unanimity? We often deride echo chambers and opinion bubbles in social media, but aren’t we one in a very pure form as well? Could, for example, computer games – as Prof Kansteiner suggested – help us to escape and free our ways of thinking and speaking – because we allow others, non-professionals, dangerous people to break in? Speaking of professionalism: If indeed engaging oneself in Holocaust Education is, as I heard in one contribution, more an advocacy than a job, how do Holocaust educators – does this word exist? should it exist? – make sure they are not seen by students and the public as stake-holders of their very business or, hideously, industry, but instead as those who strive for a common, not a particular, separate good? A common good, this would correspond to what could be observed here, a perpetual discussion about universal values which are tied to Holocaust Education. Remembering the Holocaust in a proper way was even presented once as a means of building the Weltgesellschaft – a coin termed by Immanuel Kant long before the mass atrocities of the extreme 20th century occurred. This leads me to my final point, for which I paved the way in the beginning, which is the undertaking of researching, studying and teaching history. The Holocaust, before any other, was a concrete event that happened under concrete circumstances. Without any doubt it did have preconditions, causes and probabilities. Bearing this in mind, it could have been prevented at any point. Or at least the worst could have been attenuated. We will never be able to tell the exact reasons “why” the Holocaust happened; narrations will change, and stories about this will vary forever. But it is clear that we still have to strive for better answers and a broader understanding. The clues can only be derived from a deep knowledge of the past; it is simply not enough to rely on explanations based on modern values or experiences of racism or discrimination. Proper answers, I think, can only be found on a societal level, in asking how people were linked to each other yesterday and how they are linked today. How could anyone who was convinced of the existence of a superior race be able to define mechanisms of inclusion and exclusion into and out of society? How could they convince others of the correctness of a scheme so utterly flawed? Why did they strive to make their contended superiority real? And why did this aspira-
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Michele Barricelli
tion go hand in hand with the aim of the sheer elimination of those despised by them? – These are questions eminently fixed to history studies. This means studying documents and studying them diligently, reflecting on what experts and Zeitzeugen tell us and putting it all in even broader and larger contexts of events and developments. By stressing these historical approaches, again, we could make great gains in teaching and educating in the field of Holocaust Education and provide a precondition for memory work. I heard this peculiar expression during a presentation, raising questions such as whether we need more digitalization, more tablets, more second generation witnesses or more devices that trigger powerful emotional responses. The longing for historical evidence not clouded by medial representation was two or three times mentioned during the conference, and yes, ever so often there was indeed the opportunity to study an authentic document there. But only when we do more often or more regularly what historians do – listen to as many voices from the past as possible and make an overall sense of all the stories heard – can we learn how to handle competing narrations even about the Holocaust. That is when we encounter stories that contradict just because they are told out of different cultural perspectives. After all and before much else, the Holocaust – and also the forced labor system – was the starting point of transnational history or memory at least in Europe. This is at first a linguistic fact – and didn’t we hear so much about the performative effects of talking during the three days in Munich? Never before in all time, did people in Germany and beyond connect to the Nazi-world, as victims, perpetrators and by-standers, all of a sudden stumbling across so many different languages. These include Eastern European ones such as Russian, Ukrainian, Polish, Yiddish, Romanian, Bulgarian, Serbian (incidentally: the perspectives of Eastern Europe, of the killing fields, remained slightly obscure here), but of course also Greek, French, Flemish, Dutch, Luxembourgish, Norwegian and Danish. In each and every vernacular the tales of the Holocaust have a different sound, but combined they all make up a European memory of the unthinkable. And so let me conclude with a poem by the Italian Holocaust Survivor Carlo Levi. You all know him and you all know his poem “Se questo è un uomo”. It is worth reading over and over again. After dressing up the image of a mankind utterly divided into those who have and those who have not, those who are and those who, in someone’s eyes, ought not to be, Levi sings:
Comment on the conference “Holocaust Education Revisited – Near but far”
Meditate che questo è stato vi commando queste parole – Think about that this has happened I recommend these words to you. Scolpitele nel Vostro cuore stando a casa andando per via – Carve them into your hearts, at home or anywhere on your way Perhaps, indeed, this is all Holocaust Education is about.
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