193 84 9MB
German Pages 349 [356] Year 1995
Michael Bärmann Herr Göli
Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte Begründet als
Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker von
Bernhard Ten Brink und Wilhelm Scherer
Herausgegeben von
Ernst Osterkamp und Werner Röcke
4 (238)
W DE G Walter de Gruyter · Berlin · New York 1995
Herr Göü Neidhart-Re2eption in Basel
von
Michael Bärmann
W G DE
Walter de Gruyter · Berlin · New York 1995
® Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufiiahme Bärmann, Michael: Herr Göli: Neidhart-Rezeption in Basel / von Michael Bärmann. Berlin ; New York : de Gruyter, 1995 (Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte ; 4 = (238)) Zugl.: Fribourg, Univ., Diss., 1993 ISBN 3-11-014670-3 NE: GT
ISSN 0946-9419 © Copyright 1995 by Walter de Gruyter & Co., D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen Printed in Germany Einbandgestaltung: Sigurd Wendland, Berlin Druck: Werner Hildebrand, Berlin Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer-GmbH, Berlin
Vorwort
Im Mittelpunkt der vorliegenden Untersuchung stehen Leben und Werk des Neidhart-Nachahmers Göli. Die Arbeit wurde zunächst als Magisterarbeit, im Sommersemester 1993 dann in erweiterter Form von der Philosophischen Fakultät der Universität Freiburg/Schweiz als Dissertation angenommen. Das Manuskript erfuhr später erneute Veränderungen, so daß die nun vorliegende Druckfassung das Ergebnis einer Überarbeitung darstellt. Während des Entstehungszeitraums erschienene Literatur wurde nach Möglichkeit noch berücksichtigt. Die Beschäftigung mit Göli und dem Basler Literaturbetrieb geht zurück auf ein zweisemestriges Proseminar, das Eckart Conrad Lutz 1985/86 am Deutschen Seminar der Universität Freiburg i. Br. zum Thema 'Minnesang am Oberrhein - regionale Literatur?' veranstaltete. Eckart Conrad Lutz verdanke ich nicht nur den methodischen Zugang, sondern auch die in vielfacher Hinsicht fruchtbare Betreuung der gesamten Arbeit. Alois Wolf (Freiburg i. Br.), der die Begutachtung der Magisterarbeit mit übernahm, sowie Carl Pfaff (Freiburg/Schweiz), der als Zweitgutachter die Dissertation nochmals einer kritischen Prüfung unterzog, sei gleichfalls herzlich gedankt. Dank schulde ich auch Max Schiendorfer (Zürich), der das Manuskript durchgesehen und mir zahlreiche Anregungen und Hinweise gegeben hat, sowie Johannes Helm und Jörg Sigwart (beide Badenweiler), die sich freundlicherweise dazu bereit erklärten, die Abschnitte zu Badenweiler einer eingehenden Lektüre zu unterziehen. Zahlreiche Auskünfte und weiterführende Hinweise erhielt ich von Berent Schwineköper (t) (Freiburg i. Br.), Rudolf Suter-Christ (Basel) und Fritz Heussler (Rheinfelden). Die Mitarbeiter der Archive in Aarau, Basel, Freiburg und Karlsrulle halfen mir stets bereitwillig bei der Suche nach Quellen und stellten mir verschiedene Mikrofilme zur Verfügung. Fotomaterial erhielt ich darüber hinaus von der Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt a. M. und der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz/Berlin. Die Drucklegung der Arbeit ermöglichten Werner Röcke und Ernst Osterkamp (beide Berlin), die Herausgeber der 'Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte'. Ihnen wie auch den Mitarbeitern des Ver-
VI
Vorwort
lages Walter de Gruyter, besonders aber auch Markus L'Hoste (Freiburg/Schweiz), der die Satzgestaltung besorgte, gebührt herzlicher Dank. Bern, im Juni 1995
Michael Bärmann
Zur Zitierweise Die Anwendung des Textverarbeitungsprogramms WORD 5 hat die in dieser Arbeit erscheinenden Schreibweisen der edierten wie der nicht edierten Quellenzeugnisse wesentlich mitbestimmt. Die dabei eingetretenen Veränderungen führten nicht nur zur Auflösung von Ligaturen, sondern auch zu einer modifizierten Wiedergabe der mittelhochdeutschen Umlaute und Diphthonge: Die in den Quellen hochgestellten Buchstaben wurden in der Regel in das Wort eingerückt. Dennoch ließen die Vielzahl, Streuung und jeweilige Eigenart der zitierten Zeugnisse keine einheitliche Lösung zu. So wurden beispielsweise die Transkriptionen der Göli-Lieder aus der Berliner Neidhart-Handschrift c bereits von der Herausgeberin Ingrid Bennewitz-Behr dergestalt vereinheitlicht, daß Akute über Vokalen Umlaute usw. bedeuten können. Die durch WORD 5 gegebene Möglichkeit der graphischen Wiedergabe dieser Zeichen legte eine Übernahme nahe. Wird in den Anmerkungen auf Quellen verwiesen oder Sekundärliteratur erwähnt, erscheint bei der ersten Nennung der vollständige Titel. Spätere Verweise geben lediglich einen Kurztitel an. Diese Kurztitel können über die Bibliographie aufgelöst werden. Eine Zusammenstellung und Erklärung der häufigsten Abkürzungen und Siglen findet sich am Beginn des Literaturverzeichnisses.
Inhalt
Vorwort
V
Einleitung
1
I.
Göli und die Forschung 1.
5
Frühe Ansätze
5 /
II.
2.
Göli als literarhistorisches Konstrukt
3.
Spekulationen und eine erste kritische Edition
9
der Liedtexte
10
4.
Poetologische Umwege
12
5.
Die urkundliche Erschließung Gölis
14
6.
Exkurs: Der Freiburger Vogt Goeli
17
7.
Ergebnisse
22
Göli in Basel? - Indizien und Argumente
23
1.
Die Miniatur (in C)
23
2.
Der Rhein
30
3.
Helme aus Colmar
35
4.
Ein Tor in Basel?
37
5.
Kunze der Weibel - ein Basler Amtmann?
40
6.
Min vrouwe Bile - Gölis Frau?
43
VIII
Inhaltsverzeichnis
III.
IV.
7.
Höhenliten - Lokalkolorit oder literarisches Zitat?
45
8.
Mode und Sprache - Nähe zu Frankreich?
47
9.
Die Gieselbrecht-Figur - Anknüpfungspunkte an Herzogs Methode
49
10. Ergebnisse
50
Das mittelalterliche Basel und die Familie Göli
53
1.
Basel dü vil werde im 13. Jahrhundert
54
2.
Domherr, Kämmerer und Propst: Konrad Göli und der Basler Klerus
60
3.
Diethelm Göli: miles Basiliensis
70
4.
Basel und das Interregnum
86
5.
Die letzten Jahrzehnte
94
6.
Ergebnisse
Die Familie Göli und der Basler Literaturbetrieb
115
1.
Forschungsansätze
115
2.
Konrad von Würzburg, seine Gönner
3. V.
112
und seine Dichterkollegen
126
2.1. Kleriker
128
2.2. Laien
143
Ergebnisse
154
Gölis Lieder. Überlieferung und Edition
157
1.
Die einzelnen Textzeugen
157
2.
Beurteilung der Überlieferungslage
162
Inhaltsverzeichnis
VI.
VII.
3.
Die älteren Ausgaben
163
4.
Editionsprinzipien
168
5.
Die C-Überlieferung
170
6.
Die B-Überlieferung
177
7.
Die O-Überlieferung
181
8.
Die c-Überlieferung
183
Interpretationen
189
1.
Neidhart und Göli
190
2.
Die Sommerlieder Neidharts und Gölis
193
3.
Lied I
196
4.
Lied II
228
5.
Lied III
254
6.
Lied IV
263
7.
Ergebnisse
279
Anhang 1. 2.
3.
VIII.
IX
281
Die Göli-Lieder und die Dietrichepik Reflexe einer Rezeption?
281
Autorvarianten oder Überlieferungsstörungen? Überlegungen zu den Liedfassungen der Handschrift c
285
Lied II und der Faßschwank
290
Bibliographie
295
1.
Abkürzungsverzeichnis
296
2.
Handbücher, Lexika, Wörterbücher
298
X
Inhaltsverzeichnis
3.
IX.
X.
Quellen
300
3.1. Gedruckte Quellen
300
3.2. Ungedruckte Quellen
309
4.
Forschungen
309
5.
Tonträger
327
Register
329
1.
Orte und Personen
329
2.
Autoren und anonyme Werke
337
Karte
341
Einleitung
In der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts zeichnet sich am Oberrhein erstmals jenes Phänomen ab, das die Literaturwissenschaft mit dem Etikett 'städtischer Literaturbetrieb' versehen hat. Anders als an den großen geistlichen und weltlichen Höfen bzw. Institutionen des Hochmittelalters findet Literatur seitdem in zunehmendem Maß einen neuartigen Platz im Gesellschaftsgefüge und erreicht nun Bevölkerungsschichten, die bis dahin gar nicht oder nur kaum an der Produktion und Rezeption von Texten beteiligt gewesen sein dürften. Soweit das Phänomen bekannt und erforscht ist, tritt es am deutlichsten im Raum Basel in Erscheinung, ist aber nur wenig später auch in Straßburg, Konstanz und Zürich greifbar. Mehr noch: Seit dem Beginn des Spätmittelalters läßt sich der oberrheinische Raum als eine von mehreren städtischen Literaturzentren geprägte Region fassen, wobei die hier und da wenigstens bruchstückhaft nachweisbaren Austauschprozesse gewiß nicht ausschließlich auf die genannten Städte beschränkt blieben, sondern auch kleinere geistliche und weltliche Höfe und Institutionen miteinbezogen haben dürften. Die vorliegende Arbeit geht dem Phänomen 'städtischer Literaturbetrieb' anhand eines bisher kaum erforschten Einzelfalls exemplarisch nach. Weder die 'Basler Literaturszene' als Ganzes, noch die wenigstens in ihren Umrissen rekonstruierbare oberrheinische Städtelandschaft wird hierbei das Zentrum bilden, sondern ein einzelner Autor: Göli. Wie noch die jüngste Forschung zeigt, gehört nicht nur er zu den umstrittenen Dichtern dieser Stadt. Ursula Peters etwa konstatierte erst vor einigen Jahren, eine Überprüfung der einzelnen Angaben zum Basler Literaturbetrieb ergebe ein wesentlich zurückhaltenderes Bild von der dortigen Literaturszene als bisher.1 Nicht nur die Zugehörigkeit Konrad Flecks zur Basler Familie Flecka sei völlig ungesichert, sondern auch im Fall des Spruchdichters Pfeffel entbehre
1 Ursula Peters, Literatur in der Stadt. Studien zu den sozialen Voraussetzungen und kulturellen Organisationsformen städtischer Literatur im 13. und 14. Jahrhundert, Tübingen 1983 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur. 7), S. 97.
2
Einleitung
die Argumentation für eine Person aus Basel jeder Wahrscheinlichkeit.2 Nachdem darüber hinaus auch die vermeintliche Basler Herkunft des Spruchdichters Boppe als Fehlschluß zurückgewiesen sei, so die Autorin, reduziere sich die Basler Literaturszene des 13. Jahrhunderts im volkssprachigen Bereich auf die Dichterpersönlichkeiten Konrads von Würzburg und Walthers von Klingen, die als Stadtbewohner bezeugt seien. 3 Auch der Zugehörigkeit Gölis zum Basler Literaturbetrieb begegnete Peters mit Skepsis, 4 während der Dichter sonst gewöhnlich mit dem Basler Stadtritter Diethelm Göli identifiziert worden war.5 Ungeachtet der Fragwürdigkeit dieser Gleichsetzung bleibt festzuhalten, daß weder Gölis Basler Herkunft noch seine etwaige Zugehörigkeit zu den dortigen Literaturkreisen jemals exakt untersucht worden waren, obwohl ein solches Unternehmen mit einiger Sicherheit neue Aspekte auch der Basler Verhältnisse zutage gefördert hätte. Die besondere Bedeutung des dortigen Literaturbetriebs mag eine Feststellung Joachim Bumkes unterstreichen, der nicht lange vor Ursula Peters resümierte: „Das interessanteste Beobachtungsfeld für die Rezeption höfischer Dichtung in den Städten ist ohne Zweifel Basel mit dem großen Gönnerkreis, für den Konrad von Würzburg dort gedichtet hat."6 Nicht nur Bumkes Ausführungen, auf die an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden kann, sondern auch all die älteren Rekonstruktionsver2 Ebda, S. 99; zu Konrad Fleck siehe Peter Ganz, Art. Konrad Fleck, in: VL 2 ( 2 1980), Sp. 744-747; zu Pfeffel siehe bereits Karl Bartsch (Hg.), Die Schweizer Minnesänger, Darmstadt 1964 (Unveränderter reprografischer Nachdruck der Ausg. Frauenfeld 1886) (Bibliothek älterer Schriftwerke der deutschen Schweiz. 6), S. XLIXf. (zur Biographie), S. 71 ff. (Textabdruck) u. S. 421 (Kommentar). Auch der kürzlich im VL erschienene Artikel fuhrt hinsichtlich der Identität des Autors zu keiner Klärung: Max Schiendorfer, Art. Pfeffel, in: VL 7 ( 2 1989), Sp. 558ff.; zu beiden Autoren siehe unten, S. 117. 119f., 123f. 3 Peters, Literatur in der Stadt, S. 100; zu Boppe siehe Gisela Komrumpf, Art. Boppe, in: VL 1 ( 2 1978), Sp. 953-957; vgl. unten, S. 118ff., 123f.; zu Walther von Klingen siehe unten, S. 118ff., 122, 124, 141, 151 ff.; zu Konrad von Würzburg und dem Basler Literaturbetrieb siehe unten, Teil IV. 4 Peters, Literatur in der Stadt, S. 99. 5 Anders hingegen Thomas Cramer, Minnesang in der Stadt. Überlegungen zur Lyrik Konrads von Würzburg, in: Literatur - Publikum - historischer Kontext, hg. v. Gert Kaiser, Bern/Frankfurt a. M./Las Vegas 1977 (Beiträge zur älteren deutschen Literaturgeschichte. 1), S. 91-108, hier S. 92: „Für den genannten Zeitraum [sc. Basel im letzten Drittel des 13. Jahrhunderts] kommen eigentlich nur drei Autoren in Frage: Goeli, Walther von Klingen und Konrad von Würzburg. Von diesen ist der erste, Goeli, als historische Figur viel zu unsicher und das überlieferte Oeuvre viel zu schmal, als daß sich hier Aussagen treffen ließen, die mehr als bloße Spekulationen wären." 6 Joachim Bumke, Mäzene im Mittelalter. Die Gönner und Auftraggeber der höfischen Literatur in Deutschland 1150 - 1300, München 1979, S. 287; vgl. unten, S. 121ff.. 125, 151.
Einleitung
3
suche des Basler Literaturbetriebs sollen im Verlauf dieser Arbeit eingehend gewürdigt werden.7 Als methodisches Prinzip wurde das Sammeln, Sichten und Auswerten von Fakten gewählt: Zahlreiche urkundliche Zeugnisse nicht nur zum mutmaßlichen Autor selbst, sondern auch zu seiner Familie und zu seinem sozialen Umfeld lassen neue Resultate erwarten, die zeigen sollen, daß Göli und seine Verwandten gar nicht isoliert betrachtet werden können und deren soziales Umfeld nicht nur die Gönner und Förderer Konrads von Würzburg, sondern auch zahlreiche weitere literarisch tätige oder zumindest interessierte Personen im Basler Raum berührt, ja teilweise sogar miteinbezieht. Daß gerade in den letzten Jahren die teilweise äußerst komplizierten editorischen Probleme der Neidhart-Überlieferung neu überdacht worden sind und sich nicht zuletzt in Form von Textausgaben niedergeschlagen haben, erleichtert den Umgang mit dem hier zur Diskussion stehenden Autor und verleiht ihm zugleich einen besonderen Stellenwert innerhalb der Neidhart-Forschung. 8 Hinsichtlich der unter Gölis Namen überlieferten Lieder wird etwa zu zeigen sein, daß eine Diskussion der Autorpersönlichkeit sich in den entscheidenden Punkten auf das erhaltene Oeuvre stützen muß und kann. Daß all die hier skizzierten Probleme in gegenseitiger Abhängigkeit stehen, liegt auf der Hand. Die Darstellung selbst erfordert jedoch ein möglichst einfaches und übersichtliches Verfahren, das den Gesamtkomplex in Einzel-
7 8
Siehe unten, S. 115-126. Neuere Literatur zu Neidhart: Ursula Schulze, Neidhart-Forschung von 1976 bis 1987. Sammelrezension, in: P B B
113
(1991),
S.
124-153;
Günther Schweikle,
Neidhart,
Stuttgart 1990 (Sammlung Metzler. 2 5 3 ) , S. 142ff.; Siegfried Beyschlag, Art. Neidhart und Neidhartianer. in: V L 6 ( 2 1 9 8 7 ) , Sp. 8 7 1 - 8 9 3 ; zum Salzburger Neidhart-Projekt siehe
Ulrich
Müller,
Mündlichkeit
und
Schriftlichkeit:
Probleme
der
Neid-
hartüberlieferung, in: Textkonstitution bei mündlicher und bei schriftlicher Uberlieferung. Basler Editoren-Kolloquium 19.-22. März 1990, autor- und werkbezogene Referate, hg. v. Martin Stern, Tübingen 1991 (Beihefte zu: Editio), S . Spechtler,
Lieder und Varianten.
1-6; weiter: Franz Viktor
Zum derzeitigen Stand des Salzburger
Neidhart-
Editionsprojekts, in: Neidhart von Reuental. Aspekte einer Neubewertung, hg. v. Helmut Birkhan,
Wien
1983
(Philologica
Germanica.
5),
S.
215-224.
Auch die
Literaturgeschichte hat vor Neidhart und damit auch vor dem 'genre'
populäre
Dörperdichtung
nicht haltgemacht, wie die Publikationen von Dieter Kühn eindrucksvoll zeigen.
So
erschien im Jahr 1981 sein umfangreiches Werk 'Herr Neidhart' (Frankfurt a. M./Insel), zwei Jahre später dann sein 'Liederbuch für Neidhart' als Taschenbuch (Frankfurt a. M./Insel-Taschenbuch.
742),
das eine Neufassung
des
1981
erschienenen
Werkes
darstellt. 1988 schließlich brachte derselbe Verlag eine neues, weitaus umfassenderes Buch unter dem Titel 'Neidhart aus dem ReuentaP auf den Markt. Zu den verschiedenen Konzeptionen der drei Werke siehe Kühn, Neidhart aus dem Reuental, S . 5 2 8 .
4
Einleitung
felder zerlegt, die zwar weitgehend separat angegangen werden können, prinzipiell jedoch aufeinander aufbauen. Als Ausgangspunkt wurde ein Abriß der Forschungsgeschichte gewählt. Er unterzieht die älteren Beiträge einer kritischen Durchsicht und zielt auf den Aufbau jenes spezifischen Spannungsfeldes ab, in dem Göli sich bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt befindet. Erst der zweite Teil setzt sich mit den im Verlauf der Forschungsgeschichte beigebrachten Indizien bzw. Argumenten, die für einen in Basel zu lokalisierenden Autor zu sprechen scheinen, näher auseinander. In diesem Abschnitt wird außerdem versucht, das Gesamtspektrum zu erweitern und zu aktualisieren. Der dritte Teil behandelt die Basler Familie Göli unter historischen Gesichtspunkten, während der vierte Teil sich mit dem sogenannten 'Basler Literaturbetrieb' beschäftigt und literatursoziologische Fragen behandelt. Im fünften Teil soll der Versuch unternommen werden, vor dem Hintergrund der älteren Editionen die handschriftliche Überlieferung der GöliLieder zugänglich werden zu lassen, die die Basis jedes interpretatorischen Zugriffs bilden muß. Die Diskussion und Interpretation der Lieder bleibt weitgehend dem sechsten Teil vorbehalten. Dieser Abschnitt behandelt in Form von Kommentaren Fragen im Umgang mit den Liedern und zieht aus der Verbindung zwischen historischen und germanistischen Aspekten eine vorläufige Bilanz. Drei im Bereich spekulativer Randzonen angesiedelte Nebenaspekte sollen in Form eines Anhangs wenigstens gestreift werden. Sie berücksichtigen mögliche Beziehungen zur Dietrichdichtung, die Überlieferungslage der Handschrift c sowie die Datierungs- und Verfasserfrage des Faßschwanks.
I. Göli und die Forschung
Obwohl größere Spezialarbeiten über Göli bis heute fehlen, ergeben die vereinzelt aufzufindenden kleinen Beiträge durchaus ein forschungsgeschichtliches Gesamtbild. Dabei fällt auf, daß die Identität des Dichters sich erst im Verlauf der jüngeren Forschungsgeschichte herauskristallisiert zu haben scheint. Einer der Gründe für diesen sich über mehr als zwei Jahrhunderte erstreckenden 'Entscheidungsprozeß' ist in den teilweise äußerst kontroversen Forschungsmeinungen zu suchen, die über die Autorpersönlichkeit geherrscht haben. Die Breite des Spektrums verwundert, denn es reicht von der strikten Aberkennung der Historizität Gölis bis hin zu gegensätzlichen und sich widersprechenden Vorschlägen für eine mögliche Lokalisierung und literarhistorische Einbettung in verschiedene Literaturszenen. Ein forschungsgeschichtlicher Längsschnitt scheint daher unerläßlich. Die folgenden Ausführungen werden die einzelnen Beiträge wenigstens bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts zu würdigen versuchen, wobei die Aufgliederung in einige wenige Phasen der chronologischen Abfolge entspricht. Dieses Prinzip gewährleistet noch am ehesten das Verständnis der Argumente und ihrer spezifischen Problematik. Eine detaillierte Diskussion aller im Verlauf der Forschungsgeschichte geäußerten Ansichten über Person und Werk des Dichters erscheint aus heutiger Sicht jedoch überflüssig, denn viele Indizien und Argumente haben ihre Aktualität und Überzeugungskraft inzwischen weitgehend eingebüßt.
1. Frühe Ansätze
Obwohl die Beschäftigung mit Göli bereits mit der in den Jahren 1758/59 von Bodmer und Breitinger herausgegebenen 'Sammlung von Minnesingern'
6
Göli und die Forschung
beginnt,1 setzt das eigentliche Forschungsinteresse an der Autorpersönlichkeit erst mit Johann Christoph Adelungs 'Chronologischem Verzeichnis der Dichter und Gedichte aus dem schwäbischen Zeitpuncte' ein, das 1784 im zweiten Band seines 'Magazins für die deutsche Sprache' erschien.2 In diesem Beitrag, der „[...] nichts weiter als ein bloßes Nahmensregister von Dichtern und Gedichten liefern |...]" 3 will, findet sich an 124. Stelle der für den Bearbeiter nicht genau datierbare Göli. Adelungs Kommentar ist äußerst spärlich: „Etwa von den Gielen im Thurgau? Oder von den Gölern im Öttingischen? Die Manessische Sammlung hat [...] einige Gedichte von ihm aufbehalten."4 Mit dem Hinweis auf die Giele im Thurgau lenkte Adelung den Blick auf eine alte und weitverzweigte Dienstmannenfamilie der Abtei St. Gallen.5 Daß dieser Gedanke jeder ernstzunehmenden Grundlage entbehrt, zeigen jedoch bereits die abweichenden Namensformen.6 Darüber hinaus läßt sich das Wappen der Giele auch nicht mit dem in der Großen Heidelberger Liederhandschrift (C) überlieferten Göli-Wappen in Übereinstimmung bringen, das in rotem Feld einen steigenden, von Weiß und Schwarz geschachten, mit goldener Krone versehenen Löwen zeigt.7 Aber
1 Sammlung von Minnesingern aus dem schwäbischen Zeitpuncte, 140 Dichter enthaltend. Teil 1-2, hg. v. Johann Jakob Bodmer u. Johann Jakob Breitinger, Zürich 1758/59. Teil 2, S. 57f.; zu dieser frühen Ausgabe siehe unten. S. 163. 2 Johann Christoph Adelung, Chronologisches Verzeichnis der Dichter und Gedichte aus dem schwäbischen Zeitpuncte, in: Magazin fur die deutsche Sprache 2 (1784), S. 3-92; Neudruck: Hildesheim/New York 1969 (Reprografischer Nachdruck der Ausg. Leipzig 1783-1784). 3 Ebda, S. 3. 4 Ebda, S. 60. 5 Zu dieser Familie siehe etwa OG, S. 443f. 6 Zu den in den einzelnen Textzeugen überlieferten Namensformen siehe unten. S. 24 (Anm. 6), 40 (Anm. 91), 159. 7 Zur Hs. C siehe Gisela Kornrumpf, Art. Heidelberger Liederhandschrift C, in: VL 3 ( 2 1981), Sp. 584-597. Die Göli-Miniatur in C, zu der dieses Wappen gehört, wird unten, S. 23-29, behandelt. Gölis Wappen (wenn es sich hierbei überhaupt um ein historisches Wappen handelt, was bis heute nicht erwiesen werden konnte, da entsprechende Siegel oder sonstige weitere Zeugnisse fehlen) wird übrigens nur in C überliefert. Vgl. die farbige Wiedergabe von fol. 262v der Hs. C in: Minnesänger. Vierundzwanzig farbige Wiedergaben aus der Manessischen Liederhandschrift, Bd. 2, Aachen 1971, Tafel 17 (mit Kommentar). Eine Beschreibung des Wappens der Giele findet sich im OG, S. 444. Abbildungen von Siegeln aus späterer Zeit verzeichnet das Chartularium Sangallense, bearb. v. Otto P. Clavadetscher, Bd. 3, St. Gallen 1983, S. 541; zwei ältere Abbildungen in: Johann Siebmachers Wappen-Buch. Faksimile-Nachdruck der 1701/05 bei Rudolph Johann Helmers in Nürnberg ersch. Ausg., München 1975, Teil 1, Tafel 202, Nr. 3 (Giel von Gielsberg) sowie Teil 3, Tafel 108, Nr. 1 (Giel von Gielsberg). Samuel Singer, Art. Göli, in: VL 2 (1936), Sp. 57ff., irrt somit, wenn er meint, das Göli-Wappen könnte durch Verwechslung dem der Giele nachgebildet sein. Auch sein Hinweis (ebda, Sp. 59)
Frühe Ansätze
7
auch Adelungs „Göler im Öttingischen" halten einer kritischen Überprüfung nicht stand: Mit dem „Öttingischen" meinte der Forscher wohl die gleichnamige Grafschaft, das größte weltliche Herrschaftsgebiet in Ostschwaben, das vom 12. bis ins 14. Jahrhundert von den Grafen von (Dettingen gebildet und beherrscht wurde. 8 Zu dieser Grafschaft gehörten auch Fernbesitzungen im Kraichgau (Landschaft zwischen nördlichem Schwarzwald und Odenwald, Oberrheinebene und Neckar), darunter ein Anteil an der Burg Ravensburg (westlich Heilbronn), mit dem nach der Mitte des 14. Jahrhunderts eine Familie Göler von Ravensburg belehnt war. 9 Allem Anschein nach zog Adelung diese Familie in Erwägung, obwohl sich auch diese Vermutung als trügerisch erwies, denn wiederum weichen nicht nur die Namensformen voneinander ab, sondern auch die Wappen.10 Erduin Julius Koch griff als erster Adelungs Hinweise auf. 1798 gab er den zweiten Band seines 'Compendiums der Deutschen Literatur-Geschichte' heraus, das das ältere 'Verzeichnis' insofern übertrifft, als es die behandelten Dichter und Werke auch gattungsspezifisch zu erfassen versucht." Wie problematisch die Zuordnung einzelner Werke mitunter verlief, zeigen gerade die Ausführungen zu Neidhart und seinen Nachahmern, die, so Koch, als die frühesten Verfasser von Idyllen gelten dürften. 12 Neue Ergebnisse zu Göli läßt das 'Compendium' vermissen, denn es kommt über die bloße Wiederholung der Adelungschen Formulierungen nicht wesentlich hinaus. Geradezu bezeichnend für die in der Frühphase der Forschung geltende
8 9
10
11
auf von der Hagens Kommentar zu den Göli-Liedern (HMS 4 [ = Teil 4], S. 419f.) fuhrt in die Irre. Von der Hagens Kommentar wird unten, S. 163f., behandelt. Siehe Gerhard Köbler. Historisches Lexikon der deutschen Länder. Die deutschen Territorien vom Mittelalter bis zur Gegenwart, München 1988, S. 385f. Siehe Dieter Kudorfer. Die Grafschaft Oeningen. Territorialer Bestand und innerer Aufbau (um 1140 bis 1806). München 1985 (Historischer Atlas von Bayern. Teil Schwaben. Reihe II. Heft 3), S. 41; zum Ausbau des Kraichgauer Besitzes siehe Elisabeth Grünenwald (Bearb.), Das älteste Lehenbuch der Grafschaft Öttingen. 14. Jahrhundert bis 1471 (1477), Bd. 1, Öttingen 1975, S. 161. Zu den im Lehenbuch genannten Gölern siehe Elisabeth Grünenwald (Bearb.), Das älteste Lehenbuch der Grafschaft Öttingen. 14. Jahrhundert bis 1471 (1477), Bd. 2, Augsburg 1976 (Schwäbische Forschungsgemeinschaft bei der Kommission für Bayerische Landesgeschichte. Reihe 5. Bd. 2), S. 327 (Register der Einträge mit Schreibvarianten); verschiedene Wappen der Göler von Ravensburg wiederum bei Siebmacher, zugänglich über Hanns Jäger-Sunstenau, General-Index zu den Siebmacher'sehen Wappenbüchern. 1605-1961, Graz 1964, S. 285; mehr zu dieser Familie im OG, S. 451f. Erduin Julius Koch. Compendium der Deutschen Literatur-Geschichte von den ältesten Zeiten bis auf Lessings Tod, Bd. 2, Berlin: Königliche Realschulbuchhandlung 1798 (Grundriss einer Geschichte der Sprache und Literatur der Deutschen von den ältesten Zeiten bis auf Lessings Tod).
12 Ebda. S. 170.
8
Göli und die Forschung
Auffassung vom Wirklichkeitsbezug der Liedtexte ist folgende Bemerkung Kochs: „So viel sieht man aus seinen [sc. Gölis] Gedichten dass er am Rheine zu Hause gehörte, und gern Rüwenthal besuchte."13 Diese vermeintliche Einsicht zeigt, daß Koch der Meinung gewesen sein muß, in Göli einen Landsmann Neidharts gefunden zu haben. Seine Erkenntnis stützte sich dabei auf die Nennung des Rheins im Natureingang von Gölis erstem Lied sowie auf die Erwähnung von riuwental in einer in C nachgetragenen Strophe.14 Daß Koch damit echtes mit unechtem Überlieferungsgut kombinierte, wird noch zu zeigen sein. Tatsächlich steht fest, daß es bis heute nicht gelungen ist, den vermeintlichen Ortsnamen 'Reuental' mit Neidharts Herkunftsort zu identifizieren.15 Hinzu kommt, daß die nachgetragene Strophe, in der dieser Ortsname erscheint, ursprünglich von Neidhart selbst stammt und entweder sekundär von Göli übernommen oder erst in C falsch zugeordnet wurde.'6 Auch Bernhard Josef Docen übernahm im Jahr 1809 in seinem 'Versuch einer vollständigen Literatur der älteren deutschen Poesie' die These von der heimatlichen Nähe Gölis zu Reuental.17 Die Lieder Gölis, so meint der Forscher, ähnelten den Neidharten, so daß aufgrund der Reuental-Nemiung „[...] eine Verwechslung, oder Nähe der Gegend, wo beide Dichter lebten [...]", 18 zu vermuten sei. Eine ganz und gar populärwissenschaftlich-romantische Haltung verraten die 1824 verfaßten Ausführungen Ludwig Uhlands zum Minnesang, dessen Interpretationsbemühungen und Hinweise auf zeitgenössische Autoren von der damaligen Fachwelt kaum zur Kenntnis genommen wurden.19 Uhlands Überlegung, die in den Göli-Liedern enthaltenen lokalen Anspielungen würden auf das Elsaß als Gölis Heimat verweisen, fand so gut wie keine Resonanz.
13 Ebda. 14 Hierzu siehe unten, S. 30-35, 170f.. 179, 183, 202, 220ff. 15 Zu diesem Problem siehe etwa Siegfried Beyschlag, Die Lieder Neidharts. Der Textbestand der Pergament-Handschriften und die Melodien, Darmstadt 1975, S. 766f.; weiter: Ders., Riuwental und Nithart, in: Neidhart, hg. v. Horst Brunner, Darmstadt 1986 (WdF. 556), S. 295-319; Kühn, Neidhart aus dem Reuental, S. 21f. u. S. 529f. 16 Siehe unten, S. 220ff. 17 Bernhard Josef Docen, Versuch einer vollständigen Literatur der älteren Deutschen Poesie, von den frühesten Zeiten bis zu Anfange des XVI. Jahrhunderts, in: Museum für Altdeutsche Kunst 1 (1809), S. 126-234, hier S. 162. 18 Ebda. 19 Ludwig Uhland, Der Minnesang (1824), in: Ders., Schriften zur Geschichte der Dichtung und Sage, Bd. 5, Stuttgart 1870, S. 111-282, bes. S. 259.
Göli als literarhistorisches Konstmkt
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Bezüglich des Ausbleibens greifbarer Resultate teilte Göli fortan sein Schicksal mit zahlreichen anderen 'kleinen Dichtern' des Spätmittelalters: Da er weder den urkundlich reich bezeugten hochadligen Kreisen anzugehören schien noch den Ruf eines bedeutenden Lyrikers genoß, wußte man im Grunde nur wenig mit ihm anzufangen.
2. Göli als literarhistorisches Konstrukt
Wenig später unternahm Wilhelm Wackernagel sogar den Versuch, Göli die Historizität abzusprechen. Obwohl diese These bereits im Jahr 1826 verfaßt wurde, findet sie sich erst in den 1838 von Friedrich Heinrich von der Hagen herausgegebenen 'Minnesingern', wo es in einer Fußnote zum Neidhart-Kapitel heißt:20 „Es ist mir jedoch mehr als wahrscheinlich, daß dieser [sc. Gölis] Name gänzlich aus der Reihe der Altdeutschen Dichter zu streichen sei und die ihm zugeschriebenen Gedichte gleichfalls unserm Nithart angehören. "21 Die Gründe für die Plazierung dieser Extremposition in von der Hagens 'Minnesinger' sind beruflicher Art: Wackernagel erstellte im Jahr 1826 (während seiner Berliner Assistentenzeit) eine Ausgabe der Berliner Neidhart-Handschrift (c),22 die von der Hagen (zusammen mit der gleichfalls von Wackernagel verfaßten Abhandlung 'Herr Nithart') 12 Jahre später in seine monumentale Ausgabe aufnahm.23 Die Gründe für seine Skepsis teilt Wackernagel noch in der besagten Fußnote mit: Bei den Texten Gölis schien es sich für den Forscher in Wirklichkeit um Neidharte zu handeln, die irrtümlich ausgesondert und zum
20 Dieses Werk wird, dem chronologischen Prinzip entsprechend, unten, S. lOff.. behandelt. 21 HMS, Bd. 3 (=Teil 4), S. 439, Anm. 1; siehe auch unten, S. 115-119. 22 Siehe Eckehard Simon, Neidhart von Reuental. Geschichte der Forschung und Bibliographie, The Hague/Paris 1968 (Harvard Germanic Studies. 4), S. 18f. u. S. 122; weitere biographische Informationen zu Wackernagel bei Hans Werthmüller. Tausend Jahre Literatur in Basel, Basel/Boston/Stuttgart 1980, S. 244-247; zu Wackernagels editorischen Verdiensten hinsichtlich Neidhart siehe Müller. Mündlichkeit und Schriftlichkeit, S. 4f.; Faksimile der Hs. c: Edith Wenzel (Hg.). Abbildungen zur Neidhart-Überlieferung, Bd. 2: Die Berliner Neidhart-Handschrift c (mgf 779), Göppingen 1976 (Litterae. Göppinger Beiträge zur Textgeschichte. 15); Transkription: Ingrid Bennewitz-Behr, Die Berliner Neidhart-Handschrift c (mgf 779). Transkription der Texte und Melodien, Göppingen 1981 (GAG. 356 = Neidhart-Materialien. 1). 23 HMS. Bd. 3, S. 185-295 u. S. 436b-442.
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Korpus eines Nachahmers zusammengestellt worden waren. Indizien hierfür glaubte Wackernagel in der Divergenz der Textzeugen c und C gefunden zu haben.24 c überliefert Gölis Lieder nicht unter diesem Autornamen, sondern als Bestandteil einer umfangreichen Neidhartsammlung. Dies erweckt den Eindruck, der Überlieferungsträger sammle Neidhart-Lieder. In Wirklichkeit vereinigt c jedoch 'Neidharte', also einen Typ von Liedern, und integriert damit auch Unechtes. Die fünfte Strophe des ersten Göli-Liedes endet in c mit dem (entstellten) Vers: sich do verloß der Gosslin seinen dawtnen,2i Der Name Gosslin erscheint in c bereits im Liedtitel (Goßlins dorn), was aus einer direkten Verwertung des Schlußverses herzurühren scheint. C überliefert stattdessen der bedarf zer rehten hant des tvrnen,26 die Weingartner Liederhandschrift (B), ein weiterer Textzeuge, hingegen der bedorft zvo der rehten hende des dumen,27 Die Annahme Wackernagels, c sammle echte Neidharte, ist falsch. Die in C und Β zu beobachtende Ausgliederung eines Strophenbestandes und dessen Subsumierung unter Gölis Autornamen stellt eine konsequente Schlußfolgerung dieser falschen Prämisse dar. Da inzwischen feststeht, daß Β und C wesentlich ältere und zuverlässigere Überlieferungsstufen repräsentieren als c, erübrigt sich eine detaillierte Diskussion der Wackernagelschen Skepsis.28
3. Spekulationen und eine erste kritische Edition der Liedtexte Auch die 'Minnesinger'-Ausgabe, in der Wackernagels Beitrag zu Neidhart erschien, kam an Göli nicht vorbei.29 Von der Hagen ergänzte die 24 Der Strophenbestand der beiden Handschriften findet sich unten, S. 170-176, 183-188. 25 Siehe unten, S. 184, 213f.; weiter: Bennewitz-Behr, Die Berliner Neidhart-Handschrifl c, S. 14f. (diplomatischer Abdruck von Lied I); Wenzel, Abbildungen zur NeidhartÜberlieferung, fol. 135r-136r (Reproduktion des ersten Göli-Liedes in c). 26 Die Große Heidelberger .Manessische" Liederhandschrift, in Abb. hg. v. Ulrich Müller, Göppingen 1971 (Litterae. Göppinger Beiträge zur Textgeschichte. 1), fol. 263r, Sp. 1; siehe auch unten, S. 171. 27 Vgl. hierzu: Die Weingartner Liederhandschrift [nebst] Textband (Vollst. Faks.-Ausg.) [hg. v.] Wilhelm Hoffmann, Bd. 1: Handschrift, S. 199; Bd. 2: Textband [Kommentar; diplomat. Abdruck], fol. 199, Stuttgart 1969; zur Handschriftenlage und Überlieferung der strittigen Verszeile siehe Hans Becker, Die Neidharte. Studien zur Überlieferung, Binnentypisierung und Geschichte der Neidharte der Berliner Handschrift germ. fol. 779 (c), Göppingen 1978 (GAG. 255), S. 337f.; weiter: unten, S. 180. 28 Zu den einzelnen Überlieferungsträgern siehe unten, S. 157-163. 29 HMS, Bd. 3 (=Teil 4), S. 419ff.; Abdruck der Göli-Lieder in Bd. 2 (=Teil 2), S. 78ff.; siehe auch unten, S. 163f.
Spekulationen und eine erste kritische Edition der Liedtexte
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inzwischen greifbaren Vermutungen zur Biographie des Dichters durch Bemerkungen zur stilistischen Eigenart der Lieder.30 Im Rückgriff auf Adelung, Koch und Docen referiert er zunächst die älteren Forschungsbeiträge, weist diese jedoch zurück und bringt eine neue Familie in die Diskussion: die „Rheinländischen Goeler". Die zu diesem Freiherrengeschlecht angestellten Überlegungen führen jedoch nicht weiter, und von der Hagen stellt am Ende resigniert fest, sein Modell sei kaum tragfähiger als die älteren, denn das Wappen der rheinländischen Göler stimme wiederum nicht mit dem in C überlieferten überein. Heute steht fest, daß die rheinländischen Göler mit größter Wahrscheinlichkeit mit Adelungs oettingischen Gölern identisch sind. Die Angehörigen der rheinländischen Familie Göler führen nämlich den Beinamen 'von Ravensburg', und die Wappen der Ravensburger weisen ein nahezu gleiches Motiv wie die rheinländischen Göler auf: einen gekrönten Raben, der auf den verschiedenen Abbildungen nur leicht variiert erscheint.31 Nicht viel besser steht es um die weiteren Bemühungen von der Hagens: Auf eine Beschreibung der in C überlieferten Göli-Miniatur folgen einzelne Bemerkungen zu den Liedern, insofern diese Aussagen über die Heimat des Autors zulassen. Daß Göli der Rheingegend zuzuordnen ist, findet auch von der Hagens Zustimmung. Über die in Lied I erfolgte Nennung des Rheins hinaus fallen dem Forscher jedoch weitere Details auf, die geeignet sein könnten, den Aktionsraum des Dichters genauer zu lokalisieren. So zieht von der Hagen plötzlich Helme aus Colmar, die Göli im ersten Lied erwähnt,32 aber auch die in Lied IV erwähnten französischen und champagnischen Kleider in Betracht.33 Bezüglich der Reuental-Nennung nimmt von der Hagen jedoch eine ablehnende Haltung ein: Seiner Ansicht nach gehört die Nachtragsstrophe zum Textkorpus Neidharts.34 Nach der Klärung der Überlieferungssituation werden Inhalt und Eigenart der Göli-Lieder knapp umrissen. Skizzenhafte Interpretationsbemühungen wechseln ab mit plakativen Bemerkungen zur Sprache der Texte, die allem
30 Hingewiesen sei auf Überlegungen zum Automamen: Von der Hagen betont, 'Göli' ähnle dem in c genannten 'Goßlin', was den Schluß nahelege, ersteres sei eine Abkürzung, wobei der Vorname des Minnesängers Goesli von Ehenheim (vgl. HMS, Bd. 1 [ = Teil 1 ], S. 346f.; Kommentar: Bd. 4 [=Teil 4), S. 293f.) eine Art Zwischenstufe vertreten könnte. Zu letzterem siehe den Art. von Volker Mertens im VL 3 ( 2 1981), Sp. lOlf. 31 Die über den General-Index zu den Wappenbüchern Siebmachers zu findenden Wappen (vgl. Anm. 10) beziehen sich alle auf eine Familie Göler von Ravensburg. Die Ähnlichkeit der Wappenbilder und die einzelnen Kommentare zu den Wappen lassen darauf schließen, daß es sich bei allen Personen um Mitglieder derselben Familie handelt. 32 Siehe unten, S. 35ff. 33 Siehe unten, S. 47ff. 34 Siehe oben, S. 8.
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Anschein nach erhebliches Kopfzerbrechen bereitet: „Auch die Sprache ist, wie in den besten und echten Nithartliedera, manchmal noch alterthuemlich, ueberhaupt gebildet, obschon, dem Inhalt entsprechend, voll eigenthuemlicher laendlicher und baeurischer, oft dunkler Ausdruecke, auch in den Reimen, welche uebrigens rein und richtig sind. " 35 Auf die Edition der Göli-Lieder detailliert einzugehen, lohnt an dieser Stelle kaum.36 Auffallend ist jedoch der Abdruck der unechten Nachtragsstrophe als Lied IV, die von der Hagen Neidhart zugewiesen hatte. Festzuhalten bleibt, daß mit den 'Minnesingern' zum zweiten Mal eine Ausgabe der Göli-Lieder vorlag, auch wenn diese modernen wissenschaftlichen Ansprüchen kaum mehr genügt.
4. Poetologische Umwege Von der Hagen hatte den stilistischen Besonderheiten der Göli-Lieder kaum Beachtung geschenkt und die charakteristischen Unterschiede zu den Liedern Neidharts im Grunde ignoriert. Was sowohl Wackeroagel als auch von der Hagen entgangen war, formulierte Rochus von Liliencron etwa zehn Jahre später in wünschenswerter Deutlichkeit: Ohne sich auf Spekulationen über die Möglichkeiten einer Identifizierung auch nur einzulassen, zog er lediglich die überlieferten Texte heran und gelangte zu dem Schluß, „[...] dass sie nicht neidhartisch sind [...]". „[...] ihre geschraubte spräche, um anderes unberührt zu lassen, verweist sie ganz unzweifelhaft an das ende des 13n jh." 37 Dadurch war für die biographische Erforschung Gölis zwar nicht allzuviel gewonnen, Wackernagels Skepsis jedoch zumindest zurückgewiesen. Von Liliencrons Widerspruch führte allerdings zu keinen wissenschaftlichen Diskussionen. War Göli zu unbedeutend? Zu Beginn der 1850er Jahre schwächte Wackernagel seine radikale Position vorsichtig ab. In seiner 'Geschichte der deutschen Literatur' findet sich - wiederum im Neidhart-Kapitel - eine Anmerkung, in der zu lesen ist, Göli zähle zusammen mit den anderen „Nachfolgern" Neidharts (Burkhard von Hohenfels, von Stammheim, Geltar) zu den weniger bedeutsamen und fruchtbaren Nachahmern, allerdings mit der Einschränkung: „[...] falls die so
35 HMS, Bd. 4 (=Teil 4), S. 420. 36 Zur Konzeption der Ausgabe siehe unten, S. 163f. 37 Rochus von Liliencron, Über Neidharts höfische Dorfpoesie, in: ZfdA 6 (1848). S. 69117, hierS. 93.
Poetologische Umwege
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überschriebenen Lieder nicht von Neidhart sind [...]". 38 Die unauffällig piazierte Zurücknahme der Skepsis wurde freilich kaum bemerkt: Für seine Zeitgenossen blieb Wackernagel derjenige Forscher, der die Göli-Lieder zu echten Neidharten erklärt und dem Dichter selbst die Existenz abgesprochen hatte. Bereits die 1858 von Moriz Haupt veranstaltete kritische NeidhartAusgabe macht dies deutlich.39 Diese grundlegende und epochemachende Neuedition präsentiert, in Form eines 'Vorspanns', eine ganze Reihe 'unechter Lieder'. Unter diesen Pseudo-Neidharten finden sich nun auch die Strophen Gölis.40 Gerade die strittige Textstelle in Lied I, die Wackernagel als Basis für seine Skepsis diente, überzeugte Haupt von der eigenständigen Dichterpersönlichkeit Gölis: Nur c - so Haupt - überliefere die falsche Lesart der Schlußzeile von Lied I. Um eine irrtümliche Neubildung des GöliStrophenbestandes zu erklären, müßte im Grunde auch C diese Variante aufweisen, was aber gerade nicht der Fall sei.41 Doch Haupt geht über den alten Streit weit hinaus. So streicht er etwa die in C überlieferte Nachtragsstrophe und weist sie Neidhart zu.42 Daß sich sogar Haupt angesichts der Göli-Texte mit erheblichen Verständnisproblemen konfrontiert sah, zeigt eine Bemerkung im textkritischen Apparat zu Lied I: „dieses lied vielleicht eines rheinländischen nachahmers leidet an Verworrenheit des Zusammenhanges der gedanken, wie kein neidhartisches." 43 Dachte Haupt dabei an von der Hagens Göler aus der Grafschaft Oettingen bzw. an die gleichnamige rheinländische Familie? Eine weitere Bemerkung im Apparat belegt eigene Bemühungen um eine Lokalisierung des Autors: In der zweiten Strophe von Lied III erscheint der vermeintliche Ortsname Höhenliten,44 Hierzu fragt Haupt: „ist die Hochleiten, ein bergwald nordöstlich von Wolkersdorf, gegen die March hin, gemeint?" 45 Hätte der Herausgeber den Bergwald präziser lokalisiert, fiele die Suche nach diesem vermutlich erfolgreicher aus, denn in Bayern tragen drei Orte den Na-
38 Wilhelm Wackernagel. Geschichte der deutschen Literatur, Basel 1853. Bd. 2, S. 247. Anm. 4; siehe ebenso Ders., Geschichte der deutschen Litteratur bis zum Dreissigjährigen Kriege. Ein Handbuch, Basel 1872, S. 247, Anm. 4, sowie Ders., Geschichte der deutschen Litteratur, Bd. 1 , 2 . , verm. u. verb. Aufl., bes. v. Ernst Martin, Basel 1879, S. 317, Anm. 4. 39 Moriz Haupt, Neidhart von Reuenthal. Leipzig 1858; mehr zu Haupt siehe unten, S. 165f. 40 Haupt, Neidhart, S. XVIII-XXVII. 41 Ebda, S. XXVI. 42 Ebda, S. 43, Z. 5-14. 43 Ebda, S. XXVI. 44 Ebda, S. XXII, Z. 2; zu dieser Nennung siehe unten, S. 45f. 45 Haupt, Neidhart, App.
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Göli und die Forschung
men 'Wolkersdorf: Der erste liegt bei Traunstein, ein zweiter am Waginger See, ein dritter schließlich bei Nürnberg. Oder hatte Haupt eine ganz andere Gegend im Sinn? Im bayerischen Gebiet um Kötzting (südlich von Wölkersdorf) liegt nämlich ein Ort namens Hohenleithen, und unweit von Kötzting verläuft die Bayerische Ostmarkstraße. Die Probleme angesichts dieses Bergwaldes sind überflüssig: Wie wir noch sehen werden,46 muß Höhenliten keinen bestimmten Ort bezeichnen, da der Name als literarisches Zitat Neidharts verstanden worden sein dürfte. Obwohl Haupts Ausgabe den Lesarten der verschiedenen Handschriften Rechnung trug, kam die weitere Erschließung der Texte nur schleppend voran. Karl Goedekes 1862 erschienener 'Grundriß zur Geschichte der deutschen Dichtung aus den Quellen' erwähnt Göli (neben anderen NeidhartNachahmern) lediglich der Vollständigkeit halber, ohne auch nur ansatzweise auf die Diskussion der vergangenen Jahrzehnte einzugehen.47 Dies blieb Karl Schröder vorbehalten, der in seinem 1865 publizierten Beitrag zur 'höfischen Dorfpoesie des deutschen Mittelalters' ein weiteres Mal auf Neidharts Nachahmer zu sprechen kam.48 Seine resümierenden Bemerkungen belegen die ungeprüfte Übernahme der Wackernagelschen Skepsis. Auch für Schröder steht fest, daß Göli keine historische Person gewesen sein kann und seine Lieder echte Neidharte darstellen. Neue Argumente bleibt Schröder allerdings schuldig. Der offenkundige Mangel an konstruktiver Kritik läßt keinen erweiterten Forschungshorizont jenseits des veralteten Gesamtresümees erkennen, und so verwundert es kaum, daß dieser Beitrag in der Folgezeit unberücksichtigt blieb.
5. Die urkundliche Erschließung Gölis
100 Jahre nach Adelungs ersten tastenden Versuchen brachte Hans Herzog urkundliche Belege zu verschiedenen mittelhochdeutschen Autoren - unter ihnen auch Göli - in die Diskussion ein und gab mit der Publikation einiger knapp kommentierter Regesten der Forschung neue Impulse.49 Im Fall Göli
46 Siehe unten, S. 45f. 47 Karl Goedeke, Grundriß zur Geschichte der deutschen Dichtung aus den Quellen, Bd. 1, Dresden 1862, S. 40. 48 Karl Schröder, Die höfische Dorfpoesie des deutschen Mittelalters, in: Jahrbuch für Litteraturgeschichte 1 (1865), S. 45-98, hier S. 89f. 49 Hans Herzog, Urkundliches zu mittelhochdeutschen Dichtern, in: Germania 29 (1884), S. 31-36.
Die urkundliche Erschließung Gölis
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wurde damit eine bis zu diesem Zeitpunkt völlig unbekannt gebliebene Person ins Blickfeld gerückt: ein Ritter namens Diethelm Göli, der den aufgefundenen Belegen zufolge von 1254 bis 1276 immer wieder in Basel bezeugt war und vor 1280 gestorben zu sein schien.50 Konsequenterweise beschränkte sich Herzog keineswegs auf die bloße Präsentation der Urkunden, sondern er suchte nach Bezügen zwischen den Liedern Gölis und der Lokalgeschichte. Seine Auswertung führte ihn schließlich zu der Einsicht: „Seine [sc. Gölis] Anspielungen auf französische und champagnische Trachten, insbesondere auf den Rhein und die Kolmerhüete erklären sich durch seinen Aufenthalt in Basel von selbst."51 Mit Diethelm Göli schien plötzlich ein Kandidat gefunden worden zu sein, dessen Namensform weit besser zu den in C und Β überlieferten paßte als diejenigen der thurgauischen Giele, der Göler der Grafschaft Oettingen oder der rheinländischen Familie gleichen Namens. Diethelms Zugehörigkeit zur Basler Ritterschaft korrespondierte darüber hinaus in idealer Weise mit dem in C überlieferten Herrentitel. Diethelms aufgrund der Urkunden ungefähr eingrenzbare Lebenszeit konnte in die Zeit nach Neidharts Wirken datiert werden.52 Was Herzog anscheinend besonders faszinierte, waren die detailrealistischen Spuren innerhalb der Liedtexte. Daß der Forscher gerade diesen Weg konsequent weiterbeschritt, verwundert daher kaum, auch wenn die Suche nach vermeintlichen Detailrealismen zu immer gewagteren historischen Bezügen führte. Bereits im Jahr 1886 wartete Herzog mit einem weiteren Beitrag zu Göli auf.53 Im Mittelpunkt seiner Ausführungen standen nun weitere, in Basler Urkunden des 13. Jahrhunderts nachweisbare Bürger, die seiner Meinung nach in Gölis zweitem Lied auftreten, namentlich ein Weibel Kunze und eine Dame Bile,54 In Bele erkannte Herzog Sibilia, die urkundlich bezeugte Ehefrau Diethelms, während Kunze niemand anderes als ein bischöflicher Basler Amtmann zu sein versprach. 1886 erschien zugleich Karl Bartschs epochemachende Ausgabe 'Die Schweizer Minnesänger', in der auch Göli nicht fehlte.55 Herzogs Bemühungen trugen nun erste Früchte, denn Bartsch übernahm uneingeschränkt die jüngsten Resultate und wies Wackernagels Skepsis entschieden zurück. Auf eine kurze biographische Einleitung, die an der Identität des Autors kaum
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Ebda. S. 34f.; zu den einzelnen Urkunden und zum Todesdatum siehe unten. Teil III. Herzog, Urkundliches, S. 35; zu den Detailrealismen siehe unten, S. 30-37, 47ff. Zu Neidharts Wirkungszeit siehe unten, S. 191 f. Hans Herzog, Her Goeli (Zu Ger[mania] 29 [1884], |S.] 34). in: Germania 31 (1886), S. 326f. 54 Hierzu siehe unten, S. 43ff. 55 Siehe Einleitung, Anm. 2.
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noch Zweifel aufkommen ließ, folgte ein 'verbesserter' Abdruck der Lieder, allerdings mit erheblichen Texteingriffen, dem ein kritischer Apparat mit knapp gehaltenen Anmerkungen nachgeschaltet wurde.56 Gölis Identität schien gleichsam dogmatisch festgelegt, als wenige Jahre darauf die Diskussion plötzlich wieder in Bewegung kam und Herzogs Entdeckung grundlegend in Frage gestellt wurde. Als Anknüpfungspunkt dienten Bartschs 'Schweizer Minnesänger': Im Jahr 1890 erschien eine von Fritz Grimme verfaßte Rezension zum Werk des inzwischen verstorbenen Herausgebers.57 Grimmes Besprechung behandelt lediglich die einleitenden Studien Bartschs zu den biographischen Spuren der Dichter. Göli ist einer von drei Autoren, denen Grimme ihre Herkunft abspricht.58 Nachdem Grimme die von Bartsch und Herzog postulierten detailrealistischen Elemente in den Texten kritisch hinterfragt hat, plädiert er für einen neuen Kandidaten: für einen Vogt des Grafen Egeno von Freiburg, der - so der Forscher - zwischen 1273 und 1289 mehrmals urkundlich belegt sei und nicht zuletzt aufgrund der Namensgleichheit zu dem in C überlieferten Dichter passe.59 Nicht nur die Erwähnung des Rheins, der Colmarer Helme und der französischen Kleidung ließen sich für den süddeutschen advocatus ins Feld führen: Der sechste Vers der zweiten Strophe von Lied I, der vielleicht in sprichwörtlicher Weise Vögte erwähnt, sei - so Grimme - auf die soziale Stellung des Freiburger Kandidaten zu beziehen.60 Sogar die beiden letzten Verse der vierten Strophe, welche wiederum in proverbieller Verwendungsform den Anbau von Hanf erkennen ließen, wollte Grimme auf Goelis Amt beziehen:61 Hanf sei zur Lebenszeit des Vogtes gerade in Teningen (bei Freiburg) angebaut worden.62 Zu diesem Ort habe Goeli - Urkunden würden dies bezeugen!63 - in enger Beziehung gestanden. Zudem stelle das in der dritten
56 Ebda, S. LXXXVIIff., S. 123-131 u. S. 428-433; zur Edition siehe unten, S. 166. 57 Fritz Grimme, [Rez. zu] Karl Bartsch, Die Schweizer Minnesänger ..., in: Germania 35 (1890), S. 302-339. 58 Ebda, S. 307ff. 59 Er wird im folgenden als 'Goeli' bezeichnet. Die abweichende Schreibform dient lediglich der besseren Unterscheidung. Literatur zu Graf Egeno: Berthold Sütterlin, Geschichte Badens, Bd. 1: Frühzeit und Mittelalter, 2. verb. Aufl., Karlsruhe 1965/68, S. 227ff.; Siegmund Riezler, Geschichte des Fürstlichen Hauses Fürstenberg und seiner Ahnen bis zum Jahre 1509. Tübingen 1883, S. 113-137. 60 Hierzu siehe unten, S. 170, 180. 61 Hierzu siehe unten, S. 171, 180, 184. 62 Zur Geschichte Teningens siehe jetzt Peter Schmidt (Hg.), Teningen. Ein Heimatbuch, Teningen 1990. 63 Siehe unten, S. 18f., 38.
Exkurs: Der Freiburger Vogt Goeli
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Strophe genannte 'Dinghoftor' eine Anspielung auf einen Teninger Dinghof dar.64
6. Exkurs: Der Freiburger Vogt Goeli Eine Beurteilung dieser neuen These erfordert eine Durchsicht sämtlicher Urkunden, die den Vogt des Freiburger Grafen direkt oder indirekt bezeugen. Da sich die Quellenlage seit Grimmes Zeit verbessert hat, kann eine Bewertung seines Vorschlags auf einer verhältnismäßig breiten Materialbasis erfolgen. Am 18. November 1272 wird in Freiburg eine Urkunde ausgestellt, die eine Verzichtserklärung Werners von Ror auf Ansprüche des in der Nähe der Stadt gelegenen Klosters Günterstal zum Gegenstand hat.65 Die Zeugenliste dieser Urkunde nennt an vorletzter Stelle einen nicht näher bezeichneten Goeli. Welche soziale Stellung der Genannte zu diesem Zeitpunkt einnimmt, wird aus dieser frühesten Erwähnung nicht klar ersichtlich. Fest steht jedoch, daß er nicht den Herrentitel führt. Bereits im Jahr darauf erscheint derselbe Name wieder in einer Urkunde, als Graf Egeno ein Stück Wald an die Johanniter veräußert.66 In dieser zweiten Urkunde wird Goeli jedoch als Golinus advocatus noster, als gräflicher Vogt, aufgeführt.67 Wiederum scheint sich seine Funktion auf die Zeugenschaft zu beschränken. Ebenso fällt auf, daß der Vogt innerhalb der Zeugenliste nicht unter den anwesenden Rittern Erwähnung findet, sondern nach ihnen rangiert. Über Goelis amtliche Befugnisse und Tätigkeiten läßt sich nichts Sicheres in Erfahrung bringen. Wahrscheinlich nahm er Verwaltungsaufgaben wahr und verfugte innerhalb des dienstrechtlichen Machtbereichs über die niedere Gerichtsbarkeit. Das Fehlen eines Herrentitels deutet auf eine unfreie Herkunft. Möglicherweise war Goeli in stadtbürgerlichen oder gräflichen Diensten sozial aufgestiegen und gehörte der Ministerialität an. Nach dem Verkauf des Waldstücks verliert sich Goelis Spur für sieben Jahre. Erst ein am 28. Juli 1280 zwischen dem elsässischen Landgrafen und 64 65 66 67
Hierzu siehe unten, S. 37-40, 171, 179, 184. FUB, Bd. 1, Nr. 266, S. 239f. Ebda, Nr. 274, S. 244f. Die Namensform Golinus entspricht dem mittelhochdeutschen Goeli. Auch die im nächsten Teil behandelten Urkunden zu den Mitgliedern der Basler Familie Göli belegen diese Formen.
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Egeno gegen König Rudolf von Habsburg in Freiburg geschlossener Bündnisvertrag nennt ihn wiederum als Zeugen.68 Goelis Name ist, um den mittelhochdeutschen Titel vogt erweitert, in der Zeugenliste an vorletzter Stelle aufgeführt. Offenbar übt er immer noch die Funktion des gräflichen Amtmannes aus. In seiner Funktion als Vogt begegnen wir Goeli bereits im Jahr 1281 wieder, als das Kloster St. Peter (bei Freiburg) seine Hochdorfer Besitzungen (bei Freiburg) an den Stadtbürger Hugo Kücheli verkauft. 6 ' Am 13. November desselben Jahres bezeugt Goeli advocatus in Freiburg wiederum ein Verkaufsgeschäft des Klosters, wobei er unmittelbar nach dem Pleban von Merdingen (bei Freiburg) genannt wird.70 Die nächste erhaltene Urkunde, ausgestellt am 17. Juni 1283 auf der Freiburger Burg, zeigt Goeli wieder in unmittelbarer Nähe des Grafen: An diesem Tag veräußert Egeno seine Burg Alzenach (bei Breisach a. Rh.) an die Freiburger Johanniter, wobei wiederum von Goelinus als dem advocatus comitis die Rede ist. Auch in diesem Schriftstück findet der Vogt erst nach den als Zeugen erscheinenden Rittern Erwähnung.71 Die Reihe der Urkunden läßt sich fortsetzen: Am 8. Mai 1284 erwirbt Johann Hefenler, ein Freiburger Bürger, Besitzungen des Klosters St. Märgen (bei Freiburg).72 Wieder tritt Goelinus advocatus als Zeuge auf. Sein Name steht nun an zweiter Stelle der Liste und folgt auf einen Magister namens Conradus Buzzo. Es folgen die Namen einer ganzen Reihe von anwesenden Zeugen, deren Stand nicht näher bestimmt werden kann, da entsprechende Angaben fehlen. Anders eine am 29. August 1285 gefertigte Verkaufsurkunde des Markgrafen Heinrich von Hachberg: Sie bezeichnet den gräflichen Vogt als Goelinus advocatus de Friburg und zählt ihn zu den cives der Stadt.73 Besondere Beachtung verdient eine am 4. Mai 1286 in Freiburg ausgestellte Verzichtsurkunde Konrad des Bergers von Basel über seine Ansprüche an das Kloster Tennenbach (bei Emmendingen) wegen eines Hofes zu Teningen, denn in dieser Erklärung fungiert Goeli selbst als Aussteller (Ich voget Goeli des grafen Egen von Friburg voget |...]). 74 Gemäß dem Text der Urkunde bekräftigt der Aussteller das Schriftstück mit dem Siegel seines Dienstherrn. Gebraucht Goeli das gräfliche Siegel aufgrund seiner amtlichen 68 FUB. Bd. 1, Nr. 328. S. 300f.; zu den Beziehungen zwischen den Grafen von Freiburg und den Habsburgern siehe etwa Siitterlin, Geschichte Badens. S. 222-229 69 FUB, Bd. 1, Nr. 333. S. 304f. 70 Ebda, Nr. 342. S. 314f. 71 Ebda, Nr. 364, S. 331ff. 72 FUB, Bd. 2, Nr. 14, S. 19-23. 73 Ebda, Nr. 25, S. 34f. 74 Ebda, Nr. 30, S. 40f.
Exkurs: Der Freiburger Vogt Goeli
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Funktion als Vogt, oder führt er grundsätzlich kein eigenes? Eines steht jedenfalls fest: Die von Grimme postulierten engen Beziehungen des Vogtes zu Teningen sind äußerst zweifelhaft, denn Goelis Auftritt ist aus seiner Stellvertreterfunktion für seinen Dienstherrn zu erklären. 75 Die nächste erhaltene Urkunde, welche Goeli den voget nennt, datiert vom 13. Januar 1289 und betrifft ein weiteres Mal den Grafen. 76 An diesem Tag erhält Goelis Dienstherr von seinem Bruder Konrad, der in Konstanz das Amt des Dompropstes bekleidet, verschiedene Kirchen als Pfand. Schließlich tritt vogt Goeli am 3. November 1290 selbst als Käufer auf: Er erwirbt Gülten zu Munzingen und Hartheim (beide in der Umgebung Freiburgs), veräußert diese jedoch sogleich wieder an das städtische Heiliggeistspital. 77 Die letzte direkte Erwähnung des Vogtes erfolgt 20 Jahre nach der frühesten Urkunde: Am 11. Februar 1292 erscheint voget Goeli als Zeuge, als Johannes Degenhart sein Freiburger Haus an Jakob den Münzmeister verkauft. 78 Bald danach wird Goeli gestorben sein. Sein Name ging allem Anschein nach auf einen Freiburger Hof über, der ihn auch nach seinem Ableben noch längere Zeit bewahrt haben dürfte: Als Graf Egeno am 31. März 1316 seinem Sohn Konrad die Herrschaft überträgt, wird unter anderem der [...) hof, dem man sprichet voget Goellins hof, und der buhof, der darzuo hoeret, mit ackern und mit matten und mit allem dem, das darzuo hoeret [...] von der Übergabe ausgenommen. 79 Diesen Besitz soll Konrad erst nach Egenos Tod erhalten. Das betreffende Anwesen befand sich zu Goelis Lebzeiten wohl im Eigentum des gräflichen Vogtes. Egeno hat Goelis Dienste vermutlich mit der Übertragung von Grundbesitz belohnt, und der Goeli-Hof wird nach dem Tod des Amtmanns wieder an den Dienstherrn zurückgefallen sein. Eine spätere Urkunde liefert Hinweise zur Lage des Anwesens: Am 30. Juni 1330 gestattet Konrad, der 1316 mit der Freiburger Herrschaft ausgestattete Sohn Egenos, seinem Sohn Friedrich, zusammen mit seiner Familie die obere oder untere Burg zu Freiburg zu bewohnen. 80 Als mögliche Alternative zu diesen Wohngebäuden nennt das Schriftstück den hof in der Owe, dem man sprichet voget Goelins hofe. Der Goeli-Hof lag somit direkt in Freiburg und bildete neben der oberen und niederen Burg eine Art dritte 75 76 77 78 79
Siehe oben, S. 16f. FUB, Bd. 2. Nr. 67, S. 79f. Ebda. Nr. 99, S. 111. Ebda, Nr. 122, S. 136f. FUB, Bd. 3, Nr. 402, S. 298-301; zu Konrads Herrschaft siehe etwa Sütterlin, Geschichte Badens, S. 229ff. 80 Dambacher, Urkunden zur Geschichte der Grafen von Freiburg, in: ZGO 13 (1861), S. 84-111, hier S. 95f.; zu Friedrich siehe wiederum Sütterlin, Geschichte Badens. S. 231.
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Göli und die Forschung
gräfliche Residenz.81 Falls Egeno den Goeli-Hof nicht im nachhinein vergrößert hat, dürfte das Anwesen verhältnismäßig reich ausgestattet gewesen sein. Wie steht es also um Grimmes neuen Kandidaten? Das Fehlen eines eigenen Siegels und Goelis ständerechtlich inferiore Stellung lassen sich kaum mit der in C zum Ausdruck gebrachten Standeszugehörigkeit in Einklang bringen.82 Herzogs Vorschlag, Göli mit dem Basler miles gleichzusetzen, darf dagegen ein deutliches Mehr an Plausibilität für sich verbuchen. Aber: Ist auf die Sammler des Minnesangs in diesem Punkt wirklich Verlaß?
81 Zur Diskussion über die Lage des Goeli-Hofes siehe zuletzt Berent Schwineköper, Zu Fragen der Freiburger Stadtgründung. Eine Stellungnahme, in: Schau-ins-Land 91 (1973), S. 31-41 (mit einem Nachwort von Wolfgang Stülpnagel), bes. S. 35-39. Schwineköper gelangt zu folgenden Ergebnissen: 1. Vogt Goeli stand als Beamter in den Diensten der Freiburger Grafen; 2. Er verwaltete deren Herrschaft und sorgte für die Wahrnehmung der gräflichen Rechte in der Stadt; 3. Er versah sein Amt hauptsächlich auf der Burg und vor allem auf dem damit verbundenen Wirtschaftshof; 4. Auch sein Wohnsitz wird sowohl auf der Burg als auch auf dem Wirtschaftshof zu suchen sein; 5. Dieser Wirtschaftshof lag in Freiburg und war mit dem in der Aue gelegenen Grafenhof identisch; 6. Der Grafen- bzw. Goelinshof diente nicht nur als Bauhof (d. h. Ackerhof) und Sitz des gräflichen Stadtvogtes, sondern er konnte auch den Stadtherrn und sein Gesinde aufnehmen, war demnach neben der oberen und niederen Burg noch eine Art von dritter Residenz in der Stadt. Weitere Arbeiten zum Goeli-Hof: Bernhard Schelb, Zwei Siedlungen des Frühmittelalters auf dem Boden der Stadt Freiburg [Beitrag aus der Festschrift fiir Heinrich Brenzinger], in: Schau-ins-Land 68 (1949). S. 3-22; Heinrich Büttner, Die Zähringer im Breisgau und Schwarzwald während des 11. und 12. Jahrhunderts, in: Schau-ins-Land 76 (1958). S. 3-18; Wolfgang Stülpnagel, Der Boden Freiburgs vor und nach Gründung der Stadt, in: Schau-in.s-I.and 83 (1965). S. 70-86; Berent Schwineköper, Die Vorstädte von Freiburg im Breisgau während des Mittelalters, in: Stadterweiterung und Vorstadt. Protokoll über die VI. Arbeitstagung des Arbeitskreises fur südwestdeutsche Stadtgeschichtsforschung Konstanz 10.-12. November 1967. hg. v. Erich Maschke u. Jürgen Sydow, Stuttgart 1969 (Veröffentlichungen der Kommission fur geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg. Reihe B: Forschungen. 51), S. 39-58; Walter Schlesinger, Zur Gründungsgeschichte der Stadt Freiburg, in: Freiburg im Mittelalter. Vorträge zum Stadtjubiläum 1970. hg. v. Wolfgang Müller, Bühl/Baden 1970 (Veröffentlichung des Alemannischen Instituts. 29). S. 24-49; Berent Schwineköper, Topographische Grundlagen der Freiburger Stadtgründung, in: Ebda. S. 7-23: Wolfgang Stülpnagel, Über neuere Arbeiten zu Fragen der Freiburger Stadtgründung, in: Schau-ins-Land 88 (1970), S. 5-22. Weitere Literaturhinweisc (Flamm, Dambachcr, Mone, Stülpnagel) gibt Schwineköper in seiner 1973 publizierten Stellungnahme (s. o.). Die Auseinandersetzung zwischen Wolfgang Stülpnagel und Berent Schwineköper ist nach 1973 nicht mehr weitergeführt worden, wie mir Prof. Schwineköper am 6. 10. 1991 brieflich mitteilte. 82 Hierzu siehe die Diskussion der Miniatur in C, unten, S. 23-29.
Exkurs: Der Freiburger Vogt Goeli
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Joachim Bumke zog vor wenigen Jahren Bilanz und kam zu dem Ergebnis, C sammle vor allem adlige Herren und Berufsdichter.83 Seine Feststellung steht zum gesellschaftlichen Stand des Freiburger Kandidaten zwar deutlich im Widerspruch, doch garantiert kein Untersuchungsverfahren mit letzter Sicherheit die sozialgeschichtliche Einbettung der in C vertretenen Autoren, bevor diese nicht einzeln gründlichst untersucht worden sind. Die übrigen von Grimme vorgebrachten Argumente sind kaum geeignet, eine sichere Entscheidung herbeizuführen: Die vermeintlichen Detailrealismen (Hanfbau, Dinghoftor und die Erwähnung der Vögte) erzwingen keineswegs eine Parteinahme zugunsten des Freiburger Kandidaten. Grimmes Vorschläge stießen kaum auf Resonanz: Schon im Jahr 1891 veröffentlichte Adolf Socin weitere Urkunden zur Familie des Basler Ritters.84 Ein Jahr später sprach sich auch Jakob Baechtold in seiner 'Geschichte der deutschen Literatur in der Schweiz' entschieden für den Basler Kandidaten aus. Für ihn war Göli sogar „[...] zuverlässig als Schweizer nachgewiesen [·..]."" Beide Stellungnahmen änderten kaum etwas an Grimmes Haltung. Auch in späteren Arbeiten bekräftigte er seine Position,86 was nicht verhindern konnte, daß sich die anscheinend ansprechendere These vom Basler Ritter und Neidhartianer Dietheini Göli bis in die großen literaturgeschichtlichen Entwürfe hinein konsolidierte.87 83 Joachim Bumke. Ministerialität und Ritterdichtung. Umrisse der Forschung, München 1976, S. 68. 84 Adolf Socin, Zu den Schweizer Minnesängern, in: Germania 36 (1891), S. 31 Iff. 85 Jakob Baechtold. Geschichte der deutschen Literatur in der Schweiz. Frauenfeld 1892. S. 153. 86 Siehe Fritz Grimme, Vornamenlose Minnesinger, in: Germania 37 (1892). S. 150-171, hier S. 150f.; Ders.. Die rheinisch-schwäbischen Minnesinger, Paderborn 1897 (Geschichte der Minnesinger. 1), S. 97-105. 87 Vgl. etwa folgende jüngere Beiträge: Singer, Art. Göli; Andre Moret, Les debuts du lyrisme en Allemagne (des origines ä 1350). Lille 1951 (Traveaux et memoires de l'Universite de Lille. 27). S. 45; Gustav Ehrismann, Geschichte der deutschen Literatur bis zum Ausgang des Mittelalters. Teil 2: Die mittelhochdeutsche Literatur, Schlußband, München 1959 (Handbuch des deutschen Unterrichts. 6.2.2.2). S. 282: Helmut de Boor, Die deutsche Literatur im späten Mittelalter. Zerfall und Neubeginn, Teil 1: 1250-1350, München 1962 (Geschichte der deutschen Literatur. Von den Anfangen bis zur Gegenwart. 3.1). S. 349f. In den aufgeführten Werken wird der Freiburger Vogt Goeli völlig übergangen, während die neue Literaturgeschichte von Dieter Kartschoke, Joachim Bumke u. Thomas Cramer, Geschichte der deutschen Literatur im Mittelalter. Bd. 1-3. München 1990 (dtv. 4551-53) den Autor gar nicht erst erwähnt. In jüngster Zeit sind wieder Zweifel an der Identität laut geworden; vgl. Bumke, Ministerialität. S. 45f.: Volker Mertens. Art. Göli, in: VL 3 ( 2 1981), Sp. 95f.; Peters, Literatur in der Stadt. S. 99; Kühn. Neidhart aus dem Reuental, S. 535ff. Günther Schweikle, Neidhart, S. 32 u. 36.
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Göli und die Forschung
7. Ergebnisse
Die Göli-Forschung zeichnet sich durch einige wenige Phasen aus, die durch eine eigentümliche Vorgehensweise gekennzeichnet sind: Aufgrund der bloßen Ähnlichkeit der Namen wurden zunächst vage Vermutungen angestellt. Die Leugnung der Historizität Gölis bildet ein Zwischenspiel, das die besondere Problematik auch der Textüberlieferung drastisch vor Augen führt. Stilistische Untersuchungen und Versuche der literarhistorischen Einordnung markieren sodann den letzten Schritt vor der urkundlichen Erschließung der mehr oder weniger gut faßbaren historischen Persönlichkeiten, wobei die Vorgaben des 19. Jahrhunderts entscheidenden Anteil hatten. Verwandtes begegnet in der Forschung auf Schritt und Tritt: Einerseits bestärkt die Anhäufung biographischer Indizien rasch eine endgültige Entscheidung für eine bestimmte in Frage kommende Person, andererseits bettet man einen vorschnell identifizierten Autor oft unbesehen in literarhistorische Zusammenhänge ein, die ihrerseits brüchig sind. Die Forschungssituation bestimmt das weitere Vorgehen: Vorrangig stellt sich die Aufgabe, die traditionellen, aber auch mögliche neue Indizien und Argumente zu sammeln und sorgfältig abzuwägen.
sieht in Göli einen fahrenden Nachsänger Neidharts bzw. einen Sammler von Liedtexten, dessen Liederheft(e) v. a. fremdes Gut enthielt(en). Die Annahme, Göli sei ein Fahrender gewesen, widerspricht jedem bisher vorgebrachten Lokalisierungsversuch. Erwähnt sei auch das Buch des Kallmünzer Heimatforschers Karl Winkler, Neidhart von Reuental. Leben/Lieben/Lieder, Kallmünz 1956. Winkler hat in langjähriger Arbeit versucht. Neidhart im oberbayerisch-pfalzischen Raum anzusiedeln. Zur Konzeption und Bewertung des Buches siehe Simon, Neidhart. S. 60 (Anm. 7), S. 77 (Anm. 5), S. 78 (Anm. 6). Zwar wird Göli auch bei Winkler zu einem Basler Stadtritter erklärt, doch verstrickt ihn der Verfasser in solch abenteuerliche Beziehungen zu Neidhart, daß es sich nicht einmal lohnt, die verwickelten Gedankengänge Winklers auf ihre Verifizierbarkeit hin zu überprüfen. Ein Beispiel: Der in Gölis Lied II auftretende Weibel Kunze soll angeblich ein Verwandter Neidharts gewesen sein (S. 150). Er kehrte nach Basel zurück und übergab dort Diethelm Göli einzelne Lieder seines Verwandten, die sich nun unter Gölis eigenen Werken finden (S. 151 f.). Nicht umsonst würdigt Simons Forschungsbericht Winklers minutiös ausgesponnenes Phantasiegeflecht nur am Rand.
II. Göli in Basel? - Indizien und Argumente
Die folgenden Ausführungen behandeln die für den Basler Ritter Diethelm Göli ins Feld geführten Indizien und Argumente. Eine eingehende Überprüfung der im Verlauf der Forschungsgeschichte gewonnenen Anhaltspunkte empfiehlt sich umso mehr, als ihr argumentativer Gehalt sich inzwischen teilweise geändert hat. Unsere Vorgehensweise deckt sich auch nicht in jedem Punkt mit den traditionell angewandten Methoden, sondern verhält sich hier und da geradezu gegenläufig, denn das 19. Jahrhundert hat bezüglich der Auswertung detailrealistischer Fakten einen Positivismus entwickelt, der inzwischen weitgehend überwunden zu sein scheint.1 Die folgenden Kapitel berühren mehrere Problemfelder. Sie stellen die traditionell vorgebrachten Argumente zusammen, ordnen diese in einen aus moderner Sicht vertretbaren Zusammenhang und versuchen eine Bewertung. Darüber hinaus soll versucht werden, das Gesamtspektrum zu erweitern, insofern neue Anhaltspunkte das bisher gewonnene Bild sinnvoll zu ergänzen imstande sind.
1. D i e Miniatur (in C)
Über die Strophensammlung Gölis hinaus überliefert C eine ganzseitige Miniatur.2 Erlaubt dieses Bild sichere oder zumindest doch wahrscheinliche Aussagen über den Autor? Die Miniatur zeigt zwei einander gegenübersitzende Personen, die ein Brettspiel - vermutlich ein Tricktrack - vor sich auf einer gesockelten Bank 1 Zum Problem der in den Neidharten dargestellten Wirklichkeit siehe bes. Jürgen Schneider, Studien zur Thematik und Struktur der Lieder Neidharts. Eine kritische Auseinandersetzung mit der Forschung. Neuansätze einer Interpretation der Liedaussagen unter literatursoziologischen Aspekten, Bd. 1-2, Göppingen 1976 (GAG. 196/197), S. 257-301; zum Positivismus-Begriff siehe bes. S. 291 ff. 2 Hierzu siehe bereits oben, S. 6f., 11.
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Göli in Basel? - Indizien und Argumente
liegen haben.3 Ob die Szene im geschlossenen Raum oder im Freien angesiedelt ist, bleibt offen. Die Gestalt zur Linken (Göli?) hat soeben gewürfelt und scheint nun einen weißen Stein setzen zu wollen, während die Gestalt rechts mit einer Geste antwortet. Aus dem Autorenbild selbst lassen sich wohl kaum sichere Anhaltspunkte zum Dichter gewinnen. 4 So rückt das bis heute am meisten diskutierte Bildelement, das Wappenbild, einmal mehr ins Zentrum des Interesses: In dem Schwarz-Weiß des Spielfeldes der Bildmitte wiederholt sich ein farbliches Motiv, das in der oberen Bildhälfte die rittterlichen Attribute Schild und Helm ziert. Der Schild trägt das bereits beschriebene Löwen-Wappen, 5 rechts von dem Wappenbild erscheint der golden bemalte Helm. Als Zier des im Profil dargestellten Helms hat der Maler die obere Hälfte des im Wappenschild erscheinenden Löwen verwendet. Die ritterlichen Attribute sowie der in der Bildüberschrift her Goeli genannte Herrentitel zeigen, daß der Maler des Grundstocks Göli als Ritter darstellen wollte oder darzustellen hatte.6 Die Miniatur als Ganzes erweist sich somit als in sich stimmig. Schild und Helm erweitem das Autorenbild zur ständischen Aussage, 7 obwohl das Bild selbst - es ist ist dem Bildtyp der Spiel- und Trinkszenen zuzurechnen - keine sicheren Rückschlüsse auf Herkunft, Stand, Lebenszeit oder gar auf biographische Daten aus dem Leben des Dichters erlaubt.8 Die übrigen in C überlieferten Miniaturen dieses Typs
3 Siehe Gisela Siebert-Hotz, Das Bild des Minnesängers. Motivgeschichtliche Untersuchungen zur Dichterdarstellung in den Miniaturen der Großen Heidelberger Liederhandschrift, Diss. phil., Marburg 1964, S. 284f. 4 Die Bemerkung von Ewald Jammers, Das königliche Liederbuch des deutschen Minnesangs. Eine Einführung in die sogenannte Manessische Handschrift, Heidelberg 1965, S. 43, wonach die gemalte Szene Ministerialen beim Brettspiel zeige, ist völlig aus der Luft gegriffen. Weder geht aus der Miniatur der Ministerialenstatus der Spieler hervor, noch wurde dieses Brettspiel nachweislich nur von Dienstmannen gepflegt. 5 Siehe oben, S. 6. 6 Der Herrentitel findet sich nochmals im Register von C (fol. 5r, Nr. 78), wo der Name des Autors mit Goerti wiedergegeben wird. Da die Vorschriften auf fol. 262v und 263r die Schreibform Goeli überliefern, ist von einem Irrtum auszugehen. Zu den in C vertretenen Dichtern mit Herrentiteln siehe bes. Bumke, Ministerialität und Ritterdichtung, S. 98, Anm. 233. 7 Vgl. Hella Frühmorgen-Voss, Bildtypen in der Manessischen Liederhandschrift, in: Werk-Typ-Situation. Studien zu poetologischen Bedingungen in der älteren deutschen Literatur, hg. v. Ingeborg Glier u.a., Stuttgart 1969, S. 184-216, hier zitiert nach: Der deutsche Minnesang. Aufsätze zu seiner Erforschung, hg. v. Hans Fromm, Bd. 2, Darmstadt 1985 (WdF. 608), S. 77-114, hier S. 81; siehe auch Dies., Text und Illustration im Mittelalter. Aufsätze zu den Wechselbeziehungen zwischen Literatur und bildender Kunst, hg. u. eingel. v. Norbert H. Ott, München 1975 (MTU. 50), S. 57-87. 8 Frühmorgen-Voss, Bildtypen, S. 92.
Die Miniatur (in C)
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(der Markgraf von Brandenburg, der mit seiner Dame Schach spielt;9 Steinmars Gelage;10 das Steinstoßen im Autorenbild des Burggrafen von Lüenz;11 das Kugelspiel beim jungen Meißner12) tragen zur Interpretation der GöliMiniatur nichts Neues bei. Daß die Brettspieldarstellung vielmehr ein Milieu widerspiegelt, das generell der adligen Lebensführung entsprochen haben dürfte, belegen folgende Formulierungen: „Die Alltagsverrichtungen lassen den Burgbewohnern viel Mussezeit übrig. Im Kampf gegen die Langeweile des Burglebens greift der Adel u.a. zu spielerischen Beschäftigungen: Unter den Brettspielen sind besonders das Tricktrack und das geistig anspruchsvollere Schach beliebt, unter den Geschicklichkeitsspielen Boule oder Boccia sowie das Kegeln. Archäologische Funde belegen auch das Glücksspiel mit Würfeln, wobei zu berücksichtigen ist, dass Würfel auch beim Tricktrack benötigt werden. (Das Kartenspiel kommt erst im ausgehenden 14. Jahrhundert auf.) Zum täglichen Zeitvertreib ist ferner das Musizieren mit der Maultrommel und der Knochenflöte zu zählen. Brett- und Geschicklichkeitsspiele werden mit Vorliebe auch an den ritterlichen Festen ausgetragen, namentlich von den Damen und den älteren Jahrgängen unter den Rittern." 13 Alles in allem ist die Homogenität der Bildaussage in historischer Hinsicht alles andere als verläßlich: Das in der Minitatur Dargestellte ist weniger auf historische Fakten zu beziehen als vielmehr auf den Maler bzw. auf seine(n) Auftraggeber. Ob der Illustrator über verläßliche Informationen verfugt hat, bleibt völlig offen. Möglicherweise gab es zur Entstehungszeit von C gar keine sicheren Nachrichten mehr über den Autor. Im Extremfall wären alle Bildelemente der Miniatur als freie Erfindung anzusehen. Die Zweifel an der Verläßlichkeit der Miniatur werden angesichts des beigegebenen Wappens besonders akut. Hella Frühmorgen-Voss meint: „Goelis Wappentier, das zwar echt anmutet, aber unbelegt ist, wäre zumindest zuzu9 10 11 12 13
Abb. in: Die Große Heidelberger .Manessische" Liederhandschrift. fol. 13r. Abb. ebda. fol. 308v. Abb. ebda, fol. 115r. Abb. ebda, fol. 339r. Zitiert nach: Christian Schmid-Cadalbert (Hg.), Das ritterliche Basel. Zum 700. Todestag Konrads von Würzburg, [Basel 1987], S. 123f.; siehe ebenso S. 125, Exponat 49 sowie S. 126, Exponat 59; weitere Exponate: Claudia Brinker u. Dione Flühler-Kreis, edele frouwen - schoene man. Die Manessische Liederhandschrift in Zürich 12. Juni bis 29. September 1991, Zürich 1991, S. 287ff.; zum Würfelspiel im Mittelalter siehe Walter Tauber, Das Würfelspiel im Mittelalter und in der frühen Neuzeit. Eine kultur- und sprachgeschichtliche Darstellung, Frankfurt a. M./Bern/New York 1987 (Europäische Hochschulschriften. Reihe 1: Deutsche Sprache und Literatur. 959), S. 23f. (Der Adel und das Würfelspiel) u. S. 80 (Tricktrack); siehe jetzt auch Antje Kluge-Pinsker, Schachspiel und Trictrac. Zeugnisse mittelalterlicher Spielfreude aus salischer Zeit, Sigmaringen 1990.
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Göli in Basel? - Indizien und Argumente
trauen, daß es seine Tinkturen nur in Responsion zum schwarzweißen Trictracbrett gefunden hätte." 14 Daß der Maler mit dem Göli-Wappen ein Wappenbild gestaltete, das kaum überregionale Bedeutung hatte wie etwa ein königliches oder bischöfliches Siegel, verstärkt unsere Zweifel. Das Autorenbild entstand erst Jahrzehnte nach dem Tod Diethelm Gölis und des Freiburger Vogtes.15 Von den Mitgliedern der Basler Familie war schon um 1300 niemand mehr am Leben. Bis heute ist kein einziges historisches Siegelbild Diethelm Gölis aufgetaucht, und so erhärtet sich der Verdacht, der Maler könnte sich das Wappenbild einfach ausgedacht haben.16 Dennoch scheint diese Lösung des Problems zu einfach. Das Autorenbild verweist, wie gezeigt wurde, auf ein Mitglied des Ritterstandes. Dies sollte Anlaß geben, im Rahmen nachprüfbarer Fakten Wege zu finden, die uns einer Erklärung des Wappenbildes näher bringen. Die urkundlichen Zeugnisse führen Diethelm Göli in der Regel als miles Basiliensis auf.' 7 Sein Name erscheint darüber hinaus gelegentlich in Verbindung mit der Herkunftsangabe de Baden.™ Diese Bezeichnung ist allem Anschein nach auf den ursprünglichen Herkunftsort, d. h. den Stammsitz der Familie, nach welchem sich die einzelnen Angehörigen nannten, zu beziehen. Baden meint entweder die gleichnamige Stadt im Aargau oder aber das nördlich von Basel gelegene Badenweiler. Das aargauische Baden läßt sich mit großer Wahrscheinlichkeit ausschließen.19 Diethelms Familie wird somit ursprünglich dem in der weiteren Umgebung Basels beheimateten Landadel angehört, zu irgendeinem Zeitpunkt jedoch den Stammsitz verlassen haben und in die Stadt gezogen sein. Nach dem Ort Badenweiler nannte sich ein
14 Frühmorgen-Voss, Bildtypen, S. 104. 15 Zu den Todesdaten siehe oben, S. 19, unten, S. 98. 16 Nach brieflicher Auskunft von Herrn Hans Walti (21.7.1987) ist auch in der Siegelsammlung des Staatsarchivs des Kantons Aargau, wo der früheste urkundliche Beleg zu Diethelm Göli aufbewahrt wird (1254), bis heute kein Göli-Wappen bekannt. (Die Urkunde wird unten, S. 70ff., 83, behandelt.) Immerhin sind Siegel der Verwandten Diethelms bzw. Siegel der geistlichen Institutionen, in denen diese nachgewiesen werden können (Konrad Göli, Dietrich Göli), erhalten. Doch sie zeigen ausschließlich geistliche Motive und stimmen daher nicht mit dem in C erhaltenen Wappenbild Gölis überein. Abbildungen folgender Siegel finden sich im Anhang zu UB, Bd. 1: Nr. 17 (Doinstift, Maria mit Jesuskind); Nr. 18 (Domstift, Maria mit Jesuskind); Nr. 23 (Domdekan Konrad, Maria mit Jesuskind); Nr. 40, 40a (Kapitel von St. Peter, Arm des hl. Petrus mit Schlüsseln); Nr. 41 (Propst Konrad von St. Peter, hl. Petrus mit Schlüsseln): Nr. 62 (Barfüßer, Minister in Alemannien, Ölbergszene?, schlafende Jünger?); Nr. 63 (Barfüßer in Basel, Maria mit Jesuskind). Auf die Verwandten Diethelm Gölis wird unten. Teil III. ausführlich eingegangen. 17 Siehe etwa unten, S. 83f., 92, 97. 18 Siehe etwa unten, S. 44, 72, 83, 90ff., 94, 101. 19 Zu dieser Frage siehe unten, S. 72-83.
Die Miniatur (in C)
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wiederum in Basel ansässiges Adelsgeschlecht. 20 Bereits Fridrich Pfaff hat auf Übereinstimmungen zwischen dem in C erhaltenen Göli-Wappen und den Siegeln der Herren von Baden(weiler) hingewiesen. 21 Außer der geschachten Einteilung verbindet beide Wappen auch eine farbliche Ähnlichkeit: Das Weiß-Schwarz des geschachten Löwen in der Göli-Miniatur begegnet im silber-schwarz geschachten Schild der Badener wieder.22 Das Fehlen eines Siegels schließt nun prinzipiell nicht aus, daß Diethelm Göli nicht doch ein solches geführt haben könnte. Wenn Diethelm bzw. ein Vorfahre des Ritters ursprünglich zur Dienstmannschaft der Herren von Baden gehörte, könnten die Gölis durchaus einzelne Elemente des dienstherrlichen Wappens übernommen und variiert haben.23 Die Verwendung des heraldischen Löwens in C könnte aber auch auf die Göli-Lieder zurückgehen. In der vierten Strophe von Lied I wird einer der Protagonisten direkt mit einem Löwen verglichen.24 Dasselbe widerfährt dem Hauptakteur von Lied IV in der zweiten Strophe.25 Angesichts der Häufigkeit von 'redenden Wappen' in C liegt eine solche Vermutung durchaus im Bereich des Wahrscheinlichen.26 Eine exotisch anmutende Spur führt nach Konstanz. Um 1483 wurde (u. a.) das Siegelbild Neidharts in das Wappenbuch Conrad Grünenbergs aufgenommen und mit einem kurzen Kommentar versehen. Dieses Neidhart-Wap-
20 Zu den Herren von Baden siehe wiederum unten, S. 72-83; weiter: OG, S. 27-32. Literatur zum mittelalterlichen Badenweiler: Gustav Faber, Badenweiler. Ein Stück Italien auf deutschem Grund, Freiburg 1975, S. 26-31; C[hristian) A[dolf] Müller, Burgen und Schlösser im Markgräflerland, in: Das Markgräflerland. Vorträge der öffentlichen Vortragsreihe des Alemannischen Instituts in Freiburg und Tübingen im Winter 1964/65, hg. v. Wolfgang Müller, Bühl/Baden 1969 (Veröffentlichungen des Alemannischen Instituts. 24), S. 89-134. 21 Fridrich Pfaff, Der Minnesang im Lande Baden, Heidelberg 1908 (Neujahrsblätter der Badischen Historischen Kommission. NF 11), S. XIV. 22 Vgl. die Beschreibung des Wappens der Herren von Baden im OG, S. 31 (mit Abb.). 23 Dasselbe Problem ergibt sich für die Deutung des in C überlieferten Wappens Hartmanns von Aue; vgl. hierzu bes. Christoph Cormeau u. Wilhelm Störmer, Hartmann von Aue. Epoche - Werk - Wirkung, München 1985 (Beck'sche Elementarbücher. Arbeitsbücher zur Literaturgeschichte), S. 34; Volker Mertens, Gregorius Eremita. Eine Lebensform des Adels bei Hartmann von Aue in ihrer Problematik und ihrer Wandlung in der Rezeption. Zürich/München 1978 (MTU. 67), S. 159f. Die Ableitbarkeit von Hartmanns Wappen vom Adlerwappen der Zähringer betonte Mertens zuletzt in: Das literarische Mäzenatentum der Zähringer, in: Die Zähringer, [Bd. 1:] Eine Tradition und ihre Erforschung, hg. v. Karl Schmid, Sigmaringen 1986 (Veröffentlichungen zur ZähringerAusstellung. 1), S. 117-134, hierS. 122. 24 Siehe unten, S. 171. 180, 184. 25 Siehe unten, S. 176, 187. 26 Zu den 'redenden Wappen' in C siehe auch Bumke, Ministerialität und Ritterdichtung, S. 38f.
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Göli in Basel? - Indizien und Argumente
pen zeigt einen roten Löwen, ebenso steigend wie im Wappen Gölis, aber nicht gekrönt. Die linke Hälfte des Grundes wurde gelb, die rechte hingegen weiß ausgemalt. Der Wappenschild trägt eine Helmzier, und diese stellt einen wachsenden Löwen dar.27 Das Wappen geht mit großer Wahrscheinlichkeit auf eine ältere Liederhandschrift zurück. Besonders die gemeinsame Verwendung des heraldischen Löwen als Wappenmotiv fällt ins Auge. Nun existiert eine verwandtschaftliche Linie, welche sich von Basel nach Konstanz ziehen läßt und die Grünenberger bereits lange vor der Entstehung des Wappenbuches mit den in Basel ansässigen Herren von Baden verbindet: Eine Urkunde, ausgestellt am 2. Mai 1300, erwähnt nämlich eine Richenza von Baden, die dem Basler Domstift verschiedene Besitzungen vergabt. Als Tochter Richenzas wird eine Anna genannt, die mit Walther von Grünenberg verheiratet ist.28 Der Auftraggeber des Wappenbuches hatte allem Anschein nach Zugang zu alten Liederhandschriften. Literarische Austauschprozesse zwischen Basel und anderen oberrheinischen Städten könnten Gölis und Neidharts Lieder vermischt und auch die entsprechenden (beigegebenen) Wappen in Mitleidenschaft gezogen haben. Gesicherte Erkenntnisse fehlen jedoch, und die um 1300 nachgewiesene Ehe zwischen Anna von Baden und Walther von Grünenberg bildet nur ein schwaches Indiz.29 Eine weitere Hypothese zur Entstehung des Göli-Wappens lautet: „Die Schildfarben kommen im Wappen der von Baden (aus Badenweiler) vor, während ein Löwe die Wappenfigur der gleichnamigen Familie aus Baden im Aargau bildet. Falls beide Familien nicht gleichen Ursprungs sind, hat
27 Des Conrad Gruenenberg, Ritters und Burgers zu Costenz, Wappenbuch, vollbracht am nünden Tag des Abrellen do man zalt tusend vierhundert drü und achtzig jar. In Farbdruck neu hg. v. R[udolf] Graf Stillfried-Alcantara u. Ad[olf| M[atthias] Hildebrandt, Bd. 1-3 (Teil 1-2), Görlitz 1875, Bd. 3 (Teil 2,2), Tafel CXXVIIIb: zur Vorlage (Liederhandschrift) siehe einen Brief Johann A. Schmellers an Laßberg (18. 11. 1830), in: Germania 13 (1868), S. 496ff., sowie die zweifelhaften Bemerkungen Winklers in: Ders.. Neidhart von Reuental, S. 57f.; zur Familie der Grünenberger siehe auch OG, S. 482f. 28 UB, Bd. 3, Nr. 538, S. 294ff.; zu einer (weiteren?) Anna von Baden siehe unten, S. 8 Iff. 29 Das im Wappenbuch Grünenbergs überlieferte Wappen Neidharts steht im Konstanzer Raum übrigens nicht allein: Zu Beginn des 15. Jahrhunderts verfaßte Heinrich Wittenwiler seinen 'Ring', in welchem er Neidhart den Fuchsschwanz als Wappenbild zuordnete; Text: Heinrich Wittenwiler, „Der Ring", hg., übers, u. komm. v. Bernhard Sowinski, Stuttgart 1988 (Helfant Texte. Τ 9), S. 8, V. 155-160, sowie S. 28, V. 644f.; zu Wittenwilers 'Ring' siehe jetzt Eckart Conrad Lutz, Spiritualis fornicatio. Heinrich Wittenwiler, seine Welt und sein 'Ring', Sigmaringen 1990 (Konstanzer Geschichts- und Rechtsquellen. Neue Folge der Konstanzer Stadtrechtsquellen. 32), bes. S. 361.
Die Miniatur (in C)
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sich der Wappenmaler hier als heraldischer Kompilator betätigt." 30 Diese Vermutungen erweisen sich bei näherem Hinsehen als problematisch, denn das aargauische Rittergeschlecht mit der angeführten Wappentradition gibt es nicht. Der Illustrator hatte drei verschiedene Wappen zur Auswahl: Das erste führte die aargauische Stadt selbst. Hierbei handelt es sich angeblich um das alte Wappen der Grafen von Baden, was jedoch durch keine Quelle beglaubigt wird. Da dieses Siegel zudem keinen Löwen zeigt, scheidet es ohnehin von vorneherein aus.31 Das zweite Wappen führten die Ritter von Baden, die aus der Dienstmannschaft der Kiburger und Habsburger Stadtherren hervorgegangen waren. Da auch dieses Siegelbild den Löwen vermissen läßt, fuhrt es uns ebensowenig weiter.32 So bleibt lediglich ein drittes, nur singulär belegtes Wappen übrig, das Heinrich, einem Vogt der Habsburger, gehörte, der auf der oberen Burg der Stadt die Rechte der Ortsherrschaft vertrat und im Siegel den habsburgischen und österreichischen Schild vereinigte.33 Heinrichs Siegel zeigt in der Tat einen steigenden Löwen. Das Problem ist nur, daß Heinrich offenbar nicht dem Ritterstand angehört hat. Die verschiedenen Familien sind mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch nicht gleichen Ursprungs, und von einer einzigen aargauischen Familie kann keine Rede sein. Halten wir fest: Die in sich stimmige Göli-Miniatur in C liefert zwar keinerlei sichere Informationen zur Identität, Herkunft und Biographie des Dichters, doch deutet die Aufnahme der Badener Farben und der geschachten Struktur des Schildbildes auf die Herren von Baden(weiler). Daß der heraldische Löwe letztlich auf den Maler des C-Grundstocks zurückgeht hierfür spricht die im Mittelalter häufige Verwendung,34 aber auch die Bezüge zu den Göli-Texten - ist nicht mit letzter Sicherheit auszuschließen.
30 Codex Manesse. Die Miniaturen der Großen Heidelberger Liederhandschrift, hg. u. erl. v. Ingo F. Walther unter Mitarbeit v. Gisela Siebert, Frankfurt a. M. 1988, S. 183. 31 Siehe hierzu bes. Walther Merz (Hg.), Die mittelalterlichen Burganlagen und Wehrbauten des Kantons Argau, Bd. 1, Arau 1905, S. 81 (mit Abb.). 32 Siehe ebda, S. 84f. (mit Abb.). 33 Siehe ebda, S. 93 (mit Abb.); urkundliche Belege zu diesem Heinrich sammelt Walther Merz, Aargauische Amtslisten, in: Argovia 46 (1934), S. 245-260, hier S. 248. Heinrich urkundet demnach von 1298 bis 1315 und wird 1326 als verstorben bezeichnet. 34 Zur Bedeutung des heraldischen Löwen siehe etwa Paul Ganz, Geschichte der heraldischen Kunst in der Schweiz im XII. und XIII. Jahrhundert, Frauenfeld 1899, S. 47f.; Walter Leonhard, Das große Buch der Wappenkunst. Entwicklung - Elemente Bildmotive - Gestaltung, 3. Aufl., München 1984, S. 205-220; Nachweise zu Wappen mit gekrönten Löwen bei Theodore de Renesse, Dictionnaire des figures heraldiques, Bd. 1-7, Bruxelles 1894-1903, Bd. 6, S. 295-316; schon der älteste mittelalterliche Schild aus der Schweiz wird von einem steigenden Löwen geschmückt: siehe die Abb. Tafel S. 89
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Göli in Basel? - Indizien und Argumente
2. Der Rhein
Sämtliche Fassungen des ersten Göli-Liedes (C, B, c) erwähnen im vorletzten Vers der Eingangsstrophe den Rhein.35 Hans Becker bemerkt hierzu: „Der einstrophige Sommereingang fällt durch die gewählten Bilder und die Breite der Schilderung auf; mit HW XXV, 236 bi dem Rine üf gruonent werde vnd ouwe wird der üblicherweise idealtypische Charakter des Eingangs auf eine bestimmte Landschaft bezogen, eine Konkretisierung, die in der Neidhart-Tradition einmalig ist."37 Diese Feststellung trifft für die Natureingangsstrophen der Neidhart-Lieder zweifellos zu, doch bleiben mehrere Erwähnungen des Rheins im übrigen Strophenkorpus erklärungsbedürftig. Immerhin könnte die Konkretisierung des Rheins nichts weiter als eine Übertragung auf den Natureingang darstellen. Damit erhebt sich die Frage, welche Funktion die bei Neidhart erfolgten Nennungen des Rheins jeweils besitzen.38
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(Schild des Ritters Arnold von Brienz, 1180-1225), in: Sigmund Widmer. Illustrierte Geschichte der Schweiz, 4 . . erw. Aufl., Zürich 1977. Zu diesem Problem siehe oben. S. 8, 11. 15f., sowie unten, S. 170. 179. 183. Zur Liedzählung siehe unten, Anm. 38. Becker. Die Neidharte. S. 334. Die Zählung der Neidhart-Lieder folgt im allgemeinen der sogenannten 'Großen Ausgabe': Neidharts Lieder, hg. v. Moriz Haupt, 2. Aufl., neu bearb. v. Edmund Wießner, Leipzig 1923 (HW) (Unveränderter Nachdruck zusammen mit Edmund Wießner. Kritische Beiträge zur Textgestaltung der Lieder Neidharts, 1924, einem Nachwort und einer Bibliographie zur Überlieferung und Edition der Neidhartlieder von Ingrid Bennewitz-Behr, Ulrich Müller u. Franz Viktor Spechtler, Stuttgart 1986). Wie schon in der Erstauflage wurden Gölis Lieder in dieser Ausgabe wiederum als unechte Neidharte aufgenommen (S. XXIX-XLI). Die 1984 in Tübingen erschienene 4. Aufl. der 'Lieder Neidharts', hg. v. Edmund Wießner, fortgef. v. Hanns Fischer, rev. v. Paul Sappler (ATB. 44) (WF) stellt Wießners großer Ausgabe gegenüber zwar lediglich eine 'Editio minor' dar (vgl. hierzu auch das Vorwort v. Hanns Fischer, ebda, S. VII), doch kann diese, der Einfachheit halber, ebenso benutzt werden, solange keine wesentlichen textkritischen Fragen zu klären sind. Bei Zugrundelegung der ΗW-Edition wird die Zählung der ATB-Ausgabe durch die jeweils in Klammern gesetzte Nummer des Sommer· (SL) bzw. Winterliedes (WL) berücksichtigt, andernfalls wird die HW-Zählung in Klammern gesetzt. Wird auf häufig auftretende Bilder, Motive, Personen usw. verwiesen, berücksichtige ich jedoch lediglich die Liedzählung nach WF. Die den in W F abgedruckten Strophen beigegebene HW-Zählung läßt jederzeit einen bequemen Rückgriff auf die dort verzeichneten Lesarten zu. Die abweichende Liedzählung bei Beyschlag, Die Lieder Neidharts, wird durch die Konkordanztabellen ebda, S. 779-786, ausgeglichen.
Der Rhein
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1. In dem siebenstrophigen Sommerlied Komen sint uns die liehten tage lange inszeniert sich das Sänger-Ich inmitten einer heimkehrenden Pilgerbzw. Kreuzfahrergruppe.39 In der fünften Strophe ist vom Entsenden eines Boten die Rede, vom erhofften Ende der Niedergeschlagenheit und von der erwarteten Aufnahme durch die daheimgebliebenen Freunde. Der dritte Vers dieser Strophe enthält die Feststellung: wir nähen zuo dem Rine.40 Dabei evoziert der Flußname die Vorstellung der Landesgrenze, auf die sich die Heimkehrer zubewegen.41 2. Eine völlig andere Szenerie entwirft das fünfstrophige Sommerlied Der wait mit loube stat,42 das ein Streitgespräch zwischen Mutter und Tochter wiedergibt. Das Mädchen will zum Tanz eilen, wo der Reuentaler seine neuen Lieder vorträgt, doch die Mutter versucht, ihre Tochter zurückzuhalten. In der dritten Strophe schlägt die Tochter die Warnungen der Mutter unter anderem mit dem Hinweis auf ein persönliches Geschenk des Reuentalers
in den Wind: und zwine röte golzen brähte er her mir über Rin,43 Die Herkunftsangabe hat topische Funktion. Wiederum kann der Flußname nicht als Teil der Liedkulisse geltend gemacht werden, denn die Tochter deutet an, der Reuentaler habe sich zeitweilig außer Landes aufgehalten und das Geschenk für sie von dort mitgebracht. Der Rhein dient also auch hier der Bezeichnung der Landesgrenze44 und deutet die Herkunft der Modeartikel aus dem vorbildlichen Frankreich an.45 3. In der Bittstrophe HW 73,11-23 (WL 23, Str. X) wendet sich Neidhart an den österreichischen Herzog Friedrich II. den Streitbaren und bittet ihn um Zinsermäßigung.46 Im Falle einer Abgabensenkung verspricht der
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45 46
Ein Nachweis der Textstellen zur Erwähnung des Rheins bei Neidhart findet sich im Namensverzeichnis bei HW, S. 356 (unter Rin). HW 13,8-14,3 (SL 12). HW 13,30. Vgl. hierzu jetzt auch Schweikle, Neidhart, S. 60, der das Lied eher als Pilgerreise in den Westen versteht und feststellt, daß der Rhein als symbolischer Begriff für den Heimatbereich etwas weit von der vermutlichen Heimkehrroute abläge. HW 20,38-21,34 (SL 18). HW 21,16. Vgl. auch Schweikle, Neidhart, S. 62, der die Nennung von Fluß-, Länder- und Städtenamen fiir topisch eingesetzt hält, um die Weitgereistheit des Sängers, die Angabe großer Entfernungen oder die Markierung eines großen geographischen Bereichs zum Ausdruck zu bringen. Anspielungen auf französische Modeartikel begegnen übrigens auch in Gölis Lied IV; vgl. unten, S. 47ff. Vgl. Schweikle, Neidhart, S. 93.
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Sänger, als Vorkämpfer von Friedrichs Heil aufzutreten und in Wort und Ton dessen Preis zu verkünden. Der Bittsteller versichert, sein Preis würde von der Elbe unz an den Rin erschallen.47 Die formelhafte Verwendung beider Flußnamen tritt klar zutage. Die Wendung meint nichts anderes als 'im ganzen deutschen Reich'. 48 4. In dem Winterlied Winder, dtniu meil gibt der Sänger vor, den ihm vertrauten geographischen Bereich zu umreißen.49 Drei Flüsse begrenzen dieses Gebiet: Von hinne unz an den Rin, von der Elbe unz an den Phät, diu lant diu sint mir elliu kunt. Der Rhein steht hier offensichtlich für die West-, die Elbe für die Nord-, der Phät für die Südgrenze. Ausgespart wird der Osten, die Donau, die dem ungefähren Standort des Sängers entsprechen dürfte. Die topische Verwendung der Flußnamen zur Kennzeichnung der Weitgereistheit begegnet nicht nur bei Neidhart, sondern auch bei Walther von der Vogelweide.50 Sie steht nicht nur im Gegensatz zu einer konkret szenischen Funktion als landschaftliche Kulisse, sondern macht zugleich deutlich, daß das Sänger-Ich sich selbst in einer großen Distanz zum Rin situiert. 5. Das Winterlied Owe winder, waz dü bringest preist zum einen die Herrin, andererseits begrüßt der Sänger das Kommen des Kaisers (Friedrich II.), von dem er sich eine Wiederherstellung der ins Wanken geratenen alten Ordnung und damit eine Bestrafung der Bauernburschen verspricht.51 Der Text schließt mit dem Ausruf des Sängers, der Kaiser möge doch die Länder am Rhein ordnen: rihte der keiser um den Rin!52 Der Sänger deutet durch den Fluß ein umfassendes Territorium an und verwendet den Namen daher als Abstraktum. 6. Eine weitere Erwähnung des Rheins findet sich in einer Trutzstrophe zu dem Winterlied Diu sunne und ouch die bluomen hänt ir hoehe hin genei-
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HW 73,23. Vgl. hierzu auch die Anm. bei HW, S. 268 (mit weiteren Belegen). HW 92,11-94,30 (WL 32), hier 93,15-17. Nachweis bei Schweikle, Neidhart, S. 62. HW 101,20-102,31 (WL 36); vgl. Schweikle, Neidhart, S. 61. HW 102,31.
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get.53 Als Sprecher-Ich tritt ein Dörper namens Ellengoz auf, der sich durch das Legen eines Feuers am Reuentaler gerächt hat. Um der drohenden Rache zu entgehen, ist er nun genötigt, sich zu verstecken. Als Unterschlupf zieht er den Rhein in Erwägung: ein wazzer heizt der Rin: waz ob ich mich al dä hin verslüffe? 54 Daß Ellengoz sich direkt am Rheinufer verkriechen möchte, ist eher unwahrscheinlich. Der Dörper will mit der Nennung des Flußnamens vielmehr die große Strecke andeuten, die er für seine Flucht beansprucht, denn er flieht sozusagen bis an die entgegengesetzte - d.h. westliche - Landesgrenze.55 7. Auch die letzte Erwähnung des Rheins findet sich im Kontext einer Trutzstrophe. Sie gehört zu dem Winterlied Owe, lieber sumer, diner sileze bernden Wunne.56 In dem Liedtext läßt sich das Sänger-Ich unter anderem über eine kunstvoll verzierte Haube aus, die ein Dörper namens Hildemar zur Schau trägt.57 Die Trutzstrophe, um die es hier geht, ist dem Eigentümer der Kopfbedeckung in den Mund gelegt. Hildemar droht dem Reuentaler: er tribet mit sim sänge daz ez hillet bi dem Rine. ich bring in in schände, sam mir Hildemäres lip. 58 Das Winterlied nennt mehrere in der Umgebung Wiens liegende Lokalitäten, die dem Publikum vertraut gewesen sein dürften. Ortsnamen konstituieren bei Neidhart häufig das dörperliche Aktionsfeld. Anders die Erwähnung des Rheins: Dieser Fluß gehört offensichtlich eben nicht zur landschaftlichen Kulisse der beschriebenen Ereignisse. Er hat auch hier symbolischen Charakter: Hildemar beschreibt die Weite des Raumes, in welchem der Reuentaler einen Ruf als Sänger genießt.
53 HW 50,37-52,20 (WL 11); die Trutzstrophe erscheint in den Anmerkungen, S. 235; zu diesem Strophentyp siehe jetzt Schweikle, Neidhart, S. 95ff. 54 HW, S. 235, 160,lf. 55 Diese Interpretation der zur Diskussion stehenden Verse läßt die Echtheitsproblematik der Trutzstrophen bewußt außer acht, da bis heute nicht sicher geklärt werden konnte, ob der Strophentyp Neidhart zuzuschreiben sei oder nicht; vgl. hierzu Schweikle, Neidhart, S. 95ff. 56 HW 85,6-86,30 (WL 29); die Trutzstrophe findet sich wiederum in den Anmerkungen, S. 289f. 57 Eine solche Haube begegnet übrigens auch in Gölis Lied IV; vgl. unten, S. 271ff. 58 HW, S. 289f.
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Zusammenfassend läßt sich somit sagen, daß der Rhein bei Neidhart keine unmittelbare Landschaftskulisse des jeweiligen Aktionsfeldes bildet. Er symbolisiert vielmehr einen weiten geographischen Raum, eine große Distanz, die Landes- oder Reichsgrenze. Dennoch verwendet Neidhart landschaftliche Bezeichnungen nicht immer topisch. Sein Werk enthält vielmehr eine Fülle geographischer Namen, die zum Teil sein eigenes Erfahrungsfeld abstecken helfen.59 In diesem Punkt folgt Göli seinem dichterischen Vorbild: So wie Neidhart häufig konkrete Orts- und Flußbezeichnungen in seine Liedtexte einmontiert hat, diente die Nennung des Rheins Göli als konkreter szenischer Hintergrund. Wie Neidhart überformte Göli also seinen Natureingang mit Realismen, um die in Lied I beschriebenen Ereignisse in die unmittelbare Nähe einer Landschaft zu rücken, die dem Dichter wie dem Publikum vertraut war. In dem Autor einen Basler zu sehen, darf angesichts der unmittelbaren Nähe der Stadt zum Rhein eine gewisse Plausibilität für sich beanspruchen. Gölis Lieder haben ursprünglich wohl nur einen engen Kreis von Zuhörern erreicht, der am ehesten in Basel zu suchen sein wird. Die Verwendung von Details aus der unmittelbaren Lebenswelt von Autor und Publikum wird diesen Liedern einen besonderen Reiz verliehen haben. Derlei Anspielungen auf eine landschaftliche Kulisse sind zwar für einen Dichter und eine Zuhörerschaft im Freiburger Raum ebenso denkbar, aber der Rhein ist von Freiburg zu weit entfernt, um noch als Kulisse dienen zu können. Unsere Überlegungen setzten sich bisher lediglich mit dem Natureingang von Lied I auseinander. Man übersieht leicht eine Textstelle aus Gölis Lied II, die den Natureingang überraschenderweise wiederum in den szenischen Rahmen einer Flußlandschaft integriert, wobei einschränkend bemerkt werden muß, daß dies nur für die C-Überlieferung gilt. Der dritte Vers der zweiten Strophe hat dort den Wortlaut: an dem werde hebent sich die tenze.60 Die übrigen Handschriften (Β, Ο und c) überliefern statt werde anger (anggher O).61 Dieser Eingriff verlegt das szenische Geschehen von einer nicht näher bestimmten Flußlandschaft auf das freie Feld. Mit großer Wahrscheinlichkeit hat C hier eine ältere Lesart als Β, Ο und c bewahrt. In Β, Ο und c erscheint eine herkömmliche und damit weniger auffällige sommerliche Szenerie. Die Konkretisierung der Flußlandschaft wurde möglicherweise nachträglich zurückgenommen und mit geringstem Aufwand eine vertrautere Kulisse erzeugt. Diese Veränderungen könnten mit einem Wechsel des Publikums zusammenhängen, wobei nicht geklärt werden kann, ob Göli selbst - angesichts einer überregionalen Zuhörerschaft? - die verwirrende 59 Siehe hierzu Schweikle, Neidhart, S. 61f. 60 Siehe unten, S. 172. 61 Siehe unten, S. 177, 181, 185.
Helme aus Colmar
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Anspielung auf die werde gestrichen und durch traditionellere Beschreibungsmuster ersetzt hat.
3. Helme aus Colmar Der vorletzte Vers der dritten Strophe des ersten Göli-Liedes nennt eine Art von Helm, die entweder direkt aus dem elsässischen Colmar stammte oder doch wenigstens einem Helm, der als Colmarer Typ bekannt war, entsprach.62 Die Überlieferung der Textstelle divergiert: C nennt kolmerhuete, Β dagegen kolmurer huete, was allerdings keine Bedeutungsverschiebung nach sich zieht. Die c-Lesart keiner hut modifiziert demgegenüber den Bedeutungsgehalt, denn aus den Colmarer sind nun Kölner Helme geworden. Daß diese Abweichung am ehesten mit dem Rezipientenkreis von c zusammenhängt, liegt auf der Hand: Der Textzeuge gehört nach Nürnberg, und das dortige Publikum konnte mit der weit bekannteren und bedeutenderen Stadt Köln sicher mehr verbinden als mit Colmar.63 Beide Städte liegen zudem in nächster Nähe zum Rhein, was die (ursprünglich irrtümlich erfolgte?) Substitution wesentlich erleichterte, möglicherweise sogar zusätzlich beeinflußte. Daß es sich in jedem Fall um einen sekundären Texteingriff handeln dürfte, legt die in C und Β zutage tretende ältere Überlieferung nahe. Im übrigen erinnert die Textmodifikation an die Erwähnung des Rheins:64 Das Publikum der älteren Überlieferungsstufen ist nicht allzuweit entfernt vom Colmarer Raum zu lokalisieren, da nur eine gewisse Nähe die Anspielung auf diesen Helmtyp überhaupt verständlich macht. Die Amiahme, Göli sei mit einem mit Colmar zusammenhängenden Helmtyp vertraut gewesen, läßt darüber hinaus an engere Kontakte zwischen Basel und Colmar denken. Sichere Belege für intensive Handelsbeziehungen zwischen beiden Städten fehlen zwar für das 13. Jahrhundert, doch dürften sie schon allein aufgrund der räumlichen Nähe bestanden haben.65 Daß in 62 63 64 65
Zu den Colmarer Helmen siehe oben, S. 11, 15f.; unten, S. 171, 180, 184. Vgl. Schweikle, Neidhart, S. 8f. Siehe oben, S. 30-35. Zu den literarischen Beziehungen siehe unten, S. 137ff.; zur Geschichte Colmars siehe neuerdings die v. Georges Livet hg. Histoire de Colmar, [Toulouse 1983] (Pays et villes de France), bes. S. 29-52 (mit weiterführender Literatur ebda, S. 296ff.); zum Handel in Colmar siehe Lucien Sittler, Commerce et commerfants dans le Vieux Colmar, in: Annuaire de la Societe Historique et Litteraire de Colmar 16 (1966), S. 14-48; Hinweise auf enge wirtschaftliche Kontakte zwischen Colmar und Basel fehlen übrigens auch bei
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Colmar gehandelt wurde, steht fest: Eine im Juli des Jahres 1226 gefertigte Urkunde nennt erstmals ein in der Stadt bestehendes domus pannorum in for ο sita (ein Kaufhaus?).66 Da keine weiteren Belege existieren, wissen wir nicht, was Göli sich unter Colmarer Helmen vorstellte.67 Versuche, sich mittels generalisierender Aussagen ein ungefähres Bild dieses Helmtyps zu machen, kommen kaum über vage Vermutungen hinaus: Als Teil der ritterlichen Bewaffnung und Ausrüstung war im Mittelalter gerade der Helm charakteristischen Veränderungen unterworfen.68 Gegen Ende des 12. Jahrhunderts wurde das ältere Modell des sogenannten 'normannischen Helms', das mit seinem Nasenband nur unzureichenden Gesichtsschutz bot, allmählich durch einen flachen, das ganze Gesicht schützenden Typ abgelöst, der in zahlreichen Varianten das gesamte Spätmittelalter hindurch in Gebrauch blieb.69 Daß Gölis Colmarer Helme einem solchen Modell entsprachen, ist denkbar. Möglicherweise wurden diese Helme nur von bestimmten Personen oder Gruppen getragen. Denkbar wäre auch, daß einzelne Adelsfraktionen (Parteien innerhalb der Ritterschaft?)70 diese Helmform benutzten. Daß die Colmarer Helme auf mehr anspielen könnten als nur auf eine bloße Helmform, zeigt ein Helmtyp,
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Eberhard Gothein (Bearb.), Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes und der angrenzenden Landschaften, hg. v. d. Badischen Historischen Kommission. Bd. 1: Städteund Gewerbegeschichte, Straßburg 1892. Die Basier Dissertation von Franz Ehrensperger, Basels Stellung im internationalen Handelsverkehr des Spätmittelalters, Zürich 1972, berücksichtigt zwar Kontakte zu Colmar (ebda, S. 49-52), das Jahr 1356 als Terminus a quo der Untersuchung (vgl. ebda, S. 23) erbringt fur den vorliegenden Zusammenhang jedoch keine sicheren Resultate. Siehe Paul Willem Finsterwalder (Bearb.), Colmarer Stadtrechte, Heidelberg 1938 (Oberrheinische Stadtrechte. Abt. 3, H. 3.1), Urk. Nr. 25, S. 28ff., hierS. 29. Alwin Schultz, Das höfische Leben zur Zeit der Minnesinger, 2. verm. u. verb. Aufl.. Bd. 1, Leipzig 1889, S. 329, Anm. 8, sieht in dieser Textstelle irrtümlich einen Beleg für die Kleidung der Bauern! Zum Folgenden siehe Joachim Bumke, Höfische Kultur. Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter, Bd. 1-2, München 1986 (dtv. 4442), Bd. 1, S. 214-217 (mit Belegen): Literatur hierzu in Bd. 2, Anhang, S. 823f. Abb.: Harry Kühnel, Bildwörterbuch der Kleidung und Rüstung. Vom Alten Orient bis zum ausgehenden Mittelalter, Stuttgart 1992 (Kröners Taschenausgabe. 453), S. 268; siehe auch die Abb. eines Topfhelms bei Widmer, Illustrierte Geschichte, S. 138 (Tafel), 136 (Bildlegende), der 1940 im Schutt der Burg Madeln (auf dem Adlerberg über Pratteln, Kt. Baselland) gefunden wurde. Der Helm stammt noch aus dem 13. Jahrhundert und dürfte von einem Basler Waffenschmied gefertigt worden sein. Die Burg Madeln gehörte seit 1288 den Herren von Eptingen, die durch eine Heirat nachweislich mit den Herren von Baden verbunden waren; Literatur: Hugo Schneider. Die beiden Topfhelme von Madeln. Die Entwicklungsgeschichte des Topfhelms, in: Zeitschrift für Schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte 14 (1953), S. 24-46. Hierzu siehe unten, S. 56f., 89.
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den Göli in der zweiten Strophe von Lied III nennt.71 Dort tritt ein Dörper namens Adelbolt (ameloth c) auf, der einen hiubel huot (haubelhut c) trägt, eine primitive Form des sogenannten Eisenhuts (mhd. auch tsenhuot).72 Separierte Göli höfische und außerhöfische Personengruppen mittels der benutzten (bzw. usurpierten) Helmtypen? Auch die mit Schnüren versehene Haube, welche der im vierten Göli-Lied (Str. 3) auftretende Modegeck zur Schau trägt, gehört wohl in diesen Zusammenhang.73 Dort zeigt die Kopfbedeckung vor allem die Hybris des Eindringlings an.74 Daß Göli in drei von vier erhaltenen Liedern Kopfbedeckungen erwähnt, läßt jedenfalls an einen bewußten, vielleicht sogar symbolischen Umgang mit den entsprechenden Gegenständen denken.75 Ungeachtet der bereits im Mittelalter bekannten Modetrends76 und Überregionalität bestimmter 'Kleiderordnungen' weisen die Colmarer Helme somit in den oberrheinischen Raum. Der Indiziengehalt der Textstelle relativiert sich jedoch insofern, als beide Kandidaten, der Freiburger Vogt Goeli wie der Basler Ritter, hiervon profitieren.
4. Ein Tor in Basel?77 Die dritte Strophe des ersten Göli-Liedes nennt in C ein tinkvfior.1* Unklar bleibt, welche Art von Tor gemeint ist. Vielleicht liegt in C lediglich eine Verschreibung von dinchoftor vor, was auf das Tor eines Dinghofs zu beziehen wäre. Einen Parallelbeleg hierzu liefert etwa die 'Weltchronik' Rudolfs von Ems.79 Eine Deutung im Sinne von 'Dinghoftor' findet in Β und c keine
71 Siehe unten, S. 175, 187. 261. 72 Eine Abbildung dieses Typs findet sich bei Ortwin Gamber, Glossarium armorum. Arma defensiva, [Bd. 1]: Tabulae, Graz 1972. Taf. 40. Abb. 1; siehe jetzt auch Kühnel. Bildwörterbuch, S. 68. 73 Siehe unten, S. 176, 188. 74 Siehe hierzu unten, S. 27Iff. 75 Zu diesem Problembereich siehe jetzt Eberhard Nellmann, Der Feiertag auf dem Dorf: Überlegungen zu Neidhart und zum Bayerischen Landfrieden von 1244, in: Feste und Feiern im Mittelalter. Paderborner Symposion des Mediävistenverbandes, hg. v. Detlef Altenburg, Jörg Jarnut u. Hans-Hugo Steinhoff. Sigmaringen 1991, S. 145-152. 76 Siehe hierzu etwa Bumke, Höfische Kultur, Bd. 1, S. 83-137. 77 Siehe unten, S. 210. 78 Siehe unten, S. 171. 79 Rudolfs von Ems Weltchronik, aus der Wernigeroder Handschrift hg. v. Gustav Ehrismann. Berlin 1915 (Deutsche Texte des Mittelalters. 20), S. 181, V. 13207.
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Stütze, denn Β überliefert dinkeltor, c hingegen deines hauses tor.w Fritz Grimmes Konjektur, die zugunsten eines in der Freiburger Umgebung zu lokalisierenden Dinghoftors erfolgte, basiert damit lediglich auf C und ignoriert den in Β erhaltenen Wortlaut.81 Ist tinkvftor mit 'Dinghoftor' gleichzusetzen, bleibt zu prüfen, ob Göli hier wiederum mit einem Detailrealismus arbeitet. 'Dinghof könnte sich etwa auf einen Fronhof beziehen, der einem Hofgericht als Sitz gedient haben mag, oder er könnte einfach als Meisterhof anzusehen sein.82 Für Basel fehlen für das 13. Jahrhundert zwar entsprechende Belege, doch hat sich aus späterer Zeit ein Dinghofbuch der Basler Dompropstei erhalten.83 Mit dem Dinghoftor könnte aber auch das Basler Rathaus gemeint sein:84 Seit etwa 1225 bis Mitte der 80er Jahre des 13. Jahrhunderts entwickelte sich aus dem bischöflichen Gericht, das aus Vogt, Schultheiß und Urteilsfindern bestand, der städtische Rat. Als Tagungsort dieser Institution wird 1250 ein domus judicii, 1257 ein domus communitatis und 1290 ein praetorium civium genannt. Alle drei Bezeichnungen beziehen sich vermutlich auf ein und dasselbe Gebäude. Es lag am Fischmarkt, der um die Mitte des 13. Jahrhunderts das Stadtzentrum bildete.85 Als Sitz des bischöflichen Gerichtes diente das domus judicii als Richthaus, während spätere Erwähnungen eher die Bedeutung 'Rathaus' nahelegen.86 Ob die in Β überlieferte Lesart dinkeltor lediglich eine Verschreibung von dinchoflor darstellt, bleibt offen. Ein gleichnamiges Basler Tor ist nicht
80 Siehe unten, S. 179, 184. 81 Grimme, Die Schweizer Minnesänger, S. 309; dazu oben. S. 16f. 82 Zum Begriff des Fronhofs siehe etwa Eugen Haberkern u. Joseph Friedrich Wallach. Hilfswörterbuch für Historiker. Mittelalter und Neuzeit, 2.. neubearb. u. erw. Aufl.. Bern/München 1964, Art. Fronhof, S. 216f.; weiter: G. Theuerkauf, Art. Fronhof, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte 1 (1971) Sp. 1309-1312. 83 Siehe Konrad W. Hieronimus (Bearb.), Das Hochstift Basel im ausgehenden Mittelalter (Quellen und Forschungen), hg. v. d. Historischen und Antiquarischen Gesellschaft zu Basel, Basel 1938, S. 37; Schweizerisches Idiotikon 2 (1885), Sp.1034 (mit einer historischen Notiz zu dem Dinghof der Dompropstei in Biel/Benken [bei Basel)). 84 Zum Folgenden siehe etwa C[asimir] H[ermann] Baer u.a.. Das Rathaus in Basel, in: Ders., Die Kunstdenkmäler des Kantons Basel-Stadt, Bd. 1: Vorgeschichtliche, römische und fränkische Zeit; Geschichte und Stadtbild; Befestigungen, Areal und Rheinbrücke; Rathaus und Staatsarchiv, Basel 1932 (Die Kunstdenkmäler der Schweiz. 3), S. 337-646. hier Kap. 1, S. 339f.; vgl. auch WACKERNAGEL, Bd. 1, S. 68. 85 Siehe Rolf d' Aujour d'hui. Die Entwicklung Basels vom keltischen Oppidum zur hochmittelalterlichen Stadt. Überblick Forschungsstand 1989, 2., Überarb. Aufl., Basel 1990 (Scriptum zur Frühgeschichte Basels), S. 17, Abb. 23. 86 Siehe Schweizerisches Idiotikon 2 (1885), Sp. 1733. zum Stichwort 'Ding-Hus': „[...] Rat-, Gerichtshaus, da unter den Vorhallen der Kirchen häufig Gericht gehalten wurde I·..]·"
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nachweisbar.87 Man wird daher nicht von einem weiteren Detailrealismus ausgehen dürfen. Gab es sekundäre Eingriffe in den Liedtext? In der näheren Umgebung Basels existiert ein Berg, der sich schon auf dem ältesten Stadtplan eingezeichnet findet.88 Er liegt vor den Toren Kleinbasels, östlich der Stadt, und trägt den Namen 'Dinkelberg'. Dieser Name könnte mit der in Β überlieferten Lesart in Zusammenhang stehen: Das Tor selbst hat es möglicherweise nie gegeben, doch der Schreiber von Β bzw. ein früherer Bearbeiter oder Schreiber hat den ursprünglichen Wortlaut des Textes nicht genau entziffern oder verstehen können und aufgrund einer diffusen Kenntnis der Topographie ein Basler Tor erfunden, das er sich wohl in der Nähe des Dinkelberges gelegen dachte. Vielleicht existierten im Mittelalter aber doch mehrere Bezeichnungen für ein und dasselbe Tor. 89 Ein Zusammenhang der B-Lesart mit dem Basler Dinkelberg setzt dann aber zumindest eine diffuse Ortskenntnis seitens eines Schreibers voraus, der über Göli vielleicht mehr wußte, als die überlieferten Texte wie auch die Miniatur in C zunächst glauben machen. Vielleicht liegt in einer solchen Vertrautheit auch ein möglicher Grund für die Tatsache, daß Β die Lieder Gölis zunächst als Neidharte präsentierte, schon bald aber der korrekte Autorname über die ihm zuge-
87 Herr Suter-Christ aus Basel, der freundlicherweise beim Staatsarchiv Basel nachfragte, teilte mir hierzu am 15.11.1989 mit: .Meine Anfrage beim Staatsarchiv Basel (ArchivarStellvertreter Dr. Ulrich Barth [...]) betr. ein Dinghof- oder Dinkeltor ergab kein Resultat. Eine solche Benennung für ein Basler Stadttor ist weder mir noch dem Archivar bekannt." Einen kurzen Überblick über Entstehung und Ausbau der Basier Befestigungsanlagen gibt d' Aujour d'hui, Die Entwicklung Basels, S. 21-24, 55 (Abb. 33): weiter: C[asimir] H[ermann] Baer u. Gustav Schäfer, Die Befestigungen der Stadt Basel, in: Baer, Kunstdenkmäler, S. 143-298 (zu den Toren in Basel siehe bes. S. 145-150 (mit Übersichtsplan S. 149]); weiter: C[hristian] A[dolf) Müller, Die Stadtbefestigung von Basel. Die Befestigungsanlagen in ihrer geschichtlichen Entwicklung, 133. Neujahrsblatt, hg. v. der Gesellschaft zur Beförderung des Guten und Gemeinnützigen. Basel 1955: Ders., Die Stadtbefestigung von Basel. Beschreibung der Wehranlagen nach alten Plänen und Bildern, 134. Neujahrsblatt, hg. v. der Gesellschaft zur Beförderung des Guten und Gemeinnützigen, Basel 1956. 88 Übersichtskarte des Kantons Basel-Stadt, ebda, S. 7; vgl. außerdem August Meyer. Aus der vor- und frühmittelalterlichen Geschichte der Stadt Basel und der Heiligtümer auf dem Dinkelberg, in: Ders.. Hans Bühler u. Paul Hassler, Ursprung und Geschichte von St. Alban in Basel, der Civitas Basiliensis und der Heiligtümer auf dem Dinkelberg, 2.. erw. Aufl., [Basel] 1975, S. 38-55, hier S. 38 u. S. 23 (Stadtplan); siehe auch d' Aujour d'hui, Die Entwicklung Basels, S. 36, Abb. 13. 89 Ein Beispiel hierfür gibt bereits der Basler Chronist Christian Wurstisen, in: Basler Chronick, mit einem Vorwort v. Andreas Burkhard, Faksimile-Nachdruck der Ausgabe Basel 1580, Geneve 1978, S. CXXXII [zur Belagerung Basels durch Rudolf von Habsburg, 1273|: Es laßl sich ansehen/ Steinen Ihor sey daher das Heerthor genennt worden.
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schriebenen Lieder gesetzt wurde.50 Hat eine Korrekturhand das Textkorpus Gölis wiedererkannt und durch erneute Zuweisung separiert?91
5. Kunze der Weibel - ein Basler Amtmann? Schon Hans Herzog sah in der Figur des Weibels Kunze (Kurzform von 'Konrad' 92 ), der im zweiten Göli-Lied auftritt, einen in mehreren Urkunden des 13. Jahrhunderts bezeugten Basler Amtmann.93 Diese Gleichsetzung bleibt jedoch problematisch, auch wenn feststeht, daß die literarische Figur in keinem erhaltenen Neidhart-Lied auftritt. 94 Der von Herzog in die Diskussion gebrachte Konrad ist von 1237 bis 1265 urkundlich bezeugt und hat die Funktion eines städtischen Amtmanns (lat. preco) wahrgenommen. Er ist erstmals am 28. Oktober 1237 nachweisbar, als der Basler Bischof Heinrich von Thun die Einsetzung eines Leutpriesters genehmigt.95 Die Zeugenliste dieser Urkunde nennt neben anderen Kanonikern Conradus Govli, den Bruder Diethelm Gölis, und an letzter Stelle Conradus preco. Konrad rangiert innerhalb der Zeugenliste nach den Rittern und gehörte weder dem städtischen Adel noch dem Klerus an. Eine weitere Urkunde wurde am 31. Januar 1241 (wiederum in Basel) gefertigt.96 Nun tritt Konrad in eigener Sache auf: Das Luzerner Kloster St. Urban leiht dem Amtmann ein in Basel gelegenes Haus zu Erbrecht, wobei Konrad eine Anzahlung von 14 Mark Silber leistet.
90 Siehe unten, S. 159. 91 Vgl. hierzu: Die Weingartner Liederhandschrift. Bd. 1, S. 196 u. S. 198, wo sich jeweils am linken oberen Rand der Nachtrag GOLI findet. Eine weitere Erklärungsmöglichkeit bietet Gebhard Spahr, Weingartner Liederhandschrift. Ihre Geschichte und ihre Miniaturen, Weißenhorn 1968, S. 75ff.: Β steht in interner Beziehung zu C. Offensichtlich hat jemand Β unter Zuhilfenahme von C korrigiert, bevor ein Nachtrag in C stattfand. 92 Vgl. Adolf Bach, Deutsche Namenkunde, Bd. 1.1: Die deutschen Personennamen, 2. stark erw. Aufl., Heidelberg 1952, S. 114ff. 93 Herzog, HerrGoeli, S. 326; vgl. oben, S. 15; unten S. 173f., 178f., 181f., 186f. 94 Belege zu Kunze und Kuonze bei HW, S. 355. In keinem der Lieder Neidharts erscheint die Bezeichnung weibel. 95 Boos, Nr. 47, S. 26f.; Literatur zu Heinrich von Thun siehe unten, S. 59 (Anm. 12); zur Urkunde selbst siehe unten, S. 61. 96 UB, Bd. 1, Nr. 154, S. 107f.
Kunze der Weibel - ein Basler Amtmann?
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Noch im gleichen Jahr tritt der Amtmann wiederum als Zeuge auf, als der Basler Bischof Lüthold von Röteln eine Schenkung bestätigt.97 In dieser Urkunde wird C[onradus] preco dictus Rifo als civis Basiliensis bezeichnet, was belegt, daß er das Bürgerrecht der Stadt besitzt. Neu ist der Beiname Rifo, den auch spätere Erwähnungen beibehalten, wie eine drei Jahre später gefertigte Urkunde zeigt, die als amman nun aber nicht mehr Konrad, sondern einen Wezelo aufführt. 98 C[onradus] dictus Riphi erscheint jetzt unmittelbar nach dem neuen Amtmann der Stadt und wird wiederum als Basler Bürger bezeichnet. Er hat sein Amt also zwischen Juli 1241 und Januar 1244 abgegeben. Nach diesem Zeitpunkt ist der frühere preco nur noch ein Mal bezeugt: Am 26. August 1265 verzichtet Ulrich von Blechen zu Gunsten des Klosters Olsberg (südlich Rheinfelden) auf alle Ansprüche auf ein Haus in Rheinfelden, welches Cvonradus dictus Rifo preco sive minister Basiliensis gehört hatte.99 Vermutlich ist Konrad zu diesem Zeitpunkt gar nicht mehr am Leben, und die Urkunde dokumentiert eine Auseinandersetzung um seine Hinterlassenschaft. Wie die folgende Zusammenstellung der verschiedenen Bezeugungen zeigt, war Konrads Amt nicht erblich. Vermutlich ernannte der Bischof den jeweiligen Amtsinhaber und ersetzte diesen durch einen Nachfolger seiner Wahl.100 Die folgende Aufstellung verdeutlicht die relativ rasche Aufeinanderfolge der einzelnen Basler Amtmänner:
97 Ebda, Nr. 156, S. 108 (8. Juli 1241); Literatur zu Bischof Lüthold von Röteln siehe unten, S. 63 (Anm. 30). 98 UB, Bd. 1, Nr. 173, S. 119f.; zur Diskussion dieses Beinamens im Zusammenhang mit Gölis Lied II siehe unten, S. 253f. (Anm. 174). 99 UB, Bd. 1, Nr. 457, S. 331f. 100 Vgl. hierzu Knut Schulz, Die Ministerialität in rheinischen Bischofsstädten, in: Stadt und Ministerialität. Protokoll der IX. Arbeitstagung des Arbeitskreises fiir südwestdeutsche Stadtgeschichtsforschung Freiburg i. Br. 13.-15. November 1970, hg. v. Erich Maschke u. Jürgen Sydow, Stuttgart 1973 (Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg. Reihe B. 76), S. 16-42, hier S. 23. Die precones von Basel waren demnach bischöfliche Amtleute und nahmen während des 13. Jahrhunderts innerhalb der Stadt eine bedeutende Stellung ein. Sie zählten zu den führenden Familien und waren in den Reihen der bürgerlichen Ratsmitglieder zu finden.
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Göli in Basel? - Indizien und Argumente
Datum der Urkunde
Nachweis
Name
1202 Mai 1220 Dez. 25 bis 1221 Nov. 21 1220 Dez. 25 bis 1221 Nov. 21 1237 Okt. 28 1241 Jan. 31 1241 Juli 8
UB, Bd. 1, Nr. 71, S. 51f. UB, Bd. 1, Nr. 99, S. 66f.
Boos, Nr. 47, S. 26f. UB, Bd. 1, Nr. 154, S. 107 f. UB, Bd. 1, Nr. 156, S. 108
1244 Jan.
UB, Bd. 1, Nr. 173, S. 119f.
1254 Nov. 4 1255 März 15 1255 Okt. 26
UB, Bd. 1, Nr. 277, UB, Bd. 1, Nr. 283, Trouillat, Bd. 1, Nr. S.630f. UB, Bd. 1, Nr. 305, UB, Bd. 1, Nr. 343, UB, Bd. 1, Nr. 349, UB, Bd. 1, Nr. 352, UB, Bd. 1, Nr. 359, Ebda Ebda UB, Bd. 1, Nr. 386, UB, Bd. 1, Nr. 397, UB, Bd. 1, Nr. 409, UB, Bd. 1, Nr. 457, UB, Bd. 1, Nr. 488,
Wernerus Iohannes et Burchardus Iohannes et Burchardus Conradus preco Chvonradus C[onradus] preco dictus Rifo Wezelo (urk. mit dem Zeugen C[onradus] dictus Riphi) Heinricus de Spalea Heinricus Heinricus
1256 Feb. 21 1258 Juli 29 1258 Dez. 1 1259 Feb. 10 1259 Apr. 6 1260 Feb. 10 1260 Apr. 22 1260 Okt. 2 1261 Okt. 1 1262 Juli 28 1265 Aug. 26 1267 Juli 11
UB, Bd. 1, Nr. 100, S. 67-72
S. 201 f. S. 204f. 441, S. S. S. S. S.
219f. 249f. 258 260 264f.
Iohannes Reinherus Reinherus Reinherus Reinherus et Iohannes
S. S. S. S. S.
288f. 296f. 303f. 331 f. 349f.
Reinherus Renherus Iohannes Cvonradus dictus Rifo Iohannes
Die einzelnen Amtsbezeichnungen lauten amman, ammannus, preco, preco Basiliensis, preco de Basilea, preco sive minister Basiliensis, preco civitatis, wobei die mhd. Form weibel auffalligerweise fehlt.101 Fassen wir in mhd. 101 Nach UB, Bd. 1, S. 368 (Namensregister) werden die zitierten Amtsbezeichnungen synonym gebraucht. Die Häufigkeit der lateinischen Form erklärt sich aus der Häufigkeit lateinischsprachiger Urkunden. Zu den Amtsfiinktionen und -bezeichnungen siehe G. Buchda, Art. Fronbote, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte 1 (1971), Sp. 1304ff.; weiter: Haberkern/Wallach, Hilfswörterbuch, Art. Fronbote, S. 215.
Min vrouwe Bete - Gölis Frau?
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weibel somit lediglich eine urkundlich bezeugte (umgangssprachliche?) Variante zu amtnanl Die für den Basler Raum fehlenden Nachweise für den Gebrauch dieses Wortes aus Gölis zweitem Lied ableiten zu wollen, käme einem Zirkelschluß gleich. Auch der Versuch, Gölis zweites Lied mittels der Liste der Amtmänner datieren zu wollen, wäre zum Scheitern verurteilt: Konrad könnte die frühere Amtsbezeichnung auch in späterer Zeit beibehalten haben. Berufsbezeichnungen wurden gerade im Mittelalter häufig mit in die Namen aufgenommen, auch wenn die betreffenden Personen ein Amt gar nicht mehr innehatten.102
6. Min vrouwe Bele - Gölis Frau? Die in Gölis zweitem Lied auftretende Bele-Figur glaubte Hans Herzog mit Sibilia, der Ehefrau Diethelm Gölis, gleichsetzen zu können, obwohl der Liedtext die Identität beider Gestalten nicht zu erkennen gibt.' 03 Hinzu kommt, daß die erhaltenen Textzeugen (C, Β, Ο und c) divergieren: In C wird Bele als min fro bele apostrophiert, während Β das Possessivpronomen ausspart und lediglich vro bele überliefert.104 In der siebten Strophe kehrt sich das Verhältnis allerdings um: Β überliefert nun min vro bele, C hingegen einen abweichenden Personennamen.105 Die Überlieferungsträger Ο und c werfen besondere Probleme auf, denn sie lassen Modifikationen erkennen: Die vierte Strophe findet sich lediglich in C und B, während sich die siebte Strophe kaum für für exakte Untersuchungen eignet, da sie jeweils einen völlig verwirrten Personalbestand aufweist.106 Als Beweis für die Identität Beles mit Sibilia Göli zog Herzog eine am 27. Mai 1281 in Basel ausgestellte Urkunde heran.107 Sie besagt, daß Anna, die Witwe des Ritters Otto von Blotzheim, dem Kloster Olsberg ein Haus
102 Ein Beleg hierfür etwa in: Michael Bärmann u. Eckart Conrad Lutz, Ritter Johannes Brunwart von Auggen - ein Minnesänger und seine Welt, Freiburg 1987 (Literatur und Geschichte am Oberrhein. 1), S. 105, Reg. Nr. 24, wo von Berhtolden des schultheissen sun die Rede ist, einem Angehörigen der Neuenburger (nördlich Basel) Familie Sermenzer, dessen Vater zu diesem Zeitpunkt aber gar kein Schultheiß mehr war. Vgl. auch ebda, S. 43, wo dasselbe Problem anhand der Namensbezeichnung des Vaters wieder begegnet. 103 Siehe oben, S. 15; unten, S. 173, 178, 182, 186. 104 Siehe unten, S. 173, 178. 105 Siehe unten, S. 174, 178. 106 Siehe unten, S. 250-254. 107 UB, Bd. 2, Nr. 345, S. 202; siehe unten, S. 82.
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Göli in Basel? - Indizien und Argumente
verkauft. Dieses lag in Basel, trägt in der Urkunde die Bezeichnung meister Mangoltz hus und wurde von einem gewissen Berchtold von Rotweil genutzt.108 Der Hausverkauf erfolgt, so die Urkunde, in Anwesenheit einer honesta matrona Sibilia relicta quondam domini Diethelmi militis de Baden, die auf eventuelle Ansprüche auf das veräußerte Haus Verzicht leistet.109 Für Herzog war 'Bele' eine Kurzform von 'Sibilia'. Diese Vermutung läßt sich jedoch auch anhand weiterer Basler Urkunden nicht erhärten: Im Januar 1244 etwa ist eine Sibilia dicta Chechertin (zusammen mit Konrad Rifo!) bezeugt.110 Diese Sibilia dürfte mit einer vor dem 24. September 1237 belegten Sibilia Schessart identisch sein." 1 Eine am 29. Juli 1258 wiederum in Basel gefertigte Urkunde weist dieselbe Namensform auf.112 Auch der Name 'Bela' ist in Basel nachweisbar, so etwa in Urkunden der Jahre 1249 und 1261, um nur zwei frühe Zeugnisse anzuführen.113 Obwohl sich also beide Namensformen nachweisen lassen, ist die Gleichsetzung 'Bele'/'Sibilia' nicht bezeugt, kann aber auch nicht ausgeschlossen werden. Umgangssprachliche Kurzformen von Namen folgen keinen festgelegten Normen.114 Die Spur der Belege führt zu einer Seitenfährte, die Beachtung verdient: Die Schlußstrophe des zweiten Göli-Liedes fällt in sämtlichen erhaltenen Fassungen durch erhebliche Unstimmigkeiten ins Auge, die bis hin zu groben Entstellungen reichen. C beispielsweise überliefert (im Gegensatz zu B!) im Schlußvers des Aufgesangs statt min vro bele fro else. Im darauf folgenden Vers, zu Beginn des Abgesangs, tritt gar eine fro Gesvn auf, was zunächst wie ein Abschreibefehler wirkt. Merkwürdigerweise sind in der
108 Das Haus ist sonst nicht nachweisbar. Vgl. Eugen A. Meier, Verträumtes Basel. Fünftausend Häusernamen - ein unbekanntes Kapitel Basler Stadtgeschichte, Altstadtfotos v. Marcel Jenni, Einleitung v. Max Gschwend, Vorwort v. Edmund Wyss, Basel 1974. Das ebda, S. 159, aufgeführte 'Gölinen Hus'/St. Johanns-Vorstadt 48, finde ich sonst nirgends belegt. Auch Berchtold von Rotweil ist nicht weiter bezeugt. Die hier zur Diskussion stehende Urkunde bezeichnet ihn als Kaplan Capelle beale Kalherine am Domstift. 109 Zur Verzichtsformel siehe Hans-Rudolf Hagemann, Basler Stadtrecht im Spätmittelalter. Studien zur Rezeptionsgeschichte, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte 78 (1961), Germanistische Abteilung, S. 140-297, hier S. 149-164. 110 ÜB, Bd. 1, Nr. 173, S. 119f. 111 Ebda, Nr. 144, S. 100. 112 Ebda, Nr. 343, S. 249f. 113 Ebda, Nr. 236, S. 173; ebda, Nr. 399, S. 297f. Das Schweizerische Idiotikon 4 (1901), Sp. 1159f., verzeichnet unter dem Stichwort 'Bela' eine Reihe von Belegen, die auch als Kurzformen von 'Barbara' oder 'Bertha' gelten. 114 Vgl. auch Bach, Deutsche Namenkunde, § 93.2.a, S. 100, wo 'Bele' als Kurzform zu 'Bertila' erscheint, sowie ebda, § 94, S. 102, wo 'Bele' als ursprüngliche Lallform zu 'Elisabeth' erklärt wird.
Hdhenlhen - Lokalkolorit oder literarisches Zitat?
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zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts aber verschiedene Angehörige einer Basler Familie Koserlin bezeugt, namentlich Bela(!)"5 und deren Schwester Mechtild," 6 außerdem Mechtilds Tochter Katherina117 und schließlich Gisina(!)." 8 Daß die Bele-Figur aus einem Neidhart-Lied übernommen sein könnte, ist nicht auszuschließen: Eine Durchsicht der Neidharte fördert einen singulären Beleg zutage, der sich in dem Winterlied Mir tuot endecltchen we findet.119 Hinzu kommt, daß die Gestalt des in dem Lied als Würfelmeister erscheinenden Küenzel an den aus Gölis Lied II bekannten Weibel Kunze erinnert.120 Herzogs Versuch einer Gleichsetzung Beles mit Sibilia basierte möglicherweise auf einem Mißverständnis, das noch auszuräumen bleibt: Mhd. min fro kann nicht ohne weiteres mit 'meine Ehefrau' übersetzt werden, sondern ist im Neuhochdeutschen am ehesten mit 'meine Herrin' bzw. - ironisierend - als 'Madame' wiederzugeben. Im Minnesang signalisiert dieser Sprachgebrauch unter Umständen eine sehr spezifische Form der persönlichen Bindung des Sängers zu einer höherstehenden Dame.121
7. Höhenilten - Lokalkolorit oder literarisches Zitat?122
Das dritte Göli-Lied schildert in der zweiten Strophe das Herannahen zweier Eindringlinge, über die es im sechsten Vers heißt: vnd gent dort hiubesche
her von hohen liten, während c wenn sie gend hübschen here von hohen leuten überliefert.123 Welche Herkunft Göli seinen Figuren andichtete, bleibt unklar: Während c eine vornehme Gesellschaft meinen könnte, bezeichnet C anscheinend einen bestimmten Ort. Beiden Textzeugen zufolge stellen die 115 UB, Bd. 2, Nr. 463, S. 267f.; ebda, Nr. 575, S. 322f.; ebda, Nr. 587, S. 330; ebda, Nr. 665, S. 371. 116 Ebda, Nr. 587, S. 330. 117 Ebda. 118 Ebda. 119 HW 36,18-38,8 (WL 2), hier 37,5 (App.: bele und eile C); Nachweis ebda, S. 351. 120 Siehe oben, S. 40-43. 121 Zur Bedeutung und Übersetzung von mhd. vrouwe siehe Lexer, Bd. 3, Sp. 540f. Die seltene Bedeutungsvariante 'Ehefrau' ging, falls überhaupt jemals beabsichtigt, natürlich schon bei der Weitergabe der Göli-Lieder verloren. Sie müßte zudem eine Stütze in der Person des Sängers finden. 122 Siehe unten, S. 261. 123 Siehe unten, S. 175, 187. Da Gölis drittes Lied sich weder in Ο noch in Β findet, erschöpft sich das Vergleichsmaterial in den beiden zitierten Versen.
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Göli in Basel? - Indizien und Argumente
Eindringlinge vermeintlich höfische Umgangsformen prahlerisch zur Schau. Ob es sich bei der C-Lesart um den Namen ihres Herkunftsortes oder nur um einen Hinweis auf das geographische Profil ihrer Heimat handelt, wissen wir nicht. Die Angabe hohen liten ist jedenfalls nicht von vorneherein auf einen bestimmten Ort zu beziehen, worauf nicht nur die getrennte Schreibung, sondern auch das Fehlen eines gleichnamigen Orts- oder Gewannamens in der Umgebung Basels bzw. Freiburgs hindeutet. 124 Andere Deutungsmöglichkeiten kommen hinzu: Denkbar ist beispielsweise, daß Höhenltten in Anlehnung an den bei Neidhart bezeugten Gönner von Schdneliten entstanden ist, was den vermeintlichen Ortsnamen als bloße Anspielung erscheinen läßt.125 Noch der 1981 erschienene Artikel im Verfasserlexikon weist auf einen solchen Zusammenhang hin.126 Was aber beabsichtigte Göli dann eigentlich mit dieser Anspielung? Eine weitere Deutungsmöglickeit ergibt sich durch die Wortbedeutung: Das schwache Femininum Ute bezeichnet einen Bergabhang, eine Halde bzw. ein Tal und wurde so Bestandteil zahlreicher Ortsnamen. 127 Höhenltten kann daher einfach 'hohe Berge' o. ä. bezeichnen. Dieser 'neutrale' Gebrauch, den Göli vielleicht beabsichtigt hatte, würde damit lediglich zum Ausdruck bringen, die Eindringlinge kämen von den Bergen herunter, was mit der spezifischen Eigenartigkeit der Störenfriede in vollem Einklang steht.
124 In keinem der folgenden Verzeichnisse findet sich ein Anhaltspunkt für einen Ort, Hof oder auch nur für eine Weide namens Höhenltten o. ä.: Krieger, Bd. 1-2; HistorischTopographisches Wörterbuch des Eisass. bearb. v. Joseph Μ. B. Clauss, Zabern 18951914; Peter Suter, Die Einzelhöfe von Baselland, Basel Diss, phil.-naturwiss. 1967, S. 196-203 (Hofregister); Kanton Baselland, hg. v. d. Abteilung für l^andwirtschaft der EVD, bearb. v. Andreas Werthemann, [Bern] 1963 (Schweizerischer Alpkataster. (3)), S. 102f. (Verzeichnis der Weidebetriebe und Sömmerungsweiden). Möglicherweise ist hohen liten aber auch ein nicht belegter Flurname in der Umgebung Basels, der schon in c eine Bedeutungsverschiebung erfuhr. 125 Es handelt sich um das Winterlied Sumer, diner liehten ougenweide HW 78,11-79,35 (WL 26), hier 79,16f.: ich wil bitten den von Schöneliten / daz er mir sine hulde gebe; ich waene wol er tuoz\ vgl. hierzu etwa Beyschlag, Die Lieder Neidharts, S. 767f. (mit Lit.); Kühn, Neidhart aus dem Reuental, S. 188-194. 126 Mertens, Art. Göli, Sp. 95. 127 Vgl. Lexer, Bd. 1, Sp. 1939. Ein Beleg findet sich etwa in der 'Virginal': Her Dielerich von Berne sprach / 'so wilde gebirge ich nie gesach I noch ouch sö höhe liten.' Text: DHB, Bd. 5, S. 4, Str. 21,lff.; zur 'Virginal' siehe unten, S. 284.
Mode und Sprache - Nähe zu Frankreich?
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8. Mode und Sprache - Nähe zu Frankreich?
Die in den Göli-Liedern erscheinenden Fremdwörter, die vor allem in Lied IV, aber auch in Lied I begegnen, entstammen ausnahmslos dem Altfranzösischen. 128 Beweisen sie eine heimatliche Nähe des Autors zum französischen Sprachraum? Im Vorfeld einer Untersuchung des Sprachproblems empfiehlt es sich, nicht nur die Einzelbelege zu sammeln, sondern die eigentliche Funktion dieser Fremdwörter näher zu bestimmen. Das Sänger-Ich berichtet im vierten Lied von einer bitteren Niederlage, die es, als Teilnehmer beim Tanz, gegen einen stutzerhaft auftretenden Modegecken einzustecken hatte. Im siebten Vers der zweiten Strophe wird der verhaßte Konkurrent als anderhalb franzoys (C) bzw. anderthalber franczos (c) beschimpft.129 Erst gegen Ende der Strophe erfährt der Zuhörer, ein gvtnpan (C) bzw. ein zampuneis (C) begleite den Betreffenden.130 Der Begleiter stammt demnach aus der Champagne,131 wobei offen bleibt, ob das Sänger-Ich die Herkunft der beiden Fremden wirklich kennt und ihre Heimat korrekt benennt. Der spöttische Ton der Verse könnte auch eine bloße Schimpfrede gegen die überheblich zur Schau getragene Nachahmung französischer Mode darstellen. Wir wissen somit nicht, ob Göli wirklich Franzosen auftreten ließ, was an einer möglichen Nähe des Autors zur Romania erhebliche Zweifel aufkommen läßt. Hinzu kommt, daß im Mittelalter die gehobenen Gesellschaftsschichten durchgehend von französischen Modeerscheinungen beeinflußt wurden. Die Anspielung auf die Champagne bildet hiervon keine Ausnahme und ist mit den Erwähnungen des Rheins und der Colmarer Helme nicht direkt vergleichbar. Die Champagne hatte auch für ein Publikum des 13. Jahrhunderts wohl noch immer jenen auch nach heutigen Maßstäben 'internationalen R u f , den sie im 12. Jahrhundert als eines der bedeutendsten Lehnsfürstentümer Frankreichs begründet hatte.132 In jener Zeit waren dort, auf dem Handelsweg zwischen Italien und Flandern, in Städten wie Troyes, Lagny-sur-
128 129 130 131 132
Siehe unten. S. 170f., 176. 180, 187f. Siehe unten, S. 176. 187. Siehe ebda. c überliefert hier abweichend: sein gürschitl haisset schanpenois-, siehe unten, S. 187. Hierzu siehe etwa den von Maurice Grubellier redigierten Überblick: Histoirc de la Champagne, Toulouse 1975 (Univers de la France et des pays francophones. Serie: Histoire des Provinces), bes. S. 158-173 (mit Lit.).
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Göli in Basel? - Indizien und Argumente
Marne, Provins und Bar-sur-Aube, die berühmten Handelsmessen entstanden, auf denen allerlei Luxusgegenstände (Gewürze, Seide, flandrische Tücher) gehandelt wurden.133 Trotz des bereits im 13. Jahrhundert erfolgten Rückgangs der Handelsgeschäfte - die beginnende Zentralisierung der Macht in Paris und die zunehmende Bedeutung der Messen in Zentraleuropa haben entscheidend dazu beigetragen - dürfte die Champagne noch zu Gölis Lebenszeit noch mit einem verfeinerten Modebewußtsein assoziiert worden sein. In Bar-sur-Aube gab es für die Basler Kaufleute sogar einen 'Basler H o f , eine maison de Baale.134 Gölis Umgang mit altfranzösischem Lehngut ist damit bei weitem nicht erschöpft: Lied IV erscheint geradezu mit Fremdwörtern gespickt. Die ausgerechnet in diesem Lied zu beobachtende Häufung dient offensichtlich einem ähnlichen Zweck wie die soeben behandelte Verspottung der Gegner und belegt daher keineswegs einen intimen Umgang mit der französischen Sprache. Die Verwendung von cvmpenie in Gölis Lied I (Str. 2,3) mag den frühesten Beleg des Fremdwortes in der deutschen Lyrik darstellen,135 doch verliert diese Feststellung angesichts der zahlreichen Belege etwa im 'Tristan' Gottfrieds von Straßburg fast gänzlich an Wert.136 Auch der verwandte Begriff gvmpan (Lied IV, Str. 2,10) findet sich bereits bei Gottfried.137 Die Liste der bereits im 'Tristan' nachweisbaren Fremdwörter läßt sich noch erweitern: schvmpfentiure (Lied IV, Str. 2,1), das aus afrz. desconfiture gebildet wurde und häufig bei der Beschreibung ritterlicher Kämpfe Verwendung findet;138 möglicherweise auch puneize (Str. 2,9), das vielleicht auf afrz. puneis ('stinkend') zurückgeht,139 aber ebensogut einen Terminus des mittelalterlichen Turnierwesens darstellen könnte.140 Die Exklamation offei (Str. 3,10) lehnt sich an das afrz. afoi an und kann etwa
133 Zu den Champagnemessen siehe etwa Henri Pirenne, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Europas im Mittelalter, 6. Aufl., Tübingen 1986 (Uni-Taschenbücher. 33), S. 100-103. 134 So WACKERNAGEL, Bd. 1, S. 106 (mit Verweis auf Felix Bourquelot, Etudes sur les foires de Champagne, sur la nature, l'etendue et les regies du commerce qui s'y faisait aux Xlle, XIHe et XlVe siecles, T. 1-2, Paris 1865 [Academie des Inscriptions et BellesLettres. Memoires. 2.5], T. 2, S. 202). 135 Literatur: Beyschlag, Die Lieder Neidharts, S. 708; vgl. Edmund Wießner, Vollständiges Wörterbuch zu Neidharts Liedern, Leipzig 1954 (Nachdruck mit einem Nachwort von Ingrid Bennewitz-Behr und Ulrich Müller, Stuttgart 1989), S. 29. 136 Unter cumpanie bzw. companie verzeichnet Melvin E. Valk, Word-Index to Gottfried's Tristan, Madison 1958, S. 39, 14 Belege. 137 Vgl. ebda. 138 Ebda, S. 52 (unter schunfentiure). Nach Wießner, Wörterbuch, S. 233, verwendet Neidhart dieses Wort nicht. 139 Vgl. ebda, S. 211; sonst nicht belegt. 140 'Tristan'-Belege hierzu bei Valk, Word-Index, S. 49, unter puneize.
Die Gieselbrecht-Figur - Anknüpfungspunkte an Herzogs Methode
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mit 'meiner Treu' übersetzt werden.141 So bleibt außer den trivialen Herkunftsbezeichnungen franzoys und schampeneisIzampuneis142 letztlich nur noch der in Str. 3,9 verwendete Spottname portenschei übrig, dessen Bedeutung sich gar nicht genau fassen läßt.143 Gölis Anleihen beim Altfranzösischen spiegeln somit keineswegs die Umgangssprache des Dichters oder eine heimatliche Nähe zur Romania wider, sondern es handelt sich hierbei wohl um Stilmittel, die den Zweck verfolgen, die Konkurrenten des Sängers ironisch überzeichnend ins Lächerliche zu ziehen. Während über die Bildungsverhältnisse im mittelalterlichen Freiburg kaum etwas bekannt ist, sind die Sprachkenntnisse der Basler Oberschicht punktuell erschließbar: Das adlige, geistliche und patrizisch-bürgerliche Meliorat verfügte im 13. Jahrhundert anscheinend über gewisse Französisch-Kenntnisse. Über den bischöflichen Einflußbereich hinaus lassen sich bereits aufgrund der wirtschaftlichen Bedeutung Basels überregionale Handelsverbindungen vermuten. Umfangreiche Kenntnisse der französischen Sprache und Literatur sind zumindest im Fall einer Basler Persönlichkeit dokumentiert: Konrad von Würzburg berichtet in seinem Roman 'Partonopier und Meliur', Heinrich Merschant, ein Mitglied der städtischen Bürgerschaft, habe ihm die französische Vorlage übersetzt.144 Heinrichs Beiname 'Merschant' deutet auf eine westliche französische Herkunft seiner Familie. Gölis Publikum bestand vielleicht teilweise aus Personen, denen das Französische geläufig war. Gerade solche Zuhörer könnten das in den Liedern I und IV einmontierte Lehngut besonders geschätzt haben.
9. Die Gieselbrecht-Figur - Anknüpfungspunkte an Herzogs Methode Mit den Anhaltspunkten aus den Bereichen Mode und Sprache endet die Reihe der bis heute vorgebrachten Indizien. Das Gesamtspektrum ist damit zwar noch nicht erschöpft, doch erhebt sich die Frage, in welcher Richtung weiterzusuchen sinnvoll wäre. Herzogs Thesenkomplex um neue Ansatz-
141 142 143 144
Vgl. Wießner. Wörterbuch, S. 206. Siehe ebda, S. 227. Vgl. ebda, S. 211 (mit Lit.). Siehe Inge Leipold, Die Auftraggeber und Gönner Konrads von Würzburg. Versuch einer Theorie der „Literatur als soziales Handeln", Diss. München 1975, Göppingen 1976 (GAG. 176), S. 97-117, hier S. 109; zu Konrad von Würzburg und Heinrich Merschant siehe unten, S. 150.
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Göli in Basel? - Indizien und Argumente
punkte zu bereichern, fällt gerade aufgrund der Fülle der Basler Quellen nicht schwer. Eine Parallele zu den Versuchen, Bele und Kunze mit Basler Bürgern gleichzusetzen, bietet Gölis Gieselbrecht-Figur, die in Lied II als Kunzes Konkurrent auftritt.145 Trotz eines in zwei Winterliedern Neidharts auftretenden Gtselbreht liegt eine Gleichsetzung mit in Basel bezeugten Träger dieses Namens durchaus nahe:146 Ein als laicus urkundender Gisilbertus tritt zwischen dem 1. März und dem 31. August 1193 in Erscheinung.147 Erst gegen Ende der Lebenszeit Diethelm Gölis ist dann ein weiterer Träger dieses Namens greifbar: Im Jahr 1273 stellt Diethelm Gölis Bruder Konrad in seiner Funktion als Domdekan eine Schenkungsurkunde für die Basler Kirche St. Leonhard aus und bestätigt damit eine Zuwendung seitens Petrus successor felicis memorie Giselbrechti cum Anna uxore sua.]4S Dieser Petrus war anscheinend der Sohn eines sonst nicht in Urkunden nachweisbaren Gieselbrecht. Spätere Zeugnisse bezeichnen ihn als Petrus Giselbrechtm bzw. Petrus dictus Giselbrecht.150 Der Zusatz 'Giselbrecht' wurde spätestens bei Peter zum Beinamen. Demnach gab es mit Sicherheit bereits um die Mitte des 13. Jahrhunderts mindestens eine Person dieses Namens, die sich im Umfeld des Basler Domstiftes bewegte und auch mit Konrad Göli bekannt gewesen sein dürfte, auch wenn engere Beziehungen zwischen den beiden Familien nicht nachweisbar sind.
10. Ergebnisse
Die kritische Durchsicht der Anhaltspunkte zum Autor und seinem Werk führt in ein Dilemma: Obwohl sich die Indizien auffällig häufen und ein in sich stimmiges Gesamtbild ergeben, ist die Identität der Autorpersönlichkeit Göli mit dem Basler Ritter Diethelm Göli nicht beweisbar. An diesem kritischen Punkt angelangt, empfiehlt es sich, statt der Indizien die angelegten Maßstäbe auf ihre Tauglichkeit hin zu überprüfen. Vertritt man eine kompromißlos skeptische Position, muß jeder Identifizierungsansatz aufgegeben werden. Ein zweiter - wie mir scheint fruchtbarerer 145 Siehe unten, S. 173f., 178, 182, 185f. 146 HW 58,25 (WL 16, S. 102ff., Str. V) sowie HW 59,36 (WL 18. S. 108ff.. Str. ΙΠ). Auch der (unechte?) Faßschwank erwähnt einen Gieselbrecht; vgl. hierzu den speziellen Abschnitt im Anhang, unten, S. 290-293. 147 UB, Bd. 1, Nr. 65, S. 44f. 148 Trouillat, Bd. 2, Nr. 188, S. 246. 149 UB, Bd. 3, Nr. 3, S. lf. 150 Ebda; eine weitere Erwähnung UB, Bd. 3, Nr. 86, S. 47f.
Ergebnisse
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Weg der Annäherung wird beschritten werden können, sobald die Ausgangsfragen, welche die ältere Forschung in Gang setzten und weitgehend bestimmten, einbezogen werden. Die Suche galt einer historisch nachweisbaren Persönlichkeit, die denselben Namen trägt wie der in C bzw. Β genannte Autor und darüber hinaus in der Neidhart-Nachfolge angesiedelt werden kann. Diese Minimalbedingungen wurden (und werden nach wie vor) erfüllt vom Freiburger Vogt und von sämtlichen männlichen Angehörigen der Basler Familie Göli. Die Zahl der in Frage kommenden Kandidaten reduziert sich damit auf einige wenige Personen. Jedes weitere Indiz deutet mehr oder weniger stark in Richtung des Basler miles Diethelm Göli. Hinzu kommt, daß der Freiburger Kandidat bereits im Vorfeld einer solchen 'Chancenverteilung' ausfällt, denn er war mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht einmal Ritter. Der Horizont der Diskussion erweitert sich somit: Auch wenn keine andere in Frage kommende Person so viele Indizien für sich verbuchen kann wie Diethelm Göli, ist die einseitige Fixierung auf gerade diese Persönlichkeit abzulehnen. Vielmehr scheint es sinnvoll, den Versuch einer Gesamtsicht der Familie Göli zu unternehmen. Eine sorgfältige Prüfung der urkundlichen Zeugnisse wird zeigen, daß das Geflecht der sozialen Beziehungen viel weiter reicht, als das bisher betriebene Katalogisieren der Namensbelege auf den ersten Blick erkennen ließ. Die Rekonstruktion des familiären Umfelds wird darüber hinaus deutlich werden lassen, daß die Suche nach einer bestimmten Autorpersönlichkeit gerade im vorliegenden Fall bei der Familie als solcher stehenbleiben und somit ein Spektrum von Möglichkeiten offenhalten kann, ohne an literarhistorischer Relevanz und Aussagekraft einzubüßen.
III. Das mittelalterliche Basel und die Familie Göli
Unsere Annäherung an die Basler Familie Göli und ihr soziales Umfeld wird aus Gründen der Übersichtlichkeit in zwei größeren Schritten erfolgen. Der folgende erste Abschnitt unternimmt den Versuch, die Lebenswelt, in welcher sich Diethelm und seine Verwandten über Jahrzehnte hinweg bewegt haben, zu rekonstruieren. Verschiedene Aspekte finden hierbei Berücksichtigung: als historischer Rahmen die Geschichte Basels, sodann die Reichsund Kirchenpolitik des 13. Jahrhunderts, vor allem aber die in zahlreichen Quellen nachweisbaren Träger des Namens Göli, deren Spuren sich von etwa 1230 bis gegen Ende des 13. Jahrhunderts verfolgen lassen. Das Sammeln und Sichten dieser Quellenzeugnisse soll ein immer noch bestehendes Manko beseitigen: Das soziale Umfeld der Familie Göli fand bis heute kaum Beachtung, und die Auswertung der Lebenszeugnisse ist in den Anfängen steckengeblieben. Die angesichts der großen Fülle der Quellen gegebene Möglichkeit einer Annäherung gewinnt schon deshalb an Bedeutung, weil im Fall des mutmaßlichen Autors die Zahl der erhaltenen Zeugnisse relativ bescheiden ist und diese meist nur den Namen, den gesellschaftlichen Stand sowie seine Herkunft bewahren. Eine Auswertung der Zeugnisse zu den Verwandten Diethelm Gölis kann bei der sozialgeschichtlichen Einordnung der überlieferten Texte wertvolle Dienste leisten. Gerade die weitreichenden und übergreifenden Kontakte Konrads, Diethelms Bruder, zeigen, daß eine auf breiter Quellenbasis durchgeführte flächendeckende Untersuchung einen im Grunde unverzichtbaren Bestandteil biographischer und werkgeschichtlicher Forschung bildet und sich als weit ergiebiger und fruchtbarer erweist als das bisher praktizierte Sammeln von Namensbelegen zu einer Person, die als Autor reklamiert wurde. Unser Vorgehen folgt - wiederum aus Gründen der Übersichtlichkeit - der chronologischen Abfolge der Zeugnisse und Ereignisse, wobei der Bezugsrahmen, die Geschichte Basels vor dem Hintergrund der Reichs- und Kirchenpolitik des 13. Jahrhunderts, erst in den letzten Abschnitten, die sich mit Dietrich Göli, dem dritten Sohn Diethelms befassen, Erweiterungen erfährt.
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Das mittelalterliche Basel und die Familie Göli
Die germanistische Forschung wird in den folgenden Ausführungen nur nebenbei berücksichtigt. Auf die in Basel verhältnismäßig gut bezeugten literarischen Aktivitäten soll im nächsten Teil eingegangen werden.
1. Basel du vil werde im 13. Jahrhundert
darnah bi des Rines vluot so lit ein veste ummazen guot, Basel du vil werde, das niendir uf der erde bedarf bezzer veste sin. si hat chorn und guotin win vollecliche groze gnuht. och hat si den besten luft der in cheinem lande moechte wesin: das sprichich, wan ich hans gelesin. darzuo ist si gevestit, gewehit und gegestet mit maneger burc vil schone, die si reht als ein krone zierent mit werlichir chraft. in Basel sint ouh ellenthaft mit hüse inne gesezzin zallir zit virmezzen funfzic rittir odir mer, die man niemir widir ker sihet tuon ze kindin, ze vrovwin noh gesindin, e das si gesigit hant. ouh tuon ih iuh noh mer irkant da ist guot alliz guotis: da ist des heiligin bluotis des von Gotis herzen vloz, das er durh ünsich alle goz an dem vrone chruze her, daran er hienc virwundit ser da ze Calvaria. des seibin chrüzis ist ouh da
Basel du vil werde im 13. Jahrhundert
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ze Basil inder houbit stat, da von si so vil lobis hat das si nieman vol loben kan. werlichu lant du stozent dran, du mit richir genuht bringint manege sueze fruht.1 Obwohl diese enthusiastisch anmutenden Verse in der 'Weltchronik' Rudolfs von Ems überliefert sind, gehen sie - mit Ausnahme der letzten drei Zeilen - auf einen unbekannten Dichter zurück.2 Der zitierte Abschnitt fand in Form eines Exkurses Aufnahme in das umfangreiche Werk. Zusammen mit ähnlich preisenden Beschreibungen weiterer am Rhein gelegener Städte wird der Text als 'Lob der rheinischen Städte' bezeichnet.3 Der anonyme Verfasser hat Basel nicht nur hinsichtlich des Versumfangs eine herausragende Stellung zugewiesen, was den Schluß nahelegt, das 'Lob' sei vielleicht ausschließlich zum Ruhm Basels verfaßt und in Rudolfs 'Weltchronik' eingefügt worden. Möglicherweise stammte der Verfasser sogar aus dem Oberrheingebiet und war selbst Basler. Obgleich die Verse in einem erst nach der Mitte des 13. Jahrhunderts entstandenen Kontext stehen, ist eine frühere Abfassungszeit nicht auszuschließen. Wie dem auch sei: Das 'Lob der rheinischen Städte' enthält eine wenn auch typisierte - mittelalterliche Beschreibung Basels, die markante Züge der Stadt berücksichtigt haben dürfte.4 Unser heutiges Wissen über Basel und seine mittelalterliche Geschichte bestätigt dies:5 1 Nach: Rudolfs von Ems Weltchronik, S. 32, V. 2258-2295; vgl. dazu Werner MeyerHofmann. Das „Lob der rheinischen Städte" - ein Preisgedicht auf Basel aus dem 13. Jahrhundert, in: BZfGA 73 (1973), S. 23-35; zur Übertragung und Interpretation des Textes vgl. auch Werner Meyer, Basel im 13. Jahrhundert, in: Schmid-Cadalbert, Das ritterliche Basel, S. 23-31, hierS. 26. 2 Literatur zu Rudolf von Ems: Wolfgang Walliczek, Art. Rudolf von Ems, in: VL 8 ( 2 1992), Sp. 322-345; zur 'Weltchronik' siehe bes. Sp. 338-342. 3 Zum Folgenden siehe Meyer-Hofmann, Das „Lob der rheinischen Städte". S. 28-35. 4 Zur literarischen Verwertung der Stadt im Mittelalter siehe neuerdings Hartmut Kugler. Die Vorstellung der Stadt in der Literatur des deutschen Mittelalters, München/Zürich 1986 (MTU. 88), wo das 'Ixib der rheinischen Städte', ebda. S. 238, allerdings nur beiläufig erwähnt wird. 5 Zur Geschichte Basels gibt es eine Fülle von Arbeiten, die an dieser Stelle nicht im einzelnen genannt und gewürdigt werden können. Eine Ubersicht gibt jetzt d' Aujour d'hui. Die Entwicklung Basels, S. 16-24. Immer noch empfehlenswert ist die 1968 nachgedruckte Stadtgeschichte von Rudolf Wackernagel. Bd. 1-3. Basel 1907-1924 (WACKERNAGEL). Eine übersichtliche und knapp gehaltene Chronologie bietet Josef Rosen, Chronik von Basel. Hauptdaten der Geschichte, Basel 1971 (Mitteilungen des Statistischen Amtes des Kantons Basel-Stadt. 82). Neuerdings liegt eine stark verkürzte Stadtgeschichte vor, die lediglich die wichtigsten Strukturen. Ereignisse und
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Das mittelalterliche Basel und die Familie Göli
Die alte Bischofsstadt - bereits im Frühmittelalter scheint das Episkopat vom nahegelegenen, ehemals römischen Äugst auf die nach und nach erstarkende Grenzgemeinde zwischen Ober- und Hochrhein übergegangen zu sein - bietet zu Beginn des 13. Jahrhunderts kein homogenes Bild mehr wie noch wenige Jahrzehnte zuvor, als Bistum und Stadtgemeinde machtpolitisch verflochten und unter der Herrschaft des Bischofs vereint waren. Vielmehr haben gesamteuropäisch wirkende Tendenzen jener Zeit gerade auch am Oberrhein deutliche Spuren hinterlassen: Auf die wechselhafte hochmittelalterliche Epoche des Landesausbaus mit der für diesen Zeitabschnitt typischen Rodungs- und Kolonisationstätigkeit, die im Raum Basel vorwiegend vom mittleren und höheren Adel getragen wurde, folgt nun, gegen Ausgang des Hochmittelalters, eine im Spannungsfeld zwischen landesherrlicher Territorialpolitik und kleinadliger Selbständigkeit gelagerte machtpolitische Konkurrenz zwischen dem Landadel der städtischen Umgebung und dem sich allmählich herausbildenden Stadtadel.6 Diese sich mit dem Niedergang der Stauferherrschaft verstärkende Rivalität sozialer Gruppen führt schließlich zur Bildung oppositioneller und unter sich verfeindeter Fraktionen, die wir kurz vor dem Herrschaftsantritt Rudolfs von Habsburg zu Beginn der 70er Jahre des 13. Jahrhunderts als die Parteien der sogenannten 'Sterner' und 'Psitticher' werden fassen können.7 Letztere
Veränderungen wiedergibt: Rene Teuteberg, Basler Geschichte, hg. v. d. ChristophMerian-Stiftung aus Anlaß ihres 100jährigen Bestehens, Basel 1986. Speziell zur mittelalterlichen Geschichte siehe etwa F[erdinand] Geldner, Art. Basel, in: LMas 1 (1980), Sp. 1505-1516; weiter: Albert Bruckner, Die mittelalterliche Stadt, in: Basel. Denkschrift zur Erinnerung an die vor 2000 Jahren erfolgte Gründung der Colonia Raurica 44 v. Chr.-1957 n. Chr., Olten/Basel/Lausanne 1957, S. 67-82; Reinhard Patemann, Die Stadtentwicklung von Basel bis zum Ende des 13. Jahrhunderts, in: ZGO 112 (1964), S. 431-467; Alfred Berchtold, Bäle et l'Europe: une histoire culturelle, Bd. 1-2, Lausanne 1990; rechtsgeschichtliche Fragen behandelt Hans Rudolf Hagemann, Basler Rechtsleben im Mittelalter, Bd. 1-2, Basel/FrankfUrt a. M. 1981/87; Arbeiten zu den verschiedensten Aspekten Basels verzeichnet die von Ruth und Max BurckhardMenzi hergestellte 'Basler Bibliographie', die als Beilage zur BZfGA konzipiert wurde und zuletzt 1987 [unter Mitw. v. Hanni Bolens-Menzi] erschien (Bände seit 1970 siehe Bibliographie). 6 Eine Studie zur sozialen Situation des ostschweizerischen Adels hat Roger Sablonier, Adel im Wandel. Eine Untersuchung zur sozialen Situation des ostschweizerischen Adels um 1300, Göttingen 1979 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte. 66), vorgelegt. Die gewonnenen Resultate sind zumindest punktuell auf die im Basler Raum herrschenden Verhältnisse übertragbar. Das Phänomen städtischer Ritteradel wird ebda, S. 123-129, anhand des Züricher Stadtadels untersucht. Zum Basler Adel siehe Werner Meyer, Der mittelalterliche Adel und seine Burgen im ehemaligen Fürstbistum Basel, 140. Neujahrsblatt, hg. v. der Gesellschaft zur Beförderung des Guten und Gemeinnützigen, Basel 1962, bes. S. 9-16. 7 Siehe unten, S. 89.
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bilden den engen Kreis der bischöflichen Ministerialität. Ihnen gehören etwa die Basler Familien Münch und Schaler an. Angehörige dieser Geschlechter besetzen zum Zeitpunkt des Ausbruchs der Feindseligkeiten bereits seit Jahrzehnten die städtischen Ämter des Vogtes und des Schultheißen, später auch das Amt des Bürgermeisters. Ihren Anhang bilden Adelsfamilien wie etwa die Marschalk, die Kämmerer und die zu Rhein, Angehörige des gräflichen Hauses von Neuenburg (Schweiz), die Markgrafen von Hochberg und die Herren von Röteln. Das gegnerische Lager der 'Sterner' rekrutiert sich zum großen Teil aus in der Stadt seßhaft gewordenen Landadligen. Diese den alteingesessenen Dienstleuten des Stadtherrn gegenüberstehende Interessengruppe umfaßt Angehörige der Familien von Eptingen, von Uffheim, Kraft, Frick, Pfaff, Reich, Viztum, Mazerel, von Ramstein, die am Kornmarkt, die Grafen von Habsburg, von Pfirt, Graf Heinrich von Baden(weiler) und möglicherweise noch weitere. Die Sterner-Fraktion wird im Zuge der gewaltsamen Auseinandersetzungen der frühen 70er Jahre die Partei des damaligen Landgrafen und späteren Königs Rudolf von Habsburg ergreifen und in entscheidender Weise zum Niedergang der bischöflichen Macht in und um Basel beitragen. Zu Beginn des 13. Jahrhunderts sind derartige Polarisierungen erst im Keim vorhanden. Machtzersetzende Kräfte anderer Provenienz entfalten um diese Zeit ihre Wirkung. Sie schwächen kontinuierlich die bisher unumschränkte Herrschaftsgewalt des Bischofs und begünstigen gleichzeitig den sozialen Aufstieg städtischer Bevölkerungsgruppen, die bis dahin kaum Anteil an der Stadtpolitik erlangt haben. Dabei entstammen die einflußreichen Gruppen ganz unterschiedlichen Lagern: An erster Stelle wären die an der Spitze der Stadtverwaltung stehenden Domherren zu nennen, Mitglieder des Domkapitels also, die in eigenen Wohnungen leben, private, durch Pfründen abgesicherte Einkünfte beziehen und die höchsten bischöflichen Ämter besetzen, in gewisser Weise aber auch ein politisches Gegengewicht zum Stadtherrn bilden. Dem Domkapitel steht in Basel eine weltliche Schicht von Rittern gegenüber, die milites Basiiienses,8 Diese bemühen sich in der Regel, bischöfliche Dienstiunktionen wahrzunehmen, ihren sozialen Aufstieg zu fördern und das Erreichte zu konsolidieren. Trotz der schon im 12. Jahrhundert greifbaren ständischen Homogenität der milites Basiiienses darf von einer unterschiedlichen sozialen Herkunft ausgegangen werden: Zum einen gibt es die dem Landadel entstammenden, ständisch abgesunkenen Dienstleute, die sich durch lehnsrechtliche Verhältnisse an den Bischof gebunden haben, aber per8 Zu Adel und Patriziat in Basel siehe etwa August Burckhardt, Herkunft und Stellung von Adel und Patriziat zu Basel im XIII. bis XV. Jahrhundert, in: Basier Jahrbuch 1909, S. 92-118.
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Das mittelalterliche Basel und die Familie Göll
sönlich frei bleiben. Zum anderen gelangen ehemals hörige Dienstmannen, die im Laufe der Zeit aufgrund ihrer Verdienste und Leistungen in den Ritterstand aufrücken konnten, in die weltliche Adelsschicht. Adel und Geistlichkeit repräsentieren im 13. Jahrhundert längst nicht mehr die Gesamtheit der Basler Führungsschicht. Vielmehr gelingt es im Verlauf der kommenden Jahrzehnte einer dritten Bevölkerungsgruppe, sich in das Herrschaftsgefüge zu drängen. Es handelt sich hierbei um die in Basel zunächst an den Stadtherrn gebundenen, zwar nichtadligen, aber persönlich freien Stadtbürger. Bezogen auf ihren zahlenmäßigen Anteil an der Gesamtbevölkerung Basels fallen die drei soeben vorgestellten Führungsgruppen kaum ins Gewicht.9 Der politische Einfluß des Meliorats steht damit in umgekehrtem Verhältnis zum Anteil an der Bevölkerung. Auch teilen sich Klerus, Ritterschaft und Stadtbürgertum die Macht keineswegs gleichrangig: Die beiden zuletzt genannten Fraktionen - Dienstleute des Bischofs und wohlhabende, mit Grundeigentum ausgestattete Bürger - werden als die im Grunde tonangebende, das städtische Leben immer intensiver steuernde Oberschicht greifbar. Ihr Anliegen wird darin bestehen, mittels des stetig einflußreicher werdenden Stadtrats sowohl dem Basler Stadtherrn als auch dem Domkapitel eine politische Instanz entgegenzusetzen, die ihre eigenen Interessen wahrnimmt und vertritt, und sich auf diese Weise bis zum zum Ausgang des 13. Jahrhunderts den Hauptanteil an der Stadtpolitik zu sichern. Die bischöflichen Stadtherren gewinnen erst zu Beginn des neuen Jahrhunderts an Profil. Die Episkopate Ortliebs (1137-1164) und Ludwigs von Froburg (1164-1179), Hugos von Hasenburg (1179/80), Heinrichs (Herkunft ungeklärt) (1180-1190) und Lütholds von Aarburg (1191-1213) begünstigen durch ihr verworrenes und reichspolitisch brisantes Regiment den zunehmenden Verfall der bischöflichen Macht in Basel.10 Nach dem Tod Lütholds von Aarburg (1213) kommt Walther von Röteln ins Amt, wird aber schon zwei Jahre später vom Papst abgesetzt." Sein Nachfolger Heinrich von Thun (1216-1238) bemüht sich, das Hochstift finanziell zu sanieren und die Macht des unter dem Stauferkaiser Friedrich II. mit einem
9 Zur Bevölkerungszahl siehe Hektar Ammann, Die Bevölkerung von Stadt und Landschaft Basel am Ausgang des Mittelalters, in: BZfGA 49 (1950), S. 25-52. hier S. 25f. 10 Zu den Bischöfen von Basel siehe Albert Bruckner, Werner Kundert, Manfred E. Welti u. Peter L. Zaeslin (Bearb.), Die Bischöfe von Basel, in: HS 1.1 (1972), S. 159-222 (mit Lit.). 11 Siehe ebda, S. 176: „Auf dem Laterankonzil wurde er im Dezember 1215, wahrscheinlich wegen Verschleuderung bischöflichen Gutes, auf Antrag des Domkapitels von Innozenz III. abgesetzt."
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Privileg ausgestatteten Rates wieder einzuschränken, was ihm 1218 auch gelingt.' 2 In ökonomischer Hinsicht bietet der Basler Raum im frühen 13. Jahrhundert das Bild einer fortwährenden Expansion: Die Anbauflächen für Getreide und Wein werden erweitert, technische Neuerungen verbessern die landwirtschaftlichen Erträge, Hungersnöte sind relativ selten bezeugt. Das Stadtbild wirkt durchaus 'modern': Noch in der ersten Jahrhunderthälfte wird ein neuer Mauerring angelegt, die Vorstädte werden erweitert, Handwerker und Gastwirte gründen Niederlassungen. Unweit der Stadt wird Kleinbasel gegründet. 13 Um 1220/30 kommt es zum Bau der großen Rheinbrücke, wobei sowohl der Rat als auch die Klöster als Förderer fungieren und der Bischof als Zollherr auftritt. Neuerungen erfährt auch der sakrale Bereich: Kirchen und Kapellen werden gebaut und bereichern das Bild der von den bereits bestehenden Gotteshäusern geistlich geprägten Stadt. Um die Mitte des Jahrhunderts errichtet man das Rat- oder Richthaus, das zusammen mit den mächtigen Wohntürmen der Oberschicht ein eindrucksvolles Bild des städtischen Lebens vermittelt haben muß, wie es besonders der anonyme Verfasser des 'Lobes der rheinischen Städte' zu berichten weiß. 14 Vielleicht ist gerade in dieser vom Handel und von den Handwerkern bestimmten Atmosphäre der Grund dafür zu suchen, daß es den Stadtbürgern nicht selten gelingt, in den Adelsstand aufzusteigen. Schon im Jahr 1227 verleiht König Heinrich ein Privileg, das den cives, den reichen Grundbesitzern aus dem Kaufmannsstand und den Dienstleuten des Bischofs, die Lehnsfähigkeit zuerkennt. Um dieselbe Zeit organisieren sich auch die Handwerker, die weder ratsfähig sind, noch das Bürgerrecht besitzen, erstmals in Zünften. Als offizieller Vertreter der Bürgergemeinde erscheint erstmals im Jahr 1227 der Schultheiß Konrad Münch, in dem wir einen Beamten des Stadtherrn vermuten dürfen. Das Episkopat Heinrichs von Thun bringt eine Vielzahl positiver Veränderungen für die Stadt, die bis in das kulturelle Leben hineinwirken: Basel wird Schauplatz zahlreicher ritterlicher Turniere und Feste. 15 Als Residenz hoher geistlicher Herren besitzt es eine verfeinerte Wohn- und
12 Zu Heinrich II. von Thun siehe ebda, S. 176f.: weiter: Teuteberg, Basier Geschichte, S. 103ff.: WACKERNAGEL, Bd. 1, S. 19-25. 13 Zur Geschichte Kleinbasels siehe jetzt Ernst Ritter, Kleinbasel. Geschichte und Bild der minderen Stadt, Basel [1991]. 14 Zum Basler Rathaus siehe oben, S. 38. 15 Siehe hierzu Werner Meyer-Hofmann, Turniere im alten Basel, in: Basler Stadtbuch 1970, S. 22-38.
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Das mittelalterliche Basel und die Familie Göli
Hofkultur, wird zu einem Ort literarischer Produktion und Rezeption und bildet gewissermaßen eine Bühne des vornehmen Gesellschaftslebens.
2. Domherr, Kämmerer und Propst: Konrad Göli und der Basler Klerus
Die zur Geschichte der Familie Göli erhaltenen Quellenzeugnisse weisen markante Züge auf: Diethelm und seine Verwandten sind nur während des 13. Jahrhunderts und zudem meist in Basel bezeugt. Obwohl nahezu 200 Belege - meist in edierter Form - vorliegen,16 beschränkt sich die Zahl der in diesen Zeugnissen erwähnten Träger des Beinamens Göli ('Spaßmacher', 'Erwachsener, der sich kindisch dumm benimmt"7) auf einige wenige eng miteinander verwandte Personen. Die Eigentumsverhältnisse der Familie bleiben trotz der Fülle der Belege relativ undurchsichtig. Der Hauptgrund hierfür liegt wohl im Gebrauchszusammenhang der betreffenden Urkunden: Außer dem miles Basiliensis Diethelm Göli (und seiner nur vereinzelt bezeugten Frau) sind nur Kleriker belegt, die meist in kirchlichen Urkunden und in der Regel in ihren amtlichen Funktionen aufgeführt werden. Mit Konrad Göli, dem Bruder Diethelms, fassen wir das am häufigsten nachweisbare Mitglied der Familie. Das früheste Zeugnis datiert vom 14. September 1230.18 An diesem Tag beurkundet Bischof Heinrich von Thun eine Grenzziehung zwischen den städtischen Kirchengemeinden St. Peter und St. Leonhard. Dem Rechtsakt wohnen zwölf Zeugen bei, die wohl alle
16 Die einzelnen Zeugnisse finden sich in der Regel im 'Urkundenbuch der Stadt Basel' (UB), im 'Urkundenbuch der Landschaft Basel' (Boos), aber auch in den 'Monuments de l'histoire de l'ancien eveche de Bäle' (Trouillat). Daß neben diesen und anderen grundlegenden Editionen noch ungedrucktes Quellenmaterial existiert, kann nicht ausgeschlossen werden. Meine Nachforschungen im Staatsarchiv Basel forderten allerdings kein weiteres Material mehr zutage. 17 Zur Bedeutung des Beinamens im Schweizerdeutschen siehe Schweizerisches Idiotikon 2 (1885), Sp. 215f. Die latinisierte Namensform Golinus bedeutet nach Lorenz Diefenbach, Glossarium latino-germanicum mediae et infimae aetatis e codicibus manuscriptis et libris impressis, Frankfurt a. M. 1857 (Supplementum Lexici mediae et infimae latinitatis), S. 267: „color equi inter rufiim et album", „apffelgrauw". 18 UB, Bd. 1, Nr. 113, S. 80ff.; zum Inhalt der Urkunde siehe etwa WACKERNAGEL, Bd. 1, S. 138; zu den darin erwähnten Gemeinden St. Peter und St. Leonhard siehe ebda, S. 134-145; ein zweiter Abdruck mit abweichender Datierung (18.9.1230) bei Trouillat, Bd. 2, Nr. 31, S. 43ff.; auf diesen Abdruck bezog sich übrigens Herzog, Urkundliches zu Mittelhochdeutschen Dichtern, S. 34.
Domherr, Kämmerer und Propst: Konrad Göli und der Basler Klerus
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dem Klerus der Stadt angehören. Die Zeugenliste schließt mit der Erwähnung von Conradus Go Ii. Von diesem Zeitpunkt an wird Konrad über einen Zeitraum von mehr als sechs Jahrzehnten hinweg immer wieder in Urkunden genannt, die im Umfeld des bischöflichen Hofes und des Domkapitels Rechtsgeschäfte und sonstige Vereinbarungen betreffen. Die Urkunde vom September 1230 erlaubt noch keine exakten Schlüsse hinsichtlich seiner Person: Weder trägt Konrad einen bestimmten Titel, noch wurde eine Herkunftsbezeichnung in die Namenliste aufgenommen, noch ist Konrads Funktion als auftretender Zeuge präzise bestimmbar. Daß wir es bereits 1230 mit einem Kleriker zu tun haben, legen erst spätere Urkunden nahe. Ein zweites Zeugnis datiert vom 19. Januar 1232 und hat die Verleihung eines Hauses durch das Basler Domkapitel zum Gegenstand.19 Diesem Rechtsgeschäft wohnen ungleich mehr Zeugen bei als der 1230 beurkundeten Grenzscheidung. An der Spitze der Zeugenliste finden sich die Namen von vier canonici, die bereits in der Urkunde vom 1230 auftauchen. Als vierter und letzter Kanoniker wird jetzt Conradus Goli aufgeführt. Die Reihe solcher Erwähnungen setzt sich fort: Knapp ein Jahr später, am 23. Januar 1233, überläßt das Basler Stift St. Peter ein Haus, das es seinerseits vom Domstift verliehen bekommen hat, einer Witwe namens Judenta.20 Die anwesenden Zeugen gehören der Basier Domherrengemeinschaft, der Priesterschaft, dem städtischen Adel sowie dem Bürgertum an. Die Liste der namentlich genannten Personen beginnt wiederum mit den canonici Basiiienses, und ein weiteres Mal wird Conradus Goli als vierter und letzter Domherr aufgeführt. Nun folgt ein Lücke von nahezu fünf Jahren. Erst am 28. Oktober 1237, gegen Ende der Herrschaft Heinrichs von Thun, tritt Konrad Göli ein weiteres Mal in Erscheinung, als der Basler Bischof die Ernennung Rudolfs (ein Sohn des Grafen Ludwig von Froburg) zum Leutpriester von Onolswil (Sisgau) genehmigt.21 Die Liste der hierbei anwesenden Zeugen führt fünf Basler Domherren, außerdem mehrere Priester, Ritter und andere Laien auf.22 Conradus Govli wird innerhalb der Kanonikerreihe an vorletzter Stelle genannt. Soweit die frühesten Urkunden. Was über Konrad Göli bisher in Erfahrung gebracht werden konnte, beschränkt sich im wesentlichen auf sporadische Zeugenschaften. Um die Person und das Amt Konrad Gölis präziser 19 20 21 22
UB, Bd. 1, Nr. 120, S. 85f. Ebda, Nr. 124, S. 87f. Boos, Nr. 47, S. 26f. Die Zeugenliste schließt mit Conradus preco, dem Basler Amtmann Konrad Rifo; vgl. oben, S. 40-43.
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Das mittelalterliche Basel und die Familie Göli
fassen zu können, muß das Basler Domstift genauer betrachtet werden, denn die institutionellen Rahmenbedingungen erlauben Rückschlüsse auf die soziale Herkunft, die Vermögensverhältnisse, die politische Rolle und die praktische Tätigkeit der Domherrengemeinschaft. 23 Wie in anderen Bischofsstädten bildeten auch die Basler Kanoniker ursprünglich eine mit dem Bischof zu einer Lebensgemeinschaft verbundene Gruppe von Klerikern. Das geregelte Zusammenleben im Zeichen der sogenannten vita communis war innerhalb der Geistlichkeit bereits im Lauf des 8. Jahrhunderts zum Ideal erhoben worden. Obwohl die Angehörigen der Domkapitel über Pfründeneinnahmen aus dem Kirchen- oder Stiftsvermögen verfügten, war ihnen - im Unterschied zu den Mönchen eines Klosterkonvents - Privatbesitz erlaubt. In der Früh- und Blütezeit der vita communis bewohnten und benutzten die Domherren noch gemeinsame Räume, die in Basel unweit der Domkirche lagen. Die Tagesordnung war streng nach den kanonischen Tageszeiten geregelt: Man besuchte gemeinsam die Gottesdienste, versammelte sich im Kapitelhaus, teilte den gemeinschaftlichen Schlafsaal und nahm seine Mahlzeiten im Refektorium zu sich. Im Lauf der Jahrhunderte erlangten die Kanoniker zunehmend Einfluß auf die Diözesanregierung. Seit Beginn des 13. Jahrhunderts bildeten sie das allein zur Beratung des Bischofs berechtigte Organ. Die vita communis war zu dieser Zeit schon in Auflösung begriffen. Der Niedergang hatte seit dem 11. Jahrhundert eingesetzt. Besitzrechtlich markiert wird der Zerfall des gemeinschaftlichen Lebens durch die faktische Trennung von Stiftsgut und bischöflichem Eigentum. Schließlich wohnten die Domherren in eigenen Häusern und besuchten nur noch an den Festtagen den gemeinsamen Tisch. Diese Veränderung der Wohnverhältnisse ging in Basel vermutlich mit einer Brandkatastrophe einher, die im Jahr 1185 das Münster beschädigte und einen Neubau erforderlich machte. Das südlich des Doms gelegene alte Stiftsgebäude mit den Domherrenwohnungen ist durch dieses Feuer möglicherweise in Mitleidenschaft gezogen worden. Jedenfalls mußte es im Zuge der baulichen Maßnahmen einem Kreuzgang weichen. Seit 1234 wohnten die Basler Kanoniker nachweislich in getrennten Häusern rings um den Münsterplatz.24 Der frühesten Urkunde zufolge wurde Konrad Göli spätestens im Jahr 1230 Mitglied des Domkapitels. Da ein Kanoniker bei der Aufnahme in die
23 Zum Folgenden siehe den immer noch grundlegenden historischen Abriß von Hieronimus, Das Hochstift Basel, S. 1-75. Einen Überblick zur Geschichte des Domstifts gibt neuerdings Paul Bioesch, Das Anniversarbuch des Basler Domstifts (Liber vite Ecclesie Basiliensis) 1334/38-1610, Bd. 1: Kommentar. Basel 1975 (Quellen und Forschungen zur Basler Geschichte. 7.1), S. 15-24. 24 Vgl. hierzu WACKERNAGEL, Bd. 1, S. 120.
Domherr, Kämmerer und Propst: Konrad Göli und der Basier Klerus
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Domherrengemeinschaft in der Regel mindestens 21 Jahre alt sein mußte, könnte Konrad um 1210 geboren sein.25 Seit dem 13. Jahrhundert setzte eine Mitgliedschaft adlige Abstammung voraus, eine Eintrittsbedingung, die Konrad erfüllt haben wird.26 Eine weitere Voraussetzung für die Aufnahme in den Kreis der Domherren bildete die Weihe zum Subdiakon.27 Konrad Göli dürfte diese niedere geistliche Würde mit ins Amt gebracht haben. Die Höhe der Pfründe, über welche ein Domherr in Basel verfügen konnte, betrug täglich mindestens 9 Viernzel Spelt (Dinkelweizen) sowie 5 Saum und 2 Quartel Rotwein, was ungefähr 6,8 1 Brotgetreide und 1,68 1 Wein entspricht.28 Diese Mengenangaben entsprechen der Höhe der alten Original-Pfründen, die sich in Basel bis ins 16. Jahrhundert hinein erhalten haben.29 Mit der Besprechung der frühesten Urkunden zu Konrad Göli haben wir uns bereits dem Ende der Amtsperiode Heinrichs von Thun angenähert, der am 17. Februar 1238 starb. Unter der Herrschaft Lütholds von Röteln, der bis zum Juni 1248 regierte, gewinnt das Profil Konrad Gölis neue Konturen.30 Am 16. März 1239 besiegelt der neue Bischof eine Urkunde, die Conradus Golin zwar wiederum als Basler Kanoniker erwähnt, ihn aber jetzt auch mit dem Titel camerarius aufführt. 31 Konrad amtiert somit als Kämmerer des Domstifts. Wie drei der vier bereits behandelten Urkunden belegen, wurde dieses Amt bis dahin von einem Domherrn namens Wilhelm Reich bekleidet, der seinerseits zum Domdekan aufgerückt ist.32 Daß die Umbesetzungen miteinander im Zusammenhang stehen, scheint naheliegend, denn die Basier Domherren führten die Bischofswahl durch. Konrad Göli könnte Lüthold unterstützt und als Gegenleistung ein angesehenes und mit einer höheren Pfründe dotiertes Stiftsamt verliehen bekommen haben.
25 26 27 28 29 30
Zum Eintrittsalter der Kanoniker siehe Hieronimus, Das Hochstift Basel. S. 1. Siehe ebda, S. 15. Siehe ebda, S. 14. Siehe ebda, S. 73 sowie S. 11, Anm. 1. Siehe ebda. Die Daten zu Lüthold II. von Röteln wiederum bei Bruckner u.a., Die Bischöfe von Basel, S. 177f. (mit Lit.). 31 Boos, Nr. 48, S. 27f. 32 Nach Werner Kundert (Bearb.), Das Domstift Basel, in: HS 1.1 (1972). S. 272-315, hier S. 289. Wilhelm ist vom 1.7.1219 bis zum 23.6.1236 als Stiftskämmerer bezeugt. Vom Juni 1236 bis zum März 1239 klafft somit eine Lücke von beinahe drei Jahren. Wilhelm Reich ist nach Kundert, ebda, außerdem vom 22.8.1238 bis 26.3.1252 als Domdekan nachweisbar. Als Inhaber dieses Amtes ist Konrad Göli von 1260 bis 1292 bezeugt.
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Konrad Göli wird etwa fünf Jahrzehnte lang Kämmerer bleiben und sein Ausscheiden die Auflösung dieses Amtes nach sich ziehen. 33 Rückschlüsse auf Konrads Aufgaben und Tätigkeiten als Stiftskämmerer ergeben sich aus den Verwaltungsstrukturen des Domkapitels: Seit der Mitte des 11. Jahrhunderts sind sporadisch erfolgte Abtretungen von Kirchengut zugunsten des Domkapitels nachweisbar.34 Weitere Besitzungen kamen als Schenkungen zu dem im Laufe der Jahre zunehmend größer werdenden Vermögenskomplex der Domherren. Mit der Trennung von bischöflicher und stiftischer Verwaltung wurden schließlich auch neue Stellen geschaffen, die allein den besitzrechtlichen Interessen der Kanoniker entsprachen und personell an die Mitglieder des Kapitels gebunden waren. Seit 1185 treten neben bischöflichen Kämmerern auch stiftseigene in Erscheinung. Das aus dem Kirchengut herausgelöste Vermögen des Kapitels wurde in der Regel von der Propstei verwaltet. Dem Stiftskämmerer unterstand dagegen das von den Kanonikern dazuerworbene Vermögen. Zu den amtlichen Aufgaben
33 Nachweise der Urkunden (chronologische Reihenfolge): Boos, Nr. 48, S. 27f. (1239); Trouillat, Bd. 1, Nr. 378, S. 556ff. (1241); UB, Bd. 1, Nr. 158, S. 109 (1241); ebda, Nr. 160, S. llOf. (1241); ebda, Nr. 165, S. 114f. (1242); ebda, Nr. 167, S. 115f. (1242/43); Trouillat, Bd. 1, Nr. 384, S. 564 (1243); UB, Bd. 1, Nr. 172, S. 119 (1243/44); Trouillat, Bd. 2, Nr. 43, S. 59f. (1245); UB, Bd. 1, Nr. 192, S. 137f. (1246); Acta pontificum Helvetica. Quellen schweizerischer Geschichte aus dem päpstlichen Archiv in Rom, veröffentlicht durch die Historische und Antiquarische Gesellschaft zu Basel, Bd. 1, 1198-1268, hg. v. Johannes Bernoulli, Basel 1891, Nr. 347, S. 214 (1247); Boos, Nr. 61, S. 39f. (1248); UB, Bd. 1, Nr. 221, S. 158f. (1248); ebda, Nr. 239, S. 175f. (1250); ebda, Nr. 240, S. 176f. (1250); UB, Bd. 3. Nachträge, Nr. 29, S. 353 (1250); UB, Bd. 1, Nr. 255, S. 186f. (1252); ebda, Nr. 256, S. 187f. (1252); ebda, Nr. 296, S. 214 (1255); ebda, Nr. 331, S. 241f. (1257); Trouillat, Bd. 1, Nr. 461, S. 654f. (1258); UB, Bd 1, Nr. 349, S. 258 (1258); ebda, Nr. 371, S. 278f. (1259); UB, Bd. 2, Nr. 21, S. 13 (1269); ebda, Nr. 138, S. 74f. (1274); ebda, Nr. 139, S. 75f. (1274); ebda, Nr. 272, S. 154f. (1279); ebda, Nr. 273, S. 155f. (1279); ebda, Nr. 431, S. 247f. (1283); ebda, Nr. 455, S. 263 (1284); ebda, Nr. 456, S. 263f. (1284); ebda, Nr. 508, S. 289f. (1285). Guy P. Marchai, St. Peter in Basel, in: HS 2.2 (1977), S. 131-150, hier S. 135, nennt als frühestes Ausstellungsdatum einer Urkunde irrtümlicherweise erst den 17.10.1241, als letztes belegtes Datum den 21.12.1285. Die Auflösung des Kämmereramtes geht aus einem Statut über die Obliegenheiten verschiedener Amter hervor, das am 7. November 1289 ausgestellt wurde (UB, Bd. 3, Statuten des Basier Domstifts, Nr. 2, S. 329-332, hier S. 330), wo es unter Officium camararii heißt: Hoc officium extin[c]tum est. Die Auflösung des Kämmereramtes erfolgte vielleicht schon 1285; vgl. hierzu Kundert, Das Domstift Basel, S. 289, wonach 1285 eine neue Reihe vom Domkustoden einsetzt, die nach ebda, S. 306, die Aufgaben der camerarii wahrgenommen haben. Nach Hieronimus, Das Hochstift Basel, S. 82, wurde das Kämmereramt in der Folgezeit von einem als procurator fungierenden canonicus (später Domkaplan) versehen. Hierzu siehe auch unten, S. 103. 34 Zum Folgenden siehe den kurzen Überblick bei Bioesch, Das Anniversarbuch, Bd. 1. S. 15-20; zum Kämmereramt siehe auch Hieronimus, Das Hochstift Basel, S. 12f., 80-84.
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gehörten die Verleihung der zur Kammer gehörigen Güter, das Einziehen der Zinsen, die Ablieferung der Erträge sowie eine Art Schiedsrichtertätigkeit unter den Zinsleuten. Der camerarius fungierte somit als der eigentliche Finanzbeamte des Kapitels. Neben diesem Amt gab es weitere Verwaltungsressorts: Die Domherrengemeinschaft wählte aus ihrer Mitte sechs dignitates und zwei officio. Das erste officium haben wir als Amt des Stiftskämmerers bereits kennengelernt, das zweite wird mit dem Titel cellerarius bezeichnet, wurde aber schon im 12. Jahrhundert abgeschafft und ging wohl in der Stiftsverwaltung auf.35 Die Dignitäten waren wie folgt organisiert: Der praepositus amtierte als erster Prälat des Domstifts. Er stand dem Domkapitel und der Stiftsverwaltung vor. Der decanus leitete den Chordienst (Tageszeiten und Messen) und war Disziplinarvorgesetzter aller Stiftsgeistlichen. Der cantor leitete den Chorgesang, während der archidiaconus die geistliche Gerichtsbarkeit des Domstifts ausübte, die in Konkurrenz zur bischöflichen (durch den Offizial ausgeübten) stand. Als Verwalter des Kirchenschatzes fungierte der custos, der auch Vorgesetzter der Münsterbauhütte war, gefolgt vom Leiter der Domschule, dem scolasticus, der zugleich die Tätigkeiten eines Sekretärs wahrnahm. Von den seit 1185 bezeugten bischöflichen camerarii und den stiftischen Vermögensverwaltern sind zusätzlich die Mitglieder der Basler Familie 'Kämmerer' (camerarius) zu unterscheiden.36 Das Amt des bischöflichen Kämmerers galt als eines der officiati principales, als erbliches und in Form eines Lehens vergebenes Ehrenamt. Inhaber waren in der Regel einflußreiche Lehensträger des Bischofs, die dem hohen Adel angehörten, aber nur bei außerordentlichen Anlässen in Erscheinung traten, während die eigentlichen Amtstätigkeiten von untergeordneten Dienstleuten wahrgenommen wurden. Ihre lateinischen Titel lauten entsprechend submarescalcus, subcamerarius, subpincerna, subdapifer und magister coque.37 Als Vorbild für die Ämter am Bischofshof galt die kaiserliche Hofhaltung mit dem Marschalk, dem Schenken, dem Truchsessen, dem Pfalzgrafen und dem Küchenmeister.38 Der Basler Name 'Kämmerer' belegt, daß einzelne Sippen im Lau35 Nach Bioesch, Das Anniversarbuch, Bd. 1, S. 20, kontrollierte und verteilte der cellerarius das von der Propstei gelieferte Getreide und den Wein unter die Domherren. Zur Auflösung dieses Stiftsamtes siehe Hieronimus, Das Hochstift Basel, S. 13. Dem widersprechen allerdings zahlreiche Erwähnungen von Amtsträgern noch im 13. Jahrhundert. 36 Siehe ebda, S. 83f. 37 Siehe ebda, S. 83. 38 Nach Martin Alioth, Ulrich Barth u. Dorothee Huber, Basler Stadtgeschichte, Bd. 2: Vom Brückenschlag 1225 bis zur Gegenwart, hg. v. Historischen Museum, Basel 1981, S. 21; zu den Hofamtern vgl. A. Laufs, Art. 'Hofamter', in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte 2 (1978), Sp. 197-200.
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fe der Zeit die Amtstätigkeit ihrer Mitglieder mit in ihre Herkunftsbezeichnung aufgenommen haben.39 Die bis 1248 dauernde Herrschaft Lütholds von Röteln fällt in eine politisch unruhige Epoche der Basler Stadtgeschichte, die gerade auch für Konrad Göli nicht ohne Folgen blieb:40 Bereits während des Konflikts zwischen Papst Gregor IX. (1227-1241) und Kaiser Friedrich II. (1212-1250) kirchentreu, gehörte der Basler Bischof auch unter dem Pontifikat Innozenz' IV. (1243-1254) zu den Parteigängern Roms. Als Innozenz Friedrich II. am 17. Juli 1245 in Lyon für abgesetzt erklärte, war unter den wenigen deutschen Prälaten bezeichnenderweise auch Lüthold von Röteln anwesend.4' Wie es scheint, hielt auch das Basler Domkapitel zur päpstlichen Partei. Neben dem Dompropst Heinrich von Veseneck und dem Domdekan Wilhelm Reich gehörte Konrad Göli zu den unmittelbaren Nutznießern dieser Parteinahme. Als „Vorkämpfer der Kirche" wurden sie mit Provisionen aller Art, mit der Gestattung des Besitzes mehrerer Pfründen und „schönsten Lobpreisungen" belohnt.42 Eine von Papst Innozenz IV. am 22. Mai 1247 in Lyon ausgestellte Urkunde enthält eine an den Basler Bischof gerichtete Anweisung, den dilectus filius Cunradus ecclesie Basiliensis camerarius mit einer geistlichen Würde in Stadt oder Diözese Basel auszustatten.43 Die offenbar eher mit dem staufischen Lager sympathisierende Bürgerschaft geriet in Opposition zur Geistlichkeit. Die zunehmenden Spannungen eskalierten 1246 in der gewaltsamen Einnahme der Burg Landser (südöstlich Mulhouse), die sich im Besitz von Anhängern des Gegenkönigs Heimich Raspe (1246-1247) befand. Auch zwischen Bischof und Bürgerschaft kam es bald zu handfesten Feindseligkeiten: Die Bürger besetzten den Münsterhügel, zerstörten den bischöflichen Palast und bedrängten die städtische Geistlichkeit. Lüthold von Röteln holte zum Gegenschlag aus: Als die Angreifer sich weigerten, Buße zu tun und Entschädigungen zu leisten, wurde Basel mit dem Interdikt belegt. Der Papst bestätigte Lütholds Bannspruch und schaltete außerdem den Straßburger Bischof ein. Im Frühjahr 1248 gaben die Bürger ihren Widerstand auf und traten in Verhandlungen ein, die schließlich mit einer Aussöhnung endeten. Ein Vergleich der politischen Verhältnisse vor und nach dem Konflikt deutet eine veränderte Macht39 Hieronimus, Das Hochstift Basel, S. 83. 40 Zum Folgenden siehe bes. WACKERNAGEL, Bd. 1. S. 25-30; weiter: Bruckner u.a.. Die Bischöfe von Basel, S. 177f. (mit Lit.). 41 Zu den Auseinandersetzungen zwischen Kaiser und Papst siehe etwa Bruno Gebhardt, Handbuch der deutschen Geschichte, 9. neu bearb. Aufl., hg. v. Herbert Grundmann, Bd. 1, Stuttgart 1970, § 141, S. 457-460. 42 Nach WACKERNAGEL, Bd. 1, S. 26. 43 Druck: Acta pontificum, Nr. 347, S. 214.
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konstellation an: Der städtische Rat wurde durch das Vogtsgericht ersetzt, und der Vogt selbst trat nun als Vorsteher der Stadt in Erscheinung. Die Wahl der Ratsherren und Richter wurde unabhängig vom Bischof durchgeführt. Ihre Kollegien wurden jährlich wiedergewählt. Die Interessenvertretung der Bürger war damit stärker geworden. Die Kehrseite dieser 'innenpolitischen' Stärkung bestand allerdings in der Abkoppelung von der Reichspolitik sowie in einer wachsenden Abhängigkeit vom Bischof. Die aus dieser Zeit erhaltenen Belege zu Konrad Göli lassen seine Parteinahme zugunsten des Papstes nicht deutlich erkennen. 44 Nach den gewalttätigen Auseinandersetzungen ist der stiftische Kämmerer nur noch in einer einzigen Urkunde Lütholds von Röteln nachweisbar. Es handelt sich hierbei um eine Bestätigung der Basler Metzgerzunft, die der Bischof am 2. Juni 1248 ausstellte. 45 Dieser und ein zweiter Stiftungsbrief, der aus dem gleichen Jahr datiert und die Zunft der Bauleute (Maurer, Gipser, Zimmerleute, Faßbinder, Wagner) genehmigt, deuten auf den wachsenden Einfluß handwerklicher Organisationen, die nach wie vor unter bischöflicher Kontrolle standen. 46 Schon Heinrich von Thun war als Förderer des Lokalgewerbes in Erscheinung getreten. 47 Die Bildung der Zünfte war um die Mitte des 13. Jahrhunderts weitgehend abgeschlossen. 48 Die beiden Stiftungsbriefe markieren zugleich das Ende von Lütholds Amtszeit. Im Juni 1248 dankte er ab und starb am 16. Januar 1249.49 Schon am 31. März 1248 hatte der Papst Berthold von Pfirt, den Sohn des Grafen Friedrich II. von Pfirt, zum coadiutor Lütholds bestellt.50 Bevor der ehemalige Domherr im Juni 1249 die Nachfolge Lütholds antrat, nahm er gegenüber der Basler Bürgerschaft als capitaneus et dtfensor die Rolle eines Stadthauptmanns ein.51 Berthold regierte bis zum Sommer 1261 und übergab
44 Trouillat, Bd. 1, Nr. 378, S. 556ff. (1241); UB, Bd. 1, Nr. 158, S. 109 Nr. 160, S. 11 Of. (1241); ebda, Nr. 165, S. 114f. (1242); ebda, Nr. (1242/43); Trouillat. Bd. 1, Nr. 384, S. 564 (1243); UB, Bd. 1, Nr. (1243/44); Trouillat, Bd. 2, Nr. 43, S. 59f. (1245); UB, Bd. 1, Nr. 192. S. Boos, Nr. 61. S. 39f. (1248).
(1241); ebda, 167. S. 115f. 172. S. 119 137f. (1246);
45 UB, Bd. 1, Nr. 221, S. 158f. 46 Zur Geschichte der Basler Handwerkerverbände siehe etwa WACKERNAGEL, Bd. 1, S. 95-109; zu den Zunftbriefen siehe bes. S. 102f. 47 Siehe ebda. 48 Siehe ebda, S. 103. 49 Siehe Rosen, Chronik von Basel, S. 9; Bruckner u.a.. Die Bischöfe von Basel. S. 177f. Die letzte Urkunde Lütholds (Zunftbrief für die Basler Metzger) datiert demnach vom 2.6.1248, und sein Rücktritt muß vor dem 27.6.1248 erfolgt sein. 50 Zum Episkopat Bertholds II. von Pfirt siehe Bruckner u.a., Die Bischöfe von Basel, S. 178ff. 51 Vgl. WACKERNAGEL, Bd. 1, S. 29ff.
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- durch einen Schlaganfall amtsunfähig geworden - sein Amt an Heinrich von Neuenburg. Unter Berthold von Pfirt erweitert sich Konrad Gölis Wirkungsfeld: Seit dem 22. Januar 1252 ist er als Propst des Basler Stifts St. Peter nachweisbar,52 während er noch im Jahr 1250 lediglich als Stiftskämmerer urkundet.53 Die 1250 gefertigte Urkunde bietet allerdings keine Gewähr, da nicht jede Bezeugung Konrads Titel vollständig auffuhrt. Zuverlässigere Datierungsansätze gewähren Urkunden, die Konrads Amtsvorgänger erwähnen. Es handelt sich hierbei um einen gewissen Hugo, der von 1219 bis 1250 als Domkantor bezeugt ist und bis zum 9. Juni 1249 als Propst von St. Peter auftritt.54 Konrad Göli hat die Propstei also nach diesem Zeitpunkt, spätestens jedoch im Januar 1252 übernommen. Allem Anschein nach hat der neue praepositus das Amt bis zu seinem Tod, der vermutlich auf den 30. Januar des Jahres 1295 fällt, bekleidet.55 Er amtierte somit mehr als vier Jahrzehnte als Leiter und Vorsteher der zu Beginn der 30er Jahre des 13. Jahrhunderts zum Stift erhobenen Pfarrkirche 52 UB, Bd. 1, Nr. 255, S. 186f.; vgl. auch die Liste der Pröpste bei Guy P. Marchai. St. Peter in Basel, S. 135. 53 UB, Bd. 1, Nr. 239, S. 175f.; ebda, Nr. 240, S. 176f.; UB, Bd. 3. Nachträge. Nr. 29. S. 353; der unsichere Beleg UB, Bd. 3, Nachträge. Nr. 33. S. 354f.. dessen Datierung von 1252 bis 1290 schwankt, ist letztlich kaum brauchbar. 54 Siehe Marchai. St. Peter in Basel, S. 135. Konrads Amtsvorgänger trug demnach den Magistertitel und wohnte am Münsterplatz. Offensichtlich bestand keine Residenzpflicht zu St. Peter. 55 Ebda. Nachweise der Urkunden (chronologische Reihenfolge): UB. Bd. 3, Nachträge. Nr. 33, S. 354f. (1252-90) [Zuortfung und Datierung unsicher]; UB. Bd. 1. Nr. 255. S. 186f. (1252); ebda. Nr. 264, S. 191f. (1253); ebda. Nr. 277. S. 201f. (1254); ebda. Nr. 291, S. 210 (1255); UB, Bd. 3, Nachträge, Nr. 39. S. 356 (1255); UB, Bd. 1. Nr. 294. S. 213 (1255); ebda, Nr. 308, S. 221f. (1256); ebda, Nr. 309. S. 222f. (1256); ebda. Nr. 331, S. 241 f. (1257); ebda, Nr. 336, S. 244f. (1258); ebda. Nr. 343. S. 249f. (1258); ebda, Nr. 349, S. 258 (1258); Trouillat, Bd. 2, Nr. 545, S. 720f. (1259); UB, Bd. 1. Nr. 375, S. 281 (1260); UB, Bd. 3, Statuten, Nr. 3, S. 336 (1261-90); UB. Bd. 1. Nr. 402. S. 300 (1261); ebda, Nr. 400, S. 298f. (1261); ebda. Nr. 401, S. 299 (1261); UB. Bd. 3. Nachträge, Nr. 62, S. 363f. (1264-70); UB. Bd. 2, Nr. 49, S. 29 (1270); ebda. Nr. 51. S. 31 (1270); ebda, Nr. 52, S. 31f. (1270); UB. Bd. 3. Statuten, Nr. 4. S. 337 (127190); UB, Bd. 2, Nr. 73. S. 41f. (1271); UB. Bd. 3, Statuten, Nr. 6, S. 339 (1273-94); UB, Bd. 2, Nr. 115. S. 60 (1273); ebda, Nr. 119. S. 62f. (1273); UB, Bd. 3. Statuten. Nr. 7, S. 339 (1274); UB. Bd. 2, Nr. 179, S. 100 (1275); ebda. Nr. 244. S. 139f. (1278); ebda, Nr. 329, S. 190f. (1280); ebda, Nr. 317. S. 179-182 (1280); ebda. Nr. 350, S. 203f. (1281); ebda. Nr. 353, S. 205ff. (1281); ebda. Nr. 395. S. 229 (1282); ebda, Nr. 415, S. 238ff. (1283); ebda, Nr. 501. S. 285 (1285); ebda. Nr. 590. S. 33If. (1287); Trouillat, Bd. 2, Nr. 359, S. 460 (1288); UB. Bd. 2. Nr. 676. S. 376 (1290); ebda. Nr. 688, S. 384 (1290); Trouillat. Bd. 2, Nr. 437. S. 563f. (1294); UB, Bd. 3, Nr. 180. S. 101 (1294); ebda. Nr. 246, S. 132ff. (1295); ebda, Statuten, Nr. 13, S. 342f. (nicht datiert; Eintrag Ende 13. Jh.); zum Sterbedatum siehe unten, S. 105f.
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St. Peter. Diese Ämterhäufiing bedarf, über die 1247 in Lyon gefertigte päpstliche Anweisung hinaus, einer Erklärung.56 Die früheste Erwähnung von St. Peter stammt aus dem Jahr 1219, doch reicht seine Entstehung möglicherweise bis ins frühe 9. Jahrhundert zurück. Die Erhebung zur Pfarrkirche dürfte zu Beginn des 11. Jahrhunderts erfolgt sein. Die Gründung des Stifts läßt sich anhand eines durch Bischof Heinrich von Thun erlassenen Statuts ersehen, das die Einrichtung der Propstei, der Kustodie, der Scholasterie sowie die Wahl der Kanoniker im Kapitel und ihre Pflichten regelt. Die Zahl der Pfründen wurde von päpstlicher Seite her festgelegt. Sie belief sich auf 16 Kanonikate, doch ist in der Folgezeit nur von 11 Pfründen die Rede. Noch vor 1241 wurde ein Dekan eingesetzt. Die Einrichtung des Dekanats steht möglicherweise mit der Vernachlässigung der Pflichten durch die dem Domkapitel angehörenden Pröpste in Zusammenhang, denn die Propstei durfte als einzige Stiftsstelle von einem Domherrn besetzt werden. Dieser fungierte als Vorsteher des Stifts, besaß doppeltes Pfründenbezugsrecht und hatte die erste Stimme im Kapitel. Seine Belastung durch laufende Geschäfte sollte möglichst gering gehalten werden. Der Propst setzte darüber hinaus alle Ämter und Kaplaneien ein; nur der Kustos und der Sakristan wurden hiervon ausgenommen. Der Dekan fungierte als Stellvertreter des Propstes. Wie aus der Besetzung der Propstei unmittelbar ersichtlich wird, war das Stift in hohem Maße vom Domkapitel abhängig. Daß Konrad Göli über sein Stiftskämmereramt hinaus die hochdotierte Propstei von St. Peter bekleidete, ist als zeittypischer Mißstand zu werten. Darauf deutet auch ein viele Jahre nach der Einsetzung Konrad Gölis erlassenes Statut: Am 10. Dezember 1274 vereinbarte man, daß in Zukunft nur noch Pröpste aus dem Kapitelsgremium von St. Peter zugelassen werden sollten. Während der Amtszeit Bertholds von Pfirt ist Konrad Göli in zahlreichen Basler Urkunden nachweisbar.57 Die erhaltenen Belege nennen zwar in der 56 Zum Folgenden siehe WACKERNAGEL, Bd. 1, S. 140-145; Guy P. Marchai. Die Statuten des weltlichen Kollegiatstiftes St. Peter in Basel. Beiträge zur Geschichte der Kollegiatstifle im Spätmittelalter mit kritischer Edition des Statutenbuchs und der verfassungsgeschichtlichen Quellen, 1219-1529 (1709), Basel 1972 (Quellen und Forschungen zur Basler Geschichte. 4), S. 131 f.; Besprechung dieser Arbeit: Kaspar Elm, St. Leonhard und St. Peter in Basel. Neue Beiträge zur Geschichte des hoch- und spätmittelalterlichen Kanonikertums, in: FDA 99 (1979). S. 499-512. 57 Nachweise der Urkunden (chronologische Reihenfolge): UB, Bd. 1. Nr. 239. S. 175f. (1250); ebda, Nr. 240, S. 176f. (1250); UB, Bd. 3, Nachträge, Nr. 29, S. 353 (1250); ebda. Nachträge, Nr. 33, S. 354f. (1252-90); UB, Bd. 1. Nr. 255. S. 186f. (1252); ebda. Nr. 256, S. 187f. (1252); ebda, Nr. 264, S. 191f. (1253): ebda. Nr. 277, S. 201f. (1254); ebda, Nr. 291, S. 210 (1255); UB, Bd. 3, Nachträge, Nr. 39. S. 356 (1255); UB, Bd. 1, Nr. 294, S. 213 (1255); ebda, Nr. 296, S. 214 (1255); ebda, Nr. 308. S. 221 f. (1256): ebda, Nr. 309. S. 222f. (1256); ebda. Nr. 331, S. 241f. (1257); ebda. Nr.
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Regel seinen Namen, lassen darüber hinaus aber kaum Einblicke in sein Leben oder seine Besitzverhältnisse zu. Konrad tritt als Aussteller oder Zeuge von Urkunden auf, erscheint als stiftischer Verwalter von Gütern, vidimiert zusammen mit dem Dompropst Heinrich eine Urkunde des Konstanzer Bischofs, schlichtet aber auch einen Streit zwischen dem Kloster St. Blasien (Schwarzwald) und dem Basler Domstift. Auffällig bei dieser Belegreihe ist das im Gegensatz zu den früheren Zeugnissen beinhahe konsequente Fehlen des Beinamens Göli. Nur ein am 4. November 1254 gefertigter Verkaufsvertrag zwischen einer in der Basler Ulrichsgasse begüterten Frau Lieba und dem Domstift nennt den Propst von St. Peter als Cuonradus dictus Golin.ig Das zunehmende Fehlen des Beinamens läßt sich bereits seit dem Zeitpunkt der Übernahme des Kämmereramtes beobachten.
3. Diethelm Göli: miles
Basiliensis
Die früheste urkundliche Erwähnung Diethelm Gölis datiert vom 8. Juni 1254. An diesem Tag besiegelt Bischof Berthold von Pfirt in Basel eine vor dem Schatzmeister der Kirche St. Leonhard getroffene Übereinkunft.59 Weltliche wie geistliche Personen sind hierbei vertreten: Auf der einen Seite erscheint Ritter Berthold von Baden, ein Angehöriger der gleichnamigen, wohl in Badenweiler ansässigen Adelsfamilie. Berthold schließt mit der Äbtissin und dem Konvent des Zisterzienserinnenklosters Olsberg (südlich Rheinfelden) einen Vergleich:60 Bertholds Vater Gottfried hat in Feldberg (Dorf bei 336, S. 244f. (1258); ebda, Nr. 343, S. 249f. (1258); Trouillat, Bd. 1. Nr. 461, S. 654f. (1258); UB, Bd. 1, Nr. 349, S. 258 (1258); ebda, Nr. 369, S. 277 (1259); ebda, Nr. 371, S. 278f. (1259); ebda, Nr. 375, S. 281 (1260); ebda, Nr. 383, S. 286f. (1260); UB. Bd. 3, Nachträge, Nr. 55, S. 361 (1260); Boos, Nr. 81, S. 51ff. (1260); UB, Bd. 1. Nr. 385, S. 287f. (1260); ebda, Nr. 386, S. 288f. (1260); ebda, Nr. 388. S. 290f. (1260); UB, Bd. 3, Statuten, Nr. 3, S. 336 (1261-90); UB, Bd. 1, Nr. 402, S. 300 (1261); UB. Bd. 3, Statuten, Nr. 1, S. 325f. (1261); UB, Bd. 1, Nr. 397, S. 296f. (1261); ebda, Nr. 400, S. 298f. (1261); ebda, Nr. 401, S. 299 (1261); zu dem in einzelnen Urkunden genannten Amt des Dekans, das von Konrad Göli bekleidet wurde, siehe unten. S. 95f. 58 UB, Bd. 1, Nr. 277, S. 201f. Daß der Propst von St. Peter zugleich die Würde des stiftischen camerarius bekleidet, geht allerdings schon aus UB, Bd. 1, Nr. 255, S. 186f. (22.1.1252) hervor, wo als erster Zeuge Cvonradus prepositus sancti Petri et nosler camerarius genannt wird. Zum Inhalt der Urkunde siehe auch unten, S. 85f. 59 Original: Staatsarchiv Aargau; Archiv Olsberg, Urk. Nr. 23. 60 Zur Geschichte des Klosters Olsberg siehe bes. Georg Boner, Olsberg, in: HS 3.3.2 (1982), S. 831-861; Ders., Zur älteren Geschichte des Klosters Olsberg, in: Argovia 91 (1979), S. 45-99.
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Müllheim, nördlich Basel) Besitz gekauft, der zuvor einem gewissen Rüdiger von Neuenburg gehörte. Das Kloster Olsberg verfügt jedoch anscheinend über Rechte in Feldberg, denn Bertholds Vereinbarung mit dem Konvent besteht in der Rückgabe von 12 Saum Rotwein. Der Ritter soll darüber hinaus, so der Inhalt der Urkunde, bis Pfingsten die Summe von 23 Mark Silber an das Kloster entrichten, um in den Vollbesitz der besagten Güter zu gelangen. Sollte Berthold diese Summe nicht begleichen, muß er den Ertrag des kommenden Herbstes an den Olsberger Konvent abtreten. Bertholds Vater Gottfried erklärt seine Zustimmung zu der geschlossenen Übereinkunft. Es folgt eine Zeugenliste, die als erste Person Diemo, den Abt des Zisterzienserklosters Frienisberg (nordwestlich Bern), nennt.61 Nach Diemo wird Werner Nunlist, ein Zisterziensermönch, aufgeführt. Nach den Ordensleuten, die anscheinend dem Olsberger Konvent nahestehen, werden geistliche Würdenträger genannt, die ausnahmslos dem sozialen Umfeld Konrad Gölis zugeordnet werden können: Der Basier Domscholaster Heinrich, der Kanoniker Dietrich von Bergholz (beide ausdrücklich als canonici Basiiienses aufgeführt), sodaim Arnold von Blotzheim und Heinrich von Spechbach, die als rectores ecclesiarum bezeichnet werden. Arnold von Blotzheim ist nicht nur als Pleban, sondern auch als stiftischer Subkustos sowie als Chorherr von St. Peter nachweisbar,62 Heinrich von Spechbach gehörte wohl lediglich dem Chorherrenstift an.63 Es folgen die Namen der anwesenden milites: An erster Stelle erscheint Gottfried von Baden. Auf ihn folgt sein Sohn Ulrich, der Bruder Bertholds. Der an dritter Stelle aufgeführte miles Heinrich von Auggen darf als naher Verwandter des seit den 70er Jahren des 13. Jahrhunderts in Neuenburg am Rhein urkundenden Ritters Johannes Brunwart von Auggen gelten, von dem in C fünf Minnekanzonen überliefert sind.64 Am Schluß der Zeugenliste wird Diethelmus Golinus genannt. Die Funktion seiner Zeugenschaft ist schwer zu bestimmen. Steht er in irgendwelchen Beziehungen zu den Herren von Baden, zum Kloster Olsberg, zum Basler Domkapitel oder gar zum Bischof? Die Urkunde selbst gibt keine direkte Auskunft. Für Beziehungen zum Domstift spricht Konrad Gölis exponierte Stellung innerhalb der Domherrengemeinschaft. Spätere Urkunden werden Diethelms Ministerialenverhältnis zum Bischof belegen. Ob sich seine Zeugenschaft in solchen Beziehungen erschöpft, ist allerdings fraglich. Die 61 Vgl. Emil A. Erdin, Frienisberg. in: HS 3.3.1 (1982), S. 128-141, wo ein im Jahr 1253 als Abt bezeugter T. aufgeführt wird. Dieser wird wohl mit Diemo identisch sein. 62 Siehe UB, Bd. 1, S. 381, wo seine Amter aufgeführt sind. 63 Ebda, S. 418. 64 Zu Brunwart von Auggen vgl. Bärmann/Lutz, Ritter Johannes Brunwart von Auggen, bes. S. 57 (Stammtafel der Herren von Auggen). Heinrich von Auggen könnte der Bruder Rudolfs sein. Die beiden Ritter veräußerten im Jahr 1236 dem Kloster Olsberg das gleichnamige Dorf. Siehe hierzu bes. Boner, Zur älteren Geschichte, S. 74-77.
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Tatsache, daß Diethelm in späterer Zeit miles de Baden genannt wird, spricht dafür, daß er wie Gottfried, Berthold und Ulrich von Baden aus Badenweiler stammt.65 Berührte die 1254 getroffene Übereinkunft vielleicht Besitzrechte, welche die Anwesenheit Diethelms als Mitglied der Badener Partei erforderten? Um eine Antwort auf diese Frage geben zu können, muß die Familiengeschichte der Herren von Baden hinsichtlich möglicher Berührungspunkte mit Basel und den Verwandten Diethelms untersucht werden. Zwei Haupthindernisse erschweren die Auswertung der entsprechenden Quellen: Die wenigen erhaltenen Belege zur Landschaft und ihrer Bevölkerung sowie zum Stammsitz und der genealogischen Abfolge der Herren von Baden werfen an sich schon schwerwiegende methodische Probleme auf. Zum Beispiel sind vor dem Beginn des 12. Jahrhunderts nur in Einzelfällen Personen zu ermitteln, die als Bewohner Baden(weiler)s in Frage kommen. Zum zweiten können zahlreiche Erwähnungen diesem Ort gar nicht zweifelsfrei zugewiesen werden. Wie die folgenden Ausführungen zeigen sollen, gehen diese (in älteren Darstellungen oft leichtfertig übergangenen) Widrigkeiten nicht nur auf die Namensgleichheit verschiedener Orte, sondern auch auf die prinzipiell erschließbare topographische Zusammengehörigkeit verschiedennamiger Ortschaften zurück: Werden die Bezeichnungen Baden bzw. Wiler in Urkunden genannt, muß von Fall zu Fall entschieden werden, ob der jeweilige Beleg Badenweiler oder den unmittelbaren Nachbargemeinden Ober- und Niederweiler oder aber einem anderen gleichnamigen Ort (ζ. B. Baden im Aargau) zuzuweisen ist. Diesen Unsicherheiten kommt aber letztlich keine entscheidende Bedeutung zu: Im 12. und 13. Jahrhundert sind Personen greifbar, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf den Stammsitz der Herren von Baden zu beziehen sind und deren genealogische Abfolge relativ verläßlich rekonstruiert werden kann. Die Reihe der erhaltenen Zeugnisse beginnt mit verschiedenen Aktenstücken der im heutigen Hessen gelegenen Reichsabtei Lorsch. Am 5. Dezember des Jahres 774 wird dort eine Schenkungsurkunde gefertigt, die besagt, daß ein gewisser Reginbert, über den nichts Näheres bekannt ist, alle seine in der Breisgauer Gemarkung Weiler (Villaner marca) gelegenen Hofreiten, Weingärten, Leibeigenen, Wohnhäuser und Wirtschaftsbauten der Benediktinerabtei als Stiftung übereignet.66 Zu dieser Schenkung gehört auch eine auf der 65 Siehe oben, S. 26 (mit entsprechenden Verweisen). 66 Ubersetzung der Urkunde in: Lorscher Codex. Deutsch. Urkundenbuch der ehemaligen Fürstabtei Lorsch, nach dem lat. Text der Urschrift wiedergegeben v. A. Lamey (17681770) u. K. Glöckner (1929-1936), Überarb. nach Fotokopien sämtlicher 458 Seiten des
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Gemarkung befindliche Basilika. Bezeichnet die Villaner marca Ober- bzw. Niederweiler, oder stellt der Beleg die früheste urkundliche Erwähnung Badenweilers dar?67 Die Erwähnung einer Basilika dürfte in diesem Zusammenhang von entscheidender Bedeutung sein: Bei den Fundamentierungsarbeiten zur evangelischen Kirche in Badenweiler entdeckte man 1892 außer römischem Mauerwerk auch Reste von Vorgängerkirchen.68 Die beiden älteren Bauten stammen aus den Jahren 1783/85 sowie aus gotischer Zeit. Innerhalb des gotischen Achteckchors ist eine halbrunde Apsis erkennbar, die durchaus zu der im Jahr 774 erwähnten Basilika gehört haben könnte. Oberweiler besaß zu keiner Zeit eine eigene Kirche, Niederweiler erst um 1360/70 eine Kapelle. Eine weitere Schenkung zugunsten der Lorscher Benediktinerabtei datiert um das Jahr 780. An einem 31. Januar übereignet ein Rentwich dem Kloster alle seine in den Breisgauer Gemarkungen Zunzingen (bei Müllheim) und Wilare gelegenen Hofreiten und Weingärten.69 Rentwichs Stiftung umfaßt außerdem acht Leibeigene. Bewirtschaften diese die Güter des Stifters? Die Ortsbezeichnung Wilare dürfte auf Ober- oder Niederweiler zu beziehen sein. Die beiden Schenkungen belegen, daß Lorsch seinen in der Umgebung Badenweilers liegenden Grundbesitz noch unter Karl dem Großen (gest. 814) ausdehnen konnte. Bereits am 1. Januar 781 wird in Lorsch eine dritte Schenkungsurkunde ausgestellt: Nun erscheint ein gewisser Diatpalt als Stifter, der dem Konvent einen Weinberg in der Wilere marca übereignet.70 Eine ungleich bedeutendere Stiftung datiert vom 26. Mai des Jahres 789: Eine Frau namens Adelgart vermacht dem Kloster zwei Dörfer, nämlich Wilere und das nördlich von Müllheim gelegene Betberg.71 Die Schenkung umfaßt alle zugehörigen Fluren, den Anteil an der dortigen Kirche, Leibeigene, Wohnhäuser, Wirtschaftsbauten, Weingärten, Wälder, Gewässer, Wiesen und überhaupt alles bepflanzte und unbepflanzte Land. Mit dieser umfangreichen Güterübereignung endet die Reihe der datierbaren Lorscher Schenkungsurkunden, soweit sie Badenweiler oder die un-
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Originals; ins Deutsche übertr. v. Karl Josef Minst, Bd. 4, Lorsch 1970, Urk. Nr. 2707, S. 211. Vgl. hierzu Helmut Bender, Karl-Bernhard Knappe u. Klauspeter Wilke, Burgen im südlichen Baden. Freiburg 1979, S. 17, wo behauptet wird, Badenweiler würde erstmals im Jahr 775 [sie!] in den Lorcher [sie!] Klosterakten im Zusammenhang mit dem Bau einer Kirche genannt. Diesen Hinweis, aber auch die nachstehenden Informationen verdanke ich Herrn Johannes Helm (Badenweiler). Lorscher Codex, Bd. 4, Nr. 2692, S. 206f. Ebda, Nr. 2659, S. 197. Ebda, Nr. 2658, S. 197. Betberg ist heute Teilort der Gemeinde Buggingen.
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mittelbare Umgebung des Ortes betreffen könnten. Eine Hubenliste des Klosters nennt zwar noch Heimonis Wilre als breisgauische Besitzung; ob es sich hierbei jedoch um Grundbesitz in der Gegend um Badenweiler handelt, bleibt offen. 72 Die Liste gibt den Umfang der Besitzung ohnehin nur mit einer halben Hube an, welche laut Angaben Tragbütten lieferte. Das fragliche Gut steht also in keinem Verhältnis zu den umfangreichen Schenkungen zwischen 774 und 789. Eine wesentlich jüngere Erwähnung Ober- bzw. Niederweilers hat sich in der um das Jahr 993 gefertigten Stiftimgsurkunde des bei Badenweiler gelegenen St. Cyriak-Klosters in Sulzburg erhalten, die (den breisgauischen Grafen?) Pyrtilo als Stifter und Donator nennt. Die Liste der dem Konvent übereigneten Besitzungen nennt an erster Stelle Güter zu Uuilare,73 Wo diese Besitzungen liegen, ist nicht genau zu bestimmen. Handelt es sich wirklich um die Gemarkung Badenweiler, wie der Editor der Urkunde anmerkt?74 Auch eine am 28. März des Jahres 1008 gefertigte Urkunde weckt Zweifel. 75 Wiederum erscheint Pyrtilo als Donator zugunsten des Sulzburger Konvents. Er stattet das Kloster mit umfangreichen Besitzrechten aus, und Wilare gehört zu einer ganzen Gruppe von Gemarkungen, in denen Sulzburg Eigentumsrechte übertragen bekommt. Die Urkunde verfügt darüber hinaus die Inkorporation des Klosters in das Hochstift Basel. Zu dieser Zeit betrieb man in der Gegend um Badenweiler bereits den Silberbergbau. 76 Im Jahr 1028 ist ausdrücklich von der dortigen Silberförderung die Rede, als Konrad II. (1024-1039) dem Hochstift Basel verschiedene breisgauische Silberminen übereignet, darunter diejenige in
72 Lorscher Codex, Bd. 5, Lorsch 1971, Nr. 3657, S. 240f. 73 Trouillat, Bd. 1, Nr. 83, S. 137; zum Problem der Identifizierung Pyrtilos siehe Thomas L. Zotz, Der Breisgau und das alemannische Herzogtum. Zur Verfassungs- und Besitzgeschichte im 10. und beginnenden 11. Jahrhundert, Sigmaringen 1974 (Vorträge und Forschungen. Sonderband. 15), S. 179-182; zur Klostergründung siehe ebda, S. 49f. Ebda, S. 47, 139, 165, wird übrigens ein Ende 994 erfolgter Besuch Ottos III. in Badon (Baden-Baden oder Badenweiler?) behandelt. 74 Trouillat, Bd. 1, Nr. 83, S. 137, Anm. 3. Anders Zotz, Der Breisgau, S. 49, 193 (Gallenweiler bei Staufen). 75 Trouillat, Bd. 1, Nr. 93, S. 149f. 76 Zum Silberbergbau in der Region siehe Franz Kirchheimer, Das Alter des Silberbergbaus im südlichen Schwatzwald, Freiburg 1971; über den in römischer und karolingischer Zeit bei Sulzburg erfolgten Abbau von Silber siehe vorläufig den kurzen Bericht von Holger Busche-Beck, Im Sulzbachtal auf Suche nach dem „Schatz im Silberberg". Die Römer bauten die ersten Bergwerkschächte vor 1700 Jahren, in: Badische Zeitung/Stadtausgabe Nr. 181 (7.8.1992), S. 22.
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valle SulzJberc, Baden.11 Am 20. Mai des Jahres 1073 bestätigt Heinrich IV. (1056-1106) die früher erfolgten Übereignungen,78 wobei Baden nach wie vor als stiftseigener Förderbetrieb genannt wird. Als Lothar III. (1125-1137) am 24. Juni 1131 wiederum eine Bestätigungsurkunde ausstellen läßt, haben sich die Eigentumsverhältnisse der Silbermine anscheinend noch immer nicht geändert.79 Wie die Urkunden zeigen, ist der Ortsname Baden erst seit dem Jahr 1028 urkundlich nachweisbar. Die früher erfolgten Erwähnungen eines Ortes namens Wilare können sich aber durchaus auf dasselbe Tal beziehen, auch wenn sie möglicherweise Nachbargemeinden Badenweilers bezeichnen. Die ältesten urkundlichen Zeugnisse belegen als Grundherrschaften die Konvente Lorsch und Sulzburg, während in späterer Zeit das Hochstift Basel dort die Förderung von Silber betrieb. Daß die Aufsicht über den Silberbergbau sowie die Verwaltung Badenweilers in den Händen einer ortsansässigen Ministerialen- bzw. Adelsfamilie lag, erscheint plausibel, auch wenn gesicherte Hinweise fehlen. Der eigentliche Stammsitz der Herren von Baden wird möglicherweise erstmals im Jahr 1122 als Castrum Badin erwähnt.80 Da die Zuordnung nach Badenweiler nicht mit letzter Sicherheit gewährleistet ist, bestehen Zweifel an der frühen Existenz der Burg: Am 26. Dezember 1122 wird, so der Inhalt der betreffenden Urkunde, in Castro quod vulgari Lingua Badin nuncupatur ein Streit beigelegt: Rüdiger, ein Dienstmann der Herzöge von Zähringen seit 1100 die Besitzer Badenweilers?81 - hat sich kurz vor seinem Tod in den Konvent des Klosters St. Peter (bei Freiburg) aufnehmen lassen. Herzog Konrad von Zähringen schlichtet nun eine Erbauseinandersetzung zwischen St. Peter und Rüdigers Nachkommen. Bei dem genannten Ausstellungsort muß nicht unbedingt das Castrum in Badenweiler gemeint sein, denn auch
77 Trouillat, Bd. 1, Nr. 103, S. 161; zu dieser Urkunde siehe neuerdings Alfons Zettler, Die historischen Quellen zum mittelalterlichen Bergbaugeschehen, in: Freiburger Universitätsblätter 109 (1990), S. 59-78. 78 Trouillat, Bd. 1, Nr. 125, S. 188f. 79 Ebda, Nr. 173, S. 258f. 80 Abdruck der Urkunde in: Johann Friderich Schannat, Vindemiae Literariae, hoc est veterum monumentorum ad Germaniam Sacram praecipue spectantium collectio prima, Fuldae et Lipsiae 1723. Nr. 2, S. 161; zu den im Breisgau gelegenen Burgen siehe jetzt Alfons Zettler, Die Burgen im mittelalterlichen Breisgau. Ein Forschungsprojekt der Abteilung Landesgeschichte am Historischen Seminar, in: Archäologie und Geschichte des ersten Jahrtausends in Südwestdeutschland, hg. v. Hans Ulrich Nuber, Karl Schmid, Heiko Steuer u. Thomas Zotz, Sigmaringen 1990 (Archäologie und Geschichte. Freiburger Forschungen zum ersten Jahrtausend in Südwestdeutschland. 1), S. 219-256. 81 Vgl. Faber, Badenweiler, S. 27; Müller, Burgen, S. 103.
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die an der Oos gelegene gleichnamige Burg kommt in Frage.82 Immerhin darf bereits für diese Zeit die Existenz einer Burg Badenweiler angenommen werden. Wurde sie - eventuell über einem Vorgängerbau aus römischer Zeit - erst von den Herzögen von Zähringen erbaut, oder existierte hier bereits in karolingischer Zeit eine Schutzburg, die strategischen Zwecken diente?83 Von Zähringen (bei Freiburg) und Freiburg aus führte dem Westrand des Schwarzwaldes entlang ein Weg bis nach Rheinfelden (östlich Basel), der durch Militärbauten geschützt werden konnte. Als Bewohner der Burg kommen zähringische Dienstmannen in Frage.84 Wenige Jahre nach der unsicheren Erwähnung der Burg sind Personen bezeugt, die sich de Baden nennen. Bei ihnen handelt es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um Dienstmannen der Zähringer. Mit einer im Jahr 1130 gefertigten Urkunde beginnt eine ganze Reihe von Zeugnissen.85 Die Urkunde betrifft eine Übereinkunft zwischen dem Konstanzer Bischof und dem Abt des Benediktinerklosters St. Blasien über dessen neugegründete Propstei Bürgeln (südlich Badenweiler) und nennt einen Otto de Badin sowie Rodolfus de Badin. Ob und wie die beiden Badener genealogisch in Beziehung stehen, bleibt ungeklärt. Rudolf (derselbe?) ist noch im gleichen Jahr zusammen mit seinem Bruder Berthold nachweisbar; zur selben Zeit ist ein Heinricus de Baden ex hominibus ducis - als zähringischer Dienstmann - bezeugt.86 Dieser Heinrich ist vielleicht mit einer im Jahr 1152 erwähnten Person gleichen Namens identisch.87 Der zu Beginn des 13. Jahrhunderts gefer82 Siehe hierzu bes. Eduard Heyck, Geschichte der Herzoge von Zähringen, hg. v. d. Badischen Historischen Kommission, Freiburg 1891 (Nachdruck Aalen 1980), S. 257. 83 Über die Baugestalt der Anlage vor 1158 ist, wie Alfons Zettler. Zähringerburgen. Versuch einer landesgeschichtlichen und burgenkundlichen Beschreibung der wichtigsten Monumente in Deutschland und in der Schweiz, in: Die Zähringer. Schweizer Vorträge und neue Forschungen, hg. v. Karl Schmid, Sigmaringen 1990 (Veröffentlichungen zur Zähringer-Ausstellung. 3), S. 95-176, hier S. 129, Anm. 168, vermerkt, angeblich nichts bekannt. Jörg Sigwart (Badenweiler), der sich neuerdings mit der Bausubstanz näher auseinandergesetzt hat, teilte mir demgegenüber brieflich mit, auf dem Burggelände ließe sich ein nahezu quadratischer Turm, der vielleicht um 1100 errichtet wurde, nachweisen. „Ein, wie auch immer um 1100 oder früher erhaltener, Vorgängerbau ist sehr wahrscheinlich - und zwar aus römischer Zeit." 84 Zur Geographie der Burg und des Römerbades siehe immer noch Otto Wittmann, Römerbad und Burg in Badenweiler im Vergleich mit Augusta Raurica (Landschaft Baugrund - Baustoffe), in: Regio Basiliensis 14/2 (1973), S. 214-252, bes. S. 231-249 (mit Lit.); weiter: G[erhard] Fingerlin, Zum römischen Badenweiler, in: Archäologische Nachrichten aus Baden 46 (1991), S. 3-16. 85 Druck: Marquard Herrgott, Genealogia diplomatica augustae gentis Habsburgica, Wien:Kaliwoda 1737, Nr. 211, S. 154f.; Johann Daniel Schöpflin, Historia Zaringo Badensis, Bd. 5, Karlsruhe 1765, Nr. 33, S. 69-72. 86 OG, S. 27 (Die Nachweise im OG meist ohne Quellenangaben!); Gerbert, Bd. 1, S. 361. 87 OG, S. 27; Gerbert, Bd. 1, S. 369.
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tigte Rotulus Sanpetrinus, der älteres Urkundenmaterial überliefert, nennt an zwei Stellen einen Heinricus de Baden als Zeugen.88 Tritt hier immer wieder dieselbe Person in Erscheinung, oder gehört Heinrich einer jüngeren Generation an? Diese könnte durch einen 1145 und 1152 nachweisbaren Werner von Baden sowie durch Adalbert, der 1148 erstmals auftritt und 1164 noch gelebt haben dürfte, vertreten sein.89 Im Jahr 1148 bestimmt Herzog Konrad von Zähringen die Burg Badenweiler zur Mitgift für die Ehe seiner Tochter dementia mit dem Weifen Heinrich dem Löwen. Bereits zehn Jahre nach diesem Wechsel der Herrschaft gelangt die Burg in staufischen Besitz: Am 1. Januar 1158 tauscht Friedrich I. mit Heinrich dem Löwen am Harz gelegene Güter gegen Baden ein und wird dadurch neuer Eigentümer.90 Friedrich hat Baden wohl bald danach wieder an die Zähringer zurückgegeben.91 Nach dem Tod Bertholds V. von Zähringen (1218) wurde das Zähringererbe mehrfach geteilt.92 Baden ging zunächst in den Besitz der Grafen von Urach-Freiburg über. Im Jahr 1272 teilten Nachkommen dieser Grafen das Erbe erneut unter sich auf, und Graf Heinrich von Freiburg gelangte in den Besitz der Burg.93 Zurück zu den übrigen noch im 12. Jahrhundert bezeugten Herren von Baden: Auf den zuletzt im Jahr 1164 bezeugten zähringischen Adalbert folgt zunächst ein Conradus de Badin, der am 15. März 1168 die Übertragung eines Zinses an das Kloster St. Blasien bezeugt.94 Vermutlich derselbe Konrad wird im Jahr darauf nochmals erwähnt.95 1185 ist ein für den Konstanzer Bischof urkundender Burchardus miles de Baden nachweisbar.96 Dieser entstammte jedoch vermutlich dem aargauischen Baden. Auch die süddeutsche Herkunft eines um 1186 verstorbenen 88 Druck: Friedrich von Weech (Hg.), Der Rotulus Sanpetrinus nach dem Original im Großhferzoglichen] General-Landesarchiv zu Karlsruhe, in: FDA 15 (1882), S. 133-184, hierS. 150, 152. 89 Siehe OG. S. 27. Der Beleg von 1164 findet sich in von Weech, Der Rotulus Sanpetrinus, S. 169, wo Adalbertus de Baden als Zeuge-