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German Pages 178 [180] Year 1998
Hirntod und Organtransplantation
Hirntod und Organtransplantation Herausgegeben von Günter U. Höglinger und Stefan Kleinert
W DE
G
Walter de Gruyter Berlin · New York
1998
Herausgeber Stefan Kleinert L i m b a c h tal 13 91126 Schwabach
Günter U. Höglinger H o c h f e l d s t r a ß e 18 9 4 5 3 8 Fürstenstein
D i e D r u c k l e g u n g dieses B u c h e s w u r d e e r m ö g l i c h t durch die freundliche U n t e r s t ü t z u n g f o l g e n d e r Institutionen: • D e u t s c h e Stiftung O r g a n t r a n s p l a n t a t i o n • Hoffmann-La Roche A G • Institut für G e s c h i c h t e der Medizin, U n i v e r s i t ä t Würzburg (Direktor: Prof. Dr. Dr. G . Keil) • Klinik und Poliklinik für Chirurgie, Universität Würzburg (Direktor: Prof. Dr. A . Thiede) • Novartis Pharma G m b H
Die Deutsche Bibliothek
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CIP-Einheitsaufnuhme
Hirntod und Organtransplantation / hrsg. von Günter U. Höglinger und Stefan Kleinert. - Berlin ; New York : de Gruyter, 1998 ISBN 3-11-016203-2
© Copyright 1998 by Walter de Gruyter G m b H & Co., D-10785 Berlin. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Der Verlag hat für die Wiedergabe aller in diesem Buch enthaltenen Informationen (Programme, Verfahren, Mengen, Dosierungen, Applikationen etc.) mit Autoren und Herausgebern große M ü h e darauf verwandt, diese Angaben genau entsprechend dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes abzudrucken. Trotz sorgfältiger Manuskriptherstellung und Korrektur des Satzes können Fehler nicht ganz ausgeschlossen werden. Autoren bzw. Herausgeber und Verlag übernehmen infolgedessen keine Verantwortung und keine daraus folgende oder sonstige Haftung, die auf irgendeine Art aus der Benutzung der in dem Werk enthaltenen Informationen oder Teilen davon entsteht. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen und dergleichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, daß solche Namen ohne weiteres von jedermann benutzt werden dürfen. Vielmehr handelt es sich häufig um gesetzlich geschützte, eingetragene Warenzeichen, auch wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind. Druck: Arthur Collignon G m b H , Berlin - Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer G m b H , Berlin - Umschlagentwurf: Rudolf Hübler, Berlin Printed in Germany
Vorwort
Die Diskussion anläßlich des neu geschaffenen Transplantationsgesetzes im Sommer 1997 in Deutschland zeigte, daß der gesellschaftliche Konsens zu den Fragen um Hirntod und Organtransplantation nur im interdisplinären Diskurs gefunden werden kann. Aus diesem Grund soll im vorliegenden Buch die Thematik aus dem Blickwinkel aller beteiligten wissenschaftlichen Disziplinen erörtert werden, um so dem Leser die Möglichkeit zu bieten, sich umfassend und ausgewogen zu informieren. Der erste Teil des Buches widmet sich der Frage nach dem Ende des menschlichen Lebens. Nach den historischen Vorstellungen vom Tod werden die biologischen Abläufe beim Sterben und deren naturwissenschaftlich faßbare Zeichen dargestellt. Kontroverse philosophische Konzepte des Todes werden diskutiert und es wird die Frage aufgeworfen, ob die Kriterien der Hirntodfeststellung mit diesen Konzepten in Einklang stehen. Entsprechend fuhren die verschiedenen Todeskonzepte zu unterschiedlichen juristischen Konsequenzen. Der zweite Teil des Buches beschäftigt sich mit der aktuellen Situation des Transplantationswesens in Europa, mit der Frage nach der Verteilungsgerechtigkeit und mit den psychischen Implikationen der Transplantation. Als Ausblick wird die medizinische und ethische Relevanz neuer experimenteller Ansätze diskutiert. Nach Meinung der Herausgeber darf die öffentliche Diskussion über Hirntod und Organtransplantation auch nach Verabschiedung des Transplantationsgetzes in Deutschland nicht enden. Die Entscheidung für oder gegen Organspende und -empfang muß nach wie vor jeder Einzelne für sich selbst treffen. Dieses Buch soll als Informations- und Diskussionsgrundlage dienen. Es richtet sich insbesondere auch an die Verantwortlichen in Medizin und Seelsorge, die in der konkreten Situation Ansprechpartner für den Betroffenen sind.
Das vorliegende Werk ist das zweite Buch, das auf der gemeinsamen Arbeit des Studentenverbands Ethik in der Medizin, Würzburg, und des Instituts für Geschichte der Medizin der Universität Würzburg basiert. Bereits erschienen ist das Buch S. Kleinert, R. Beck, G. Höglinger et al., Der medizinische Blick auf Behinderung, Würzburg 1997, ein weiteres zum Thema „Ethik und Evolutionstheorien" soll folgen.
Würzburg, im Frühjahr 1998
Günter U. Höglinger Stefan Kleinert
Inhaltsverzeichnis
Johannes Gottfried Mayer Zeichen und Zeitpunkt des Todes - Ein medizinhistorischer Streifzug durch die einschlägige Literatur
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Dieter Patzelt Die Hirntodproblematik aus rechtsmedizinisch-biologischer Sicht . . . .
17
Hans-Peter Schlahe, Klaus Roosen Der Hirntod - Tod des Menschen
25
Klaus Steigleder Der Tod des Menschen als komplexes Phänomen - Die Unterscheidung von Todesbegriffen und ihre moralische Relevanz
57
Johannes Hojf Die Frage nach den Grenzen des medizinischen Zuständigkeitsbereiches
65
Michael Rosenberger Von disziplinären Grenzen und interdisziplinären Brücken - Anmerkungen zur aktuellen Diskussion um das Hirntodkriterium Wolfram Höfling Verfassungsrechtliche Grundfragen des Transplantationswesens Hans-Ludwig Schreiber Wann ist der Mensch tot? - Rechtliche Perspektive Kai Lopau, Ekkehart Heidbreder, Christoph Wanner Eurotransplant und die Entwicklung des Organbedarfs in Mitteleuropa
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91
101
Heiner Smit, Wilhelm Schoeppe Aufgaben und Ziele der Deutschen Stiftung Organtransplantation . . . . 109 Johann S. Ach Objektiv, transparent, gerecht? - Kriterien der Allokation von Spendeorganen 113
VIII
Inhalt
Kai Lopau, Ekkehart Heidbreder, Christoph Wanner Niereniebendspende - Eine Alternative zur Verminderung des Organmangels? 129 Sibylle Storkebaum Psychische Belastungen von Organempfängern - Gedanken zur Transplantation 135 Günter U. Höglinger Transplantation von fetalem Gewebe bei Morbus Parkinson - Ethische Überlegungen 141 Arnulf Thiede Die Bedeutung tierexperimenteller Modelle für die Organtransplantation
149
Karin F. A. Ulrichs Perspektiven der Xenotransplantation
155
Zu den Autoren
165
Zeichen und Zeitpunkt des Todes Ein medizinhistorischer Streifzug durch die einschlägige Literatur Johannes G. Mayer
Obwohl das Phänomen des Todes in seiner ganzen Bedeutung von der MedÍ2in nicht erfaßt und somit keine umfassende Todesauffassung seitens des Arztes bereitgestellt werden kann, war die iatrische Kunst im Verlauf ihrer Entwicklungsgeschichte mehr und mehr dazu gezwungen, Stellung zu beziehen, und sei es nur, um den Tod eines Menschen kompetent feststellen zu können und um ihn schließlich bis zuletzt zu bekämpfen. Diese Anforderungen an die Medizin, entsprangen - wie sich zeigen läßt keineswegs aus ihr selbst, sondern wurden vielmehr von außen an sie heran getragen. In unserer Zeit versuchte die Medizin, sich fast weltweit auf das Kriterium des Hirntodes zur Todesfeststellung zu einigen. Dem Hirntodkriterium wird neben anderem vorgeworfen, daß es vor allem zum Zweck der Organentnahme bei akut Sterbenden für die Transplantationsmedizin entwickelt worden sei. Es handle sich um eine „pragmatische Umdefinierung des Todes" (Hans Jonas). Eine historische Betrachtung der Entwicklung der Todeskriterien macht deutlich, daß dieser Einwand so nicht berechtigt ist.
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Todesvorstellungen
1.1 Antike Medizin Der unmittelbare Zeitpunkt des Todes stand in der alten Medizin nicht im Vordergrund des Interesses, wesentlich bedeutsamer war die Prognose, wann ein Schwerkranker sterben werde. Erste konkretere Aussagen über den Tod finden sich bei Empedokles (um 495 435) und Alkmaion (um 500). In den Fragmenten des Philosophen und Arztes Empedokles von Agrigent ist erstmals die Vier-Elementen-Lehre greifbar, während die älteren Naturphilosophen von jeweils einem Urstoff ausgingen. Alle Dinge bestehen aus einem bestimmten Mischungsverhältnis von Feuer, Erde, Luft und Wasser, und diese
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Johannes G . Mayer
Elemente werden durch zwei Kräfte bewegt: durch die Liebe als verbindendes Prinzip und den Haß als trennendes. Altern und Tod wird physiologisch durch den zunehmenden Verlust des Feuers bzw. der Wärme erklärt. Daneben ist der Tod aber auch die Lösung von Seele und Körper. Empedokles ging offensichtlich davon aus, daß die Seele göttlichen Ursprungs sei und über die Seelenwanderung durch mehrere Körper gereinigt zu ihrem Ausgang zurückkehre [59,S.17;14,S.26f.]. Der mit den Pythagoreern in Verbindung stehende Arzt Alkmaion von Kroton kennt zwar noch nicht die VierElementen-Lehre, dennoch finden sich bei ihm vergleichbare Vorstellungen. An die Stelle der Wärme tritt hier das Blut. Die zentrale Kraft des Lebens ist bei ihm die Bewegung des Blutes, ohne daß er bereits von einem Blutkreislauf ausgeht. Im lebendigen Wachzustand durchspülen die Blutgefäße alle Glieder des Körpers; beim Tod wird das Blut in den Adern festgehalten. Auch Alkmaion geht von einer unsterblichen Seele aus, als deren Sitz von ihm das Gehirn bestimmt wird. Die Seele hat kosmische Bezüge, wie die Gestirne vollzieht sie kreisförmige — und damit ewige — Bewegungen, während sich die Körper linear fortbewegen und deshalb sterblich sind: „Die Menschen vergehen deshalb, weil sie nicht die Kraft haben, den Anfang an das Ende zu knüpfen" [17,S.215] und damit eben keine Kreisbewegung vollziehen können. Richtungweisend für die Todeskriterien der antiken und mittelalterlichen Medizin wurden das .Corpus Hippocraticum' und die Werke Galens, die Helene Schädel unter dem Aspekt der Todesvorstellungen untersucht hat [59,S.72-135]. In der leider im Original nur fragmentarisch überlieferten Schrift ,De hebdomadibus' [48] wird der Sterbevorgang beschrieben. Dabei steigt die Wärme des Körpers, die als „substanzielle Lebensgrundlage des Körpers, als eingeborene Wärme, ja sogar als Seele des Körpers" verstanden wird,1 nach oben („über den Nabel hinauf an eine „über dem Diaphragma gelegenen Stelle"); durch diese Konzentration der Körperwärme wird die Feuchtigkeit in Lunge und Herz versengt, und der Atem haucht die Wärme über die Poren und die Atemwege aus, „zurück in das All". Die Seele, die möglicherweise mit dieser Wärme identisch ist, verläßt den Körper, der nun als kaltes, sterbliches Menschenbild zurückbleibt [59,S.89]. Damit ist der Sterbeprozeß beendet, dessen Ergebnis der völlige Wärmeverlust und die Ausschaltung der Herz- und Lungentätigkeit ist. Die Leiche wird dann durch die Körpersäfte Galle, Blut und Schleim zersetzt.2 Uber Zeichen für den eingetretenen Tod äußern sich die Schriften des .Corpus Hippocraticum' kaum; am ergiebigsten ist noch die eben erwähnte Schrift ,De hebdomadibus', aber die hier genannten Phänomene, wie das Schwarzwerden der Nägel, das Kaltwerden und Einschrumpfen von Körperteilen, die Augenstarre und ähnliches, sind postmortale Veränderungen, die nicht den Todeszeitpunkt festhalten [59,S.96f.]. 1
H. Schädel [59], S. 89. Gleichartige Vorstellung von der Wärme des Körpers finden sich auch bei Aristoteles.
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Vgl. H. Schädel [59], S. 90. Aussagen über Sterben und T o d finden sich in folgenden Schriften des .Corpus hippokraticum': ,De flatibus' (E. Littré [48], Bd. VI); ,De morbo sacro' (E. Littré [48], Bd. VI); ,De natura hominis' (E. Littré [48], Bd. VI); ,De carne' (E. Littré [48], Bd. V i l i ) ; ,De corde' (E. Littré [48], Bd. IX).
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Die Todeszeichen der hippokratischen und knidischen Schriften sind Zeichen für den bevorstehenden Tod, versuchen Phänomene des Sterbeprozesses festzuhalten [60,S.5f.]. Vom Tod des Patienten hielt sich der antike Arzt möglichst fern, denn sein Interesse galt den Kranken, die ihr Leiden voraussichtlich überleben würden, an denen er also seine Kunst demonstrieren konnte. Somit endete seine Kunst mit der Feststellung der Unheilbarkeit des Kranken, und das auch deshalb, weil jede Berührung mit dem Tod als „Verunreinigung" galt.3 Das bedeutsamste und größte medizinische Werk der Antike nach dem .Corpus Hippocraticum' ist zweifellos das Oeuvre Galens (131 - 201). Auch sein medizinisches Denken basiert auf den hippokratischen Schriften, aber bei ihm kommt die Auseinandersetzung mit Aristoteles und den Pneumatikern (Stoa) hinzu, außerdem kann er auf die Ergebnisse der Anatomen von Alexandria zurückgreifen. Grundsätzlich gilt für Galen wie für die Schule von Kos, daß der Alterungs- und Sterbeprozeß ein Vorgang der Austrocknung und Abkühlung des Körpers ist. Nach Galen existiert aber auch eine Naturkraft, die unter anderem auch die Eukrasia herstellt, das gesunde Mischungsverhältnis der Körpersäfte. Krankheit ist ein „Kampf mit der Fähigkeit des Körpers die Eukrasie zu erhalten. Der Tod muß dann eintreten, wenn eine lebenswichtige Funktion des Körpers zerstört ist. Für Galen gibt es dafür zwei grundsätzliche Möglichkeiten: zum einen die „Erstickung" der vitalen Kraft, den Erstickungstod, wobei zu beachten ist, daß Galen das Herz zu den Atmungsorganen zählt. Lunge und Herz sind nämlich die ersten zentralen Stationen, in welchen das Element Luft in das Pneuma als lebenswichtige Kraft des Körpers umgewandelt wird. Die zweite allgemeine Todesursache ist der Zusammenbruch der vitalen Kraft, der infolge von Erkrankungen des Magens oder anderer Verdauungsorgane eintritt. Die abgeschwächte oder völlig ausfallende Nahrungsaufnahme führt zu plötzlichen Ohnmächten (syncope) oder zu chronischen Krankheiten, die schließlich eine Unordnung im Gehirn hervorrufen. Auch das Gehirn ist für die Umwandlung des Pneumas von Bedeutung, es stellt die letzte Stufe dar [59,S. 131]. Für unseren Zusammenhang interessant ist die Tatsache, daß Galen das Gehirn ins Spiel bringt. In der Auseinandersetzung mit Piatons Seelenlehre versucht er den obersten, vernünftigen und unsterblichen Teil der Seele als ein Mischungsverhältnis des Gehirns zu begreifen: „Wenn das Vernunftbegabte Teil der Seele ist, dann muß es sterblich sein, denn es muß dann eine Mischung des Gehirns sein."4 Die Versorgung des Gehirns durch „Gehirnpneuma" über die Atmung ist für Galen allerdings nicht so bedeutsam wie das Herz, das auch für die innere Wärme zuständig ist. Durch die Wärme des Herzens entsteht aus der Luft, die von der Lunge in das Herz gelangt, zusammen mit den Dämpfen der Blutflüssigkeit das Körperpneuma. Dieses gelangt durch den Pulsschlag über die arterielle Blutbahn in alle Organe. Somit 3
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Vgl. H.-M. Culmann [14], S. 55f.; F. Kudlien [43] weist daraufhin, daß sich auch antike Ärzte durchaus um Sterbende bemühten; bes. S. 75. C. G. Kühn [44] Bd. IV, S. 774f.: „Itaque, si ratiocinatrix animae species sit, mortalis erit; etenim et ipsa temperamentum quoddam cerebri constituitur ..."; Übersetzung nach H. Schädel [59], S. 128.
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sind Lunge und Herz die zentralen Organe; ihre Funktionsfähigkeit kann über den Pulsschlag kontrolliert werden. Tatsächlich wird bei Galen die Pulssymptomatik zum wichtigsten Mittel der Diagnose. Die Herztätigkeit wird entweder durch die Dyskrasia des Mischungsverhältnisses der Säfte beeinträchtigt oder durch eine „Entzündung" des Herzkörpers selbst [59,S.132-135]. Festzuhalten bleibt, daß Galen drei lebenswichtige Organe (atria mortis) benannte: Herz, Lunge und Gehirn [71,S.3]. So stehen in der Spätantike der Ausfall der Atmung und der Herzstillstand als Zeichen fur den Tod zur Verfügung. Die Bedeutung des Gehirns wurde bei Galen bereits angedacht, ohne daß er in der Lage war, die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen.
1.2 Mittelalter Der Durchbruch des Christentums in Spätantike und frühem Mittelalter brachte auch eine veränderte Einstellung zum Tod mit sich: Der Tod galt nicht mehr als Ende einer Existenz, sondern nur als Durchgangsstadium zum Beginn des eigentlichen Lebens, und zwar als konkrete Gewißheit. Der Stand des Arztes verschwindet für mehrere Jahrhunderte beinahe ganz aus der westeuropäischen Kultur, an seine Stelle tritt die Klostermedizin. Erst im Verlauf des 11. und 12. Jahrhunderts gelingt es, wieder einen akademisch gebildeten Ärztestand zu installieren, dem gegenüber der Antike keine grundsätzlich neue Theorie zur Verfügung steht,5 der aber mit einer geänderten ethische Einstellung dem Patienten gegenübertritt. So wurde auch im Mittelalter die Frage gestellt, ob der Arzt einen offenbar unheilbar Kranken weitertherapieren soll und darf, aber diese Frage wird nun positiv beantwortet, z.B. in den .Decern quaestiones de medicorum statu' [41,S.203f.;52], Leitlinie des Handelns wurde die christliche caritas, die misericordia, die auch und gerade dem Sterbenden zuteil werden sollte [14,S.72], Daß vor diesem Hintergrund die Bemühungen um lebenserhaltende Maßnahmen nicht forciert wurden, liegt auf der Hand. Eine interessante Lösung bietet der auch von der Christenheit geschätzte jüdische Arzt und Philosoph Maimonides (1135 - 1204). Dieser zeigt an Beispielen aus dem Alten Testament, daß Gott die Sorge um den vom Tod Bedrohten an die Menschen übertragen habe, deshalb müsse der Mensch alles tun, „um das ihm gesetzte natürliche Lebensende zu erreichen" [14.S.76]. Im Spätmittelalter setzt ein Wandel ein, der durch mehrere Katastrophen hervorgerufen wurde, die wichtigste war wohl die Pestwelle von 1348/49 [6,S.172-183]. Die religiöse Gewißheit geht verloren. Für die Medizin bedeutete dies, daß der „große Tod" zum Triumphator über alles ärztliche Bemühen wurde. Sie reagierte zwar mit neuen Konzepten - so scheint sich erst jetzt die Astro-Medizin allgemein durchzusetzen [49.S.335] —, die Totentänze des späten Mittelalters thematisieren jedoch die Hilflosigkeit der Ärzte bis zum Überdruß. Der Arzt kann dem Menschen nicht dazu verhelfen, sein „natürliches Alter" zu erreichen. 5
Zur Übernahme der antiken ,Signa mortis' im Mittelalter siehe D. Schäfer [60].
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1.3 Frühe Neuzeit Man kann nicht behaupten, daß die Antike, das Mittelalter und die frühe Neuzeit sich keine Gedanken über den Tod und das Sterben gemacht hätten, im Gegenteil: die auf uns gekommenen Zeugnisse in Literatur und darstellender Kunst sind riesig, Aussagen über den medizinisch-biologischen Sterbeprozeß und den Zeitpunkt des Todes finden sich aber kaum. Die Hilflosigkeit der Medizin, angesichts der großen Epidemien des späten Mittelalters, wird jedoch zunehmend zum Ärgernis. In der Philosophie verbreitet sich die Vorstellung von einer Verlängerung des Lebens durch die Medizin als ihre edelste Aufgabe, so bei Francis Bacon (1561 - 1626) und René Descartes (1596 1650).6 Die Appelle der beiden Philosophen hatten durchaus ihre Wirkung; die Medizin bemühte sich verstärkt um lebensverlängernde Maßnahmen und um die Wiederbelebung sowie um die Frage nach dem Zeitpunkt des Todes, die vor allem um das Problem des Scheintods kreiste. Ein aufschlußreiches Zeugnis gibt uns Lancisi (1654 1720) [45;22]. Er berichtet von einem „Mißgeschick", das dem berühmten Anatomen Andreas Vesal (1514 - 1564) unterlaufen war: eine für tot gehaltene Frau war ihm schreiend vom Seziertisch gesprungen. So blieb für Lancisi „allein die Fäulnis als das einzige und sicherste Kennzeichen des Todes" [22,S.65;74,S.200]. Dieser Auffassung schlossen sich viele Ärzte des 18. Jahrhunderts an.7 Freilich sind Autolyse und Fäulnis wenig praktikable Todeszeichen. Als schließlich im Verlauf des 18. Jahrhunderts die bis dahin immer noch geltende Humoralpathologie immer stärker in Mißkredit kommt, und neue Methoden der Wiederbelebung sowie Versuche mit der Elektrizität8 und dem „tierischen Magnetismus" (Mesmer 1734 - 1815) durchgeführt werden, bemüht man sich auch um neue theoretische Konzeptionen, wie z.B. den Brownianismus (nach John Brown), in Deutschland gewann die romantische Naturphilosophie großen Einfluß auf die Medizin der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die in der Regel auf spekulativen Theorien basierenden Konzepte lassen sich unter den Oberbegriff Vitalismus subsumieren, den auch Ärzte vertraten, die der romantischen Medizin skeptisch gegenüber standen, wie etwa Christoph Wilhelm Hufeland (1762 - 1836), der ab 1793 Professor für Pathologie an der Universität Jena war und insgesamt etwa 400 Schriften publizierte. Bei ihm finden sich Äußerungen über den Sterbeprozeß und den biologischen Tod. Eine 1791 in Weimar erschienene Schrift trägt den bezeichnenden Titel: ,Über die Ungewißheit des Todes ...' . Aber seine Konzepte machen ebenso deutlich, wie wenig auf dem Gebiet der medizinischen Theorie seit Galen geschehen ist. Nach Hufeland herrschte im Or6
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Francis Bacon, Über die Würde und den Fortgang der Wissenschaften, verdeutscht und mit dem Leben des Verfassers und einigen historischen Anmerkungen herausgegeben von D. J. H. Pfingsten [54], S. 385f. Vgl. auch J. Choron [11], S.119; R. Schleker [63], S. 34-37. So Winslow (1740); Bruhier (1752); v. Swieten (1756); Brinkmann (1772) und Hufeland (1791 und 1824); Nachweise bei W. Wagner [74], S. 200. Versuche zur elektrischen Wiederbelebung der Herzmuskulatur unternahm Giovanni Aldini um 1800.
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ganismus neben den physikalischen und chemischen Kräften eine spezifische lebendige Kraft, die er „Lebenskraft" nannte und die an die aristotelische „Entelechie" und die „Vis vitalis" des Galen anknüpft. Er erläuterte dies am Ei und dem Samenkorn: Diese würden bereits die „ganze Lebenskraft eines künftigen Wesens" enthalten, „aber noch schläft sie, noch ist sie gebunden: man gebe ihr Wärme und Feuchtigkeit, und sie wird erwachen und uns auch sinnlich von ihrem Daseyn überzeugen."9 Die Existenz dieser Lebenskraft macht auch den Scheintod möglich. Er schreibt: „Der Tod des Menschen ist keine plötzliche Verwandlung, kein Werk des Augenblicks, sondern ein stufenweiser Übergang aus dem Zustand des wirklichen Lebens in den des gebundenen oder Scheintods, und durch diesen erst in den vollkommenen Tod, oder den totalen Verlust aller Lebenskraft" [63,S.47] In dieser Schrift von 1791 macht Hufeland verschiedene Vorschläge, wie das Begraben von Scheintoten zu verhindern sei, die in dem Bau eines Leichenhauses zu Weimar berücksichtigt wurden [63,S.47f.]. Schon einige Jahre vorher hatte sich Previnaire in einer preisgekrönten Arbeit zum Scheintod in ähnlicher Weise geäußert: „Und gesetzt auch, der Blutumlauf stocke bei einem Menschen ganz, so ist man doch solange noch nicht berechtigt ihn für tod zu erklären, als noch Spuren von Reizbarkeit in seinem Körper vorhanden sind." Previnaire geht ebenfalls von einem „Lebensprinzip" im Menschen aus, das „weder unmittelbar mit dem Stillstehen des Herzens und der Lungen, noch auch dann den Körper sogleich verlasse, wenn der Blutumlauf, jene zur Erhaltung des Lebens so nothwendige Bedingung, gehemmt ist ..." [56,S.32;74,S.201]. Damit war der HerzKreislauf- und AtemstiHstand als sicheres Todeszeichen fragwürdig geworden, zumal es offensichtlich zu mehreren fatalen Fehldiagnosen gekommen war. Die Angst davor, lebendig begraben zu werden, führte im 19. Jahrhundert zur sogenannten „Scheintod-Debatte", einer Phobie, die alle Kreise der Gesellschaft erfaßte und bis in den Anfang unseres Jahrhunderts fortdauerte. Die Diskussion um den Zeitpunkt des Todes sollte nun nicht mehr abreißen, nachdem in der Ärzteschaft selbst große Unsicherheit herrschte.10 Auch die Einführung des Stethoskops ab der Mitte des 19. Jahrhunderts konnte nicht wesentlich zur allgemeinen Beruhigung betragen. Um 1900 begann man wieder mit Versuchen, die elektrischen Phänomene des menschlichen Körpers zu untersuchen; dabei entstanden Konzepte, „die im Tod ein Erlöschen neuromuskulärer elektrischer Funktionen sahen. Geräte wurden angeboten, die den Tod angeblich unfehlbar diagnostizieren konnten, indem sie das Ausbleiben muskulärer Kontraktionen auf elektrische Stimulation nachwiesen" [77,S.23]. Die frühe Neuzeit markiert eine Wende im Verhältnis Arzt und Tod. Während in der Antike der Arzt sich vor dem Tod des Patienten zurückzog, wurde er im Mittelalter zusammen mit dem Seelsorger zum „Sterbebegleiter". In einem Prozeß, der wahr9
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C. W. Hufeland, Über die Ungewißheit des Todes und das einzige untrügliche Mittel sich von seiner Wirklichkeit zu überzeugen, und das lebendigbegraben unmöglich zu machen nebst der Nachricht von der Errichtung eines Leichenhauses in Weimar, Weimar 1791, S. 5. Zit. nach R. Schleker [63], S. 47. Die Debatte des 19. Jahrhunderts wurde jetzt exemplarisch am Königreich Württemberg dargestellt: Vgl. D. Groß [30],
Zeichen und Zeitpunkt des Todes
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scheinlich bereits mit den Pestwellen des 14. Jahrhunderts begann und der sich bis weit ins 18. Jahrhundert erstreckte, wird der Tod zum eigentlichen Feind des Arztes und der tote Patient zum Sinnbild für das Versagen der Medizin. Parallel dazu wächst die allgemeine Unsicherheit über die „certa signa mortis", der Tod wird zunehmend als ein stufenweiser Prozeß verstanden, und das lange vor der Errichtung der ersten Intensivstation. Dazu noch einmal Hufeland: „ ... wir wissen nichts, gar nichts, von dem Zwischen-Zustande zwischen Tod und Leben, zwischen dem Aufhören des äußern Lebens und der gänzlichen Vernichtung des Innern. Bei vielen geschieht gewiß beides mit einem Schlage, aber bei gar manchen ist der Akt des Sterbens ein nach und nach erfolgender, ein allmähliches Absterben, bei dem noch ein Empfinden möglich ist." [14,S.111]
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Das Hirntodkonzept
Mit der Trennung von Medizin und Philosophie, mit dem Wechsel der Medizin zu einer naturwissenschaftlichen und technischen Disziplin, der sich im 19. Jahrhundert vollzieht, verändert sich auch die Einstellung zum Tod. Der Tod wird zu einer Krankheit. Was die Wissenschaft interessiert, ist nicht der Tod eines Menschen, sondern es ist die Krankheit, die zum Tod führt. Der Tod wird entpersonalisiert. Es stirbt nicht mehr ein Mensch „seinen Tod", vielmehr gehört zu jeder tödlichen Krankheit ein bestimmter Tod [14,S.113f.]. So könnte man vielleicht von einem Paradigmenwechsel sprechen, nachdem in der Diskussion der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wieder vom Tod des Menschen und vom Tod der Person die Rede ist, und das gerade in der Auseinandersetzung um den Hirntod, wenn hier nicht zunächst vor allem technische Gesichtspunkte die Initialzündung gegeben hätten Die Debatte setzte Ende der 50er Jahre ein. Im Jahr 1959 war durch die französischen Ärzte Mollaret und Goulon in Paris erstmals das „Hirntodsyndrom" („coma dépasse") wissenschaftlich beschrieben worden. Und Ende der 60er Jahre gab es bereits einen größeren Konsens, den Hirntod als Zeichen des personalen Todes zu akzeptieren. Die Stille des EEG zusammen mit den klinischen Hirntodzeichen wird in einer Studie von 1967 als Todeskriterium angenommen [67;66], In der ersten Phase der Diskussion spielte die Transplantationsmedizin keine Rolle, und das nicht nur, weil die Transplantationstechnik noch in den Kinderschuhen steckte, vielmehr standen am Anfang der Hirntod-Konzeption ganz andere Motive im Vordergrund. Seit der Mitte der 50er Jahre wurde die Frage nach dem Tod des Menschen, nach dem Tod der Person aufgrund der Möglichkeiten der modernen Intensivmedizin, insbesondere der künstlichen Beatmung, auf eine neue Weise aktuell und bedurfte einer eindeutigen und praktikablen Lösung. Es ging vornehmlich um die Bestimmung des Zeitpunktes, an dem es kein Zurück mehr gibt, an dem die intensivmedizinische Behandlung einstellt werden kann.
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Johannes G. Mayer
Deshalb plädierten 1968 die Deutsche Gesellschaft für Neurologie, die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie und die fur Anästhesie für die Anerkennung des Hirntodes als Menschentod. Im selben Jahr erschienen die sog. „Harvard-Kriterien". Die Harvard-Definition von 1968 erwähnt nun erstmals die Möglichkeit der Organspende im Zusammenhang mit dem Hirntod. Eine Kommission unter der Leitung des Anästhesisten Henry Beecher hatte ein Gutachten als ,Report of the Ad Hoc Committee of the Harvard medical School to Examine the Definition of Brain Death' veröffentlicht. Dieser Bericht legt auch die Gründe dar, warum eine neue Definition des Todes benötigt wurde. Es werden zwei angeführt: zum einen sollten die Patienten und ihre Angehörigen, aber auch die medizinischen Ressourcen vor einem schier endlos hinausgezogenen Koma des Patienten geschützt werden, und dazu sollte dem Arzt eine ethisch korrekte Leitlinie zur Verfügung gestellt werden für die Frage, wann er die Apparate guten Gewissens abschalten kann. Zum andern wollte man präventiv eine große Kontroverse über den Zeitpunkt einer möglichen Organentnahme zum Zweck der Transplantation verhindern, was bekanntlich nicht glückte. Im Gegenteil, es regte sich sofort Widerspruch, und dieser hat einen Namen: es war der Philosoph Hans Jonas, der bereits einen Monat nach der Veröffentlichung der Harvard-Definition ein Statement herausbrachte. Dieses enthält wieder zwei Punkte: erstens die völlige Zustimmung zu Teil eins, nämlich die Erlaubnis, die Geräte abzuschalten, wenn der Hirntod eingetreten ist; zweitens einen ganz entschiedenen Widerspruch gegen das Hirntod-Konzept zum Zweck der Organentnahme. Er schrieb damals: „ ... dann stelle man die Lungenmaschine und alles andere ab und lasse den Patienten sterben; aber man lasse ihn sterben in aller Vollständigkeit, bis zum Stillstand jeder organischen Funktion." Seine Begründung war die, daß wir nicht wissen, wann und wo exakt die Grenze zwischen Leben und Tod verläuft; um ganz sicher zu gehen, um jede Gewaltanwendung auszuschließen, sei bei der Organentnahme eine maximale Bestimmung des Todes nötig, eine minimale genüge nicht [39,S.222]. Jonas schreibt weiter: „Der Patient muß unbedingt sicher sein, daß sein Arzt nicht sein Henker wird und keine Definition ihn ermächtigt, es je zu werden. Sein Recht zu dieser Sicherheit ist unbedingt; und ebenso unbedingt ist sein Recht auf seinen eigenen Leib mit allen seinen Organen. Unbedingte Achtung dieses Rechtes verletzt keines anderen Recht." [39,S.223] Das Hirntodkriterium setzte sich dennoch durch, es fand in den USA sofort Anwendung, und in Deutschland schien man mit der Definition des Hirntods seit 1982 die Frage nach der ethisch korrekten Möglichkeit der Organentnahme befriedigend gelöst zu haben [80]. Dieses Konzept kam durch einen tragischen Fall im Jahr 1975 auf den Prüfstand der Öffentlichkeit. Die junge Amerikanerin Karen Ann Quinlan war nach einer Überdosis von Medikamenten in ein apallisches Syndrom gefallen und über Jahre hinweg künstlich beatmet worden. Schließlich bemühten sich die Eltern um die Erlaubnis, gegen den Willen der behandelnden Ärzte die Beatmung einzustellen. Ironie der Geschichte ist hierbei, daß man die Kriterien des Hirntod-Konzeptes als zu streng und zu umfangreich betrachtete [77,S.19],
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Vertreter der „bioethics", die angelsächsischen Ethiker Tristram H. Engelhardt, Douglas. N. Walton oder John H. Sorenson, kritisierten deshalb in den 80er Jahren, daß die philosophische Begründung des Hirntod-Konzeptes widersprüchlich sei. Es enthalte zwei heterogene Gesichtspunkte: einmal frage es nach der Existenz des Menschen (was ist der Mensch überhaupt), und zum anderen frage es nach dem Wesen des Lebens schlechthin. Aber nur die personale Identität sei entscheidend. Jede körperliche Funktion könne man künstlich ersetzen, nur das Bewußtsein nicht. Deshalb plädierten diese Autoren für ein „Teilhirntod-Konzept", das besagt, daß der Ausfall des Großhirns als materielles Substrat der Bewußtseinsfunktionen für eine angemessene Todesdefinition ausreichend sei [77,S.19]. Genau dieser Ansicht wird nun heute heftig widersprochen. Gerade in Deutschland kam es im Vorfeld zur gesetzlichen Regelung der Organtransplantation zu einer großen Debatte, die zu einer immensen Fülle an Publikationen geführt hat. Versucht man dieser Diskussion zu folgen, so kommt man zu dem überraschenden Ergebnis, daß die ernstzunehmende Kritik sich nicht gegen das Hirntodkriterium direkt wendet, sondern vielmehr gegen seine Begründung. Schon Hans-Martin Culmann spricht 1986 von „theoretischer Willkür" [14.S.135]. Der Salzburger Moraltheologe Werner Wolbert versuchte Klarheit in die teilweise verwirrenden Argumente zu bringen, und konstatiert, daß hier Fragen und Begriffe durcheinandergeworfen werden. Etwa die Fragen: Ist dieser Mensch tot? bzw. Ist dieser Mensch noch ein Mensch? Begriffe wie Mensch, Person und Leben werden undifferenziert verwendet. Wolbert bringt einige Beispiele. Bei Linke heißt es: „Die menschliche Person ist nicht mehr mit dem ganzen Körper verbunden, sondern nur noch mit ihrem Gehirn. ... Tod ist nicht mehr Tod der Person, welche einen vollständigen Leib zum Ausdruck ihrer selbst hatte, sondern das Sistieren der Hirnfunktion" [46;81]. Und Plieth schreibt: „Der diagnostizierte Hirntod darf nicht mit dem Persontod (Tod des Menschen) gleichgesetzt werden; der hirntot Diagnostizierte ist ein akut sterbender Mensch, dem ohne persönliche Willenserklärung keineswegs Organe zum Zwecke der Transplantation entnommen werden dürfen." [55;81] Noch weiter geht Jörns: „Zur Kreatur Mensch gehören als integraler Bestandteil seiner Individualität und Persönlichkeit seine eigenen Organe. Diese Individualität und Personalität enden nicht mit dem .Hirntod'." [36;81] Besonders im Fall der letzten Aussage wäre zu fragen, wann dann der Mensch überhaupt jemals tot ist! Menschsein, Personsein und Leben werden hier völlig zusammengeworfen, aber so, daß sich die Begriffe praktisch auflösen. Wenn ich nach dem Hirntod als Person weiterexistiere, und das heißt doch, als reiner biologischer Organismus (und das nur noch stark eingeschränkt), dann kann man in letzter Konsequenz ebenso zu dem Schluß kommen, daß es im Grunde gar keine Person gibt. Mit der Ablehnung des Hirntodes als Lebensende taucht zugleich eine weitere Schwierigkeit auf: Wenn der Hirntote nicht tot ist, dann läuft die von den Kritikern des Hirntodkonzeptes geforderte enge Zustimmungslösung auf eine Tötung auf Verlangen hinaus.
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Der Mediziner Prof. Kurd Stapenhorst wendet sich (1996) gegen die Gleichsetzung von Hirn- und Individualtod, wobei er — ähnlich wie der Theologe Wolbert — darauf hinweist, daß für die Begründung des Hirntodes die Begriffe unreflektiert angewandt werden; außerdem wirft er seinen Kollegen vor, daß sie bei ihrer Begründung eine streng biologisch, naturwissenschaftliche Linie verlassen. Wenn es z.B. in der Stellungnahme der vier wissenschaftlichen Gesellschaften zum Hirntod (1994) heißt: „Alle Lebensmerkmale, die ein höheres Lebewesen kennzeichnen, entstehen durch die Tätigkeit seines Gehirns. Beim Menschen ist das Gehirn zudem die notwendige und unersetzliche körperliche Grundlage für das stofflich nicht faßbar Geistige. Wie auch immer der menschliche Geist, die menschliche Seele und die menschliche Person verstanden werden: Ein Mensch, dessen Gehirn abgestorben ist, kann nichts mehr aus seinem Inneren und auch seiner Umgebung empfinden, wahrnehmen, beobachten und beantworten, nichts mehr denken, nichts mehr entscheiden."11 Durch die Berufung auf Mensch, Geist und Seele steht die Argumentation dieser Autoren nicht mehr auf einer medizinisch-naturwissenschaftliche Grundlage. Es werden vielmehr philosophische und anthropologische Gesichtspunkte eingebracht. Ähnliches gelte auch für alle weiteren Begründungen, etwa von Birnbacher u.a. oder von Angstwurm, der folgendes von sich gibt: „Psychologisch und spirituell betrachtet, verliert der Mensch mit dem Absterben seines Gehirns eine notwendige und unersetzliche somatische Bedingung seines gesamten seelischen und geistigen Lebenslaufs auf der Erde." [3;70] Nach Stapenhorst ist, vom Standpunkt der medizinisch-naturwissenschaftlichen Wissenschaft aus, eine Erörterung des „Todes der Persönlichkeit" völlig fehl am Platze. Es sei wissenschaftlich unzulässig, wenn man behauptet, die menschliche Existenz sei durch das Selbstbewußtsein charakterisiert, und wenn man daraus schließt, daß der vollständige und irreversible Ausfall des Selbstbewußtseins das Kriterium des Todes des Menschen sei. Solche biologisch nicht faßbaren Phänomene würden nicht zu einem sicheren Todeskriterium taugen. Dabei führt Stapenhorst auch auf den Würzburger Neurochirurgen Gerlach an, der sich bereits 1969 klar gegen das Hirntod-Konzept geäußert hatte, indem er folgendes Fazit zog: das Nervensystem hat bei allen Wirbeltieren eine integrative Funktion, die sich keineswegs nur auf das Gehirn beziehe, sondern im besonderen Maße auch für das Rückenmark und das vegetative Nervensystem gelte. Die Bewußtseinstätigkeit sei demnach mit biologischen Methoden nicht nachweisbar [70;25]. Noch einen Schritt weiter geht der Neurobiologe Roth, wenn er schreibt: „Die Gleichsetzung von Tod und Hirntod bedeutet, daß der Mensch im biologischen Sinn nur so lange lebt, wie sein Gehirn lebt. Solche Gleichsetzung ist problematisch, denn sie suggeriert, das Gehirn trüge gegenüber den anderen Organen etwas Besonderes zum Leben bei. Dies ist nicht der Fall." [57]
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Stellungnahme der vier wissenschaftlichen Gesellschaften zum Hirntod, Untrügliche Zeichen für das Ende des Lebens, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Natur und Wissenschaft 28.9.1994; Zit. nach K. Stapenhorst [70], S. 82.
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Hans Thomas (Lindenthal-Institut, Köln) führte 1994 aus: Entgegen der heute vorherrschenden Gleichsetzung von Hirntod und Tod des Menschen ist festzustellen, daß wir nicht wissen, ob der Hirntote lebt oder tot ist. Bei der Diagnose „Hirntod" heißt deshalb die grundsätzliche Vorgehensweise „Sterbenlassen". Jedes weiter Handeln am Hirntoten, das von dieser Indikation abweicht, ist eigens begründungsbedürftig und rechtfertigungspflichtig. Eine aufrichtige Lösung wäre, den Hirntod als einzigartige Zäsur „intra vitam" zu deuten, jenseits deren das Recht auf Leben als Recht auf Sterben zu verstehen ist. Damit wäre der Hirntod als die Bedingung gedeutet, unter der jedermann die (Lebend-)Spende seiner Organe zugunsten der Heilung anderer verfugen und der Arzt diese Hingabe vollstrecken darf, statt den Hirntoten unter Verzicht auf die Heilung eines Organempfängerkandidaten sterben zu lassen. Das heißt für die Praxis: Organspende nur bei Einwilligung des Patienten. Die Deutung des Hirntodes als „einzigartige Zäsur intra vitam" hat den Vorteil der Offenheit für verschiedene Sichtweisen. Allerdings wird bei dieser Definition das Problem der Tötung auf Verlangen evident. Die kontroverse Diskussion um den Hirntod hat in jüngster Zeit zu Vorgehensweisen geführt, die bei einer Organtransplantation dieses Kriterium umgehen. 1992 hat sich das University of Pittsburgh Medical Center, das weltweit die meisten Organtransplantationen durchführt, neue Richtlinien gegeben (Pittsburgh-Protokoll). Demnach werden bei Patienten, die selbst (bzw. deren Angehörige) um eine Beendigung der intensivmedizinischen Behandlung gebeten haben, von der Intensivstation in den Operationssaal verlegt. Dort werden die lebenserhaltenden Geräte abgestellt. Tritt der Herzstillstand ein, wird noch zwei Minuten gewartet, bis man mit der Organentnahme beginnt. Die Todesfeststellung ist der „klassische" Herztod, der Hirntod ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht ganz eingetreten. Dieses Konzept wurde von den beteiligten Bioethikern gebilligt [73]. Nach Jochen Vollmann zeigt das,Pittsburgh-Protokoll', daß die Organtransplantation nicht unbedingt auf das Hirntodkriterium angewiesen ist. Allerdings wird hier ein Weg beschritten, der vor 1968 der übliche war, und damals als ethisch untragbar angesehen wurde, so daß man schließlich zur Hirntod-Definition griff [73], Mit dem Pittsburgh-Protokoll beginnen sich Argumente und Methoden im Kreise zu drehen.
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Die Hirntodproblematik aus rechtsmedizinischbiologischer Sicht Dieter Ρ atleti
Eine der tragenden Säulen des Fachgebietes Rechtsmedizin ist die Thanatologie. Diese ist als die Lehre vom Sterben, dem Tod, den Zeichen des Todes und den Todesursachen zu definieren. Sie ist Teil des rechtsmedizinischen Unterrichts. Zweck der Bemühung ist es, den gewaltsamen (nicht-natürlichen) Tod aufzuklären. Beim Fremdverschulden ist die Kenntnis des Zeitpunktes des Todeseintrittes unverzichtbar. Der Rechtsmediziner sollte also in der Lage sein, seinen Ausschnitt aus dem Gesamtproblem kompetent beizusteuern. Wenn unterstellt wird, daß jegliche Hirnfunktion Nervenphysiologie ist und daß das Hirn wie jedes andere Organ als Anpassungsleistung an die außersubjektive Realität gesehen werden kann, darf der sog. Hirntod nicht vom biologischen Entwicklungsgedanken losgelöst betrachtet werden. Der Rechtsmediziner greift als Morphologe auch diesen Gesichtspunkt auf.
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Definitionen
Die klassische Definition des Todes lautet: „Irreversibler Stillstand von Atmung und Kreislauf. Demzufolge ist die Definition des Leichnams: „Menschliche Leiche ist der Körper eines Menschen, der keine Lebenszeichen aufweist". Als Lebenszeichen gelten also - weil auch leicht überprüfbar - die vorhandene Atmung, die Kreislauftätigkeit und die Auslösbarkeit von Reflexen. Die Herztätigkeit kann (z.B. beim Ersticken) die Atmung längere Zeit überdauern, der umgekehrte Fall gilt nur äußerst kurzzeitig. Der Tod gilt als sicher eingetreten, wenn mindestens ein sog. sicheres Todeszeichen grobsichtig erkennbar wird (Totenflecke etwa 30 - 60 Minuten nach Todeseintritt, Totenstarre 3 Stunden nach Todeseintritt, selten früher, häufig später). Apparativ (durch Einsatz von EKG, EEG) kann der Tod auch vor dem Auftreten der sicheren Todeszeichen verläßlich diagnostiziert werden. Der Zeitpunkt des Ausfalles von Atmung und Kreislauf wird auch „klinischer Tod" genannt. Die Totenflecke entstehen durch eine Entmischung der Blutbestandteile analog der Blutsenkungsreaktion, die Totenstarre ist Folge des Fehlens von ATP, dem als Ener-
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gieträger auch eine sog. Weichmacherfunktion der Muskulatur zukommt. Natürlich beginnt sich das Blut sofort nach Zirkulationsstillstand zu entmischen, optisch erkennbar wird der Zustand erst mit der grobsichtigen Ausprägung der Totenflecke. Natürlich werden einige Muskelfasern in Abhängigkeit von ihren Energiereserven sofort nach Zirkulationsstillstand totenstarr, durch Gliedmaßenbewegung erkennbar wird die Starre erst, wenn eine größere Anzahl Muskelfasern starr geworden ist. Der erfahrene Leichenschauarzt diagnostiziert das Vorhandensein eines sicheren Todeszeichens wesentlich früher als der ärztliche Berufsanfänger.
klinischer Tod (Ganz-)Hirntod (=lndividualtod) Totenflecke Totenstarre
Zelltod (=biologischer Tod) Vita reducta Scheintod Tod des Menschen Agonie Minuten Sekunden bis Tage
Abb. 1 :
supravitale Reaktionen Zeit intermediäres Leben Tage bis Jahre
A b l a u f d e s S t e r b e n s a u s b i o l o g i s c h e r Sicht. D i e a n g e g e b e n e „ L e b e n s k u r v e " ist in i h r e r V e r l a u f s f o r m variabel.
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Zeitlicher Ablauf des Sterbens
Der zeitliche Ablauf des Sterbens ist im Bild (Abb. 1) schematisch dargestellt. Zu einem bestimmten Zeitpunkt des Lebens kommt es z.B. krankheits- oder verletzungsbedingt zu einer unterschiedlich intensiven Abnahme der Vitalität. An einem Umschlagpunkt beginnt das Sterben. Diese Phase bis zum Tode wird Agonie (Todeskampf) genannt. Ein Phänomen dieser Phase ist die Vita minima oder reducta, im Volksmund auch Scheintod genannt. Da in Deutschland ein Todeseintritt erst doku-
Die Hirntodproblematik
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mentiert werden darf, wenn mindestens ein sicheres Todeszeichen nachweisbar ist, ist die Angst vor dem Lebendigbegrabenwerden gegenstandslos. Mit der weiteren Abnahme der Vitalität geht die Agonie in den Tod über, dessen frühe (noch unsicheren) Zeichen der Ausfall von Atmung und Kreislauf sind. Die angegebene Unsicherheit resultiert aus der Tatsache, daß schwache Atem- und/oder Kreislaufaktivität bei der ärztlichen Leichenschau evtl. nicht wahrgenommen werden kann. Mit dem Ausfall von Atmung und Kreislauf endet die für das Leben von Zellen bzw. Geweben erforderliche Energiebereitstellung. In Abhängigkeit vom Energiebedarf verlieren die die Organe bildenden Strukturen ihre Funktionsfáhigkeit. Da der Energiebedarf des Hirns von allen Organen am höchsten ist, erlischt dessen Funktionsfáhigkeit (bzw. Wiederbelebbarkeit) bereits nach 5 - 1 0 Minuten, die des Herzmuskels erst nach 1 5 - 3 0 Minuten und die der Skelettmuskulatur nach etwa 8 Stunden. Bewegungs- und evtl. zeugungsfähige Spermien werden im Nebenhoden des Mannes noch über 100 Stunden nach Ausfall von Atmung und Kreislauftätigkeit beobachtet. Der Zeitpunkt des irreversiblen Funktionsausfalles des Hirns, der 5 - 1 0 Minuten nach dem klinischen Tod liegt, wird auch „Hirntod" genannt und zumeist dem Individualtod, d.h. dem Tod der Person gleichgesetzt. Der Eintritt des Hirntodes ist damit zeitlich recht exakt benennbar, der weitere Zustand des Hirntodes aber in Abhängigkeit vom übrigen Organismus und vom Niveau der jeweiligen Reanimationsmedizin praktisch beliebig zeitlich ausdehnbar. So ist das Sterben ein prozeßhaftes Geschehen, das zum Zeitpunkt des Hirntodeintrittes seinen Abschluß oder seine naturgesetzliche Unumkehrbarkeit erhält. Es ist lediglich eine Frage der definitorischen Näherung, ob man den Hirntod als Ende des Sterbens ansieht und das postmortale Intervall als Zerfall des Körpers oder, ob postuliert wird, das Sterben sei erst mit dem Funktionsverlust der letzten Körperzelle abgeschlossen (biologischer Tod). Das menschliche Leben ist sicher nicht durch die Funktion einer Einzelzelle des menschlichen Körpers zu definieren, dann schon eher durch das Vorhandensein einer replikationsfahigen DNASequenz mit der spezifischen Information: Mensch. Wie lange nach den Hirntod tritt denn der biologische Tod ein? Nach Minuten (Leichenbrand) bis Jahrtausenden (ewiges Eis) - also weitgehend unvorhersagbar und je nach Lagerungsbedingungen des toten Körpers.
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Das postmortale Intervall
In der Zeit zwischen dem Hirntod und dem biologischen Tod sind die Zellen und Gewebe in Abhängigkeit von ihrem Energiebedarf zu Reaktionen befähigt, die dieser Zeitspanne schon zu Beginn dieses Jahrhunderts den wenig glücklichen Begriff des intermediären Lebens gegeben haben. Die Skelettmuskulatur z.B. ist auf lokale Reize mechanisch und elektrisch erregbar, die Augenmuskeln reagieren nach lokaler Anwendung entsprechender Pharmaka mit Pupillenerweiterung oder -Verengung, die Schweißdrüsen der Haut können durch gleichfalls lokale Gabe von z.B. Pilocarpin
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stimuliert werden. Diese Maßnahmen, die die sog. supravitalm Reaktionen auslösen, dienen neben der Leichentemperaturmessung der Feststellung des Zeitpunktes des Todeseintritts und erlauben innerhalb der ersten 24 postmortalen Stunden eine relativ verläßliche Bestimmung der Todeszeit. In dieser Zeit haben sich die sicheren Todeszeichen Totenflecke und Totenstarre im Vollbild entwickelt. Nach dem Bayerischen Bestattungsrecht ist im Regelfall eine Bestattung des Leichnams frühestens 48 Stunden nach Eintritt des Todes zulässig, spätestens 96 Stunden nach Eintritt des Todes muß er bestattet sein. Es ist davon auszugehen, daß die Bestattung innerhalb der Phase des sog. intermediären Lebens erfolgt.
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Medizinische Probleme um den Hirntod
Bis vor wenigen Jahrzehnten war die bisher genannte Phänomenologie von Tod und Sterben unumstritten. Die moderne Intensivmedizin hat geänderte Rahmenbedingungen geschaffen. Diese werden am ehesten an einem Beispiel plausibel: Ein junger Mann ist mit seinem Fahrzeug an einen Verkehrsunfall beteiligt. Der bereits wenige Minuten später eintreffende Notarzt stellt einen Atem- und Herz-Kreislauf-Stillstand fest. Er beginnt sofort mit künstlicher Beatmung und Elektrostimulation des Herzens. Über einen Venenzugang können kreislaufwirksame Medikamente verabreicht werden. Nach anfänglichem Herzkammerflimmern geht die Herzaktion in einen geordneten Schlagrhythmus über. Hat die Behandlung früh genug begonnen, setzt wieder Spontanatmung ein und der Begriff der Reanimation hat seinen Wortsinn erhalten, obwohl der Tod (Hirntod) noch nicht eingetreten war und deshalb nur in übertragenem Sinne von Wiederbelebung gesprochen werden kann. Oft kommt es zu keiner Spontanatmung mehr. Da die Atemfunktion vom Hirn gesteuert wird (im Gegensatz zum Herzen, das über ein eigenes Reizerzeugungszentrum verfügt), liegt der Verdacht auf eine Hirnschädigung nahe. Die besondere Gefährdung des Hirns resultiert aus seinen anatomischen Gegebenheiten. Es befindet sich in der allseits geschlossenen knöchernen Schädelkapsel. Schwillt infolge Hirngefügestörung (Verletzung, Vergiftung o.ä.) das Organ an (durch Einstrom von Blutbestandteilen aus den Gefäßen ins Gewebe), steigt der Schädelinnendruck und beseitigt die arteriovenöse Druckdifferenz. Das Hirn wird wie beim Kreislaufstillstand nicht mehr von Blut durchströmt, d.h. nicht mehr mit Energie versorgt und erleidet den daraus resultierenden Funktionsverlust. Kann der Druck nicht kurzfristig beseitigt werden, kommt es zum Hirnzerfall trotz erhaltener Kreislauftätigkeit. Das betroffene Organ beginnt durch Aktivierung von Proteasen seine Struktur zu verlieren und sich zu verflüssigen; ein Vorgang, der sich weitgehend identisch auch beim „normalen" Leichnam einstellt. Wird ein solcher Patient künstlich beatmet und funktioniert der medikamentös gestützte Kreislauf weiter, erhalten die durchblutungsfähigen Organe Energie. Sichere Todeszeichen können sich nicht ausbilden. Wird die Beatmung eingestellt, vollzieht sich die postmortale bzw. supravitale Phase wie oben dargestellt.
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Wenn die Beatmung fortgeführt wird, Infektionen erfolgreich behandelt werden können und in ausreichendem Maße Nahrung b2w. Energieträger zugeführt werden, kann dieser Zustand theoretisch viele Jahre beibehalten werden. Aus der bewußten menschlichen Existenz ist eine unbewußte, auch vegetativ bezeichnete geworden. Die genannten Fälle sind durch die Intensivmedizin möglich gewordene Ausnahmen. Der natürliche Tod vollzieht sich ganz überwiegend wie seit Anbeginn. Der kranke Mensch (oder der hochbetagte) stirbt einen mehr oder weniger erwarteten Tod in der Klinik oder im Kreise seiner Angehörigen. Die Agonie geht über in den Atemund Herzkreislaufstillstand mit Bewußdosigkeit. Wenige Minuten später verliert das Hirn seine spezifische Funktionsfähigkeit. Der hinzugerufene Leichenschauarzt findet meist schon sichere Todeszeichen vor und kein ordentlich ausgebildeter Arzt käme auf die Idee, hier zu reanimieren. Mit dem Fortschritt der Intensivmedizin ging auch der von Chirurgie und Immunologie einher. Der uralte Traum kranker Menschen, ein gesundes Organ zum Weiterleben zu erhalten, wurde plötzlich realisierbare Therapie. Nur, wo sollten die Organe herkommen? Es erhob sich die Frage, ob es denn nicht möglich sei, Organe von intensivmedizinisch behandelten, aber hirntoten Personen, deren rechtlicher Status zunächst völlig unklar war, zur Übertragung zu nutzen. Der erste Schritt, dies zu ermöglichen, war das Bestreben, einen Konsens über die definitorische Einheit von Hirntod und Tod des Menschen zu erzielen. Der zweite war die Herstellung einer rechtlich verbindlichen Regelung, wer denn die Einwilligung zur Organentnahme beim Verstorbenen geben könne. Beide Elemente sind besonders in Deutschland trotz zwischenzeitlich erfolgter rechtlicher Regelung Gegenstand eines mit ideologischem Eifer geführten Streites, bei dem leider immer wieder das allgemeine Lebensprinzip der Verhältnismäßigkeit außer acht gelassen wird. Der Rechtsmediziner erlaubt sich daher, eine aus der Sicht seines Fachgebietes und angrenzender Wissenschaftsbereiche resultierende persönliche Meinung zu äußern.
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Gedanken zum sog. Hirntod aus evolutionsbiologischer Sicht
Die Entwicklungsgeschichte des Menschen ist gleichzeitig die Entwicklungsgeschichte des menschlichen Hirns. In der Biologie ist die Frage legitim, wozu (zu welchem Zweck) die Evolution bei einem Teil der Lebewesen ein Hirn hervorgebracht hat. Die Antwort ist relativ einfach: Hirnbesitz ist eine der möglichen evolutionären Überlebensstrategien eines Organismus, die ihm den effektiven heterotrophen Energiegewinn durch aktives Aufsuchen der Nahrungsressourcen ermöglicht. Die aktive Bewegung erfordert Muskulatur; deren Bewegung muß koordiniert ablaufen. Evolutionärer Vorteil des ursprünglichen Hirns bzw. Hirnäquivalents war die Koordination der Bewegung eines Mehrzellers, der erst dadurch zur heterotrophen Lebensweise übergehen konnte. Pflanzen haben kein Hirn, sie brauchten bisher keines.
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Sinnesorgane vermochten, den Zeitpunkt der Muskelaktion dem Ereignisablauf der Umwelt anzupassen. Durchsetzungsfähige Neuerung war die räumliche Zuordnung der Sinnesorgane zum Hirn. Schließlich brachte das Gedächtnis dem Individuum den Vorteil, eine gegenwärtige Handlung auch am Ereignis der Vergangenheit zu orientieren. Es entstand die die höheren Lebewesen auszeichnende Lernfähigkeit. Offenbar verfügte nur das bis zu diesem Zeitpunkt vorhandene Hirn über die zur Entwicklung des Gedächtnisses erforderlichen komplexen Strukturen. Das Bewußtsein schließlich ist ein funktionelles Epiphänomen der höchst organisierten Materie; Schädigung führt zur Bewußtlosigkeit. Wahrscheinlich teilen wir auch die zum Schluß genannten Fähigkeiten in gewissem Umfang mit einem Teil unserer nächsten Verwandten im Tierreich. Was uns definitiv von ihnen unterscheidet, sind ausnahmslos humanspezifische Hirnleistungsfähigkeiten (z.B. Grad der kommunikativen bzw. sozialen Kompetenz). Es fällt vor diesem Hintergrund nicht schwer zu schlußfolgern, daß mit dem Funktionsverlust des Hirns unwiederbringlich die menschliche Existenz (nicht die vegetative, die wir mit der gesamten belebten Natur teilen) erlischt. Das ist wohl Realität und Dilemma gleichermaßen: Ist es von Nächstenliebe getragen oder auch nur verhältnismäßig, die vegetative Restexistenz (der Hirntoten) zu schützen und damit dem menschlichem Leben (dem der kranken Organempfänger) den Fortbestand zu verweigern? Die Frage braucht nicht unbedingt beantwortet zu werden, das Problem sucht sich notfalls eine brutale Lösung außerhalb des Geltungsbereichs unserer Gesetzlichkeit. Es kann aber nicht unerwähnt bleiben, daß der „noch" vegetativen Existenz des Ungeborenen oft vom selben Personenkreis der Schutz verweigert wird, den er für den Leichnam fordert. Es wird hier einerseits eine Doppelmoral erkennbar und andererseits ein evolutionsbiologisch sinnwidriges Verhalten. Was biologischen Prinzipien widerspricht, ist im sozialen Kontext zumindest nicht hilfreich.
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Schlußfolgerungen
Die Diskussion um die Hirntodproblematik ist trotz zwischenzeitlich erfolgter gesetzlicher Regelung — wie die entsprechende Bundestagsdebatte am 25. 6. 1997 gezeigt hat — nicht beendet. Es gehört leider zum neuen Demokratieverständnis maßgeblicher gesellschaftlicher Kräfte, Mehrheitsentscheidungen nur dann zu akzeptieren, wenn mit ihnen eigene Standpunkte verwirklicht worden sind. Die Debatte zeigte Beiträge, die von verantwortlich-sachlich über emotional-ängstlich bis fanatisch-sektiererisch reichten. Beängstigend war oft die geringe Sachkunde dort, wo naturwissenschaftliche Grundlagen existieren. Die subjektive Befindlichkeit zum metaphysischen Gehalt des Grenzbereiches zwischen Leben und Tod ist hiermit ausdrücklich nicht gemeint. Ist ein Hirntoter wirklich tot? Die Aussage, der Hirntod sei nicht der Tod des Menschen, sondern lediglich eine Phase des Sterbeprozesses war zunächst eine Feststellung von reinem Behauptung-
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scharakter. Die Formel war jedoch so griffig, daß sie zahllose Menschen aus allen Bevölkerungsschichten angesprochen hat. Die Tatsache, daß jeder diese Lebensphase (den Tod) noch vor sich hat, mag psychologisch hierbei eine Rolle gespielt haben. Ohne jegliche neue Erkenntnis wurde genau zu dem Zeitpunkt, als der Leichnam eine Art Ressourcencharakter erhielt, postuliert, nicht die Agonie sei der Sterbeprozeß, sondern der Zeitraum nach dem Eintritt des Hirntodes bis zur Ausbildung sicherer Todeszeichen bzw. bis zum Vorliegen des sog. Zelltodes. Der Autor drückt sich um die klare Beantwortung dieser Frage, ob ein Hirntoter wirklich tot ist, weil sie das grundsätzliche Problem um die Defintion von Leben und Tod tangiert. Jeder sollte die Frage für sich selbst beantworten. Auch der Begriff „Leben" ist nur eine Hülle, in die beliebig viel hineingepackt werden kann. Leider wird zu oft am Begriff und nicht am Phänomen definiert. Ein sich im Blumenwasser vermehrendes Pantoffeltierchen (Paramecium) lebt unzweifelhaft, eine noch zum Stoffwechsel befähigte (lebende!) Muskelfaser des Menschen, eine solche Bindegewebs- oder Darmzelle leben nicht im Sinne des Gesamtorganismus Mensch und zweifellos „weniger" als der Einzeller Paramecium. Der Autor hat Verständnis für die leider allzu oft manipulierten Ängste der Menschen, ihnen würden zu Lebzeiten Organe entnommen werden und sie befürchten Mißbrauch. Wie auch immer gearteter Mißbrauch ist niemals völlig auszuschließen, aber durch rechtliche Vorgaben einzudämmen. Die bloße Ablehnung des Hirntodkonzepts schließt Mißbrauch nicht aus. Schon „holen" sich zahlungskräftige Kranke Organe, die wirklich Lebenden entnommen werden, im Ausland. Bedenklicher als möglicher Mißbrauch ist jedoch tatsächliche Unredlichkeit in der Argumentation, da sie Regelungen verhindern will und damit Mißbrauch befördert. So äußerte sich ein Medizinprofessor in einer durchaus seriösen Tageszeitung, daß ein (beatmeter; d. A.) Hirntoter gar nicht tot sein könne, da er keine sicheren Todeszeichen aufweise. Falls diese Aussage auf Unkenntnis der Physiologie des Sterbens beruht, wird nur ein Widerspruch zur hohen akademischen Position erkennbar. Schlimmer erscheint aber, daß möglicherweise aus ideologischen Motiven bewußt eine Teilwahrheit ausgesprochen wird. Auch die mehrfach geäußerte Überzeugung eines hohen kirchlichen Würdenträgers, daß das Leben über den Hirntod hinaus wirke, und ein Mensch noch lebe, wenn bei ihm nach den Regeln der ärztlichen Kunst nur der Hirntod festgestellt wurde, ist eine unbegründet in die Welt gesetzte Behauptung und wenig hilfreich, da ein Mensch mit dem sicheren Todeszeichen „Totenflecke" zunächst auch nur hirntot ist und nach der geistlichen Definition zwar sterbend, aber damit dennoch lebend. Das Abschalten der maschinellen Beatmung beim Hirntoten wird bei Anerkennung solch abstruser Gedanken zwangsläufig zum strafbewehrten Tötungsdelikt, trotz der spitzfindig eingeräumten Irreversibilität des Sterbeprozesses, in dem aus Mitmenschlichkeit Organe gespendet werden könnten. Auch die Tötung auf Verlangen durch Ärzte ist in Deutschland unter Strafe gestellt (§ 216 StGB). Die ganze Diskussion verstellt nach Überzeugung des Autors den Blick auf ein einfaches Faktum: In Deutschland sterben pro Jahr etwas weniger als 1 Million Menschen. Weniger als 1 % davon erfüllen die Anforderungen, die an einen Organspender
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gestellt werden. Jeder Verstorbene ist bereits wenige Minuten nach dem Stillstand von Atmung und Kreislauf auch hirntot. Schafft man bei ihm jetzt einerseits — wie auch immer — zwei Voraussetzungen: Zirkulation und Energieversorgung, wird die Ausbildung der sicheren Todeszeichen künstlich verhindert. Dieser Zusammenhang zeigt überdeutlich, daß der Begriff des Hirntodes eine intensivmedizinische Kategorie und ohne jegliche Bedeutung für den naturgesetzlichen „normalen" Todesfall ist. Nimmt man andererseits in einem Gedankenexperiment bei einem Lebenden außer Kopf, Herz und Lungen den Restkörper aus der Zirkulation, werden sich in der o.g. Reihenfolge an diesem Körper die sicheren Zeichen des Todes ausbilden, obwohl der Mensch lebt, denn er atmet, sein Herz schlägt, er sieht, hört, spricht. Was Jahrtausende auf Erfahrung beruhendes Wissensgut (Vorstellung) war, muß auch hier umgedacht werden; am Prinzip (an der Tatsache) ändert sich jedoch nichts. Die damit verbundenen Probleme sind nicht neu. Der Moralphilosoph Epiktet (um 50 - 138 n.Chr.) umschrieb sie so: „Nicht die Tatsachen bewegen die Menschen, sondern die Vorstellungen, die sie davon haben."
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Literatur
[1] [2] [3]
Forster, B., Ropohl, D., Rechtsmedizin, Stuttgart 1989 Gerlach, J., Gehirntod und totaler Tod, Münch. Med. Wschr. 1 1 1 (1969), S. 732-736 Hoff, J., in der Schmitten, J. (Hg.), Wann ist der Mensch tot? Organverpflanzung und Hirntodkriterium, Reinbek 1 9 9 4 Pennig, R., Rechtsmedizin systematisch, Bremen, Lorch 1997 Pribilla, O., Wann kann man frühestens des Totenschein nach Eintritt des Todes ausstellen? Dtsch. Med. Wschr. 93 (1968), S. 1 2 1 3 Prokop, O., Forensische Medizin. Volk und Gesundheit, Berlin 1975
[4] [5] [6]
Der Hirntod - Tod des Menschen Ham-Peter Schlahe, Klaus Roosen
1
Einleitung
Obwohl durch Inkrafttreten eines Transplantationsgesetzes am 1. 12. 97 in Deutschland formal ein Schlußstrich unter eine jahrelange Kontroverse um die Validität des Hirntodkriteriums als personeller Tod des Menschen gezogen wurde, bleibt im Bewußtsein derer, die diese gesetzliche Festschreibung abgelehnt haben, der Hirntod weiterhin abstrakt und uneinfuhlbar. Bereits 1968 hatte eine aus Medizinern, Ethikern, Theologen und Juristen zusammengesetzte Kommission, das tyAd Hoc Committee of the Harvard Medical School to Examine the Definition of Death " in den USA erstmals einen Katalog zur einheitlichen Beschreibung des Hirntodkriteriums vorgelegt [2], welcher schon die bis heute gültige Symptomtrias des Hirntodes formulierte: 1.
die tiefe, irreversible Bewußtlosigkeit,
2.
die Areflexie des Hirnstamms sowie
3.
der Verlust der Spontanatmung.
Dabei ließ die Präambel dieser Publikation hinsichtlich einer überwiegend utilitaristisch motivierten Zielsetzung keine Zweifel offen: „[...] The burden is great on patients who suffer permanent loss of intellect, on theirfamilies, on the hospitals, and on those in need of hospital beds already occupied by these comatose patients... Obsolete criteria for the definition of death lead to controversy in obtaining organsfor transplantation. " Gegner des Hirntodkriteriums sehen hierin ihre Behauptung bestätigt, das Hirntodkriterium sei ein zweckgebundenes Instrument der Transplantationsmedizin zur „Organbeschaffung" [36;40;49], Dem ist mit Birnbacher [12] zu entgegnen, daß die Angemessenheit eines Kriteriums nicht von seiner ursprünglichen Zweckbestimmung abhängt, sondern eine unabhängige Plausibilitätsbasis besitzt, welche durch dessen •wissenschaftlichen Gehalt und das Ergebnis späterer Überprüfungen bestimmt wird. Nachdem sich das Hirntod-Kriterium rasch in den meisten Industriestaaten durchsetzen konnte, wurde erst relativ spät (1979) in der Bundesrepublik Deutschland
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eine Kommission mit dem Auftrag gebildet, „Entscheidungshitfen" zur Feststellung des Hirntodes zu erarbeiten; diese wurden erstmals 1982 [19a] festgelegt , dann 1986 [19b], 1991 [19c] und zuletzt am 09.05.1997 [19d] aktualisiert und fortgeschrieben. Es heißt hierin: „Oer Himtod ist der vollständige und irreversible Zusammenbruch der Gesamtfunktion des Gehirns bei noch erhaltener Kreislauffunktion im übrigen Körper. " Die Forderung nach einem Erloschensein der Gesamtfunktion hat eine dichotomische Bedeutung. Sie impliziert einerseits den irreversiblen Verlust sämtlicher Einzelfunktionen des Gehirns und erteilt allen Teilhirntod-Konzepten eine klare Absage. Sie beinhaltet andererseits aber auch den irrversiblen Verlust einer integrativen Gesamtfunktion des Gehirnes als übergeordnetem Steuerorgan elementarer Lebensvorgänge. Die dem Hirntodkriterium innewohnende Vielschichtigkeit ist zunächst unbemerkt oder Zumindestens unreflektiert geblieben. Nahezu 1 Vi Jahrzehnte lang haben die medizinisch, juristisch, ethisch, aber auch von beiden großen Kirchen in einer „Gemeinsamen Erklärung" [75] fast einhellig akzeptierten, gesetzlich aber nie fundamentierten „Entscheidungsrichtlinien" Bestand und praktische Relevanz gehabt, ohne daß die Öffentlichkeit hieran Anstoß genommen hätte. Was aber im Sommer 1993 unter dem Eindruck des „Erlanger Babys" [13] und im Vorfeld der geplanten Verabschiedung eines Transplantationsgesetzes in den Medien über die deutsche Öffentlichkeit hereinbrach, wirkte nicht nur wie der legitime Ausdruck eines lange ungestillten Informationsbedürfnisses oder eine ebenso verständliche Artikulation tiefsitzender Urängste, sondern mehr wie die Entfesselung blinden und unreflektierten Hasses auf alles, was mit medizinischem Fortschritt und Technologie assoziiert werden kann. Da wird den Protagonisten des HirntodKriteriums ein „reduktionistisches" [104] bzw. „mechanistisches" [36] Menschenbild, oder gar ein „schändlicher Kannibalismus" [28] unterstellt, welcher dazu führen soll, daß diese „im Dienste der Transplantationsmedizin und der durch sie profitierenden Patienten die Ausschlachtung und aktive Tötung der ins irreversble Koma gefallenen und dem baldigen Tod unrettbar preisgegebenen Menschen in Kauf nehmen" [40]. Da spricht der evangelische Theologe Hans Grewel [36] von einem „utilitaristischen Wertekalkül", welches Hirntote nicht nur als Organspender, sondern auch als ,,..InVivo-Konserve für pharmazeutische Tests, ...gentechnische Experimente... und als Übungskörper für den chirurgischen Nachwuchs..." verfügbar macht. Und da schreckt ein amtierender Hochschullehrer für katholische Moraltheologie nicht einmal davor zurück, in einer TV-Sendung das Hirntod-Kriterium als Instrument gesellschaftlicher Machtausübung zu klassifizieren („Zu-Tode-Definition)" und ausdrücklich der planmäßigen Vernichtung sogenannten „unwerten Lebens" durch das nationalsozialistische Euthanasie-Programm gleichzusetzen („es liegt ein partieller Identitätstypus vor") [9], Solche Äußerungen machen betroffen, zumal die Protagonisten eines solchen Demagogismus sich in ihrer Mehrzahl leider nicht auf eigene authentische Erfahrungen mit dem Hirntod und mit Hirntoten berufen können, sondern durch bewußte oder unbewußte Fehlinformationen weiteren Legendenbildungen Vorschub leisten.
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Zur Versachlichung der Diskussion sei zunächst ein Abriß über wesentliche medizinische Grundlagen der Hirntod-Diagnostik gegeben.
2
Pathophysiologische Grundlagen
Das Gehirn nimmt nicht nur funktionell, sondern auch in anatomisch-physiologischer Hinsicht unter den Organen des Körpers eine Sonderstellung ein: 1.
Es beansprucht den höchsten Anteil des Blutumsatzes. Bei ca. 3% Anteil am Körpergewicht (durchschnittlich 1500 g bei einem 75 kg schweren Menschen) entspricht die Durchblutung 20 % des zirkulierenden Blutvolumens, entsprechend ca. 55 ml / 100 g Hirngewebe / min. Unterhalb einer Durchblutung von 40 ml / min resultiert ein schrittweiser Verlust der Hirnfunktionen. Bei Rückgang der Hirndurchblutung unter ca. 15-18ml / min wird die kritische Grenze des Strukturstoffwechsels unterschritten; die Hirnzellen sind nicht mehr in der Lage, ihre Zellmembranstruktur aufrechtzuerhalten; es kommt zum Wassereinstrom in die Zelle mit der Folge eines Hirnödems, schließlich zum Zelluntergang [66;69].
2.
Es ist am empfindlichsten gegenüber Sauerstoffmangel: bei vollständiger Unterbrechung der Durchblutung kommt es nach 3 - 5 Sekunden zum Bewußtseinsverlust, nach 20 Sekunden erlischt die elektrische Aktivität, nach 3 - 5 Minuten entsteht eine irreversible Zellschädigung zunächst in der Hirnrinde, nach spätestens 10 Minuten im Hirnstamm. Diese Wiederbelebungszeit markiert eine Zeitspanne innerhalb derer eine Reanimation ohne weitgehendes Absterben der Hirnzellen möglich ist.
3.
Es ist durch seine beengte anatomische Lage im knöchernen Schädel gegenüber Änderungen des inneren Milieus besonders exponiert. Obwohl unterschiedliche Ursachen den Hintod hervorrufen können, ist die Endstrecke dieser Prozesse vollkommen einheitlich. Durch primäre Ursachen (Blutungen, Hirnverletzungen, Tumoren) oder sekundär als Folge eines generalisierten Hirnödems nach Sauerstoffmangel (z.B. nach einem Herzstillstand) kommt es zu einer Raumforderung und ansteigendem Hirndruck. Dies kann durch Ausnutzung flüssigkeitsgefüllter Reserveräume in den Ventrikeln und Zisternen zunächst kompensiert werden. Sind diese Kompartimente aufgebraucht, wird das Gehirn axial in Richtung auf das große Hinterhauptsloch verlagert. Eine Raumforderung im Bereich des Großhirns fuhrt zu einer oberen Einklemmung, indem das Mittelhirn in eine schlitzförmige Öffnung des Kleinhirnzeltes (Tentorium) gedrückt wird, welches als bindegewebige Platte Kleinhirn und Hirnstamm vom übrigen Gehirn trennt. Bei weiterem Hirndruckanstieg wird der Hirnstamm im Bereich des Hinterhauptsloches zwischen den Kleinhirntonsillen komprimiert (untere Einklemmung).
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4.
Die Hirndurchblutung folgt nicht druckpassiv dem Körperkreislauf, sondern unterliegt einer eigenständigen Regulation. Der sog. „Cushing-Reflex" [22;31] kompensiert einen Anstieg des Hirndrucks zunächst durch Gefäßweitstellung mit daraus resultierendem Durchblutungsanstieg. Bei Uberforderung dieses Mechanismus folgt auch die Hirndurchblutung druckpassiv dem arteriellen Mitteldruck des Körperkreislaufes. Wird dieser erreicht, kommt es zu einem kompletten intrazerebralen Durchblutungsstillstand, d.h. einem anämischen Totalinfarkt des gesamten Gehirnes mit einer endgültigen Stase des Blutes in allen Gefäßen bis hin ψ den kleinsten Kapillaren. Es ist nachvollziehbar, daß ein solcher Vorgang - und damit der Hirntod — zwangsläufig innerhalb einer bestimmten Zeit zu einem irrversiblen Gewebeschaden unter Absterben des gesamten Gehirnes fuhren muß und damit selbst eine Rezirkulation funktionell irrelevant wäre.
3
Voraussetzungen und Einschlußkriterien
Die Hirntodfeststellung erfolgt gemäß den Richtlinien der Bundesärztekammer [19ad] nach einem dreistufigen Schema, dessen strikte Einhaltung für eine sachgerechte Hirntoddiagnostik unabdingbar ist (s. Abb. 1). Grundvoraussetzung und Einschlußkriterium ist der zweifelsfreie Nachweis einer primären oder sekundären Hirnschädigung. Jede unklare Komaursache ist auszuschließen. Bei Patienten mit Vergiftungen, Unterkühlungen, Stoffwechselstörungen und Schockzuständen muß mit einer, jeden vernünftigen Zweifel ausschließenden Gewißheit sichergestellt sein, daß diese die Hirnfunktionsstörung nicht in reversibler Weise beeinflussen.
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Klinische Kriterien der Hirntodfeststellung
4.1 Koma Als „tiefe irreversible Bewußtlosigkeit" (Koma) wird eine „non-responsiveness" gegenüber allen äußeren Reizen bezeichnet [69]. Dies schließt das völlige Fehlen aller Bewußtseinsleistungen, einer zielgerichteten Motorik, aber auch eine vollständige Auflösung der zirkadianen Rhythmik von Stoffwechselprozessen und des physiologischen Schlaf-Wach-Rhythmus ein.
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Hirntod-Diagnose Voraussetzungen
und Klinische Symptome
Irreverslbllltatsnachweis
und
I Akute schwere Hirnschädigung
Koma Himstamm-Areflexie Apnoe
Beobachtungszeit
Ergänzende Befunde
1 Null-Linien-EEG bei infratentorieller Hirnschädigung und bei Kindern bis zum vollendeten 2. Lebensjahr obligatorisch alternativ: erloschene EP nur bei supratentorieller und bei sekundärer Hirnschädigung
alternativ: Zerebraler Zirkulationsstillstand
Diagnose nach:
A b b . 1:
12 Std.
24 Std.
72 Std.
72 Std.
sofort
A b l a u f s c h e m a d e r H i r n t o d d i a g n o s t i k ( g e m ä ß d e r D r i t t e n F o r t s c h r e i b u n g d e r Kriterien d e s H i r n t o d e s d e r B u n d e s ä r z t e k a m m e r [19d]; m i t f r e u n d l i c h e r G e n e h m i g u n g d e s D e u t s c h e n Ä r z t e Verlags, Köln).
4.2 Prüfung der Hirstammreflexe Der prinzipielle Grundaufbau der Hirnstammreflexe entspricht dem spinalen Reflexbogen: ein auslösender Reiz wird über den afferenten (zuführenden) Schenkel eines sensiblen Hirnnerven in dessen Kerngebiete im Hirnstamm geleitetet, dort verschaltet und bewirkt über den efferenten (abführenden) Schenkel (d.h. motorische Hirnnerven) eine Muskelantwort. Die Hirnstammareflexie wird anhand von fünf Reflexen überprüft, welche den Funktionszustand des Hirnstammes auf unterschiedlichen anatomischfunktionellen Ebenen widerspiegeln [19d] :
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Pupillenlichtreaktion Nomialerweise sind die Pupillen seitengleich, mittelweit und reagieren prompt auf direkte oder indirekte Belichtung. Im Hirntod fehlt dieser Reflex. Entscheidend ist das Fehlen der Lichtreaktion, die Pupillen können unterschiedlich (weit oder mittelweit) sein. Dieser Reflex wird afferent durch den Sehnerv (N.I), efferent durch den N.oculomtorius (N.III) und sein Kerngebiet im oberen Hirnstamm vermittelt.
Okulozephaler Reflex („Puppenkopfyhanomen") Wird der Kopf eines bewußtlosen, nicht-hirntoten Patienten passiv in eine der 4 Bewegungsachsen bewegt, fuhren die Augen eine Gegenbewegung durch. Im Hirntod bleiben die Augen starr (wie bei einer Puppe) in der Ausgangsstellung fixiert. Grundlage dieses Reflexes ist eine Verschaltung der Augenmuskelkerne mit Stellrezeptoren der Nakkenmuskulatur und Kerngebieten des Gleichtgewichtsnerven (N.VIII) im mittleren Hirnstamm [48].
Hornhautreflex Dem Lidschluß nach Berührung der Hornhaut liegt eine Verschaltung von Afferen2en aus dem N.trigeminus (N.V) und Efferenzen des N.facialis (N.VII) im mitderen Hirnstamm zugrunde. Im Hirntod ist dieser Reflex beidseits erloschen. Schmerzreaktion im Gesicht Schmerzreize im Gesicht fuhren bei bewußtlosen Patienten zu Abwehrreaktionen, welche afferent über den N. trigeminus (Nucleus tractus solitarii ), efferent durch die mimische, Kau-, Schlund- oder Nackenmuskulatur vermittelt werden und damit den mittleren und unteren Hirnstamm erfassen. Reaktionen der Extremitäten- oder Rumpfmuskulatur nach Schmerzreizen im Gesicht (oder - vice versa — der Gesichtsmuskulatur nach Schmerzreizen in der Körperperipherie) sprechen für die Intaktheit kraniospinaler Bahnen und damit gegen den Hirntod. Hingegen sind Reaktionen der Extremitäten- oder Rumpfmuskulatur nach peripherer Reizung als Ausdruck einer disinhibierten spinalen Reflexmotorik zu interpretieren und mit dem Hirntod vereinbar (s. 7.3 „Lazarus-Zeichen"). Würgreflex Bei den ausnahmslos intubierten Patienten wird dieser Reflex am besten durch Rütteln am Tubus oder endotracheales Absaugen geprüft. Bei Intaktheit der Reflexverschaltung im unteren Hirnstamm kommt es zu einer Würgereaktion.
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4.3 Apnoe-Test Der Apnoe-Test („Rückatemversuch") prüft die durch das Atemzentrum im Hirnstamm vermittelte Fähigkeit zur Spontanatmung. Dieser - im allgemeinen unbewußt ablaufende - Vorgang, stellt eine der elementarsten Lebensfunktionen dar. Da jeder Patient, welcher der Hirntoddiagnostik unterzogen wird, bis zu deren vollständigem Abschluß als lebend anzusehen und jede Gefährdung auszuschließen ist, wird der Apnoe-Test nach Ausfall aller übrigen Hirnstammreflexe durchgeführt. Möglichst unter zusätzlicher Kontrolle der Sauerstoffsättigung (SO2) im Blut mittels Pulsoxymetrie [91] wird bei Beatmung mit 100 % O2 die Ausatmung reduziert, so daß - neben einem Anstieg des Sauerstoff-Partialdruckes (pC>2) - hieraus eine Erhöhung des Kohlendioxid-Partialdruckes (pCC>2) resultiert (hyperoxische Hypoventilation). Ist der pCC>2 größer als 60 mm Hg, kann eine optimale Stimulation des Atemzentrums in der Medulla oblongata angenommen werden (cave: höhere CC>2-Partialdrücke [> 70 mm Hg] können dieses paralysieren ). Für den Apnoe-Test ist bei heutigen Beatmungsgeräten eine Diskonnekύοη zumeist nicht nötig; es wird die Triggerschwelle auf den kleinstmöglichen Wert eingestellt, so daß das Gerät selbst geringste selbständige Atemanstrengungen mit einem mechanischen Atemzug beantwortet; zusätzlich wird ein kontrollierter Atemzug pro Minute gegeben. Die Beobachtungszeit sollte wenigstens 60 Sekunden betragen. Unter dieser Verfahrensweise konnten wir bisher in keinem Fall auch nur einen subkritischen Abfall des (pulsoximetrisch kontrollierten) SO2 (auf Werte < 95%) feststellen; zumeist liegt die Sättigung im Bereich des Optimums (100 %). Bei Patienten mit kardiopulmonalen Vorerkrankungen (z.B. COLD), welche an einen erhöhten pC02 (> 45 mm Hg) adaptiert sind, kann — ebenso wie bei Thoraxverletzungen - die Durchführung des Apnoe-Testes problematisch sein. Nach den Kriterien der Bundesärztekammer [19d] kann in diesen Fällen auf den Apnoe-Test verzichtet werden; der irreversible Funktionsausfall des Hirnstamms ist dann durch apparative Zusatzuntersuchungen zu belegen.
4.4 Beobachtungszeiten Unter der Prämisse, die Hirntoddiagnostik nicht nur hochspezialisierten Zentren zu überlassen, halten die aktuellen Kriterien [19d] an der Möglichkeit fest, die Irreversibilität des Ganzhirn-Funktionsausfalls bei Erwachsenen alternativ durch apparative Zusatzuntersuchungen (s.u.) oder aber durch unterschiedlich lange ( 1 2 - 7 2 h) Beobachtungszeiten zu bestätigen; deren Dauer ist vom Alter des Betroffenen und der Art der Hirnschädigung abhängig (s. Abb.l). Lediglich die primär-infratentorielle Hirnschädigung bildet eine Ausnahme: da ein isolierter Hirnstamm-Funktionsausfall (s. 8.1, Isolierter Hirnstamm-Tod) klinisch nicht vom Ganzhirntod zu unterscheiden ist, sind ein E E G und/oder hirnzirkulatorische Zusatzuntersuchungen obligat. Bei Neugeborenen, Säuglingen und Kleinkindern bis zum vollendeten 2. Lebensjahr ist ein kombiniertes Vorgehen aus Beobachtungszeiten und apparativen Untersuchungen vorgesehen; Frühgeborene (< 37.Woche postmenstr.) werden jetzt grundsätzlich von der Hirntoddiagnostik ausgeschlossen (s. Abb. 2).
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Hirntod-Diagnostik im Kindesalter
* bei 1. und 2. Untersuchung
Abb. 2:
# nur bei 2. Untersuchung
Beobachtungszeiten und apparative Zusatzdiagnostik bei Neugeborenen, Säuglingen und Kleinkindern (gemäß der Dritten Fortschreibung der Kriterien des Hirntodes der Bundesärztekammer[19d]).
4.5 Fakultative klinische Zusatzuntersuchungen Kritiker der Hirntoddiagnostik argumentieren, der Nachweis einer „HirnstammAreflexie" durch die fünf genannten Reflexe und den Apnoe-Test sei infragezustellen, da hierdurch nur ein Bruchteil der vielfältigen Hirnstammfunktionen erfaßt werde [49;51;56;81]. Obwohl dieser Nachweis unbestrittenermaßen rein empirisch begründet ist, hat sich dieses Konzept in der Praxis bewährt: von einer geringen Anzahl von Einzellfállen abgesehen (s. 8.1 Isolierter Hirnstammtod) ist bei Vorliegen der Trias Koma + Apnoe + Ausfall der fünf Hirnstammreflexe — bei Erfüllung der Voraussetzungen und Ausschlußkriterien (s. 3 Voraussetzungen und Einschlußkriterien) — auf einen Ganzhirntod zu schließen; in keinem Fall ist bisher eine Reversibilität dieses Zustandsbildes - oder gar ein Überleben - nachvollziehbar dokumentiert. Es erscheint trotzdem plausibel, die klinische Untersuchungen durch Prüfung zusätzlicher klinischer Hirnstamm-Reflexe zu erweitern. Folgende Verfahren lassen sich zeitsparend und ohne Gefährdung durchführen; sie erhöhen die diagnostische Sicherheit.
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Bulbovagalreflex Druck auf die Augäpfel fuhrt beim nicht-hirntoten, bewußtlosen Patienten zu vorübergehendem Abfall der Herzfrequenz. Im Hirntod fehlt diese Reaktion. Dieser Reflex ist bedingt durch eine Verschaltung parasympathischer bulbomotorischer Fasern mit kardiovagalen Bahnen in der Medulla oblongata im unteren Hirnstamm.
Kalorische Reaktion Die Kaltspülung eines Gehörganges fuhrt beim wachen, gesunden Probanden zu einer raschen Bulbusbewegung zur Gegenseite, bei bewußdosen (nicht-hirntoten) Patienten hingegen zu einer tonischen beidseitigen Bulbusbewegung nach ipsilateral. Hirntote zeigen keine Reaktion. Es liegt diesem Reflex eine komplexe Verschaltung der Bogengangsrezeptoren des N.vestibularis (N.VIII) mit bulbomotorischen Kernen im mittleren Himstamm zugrunde.
Atropin-Test Nach eigener Erfahrung und anderen Mitteilungen [4;58;85] zeigt dieser Test noch am häufigsten isolierte Residuen einer Hirnstammfunktion. Normalerweise kommt es auf Injektion von Atropin zu einer starken Beschleunigung der Herzfrequenz. Im Hirntod fehlt jegliche Reaktion. Zugrundeliegend ist eine Triggerung kardiovegetativer Rezeptoren in der dorsalen Medulla oblongata im untersten Hirnstamm [58]. Es sollte zunächst eine Testdosis von Ά - 1 Α. Atropin (« 0,25 - 0,50 mg) im Bolus i.v. injiziert werden. Ändert sich innerhalb von 1 - 2 Minuten die Herzschlagfrequenz auf dem Monitor nicht, werden anschließend 4-6 A. Atropin 2,0 - 3,0 mg) i.v. im Bolus appliziert: eine Steigerung um wenigstens 10/min. ist als signifikant positiver Befund anzusehen und spricht gegen den Hirntod. Cave: Um eine Gefährdung bzw. einen „falsch-positiven" Befund zu vermeiden, ist darauf zu achten, daß die Injektion nicht in das (häufig) liegende System einer Katecholamin-Infusion (z.B. Dopamin) erfolgt.
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Apparative Zusatzuntersuchungen
Diese werden unterteilt in neurophysiologische Verfahren und hirnzirkulatorische Untersuchungen.
5.1 Neurophysiologische Verfahren Hierzu zählen das EEG und die verschiedenen Modalitäten der evozierten Potentiale. Während Störeinflüsse durch Pharmaka unterschiedlich bewertet werden, wird für alle
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neurophysiologischen Verfahren bei der Hirntodfeststellung eine Körperkerntemperatur von mindestens 34 °C postuliert [8]. Elektroenzephalographie (EEG) Das EEG stellt die von der intakten Schädeloberfläche ableitbare Summenaktivität schwacher elektrischer Potentialschwankungen dar, welche in der Hirnrinde und darunterliegenden Strukturen generiert werden. Es ist das am häufigsten eingesetzte Bestätigungsverfahren und erlaubt ohne Belastung des Patienten eine beliebig oft wiederholbare Ableitung. Ausdruck des Hirntodes ist ein, auch als „hirnelektrische Stille", „Null-Linie" bzw. „isoelektrisches EEG" bezeichnetes Fehlen jeglicher hirnelektrischen Aktivität. Das EEG muß unter genauer Einhaltung technischer Richtlinien erfolgen [8]. Hinsichtlich technischer Details sei auf weiterführende Literatur [3;6;8;10;11 ;16;20;37;91 ;92;94;105] verwiesen. Wird während einer kontinuierlichen EEG-Ableitung über mindestens 30 Minuten ein isoelektrischer Verlauf registriert, kann ohne weitere Beobachtungszeit der Hintod festgestellt werden. Dabei sind folgende Sonderfälle zu beachten: Wegen der physiologischen Unreife des Gehirns muß die EEG-Registrierung bei Neugeborenen nach 72, bei Kleinkindern bis zum vollendeten 2,Lebensjahr — ergänzend zu der klinischen Untersuchung - mindestens einmal (nach 72 bzw. 24 Stunden) wiederholt werden. Bei primär-hypoxischer Hirnschädigung ist die Ableitung mindestens 8 Stunden (bei Kindern unter fünfjahren: 12 Stunden) nach Eintritt der Schädigung durchzuführen.
Der hohen Sensitivität einer EEG-Ableitung stehen ihre Artefaktanfälligkeit und hohe Anforderungen an die fachliche Qualifikation des Befunders und die technischen Voraussetzungen gegenüber. Es gelingt unter den erschwerten Bedingungen einer Intensivstation nur selten, eine ideale „Null-Linie" abzuleiten (s. Abb. 3). Während periodisch auftretende Artefakte (EKG, Beatmung) relativ einfach als solche zu erkennen sind, bedarf es eingehender Erfahrung, unregelmäßig eingestreute Aktivitäten (z.B. Muskelfaszikulationen) eindeutig von einer hirnelektrischen Restaktivität abzugrenzen [31 ;6;94]. In eigenen Vergleichsuntersuchungen [84;86] erwies sich das EEG in der Differenzierung agonaler Übergangszustände als gleichrangig mit hirnzirkulatorischen Verfahren wie der Hirnszintigraphie (s. 5.2 Hirnzirkulatorische Verfahren) und gegenüber den evozierten Potentialen (s. 5.1 Neurophysiologische Verfahren) als eindeutig überlegen. Vereinzelt wurde eine persistierende Restaktivität im EEG trotz klinischer Hirntod-Konstellation und zerebralem Perfusionsstillstand beobachtet [3;7;37;70;71;94]; auch wir konnten dies in Einzelfällen bestätigen [84;86;87]. Ursächlich hierfür wird eine leptomeningeale Kollateralisaóon oberflächlicher Cortex"inseln" durch Extema-Gefäße vermutet [7;65;66].
Frühe akustisch-evozierte Potentiale (FAEP, BERA) Diese hirnelektrischen Potentialschwankungen auf äußere Schallreize, welche nach einem Averaging des Biosignals als 5-6gipfliger Komplex erkennbar werden, entsprechen den primären Stationen der Signalverarbeitung im Verlauf der Hörbahn (s. Abb. 4).
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Der Hirntod - Tod des Menschen
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Abb. 3
Durch unterschiedliche Artefakte gestörte EEG-Ableitung (49jähriger komatöser Patient, apnoeische Himstammareflexie und hirnszintigraphisch nachgewiesener Zirkulationsstillstand nach Subarachnoidalblutung bei Aneurysma). (a) Einstreuung von EKG-Aktivität beidseits okzipital, (b) Pulsartefakte links temporal (Schläfenarterie), (e) feine, hochfrequente Muskelfaszikulationen rechts-temporal und links-okzipital, (d) elektrische Schaltartefakte („50Hz-Brummen", hervorgerufen durch einen Infusionsautomaten). Die Nummern 1 - 12 in der schematischen Darstellung der Elektrodenplazierung entsprechen den Ableitungslinien in der Reihenfolge von oben nach unten.
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Abb. 4:
Hans-Peter Schlake, Klaus Roosen
Die Hörbahn: schematische Darstellung der Faserverbindungen bei Sicht von dorsal (hinten) auf den Hirnstamm: Akustische Schwingungen werden über die Kette der Gehörknöchelchen im Mittelohr und das ovale Fenster ins Innenohr geleitet, wo sie in den Haarzellen elektrische Erregungen auslösen. Diese werden durch den Hörnerv (N.cochlearis) (1) in dessen Kerngebiete im Hirnstamm (2,3) weitergeleitet. Von hier aus gelangen die Erregungen über die Striae acusticae (6) zum Trapezkörper (5,7) und die Kerngebiete der oberen Olive (8,9), von wo Faserverbindungen zur Gegenseite existieren. Die Hörbahn setzt sich als seitliche Schleifenbahn (Lemniscus lateralis) (10,11) zu den unteren Vierhügeln (Collidili inferiores) (12-14) fort, welche ebenfalls zahlreiche Faserverbindungen zur Gegenseite unterhalten. Uber das Corpus geniculatum mediale (15) werden die Fasern schließlich als Hörstrahlung (16) ins Großhirn fortgeleitet und enden hier als Gyri temporales transversi in der Heschlschen Querwindung (17) im Schläfenlappen. Die frühen akustisch evozierten Potëntiale (FAEP) entsprechen einer Abfolge von 5 Potentialgipfeln (I - V), deren Generierung in unterschiedlichen Anteilen der Hörbahn durch römische Ziffern dargestellt ist. (4) Pedunculus cerebellaris inferior. Aus: Schlake H-P, Roosen Κ [79], mit freundlicher Genehmigung der Deutschen Stiftung Organtransplantation, Neu-Isenburg.
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Die ersten beiden Gipfel (Peak 1,11) werden extrakraniell im Innenohr bzw. dem peripheren Verlauf des Hörnerven generiert und können im Hirntod initial erhalten sein. Da die intralabyrinthären Verhältnisse sich mit zeitlicher Verzögerung den Veränderungen von Druck und Durchblutung im Schädelinneren angleichen, ist anfänglich eine Restperfusion der peripheren Hörbahnabschnitte über die A.labynnthi erhalten. Demgegenüber zeigt das schrittweise, bilaterale Erlöschen der Peaks III - V einen irreversiblen Funktionsausfall des Hirnstamms an, sofern die Intaktheit des peripheren Rezeptors durch vorherige Verlaufsuntersuchungen unter Nachweis der Wellen I /II gesichert wurde; ebenso ist auch bei erstmaliger Ableitung eine ausschließlich bilaterale periphere Antwort (Peak I/II) mit dem Hirntod vereinbar [8;15;18;56;77;95;97].
Auch für die Ableitung der FAEP wurden detaillierte technische Richtlinien aufgestellt [8], welche in die BÄK-Kriterien [19d] verbindlich übernommen wurden. Als besonderer Vorteil der FAEP gegenüber dem EEG gilt deren ausgeprägte Pharmakoresistenç u.a. gegenüber Barbituraten, Benzodiazepinen, Muskelrelaxantien und Opiaten [18;77]. Hingegen sind diese bei primär infratentoriellen Läsionen nicht aussagekräftig [8;15;19a-d;33;77]. Einzelfälle eines kompletten, reversiblen Potentialverlustes bei primär supratentoriellen Hirnläsionen könnten die Eignung der FAEP als alleiniges Bestätigungsverfahren infrage stellen [29;56;99].
Somatosensorisch-evozierte Potentiale (SEP) Nach peripherer elektrischer Reizung (z.B. des N. medianus) und Averaging lassen sich die SEP als Abfolge von Potentialen nachweisen, welche die sensible Reizleitung (von peripher über den Armplexus, das Rückenmark bis zum kontralateralen sensiblen Cortex in der Postzentralregion) widerspiegeln (s. Abb. 5). Bei primär-supratentoriellen oder sekundären (diffusen) Hirnschäden haben sich der primäre bilaterale Verlust der kortikalen Reizantworten und die Verlängerung der zentralen Uberleitungszeit (Nu - N20) der SEP nach Stimlation des N.medianus als verläßlicher Indikator für eine infauste Prognose erwiesen [77;96], sofem alle peripheren Ursachen einer Leitungsstörung ausgeschlossen wurden.
Die SEP wurden erstmals in die aktuellen Kriterien [19d] als gleichrangiges apparatives Verfahren aufgenommen; bei primär-infratentoriellen Hirnschäden sind sie ungeeignet; auch bei Neugeborenen und Kleinkindern bis zum vollendeten 2. Lebensjahr ist ihr Einsatz bisher nicht vorgesehen. Die Validität der SEP für die Hirntodfeststellung bleibt umstritten, da schon ihre exakte Generierung am zervikomedullären Übergang kontrovers ist [32;77;96;98;104],
5.2 Hirnzirkulatorische Verfahren Hierzu zählen die Angiographie, die transkranielle Dopplersonographie und die Hirnperfusionsszintigraphie. Diese Verfahren weisen einen Ausfall der Hirndurchblutung nach. Ein ausreichender Systemblutdruck ist vorauszusetzen [82], Es besteht nahezu keine Abhängigkeit von pharmakologischen und metabolischen Einflüssen. Bei Säuglingen und Kleinkindern mit offenen Fontanellen [64;65] sowie bei größeren Kalottendefekten [3] und Ventrikelshunts [38] kann die Entwicklung eines intrakraniellen Druckgradienten im Hirntod verzögert sein und eine (funktionell irrelevante) Restperfusion persistieren.
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SOMATOSENSIBEL-EVOZIERTE SEPN. medianus
POTENTIALE
(SEP)
Ableitunastechnìk
N.medianus
Abb. 5:
Somatosensorisch-evozierte Potentiale (SEP) des Nervus medianus (Normalbefund). Bjchts: Ableitungstechnik nach elektrischer Reizung des rechtsseitigen Nervus medianus am Handgelenk und Fortleitung über den Armplexus (Erb) sowie das untere (C7) und obere Halsmark (C2) zum somatosensorischen Kortex (Gyrus p o s t c e n t r a l , C3') der Gegenseite. Links: Bei Verwendung einer extrazephalen Referenz läßt sich die kortikale Komponente N20 kontralateral zur Reizseite bei einer Latenz von ca. 19 ms nach Subtraktion der ipsilateralen peripheren Potentialanteile darstellen. Aus: Schlake H-P, Roosen Κ [79], mit freundlicher Genehmigung der Deutschen Stiftung Organtransplantation, Neu-Isenburg.
Zerebrale Panangiographie Die Serienangiographie galt bisher als aussagekräftigstes Verfahren zur Bestätigung des Hirntodes. Typisch ist ein Zirkulationsstop an der knöchernen Schädelbasis beim Durchtritt der großen Arterien durch die Dura, d.h. im Bereich des Karotissiphons und des adantookzipitalen Übergangs.
Der Hirntod - Tod des Menschen
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Die hirnzufiihrenden Arterien können selektiv nach Punktion der Femoralarterie, in der Pangiographie über den Aortenbogen oder durch Direktpunktion dargestellt werden; eine ausschließliche Darstellung der Karotiden ist unzureichend [55;66;105]. Bei der digitalen Subtraktionstechnik ist nur ein arterielles Vorgehen aussagekräftig [55;66]; dabei ist ein ausreichender Systemblutdruck erforderlich [82]. Die Angiographie zur Hirntodfeststellung wird kontrovers diskutiert [55;70], ihre Anwendung ist stark rückläufig. Es wird befürchtet, daß die relativ hohen Kontrastmittelgaben bei gestörter Funktion der Blut-Hirn-Schranke negative Auswirkungen auf das ohnehin schwer vorgeschädigte Gehirn ausüben könnten. Als weitere Risiken gelten allergische Reaktionen, Blutungen aus der Punktionsstelle, bei instabilen Patienten Probleme durch den Transport und die Flachlagerung während der Untersuchung. Eine diagnostische Angiographie wird daher weitgehend nur in den (seltenen) Fällen durchgeführt, in welchen für den Betroffenen therapeutische Handlungskonsequenzen zu erwarten sind. Ebenso umstritten ist die Angiographie zur Dokumentation des Hirntodes; hier muß zwischen der ärztlichen Dokumentationspflicht und methodisch bedingten Risiken abgewogen werden. Die aktuellen Richtlinien [19d] billigen eine solche Indikation dann, wenn eine Nachwirkung sedierender Pharmaka nicht ausgeschlossen werden kann.
Transkranielle Dopplersonographie (TCD) Die Dopplersonographie kann als nicht-invasives Verfahren den intrazerebralen Zirkulationsstillstand nachweisen. Bei extrakranieller Beschallung der Karotiden und Vertebralarterien zeigt sich am Eintritt zur Schädelbasis eine verminderte systolische Flußgeschwindigkeit mit frühdiastolischer Strömungsumkehr; dieser Befund ist jedoch variabel und nicht sehr spezifisch [17]. Von größerer Bedeutung ist die transkranielle Dopplersonographie (TCD) der Hirnarterien durch den intakten Schädelknochen. Ein anämischer Totalinfarkt als Folge ansteigenden intrakraniellen Druckes zeigt eine mehrphasige Veränderung des Schallsignals [24;39;69;74] (s. Abb. 6). Unter Reduktion des diastolischen Flusses findet sich ein Widerstandsprofil (B), gefolgt von systolischen Peaks (C) bei fehlendem Flow in der Diastole. Der sich dann ausbildende Pendelfluß (D) ist durch ein systolisch-diastolisches Oszillieren der Blutsäule bei fehlendem Netto-Einstrom aufgrund einer diastolischen Abflußbehinderung gekennzeichnet, was angiographisch [39] und hirnszintigraphisch [84;86;87] mit einem Zirkulationsstillstand korreliert. Schließlich finden sich systolische Spikes (E) - scharfe Wellen mit einer Strömungsgeschwindigkeit von bis zu 100 m/s und Atemabhängigkeit der Amplitude. Als „zero flow" (F) wird das vollständige Erlöschen des Strömungsignals als Ausdruck eines Zirkulationsstillstandes bezeichnet.
Die TCD setzt eingehende Erfahrungen des Untersuchers voraus; ihre Beurteilung ist stärker subjektiv geprägt und weniger gut dokumentierbar als andere apparative Verfahren. Patientenseitige Voraussetzung ist ein ausreichendes „Schallfenster", d.h. das Schallsignal muß den ausreichend dünnen Schädelknochen durchdringen können. Da aufgrund einer veränderten Topographie (z.B. bei intrakranieller Massenverlagerung) sowie der zumeist recht monomorphen Schallbefunde im Hirntod eine zweifelsfreie Zuordnung der Schallsignale zu einem bestimmten Stromgebiet deutlich erschwert sein kann, ist anzuzweifeln, ob ein zerebraler Zirkulationsstillstand immer mit der geforderten Vollständigkeit nachzuweisen ist. Wir halten daher den Einsatz der TCD als alleiniges Bestätigungsverfahren zur Hirntodfeststellung für problematisch. Als beliebig wiederholbare „bedside"-Technik besitzt die TCD aber einen unbestreitbaren Stellenwert zur Verlaufskontrolle und als vorgeschaltete Screening-
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Methode vor Anwendung aufwendigerer hirnzirkulatorischer Verfahren (Angiographie, Hirnszintigraphie).
Frequenzspektren bei der Entwicklung eines zerebralen Kreislaufstillstandes
Abb. 6:
Typische Abfolge von Schallbefunden in der transkraniellen Dopplersonographie (TCD) während der Entwicklung eines zerebralen Zirkulationsstillstandes durch ansteigenden intrakraniellen Druck (Beschreibung siehe Text). Die Abbildung wurde freundlicherweise durch Herrn Dr. R. Burger, Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie der Universität Würzburg, zur Verfügung gestellt.
Hirnperfusionsszintigraphie Nach i.v. Applikation eines radioaktiv markierten Tracers läßt sich dessen Anflutung (dynamische Scans) und intrazerebrale Akkumulation (statische Scans) mittels Gamma-Kamera verfolgen.
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Neue Substanzen wie 99ra Tc-HMPAO (Hexamethyl-Propylen-Aminoxim) können bei einem firstpass über 90% die intakte Bluthirnschranke mittels „pH-shift" durchdringen; dabei penetriert die im alkalischen extrazellulären Milieu lipophile Substanz die Hirnzelle, dissoziiert im saureren intrazellulären Milieu und kann die Zelle nicht mehr verlassen; dadurch wird die zerebrale Perfusion zum Injektionszeitpunkt über einige Stunden „eingefroren" [27]. A l s A u s d r u c k eines anämischen Totalinfarktes i m Hirntod stellt sich der gesamte intrakranielle R a u m „leer" dar („empty skull"); es k o m m t zu einer charakteristischen Umverteilung des Blutes zugunsten der A.carotis externa mit einer Mehrspeicherung in der Nase („hot-nose-Phänomen") [1;53;76;84;86;87;102]; auch bei K i n d e r n ist das V e r f a h r e n a n w e n d b a r [88] (s. A b b . 7).
i Abb. 7:
#
Statische Hirnperfusionszintigraphie in planarer Technik (in a.p. und rechts-lateraler Projektion) nach i.v. Bolusinjektion von " m Tc-HMPAO bei einem 25jährigen komatösen Patienten mit apnoeischer Hirnstammareflexie nach schwerem Schädel-Hirn-Trauma: „leere" Schädelhöhle („empty skull") als Ausdruck eines intrazerebralen Perfusionsstillstandes; Umverteilung der Durchlutung zugunsten der Nase („hot nose-Phänomen"). Der Befund bestätigt den klinisch festgestellten Hirntod. Eine szintigraphische Darstellung der Leber (unteres Bild) dient zur Qualitätskontrolle des Tracers; die homogen vorhandene Perfusion beweist dessen radiochemische Stabilität. Die Abbildung wurde freundlicherweise durch Herrn Prof. Dr. Reiners, Direktor der Klinik und Poliklinik für Nuklearmedizin der Universiät Würzburg, zur Verfügung gestellt.
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In zwei eigenen multimodalen Vergleichsstudien [84;86;87] hat sich die Hirnszintigraphie mit 99m Tc-HMPAO als sehr sensitives Verfahren erwiesen, welches gerade in agonalen Übergangszuständen eine eindeutige Abgrenzung vom Hirntod erlaubt. Dabei bietet die aufwendigere SPECT-Technik (Single-Photon-EmmssionsComputertomographie) im Vergleich zur einfacheren und breiter verfugbaren planaren Technik keine grundsätzlichen Vorteile; die Behauptung, die räumliche Auflösung sei für die Darstellung der Perfusion im hinteren Stromgebiet unzureichend [55;102], konnte nicht bestätigt werden [86;87]. Eine gelegentliche Anreicherung des Sinus sagittalis superior ist über leptomenigeale Anastomosen aus dem Externa-Stromgebiet erklärbar und mit der Annahme des Hirntodes vereinbar [54], Die Hirnszintigraphie ist sensitiv und weitgehend unabhängig von äußeren Störgrößen durchfuhrbar; sie wurde in die aktuellen Richtlinien [19d] als gleichrangiges Verfahren aufgenommen.
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Dokumentation und Protokollierung
Die Diagnose „Hirntod" bezeichnet eine Befundfeststellung ohne Bezug zu irgendwelchen Zwecken. Als Nachweis eines bestehenden Sachverhaltes beinhaltet sie keine Beurteilung eines erst künftigen Krankheitsgeschehens am Gehirn. Ebenso ist sie unabhängig von einer danach medizinisch möglichen Organentnahme. Die Befunderhebung erfolgt durch zwei Ärzte, welche über mehrjährige Erfahrungen in der Intensivbehandlung schwerer Hirnschädigungen verfügen müssen. Keiner der beiden Ärzte darf (im Fall einer in Aussicht genommenen Organspende) dem Transplantationsteam angehören. Kommt nach Hirntodfeststellung eine Organspende (oder ggf. die Aufrechterhaltung einer Schwangerschaft) nicht infrage, ist es aus medizinischen, ethischen und ökonomischen Gründen geboten, unverzüglich alle Therapiemaßnahmen (incl. Beatmung) zu beenden; eine Befragung der Angehörigen ist hierzu nicht erforderlich. Die Erfüllung der Voraussetzungen und Ergebnisse aller klinischen und apparativen Untersuchungen werden protokolliert; dafür ist das standardisierte Formular der Bundesärztekammer (s. Abb. 8) zu empfehlen, aber nicht vorgeschrieben. Hierin und in den amtlichen Totenschein wird — ungeachtet des (unbekannten) tatsächlichen Todeszeitpunktes — als Sterbedatum die Uhrzeit eingetragen, zu welcher alle Untersuchungen abgeschlossen und durch Unterschrift des zweiten Untersuchers bestätigt wurden; der Zeitpunkt eines späteren Herzstillstandes ist ohne Belang. Eine nochmalige Leichenschau oder ein Abwarten bis zum Eintreten der übrigen sicheren Todeszeichen (Leichenstarre, Totenflecken) sind entbehrlich, da bereits der sachgerecht dokumentierte Hirntod ein sicheres Todeszeichen darstellt.
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(Muster-)Protokoll zur Feststellung des Hirntodes Name
Vorname
geb.:
Alter:
Uhrzeit:
Protokollbogen-Nr.:
Klinik: Untersuchungsdatum: 1. 1.1
Voraussetzungen: Diagnose Primäre Hirnschädigung: supratentoriell Sekundäre Hirnschädigung: Zeitpunkt des Unfalls/Krankheitsbeginns:
infratentoriell
1.2
Folgende Feststellungen und Befunde bitte beantworten mit ja oder nein Intoxikation ausgeschlossen: Relaxation ausgeschlossen: Primäre Hypothermie ausgeschlossen: Metabolisches oder endokrines Koma ausgeschlossen: Schock ausgeschlossen: Systolischer Blutdruck mmHg
2. 2.1
Klinische Symptome des Ausfalls der Hirnfunktion Koma
2.2
Pupillen
2.3
Okulo-zephaler Reflex (Puppenkopf-Phänomen)
2.4
Korneal-Reflex beidseits
fehlt_
2.5
Trigeminus-Schmerz-Reaktion beidseits
fehlt
2.6
Pharyngeal-/Tracheal-Reflex
fehlt
2.7
Apnoe-Test bei ari. p a C 0 2
weit / mittelweit Lichtreflex beidseits
fehlt fehlt_
beidseits
erfüllt.
mmHg
3. Irreversibilitätsnachweis durch 3.1 oder 3.2 3.1 Beobachtungszeit: Zum Zeitpunkt der hier protokollierten Untersuchungen bestehen die obengenannten Symptome seit Weitere Beobachtung ist erforderlich
ja
Std.
nein
mindestens 12/24/72 Stunden 3.2. Ergänzende Untersuchungen: 3.2.1 Isoelektrisches (Null-Linien-) EEG,
~~¡a
nein
Datum
Uhrzeit
Ärzt
3.2.2 Frühe akustisch evozierte Hirnstammpotentiale Welle lll-V beidseits erloschen
30 Min. abgeleitet:
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Datum
Ohrzëît
Arzt
Medianus-SEP beidseits erloschen
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Datum
uhrzeit
Ärzt
3.2.3 Zerebraler Zirkulationsstillstand beidseits festgestellt durch: Dopplersonographie: Perfusionsszintigraphie: Datum
Uhrzeit
Zerebrale Angiographie: untersuchender Arzt
Abschließende Diagnose: Aufgrund obiger Befunde, zusammen mit den Befunden der Protokollbögen Nr. der Hirntod und somit der Tod des Patienten festgestellt am: um
, wird Uhr.
Untersuchender Arzt: Name
Abb. 8:
Unterschrift
Muster-Protokoll zur Dokumentation der Hirntod-Feststellung, entsprechend der Dritten Fortschreibung der Kriterien des Hirntodes der Bundesärztekammmer [19d]) Mit freundlicher Genehmigung des Deutschen Ärzte-Verlages, Köln
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7
Gren2ftagen der Himtoddiagnostik
„Hirntod" beschreibt nicht nur den funktionellen, sondern auch den anatomischstrukturellen Zerfall des Gehirnes - dies entspricht einer „inneren Dekapitation". Beatmet man einen Hirntoten weiter, was auf Wunsch der Angehörigen und mit Rücksicht auf soziokulturelle Traditionen z.B. in Japan z.T. längerfristig geschieht, kommt es zu einer Kolliquationsnekrose des gesamten Gehirns, dem sogenannten „respirator brain" [66;90;108]. Allerdings ist es eine Irrmeinung, zu glauben, eine Aufrechterhaltung vegetativer Restfunktionen sei beliebig lange möglich. Durch Verlust der Steuerungsfunktionen des Gehirnes kommt es zu einem „Entgleiten" aller Stoffwechselvorgänge so daß ein zeitlich geradezu exponentiell zunehmender intensivmedizinischer Aufwand nötig ist, dem entgegen zu wirken.
7.1 Hormonelle Restfunktionen Es wird angeführt, Hirntote verfugten noch über eine intakte Hormonregulation. Tatsächlich beschreibt eine Anzahl von Untersuchungen eine erhaltene Basalsekretion der Hormone des Hypophysenvorderlappens (HVL) [5;42;43;48;74;78;89;108], welcher über einen negativen Feedback-Mechanismus die Ausschüttung peripherer Drüsenhormone reguliert. Nach exogener Zufuhr hypothalamischer Releasing-Hormone fanden einige Untersucher eine Sekretionsantwort der Hypophyse [5;89]; andere sahen das Fehlen einer solchen als typisch für den Hirntod an [43]. Diese Befunde werden von Kritikern als Argument gegen das Hirntodkriterium vorgetragen [49;57]. Diese Betrachtung übersieht, daß die Adenohypophyse als ontogenetisch, histologisch und topographisch vom Gehirn vollständig separiertes Organ nicht zwangsläufig den gleichen intrakraniellen Druck- und Perfusionsänderungen im Hirntod unterworfen ist. Detaillierte angiographische Untersuchungen zeigten bei Hirntoten eine beträchtliche Variabilität der den HVL versorgenden A.hypophysealis superior hinsichtlich der duralen Verhältnisse in ihrem Abgangsbereich an der medialen Seite des Carotis-Siphons [89]. Dies erklärt die Ergebnisse histologischer Untersuchungen, welche bei einem Teil der Fälle bei Hirntoten nicht oder nur wenig veränderte Drüsenorgane ergaben [5;90;105;108].
Bisher existieren nur wenige Untersuchungen zur Frage der hypothalamischen Hormonregulation im Hirntod. Die in zwei japanischen Untersuchungen [5;108] gefundenen, stark erniedrigten Spiegel von Releasing-Hormonen bei einzelnen wenigen Hirntoten können aufgrund der methodisch bedingten Schwierigkeiten eines solchen Hormonnachweises noch nicht als beweiskräftig gewertet werden, zumal auch eine extrazerebrale Genese dieser Polypeptide (z.B. aus Darmmucosa) nachgewiesen werden konnte.
Eine deutliche zeitliche und quantitative Variabilität zeigt auch das Auftreten eines Diabetes insipidus als Ausdruck eines Mangels an (hypothalamisch gebildetem) Antidiuretischem Hormon (ADH) im Hirntod. Bereits vor Jahrzehnten konnte tierexperimentell nachgewiesen werden, daß das Fehlen oder Vorhandensein eines Diabetes
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insipidus keine Rückschlüsse auf hypothalamische Restfunktionen zuläßt, sondern die ADH-vermittelte Nierenfunktion ohne Mitwirkung des Gehirns allein durch eine ungesteuerte Hormonentspeicherung aus dem Hypophysenstiel bzw. dem Hypophysenhinterlappen (HHL) bedingt ist [41;52;68]. Damit ist die interindividuell variable Ausprägung eines Diabetes insipidus lediglich Ausdruck einer unterschiedlichen Hormonspeicherung und Restperfusion des HHL zum Zeitpunkt des intracraniellen Zirkulationsstillstandes.
7.2 Vegetative Reaktionen während der Organentnahme Zu großen Irritationen haben die bisweilen bei hirntoten Organspendern während einer Explantation zu beobachtenden Blutdruck- und Pulsanstiege sowie lokale Hautrötungen und Schweißabsonderungen geführt. Gegner des Hirntodkriteriums haben gefolgert, die Schmerzempfindung sei mit dem Hirntod nicht erloschen, sondern auch untergeordnete Strukturen zu differenzierten Wahrnehmungen befähigt. Bereits 1947 konnte tierexperimentell an Katzen, bei denen, entsprechend den Verhältnissen beim Hirntod eine Dekapitierung, also eine Durchtrennung an der Grenze vom Htrnstamm zum Rückenmark, durchgeführt worden war, gezeigt werden, daß bereits geringe mechanische Manipulationen in der Körperperipherie bzw. an den Baucheingeweiden Reaktionen hervorrufen können [25], welche exakt den Phänomenen bei einer Organexplantation entsprechen [35;106]. Ebenso zeigten Hormonmessungen, daß Blutdruck- und Pulssteigerungen während der Organexplantation mit einem zeitlich simultanen Anstieg der Nebennierenhormone Noradrenalin und Adrenalin einhergehen, wohingegen die Sekretion des überwiegend im Gehirn produzierten Hormons Dopamin unverändert bleibt [35].
Diese Phänomene lassen sich auf viszeromotorische und sekretorische Reflexbahnen zwischen Baucheingeweiden und dem Rückenmark erklären [21;35;91]; sie sind von einer vermeintlich bewußtseinsnahen Schmerzwahrnehmung unabhängig.
7.3 Spinale Reflexautomatie im Hirntod - das „Lazarus-Zeichen" Nicht nur für Laien die wohl irritierendste und schockierendste Beobachtung bei Hirntoten ist das Auftreten von spontanen oder durch Berührung ausgelösten Bewegungen der Extremitäten, welche bisweilen - bei oberflächlicher Betrachtung - als intendiert erscheinen können, z.B. Gehbewegungen, ein langsames Hochheben der Arme oder gar eine Umarmung der mit der Pflege betrauten Schwester [80;91;101]. Diese Phänomene wurden von ihrem Erstbeschreiber Ropper [80], entsprechend dem Bibeltext in Johannes 11,44 („und der Verstorbene kam heraus"), auch als „LazarusZeichen" bezeichnet. Ursächlich ist ein Wegfall hemmender Einflüsse des Gehirns auf das Rückenmark im Hirntod; woraus eine Enthemmung spinaler Reflexschablonen resultiert, welche auch nach einer Querschnittslähmung zu beobachten ist. Es ist für den Hirntod geradezu typisch, wenn Muskeleigenreflexe normal oder sogar gesteigert auslösbar sind [45;66;91].
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7.4 „Tod der letzten Hirnzelle" - oder „integrative Gesamtfunktion"? Während die klinische Hirntoddiagnostik sich der menschlichen „fünf Sinne" bedient und damit (bei sachgerechter Durchführung) einer natürlich begrenzten, gleichbleibenden Sensitivität in der Wahrnehmung eventuell vorhandener Restfunktionen unterliegt, ist die apparative Hirntoddiagnostik einem stetigen technologischen Wandel unterworfen. Hieraus ist ein neues Problemfeld entstanden, welches sich aus der zunehmend diffizileren Bewertung eben solcher minimaler Restaktivitäten unter dem noch allgemein geltenden Absolutheitsanspruch der Diagnose „Hirntod" ergibt. So fanden Rückert und Firsching [83], daß der Blinkreflex - als gewissermaßen elektrophysiologisches Korrelat des klinisch geprüften Hornhautreflexes - bei einem Teil der Patienten eine elektrische Restaktivität erkennen läßt, nachdem der klinische Hirntod (incl. der Untersuchung des HornhautReflexes) bereits korrekt nach allen geltenden Regeln festgestellt worden war.
Besonders deutlich wird diese Problematik bei der Elektroenzephalographie; diese entspricht einer „chaotischen" Summenaktivität, deren jeweilige Potentialhöhe (Amplitude) sich aus einer variablen, unübersehbaren Vielzahl zeitlich ungerichteter Endadungen von Einzelneuronen ergibt. Nach neurophysiolgischer Konvention werden dabei nur Ausschläge > 5 μ ν als für die Hirntoddiagnostik relevantes Zeichen einer kortikalen Restfunktion gewertet. Hingegen wird die untere Nachweisgrenze (ca. 2 μ ν ) nicht biologisch, sondern physikalisch-technisch durch den Signal-Rauschabstand des jeweiligen EEG-Gerätes determiniert; d.h. unterhalb dieser Potentialschwelle können technische Störeinstreuungen nicht mehr von einem biologischen Signal abgegrenzt werden. Spudis et al. [94] haben die Frage aufgeworfen, wie häufig meßbare Restaktivitäten in dem so definierten Grenzbereich (zwischen 2 und 5 μ ν ) zu bewerten sind. Dies wird dadurch akzentuiert, daß durch technologische Weiterentwicklungen (u.a. empfindlichere Verstärker und die Digitalisierung des EEG) das Rauschverhalten stetig verbessert, d.h. der Rauschpegel reduziert wird. Dies gilt auch für andere apparative Modalitäten, wie die evozierten Potentiale, die transcranielle Dopplersonographie oder die Hirnperfusionsszintigraphie, welche durch technische Weiterentwicklungen ebenfalls eine geradezu exponentielle Verbesserung des räumlichen und zeitlichen Auflösungsvermögens erfahren haben. Es wird hieraus deutlich, daß eine streng biologisch orientierte Sichtweise des Hirntodkriteriums, welche den naturwissenschaftlichen Nachweis des Todes „jeder einzelnen Zelle" postuliert, nicht mehr sinnvoll und praktikabel ist; dies führte bei einer Vielzahl irreversibel Komatöser zur einer ethisch — aber auch ökonomisch — unvertretbarem Verlängerung des Sterbeprozesses auf der Intensivstation [70;71;94], Es erscheint daher folgerichtig, im Sinne eines funktionellen Konzeptes den Hirntod als das irreversible Erloschensein einer integrativen Gesamtfunktion zu begreifen: nicht die funktionslose Restdurchblutung einer inselartigen Rindenregion und nicht residuale Spontanendadungen kleinster Neuronenverbände sollten für die Beurteilung ausschlaggebend sein, sondern die Tätigkeit des Gehirns als funktionsfähiges Ganges.
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Wenn Hirntodkritiker unterstellen, dieses integrative Konzept sei Ausdruck eines kontrollierten Rückzuges, einer Kapitulation der Hirntoddiagnostik vor ihrer eigenen Unzulänglichkeit [49;57;81], so sei daran erinnert, daß auch der „klassische Herztod" von jeher auf der Bewertung einer integrativen mechanischen Pumpfunktion des Herzens (als Pulsschlag) bzw. einer elektrischen Summenaktivität (als EKG-Signal) basiert — die Feststellung des Herztodes war nie an den Nachweis eines biologischen Funktionsausfalls jeder einzelnen Herzmuskelzelle gebunden.
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Teilhirntod-Konzepte
Eine Abkehr vom biologistischen Absolutheitsanspruch des Ganzhirntodkriteriums zu einem integrativen, funktionell geprägten Konzept ist natürlich nicht ganz unproblematisch. Besorgte Stimmen haben auf Gefahren einer Aufweichung der Hirntodkriterien hingewiesen und das Szenario eines sich zwangsläufig und lawinenartig ausweitenden Prozesses („slippery slope") beschworen, an dessen Ende die gesellschaftlich sanktionierte „Entsorgung" von Apallikern, Anenzephalen, schließlich behinderter und älterer Menschen stehen könnte [36;51;57]. Eine lebhafte öffentliche Diskussion hat in Deutschland — mehr noch in den USA — zu einer gedanklichen Weiterfahrung des (Ganz-) Hirntodkriteriums auf mehr kognitivistisch ausgerichtete Konzepte geführt, welche im Vorhandensein oder Fehlen - wie auch immer definierter — Bewußtseinsleistungen die Individualität des Menschen - und damit sein personelles Lebensrecht - begründet sehen. Stellvertretend hierfür seien einerseits die umstrittene utilitaristische Ethik des australischen Philosophen Peter Singer [93], andererseits sog. „higher-brain formulations", wie die Konzeptionen von Karen Gervais [34], Robert Veatch [103] und Stuart J. Youngner [109] genannt. In diametralem Gegensatz hierzu steht das überwiegend in England verfochtene Konzept („British Code") des „Hirnstamm-Todes" [60,63], demzufolge menschliches Leben einzig mit dem Vorhandensein einer integrativen Hirnstammfunktion verknüpft ist, während neokortikale Leistungen keine Relevanz haben. Diese Teilhirntod-Konstellationen sind eng verknüpft mit pseudokomatösen Zustandsbildern und zerebralen Defektsyndromen und häufig schon in grundlegenden Definitionsfragen von Fehlern und Mißverständnissen begleitet. Die wichtigsten Syndrome seien abschließend dargestellt.
8.1 Isolierter Hirnstamm-Tod Hierbei überdauert nach zumeist primär-infratentorieller Hirnschädigung die Großhirnfunktion das Auftreten eines klinischen Hirntodsyndroms für Stunden, Tage, Wochen oder gar Monate. Eine vorhandene Restfunktion des Großhirns ist dabei im EEG und den visuell-evozierten Potentialen nachzuweisen, während alle Hirnstamm-
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Potentiale erloschen sind [23;30;33;47;79]. Abgesehen von einer (theoretisch erhaltenen) Seh- und Geruchswahrnehmung, handelt es sich somit um eine, von der Umwelt vollständig isolierte, nur apparativ erfaßbare Großhirnaktivität. Dabei ist offen, was dies für den Betroffenen bedeutet; denn durch Einbeziehung der Formatio reticularis in den Schädigungsprozeß dürfte auch die Fähigkeit zu schlafen, zu träumen oder zu denken verlorengegangen sein. Ungeachtet einer stets infausten Prognose, wird aufgrund dieser — aller Wahrscheinlichkeit nach unbeantwortbaren — Frage der Hirnstamm-Tod nicht unter das Ganzhirntod-Kriterium subsumiert und in jedem Fall einer primär-infratentoriellen Hirnschädigung eine EEG-Ableitung zwingend vorgeschrieben. Hingegen ist nach dem „British Code" die klinische Feststellung eines irreversiblen Funktionsausfalls des Hirnstamms ausreichend. Da Zusatzyntersuchungen wie das E E G in der Hirntoddiagnostik als „unsinnig" abgelehnt werden [63], entfällt eine Differenzierung, wodurch der „isolierte Hirnstamm-Tod" dem Individualtod gleichgesetzt wird.
8.2 Hirnrinden-Tod („neocortical death") Dieser verhält sich spiegelbildlich zum Hirnstamm-Tod: es findet sich ein irreversibler Verlust aller „höheren" kortikalen Funktionen bei erloschener Aktivität im E E G und den visuell-evozierten Potentialen, aber vollständig erhaltener Hirnstammfunktion [15;72]. Damit kann diese, im angelsächsischen Sprachraum auch als „neocortical death" bezeichnete Entität bereits durch übliche klinische Untersuchungen der Hirnstammreflexe zuverlässig erfaßt werden.
8.3 Locked-In-Syndrom Es liegt hier - nicht selten als Folge eines thrombotischen Verschlusses der Basilararterie — eine ausgedehnte bilaterale Schädigung der ventralen Brückenregion mit Unterbrechung kortikospinaler und -bulbärer Bahnen zugrunde; dabei bleiben aufsteigende Fasersysteme des pontomesenzephalen Tegmentums einschließlich der Formatio reticularis intakt, was die stets vollständig erhaltene Bewußtseinslage erklärt [50;69]. Da auch das Déjerinsche Bündel mit supranukleären, zu den Okulomotoriuskerngebieten projizierenden Bahnen im klassischen Fall ausgespart wird, bleibt als einzige willkürliche motorische Restfunktion die Fähigkeit zu vertikalen Augenbewegungen erhalten, was es dem Betroffenen u.U. ermöglicht, mit der Umwelt über eine Art „Morsecode" zu kommunizieren. Das Locked-In-Syndrom beschreibt den Zustand einer (nahezu) vollständigen Deefferenzierung und entspricht einem motorischen Querschnitt auf höchstem (pontinen) Niveau. Sensible (afferente) Empfindungen bleiben hingegen erhalten, ebenso die Spontanatmung, welche aber nicht willkürlich steuerbar ist.
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Das hier erhaltene Bewußtsein verbietet bereits á priori jede Diskussion über das Vorliegen einer Teilhirntod-Konstellation; die Hauptgefahr besteht in einer Verwechslung mit anderen Formen des Wachkomas. Andererseits können angesichts des tragischen Zustandsbildes - bei entsprechendem Wunsch des Betroffenen, aber auch durchaus in Übereinstimmung mit der geltenden Rechtsprechung - bestimmte Formen der passiven Sterbehilfe (z.B. die Unterlassung der antibiotischen Behandlung einer Pneumonie) erwogen werden.
8.4 Apallisches Syndrom Im angelsächsischen Sprachraum war bisher das Synonym „persistent vegetative state" gebräuchlich. In letzter Zeit ist diese Entität in den USA stärker in den Mittelpunkt des Interesses gerückt; dies betrifft medizinisch-ethische Aspekte wie die Organspende und aktive Sterbehilfe [6;49], aber auch sozio-ökonomische Überlegungen1 [49]. So wurde in den USA 1994 eine Multi-Society Task Force [100] gebildet, welche aufgrund statistischer Daten prognostische Kriterien formuliert hat, welche von dem bisherigen „persistent vegetative state" eine als „permanent vegetative state" bezeichnete Subentität abgrenzt; diese subsumiert Fälle, welche auch langfristig „nach allgemeiner medizinischer Erfahrung" keine Änderung des Zustandsbildes erwarten lassen. Als solche angesehen werden Erwachsene mit einer Persistenz des apallischen Zustandes über 12 Monate (bei traumatischer Genese) bzw. 3 Monate (bei nicht-traumatischer Genese), im pädiatrischen Bereich alle anenzephalen Säuglinge nach Geburt, ferner alle Fälle zerebraler Mißbildungen mit 3 - 6 Monate persistierendem vegetativen Status. Eine solche Klassifizierung ist nicht ohne Brisanz; denn sie führt - gewollt oder ungewollt — zu einer Zwei-Klassen-Einteilung der apallischen Patienten in solche, welchen das gesamte intensivmedizinische Behandlungsequipment dargeboten wird, und andere, welche als „infaust" und damit — nicht zuletzt auch unter ökonomischen Gesichtspunkten - als nicht mehr „behandlungswürdig" angesehen werden. Eine solche Triage könnte aber einer noch verhängnisvolleren Entwicklung den Weg ebnen, wenn nämlich, z.B. unter Anwendung neokortikaler (Teil)-Hirntod-Kriterien, eine von Singer [93] schon lange geforderte Rekrutierung infaust erkrankter Apalliker zu Zwekken der Organgewinnung vorgenommen würde.
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So stellt Paris [64] anhand des Fallbeispiels einer 27jährigen Amerikanerin, welche nach 18jähriger Intensivtherapie bei apallischem Syndrom (nach Schädelhirntrauma) ohne Wiedererlangung des Bewußtseins verstarb und bis dahin Behandlungskosten von $ 6,104,590 verursacht hatte, die ethische und ökonomische Vertretbarkeit eines solchen Vorgehens infrage.
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Zusammenfassende Betrachtungen
Der Hirntod ist kein Zwischenstadium, sondern Endpunkt eines Kontinuums pathophysiologischer Prozesse, welche natürlich vorgegeben sind und bei allen höherentwickelten Lebewesen das irreversible Moment des äußerlich zu beobachtenden Todes darstellen. Auch wenn ein genauer Todeszeitpunkt zumeist unerfahrbar bleibt, ist für den betroffenen Menschen mit dem vollendeten Hirntod der allerletzte Abschnitt seines Lebens abgeschlossen, während durch intensivmedizinische Maßnahmen die Atem- und Kreislauffunktion aufrechterhalten und das Absterben vegetativer Restfunktionen im übrigen Körper verzögert werden kann. Die moderne Intensivmedizin hat den Hirntod beim Menschen nicht geschaffen, sondern zeitlich von den übrigen Todeszeichen separiert, erfahrbar und bewußt gemacht. Der Hirntod ist somit kein „intellektuelles Konstrukt", sondern beschreibt lediglich einen bereits natürlich vorgegebenen Sachverhalt; er kann daher weder entdeckt noch erfunden, nur aufgefunden und als Kriterium beschrieben werden. Auch ist der Ganzhirntod kein theoretisches Postulat, sondern ergibt sich naturgesetzlich aus elementaren pathophysiologischen Prozessen, welche in einen völligen und endgültigen Hirnausfall münden. Die beschriebenen Teilhirntod-Konstellationen stellen in diesem Kontext keinen Widerspruch zur postulierten Ganzheitlichkeit des Hirntodes dar, sondern repräsentieren eine Minorität von Einzelfällen, in welchen das Versagen der Hirnfunktion in einem (zumeist vorübergehenden) Zwischenstadium persistiert. Es ist dabei unzweckmäßig, grundsätzliche Diskussionen um das HirntodKriterium — wie wie dies vor allem in den USA geschieht — an derartigen seltenen Einzelfällen festzumachen. Indem ein kontinuierlicher Ablauf der Sterbevorgänge auch dem Ganzhirntod-Konzept zugrundeliegt, sind sämtliche Fälle eines Teilhirntodes letztlich nur Ausdruck eines noch nicht abgeschlossenen Sterbens und entziehen sich damit weitergehenden Überlegungen z.B. im Hinblick auf eine Organspende. Nach Birnbacher [12] ist es alleinige Aufgabe der Medizin, den Hirntod auf der untersten Ebene der Begriffsbildung, dem Kriterium, operational durch Testverfahren zu beschreiben, diese stetig zu überprüfen und dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft anzupassen. Hingegen entzieht sich eine Definition als nächsthöhere Stufe der Begriffshierarchie einer exakten, naturwissenschaftlichen Überprüfbarkeit. Sie muß unter Berücksichtigung aller relevanten wissenschaftlichen, aber ebenso politischen, philosophischen, juristischen und theologischen Aspekte festgelegt werden; sie unterliegt dabei zwangsläufig dem Wandel derartiger Strömungen. Im Gegensatz zu einem Kriterium kann eine Definition nicht als „wahr" oder „unwahr", „falsch" oder ^richtig" bewertet werden, sondern allenfalls als „zweckmäßig" oder „unzweckmäßig". Ebenso wird sie für den Tod resp. Hirntod nie einheitlich zu treffen sein, sondern nur in einem gesellschaftlichen Konsens. Daß dieses so ist, stellt kein spezifisches Problem der Hirntoddiagnostik dar - es ist eine ebenso zwangsläufige wie letztlich begrüßenswerte Begleiterscheinung eines pluralistisch-demokratischen Meinungsbildungsprozesses.
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Trotzdem kann es nur einen Tod des Menschen geben. Dieser wird - ungeachtet jeder gesellschaftlichen Bewertung und juristischen Fesdegung — auch weiterhin bei über 99 % aller Menschen durch den irreversiblen Stillstand der Atem- und Kreislauffunktion festgestellt. Wie Lebens- und damit auch Todeszeichen des betreffenden Lebewesens und seiner Teile differieren, so unterscheiden sich auch die Vorgänge des jeweiligen Sterbens. Der Unterschied zwischen dem Lebewesen und seinen Organen, Geweben und Zellen wird beim Tod durch primär völligen und endgültigen Hirnausfall wichtiger, äußerlich aber auch unscheinbarer als beim primären Herz- und Kreislaufstillstand. Die Betrachtung, der Mensch sei noch nicht ganz tot, wenn nur sein Gehirn abgestorben ist, übersieht den Unterschied zwischen dem Ganzen als Einheit und dem Ganzen als Summe seiner Teile. Ganzheit aber bedeutet Einheit als Lebewesen. Durch den völligen und endgültigen Hirnausfall ist das Ganze als Einheit des Lebewesens verlorengegangen.
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Der Tod des Menschen als komplexes Phänomen Die Unterscheidung von Todesbegriffen und ihre moralische Relevanz Klaus Steigleder
Unter dem „Hirntod" oder „Ganzhirntod" versteht man den endgültigen Verlust aller Hirnfunktionen. Da die Steuerung der Herzfunktion teilweise vom Gehirn unabhängig ist, kann bei einem Patienten, der künstlich beatmet wird, der Hirntod eingetreten sein, während die Herz-Kreislauftätigkeit fortdauert. Traditionell war das Todeskriterium der endgültige Ausfall von Herztätigkeit und Atmung. In dem 1968 veröffentlichen Bericht des Ad-hoc-Kommittees der Harvard Medical School, das sich mit der Definition des Hirntodes befaßte, wurde der Vorschlag gemacht, den Hirntod als ein gleichwertiges Todeskriterium wie den „Herztod" zu behandeln [7]. Dieser Vorschlag hat sich international sehr weitgehend durchgesetzt. Daß bei einem künstlich beatmeten Hirntoten der Kreislauf noch fortbesteht, ist für die Praxis der Organtransplantation von großer Bedeutung. Denn mögliche Spenderorgane des Hirntoten werden so weiterhin mit Blut und Sauerstoff versorgt. Es besteht deshalb die Chance, dem Hirntoten noch intakte Organe zu Transplantationszwecken zu entnehmen. In der Bundesrepublik Deutschland hat 1992 der sogenannte „Erlanger Fall" der Versuch, über Monate hinweg die Körperfunktionen einer hirntoten Schwangeren weiter aufrecht zu erhalten, um die Weiterentwicklung des Fetus bis zur Lebensfähigkeit zu ermöglichen — deutlich gemacht, daß die breitere Öffentlichkeit über den Hirntod weitgehend uninformiert ist. Kann man denn ernsthaft behaupten wollen, so wird gefragt, daß jemand tot ist, dessen Herz noch schlägt? In der Diskussion um den Hirntod hat es nicht an Stimmen gefehlt, die sagen, daß das Hirntodkriterium gar nichts Neues darstelle. Herztod- und Hirntodkriterium beruhten auf dem gleichen Todeskonzept und an diesem Konzept habe sich nichts geändert. Worin aber das Konzept traditionell bestanden habe, darüber gehen freilich die Meinungen auseinander. Zumeist wird behauptet, das traditionelle Todeskonzept sei ein organismisches Todeskonzept. Tod ist danach das irreversible Ende des (menschlichen) Organismus als eines Funktionsganzen. Vertreter der Auffassung, daß der Hirntod auch für ein solches organismisches Todeskonzept stehe, bezeichnen deshalb gerne das Gehirn als „Zentralorgan" des menschlichen Organismus. Doch ist dies nicht überzeugend. Der Fall der hirntoten Schwangeren macht vielmehr deutlich, daß mit dem Hirntod nicht schon der Zusammenbruch des Organismus als eines
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Funktionsganzen zusammenfällt. Zwar muß man sagen, daß der Organismus von außen durch medizinische Hochtechnologie und ärztliches Handeln aufrechterhalten wird, doch kann man bezweifeln, ob dies ein entscheidender Gesichtspunkt ist. Andere behaupten, das traditionelle Herztodkriterium habe immer schon für ein personales Todeskonzept gestanden, welches das Ende nicht des menschlichen Organismus, sondern der menschlichen — mit Bewußtsein und Selbstbewußtsein ausgestatteten - Person besagt. Denn schließlich führt der Verlust von Atmung und Herztätigkeit in kürzester Zeit zum Ende aller Hirnfunktionen und damit zum Ende jeden Bewußtseins. Aber ist es nicht vielmehr so, daß im traditionellen Todesverständnis gar kein Anlaß bestand, zwischen dem Tod der Person und dem Tod des Organismus zu unterscheiden, da beides unlöslich miteinander verbunden war? Dies jedoch hat sich geändert und insofern haben wir es heute mit neuartigen Fragen zu tun. Die Frage nach dem Todeskonzept ist als solche keine medizinische Fragestellung, sondern eine philosophische.
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Der Tod eines Menschen ist ein komplexes Phänomen
Die Rede vom „Tod eines Menschen" bezeichnet ein komplexes Phänomen und unsere Frage nach dem „Tod eines Menschen" ist eine komplexe Fragestellung. Beginnen wir mit letzterem. Die Frage nach dem „Tod eines Menschen" ist sowohl eine ontologische Fragestellung als auch eine moralische Fragestellung. Bei einer ontologischen Fragestellung geht es um den Seins-Status, darum, was etwas ist oder ausmacht. Weniger abstrakt gesprochen und auf die Frage nach dem Tod bezogen geht es etwa darum, für welche Wesen sich die Frage nach dem Tod überhaupt stellen kann, was der Tod ist, worin sich ein totes Wesen von einem lebenden Wesen unterscheidet. Bei einer moralischen Fragestellung geht es darum, in welcher Weise welche und wessen Interessen oder Fähigkeiten handelnd zu berücksichtigen sind. Entsprechend macht es einen moralischen Unterschied, ob ein Mensch schon tot ist oder noch lebt, weil wir gegenüber einem Toten weniger Rücksichten zu nehmen haben als gegenüber einem Lebenden. In der gegenwärtigen Diskussion um den „Hirntod" steht die moralische Fragestellung im Vordergrund. Dürfen wir uns gegenüber jemandem, dessen Hirnfunktionen vollständig und irreversibel erloschen sind, dessen Herz-Kreislauffunktionen aufgrund künstlicher Beatmung aber noch mehr oder weniger intakt sind, so verhalten, wie wir dies traditionell· gegenüber einem Toten getan haben, dessen Herz nicht mehr schlagen kann, dessen Kreislauf und Atmung zum Erliegen kam und der schon deshalb auch keinerlei Hirnfunktionen mehr haben kann? Traditionell sprechen wir hier von einer Leiche. Dürfen wir also mit einem Hirntoten wie mit einer Leiche umgehen? Sind wir moralisch berechtigt, so, wie wir eine Leiche unter bestimmten Voraussetzungen sezieren dürfen, einem im erläuterten Sinn „Hirntoten" Organe zu entneh-
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men? Es ist klar, daß die moralischen Probleme der Organtransplantation nicht auf diese Frage beschränkt sind. Aber es ist keine unbedeutende moralische Frage, ob der moralische Status eines „Hirntoten" überhaupt eine Organentnahme - etwa des noch tätigen Herzens — zuläßt. Wie aber können wir auf diese moralische Frage eine unbeliebige Antwort finden? Die einfachste und moralphilosophisch unaufwendigste Möglichkeit scheint darin zu bestehen, daß wir auf den ontologischen Status eines „Hirntoten" rekurrieren. Ist ein „Hirntoter" denn wirklich tot? Denn wenn wir einmal unterstellen, daß traditionell unser Verhalten gegenüber Toten moralisch nicht zu beanstanden ist, dann wäre auch unser entsprechendes Verhalten gegenüber „Hirntoten" moralisch nicht zu beanstanden, wenn diese einem Toten im traditionellen Sinn hinreichend ähnlich sind. Umgekehrt scheint zu gelten, daß wenn wir an Lebenden nicht in bestimmten Weisen handeln dürfen — z.B. keine Vivisektion vornehmen dürfen - daß wir dann auch an Hirntoten nicht in dieser Weise handeln dürfen, wenn diese Lebenden hinreichend ähnlich sind. Außerdem scheint zu gelten, daß, wer nicht ein Toter ist, ein Lebender ist, und umgekehrt. Entsprechend scheint es auszureichen, den Vergleich des Status eines Hirntoten nach einer Richtung hin durchzuführen. Wenn also etwa gezeigt werden kann, daß ein „Hirntoter" keine Leiche im traditionellen Sinn ist, dann scheint gesichert zu sein, daß er den ontologischen und moralischen Status eines Lebenden hat. Wir dürften dann grundsätzlich keine Organe entnehmen. Diese schlichte Überlegung, auf der beispielsweise die in der gegenwärtigen Diskussion einflußreichen Thesen von Johannes Hoff und Jürgen in der Schmitten beruhen [4;5;6], ist aber zu schlicht und deshalb fehlerhaft. Sie übersieht, daß der Tod eines Menschen ein komplexes Phänomen ist. Anders gesagt: Traditionell sind im Tod eines Menschen zwei Todeskonzepte miteinander verbunden, nämlich zum einen ein organismisches Todeskon^ept, das Ende eines Menschen, insofern er ein biologisches Lebewesen ist, zum anderen ein personales Todeskon^ept, das Ende des Menschen als ein betreffbares Ich oder ein Jemand, insofern der Mensch nicht einfach nur Lebewesen, sondern auch vernunftbegabtes Lebewesen ist [10]. Da vor der Entwicklung intensivmedizinischer Techniken wie der künstlichen Beatmung immer ein engster Zusammenhang von Herz- und Hirntod bestand — der Herztod mußte in kürzester Zeit zum Hirntod führen und umgekehrt - war der Tod eines Menschen stets beides zugleich: nämlich irreversibles Ende eines Ich oder eines Jemand und irreversibles Ende eines Organismus als eines Funktionsganzen. Dieser Zusammenhang ist nach wie vor die Normalität. Doch kann der Zusammenhang im Rahmen der Intensivmedizin aufgelöst werden, so daß das irreversible Ende des Ich dem irreversiblen Ende des Organismus vorausgeht. Wenn es aber richtig ist, daß im Tod eines Menschen traditionell zwei Todeskonzepte miteinander verbunden sind, dann gibt es möglicherweise keine einfache Entsprechung zwischen ontologischem und moralischem Status. Denn wenn beide ,Tode' auseinandertreten können, dann wird die Frage handlungsrelevant, worauf der moralische Status eines Toten denn beruht - ob auf dem irreversiblen Ende eines betreffbaren Ich bzw. Jemand oder auf dem irreversiblen Ende des Organismus. Die Frage nach dem morali-
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sehen Status eines Toten läßt sich dann nicht durch den Rekurs auf das traditionelle Todesverständnis beantworten. Sie stellt sich vielmehr anders und neu und bedarf deshalb auch einer neuen Antwort.
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Die Unterscheidung der Todesbegriffe und ihre moralische Relevanz
Von „Tod" sprechen wir üblicherweise nur im Zusammenhang von Lebewesen, normalerweise nur im Zusammenhang von Tieren und Menschen. „Tod" hat wohl zunächst eine biologische Bedeutung, insofern er das irreversible Ende eines Organismus als eines Funktionsganzen bezeichnet. Diese Bedeutung ist auf Tier und Mensch anwendbar. Es fragt sich aber, ob der „Tod" eines Menschen sich auf die biologische Bedeutung erschöpft. Dies ist insofern nicht der Fall, als der Mensch nicht einfach nur wie das Tier Lebewesen ist, sondern im Unterschied zum Tier auch — in traditioneller Redeweise - vernunftbegabtes Lebewesen. Und es ist dieser Unterschied, weshalb der Mensch zumindest im Grundsatz einen anderen und gegenüber dem Tier herausgehobenen Status hat. Es ist dieser Unterschied, weshalb der Tod eines Menschen zumindest im Grundsatz von einem anderen moralischen Gewicht ist als der Tod eines Tieres. Weshalb dies so ist, kann hier nur angedeutet werden. Das für die Moral entscheidende Faktum ist die Handlungsfähigkeit im Verbund mit der Bedürftigkeit und Verletzlichkeit des Menschen. Durch die Handlungsfähigkeit kommt die Moral überhaupt in die Welt. Denn die Moral ist, wie der amerikanische Philosoph Alan Gewirth näher gezeigt hat [2,8,11], ein Anspruch, der sich zwischen Handlungsfähigen notwendig aufbaut. Ein Handelnder ist nämlich, um überhaupt handeln und erfolgreich handeln zu können, auf bestimmte Grundgüter angewiesen — wie etwa physische und psychische Integrität, um nur die allerelementarsten zu nennen. Da er in diesen Grundgütern von anderen Handlungsfähigen beeinträchtigt werden kann, dies aber von der Entscheidung der anderen Handlungsfähigen abhängt, kommt ein Handelnder nicht umhin, diese Grundgüter als Rechte gegenüber allen anderen Handlungsfähigen zu beanspruchen. Er kommt nicht umhin, davon auszugehen, daß ihm diese Grundgüter zukommen. Zugleich ist er dann aber genötigt änzuerkennen, daß die anderen Handlungsfähigen ebenso der Grundgüter bedürfen und in der gleichen Weise wie er Rechte auf die Grundgüter haben. Die Rechtsansprüche beruhen auf einer bestimmten Selbst-Bewertung des Handelnden, mit der er eine letztliche Unverrechenbarkeit für sich in Anspruch nimmt. Der Handelnde kommt nicht umhin, sich Würde zuzuschreiben und diese zugleich allen anderen Handlungsfähigen zuzuerkennen [9,3]. Und diese Würde und diese Rechte sind es, die den besonderen moralischen Status eines Handlungsfähigen ausmachen. Handlungsfähigkeit, -die Fähigkeit zu freiwilligem und zweckgerichtetem, intentionalem Tun oder Lassen, ist freilich ein anspruchsvolles Konzept. Nur ein Teil der
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Menschen ist handlungsfähig. Manche, menschliche Embryonen oder Neugeborene, sind noch nicht handlungsfähig, andere sind etwa aufgrund von schweren Erkrankungen nicht mehr handlungsfähig, und einige können etwa aufgrund schwerster geistiger Behinderungen niemals im Vollsinn handlungsfähig werden. Heißt dies dann, daß alle diese Menschen keine Rechte, keine Würde, keinen moralisch herausgehobenen Status besitzen? Nein, das heißt es nicht. Die hier angedeutete Argumentation der Moralbegründung zeigt zunächst nur, wie moralische Rechte allererst zustande kommen. Aber das schließt nicht aus, daß Handlungsfähige, die sich wechselseitig Würde und Rechte zusprechen müssen, Menschen, die nicht, noch nicht oder nicht mehr handlungsfähig sind, in einem Zusammenhang mit ihren Rechten und ihrer Würde sehen müssen, dergestalt, daß diese Menschen an ihren Rechten und ihrer Würde teilhaben [12]. Ob und inwieweit sich dabei auch Unterschiede ergeben, ist eine Frage, die etwa im Zusammenhang von Schwangerschaftskonflikten von Bedeutung ist. Hier kann sie aber dahingestellt bleiben. Die Handlungsfähigkeit steht in einem engen Zusammenhang mit einem bestimmten Person-Begriff. Der Begriff der „Person" wird ganz unterschiedlich gebraucht, weshalb in argumentativen Zusammenhängen ihm gegenüber größte Vorsicht geboten ist. Die wichtigste Unterscheidung ist, ob der Begriff moralisch normativ verwendet wird oder nicht. Wenn beispielsweise jemand in der Diskussion um den Schwangerschaftsabbruch behauptet „Der Mensch ist Person von Anfang an", dann ist damit gemeint, daß der Mensch von der befruchteten Eizelle an Rechte und Würde besitze und daß deshalb ein Schwangerschaftsabbruch immer oder fast immer moralisch unzulässig sei. Eine moralische Verwendung des Personbegriffs ist als solche natürlich nicht illegitim. Nur muß man sich darüber im klaren sein, daß die Verwendung von Begriffen noch nicht substantielle moralische Fragen löst. Wenn man also unter Personsein die Trägerschaft von Rechten und Würde versteht, dann leistet man einen ernst zu nehmenden Diskussionsbeitrag nur dann, wenn man mit argumentativen Mitteln zeigt, daß die befruchtete Eizelle im genannten Sinne „Person" ist, also Rechte und Würde besitzt. Eine andere, als solche nicht normative Verwendung des Personbegriffs ist die folgende: Person ist ein Wesen dann, wenn es ein rationales, bewußtes und selbstbewußtes Wesen ist, ein Ich, das sich durch Veränderungen hindurch und über Unterbrechungen hinweg durchhält. Wenn wir an unsere Kindertage zurückdenken, dann ist uns wahrscheinlich klar, wie sehr wir uns seither verändert haben. Aber wir gehen davon aus, daß „wir" uns verändert haben, d.h. wir halten uns trotz aller Veränderungen als ein identisches Ich fest. Es ist nicht einfach so, daß da ein Kind unseres Namens war und heute gibt es uns mit dem gleichen Namen. Sondern wir waren das Kind, und es sind unsere Erinnerungen, die in die Kindertage zurückreichen. Desgleichen überbrücken wir immer wieder Unterbrechungen. Wir sind gestern abend zu Bett gegangen und heute morgen nach einem hoffentlich tiefen und erholsamen Schlaf wieder aufgestanden. Was aber hat ein solcher Personbegriff einerseits mit Handlungsfähigkeit, andererseits mit dem Tod zu tun? Nun, der Zusammenhang zur Handlungsfähigkeit ist of-
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fenkundig. Denn Handlungsfähigkeit, die Fähigkeit zu freiwilligem und zielgerichtetem Tun oder Lassen, zur Verfolgung von unter Umständen längerfristigen Plänen etc. setzt ein bewußtes und selbstbewußtes Ich voraus. Wenn aber, was ich nur andeuten konnte, mit Handlungsfähigkeit eine besondere moralische Relevanz verbunden ist, dann ergibt diese sich auch für den Begriff der Person im Sinne eines mit Bewußtsein und Selbstbewußtsein begabten Ich. Denn dieses ist eine zumindest notwendige Bedingung von Handlungsfähigkeit. Im folgenden werde ich den Begriff „Person" in diesem definierten Sinne als ein Kürzel verwenden. Es ist nun wichtig, sich zumindest zweierlei klarzumachen: Erstens bezeichnet Personsein ebenso wie Handlungsfähigkeit vor allem eine Disposition. Aus der Tatsache, daß wir nicht ständig aktuell handeln, folgt noch nicht, daß wir nicht handlungsfähig sind. Und eine vorübergehende Handlungsunfähigkeit spricht auch noch nicht dagegen, daß wir die Handlungsfähigkeit wieder zurückerlangen können. Vergleichbares gilt auch für ein Ich. Ein Handlungsfähiger, ein Ich kann aber ein definitives und irreversibles Ende finden, dann nämlich, wenn jemand definitiv aufhört, selbst im dispositionellen Sinne handlungsfähig oder ein Ich zu sein. Dieses definitive Ende ist analog dem definitiven Ende eines Organismus als eines Funktionsganzen — es macht deshalb Sinn, vom „Tod der Person" zu sprechen. Denn wenn ein „Ich" oder ein „Jemand" ein definitives Ende gefunden hat, dann ist das „Ich" auch nicht mehr in seinem Leib betreffbar. Der noch bestehende Organismus ist nicht mehr Leib der Person, sondern war Leib der Person. Zweitens ist daran zu erinnern, daß Handlungsfähige Nicht-, Noch-nicht- und Nicht-mehr-Handlungsfahige in einem Zusammenhang mit ihrer Handlungsfähigkeit sehen müssen. Ähnliches gilt auch für die Person: So wie es eine Entwicklung auf das Personsein hin gibt, so gibt es degenerative Prozesse, bei denen wir nicht umhin kommen, nach wie vor von der Identität eines Jemand auszugehen, der diese erleidet. Durch eine Krankheit mag jemand nicht nur vorübergehend, sondern endgültig nicht mehr ein zurechnungsfähiges Ich sein, doch müssen wir ihn nach wie vor in einem Zusammenhang mit seinem Ich sehen. Diese Kontinuität wird auch dadurch gewährleistet, daß die Person leibhaft existiert, d.h. Geistigkeit, Gefühle, Empfindsamkeit, Verletzlichkeit etc. immer an den Leib gebunden sind. Der Leib vermittelt deshalb eine Kontinuität. Der äußerste Punkt bzw. das Ende dieser Kontinuität ist aber dann erreicht, wenn nicht nur De-menz, sondern im vollen Sinn und irreversibel A-menz (wie der Neurologe Ronald E. Cranford es formuliert hat [1]) gegeben ist — also der völlige Verlust von Bewußtsein und Empfindungsfähigkeit. Dann können wir weder von einem Ich noch von jemandem ausgehen, der irgendwie noch betreffbar wäre. Hier ist ein wirkliches Ende erreicht. Und mit dem Ende der Person ist auch ein Ende des Leibes der Person gegeben. In bestimmter Hinsicht handelt es sich nur noch um einen bloßen Organismus, um eine rein biologische Größe. Selbstverständlich ist die menschliche Person nicht einfach nur Gehirn oder in ihrem Gehirn lokalisiert. Sie existiert vielmehr leibhaft und ist deshalb auch in ihrem ganzen Leib betreffbar. Aber es ist davon auszugehen, daß das Gehirn eine notwendi-
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ge Bedingung für die Existenz der Person ist. Spätestens mit dem endgültigen Ausfall sämtlicher Hirnfunktionen ist deshalb das Ende, der Tod der Person gegeben. Ist also der Hirntod der Tod des Menschen? Nicht unbedingt schon, wenn wir „Mensch" einfach nur als einen biologischen Begriff verstehen. Doch ja, wenn wir „Mensch" als ein betreffbares Ich oder einen betreffbaren Jemand verstehen. Aber schafft die Rede vom „Tod der Person" nicht Verwirrung, wo Tod doch ein primär biologisches Geschehen bezeichnet? Es sollte hier gezeigt werden, daß zweifelhaft ist, daß der „Tod eines Menschen" traditionell bloß ein biologisches Geschehen bezeichnet, auch wenn der Mensch freilich nur deshalb sterben kann, weil er ein Lebewesen ist. Vielmehr waren traditionell im Tod eines Menschen ein biologisches und ein personales Todesverständnis miteinander verquickt. Da im Rahmen der Intensivmedizin personaler und biologischer Tod auseinandertreten können, stellt sich die Frage, was der eigentlich moralisch relevante Todesbegriff ist. Natürlich könnten wir uns entschließen, den Begriff „Tod" ausschließlich für ein biologisches Verständnis zu reservieren. Es sollte aber deutlich geworden sein, daß der Preis dafür außerordentlich hoch wäre. Der „Tod" verlöre nämlich damit seine moralische Signifikanz.
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Die Frage nach den Grenzen des medizinischen Zuständigkeitsbereiches Johannes Hoff
In einer Monographie zu medizinethischen Fragen aus dem Jahr 1968 äußert sich der Theologe Helmut Thielicke zum Status von Menschen im unumkehrbaren Koma. Wie ist das Am-Leben-Erhalten solcher Menschen zu bewerten? Thielickes Antwort ist ebenso knapp wie unmißverständlich: „Nach meinem Empfinden sollte man hier nicht vom ^Am-Leben-Erhalten' sprechen. Denn es geht doch um die bloße Aufrechterhaltung partieller biologischer Funktionen, oder noch schärfer: um eine Vitalkonservierung einzelner Organe einer unbestatteten Leiche." [15,S.64] Thielicke vergleicht die Intensivtherapie an irreversibel komatösen Patienten mit der Konservierung von Organpräparaten an einem anatomischen Institut — ein Vergleich, der in einem Referentenentwurf des Bundesministeriums für Gesundheit zum Transplantationsgesetz noch seine Spuren hinterließ, wenn der Hirntod dort definiert wird als der „nicht behebbare(n) Ausfall der gesamten Hirnfunktionen bei nur noch künstlich aufrechterhaltener Atmungs- und Kreislauffunktion" [2], Die Rede von einer „nur noch künstlich aufrechterhaltenen Atmungs- und Kreislauffunktion" suggeriert, die Blutzirkulation eines Hirntoten funktioniere nach dem Modell eines Systems kommunizierender Gartenschläuche — als sei sie das bloße Produkt einer externen Umwälzpumpe. Doch dieses Bild ist trügerisch. Die Aufrechterhaltung des Kreislaufs ist ein hochkomplexer Vorgang, der durch technische Mittel allenfalls unterstützt, nicht aber vollständig ersetzt werden kann. Künstliche Prothesen gehören im übrigen zum Alltag einer Intensivstation: Die .künstliche' Unterstützung von Blutdruck, Atmung, Entgiftung, Ausscheidung usw. ist gleichsam ihre Daseinsberechtigung. Solange durch solche Prothesen gewährleistet bleibt, daß der Organismus als eine selbständige Einheit erhalten bleibt, ist dies mit dem Leben eines Menschen vereinbar — das gilt für hirntote wie für andere schwerkranke Patienten. Dennoch hat das Bild von einem künstlich erzeugten Zirkulationssystem die Vorstellung des Hirntodes sehr lange geprägt. Der Unterschied zwischen einem medizinischen Präparat und einem hirnfunktionslosen Menschen wurde vielen erst bewußt, als im Jahre 1992 der Fall der Erlanger „schwangeren Leiche" Marion Ploch in die Medien kam. Allen Hirntoten ist grundsätzlich gemein, daß ihr Herz selbständig schlägt und die klassischen Lebensfunktionen erhalten sind: Der Blutkreislauf bleibt intakt, ebenso die physiologische Atmung — nur das Atemholen, also die Zwerchfell-
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tätigkeit, besorgt eine Maschine. Neben den basalen Stoffwechselfunktionen — also Verdauung und Ausscheidung - bleiben schließlich auch die Fortpflanzungsfunktionen bestehen: Hirntote Männer sind grundsätzlich erektions-, ejakulations- und zeugungsfähig; hirntote Frauen nicht nur gebär-, sondern auch empfängnisfähig. Schließlich können an Hirntoten auch rückenmarksgesteuerte Bewegungsabläufe beobachtet werden — ich erinnere nur an das sogenannte „Lazarussyndrom", bei dem es z.B. bei der Umbettung der Patienten durch die Krankenschwestern zu Umarmungs- oder Gehbewegungen kommen kann. Es muß deshalb wenig überraschen, wenn sich die Einstellung von Krankenschwestern und -pflegern gegenüber Hirntoten von der Einstellung eines Präparators zu seinem Präparat unterscheidet. Schuldgefühle gegenüber Hirntoten sind keineswegs die Ausnahme. Ein Zitat mag die Situation verdeutlichen, mit der viele Intensivschwestern und -pfleger tagtäglich konfrontiert sind: „Ich muß es mir immer wieder einhämmern: er ist tot. Aber ich habe es nie wirklich geglaubt [...]. Ich hab' weiter mit dem hirntoten Patienten geredet. [...] Daß er zur Organentnahme in den Operationssaal gefahren wird, das hab' ich allerdings nie über die Lippen gebracht."[3] Es scheint offenkundig, daß die Hirntodkonvention mit unserer vorwissenschaftlichen Erfahrung nicht ohne weiteres zu vereinbaren ist. Aber das sollte nicht zu übereilten Schlußfolgerungen verleiten. Die Erfolgsgeschichte der modernen Medizin verdankt sich nicht zuletzt der erfolgreichen Entmythologisierung irrationaler Tabuvorstellungen. Unsere vorwissenschaftlichen Intuitionen könnten sich als das schlichte Resultat eines Aufklärungsdefizits erweisen. Die „Dialektik der Aufklärung" kennt aber auch umgekehrte Varianten des Irrationalen: Die Hirntodkonvention könnte ebensogut Folge einer unzulässigen Grenzüberschreitung der Naturwissenschaften sein, die in ihren entscheidenden Argumenten einer kritischen Überprüfung nicht standhält. Kann man überhaupt von der „Lebendigkeit" eines „Lebewesens" sprechen, ohne auf ein lebensweltliches Vorverständnis dieser Begriffe bezug zu nehmen? Und kann man von Personsein oder gar von der „Geistigkeit" einer Person sprechen ohne mit Begriffen zu operieren, die sich dem Zugriff naturwissenschaftlicher Rationalität von vornherein entziehen?
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Zur biologischen Rechtfertigung der Himtodkonvention
Die Bundesärztekammer hat in ihren offiziellen Stellungnahmen bisher vermieden, zwischen dem bloßen Lebendigsein des menschlichen Organismus und besonderen ,geistigen Qualitäten' zu unterscheiden, die den Menschen gegenüber anderen Lebewesen auszeichnen. In der Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirates der Bundesärztekammer vom November 1993 heißt es: „Der Tod eines Menschen ist — wie der Tod eines jeden Lebewesens — sein Ende als Organismus in seiner funktionellen Ganzheit, nicht erst der Tod aller Teile des Körpers."[1]
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Der Mensch ist nach diesem Verständnis tot, wenn seine Existenz als ein lebendiges Individuum erloschen ist und von „Leben" nur noch auf der Ebene einzelner Organe oder Zellen gesprochen werden kann. Man kann dem ohne weiteres zustimmen. Befremdlich ist nur, daß man dieser Forderung durch das Ganzhirntodkriterium entsprechen zu können glaubt. Das Gehirn - so wird behauptet — habe die Funktion einer Integrationszentrale, die für die Regulation und Selbstintegration des Gesamtorganismus verantwortlich sei. Der Ausfall des Gehirns sei deshalb dem Zusammenbruch des Organismus gleichzusetzen — der Organismus zerfalle mit dem Hirntod in eine Ansammlung von Einzelorganen. Man wird aber vergeblich nach einer überprüfbaren Begründung für diese Behauptung suchen. Was versteht man überhaupt unter der „funktionellen Ganzheit" eines Lebewesens? Die Klärung solcher Grundbegriffe der Biologie fällt nicht in die Kompetenz einer wissenschaftlichen Einzeldisziplin, sondern in den Grenzbereich von Natur- und Geisteswissenschaften. Die moderne Biologie verzichtet bewußt auf den Gebrauch metaphysischer Metaphern, wie der Unterscheidung zwischen „Form" und „Materie" oder zwischen „beseelten" und „unbeseelten" Wesenheiten. Das Interesse an einer empirisch gesicherten Hypothesenbildung zwingt sie vielmehr dazu, sich ausschließlich auf molekularbiologische, anatomische oder physiologische Beschreibungs- und Erklärungsmodelle zu stützen. Die Abstraktion von unserem metaphysischen Sprachgebrauch hat aber auch einen Preis: Man entäußert sich der begrifflichen Mittel, zwischen einem „lebendigen Organismus" und einem sich selbst organisierenden „toten Mechanismus" zu unterscheiden. Die funktionalistische Betrachtungsweise der modernen Naturwissenschaften läßt eine klare Unterscheidung zwischen „belebten" und „toten" Funktionsabläufen nicht zu. Spricht man dennoch von „Lebewesen" oder sogar von einer „biologischen" Wissenschaft, so setzt man die Verständlichkeit dieser metaphysischen Metaphern stillschweigend voraus. Der Fortschritt der modernen Biowissenschaften hat insofern eine durchaus heilsame Nebenwirkung: Er bringt uns deutlicher denn je zu Bewußtsein, daß die Frage nach dem Unterschied zwischen Lebendem und Totem niemals vollständig von dem abstrahieren kann, was wir vorwissenschaftlich als „lebendig" oder „tot" erfahren. Ein Todeskriterium, das — wie die Hirntodkonvention — in offenem Widerspruch zu unserer vorwissenschaftlichen Erfahrung steht, kann deshalb nur auf Unverständnis oder Gleichgültigkeit stoßen. Denn es widerstreitet schon im Ansatz den Bedingungen, die uns erlauben, auf verständliche Weise von „Lebendigem" und „Totem" zu sprechen. Nun kann der Verweis auf unsere vorwissenschaftliche Alltagserfahrung natürlich nicht das Bemühen um verallgemeinerbare Theorien ersetzen. Er erlaubt uns allenfalls in naturwissenschaftlich nicht vollständig auflösbaren Grenzfragen zu beurteilen, ob eine Theorie ihrem Gegenstand angemessen ist. Man braucht nach einer angemesseneren Theorie zur Beschreibung der Funktionsweise eines Organismus aber auch nicht lange zu suchen. Die moderne Biologie und Physik hat solche Theorien bereits entwickelt [13;6]. Das Phänomen der Selbstintegration eines Organismus ist nach diesen Theorien als eine „emergente" Eigenschaft des Gesamtsystems „Organismus" zu bestimmen. Der Zeitpunkt der Desintegration eines Organismus als Kriterium für den
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Tod des Menschen muß sich deshalb anhand von Begriffen ausweisen lassen, die das Gesamtsystem eines hirnfunktionslosen Organismus in den Blick bringen. Die erwähnten Theorien identifizieren Leben mit einer Systemeigenschaft, die solange fortbesteht, wie die Wechselwirkung unter den Organen sowie zwischen den Organen und dem Ganzen erhalten bleibt. Jedes Organ ist an diesem Wechselspiel gleichwertig beteiligt. Die Selbstintegration und Selbsterhaltung eines Organismus kommt deshalb prinzipiell ohne die Rolle eines übergeordneten Zentralorgans aus, das über das Zusammenspiel der Einzelorgane wacht. Gerhard Roth: „Das Gehirn — ist innerhalb eines autopoietischen Netzwerks ein Organ wie jedes andere und deshalb im Prinzip ersetzbar und entbehrlich." [13] Der hirntote Organismus eines Menschen macht von diesem Prinzip keine Ausnahme. Bei entsprechender intensivmedizinischer Unterstützung ist er auch nach Ausfall seiner im Gehirn lokalisierten zentralen Integrationsfunktionen dazu fähig, sich zu einem selbständigen und spontan agierenden Ganzen zu organisieren. Neben dem noch erhaltenen Rückenmark, das als ein weiteres zentrales Steuerungssystem gilt, sind hierfür vor allem dezentrale Steuerungssysteme wie das Stoffwechsel- oder das Immunsystem verantwortlich zu machen.1 Nichts berechtigt dazu, einen prinzipiellen Unterschied zwischen den Integrationsfunktionen des Gehirns bzw. des Hirnstamms und den übrigen integrativen Funktionen eines Organismus zu unterstellen.
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Person und „Geist"
Die biologistische Argumentation der Bundesärztekammer scheint innerhalb der bundesdeutschen Ärzteschaft aber auch nicht die Rolle zu spielen, die man ihr z.B. von kirchlicher Seite gerne beimessen möchte. Schon in der gemeinsamen Stellungnahme der ihr untergeordneten Fachgesellschaften aus dem Jahre 1994 wird man vergeblich nach einer biologischen Begründung des Hirntodkriteriums suchen. Es ist nicht mehr von „allen Lebewesen" die Rede. Die Rechtfertigung des Hirntodkonzepts beschränkt sich vielmehr auf die Auflistung der charakteristischen Merkmale eines ,höheren Lebewesens'. Das .Geistige' des Menschen steht nun im Mittelpunkt: „Alle Lebensmerkmale, die ein höheres Lebewesen kennzeichnen, entstehen durch die Tätigkeit seines Gehirns. Beim Menschen ist das Gehirn zudem die notwendige und unersetzliche körperliche Grundlage für das stofflich nicht faßbare Geistige."[16] Man wird sich aber fragen müssen, ob nicht auch andere Patienten, die sich in einem unumkehrbaren Koma befinden, oder ohne Großhirn geborene, sogenannte ,anenzephale' Kinder, unter dieser Definition ihren Anspruch verwirkt haben, zu den 1
Das Immunsystem fungiert nach F. Varela als netzwerkartig organisiertes System, das für den Aufbau unserer Identität nicht weniger bedeutsam ist als das neuronale Gehirn [17]. Die Bedeutung dezentraler Integrationsfunktionen für die Selbstintegration eines Organismus wird auch von dem Neurologen M. Kurthen hervorgehoben, der neben dem Immunsystem auf die komplexen Steuerungsfunktionen des Blutgerinnungssystems verweist [8].
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Lebenden zu zählen. Auch sie sind nicht in der Lage, Bewußtseinszustände zu artikulieren. Ja, man kann sogar noch weiter gehen: Was steht dagegen, die spezifischen Merkmale „höherer Lebewesen" noch etwas zu präzisieren, und z.B. auch Menschen, deren Lebensäußerungen sich auf einem .tierischen' Niveau bewegen aus dem Kreis der Lebenden auszuschließen: Neugeborene, schwerst demente alte Menschen oder Geistesgestörte?2 Das ist keine theoretische Diskussion. Die Forderung, das Hirntod-Konzept „konsequent" auf andere komatöse oder gar auf demente Patienten auszuweiten, wird mitderweile nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland mit immer größerem Nachdruck erhoben [18;14]. Wollte man wenigstens verhindern, daß im Zuge weiterer ,Präzisierungsversuche' auch demente oder geistesgestörte Patienten zu Leichen erklärt werden, so müßte man an dieser Stelle eine klare Unterscheidung geltend machen: maßgeblich wäre nicht, ob und wie ein Mensch z.B. auf Zuwendung reagiert — reglos, wie ein Tier, wie ein „schwachsinniger" oder wie ein geistig „gesunder" Mensch; maßgeblich wäre allein, ob er als ein bewußtseinsbegabtes Wesen überhaupt existiert. Solange ein Mensch existiert, solange hätte er auch als Person zu gelten. Was berechtigt uns aber dazu, die Existenz von Bewußtsein an das Gehirn zu binden? Das Bedürfnis, den Geist des Menschen einem anatomischen Organ zuzuordnen, ist so alt wie die Geschichte der Medizin. Doch erst seit dem 19. Jahrhundert versucht man diese Frage unter Einklammerung von metaphysischen Fragestellungen auf der alleinigen Grundlage der anatomischen und physiologischen Erforschung des Gehirns zu beantworten [5]. Diese vordergründig betrachtet rein methodologische Vorentscheidung zugunsten einer naturwissenschaftlichen Betrachtungsweise stützt sich aber auf ein metaphysisches Vorurteil: den Glauben, daß man die Existenz des Bewußtseins an bewußtseinsspezifische Verhaltens- und Reaktionsmuster binden könne, die der empirischen Analyse zugänglich sind. Unter dieser Prämisse ist es naheliegend, das Bewußtsein mit dem Gehirn in Beziehung zu setzen; deutet doch alles darauf hin, daß das Gehirn für unser äußerliches Verhalten den Status einer sensomotorischen .Koordinationszentrale' hat.3 Prinzipiell lassen sich aber auch Automaten konstruieren, die dazu fähig sind, Verhaltens- und Reaktionsmuster zu entwickeln, die wir normalerweise als „bewußtseinsspezifisch" klassifizieren würden. Orientiert man sich vorbehaldos am Modell einer sensomotorischen Maschine, so wäre es durchaus konsequent, auch anthropoiden Automaten .mentale Qualitäten' zuzugestehen. Möglicherweise läßt dieses Modell aber einiges ungeklärt. Bleiben wir beim Beispiel des Hirntoten: Hirntote Menschen können nicht mehr mit ihrer Umwelt kommunizieren. Aber was wissen wir über ihren Bewußtseinszustand als solchen?
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Vgl. hierzu exemplarisch J. F. Spittler, der die Forderungen einiger „(s)ehr konsequent denkende(r) Medizinethik-Reformer", auch Patienten im Zustand einer fortgeschrittenen Demenz fiür tot zu erklären, zumindest in Erwägung zieht [14]. Zur Bedeutung des Modells der .sensomotorischen Maschine' für die Kolonialisierung des Gehirns als materieller Repräsentationsraum des Psyche vgl. M. Hagner [4].
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Die jüngere bewußtseinsphilosophische Diskussion zeigt, daß sich die Existenz von Bewußtsein nicht auf die Existenz von Bewußtseins- oder Aufmerksamkeitsakten reduzieren läßt. Nimmt man ernst, daß es so etwas wie Bewußtsein gibt, so kann man sich nicht damit zufrieden geben, das Zustandekommen von beobachtbaren Bewußtseinsäußerungen zu analysieren. Die Frage nach der Existenz von Bewußtsein betrifft vielmehr die „subjektive" Seite unseres Erlebens. Wenn es Bewußtsein gibt, so ist seine Wirklichkeit von den Eigenschaften eines Objekts von vornherein verschieden; wir können darüber keine objektivierbaren Aussagen machen - solche Aussagen bezögen sich immer auf ein Objekt und verfehlten damit gerade das Subjektive unseres Erlebens. Wie aber muß man sich dann die Tatsache erklären, daß es außer mir selbst auch andere Subjekte in dieser Welt geben kann? Was an einem Körper gibt mir zu verstehen, daß dieser Körper mehr als ein Objekt, eben „ein anderer" ist? Soll es überhaupt möglich sein, einem anderen Menschen zu begegnen oder seinen Körper — wie man sich metaphorisch ausdrückt - als,beseelt' zu erfahren, so muß sich diese Erfahrung auf eine Weise erschließen, die meiner objektivierenden Beobachtung immer schon vorausliegt. Diese Einsicht ist nicht neu. Schon Ludwig Wittgenstein weist in seinen Philosophischen Untersuchungen die Überzeugung zurück, der Begriff der Seele bringe einen bloßen Glauben oder eine Meinung über einen Gegenstand zum Ausdruck. Daß der andere eine Seele hat, zeige sich nicht an seiner realen Existenz als Gegenstand in der Welt, sondern an meiner Einstellung zu seiner Existenz. Der Satz ,Ich glaube, mein Freund ist kein Automat' wäre für Wittgenstein nicht einfach ,wahr'. Wittgenstein hatte Humor genug, ihn als lächerlich zu endarfen. Wer so redet, redet normalerweise Unsinn: „'Ich glaube, daß er kein Automat ist' hat, so ohne weiteres, noch gar keinen Sinn. Meine Einstellung zu ihm ist eine Einstellung zur Seele. Ich habe nicht die Meinung, daß er eine Seele hat." [20,S.489;19,S.193ff.] Die Rede von einem .wissenschaftlichen Konsens' über das Gehirn als ,Sitz des Bewußtseins' ist also, wenn nicht schlechterdings falsch, so doch zumindest präzisierungsbedürftig. Richtig an dieser Behauptung ist, daß nach dem Ausfall des Gehirns keine Bewußtseinsäußerungen mehr beobachtet werden können. Sie führt aber in die Irre, wenn man daraus im ontologischen Sinne auch schon auf das Ende der geistigen Existenz eines Menschen schließt. Eine mögliche Rechtfertigung der Hirntodkonvention könnte sich deshalb allenfalls auf eine bestimmte Form von Beziehungsunfähigkeit als Kriterium für den Tod des Menschen berufen. Es stellt sich aber die Frage, ob dabei nicht in unzulässiger Weise von der körperlichen Existenz einer Person abstrahiert würde. Setzt die Zuerkennung von Ausdruckskraft in der Beziehung zu den Worten und Gesten, die ein Mensch zum Ausdruck bringt, nicht von vornherein eine bestimmte Einstellung zu seinem Körper als Nicht-Objekt voraus? Die philosophische Diskussion um das Problem der Fremdkörperlichkeit hätte einige wichtige Aspekte zur Beantwortung dieser Frage beizusteuern, deren Grundlinien hier nur angedeutet werden können [10;11;9], Die Zuerkennung von Personprädikaten bleibt an die Möglichkeit einer ethischen Einstellung gebunden, die den Körper des anderen als ein Nicht-Objekt gelten läßt,
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das sich meiner Verfügungsgewalt entzieht. Der andere Mensch: Das ist der, den ich als verletzlich und sterblich erfahre und der mich in seiner Verletzlichkeit und Sterblichkeit in die Pflicht nimmt. Seine Gegenwart drückt sich darin aus, „daß es mir ethisch unmöglich ist, ihn zu töten" [12,S.120]. Diese Unmöglichkeit erwächst nicht aus einer moralischen oder juridischen Vorschrift. Sie bringt die Erfahrung zum Ausdruck, daß die Gegenwart eines anderen Menschen von mir in überfallartiger Weise Besitz ergreift. Der andere: das ist der, der wie eine Störung in meiner Welt auftaucht und mich jeder Möglichkeit beraubt, sich seiner aktiv zu entledigen. Ich kann ihn vielleicht vergessen, aber ich kann ihn nicht aus meiner Welt herausdrängen. Selbst wenn ich ihn töten würde, wüßte ich, daß er mich weiter verfolgen wird. Sein Leib verkörpert etwas, das sich nicht beseitigen läßt. Dies erklärt nicht nur die Strenge des klassischen Tötungsgebots. Es wirft auch Licht auf die Kehrseite dieses Verbots: Die Tatsache, daß die Überschreitung des Tötungsverbots, dort, wo sie nicht aus sekundären Motiven erfolgt, zu exzessiven Gewaltakten verführt. Grund- und maßlos wie das Gesetz, das uns verbietet zu töten, ist auch auch der Traum, das Verbot zu überschreiten. Wie auch immer man auf die Nähe dessen antwortet, was Emmanuel Lévinas als das Gesicht, die visage des anderen Menschen bezeichnet: man wird sich zu seiner visage nicht wie zu einem .natürlichen Objekt' verhalten. Vielleicht haben wir das Sensorium für diese elementare Grunderfahrung ethischer Verantwortlichkeit verloren. Doch wenn wir uns damit abfinden und uns auf juridische Spielregeln zurückziehen, die unsere öffentlichen und privaten Umgangsformen ,regeln', werden wir damit zu rechnen haben, daß die metaphysischen Kriterien, die uns heute noch zwischen Personen und Dingen differenzieren lassen, ihre scheidende Kraft verlieren. Wie, wenn wir eines Tages vergessen hätten, was eine Person von einem Straßenschild unterscheidet? Metaphysische Theorien über den ,Geist' des Menschen können ebenso wie die moralischen und juridischen Verbote, die sich auf sie berufen, immer nur nachträglich auf Dinge und Ereignisse re-flektieren. Sie nehmen Rücksicht, lassen uns auf etwas zurückkommen, das sich unserer Achtung bereits stillschweigend als würdig erwiesen hat. Das Gesetz, das mich einem anderen Menschen verpflichtet, hat sich schon gezeigt, bevor ich darüber nachgedacht habe. Denn seine Autorität bleibt an die Physiognomie eines verletzlichen Körpers gebunden: an das Gesetz einer Schrift, die mir Vorschriften macht, die nicht auf Papier, sondern auf lebendiges Fleisch geschrieben sind. Die unter Juristen gebräuchliche Rede von der „Unverletzlichkeit der Person" ist nicht im Sinne einer „bloß metaphorischen" Ausdrucksweise zu verstehen, die den frommen Phantasien juristischer Schreibtischtäter entsprungen ist. In eine kanonische Formel gefaßt, spiegelt sich in ihr die sinnlichen Erfahrung wider, das eine Person verletzlich und sterblich ist. Ohne diese sinnliche Dimension seiner Existenz wären wir niemals in der Lage, ihn als „Person" zu identifizieren. Einem Menschen als Person anerkennen, das heißt auch und an erster Stelle, die Lebendigkeit seines Körpers als Ausdruck seines Personseins gelten zu lassen.
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Literatur
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Von disziplinaren Grenzen und interdisziplinären Brücken - Anmerkungen zur aktuellen Diskussion um das Hirntodkriterium Michael Rosenberger
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Die Naturwissenschaft allein genügt nicht
Per definitionem geht die Naturwissenschaft primär auf die empirisch zugänglichen Tatsachen, die „hard facts" aus. Ihr methodisches Instrumentarium ist auf dieses Ziel hin definiert, ihre Folgerungen ergeben sich aus der Kombination meß- und zählbarer Resultate, deren Überprüfbarkeit und Wiederholbarkeit zu den Eckpfeilern des naturwissenschaftlichen Ansatzes gehören. Kausalität ist die oberste Kategorie der Erklärung. Mit diesem Ansatz werden bewußt Fragen nach dem Sinn und Ziel des Lebens ausgeklammert, da die möglichen Antworten nicht empirisch feststellbar sind, sondern die Ebene der Fakten transzendieren. In diesen trans-empirischen Bereich gehört auch die Frage: Was soll ich tun? Diese Frage nach dem Sollen, Grundfrage jeder Ethik, impliziert den Horizont von Sinn, ist also naturwissenschaftlich nicht beantwortbar. Der methodischen Beschränkung der Naturwissenschaften auf die Empirie entspricht umgekehrt eine ebensolche seitens der Philosophie und Theologie. 1 Ihr Blickwinkel richtet sich auf das Leben als ganzes, auf die Welt als umfassende, tragende Realität. Damit verzichtet die Philosophie methodisch bewußt auf ein eigenständiges Erforschen der Empirie. In der Wissenschaftstheorie spricht man in diesem Zusammenhang von der Autonomie der Wissenschaften 2 . Jede Wissenschaft definiert ihre eigenen Methoden und kommt mit diesen zu gültigen Ergebnissen. Gleichwohl ist keine Wissenschaft autark, sondern je auf die Erkenntnisse anderer Disziplinen angewiesen. Für unser Thema: Naturwissenschaft braucht die Ethik — es gibt keine wertneutrale Forschung oder 1
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Im folgenden wird für den Gesamtkomplex von Philosophie, Theologie und Ethik das Wort Philosophie allein verwendet. 1st von einer der anderen beiden Disziplinen die Rede, wird diese ausdrücklich erwähnt. Kirchenamtlich wurde diese früher eher bekämpfte Ansicht auf dem II. Vatikanischen Konzil rezipiert, vgl. Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute „Gaudium et Spes", Nr. 36.
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Anwendung.3 Ethik braucht aber ebenso die Naturwissenschaften - es gibt keine empirieenthobene Ethik. Beide Bereiche bleiben wechselseitig aufeinander verwiesen und müssen sich gegenseitig durchdringen, wollen sie handlungsleitende Urteile fällen.4 Bevor diese Verhältnisbestimmung auf das konkrete Thema der HirntodDiskussion angewandt wird, bleibt noch eine wichtige Vorbemerkung zum unterschiedlichen epistemischen Status naturwissenschaftlicher und philosophischer Aussagen: Jenen haftet — so sie nicht explizit Hypothesen sind — eine Art kausale Notwendigkeit an.5 Über sie läßt sich nicht diskutieren. Diese hingegen implizieren stets Grundoptionen, die nicht mehr beweisbar sind. Sie fordern die freie Anerkennung durch den Einzelnen. Daß ein Mensch stirbt, wenn er sich eine Überdosis Heroin spritzt, - eine medizinische Aussage - ist unbezweifelbar. Daß ein Mensch unveräußerliche Würde besitzt - eine philosophische Aussage - , läßt sich durchaus bestreiten.
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Worum es in der Hirntod-Debatte geht
Was heißt das alles für die Hirntod-Debatte? Die zentrale Frage lautet ja: Wann ist der Mensch tot? Genau gesehen besteht sie aus zwei Komponenten auf je unterschiedlichen Ebenen: Was ist der Tod des Menschen als Menschen? Hier geht es um die Todes definition — ein philosophisches Problem, denn es impliziert die Frage nach dem Wesen des Menschen: Was macht den Menschen zum Menschen? Was ist das medizinische Korrelat für den Tod des Menschen? Hier steht die Frage nach dem Todeskriterium an — eine zunächst medizinische Frage. Denn es muß ja für den philosophisch definierten Todeszeitpunkt einen empirischen Anhalt geben, der sich mit Sicherheit feststellen läßt.6 Während nun die erste Frage nach der Todesdefinition eine rein philosophische und die Suche eines Todeskriteriums zunächst eine medizinische Frage ist, geht ihre Korrelation beide, Ethiker und Mediziner an: Welches Todeskriterium ist der vorgegebenen Todesdefinition angemessen? Diese Frage kann weder der Ethiker noch der Mediziner allein klären: Der Mediziner nicht, weil ihm die Todesdefinition erschlossen werden muß, der Ethiker nicht, weil ihm mögliche Todeskriterien zunächst nur ober-
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Das wissen wir spätestens seit Dürrenmatts Physikern. Diese Erkenntnis reicht bis in die Antike zurück. Während der Philosoph Plato für die Medizin die Einsicht in die Natur des Ganzen ( φ ύ σ ι ς τ ο υ ο λ ο υ ) forderte (Phaidros 270c), setzt der Mediziner Hippokrates primär auf empirische, überprüfbare Forschungen (De natura hominis cap. 20). Die Einsicht, daß beide Forderungen ihre Berechtigung haben und die Wahrheit in ihrer Verbindung liegt, mußte seither je neu errungen werden. Auch die in der Naturwissenschaft häufige Angabe von Wahrscheinlichkeiten ist im Prinzip nichts anderes als die Verrechnung von Unsicherheitsfaktoren im Blick auf kausale Notwendigkeiten. Wobei die Frage geeigneter Tests eine rein medizinische Frage ist, die an dieser Stelle nicht zur Diskussion steht.
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flächlich zugänglich sind und er Gefahr läuft, der Komplexität medizinischer Gegebenheiten nicht gerecht zu werden (s. Abb. 1).
Philosophie Theologie Ethik
Interdisziplinärer Dialog
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Bild A
Bild Β
Todesdefinition ?
Definition A
Definition Β
Kriterium 1
Kriterium 2
t
Angeme^enheit ?
Todeskriterium ? Medizin
ft Testverfahren?
Abb.l:
Β Β
Menschenbild ?
ίϊ Test 11 Test 12 Test 13
ίϊ Test 21 Test 22
Das interdisziplinäre Zusammenwirken von Ethik und Medizin im Falle der Himtoddebatte direkte logische Ableitbarkeit; 4 • Angemessenheit).
Hier, bei der Frage der Angemessenheit eines Todeskriteriums in bezug auf eine Todesdefinition stehen wir an der Nahtstelle zwischen Medizin und Ethik. Hier muß sich notwendig das interdisziplinäre Gespräch bewähren. Meines Erachtens ist hier auch der Grund verborgen, warum es derzeit zu so vielen Kontroversdiskussionen um den Hirntod kommt. Es scheint, als ob aneinander vorbei geredet wird. Das will ich im dritten Schritt meiner Ausführungen erläutern.
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Verschiedene Todesdefinitionen - ein Todesktitetium
Dazu ist eine Voraussetzung zu benennen, die ich treffe und die vielleicht von manchem angezweifelt wird. Diese Voraussetzung besteht in der Annahme, daß sich die Realität „Tod" grundsätzlich in einer philosophischen Begrifflichkeit fassen läßt — gleich welche konkrete Begrifflichkeit der einzelne dann wählt. Sobald dies akzeptiert ist, lassen sich zwei Rahmenmodelle derzeit diskutierter Todesbegriffe und ihnen korrespondierender Menschenbilder fassen. Innerhalb dieser gibt es jeweils vielfältig schattierte und nuancierte Todesdefinitionen, je nachdem welchen philosophischen Ansatz jemand mitbringt. Diese Rahmenmodelle heißen:
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Der Mensch als Einheit aus Leib, Seele und Geist1: Wer sich dieses traditionelle theologische Menschenbild zueigen macht, wird den Tod definieren als Zerbrechen der leibseelischen Ganzheit des Menschen. Ich nenne dies die ganyheitliche Todesdefinition.8 Der Mensch als Lebewesen: Dieses Menschenbild impliziert zwar eine philosophische Reduktion, bringt aber ethisch sogar eine Expansion der Vorsicht im Umgang mit Sterbenden: Der Tod wird hier als das Ende des Organismus Mensch als ganzen bezeichnet. Ich nenne das die vitale Todesdefinition. Es ist interessant, daß sowohl die Hirntodbeschreibung der Bundesärztekammer als auch die Gemeinsame Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und die Erklärung einer Arbeitsgruppe der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften [19,S.81] die Option für beide Rahmenmodelle einer Todesdefinition offenhalten. Implizit wird damit behauptet, daß das Hirntodkriterium für beide Modelle hinreichend ist. Das will ich im folgenden untersuchen: Ist der Tod das Zerbrechen der leibseelischen Ganzheit des Menschen und gilt zudem, daß jegliche Geistigkeit notwendig an das Vorhandensein eines wenigstens eingeschränkt arbeitenden Gehirns gebunden ist (was kaum überzeugend bestritten werden kann9), so ergibt sich notwendig als angemessenes Todeskriterium der irreversible Ausfall einer der Komponenten der Ganzheit des Menschen. Im Falle des Hirntodes ist dieser im vollständigen Erlöschen geistiger Aktivität gegeben. Wird der Tod des Menschen als Tod des Organismus definiert,10 ist die Sache etwas komplexer: Die Frage lautet dann: Lebt der menschliche Organismus eines Hirntoten noch als ganzer oder leben nur noch einige seiner Organe? Als Kriterium für das Leben eines Organismus als ganzem wird übereinstimmend die Fähigkeit der Integration angegeben.11 Ist diese also im Falle des Ganzhirntodes noch gegeben oder nicht? Man beachte: Das ist bereits eine medizinische, keine ethische Frage mehr! H. Jonas etwa sieht im Falle der schwangeren Hirntoten Marion P. einen schlagenden Beweis dafür, daß die volle Funktionsfähigkeit des Körpers weiterhin gegeben sei, und folgert, daß Hirntote leben [10,S.23]. Aber was heißt hier „volle Funktionsfähigkeit"? Es scheint bei näherem Hinsehen, daß Jonas stark von äußerlich sichtbaren Funktionen ausgeht (wie der Atmung oder der Erhaltung des Fetus) und die weit überwiegenden Ausfälle übersieht. Gerade am Fall des Erlanger Babys zeigt nämlich K. Roosen, daß die (allemal sehr bruchstückhafte) Integration von Teilen des Körpers der Hirntoten im wesentlichen durch die Hormonproduktion des Fetus geleistet wurde, welcher zu diesem Zeitpunkt bereits eine hormonale Autarkie erreicht hatte [16,S.68]. Ist dies 7
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11
Dieses Modell ist nicht im Sinne eines platonischen Dualismus, sondern eher im Sinne einer Einheit in Dualität zu verstehen. Da das personale Menschenbild eine noch engere Todesdefinition erbrächte, braucht es nicht eigens diskutiert werden, sofern das Hirntodkriterium bereits der ganzheitlichen Todesdefinition genügt. Vgl. D. Birnbacher [2], S. 32. So auch B. Schöne-Seifert [17], S. 481. Gegen J. Hoff und J. in der Schmitten [7], S. 337. Was auch Gegner des Himtodkriteriums für akzeptabel halten; vgl. J. H o f f und J. in der Schmitten [6], S. 183ff. Diese meint die „Zusammenfassung der einzelnen Tätigkeiten und ihrer Wechselbeziehungen zum Ganzen als Funktionseinheit", so H. Angstwurm in C. Gestrich [4], S. 35.
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medÌ2Ìnisch korrekt, und ich zweifle nicht daran, erledigen sich die diesbezüglichen Argumente von Jonas. Ähnlich wie Jonas argumentieren G. Roth und U. Dicke und behaupten, das Gehirn sei in seiner integrierenden Funktion prinzipiell ersetzbar und entbehrlich [15,S.53]. Dabei gehen sie von der Systemtheorie aus, nach der innerhalb eines Systems zunächst einmal jedes Teilsystem gleichrangig neben den anderen steht. Formal mag auch für das Gehirn des Menschen gelten, daß es neben und nicht über den anderen Organen steht. Materiell betrachtet hat aber das Gehirn allein als Träger der subjektiven Identität des Individuums in der Klasse der Wirbeltiere eine einzigartige Stellung: Das alte (fiktive) Gedankenexperiment, welches Ichbewußtsein ein Mensch hätte, dessen Leib ein fremdes Gehirn implantiert worden wäre, hilft noch immer weiter: Es ist offensichtlich, daß jener Mensch das Ich des Gehirnspenders trüge und nicht das der Person, von der der übrige Leib stammt. So gesehen ist der systemtheoretische Ansatz von Roth und Dicke in einem Zirkelschluß gefangen. Er bedingt eine Voraussetzung, die nicht gegeben ist.12 Ein anderer Einwand der Hirntodgegner geht dahin, daß zum irreversiblen Integrationsverlust der Tod einzelner Hirnteile reiche, man daher konsequenterweise vom Ganzhirntodkriterium zum Teilhirntodkriterium übergehen müßte.13 Rein theoretisch ist zwar ein solcher Gedanke nicht auszuschließen, jedoch erbringt die Neurologie zunehmend Einsicht in die ausgesprochen komplexe Vernetztheit der verschiedenen Gehirnzonen [15,S.58], so daß es immer fraglicher scheint, ob komplette Gehirnteile wirklich gar nichts zur Integration des Organismus beitragen. Wie wir sahen, scheint das (Ganz-) Hirntodkriterium beiden Todesdefinitionen, der ganzheitlichen und der vitalen, gleichermaßen angemessen zu sein. Wir können es deshalb als gültiges Kriterium auch für den Fall etablieren, daß die Frage der Toàcsdefinition für die gesellschaftlichen Mehrheiten unentschieden bleibt. Insofern erübrigt sich die Forderung, man müsse sich für eine Todesdefinition entscheiden [6,S.176ff.] (s. Abb. 2).
12
13
Genaugenommen untersuchen G. Roth und U. Dicke nur, ob der Leib eines hirntoten Menschen noch der Definition eines Organismus genügt. Nicht gefragt wird, ob es sich dabei um einen menschlichen Organismus handelt. Wohlgemerkt wäre auch diese zweite, m.E. notwendige Frage rein biologischer Natur und bliebe damit innerhalb des zuvor abgesteckten Rahmens. M. Kurthen und D.B. Linke [11], S. 87. Analog gilt die Argumentation für den Fall, daß man vom ganzheitlichen Menschenbild ausgeht. Dann würde Teilhirntod die personrelevanten Hirnteile meinen.
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Menschenbild Philosophie Theologie Ethik
Ii
Todesdefinition
Interdisziplinärer Dialog
Bild A: Der Mensch als leibseelische Einheit
Î
Definition B: Vollständiger und irreversibler Verlust der Integration
Kriterium 1 : Ganzhirntod
Kriterium 2: Herz-Kreislauftod
Test 11 : Koma Test 12: HirnstammAreflexie Test 13: Apnoe
Test 21: Herzstillstand Test 22:...
Angemessenheit ?
Î
Testverfahren
Abb.2:
4
Î
Definition A: Zerbreg e n der leibseelischen Einheit
Todeskriterium
Medizin
Bild B: Der Mensch als Lebewesen
II
Û
Angemessenheitsfeststellung des Hirntodkriteriums durch interdisziplinären Dialog ( direkte logische Ableitbarkeit; < • Angemessenheit).
Zur Versachlichung der Diskussion
Das Hirntodkriterium erwies sich in unseren Darlegungen als angemessen in bezug auf die gängigen Todesdefinitionen. Ich möchte in einem vierten Schritt einige Anmerkungen zusammentragen, die die Versachlichung der Diskussion befördern könnten: Zum einen plädiere ich gegen eine unangemessene Polemik. Behauptungen, die Für-totErklärung von Hirntoten sei „das größte Unrecht, das man dem Anderen zufügen kann: das totale Opfer, der totale Krieg..." [8.S.295], sind der Ernsthaftigkeit der Diskussion nicht angemessen und wenig geeignet, die Suche einer einvernehmlichen und verantwortbaren Lösung voranzutreiben. Ebenso wenig konstruktiv ist es, wenn die Toterklärung der Hirntoten als „Ent-Würdigung" und als „Antijudaismus und Antichristianismus" bezeichnet wird14. Auch der Vergleich der Organtransplantation mit dem Kannibalismus [8] dient kaum der Sache. Zweitens plädiere ich fiir sachliche Korrektheit. In der Debatte geistern eine Reihe Argumente herum, die schlichtweg falsch sind. Einige davon möchte ich benennen:
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So F. Rest in seinem Vortrag in Würzburg am 4.6.96.
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Selbst wenn die Harvard-Kommission 1968 bei der Definition des Hirntodkriteriums rein interessengeleitet gewesen wäre, ließe sich damit noch nicht auf die Falschheit des Hirntodkriteriums schließen.15 Ebenso geht es nicht um eine Um- oder Neudefinition des Todes.16 Die Todesdefinition blieb, das sahen wir eindeutig, unverändert. Was sich ändert, ist das korrespondierende medizinische Kriterium — es wird präzisiert, und zwar unabhängig davon, für welches Kriterium man sich entscheidet [14,S.126;2,S.36]. Die Hirntodfeststellung mittels EEG und anderer komplexer Tests sollte man nicht logoszentriert nennen,17 sondern schlicht rational und wissenschaftlich. Oft wird die Behauptung ins Feld gefuhrt, mit der Akzeptanz des Hirntodkriteriums gehe notwendig der Dammbruch einher in Richtung der Euthanasie Schwerstbehinderter, Tötung Anenzephaler und unterschiedsloser Abtreibung genetisch geschädigter Embryonen [12,S.75f.]. Das mag dann stimmen, wenn man ein Singersches Menschenbild und seine utilitaristische Ethik zugrundelegt. Aber der Dammbruch ergibt sich dann nicht aus der Akzeptanz des Hirntodkriteriums, sondern eben aus dem Singerschen Utilitarismus und einem (selbst-) bewußtseinszentrierten Menschenbild. Niemand nötigt uns, dieses zu übernehmen. Umgekehrt kann im Rahmen einer (christlichen) Ethik der Würde das Hirntodkriterium gerade zum stärksten Bollwerk gegen einen Dammbruch werden. Schließlich besagt es: Ein nicht hirntoter Schwerkranker ist nicht tot - und wer nicht tot ist, der hat eine Würde, die ihm niemand absprechen darf. Schließlich schlage ich vor, die eigentliche Intention deutlich zu benennen, die die Hirntodgegner bewegt [20,S.16]: Die meisten von ihnen wollen die enge Zustimmungslösung als gesetzliche Regelung erwirken. Hierin könnte sich durchaus die Meinung der Mehrheit treffen, sodaß die Schärfe der Auseinandersetzung wesentlich zurückfahren könnte.
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Epilog: Organexplantation im Kontext det Menschenwürde
Damit komme ich zum abschließenden Teil, und hier werden sich Hirntodbefürworter und -gegner gewiß treffen. Medizinisches Handeln steht im Wertesystem unserer bundesdeutschen Verfassung stets im Kontext des Schutzes der Menschenwürde. Würde bezeichnet seit Kant die Einmaligkeit und Unersetzbarkeit jedes Menschen, sie ist mehr als ein ersetzbarer „Wert". Die Würde des Menschen ist nicht an Bedingungen gebunden, ist nicht verdienbar, ist weder ein Privileg der Gesunden noch der Rei-
15
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Gegen F. Rest im genannten Vortrag, mitj. Hoff und J. in der Schmitten [6], S. 153 und D. Birnbacher [2], S. 36. So ein beliebtes und stets wiederkehrendes Motto der Hirntodgegner. Dieses eindeutig abwertende Wort in J. Hoff, J. in der Schmitten [6], S. 217.
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chen - sie kommt jedem zu, schlicht weil er oder sie Mensch ist. Der Würde gilt unbedingter Respekt, sie ist unantastbar, wie Art. 1 (1) unseres Grundgesetzes besagt. Dabei ist erstaunlich, daß unsere Verfassung die Achtung der Menschenwürde räumlich wie zeitlich weit über den (lebenden) Leib des Menschen hinaus ausdehnt: Räumlich, insofern etwa die Unverletzlichkeit der Wohnung integraler Bestandteil des Schutzes der Würde ist. Und zeitlich, indem die Achtung der Würde eines Menschen nicht mit dem Tod endet: Wir haben ein Recht auf ein würdiges Begräbnis, wir haben ein Recht darauf, daß unser (letzter) Wille auch nach unserem Tod respektiert wird, und die Verunglimpfung des Ansehens Verstorbener ist auch nach Jahrzehnten rechtlich als ein Angriff auf dessen Würde qualifiziert. Insofern gilt ohnehin, auch wenn wir einen Hirntoten als tot erachten: Der Leichnam ist keine beliebige Ressource, sondern verdient Pietät. Nicht in dem Sinne, daß er selbst unantastbar wäre, aber so, daß die Würde des Verstorbenen unangetastet bleibt. Insofern ist das oberste Gebot für jeden Transplantationsmediziner, den Willen des Verstorbenen zu achten - wie immer man diesen feststellt — und bei der Explantation daran zu denken, daß es sich um eine Otgmspende handelt - frei gegeben für das Leben anderer Menschen.
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Anhang zur Diskussion: Anfragen an einige Thesen von J. Hoff
Eine medizinische Kritik (die mir eigentlich gar nicht zusteht): In seinem Buch [6] schreibt Hoff S.186: „Solange es der für ein totes desintegriertes System charakteristischen Entwicklungsdynamik in Richtung eines thermodynamischen Gleichgewichts noch etwas (Hervorhebung MR) entgegenzusetzen hat, ist das System noch lebendig". Mir scheint diese Behauptung medizinisch korrekt bis auf das Wort „etwas". Es reicht eben nicht, der entropischen Dynamik etwas entgegenzusetzen, sondern umfassend etwas entgegenzusetzen. Gemäß dieser Definition wäre z.B. die männliche Leiche im Sarg noch einige Tage lebendig, denn sie setzt der entropischen Dynamik immerhin so viel entgegen, daß im Nebenhoden noch über 100 Stunden nach dem Tod zeugungsfähige Spermien vorhanden sind. Mir scheint der Denkfehler an dieser Stelle entscheidend für die Folgerungen. Eine erkenntnistheoretische Kritik. Seinen ethischen Gesamtentwurf baut Hoff auf die Annahme einer elementaren und unmittelbaren „Wechselbeziehung von Wahrnehmung und praktischem Verhalten" (S.219). Diese Wechselbeziehung geschieht nach seiner Darlegung ohne direkte Einwirkung der Vernunft. Die Wahrnehmung ist unmittelbar, das praktische Verhalten ergibt sich direkt aus ihr. Hoff nennt diesen Ansatz zurecht phänomenal (nicht phänomeno-logisch). Ich frage mich aber, ob nicht jede Wahrnehmung von vorneherein von der Vernunft überformt ist, ob nicht folglich Wahrnehmung und reflexe Vernunft gleichursprünglich gesehen werden müssen. Wäre letzteres der Fall, und die klassische Ethik geht davon aus, dann ist das Vertrauen darauf, daß der Mensch gewissermaßen instinktiv Lebende von Toten unterscheiden
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kann (so wie der Schreinermeister den Leim richtig gebraucht, S. 214), hinfällig. Diese Unterscheidungsfáhigkeit wäre auch da schon vernunftbegleitet, wo noch keine wissenschaftliche Medizin im engen Sinn existierte. Diese aber wäre dann schlicht eine Verlängerung und Weiterführung des ursprünglichen Umgangs mit dem Tod und dürfte keinesfalls als „logosfixiert" abqualifiziert werden. Eine fundamentalethische Kritik. Als oberstes ethisches Prinzip etabliert Hoff die Unverfügbarkeit und Unantastbarkeit des Leibes (S.209ff). Konsequent gibt er zu, daß auch ein normaler medizinischer Eingriff dieses Prinzip mißachtet (S.213). Dann aber rechtfertigt er das sogar als geboten, weil nur so der vermutete Lebenswille des Patienten geachtet würde. Wie soll dieser Vorzug eines Interesses (!!) vor einem obersten ethischen Prinzip begründet werden? — Wir hätten das Problem nicht, wäre das oberste Prinzip wie hierzulande üblich die Unantastbarkeit der Menschenwürde. Ein medizinischer Eingriff leitet sich ja gerade aus der Achtung dieser Würde unter der Bedingung als ethisches Gebot ab, daß dem Kranken geholfen werden kann. Eine lebensethische Frage·. Hoff behauptet einerseits, daß Hirntote leben. Zugleich aber will er die Organtransplantation nicht verbieten, und zwar nicht nur, weil das demokratisch nicht durchsetzbar wäre, sondern weil es in seinen Augen „nicht erstrebenswert" sei (S.229). Das scheint mir doch sehr inkonsequent. Er erlaubt damit in seinem Sinn die Tötung der Organspender, obwohl er zuvor stets das Tötungsverbot als das Urverbot jeder Ethik bezeichnet. Es ist mir ein Rätsel, wie das vernünftig zusammengeht.
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Literatur
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Verfassungsrechtliche Grundfragen des Transplantationswesens Wolfram Höfling
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Intensivmedizinischer Fortschritt als verfassungsrechtliches Problem
Die Rasanz der biowissenschaftlichen Entwicklung der letzten Jahrzehnte hat zu einer tiefgreifenden Umwälzung gesellschaftlicher Lebensbedingungen gefuhrt. Überkommene ethische Wertungskriterien und gesellschaftliche Anschauungen sind keine Maßstabsgrößen mehr für die biowissenschaftliche Entwicklung, sondern werden ihrerseits durch diese permanent verändert. Auf diese Weise werden auch elementare Grundkonstanten eines Gemeinwesens - Leben, Sterben, Tod - ihres ehemals relativ naturwüchsigen Charakters entkleidet und unter Bezugnahme auf medizinisch-technisch produzierte Gegebenheiten neu bestimmt [2]. Für diesen Befund liefert nicht zuletzt die im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen um ein Transplantationsgesetz neu entflammte Kontroverse um den sogenannten Hirntod instruktives Anschauungsmaterial. Bis in die Mitte dieses Jahrhunderts war der Tod weitgehend ein schicksalhaftes Naturereignis. Der Stillstand von Kreislauf, Atmung und Herztätigkeit konnte als „naturgegebene" Scheidelinie zwischen Leben und Tod gelten. Doch die Entwicklung der Intensivmedizin beseitigte die Eindeutigkeit, die den Begriff des Todes bis dahin auszeichnete; der Prozeßcharakter des Todes trat in den Vordergrund. Eine hieraus resultierende Folgelast war die Notwendigkeit einer wertenden Neudefinition des Todes. Diese Entwicklung ist charakterisiert durch eine gewisse Paradoxie: Je mehr der technische Zugriff der Medizin das Naturereignis „Tod" entnaturalisiert und zu einem kontunuierlichen Prozeß macht, um so schärfer stellt sich das Problem der ethischen und der rechtlichen Grenzziehung zwischen Tod und Leben. Dieselbe Praxis, die den Tod als Ereignis faktisch auflöst, zwingt dazu, seine Ereignishaftigkeit definitorisch wieder herzustellen [1]. Doch nunmehr geht es nicht mehr allein darum, den Tod festzurMi?«, sondern darum, einen möglichst praktikablen Todeszeitpunkt iestzvlegen [23]. Mit anderen Worten: Der Entnaturalisierungscharakter des eben skizzierten Prozesses wird beglei-
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Wolfram Höfling
tet durch eine — jedenfalls tendenzielle — Funktionalisierung der Begrifflichkeit [1]. Dies wird anschaulich illustriert durch die Veröffentlichung eines Papiers einer Kommission der Harvard Medical School im Jahre 1968, mit der der entscheidende Schritt zur Etablierung des Hirntodkonzepts vollzogen wurde. Die Kommission war zum Zweck der Erarbeitung eines neuen Todeskriteriums gebildet worden. Die Autoren nennen nun zwei Bedarfsgesichtspunkte für ihren Vorschlag, den Hirntod als neues Todeskriterium einzuführen: die Knappheits- und Verteilungsprobleme der Intensivmedizin und die Probleme bei der Beschaffung von Organen zu Transplantationszwecken [3]. Der Hinweis auf das strukturelle Dilemma biowissenschaftlicher Begriffsbildung, nämlich ihre pragmaüsch-funktionalistische Orientierung ist hier keineswegs denunziatorisch gemeint. Er bezweckt vielmehr lediglich die Sensibilisierung der nichtmedizinischen Wissenschaften, denen nachdrücklich die Notwendigkeit eigenständigen Nach-Denkens vor Augen gefuhrt werden soll. Namentlich die Verfassungsrechtswissenschaft hat sich dieser Augabe zu stellen. Sie kann die Entscheidung über Leben und Tod nicht allein den Biowissenschaften überlassen. Wann menschliches Leben beginnt und wann es endet, ist angesichts der grundrechtlichen Gewährleistung des Art. 2 II G G zumindest auch eine Frage problemadäquater Verfassungsrechtskonkretisierung. Die Rechtswissenschaft darf sich nicht in eine passive Rezipientenrolle drängen lassen [11]. Genau hierauf aber zielt die diziplinübergreifendpräjudizierende Schlußfolgerung, die der Wissenschaftliche Beirat der Bundesärztekammer in einer Stellungnahme zur Hirntoddiskussion gezogen hat: „Nach Feststellung des Todes durch vollständigen und endgültigen Ausfall der gesamten Hirnfunktion sind Überlegungen des Lebensschutzes nicht mehr relevant". Oder anders ausgedrückt und verfassungsrechtlich übersetzt: Das Grundrecht auf Leben, das die Verfassung in Art. 2 II 1 G G garantiert, scheidet als Maßstabsnorm aus.
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Durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken gegen das bestehende Hirntodkonzept
Der vorstehenden These ist jedoch entschieden zu widersprechen. Die Beantwortung der mit dem Hirntodkonzept implizit entschiedenen Frage, was den Menschen — also das Subjekt des Todes - eigentlich ausmacht, fällt mitnichten in die Monopolkompetenz der Medizin. Wann menschliches Leben beginnt und wann es endet, ist angesichts der grundrechtlichen Gewährleistung des Art. 2 II G G zumindest auch eine Frage problemadäquater Verfassungsrechtskonkretisierung. Der Begriff des Lebens ist — obwohl er auf die der Rechtsordnung vorgegebene biologische Existenz verweist — normativ zu bestimmen. Das Leben wird zum Zwecke des Schutzes vor externer Verfügbarkeit als Rechtsgut konstituiert [16,§134,Rdnr.8], Der Begriff Leben, wie er im Grundrechtstatbestand des Art. 2 II G G als Schutzgut genannt ist, ist nun in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die durchweg ei-
Verfassungsrechtliche Grundfragen
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nem weiten Tatbestandsverständnis verpflichtet ist,1 extensiv auszulegen. Dieser Interpretationsansatz ist für den Beginn des Lebens weitgehend unbestritten,2 beansprucht aber auch für das Ende des Lebens Geltung [13]. Betrachtet man vor diesem Hintergrund die erst in letzter Zeit vorgelegten Versuche, die Gleichsetzung von Hirntod und Tod des Menschen zu begründen, drängen sich verfassungsrechtliche Bedenken geradezu auf. Reduziert man die in unterschiedlichen Varianten bzw. Kombinationen vorgetragenen Konzeptionen auf ihre Grundstrukturen, so lassen sich zwei Argumentationsmuster unterscheiden:
2.1 Die anthropologische Begründung des Hirntodkonzepts Ein Rechtfertigungsversuch der Hirntodkonzeption behauptet, das „eigentlich" Menschliche habe mit dem irreversiblen Ausfall des Hirns aufgehört zu existieren. Ein Mensch, dessen Hirn abgestorben sei, könne nichts mehr aus seinem Inneren und seiner Umgebung empfinden, wahrnehmen, beobachten und beantworten, nichts mehr denken, nichts mehr entscheiden. Mit dem völligen und endgültigen Ausfall der Tätigkeit seines Gehirns habe deshalb der betroffene Mensch aufgehört, ein Lebewesen in körperlich-geistiger oder leiblich-seelischer Einheit zu sein [8]. Diese „Geistigkeitstheorie" ist nach Maßgabe verfassungsrechtlicher Kriterien in hohem Maße fragwürdig. In der Grundrechtslehre besteht weitgehend Einigkeit darüber, daß das Leben als tatbestandlich benanntes Schutzgut des Art. 2 II GG nicht nach materiellen Kriterien bestimmt werden darf. Auf den Grad der Lebensfähigkeit beispielsweise kommt es ebenso wenig an wie auf ein bestimmtes Potential an Kognitivität, Selbstbewußtsein, Selbststeuerung usw. Irrelevant ist insbesondere auch, ob jemand durch den Verlust aller oder gar nur einiger weniger Hirnfunktionen noch als „Person" gelten kann. Die gegenteilige These, die im zunehmenden Maße in der gegenwärtigen bioethischen Diskussion eine Rolle spielt, und die es als Ausdruck eines irrationalen Spezieszismus ansieht, jedem menschlichen Individuum unabhängig von seiner qualitativ zu bestimmenden Personengemeinschaft ein Lebensrecht zuzugestehen, ist verfassungsrechtlich unhaltbar.
2.2 Die biologische Begründung des Hirntodkonzepts In zutreffender Einschätzung der defizitären Begründungsstruktur der „Geistigkeitstheorie" verteidigen andere Hirntodbefürworter das Konzept biologisch. Danach ist der Tod eines Menschen — wie der Tod eines jeden Lebewesens — sein Ende als Organismus in seiner funktionellen Ganzheit. Dieser Zustand sei mit dem Tod des gesam1
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Exemplarisch BVerfGE 24, S. 236, S.245 ff., BVerfGE 32, S. 54, S. 72. Im übrigen vgl. J. Isensee [14], § 111 Rdnrn. 44 ff. Vgl. dazu BVerfGE 88, S. 203, S. 251, ferner D. Lorenz [16], § 128 Rdnrn. 9 ff. und W. Höfling [10].
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ten Gehirns eingetreten. Dies bedeute nämlich biologisch den Verlust von Selbständigkeit, Spontaneität, Selbststeuerung, Wechselbeziehung mit der Umwelt und Integration des Gesamtorganismus [24]. Diese biologische „Ganzheitstheorie" fußt auf der Vorstellung von einem „Zentralorgan Gehirn", das für die Aufrechterhaltung der biologischen Lebensfunktion des Gesamtorganismus unverzichtbar sei. Dies aber 'wird nicht nur von namhaften Hirnforschern bestritten [18]. Auch der empirische Ausgangsbefund weckt erhebliche Zweifel an der These, ein Hirntoter sei ein Mensch, dessen Leben endgültig erloschen sei: Das Herz eines Hirntoten schlägt selbständig, und seine Vitalfunktionen, also die klassischen Anzeichen biologischen Lebens, sind erhalten (Blutkreislauf, im physiologischen Sinne auch die Atmung [nur das Atemholen, die Zwerchfelltätigkeit wird maschinell unterstützt], Stoffwechsel). Entsprechendes gilt für die reproduktiven Vitalfunktionen. Das Blutgerinnungs- und das Immunsystem, die wichtige regulative und integrative Funktionen für den Gesamtorganismus wahrnehmen, sind ebenfalls noch intakt [15]. Schließlich begründen auch die mehrfach beobachteten Hirntod-Schwangerschaften erhebliche Zweifel an der Annahme, der hirntote Organismus befinde sich in einem Zustand vollständiger Desorganisation. Eine rationale Deutung dieses empirischen Befundes legt die Annahme nahe, daß der Hirntod ein Übergangszustand im Sterbeprozeß ist, der technisch festgehalten wird. Der Sterbeprozeß selbst aber ist dem Leben zuzurechnen. Das Mindeste jedenfalls, was sich im Blick auf einen Hirntoten feststellen läßt, ist, daß prinzipielles Nichtwissen darüber besteht, ob er den Sterbeprozeß bereits abgeschlossen hat [23]. Dann aber gilt als verfassungsrechtliches Gebot: in dubio pro vita. Zweifel daran, ob ein Mensch noch lebt, darf der Gesetzgeber nicht mit einem begriffsreduktionistischen Federstrich zu Lasten des Betroffenen „klären". Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist demnach die Schlußfolgerung geboten: Hirntote Menschen leben.3 Die nunmehr getroffene gestzliche Regelung, die das herrschende Hirntodkonzept aufgreift und zur Grundlage der Entnahme lebenswichtiger Organe macht, sieht sich damit durchgreifenden verfassungsrechtlichen Zweifeln ausgesetzt.
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Die Alternative: Organtransplantation ohne Hirntodkonzept
Die Absage an die Gleichsetzung von Hirntod und Tod des Menschen wird nun insbesondere von Transplantationsmedizinern als fundamentaler Angriff auf die Organtransplantation empfunden. Ohne die Akzeptanz des Hirntodkriteriums sei die Transplantationsmedizin am Ende. Das ist indes ein Mißverständnis. Auf der Grundlage einer Verfahrens- und organisationsrechtlich abgesicherten engen Zustimmungslösung
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Zustimmend inzwischen Sachs [19;20]; Gröschner [9]; H. Steiger [22]; ferner Schulze-Fielitz [21], Art. 2 II Rdnr. 16.
Verfasssungsrechtliche Grundfragen
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kann die Entnahme lebenswichtiger menschlicher Organe durchaus in verfassungsrechtlich zulässiger Weise geregelt werden [11 ;12]. In einem solchen Modell fungiert der diagnostizierte Hirntod nicht mehr als (materielles) Todeszeichen, sondern lediglich als (formelles) Entnahmekriterium. Als fundamentale Zäsur intra vitam (H. Thomas) bezeichnet der Hirntod einen spezifischen todesnahen Krankheitszustand. Dieser markiert zugleich die Grenze, jenseits derer - um nochmals Adolf Laufs zu zitieren - „dem Arzt weder die Pflicht noch das Recht zukommt, den sterbenden Menschen weiter zu behandeln. Es geht dabei um den Respekt vor der erlösenden Existenz, dem sterbenden Menschen und dessen Recht auf einen würdigen Tod." [24] Oder anders formuliert: Der hirntote Mensch hat einen verfassungsrechtlich fundierten Anspruch darauf, nicht gegen seinen Willen am Leben erhalten zu werden. So wie der hirntote Mensch demzufolge ein Recht auf den Abbruch der Intensivbehandlung mit der Folge des alsbaldigen Todeseintritts hat, steht ihm aber zugleich die Befugnis zu, für sich einen anderen Modus des Sterbens, nämlich durch Organtransplantation zu wählen. Die zu Lebzeiten erklärte Einwilligung in eine Organspende bedeutet — so betrachtet — das Einverständnis mit der kurzzeitigen Verlängerung des Lebens im Interesse einer Lebensrettung bzw. Leidensminderung Dritter. Diese Entscheidungsfreiheit des potentiellen Organspenders ist verfassungsrechtlich geschützt. Die zu Lebzeiten nach umfassender Aufklärung erklärte Einwilligung des - nunmehr zu Recht so genannten - Organspenders stellt dabei aus verfassungsrechtlicher Sicht das unabdingbare materielle Legitimationskriterium für die Organentnahme dar. Gegenüber dem vorstehend skizzierten Modell eines verfassungskonformen Transplantationsgesetzes führen Befürworter der Hirntodkonzeption das Dammbruchargument ins Feld. Damit werde ein verhängnisvoller Schritt in Richtung auf aktive Euthanasie getan und gegen das strafrechtlich sanktionierte (vgl. § 216 StGB) Verbot der Tötung auf Verlangen verstoßen. Beide Einwände greifen indes nicht: Da die zu Lebzeiten erklärte Einwilligung in eine Organspende — wie dargestellt — das Einverständnis mit der Verlängerung des Lebens im Interesse einer Lebensrettung bzw. einer Leidensminderung Dritter bedeutet, läßt sich dieser Vorgang weder in internationaler noch in struktureller Hinsicht mit der Euthanasieproblematik vergleichen. Auch die Vorschrift des § 216 StGB, die auf den Schutz vor Voreiligkeit zielt, erfaßt bereits von ihrem Normzweck her die auf der Grundlage des zuvor erklärten Einverständnis erfolgende Organentnahme bei einem Hirntoten nicht. Aus der zuvor entwickelten verfassungsrechtlichen Postion ergeben sich zugleich die Vorgaben für den Gesetzgeber, das Transplantationsgesetz — soweit es um die Entnahme lebenswichtiger Organe geht — auf der Grundlage einer engen Zustimmungslösung zu konzipieren. Die zu Lebzeiten getroffene, informierende Entscheidung des potentiellen Organspenders ist eine höchstpersönliche. Sie kann nicht durch die Erklärung eines Dritten ersetzt werden. Die Garantie des Art. 2 II GG verbietet die externe Verfügung über das Leben auch dann, wenn diese zum Zwecke der Lebensrettung Dritter erfolgt [17;16,§128,Rdnr.49]. Das nunmehr verabschiedete Gesetz begegnet deshalb auch insoweit verfassungsrechtlich durchgreifenden Zweifeln.
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Eine Ausnahme von der Grundregel in der engen Zustimmungslösung erscheint aber denkbar im Blick auf die Organentnahme bei Kindern. Hier rechtfertigt das in Art. 6 II GG gewährleistete Sorgerecht der Eltern eine „stellvertretende" Einwilligung [11]. Die mit der Zustimmung zur Organentnahme verbundene Entscheidung über Dauer und Art des Sterbeprozesses des Kindes wird von der verantwortungsgebundenen Befugnis der Eltern umfaßt, über die Lebens- und Entwicklungsbedingungen ihres Kindes zu entscheiden [25,§134,Rdnr.65],
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Das Problem der Organverteilungsgerichtigkeit
Neben der Hirntodkontroverse und der Problematik der Entnahme lebenswichtiger Organe wirft als dritter Themenkomplex vor allem die Organverteilungsgerichtigkeit schwierige verfassungsrechtliche Probleme auf. In aller Kürze seien dazu abschließend folgende Überlegungen angestellt: Als Zuteilung von Lebenschancen im eigentlichen Wortsinne betreffen Maßnahmen der Verteilung knapper Organe wesentliche Grundrechtsfragen. Nach Maßgabe der sogenannten Wesentlichkeitsjudikatur des Bundesverfassungsgerichts muß der Gesetzgeber deshalb zumindest die Grundstrukturen des Verfahrens sowie die zentralen Vermittlungskriterien selbst regeln. Für die weit weniger dramatische Selektionsentscheidung bei der Vergabe von Studienplätzen hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt: „Formell-rechtlich ist es wegen der einschneidenden Bedeutung der Auswahlregelung Sache des verantwortlichen Gesetzgebers, auch im Falle einer Delegation seiner Regelungsbefugnis zumindest die Art der anzuwendenden Auswahlkriterien und deren Rangverhältnis untereinander selbst festzulegen". Nur ein solches Modell sei verfassungskonform, das „jedem Bewerber eine Chance" lasse. Deshalb seien die Verantwortlichen gehalten, sich in steter Orientierung am Gerechtigkeitsgedanken um eine auch für den Benachteiligten zumutbare Auswahl zu bemühen [6].
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Wann ist der Mensch tot? - Rechtliche Perspektive* Hans-Ludwig Schreiber
In den Mittelpunkt der Auseinandersetzungen um das geplante Transplantationsgesetz war der Hirntod geraten. Fast dreißig Jahre lang ging die Praxis nach kurzer anfänglicher Diskussion ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung in Übereinstimmung mit der Rechtslage in fast allen anderen Ländern vom Hirntod als grundlegender Voraussetzung der Organentnahme beim Toten aus. Das ist lebhaft in Frage gestellt worden. Es wird behauptet, der Hirntod sei eine definitorische Vorverlegung des Todes im Interesse der Transplantationsmedizin, die nicht haltbar sei. Hirntote seien noch lebende Menschen. Nun haben alle Gesetzesentwürfe dem Hirntod wesentliche Bedeutung zugemessen, auch diejenigen, die ihn als Kriterium für das Lebensende ablehnen. Die Entwürfe der Abgeordneten Wodarg (SPD), Knoche (Bündnis 90/Die Grünen) und der Abgeordneten von Klaeden (CDU) und anderer wollten eine Organentnahme nach Feststellung des Ausfalls der gesamten Hirnfunktion zulassen, wenn der Spender zuvor persönlich eingewilligt habe. Der Unterschied zwischen den Hirntodgegnern und den Befürwortern des Todeskriteriums Hirntod reduziert sich damit im Ergebnis auf die Frage, ob auch Angehörige und Vertreter für den Verstorbenen die Zustimmung zur Organentnahme erklären können. Lohnt sich der Streit, der doch anscheinend um die Grenze allen Lebens und den Lebensschutz geht? Muß der Gesetzgeber sich dafür entscheiden, wann der Mensch tot ist, oder kann man die Frage, die Theologen, Philosophen, Juristen und Mediziner auf den Plan gerufen hat, unentschieden lassen? Der Tod ist das elementare Ereignis nach der Geburt, das uns alle ereilt, dem wir alle unterworfen sind, das wir alle erleiden müssen, das Ereignis, das jedes Leben buchstäblich „betrifft". Nur vom Leben her kann verständlich sein, was er ist, da der Tod der Horizont unseres Lebens ist, die andere Seite jenseits dieses Horizontes ist uns verschlossen. Niemand von uns Menschen ist von dort in unser Leben zurückgekehrt. Das Recht muß in vielfältiger Hinsicht an den Tod anknüpfen. Rechtsfähigkeit und Geschäftsfähigkeit enden mit dem Tod. Dienstverhältnisse erlöschen, Ehen enden, der Schutz des Lebens durch das Recht endet mit dem Tod. Es ist abwegig, aus weltanschaulichen Gründen dem Recht verweigern zu wollen, vom Tode auszugehen, ihn als Grenze festzulegen. Was der Tod ist, ist dem Recht generell ebenso versagt zu * Aktualisierte und erweiterte Fassung des Artikels „Wann ist der Mensch tot?" von Hans-Ludwig Schreiber in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 24. Februar 1997.
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sagen, wie was der Mensch ist. Das Recht muß aber für seine Regelungssachverhalte festlegen, wann der Tod vorliegt, was seine Zeichen sind. Tod bezeichnet das Ende des menschlichen Lebens; was der Tod ist, muß also vom Leben her beschrieben werden. Das Recht auf Leben, das jedem nach Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes garantiert ist, meint die nicht von der Rechtsordnung geschaffene biologisch-physische Existenz des Menschen in seiner körperlichgeistigen Einheit. Das Ende dieser Existenz des Menschen als Lebewesen nennen wir Tod. Nun kann unter dem Tod Verschiedenes verstanden werden. Lange Zeit ging man vom Stillstand des Kreislaufs und der Atmung aus. Man kann den Ausfall des gesamten Gehirns oder den Ausfall seiner Teile als Tod bezeichnen. Denkbar wäre es auch, auf das Auftreten von Leichenstarre und Totenflecken oder das Absterben sämtlicher einzelner Organe und Zellen abzuheben. Oder man nimmt, wie es beim Parlamentarischen Abend der Robert-Bosch-Stiftung von einem Referenten geschehen ist, das Ende aller Stoffwechselprozesse oder jedenfalls der wesentlichen Stoffwechselprozesse als Zeitpunkt des Todes. Das würde freilich erst viele Stunden nach Herzstillstand und Atmungsausfall der Fall sein. Wo auf dieser Skala die Zäsur „Tod" anzusetzen sei, ist eine für den Gesetzgeber zu treffende normative, das heißt wertende Entscheidung, die sich auf der Basis naturwissenschaftlich-medizinisch festgestellter Tatsachen am Schutze dessen zu orientieren hat, was als Leben zu verstehen ist. Die naturwissenschaftlich feststellbaren Zustände sind dabei ganz überwiegend nicht umstritten, wenn es auch einige wenige abweichende Ausführungen über Schmerzfähigkeit und Empfinden im Zustand des Hirntodes gibt. Seit jeher hat man gewußt, daß es sich beim Tod nicht um einen Moment, sondern um einen Prozeß handelt, der Stunden und Tage andauern kann. Der Gesetzgeber muß nun im Transplantationsgesetz nicht etwa das Wesen des Todes und des Lebens definieren, sondern er hat Regeln zu finden, die den Schutz des Lebens des potentiellen Organspenders sichern. Der Schutz des Lebens, der grundsätzlich jeden Eingriff in dieses Leben verbietet, endet mit dem Tod. Daß ein Transplantationsgesetz sich überhaupt mit der Frage des Todes befassen muß, liegt daran, daß im Falle der Organentnahme vom Toten andere Voraussetzungen gelten sollen, als bei der Organspende eines Lebenden. Man könnte grundsätzlich ja auch erwägen, beide Arten der Organspende gleich zu behandeln. Das aber verbietet der Schutz des Lebens des Spenders, das grundsätzlich nicht durch die Spende beendet werden soll. Umstritten ist, wo im Sterbeprozeß des Menschen die entscheidende Zäsur liegt, die es rechtfertigt, vom Ende des Lebens und des Lebensschutzes und damit dem Tod zu sprechen. Es wäre verfehlt, das Ende aller biologischen Lebensprozesse in einzelnen Organen oder Zellen als Zeitpunkt des Todes anzunehmen. Solche Prozesse dauern noch lange nach dem Stillstand von Kreislauf und Atmung an, ein genauer Zeitpunkt läßt sich kaum feststellen. Nach einhelliger Auffassung besteht auch kein Schutzbedürfnis mehr bis zu diesem Zeitpunkt. Gleiches gilt für die Todeszeichen der Totenstarre und der Totenflecken. Sie treten eine Zeit nach dem Zusammenbruch von Atmung und Kreislauf und dem endgültigen Ausfall aller Hirnfünktionen auf und
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markieren keine wesentliche qualitative Differenz, die es rechtfertigen würde, erst beim Auftreten dieser Zeichen von einem Toten zu sprechen. Der heute „klassisch" genannte Todesbegriff hatte auf dem Stillstand von Atmung und Kreislauf und den damit verbundenen Stillstand des Herzens abgestellt. Dieser Todesbegriff findet insbesondere bei Hirntodkritikern noch heute viel Sympathie, er gilt vielfach noch als „normal". Er ist aber angesichts der Entwicklung der Medizin unzureichend. Denn der Ausfall von Atmung und Kreislauf und das darauf folgende Absterben der Organe und Zellen können durch Beatmung und künstliche Nahrungszufuhr aufgehalten werden. Atmung und Kreislauf können dauerhaft wiederhergestellt werden. Der „klassische" Tod ist damit heute, weil manipulierbar und hintergehbar, als Abgrenzungskriterium untauglich geworden. Man hat daher auf Irreversibilität des Versagens von Kreislauf und Atmung abgestellt. Wann aber ist eine solche Irreversibilität gegeben? Sie mag zum Beispiel bei einer unfallbedingten Zerstörung des Herzens in seiner physischen Substanz, dem Zerreißen von Schlagadern und einer damit gegebenen objektiv-technischen Unmöglichkeit der Wiederbelebung vorliegen. Allgemein aber ist der Stillstand der Atmung erst dann irreversibel, wenn das Gehirn als das zentrale Steuerungsorgan des Menschen vollständig abgestorben ist. Dann ist eine Wiederbelebung unmöglich. Es ist unbestritten, daß dieser Hirntod nicht das Ende allen Lebens im menschlichen Körper ist. Hirntod bedeutet zunächst den vollständigen und irreversiblen Funktionsausfall des gesamten Gehirns. Mit dem Gehirn fallt nicht nur ein spezielles Organ des Menschen aus, sondern der Organismus als Einheit und als Grundlage des Vorhandenseins eines menschlichen Individuums ist definitiv beendet. Der Hirntote kann nicht mehr wiederbelebt werden. So ist der Hirntod weit definitiver als der Herz- und Kreislauftod. Er kann zeitlich vor oder nach dem Herztod liegen. Bei Atmungs- und Kreislaufstillstand stirbt das Gehirn wegen der Unterbrechung der Sauerstoffversorgung in kurzer Zeit ab, wenn nicht eine künstliche Beatmung erfolgt. Auf der anderen Seite zieht der Hirntod bei seinem Eintreten in Kürze den Kreislaufstillstand nach sich, falls der Kreislauf nicht durch künstliche Beatmung in Gang gehalten wird. Nach gesicherter naturwissenschaftlich-medizinischer Erkenntnis verliert der Mensch mit dem Ausfall des gesamten Gehirns alle wesentlichen Funktionen seines Lebens. Die Fähigkeit zur Steuerung und Integration des menschlichen Organismus ist verloren. Es ist nicht richtig, wenn dagegen eingewandt wird, außer dem Gehirn erbrächten alle übrigen Organsysteme eines sogenannten Hirntoten weiter wichtige Integrationsleistungen für den Gesamtorganismus. Einen solchen Gesamtorganismus gibt es nach Ausfall des Gehirns nicht mehr. In Organen und Zellen ablaufende, auf einzelne Organe übergreifende Prozesse machen nicht das Leben des Menschen als Lebewesen aus. Der Mensch als Organismus ist wie jedes höher entwickelte Lebewesen tot, wenn die Einzelfunktionen seiner Organe und Systeme sowie ihrer Wechselwirkungen unwiderruflich — so hat es der wissenschaftliche Beirat der Bundesärztekammer formuliert — nicht mehr zur übergeordneten Einheit des Lebewesens zusammengefaßt und nicht von ihr gesteuert werden.
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Danach erscheint es für die rechtliche Bewertung richtig, den Hirntod als entscheidende Zäsur zwischen Leben und Tod anzusehen. Mit dem Hirntod ist das Ende des Lebewesens als einer gesteuerten Selbstorganisation, als einer Einheit zwischen Körper und Geist eingetreten. Der Hirntod knüpft an exakt naturwissenschaftlich feststellbare Tatsachen an. Die in den Anhörungen vereinzelt aufgestellte These, er lasse sich nicht sicher feststellen, erscheint widerlegt. Der Hirntod bedeutet eine qualitative Differenz, nicht nur eine quantitative als Leben von mehr oder weniger Organen. Die gesteuerte Einheit des menschlichen Organismus endet. Es erscheint nicht verständlich, weshalb gegen das Hirntodkriterium eingewandt wird, damit werde der Mensch auf meßbare Hirnströme oder etwa seine intellektuelle Funktion, sein Bewußtsein, reduziert. Mit dem Hirnausfall fehlt ihm vielmehr die Basis für das biologische und geistige Leben. Gerade auch dann, wenn man Leben als eine leib-seelische Einheit umschreibt, ist menschliches Leben mit der Zerstörung der körperlichen Grundlage beendet. Kardinal Meißner hat gemeint, mit der Anerkennung des Hirntodes werde das christliche Menschenbild betroffen. Es ist unerfindlich, wie man das behaupten kann. Mit der Feststellung, daß menschliches Leben mit dem Verlust der zentralen körperlichen Basis aufhört, ist nichts gegen ein christliches Menschenverständnis, das von einer LeibSeele-Einheit ausgeht, gesagt. Der Versuch der Kritiker des Hirntodkriteriums, den Zustand des Hirntodes als Leben zu bezeichnen und damit dem Schutz von Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes zu unterstellen, ist verfehlt. Zwar ist in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der Begriff „Leben" sicher extensiv auszulegen, um dem grundlegenden menschlichen Gut (Leben) möglichst weitgehenden Schutz zukommen zu lassen. Aber die Bezeichnung des Zustandes Hirntod als Leben ist eine willkürliche Definition, die an den wesentlichen medizinischnaturwissenschaftlichen Tatsachen vorbeigeht. Bemerkenswert ist, daß die Hirntodkritiker praktisch keine Konsequenzen aus der Bezeichnving des Hirntodes als Leben ziehen, außer der Forderung nach persönlicher Zustimmung des Verstorbenen zur Entnahme von Organen. Interessant ist, daß gegen die Definition des Hirntodes als Tod des Menschen — auch in der Bundestagsdebatte in der ersten Lesung der Gesetzentwürfe — eingewandt wurde, sie entspreche nicht der lebensweltlichen Erfahrung. In Anlehnung an phänomenologisch orientierte Anthropologien meinen etwa Hoff und in der Sache auch Höfling in Anlehnung an den französischen Philosophen Lévinas, daß der andere Mensch mir als solcher Lebender, als „Antlitz" entgegentritt. Der andere Leib als Antlitz besitze transzendente Wahrheit. Erst das tote Antlitz werde zur Maske. Beim Hirntoten bestehe aber noch die lebenswirkliche Lebenseinheit. Erst mit dem irreversiblen Ende der Blutzirkulation breche die Interaktion zwischen Gesamtorganismus und Organen unumkehrbar auseinander (siehe Hoff u.a.: Wann ist der Mensch tot?). Sicher besteht heute teilweise hinsichtlich des Hirntodes eine deutliche Diskrepanz zwischen der Erfahrung und der wissenschaftlich-medizinischen Erkenntnis. Die lebensweltliche Erfahrung geht noch traditionejl von Herz- und Kreislauftod aus.
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Nach dieser Erfahrung ist es schwierig, beim Hinsehen einen Hirntoten, der noch durchblutet und lebendig aussieht, als Toten zu verstehen. Äußerer Schein oder subjektives Gefühl können aber nicht maßgeblich sein. Man kann ja auch umgekehrt nicht einen bleich und regungslos liegenden, als tot erscheinenden Menschen in lebensweltlicher Perspektive als tot behandeln. Gerade im Interesse des Lebensschutzes durch Recht muß das Problem der Todesgrenze auf der Basis naturwissenschaftlicher Erkenntnis entschieden werden. Ein sich an bloß äußerlichen Erscheinungen festmachender Phänomenalismus kann nicht zur Orientierung dienen. Auch die Entscheidungen in der Lebenswelt sind auf naturwissenschaftlich-medizinische Erkenntnisse angewiesen. Die vorhandene Durchblutung von Haut und Organen ist nach einer Zerstörung des menschlichen Gehirns kein Indiz für das Leben eines Menschen, sondern weist nur auf partielle Lebensprozesse im Menschen hin. Diese sind aber nicht als „Leben" im Sinne des Grundgesetzes zu verstehen. Bemerkenswert ist nur, daß die den Hirntod ablehnenden Positionen sich von dem interfraktionellen Entwurf, in der praktischen Konsequenz nur darin unterscheiden, daß sie die Zustimmung des Hirntoten selbst zu seinen Lebzeiten als unabdingbar einfordern, also die sogenannte enge Zustimmungslösung vorziehen wollen. Dagegen will der den Hirntod zugrunde legende Entwurf auch eine Zustimmung von anderen, etwa von Angehörigen oder Bevollmächtigten, gelten lassen. Ich halte die Entwürfe, die bei Ablehnung des 'Hirntodes als Lebensgrenze eine Organentnahme zulassen wollen, für rechts- und verfassungswidrig. Eine Organentnahme, auch mit vorheriger Einwilligung, bei einem noch Lebenden, verstößt gegen Paragraph 216 des Strafgesetzbuches und verletzt das Grundrecht auf Leben. Bei der Organentnahme handelt es sich tatsächlich nicht nur um ein Unterlassen einer weiteren Lebensverlängerung. Ein solches Unterlassen wäre nach allen Auffassungen unstreitig unzulässig, da auch nach Auffassung der Hirntodgegener der Zustand des Hirntodes keine Aussicht auf ein Weiterleben mehr eröffnet, der Arzt also jede Behandlung beenden darf. Die These im sogenannten von-Klaeden-Entwurf, es handele sich um eine bloße „Modifikation des Sterbevorganges", ist falsch und inkonsequent. Der Entwurf behauptet, es komme bei der Organentnahme nicht zu einer Lebensverkürzung, sondern zu einer Sterbensverlängerung mit Einwilligung des Betroffenen, um ein sittlich hochstehendes Ziel, die Rettung eines anderen Menschenlebens, zu erreichen. Beim Eingriff zur Organentnahme beim Hirntoten mit künstlich aufrechterhaltener Atmungs- und Kreislauffunktion handelt es sich, wenn man den Betroffenen noch als Lebenden ansieht, nicht um eine bloße Beendigung intensivtechnischer Maßnahmen, sondern um eine gezielte Tötung. Bei der Entnahme von Herzen wird das Herz direkt angehalten, bei der Entnahme anderer Organe wird Blut aus dem Körper des Betroffenen herausgelassen, eine Perfusionsflüssigkeit eingefüllt und das Beatmungsgerät abgestellt, worauf es zum Herzstillstand und Kreislaufzusammenbruch und damit zur Beendigung auch dieses von den Hirntodkritikern noch „Leben" genannten Zustandes kommt. Es gibt keinen Weg, die Vorgänge, die hier stattfinden, als bloßes Unterlassen einer weiteren Lebensverlängerung anzusehen.
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Auch Sterben gehört zum Leben, gerade nach den Annahmen der Hirntodkritiker. Es ist abwegig, zu argumentieren, weil man das Leben nicht mehr verlängern müsse, dürfe man es auch aktiv beenden. Das würde etwa dem Arzt, der nicht verpflichtet ist, weiter zur Lebenserhaltung zu behandeln, auch in anderen Fällen als dem Hirntod das Recht geben, einen Patienten gezielt zu töten. Will man den Paragraphen 216 des Strafgesetzbuches überwinden, der die Tötung auch bei ernstlichem Verlangen verbietet, so kann das nicht mit dem bloßen Argument geschehen, dieses Leben der Hirntoten sei ja kaum noch am Leben, der Schutzzweck des Strafrechts betreffe dieses Leben nicht. Es ist eine erstaunliche Inkonsequenz, zunächst mit teilweise erheblichem Pathos („für das Leben") das Weiterleben von Hirntoten zu behaupten und unter den Schutz des Grundgesetzes zu stellen und dann dieses Leben als eine Art minderen Lebens, als weniger geschütztes Leben zu behandeln. Solche Abstufungen in Begriffe des Lebens sind nicht möglich. Ich halte aus grundsätzlichen Erwägungen für unsere Rechtsordnung den Begriff des Lebens und den Schutz des Lebens für unteilbar. Freilich könnte man Paragraph 216 des Strafgesetzbuches für die Transplantation außer Kraft setzen. Man müßte dann etwa wie folgt formulieren: „Die Herbeiführung des Todes durch Organentnahme ist zulässig, wenn der Betroffene hirntot ist und selbst zuvor wirksam eingewilligt hat." Wahrscheinlich würde es sich aber sogar um einen Fall des Totschlags nach Paragraph 212 handeln, da ein Verlangen, wie es Paragraph 216 erfordert, fehlen dürfte. Es wäre meiner Ansicht nach aber verfassungswidrig. Das Leben steht unter dem Schutz des Grundgesetzes, der freilich durch Gesetz einschränkbar wäre, und unter dem Schutz des nicht unter Gesetzesvorbehalt stehenden Menschenwürdeprinzips (Artikel 1 des Grundgesetzes). Wer die Explantation lebenswichtiger Organe von einem noch Lebenden zuläßt, der erlaubt die fremdnützige Tötung eines Menschen, mag dieser auch früher zugestimmt haben. Nun könnte man an eine Rechtssituation nach dem Prinzip der Güterabwägung zwischen einem verlöschenden und einem noch vollen Leben denken, wie es Schmidt-Jortzig im Bundestag bei der ersten Lesung der Gesetzentwürfe getan, aber selbst zugleich als heikel bezeichnet hat. Dafür müßte — wie es offenbar auch dem Klaeden-Entwurf zugrunde liegt - zwischen zwei verschiedenen Arten des Lebens unterschieden werden. Das eine wäre das wirkliche, das vollgültige Leben. Das andere wäre das Leben der Hirntoten, ein Leben weniger geschützter, offenbar geringerer Qualität, eine Kategorie geringerwertigen Lebens im Verhältnis zum „eigentlich" vollgeschützten Leben. Es drängt sich dann die Frage auf, warum eine solche Unterscheidung auf den Hirntod beschränkt sein soll. In der Begründung für den Klaeden-Entwurf heißt es, bei Hirntod handele es sich um eine genau abgrenzbare Situation. Das ist zwar richtig, gerade deswegen ist der Hirntod meines Erachtens auch das zutreffende Kriterium für die Grenze zwischen Leben und Tod. Wenn aber Hirntod noch Leben ist, so finden sich ähnlichwertige und vergleichbare Situationen, in denen der Sterbeprozeß zwar kurzfristig verlängerbar, aber unumkehrbar ist und der Tod unmittelbar bevorsteht. Das gilt etwa für ein terminales Herz- oder Leberversagen, bei dem es sich um einen
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unumkehrbaren Sterbeprozeß handelt, den der Arzt nicht mehr beeinflussen kann. Soll dann auch hier konsequent eine aktive Tötung ermöglicht werden? Mit der Erlaubnis, von lebenden Hirntoten Organe mit Zustimmung der Betroffenen zu entnehmen, würde das Tor für eine fremdnützige Euthanasie geöffnet, wenn hier wirklich menschliches Leben vorhanden sein sollte. Abwegig ist es, wenn man von einer Parallele zur sogenannten indirekten Sterbehilfe spricht, bei der angesichts sonst nicht behebbarer Schmerzen eines Todkranken die Schmerzlinderung derart im Vordergrund stehen kann, daß für sie als Nebeneffekt der frühere Eintritt des Todes in Kauf genommen werden darf. Hier ist sicher eine Verlängerung des Lebens nicht gefordert, sondern sogar eine mögliche Förderung des früheren Todes durch aktives Handeln, nämlich durch Verabreichung von Medikamenten. Es geht aber um den Betroffenen selbst, seine für ihn nicht mehr erträglichen Leiden, die es im Wege der Notstandsabwägung zulässig erscheinen lassen, einen früheren Eintritt des Todes hinzunehmen, wenn dadurch das vorrangige Ziel der Leidensverminderung erreicht werden kann. Bei der Organentnahme wäre es dagegen eine Tötung im Interesse des Organempfängers, also eine nicht nur eventuell in Kauf genommene Lebensbeendigung im eigenen Interesse des Betroffenen, sondern eine direkte gezielte Beendigung des Lebens im Fremdinteresse. Die Zulassung der Organentnahme von lebenden Hirntoten hätte weitreichende Konsequenzen für den Lebensschutz im Recht. Lebten Hirntote noch, so müßte man jedenfalls ihr Leben doch gegen fremdnützige aktive Eingriffe zur Lebensbeendigung schützen. Ich halte die Rechtfertigung der Organentnahme bei Ablehnung des Hirntodes auf dem Wege einer engen Zustimmungslösung für einen inkonsequenten, gegen Artikel 2 Absatz 2 des Grundgesetzes sowie gegen Artikel 1 des Grundgesetzes verstoßenden Schleichweg, mit dem das zu Unrecht als verfassungswidrig bezeichnete Hirntodkriterium im Ergebnis doch zum Ausgangspunkt einer Organentnahme gemacht wird. Warum soll eine persönliche Einwilligung die Organentnahme vom Lebenden rechtfertigen können, wenn sie den Tod direkt herbeiführt, wenn es sich noch um menschliches Leben handelt, das meiner Ansicht nach keine Abstufung verträgt. Es erscheint nicht einsichtig, warum nur die persönliche Einwilligung des Spenders eine Organentnahme rechtfertigen können soll, wenn der Hirntod als Entnahmekriterium von Organen bei noch Lebenden anerkannt wird. Auch der tote Mensch ist ja nicht rechdos. Sein fortwirkendes Persönlichkeitsrecht verbietet es, mit ihm nach Belieben zu verfahren. Organe dürfen ihm nicht schon deshalb entnommen werden, weil er tot ist. Der Hirntod ist insofern eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung der Organentnahme. Es bedarf weiter nach allen Entwürfen einer Zustimmung von der Seite des Verstorbenen. Die enge Zustimmungslösung, wie sie die Hirntodgegner verfechten, läßt nur die Einwilligung des Betroffenen selbst gelten. Zur Begründung wird hier allgemein fast nichts angeführt. Es ist die Rede davon, wenn es um Leben und Tod gehe, könne nur der Betroffene selbst entscheiden. Ein solcher Verzicht auf Grundrechte sei nur durch den Betroffenen selbst erlaubt. Ich halte eine erweiterte Zustimmungslösung für rechtlich zulässig. Eine Zustimmung über einen Vertreter oder über Angehörige begegnet weder verfassungs-
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rechtlichen noch sonstigen Bedenken. Es gibt keinen allgemeinen Rechtsgrundsatz, der eine Vertretung im Willen bei Entscheidungen wie der Zustimmung zur Organentnahme verbieten würde. Eine Vertretung ist auch dann möglich, wenn es um Angelegenheiten auf der Grenze zwischen Tod und Leben geht. Auch in persönlichen Dingen, zum Beispiel der Gesundheit, kennt unser Recht ausdrücklich eine Vertretung im Institut der Betreuung. Wenn bei einer ärztlichen Behandlung die Gefahr des Todes besteht, bedarf der Betreuer der Genehmigung durch das Vormundschaftsgericht. Der Bundesgerichtshof hat dieses Prinzip auf die Entscheidung des Betreuers über einen Behandlungsabbruch angewandt. Neben dem Weg über den Betreuer eröffnet der neugefaßte Paragraph 1896 Absatz 2 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches die Möglichkeit einer Vorsorgevollmacht in Gesundheitsangelegenheiten. So kann ein Bevollmächtigter bestellt werden, der in Angelegenheiten der ärztlichen Behandlung und auch des Behandlungsabbruchs beziehungsweise einer Behandlungseinschränkung den nicht mehr entscheidungsfähigen Patienten vertritt. Es verstößt also nicht gegen Rechtsgrundsätze, wenn die nächsten Angehörigen oder eine andere dem Toten nahestehende oder von ihm bevollmächtigte Person zu einer Entscheidung über die Organentnahme legitimiert werden. Warum eine Begrenzung auch im Rahmen des postmortalen Persönlichkeitsrechts bei Annahme des Hirntodes als Lebensgrenze vorgesehen sein soll, ist nicht erfindlich. Eltern und anderen Inhabern der Personensorge soll nach dem Willen der Hirntodkritiker eine Entscheidung zugestanden werden. Warum soll bei Kindern eine Dritteinwilligung ausreichen, wenn sie bei anderen nicht erlaubt sein soll? Die Angehörigen haben auch nach geltendem Recht nach dem Tode des Betroffenen wesentliche Entscheidungen zu treffen, so etwa über die Frage der Zulässigkeit einer Sektion oder über die Art der Bestattung. Diese Rechte finden ihre Grundlage im Totensorgerecht. Die Menschenwürde wird durch die erweiterte Zustimmungslösung nicht verletzt. Der Mensch wird hier nicht zum bloßen Objekt degradiert, wenn ihm in der ärztlich gebotenen Weise Organe nach seinem Hirntod entnommen werden. Der schlechteste Kompromiß beim Transplantationsgesetz wäre es gewesen, den Hirntod zwar nicht als Tod, aber als Entnahmekriterium anzuerkennen und dann auf eine enge Zustimmungslösung auszuweichen. Diese enge Zustimmungslösung rechtfertigt nicht die Organentnahme, wenn es sich bei Hirntoten noch um Lebende handelt. Die Zustimmung allein des Betroffenen ist es nicht, die hier in rechtlich sicheres Gebiet führt. Ist der Hirntod nicht der Tod des Menschen, so kann überhaupt keine Organentnahme vorgenommen werden, die zum Tode des Betroffenen führt. Das Transplantationsgesetz hat daher zu Recht den Hirntod als entscheidendes Kriterium für das Ende des menschlichen Lebens festgelegt. Diese Lösung entspricht der Verfassung.
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Eurotransplant und die Entwicklung des Organbedarfs in Mitteleuropa Kai Lopau, Ekkehart Heidbreder, Christoph Wanner
1
Eurotransplant: Geschichte und Struktur
Um ein längeres Überleben von Transplantaten zu erreichen, wurde von Professor Jon van Rood, Universität Leiden, Niederlande, 1967 angeregt, eine internationale Organisation zu schaffen, um Transplantate insbesondere unter dem Gesichtspunkt der bestmöglichen Gewebeübereinstimmung zu verteilen. Aus diesem Vorschlag ging noch im selben Jahr „Eurotransplant" (ET) hervor als unabhängige Organisation mit freiwilliger Zugehörigkeit von Transplantationszentren in den Niederlanden, Belgien und Deutschland, später dann auch aus Österreich und Luxemburg. Über die Aufnahme der tschechischen Zentren wird derzeit verhandelt. Zu der reinen Verteilung von entnommenen Nieren an die geeignetsten Empfänger (Allokation) kamen im Laufe der letzten Jahre diverse weitere Aufgaben hinzu. Beschäftigte sich die Organisation im ersten Jahrzehnt vor allem mit der Frage des Einflusses der HLA-Typisierung auf das Langzeittransplantatüberleben bei der Nierentransplantation sowie mit der Herstellung und Qualitätskontrolle der hierzu benötigten Seren, so wurde dies bald darauf auch auf Hornhauttransplantate, insbesondere bei Hochrisikopatienten, angewendet. Mit Einführung von Cyclosporin A als Immunsuppressivum in den frühen Achtzigern und damit deutlich verbesserten Langzeiterfolgen bei der Herz- und Lebertransplantation übernahm Eurotransplant auch hierbei die Organisation und Allokation, kurze Zeit später auch im Rahmen der Lungen-, Pankreas- und Inselzell-Übertragung. Heute benennt Eurotransplant folgende Aufgabenfelder: 1.
Erreichen einer optimalen Ausnutzung aller verfügbaren Organe und Gewebe.
2.
Sicherstellung eines nach allen Seiten transparenten und objektiven Verteilungssystems, basierend auf medizinischen Kriterien.
3.
Feststellung der Faktoren, welche den größten Einfluß auf Transplantationsergebnisse aufweisen, und Verbesserung der Kurz- und Langzeitergebnisse.
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Kai Lopau, Ekkehart Heidbreder, Christoph Wanner
4.
Erhöhung des Aufkommens an gespendeten Organen und Geweben.
5.
Koordination und Unterstützung der Organübertragung im weitesten Sinne.
Seit der Gründung ist Eurotransplant als gemeinnützige Stiftung organisiert. Finanziert werden alle Aufwendungen über die Anmeldegebühr, die bei Aufnahme auf eine Warteliste von der Krankenkasse des jeweiligen Patienten zu leisten ist. Die Höhe dieser Gebühr wird jährlich neu angepaßt, das Gesamtbudget mit den Gesundheitsbehörden und Krankenkassen der fünf Mitgliedsstaaten neu verhandelt. Oberste Entscheidungsstruktur ist das sogenannte „Board", zusammengesetzt aus je einem Delegierten der nationalen medizinischen TransplantationsGesellschaften, dem Leiter des Typisierungs-Referenz-Labors in Leiden, einem Ethikund einem Finanzexperten sowie neun Delegierten, die in zweijährlichem Turnus durch die „Assembly", der Zusammenkunft aller transplantierenden Zentren und partizipierenden Labors, neu gewählt werden. Das Board wird maßgeblich von den jeweils zuständigen organspezifischen „Advisory commitees" beraten. Weiterhin benennt das Board die geschäftsführenden Direktoren, die für die Durchführung der Routineaufgaben verantwortlich zeichnen.
2
Entwicklung der Organspende in den Mitgliedsstaaten
Im Gegensatz zu dem immens gestiegenen Bedarf an parenchymatösen Spenderorganen konnte seit 1991 kein nennenswerter Zuwachs an tatsächlich explantierten Organen mehr erzielt werden. Bis zu diesem Zeitpunkt stieg die Zahl der jährlichen Explantationen kontinuierlich an (von 1984 bis 1990 um insgesamt 50 %). Nahezu stabil blieb auch die Zahl der Multiorganspenden (d.h. die Entnahmen von einer Niere und mindestens einem weiteren Organ) bei ungefähr 60 % aller vollzogenen Organentnahmen. Die folgende Grafik (Abb. 1) verdeutlicht nochmals die Entwicklung. Im Laufe der vergangenen Jahre änderten sich allerdings Alters struktur und Todesursachen der Verstorbenen. Im Jahre 1986 waren 81 % aller Organspender zwischen 16 und 55 Jahre alt, nur 7 % waren älter zum Zeitpunkt ihres Todes, 13 % der Spender verstarben im Kindesalter. Im Jahr 1995 waren dagegen 22 % aller Spender bereits älter als 55 Jahre, ein Trend, ausgelöst durch den immer höheren Bedarf, der dazu führt, daß auch ältere und damit eventuell bereits vorgeschädigte Organe (sogenannter „marginaler Qualität") transplantiert werden. Mit zunehmendem Spendealter verschoben sich zudem die Relationen der Todesursachen, eine deutliche Abnahme der Unfalltoten im Vergleich zu den an natürlichen Todesursachen Verstorbenen (ischämische und hämorrhagische zerebrale Insulte, Z.n. Reanimation u.ä.) ist zu verzeichnen. Deutlich unterscheiden sich auch die Spenderaten in den verschiedenen Nationen. Berechnet man die Organspender pro Millionen Einwohner, so erhält man die in Tabelle 1 zusammengefaßten Zahlen. Auffällig ist die höhere Zahl an Organspenden
103
Eurotransplant
Multiorganspende —•— Nierenspende
Abb. 1:
Anzahl der Organspenden, gesamtes Eurotransplant-Gebiet.
(bezogen auf die Bevölkerung) in Österreich und Belgien im Vergleich zu der Bundesrepublik, wobei Unterschiede vor allem in der Spendebereitschaft der Bevölkerung, in der gesellschaftlichen Akzeptanz von Explantationen sowie in der gesetzlichen Regelung, insbesondere im Bereich der Einwilligung durch die Angehörigen, zu suchen sind. Dies führte dazu, daß deutsche Wartelisten-Patienten über Jahre hinweg von Organentnahmen aus dem Ausland profitierten. Im Bereich der Nierenallokation wurde das Vergabeverfahren deswegen seit März 1996 dahingehend geändert, daß die nationalen Im- und Exportbilanzen bei der Organverteilung berücksichtigt werden. Ob und inwieweit das erst im Sommer 1997 verabschiedete bundesdeutsche Transplantationsgesetz die Spendebereitschaft in der Bevölkerung zu stärken vermag, bleibt abzuwar-
hand Österreich Belgien Niederlande Deutschland Luxemburg Tab. 1:
Einwohner in Mio. 8 10 15 80 0,4
Organspende '95 pro Mio. Einw. 21,5 19,6 15,2 12,8 5,0
Veränderungen %um Voqahr ±0 - 14 % + 16 % + 4% - 50 %
Nationale Unterschiede in der Organspende im Eurotransplant-Vergleich.
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3
Kai Lopau, Ekkehart Heidbreder, Christoph Wanner
Eurotransplant-Wartelisten für abdominelle Organe
Ende 1995 warteten in den partÌ2Ìpierenden Zentren nahezu 14.000 Patienten auf ein abdominelles Organ, davon fast 13.500 auf eine Nierentransplantation. Die Nierenwarteliste zeigte über die letzte Dekade den weitaus stärksten Anstieg, vor allem aufgrund der erweiterten Indikationsstellung für eine Nierenübertragung (Abschaffung eines festgelegten Höchstalters, zunehmend morbidere Patienten) an nahezu allen Zentren. Aufgrund der zunehmend langen Wartezeit von nunmehr durchschnittlich drei Jahren beträgt die Mortalität der zur Transplantation gemeldeten DialysePatienten derzeit stabil 2,5 % aller Neuanmeldungen pro Jahr. Die derzeit erfolgreichste Strategie zur Verminderung des Organmangels besteht in der Zunahme der durchgeführten Nierenspenden von Lebenden, in der Regel von sehr nahen bluts- und nicht-blutsverwandten Angehörigen. Der Anteil dieser Transplantationen beträgt zwischen vier (Bundesrepublik) und 24 % (Niederlande) aller durchgeführten Eingriffe. Eine unkritische Steigerung dieser Zahl ohne Reflexion der sozialen und psychologischen Implikationen für Spender und Empfänger muß allerdings auch in Zukunft vermieden werden. Die Anzahl der Patienten auf der Leberwarteliste liegt seit fünf Jahren bei konstant 300 bis 400 Patienten, auch wenn die Zahl der Transplantationen jedes Jahr kontinuierlich stieg. Sechzehn Prozent dieser Patienten waren 1995 unter 16 Jahre alt, die höchste Anzahl an kindlichen Empfängern auf allen Wartelisten. Insgesamt 198 Patienten wurden von den betreuenden Zentren als „besonders dringlich" („High Urgency") aufgrund irreversiblen Transplantatversagens oder fulminanten Leberversagens gemeldet. Die Mortalität auf der Leberwarteliste betrug von 1991 bis 1995 konstant zwischen 9 - 1 0 %, bei den High Urgency-Patienten ungefähr 20%. Bemühungen, durch alternative Verfahren mehr Empfänger transplantieren zu können, sind bisher von untergeordneter Bedeutung, 1995 wurden 31 sogenannte split-livers (ein Spenderorgan endang anatomischer Grenzen aufgeteilt für zwei Empfänger) übertragen. Nur an zwei Zentren (Hamburg und Brüssel) wird bisher die Übertragung von Lebersegmenten von verwandten Lebendspendern durchgeführt. Eine leichte Abnahme konnte im Bereich der Wartenden auf eine Pankreastransplantation verzeichnet werden. Seit vier Jahren stabil erwies sich die Anzahl der explantierten Pankreata mit 460 bis 490 Organen pro Jahr. Ungefähr 60 % dieser gespendeten Organe wurden zur Inselzellseparation und konsekutiven Transplantation (Gießen und Innsbruck) herangezogen, ca. 100 Pankreata wurden zur kombinierten Pankreas-Nieren-Ubertragung verwendet. Auf ein Organ warteten seit 1988 konstant zwischen 120 und 150 Typ-I-Diabetiker. Die folgenden Grafiken (Abb. 2 und 3) fassen die Aktivitäten im Bereich der abdominellen Transplantationen nochmals zusammen:
Eurotransplant
10000
8000 6000 4000 2000 0 1968 1970 1972 1974 1976 1978 1980 1982 1984 1986 1988 1990 1992 1994 1996 •
Abb. 2:
Wartelistenpatienten
Transplantationen
Dynamik der Nierenwarteliste und Transplantationsfrequenzen.
•B—Warteliste Leber Warteliste Pankreas
Abb. 3:
M
—»—Transplantation Leber — T r a n s p l a n t a t i o n Niere-Pankreas
Dynamik der Wartelisten und Transplantationsfrequenzen für Leber und Pankreas.
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Kai Lopau, Ekkehart Heidbreder, Christoph Wanner
Wartelisten für thorakale Organe
Nach deutlichem Anstieg der Patientenzahlen auf den thorakalen Wartelisten mit zunehmender Etablierung der Operationsverfahren zeichnet sich für die Herzwarteliste seit 1992 ein Plateau ab. Die Anzahl der möglichen Empfänger für kombinierte HerzLungen- als auch für Lungentransplantate stiegen jedoch langsam weiter. Die Mortalität auf den Wartelisten war auch 1995 unverändert hoch und betrug für Herzempfänger 24% aller Neuanmeldungen, für Herz-Lungen-Empfänger 36% und für Lungenempfänger 31%. Die folgende Grafik (Abb. 4) verdeutlicht die Dynamik auf den ET-Wartelisten für Herz-, Herz-Lungen- und Lungenempfänger.
Abb. 4:
Wartelistendynamik für thorakale Organe
Von den seit Jahren unverändert gemeldeten circa 1000 zur Spende freigegebenen Herzen konnten letztendlich nur 780 bis 820 Organe jährlich explantiert werden, ursächlich dafür war vor allem eine nicht ausreichende Organqualität, welche erst intraoperativ abschließend beurteilbar ist. Stabil war ebenfalls die Zahl der entnommenen Lungen im Eurotransplant-Bereich, seit 1992 konnten jährlich 150 bis 180 Organe (Doppel- oder Einzellunge) explantiert werden. Tendenzen zur Entnahme von leicht vorgeschädigten oder sehr alten Organen (wie im Bereich der Nierentransplantation) zeigten sich bei den Explantationen thorakaler Organe nicht, nur 6 % aller Herz- oder Lungenspender waren 1995 älter als 55 Jahre. Alternativen zur Organentnahme von Verstorbenen gibt es in diesem Bereich nicht, sieht man einmal von einer durchgeführten Lungeniebendspende mit Lungenflügeln zweier Verwandter in München ab.
Eurotransplant
107
Die Anzahl der durchgeführten Herztransplantationen konnte in den Jahren seit 1991 nicht mehr entscheidend gesteigert werden, 1995 wurden 732 Herzen im Eurotransplant-Gebiet übertragen (+ 5 % gegenüber 1994). Davon waren 15 % besonders dringliche („special urgent") Transplantationen, bei denen sich der Empfänger in einer äußerst kritischen medizinischen Situation befand, z.B. bei Einsatz eines künstlichen Herzens. Ein Plateau wurde auch bei der Zahl der jährlich durchgeführten Lungentransplantationen erreicht, wobei sich in den letzten Jahren das Verhältnis von Einzel-Lungen- hin zu Doppel-Lungenübertragungen verschoben hat. (1995: 40 im Vergleich zu 84 Transplantaten). Die Anzahl der kombinierten Herz-LungenVerpflanzungen stabilisierte sich auf einem niedrigen Niveau. Die folgende Grafik faßt die Transplantationsaktivitäten nochmals zusammen:
Abb. 5:
5
Transplantationsfrequenzen thorakaler Organe
Aufgaben in den nächsten Jahren
Nach der zweifellos erfolgreichen Arbeit in den vergangenen 28 Jahren, die insbesondere den Aufbau einer schlagkräftigen und gut strukturierten Organisation zum Ziel hatte, wird sich Eurotransplant nun ganz anderen Aufgaben stellen müssen. Alle Initiativen der letzten Jahre konnten nicht verhindern, daß die Zahl der auf ein Spen-
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derorgan wartenden Patienten immer mehr anstieg. Man wird deshalb auch weiterhin gezwungen sein, ein Verteilungs-System zu finden, das sowohl gerecht ist (d.h. jedem Patienten gleich welchen Alters oder welcher Nationalität die gleichen Chancen gibt) als auch medizinisch-immunologisch sinnvoll ist. Der 1996 implementierte Allokations-Algorithmus für die Verteilung von Spendernieren ist Zumindestens teilweise als ein Schritt in diese Richtung zu werten, auch wenn bestimmte Verteilungsparameter weiterhin kontrovers diskutiert werden (nationale Austauschbilanz, Spenderzentrum). Ähnliche Verfahren für die anderen parenchymatösen Organe müssen folgen, wobei auch die unterschiedlichen nationalen Gesetzgebungen beachtet werden müssen. Zunehmend diskutiert werden, insbesondere auch unter Laien, die sich abzeichnenden Möglichkeiten im Bereich der Lebendspende vor allem von Nieren sowie die Xenotransplantation, das heißt die Übertragung von Organen über Artgrenzen hinweg. Während letztere bisher noch nicht realisiert ist, wird die Lebendorganspende zunehmend als Ausweg aus der Organmangel-Misere gesehen. Die Berichterstattung in den Medien nimmt, sachlich und unsachlich, aufgrund der exzellenten Überlebensraten, aber auch des (geringen) Risikos für den Spender, weiter zu. Bisher konnten sich allerdings weder die Transplantationszentren noch Eurotransplant über eine Standardisierung dieses Verfahrens verständigen. Spender- und Empfängerauswahl, medizinische und psychologische Kontraindikationen, Nachbetreuung der Spendenden u.a.m. unterscheiden sich bisher von Zentrum zu Zentrum. Auch unter dem Druck des bundesdeutschen Transplantationsgesetzes ist eine Harmonisierung unumgänglich.
6
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[4]
Aufgaben und Ziele der Deutschen Stiftung Organtransplantation Heiner Smit, Wilhelm Schoeppe
Die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) hat seit ihrer Gründung 1984 in über 70 Verträgen die Aufgabe übernommen, die Organisation der Transplantation und Organspende in Deutschland sicherzustellen und wissenschaftlich zu fördern [8]. Partner der DSO sind Kostenträger, Klinika, Landeskrankenhaus-Gesellschaften und die Eurotransplant Foundation (ET) in den Niederlanden. Ziel der Stiftung ist es, für jeden Organempfänger kurzfristig ein Transplantat zur Verfügung zu stellen. Dazu unterhält die DSO 38 Organisationszentralen und -büros.
1
Organisationszentralen und -büros
Transplantation und Organspende sind, abgesehen von den wenigen Lebendspenden zwischen Verwandten, zufällige und zeitkritische Ereignisse und müssen daher durch eine ganzjährige, 24-stündige Präsenz kompetenter Ansprechpartner abgesichert werden. Die DSO beschäftigt in ihren Organisationszentralen Empfänger- und Spenderkoordinatoren sowie, je nach Größe, weitere Mitarbeiter für die Verwaltungs-, EDVund Telefonservice-Unterstützung. Die Administrator(inn)en (Empfängerkoordinatoren) sind Ansprechpartner der zuweisenden Fachärzte. Sie registrieren die klinischen, immunologischen und administrativen Daten der Patienten mit einer eigens dafür entwickelten Software (Transplantations-Informations-System), leiten die allokationsrelevanten Daten über das Transplantation-Datenzentrum Heidelberg der DSO in den Zentralrechner der Eurotransplant Foundation und sorgen für eine ständige Aktualisierung aller Parameter, damit jederzeit anhand aktueller Informationen Entscheidungen für oder gegen eine Transplantation getroffen werden können. Die Transplantationskoordinator(inn)en (Spenderkoordinatoren) sind die ständigen Kommunikationspartner für die Ärzte, Schwestern und Pfleger von Intensivstationen. Sie vermitteln durch Besuche und Fortbildungen die notwendigen Informationen über die medizinischen, organisatorischen und gesetzlichen Aspekte der post-
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Heiner Smit, Wilhelm Schoeppe
mortalen Organspende. Sie sind auch die jeweiligen Ansprechpartner für Spendermeldungen und begleiten eine Organspende vom Erstkontakt bis zu deren Beendigung. Die Neuregistrierung von ca. 2.800 Nieren-, 900 Herz- und 600 Leberempfängern pro Jahr sowie die Aktualisierung einer Warteliste von über 11.000 Patienten [3] liegt in den Händen von 26 Empfangerkoordinatoren, 58 Verwaltungs- und E D V Assistenten, während die Betreuungs- und Fortbildungstätigkeit für über 1.300 Krankenhäuser mit Intensivstationen sowie die Koordinierung von ca. 2000 Spendermeldungen pro Jahr von 37 Spenderkoordinatoren sichergestellt wird, wobei weitere 52 Ärzte diesen Dienst durch die Beteiligung an Rufbereitschaften vervollständigen. Um auch kleine und mittlere Häuser in die vom Gesetzgeber geforderte „Gemeinschaftsaufgabe Organspende" einbeziehen zu können, bieten die Organisationszentralen weitere Konsiliardienste, etwa zur neurologischen Untersuchung oder für den operativen Eingriff, an. 429 Neurologen, Urologen oder Chirurgen stehen in über 100 von der D S O eigens für die Organspende eingerichteten Bereitschaftsdiensten zur Verfügung.
2
Wissenschaftliche Förderung - Projekte
Die D S O hat 1990 mit der Herausgabe eines bundeseinheitlichen Informationsordners „Organspende — eine gemeinsame Aufgabe" [6] und dessen Aktualisierung 1994 die Voraussetzung dafür geschaffen, daß Ärzte, Schwestern und Pfleger auf Intensivstationen mit einem umfassenden Nachschlagewerk versorgt werden können. Die Edition der Stiftung publiziert wissenschaftliche Arbeiten zur Transplantation und Organspende. Dabei werden Ergebnisse der Transplantation [5], Analysen über die Möglichkeiten und Grenzen der Organspende [1] sowie intensivmedizinische Aspekte zur Aufrechterhaltung der Homöostase beim Organspender [7] behandelt. Einen besonderen Schwerpunkt bildet derzeit eine Seminarreihe für Ärzte, Schwestern und Pfleger zum Umgang mit Trauernden. Das Ziel des E D H E P Programms [2] ist der emotionale Brückenschlag zwischen der Hoffnung vieler kranker Menschen auf eine Organtransplantation und verzweifelten Angehörigen im Augenblick des plötzlichen Todes eines nahen Familienmitglieds. Es geht also um die Vertiefung von Fähigkeiten, den Trauerprozeß der Angehörigen hilfreich zu begleiten und die Bitte um Organspende in angemessener Form vorzutragen. Die Durchführung des Seminare liegt in den Händen von 50 Ärztinnen und Ärzten mit Zusatzbezeichnung Psychotherapie oder Diplom-Psychologe mit abgeschlossener Therapieausbildung. Die Moderatoren haben Erfahrungen mit Gruppenarbeit und wurden intensiv mit dem Programm vertraut gemacht. Erste Analysen der Seminare [4] ergeben eine ausgesprochen positive Beurteilung durch die Teilnehmer. Ca. 500 ganztägige Seminare mit mehr als 5000 Teilnehmern aus über 250 Krankenhäusern wurden seit Beginn dieser Initiative Mitte 1994 ausgerichtet. Damit bietet die D S O Ärzten, Schwe-
Ziele und Aufgaben der Deutschen Stiftung Organtranspianation
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stern und Pflegern eine Fortbildung an, die auch die tägliche Krisenintervention beim Umgang mit schlechten Nachrichten unterstützt.
3
Transplantations-Datenzentrum dei DSO in Heidelberg
Der Datentransfer zwischen den deutschen Transplantationszentren und der Eurotransplant Foundation wird durch das Transplantations-Datenzentrum (TDZ) in Heidelberg sichergestellt. 1988 errichtet und vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung gefördert, obliegt dieser Einrichtung neben der Datenübermittlung und -Sicherung auch die Pflege eines variablen Data-Dictionary für die Dokumentation klinischer, immunologischer und administrativer Daten der Empfänger und Spender der zentralen Datenbanken über Dialyseeinrichtungen, Krankenhäuser oder Kostenträger sowie Schulung und Betreuung der Benutzer und Weiterentwicklung der Anwendungs-Software TIS. Im September 1995 wurde ein gemeinsames Programm mit Eurotransplant und fünf norddeutschen Transplantationszentren in Angriff genommen, weitere Allokationsparameter in das Computerprogramm der D S O zu integrieren, um so in einem Feldversuch die Feinabstimmung der Nierenvergabe zu testen. Ziel ist eine Verbesserung der Verteilungsgerechtigkeit und eine Verkleinerung der Zahl von Langwartern (>5 Jahre) auf eine Niere. Seit März 1996 sind die Erkenntnisse dieses Versuches in ein neues Verteilungssystem für Nieren (ETKAS) umgesetzt worden.
4
Struktur der Deutschen Stiftung Organtransplantation
Die Gremien der D S O sind Stiftungsrat und Vorstand. Der Stiftungsrat ist der Aufsichtsrat, der Vorstand das geschäftsführende Organ. Er ist personengleich mit dem jeweiligen Vorstand des K f H Kuratorium für Dialyse und Nierentransplantation e.V., mit dem die D S O in enger Zusammenarbeit seinen Stiftungszweck verwirklicht. Die Deutsche Stiftung Organtransplantation hat ihren Sitz in Frankfurt a. Main und ihre Hauptverwaltung in Neu-Isenburg.
5
Literatur
[1]
Angstwurm, H., Ketzler, K., Möglichkeiten und Grenzen der Organtransplantation, Edition Deutsche Stiftung Organtransplantation, Neu-Isenburg 1989
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Heiner Smit, Wilhelm Schoeppe E D H E P (European Donor Hospital Education Programme), Seminarreihe zur Organspende und der Betreuung von Trauernden. Eine Initiative der Eurotransplant Foundation, Neu-Isenburg 1994 Eurotransplant-Foundation, Annual Report 1994, Leiden (Niederlande) Muthny, F. Α., Das Gespräch mit den Angehörigen plötzlich Verstorbener als zentraler Schlüssel zur Organspende, Transplantationsmedizin 7 (1995), S. 66 Opelz, G., Ergebnisse der Nierentransplantation in der Bundesrepublik Deutschland 1982-1989, Edition Deutsche Stiftung Organtransplantation, Neu-Isenburg Organspende - eine gemeinsame Aufgabe, Deutsche Stiftung Organtransplantation, Neu-Isenburg 19942 Rohling, R., Schäfer, M., Link, J., Eyrich, K., Smit, H., Pichlmayr, R., Aufrechterhaltung der Homöostase beim Organspender, Edition Deutsche Stiftung Organtransplantation, Neu-Isenburg 1992 Verfassung der Deutschen Stiftung Organtransplantation Gemeinnützige Stiftung, Neu-Isenburg 1984
Objektiv, transparent, gerecht?* Kriterien der Allokation von Spendeorganen Johann S. Ach
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Organverteilung: Das Problem
Allein in Deutschland werden jährlich mehrere tausend Organe verpflanzt. In der überwiegenden Mehrzahl handelt es sich dabei um Spendeorgane von verstorbenen menschlichen Spenderinnen.1 1995 zum Beispiel, um nur einige wenige Zahlen zu nennen, wurden in Deutschland 2128 Nieren, 498 Herzen und 595 Lebern übertragen [28]. Dazu kommen Übertragungen von Lungen und Bauchspeicheldrüsen, von Knochenmark, Augenhornhäuten und anderen Geweben. Transplantationsmedizinerinnen gehen davon aus, daß der Bedarf an Transplantationen in etwa doppelt so hoch ist, die erforderlichen Transplantationen jedoch vor allem aufgrund des Mangels an geeigneten Spendeorganen nicht durchgeführt werden können [28;23,S.54]. Solche Schätzungen sind allerdings nur schwer zu verifizieren. An der Knappheit von Spendeorganen wird sich - darüber herrscht unter den Transplantationsmedizinerinnen weitgehende Übereinstimmung — auch auf längerfristige Sicht wenig ändern. Weder ist zu erwarten, daß die Verabschiedung des Transplantationsgesetzes in der Bundesrepublik das Organaufkommen wesentlich erhöhen wird,2 noch ist von medizinisch-technischer Seite eine Entspannung der Situation in naher oder fernerer Zukunft zu erwarten. Auch wenn die Entwicklung eines künstlichen Organersatzes zum Beispiel beim Herzen oder auch bei der Leber zum Teil ermutigende Fortschritte macht, so erlauben diese technischen Optionen derzeit doch
1
2
Eine erweiterte Fassung dieses Textes erschien zuerst unter dem Titel „Von Natur aus knapp" in der Zeitschrift für medizinische Ethik 43 (1997), S. 31-49; der Abschnitt über spender- vs. systembezogene Gründe für die Knappheit von Organen erschien zuerst in der Zeitschrift Vorgänge 138 (1997), S. 61-72. Der Einfachkeit halber benutze ich im folgenden nur das weibliche Genus. Männer sind jeweils mitgemeint. Es sollte allerdings klar sein, daß eine Erhöhung der Transplantationsfrequenz, wenn überhaupt, allenfalls ein nachrangiges Ziel des Transplantationsgesetzes sein kann, das vor allem Rechtssicherheit für alle Beteiligten garantieren und insbesondere die Rechte und Interessen möglicher Organspenderinnen schützen soll.
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Johann S. Ach
allenfalls einen Einsatz als Assist-Systeme oder ein Organbridging, also eine Überbrückung des Zeitraums, bis der betroffenen Patientin ein Spendeorgan transplantiert werden kann, und verschärfen damit die aus der Organknappheit resultierenden moralischen Probleme eher noch, als daß sie sie verringern könnten [4,S.16]. Und auch die Zukunftsvision der Xenotransplantation, also der Übertragung tierischer Organe auf den Menschen, befindet sich derzeit noch zu sehr im experimentellen Stadium, als daß sie - von der grundsätzlichen ethischen Problematik einmal abgesehen [2] - berechtigte Hoffnungen auf ein Ende des beklagten Organmangels nähren könnte. Im Gegenteil muß man davon ausgehen, daß die zunehmenden Möglichkeiten der Immunsuppression und optimierte Operationstechniken zu einer Ausweitung der Spender- wie der Empfängerinnengruppen und einer Ausweitung der Indikation zur Transplantation führen werden und damit zu einem zusätzlichen Organbedarf.3 Die Schere von Angebot und Nachfrage wird, induziert durch den medizinischtechnischen Fortschritt, in Zukunft also eher noch weiter auseinanderklaffen als bereits jetzt. Daß eine „optimale" Nutzung grundsätzlich zur Transplantation geeigneter Organe nicht erreicht wird, ist im wesentlichen auf zwei Faktoren bzw. Faktorenkomplexe zurückzuführen. Man kann spenderbe^ogene von systembe^ogenen Faktoren unterscheiden, wobei es eine Asymmetrie hinsichtlich der öffentlichen Wahrnehmung der beiden Faktorenbündel gibt. Während die spenderbezogenen Gründe in der Öffentlichkeit in den Vordergrund gerückt werden, spielen die systembezogenen Gründe bislang allenfalls in professionsinternen Diskussionen eine Rolle. Die spenderbezogenen Gründe für die suboptimale Nutzung der Organressourcen lassen sich anhand der Ergebnisse einer Gallup-Untersuchung aus den USA verdeutlichen. Der im Auftrag des American Council on Transplantation durchgeführten Umfrage zufolge kannten 93% der Befragten den Vorgang der Organtransplantation. 75% bejahten die Organspende grundsätzlich, aber nur 27% erklärten ihre Bereitschaft zur Spende der eigenen Organe. Nur 17% der Befragten waren der Gallup-Untersuchung zufolge im Besitz eines Spendeausweises [31,S.73], Auch wenn die genannten Zahlen bereits über zehn Jahre alt sind und zudem nur ein Schlaglicht auf die Situation in den USA werfen, zeigen sie immerhin eine Tendenz an, die auch auf die Situation in der Bundesrepublik zutrifft4. Daß nur ein sehr geringer Teil derjenigen Personen, die als Organspenderinnen in Frage kommen, einen Spendeausweis besitzen und damit die Bereitschaft zur Spende der eigenen Organe im Falle ihres Todes dokumentieren, hat vielfältige Gründe. Diese konzentrieren sich, auch das hat die zitierte GallupUntersuchung gezeigt, vor allem auf die Probleme der Feststellung des Todes und betreffen weniger eine grundsätzliche Ablehnung der Transplantation selbst. „Man mag 3
Es gibt freilich auch gegenläufige Tendenzen. Die Einführung von Assistsystemen zum Beispiel hat auch dazu geführt, daß die Organfunktion bei manchen Patientinnen und Patienten auch ohne anschließende Transplantation auf Dauer in befreidigender Weise wieder hergestellt werden kann.
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Auch eine am Transplantationszentrum Kiel durchgeführte Untersuchung ergab „a huge discrepancy in the general population between the support of organ donation, as declared in an anonymous survey, and the actual support of organ donation, when approached in the real situation" [27].
Objektiv, transparent, gerecht?
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mir etwas zufügen, bevor ich wirklich tot bin" und „Die Ärzte könnten meinen Tod beschleunigen" waren die in der zitierten Gallup-Befragung am häufigsten genannten Gründe für das Versagen der Erlaubnis zur Organentnahme [31,S.74]. In diesen Äußerungen kommt zum einen die tiefe Verunsicherung zum Ausdruck, die die Einführung des Hirntod-Kriteriums in der Öffentlichkeit (aber auch bei den Angehörigen des medizinischen und pflegerischen Personals5) hervorgerufen hat, zum anderen aber auch der - zumindest partielle - Vertrauensverlust, den das medizinische System infolge vor allem einer zunehmenden Ökonomisierung erfahren hat. Neben der Problematik der Todesfeststellung ist für die Zurückhaltung auf Seiten der möglichen Spenderinnen auch die Befürchtung von Bedeutung, die gespendeten Organe könnten ungerecht verteilt werden. Wenn man den Eindruck hat, daß reiche bzw. berühmte Patientinnen im Zweifel schneller ein Organ zugeteilt bekommen als die Durchschnittspatientin, dann ist eine solche Einschätzung — ob berechtigt oder nicht — einer altruistisch motivierten Bereitschaft zur Organspende nicht gerade förderlich. Nachvollziehbar ist darüber hinaus, daß eine altruistische Einstellung um so schwerer fällt, je anonymer und bürokratischer das „Transplantationssystem" [11] organisiert ist. Wie sensibel dieser Bereich tatsächlich ist, zeigt die - von Transplantationsmedizinerinnen oft beklagte — Tatsache, daß negative Darstellungen der Transplantationsmedizin in den Medien regelmäßig gravierende Folgen für die Spendebereitschaft haben. Die spenderbezogenen Gründe für den Verlust grundsätzlich transplantabler Organe sind weitgehend bekannt und seit langem Gegenstand öffentlicher Diskussionen. Sie haben zu vielfältigen Interventionsversuchen geführt, die das Ziel verfolgen, Informationsdefizite hinsichtlich der Organspende zu beheben, bestehende Vorurteile zu korrigieren und vorhandene Befürchtungen zu zerstreuen. Vor allem aber haben sie auch das Ziel, die vorhandenen moralischen Ressourcen der Gesellschaft zu aktivieren. Uber die systembezogenen Gründe gibt es bislang keine vergleichbare öffentliche Diskussion. Das könnte sich mit zunehmender Knappheit der Organe, einem Fortschreiten der „Ermüdungserscheinungen des systemischen Engagements" [11,S.261] und einer kritischeren Beobachtung der Transplantationsmedizin durch die gesellschaftliche Öffentlichkeit allerdings ändern. Einstweilen bleibt die Debatte jedoch weitgehend auf die fachinterne Auseinandersetzung beschränkt. Mit systembezogenen Gründen sind hier ganz unterschiedliche Faktoren angesprochen, die eine suboptimale Transplantationsfrequenz und einen Verlust an Organressourcen bedingen. Dazu gehören unter anderem die folgenden: die Tatsache, daß insbesondere an kleineren Krankenhäusern die Angehörigen von möglichen Organspenderinnen gar nicht erst um ihre Zustimmung zur Entnahme eines oder mehrerer Organe gebeten werden, weil die Organentnahme für die Beteiligten mit einem finanziellen, psychischen und emotionalen Mehraufwand ebenso verbunden ist wie mit einer größeren Arbeitsbelastung, die aber al5
Besondere Aufmerksamkeit verdient in diesem Zusammenhang die Studie von Yougner et al. [35], aus der hervorgeht, daß ein adäquates Verständnis des Hirntodkonzeptes auch unter Arztinnen und Ärzten sowie Angehörigen von Pflegeberufen nicht vorausgesetzt werden kann.
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lenfalls durch den „guten R u f kompensiert werden, den solche Einrichtungen bei den Transplantationsmedizinern möglicherweise besitzen, die sich als kooperativ erwiesen haben. (Was das öffentliche Image angeht, kann es allerdings auch genau umgekehrt sein.) So beklagt zum Beispiel Schoeppe, daß es „ein Kommunikationsproblem zwischen den Transplantationszentren und den Krankenhäusern im Lande" gebe, „das wahrscheinlich die Ursache dafür ist, daß keine ausreichende Nennung von Organspendern erfolgt" [26.S.148]. die von Feuerstein beobachtete „Systemermüdung", die dazu führt, daß die Entnahme und Konservierung von Spendeorganen nachlässig oder gar unsachgemäß durchgeführt und auf diese Weise eine schlechte oder zumindest geminderte Organqualität verursacht wird. Feuerstein verweist zum Beleg dafür unter anderem auf eine von Kirste durchgeführte Untersuchung über die Qualität der im Eurotransplant-Ycibunà ausgetauschten Spendenieren, derzufolge 16% der importierten Nieren schwere und 15% leichte Komplikationen aufwiesen [ll,S.260f.] und zitiert Eigler, der in einem "Report of the Jìurotransplant User Meeting 1991 beklagte, daß es zu fehlerhaften Angaben bei der HLA-Typisierung und bei der Bestimmung der Blutgruppe und damit zu ernsthaften Problemen bei der Transplantation bzw. zum Organverlust gekommen sei [11,S.261]. die Konkurrenz zwischen verschiedenen Transplantationszentren, ausgelöst etwa durch ein Organverteilungsverfahren, das es Transplantationszentren erlaubt, einen Teil der im eigenen Zentrum oder in kooperierenden auswärtigen Krankenhäusern entnommenen Organe zentrumsintern zu übertragen.6 Solche Regelungen führen, wie Pichlmayr feststellt, „letztlich zwangsläufig zur Konkurrenz zwischen Zentren um Organspendebereiche, und zwar besonders bei Programmausweitung oder Neugründung von Transplantationszentren. Die Konkurrenz zwischen Zentren wird in den .umworbenen' Krankenhäusern die Motivation zur Kooperation kaum erhöhen, sondern das Gefühl verstärken, für die Interessen einer bestimmten Gruppe oder eines bestimmten Transplantationschirurgen arbeiten zu sollen" [23,S.58]. Daß die Konkurrenzsituation sich darüber hinaus auch prestige- und karrierestrategischen Gesichtspunkten der betroffenen Wissenschafderinnen und Wissenschaftler verdankt, ist angesichts des Umstandes, daß es sich bei der Transplantationsmedizin um eine „Spitzentechnologie" handelt und organspezifisch teilweise noch immer um eine (hoch)experimentelle Therapievariante bzw. angesichts der Tatsache, daß größere Transplantationszentren oftmals über eigene Forschungsschwerpunkte verfügen, nicht weiter verwunderlich, der Mangel an Intensiv- und Pflegekapazitäten, der — vor allem in größeren Zentren - „häufig, zunehmend regelmäßig" gravierend ist [23,S.90] und ebenfalls zu einer suboptimalen Nutzung der Organressourcen führt, sowie der Mangel an qualifiziertem Personal, das die aufwendige und schwierige logistische Vor- und 6
Nach den neuen, im Eurotransplant-Bereich geltenden Regeln fallt diese Zentrumsautonomie allerdings weitgehend weg (s.u.). Dies mag mit ein Grund dafür sein, daß diese Regeln offenbar nur zurückhaltend umgesetzt werden.
Objektiv, transparent, gerecht?
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Zuarbeit (Labor, Koordination, Transport etc.), die für Organübertragungen notwendig sind, leisten kann. Von anderen Verteilungsproblemen in der Medizin unterscheidet sich die Allokation von Spendeorganen Vor allem darin, daß die Knappheit an Organen nicht durch eine Erhöhung der bereitgestellten finanziellen Mittel allein behoben werden kann. Finanzielle Beschränkungen mögen zwar auch - und vielleicht zunehmend mehr - eine Rolle spielen; einstweilen aber scheint es so zu sein, daß, wie Transplantationsmedizinerinnen, Krankenhaus- und Versicherungsträger unisono versichern, die Kosten der Organübertragung in der Bundesrepublik keine direkte Begrenzung der Transplantationsfrequenz darstellen. Eine Erhöhung der Zahl der transplantablen Spendeorgane und der Transplantationsfrequenz läßt sich, wenn überhaupt, also nur durch eine Optimierung der Systemkooperation und vor allem durch eine Aktivierung und Nutzung der moralischen Ressourcen der Gesellschaftsmitglieder erreichen. Mit anderen Worten: vor allem durch eine Verbesserung der „Spendemoral" der Bevölkerung. Aber auch unter ansonsten optimalen Bedingungen ist das Problem der Organknappheit nicht zu umgehen. Wenn es stimmt, daß, wie Land vermutet, die oberste Grenze nach medizinischen Kriterien geeigneter postmortaler Organspenderinnen bei etwa 20 bis 25 Spenderinnen bezogen auf 1 Million Einwohnerinnen und ein Jahr liegt,7 dann dürfte der Organpool auch bei noch so großen Bemühungen aller Beteiligten grundsätzlich klein sein, um alle Ansprüche befriedigen können. Die Tatsache, daß der Organmangel unaufhebbar ist, führt, zusammen mit dem Umstand, daß die Organallokationsentscheidung füir die Betroffenen möglicherweise existentiell, eine Entscheidung im Wortsinne „um Leben und Tod" ist, und der Bedeutung, die dadurch der altruistisch motivierten Spendebereitschaft der Gesellschaftsmitglieder zukommt, zu einem besonders hohen Legitimationsdruck hinsichtlich der Verteilungsmodi, nach denen das knappe Gut Spendeorgan zugeteilt wird. Erwartet wird nicht weniger, als daß Spendeorgane nach „objektiven, rationalen, transparenten, sozial nicht diskriminierenden und allgemein anerkannten Kriterien" [11,S.234] verund zugeteilt werden. Die Suche nach solchen Kriterien aber führt, wie Günter Feuerstein treffend festgestellt hat „zielsicher in ein unentwirrbares Dickicht von medizinischen Begründungen, versorgungsstrategischen Konzepten, ethischen Prinzipien und sozialphilosophischen Gerechtigkeitstheorien" [11.S.234]. Ich werde im folgenden versuchen, eine Bresche in dieses Dickicht zu schlagen, die es immerhin ermöglichen sollte, genauer zu verstehen, welche moralischen Probleme mit dem gegenwärtigen Verfahren der Verteilung von Spendeorganen verbunden sind und daran anschließend einen Vorschlag dafür andeuten, wie eine akzeptable Regelung aus meiner Sicht aussehen könnte. Die Unterstellung, die mich bei diesen Überlegungen leiten wird, ist, daß es sich bei der Allokation von Spendeorganen tatsächlich um ein moralisches Problem handelt. Ob es uns gefällt oder nicht: Organvertei7
W. Land [18] und S. A. Birkeland et al. [6] berichten für Schweden, Finnland, Norwegen und Dänemark etwas geringere Zahlen. Sie vermuten, „that a rate of around 20 is what can be achieved in a Western Population".
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lungsentscheidungen sind immer Wertentscheidungen. Diese zumindest auf den ersten Blick triviale Behauptung fuhrt allerdings bereits mitten ins Thema. Denn von ihrem Anspruch her sind die derzeit gebräuchlichen Kriterien der Organverteilung „medizinische", also gerade keine moralischen Kriterien.
2
Vom Otganpool zum Empfänger
Die Verteilung von Organen hat prozeduralen Charakter. Neben den die politischgesellschaftlichen Rahmenbedingungen vorgebenden Makroallokationsentscheidungen legen eine Reihe von Entscheidungen auf der Ebene der Mikroallokation fest, welche Patientin ein Organ erhält [10,S.387ff.]. Man kann grob drei verschiedene Entscheidungsstufen unterscheiden:8 Auf einer ersten Stufe werden systempolitische Entscheidungen getroffen, die den Rahmen für die Mikroallokationsentscheidungen der weiteren Stufen definieren. Diese Entscheidungsebene ist deshalb schwer zu charakterisieren, weil ein einheitlicher, klar definierter Akteur fehlt. Vielmehr wirken hier eine Reihe von Institutionen wie die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO), die Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Transplantationszentren usw. und individuellen Akteuren zusammen. Entscheidungen, die auf dieser Stufe getroffen werden, haben in erster Linie den Charakter eines expliziten (z.B. Transplantationskodex) oder impliziten Konsenses der scientific Community der Transplantationsmedizin. Sie sind so etwas wie die berühmte „herrschende Meinung" und betreffen die Frage der Anwendung personenbezogener und sozialer Kriterien für die Organvergabe ebenso wie die Frage allgemeiner Zulassungsbzw. Ausschlußregeln etwa im Hinblick auf das Alter möglicher Organempfängerinnen oder deren Herkunftsland. Auch der Status von Transplantationen (Routine vs. experimenteller Eingriff) und die Standards der Indikationsstellung zur Transplantation werden auf dieser Stufe (z.B. anläßlich wissenschaftlicher Tagungen und durch die Diskussion in der Literatur) geregelt. Eine zweite Entscheidungsstufe bzw. der zweite limitierende Faktor ist die ärztliche Überweisung an ein Transplantationszentrum, die Indikationsstellung zur Transplantation und die Aufnahme ins Transplantationsprogramm. Auch auf dieser Entscheidungsebene spielen Wertentscheidungen explizit oder implizit eine wichtige und irreduzible Rolle. Das liegt zum einen grundsätzlich an der besonderen Struktur ärztlichen Handelns bzw. der Medizin als einer praktischen Wisschenschaft: „Die Subjektivität des ärztlichen Erkenntnis-, Entscheidungs- und Handlungsprozesses, die Irreversibilität der Handlungen, die prinzipielle Unsicherheit des intendierten Handlungserfolges, vor allem aber, daß es der Arzt nicht mit Erkenntnis- und Handlungsofyi?/è/«», sondern mit Personen, mit selbstbestimmten Entscheidungs/«^?^» zu tun hat, machen", wie s
Vgl. zum folgenden insbesondere auch die ausführliche Studie von V. H. Schmidt [25]. Für die Situation in den USA: A. L. Caplan [8],
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Toellner darlegt, „ethische Normen (Maximen) zu konstitutiven Bestandteilen der ärztlichen Handlung" [30,S.177]. Die Anwendung von Organverteilungsregeln erlaubt (und erfordert [21]) zudem einen mehr oder minder großen Ermessensspielraum für die ärztliche Entscheidung, der etwa in lokalen, zentrumsspezifischen Unterschieden hinsichtlich des Umgangs mit Indikationen bzw. Kontraindikationen zur Transplantation, aber auch hinsichtlich nicht-medizinischer Ausschlußgründe wie dem Lebensalter oder dem Selbstverschulden einen Niederschlag findet [25,S.57]. Die Irreduzibilität normativer Implikationen ärztlichen Handelns bei der Indikation und Anmeldung zur Transplantation bzw. bei der Aufnahme ins Transplantationsprogramm hat freilich auch zur Folge, daß personenbezogene (insbes. zum Beispiel compliance) oder soziale Kriterien (wie der „soziale Wert" von Patientinnen und Patienten, ihr Alter oder ihre ethnische Zugehörigkeit usw.) für die Entscheidung eine Rolle spielen können. Daß bei einer Umfrage von Kilner [14] unter den ärztlichen Direktoren der Dialyse- und Transplantationszentren in den USA immerhin 43% der Befragten angaben, sie würden — unter der Bedingung zukünftiger Ressourcenknappheit — das Kriterium Zahlungsfähigkeit (Ability to pay) neben den an erster Stelle genannten „medizinischen" Kriterien berücksichtigen und sogar 56% der Befragten nach eigener Aussage das Kriterium des „sozialen Werts" (Sodai valué) der Patentinnen in die Vergabeentscheidung mit einbeziehen würden, macht deutlich, mit welchen Einstellungen, die auf dieser Entscheidungsebene unausgesprochen und in der Regel uneingestanden in die Entscheidung Eingang finden, man rechnen muß. Ein dritter Schritt bzw. ein dritter limitierender Faktor besteht in der Zuteilung der zur Verfügung stehenden Organressourcen an diejenigen Patientinnen, bei denen eine Indikation zur Transplantation vorliegt und die zur Transplantation angemeldet wurden. Hier handelt es sich, um noch einmal auf die Unterscheidung verschiedener Allokationsebenen zurückzukommen, um eine Entscheidung auf der oberen Ebene der Mikroallokation. Die hier diskutierten Vorschläge für Verteilungsmodi sind es, die in der öffentlichen aber auch der fachinternen Diskussion bis heute die größte Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben. Organisiert wird die Verteilung von Spendeorganen auf dieser Stufe bei uns durch die 1967 gegründete gemeinnützige Organisation Eurotransplant International Foundation im holländischen Leiden.9 Zu deren Einzugsgebiet gehören außer der Bundesrepublik Deutschland Belgien, Luxemburg, die Niederlande und Osterreich. Zu den Aufgaben von Tiurotransplant gehören neben der Auswahl der Organempfänger auch die wissenschaftliche Begleitung der Transplantationsmedizin (zum Beispiel durch eine Analyse der Transplantationsdaten) sowie Programme zur Verbesserung des „Angebotes" an Spendeorganen (etwa durch Information und Ausbildung des medizinischen Personals). Bei Euro transplant werden alle potentiellen Organempfängerinnen und -empfänger zur Transplantation angemeldet. Ebenso werden alle entnommenen Organe angemeldet. Die wichtigste
9
Vergleichbare Organisationen für andere europäische Länder sind z.B. Scandiatransplant (für die skandinavischen Länder) oder UK Transplant (für Großbritannien und Irland).
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Aufgabe von Eurotransplant besteht dann darin, Angebot und Nachfrage in ein irgendwie bestimmtes „optimales" Verhältnis zueinander zu setzten. Seit März 1996 folgt man in Leiden einem neuen Verteilungsmodus10. Ich werde mich bei der folgenden Darstellung der Einfachheit halber auf nur ein Organ, die Niere, beschränken. Das ist insofern mißlich, als die Eurotransplant-Regeln organspezifisch variieren. Das hängt u.a. damit zusammen, daß z.B. die Größe eines Spendeorgans im Fall der Niere eine weit geringere Rolle spielt als etwa beim Herzen, oder auch damit, daß die Ischämiezeiten organspezifisch variieren und folglich auch die Möglichkeiten medizinischer Voruntersuchungen wie der HLA-Typisierung11. Gründe für die Änderung des Allokationsschemas waren der hohe Prozentsatz an Nierenpatientinnen mit Wartezeiten von über 5 Jahren, die geringen Chancen für Patientinnen mit einem seltenen HLA-Phänotyp, ein Organ zu erhalten12 und die immer größer werdende Diskrepanz zwischen den „Organbilanzen" sowohl hinsichtlich verschiedener Transplantationszentren als auch verschiedener Länder im-Eurotransplantbereich.13 Der neue Verteilungsmodus versucht diesen Problemen dadurch Rechnung zu tragen, daß das alte Modell durch ein Punktesystem ersetzt wird, demzufolge alle Organe aus einem gemeinsamen Organpool verteilt werden sollen (s. Tab. 1).
Ebene
1:
Austauschpflicht
Z w a n g s a u s t a u s c h bei ( n ä h e r definierter) g r o ß e r H L A - Ü b e r e i n s t i m m u n g (und w e i t e r e n F a k t o r e n w i e B l u t g r u p p e n v e r t r ä g l i c h k e i t ) ; High Urgency Ebene
2:
patients-,
Allokations-Parameter:
1) H L A - K o m p a t i b i l i t ä t ( 4 ) 2) Nationale Organbilanz (2) 3) H L A - F r e q u e n z (1) 4 ) W a r t e z e i t (2) 5) Entfernung (2,6)
Tab. 1:
Die neuen Eurotransplant-Verteilungsregeln (vereinfacht); die in Klammern angegebenen Zahlen geben die Gewichtung an, mit der die Allokationsparameter in die Entscheidung einfließen.
10
11 12
13
Vgl. zum folgenden Meester [20]. Ursprünglich geht das neue Verfahren auf einen Vorschlag von T. Wujciak und G. Opelz [34] zurück. Vgl. auch V. H. Schmidt [25], S. 170ff. Bei Herz- und Lebertransplantationen z.B. spielt das HLA-Kriterium keine Rolle. Dies ist vermutlich darauf zurückzufuhren, daß, wie J. de Meesters [20] vorsichtig andeutet, das alte System „too much focused on HLA-matching". Inzwischen mehren sich Berichte, die die große Bedeutung des HLA-Kriteriums für den Transplantationserfolg in Frage stellen. Vgl. zum Beispiel H. U. Klehr et al. [15]. Sollte sich dies bestätigen, hätte das vor allem auch hinsichtlich der Auswahl an Lebendorganspenderinnen gravierende Folgen. Vgl. dazu P. I. Terasaki et al. [29]. Vgl. J. de Meester [20], S. 153. Deutschland gehört im Eurotransplant-Bereich zu den Organimporteuren. So wurden im Jahre 1995 in Deutschland 279 Organe mehr transplantiert als im selben Jahr entnommen werden konnten (H. Smit und W. Schoeppe [28]).
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Die weitgehende Zentrumsautonomie des alten Verteilungsmodells wurde damit aufgegeben. Statt dessen werden mit der neuen Regelung neue Allokationsfaktoren in die Entscheidung einbezogen: die Wahrscheinlichkeit eines HYA-mismatch aufgrund der Häufigkeit des HLA-Phänotyps einer möglichen Transplantatempfángerin, die nationale Organbilanz und die Entfernung zwischen dem Transplantationszentrum, das ein Spendeorgan anmeldet, und dem Transplantationszentrum, bei dem eine mögliche Transplantatempfángerin bzw. ein möglicher Transplantatempfánger angemeldet ist. Vor allem aber wird das alte System, das mögliche Empfängerinnen nach den Kriterien der Gewebeverträglichkeit, der medizinischen Dringlichkeit und der Wartezeit einstufte, aufgegeben zugunsten eines Punktesystems. Das neue Eurolransp/atil-Regehverk beinhaltet ausfuhrliche Regelungen, anhand derer den fünf genannten Allokationsparametern jeweils scores zugeordnet und diese gewichtet werden können. Mögliche Empfängerinnen werden dann hinsichtlich der erreichten aufsummierten Punktzahl eingestuft. Die neuen Regeln sind noch deutlicher als die alten Regeln von Wertentscheidungen abhängig [32,33]. Neben das Prinzip der individuellen Nutsgnmaximienmg, das mit der Betonung der Bedeutung der Histokompatibilität als Allokationsfaktor nachwievor eine zentrale Rolle spielt, wurde das Prinzip der Chancengleichheit durch die Aufnahme eines Allokationsfaktors verstärkt, der die Wahrscheinlichkeit eines HLAmismatch aufgrund der Häufigkeit des HLA-Phänotyps einer möglichen Transplanta temp fängerin berücksichtigt. Hinter dem Allokationsfaktor Entfernung zwischen Spenderinnen und Transplantationszentrum kann man eine Berücksichtigung des Prinzips der kollektiven Nut^enmaximierung im Sinne einer möglichst effektiven Ressourcenverwendung vermuten. Daß auch im neuen System soziale und personenbezogene Kriterien keine Rolle spielen, spricht wiederum für eine Berücksichtigung des Gleichheitsprin^ips. Uber das rationale, das hinter dem Allokationsparameter Nationale Organbilanz steht, kann man ebenfalls nur Vermutungen anstellen. Aller Wahrscheinlichkeit nach verdankt sich die Aufnahme dieses Faktors in die Entscheidung Überlegungen zur Stabilität des Gesamtsystems. Man darf annehmen, daß die „Organexporteure" im Eurotransplant-Bereich auf Dauer nicht bereit sind, die „Organimporteure" mitzuversorgen. Auch das neue Regelwerk ist damit Ergebnis einer moralischen „Mischlegitimation" (Wiesing). Die Allokationskriterien, nach denen Spendeorgane derzeit verteilt werden, sind, um ein kurzes Fazit zu ziehen, keine medizinischen Kriterien. Ihnen liegen vielmehr Wertentscheidungen unausgesprochen zugrunde. Sie sind daher wie alle Wertentscheidungen grundsätzlich kritisierbar und begründungspflichtig. Sie folgen darüber hinaus einer Vielzahl moralischer Prinzipien, die sich zum Teil einander widersprechen. Das liegt an der Art und Weise, wie diese Regeln zustande kommen: „In practice", schreibt Meesters ganz offen, „the (re-)design of an allocation system is made upon compromise solutions, which ultimately satisfy the vast majority of the transplant programs" [20,S.151]. Mit anderen Worten: Die ganze „Begründung" für den gegenwärtig praktizierten Verteilungsmodus verdankt sich einem pragmatischen Kompromiß der am Transplantationssystem Beteiligten. Dieser Umstand ist in zwei-
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fâcher Weise alles andere als befriedigend: Erstens scheint mir — gerade angesichts des geschilderten besonders hohen Legitimationsdruckes — ein Verteilungsmodus nötig zu sein, für den mehr spricht als ein pragmatischer Kompromiß. Zugespitzt: Wir wollen nicht nur ein Organverteilungsverfahren, das funktioniert, wir wollen eines, das auch gerecht ist. Zweitens ist unverständlich, mit welchem Recht die am Transplantationssystem Beteiligten die Regeln der Organverteilung fesdegen können und dürfen. Für Wertentscheidungen wie die vorliegende haben Medizinerinnen (und auch die anderen am Transplantationssystem beteiligten Wissenschaftlerinnen) offenkundig keine Spezialkompetenz. Zwar ist das Sachwissen der beteiligten Professionen für die Möglichkeit vernünftiger Entscheidungen sicher unverzichtbar - bei der Entscheidung selbst aber handelt es sich um eine dezidiert moralische oder politische Entscheidung, die man den Angehörigen der medizinischen Profession weder zumuten noch überlassen darf.
3
Alternative: Allokationskriterium prognostischer Lebensqualitäts-Surplus
Andere Verteilungsmodi wie formale Verfahren (Lotterie, Reihe) oder alternative inhaltliche Verteilungskriterien (sozialer Wert, Alter etc.) werden zwar gegenwärtig diskutiert, zumeist jedoch als moralisch unangemessen zurückgewiesen [16]. Ich möchte zum Abschluß dieser Überlegungen dennoch einen Vorschlag für ein alternatives, am prognostischen Lebensqualitäts-Surplus aus einer Transplantation orientiertes, Allkokationskriterium andeuten, das die angesprochenen Defizite des gegenwärtig praktizierten Verfahrens vermeidet. Lebensqualitätsbewertungen können eine Reihe von verschiedenen Aufgaben übernehmen [1], Mit ihrer Hilfe läßt sich die Effektivität medizinischer Interventionen bewerten, kann die Qualität und Nützlichkeit einzelner medizinischer Maßnahmen beurteilt werden oder können Entscheidungen hinsichtlich des Vorrangs konkurrierender medizinischer Therapien methodisch abgesichert werden. Zur Bewertung oder Messung der Lebensqualität stehen heute eine Vielzahl von Methoden und Verfahren, bislang jedoch kein allgemein akzeptiertes Instrument zur Verfügung [7;12;13;24]. Die Hoffnung, die sich mit Lebensqualitätsbewertungen hinsichtlich Allokationsentscheidungen verbindet, besteht darin, solche Entscheidungen mit ihrer Hilfe in einer Weise zu treffen, die möglichst effektiv ist (Maximierung¡), nach transparenten Kriterien erfolgt ( O f f e n l e g u n g ) und gerecht ist (Gerechtigkeit). Aufgrund seiner spezifischen normativ-deskriptiven Doppelfunktion kann das Konzept der Lebensqualität die doppelte Aufgabe eines einerseits maximal an den subjektiven Interessen der Patientinnen orientierten, andererseits aber gleichwohl operationalisierbaren Entscheidungskriteriums übernehmen. Der bei der Messung der Lebensqualität erhobene Wert gibt nicht einfach die rein subjektive Wahrnehmung oder Bewertung der eigenen Lebensqualität einer Patientin wieder. Diese wird vielmehr mit intersub-
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jektiven, sozialen Standards und „objektiven" Faktoren konfrontiert und an diesen gemessen. Der Vergleichsmaßstab für interpersonelle Lebensqualitätsvergleiche wird auf diese Weise nicht einfach naiv unterstellt, sondern im Gegenteil bewußt hergestellt. Dies geschieht etwa bei der Auswahl der Faktoren, die vom gewählten Meßinstrument berücksichtigt werden, oder bei der Frage, wie die unterschiedlichen Faktoren gewichtet werden. Damit fließt zweifellos und unausweichlich ein Willkürmoment in die Bewertung ein [19,S.37]. Entscheidend ist daher, ob es gelingt, das zugrundeliegende Instrument soweit „offen" zu halten, daß es die subjektiven Interessen der Patientin bestmöglich erfaßt, und zugleich „eng" genug, um operationabel zu sein. Wir brauchen, mit anderen Worten, so etwas wie einen reasonable person standard auch bezüglich der Lebensqualitätsbewertung. Einen Standard, der die Einstellungen, Gefühle oder Wahrnehmungen durchschnittlich vernünftiger oder repräsentativer Patientinnen reflektiert, im Gegensatz zu einem professional standard, der die Bewertung von Lebensqualität aus der Perspektive Dritter, oder einem subjective standard, der die Bewertung ausschließlich aus der Binnenperspektive der Patientinnen vornimmt. 14
1 0.8 -
0,8 · 0.6 •
0.4 -
0,4 •
0.2 -
0,2 · Patientin 1
0 Patientin 1
Abb. 1 :
Patientin 2
Q L Q ante
Patientin 3
Allokationskriterium prognostische
Abb. 2:
postoperative Lebensqualität.
Patientin 2
CILQ post
Mprogn.
Patientin 3 LQ-Surpius
Allokationskriterium prognostischer Lebensqualitäts-Surplus.
Hinsichtlich des Lebensqualitätskriteriums als eines Allkokationskriteriums für Spendeorgane bedeutsam ist der gewählte Bezugspunkt der hebensqualitätsbewertung Erhebungen zur Lebensqualität können sich entweder (1) auf die aktuelle Lebensqualität einer Patientin vor einer medizinischen Intervention beziehen, (2) auf die Lebensqualität einer Patientin bzw. eines Patienten nach erfolgtem Eingriff 15 (s. Abb. 1) oder (3)
14
D i e Unterscheidung zwischen professional, subjective und reasonable person Standard entstammt der Diskussion um den U m f a n g der Aufkiärungspflicht für einen informed consent. Vgl. etwa T . L. Beauchamp, J . F. Childress [5], S 87ff.
15
Berücksichtigt werden muß dabei u.a. die Erfahrung, daß viele Patientinnen und Patienten in der frühen postoperativen Zeit — etwa nach einer Herztransplantation — Glücksgefuhle und euphorische Zustände erleben, die nach einige* Zeit jedoch einer realistischeren Situationswahmehmung Platz machen. Vgl. G . D r e e s et al. [9].
124
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auf den durch die Intervention bedingten Surplus an Lebensqualität (Differenz zwischen post- und präoperativer Lebensqualität, s. Abb. 2). Als Allokationskriterien kommen vor allem Prognosen über die beiden zuletzt genannten Bezugspunkte in Betracht. Die beiden Kriterien einer prognostischen postoperativen Lebensqualität einerseits und eines prognostischen Lebensqualitäts-Surplus aus der Transplantation andererseits unterscheiden sich hinsichtlich ihrer moralischen Implikationen in bedeutsamer Weise. Während das Allokationskriterium einer prognostischen postoperativen Lebensqualität den absoluten Wert mißt, den eine Patientin ihrem Leben prognostisch zuschreibt, ist für das Kriterium des prognostischen Lebensqualitäts-Surplus ausschließlich der Zugewinn an Nutzen ausschlaggebend, den eine Patientin aus der Transplantation voraussichtlich ziehen wird. Den Gebrauch des Lebensqualitätskonzeptes ausschließlich auf den prognostischen Nutzen zu beschränken, den eine Patientin aus der Transplantation eines Organes ziehen kann, depotenziert die Kritik, mit der Anwendung des Konzeptes von Lebensqualitätsbewertungen würden Patientinnen prinzipiell verrechenbar und ersetzbar gemacht, noch einmal. Der prognostizierte absolute Wert der Lebensqualität der Patientin nach der Transplantation spielt für die Allokationsentscheidung damit ebensowenig eine Rolle wie die gemessene präoperative Lebensqualität einer potentiellen Transplantatempfängerin. Folgt man dem Allokationkriterium prognostischer Lebensqualitäts-Surplus (s. Abb. 2), dann erhält weder unbedingt diejenige Patientin das Organ, für den der höchste postoperative Wert an Lebensqualität prognostiziert wird (Patientin 2), noch diejenige, die den höchsten präoperativen Lebenswert mitbringt (Patientin 1). Die Wahl des Allokationskriteriums prognostischer Lebensqualitäts-Surplus hat damit, und das scheint mir entscheidend, den Vorteil, daß sie, anders als das alternative Kriterium, soziale Diskriminierung weitgehend ausschließt. Auch das Kriterium der prognostischen postoperativen Lebensqualität ist zwar nicht perse diskriminierend; je mehr allerdings „objektive", z.B. medizinische Faktoren in die Lebensqualitätsbewertung einfließen, um so größer wird die Gefahr, daß dieses Kriterium de facto diskriminierend wirken könnte. Ein Allokationskriterium, das sich an der Lebensqualität orientiert, hat eine Reihe von Vorzügen, deren erster darin besteht, daß es gerechtigkeitstheoretisch fundiert ist und ein einfaches Kriterium in dem Sinne, daß es nur ein moralisches Prinzip erforderlich macht und nicht, wie der geschilderte derzeit praktizierte Verteilungsmodus, verschiedene, womöglich sich sogar wechselseitig widersprechende Prinzipien miteinander vermischt. Auf diese Weise lassen sich „willkürliche" Kriterien ausschließen. Wir können Gründe dafür geltend machen, warum wir gerade dieses Kriterium für gerecht halten und können mögliche andere Kriterien fundiert kritisieren. Ein weiterer Vorzug eines Lebensqualitäts-basierten Allokationskriteriums besteht darin, daß es die Interessen der Betroffenen in hervorragender Weise zur Geltung bringt und damit auch an die zentralen (medizin)ethischen Prinzipien der Selbstbestimmung bzw. der Autonomie anschließen kann. Dies stellt an das methodische Instrument, mit dem die Lebensqualität der Patientinnen erhoben werden soll, allerdings — wie angedeutet — erhebliche Anforderung. Ein dritter Vorzug eines solchen Allokationskriteriums liegt schließlich
Objektiv, transparent, gerecht?
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darin, daß es der lebensweltlichen Komplexität der Organallokationsentscheidung angemessen ist. Das Lebensqualitätskriterium ist kein „eindimensionales" Kriterium. Im Gegenteil: als multifaktorielles Konzept sollen im Kriterium der Lebensqualität gerade eine Vielzahl unterschiedlicher, heterogener und verschiedenen Bereichen entstammenden Faktoren zusammengefaßt werden. Liest man die eingangs zitierten, von Feuerstein aufgelisteten, Anforderungen an die Kriterien der Organverteilung als eine Art von „Adäquatheitsbedingungen" für ein wohlbegründetes Allokationskriterium, dann scheint mir das Organallokationskriterium des prognostischen Lebensqualitäts-Surplus ein aussichtsreicher Kandidat: Es ist nicht in einem strikten Sinne „objektiv". Dasselbe gilt allerdings für jedes alternative Kriterium bzw. für jedes alternative set von Kriterien. Durch seine Orientierung an den Interessen der betroffenen Patientinnen mutet es diesen jedoch weit weniger an „fremden" Gesichtspunkten zu und kommt damit einer Forderung von Objektivität im Sinne von intersubjektiver Geltung wesentlich näher als etwa die gegenwärtige Praxis. Es ist rational in dem Sinne, daß es seine Begründung im Rahmen gerechtigkeitstheoretischer Überlegungen findet, und nicht, wie die gegenwärtige Praxis, aus einem mehr oder minder zufälligen - pragmatischen Konsens zieht. Es ist schließlich transparent, da es nur ein Kriterium favorisiert und die Vergleichsmaßstäbe, die zur Erhebung von Lebensqualitätsbewertungen vonnöten sind, diskursiv zugänglich sind und offengelegt werden können. Schließlich ist ein Allokationskriterium prognstischer Lebensqualitäts-Surplus, wie gezeigt, auch nicht diskriminierend. Ob es dazu geeignet ist, allgemeine Anerkennung zu finden, kann hier nicht entschieden werden.
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Niereniebendspende Eine Alternative zur Verminderung des Organmangels? Kai Lopau, Ekkebart Heidbreder, Christoph Wanner
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Einleitung
Die Transplantationsmedizin und insbesondere die Nierentransplantation hat sich in den vergangenen drei Jahrzehnten in vielen Ländern als Standardverfahren etabliert. Dies führte dazu, daß bei nahezu konstantem Aufkommen an Spenderorganen von Verstorbenen für zunehmend mehr Patienten die Indikation zur Transplantation gestellt wurde. In Deutschland wurden zuletzt circa 4000 Patienten pro Jahr auf eine Nierenwarteliste aufgenommen, es wurden jedoch nur um die 2000 Transplantationen jährlich durchgeführt, so daß die Patienten nunmehr im Mittel über drei Jahre auf ein passendes Spenderorgan warten müssen. Auch neu eingeführte Verteilungssysteme wie zum Beispiel der XComb-Algorithmus von Eurotransplant können nur eine gewisse Allokationsgerechtigkeit herstellen, vermindern die mittlere Wartezeit allerdings nur insignifikant. In Deutschland konnte sich die Lebendnierenübertragung bis 1995 nicht als anerkanntes Verfahren der Nierenersatztherapie durchsetzen. Wurden in Norwegen 30 bis 50%, in den USA ein Viertel aller Nierentransplantationen mit Spenderorganen von Lebenden durchgeführt, so betrug diese Rate in der Bundesrepublik noch 1994 nur 2%. Während in Deutschland die Probleme der Nierenspende (Risiko der Schädigung des Spenders, Möglichkeit der nichtfreiwilligen Spende oder des Mißbrauchs im Sinne eines Organhandels) betont wurden, war man in den skandinavischen Ländern (aufgrund der nicht überall flächendeckend vorhandenen Dialysemöglichkeiten) und in den USA (aufgrund des oftmals inadäquaten Versicherungsschutzes großer Anteile der chronisch nierenkranken Patienten) gezwungen, die Lebendspende als weiteres Verfahren optional anzubieten. Erst der zunehmende Organmangel sowie die Veröffentlichung der exzellenten Langzeitüberlebensdaten sowohl von Spendern [6] und Empfängern [4] als auch der Transplantate [8] in den letzten Jahren führten dazu, daß sich immer mehr deutsche Zentren erneut mit der Lebendnierenspende auseinandersetzten. Beschränkte man sich in früheren Jahren vor allem auf blutsverwandte Spen-
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der mit einer hohen Chance an Übereinstimmungen im HLA-System, so zeigten Terasaki et al. [8], daß auch die Nierenübertragung zwischen Nichtverwandten (sogenannte „emotional Verwandte") zu hervorragenden Langzeitergebnissen fuhren kann, so daß die Blutsverwandtschaft nicht mehr zu den Forderungen der Zentren zählt. Wenn auch das Problem des Mangels an Spenderorganen durch die Lebendnierentransplantation alleine nicht zu lösen ist, so bietet dieses Verfahren potentiell doch die Möglichkeit, mindestens einem Fünftel der Patienten ohne längere Wartezeit zu helfen. Allerdings müssen angesichts des vorhandenen Risikos vor allem für den Spender strenge Maßstäbe für Indikation und Kontraindikationen angewendet werden. Die Mortalität des Spenders wird nach großen Querschnittsuntersuchungen bei 0,01 bis 0,3%o angesiedelt [6;7;10], die Komplikationsraten nach Donornephrektomie betragen 10 bis 20%. Zu Letzteren zählen vor allem Hämatome und Wundinfektionen, Harnwegsinfekte, transfusionspflichtige Blutverluste, Pneumonien und Pneumothoraces [2],
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Rechtliche Aspekte der Lebendnierenspende in Deutschland
Das neue bundesdeutsche Transplantationsgesetz, welches am 25. Juni 1997 im Bundestag verabschiedet wurde, sieht für die Durchführung einer Lebendnierenspende folgende Rahmenbedingugen vor [3]: Der Spender muß volljährig und einwilligungsfähig sein. Durch die Spende dürfen Leben und Gesundheit nicht über das Operationsrisiko hinaus beeinträchtigt werden. Als Spender kommen erst- und zweitgradige Verwandte, Ehegatten und Verlobte sowie dem Spender persönlich und sittlich besonders verbundene Personen in Frage. Der Spender muß im Beisein eines an Organentnahme und -vergäbe unbeteiligten zweiten Arztes aufgeklärt werden, dieses sowie die Einwilligung müssen schriftlich protokolliert werden und können jederzeit widerrufen werden. Der Spender muß sich zur ärztlichen Nachbetreuung verpflichten. Eine Kommission der Landesärztekammern muß gutachterlich zur Frage der Freiwilligkeit sowie dem Problem des möglichen Organhandels Stellung genommen haben. Bis zum Zeitpunkt der Organentnahme darf kein Organ eines verstorbenen Spenders zur Verfügung gestanden haben. Nach Verabschiedung des Gesetzes im Bundesrat werden erstmals allgemeingültige Richtlinien die Durchführung von Lebendnierenspenden regulieren. Für die trans-
Niereniebendspende
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plantierenden Zentren werden vor allem die neu eingeführten, zentrumsunabhängigen Kommissionen die größte Änderung darstellen. Die Lebendspende wird weiterhin unter den allgemeinen Grundsätzen des Strafrechts behandelt, wonach auch ein geglückter Eingriff den Tatbestand der Körperverletzung erfüllt, der nur durch eine „wirksame und kundgegebene Einwilligung" [5] gerechtfertigt werden kann. Die Einwilligung muß frei von Willensmängeln sein, darf also nicht durch Gewalt, Drohungen oder Täuschung erwirkt worden sein. Der potentielle Organspender ist von einem beteiligten Arzt vor der Erteilung der Einwilligung umfassend über die Art und den Umfang des Eingriffs, über die unmittelbaren und mittelbaren Folgen für Gesundheit und Leben von Spender und Empfänger sowie über Erfolg und Mißerfolg der geplanten Transpantation aufzuklären, künftig auch im Beisein eines unbeteiligten Arztes. Schließlich müssen Aufklärung und Einwilligung vom Spender sowie beiden Ärzten unterzeichnet werden. Die den Landesärztekammern angeschlossenen Kommissionen sollen einen weiteren „Sicherungsriegel" zum Schutz des potentiellen Lebendspenders bilden. Ihnen sollen jeweils ein unabhängiger Arzt, ein zum Richteramt Befähigter sowie eine in psychologischen Fragen erfahrene Person angehören. Die Kommissionen verfügen allerdings nicht über ein Vetorecht und sollen nicht dazu dienen, die letztendliche Entscheidung über die Durchführung der Transplantation von den Zentren auf ein externes Gremium zu verlagern. Vielmehr verbleibt auch weiterhin die Verantwortung für jede einzelne Organübertragung von Lebenden bei den Ärzten der einzelnen Transplantationszentren. Weiterhin nicht geregelt sind allerdings viele versicherungsrechtliche Fragen im Zusammenhang mit der Lebendnierenspende. Die Kosten für die medizinischpsychologische Abklärung der Spende-Eignung sowie des stationären Krankenhausaufenthalts zur Nephrektomie sind nach einem Urteil des Bundessozialgerichts von 1972 „als Nebenleistung zu der dem Empfänger zu gewährenden Krankenhilfe von dessen Krankenkasse zu tragen." [9] Über diese Absicherung der Krankenhauskosten sowie der unmittelbaren operationsbedingten Folgekosten hinaus ist der Spender jedoch versicherungsrechtlich nicht weiter geschützt. Die Frage der Relevanz einer Lebendnierenspende und ihrer möglichen Folgen auf die versicherten Risiken einer Lebens· oder Unfallversicherung ist bisher nicht geklärt. Hierauf ist der Spender im Rahmen der Aufklärung hinzuweisen. Ob ein Lebendorganspender postoperativ besonders abgesichert werden sollte, zum Beispiel über eine Berufsunfähigkeitsversicherung, ist ebenfalls ungeklärt, befürchten doch Kritiker, sich hierdurch schon in die Nähe der Organspende gegen Kompensation zu begeben.
3
Die psychologische Abklärung zu Beginn einer Spenderevaluation
In nahezu allen Transplantationszentren, welche Lebendnierenspenden zulassen, wird nach der Prüfung, ob Kontraindikationen gegen eine Organübertragung (s. Tab. 1)
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vorliegen, und vor der medizinischen Abklärung der Spendeeignung eine vom Zentrum unabhängige psychologisch-soziale Begutachtung durchgeführt. Hierbei sollen vor allem die Freiwilligkeit einer Entscheidung zur Organspende sowie die sozialen Interaktionen zwischen Spender und Empfänger sowie weiteren Familienangehörigen geprüft werden. Im Zentrum Würzburg wird zu Beginn jeder Evaluierung mittels Fragebögen geklärt, ob bei einem der beiden Partner eine grundsätzliche psychologische Kontraindikation, also eine kognitive oder psychopathologische Beeinträchtigung vorliegt, welche die Einsichtsfähigkeit in Frage stellt. In Einzel- und Paargesprächen werden Spender und Empfänger dann über die möglichen Komplikationen informiert (Morbidität und Mortalität von Spender und Empfänger, Möglichkeit der Abstoßung des Organs, Organverlust über kurze und lange Sicht, erneute Dialysepflicht) und auf die Folgen einer jeden Situation für sich selbst, den Partner und auch andere Personen im persönlichen Umfeld aufmerksam gemacht. Während der Gespräche wird versucht, die Motivation für die geplante Organspende abzuklären, um auszuschließen, daß in irgendeiner Weise Zwang auf Spender oder Empfänger ausgeübt wurde oder wird, dieser Art der Transplantation zuzustimmen, aber auch, um eventuelle (z.B. finanzielle) Kompensationen als Auslöser für die Entscheidung zur Spende zu erhellen. Nach Abschluß der Gespräche (Dauer, Art und Umfang dieses Teils der Spenderevaluierung sind bewußt nicht standardisiert worden) beurteilt der Gutachter, ob seiner Meinung Bedenken gegen die Durchführung einer Lebendspende zwischen den evaluierten Partnern vorliegt, ihm kommt hierbei ein Vetorecht zu. A)
Blutgruppen-Inkompatibilität im ABO-System
B)
Positiver Crossmatch
C) Alter < 18 Jahren und > 65 Jahren (obere Grenze relative Kontraindikation, relevant ist vor allem das ausreichende „Dosieren" der Menge an funktionsfähigem Nierenparenchym) D)
Psychologisch: Anhalte für eine Erkrankung, die die Einsichts- und Urteilsfähigkeit beeinträchtigt; Verdacht der erzwungenen Spende, Verdacht finanzieller Kompensationen
E)
Nephrologisch: Arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus (auch latent), glomeruläre Filtrationsrate < 100 ml/min, Mikrohämaturie, Proteinurie > 2 5 0 mg / die
F)
Urologisch: Rezidivierende Pyelonephritiden, anatomische und Lageanomalien der Nieren, Lithiasis der ableitenden Harnwege
G) Chronische Erkrankungen aller Art
Tab. 1:
Kontraindikationen für die Durchführung einer Lebendnierenspende
Niereniebendspende
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Die medizinische Abklärung des Spenders
Stehen sowohl Spender als auch Empfanger nach Beendigung der psychologischen Evaluierung weiterhin zu ihrem Entschluß, wird mit der speziellen internistischurologischen Abklärung begonnen. Manche Zentren praktizieren dies im Rahmen eines einwöchigen stationären Aufenthalts, andere fuhren nur die invasiven Untersuchungen im Rahmen einer Tagesklinik durch. Die Abklärung beinhaltet die Erhebung einer ausführlichen Anamnese, eine genaue körperliche Untersuchung, die Bestimmung aller relevanten Laborparameter (Infektionsauschluß, Glucose- und Fettstoffwechsel, mehrfach Urinsediment und Proteinurie, immunologische Parameter zum Beispiel bei Empfängern mit Systemischem Lupus Erythematodes, Wegenerscher Granulomatose u.ä., Schwangerschaftstest) und die Durchführung einer HLA-Typisierung des Spenders. An apparativen Untersuchungen schließt sich die kardiologisch-pulmonologische Abklärung zur Beurteilung der OP-Fähigkeit (mittels E K G , Ergometrie, Echokardiographie, 24-Stunden-Blutdruckmessung und Lungenfunktionsanalyse), ein abdomineller Ultraschall, eine farbkodierte Duplexsonographie der Halsgefäße sowie eine ophtalmologische Untersuchung mit Funduskopie an. Die Nierenfunktion wird szintigraphisch durch die seitengetrennte Tc-DTPA-Clearance bestimmt. Nur wenn alle Untersuchungen keine Beeinträchtigung der Organfunktionen des Spenders aufgezeigt haben, wird schließlich eine intraarterielle Angiographie der Nierengefäße durchgeführt, hier werden die Gefäßversorgung beider Nieren sowie etwaige Normvarianten geprüft, hierdurch erfolgt auch die Seitenauswahl der späteren Donor-Nephrektomie. Von urologischer Seite werden mittels intravenöser Pyelographie und Sonographie die Nieren sowie die ableitenden Harnwege beurteilt. Abschließend wird interdisziplinär im Konsens die Eignung zur Lebendnierenspende beurteilt.
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Zusammenfassung
Aufgrund des weiterhin starken Mangels an Spenderorganen von Verstorbenen wird auch in Deutschland zunehmend die Lebendorganübertragung zwischen sich besonders nahestehenden Personen propagiert. Diese stellt, insbesondere aufgrund der hervorragenden Langzeitergebnisse für Patienten- und Transplantatüberleben, eine vor allem die Wartezeit drastisch verkürzende Alternative dar. Über jeden Zweifel sichergestellt werden muß die Freiwilligkeit des Entschlusses zur Organspende sowie das Fehlen finanzieller Interessen im Zusammenhang mit dem Eingriff, einzige Motivation für die Spende darf nur Nächstenliebe sein. Angesichts der Mortalität bei DonorNephrektomien und der nicht zu vernachlässigenden Morbidität muß die Eignung für
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eine Lebendnierenspende weiterhin von internistischer und operativer Seite genau überprüft werden.
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Psychische Belastungen von Organempfängern Gedanken zur Transplantation Sibylle Storkebaum
Gar nicht so selten wird in der Hektik des Klinikalltags vergessen, daß Patienten Menschen sind, die eine Seele haben. Daß sie nicht nur aus Knochen und Organen bestehen, die man beliebig zersägen, beschneiden und neu zusammenfügen kann, sondern daß sie lebende Wesen sind, die denken und fühlen, die Schmerzen empfinden, die Angst haben vor Operationen und ihren Folgen, die oft gezeichnet sind von jahrelangem Leiden und problematischen Erfahrungen mit den Beschäftigten im Gesundheitswesen. Ich betreue seit ein paar Jahren als Mitarbeiterin des Instituts für Psychosomatik die Transplantationspatienten des Klinikums rechts der Isar der Technischen Universität München und im Deutschen Herzzentrum; ich spreche mit ihnen vor der Operation und bin auch später stets als Gesprächspartnerin verfügbar. Die psychischen Probleme sind bei Männern und Frauen in ihrer Essenz gleich, auch Alter und Bildungsstand spielen meiner Beobachtung zufolge keine große Rolle. Bis auf wenige Infarkt- und Multiorganversagens-Patienten sind die meisten Transplantationspatienten chronisch krank. Durch das jahrelange Leiden haben sich ihre persönlichen, beruflichen und familiären Strukturen sehr verändert, viele mußten die Arbeit aufgeben oder, etwa wegen der Dialyse, stark reduzieren, nicht wenige Ehen zerbrechen an der Belastung, durch die Krankheit werden freundschaftliche Kontakte sehr erschwert. Schmerzen, die Konfrontation mit dem möglicherweise bevorstehenden Tod, das Hadern mit dem eigenen, unerklärlichen Schicksal und die stark nachlassende Leistungsfähigkeit treiben viele Patienten in Depression und Angstzustände. Männer und Frauen mit äthyltoxischer, also durch Alkoholmißbrauch verursachter Leberzirrhose spüren Schuldgefühle, die oft durch das oft wenig versteckt anklagende Verhalten von Ärzten und Kollegen noch verstärkt werden. In diesem Seelenzustand werden die vorbereitenden Untersuchungen und auch die psychologischen Gespräche geführt - keine leichte Aufgabe für die Patienten. Ich überzeuge alle davon, daß sie sich unbedingt selbst entscheiden müssen. Wollen sie, sie selbst, transplantiert werden? Oder folgen sie nur krafdos dem Rat der Ärzte, dem Wunsch der liebenden Nächsten? Aus Erfahrung weiß ich, daß nur die aktive, mit voller Überzeugung getroffene Entscheidung spätere mögliche und ja auch nicht ganz seltene Komplikationen erträg-
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Sibylle Storkebaum
lieh macht. Wer die Verantwortung für seine Gesundheit übernommen hat, wird sich mit allen Folgekonflikten leichter tun. Ich höre oft das Argument: „Ich habe ja keine Wahl!" Das halte ich für falsch. Nicht für jeden ist die angebotene zweite Chance im Leben wirklich eine Chance, und der Tod kann durchaus ein willkommener Freund sein. Dies besprechen wir ausführlich, fast alle Patienten haben sich danach bisher für die Transplantation entschlossen, und ich glaube, keiner von ihnen hat es bereut. Andersherum gesagt: Ich habe häufig mit einem jungen Mann gesprochen, der im Leberkoma mit einer Knollenblätterpikvergiftung in die Kinik gebracht und transplantiert wurde. Es geht ihm heute körperlich sehr gut, aber er ist schwer depressiv, weil er meint, er habe keine Chance gehabt, sich zu entscheiden. Als er erwachte, lebte er zwar — aber er hatte sich nicht seelisch auf seinen neuen Zustand als Mensch mit einer neuen Leber vorbereiten können. Ein sehr ernst zu nehmender Konflikt. Ich ermutige auch immer wieder zum Nachdenken über die Ziele im kommenden Leben mit dem neuen Organ. Die langen, oft schlaflosen Tage und Nächte lassen viel Zeit zum Grübeln, sie sollte möglichst produktiv genutzt werden. Wer sich vorstellen kann, wie es weitergeht, was anders werden soll, wohin der Lebensweg fuhren wird, entwickelt Optimismus und positives Denken, Aktivität und Freude am Leben. Diese Patienten können die zweite Chance im Leben nutzen, sie werden kaum „wandelnde Krankenscheine" bleiben, denen jeder Tag mit dem neuen Organ zur Belastung wird. Daß die Beschäftigungslage heute viele Patienten gegen ihren Willen aus der Gruppe der aktiven Menschen herauswirft, steht auf einem anderen Blatt. Das ist leider eine Problematik, der wir im Krankenhaus nur schwer beikommen können. Wir versuchen es allerdings, wo immer wir können, mit Attesten, Beratungen oder klaren Einmischungen. Aber zurück zur Zeit vor dem Eingriff. Transplantationskandidaten müssen sich mit dem Gedanken befreunden, daß sie z.B. die Leber eines Menschen bekommen, der auf meist tragische Weise, etwa durch einen Unfall, ums Leben kam. Sehr häufig höre ich in den Vorgesprächen von Patienten: „Es ist mir sehr unbehaglich bei dem Gedanken, daß jemand für mich sterben muß." Ich frage dann meist zurück: „Muß jemand für Sie sterben? Sagt jemand zu Ihnen, ich sterbe jetzt, damit Sie eine neue Leber bekommen, damit Sie weiterleben können!?" So pointiert formuliert wird jedem klar, daß es so nicht ist. Zwei Schicksale haben einen gemeinsamen Punkt, zwei Leben treffen sich in diesem Punkt. Des einen Menschen Schicksal ist es, zu sterben, das des anderen, weiterzuleben. Wir Menschen wissen nicht, weshalb es so ist, die Frage „Warum ich?" läßt sich in dieser Dimension nicht beantworten. Zu den Depressionen, die durch langes Kranksein entstehen, kommen bei Organempfängern oft unbewußte Schuldgefühle. War der Spender wirklich tot? Presse und Fernsehen schüren leider solche Gefühle, die ja mit Angst um die eigene Unversehrtheit viel zu tun haben, in oft unverantwortlicher Weise. Ich wollte gerne eine eigene Meinung zum Hirntod haben und bin während der Recherchen zu meinem Buch über Organtransplantation [1] mit dem Neurologen Professor Angstwurm zu einer
Psychische Belastungen
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Hirntoddiagnostik gegangen. Seitdem habe ich keine Zweifel mehr, daß der potentielle Organspender wirklich irreversibel hirntot ist, was zu beweisen ist, bevor der Totenschein ausgestellt wird. Ich finde aber, daß es der Respekt vor der Würde des Todes gebietet, daß sich jeder Mensch selbst entscheidet. Findet er, daß körperliches vom seelischen Sterben zu trennen ist? Kann er sich vorstellen, bei einem Tod, der nach unserer Meinung ein Tod zur Unzeit ist, durch eine Freigabe seiner Organe anderen Menschen zum Weiterleben zu verhelfen? Ich glaube, jeder kann sich seine Meinung bilden und sollte das tun, schon in der Schule oder in der Fahrschule. Aufklärung über biologische und ethische Hintergründe des Hirntods sollte Pflicht werden, und gesetzlich verankert sein. Ich werde, je länger ich mit diesen Fragen von Leben und Tod zu tun habe, immer bescheidener. Wie Goethes Faust könnte ich sagen, ich weiß, daß wir es nicht wissen können, sondern daß wir versuchen müssen, mit unserem Schicksal zu leben. So gesehen ist ein neues Organ ein Geschenk, und wer es erhält, kann versuchen, auf anderer Ebene mit dem Schenkenden, den er in diesem Leben nicht kennenlernen wird, Kontakt aufzunehmen, um seine große Dankbarkeit wenigstens abstrakt loszuwerden. Viele Patienten haben mir erzählt, daß das sehr gut geht, daß sie sich eine Person vorgestellt, sogar mit Namen versehen haben. Solchen Spendern kann man gut begegnen. Ein, leider von den meisten Kliniken vernachlässigter, wichtiger Problempunkt ist der Abschied vom eigenen Organ. D a der menschliche Körper eben nicht einem Motor vergleichbar ist, einem Ersatzteillager, aus dem man ohne Mühe einfach Teile herausnehmen und durch andere ersetzen kann, bedeutet es jedem Menschen etwas, wenn er sich von einem Stück seiner selbst trennen muß, das immer bei ihm war, mit ihm gewachsen ist, ihm solchen Kummer und womöglich auch Schmerzen verursacht hat. Gerade Herztranplantationspatienten haben ja einen gemeinsamen, physisch spürbaren Kampf mit dem Herzen ums Uberleben des ganzen Menschen geführt. Ich denke, es ist ein kleiner Tod, der fürs Überleben des Ganzen nicht vermeidbar ist. Die Frage, was mit der alten Leber, dem alten Herzen geschieht, wird oft gestellt, und manche beruhigt es, wenn ich sage, sie werden untersucht und danach kremiert. Vielleicht sollte man aber in Arztekreisen ernsthaft einmal überlegen, ob es nicht pietätvollere Abschiedsmöglichkeiten gibt. Menschen mit der Aussicht auf eine Transplantation des Herzens erleben nach meiner Erfahrung übrigens diese Problematik wie auch ihr Siechtum am stärksten in der körperlichen Dimension. Sie können — oder müssen — jeden Moment ihres Lebens nachhorchen, ob da Rhythmusstörungen auftauchen, Schmerzen, ob das Herz anders schlägt als vorher etc. Menschen mit funktionsuntüchtigen Lungen scheinen oft ihr Überlebensringen nach außen zu verlagern, denken an Depressionen, erleben starke Panik, deren Entstehung sie nicht unbedingt mit dem erschwerten Atemholen in Verbindung bringen können. Die Leber spüren ja die wenigsten Zirrhotiker, sie werden eher vom durch Aszites angeschwollenen Bauch beschäftigt, bei Nierentransplatationspatienten ist der Focus auf das Organ durch die gesamtkörperliche Beanspruchung an der Dialyse weitgehend vernachlässigt.
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Sehl belastend ist für die meisten Patienten auch die häufig monatelange Wartezeit. Wer immer mit dem Telefon oder dem Europiepser oder im Krankenhaus leben muß, gar mehrere fehlschlagende Einberufungen in die Klinik erlebt, hat ein dünnes Nervenkorsett. Es entstehen gefährliche Phantasien über Intensivstation und Operation, die ich oft aufzulösen versuche, indem ich Patienten an die Quelle heranführe, etwa sie mitnehme auf die Intensivstation. Solch konkrete Konfrontation mit der ominösen und realen Bedrohung wirkt angstreduzierend. Der Umgang mit der vitalen Angst, der Angst um das eigene einmalige, kostbare Leben, ist eine große Herausforderung für Patienten und Betreuer. Wer sagt, er habe keine Angst vor der Operation, erregt meine besondere Aufmerksamkeit: Das sagen eigentlich nur Menschen mit hohem Angstpegel und starker Verdrängung. Wenn es nicht gelingt, diese Angst rechtzeitig zu lösen und in ihren realen Aspekten dem Patienten bewußt zu machen, ist postoperativ mit hinderlichen Depressionen, sozusagen einem Nachholen der bewußten Angsterlebnisse, zu rechnen. Das verzögert die Heilung und kann Abstoßungsreaktionen durch psychische Komplikationen erschweren. Die Qualität und die Inhalte der Angst ändern sich nach der Transplantation: Wird mein neues Organ durchhalten? Wie lang? Werde ich eine Abstoßung rechtzeitig bemerken? Falle ich nicht allen Menschen meiner Umgebung zur Last? Die Angst um die Zuneigung der Freunde und Familienmitglieder, die Angst um den Arbeitsplatz und die oft sehr wenig einfühlsamen Reaktionen der Umwelt führen oft zu Verstörtheit und dem Gefühl, in einer anderen Welt zu leben. Zu bewähren scheint sich die Ermutigung, als kundiger Transplantierter ein gutes Aufklärungswerk zu leisten, beispielhaft und geduldig immer wieder zu erläutern, was eigentlich Sache ist. Nach einer Transplantation kommt es häufig zu Komplikationen. Der geschwächte Körper, die geplagte Psyche meinen manchmal, es gehe nun nicht mehr, es sei zuviel der Anstrengung. Aber Kraft hat man nicht in einem großen Topf und ausreichend fürs ganze Leben, Kraft muß man immer wieder neu bilden. Jede überwundene Komplikation bringt ein Erfolgserlebnis, ein neues Aufladen der Batterie. Alpträume nach der Transplantation kommen häufig vor, sie scheinen mir nicht unbedingt nur ein schlechtes Zeichen zu sein. Denn langsam kann die Seele ihre so lange aus gutem Grund versiegelten Ängste vor dem Tod, vor dem Mißlingen der Operation, vor schlimmen Schmerzen freigeben; die oft sehr erschreckenden Bilder der Träume geben Hinweise darauf. Und wenn wir in der Lage sind, unsere Ängste wieder zu empfinden, uns mit ihnen zu konfrontieren, dann ist ein großer Schritt in Richtung Überleben und gesund werden getan. Nicht zu gering sollten Ärzte die Probleme einstufen, die durch den Versehrten, aufgeschnittenen Körper entstehen. Die somatische Integrität, die lange gehütete Sicherheit der Unverletzlichkeit, sind dahin. Und nicht jeder kann seine Narben mit Trophäen, mit sichtbaren Zeichen eines bestandenen Kampfes gegen Krankheit und Tod, gleichsetzen. Viele Patienten kämpfen auch, ohne es zu bemerken, mit der Angst, zu Hause unbeschützt zu sein. Das kann durchaus auch bei Menschen geschehen, die schon lange darauf gedrängt haben, endassen zu werden. Es kommt nicht gerade selten vor, daß sie noch am Tag vor der anstehenden Endassung neue somatische
Psychische Belastungen
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Probleme entwickeln, bis zur schweren Lungenentzündung kann das gehen. Psychogene Mit-Entstehungsfaktoren sind hier anzunehmen. Wichtig erscheint mir auch das Gespräch darüber, daß jeder, der transplantiert wurde, erleben mußte, daß Weggenossen vor ihm sterben, daß möglicherweise jüngere Mitpatienten ihre zweite Lebenschance weniger ausgiebig nutzen können. Die Erschütterung ist dann groß, und nicht wenige fragen sich, warum denn sie nun noch leben dürfen? Auch hier ist die Antwort nicht zu geben, aber ein Trauern durchaus angebracht und hilfreich. Schließlich ist dies der realen Lebenssituation auch gesunder Menschen vergleichbar. Wir erleben immer wieder den Tod Jüngerer. Gesundheit ist Abwesenheit von Krankheit, kein Grundrecht. Wer eine neue Leber bekommen hat, ist nicht wirklich gesund. Bis ans Lebensende muß man die Tabletten einnehmen, die die körpereigene Abwehr lähmen, um eine Abstoßung des neuen Organs zu verhindern, bis zum Lebensende bleibt man also ziemlich anfallig für Infekte und Nebenwirkungen der sehr potenten Pharmakagaben. Aber mit diesen Belastungen läßt sich leben. Vor allem dann, wenn die Vorbereitung geduldig und umfassend gewesen ist.
Literatur [1]
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Transplantation von fetalem Gewebe bei Morbus Parkinson - Ethische Überlegungen Günter U. Höglinger
Fetale Zellen sind in den vergangenen Jahren von der Transplantationsmedmn als potentielles Spendergewebe entdeckt worden. Ihre niedrige Antigenität sowie die Fähigkeit der Differenzierung und Integrierung im Empfängergewebe bieten neue Möglichkeiten, die bei Verwendung reifer Organe und Gewebe nicht gegeben sind. Therapeutische Versuche wurden bislang bei so verschiedenen Krankheiten wie Diabetes mellitus, Immundefektsyndromen, aplastischer Anämie und neurodegenerativen Prozessen unternommen. Vielversprechende Erfolge wurden insbesondere bei der Transplantation von fetalem neuronalen Gewebe bei M. Parkinson erzielt. Das transplantierte Gewebe stammt in der Regel aus induzierten Schwangerschaftsabbrüchen. Diesbezüglich wurden in der öffentlichen Diskussion erhebliche Bedenken geäußert. Die im Kontext der Neurotransplantation auftretenden ethisch relevanten Fragen sollen Gegenstand der folgenden Überlegungen sein.
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Die medizinischen Grundlagen
In jedem Jahr erkranken in der Bundesrepublik Deutschland 20 von 100.000 Einwohnern neu an der Parkinsonschen Krankheit [15]. Sie zählt zu den häufigsten neurologischen Erkrankungen. Aus bislang erst in Ansätzen geklärter Ursache geht im Gehirn der betroffenen Patienten eine eng umschriebene Population von Nervenzellen, den dopaminergen Neuronen der Schwarzen Substanz (Substantia Nigra), zugrunde. Diese ist Teil einer Organisationsstruktur, die unter dem Begriff Basalganglien zusammengefaßt ist. Die Funktion der Basalganglien besteht primär in der unbewußt ablaufenden Koordination von Bewegungen, in der Stabilisierung der Körperhaltung und der Steuerung mimischer Ausdrucksbewegungen. Die Klinik des M. Parkinson entspricht einem Ausfall dieses automatischen Hilfssystems. Die Bewegungen der Betroffenen werden spärlich (Hypokinese) und langsam (Bradykinese) und können nur mühsam initiiert werden (Starthemmung). Das Sprechen wird monoton und die Mimik reduziert. Das Vollbild der Krankheit ist gekennzeichnet durch die Symptomentrias Zittern in Ruhe (Ruhetremor), wachsartige Erhöhung der Muskelspannung (Rigor) und
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Reduktion der Spontan- und Begleitbewegungen (Alúnese). Neben diesen motorischen Beeinträchtigungen finden sich bei einem großen Teil der Patienten auch vegetative Störungen, depressive Verstimmung und eine intellektuelle Verlangsamung (Bradyphrenie). Letzten Endes werden die Kranken völlig hilflos, die Nahrungsaufnahme und Kommunikation wird immer schwieriger, Stehen und Gehen sind nicht mehr möglich. Mit der derzeitigen medikamentösen Standardtherapie läßt sich die Symptomatik anfangs gut kontrollieren. Nach 5 - 6 Jahren zeigen sich aber bei 50% der Patienten charakteristische therapeutische Wirkungsschwankungen und nach ΙΟΙ 5 Jahren kann die Mehrheit mit den heute zur Verfugung stehenden Methoden nicht mehr oder nur mehr mit sehr großem Aufwand adäquat therapiert werden. Vor diesem Hintergrund transplantierten 1979 Perlow [17] und Björklund [3] erstmals fetales, die Anlage der Substantia Nigra enthaltendes Gewebe im ParkinsonTiermodell der Ratte. Sie zeigten, daß die Transplantate funktionelle Defizite im Verhalten der Tiere ausgleichen können. Man fand, daß sich auch menschliches Gewebe gut im Empfangergehirn integrierte, sofern es aus Feten eines Schwangerschaftsalters von 6 bis 9 Wochen entnommen war. Dieses Zeitfenster entspricht der Phase, während der die relevanten dopaminergen Nervenzellen entstehen und endet mit dem Zeitpunkt, zu dem sie synaptische Verbindungen zu anderen Nervenzellen aufnehmen [16;5;19], Die Ausbildung eines interaktionsfähigen Netzwerks zwischen den fetalen Nervenzellen im späten Schwangerschaftsalter beeinflußt die Widerstandsfähigkeit gegenüber den Manipulationen durch die Transplantationsprozedur bzw. die Integrationsfähigkeit im Empfängergewebe derart, daß nennenswertes Transplantatüberleben danach nicht beobachtet wird. Gestützt auf eine breite tierexperimentelle Basis berichtete Lindvall 1989 zum ersten Mal über die Transplantation von fetalem nigralen Gewebe bei zwei Parkinson-Patienten [14]. Bis heute wurden weltweit ca. 200 Patienten transplantiert. Wenn auch bislang in keinem der Fälle von einer umfassenden Heilung gesprochen werden kann, wird bei der Mehrzahl der Patienten eine substanzielle Besserung der Symptomatik beschrieben [16;5;19]. Bereits bei Verwendung von Gewebe eines einzigen Feten konnten signifikante Verbesserungen hinsichtlich klinischer Aspekte erzielt werden [8]. Gegenwärtige Schätzungen veranschlagen aber einen Bedarf an Gewebe von bis zu 12 Feten pro Patient, um den Verlust an Nervenzellen komplett auszugleichen [16]. Zwar gibt es vielversprechende Ansätze, das Transplantatüberleben zu verbessern, beim aktuellen Stand der Forschung steckt aber die Begrenztheit des zur Verfugung stehenden Spendergewebes der klinischen Anwendung enge Grenzen.
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Die Grundlagen der ethischen Abwägung
Die therapeutische Verwendung von fetalem Gewebe einerseits und die Transplantation in das Gehirn, dem physischen Substrat individueller Persönlichkeit andererseits wirft komplexe ethische und rechtliche Fragen auf Da derzeit in der Bundesrepublik
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keine eindeutigen rechtlichen Regelungen hinsichtlich der hier relevanten Aspekte existieren [24], verpflichteten sich die mit entsprechenden Fragestellungen beschäftigten Arbeitsgruppen den Richtlinien der Bundesärztekammer [25] und des NECTAR [4] (Abk. für: Network of European CNS Transplantation And Restauration). In der pluralistischen Gesellschaft der Bundesrepublik ist es hinsichtlich ethischer Überlegungen nicht a priori möglich, auf ein allseits anerkanntes Repertoire an Argumentationsmustern und Wertehierarchien zurückzugreifen. Daher sollen vorab die dieser Arbeit zugrundeliegenden Prinzipien und Entscheidungskriterien motiviert werden. Die Auswahl sollte einem minimalen Wertekonsens im Rahmen unserer freiheitlich demokratischen Ordnung genügen. Ein grundlegendes medizin-ethisches Prinzip ist die Achtung der Würde des Menschen. Das Bundesverfassungsgericht betonte bereits in seinem ersten Urteil zur Abtreibung, daß auch dem ungeborenen Leben Menschenwürde zukommt [7] sowie der über den Tod hinausgehende allgemeine Achtungsanspruch [6]. In der westlichen Medizin ist der Respekt vor der Autonomie des Patienten [2] von zentraler Bedeutung. Er kommt zum Ausdruck in der Voraussetzung einer nach umfassender Aufklärung erteilten Zustimmung des Patienten (engl.: informed consent) für die Durchführung einer diagnostischen oder therapeutischen Maßnahme durch das medizinische Personal. Das Prinzip des informed consent wurde erstmals in den Nürnberger Prozessen formuliert und ist heute anerkannter Standard in medizin-ethischen Überlegungen. Neben der zentralen medizinischen Aufgabe, Nutzen zu stiften (benefiäance) steht gleichwertig die Vermeidung von Schaden (nonmalefiáance) [2]. Der Hippokratische Eid formulierte diesen Grundsatz in der bis heute gebräuchlichen Formel „primum non nocere". Im Fall kollidierender Interessen ist es nötig, nach den genannten Kriterien ^wischen Gütern gemäß ihrem unterschiedlichen Gewicht abzuwägen [20]. Mit Hilfe der geschilderten Prinzipien ethischer Argumentation wurden die im Rahmen der Neurotransplantation auftretenden Problemfelder analysiert.
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Die ethisch relevanten Problemfeldet
Die ethisch relevanten Aspekte der Neurotransplantation wurden in drei Bereiche gegliedert. Unterschieden wurden Fragen, die vornehmlich die schwangere Frau, den Feten bzw. den Parkinson-Patienten bereffen.
3.1 Die schwangere Frau Nach der üblichen juristischen Auffassung entscheidet die Mutter nach erfolgter Abtreibung über die Verwendung des fetalen Gewebes [24]. Im Unterschied zur postmortalen Organspende ist es nicht möglich, den tatsächlichen oder mutmaßlichen Willen des Feten festzustellen oder die Existenz eines solchen überhaupt zu vermuten.
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Das enge biologische Verhältnis zum Feten erlaubt der Mutter am ehesten, über seine Verwendung zu entscheiden. Auch der Entschluß zum Abbruch nimmt der Mutter nicht dieses Bestimmungsrecht, da dieser in der Mehrzahl der Fälle einem bewußten, schmerzhaften und konfliktreichen Prozeß der Entscheidungsfindung folgt. Nach einer alternativen juristischen Auffassung kommt das Verfugungsrecht dem Leiter der Einrichtung zu, in der es zum Fruchtabgang gekommen ist. Diese Vorstellung ist aber sicherlich nicht auf breiterer Ebene konsensfähig. Die Zustimmung der Mutter zur Verwendung des fetalen Gewebes zur experimentellen oder therapeutischen Verwendung muß gemäß dem Prinzip des informed consent erfolgen. Es ist unbestritten, daß die Aufklärung der Frau umfassend, ehrlich und verständlich zu erfolgen hat. Dabei muß die besondere psychische Situation berücksichtigt werden, in der sich die Frau vor und unmittelbar nach der Abtreibung befindet. Der aufklärende Arzt sollte sich bewußt sein, daß sie in dieser Situation gegebenenfalls überfordert sein kann, eine entsprechende Entscheidung zu fällen. Keinesfalls sollte die Patientin unter moralischem Druck seitens ihrer Umgebung stehen. Die Entscheidung der Mutter für oder gegen die Abtreibung kann von einer Beeinflussung durch die spätere medizinisch sinnvolle Weiterverwendung des Abortgewebes frei gehalten werden, wenn verschiedene Punkte berücksichtigt werden. So sollte ein entsprechendes Aufklärungsgespräch erst bei feststehendem Entschluß, die Abtreibung durchzuführen, geführt werden. Einer Beeinflussung durch das gynäkologische Team, das den Abort vornimmt, kann vorgebeugt werden, wenn dieses kein eigenes Interesse am Transplantationsgeschehen, etwa im Sinne finanzieller Gegenleistung oder beruflicher Vorteile hat. Es ist theoretisch auch denkbar, daß eine Schwangerschaft vorsätzlich eingegangen wird, mit dem Ziel, diese später zu unterbrechen, um Gewebe für die Transplantation zu spenden. Dieses Verhalten könnte motiviert sein durch finanzielle Anreize für eine Spende oder durch den Wunsch, einem bestimmten Kranken zu helfen. Um dem vorzubeugen, sollten grundsätzlich keine Gegenleistungen oder Vorzugsbehandlungen aufgrund der Einwilligung in die Gewebespende gewährt werden. Weiterhin muß jede Verbindung zwischen der Schwangeren und dem Empfänger des Gewebes unterbunden werden. Auf diese Weise kann der vielfach gestellten Forderung nach einer Trennung von Abtreibung und Transplantation [25;9] Rechnung getragen werden. Wenn die Transplantation allerdings auf breiter Basis zum klinischen Einsatz kommen wird, könnte dies die gesellschaftliche Sicht auf die Abtreibung und das werdende menschliche Leben langfristig verändern. Insofern ist die moralische Beurteilung der Neurotransplantation letztlich doch nicht absolut frei zu halten von der individuellen Einstellung zu den Fragen der Abtreibung.
3.2 Der Fetus Das primäre Postulat beim Umgang mit menschlichen Feten in der medizinischen Forschung und bei der therapeutischen Verwendung ist, die Achtung seiner Würde als
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werdendes menschliches Wesen zu wahren und ihn nicht zur Gewebebank zu degradieren. Gemäß dem Prinzip der Schadensvermeidung sollen bei der Durchführung der Abtreibung keine Modifikationen entsprechend den Anforderungen der Transplantation vorgenommen werden, sofern sie dem Fetus und natürlich auch der Mutter zum Nachteil gereichen. Insbesondere kann der Termin des Abbruchs nicht verzögert werden, um, gegen den Preis, die Abtreibung bei einem höheren Entwicklungsgrad des Feten vorzunehmen, ein für die Transplantation günstigeres Schwangerschaftsalter zu erreichen. Sofern aber keine gesundheitliche Gefährdung und höhere Belastung fur die Schwangere oder vermeidbare Beeinträchtigung des Feten resultieren, spricht keines der oben dargelegten medizin-ethischen Prinzipien dagegen, den Modus der Abtreibung so zu verändern, daß das Gewebe in weniger beschädigter Form gewonnen wird. Bei der weit verbreiteten Methode der Vakuumkürettage zur Durchführung der Abtreibung wird die körperliche Integrität des Feten üblicherweise komplett zerstört. Auch die Gehirnsubstanz liegt meist in isolierten Gewebefragmenten vor. In diesen Fällen erübrigt sich die Todesfeststellung des fetalen Organismus. Bei bestimmten alternativen Abtreibungstechniken können die Feten aber u.U. körperlich unversehrt bleiben. Hier muß wie bei postmortalen Spendern vor der Organentnahme der Tod nach unstrittigen Kriterien festgestellt werden. Die üblicherweise zur Anwendung kommenden Kriterien der Hirntodfeststellung [12] können bei Feten nicht gebraucht werden, da die dabei untersuchten Strukturen und Funktionen in frühen Entwicklungsstadien noch nicht vollständig ausgebildet bzw. der Untersuchung zugänglich sind. Prinzipiell ist der Begriff des Hirntodes nur schwer auf das Ende des fetalen Leben anwendbar, da ein Funktionsverlust des Gehirns erst nachgewiesen werden kann, wenn eine solche Funktion vorher bestanden hat [21;22]. In dem für die Transplantation relevanten Zeitfenster ist immerhin der grobe Bauplan des späteren Gehirns bereits zu erkennen. Im Unterschied zu den übrigen Organen unterliegt das Gehirn im Laufe seiner Entwicklung zum reifen Organ aber noch einer Reihe von Umbauvorgängen und Vorgängen der Vernetzung zwischen den unterschiedlichen Hirnarealen sowie mit den verschiedenen peripheren Bereichen des Körpers, die eine volle Funktionsfähigkeit erst ermöglichen. Nach der derzeitigen wissenschaftlichen Vorstellung ist es äußerst unwahrscheinlich, daß die Feten im für die Transplantation relevanten Zeitfenster in der Lage sind, bewußt wahrzunehmen oder kognitive Leistungen zu erbringen. Da zu ihnen aber kein kommunikativer Zugang offen ist, kann dies nicht explizit verifiziert werden. Aus den genannten Gründen wurde zur Feststellung des Todes eines Feten der Ausfall von Atemtätigkeit und Herzschlag vorgeschlagen [24;25;4]. Nach dem aktuellen Stand der Neonatologie führen Reanimationsmaßnahmen frühestens ab der 24. Schwangerschaftswoche zur eigenständigen Lebensfähigkeit des Feten [10]. Nach Ausschluß reversibler Einflüsse wie Hypothermie oder Arzneimittelwirkungen ist daher die Irreversibilität des fetalen Todes vor der 24. Schwangerschaftswoche, festgestellt nach den Kriterien Atmung und Herzschlag gesichert. Daß aus dem toten Feten vitale Gehirnzellen gewonnen werden, steht dazu nicht im Widerspruch. Die Funkti-
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onsfáhigkeit der einzelnen elementaren Einheiten schließt einen irreversiblen Ausfalls des Gesamten nicht aus.
3.3 Der Patient Die Neurotransplantation ist ein neuer therapeutischer Ansatz, der im Unterschied zur bisherigen pharmakologischen Standardtherapie den Ersatz der degenerierten Nervenzellen durch gesunde Zellen zum Ziel hat. Sie kann auch oder vor allem dann eingesetzt werden, wenn die Pharmakotherapie bereits an ihre Grenzen gestoßen ist. Insbesondere solange diese neue Therapieform sich aber noch im experimentellen Stadium befindet, muß im individuellen Fall mit unbefriedigenden Transplantationsergebnissen gerechnet werden. Der zu transplantierende Patient muß diesbezüglich vor falschen Illusionen geschützt werden. Es gilt abzuwägen zwischen den körperlichen und psychischen Belastungen und Risiken des Eingriffs einerseits und dem potentiellen therapeutischen Nutzen andererseits. Daher ist die Transplantation zum gegenwärtigen Zeitpunkt wohl vor allem im fortgeschrittenen Krankheitsstadium zu rechtfertigen. Neben dem Operationsrisiko, das in der Literatur mit 0,1 bis 1% veranschlagt wird, sind als mögliche Komplikationen der Transplantation vor allem psychische Beeinträchtigungen zu diskutieren. Es muß vorausgeschickt werden, daß bereits die Erkrankung Veränderungen in der Persönlichkeit des Betroffenen bewirken kann. M. Parkinson geht in ca. 45% der Fälle mit einer depressiven Symptomatik unterschiedlicher Ausprägung einher [23]. In vielen Fällen wird eine Verlangsamung der Gedankengänge gesehen, die in 30% bis zur Demenz führt [1]. Von einer kompletten Heilung könnte demnach erst gesprochen werden, wenn neben den motorischen auch die geschilderten psychischen Veränderungen rückgängig gemacht werden könnten. Es wurde allerdings die Befürchtung geäußert, daß die Transplantation selbst psychische Veränderungen erst hervorrufen könnte. Sehr ernst zu nehmen ist die Befürchtung, durch die Transplantation könnten Aspekte der Persönlichkeit des Spenders auf den Empfänger übertragen werden. Nach der heutigen wissenschaftlichen Vorstellung sind die höheren Leistungen des Gehirns wie die Ausprägung individueller Charakteristika der Persönlichkeit gebunden an komplexe Interaktionen in einem hoch integrierten Netz interkonnektierter Zellen, die in spezifischer Architektur geordnet sind. Es konnte gezeigt werden, daß bestimmte Gehirnbereiche für die Ausführung distinkter Funktionen von besonderer Bedeutung sind. Für die korrekte Funktion insbesondere der höheren Leistungen des Gehirns ist allerdings eine weitreichende Vernetzung des Gesamtorganes nötig. In den NECTAR-Richtlinien wird dem Rechnung getragen durch die Empfehlung, lediglich kleine Gewebsfragmente bzw. durch einen enzymatischen Vorgang isolierte Nervenzellen zu transplantieren. Die Einhaltung dieser Forderung ist auch sichergestellt durch operationstechnische Rahmenbedingungen, die die Transplantation größerer Fragmente nicht erlauben, um das Empfangergehirn nicht übermäßig zu traumatisieren. Wie bereits dargelegt, erfüllen die an der Trans-
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plantation beteiligten Areale ihre spezifischen Funktionen vor allem in der Beeinflussung motorischer Vorgänge. Es ist daher nicht zu erwarten, daß ich-nahe Funktionen [11] wie Gedächtnis oder Emotionalität wesentlich verändert werden. Bisherige Studien zeigen auch keinen klar abgrenzbaren Einfluß der Transplantation auf neuropsychologische und emotionale Eigenarten des Empfängers [13;18]. Trotzdem werden in derzeitigen Therapiestudien differenzierte psychiatrische Begleituntersuchungen durchgeführt.
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Abschließende Bemerkungen
Die Transplantation bei M. Parkinson befindet sich im Erprobungsstadium. Die klinischen Transplantationen haben nach wie vor experimentellen Charakter. Um den im individuellen Fall auftretenden ethischen Fragestellungen adäquat zu begegnen, ist es unerläßlich, die lokalen Ethikkomissionen an der Planung der Versuche zu beteiligen. Dabei ist immer sorgfältig abzuwägen zwischen dem erwarteten Nutzen für den Patienten und dem Zugewinn an neuen Erkenntnissen einerseits und dem Risiko für den Patienten, der Belastung der spendenden Frau und dem Respekt vor dem Feten andererseits. Eine Diskussion der aufgezeigten Problemfelder mit allen an der Abtreibung und Transplantation Beteiligten im ständigen Austausch mit der Öffentlichkeit ist wünschenswert und kann zu einer verantwortungsvollen und transparenten Weiterentwicklung dieser aus therapeutischer Sicht vielversprechenden Methode führen.
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Die Bedeutung tierexperimenteller Modelle für die Organtransplantation Arnulf Thiede
Tierexperimente werden heute von breiten Schichten der Bevölkerung kritisch gesehen und teilweise emotional abgelehnt. Dies kann sachlich begründet sein, kann aber auch die Folge von Unkenntnis sein. Wenn Stellung zu Tierversuchen genommen wird, wäre eine differenzierte Analyse des Für und Wider solcher Experimente sinnvoll. Die emotionale Ablehnung von Tierversuchen ist vor allen Dingen durch überzogene Ansätze in der Kosmetikforschung, Pharmaforschung und weiteren Bereichen der medizinischen Forschung entstanden. Dies gilt auch für Ängste in der gentechnologischen Forschung. Der Ersatz durch Zellkulturen wird intensiv in diesem Bereich propagiert und bearbeitet. Eine Schwarz-Weiß-Malerei ist jedoch sehr problematisch. Auch wenn prinzipielle Mechanismen der zellulären Interaktion von Immunzellen (Makrophagen, B- und T-Zellen) sich in Zellkulturen in vitro exakt analysieren lassen, so sind diese Ergebnisse häufig nicht auf lebende Organismen (in vivoSysteme) übertragbar, da eine Vielzahl von weiteren Funktionen interferieren und die in vivo nachweisbaren Reaktionen völlig anders ablaufen können. So ist gerade bei Fragen der Transplantationsmedizin die in vitro-Untersuchung den in vivoExperimenten aus heutiger Sicht nur vorgeschaltet. In der Transplantationsmedizin waren und sind Tierversuche die Voraussetzung für wesentliche Entwicklungen zum gegenwärtigen Stand und der zukünftigen Entwicklung der Organ- und Gewebetransplantation. Ohne die Möglichkeit von Tierexperimenten wäre die heutige Transplantationsmedizin undenkbar. Im Folgenden werde ich mich mit einigen Parametern zur Bedeutung von Tierexperimenten in der Transplantationsmedizin beschäftigen.
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Großtier-Experimente
Unter Großtierexperimenten verstehen wir solche, die unter Verwendung von Großtieren durchgeführt werden, wie z.B. von Primaten, Hunden, Wölfen, Rindern, Schafen und Schweinen. Auch wenn Großtierexperimente für die historische experimentelle Transplantationsforschung von überragender Bedeutung gewesen sind, so gibt es doch eine Reihe von sachlichen und emotionalen Gründen, daß der Einsatz von
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Großtieren zumindest zahlenmäßig rückläufig ist. Großtierversuche haben ganz entscheidend zur Entwicklung der heute im Humanbereich verwendeten Transplantationstechniken beigetragen und weisen einen hohen Übungswert für präklinische technische Übungen der Transplantationschirurgen auf. Ursprünglich sind die wesentlichen Konzepte der konventionellen Immunosuppression (Immuran, Cortison, Antilymphozyten- bzw. Antithymozytenglobuline) überwiegend an Hunden erarbeitet und ausgetestet worden. Aus heutiger Sicht kommt Großtieren als potentiellen Organspendern bei Xenotransplantation (Transplantation über Speziesgrenzen hinweg) überragende Bedeutung zu und diese Bedeutung in der Forschung wird bleiben. Ob sich daraus in die Klinik übertragbare Ansätze ergeben, ist offen, würde aber vor allem die Organspenderproblematik lösen. Da immunologische Reaktionen bei Xenotransplantationen unbehandelt zu sehr heftigen Reaktionen führen, wird intensiv an Techniken gearbeitet, diese Reaktionen zu senken und auszuschalten. Schlagwortartig sei auf die Begriffe Genmanipulation an Schweinen für Organspenden (Forschungsvorhaben in Cambridge) und Verkapslung von Langerhanschen Inseln zur Diabetesbehandlung (Forschungsvorhaben u.a. in Würzburg) verwiesen. Gegen Großtierversuche sprechen grundsätzlich der hohe operationstechnische Aufwand, der intensive pflegerische Aufwand sowie die hohen Kosten. Wenn Großtierversuche heute von Genehmigungsbehörden zugelassen werden, sind meistens die Tierversuchszahlen zu gering für biostatistisch aussagefähige Ergebnisse. Immungenetische Fragen bei Allotransplantation (Transplantation zwischen verschiedenen Individuen einer Spezies) lassen sich in Kleintiermodellen besser, kostengünstiger und effizienter untersuchen. Dies gilt auch für Konzepte der Immunosuppression. Gerade gegen Großtierexperimente gibt es eine erhebliche emotionale Reserve und breiten Widerstand in der Bevölkerung.
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Kleintier-Experimente
Diese werden ganz überwiegend an Ratten und Mäusen durchgeführt. In diesen Spezies gibt es neben Auszuchten auch Inzuchten (die Tiere eines Stammes sind immunogenetisch identisch), die sich aus vielerlei Gründen für Transplantationsexperimente besonders eignen. Sehr gut sind Fragen der modernen Immunosuppression (z.B. Cyclosporin, FK 506, monoklonale Antikörper gegen IL-R-2 Rezeptormoleküle oder Adhäsionsmoleküle) systematisch in vivo präklinisch beurteilbar und genetische Parameter wie die Bedeutung des MHC-Haupthistokompatibilitätslocus lassen sich exakt analysieren. Manipulationen zur Toleranzinduktion sind gezielt möglich, auch immunologische Fragen der Xenotransplantation lassen sich prinzipiell bearbeiten (Einzelheiten siehe unten). Voraussetzung für die Verwendung von Kleintieren ist die Entwicklung eines mikrochirurgischen Operationsstrategie-know how, um feinste Strukturen unter dem
Die Bedeutung tierexperimenteller Modelle
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Mikroskop wie Gefäße, Nerven, Lymphgefäße, Gewebe des Intestinaltraktes, den Ductus choledochus, Ureter und evtl. einen Pankreasgang zu rekonstruieren. Diese Entwicklung ist für Ratten von 1968 bis ca. 1980 vorangetrieben und fur Mäuse, die einen noch größeren operationstechnischen Aufwand erfordern, wurde ab 1990 intensiv an solchen Techniken gearbeitet. Wir haben in Würzburg die Mikrochirurgie der Ratten mit Transplantationsmodellen, die wir selbst entwickelt haben, hier voll verfügbar und derzeit erlernt einer meiner Mitarbeiter den gegenwärtigen Stand der Mikrochirurgie an Mäusen in London/Ontario in Kanada und wird den dort erlernten Stand mit nach Würzburg bringen, so daß dann ab 1998 die gegenwärtig weltweit verfügbaren etablierten mikrochirurgischen Modelle zur Organtransplantationsforschung sowohl an Ratten wie an Mäusen hier in Würzburg für Bearbeitung von verschiedensten immungenetischen und immunologischen Fragen verfügbar sein werden. Bei mehreren vorhandenen Inzuchtstämmen — verfügbar heute in der Spezies Ratte und in der Spezies Maus - ergeben sich experimentell für die Transplantationsforschung folgende Möglichkeiten: 1.
Syngene Transplantationen (Spender und Empfanger stammen von dem selben Inzuchtstamm) sind möglich zur Überprüfung der Operationstechnik (technische Kontrolle), zur Überprüfung des Modells, ob physiologisch oder unphysiologisch (funktionelle Kontrolle) sowie für Organkonservierungen.
2.
Die genetische Differenz zwischen Spender und Empfänger innerhalb einer Versuchsgruppe kann konstant gehalten werden.
3.
Die genetische Differenz von Versuchsgruppe zu Versuchsgruppe kann gezielt variiert werden.
4.
Versuchsgruppen mit unterschiedlicher genetischer Differenz können gezielt verglichen werden.
5.
Differente organspezifische immunologische Phänome lassen sich innerhalb der gleichen immunogenetischen Stammkombination analysieren.
6.
Gezielte Untersuchungen von Immunosuppression, Immunmodulation sowie Toleranzinduktion sind möglich.
Die Verwendung eines immunogenetischen Tiermaterials (Inzuchten von Ratten und Mäusen) bieten die Möglichkeit zu kontrollierten transplantationsimmunologischen Versuchsansätzen. Dabei bieten sich bei der Verwendung von Ratten folgende Vorteile: 1.
Transplantationsmodelle zur Analyse immunologischer Vorgänge über genetisch definierte Barrieren hinweg.
2.
Präklinische Modelle zu Fragen der gesamten Transplantationsforschung, z.B. Transplantatlokalisation, Immunsuppression, Toleranzinduktion, Organperfusion und Organkonservierung, sind durchführbar.
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Arnulf Thiede
Präkünische Modelle von OP-Konzepten, z.B. physiologische, unphysiologische Transplantationsmodelle, Vergleich unterschiedlicher Organtransplantationsmodelle sind austestbar.
Bei Mäusen ist ein höherer Trainingsaufwand erforderlich, um eine Umsetzung der optischen Information in eine manuelle Operationstätigkeit zu ermöglichen. Funktionelle und operationstechnische Kontrollen sind aufwendiger. Immungenetische Fragestellungen lassen sich an der besser definierten Mäusetierspezies gezielter durchführen, da für Analyse und Manipulation immunologischer Mechanismen die Nachweismethoden derzeit besser ausgearbeitet sind, z.B. PCR, Elisa, RIA, Immunoblotts. Bei einer globalen Bewertung beider Stämme ist jedoch auszuführen, daß fur chirurgische transplantationsimmunologische Fragen die Ratte sich besser eignet als die Maus. Für immungenetische und rein immunologische Fragen, bei denen es nicht zu sehr auf die spezielle Organtransplantationstechnik ankommt, weist die Maus Vorteile auf.
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Immunosuppression
Gerade die Einführung von modernen Immunosuppressiva, die nicht global die Immunzellen schädigen bzw. supprimieren, sondern nur den Zellstoffwechsel beeinflussen, wie z.B. Cyclosporin oder FK 506 (Eingriff in die Interleukinproduktion) oder monoklonale Antikörper (Ausschaltung von Oberflächenrezeptoren bzw. Blockade von Adhäsionsmolekülen) sind vor klinischen Prüfungen am Menschen in Kleintiertransplantationsmodellen zu überprüfen und zu bewerten. Ohne präklinische in vivoAnalyse der Wirkung wäre der klinische Einsatz am Menschen unverantwortlich. Dies gilt insbesondere für weitere immunosuppressive Protokolle bzw. immunmodulatorisch wirksame Substanzen, die sich derzeit in der experimentellen Erprobung befinden.
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Toleranzinduktion
Darunter verstehen wir die gezielte Manipulation des Transplantatempfängers, so daß er eine spezifische, d.h. selektive Toleranz gegen ein Organtransplantat entwickelt, aber gegen alle anderen Fremdeiweiße, wie z.B. von Bakterien, Viren und Pilzen, seine volle immunologische Abwehrfähigkeit behält. Wie dies in Tierversuchen mit immungenetisch exakt definierten Tieren machbar ist, ist heute in ersten Ansätzen bekannt. Bei einigen humanen Organtransplantatempfängern entwickelt sich so eine Toleranz, ohne daß wir die Mechanismen genau kennen und ohne daß wir wissen, wie diese entsteht. Hier ist zum Wohle der humanen Transplantationsempfänger noch sehr viel tierexperimentelle Aufklärungsarbeit an Kleintieren erforderlich, um den Induktions-
Die Bedeutung Derexperimenteller Modelle
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weg, die Steuerbarkeit und die Mechanismen aufzudecken, die eine solche Toleranz gegen Organtransplantate gezielt ermöglichen. Ersatzmethoden in Zellkulturen sind für diesen komplexen Vorgang der Toleranzinduktion unvorstellbar.
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Xenotransplantation
Darunter verstehen wir die Übertragung von Organen zwischen verschiedenen Spezies, z.B. vom Tier auf den Mensch. Der ganz erhebliche Mangel an human Organtransplantaten von lebenden oder vor allem hirntoten Spendern ist eine Triebfeder zur Suche nach geeigneten Tierspezies, die evtl. als Gewebe- oder Organspender in Frage kommen, um dieses Defizit zu decken. Ein weiterer Effekt wäre, daß die Transplantationschirurgie grundsätzlich aus einer Art Akutnotfallchirurgie in eine besser planbare, besser organisierbare Chirurgie mit viel gezielterem Ablauf umgewandelt werden könnte. Neben den bisher nicht ausreichend aufgeklärten immunologischen Reaktionen (Schlagworte: Konkordante und diskordante xenogene Spender-Empfänger-Systeme) sind eine Vielzahl von funktionellen und mikrobiologischen Fragen offen, die dringend der tierexperimentellen Erforschung bedürfen. Um überhaupt ausreichende Antworten auf Fragen zur Verwendungsfähigkeit, Analysemöglichkeit von Tierorganen, Manipulationsmöglichkeiten und Übertragbarkeit von Tierorganen auf Menschen zu finden, sind größere Tierversuchsreihen unumgänglich. Es gibt keine anderen Methoden, die einigermaßen ausreichend sicher verschiedenste offene Fragen zur Xenotransplantation klären können, als geeignete Tierversuche.
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Zusammenfassung
Zusammenfassend läßt sich bei sorgfältiger kritischer Abwägung aus der Sicht des Transplantationsmediziners eindeutig ausführen, daß Tierversuchsvorhaben für den Fortschritt der menschlichen Transplantationsmedizin zur Zeit unverzichtbar sind und ihren festen Platz in der Transplantationsforschung aufweisen. Ohne die Möglichkeiten gezielter Tierexperimente in der Transplantationsforschung zur Klärung offener Fragen würde die deutsche humane Transplantationsmedizin eindeutig im internationalen Konzert zurückfallen und ihren in den letzten 30 Jahren erarbeiteten konkurrenzfähigen Platz verlieren.
Perspektiven der Xenotransplantation Karin F. A.
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Perspektiven der Xenotransplantation
Die sich stetig vergrößernde Schere zwischen der Anzahl menschlicher Spenderorgane und den Patienten, die ein Organ benötigen, erfordert neue Konzepte in der Transplantationsmedizin. 1995 standen 13.446 Dialysepatienten auf der Warteliste von Eurotransplant, aber nur für 3.064 war eine Spenderniere verfügbar [7]. Für die übrigen Organe gilt Ahnliches. Die Xenotransplantation, d.h. die Verwendung tierischer Organe in der klinischen Transplantationsmedizin, könnte diesen Engpaß zukünftig beseitigen. Die Vorteile dieses neuen Transplantations-Konzeptes wären folgende: (a) eine unbegrenzte Anzahl Spenderorgane gleichbleibender Qualität und individueller Größe, (b) die Planbarkeit des Transplantationszeitpunktes und (c) molekularbiologische Alterationen des Spenderorganes und immunbiologische Manipulationen des Patienten vor Transplantation, um Abstoßungsreaktionen zu verhindern und damit die lebenslange Immunsuppression zu vermeiden. Im folgenden werden einige Aspekte dieses neuen Konzeptes vorgestellt.
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Was versteht man unter dem Begriff Xenotransplantation?
Der Begriff „xenos" stammt aus dem Griechischen und bedeutet „fremd". Unter „Xenotransplantation" versteht man die Übertragung artfremden Gewebes (Zellen, Gewebe oder ganze Organe) auf ein Individuum. Die unterschiedlichen Transplantationsformen seien am Beispiel des Menschen näher erläutert: (a) Die autologe Transplantation, d.h. die Übertragung von Geweben innerhalb eines Individuums, (Beispiel: Beinhaut auf eine verbrannte oder verletzte Stelle im Kopf-Halsbereich (plastische Chirurgie). Zu Abstoßungsreaktionen kommt es nicht, da das übertragene Gewebe vom Organ-Empfänger selbst stammt. Spender und Empfänger sind genetisch identisch; (b) die syngene Transplantation, d.h. die Übertragung von Gewebe zwischen gene-
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tisch identischen Individuen, z.B. eineiigen Zwillingen. Auch hier treten aufgrund der genetischen Identität zwischen Spender und Empfänger keine Abstoßungsreaktionen auf; (c) die allogene Transplantation, d.h. die Übertragung von Gewebe zwischen den Individuen einer Spezies, z.B. zwischen verschiedenen Menschen (auch zweieiige Zwillinge gehören hierher), wie dies in der klinischen Organtransplantation praktiziert wird. Abstoßungsreaktionen werden gemildert oder vermieden, denn mit Hilfe der Gewebetypisierung, auch HLA (human leukocyte antigen)-Typisierung genannt, werden genetische Differenzen zwischen Spender und Empfänger möglichst gering gehalten und immunsuppressive Medikamente dämmen die Abstoßungsreaktionen ein; (d) die Xenotransplantation (s.o.), z.B. die Übertragung tierischer Gewebe auf den Menschen, um den Mangel an allogenen menschlichen Spenderorganen — weltweit ein gravierendes Problem der modernen Transplantationsmedizin - zu überbrücken. Die infolge der größeren genetischen Differenz zwischen Spender und Empfänger heftigeren Abstoßungsreaktionen sind derzeit Gegenstand intensiver Forschungsanstrengungen.
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Das Schwein als mögliche Spenderspezies für die klinische Xenotransplantation
Ein älteres Konzept der Xenotransplantation, das zunächst von vielen Forschern und Klinikern erwogen wurde, sah Primaten (Menschenaffen) als mögliche Organspender vor [11]. Dieses Konzept wurde bis zum Beginn der 90er Jahre favorisiert, da die genetischen Unterschiede zwischen Primaten (z.B. Schimpansen) und dem Menschen sehr viel geringer sind als etwa jene zwischen den stammesgeschichtlich weiter voneinander entfernten Nutztierspezies, Schwein oder Rind, und dem Menschen. Vorwiegend wegen ethischer Bedenken wurde dieses Konzept wieder verworfen; dazu kommt, daß Schimpansen zu den bedrohten Tierarten gehören, nur wenige Nachkommen hervorbringen und sich nur unter hohen Kosten züchten und halten lassen. Ein neueres Konzept sieht zukünftig die Organübertragung von Nutztieren vor, und hier steht das Schwein im Vordergrund des Interesses von Wissenschaftlern und Klinikern [8]. Die Gründe dafür sind folgende: Der Gastrointestinaltrakt des Schweines gleicht jenem des Menschen, d.h. es ist dem Menschen physiologisch sehr ähnlich, es verfügt über eine dem Menschen vergleichbare Organgröße, es kann mit geringem Kostenaufwand gezüchtet und gehalten werden und bringt in kurzer Zeit eine genügende Anzahl Nachkommen hervor. Die ethischen Bedenken dürften sich in Grenzen halten, solange das Schwein dem Menschen als Nahrungsspender dient.
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Immunreaktionen in der Xenotransplantation und Induktion immunologischer Toleranz
Die bereits oben angesprochenen genetischen Differenzen zwischen dem Organspender „Schwein" und dem Organempfánger „Mensch" fuhren zu heftigen immunologischen Abwehrreaktionen, die man zunächst verstehen muß, um sie dann gezielt zu manipulieren. Erst dann wäre man der klinischen Anwendung einen Schritt näher gekommen. Es handelt sich im wesentlichen um drei Arten von Immunreaktionen des menschlichen Empfängers gegen das artfremde Gewebe, (a) die hyperakute vaskuläre Abstoßung, vermittelt durch sogenannte präformierte oder natürliche xenoreaktive Antikörper (NXA) im Serum des Menschen, (b) die akute vaskuläre Abstoßung, vermittelt durch neu induzierte xenoreaktive Antikörper im Serum des Menschen und (c) die zellvermittelte Abstoßung durch T-Zellen, Natürliche Killer (NK) Zellen und Makrophagen (Freßzellen).
4.1 Hyperakute vaskuläre Abstoßung Das menschliche Serum enthält in sehr unterschiedlicher Konzentration präformierte oder natürliche xenoreaktive Antikörper (NXA) der Klassen IgM, IgG und IgA. Diese werden in der frühen Ontogenese des Menschen gegen bakterielle Zellwandbestandteile gebildet und bilden eine erste immunologische Abwehr gegen Mikroorganismen [17]. Das antigene Epitop, Galal-3Galßl-4GlcNac (aGal-Epitop), eine Zuckerstruktur, die von den N X A erkannt wird, kommt auf den Endothelzellen der porzinen (vom Schwein stammenden) Blutgefäße vor. Würde ein porzines Organ, z.B. eine Niere, auf den Menschen übertragen, dann binden die N X A an das aGal-Epitop, aktivieren Komplement und zerstören die Endothelzellen. Es kommt zur Koagulation des Blutes, Thrombosierung der Gefäße und so zur Mangelversorgung des Spenderorgans, das innerhalb weniger Minuten bis Stunden abgestoßen wird. Wegen der Schnelligkeit und Heftigkeit dieser Reaktion nennt man diese Abstoßungsform „hyperakute Abstoßung" [21]. Derzeitige Forschungsanstrengungen konzentrieren sich auf die Elimination dieser Antikörper aus dem menschlichen Blut mittels Plasmapherese [1;30] bzw. Immunoadsorption [29], oder ihre Neutralisierung durch Applikation (in vitro, in vivo) von anti-Antikörpern bzw. Oligosacchariden [18]. Die zuletzt genannten sind Zuckermoleküle, die wegen ihrer strukturellen Identität mit dem aGal-Epitop mit den N X A Immunkomplexe bilden und diese somit funktionell ausschalten. Keines der genannten Verfahren kann jedoch verhindern, daß N X A auch nach ihrer Elimination/Neutralisierung kontinuierlich vom menschlichen Körper nachgebildet werden, da sie einem sogenannten Fließgleichgewicht oder „steady state" unterliegen. Um dies zu erreichen, werden die NXA-bildenden Plasmazellen (B-Lymphozyten) durch Immunosuppressiva funktionell blockiert [3]. Einen kliniktauglichen Durchbruch haben diese Verfahren allerdings noch nicht gebracht.
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Ein anderer Ansatz konzentriert sich auf die Suche nach Schweinerassen, die das aGal-Epitop natürlicherweise nicht exprimieren. Weltweit sind bisher 23 Rassen (137 Individuen) untersucht worden - bislang aber noch ohne Erfolg [19]. Andere Untersuchungen konzentrieren sich auf die Elimination des aGal-Epitopes mit molekulargenetischen Methoden. So gelingt es in der Maus, das aGal-Epitop aus dem Genom „herauszuschneiden" (sogenannte „knock-out" Mäuse), fur das Schwein sind die entsprechenden molekulargenetischen Techniken jedoch noch nicht verfugbar [24]. D a N X A im menschlichen Serum offenbar einen wichtigen Schutz vor Mikroorganismen darstellen [17], ist ihre Elimination/Neutralisierung in Verbindung mit der Organtransplantation durchaus kritisch zu sehen. Elimination und/oder Neutralisierung der N X A können aber nicht verhindern, daß menschliches Komplement — ohne Einwirkung der N X A — die artfremden Endothelzellen angreift [10]. Man nennt dies den alternativen Komplementweg. Die Arbeitsgruppe um D. White/Cambridge ist bemüht, mit der Züchtung genetisch veränderter Schweine dieses Problem auszuschalten. Dazu inseriert man den „human decay accelerating factor" (hDAF) und andere Membranfaktoren menschlicher Herkunft in das Genom des Schweines [9]. Diese werden dann auf den porzinen Endothelzellen exprimiert und verhindern den Angriff des menschlichen Komplements auf die Zellen, da eben diese Membranfaktoren unsere eigenen Endothelzellen vor dem Komplement-Angriff schützen. Die porzinen Endothelzellen sind sozusagen zu „menschlichen" Endothelzellen verwandelt worden. Hinsichtlich Morphologie, Physiologie, Reproduktion und Verhalten unterscheiden sich die sogenannten transgenen Schweine nicht von normalen Schweinen. Perfundiert man nun transgene porzine Herzen ex vivo mit N X A - und komplementhaltigem menschlichen Blut, so zeigt sich, daß die hyperakute Abstoßung, für die eindeutige Testsysteme in vitro entwickelt wurden, vermieden werden kann. Transgene Schweineherzen überleben bis zu 60 Tagen in Primaten [9], Das zeigt, daß das Problem der hyperakuten vaskulären Abstoßung erfolgreich bewältigt werden kann. Die hyperakute vaskuläre Abstoßung entfällt aber immer dann, wenn nicht-vaskularisierte Organe übertragen werden. Dies sind z.B. isolierte, insulinproduzierende Langerhansinseln aus dem Pankreas, die man zur Therapie des Typ I Diabetes übertragen möchte [29]. D a die Blutkapillaren der porzinen Langerhans-Inseln durch Gewebekultur vor Transplantation zerstört werden, übernehmen Empfänger-eigene Blutgefäße kurze Zeit nach Transplantation die Versorgung des artfremden Gewebes mit Sauerstoff und Nährstoffen. Die porzine Langerhans-Insel verliert also mit den Endothelzellen auch die Zielstrukturen für die gefährlichen N X A . Dies ist wohl zur Zeit das wichtigste Argument dafür, daß nicht-vaskularisierte Organe eines Tages als erste xenogene Organe transplantiert werden könnten.
4.2 Akute vaskuläre Abstoßung Die akute vaskularisierte Abstoßung beruht auf der Neubildung xenoreaktiver Antikörper, die durch Sensibilisierung der B-Lymphozyten mit den Xenoantigenen entste-
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hen. Ihre Neubildung versucht man mit Hilfe moderner immunsuppressiver Medikamente zu verhindern. Im Experiment gelingt dies bereits sehr eindrucksvoll, mit dem altbekannten Alkylans Cyclophosphamid [4] und den neueren Immunosuppressiva FK-506 (Tacrolimus), 15-Desoxyspergualin, Leflunomid, Rapamycin, Brequinar und Mycophenolat Mofetil [3]. Man prüft zudem unterschiedliche Kombinationen dieser Immunsuppressiva, um synergistisch Effektverstärkungen zu erzielen und die gefürchteten Nebenwirkungen eines einzeln verabreichten Medikamentes zu verringern. Diesbezügliche Forschungsbemühungen bedeuten nicht nur einen Erkenntnisgewinn für zukünftige Xenotransplantationen, sondern auch für den klinischen Alltag in der Allotransplantation.
4.3 Zellvermittelte Abstoßung Es war lange fraglich, ob die zellvermittelte Abstoßung im Ansatz „Mensch-antiSchwein" überhaupt wirksam werden kann. Man vermutete, daß strukturelle Unterschiede der artfremden, miteinander kommunizierenden und kooperierenden Zelloberflächenmoleküle die Aktivierung der menschlichen T-Zellen verhindern würden. Neuere In-vitro-Analysen, auch aus der eigenen Arbeitsgruppe [28], zeigen, daß diese Vermutung falsch ist. Danach kommt es im experimentellen Modell „Menschanti-Schwein" zu heftigen zellvermittelten Abwehrreaktionen, an denen sich nicht nur T-Zellen [23], sondern auch NK Zellen beteiligen [5,25]. Humane T-Zellen können porzine Antigene auf den artfremden, Antigen-präsentierenden, MHC (major histocompatibility complex)-Klasse-II-positiven Zellen direkt erkennen und reagieren darauf mit Aktivierung, d.h. klonaler Expansion. Die ursprüngliche Hoffnung, hier gegenüber der Allotransplantation („Mensch-anti-Mensch") im Vorteil zu sein, ist nicht haltbar und läßt die Frage nach der Induktion immunologischer Toleranz umso dringlicher erscheinen.
4.4 Induktion immunologischer Toleranz Die Induktion immunologischer Toleranz muß unverändert das vordringlichste Ziel der klinischen Allotransplantation bleiben, aber ebenso der Xenotransplantation, wenn diese klinisch realisiert werden soll [12]. Nach Ausschalten der hyperakuten vaskulären Abstoßung durch Verwendung transgener Spenderorgane, müßten die akute vaskuläre und die zellvermittelte Transplantat-Abstoßung durch Einnahme immunsuppressiver Medikamente unterdrückt werden. Die Nachteile der zumeist lebenslangen Immunsuppression liegen in der Induktion bzw. Entwicklung von Tumoren und einem erhöhten Infektionsrisiko. Transplantationen bedeuten aber nur dann einen wirklichen Fortschritt, wenn nicht nur Leben verlängert sondern auch die Lebensqualität des Patienten verbessert wird. Moderne immunologische Strategien verfolgen daher das Ziel, die immunologische Attacke gegen das transplantierte Gewebe zu unter-
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binden, die Abwehr gegen entartete Zellen und infektiöse Keime aber intakt zu halten. Immunsuppressive Medikamente stellen aus den genannten Gründen einen schlechten Kompromiß dar. Mit der Übertragung von porzinen Knochenmark-Stammzellen in den Empfänger vor Transplantation soll der Organismus an das artfremde, Gewebe „gewöhnt" werden. Er erkennt die fremden Zellen dann sozusagen als „selbst" und schaltet die abwehrenden Immunzellen stumm. Wenn anschließend ein Organ des Knochenmark-Stammzellspenders übertragen wird, sollten die artfremden Zellen im menschlichen Empfängerorganismus ohne längere Immunosuppression überleben. Man spricht in diesem Zusammenhang von einem Zellchimärismus als Vorraussetzung der Toleranz. Erste eindrucksvolle Ergebnisse an Affen, denen KnochenmarkStammzellen des Schweines und anschließend eine Schweineniere übertragen wurden [26], geben Anlaß zu der Hoffnung, daß mit diesem Verfahren ein Durchbruch erzielt werden könnte.
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Klinische Xenotransplantationen
1963 übertrug der Amerikaner K. Reemtsma zwei Patienten mit terminaler Niereninsuffizienz die Niere eines Blutgruppen-identischen Schimpansen [22]. Das System der Organspende war damals noch nicht so weit entwickelt wie heute, und daher waren Spendernieren nur selten verfügbar. Nach ausführlicher Aufklärung über die Risiken einer Xenotransplantation stimmten die schwerkranken Patienten der Transplantation zu. Unter der damals üblichen Immunsuppression, bestehend aus Azathioprin, Steroiden und Actinomycin C - das Cyclosporin A war noch nicht entdeckt - überlebte ein Patient 63 Tage, der zweite bei einwandfreier Funktion des xenogenen Organs immerhin 9 Monate. Wegen der Unwägbarkeiten, die dennoch mit den Xenotransplantationen verbunden waren, verzichtete Reemtsma auf weitere Transplantationen. Insgesamt und weltweit wurden bis heute 33 xenogene Nieren transplantiert (1905-1966), von Affen, Schaf, Ziege, Kaninchen und Schwein, 9 xenogene Herzen (1964-1992), vom Affen und Schwein und 12 xenogene Lebern (1966-1993), vom Affen und dem Schwein stammend [27]. 1984 erhielt ein neugeborenes Kind, „Baby Fae", in Loma Linda/USA wegen akuten Herzversagens das Herz eines Schimpansens. Trotz moderner Immunosuppressiva wurde das xenogene Herz nach 20 Tagen offenbar infolge Antikörper-vermittelter Immunreaktionen heftig abgestoßen [2]. Speziell diese Xenotransplantation und ihr fataler Ausgang lösten weltweit heftige Diskussionen unter Ärzten und Wissenschaftlern aus. Sie verstärkte aber zugleich die wissenschaftlichen Anstrengungen in einer ganz neuen Forschungsrichtung der modernen Transplantationsmedizin. Zwischen 1990 und 1994 übertrug C.G. Groth in Stockholm fetales, kultiviertes Pankreasgewebe des Schweines, zugleich mit einer menschlichen Niere, in 10 diabetische Patienten [13]. Diese waren als Folge des Typ I Diabetes nicht nur Insulinpflichtig, sondern auch niereninsuffizient und damit Dialyse-pflichtig geworden waren. Groth verteidigte sein klinisches Vorgehen damit, daß er seine Patienten, deren xeno-
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genes Insulin-produzierendes Pankreasgewebe alsbald abgestoßen wurde, nicht über Gebühr gefährdet hätte. Die Patienten lebten nun mit den gut funktionierenden allogenen Nieren, benötigten aber wegen des Versagens des xenogenen Pankreasgewebes unverändert Insulin-Injektionen zur Behandlung ihres Diabetes. Es waren u.a. immer wieder die Schwere einer Erkrankung und die Ausweglosigkeit ärztlicher Kunst, die Arzte und ihre Patienten in der Vergangenheit dazu veranlaßten, den noch unbekannten Weg der klinischen Xenotransplantation zu beschreiten [27]. Denkbar auch ist die Verwendung xenogener Organe zur Überbrückung („bridging") der Zeitspanne zwischen dem akuten Organversagen und dem Angebot eines allogenen Spenderorganes. Die wohl wichtigste Erkenntnis aus den ersten klinischen Ansätzen bleibt, daß große Forschungsanstrengungen erforderlich sind, um unserer Wissen bezüglich der Ursachen des Transplantatversagens zu vertiefen und mit Hilfe der modernen Biomedizin Wege und Verfahren zu entwickeln, die dieser neuen Transplantationsform eines Tages zum Erfolg verhelfen könnten.
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Übertragung von Krankheiten
Eine mit der Xenotransplantion verbünde Gefahr liegt in der möglichen Übertragung infektiöser Keime vom Spendertier auf den Menschen. Man nennt diesen Vorgang „Zoonose"; gemeint sind Virus-, Bakterien- und Pilzerkrankungen [16]. In der klinischen Allotransplantation (Mensch-auf-Mensch) sind Cytomegalic-, Hepatitis-und Herpes-Virus-Erkrankungen besonders gefürchtet. In der klinischen Xenotransplantation sind zwar die meisten Erreger bereits bekannt, unbekannt sind jedoch die Übertragungswege und Mechanismen ihrer Pathogenität im menschlichen Organismus [6], Im immunsupprimierten Wirtsorganismus wiegt das Problem einer geschwächten Infektabwehr besonders schwer. Gefürchtet sind endogene Retroviren, deren Gene sich seit Urzeiten im Genom des Schweines „verstecken". Weitgehend unbekannt ist, ob sie ggf. mit menschlichen Genen rekombinieren und neue Erreger unbekannter Pathogenität hervorbringen können. Nach jüngsten Erkenntnissen kann dies zumindest in vitro nicht ausgeschlossen werden [20]. Einige Wissenschafder stehen daher der Übertragung porziner Organe auf den Menschen äußerst kritisch gegenüber. Zu Recht fordern sie von den Transplantationsmedizinern hieb- und stichfeste experimentelle Beweise zur Klärung dieses schwerwiegenden Problems. Weltweit sind große Forschungsanstrengungen erkennbar, um das Problem der Zoonosen und möglicher Virusübertragungen zu klären und ggf zu lösen. Zu einem Zeitpunkt, da erfolgreiche Konzepte zur Überwindung der immunologischen Abwehrreaktionen die Xenotransplantation immer realistischer erscheinen lassen, müssen Virologen, Infektionsbiologen, Immunologen, Molekularbiologen und Biotechnologen sich nun einer Herausforderung stellen, die bislang nicht im Vordergrund der Betrachtung gestanden hatte.
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Überlegungen zur Xenotransplantation
Ethische Bedenken im Zusammenhang mit der Xenotransplantation werden von Klinikern und Wissenschaftlern sehr ernst genommen [14]. Teile der Bevölkerung und der Mediziner stehen dieser neuen Form der Organübertragung — aus unterschiedlichen Gründen — kritisch gegenüber. Die Kritiker sollten aber bedenken, daß schwerkranke Menschen ein Recht auf effiziente medizinische Behandlung haben. Die betroffenen Patienten fordern für sich dieses Recht, und es ist erstaunlich, wie viele Patienten sich in jüngster Zeit auch über die Möglichkeiten einer Xenotransplantation informieren. Dazu gehört, daß die Öffentlichkeit über die Forschungsentwicklungen in der Xenotransplantation, ihre Vor- und Nachteile und Gefahren informiert und aufgeklärt wird. Nur so ist eine Vertrauensbildung auf diesem Gebiet der modernen Transplantationsmedizin möglich. Befürchtet wird auch, daß Tiere als „Ersatzteillager" für den Menschen mißbraucht werden. Das moderne, immer wieder verbesserte Tierschutzgesetz kann und wird hier wirkungsvolle Barrieren schaffen. Andererseits ist die klinische Transplantationsmedizin heute schon an einem Punkt angelangt, wo der Mehrbedarf an menschlichen Spenderorganen nicht mehr gesichert werden kann. Daran ändert auch das kürzlich verabschiedete neue Transplantationsgesetz nichts, dies ist eine bedrückende, aber unumstößliche Tatsache. Immer mehr Menschen benötigen ein Spenderorgan, denn die klinischen Transplantationen sind stetig risikoärmer geworden. Dazu haben moderne chirurgisch-operative Verfahren, neue Verfahren in der Anästhesie, die verbesserte Gewebetypisierung sowie die Entwicklung neuer Immunosuppressiva geführt. Wer aber will entscheiden, welcher Patient ein Spenderorgan erhalten darf und wer nicht? Die Xenotransplantation könnte ein erfolgreicher Ausweg aus diesem für alle Beteiligten bedrückenden Konflikt darstellen. Zuvor aber sind weitere große Forschungsanstrengungen erforderlich, ebenso wie ein intensiver, konstruktiver Dialog zwischen allen Beteiligten, Patienten, Ärzten, Wissenschafdern, Politikern, Tierschützern und Bürgern, einschließlich Theologen und Juristen. Niemand sollte sich diesem Dialog entziehen, denn jeder von uns kann in die Lage eines Patienten mit Organversagen geraten.
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Zu den Autoren
Johann S. Ach Lehrbeauftragter am Philosophischen Seminar der Univ. Münster und an der Kath. Fachhochschule Norddeutschland, Abt. Osnabrück. 1991 Magister-Prüfung, 1997 Promotion. 1993 bis 1997 Wissenschaftlicher Mitarbeiter in einem Forschungsprojekt über moralische Probleme der Organtransplantation. Mitglied im argos-Institut für gesellschaftswissenschaftliche Studien, praktische Philosophie und Bildung e.V. Hauptarbeitsgebiete: Praktische Philosophie, Ethik, Bioethik. Wichtigste Veröffentlichungen: Spe^esismus im Labor (in Vorb.); als Herausgeber: Herausforderung der Bioethik, Stuttgart, Bad Cannstatt 1993 (zusammen mit A. Gaidt), Hirntod und Organverpflanzung, Stuttgart, Bad Cannstatt 1997(zusammen mit M. Quante), Grenzen des Lebens - Grenzen der Median, Münster 1997 (zusammen mit M. Bedenbecker-Busch und M. Kayß); Aufsätze zu verschiedenen Problemen der angewandten Ethik.
Ekkehart Heidbreder Medizinstudium an den Universitäten Gießen, Marburg, Berlin und Würzburg; seit 1969 an der Medizinischen Universitätsklinik Würzburg; 1975 Facharzt für Innere Medizin, Teilgebiet Nephrologie; 1977 Habilitation; 1981 Professur; Oberarzt an der Medizinischen Universitätsklinik Würzburg, Abteilung für Nephrologie; seit 1984 Aufbau des Transplantationszentrums Würzburg.
Johannes Hoff Diplomtheologe und Magister Artium, geboren 1962 in Trier, studierte Philosophie und katholische Theologie in Tübingen und Bonn. Studien- und Promotionsstipendiat der Bischöflichen Studienstiftung Cusanuswerk. Veröffentlichungen zu den Themen Hirntod und Organtransplantation, sowie zu bewußtseinsphilosophischen und fundamentalethischen Fragestellungen. Mitherausgeber und Autor des Buches „Wann ist der Mensch tot? Organverpflanzung und Hirntodkriterium, Rowohlt 1994" (erweiterte Neuausgabe 1995). Zur Zeit wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Fundamentaltheologie der Eberhard-Karls-Universität Tübingen und Doktorand mit einer Arbeit zum Thema „Spiritualität und Sprachverlust. Zur Ortsbestimmung der Gottesrede im Kontext von Ethik und Lebenskunst."
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Wolfram Höfling Geboren 1954, Studium der Rechtswissenschaft, der Politikwissenschaft und der Ägyptologie an der Universität Bonn, 1978 politikwissenschaftliches Magisterexamen; 1981 Erstes, 1984 Zweites Juristisches Staatsexamen; 1987 Promotion zum Dr. jur. an der Universität zu Köln; dort 1992 Habilitation und Verleihung der venia legendi für die Fächer Staatsrecht, Verwaltungsrecht und Steuerrecht. Anschließend Professor für Öffentliches Recht an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg; seit Sommersemester 1993 Inhaber eines Lehrstuhls für Staats- und Verwaltungsrecht an der JustusLiebig-Universität Gießen. Zahlreiche Veröffentlichungen zum Staats- und Verwaltungsrecht, insbesondere zur Grundrechtsdogmatik.
Günter U. Höglinger Geboren 1971 in Passau. Studium der Physik und Medizin an den Universitäten Regensburg und Würzburg. 1993 Vordiplom der Physik. Seit 1994 Stipendiat der HannsSeidel-Stiftung. Zweites Staatsexamen der Medizin 1998. Seit 1994 aktives Mitglied des Studentenverbandes Ethik in der Medizin, Würzburg. Seit 1995 Dissertation auf dem Gebiet der Neurotransplantation bei M. Parkinson an den Universitäten München, Bern und Marburg.
Stefan Kleinert Geboren 1971 in Nürnberg. Medizinstudium an den Universitäten Regensburg und Würzburg, Stipendiat der Hanns-Seidel-Stiftung. Aktive Mitarbeit im Studentenverband Ethik in der Medizin, Würzburg. Auf Basis dieser Arbeit Mitherausgeber des Buchs „Der medizinische Blick auf Behinderung - Ethische Fragen ..., Würzburg 1997". Seit 1996 Dissertation auf dem Gebiet niedrigmaligner Non-HodgkinLymphome.
Kai Lopau Medizinstudium an der Bayerischen Julius-Maximilians-Universität Würzburg, 3. Staatsexamen 1995, seit August 1995 an der Medizinischen Universitätsklinik Würzburg, Abteilung für Nephrologie; Promotion 1996; seit Juli 1996 Koordinator des Transplantationszentrums der Deutschen Stiftung Organtransplantation in Würzburg.
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Johannes G. Mayer Geboren am 19. 11. 1953 in Nürnberg, Studium der Germanistik, Geschichte und Sozialkunde an der Universität Würzburg für das Lehramt an Gymnasien, Promotionsstudium in Germanistik und Geschichte an der Universität Eichstätt. 1981 bis 1984 Mitglied der .Würzburger Forschergruppe: Fachprosa des Mittelalters' unter Leitung von Prof. Kurt Ruh. Ab Sommer 1984 Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Sonderforschungsbereich 226 (Universitäten Würzburg und Eichstätt). Ende 1986 wechselte er von der Altgermanistik zu medizinhistorischen Teilprojekt des SFB 226 bei Prof. Gundolf Keil, das er von Beginn an (1984) mitgestaltet hatte. Seit Sommer 1995 Direktor der Wullstein-Forschungsstelle für medizinische Fachprosa des Mittelalters und Ethik in der Medizin am Institut für Geschichte der Medizin der Universität Würzburg, in dieser Funktion auch beteiligt am Aufbau eines Studiengangs für medizinische Ethik. Seit Ende 1997 Mitarbeit in der .ArticellaGruppe' zur Erforschung des medizinischen Curriculums im Mittelalter und der Beratungskommission zur Neuauflage des Lexikons ,Thorndike-Kibre* am Kings Colledge in Cambridge. Autor und Mitherausgeber mehrer Sammelbände zur Literatur und Medizin des Mittelalters, zahlreiche Lexikon-Artikel. Forschungsinteressen: medizinisches und philosophisches Weltbild im Mittelalter, Ethik und Medizin, Geschichte der Phytotherapie, Geschichte der Biologie (einschl. Neuzeit).
Dieter Patzelt Wurde 1941 im sudetendeutschen Gablonz geboren. Nach Schulbesuch und Medizinstudium in Berlin erhielt er seine rechtsmedizinische Ausbildung bei dem bekannten österreichischen Gerichtsmediziner Otto Prokop in Berlin. Im Jahre 1987 wurde er an die Universität Greifswald berufen und übernahm hier 1989 Lehrstuhl und Direktorat des rechtsmedizinischen Instituts. Im Jahre 1993 erhielt er einen Ruf nach Würzburg und ist seitdem Ordinarius für Gerichtliche und Soziale Medizin und Direktor des rechtsmedizinischen Institutes. Wissenschaftliche Schwerpunkte sind Arbeiten zur Individualität des menschlichen Blutes, zur vegetativen Reagibilität unter Alkoholwirkung und zu biologischen Aspekten des Grenzbereiches zwischen Leben und Tod.
Klaus Roosen Geboren am 13. 05. 44, beschäftigte sich bereits während seiner Ausbildung an der Neurochirurgischen Universitätsklink Essen von 1971 - 1987 mit Problemen der apparativen Hirntoddiagnostik. 1988 Ruf auf den Lehrstuhl für das Fach Neurochirurgie an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Dort Mitarbeit in den Transplantationszentren Frankfurt und Gießen. Seit 1991 Direktor der Neurochirurgischen Universitätsklinik Würzburg. Zusammen mit seinem Mitarbeiter Herrn PD Dr. Schlake Untersu-
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chungen zur apparativen Hirntoddiagnostik und zu Problemen bei der Befunddeutung des Hinrtodsyndroms. Michael Rosenberger Jahrgang 1962, aufgewachsen in Kitzingen/Main. Nach dem Abitur Studium der Theologie 1981 - 83 in Würzburg und 1983 - 89 in Rom (Abschluß mit dem Lizentiat). 1987 in Rom zum Priester der Diözese Würzburg geweiht. 1989 - 1995 in der Seelsorge des Bistums Würzburg an verschiedenen Stellen tätig. 1995 Promotion mit einer Arbeit über den Zusammenhang von Christologie und Spiritualität in den Predigten des hl. Augustinus. Seit 1996 Wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Moraltheologie der Universität Würzburg. Derzeit Arbeit an der Habilitation zum Thema „Schöpfungsethik in den Dokumenten des konziliaren Prozesses".
Hans-Peter Schlake Geb. 1958, Facharzt für Neurologie, 1990 Habilitation in Neurologie, von 1983-1992 tätig an der Klinik und Poliklinik für Neurologie der Universität Münster, zuletzt dort oberäztlich tätig. Seit 1992 Oberassistent in Facharztweiterbildung an der Neurochirurgischen Universitätsklinik Würzburg. Seit fast 15 Jahren wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Hirntod; zahlreiche Publikationen über die Hirntod-Diagnostik, insbesondere über hirnszintigraphische Verfahren.
Wilhelm Schoeppe Gründungsmitglied und medizinischer Vorstand des KfH Kuratorium für Dialyse und Nierentransplantation e.V. seit 1969. Mitbegründer und medizinischer Vorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation seit 1984.
Hans-Ludwig Schreiber Geboren 1933. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften und der Philosophie und den beiden Staatsexamina zunächst Richter. Nach der Habilitation in Bonn 1971 Professor für Strafrecht, Strafprozeßrecht und Rechtsphilosophie in Göttingen. Dort unter Ablehnung von Rufen nach Bielefeld, Mannheim, Heidelberg und Freiburg geblieben. 1987 bis 1990 Staatssekretär im Ministerium für Wissenschaft und Kunst in Hannover. Seit 1992 Präsident der Universität Göttingen. Direktor des Instituts für Medizinisches Recht in der Juristischen Fakultät der Universität Göttingen.
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Heiner Smit Geboren 1946. Ausbildung zum Krankenpfleger. Von 1972 - 1979 arbeitete er auf der Dialysestation der Medizinischen Universitätsklinik Tübingen und war von 1979 1989 Transplantationskoordinator der Deutschen Stiftung Organtransplantation an der Chirurgischen Universitätsklinik Tübingen. Hierbei war er auch verantwortlich für die „Gemeinschaftsaufgabe Organspennde" mit 40 regionalen Krankenhäusern. Mitbegründer der European Transplant Coordinators Organisation (ETCO) 1982 und deren erster Preisträger (1989). 1989 wechselte er in die Hauptverwaltung der Deutschen Stiftung Organtransplantation in Neu-Isenburg. Er ist Mitglied der Geschäftsführung.
Klaus Steigleder Geboren 1959 in Frankfurt/M. Studium der Philosophie und katholischen Theologie. 1991 Promotion. 1986 bis 1993 wissenschaftlicher Koordinator des Zentrums für Ethik in den Wissenschaften der Universität Tübingen. 1993 bis 1995 zunächst Lehrbeauftragter, seit 1995 wiss. Assistent am Philosophischen Institut der Universität Stuttgart. Mitglied der Akademie für Ethik in der Medizin, Göttingen.
Sibylle Storkebaum Geboren 1946, Diplom-Psychologin, betreut seit 1993 nach vielen Jahren der journalistischen Tätigkeit im Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München Transplantationspatienten und im Deutschen Herzzentrum München die Kinderkardiologie
Arnulf Thiede Geb. 1942 in Berlin. Studierte Medizin in Kiel, Berlin, Frankfurt und Tübingen. Gründete 1972 ein Mikroschirurgisches Labor für Experimentelle Transplantationsforschung und Mikrochirurgie. 1973-1987 Projekdeiter in verschiedenen Transplantationsprojekten im Sonderforschungsbereich 111 der DFG. 1976 Habilitation an der Christian-Albrechts-Universität Kiel. 1979 Gründung des Transplantationszentrums Kiel. Studienaufenthalte in den USA, in Großbritannien und Thailand, Gastprofessur in Japan. Seit 1991 Direktor der Chirurgischen Klinik und Poliklinik der Universität Würzburg.
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Karin F. Α. Ulrichs Die Autorin hat seit 1994 eine C3-Professur für „Experimentelle TransplantationsImmunologie" an der Universität Würzburg inne. Ihre transplantationsimmunologische Arbeitsgruppe ist an der Chirurgischen Klinik und Poliklinik (Direktor: Professor Dr. med. A. Thiede) der Universität Würzburg angesiedelt. Schwerpunkte ihrer derzeitigen Arbeit sind die experimentelle Leber- und DünndarmTransplantation sowie die Transplantation xenogener porziner Langerhans-Inseln. Christoph Wanner Medizinstudium an der Universität Ferrara / Italien, Freie Universität Berlin und Julius-Maximilians-Universität Würzburg; 1983 Wissenschaftlicher Assistent an der Medizinischen Universitätsklinik Freiburg i. Breisgau; 1990 Habilitation; 1990 Oberarzt Abteilung Innere Medizin IV / Nephrologie in Freiburg; 1994 Berufung auf eine C3Professur für Innere Medizin an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg, Leiter der Abteilung für Nephrologie.