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German Pages 269 [273] Year 2022
ECKHART: TEXTS AND STUDIES
VOLUME 15
Hermeneutik des lebens Meister Eckharts exegetisches programm
HERAUSGEGEBEN VON
Martina Roesner
PEETERS
HERMENEUTIK DES LEBENS
Eckhart: Texts and Studies EDITED BY
MARKUS VINZENT (King’s College, London & Max-Weber-Kolleg, Universität Erfurt)
ADVISORY BOARD
CHRISTINE BÜCHNER (Fakultät für Geisteswissenschaften, Universität Hamburg)
MARKUS ENDERS (Theologische Fakultät, Universität Freiburg)
GOTTHARD FUCHS (Kultur-Kirche-Wissenschaft, Bistümer Limburg und Mainz)
FREIMUT LÖSER
(Philosophisch-historische Fakultät, Universität Augsburg)
DIETMAR MIETH (Katholisch-Theologische Fakultät, Universität Tübingen)
REGINA D. SCHIEWER (Sprach- und Literaturwissenschaftliche Fakultät, Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt)
LORIS STURLESE (Storia della filosofia medievale, Università del Salento)
RUDOLF K. WEIGAND (Sprach- und Literaturwissenschaftliche Fakultät, Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt)
Eckhart: Texts and Studies VOLUME
Hermeneutik des Lebens Meister Eckharts exegetisches Programm
HERAUSGEGEBEN VON
MARTINA ROESNER
PEETERS LEUVEN — PARIS — BRISTOL, CT
ISBN ---- eISBN ---- D/// A catalogue record for this book is available from the Library of Congress. © , Peeters, Bondgenotenlaan , B- Leuven, Belgium
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Inhaltsübersicht Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
VII
Theo Kobusch Der verborgene Sinn. Philosophische Wahrheit in den Bibelkommentaren Meister Eckharts . . . . . . . . . . .
Martina Roesner Das „Buch der Natur“ als hermeneutischer Schlüssel in Eckharts Schriftauslegung . . . . . . . . . . . . . . . . .
Christian Ströbele „Moraliter intellecta“. Meister Eckharts lebenspraktisch orientierte Schriftauslegung im Opus tripartitum . . . . .
Markus Vinzent Die Schrift als Leben und das Leben als Schrift bei Meister Eckhart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Maxime Mauriège Scholastische Schriftauslegung als Darbietung geistlicher Nahrung in der frühen akademischen Predigttätigkeit des Bruders Eckhart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Walter Senner OP (†) Meister Eckharts seelsorgerische Schriftauslegung . . . . .
Ludger Schwienhorst-Schönberger Eckhart als Exeget? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Karl Heinz Witte Eine Lectio Meister Eckharts über die Affektivität in Vernunft, Verstand und Sinnlichkeit (Liber parabolarum Genesis, Kap. ) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I NHALTSÜBERSICHT
Reiner Manstetten Die Leerstelle im Denken. Übung und Erfahrung bei Meister Eckhart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Einleitung
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en meisten Menschen ist Meister Eckhart vornehmlich, wenn nicht sogar ausschließlich als Mystiker und Lehrer des geistlichen Lebens bekannt. Diese Charakterisierung ist zwar keineswegs unzutreffend, doch lässt sie die Tatsache außer Acht, dass Eckhart mitnichten nur als Prediger und Seelsorger tätig war, sondern auch im Bereich der universitären Theologie und Philosophie zu den profiliertesten Denkern seiner Zeit zählte. Doch begnügt sich Eckhart nicht damit, seine pastorale Tätigkeit lediglich parallel zu seiner akademischen Arbeit zu betreiben, als handele es sich hier um zwei autonome, von unterschiedlichen Prinzipien geleitete Bereiche. Vielmehr zeichnet sich seine geistlichmystische Lehre dadurch aus, dass sie in direkter Konsequenz und bruchloser Kontinuität aus seinem philosophisch-theologischen Grundentwurf erfließt, der zum Originellsten und Ungewöhnlichsten zählt, was das scholastische Denken des Mittelalters hervorgebracht hat. Obwohl Eckhart seine akademische Ausbildung zu einer Zeit absolviert, in der die inhaltliche Unterscheidung und methodische Ausdifferenzierung zwischen biblisch fundierter Offenbarungstheologie und aristotelischer Philosophie bereits zum wissenschaftstheoretischen Gemeingut zählt, schlägt er bei seiner eigenen theologischen Arbeit doch einen anderen Weg ein. Die von ihm überlieferten lateinischen Werke bestehen zum größten Teil aus Kommentaren zur Heiligen Schrift, die allerdings in formaler wie inhaltlicher Hinsicht ein ungewöhnliches Gepräge aufweisen. So legt Eckhart die einzelnen Bücher nicht fortlaufend aus, sondern greift zumeist nur kurze, isolierte Passagen heraus, die dafür umso ausführlicher kommentiert werden. Dabei betont er jedoch, dass es ihm in seinen Werken darum gehe, die Heilige Schrift so auszulegen, dass sie mit dem übereinstimmt, was man mit den Mitteln der natürlichen Vernunft im Bereich der Metaphysik, Naturphilosophie und Ethik erkennen kann. Schon daran wird deutlich, dass die Schriftoffenbarung für Eckhart keine von der übrigen Wirklichkeit
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prinzipiell unterschiedene Größe darstellt, sondern mit den übrigen Dimensionen des Menschseins in der Welt in Einklang stehen muss. Andererseits legt Eckhart seinen deutschen Predigten stets ein Bibelzitat zugrunde und scheut nicht davor zurück, auch in diese volkssprachlichen Texte anspruchsvolle philosophisch-theologische Gedankengänge einfließen zu lassen. Eckhart, der Mystiker, kann somit von Eckhart, dem Scholastiker und Professor an der Pariser Universität, gar nicht getrennt werden – nicht zuletzt deswegen, weil Eckhart selbst einer solchen Aufspaltung zwischen einer universitären ‚Theologie für Fachleute‘ und einer pastoral orientierten ‚Theologie für das einfache Volk‘ eine klare Absage erteilt. In seinen Augen ist die Wahrheit nur eine, ganz gleich, in welcher Form und vor welchem Publikum sie artikuliert und vermittelt wird, und muss sich daher im wissenschaftlichen wie außerwissenschaftlichen Kontext gleichermaßen bewähren. Es ist daher kein Zufall, dass in Eckharts Denken der Begriff des Lebens eine zentrale Rolle spielt, der sich – damals wie heute – durch eine schillernde Bedeutungsvielfalt auszeichnet. Im Gegensatz zu anderen philosophischen Fachtermini verweist ‚Leben‘ nicht auf einen bestimmten Gegenstand oder Wirklichkeitsbereich unter anderen, sondern fungiert als Synonym für die Gesamtheit des Erfahrungskontextes in seiner vorbegrifflichen Ursprünglichkeit. Aus diesem Grunde gibt es auch kaum einen Terminus, der sich einer kritischen oder auch nur sachlichdistanzierten Betrachtung durch die denkerische Reflexion in höherem Maße zu widersetzen scheint. So breitgefächert das dem Lebensbegriff anhaftende Bedeutungsspektrum auch sein mag, so fraglos scheint doch die überall mitschwingende Konnotation des Positiven, die, so könnte man meinen, keiner argumentativen Begründung mehr bedarf. In fast allen Kontexten gilt die bloße Berufung auf die ‚Lebensnähe‘ oder ‚Lebendigkeit‘ einer Sache meist schon als ausreichendes Indiz für ihren hohen Wert, ohne dass dieser appellative Anspruch ausdrücklich gerechtfertigt würde. Dieses Vorgehen entbehrt nicht einer gewissen Logik, wenn man bedenkt, dass jede argumentative Rechtfertigung im Medium des begrifflichen Denkens stattfindet, das als Synonym jener Abstraktion gilt, von der sich die Verfechter einer wie immer verstandenen ‚Nähe zur Lebenswirklichkeit‘ gerade abgrenzen wollen. In der Philosophie des späten . und frühen . Jahrhunderts hatte das Bestreben, die faktische, individuelle Wirklichkeit gegenüber der
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Universalität des Begrifflich-Kategorialen aufzuwerten, zur Entwicklung einer ‚Lebensphilosophie‘ geführt, die sich in mehr oder weniger hohem Maße in einer kritischen Distanz zur herkömmlichen philosophischen Tradition bewegte. Das Spektrum reichte dabei von ausgesprochen antirationalen, vitalistisch-biologistischen Ansätzen über die geisteswissenschaftlich-psychologische Betrachtung historischer Individualität bis hin zu phänomenologischen Entwürfen, die die Spezifizität menschlicher Existenz gegenüber der Naturwirklichkeit keineswegs aufgeben, das Menschsein aber nicht von einer universalen ‚menschlichen Natur‘, sondern von seiner konkreten Faktizität her verstehen wollten. Damit war klar, dass die solcherart neu zu entwerfende Anthropologie nicht primär von tradierten philosophischen Texten ausgehen konnte, sondern die Bedeutung des Menschseins durch eine konkrete Analyse der Phänomene seiner faktischen Existenz gewinnen musste. Die Vorlesung mit dem Titel Ontologie. Hermeneutik der Faktizität, die der junge Heidegger im Jahr in Freiburg hielt, ist ein prominentes Beispiel für diesen Paradigmenwechsel des Denkens, das seinen Ausgangspunkt nicht mehr in erster Linie bei der hermeneutischen Interpretation philosophischer Texte nimmt, sondern die menschliche Existenz in der Welt insgesamt als ein ursprüngliches Sinngeflecht ansieht, dessen Bedeutung es zu entschlüsseln und auszulegen gilt. Im Gegensatz zu diesen tendenziell vernunftskeptischen und traditionskritischen Formen der modernen Lebensphilosophie verfolgt Meister Eckhart einen Ansatz, der bestrebt ist, gerade keine Kluft zwischen unmittelbar gelebter Erfahrung und begrifflich reflektierter Erfahrung aufzureißen. Vielmehr deutet er das ‚Leben‘ als Ausdruck einer radikal ursprünglichen Spontaneität und Freiheit, die sich in der belebten Natur der Tiere und Pflanzen ebenso manifestiert wie im geistlichen Leben des Menschen, im wissenschaftlich-spekulativen Leben des Geistes und in der überquellenden schöpferischen Dynamik des lebendigen Gottes. Insofern verweist Eckharts Lebensbegriff auf einen Einheitsgrund, der die verschiedenen Formen des menschlichen Selbst- und Weltverhältnisses zusammenhält, ohne ihre Vielfalt zu negieren.
Vgl. Martin Heidegger, Ontologie. Hermeneutik der Faktizität, Gesamtausgabe, Bd. , hg. von Käte Bröcker-Oltmanns (Frankfurt a. M., ).
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Vor diesem Hintergrund erscheint auch das Verhältnis der unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen in einem anderen Licht. Eckharts Ansatz will die verschiedenen Perspektiven der biblischen Exegese, der systematischen Theologie und der Philosophie nicht einfach miteinander verschmelzen, wohl aber sie zueinander in Beziehung setzen und aufeinander hin transparent machen. Dieses Vorhaben speist sich aus der grundlegenden Einsicht, dass die Wirklichkeit als solche in allen ihren Bereichen keinen dinglich-statischen Charakter besitzt, sondern ein Geflecht von Sinnzusammenhängen darstellt, in die der Mensch immer schon eingebunden ist, die er aber auch ausdrücklich als solche reflektieren, auslegen und in ihrem wechselseitigen Verhältnis betrachten kann. Auf diese Weise durchbricht Eckhart die Trennung der Zuständigkeitsbereiche zwischen Schriftauslegung, Systematischer Theologie, Naturphilosophie und gelebter Spiritualität und nötigt seine Zuhörer und Leser, sich mit anderen semantischen Kontexten auseinanderzusetzen als denen, die ihnen von Berufs wegen am vertrautesten sind. Für Eckhart reduziert sich die Bibel nicht auf ein schriftliches Glaubenszeugnis, sondern ist Trägerin von Vernunfteinsichten, die für alle Menschen, Gläubige wie Nichtgläubige, von grundlegender Relevanz sind. Insofern besitzt sein Denken eine besondere Aktualität gerade in unserer Zeit, die sich die Frage nach dem Verhältnis von Vernunft und Offenbarung mit besonderer Dringlichkeit stellt. Eckhart kennt in der Wahl seiner Quellen keine Beschränkungen und Begrenzungen; zitiert er doch im Rahmen seiner Schriftauslegungen die ‚heidnischen‘ Philosophen der griechischrömischen Antike und ihre jüdischen und arabischen Kommentatoren nicht weniger häufig und nicht weniger positiv als die Kirchenväter und die christlichen Scholastiker seiner Zeit. Darüber hinaus ist Eckhart aber auch bestrebt, die Aussagen der Bibel vor einem naturwissenschaftlichkosmologischen Hintergrund zu lesen und ihnen grundlegende Einsichten über die Natur der Dinge zu entnehmen. Diese für damalige wie heutige Verhältnisse ungewöhnlich breite, interdisziplinäre Ausrichtung von Eckharts Exegese entspringt der Überzeugung, dass auch das Phänomen religiöser Offenbarung nicht das schlechthin Andere zu den Prinzipien der Natur und der menschlichen Existenz darstellt, sondern sich an dasselbe ‚Organ der Gesetze‘, die Vernunft, richtet, die auch in allen wissenschaftlichen und vorwissenschaftlichen Formen der Erkenntnis und der Weltorientierung am Werk
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ist. Umgekehrt sind die materielle Natur und das menschliche Leben für Eckhart keine Phänomene, die zur Struktur des biblischen Textes schlechthin heterogen wären. Vielmehr geht es ihm darum, sämtliche Dimensionen der Wirklichkeit unter dem Gesichtspunkt einer inneren, vorsprachlichen Tiefenkommunikation zu betrachten, die es dem Menschen erlaubt, sich auf all diese verschiedenen Sinnkontexte hin auszulegen, ohne dabei eine Selbstentfremdung zu riskieren. Das Leben ist bei Eckhart somit zwar ‚ohne Warum‘, aber deshalb nicht schon ohne Sinn und ohne innere Gesetzmäßigkeit. Vielmehr entfaltet es sich in allen seinen Ausprägungsformen gemäß denselben Grundstrukturen und -rhythmen, die letztlich nichts anderes sind als ein Echo des innergöttlichen Lebens. Die Beiträge, die im vorliegenden Band versammelt sind, gehen auf eine Tagung zurück, die unter dem Titel Hermeneutik des Lebens. Meister Eckharts exegetisches Programm im Herbst an der Universität Wien veranstaltet wurde. Die interdisziplinäre Vielfalt der behandelten Themen wie auch die unterschiedlichen methodischen Herangehensweisen der Autoren spiegeln dabei die Vielschichtigkeit von Eckharts Denken wider, das sich grundsätzlich nicht auf einen einzigen Nenner bringen lässt, sondern trotz seiner inneren Einheit immer schon über sich selbst hinausweist und sich übersteigt. Der Beitrag von Theo Kobusch (Bonn) widmet sich dem eminent philosophischen Grundcharakter von Eckharts Exegese und arbeitet dessen Verbindungen zum spätantiken, patristischen Denken heraus. Für Eckhart hat die Schriftauslegung demnach keinen gesonderten, der Vernunft unzugänglichen Inhalt zum Gegenstand, sondern besteht vielmehr darin, die in der Heiligen Schrift verborgene Wahrheit zu enthüllen, was der ursprünglichen Bedeutung des griechischen Wortes aletheia entspricht. Wohl erfordert die Bildersprache des biblischen Textes eine besondere interpretatorische Bemühung, um den tieferliegenden Sinn (die ‚nackte Wahrheit‘) zu erschließen, doch geschieht dies grundsätzlich immer mit den Mitteln der philosophischen Vernunft. Das Ziel dieser besonders gearteten philosophischen Schriftauslegung ist dabei existenzieller Natur; dient sie doch dazu, dem Leser bei der Enthüllung seines eigenen, wahren Selbst zu helfen, die ihn dazu befähigt, in der rechten Weise zu leben. Damit erweist sich Eckhart als Erbe der patristisch-neuplatonischen Tradition einer praktischen Metaphysik,
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der es nicht um neutrale theoretische Erkenntnisse geht, sondern um eine existenzielle Selbsttransformation des Menschen. Der Aufsatz von Martina Roesner (Wien) analysiert in besonderer Weise Eckharts Naturbegriff und seine daran anknüpfende Verhältnisbestimmung zwischen dem ‚Buch der Bibel‘ und dem ‚Buch der Natur‘. Entscheidend dabei ist, dass Eckhart die Bedeutung von ‚Natur‘ nicht auf die materielle Wirklichkeit einschränkt, sondern sie im ursprünglichen Sinne als produktive Dynamik deutet, die aus sich selbst heraus alles andere hervorbringt. Daher bezieht sich dieser Begriff in erster Linie auf Gottes Wesen (natura Dei), d.h. seine Geistnatur, aus der die intelligiblen Formen aller Dinge hervorgehen. Die geschaffene Wirklichkeit stellt somit die erste vernunftgemäße Form der göttlichen Kommunikation nach außen dar, die der Offenbarung in der Heiligen Schrift vorangeht. Daher kann Eckhart auf dem Gedanken einer Konkordanz zwischen den Naturgesetzen und dem in der Bibel geoffenbarten göttlichen Gesetz bestehen und seine Exegese an denselben Grundprinzipien ausrichten, die auch in der Wirklichkeit insgesamt Geltung haben. Das wichtigste Gesetz ist das der universalen Transformation, das den Menschen dazu auffordert, der ‚metaphysischen Entropie‘ entgegenzuwirken und die Vielheit des Geschaffenen in den göttlichen Einheitsgrund zurückzutragen. Der Beitrag von Christian Ströbele (Stuttgart / Tübingen) geht in besonderer Weise der ‚moralischen‘ Dimension von Eckharts Schriftauslegung nach. Auch wenn die Beziehung des biblischen Textes auf die moralia, d.h. auf das ethische Handeln und die dafür erforderlichen Tugenden, traditioneller Bestandteil der patristischen wie scholastischen Exegese ist, zeichnet sich Eckharts Ansatz dadurch aus, dass konkrete Einzeltugenden bei ihm so gut wie keine Rolle spielen. Vielmehr geht es ihm um die richtige Grundhaltung des Menschen, die darin besteht, sich am Guten um seiner selbst willen auszurichten, ohne damit irgendwelche Zweckgedanken zu verbinden. Dabei ist Eckhart bestrebt, in seiner Schriftauslegung den ethisch-praktischen Aspekt der moralia immer auch mit den naturalia zu verbinden, was aus seiner Verwendung der Begriffe ‚Form‘, ‚Materie‘, ‚Disposition‘ und ‚Habitus‘ in beiden Kontexten hervorgeht. Daraus wird ersichtlich, dass die von Eckhart entwickelte ‚biblische Ethik‘ kein gesonderter Kodex von konkreten Verhaltensvorschriften ist, sondern darauf abzielt, das Sein des Menschen
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und die Einsicht in das rechte Handeln im vernunftgemäßen Zusammenhang der Wirklichkeit insgesamt zu verorten. Markus Vinzent (London / Erfurt) beschäftigt sich in seinem Beitrag mit einem Aspekt von Eckharts Umgang mit der Bibel, der auf den ersten Blick eine primär philologische Ausrichtung zu haben scheint; geht es doch um die Frage, welche Textfassungen der Vulgata Eckhart vorlagen und wie er die biblischen Zitate in seine Schriften und Predigten einflicht. Besonders auffallend ist dabei Eckharts Methode der variatio, die sowohl die Umformulierung bestimmter Schriftstellen als auch die Abwandlung der die Zitate jeweils einleitenden Phrasen betrifft. Die Tatsache, dass Eckhart mit dem Wortlaut der Vulgata ausgesprochen frei umgeht und ihn je nach Kontext anders zitiert und adaptiert, ist jedoch nicht nur in philologischer Hinsicht von Belang, sondern gibt auch Aufschluss über sein Schriftverständnis als solches: Das erste und primäre ‚Buch Gottes‘ ist nicht die Heilige Schrift des Alten und Neuen Testaments, sondern der Mensch. Dementsprechend bildet das biblische Textkorpus kein geschlossenes Ganzes, dessen Bedeutung man auf der rein textuellen Ebene erschließen könnte, sondern bedarf stets der lebendigen Interaktion mit der Person des Lesers und Interpreten, um alle Sinndimensionen erkennbar werden zu lassen. Der Aufsatz von Maxime Mauriège (Köln) analysiert in ausführlicher Weise Eckharts Schriftauslegung, wie er sie in einer seiner frühesten lateinischen Universitätspredigten, dem am Ostersonntag in Paris gehaltenen Sermo Paschalis, praktiziert. Einerseits folgen der formale Aufbau und die rhetorische Gestaltung dieser Predigt weitgehend den üblichen Schemata und Regeln der zeitgenössischen artes praedicandi, doch ist es keineswegs so, dass der junge Eckhart hier noch kein eigenes intellektuelles Profil entwickelt hätte und sich nur an bestehende Vorbilder anlehnte. Im Gegenteil: die großen Grundthemen seines theologischgeistlichen Ansatzes werden schon in dieser frühen Predigt unverkennbar deutlich. Vor allem betrifft dies das Thema des Eucharistieempfangs, das Eckhart nicht primär vor sakramentstheologischem Hintergrund entfaltet, sondern vielmehr unter dem Gesichtspunkt der in der Kommunion erfolgenden Assimilation und Transformation des Menschen in Gott betrachtet – ein Topos, der seine spätere Lehre von der ‚Gottesgeburt‘ präfiguriert und somit die grundlegende Einheit von Eckharts Denken über alle Phasen seines akademischen Werdegangs hinweg belegt.
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Der Beitrag von P. Walter Senner OP (†) (Rom) widmet sich der seelsorgerischen Intention, die Eckharts Schriftauslegung zugrunde liegt. Da das spezifische Charisma des Dominikanerordens darin besteht, das Studium nicht um seiner selbst willen zu betreiben, sondern die Früchte der geistigen Betrachtung an die Mitmenschen weiterzugeben, ist es nur naheliegend, auch Eckharts Predigten auf diese doppelte, intellektuellpastorale Dimension hin zu untersuchen. Die seelsorgliche Stoßrichtung seiner Ausführungen ist dabei zum einen in seinen deutschen Predigten erkennbar, die sich vornehmlich an ein Laienpublikum richten. Eckhart thematisiert darin häufig die einzelnen Kräfte der menschlichen Seele und ihr Zusammenspiel, um seine Zuhörerschaft zu einem ausgewogenen, von Kontemplation wie Aktion geprägten Lebenswandel anzuleiten. Darüber hinaus bezeugen seine lateinischen Predigten zu Jesus Sirach ,-, die anlässlich eines Generalkapitels des Dominikanerordens gehalten wurden, jedoch auch, dass Eckhart über das Amt des Predigers und Seelsorgers ausdrücklich reflektiert und seinen Mitbrüdern die damit verbundenen Pflichten vor Augen stellt. Wenige Monate vor der Veröffentlichung dieses Bandes ist P. Walter Senner nach langer, schwerer Krankheit verstorben. Sein Beitrag, den nun posthum erscheint, darf somit als Teil seines geistig-geistlichen Vermächtnisses gelten. Die EckhartForschung verliert in P. Walter einen eminenten Mediävisten und Ordenshistoriker, dem es – wie schon seinem berühmten dominikanischen Mitbruder vor Jahren – stets ein Anliegen war, bei allem wissenschaftlichen Anspruch doch die seelsorgerische Dimension der Theologie nie aus den Augen zu verlieren. Der Aufsatz von Ludger Schwienhorst-Schönberger (Wien) geht der Frage nach, ob man Eckharts Umgang mit dem biblischen Text überhaupt als ‚Exegese‘ im modernen Sinne bezeichnen kann. Die ältere patristische wie monastische Tradition beweist, dass die Auslegung der Heiligen Schrift ursprünglich keine abstrakt-wissenschaftliche Angelegenheit war, sondern in einer gelebten spirituellen Praxis wurzelte, die den Gläubigen letztlich zur Kontemplation führen sollte. Die kontemplative Erfahrung der nichtgegenständlichen Wirklichkeit Gottes zieht im Gegenzug einen veränderten Umgang mit der Heiligen Schrift nach sich: Die unmittelbar geschaute Wahrheit lässt den biblischen Text in einem neuen Licht erscheinen und erschließt dem Leser auf diese Weise Bedeutungen, die ihm auf der Ebene der diskursiven Überlegung und
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Meditation noch verschlossen waren. Eckharts Maria-Martha-Predigt dient als Beleg dafür, dass seine Interpretation dieser Perikope, die auf den ersten Blick der traditionellen Auslegung widerspricht, nicht ein Zeichen von Willkür, sondern Ausdruck einer höheren geistlich-philosophischen Wahrheit ist: Die höchste Vollkommenheit besteht darin, Christus nicht nur zu ‚empfangen‘, indem man ihm wie Maria zuhört, sondern ihn zu ‚gebären‘, indem man wie Martha im Sinne des Gehörten handelt. Der Beitrag von Karl Heinz Witte (München) konzentriert sich auf Eckharts Auslegung der Sündenfallgeschichte (Gen ) in seinem zweiten Genesiskommentar, dem Liber parabolarum Genesis. Eckhart deutet die verschiedenen Protagonisten der Erzählung (Adam, Eva und die Schlange) als Repräsentanten der verschiedenen Seelenvermögen des Menschen (Vernunft, Verstand und Sinnlichkeit), die normalerweise in einer vertikalen Hierarchie geordnet sind. Das Verhältnis zwischen dem ‚Höheren‘ und dem ‚Niedrigeren‘ ist eines der großen Grundprinzipien von Eckharts Denken, so dass auch hier die Übereinstimmung zwischen seinem systematischen philosophisch-theologischen Entwurf und seiner Exegese sichtbar wird. Zugleich begreift Eckhart die Über- und Unterordnung jedoch nicht als statisches Schema, sondern deutet die wechselseitige Beziehung der jeweiligen Instanzen in den Metaphern des Kusses, des Anblicks, der Rede und der Zwiesprache. Bei Eckhart ist dieses Begriffsregister der Affektivität jedoch nicht nur äußerlicher Natur, sondern hat den Charakter einer ‚absoluten Metapher‘, die unmittelbarer, adäquater Ausdruck der Innigkeit der Gottesbeziehung ist. Der abschließende Beitrag von Reiner Manstetten (Heidelberg) nimmt seinen Ausgangspunkt bei einer konkreten Zeitdiagnose, nämlich der Kluft, die sich zwischen der gegenwärtigen wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Eckhart und seiner Rezeption im Milieu der Zen-buddhistischen Kontemplationspraxis und der praktischen Lebenshilfe auftut. Anstatt diese beiden Ansätze gegeneinander auszuspielen, wird unter Rückgriff auf die philosophische Tradition seit Platon nachgewiesen, dass die Frage nach der wahren Erkenntnis untrennbar mit der Frage nach der richtigen Lebenspraxis und deren Einübung verbunden ist. Die dafür erforderliche Erkenntnis ist nicht in erster Linie ein bestimmter Inhalt (Know-what), sondern ein Wie, das auf ein
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performatives Sich-Auskennen (Know-how) verweist. Vor diesem Hintergrund wird Meister Eckharts Lehre von der Abgeschiedenheit gleichfalls als eine innere Grundhaltung interpretiert, die man nicht durch bloße theoretische Einsicht, sondern nur durch konkrete Übung erwerben kann. Das kann auf vielfältige Weise geschehen: in der ‚selbst-losen‘, vorurteilsfreien Hingabe an wissenschaftliche Forschung, im bewussten Erleben von Kunst und Musik, in der Teilnahme an der Liturgie oder in der stillen Kontemplation. Letztlich ist dies alles jedoch nur Vorbereitung, da die ‚Abgeschiedenheit‘ bei Eckhart nie das Ergebnis einer spirituellen Technik, sondern ein Geschenk Gottes ist. Die Tagung fand im Rahmen des vom Austrian Science Fund (FWF) geförderten Forschungsprojekts Wahrheit als Textualität. Der historischsystematische Ort von Meister Eckharts lateinischen Bibelkommentaren (Projektnummer: P ) statt. Die Arbeiten zur Fertigstellung des vorliegenden Sammelbandes hat die Herausgeberin im Rahmen ihres derzeitigen FWF-Projekts Der Lebensbegriff bei Meister Eckhart und Husserl (Projektnummer: P ) durchgeführt. Wien, den ..
MARTINA ROESNER
Der verborgene Sinn. Philosophische Wahrheit in den Bibelkommentaren Meister Eckharts THEO KOBUSCH UNIVERSITÄT BONN, DEUTSCHLAND Abstract It is the ‘intention’ of Meister Eckhart’s Bible commentaries to reveal the hidden meaning of the words in Scripture, i.e. their philosophical truth. For this, it is necessary to divest them of allegory, imagery, metaphor etc. to uncover the ‘naked truth’. Philosophy, in this way, explicitly makes aware of that which has already been known before in a concealed and shrouded form. Meister Eckhart’s program lines up with a long tradition initiated by pagan philosophy, continued by the Church Fathers, and revived in the th century. What is uncovered in the Bible commentaries is a special kind of ontology of the singular areas of being, i.e. of natural, intra-mental, artificial, and moral being. In doing so, Meister Eckhart demonstrates in what way it is possible to speak of ‘being’, which is a name for God, in the realm of becoming, i.e. nature, human manufacturing, and human action. ‘Being’ in the becoming of natural things is the substantial form of a thing, ‘being’ in the becoming of artificial things is the intra-mental concept of the artist manifested in matter, and finally, ‘being’ in the field of human action is the habitus achieved. Eventually, a part of truth is the self-unveiling of the subject by disposing of every kind of made up and self-made disguise. This happens by ‘breaking through’ the hindering concepts, even the transcendental ones, until the self has discovered the unveiled ‘spark’ (Fünklein), its true self.
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. Enthüllung des Verborgenen
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eister Eckharts Denken ist eine Philosophie der Enthüllung. Das geht am deutlichsten aus den lateinischen Bibelkommentaren und Predigten hervor, wo es vorrangig um die Enthüllung der ‚Dinge‘ – in einem weiten Sinne gefaßt – geht, aber auch aus dem übrigen Werk, in dem vielleicht die Selbstenthüllung des Selbst im Vordergrund steht. Der Weg geht also von der Wegnahme der um die Dinge gelegten Hüllen hin zur Selbstentkleidung der Seele, die ‚nackt den nackten Gott‘ sucht, d.h. die ‚nackte Wahrheit‘. Diesen Weg wollen wir mit Meister Eckhart gehen. Es ist der Weg der neuplatonischen Philosophie. Nach dem vielzitierten Wort ist es eine generelle Absicht Meister Eckharts, d.h. eine, die er in seinem gesamten Werk verfolgt, ‚das, was der heilige christliche Glaube und die Schrift beider Testamente behauptet, mit Hilfe der natürlichen Gründe der Philosophen auszulegen.‘ Seit Kurt Flasch diesen Satz ins Zentrum eines Beitrags über Meister Eckhart gestellt hat, ist viel Aufhebens um ihn gemacht worden. Was dabei außer acht gelassen wurde, ist die Tatsache, daß, wenn Eckhart von ‚unserer Intention‘ oder von der ‚Intention des Autors‘ spricht, die philosophische Intention gemeint ist, die unterschieden werden muß von der ‚Intention des Buchstabens‘, d.h. von der wörtlich verstandenen Bedeutung. Doch der Satz aus dem Johanneskommentar drückt nur aus, was für Meister Eckhart das Selbstverständliche war, nämlich den Anschluß an das patristische Programm, alle Wahrheiten des christlichen Glaubens rational durchdringen zu wollen. Dieses Programm ist in dem
. Eckhart, Sermo XXIV, n. , LW IV : Debet igitur anima ‹se› exuere omnibus, ut nuda nudum quaerat deum, nihil aliud in ipso. . Vgl. Proclus, De malorum subsistentia , ed. H. Boese (Berlin, ), ,-: Exuendum igitur nobis et tunicas quas descendentes induti sumus, et nudi hinc progrediendum illuc, et purificandum omnino anime oculum quo entia speculemur… Wörtlich aufgenommen bei Michael Psellus, De omnifaria doctrina § ,-, ed. L.G. Westerink (Nijmegen, ), -: ἀποδυτέον οὖν ἡμῖν τοὺς χιτῶνας οὓς κατιόντες ἀμφιεννύμεθα, καὶ γυμνοῖς ἐντεῦθεν πορευτέον ἐκεῖσε, καὶ νοῦν ἡγεμόνα ποιητέον τῆς ἔνδον ζωῆς ἀντὶ τῆς αἰσθήσεως. . Eckhart, In Ioh. n. , LW III ,-: … ea quae sacra asserit fides christiana et utriusque testamenti scriptura, exponere per rationes naturales philosophorum. . Vgl. Kurt Flasch, ‚Die Intention Meister Eckharts‘, in H. Röttges (ed.), Sprache und Begriff. Festschrift für Bruno Liebrucks (Meisenheim, ), -. . Eckhart, In Ioh. n. , LW III : … intentio est auctoris, …; id., In Gen. II n. , LW I, ,: … intentio nostra …; zur intentio litterae vgl. id., In Exod. n. , LW II ,; ibid. n. , LW II ,; id., Prol. in op. expos. n. , LW II ,.
DER VERBORGENE SINN
in der Patristik hundertfach belegbaren Zitat aus Isaias , erkennbar: ‚Wenn ihr nicht glaubt, werdet ihr nicht erkennen‘, das in seiner griechischen Form (in der Septuaginta) die ersten Spuren der Hellenisierung erkennen läßt, während die Vulgata dem hebräischen Urtext folgt. Der Isaiassatz drückt ja für patristische Ohren nicht nur die Notwendigkeit des Glaubens als Anfangselement des Erkennens aus, sondern auch, worin das eigentliche Ziel besteht, nämlich im Erkennen des Geglaubten. Die patristische Isaiaskommentierung hat denn auch das Wort so verstanden, daß dem einfachen Glauben die subtile und kritische (exetastikos) Erforschung des Sinns folgen muß. Später hat die ‚christliche Philosophie‘, d.h. die Philosophie der Kirchenväter und der ihnen im Frühmittelalter folgenden Autoren, wie z.B. Anselm von Canterbury oder die Schule von St. Viktor, den Anspruch auf Erkenntnis im strengen Sinne des Wortes bekräftigt. Sie hat zu diesem Zweck zurückgegriffen auf den ursprünglich paradoxerweise aus der Rhetorik stammenden Begriff der ‚notwendigen Gründe‘ (rationes necessariae), mit denen auch die geheimnisvollsten Wahrheiten des Christentums, wie Trinität oder Inkarnation, vor der allgemeinen Vernunft nicht nur verständlich, sondern zwingend einsehbar gemacht werden können. Es ist Richard von St. Viktor, der in diesem Zusammenhang – wie Meister Eckhart – von seiner ‚Intention‘ spricht, zwingende Gründe anzuführen, die die Wahrheit des christlichen Trinitätsglaubens stützen. Genau in dieser Hinsicht ist Thomas von Aquin einen anderen . Vgl. Basilius Caesariensis (dubium), Enarrationes in prophetam Isaiam, c. , n. , ed. P. Trevisan, vol. (Torino, ), - (= c. , s. , MPG , C): ἔπειτα λεπτῶς καὶ ἐξεταστικῶς τὸν ἐναποκείμενον αὐταῖς νοῦν διερευνᾶσθαι; vgl. auch Origenes, Commentarius in Matthaeum XVI,; ed. E. Klostermann, GCS (Leipzig, ), -. . Anselmus Cantuariensis, Epistula de incarnatione verbi II, c. , in Opera Omnia II, ed. F.S. Schmitt (Stuttgart, Bad Cannstatt, ), ,-: Sed et si quis legere dignabitur duo parva mea opuscula, Monologion scilicet et Proslogion, quae ad hoc maxime facta sunt, ut quod fide tenemus de divina natura et eius personis praeter incarnationem, necessariis rationibus sine scripturae auctoritate probari possit; si inquam aliquis ea legere voluerit, puto quia et ibi de hoc inveniet quod nec improbare poterit nec contemnere volet. Vgl. Petrus Abaelardus, Theologia Christiana V , ed. E.M. Buytaert, CCCM (Turnhout, ), ,-; Guillelmus de Conchis, Dragmaticon Philosophiae I , ed. I. Ronca, CCCM (Turnhout, ), -; id., Glosae super Platonem I , ed. É. Jeauneau, CCCM (Turnhout, ), ; ibid. II , ed. É. Jeauneau (), . Zur Bedeutung der rationes necessariae im . Jahrhundert vgl. auch Martin Schniertshauer, Consummatio Caritatis. Eine Untersuchung zu Richard von St. Victors De Trinitate (Mainz, ), -. . Raimundus Lullus, der den Begriff der rationes necessariae sehr oft gebraucht, zitiert Richard von St. Viktor, vgl. Raimundus Lullus, Liber in quo declaratur quod fides sancta catholica est magis probabilis quam improbabilis, ed. H. Riedlinger, CCCM (Turnhout, ), ,-:
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Weg gegangen, indem er einen Beweis des christlichen Glaubens durch ‚zwingende Gründe‘ der natürlichen Vernunft für unmöglich hielt. Diese Einsicht ist quasi die Geburtsstunde der Unterscheidung zwischen (Offenbarungs-)Theologie und Philosophie, die Meister Eckhart nicht kennt. Die oben aus dem Johanneskommentar zitierte allgemeine Bestimmung der ‚Intention‘ Meister Eckharts wird im zweiten Genesiskommentar präzisiert. Die Lehren der Hl. Schrift, d.h. ‚beider Testamente‘ durch natürliche philosophische Gründe auszulegen, besagt, daß eine Übereinstimmung der in der Schrift enthaltenen, aber in Bildreden verborgenen Wahrheit mit den philosophischen Grundsätzen aufgewiesen werden soll. Das ist die eigentliche ‚Intention‘ Meister Eckharts: die in der Schrift verborgene Wahrheit zu enthüllen und sie so ans Tageslicht des philosophischen Bewußtseins zu ziehen. Die Wahrheit der Schrift ist durch ‚Verhüllungen‘ aller Art verborgen, meistens durch Gleichnisse, Bilder oder einen vordergründigen Wortsinn. Diese Verhüllungen wegzunehmen und so die nackte Wahrheit, d.h. die philosophische Wahrheit erscheinen zu lassen, ist die von Meister Eckhart selbstgestellte Aufgabe der philosophischen Betrachtung in den Bibelkommentaren. Bezeichnenderweise sind latere, velamen, parabola, veritas abdita tragende Begriffe der Hermeneutik im Prolog zum zweiten Genesiskommentar, aber auch im sonstigen Werk der Bibelkommentare. Sie deuten an, was es im allgemeinen nach Eckhart mit der Wahrheit auf sich hat. Diese ist nämlich im wesentlichen verborgen, verdrängt, verdeckt, verhüllt. Sie ist, wie später der Cusaner sagen wird, eher im Dunkel zu finden, obwohl Et etiam RICHARDVS DE SANCTO VICTORE ait primo libro De trinitate capitulo quarto: Erit itaque intentionis nostrae in hoc opere ad ea, quae credimus, in quantum Dominus dederit, non solummodo probabiles, uerum etiam necessarias rationes adducere et fidei nostrae documenta ueritatis enodatione et explanatione condire. . Thomas de Aquino, De rationibus fidei ad Cantorem Antiochenum , n. , ed. Marietti (Roma, ), : De hoc tamen primo admonere te volo, quod in disputationibus contra infideles de articulis fidei, non ad hoc conari debes, ut fidem rationibus necessariis probes. . Eckhart, In Gen. II n. , LW I, ,-: Sed potius hoc ostendere intendimus, quod his, quae probamus et dicimus de divinis, moralibus et naturalibus, consonant ea quae veritas sacrae scripturae parabolice innuit quasi latenter. . Eckhart, In Gen. II n. , LW I, : Expeditis in prima editione quae dicenda videbantur quantum ad sensum apertiorem libri Genesis intentio nostra est in hac editione parabolarum transcurrendo aliqua loca tam huius libri quam aliorum sacri canonis elicere quaedam ‚sub cortice litterae‘ parabolice contenta quantum ad sensum latentiorem … latentia sub figura et superficie sensus litteralis.
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sie ‚auf den Straßen‘ dazu aufruft, sie zu suchen. Für die christliche Philosophie Meister Eckharts ist sie in den Schriften des Alten und Neuen Testaments verborgen. Wird sie aber durch die Philosophie der Verborgenheit entrissen, dann erscheint sie selbst als Unverborgenheit. Hier zeigt sich in aller Deutlichkeit der Einfluß des Platonismus, genauer gesagt, der Einfluß des späteren Neuplatonismus. Und dies nicht nur, weil Martin Heideggers einfühlsames Verständnis der griechischen Wahrheit als ‚Unverborgenheit‘ als dem griechischen Denken angemessen nachgewiesen werden kann, insofern alētheia tatsächlich ausdrückt, was der lēthe, d.h. der Verborgenheit, entrissen ist. Vor allem aber hat der Neuplatonismus, namentlich Proklos und Olympiodor, die Ansicht vertreten, daß die Wahrheit durch ‚Verhüllungen‘ aller Art verborgen ist. Dabei ist bewußt, daß der Begriff der ‚Verhüllung‘ (parapetasma) oder des ‚Vorhangs‘ (prokalumma) aus dem Bereich der religiösen Kultsprache stammt. In diesem Sinne erklärt Olympiodor: ‚Wie in den Heiligtümern die kultischen Geräte und die Geheimnisse ihre Verhüllungen haben, damit nicht zufällig die Unwürdigen zur Schau gelangen, so sind auch hier die Mythen Vorhänge der Dogmen, damit sie nicht nackt und jedem, der Lust hat, zugänglich sind.‘ In ähnlicher Weise sieht auch schon Proklos, der vielleicht der Urheber dieser Idee ist, die alte griechische Dichtung und den Mythos, die ‚durch Mutmaßungen das Göttliche andeuten‘, als die ‚Verhüllungen‘ der Wahrheit an. Es war Platon bzw. Sokrates, der durch seine ‚wissenschaftliche‘ Form der Philosophie das innere, ‚in den Dichtungen über die Götter verborgene Ziel‘ zum Vorschein brachte. Die Philosophie in ihrer platonischen Form hat nach dem Neuplatoniker die Funktion, die ‚mythischen Verhüllungen der Wahrheit‘ zu enthüllen und die in den Mythen
. Vgl. Nicolaus de Cusa, De apice theoriae n. , h. XII, ed. R. Klibansky und H.G. Senger (Hamburg, ), : Clamitat enim in plateis… . Damascius, In Phaedonem , ed. L.G. Westerink (Amsterdam, Oxford, New York, ), : Ὅτι καὶ ἡ ἀλήθεια τὸ ὄνομα δηλοῖ λήθης ἐκβολὴν εἶναι τὴν ἐπιστήμην, ὅ ἐστιν ἀνάμνησις. Vgl. Herodian und Ps.-Herodian, De prosodia catholica, vol. /, ed. A. Lentz (Leipzig, ), ,-: Τὰ εἰς ω λήγοντα θηλυκὰ ὀξύνεται, Κλωθώ, Ἐρατώ, Θεανώ, Σαπφώ, Λητώ παρὰ τὸ λήθω τὸ λανθάνω λήθη καὶ Ληθώ καὶ Λητώ. . Olympiodor, In Platonis Gorgiam Comm., ed. L.G. Westerink (Leipzig, ), ,-. . Proclus, Theologia Platonica I , ed. H.D. Saffrey und L.G. Westerink (Paris, ), ,-; I , . Zitat: ibid. ,.
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verborgene Theorie zu ‚entfalten‘ (anaptyssein). Das ist eine Einsicht, die das spätantike Denken insgesamt kennzeichnet: Die Wahrheit ist hinter Bildern, Rätseln, Geschichten und Symbolen verborgen. Deswegen ist die Verbindung der ‚verborgenen Wahrheit‘ auch oft in der spätantiken philosophischen Literatur belegbar. Das gilt auch für die ‚christliche Philosophie‘ der Kirchenväter. Auch für sie haben die ‚Barbaren‘ und ‚Hellenen‘ die Wahrheit in Rätseln und Symbolen verborgen. Clemensʼ Stromata erheben in diesem Sinne den Anspruch, die in den Lehrsätzen der Philosophen ‚verhüllte‘ und ‚verborgene Wahrheit‘ zu sagen. Auch später bei Augustinus ist die griechische Uridee in der Entgegensetzung von Verhüllung und ‚nackter Wahrheit‘ wiedererkennbar. Wir können das zusammenfassen: Die spätantike Philosophie, sowohl in ihrer paganen wie auch in ihrer christlichen Form, hat die Wahrheit als das nicht unmittelbar Zugängliche, sondern als das unter den Decken der Bilder, der Sprache, der Zahlen und Symbole Verhüllte verstanden. Dementsprechend muß als Aufgabe der Philosophie verstanden werden, das Verhüllte zu enthüllen, das Verdeckte zu entdecken, das Verborgene zu entbergen. Diese spätantike Tradition wird im . Jh. auf breiter Front aufgenommen. Unter den Titeln des involucrum und des integumentum wird der spätantike Grundgedanke erneuert und modifiziert. Das geschieht . Proclus, Theologia Platonica V , ed. H.D. Saffrey und L.G. Westerink (Paris, ), ,. . Vgl. Proclus, In Platonis Rem Publicam I, ed. W. Kroll (Leipzig, ), ,; ,; ,; ,-; ibid. II, ed. W. Kroll (), , passim; Ps.-Dionysius Areopagita, De coelesti hierarchia, ed. G. Heil und A.M. Ritter (Berlin, ), ,; Damascius, Institutio Theologica III, ed. L.G. Westerink und J. Combès (Paris, ), ,; Olympiodor, In Platonis Gorgiam Comm., ed. L.G. Westerink (Leipzig, ), ,; ,; ,; ,; Origenes, Contra Celsum V , ed. M. Borret, SC (Paris, ), -; id., Philocalia IX , ed. N. de Lange, SC (Paris, ), -; Gregorius Nyssenus, De vita Gregorii Thaumaturgi, ed. G. Heil, GNO X, (Leiden a.o., ), ,. . Vgl. Clemens Alexandrinus, Stromata V ,, ed. A. Le Boulluec, SC (Paris, ), -. . Clemens Alexandrinus, Stromata I ,, ed. C. Mondésert, SC (Paris, ), . . Augustinus, Epist. ,, ed. A. Goldbacher, CSEL (Wien, ), ,-: … quis enim ferat, ut alia omittam et hoc solum interim commemorem, quod maxime ingemui, cum apostolus Paulus dicat: Videmus nunc per speculum in aenigmate, tunc autem facie ad faciem, istos iam dicere omni integumento retecto nudam se depromere ueritatem?; vgl. id., Contra Faustum XV , ed. J. Zycha, CSEL , (Wien, ), ,. Zur Geschichte der Metaphorik der ‚nackten Wahrheit‘, die bis zu Michel Foucault reicht, siehe Ralf Konersmann, Art. ‚Wahrheit, nackte‘, in J. Ritter, K. Gründer und G. Gabriel (eds), HWPh, Bd. (Basel, ), -.
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vor allem bei Abaelard und in der Schule von Chartres. Da ich diese Zusammenhänge vor Jahren in meiner Philosophie des Hoch- und Spätmittelalters ausführlich dargestellt habe, kann ich mich hier auf das Nötigste beschränken. Die verhüllende Form der Rede ist der Poesie in besonders hohem Maße eigen. Deswegen wird sie im . Jahrhundert von der Philosophie in spezieller Weise berücksichtigt. Der Begriff des integumentum, der meist synonym mit involucrum gebraucht wird, umfaßt all das, was wir als philosophischen Mythos, als poetische Fiktion, Prophetie und traditionellen Mythos unterscheiden. Auch die nichtchristliche philosophische Rede kann als integumentum begriffen werden. Das beste und berühmteste Beispiel dafür ist der platonische Begriff der Weltseele, der schon nach Abaelard in verhüllter Form das ausdrückt, was die christliche Lehre vom Hl. Geist besagt. Abaelard weist darüber hinaus darauf hin – und dies ganz im Sinne der Kirchenväter –, daß auch in der Hl. Schrift selbst von der durch Bilder verdeckten Wahrheit die Rede ist, so daß darin eine deutliche Parallele zwischen Christentum und Platonismus gesehen werden kann. Doch auch der nicht weniger berühmte Epitaph des Thierry von Chartres kann dasselbe Verhältnis deutlich machen: Was Sokrates und Platon noch in verhüllter Form angedeutet haben, das hat die christliche Philosophie aufgedeckt und öffentlich dargelegt. Besondere Bedeutung hat das Motiv der . Vgl. Theo Kobusch, Die Philosophie des Hoch- und Spätmittelalters (München, ), , -, , , . . Petrus Abaelardus, Theologia Christiana I , ed. E.M. Buytaert (), : His ex Platone breuiter collectis atque ad nostrae fidei testimonium satis, ut arbitror, diligenter expeditis, consequens existimo ad sequaces eius commeare, ut ea quae ab ipsis quoque de anima mundi dicta sunt, nulla ratione conuenienter accipi posse monstremus, nisi Spiritui Sancto per pulcherrimam inuolucri figuram assignentur. Ibid. I , ed. E.M. Buytaert (), ,: Ex hac itaque Macrobii traditione clarum est ea quae a philosophis de anima mundi dicuntur, per inuolucrum accipienda esse. Ibid. I , ed. E.M. Buytaert (), ,: Quod si ad inuolucrum etiam ista deflectamus quae de anima mundi a philosophis dicta sunt, facile est rationabiliter cuncta accipi nec a sacrae fidei tenore exorbitare. Vgl. Édouard Jeauneau, ‚L’usage de la notion Integumentum à travers les gloses de Guillaume de Conches‘, in id., Lectio Philosophorum (Amsterdam, ), -, -. Vgl. auch Peter Ellard, The Sacred Cosmos (Chicago, ), -. . Petrus Abaelardus, Theologia Christiana I , ed. E.M. Buytaert (), : Iuxta quod et Veritas ipsa de integumento parabolarum suarum apostolis loquitur dicens: ‚Vobis datum est nosse mysterium regni Dei; ceteris autem in parabolis, ut uidentes non uideant et audientes non intelligant‘. Vgl. auch ibid. I , ed. E.M. Buytaert (), ,-: Quid enim magis ridiculosum quam mundum totum arbitrari unum esse animal rationale, nisi hoc per integumentum sit prolatum? . André Vernet, ‚Une épitaphe inédite de Thierry de Chartres‘, in Recueil de travaux offert à M. Clovis Brunel (Paris, ), vol. , -, , vv. -, -: Quod Plato, quod Socrates
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verhüllenden Rede auch bei Wilhelm von Conches. Im Platonismus, aber auch im Mythos sieht er oftmals die Wahrheit im Sinne der christlichen Philosophie angedeutet. Ein Jahrhundert später sagt Heinrich von Gent mit Berufung auf den Psalter, daß die Propheten in dieser Weise die Wahrheit verkündet haben. Bernhard Silvestris, der durch seine Cosmographia, eine christliche verhüllende Rede, berühmt geworden ist, ist in der Theorie des integumentum noch einen Schritt weiter gegangen, indem er die prinzipielle Vieldeutigkeit aller verhüllenden Rede vertreten hat. Meister Eckhart scheint durch diese Tradition zu seiner Hermeneutik der Bibelkommentare angeregt worden zu sein. Die Bibelkommentare und die Sermones machen zusammen aus, was Eckhart das Opus expositionum nennt. Die ‚Auslegung‘ aber besteht darin, daß die in sich vieldeutigen Bilder der Bibeltexte im Licht der philosophischen Wahrheit gedeutet werden. Das ist die Aufgabe des Auslegers: die Übereinstimmung der Bibel mit den Einsichten der Philosophen herzustellen. Der Grund der Möglichkeit dafür aber liegt in dem identischen Ursprung aller Wahrheit, aus dem beide, die Hl. Schrift und die den Philosophen wichtige ‚Natur‘ der Dinge, hervorgegangen sind. Deswegen ist, was Moses, Christus oder Aristoteles gelehrt haben, letztlich auch dasselbe, auch wenn es sich um unterschiedliche Grade des Wahren handeln
clausere sub integumentis / Hic reserans docuit disseruitque palam … Huic se detexit nudam, se passa videri / Tempus ad hocce clauso Philosophia sinu. . Guillelmus de Conchis, Glosae super Boetium III, m. , ed. L. Nauta, CCCM (Turnhout, ), ,-: Et hoc uolunt probare per hoc quod dicit: ‚Quid quisquis discit immemor recordat‘ – quia non est recordatio nisi rei prius cognitae; sed hoc quod discit aliquis, non cognouit postquam incepit esse, ergo antequam anima esset in corpore – nescientes modum Platonis loquendi de philosophia per integumenta. Zur verschiedenen ‚Expositio‘ des ‚integumentum‘ der Geschichte von Orpheus und Eurydice ibid. -. Guillelmus de Conchis, Glosae super Platonem I , ed. É. Jeauneau (), : Exposita igitur summa integumenti, ad literam ueniamus. Ibid. I , ed. É. Jeauneau (), : Adhuc Plato integumento suo deseruit dicens quod, diuisa substantia animae in partes, in uno latere duplas, in altero triplas, quia nimis hiabant spacia illa et ampla erant, impleuit unumquodque duobus mediis. . Henricus de Gandavo, Quodlibet II , ed. R. Wielockx (Leuven, ), ,-: … Alii namque prophetae per quasdam rerum imagines ac verborum integumenta, scilicet per somnia ac visiones facta ac dicta prophetaverunt, David autem solius instinctu Spiritus Sancti sine omni exteriori adminiculo | suam edidit prophetiam. . Zur Lehre vom integumentum und involucrum im . Jahrhundert vgl. T. Kobusch, Die Philosophie des Hoch- und Spätmittelalters (), -, -. . Eckhart, Prol. gen. in op. tripart. n. , LW I, .
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mag. Auch mit dieser letzteren Ansicht steht Meister Eckhart in einer langen patristischen Tradition, nach der alle Weisen, auch die fremder Kulturen, einen Beitrag zur christlichen Wahrheit geliefert haben. Was ist nun diese durch die Bilder der Schrift einerseits verborgene, andererseits demjenigen, der die Augen des Geistes offenhält, durchscheinende philosophische Wahrheit? Wir können sie am ehesten in dem Opus propositionum fassen, das dem Opus expositionum und dem Opus quaestionum vorgelagert ist und nach der Idee Eckharts in vierzehn Traktaten, d.h. vierzehn Begriffen mit ihren Gegenbegriffen, die von höchster Allgemeinheit sind, zusammenfaßbar ist. Dazu gehören z.B. das Sein, die Einheit, Wahrheit, Gutheit, Weisheit u.ä. Indem Eckhart es ablehnt, ihre Seinsweise als die eines Akzidens zu verstehen, kennzeichnet er diese Begriffe als transzendentale, d.h. als nichtkategoriale. Dazu gehören interessanterweise auch die ‚Liebe‘ und der Gegenbegriff der ‚Sünde‘, das Tugendhafte und Rechte wie auch das Laster und Schändliche, das Ganze und der Teil wie auch ihre kontradiktorischen Gegenteile, auch die ‚Idee‘, d.h. die Bestimmtheit, und das Unbestimmte, das principium quo und das principium quod, Gott selbst als das höchste Sein und dementsprechend das absolute Nichts und schließlich auch Substanz und Akzidens. Wir haben es hier also mit einer die Bibelauslegung fundierenden, höchst allgemeinen Metaphysik zu tun, die ‚jedes Ding, mag es auch beweglich und veränderlich sein‘, d.h. auch alle Natur-, Kunst- und moralischen Dinge, insofern sie ‚sind‘, betrachtet. Von dieser Metaphysik des Opus propositionum, so bemerkt Eckhart ausdrücklich, hängen sowohl das (nicht erhaltene) Opus quaestionum als . Eckhart, In Ioh. n. , LW III -: Secundum hoc ergo convenienter valde scriptura sacra sic exponitur, ut in ipsa sint consona, quae philosophi de rerum naturis et ipsarum proprietatibus scripserunt, praesertim cum ex uno fonte et una radice procedat veritatis omne quod verum est, sive essendo sive cognoscendo, in scriptura et in natura. … Idem ergo est quod docet Moyses, Christus et philosophus, solum quantum ad modum differens, scilicet ut credibile, probabile sive verisimile et veritas. . Vgl. dazu Theo Kobusch, Christliche Philosophie (Darmstadt, ), -. . Eckhart, Prol. gen. in op. tripart. n. , LW I, : Hinc est quod omnis res quamvis mobilis et transmutabilis de consideratione est metaphysici, inquantum ens, etiam ipsa materia, radix rerum corruptibilium. Vgl. auch Wouter Goris, ‚Eckharts Entwurf des Opus tripartitum und seine Adressaten‘, in K. Jacobi (ed.), Meister Eckhart: Lebensstationen – Redesituationen (Berlin, ), -, : ‚Die Bibelauslegung stützt sich somit auf eine in einem separaten Teil untergebrachte Transzendentalienmetaphysik. In dieser Abhängigkeit zeigt sich das Motiv der Schriftauslegung mit Hilfe der natürlichen Argumente der Philosophen, das Eckhart im Prolog zum Johanneskommentar als seine Intention in allen seinen Werken formuliert.‘
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auch das Opus expositionum ab. Das bedeutet für die Einschätzung der Bibelkommentare: Ohne diese metaphysische Grundlage sind sie nichts wert oder, mit den Worten Eckharts: ‚von geringem Nutzen‘. Für den Verstehensprozeß aber ergibt sich daraus: Zuerst muß man sich des Allerallgemeinsten, das die apriorische Grundlage für jegliche Art des Verstehens ist, bewußt werden, um dem die Erfahrung der Bibellektüre anzugleichen. Was Meister Eckhart über das Verhältnis von apriorischem philosophischem Wissen und Schriftlektüre sagt und was uns so ganz und gar verschieden von der entsprechenden Einstellung z.B. des Thomas von Aquin zu sein scheint, das entspricht doch ganz der patristischen Einstellung. Das hermeneutische Prinzip ist repräsentativ für die gesamte Patristik auf präziseste und konziseste Weise von Gregor von Nyssa formuliert worden: Zuerst mußt du einen philosophischen Gedanken haben, einen ‚Sinn‘, an den die von Gott inspirierten Worte der Schrift adaptiert werden sollten, nicht aber umgekehrt! Oder in einem Slogan zusammengefaßt: Erst denken, dann Bibel lesen! . Opus expositionum: Enthüllung einer differenzierten Ontologie Die Anlage, Funktion und Systematik der Bibelkommentare Meister Eckharts ist schwer zu durchschauen. Allerdings hat Eckhart selbst dem Leser den Eindruck einer Zufallskommentierung vermittelt. Zwar will er das Alte und Neue Testament der Anordnung derselben gemäß ‚vom Anfang bis zum Ende durchgehen‘, aber es scheint keine einheitliche Idee zu geben, die er bei der Vielheit der Auslegungsmöglichkeiten bestimmter Schriftstellen dem Leser ans Herz legen will. Vielmehr soll der Leser selbst entscheiden, welche Auslegung ihm die beste zu sein scheint. Wouter Goris hat gezeigt, inwiefern die mehrfache Auslegung einer Bibelstelle weder die Beliebigkeit des Interpreten zeigt noch die Auswahl der richtigen Interpretation dem Belieben des Lesers anheimstellen will, . Eckhart, Prol. gen. in op. tripart. n. , LW I, . . Gregorius Nyssenus, Cant. , ed. H. Langerbeck, GNO VI (Leiden, ), ,-: (χρὴ γὰρ οἶμαι προεκθέσθαι πρότερον τὴν τοῖς ῥητοῖς ἐγκειμένην διάνοιαν, εἶθ’ οὕτως ἐφαρμόσαι τοῖς προθεωρηθεῖσι τὰ θεόπνευστα ῥήματα); ibid. GNO VI ,-: Ἐπὶ κοίτην μου ἐν νυξὶν ἐζήτησα ὃν ἠγάπησεν ἡ ψυχή μου, ἐζήτεσα αὐτὸν καὶ οὐχ εὗρον αὐτόν, ἐκάλεσα αὐτὸν καὶ οὐχ ὑπήκουσέ μου. Vgl. ibid. GNO VI ,-: Καιρὸς δ’ ἂν εἴη πάλιν ἐπ’ αὐτῆς τῆς λέξεως παραθέσθαι τὰς θείας φωνάς, ὥστε τοῖς θεωρηθεῖσιν ἐφαρμοσθῆναι τὰ ῥήματα. . Eckhart, Prol. in op. expos. I et II, LW I, -, bes. n. ; id., In Gen. I n. , LW I, .
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sondern daß die mehrfache Auslegung derselben Bibelstellen ein der ‚Struktur der Kommentare‘ immanentes Prinzip darstellt. Neben dem hermeneutischen Problem stellt sich die Frage, ob es sozusagen eine Leitidee für das spezielle Verständnis der Bibelkommentare und Sermones Eckharts gibt außer der im Opus propositionum dargelegten allgemeinen Ontologie – von der jedoch das Opus quaestionum in gleicher Weise abhängt wie das Opus expositionum. Im Prolog des Liber parabolarum Genesis deutet Eckhart an, was dieser spezielle Inhalt der Bibelkommentare und Sermones sein könnte: Verborgen ist unter den Bildreden, von denen wir handeln, auch sehr vieles, was Gott, dem ersten Ursprung, eigentümlich ist, was ihm allein zukommt und auf sein Wesen hinweist. Ferner wird man darin auch eingeschlossen finden die Tugenden und die Prinzipien der Wissenschaften, die Schlüssel zur Metaphysik, Naturwissenschaft und Ethik und ihre allgemeinen Regeln. … Und die Hervorbringung der Geschöpfe, und wie in jedem naturhaften, sittlichen und künstlerischen Werk der ungezeugte Vater, der vom Vater allein gezeugte Sohn, die begleitende wesentliche Liebe und die personbildende Liebe aufleuchtet. Was aus diesem Text eindeutig hervorgeht, ist die These, daß auch die Ontologie der einzelnen Seinsbereiche, d.h. des Göttlichen, des Naturhaften, des Moralischen und des Artifiziellen, sich einer ‚Enthüllung‘ verdankt, da sie ja hinter den Bildern ‚verborgen‘ genannt wird. In diesem Sinne heißt es im Exoduskommentar: ‚Man muß wissen: Die Hl. Schrift erzählt eine Geschichte meistens so, daß sie auch einen geheimnisvollen Sinn enthält und andeutet, die Natur der Dinge lehrt und die Sitten unterweist und zusammenstellt‘. In den Bibelkommentaren und Sermones kommt somit nicht – wie auch im Opus quaestionum . Vgl. W. Goris, ‚Eckharts Entwurf des Opus tripartitum‘ (), -. . Eckhart, In Gen. II Prologus n. , LW I, -: Latent etiam sub parabolis, de quibus nobis sermo est, proprietates quam plurimae ipsius dei, primi principii, quae ipsi soli conveniunt et eius naturam indicant. Iterum etiam ibidem clausae invenientur virtutes et principia scientiarum, metaphysicae, naturalis et moralis claves et regulae generales, adhuc autem et ipsa divinarum personarum sacratissima emanatio cum ipsarum proprietate, distinctione sub una et in una essentia, uno esse, vivere et intelligere, et abinde exemplata et derivata creaturarum productio, et quomodo in omni opere naturae, moris et artis elucet pater ingenitus, filius a patre solo genitus, amor essentialis concomitans et amor notionalis, spiritus sanctus a patre et filio uno principio spiratus seu procedens… . Eckhart, In Exod. n. , LW II .
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– nur jene allgemeine Ontologie zur Enthüllung, die im Opus propositionum thematisch behandelt wird, sondern auch diese spezielle oder differenzierte Ontologie – wie man sie nennen könnte. Und wie man sagen muß, daß das Opus propositionum eine Transzendentalienlehre darstellt oder zumindest enthält, so bildet auch die Kategorienlehre ein Element des Opus expositionum. Diese Differenzierung der Ontologie ergibt sich aufgrund der Aufteilung der Philosophie in die drei klassischen Disziplinen der Theologie, Naturphilosophie und Moralphilosophie, die für alle Werke Eckharts von grundlegender Wichtigkeit ist. Meist wird in diesem Zusammenhang auf die stoische Einteilung der Philosophie in Logik, Physik und Ethik als den historischen Hintergrund verwiesen. Man muß jedoch auch jenen bedeutenden Vorgang in patristischer Zeit beachten, durch den Eckharts philosophische Annäherung an die Hl. Schrift allererst möglich wurde. Die Patristik hat nämlich seit Origenes’ einflußreichen wissenschaftstheoretischen Überlegungen im Proömium des Hoheliedkommentars die stoische Einteilung der Philosophie auf die einzelnen Schriften des Alten und Neuen Testaments übertragen und dabei die ursprüngliche Disziplin der ‚Logik‘ in die ‚Theologik‘, d.h. die philosophische Theologie, verändert. Nach dieser in der ‚christlichen Philosophie‘ der Kirchenväter im Mittelalter und weit darüber hinaus verbreiteten Einteilung ist die Naturphilosophie in den Büchern Genesis und Ecclesiastes, die Moralphilosophie in den Proverbia Salomonis und die Theologie im Hohelied und Johannesevangelium repräsentiert. Von . Vgl. z. B. Eckhart, In Exod. nn. -, LW II . . Vgl. Origenes, In Canticum Canticorum Comm. I, Prol. , ed. L. Brésard et al., SC (Paris, ), -; vgl. auch id., Expositio in Proverbia, PG , : πᾶσα γὰρ ἡ κατὰ τὴν Γραφὴν πραγματεία, τέμνεται τριχῶς, εἰς ἠθικὴν καὶ φυσικὴν καὶ θεολογικήν· καὶ ἀκολουθεῖ τῇ μὲν πρώτῃ, αἱ Παροιμίαι· τῇ δὲ δευτέρᾳ, ὁ Ἐκκλησιαστής· τῇ δὲ τρίτῃ, ᾌσμα ᾀσμάτων·; vgl. Basilius Caesariensis, Homilia in principium proverbiorum, PG , ; vgl. Didymus Caecus, Comm. in Eccl. V , ed. und trans. G. Binder und L. Liesenborghs (Bonn, ), .,; Evagrius Ponticus, Expositio in Proverbia Salomonis ,, ed. Paul Géhin, SC (Paris, ), ; Ambrosius Mediolanensis, Explanatio psalmorum XII, ps. , ,, ed. M. Petschenig und M. Zelzer, CSEL (Wien, ), ,-: unde et Salomonis tres libri ex plurimis uidentur electi: Ecclesiastes de naturalibus, Cantica canticorum de mysticis, Prouerbia de moralibus; id., Expositio psalmi , ,, ed. M. Petschenig und M. Zelzer, CSEL (Wien, ), ,-: Quam institutionem secutus Salomon librum de Prouerbiis scripsit, quo moralem locum uberius expressit, naturalem in Ecclesiaste, mysticum in Canticis canticorum; vgl. Hieronymus, Epist. , ed. I. Hilberg, CSEL (Wien, Leipzig, ), ,-: quomodo philosophi solerent disputationes suas in physicam et ethicam logicamque partiri, ita et eloquia diuina aut de natura disputare, ut in genesi et ecclesiaste, aut de moribus, ut in prouerbiis et in
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dieser alten Einteilung der Schriften des Alten und Neuen Testamentes gemäß der Disziplinentrennung in der Philosophie ist auch bei Meister Eckhart noch etwas zu spüren. Das Buch Genesis hat, wie Eckhart besonders von Maimonides gelernt hat – der in diesem Punkt mit der Patristik übereinstimmt –, vorrangig den Charakter einer Naturphilosophie, wenngleich auch hier weder die moralische Sichtweise, d.h. der Blick auf die Welt des Moralischen, noch die Sicht auf den Bereich der Kunstdinge vernachlässigt wird. Meister Eckhart scheint auch einen Kommentar zum Buch der Proverbia verfaßt zu haben. Von seinem Hoheliedkommentar haben wir nur ein Fragment. Welche Bedeutung indes das Hohelied als die Metaphysik der christlichen Philosophie für Meister Eckhart hatte, kann jenen Bemerkungen im Liber parabolarum entnommen werden, die das Zentrum der eckhartschen Philosophie ansprechen, indem sie den mystischen Kuß zwischen dem Obersten der Seele, d.h. dem ‚Fünklein‘ und Gott, das Zwiegespräch, den gegenseitigen Austausch und die Vereinigung thematisieren. Wie wir gesehen hatten, wurde aber in der patristischen Tradition nicht nur das Hohelied, sondern auch das ‚Evangelium‘, besonders das Johannesevangelium, als die christliche Form der Metaphysik angesehen. Meister Eckhart steht auch in dieser Hinsicht ganz in der patristischen Tradition. Nicht nur, weil er selbst als vorrangigen Gegenstand dieses Evangeliums die divina angibt (de quibus hic est sermo), sondern weil er an bedeutsamer Stelle dieses Kommentars jenen Satz formuliert, mit dem die Mediävisten meist nichts Rechtes anfangen können: Evangelium contemplatur ens in
omnibus sparsim libris, aut de logica, pro qua nostri θεολογικὴν sibi uindicant, ut in cantico canticorum et euangeliis; Gregorius Magnus, Expositio in Canticum Canticorum , , ed. P. Verbraken, SC (Paris, ), -; Isidorus Hispalensis, Etymologiarum sive Originum libri XX, II,,, ed. W.M. Lindsay (Oxford, ), s.p.; Rabanus Maurus, De universo, PL (Paris, ), B; Remigius Autissiodorensis, Enarrationes in Psalmos, PL (Paris, ), B; Richardus de St. Victore, Explicatio in Cantica Canticorum, PL (Paris, ), B. . Vgl. Eckhart, In Gen. II n. , LW I, : … sicut ait Rabbi Moyses, liber Genesis naturalis est et rerum docet naturas. . Eckhart, In Gen. I nn. -, LW I, -; ibid. n. , LW I, ; ibid. n. , LW I, et passim. . Vgl. Eckhart, In Ioh. n. , LW III . . Eckhart, In Gen. II nn. -, LW I, -. Die drei Bücher Salomonis erwähnt Eckhart in In Ioh. n. , LW III , den Bilderreichtum des Hoheliedes und der Proverbia neben der Johanneischen Apokalypse auch in In Gen. II n. , LW I, . . Eckhart, In Ioh. n. , LW III .
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quantum ens. Er ist angemessen nur vor dem Hintergrund der patristischen Tradition verstehbar. Auf diese Weise ist in einzelnen Büchern des Alten und Neuen Testamentes eine gewisse Vorrangigkeit bestimmter Gegenstände erkennbar, so im Buch Genesis die Naturdinge, in den Proverbia die moralischen Dinge und im Hohelied wie auch im Johannesevangelium die Metaphysik. Aber keinem Buch ist ein bestimmter Gegenstand ausschließlich zuzuordnen. Vielmehr scheint es Eckharts Absicht zu sein, in allen einzelnen Büchern der Hl. Schrift die differenzierte Ontologie, d.h. die Ontologie des Göttlichen, Naturhaften, Moralischen und Kunstmäßigen offenzulegen. Diese Ontologie ist durch eine einheitliche Struktur gekennzeichnet. ‚Ontologie‘ kann sie (von uns) nur deswegen genannt werden, weil es in allen Bereichen darum geht, worin das ‚Sein‘ besteht. Im Falle des Göttlichen ist das kein Problem, denn das Sein ist nach Eckhart selbst Gott, und Gott ist das ‚reine Sein‘, die ‚Fülle des Seins‘, und sein Sein ist nichts anderes als Erkennen. Doch wie steht es mit dem Sein im Reich des Werdens, d.h. der Natur, des Moralischen und des kunstmäßig Hergestellten? Sein wird in diesen Bereichen als die nach den Prozessen der Veränderung erreichte ruhige Tätigkeit gedacht. Diese Idee verbindet vor allem das Göttliche und das Moralische miteinander. Im Falle der Naturdinge ist der gewissermaßen mit Anstrengung, Kampf, Widerstreben der Materie und Aufruhr des Passiven verbundene Prozeß erst dann zu Ende und an das Ziel gelangt, wenn die substantiale Form des Dinges geboren ist, die seine normale, d.h. natürliche Tätigkeit möglich macht. Eckhart veranschaulicht dies öfter an dem Beispiel des Feuers. Analog steht es mit dem Bereich des Moralischen, in dem die Form, d.h. der Habitus, erst nach großer Anstrengung und Leid erlernt wird. Dann aber ist die habituelle Tätigkeit, d.h. das ‚Sein‘ des Moralischen, mit Freude, Leichtigkeit und Promptheit verbunden, jenen drei
. Eckhart, In Ioh. n. , LW III . . Eckhart, In Exod. n. , LW II . . Vgl. z.B. Eckhart, Sermo XXIX nn. -, LW IV -; id., In Gen. I n. , LW I, : … quod deus sit intellectus purus, cuius esse totale est ipsum intelligere. . Eckhart, In Sap. n. , LW II ,: Ipsum enim operari suave est et quies. . Eckhart, Super Eccl. n. , LW II : Im Buch Genesis heißt es: Gott ruhte ‚von‘ allem Werk, quia ipsum operari fructus est deo et divinis. Quiescere facit ipsum operari, et ab ipso quies datur et tribuitur. Virtuoso et divino ipsi operari virtuose vita est et vivere est…
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klassischen Prädikaten, die das Sein des Moralischen kennzeichnen. Schließlich ist auch im Bereich der Kunst, d.h. des Hergestellten, Analoges zu beobachten: Der Hausbauer kommt erst zur Ruhe, wenn das ‚Sein‘ des Hauses erreicht, d.h. wenn die Fertigstellung des Hauses vollendet wurde und es als solches ‚ist‘. Die Veränderung ist immer zeitunterworfen, aber die ‚Erzeugung‘ der Form ist zeitenthoben. Das erste Moment der ‚Form‘, sozusagen ihre Anfangsgestalt, nennt Eckhart mit einer großen aristotelischen Tradition, die er hatte bei Thomas kennenlernen können, die ‚Disposition‘. Wie die Wärme, die das Wasser für die Feuerform, d.h. das Verdunsten ‚disponiert‘, schon zur Form des Feuers gehört, die sich nicht verändert, so gehört auch im Bereich des Moralischen die letzte Disposition für den Habitus zum Habitus selbst und ist als solche der Veränderung entzogen. In diesem Sinne ist es immer die ‚Form‘, die nach klassischer Lehre ‚das Sein verleiht‘, und das gilt für alle Seinsbereiche, den der Natur, der Kunst, des Verstandes und auch für den göttlichen Bereich. Eine besondere Bewandtnis hat es mit dem Sein der Kunst. Denn die hergestellten Dinge sind, in Materie gekleidet, das, was der Verstand schon als Idee in sich haben muß. Augustinus hat dieses Verhältnis durch sein berühmtes Beispiel der Truhe zu veranschaulichen versucht: Der Hersteller derselben muß in seinem technischen Verstand zuvor die . Eckhart, In Ioh. n. , LW III : Sic enim in natura videmus: cum forma parturitur et in esse producitur, fit hoc cum murmure et rebellione passivi, sed et virtus cum labore et tristitia discitur: cum autem forma inducta fuerit et virtus acquisita, nata vel genita, … gaudet de bono cuius est amor. Vgl. auch id., In Exod. n. , LW II : In ipsa (sc. alteratione) est murmur et pugna inter agens et patiens nec silent, nec sufficit, nec quiescunt, quousque terminato motu et fieri attingatur ipsum esse. Zum Beispiel des Feuers siehe id., In Sap. n. , LW II ; zum Habitus vgl. id., In Gen. II n. , LW I, . . Eckhart, In Gen. I n. , LW I, ; vgl. id., In Gen. II n. , LW I, . . Eckhart, In Gen. I n. , LW I, : sciendum quod dispositio, quae est necessitas, ad idem genus pertinet cum forma generanda. Verbi gratia: calor quo disponitur aqua ad ignem, cum in sui supremo et complemento fuerit, in termino scilicet ultimo alterationis, iam non pertinet ad formam aquae, sed ad formam ignis. Sic dispositio ultima ad habitum virtutis non pertinet ad genus actuum praecedentium habitum, ut sunt dispositiones, sed pertinet ad ipsum genus habitus virtutis. Vgl. Thomas de Aquino, In II Sent. d. , q. , a. : Cum enim generatio sit terminus alterationis, oportet in eodem instanti alterationem terminari ad dispositionem quae est necessitans, et generationem ad formam substantialem; ibid. d. , q. , a. , resp.: Imperfectus enim calor qui est dispositio ad formam ignis, dum est in alteratione praecedente non conjungitur ipsi fini; sed caliditas ultima quae est in termino alterationis, conjungitur formae substantiali nec excluditur per eam. . Eckhart, In Sap. n. , LW II : Notandum quod forma, et ipsa sola, se ipsa dat esse quod, inquam, esse finis est et terminus omnis naturae, artis, rationis et etiam dei.
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Idee konzipieren, bevor sie als ein sichtbares Werk erscheinen kann. Im Sein der Kunst, also der sichtbaren hergestellten Gegenstände, ist somit das Sein in der Seele eingeschlossen. Bisweilen erwähnt es Meister Eckhart als solches. Genauer gesagt, bezeichnet er es als das ‚Sein in der Seele und von der Seele‘. Dazu gehören z.B. die Zahl, die Zeit oder auch die Relation. Von ihnen sagt Eckhart in den Quaestiones Parisienses, daß sie ‚reale Kategorien‘ sind, insofern sie ein reales Sein ausdrücken, das ‚von der Seele‘ stammt. Da bleibt auch kundigen Philosophiehistorikern das Wort im Halse stecken, weil sie damit historisch nichts anfangen können. Tatsächlich muß man sich sorgfältig in der historischen Umgebung Eckharts umschauen, um zu verstehen, in welchen Diskurs sich Eckhart mit dieser Lehre einmischt. Es ist die breite Diskussion um den ontologischen Status der sog. ‚ersten Intention‘, die wohl schon vom frühen Thomas angestoßen worden war, ehe sie von Dietrich von Freiberg, Heinrich von Gent, dann auch von den Franziskanern wie Petrus Johannis Olivi und Roger Marston aufgenommen und auch im . Jahrhundert fortgeführt wurde. . Augustinus, In Iohannis euangelium tractatus I , CCSL , ed. R. Willems (Turnhout, ), : Faber facit arcam. Primo in arte habet arcam: si enim in arte arcam non haberet, unde illam fabricando proferret? Sed arca sic est in arte, ut non ipsa arca sit, quae uidetur oculis. In arte inuisibiliter est, in opere uisibiliter erit. Ecce facta est in opere; numquid destitit esse in arte? Et illa in opere facta est, et illa manet quae in arte est: nam potest illa arca putrescere, et iterum ex illa quae in arte est, alia fabricari. Adtendite ergo arcam in arte, et arcam in opere. Arca in opere non est uita, arca in arte uita est; quia uiuit anima artificis, ubi sunt ista omnia antequam proferantur. Meister Eckhart erwähnt das Beispiel der Truhe mehrmals, vgl. z.B. In Gen. II n. , LW I, ; id., In Ioh. n. , LW III . . Eckhart, Quaest. Par. I n. , LW V : Relatio autem totum suum esse habet ab anima et ut sic est praedicamentum reale, sicut quamvis tempus suum esse habet ab anima. Vgl. auch id., In Exod. n. , LW II : Dico ergo quod relatio, quamvis dicatur minime ens, tamen aeque primum genus praedicamenti sicut ipsa substantia. . An K. Flaschs Geständnis in Meister Eckhart. Philosoph des Christentums (München, ), , er habe angesichts des schwierigen Textstücks in der ersten Pariser Quaestio ‚eines Tages beschlossen‘, es nicht verstehen zu können, ist das Interessanteste, daß ein Kannitverstan beschlossen werden können soll. Vielleicht hätte erörtert werden müssen, wie sich dieser Satz etwa zu anderen Stellen bei Eckhart verhält, wo das ‚ganze Sein‘ der Seelenvermögen (traditionsgemäß) auf das Objekt zurückgeführt wird (vgl. Eckhart, In Ioh. nn. , , , LW III -, -, -), oder wie er sich zu der Aussage im Sapientiakommentar (n. , LW II -) verhält, die Zeit sei ‚eigentlich und in formalem Sinne‘ ‚in der Seele‘, und zwar ‚allein‘ in ihr. Neben diesen innereckhartschen Problemen gibt es das Problem der rechten Einordnung des zitierten Eckhart-Satzes in den historischen Kontext. Flasch und seine Mitstreiter haben hier richtigerweise auf Dietrich von Freiberg verwiesen, den umfassenden Diskurs, in den das Dietrichsche Denken gehört, freilich gar nicht erkannt. In diesem Diskurs, der vom frühen Thomas (von Aquin) angestoßen und von Heinrich von Gent, Gotttfried von Fontaines, Dietrich von Freiberg, Aegidius, Jakob von Viterbo, Petrus Johannis Olivi, Roger Marston, später auch von Hervaeus Natalis und Durandus auf der Seite der
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Es ist jedoch nicht nur die erste Intention, d.h. das von der Seele konstituierte reale Sein der Kategorie, das unter dem Titel des ‚Seins in der Seele‘ firmiert. Auch das Nichtseiende, das Vergangene und Zukünftige und die fiktiven Dinge wie die Chimäre ‚sind im Sein‘, insofern die Seele über sie wahre Sätze bilden kann, und da dort, wo ‚Wahres‘ ist, auch ‚Seiendes‘ ist, ist auch in diesen Arten des Nichtseienden ein Sein. Das ‚reine Sein‘ Gottes ist Quelle sowohl des intramentalen als auch
Dominikaner und von Duns Scotus, Petrus Aureoli und Ockham auf der franziskanischen Seite fortgeführt wird, geht es um die Rolle des Intellekts bei der Konstituierung der sog. ersten Intention. Während die Dominikaner, obwohl sie sich untereinander auch unterscheiden, eine Teilursächlichkeit des Intellekts annahmen, insofern dieser die Tätigkeit der Sache ‚vollendet‘, haben die Franziskaner, vielleicht auch noch andere, diese konstitutive bzw. mitkonstitutive Funktion des Intellekts abgelehnt. Die eigentliche Stoßrichtung Dietrichs wie auch Eckharts in der Kategorienfrage, besonders auch in Eckharts Pariser Quaestionen, ist daher nicht Thomas, wie Flasch stereotyp behauptet, sondern das franziskanische Denken, wie das schon vor Jahrzehnten P. Vignaux durch einen unideologischen Blick auf die Szene gezeigt hat (vgl. ‚Pour situer dans l’école une question de maître Eckhart‘, in A. de Libera et al. [eds], Maître Eckhart à Paris. Une critique médiévale de l’ontothéologie [Paris, ], -, ), zumal Duns Scotus auch einer jener Autoren ist, die die konstitutive Funktion des Intellekts beim Zustandebringen der ersten Intention besonders deutlich abgelehnt haben (vgl. dazu Theo Kobusch, ‚Begriff und Sache. Die Vernunftordnung als Vollendung der Naturordnung‘, Internationale Zeitschrift für Philosophie , [], -). Nimmt man nun den Einfluß Dietrichs auf Eckhart ernst, so wird man auch berücksichtigen müssen, daß das geflügelte Wort des Averroes Intellectus facit universalitatem in rebus in dem ganzen Diskurs über die erste Intention, d.h. auch über die Kategorien, und so auch bei Dietrich eine wichtige Rolle spielt. Vor diesem Hintergrund kann verständlich werden, inwiefern Eckhart von der Konstituierung der realen Kategorie der Relation sprechen kann. Berücksichtigt man obendrein, daß Dietrich (Tractatus de habitibus [] und [], ed. H. Steffan, Opera Omnia II [Hamburg, ], -), die Relation als eine Kategorie kennzeichnet, die kein Naturding implizit in sich schließt, sondern eine ‚bloße Beziehung‘ darstellt, die durch den Akt der Vernunft ‚konstituiert‘ wird, während die Zeit durch die ‚Reduktion‘ auf die Quantität eine reale Kategorie ist, dann wird klar, daß die Relation in dem Eckhartschen Satz eine Sonderrolle spielt, die sonst auch, z.B. In Exod. n. , LW II : Relatio autem sola …, eigens ausgedrückt wird. Während die anderen Kategorien alle gewissermaßen ein Fundament in der Natursache haben, die beiträgt zur Konstituierung der Kategorie, die nach Eckhart, In Exod. n. , LW II von der Sache selbst unterschieden werden muß, hat die Kategorie der Relation allein ihr ‚ganzes Sein‘ von der Seele und nicht nur zum Teil, weswegen ihr traditionell auch nur ein esse debile zugesprochen wurde – wie z.B. aus Henricus de Gandavo, Quodlibet IX , ed. R. Macken (Leuven, ), ,- hervorgeht. Was Flasch als antithomistische Neuerung erscheint, das bestätigt in Wirklichkeit die These Dietrichs und anderer Dominikaner, daß normalerweise die Kategorien nicht ihr ganzes Sein vom Intellekt haben, sondern den ersten Teil von der Sache, den ‚vollendenden‘ Teil aber vom Intellekt. . Eckhart, In Sap. n. , LW II : Rursus etiam anima ex sui proprietate format propositiones de non ente, puta de praeterito et futuro, de chimera, et has veras et per consequens entes. Verum enim et ens convertuntur sicut unum et ens. Sicut ergo multa in se in anima sunt unum, sic non entia ab anima et in anima sunt entia, sunt in esse, et esse est in ipsis, ipsa in deo et deus in ipsis.
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des extramentalen Seins. Daneben scheint Eckhart auch die zweiten Intentionen, obwohl er sie nicht so nennt, zu dem zu zählen, was ‚nur im Intellekt‘ ist. So haben wir nach Eckhart nicht nur die in seinen Bibelkommentaren immer wieder genannten Seinsbereiche der Naturdinge, der Kunstdinge und der moralischen Dinge zu unterscheiden, sondern auch (als Voraussetzung der Kunstdinge) die Welt der intramentalen Dinge wahrzunehmen, zu denen nicht nur die sog. ersten Intentionen, sondern auch das veritative Sein gehören, also die wahren Sätze über Gewesenes, Zukünftiges, Fiktives. Von all dem sagt Eckhart ausdrücklich, daß es sein Sein von Gott habe. Das ist die Sache dieser speziellen Ontologie in den Bibelkommentaren und Sermones, das Unveränderliche, Gleichbleibende, Zeitlose in der Welt der Veränderlichkeit aufzuspüren, also im Naturvorgang, in der menschlichen Handlung, in der Welt des Hergestellten und nicht zuletzt: in der menschlichen Seele. Es macht das Besondere dieser Form der Metaphysik aus, es nicht bei einer abstrakten Seinslehre und allgemeinen Ontologie zu belassen, sondern das Element des Seins und damit der transzendentalen Bestimmungen konkret in den empirischen Prozessen der Naturvorgänge, des Herstellens, des Denkens und des Handelns aufzuzeigen. . Enthüllung des Selbst Die Enthüllung verborgener Wahrheit ist für Meister Eckhart die eigentliche Aufgabe der Philosophie. Das gilt nicht nur für die Aufdeckung . Eckhart, In Gen. I n. , LW I, : … ut doceamur quod deus est esse purum, plenum et simplex et fons unicus omnis esse, sive in anima vel extra, sive in arte vel in natura. . Eckhart, In Gen. II n. , LW I, . . Eckhart, In Sap. n. , LW II : … quod rerum fieri est quidem a causis secundariis, esse autem rerum omnium, sive naturalium sive artificialium, ab ipso deo solo est immediate, utpote primum et perfectum. … Sensus est secundum unam expositionem quod omnia facta, sive a natura sive ab arte, per ipsum sunt, id est habent esse … Omne enim factum … sive ab arte sive a natura, sine deo, a quo est esse, nihil est; id., In Gen. I n. , LW I, : Deus autem est esse ipsum; ab ipso, per ipsum et in ipso est omne esse naturae et artis; ibid. n. , LW I, ; id., In Ioh. n. , LW III : … tota plenitudo entis dividitur in ens reale extra animam, … item in ens in anima sive ab anima, … Causa autem prima et principium omnium esse ipsum: ab ipso utique descendit et procedit tam esse reale extra animam … quam ens cognitivum in anima, … . Eckhart, In Gen. I nn. -, LW I, -; ibid. n. , LW I, : … res omnes naturae et artis quamvis corrumpantur, semper manet ens, licet corrumpatur hoc et hoc ens.
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des in der Hl. Schrift verborgenen Sinns. Auch die Dingerkenntnis ist eine solche Enthüllung eines Verborgenen. Denn es ist nach Eckhart ein Proprium der menschlichen Erkenntnis, die Dinge in ihren Prinzipien zu erfassen. Die Prinzipien aber sind die Bestimmtheiten der Dinge, die, bevor sie in den sinnfälligen Dingen Wirklichkeit werden, in den primordialen Ursachen ‚verborgen‘ sind und vom Verstand in unverborgener Weise erfaßt werden können. Das Prinzip der Enthüllung ist schließlich auch für die Selbstwerdung des Selbst von entscheidender Bedeutung. ‚Denn die Seele muß sich aller Dinge entkleiden, damit sie nackt den nackten Gott suchen kann und nichts anderes in ihm‘. Nackt zu sein bedeutet, daß die Seele sich aller sinnlichen Inhalte und aller Vorstellungen, auch der entsprechenden Vermögen, entledige. Auch die noch höheren Vermögen wie Intellekt oder Wille, in denen sich Gott unter der Verhüllung des Wahren und Guten zeigt, müssen zurückgelassen werden, wenn die Seele sie selbst oder göttlich werden soll. Sie sind gleichsam Kleider, die das Innerste verhüllen. ‚Denn Gutheit und Gerechtigkeit sind ein Kleid Gottes, da sie ihn umkleiden. Drum scheidet von Gott alles das ab‘, so mahnt Eckhart in einer Predigt, ‚was ihn umkleidet, und nehmt ihn rein in der Kleiderkammer, wo er aufgedeckt und entblößt in sich selbst ist‘. Auch in der den Quaestiones Parisienses nahestehenden Predigt ist von der ‚Hülle der Gutheit‘ die Rede, in der die Seele Gott mit ihrem Vermögen des Willens liebt. ‚Die Vernunft aber‘, d.h. nicht das andere Vermögen, sondern das Wesen der Seele, ‚zieht Gott die Hülle der . Eckhart, In Ioh. n. , LW III : Et hoc est proprium hominis et rationis cognoscere res in suis principiis. . Vgl. Eckhart, Super Eccl. n. , LW II -: Haec [sc. intellectus et notitia] enim rem accipiunt ex suis et in suis principiis, … principia rei, … rationes rerum scilicet in summitate causarum originalium sive primordialium, priusquam in res ipsas prodeant, „in solis puris nudis intellectibus“ latentes, apprehendit. . Schon Erwin Waldschütz, Meister Eckhart. Eine philosophische Interpretation der Traktate (Bonn, ), - hat die Bedeutung des Motivs des Verdecktseins und der Entblößung für die Selbstwerdung bei Eckhart gesehen. Vgl. ibid. : ‚Wozu kann der Mensch gelangen? Immer nur zu sich selbst.‘ . Eckhart, Sermo XXV, n. , LW IV . . Eckhart, Pr. , DW II : Wan güete und gerehticheit ist ein kleit gotes, wan ez bekleidet in. Dar umbe sô scheidet gote allez daz abe, daz in kleidende ist, und nemet in blôz in dem kleithûse, dâ er entdecket und blôz in im ist. Vgl. auch id., Pr. , DW II -: Wârheit und güete sint ein kleit gotes; got ist über allez, daz wir geworten mügen. … Die obersten engel die nement got in sînem kleithûse, ê daz er gekleidet werde mit güete…
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Gutheit ab und nimmt ihn bloß, wo er entkleidet ist von Gutheit und von Sein und von allen Namen‘. Gott aber ist das ganz Enthüllte, das Hüllenlose, das Unverborgene. Eine Enthüllung solcher Art kann nur im ‚Intellekt‘ (verstanden als Grund der Seele, nicht als Vermögen) oder im ‚Wesen der Seele‘ stattfinden. Indem Wahrheit und Gutheit auch noch als Verhüllungen des Unverborgenen begriffen werden, distanziert sich Meister Eckhart – sozusagen – von dem Letztbegründungsanspruch der mittelalterlichen Transzendentalienlehre. Nicht als ob er diese Lehre ablehnte, sie spielt ja vielmehr eine hervorragende Rolle in seiner Philosophie, aber man darf bei ihr nicht stehenbleiben. Als Ausdruck einer solchen relativierenden Distanznahme zur Transzendentalienlehre können wir jene berühmten Partien verstehen, in denen Eckhart von der Wüste der Gottheit spricht. So heißt es in der Predigt : Ich habe von einer Kraft in der Seele gesprochen; in ihrem ersten Ausbruch erfaßt sie Gott nicht, sofern er gut ist, sie erfaßt Gott auch nicht, sofern er die Wahrheit ist; sie dringt bis auf den Grund und sucht weiter und erfaßt Gott in seiner Einheit und in seiner Einöde; sie erfaßt Gott in seiner Wüste und in seinem eigenen Grund. Und in der Predigt heißt es ergänzend, daß es dem Fünklein nicht an dem ‚einfaltigen, stillstehenden, göttlichen Sein‘, d.h. dem transzendentalen Sein, genügt, sondern daß es in den einfaltigen Grund will, in die stille Wüste, dahinein nie ein menschlicher Intellekt irgendeinen Unterschied projiziert hat. Entscheidend für das rechte Verständnis dieses aller Verhüllungen entkleideten, übertranszendentalen Bereichs ist, daß er nicht – wie die . Eckhart, Pr. , DW I ; vgl. auch id., Sermo XI, n. , LW IV : Tollitur omne velamen … sicut etiam velamen boni, sub quo accipit voluntas, velamen veri, cum quo accipit intellectus, et universaliter velamen ipsius esse. … Sed quia tollitur omne velamen, fortassis melius tamen ponitur [sc. beatitudo] in ipsa nuda essentia animae. . Eckhart, Sermo XI, n. , LW IV : … revelatio proprie est apud intellectum vel potius in essentia animae … Esse autem deus esse nudum sine velamine est. Vgl. auch Sermo XXIV, n. , LW IV : Nota primo quod domus dei est ipsa essentia animae, cui solus deus illabitur et ipse nudus; id., Sermo XI, n. , LW IV : Sed quia tollitur omne velamen, fortassis melius tamen ponitur [sc. beatitudo] in ipsa nuda essentia animae. . Eckhart, Pr. , DW I . . Vgl. Eckhart, Pr. , DW II .
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kategorialen und transkategorialen Begriffe – gegenständlich aufgefaßt wird. Das von allen Verhüllungen Freie ist kein Gegenstandsbereich. Vielmehr geht es hier um die Selbstenthüllung des erkennenden Subjekts. Sie vollzieht sich, indem das Subjekt eine ‚Abstraktion‘ – nicht im aristotelischen, sondern im plotinischen Sinne –, nämlich eine Abstraktion an sich selbst durchführt. Eckhart hat diesen Akt der Selbstabstraktion an einem Beispiel veranschaulicht, das ebenfalls bei Plotin vorgebildet ist: ‚Wenn ein Meister ein Bild macht aus Holz oder Stein, so trägt er das Bild nicht in das Holz hinein, sondern er schnitzt die Späne ab, die das Bild verborgen und verdeckt hatten; er gibt dem Holze nichts, sondern er benimmt und gräbt ihm die Decke ab und nimmt den Rost weg, und dann erglänzt, was darunter verborgen lag.‘ So auch muß der Mensch, wenn er ein ‚edler Mensch‘ werden will, sich allen affektiven und kognitiven Ballastes entledigen, damit sein wahres Selbst erscheinen kann. Auch die erhabensten Begriffe können auf diesem Weg ein Hindernis darstellen. Eckhart sagt ausdrücklich, daß die Seele alles, was man Gott in Gedanken oder im Erkennen zulegt, ‚abscheiden‘ und ‚abschälen‘ soll. Es sind also die eigenen Gedanken, die abstrahiert werden sollen, denn sie stellen das eigentliche Hindernis für die Einswerdung dar. In diesem Sinne muß sich die Seele aller verhüllenden Begriffe entkleiden, wenn sie ‚nackt den nackten Gott‘ treffen will. Nur wenn wir diese selbstgemachten Hindernisse hinter uns lassen, sprich: auch die transzendentalen Begriffe als von unserer Vernunft konstituierte und als zurechtgemachte Verhüllungen und Kleider durchschauen und überwinden, kann die Vernunft in ihren eigenen Grund gelangen. Wenn Eckhart von ihr im Sinne einer wesentlichen Bestimmung sagt, daß sie ‚durchbreche‘ oder ‚eindringe‘, so ist auch das nicht gegenständlich zu verstehen, als ob sie sich ein Anderes ihrer selbst aneigne. Vielmehr ist es die Sache der ‚vernünfticheit‘, in sich selbst hineinzublicken und alle selbstgemachten Verhüllungen zu durchbrechen und . Vgl. Eckhart, Sermo XXXI n. , LW IV -: … immo ab omnibus corporis sensibus tamquam impedientibus et perstrepentibus abstrahit se ad se… . Vgl. Eckhart, VeM, DW V . Das Bildhauergleichnis stammt aus Plotin, Enneade I , wo auch der Terminus technicus des aphairein verwendet wird. . Eckhart, Pr. a, DW II . . Eckhart, Sermo XXIV, n. , LW IV .
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‚abzuscheiden‘, was ihr auf dem Weg zu sich selbst im Wege steht. Der Begriff des ‚Durchbruchs‘ impliziert obendrein, daß der Selbstenthüllungsprozeß auch die Rückkehr zur eigenen intelligiblen Vergangenheit, die zugleich zukunftseröffnend ist, darstellt. Denn im Durchbruch ‚bin ich, was ich war und was ich bleiben werde jetzt und immerfort‘, da ‚nehme ich weder ab noch zu, denn ich bin da eine unbewegliche Ursache, die alle Dinge bewegt‘. Im Durchbruch zum Unverhüllten entdeckt das Selbst, daß es selbst dieses Unverhüllte, daß es selbst Gott ist. Eckhart hat die berühmte Armutspredigt, die diese bemerkenswerten Sätze enthält, auch selbst eine ‚unverhüllte Wahrheit‘ (unbedahtiu wârheit) genannt. In dieser Hinsicht ist die Selbstentkleidung, von der hier die Rede ist, eine Form der Selbstentäußerung bzw. der Selbstnegation. Die Abkehr von sich enthüllt erst das wahre Selbst, das ‚Fünklein‘, das jenseits von Zeit und Raum im unverhüllten Gott sein Genüge findet. Somit wird das Subjekt durch die Selbstenthüllung das, was es immer war. Das Pindarsche ‚Werde der du bist‘ erhält hier seine mystische Bedeutung. Hier spätestens wird erkennbar, mit was wir es bei Meister Eckhart zu tun haben: Es ist eine Art der praktischen Metaphysik, in der sich das Subjekt selbst verändert, ‚transformiert‘, wie Eckhart oft mit dem hl. Paulus im Korintherbrief sagt. Das Ablegen aller Formen, die das Selbst bisher bestimmt haben, ist eine Selbstnegation. Wer aber sich selbst negieren kann, der verzichtet auch auf die ganze
. Eckhart, Pr. , DW III -: Nû merket mich rehte! Vernünfticheit diu blicket în und durchbrichet alle die winkel der gotheit … Vernünfticheit diu dringet în; ir engenüeget niht an güete noch an wîsheit noch an wârheit noch an gote selber … Aber vernünfticheit diu scheidet diz allez abe und gât în und durchbrichet in die wurzeln, dâ der sun ûzquillet und der heilige geist ûzblüejende ist. . Eckhart, Pr. , DW II -. . Eckhart, Sermo XXXI n. , LW IV : …, quia formis suis, quibus sunt id quod sunt proprium, exuuntur abnegantes semet ipsos. . Eckhart, Pr. , DW II -: … swenne sich der mensche bekêret von im selben und von allen geschaffenen dingen, – als vil als dû daz tuost, als vil wirst dû geeiniget und gesaeliget in dem vunken in der sêle, der zît noch stat nie enberuorte. Dirre vunke widersaget allen crêatûren und enwil niht dan got blôz, als er in im selben ist. . Vgl. auch E. Waldschütz, Meister Eckhart (), : ‚Viel eher sind diese Stufen Modi, Weisen des Werdens dessen, was wir schon sind…‘. . Eckhart, Sermo XXXI n. , LW IV : … omnes iusti in eandem imaginem iustitiae transformantur, non solum formantur, quia formis suis, quibus sunt id quod sunt proprium, exuuntur abnegantes semet ipsos.
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Welt. Das ist ein bei Eckhart oft wiederholter Gedanke. Wer sich selbst vergessen kann, hat schon alle Dinge dieser Welt vergessen oder, wie es in den Reden der Unterweisung heißt: ‚Denn wer seinen Willen und sich selbst läßt, der hat alle Dinge … gelassen.‘ Die Selbstentäußerung, Selbstvergessenheit, Selbstnegation oder wie sonst die Selbstenthüllung der Seele ausgedrückt werden mag, schließt implizit den Verzicht auf die Dinge dieser Welt in sich. Das bedeutet nun aber nicht, daß sich die Seele vor der Welt gewissermaßen verschlösse. Vielmehr hat sie sich so die Möglichkeit eröffnet, die Dinge dieser Welt in einem neuen Licht zu sehen. In der Schrift Vom edlen Menschen heißt es in diesem Sinne: ‚Man muß nämlich auch wissen, daß diejenigen, die Gott unverhüllt erkennen, mit ihm zugleich die Kreaturen erkennen‘. Hier können wir das Anliegen der Mystik aller Zeiten angedeutet sehen: Der Mensch, der sich und alle Dinge der Welt völlig vergessen, gelassen und negiert hat und so göttlich geworden ist, findet die Welt auf neue Weise wieder. Er kehrt, wie die berühmte Maria-Martha-Predigt lehrt, mit einem neuen Bewußtsein in die Lebenswelt zurück und weiß mit den Dingen dieser Welt mit Abstand, d.h. frei und ‚unbehindert‘ umzugehen.
. Eckhart, Sermo XL, n. , LW IV : Qui enim non se amat, qui se abnegat, toti mundo renuntiat, …; ibid. n. , LW IV : … quia vere amans deum abnegat semet ipsum et per consequens toti mundo renuntiat… . Eckhart, RdU , DW V . . Eckhart, VeM, DW V -; vgl. auch id., Pr. , DW III : sol diu sêle got bekennen, sô muoz si ir selber vergezzen und muoz sich selber verliesen; wan bekente si sich selber, sô enbekente si got niht; mêr: si vindet sich wider in gote. In dem, als si got bekennet, sô bekennet si sich selben und alliu dinc in im, dâ si sich von gescheiden hât. . Eckhart, Pr. , DW III -.
Das „Buch der Natur“ als hermeneutischer Schlüssel in Eckharts Schriftauslegung MARTINA ROESNER UNIVERSITÄT WIEN, ÖSTERREICH Abstract This paper focuses on the role of nature and philosophy of nature in Eckhart’s exegetical approach – a question that, strangely enough, is rarely discussed by Eckhart scholars. While the vast majority of interpretations tend to privilege Eckhart’s theory of the intellect, his henological metaphysics, his metaphysics of transcendentals, or his emphasis on the Word and its expression in language, we contend that Eckhart’s thought cannot be properly understood without a thorough analysis of his understanding and use of the concept of ‘nature’. Throughout the history of philosophy and theology, ‘nature’ has assumed a broad variety of meanings, most of which are defined in opposition to another key concept, i.e. ‘nature – art’, ‘nature – spirit’, or ‘nature – grace’. This last couple is of particular importance to medieval theology in that it refers to the relationship between man’s fallen state of existence and God’s redeeming action. Meister Eckhart, however, refuses a rigid dichotomy between ‘nature’ and ‘grace’, which could lead to an externalist, supra-naturalistic understanding of Biblical revelation. Instead, he opts for a philosophical and theological approach that interprets the creation of the world as the natural efflux of God’s ‘nature’, which is pure intellectual spontaneity. Consequently, the laws of nature that man can discover in the created world through reason alone are as valid an expression of the divine essence as the Ten Commandments or other divine truths revealed in the Bible. Therefore, Holy Scripture can never be adequately understood in a purely anthropocentric perspective but has to be interpreted in accordance with the fundamental laws of the natural world. Thus, . Dieser Aufsatz wurde im Rahmen eines vom Austrian Science Fund (FWF) geförderten Einzelprojekts (Projektnummer: P-G) verfasst.
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instead of being considered the extreme opposite to Biblical revelation, nature itself becomes another book, whose contents can help us understand Sacred Scripture in a way that does not isolate man from the rest of reality. . Einleitung
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eister Eckharts philosophisch-theologischer Ansatz ist im Laufe seiner Rezeptionsgeschichte schon auf viele verschiedene Weisen charakterisiert worden: als Seinsmetaphysik, Geistmetaphysik, Metaphysik des Wortes, Einheitsmetaphysik, Transzendentalienmetaphysik oder als primär hermeneutisch ausgerichtete Schrifttheologie. All diesen Bestimmungen ist gemeinsam, dass sie den Schwerpunkt von Eckharts Denken entweder auf der metaphysisch-geistigen Ebene des Begriffs oder aber auf der Ebene des geschriebenen und gesprochenen bzw. gepredigten Wortes suchen. Diese Aspekte sind für Eckharts Ansatz zweifellos von großer Bedeutung, doch gerät dabei leicht in Vergessenheit, dass die Natur und die Philosophie der Natur für ihn nicht weniger wichtig sind als seine geistmetaphysischen oder einheitsmetaphysischen Spekulationen, obwohl sie in der Forschung bislang deutlich weniger Interesse gefunden haben als die anderen großen Themenbereiche seines Denkens. Zu den wenigen Ausnahmen zählen der schon etwas ältere, kurze Aufsatz von Ludwig Hödl zum Thema ‚Naturphilosophie und Heilsbotschaft in Meister Eckharts Auslegung des Johannesevangeliums‘ sowie aus jüngerer Zeit die etwas längere Abhandlung von Dagmar Gottschall mit dem . Vgl. Karl Albert, Meister Eckharts These vom Sein. Untersuchungen über die Metaphysik des ‚Opus tripartitum‘ (Kastellaun, ); Reiner Manstetten, ‚Esse est Deus‘. Meister Eckharts christologische Versöhnung von Philosophie und Religion und ihre Ursprünge in der Tradition des Abendlandes (Freiburg, München, ). . Vgl. Burkhard Mojsisch, Meister Eckhart: Analogie – Univozität – Einheit (Hamburg, ). . Vgl. Émilie Zum Brunn und Alain de Libera, Métaphysique du Verbe et théologie négative chez Maître Eckhart (Paris, ). . Vgl. Wouter Goris, Einheit als Prinzip und Ziel. Versuch über die Einheitsmetaphysik des ‚Opus tripartitum‘ Meister Eckharts (Leiden, ). . Vgl. Jan A. Aertsen, Medieval Philosophy as Transcendental Thought. From Philip the Chancellor (ca. ) to Francisco Suárez (Leiden, ), -. . Vgl. Dietmar Mieth, Meister Eckhart (München, ), -. . Ludwig Hödl, ‚Naturphilosophie und Heilsbotschaft in Meister Eckharts Auslegung des Johannesevangeliums‘, in La filosofia della natura nel medioevo: atti del terzo Congresso Internazionale di Filosofia Medioevale [ agosto – settembre ] (Milano, ), -.
DAS „BUCH DER NATUR“ ALS HERMENEUTISCHER SCHLÜSSEL IN ECKHARTS SCHRIFTAUSLEGUNG
Titel ‚La natura nel corpus omiletico di Meister Eckhart‘, die anhand des deutschen Predigtwerks die untrennbare Verbindung von Physik und Metaphysik im Denken des Thüringer Dominikaners aufzeigt. Dennoch hat das Thema der Natur im Hinblick auf Eckharts Gesamtwerk in der Forschung noch längst nicht die Aufmerksamkeit gefunden, die es verdient. Die weitgehende Ausblendung des naturphilosophischen Aspekts in der zeitgenössischen Eckhart-Rezeption erscheint auf den ersten Blick nicht gänzlich unbegründet, wenn man bedenkt, dass Eckhart der geistigen Wirklichkeit, also der intelligiblen Sphäre der sapientia bzw. des intellectus, einen anderen, höheren ontologischen Status zuspricht als der Sphäre des naturhaften Seienden (esse naturae). Wie sein älterer Ordensbruder Dietrich von Freiberg ist auch Eckhart der Auffassung, dass nicht nur der göttliche Intellekt, sondern ebenso auch der Intellekt des Menschen nicht Teil der geschaffenen Wirklichkeit ist, sondern gemäß einer anderen, rein geistigen und überzeitlichen Form der Kausalität ins Dasein tritt als die Welt der Natursubstanzen. Dennoch – oder vielleicht gerade deswegen – hat für Eckhart der Bereich des physischen Seienden mit Blick auf seine gesamte Philosophie und Theologie eine herausragende systematische Bedeutung, die nicht nur in seinem Predigtwerk, sondern auch und gerade in seinen lateinischen Bibelkommentaren zum Ausdruck kommt. Diese Verbindung von Exegese und Naturerkenntnis mutet auf den ersten Blick seltsam an; gilt doch der Text der Hl. Schrift gemeinhin als das Dokument einer Offenbarung, in der sich Gott in spezieller Weise dem Menschen zuwendet und mit ihm einen heilsgeschichtlichen Bund schließt. Unter dieser Prämisse erscheint es nicht recht einleuchtend, wieso gerade eine naturphilosophische Betrachtungsweise als hermeneutischer Schlüssel für das Verständnis der biblischen Heilsbotschaft dienlich sein soll.
. Vgl. Dagmar Gottschall, ‚La natura nel corpus omiletico di Meister Eckhart‘, in M.A. Cipolla und M. Nicoli (eds), Testi agiografici e omiletici del medioevo germanico. XXXII convegno dell’Associazione italiana di filologia germanica Verona, - giugno , Medioevi: Studi (Verona, ), -. . Sapientia autem, quae pertinet ad intellectum, non habet rationem creabilis (Eckhart, Quaest. Par. I n. , LW V ,-). . Vgl. Dietrich von Freiberg, De visione beatifica ...., in Opera Omnia I, ed. B. Mojsisch (Hamburg, ), -; Eckhart, In Gen. I n. , LW I, ,-.
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Dennoch weigert sich Eckhart, die Bedeutung der Hl. Schrift auf deren erbauliche, heilsgeschichtlich-religiöse Dimension zu beschränken. Schon der Umstand, dass er dem Buch Genesis zwei Kommentare widmet und seine Ausführungen dabei vor allem auf die ersten drei Kapitel konzentriert, legt Zeugnis davon ab, dass für ihn die schöpfungstheologischen Aussagen zum Ursprung der Welt und ihrer natürlichen Grundordnung eine besondere Bedeutung haben. Man kann in Eckharts Augen nicht vom Menschen und seiner Beziehung zu Gott sprechen, ohne zugleich auch über die Struktur der gesamten Naturwirklichkeit zu sprechen, in die der Mensch hineingestellt ist und in der er gemäß der ihm eigenen Vernunft sein Leben gestalten soll. Allerdings erfordert eine nähere Untersuchung der naturphilosophischen Dimension von Eckharts Denken im Allgemeinen und seiner Schriftauslegung im Besonderen zunächst eine genaue Klärung dessen, was mit ‚Natur‘ überhaupt gemeint ist. Anders, als die heutige Verwendung dieses Begriffs nahelegt, ist seine Bedeutung innerhalb der mittelalterlichen Philosophie und Theologie nämlich keineswegs mit der Gesamtheit des materiellen Seienden identisch. Vielmehr laufen im Terminus natura verschiedene Bedeutungsdimensionen zusammen, die unterschiedlichen philosophischen bzw. theologischen Traditionen und Diskurskontexten entstammen und sich nicht auf einen einzigen gemeinsamen Nenner reduzieren lassen. ‚Natur‘ ist somit kein Begriff, der auf einen bestimmten, klar abzugrenzenden Wirklichkeitsbereich verweist, sondern wesentlich ein Differenzbegriff, dessen genaue Bedeutung sich erst von dem her erschließt, was ihm entgegen- bzw. gegenübergestellt wird. . Die Problematik des Naturbegriffs in der Antike und im Mittelalter Die früheste Bestimmung des Naturbegriffs erfolgt in der griechischen Philosophie. Auch wenn der Terminus physis schon bei den Vorsokratikern . Das sprunghaft wachsende Interesse an der Natur im mittelalterlichen Denken lässt sich gerade an der Anzahl der Kommentare zum Buch Genesis ablesen: Während vom .-. Jahrhundert insgesamt nur Auslegungen zu diesem biblischen Buch entstanden sind, werden allein im . Jahrhundert Genesiskommentare verfasst. Diese Hinwendung zur Natur erfährt durch die Rezeption der aristotelischen Naturphilosophie im . Jahrhundert dann nochmals einen bedeutsamen Schub. Vgl. dazu Wilhelm Kölmel, ‚Natura: genitrix rerum – regula mundi. Weltinteresse und Gesellschaftsprozeß im . Jahrhundert‘, in A. Zimmermann und A. Speer (eds), Mensch und Natur im Mittelalter, Miscellanea Mediaevalia , (Berlin, New York, ), -, .
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eine wichtige Rolle spielt, ist es doch erst Aristoteles, der ihn einer eingehenden definitorischen Klärung unterzieht und den dazugehörigen Phänomenbereich eingehend erforscht. Unter die Bezeichnung ta physica fällt all das, was empirisch erfahrbar und veränderlich ist, sich von der spezifisch menschlichen Lebens- und Handlungssphäre – d.h. dem Bereich des Gesellschaftlichen, Ethischen und Politischen – jedoch abhebt. Der solcherart bestimmte Begriff der physis geht somit in gewisser Weise in die Richtung dessen, was auch wir mit ‚Natur‘ bezeichnen würden, doch versteht Aristoteles diese nicht als bloß additive Gesamtheit alles materiellen Seienden. Die physis bezeichnet nicht so sehr ein Was als vielmehr ein Wie, nämlich jenes formbestimmte Moment am beweglichen und veränderlichen Seienden, das seinem Entstehen und Sich-Entwickeln ein präzises Woher und Woraufhin verleiht. ‚Natur‘ verweist also nicht nur auf materielles Seiendes und auch nicht nur auf sich irgendwie bewegendes Seiendes, sondern auf jenes immanente Prinzip, das gewissen Veränderungsprozessen innerhalb des Seienden eine bestimmte Ausrichtung gibt und in der Verwirklichung des angestrebten Zieles als solches zum Vorschein kommt. In diesem Sinne ist die ‚Natur‘ (physis) also von der ‚Kunst‘ (technê) unterschieden, da letztere mit den Veränderungen innerhalb des Seienden zu tun hat, die durch gezielte, äußere Intervention des Menschen zustande kommen. Darüber hinaus ist der Bereich der physis aber auch von der Sphäre des Göttlichen zu unterscheiden, das als ‚Erster unbewegter Beweger‘ zwar das teleologische Endziel der gesamten Wirklichkeit darstellt, den von ihm bewegten Dingen aber gerade nicht innewohnt, sondern von der materiellen Wirklichkeit radikal ‚getrennt‘ und somit in meta-physischer Weise transzendent ist. Innerhalb der aristotelischen Philosophie gibt es demnach kein eigentliches Verhältnis zwischen der als physis verstandenen ‚Natur‘ und dem im metaphysischen . Vgl. Heraklit, frgm. DK B ; Thales, frgm. DK A ; Anaximander, frgm. DK A , B ; Anaxagoras, frgm. DK B ; Demokrit, frgm. DK B . . Aristoteles betrachtet es als ein Defizit der platonisch-sokratischen Philosophie, dass sie sich zwar intensiv mit ethischen und politischen Fragen auseinandergesetzt habe, den Bereich der Natur jedoch mangels einer hinreichend präzisen Begrifflichkeit und Methodik nicht in vergleichbar tiefgehender Weise erforscht habe (vgl. Aristoteles, De partibus animalium I , a -). . Vgl. Aristoteles, Physik II , b -. . Vgl. Aristoteles, Physik II , b -. . Vgl. Aristoteles, Metaphysik XI , a - b ; XII , a - b .
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Sinne gedeuteten Bereich des ‚Über-Natürlichen‘. Der Mensch kann sich durch intellektuelle Erkenntnistätigkeit dem als reine, selbstreferentielle Erkenntnis (noêsis noêseôs) definierten Göttlichen zwar annähern, doch hat dies keinen bleibenden Einfluss auf seine spezifische Existenzweise als Mensch. Neben diesem aristotelischen, vom Begriff der Bewegung und Veränderung her verstandenen Naturbegriff gibt es im antiken Denken noch zwei weitere Paradigmen, die für die Verwendung des Terminus natura im Mittelalter von entscheidender Bedeutung sind, und zwar die neuplatonische Lehre vom Einen als des jenseits allen Seins gelegenen Urprinzips sowie die von Augustinus stammende, theologisch konnotierte Gegenüberstellung von Natur und Gnade. Beide Ansätze haben miteinander gemeinsam, dass sie das jenseits der Natur Gelegene nicht einfach negativ bestimmen, sondern ihm eine positive Bedeutung zubilligen und die Vollendung des Menschen wesentlich von seiner mystischreligiösen Beziehung zu diesem ‚Über-Natürlichen‘ her denken. Im Fall des Neuplatonismus ist das transzendente Eine zwar schlechthin jenseits alles innerweltlich Erfahrbaren gelegen, doch hat der Mensch die Möglichkeit, an diesem ‚Überseienden‘ teilzuhaben, indem er sich von der Zerstreuung in die Vielheit abwendet und durch philosophische Besinnung den Aufstieg zum Einen vollzieht. Demnach setzt eine gelungene menschliche Existenz voraus, dass der Mensch sich eben nicht nur als Teil des naturhaften, physisch-biologischen Seins versteht, sondern gemäß jener in ihm bereits angelegten Dimension lebt, die diese Wirklichkeitssphäre in qualitativer Hinsicht übersteigt. Im Neuplatonismus hat der Begriff des ‚Überweltlichen‘ bzw. ‚Übernatürlichen‘ somit bereits eine gewisse soteriologische Komponente, doch verfügt der Mensch grundsätzlich über die Fähigkeit, sich dieser ‚Übernatur‘ aus eigener Kraft anzunähern. Im Gegensatz dazu bestimmt Augustinus den Begriff der Gnade dahingehend, dass sie nicht nur von der naturhaften Existenz des Menschen verschieden ist, sondern mit den Mitteln der menschlichen Natur schlechthin nicht erreicht werden kann. . Vgl. Aristoteles, Metaphysik I , b - a . . Vgl. Johann Auer, ‚Inwieweit ist im . Jahrhundert der Wandel des Begriffes „supernaturalis“ bedingt durch den Wandel des Naturbegriffes?‘, in La filosofia della natura nel medioevo (), -, -. . Vgl. Plotin, Enneade I , -; II , -; II , -; III , -; III , -; VI , -.
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Damit wird das Verhältnis von Natur und Übernatur nicht mehr in einem allgemeinen, kosmologisch-metaphysischen Rahmen verstanden, sondern auf den Menschen zugespitzt, der sein eigentliches Ziel, nämlich Gott, prinzipiell nicht mehr durch eigene Anstrengung, sondern allein durch die göttliche Gnade erreichen kann. Der Naturbegriff verändert sich dadurch insofern, als er nun nicht mehr, wie bei Aristoteles, in rein deskriptiver Weise auf bestimmte innerweltliche Phänomene, nämlich das sich aus sich selbst heraus bewegende Seiende, anwendbar ist, sondern von vornherein eine qualitativ-defizitäre Bedeutung annimmt. Die menschliche Natur ist für Augustinus aufgrund der Folgen der Erbsünde derart verderbt, dass sie hinsichtlich des Endziels menschlicher Existenz aus sich selbst heraus gar nichts mehr bewegen kann, sondern ganz auf das Wirken Gottes angewiesen bleibt. Die Gnade avanciert dadurch zum eigentlich bestimmenden Element des wahren Menschseins, während die Natur mit Blick auf die Beziehung des Menschen zu Gott nichts Positives mehr beizutragen vermag. Die verschiedenen philosophisch-theologischen Bedeutungsdimensionen des antiken Naturbegriffs werden von Boethius in seinem Traktat Contra Eutychen et Nestorium erstmals zusammengefasst und systematisiert. Die ersten drei Definitionen, die er entwirft, bewegen sich innerhalb des Rahmens der aristotelischen Substanzmetaphysik und unterscheiden sich lediglich durch ihren engeren oder weiteren extensionalen Umfang. So ist in einem ersten, allerweitesten Sinne all das ‚Natur‘, was auf gewisse Weise von der Vernunft erkannt werden kann, weil es ist. Diese Definition umfasst alles, was entweder Substanz oder Akzidens ist, und schließt nur zwei Dinge nicht ein, nämlich zum einen Gott, der über kein ihm vorausgehendes Prinzip verfügt, aus dem man ihn erkennen könnte, und zum anderen die Materie, die schlechthin bestimmungslos und somit unerkennbar ist. In einem zweiten, enger gefassten Sinne . Vgl. Augustinus, De natura et gratia, cap. II.-III., XIX.-XX., XXXIII., XXVI., XXXIX., XLVIII., LVIII., LXIII.-LXIV., ed. K.F. Urba und J. Zycha, CSEL (Wien, Leipzig, ), -, -, -, -, , , -, -. . Vgl. Augustinus, Contra Iulianum V, cap. -, ed. M. Zelzer, CSEL , (Wien, ), -. . Natura est earum rerum quae, cum sint, quoquo modo intellectu capi possunt. In hac igitur definitione et accidentia et substantiae definiuntur; haec enim omnia intellectu capi possunt. Additum vero est ‚quoquo modo‘, quoniam deus et materia integro perfectoque intellectu intelligi non possunt, sed aliquo tamen modo ceterarum rerum privatione capiuntur (Anicius Manlius Severinus Boethius,
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bezieht sich der Naturbegriff auf alles, was sich tätig oder leidend verhalten kann, so dass in diesem Fall nur Substanzen und keine Akzidentien darunter fallen. Das bedeutet, dass die natura sowohl die aus Form und Materie zusammengesetzten, physisch-empirischen Einzelsubstanzen umfasst als auch die reinen Intelligenzen sowie Gott selbst, die als materiefreie, reine Formen existieren und insofern frei von Leidensfähigkeit und Passivität sind. In einem noch spezielleren Sinne bezeichnet der Begriff natura – in Anknüpfung an die aristotelische Definition – das Prinzip der Bewegung aus sich selbst heraus, was die Bedeutung dieses Terminus auf die materiellen, veränderlichen Natursubstanzen einschränkt und seine Anwendbarkeit auf Gott prinzipiell ausschließt. Die drei bislang genannten Definitionen haben miteinander gemeinsam, dass sie eine universale Prädizierbarkeit des Naturbegriffs über das Seiende als solches ausschließen: Während im ersten Falle Gott und die Materie aus der Definition der Natur herausfallen, sind im zweiten Falle die akzidentellen Bestimmungen davon ausgeschlossen und im dritten Fall die reinen Geistsubstanzen. Doch Boethius erwähnt noch eine vierte mögliche Bedeutung von ‚Natur‘, die keinen extensionalen, sondern einen ausschließlich intensionalen Charakter besitzt, und definiert sie als die ein Ding jeweils bestimmende, spezifische Differenz. In diesem Sinne kann man etwa davon reden, dass die Tendenz zum Nach-untenFallen zur ‚Natur des Steins‘, die absolute Treue zu seinem Herrn zur ‚Natur des Hundes‘, die Fähigkeit zum vernünftigen Denken zur ‚Natur des Menschen‘, die Winkelsumme von ° zur ‚Natur des Dreiecks‘ und das Attribut der Allmacht zur ‚Natur Gottes‘ gehört. So gesehen, Contra Eutychen et Nestorium I, in id., Die Theologischen Traktate, lat./dt.; trans., Einleitung und Anmerkungen von M. Elsässer [Hamburg, ], ,-). . Sin vero de solis substantiis natura dicitur, quoniam substantiae omnes aut corporeae sunt aut incorporeae, dabimus definitionem naturae substantias significanti huiusmodi: ‚natura est vel quod facere vel quod pati possit. ‚Pati‘ quidem ac ‚facere‘, ut omnia corporea atque corporeorum anima; haec enim in corpore et a corpore et facit et patitur. ‚Facere‘ vero tantum ut deus ceteraque divina (A.M.S. Boethius, Contra Eutychen et Nestorium I, ed. M. Elsässer [], ,-,). . Quod si naturae nomen relictis incorporeis substantiis ad corporales usque contrahitur, ut corporeae tantum substantiae naturam habere videantur, sicut Aristoteles ceterique et eiusmodi et multimodae philosophiae sectatores putant, definiamus eam, ut hi etiam qui naturam non nisi in corporibus esse posuerunt. Est autem eius definitio hoc modo: ‚natura est motus principium per se non per accidens‘ (A.M.S. Boethius, Contra Eutychen et Nestorium I, ed. M. Elsässer [], ,-). . Est etiam alia significatio naturae per quam dicimus diversam esse naturam auri atque argenti in hoc proprietatem rerum monstrare cupientes, quae significatio naturae definietur hoc modo: ‚natura est unam quamque rem informans specifica differentia‘ (A.M.S. Boethius, Contra Eutychen et Nestorium I, ed. M. Elsässer [], ,-).
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hat jedes ‚Ding‘ im weitesten Sinne – d.h. auch ideale, mathematische Gegenstände und sogar Gott selbst – ‚seine‘ Natur. Die Komplexität des mittelalterlichen Naturbegriffs rührt daher, dass sich aufgrund der im . Jahrhundert erfolgenden Rezeption der gesamten aristotelischen Philosophie die naturphilosophische, vom Phänomen der Bewegung und Veränderung her bestimmte Bedeutung von natura mit der gnadentheologisch-heilsgeschichtlichen sowie der intensional-begriffslogischen Definition dieses Terminus vermischt. Die intensive Beschäftigung mit der aristotelischen Physik und Metaphysik führt bei den scholastischen Philosophen und Theologen zu einer neuen, positiven Bewertung der Natur, die nun nicht länger als defizienter Gegenpol zur Gnade erscheint, sondern in der ihr eigenen, spezifischen Seinsweise in den Blick genommen wird. Dadurch erfährt der Begriff der natura eine Dynamisierung, da er gemäß der aristotelischen Konzeption nicht einfach für einen statischen Wirklichkeitsbereich, sondern für das immanente Prinzip eines teleologischen Bewegungs- und Veränderungsprozesses steht. Auch dort, wo im scholastischen Kontext vom Verhältnis zwischen Natur und Gnade gesprochen wird, erscheint die Gnade daher nicht länger als das Allheilmittel für eine restlos verderbte Natur, sondern vielmehr als dasjenige Prinzip, das die menschliche Natur zu der grundsätzlich in ihr schon angelegten Vollendung führt. Umgekehrt avanciert die ‚Natur‘ im Sinne der materiellen, veränderlichen Wirklichkeit nun zum Gegenstand einer eigenständigen, nicht mehr von theologischen Erwägungen abhängigen, sondern rein philosophisch verfahrenden Wissenschaft. Diese neue Art der Naturforschung verdankt sich dem Umstand, dass Aristoteles den Gegenstandsbereich der Physik von dem der Mathematik und der Metaphysik systematisch abgrenzt und für seine Erforschung eigene Prinzipien, Grundbegriffe und Methoden entwirft. . Talis autem potentia non est character, sed est quaedam spiritualis potentia ab extrinseco adveniens. Unde, sicut essentia animae, per quam est naturalis vita hominis, perficitur per gratiam, qua anima spiritualiter vivit; ita potentia naturalis animae perficitur per spiritualem potentiam, quae est character. Habitus enim et dispositio pertinent ad potentiam animae, eo quod ordinantur ad actus, quorum potentiae sunt principia (Thomas von Aquin, Summa theologica III, q. , a. ad ); vgl. dazu J. Auer, ‚Inwieweit ist im . Jahrhundert der Wandel des Begriffes „supernaturalis“ bedingt durch den Wandel des Naturbegriffes?‘ (), . . Diese Emanzipation der Naturphilosophie von der Theologie beginnt bereits im . Jahrhundert. Vgl. dazu Andreas Speer, Die entdeckte Natur. Untersuchungen zu Begründungsversuchen einer ‚scientia naturalis‘ im . Jahrhundert (Leiden, New York, Köln, ) sowie Marie-Dominique Chenu, La théologie au XIIe siècle (Paris, ), -. . Vgl. Aristoteles, Metaphysik VI , b - a .
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Die Anerkennung der Eigengesetzlichkeit der Natur führt im Laufe des . Jahrhunderts zu einem Auseinanderdriften der göttlichen und der menschlichen Wirklichkeit und folglich zu einer völligen ‚Verweltlichung‘ des Naturbegriffs. Diese Entwicklung mündet schließlich bei den lateinischen Averroisten in die These, dass Naturphilosophie und christlicher Glaube sich zwar auf ein und dieselbe Realität beziehen, dies aber gemäß zwei völlig unterschiedlichen Erkenntnisweisen tun, so dass eine Vermittlung zwischen philosophischer und religiös-theologischer Wirklichkeitsbetrachtung nicht mehr möglich ist. Das bedeutet, dass der Naturphilosoph die Erschaffung der Welt aus dem Nichts oder die Auferstehung der Toten als etwas ansehen muss, das gemäß den rationes naturales schlechthin unmöglich ist, gerade deswegen aber im Bereich des Glaubens miraculose oder supranaturaliter als wahr angesehen werden muss. Die daraus entstehende kognitive Dissonanz wird zwar dadurch gemildert, dass die Averroisten gar nicht behaupten, über denselben Wirklichkeitsbereich zu sprechen wie die Theologen, da sie im Gegensatz zu diesen nicht auf Gott als das ‚schlechthin erste Prinzip‘ (primum principium simpliciter) rekurrieren, sondern sich nur auf diejenigen Prinzipien stützen, die innerhalb der Natur gelten. Dennoch liegt bei einem solchen epistemologischen Dualismus die Schlussfolgerung nahe, dass der Inhalt des christlichen Glaubens etwas schlechthin Irrationales darstellt, das mit den Prinzipien der Natur und der philosophischen Vernunft nicht in Einklang gebracht werden kann. Auf dieses Dilemma versucht Meister Eckhart zu reagieren und ein philosophisch-theologisches Gesamtkonzept zu entwickeln, in dem die göttliche Sphäre einerseits und die weltliche bzw. menschliche Wirklichkeit andererseits weder auseinanderfallen noch miteinander verschmelzen, sondern vielmehr durch einen besonders gearteten, produktiv-relationalen Naturbegriff zusammengehalten werden.
. Vgl. J. Auer, ‚Inwieweit ist im . Jahrhundert der Wandel des Begriffes „supernaturalis“ bedingt durch den Wandel des Naturbegriffes?‘ (), -. . Vgl. Zdzisław Kuksewicz, ‚Das „Naturale“ und „Supranaturale“ in der averroistischen Philosophie‘, in A. Zimmermann und A. Speer (eds), Mensch und Natur im Mittelalter (), -, , -.
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. Meister Eckharts philosophisch-theologischer Naturbegriff Meister Eckhart steht in der Tradition der deutschen Dominikanerschule, die sich neben einem deutlichen Hang zu intellekttheoretischen Spekulationen durch ein besonders großes Interesse für die Erforschung der belebten und unbelebten Natur auszeichnet. Bei Eckharts Vorläufern Albertus Magnus und Dietrich von Freiberg kommt es zur Entwicklung einer regelrechten Naturwissenschaft, der es um die präzise Analyse und Erklärung bestimmter Naturphänomene geht – man denke nur an Alberts experimentelle Beobachtungen im Bereich der Biologie oder Dietrichs Entwicklung der ersten physikalisch korrekten Theorie zur Entstehung des Regenbogens. Eckharts Auseinandersetzung mit den naturalia bewegt sich zugegebenermaßen nicht auf diesem spezifisch naturwissenschaftlichen Niveau, sondern behält einen eher naturphilosophischen Charakter. Dennoch sind bestimmte grundlegende Zusammenhänge und Gesetzmäßigkeiten aus der aristotelischen Physik und der übrigen antiken und mittelalterlichen Naturlehre für sein gesamtes Denken bestimmend. Dabei ist entscheidend, dass Eckhart zwar zentrale Einsichten und Grundbegriffe der aristotelischen Naturphilosophie übernimmt, ihre substanzontologische Ausrichtung jedoch durch eine stärker dynamische und relationale Deutung der Wirklichkeit korrigiert. ‚Natur‘ besteht demnach nicht in der bloßen Summe all dessen, was ist; vielmehr liegt sie in der besonders gearteten Verknüpfung, die all das, was ist, zu einem nicht bloß vernunftgemäßen, sondern auch lebendigen Ganzen verbindet.
. Die natura Dei als metaphysischer Grund von Eckharts Schöpfungsauffassung Boethius hatte erstmals in dieser Deutlichkeit den komplexen, teils extensionalen, teils intensionalen Charakter des Begriffs natura definiert, . Vgl. etwa die empirischen Beobachtungen und Analysen der bei der Weinherstellung zum Tragen kommenden Naturvorgänge in Albertus Magnus, Meteora IV, tr. , cap. , in Opera Omnia VI/, ed. P. Hossfeld (Münster, ), a- b. . Vgl. Dietrich von Freiberg, De iride et de radialibus impressionibus, in Opera Omnia IV, ed. M.-R. Pagnoni-Sturlese (Hamburg, ), -. . Vgl. L. Hödl, ‚Naturphilosophie und Heilsbotschaft in Meister Eckharts Auslegung des Johannesevangeliums‘ (), .
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der dazu führt, dass dieser Terminus in gewisser Hinsicht auf Gott anwendbar ist, in anderer Hinsicht jedoch nicht. Beide Bedeutungsebenen dieses Wortes kommen bei Meister Eckhart zum Tragen und werden von ihm in systematischer Hinsicht verknüpft. Von besonderem Interesse ist dabei der Umstand, dass er den Begriff natura auch auf Gott anwendet, was weder innerhalb des aristotelischen noch innerhalb des augustinischen Denkansatzes möglich wäre. Letztlich spricht daraus ein gewandeltes Schöpfungsverständnis, das das Verhältnis zwischen Gott und Welt nicht primär vom Begriff der transitiven Wirkursächlichkeit her versteht, sondern als geistigen Vorgang, der auch noch im Prozess des Auseinandertretens primär von Kontinuität und bleibender Immanenz gekennzeichnet ist. Eine solche Konzeption wirft unweigerlich die Frage auf, ob in diesem Falle die Freiheit Gottes noch gewahrt bleibt oder ob man nicht konsequenterweise postulieren müsste, dass die Schöpfung aus Naturnotwendigkeit entstanden ist. Eckhart widmet sich dieser Frage zu Beginn seines ersten Genesiskommentars, wo es um die Frage nach dem absoluten Anfang und Ursprung der Welt geht. Dabei konzentriert er sich ganz auf die Bedeutung des Wortes principium, von dem es heißt, dass Gott ‚in ihm‘ (in principio) alles geschaffen hat. Eckhart schreibt: Adhuc autem secundo sciendum quod principium, in quo deus creavit caelum et terram, est natura intellectus, Psalmus: ‚qui fecit caelos in intellectu‘. Intellectus enim principium est totius naturae, sicut dicitur in commento nona propositione De causis sub his verbis: ‚intelligentia regit naturam per virtutem divinam‘; et infra: ‚intelligentia comprehendit generata et naturam et horizontem naturae‘; et post concludit: ‚ergo intelligentia continet omnes res‘. Sic ergo creavit caelum et terram in principio, id est in intellectu. Et hoc contra eos, qui dicunt creare deum et producere res ex necessitate naturae. [Ferner aber muß man zweitens wissen, daß der Anfang, in dem Gott Himmel und Erde schuf, die Geistnatur ist: ‚Er schuf die Himmel im Geist‘ (Ps ,). Denn der Geist ist der Ursprung der ganzen Natur, wie in der Erläuterung des . Buches Von den Ursachen mit folgenden Worten gesagt wird: ‚das Geistwesen leitet die Natur durch göttliche Kraft‘ und ferner: ‚das Geistwesen umschließt alles, was entsteht, die Natur und das, was an die Natur angrenzt‘. Daraus wird gefolgert: ‚also enthält
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das Geistwesen alle Dinge‘. So also schuf Gott Himmel und Erde im Anfang, das heißt im Geist. Und das geht gegen jene, die behaupten, daß Gott die Dinge mit Naturnotwendigkeit schaffe und hervorbringe]. Einerseits betont Eckhart hier unter Berufung auf den Liber de causis also die radikale Immanenz der geschaffenen Wirklichkeit im göttlichen Geist, unterstreicht aber andererseits die Tatsache, dass gerade diese geistige Immanenz den Freiheitscharakter der Schöpfung verbürgt und der Vorstellung einer Entstehung der Welt aus Naturnotwendigkeit entgegensteht. Eckharts Widerlegung dieser Auffassung hängt ganz an der zweifachen Bedeutung des Wortes ‚Natur‘. Versteht man darunter den lückenlosen kausalen Wirkungszusammenhang endlicher Substanzen und Potentialitäten, ist die Schöpfung gerade kein ‚Naturprodukt‘, sondern erfließt direkt aus dem göttlichen Intellekt, der nicht Teil einer deterministischen Kausalkette, sondern reine Spontaneität und Freiheit ist. Gerade an dieser Stelle kommt jedoch Eckharts zweiter Naturbegriff ins Spiel, der im Gegensatz zum erstgenannten sehr wohl auch auf Gott Anwendung finden kann. Dabei nimmt Eckhart die Argumente der Befürworter einer ‚naturnotwendigen‘ Schöpfung sehr wohl auf, deutet sie aber in seinem Sinne um, so dass sie nicht länger zur Freiheit Gottes in Widerspruch stehen. Er schreibt: Primo quidem sic: dato quod deus agat necessitate naturae, tunc dico: deus agit et producit res per naturam suam, scilicet dei. Sed natura dei est intellectus, et sibi esse est intelligere, igitur producit res in esse per intellectum. Et per consequens: sicut suae simplicitati non repugnat intelligere plura, ita nec producere plura immediate. Secundo sic: ignis per formam suam et proprietatem caloris generat ignem et calefacit. Quod si aequaliter haberet formam aquae et proprietatem abluendi sive infrigidandi, simul et aequaliter generaret ignem et aquam, simul calefaceret, ablueret et infrigidaret. Sed deus naturaliter praehabet omnes formas et omnium. Igitur deus naturaliter producendo producere potest diversa et omnia immediate. [Erstens: angenommen, Gott wirke mit Naturnotwendigkeit, so sage ich: Gott wirkt und bringt die Dinge durch seine göttliche Natur hervor. Gottes Natur aber ist Intellekt, und bei ihm . Eckhart, In Gen. I n. , LW I, ,-; trans. ibid.
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ist das Sein Denken. Also bringt er die Dinge durch seinen Intellekt zum Sein. Zweitens: Feuer erzeugt Feuer und wärmt durch seine Form und die Eigenschaft der Wärme. Wenn es nun in gleicher Weise die Form des Wassers und die Eigenschaft besäße, abzuwaschen oder zu kühlen, würde es gleichzeitig und in gleicher Weise Feuer und Wasser erzeugen, würde gleichzeitig wärmen, abwaschen und kühlen. Gott aber hat von Natur aus alle und aller Dinge Formen im voraus. Also kann Gott, wenn er naturhaft wirkt, alles Verschiedene unmittelbar hervorbringen]. Eckhart macht den Schöpfungsvorgang also nicht in erster Linie am Begriff des Seins, sondern an dem der Form fest, wobei die Gesamtheit aller nur denkbaren Formen in Gott präexistiert und seine rein geistige Natur ausmacht. Indem er den Hervorgang der geschaffenen Wirklichkeit aus Gott primär als Mitteilung der Form versteht, entsteht letztlich ein Band der Kontinuität zwischen der göttlichen Intellektnatur und der Natur im Sinne der materiellen, raumzeitlichen Wirklichkeit. Letztlich sind die innerweltlichen naturalia also nicht das schlechthin Andere Gottes, sondern stehen als hervorgebrachte Natur der hervorbringenden Natur des göttlichen Geistes in innerer Wesensverwandtschaft gegenüber. Eckharts These einer grundsätzlichen Kontinuität zwischen den Formen innerhalb von Gottes Geist und den Formen innerhalb der geschaffenen Wirklichkeit führt zu einer anderen Sicht auf die Natur als ganze. Er denkt die Naturvorgänge und Naturphänomene nicht primär von ihren endlichen, äußeren Zweitursachen im Bereich des Seienden her, sondern versteht sie im Licht ihres ersten, göttlichen Prinzips, das gerade nicht transzendent zur Welt ist, sondern jedem Punkt der Naturwirklichkeit unter dem Aspekt der intelligiblen Form direkt innewohnt. Gerade diese Immanenz der geistigen Strukturen der göttlichen Natur in der geschaffenen Natur erlaubt es Eckhart, den Eigenschaften und Gesetzmäßigkeiten der naturalia eine unmittelbar theologische Bedeutung zuzuerkennen und sie zum Kernbestandteil seiner Schriftauslegung zu machen.
. Eckhart, In Gen. I n. , LW I, ,-,; trans. ibid. . Vgl. Eckhart, In Gen. I n. , LW I, ,-,.
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Nun ist die Betrachtung der naturalia im Zusammenhang mit der Schriftauslegung an sich kein Novum, wohl aber die Art und Weise, in der Eckhart dies praktiziert. Von der Patristik bis zum Ende des . Jahrhunderts hatte man die Naturdinge und ihre Eigenschaften hauptsächlich als symbolische Verweise auf die geistliche Wirklichkeit interpretiert und sie in diesem Sinne auf bloße Chiffren für theologische Sachverhalte reduziert. Ab dem . Jahrhundert und nochmals verstärkt durch den Einzug der aristotelischen Philosophie im . Jahrhundert wurde dieser Symbolismus durch die Einsicht in die Eigenständigkeit und Eigengesetzlichkeit der Natur als einer Seinssphäre sui generis abgelöst, allerdings mit der Konsequenz, dass die Methoden zur philosophischen Erforschung der Wirklichkeit deutlich von den Methoden der Schrifthermeneutik unterschieden wurden. Eckhart kehrt nun keineswegs zu der älteren, rein symbolischen Naturauffassung zurück, sondern nimmt die aristotelische Physik mitsamt ihren wissenschaftlichen Prinzipien durchaus ernst. Allerdings ist er bestrebt, das Paradigma einer nach bestimmten Gesetzen geregelten Natur auf seine Theologie und Schriftauslegung anzuwenden und auf diese Weise die physica auf die metaphysica bzw. auf die divina hin transparent zu machen. Diese innere Verbindung zwischen der Sphäre des überzeitlichen Göttlichen und der Sphäre der veränderlichen Natur kommt dadurch zustande, dass Eckhart den göttlichen Intellekt nicht als statische, monolithische Gesamtheit aller nur möglichen intelligiblen Formen deutet, sondern ihn vor trinitätstheologischem Hintergrund als lebendigen Vorgang der immanenten Selbstauszeugung des Erkennenden im Erkannten versteht. Insofern sich die innergöttliche Lebensdynamik der absoluten intelligiblen Form in die formgeprägten Strukturen der geschaffenen Welt hinein fortsetzt, ist auch diese nie ‚bloß materielle‘ Natur, sondern Teil des göttlichen Lebenszusammenhangs. Dass Eckhart dies nicht nur im metaphorischen, sondern im wörtlichen Sinne versteht, erhellt daraus, dass er sich im Gegensatz zu Thomas von Aquin nicht scheut, Gott als . Vgl. dazu Loris Sturlese, ‚Die Sonderstellung der Kosmologie in der antiken und mittelalterlichen Naturlehre‘, in B.K. Vollmann (ed.), Geistliche Aspekte mittelalterlicher Naturlehre (Wiesbaden, ), -, -. . Vgl. Marie-Dominique Chenu, La théologie comme science au XIIIe siècle (Paris, ), -. . Respondeo dicendum quod circa hoc fuerunt tres errores. Quidam enim posuerunt quod Deus esset anima mundi, ut patet per Augustinum in Lib. VII de civitate Dei, et ad hoc etiam reducitur, quod
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anima mundi, also als immanentes Lebensprinzip der Welt, zu charakterisieren. Das bedeutet wiederum, dass auch die Materialität der geschaffenen Wirklichkeit nicht als substantielles ‚An-Sich‘ zu verstehen ist, sondern unter dem Gesichtspunkt ihres organischen Durchdrungenseins vom göttlichen Form- und Organisationsprinzip betrachtet werden muss. Die Naturgesetze sind somit untrennbarer Bestandteil der Entfaltungsgesetze des göttlichen Lebens und können daher, wenn man sie aufmerksam analysiert, auch über das Wesen Gottes Auskunft geben. Aus diesem Grunde folgt Eckhart gerade nicht der Auffassung der lateinischen Averroisten, dass die rationes naturales prinzipiell nicht auf die religiösen Glaubensinhalte angewendet werden dürfen, sondern deklariert sie im Gegenteil zum methodologischen Grundprinzip seiner Exegese. Im Proömium zu seinem Johanneskommentar schreibt Eckhart: In cuius verbi expositione et aliorum quae sequuntur, intentio est auctoris, sicut et in omnibus suis editionibus, ea quae sacra asserit fides christiana et utriusque testamenti scriptura, exponere per rationes naturales philosophorum. ‚Invisibilia enim dei a creatura mundi per ea, quae facta sunt, intellecta conspiciuntur: sempiterna quoque virtus eius‘, „id est filius“, ‚et divinitas‘, „id est spiritus sanctus“, ut ait Glossa, Rom. . … Rursus intentio operis est ostendere, quomodo veritates principiorum et conclusionum et proprietatum naturalium innuuntur luculenter – ‚qui habet aures audiendi!‘ – in ipsis verbis sacrae scripturae, quae per illa naturalia exponuntur. [Wie in allen seinen Werken hat der Verfasser bei der Auslegung dieses Wortes und der folgenden die Absicht, die Lehren des heiligen christlichen Glaubens und der Schrift beider Testamente mit Hilfe der natürlichen Gründe der Philosophen auszulegen. ‚Denn was an Gott unsichtbar ist, wird von dem Geschöpf in der Welt durch das Geschaffene erkannt und erschaut: auch seine ewige Kraft‘, „das ist der Sohn“, ‚und seine Gottheit‘, „das ist der Heilige Geist“, wie die Glosse zu Röm. , quidam dixerunt Deum esse animam primi caeli. Alii autem dixerunt Deum esse principium formale omnium rerum. Et haec dicitur fuisse opinio Almarianorum. Sed tertius error fuit David de Dinando, qui stultissime posuit Deum esse materiam primam. Omnia enim haec manifestam continent falsitatem, neque est possibile Deum aliquo modo in compositionem alicuius venire, nec sicut principium formale, nec sicut principium materiale (Thomas von Aquin, Summa theologica I, q. , a. c). . Vgl. Eckhart, In Gen. I n. , LW I, ,-; id., In Sap. n. , LW II ,-.
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sagt. … Ferner beabsichtigt das Werk zu zeigen, wie die Wahrheiten der Prinzipien, Folgerungen und Eigentümlichkeiten in der Natur für den, ‚der Ohren hat zu hören‘ [Matth. ,], gerade in den Worten der Hl. Schrift, welche mit Hilfe dieser natürlichen Wahrheiten ausgelegt werden, klar angedeutet sind]. Eckhart postuliert somit keine grundsätzliche Verschiedenheit der beiden Erkenntnisquellen, nämlich Natur bzw. Vernunft einerseits und Offenbarung andererseits, sondern sieht das eine bereits im jeweils anderen angelegt: So, wie das unsichtbare Wesen Gottes aus der Struktur der Naturwirklichkeit erkannt werden kann, so sind umgekehrt die grundlegenden Prinzipien und Eigenschaften der Natur im Text der Bibel grundsätzlich schon enthalten. Eine naturphilosophisch geprägte Exegese ist daher kein künstliches Unterfangen, bei dem der Text einem ihm fremden Auslegungskriterium unterworfen würde, sondern stellt lediglich eine explizite Ausformulierung dessen dar, was in der Hl. Schrift immer schon angelegt ist. . Die Naturgesetze als Interpretationsschlüssel der Hl. Schrift Eckhart macht keinen Hehl daraus, dass seine stark naturphilosophisch geprägte Interpretation der Hl. Schrift wesentlich von Moses Maimonides beeinflusst ist, der sich gut hundert Jahre vor Eckhart darum bemüht hatte, den biblischen Glauben der Tora mit der aristotelischen Philosophie in Einklang zu bringen. Von Maimonides übernimmt Eckhart den Grundgedanken, dass die Bibel nicht nur und vielleicht nicht einmal primär der ethischen Belehrung und religiösen Erbauung dient, sondern für den, der sie recht zu lesen versteht, ein Lehrbuch der Naturphilosophie und Metaphysik darstellt. Doch während Maimonides diesen wissenschaftlich-philosophischen Tiefensinn der Hl. Schrift nur den Gelehrten vorbehalten wissen will, ist Eckhart bestrebt, die . Eckhart, In Ioh. nn. -, LW III ,-; ,-; trans. ibid. . Vgl. Yossef Schwartz, ‚Meister Eckharts Schriftauslegung als maimonidisches Projekt‘, in G.K. Hasselhoff und O. Fraisse (eds), Moses Maimonides (-). His Religious, Scientific, and Philosophical ‚Wirkungsgeschichte‘ in Different Cultural Contexts (Würzburg, ), -. . Nam, sicut dixit Rabbi Moyses, tota scriptura veteris testamenti vel est ‚scientia naturalis‘ vel ‚sapientia spiritualis‘ (Eckhart, In Gen. II n. , LW I, ,-,).
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untrennbare Verflechtung der naturalia und der biblischen Schriftoffenbarung für alle Menschen erkennbar zu machen. Es geht ihm also nicht darum, naturphilosophische Begriffe und Erklärungsmuster von außen an den Bibeltext heranzutragen, sondern vielmehr darum, durch eine besonders geartete Exegese aufzuzeigen, dass die Prinzipien und Gesetzmäßigkeiten der Natur bereits in der Hl. Schrift angelegt sind, wenn auch zumeist in verdeckter Form. Dies wird in programmatischer Weise an Eckharts Auslegung des Verses aus Gen , sichtbar: ‚Die Erde aber war wüst und wirr, Finsternis lag über der Urflut, und der Geist Gottes schwebte über dem Wasser‘. Eckhart deutet die vier Begriffe ‚Erde‘, ‚Finsternis‘, ‚Geist‘ und ‚Wasser‘ als Synonyme der vier Elemente der antiken Kosmologie (Erde, Feuer, Luft und Wasser). Während Erde und Wasser direkt genannt werden, verweist der Begriff ‚Finsternis‘ auf das dunkle Himmelsgewölbe, das zwar feuriger Natur ist, in sich selbst jedoch nicht leuchtet, und das Wort ‚Geist‘ auf die Luft als dasjenige Element, das hinsichtlich seiner Feinstofflichkeit direkt nach dem Feuer an zweiter Stelle steht und daher über dem Wasser schwebt. In seiner Deutung geht es Eckhart somit darum, die Schöpfung nicht primär als eine quasi-handwerkliche ‚Herstellung‘ konkreter Gegenstände, sondern als Stiftung und Ordnung elementarer Grundprinzipien zu deuten, die jedem Ding zugrunde liegen, in sich aber nichtdinglicher Natur sind. Der Gedanke der Ordnung kommt dadurch zustande, dass die genannten Elemente nicht einfach in einem als homogen gedachten Raum nebeneinander vorliegen, sondern jeweils qualitativ verschiedene ‚natürliche Orte‘ besitzen. Feuer und Luft streben nach oben und haben daher ihren Platz am bzw. unmittelbar unter dem Himmelsgewölbe, während Wasser und Erde dichter und schwerer sind und daher nach unten tendieren. Diese natürlichen Eigenschaften sind jedoch kein bloß natürliches Faktum, sondern haben bereits in sich eine göttliche Komponente. Eckhart schreibt:
. Vgl. Eckhart, In Gen. II n. , LW I, ,-,. Diese Deutung der ersten Verse des biblischen Schöpfungsberichtes gemäß der antiken Vier-Elemente-Lehre wird von Maimonides in seinem Führer der Unschlüssigen in ausführlicher Weise dargelegt. Vgl. Maimonides, Führer der Unschlüssigen II , trans. und ed. A. Weiss (Hamburg, ), -. . Vgl. Eckhart, In Gen. I n. , LW I, ,-,.
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Secundum hoc ergo in verbis istis docetur ordo naturalis elementorum, cum super faciem abyssi, sub caelo immediate est ignis, ‚spiritus‘, aer scilicet, ‚super aquas‘. Et consequenter sequitur quod ultimo et infima sit terra, unde etiam sequitur: ‚congregentur aquae et appareat arida‘. … Notandum ergo quod locus se habet ad locatum in ratione primi, perfecti, formae, superioris, salvantis et conservantis. Propter quod locus naturalis virtutem sapit divinam et est ‚principium generationis, quemadmodum et pater‘. Videmus etiam quod omnia extra locum suum sunt inquieta et ad locum suum appetitu quodam feruntur, in ipso vero loco totaliter conquiescunt. Ex quo patet quod locus habet rationem finis. Finis autem proprietas est, ut infra et intra ipsum inclusa sint omnia quorum est finis. Propter quod in deo sunt omnia, et ipse est locus propriissime omnium entium. [Demgemäß wird also in diesen Worten die natürliche Ordnung der Elemente gelehrt, da außen über dem Abgrund, unmittelbar unter dem Himmel das Feuer, ‚der Geist‘ aber, nämlich die Luft, ‚über dem Wasser‘ ist. Und folgerichtig heißt es sodann, daß zuletzt und als unterste die Erde kommt; deswegen folgen auch die Worte: ‚es sammle sich das Wasser, und es erscheine das Trockene‘. … Es ist also zu bemerken, daß der Ort sich zum örtlich Bestimmten als Erstes, Vollkommenes, als Form, Oberes, Rettendes und Bewahrendes verhält. Deswegen hat der natürliche Ort etwas von göttlicher Kraft in sich und ist, ‚wie auch der Vater, Ursprung und Zeugung‘. So sehen wir auch, daß alle Dinge außerhalb ihres Ortes unruhig sind und gewissermaßen mit Begierde zu ihrem Ort bewegt werden, am Ort selbst aber gänzlich zur Ruhe kommen. Daraus erhellt, daß der Ort wesenhaft Ziel ist. Für das Ziel aber ist es eigentümlich, daß unter und in ihm alle Dinge, deren Ziel es ist, beschlossen sind. Deswegen sind alle Dinge in Gott, und er ist im eigentlichsten Sinne der Ort alles Seienden]. Das Bemerkenswerte an Eckharts Ausführungen liegt darin, dass er den ‚Ort‘ nicht einfach im geometrischen oder bestenfalls physikalischen Sinne versteht, sondern ihm eine qualitative Dimension zuschreibt, die in der Nachahmung der Vaterschaft Gottes als des absoluten Ursprungs besteht. Zwischen Gott und den natürlichen Orten der Elemente besteht somit kein absoluter, sondern lediglich ein gradueller Unterschied: . Eckhart, In Gen. I n. , LW I, ,-; ibid. n. , LW I, ,-; trans. ibid.
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Letztere sind Ursprungsprinzipien und Ruhepunkte für gewisse Bereiche der Wirklichkeit, während Gott Ursprungs-, Ziel- und Ruhepunkt der Wirklichkeit als ganzer ist, doch handelt es sich hierbei nicht um ‚andere Orte‘, sondern um Einschränkungen und innere Begrenzungen Gottes als des einen, absoluten Ortes, in dem immer schon alles einbehalten ist und aus dem letztlich nichts herausfallen kann. Im Rahmen seiner naturphilosophischen Ausführungen zu den vier Elementen und ihren natürlichen Orten bezieht sich Eckhart ausdrücklich auf Albertus Magnus, vor allem auf dessen Meteora, in denen Albert die unterschiedlichen Streberichtungen der einzelnen Elemente auf naturwissenschaftlichem Wege durch ihre verschiedenen Temperaturund Dichteeigenschaften zu erklären versucht. Doch letztlich kommt es Eckhart darauf an, diese Naturgesetzlichkeiten und -phänomene nicht nur in sich zu analysieren und zu verstehen, sondern sie als verkleinerte Nachahmungen des großen Gesetzes zu deuten, das die Struktur des göttlichen Wesens als solchen bestimmt. Wo Albert die Natur als Natur erforschen will, schlägt Eckhart immer den Bogen von der geschaffenen, physischen Naturwirklichkeit zur ungeschaffenen Natur des göttlichen Geistes. Die Voraussetzung dafür ist, dass er sich nicht an der statisch betrachteten Materialität der Dinge aufhält, sondern die immateriellen Kräfte betrachtet, die an den Dingen angreifen, sie in Bewegung und Veränderung versetzen und sie zu einem Wirkungszusammenhang verbinden, in dem alles mit allem in Beziehung steht. Dabei ist Eckharts Kosmos insofern qualitativ strukturiert, als die ‚rechte‘, d.h. naturgemäße Richtung der Wirkkräfte stets von oben nach unten verlaufen muss. In seiner Auslegung von Gen ,b ‚Und er [sc. der Mensch] herrsche über die Fische des Meeres‘ bemerkt Eckhart: Circa quod notandum quod naturaliter in ordine naturae superiora dominantur et regulant inferiora, inferiora vero naturaliter oboediunt et subiciuntur superioribus suis. Ratio huius est, quia ordo rerum creatarum est nexus et unitas ipsarum et unitas universi. … . Vgl. dazu Martina Roesner, ‚Das Motiv der transzendentalen Topologie in den Reden der Unterweisung vor dem Hintergrund von Meister Eckharts lateinischen Schriften‘, MeisterEckhart-Jahrbuch (), -. . Vgl. Eckhart, In Gen. I nn. -, LW I, ,-,. . Vgl. L. Sturlese, ‚Die Sonderstellung der Kosmologie in der antiken und mittelalterlichen Naturlehre‘ (), -.
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Et omne quod est ordinem servare naturaliter conatur. ‚Est enim quod ordinem retinet servatque naturam; quod vero ab hac deficit, esse, quod in sua natura situm est, derelinquit‘, ut ait Boethius IV De consolatione. Quia igitur homo praeest et praecellit in ordine rerum creatarum corporalium, consequenter ipsi debetur dominium super illa. [Hierzu ist zu bemerken, daß in der Ordnung der Natur das Obere eine natürliche Herrschaft über das Niedere ausübt und es lenkt, das Niedere hingegen seinem Oberen einen natürlichen Gehorsam leistet und sich ihm unterwirft. Der Grund hierfür ist, daß die Ordnung der geschaffenen Dinge in ihrer Verknüpfung und Einheit untereinander und der [damit gegebenen] Einheit des Alls besteht. … Auch liegt in der Natur alles Seienden das Streben, die Ordnung einzuhalten. ‚Denn Sein hat nur, was die Ordnung einhält und seine Natur bewahrt. Was von ihr abweicht, gibt das Sein, das in seiner Natur liegt, auf‘, wie Boethius im . Buch Vom Trost der Philosophie sagt. Weil also der Mensch durch seine Vorrangstellung in der Ordnung der körperlichen Geschöpfe hervorragt, gebührt ihm auch die Herrschaft über diese]. Die Beziehung zwischen dem Oberen und dem Niederen ist eine Grundkonstante in Eckharts Denken; hätte doch der neunte der vierzehn systematischen Traktate seines Opus tripartitum genau dieses Thema behandeln sollen: De natura superioris et inferioris. Das Obere und das Niedere bezeichnen dabei jedoch keine absolut definierbaren Wirklichkeitsbereiche, wie etwa Gott und die von ihm geschaffene Welt oder die Himmelssphäre oberhalb des Mondes und die vergängliche Wirklichkeit unterhalb des Mondes, sondern nur ein Verhältnis relativer Über- und Unterordnung, das sich durch die gesamte Wirklichkeit zieht. In dem von Eckhart kommentierten Passus geht es um die herausgehobene Stellung des Menschen als eines Vernunftwesens gegenüber der Welt der Tiere. Diese herrscherliche Position ist jedoch keineswegs Ausdruck einer anthropozentrischen Anmaßung des Menschen hinsichtlich der übrigen Schöpfung, sondern präfiguriert letztlich das ethisch-moralische Verhältnis von Vernunft und Sinnlichkeit innerhalb des Menschen: So, wie der Mensch kraft seiner Vernunft grundsätzlich alle Tiere zu beherrschen . Eckhart, In Gen. I n. , LW I, ,-,; trans. ibid. . Vgl. Eckhart, In Gen. I n. , LW I, ,.
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und im Zaum zu halten vermag, so ist er grundsätzlich auch in der Lage, seine eigenen Triebe und Leidenschaften zu beherrschen und zu zügeln: Secundo notandum consequenter quod passio turbat ordinem ex natura sua. Dominando enim rationi, cui naturaliter deberet subesse, utpote superiori, ordinem non servat, sed violat et turbat et pervertit. … Quarto notandum quod et in hoc ipso, quod passio turbat ordinem et non servat, ordo servatur universalis rerum et a deo institutus. [Zweitens: daraus folgt, daß es in der Natur der Leidenschaft liegt, die Ordnung zu stören. Denn wenn sie die Vernunft beherrscht, der sie als dem Oberen von Natur untertan sein müßte, hält sie die Ordnung nicht ein, sondern verletzt, stört und verkehrt sie. … Viertens: auch dann, wenn die Leidenschaft die Ordnung stört und nicht einhält, wird doch die von Gott aufgerichtete allgemeine Ordnung der Dinge gewahrt]. Auch hier kommt die Doppelbedeutung von ‚Natur‘ zum Tragen: Es liegt in der Natur der Leidenschaften, die natürliche Ordnung der Dinge zu stören, die besagt, dass die Leidenschaften der Vernunft zu gehorchen haben und nicht umgekehrt. Insofern ist nicht alles, was sich ‚von Natur aus‘ ereignet, auch schon in Eckharts Sinne naturgemäß, sondern nur diejenigen Vorgänge, bei denen das jeweils Höhere die treibende Kraft gegenüber dem jeweils Niedrigeren ist. Auf diese Weise kann Eckhart auch den Begriff der Sünde letztlich naturphilosophisch deuten und ihm dadurch eine mehr als nur anthropologische Bedeutung zuerkennen. Für gewöhnlich wird der Ursprung der Sünde an Adams und Evas Sündenfall festgemacht, der den ersten Akt menschlichen Ungehorsams gegenüber dem Gebot Gottes darstellt. Doch Eckhart schränkt in seiner Deutung von Gen ,- die Bedeutung des ‚Gebotes‘ nicht auf das ein, was Gott ausdrücklich dekretiert hat, sondern gibt ihm eine viel weitere, allgemeinere Bedeutung. In seinem zweiten Genesiskommentar schreibt er dazu: Secundo patet ex dictis quid sit peccatum, quid malum, quid maius minusque peccatum, quid bonum et quid melius inter bona. Bonum enim est omne simile et consonum seu conforme causae suae praecipienti, imprimenti et imponenti leges iuxta proprietates . Eckhart, In Gen. I n. , LW I, ,-; ibid. n. , LW I, ,-,; trans. ibid.
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formae a generante impressae, peccatum autem est et prohibitum omne alienum et dissimile ipsi formae. Et tanto peius et maius peccatum in natura, in arte, in moribus, quanto plus extensive vel intensive discordat et avertitur a praecepto et conformitate sui superioris; e converso in bonis tanto quid est melius et maius bonum, quanto magis extensive vel intensive conformatur praecepto et influentiae sui superioris. [Zweitens erhellt aus dem Gesagten, was Sünde und was schlecht ist, inwiefern man von größerer oder geringerer Sünde sprechen kann, was gut ist und inwiefern es innerhalb des Guten auch Besseres geben kann. Denn gut ist alles, was ähnlich und übereinstimmend oder gleichförmig mit dem Gebot seiner Ursache ist, die gemäß den Eigentümlichkeiten der [dem Verursachten] von der erzeugenden [Ursache] eingeprägten Form ihre Gesetze einprägt und auferlegt, während alles, was dieser Form fremd und unähnlich ist, Sünde und [daher] verboten ist. Und zwar ist in der Natur[ordnung], in der Kunst und im sittlichen Leben etwas um so schlechter und eine umso größere Sünde, je weiter oder tiefer die Unstimmigkeit und Abwendung gegenüber dem Gebot und der Gleichförmigkeit mit seinem Oberen reicht. Umgekehrt ist bei dem, was gut ist, etwas umso besser und ein umso größeres Gut, je weiter oder tiefer die Gleichförmigkeit mit dem von seinem Oberen eingeflößten Gebot reicht]. ‚Sünde‘ im allerallgemeinsten Sinne ist hier alles, was im jeweils Niedrigeren der ihm vom je Höherstehenden eingeprägten Form widerspricht. Insofern ist Sünde für Eckhart also kein Verstoß gegen ein positiv von Gott erlassenes Gebot, sondern im Grunde ein Verstoß gegen die Naturordnung als ganze. Trotz der von ihm praktizierten starken Betonung der Vernunftnatur und der Sonderstellung des Menschen innerhalb der geschaffenen Wirklichkeit ist sein Ansatz also paradoxerweise gerade nicht anthropozentrisch, sondern bettet das Verhalten – und Fehlverhalten – des Menschen in den Gesamtzusammenhang der Natur als ganzer ein. Indem der Mensch nicht seiner Vernunft folgt, sondern sich von seinen Leidenschaften beherrschen lässt, schadet er nicht nur sich selbst und seinem Verhältnis zu Gott, sondern der ganzen Schöpfung, da er ihre Ordnung und ihre Gesetzmäßigkeiten stört. Nicht nur in kosmologischer . Eckhart, In Gen. II n. , LW I, ,-,; trans. ibid.
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oder biologischer Hinsicht, sondern auch mit Blick auf das ethischmoralische Handeln des Menschen gilt letztlich dieselbe ‚seinsollende‘ metaphysische Gravitationsrichtung von oben nach unten. Dass es möglich ist, dieser zuwiderzuhandeln, ist ein Beweis für die Freiheit des Menschen, auch wenn er sich dadurch von seiner eigentlichen Vernunftnatur entfernt, die seine Freiheit überhaupt erst ermöglicht. Letztlich ist die so verstandene Sünde aber kein Verstoß gegen einen äußerlich von Gott dekretierten und expressis verbis geoffenbarten Katalog ethischer Normen, sondern ein Verstoß gegen die grundlegenden Gesetzmäßigkeiten, die der Natur als solcher schon eingesenkt und für die Vernunft des Menschen offenbar sind. . Die Naturphänomene als sinnlicher Ausdruck der Gottesbeziehung In Übereinstimmung mit seiner holistischen, auf die Einheit von Schöpfung und Offenbarung abzielenden Deutung der Wirklichkeit verweist Eckhart in seinen Bibelkommentaren nicht nur auf Naturgesetze, wenn es um die Sünde als Störung der aus Gott hervorfließenden Ordnung geht, sondern deutet umgekehrt auch die gelungene Gottesbeziehung des Menschen anhand von Phänomenen und Gesetzmäßigkeiten aus der Natur. Letztlich geht es ihm darum, das Ausströmen und Sich-Mitteilen Gottes als Naturgesetz des göttlichen Wesens zu erweisen, das auf Seiten Gottes grundsätzlich immer am Werk ist, ohne auf Seiten des Menschen die Freiheit zur Annahme oder Verweigerung dieser Gabe zu unterdrücken. Insofern ist bei Eckhart die Selbstmitteilung Gottes nicht die Folge einer willkürlichen, kontingenten Entscheidung, sondern stellt sein innerstes Lebensgesetz dar, das gar nicht anders sein könnte, ohne dass Gott zu sich selbst in Widerspruch geriete. Dennoch hat dies keinen Heilsdeterminismus zur Folge, da der Mensch seine Freiheit behält, deren Endlichkeit sich darin zeigt, dass er in Widerspruch zu seiner Vernunftnatur handeln und damit die eigentliche Basis seiner Freiheit verleugnen kann. Das Verhältnis Gottes zur Schöpfung insgesamt ist insofern asymmetrisch, als einem zwanglos aus der eigenen Natur erfließenden, grenzenlosen Sich-Mitteilen des Gebers eine begrenzte, mehr oder weniger große Aufnahmefähigkeit seitens der Empfänger gegenübersteht. Bei den . Vgl. Eckhart, In Gen. I n. , LW I, ,-,.
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vernunftlosen Geschöpfen ist das Ausmaß ihrer Empfänglichkeit für die Selbstmitteilung des göttlichen Wesens durch ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten Art oder Gattung von Seiendem von vornherein festgelegt. Im Falle des Menschen ist der Grad der Aufnahmefähigkeit jedoch nicht von vornherein festgeschrieben, sondern erweist sich als extrem variabel, je nachdem, in wie hohem Maße er seiner Vernunftnatur gemäß lebt, die selbst auf nichts Bestimmtes eingeschränkt, sondern reine, unumschränkte Offenheit ist. Vor diesem Hintergrund nimmt es nicht wunder, dass Eckhart in seinen Schriftkommentaren besonders oft auf optische Bilder und Vergleiche rekurriert, um das Verhältnis Gottes zur Schöpfung im Allgemeinen und zum Menschen im Besonderen zu verdeutlichen. Die Tatsache, dass eine Lichtquelle – z.B. die Sonne – in sich ein und dieselbe ist und dennoch in dem von ihr durchstrahlten Medium sowie auf den von ihr erleuchteten Gegenständen ganz unterschiedliche Wirkungen hervorbringt, macht dieses Bild in besonderer Weise dazu geeignet, als Verweis auf das Verhältnis Gottes zur gesamten Wirklichkeit zu fungieren. So kann beispielsweise dasselbe Sonnenlicht erleuchten oder blenden, wachsen oder vertrocknen lassen, Leben oder Tod verursachen, ohne sich selbst zu verändern. Die unterschiedlichen Wirkungen kommen vielmehr durch die Orte, Situationen und Dinge zustande, die ‚Empfänger‘ der Sonnenstrahlen sind. In diesem Schema nimmt der Mensch jedoch insofern eine Sonderstellung ein, als er die göttlichen Lichtstrahlen nicht nur, wie alle anderen Geschöpfe, in einseitiger Richtung aufnehmen, sondern sie auf der Ebene seiner Vernunft auch aktiv zurückspiegeln kann. In diesem Sinne deutet Eckhart die bekannte Bestimmung des Menschen als ‚Ebenbild Gottes‘ aus Gen ,- dahingehend, dass unter allen Geschöpfen allein der Mensch eine Dimension in sich besitzt, in der Gott sich betrachten und ohne Verzerrung wiedererkennen kann. Die Gottebenbildlichkeit ist somit keine besondere ‚Eigenschaft‘ des Menschen, sondern im Gegenteil das Wegfallen aller Eigenheit und Besonderheit, die die adäquate Wiedergabe und Selbstbetrachtung des Urbildes trüben könnte. Der vollkommen ebene Spiegel ist in diesem Falle die Seele des vollendet ‚gelassenen‘ Menschen, der sich von nichts Kreatürlichem mehr in Unruhe versetzen lässt, sondern ganz seiner . Vgl. Eckhart, In Gen. II n. , LW I, ,-. . Vgl. Eckhart, In Gen. I n. , LW I, ,-.
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Vernunftnatur nach lebt. Für Eckhart ist diese ‚theologische Optik‘ (oder vielmehr ‚Katoptrik‘) aber kein stummer Vorgang, sondern ein Zwiegespräch, das sich aus der intelligiblen Natur des Betrachters ergibt. In seinem zweiten Genesiskommentar schreibt er: [D]icendum quod deum nobis loqui non est aliud prorsus quam donis suis nobis innotescere, donis suis et inspirationibus, sive naturalibus, sive gratuitis, nos excitare et mentes nostras suo lumine irradiare. Et haec et propriissima et dulcissima locutio, sermo vel verbum, cuius exterior locutio, sermo et verbum ignobile est. Nos autem deo loqui non est aliud quam ipsum et eius inspirationem audire et oboedire, ab aliis autem averti et ad ipsum et ipsius assimilationem converti, quomodo montes aliqui et loca respondent et loquuntur sibi loquentibus, sicut patet in sono, qui echem dicitur a philosopho. … Exemplum est de speculo respondente et repercutiente speciem et formam obiecti visibilis. Ubi ipsa irradiatio sive gignitio imaginis est visibilis locutio, speculi vero repercussio est ipsius responsio sive locutio. Et haec sibi invicem loquuntur voce consona in ipsa imagine hinc inde genita tamquam prole. [Daß Gott mit uns spricht, ist gar nichts anderes, als daß er sich uns durch seine Gaben kundtut, uns durch seine Gaben und Eingebungen, natürliche oder gnadenhafte, erweckt und sein Licht in unsern Geist einstrahlen läßt. Und das ist die Rede und Ansprache oder das Wort, das diesen Namen ganz eigentlich verdient und das voller Süße ist; ihm gegenüber fällt die außen vernehmbare Rede und das gesprochene Wort ab. Daß wir aber mit Gott sprechen, ist nichts anderes, als daß wir ihn und seine Eingebung gehorsam hören, uns von den übrigen Dingen ab- und ihm zuwenden, um ihm ähnlich zu werden, nach Art mancher Berge und Örtlichkeiten, die denen, die zu ihnen hinrufen, antworten und [zurück-]rufen. Jedermann kennt den Widerhall, den der Philosoph Echo nennt. … Ein [anderes] Beispiel ist der Spiegel. Er reflektiert das Bild und die Form des sichtbaren Gegenstandes und antwortet ihm [damit gleichsam]. Hierbei ist die Einstrahlung oder Erzeugung des Bildes [im Spiegel] das Sprechen des sichtbaren Gegenstandes, während die Reflexion des Spiegels seine Antwort und sein Sprechen ist. Das Zwiegespräch, das sie miteinander führen, klingt zusammen in dem von ihnen erzeugten Bild, das gleichsam ihr Sproß ist]. . Eckhart, In Gen. II n. , LW I, ,-,; ,-,; trans. ibid.
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Die beiden von Eckhart verwendeten Vergleiche – das Echo und das Spiegelbild – sind somit nie bloß dingliche Naturphänomene, sondern besitzen in sich schon worthaften, kommunikativen Charakter. Das bedeutet umgekehrt, dass auch Gottes ‚Sprechen‘ und die ‚Antwort‘ des Menschen nicht primär einen verbalen, äußerlichen Charakter besitzen, sondern sich auf der Ebene des formgeprägten Seins und der inneren Orientierung unserer Existenz vollziehen. Dass wir sind, was wir sind, ist bereit die ursprünglichste Anrede Gottes an uns, und dass wir unserem Leben kraft unserer Vernunftnatur eine bestimmte Orientierung geben, ist bereits die eigentliche Erwiderung auf dieses Angesprochensein. Insofern ist für Eckhart die göttliche Offenbarung kein äußerer, sprachlicher Anruf, der den Naturzusammenhang in inkommensurabler Weise durchbräche, sondern vollzieht sich still und unaufdringlich in der Mitteilung der intelligiblen Form an all das, was ist, und die Annahme dieser Selbstmitteilung vollzieht sich ebenso unspektakulär in der verstehenden Aufnahme und ethischen Umsetzung dieser intelligiblen Formen und Gesetzmäßigkeiten durch den Menschen. Auch die Hl. Schrift sagt in diesem Sinne nichts wesenhaft anderes als das Buch der Natur, sondern vermittelt dieselben Gesetzmäßigkeiten, die sich auf präverbaler Ebene bereits in der Natur manifestieren, auf andere Weise, nämlich in sprachlicher, aber bildlich verhüllter Form. Damit will Eckhart keineswegs die in der Bibel geschilderte privilegierte Beziehung Gottes zum Menschen leugnen, sie aber aus gewissen personalistischen und supranaturalistischen Verengungen befreien, um die Bedeutung von Schriftoffenbarung, Menschwerdung und Erlösung in den Zusammenhang der ganzen Schöpfung hineinzustellen. Insofern der Mensch ein vernunftbegabtes Ich ist, tritt er Gott in der Tat als Dialogpartner auf der Ebene vernünftiger Subjektivität gegenüber. Insofern der Mensch als Lebewesen ein Teil der geschaffenen Natur ist, die eine Ausfaltung der innergöttlichen Vernunftnatur darstellt, sind jedoch auch die Naturgesetze nie ‚profan‘ und außerbiblisch, sondern geben Aufschluss darüber, wie sich der Mensch, der sowohl ein Teil des
. ‚Ostende mihi gloriam tuam‘ … Quod autem ait ‚mihi‘, docet quod talis visio datur mundis et puris corde. Pronomen enim puram substantiam excluso omni alio significat. … Homo enim per intellectum est homo. Et hoc suum est et sibi proprium est, habere intellectum. Intellectu autem proprie videtur claritas dei (Eckhart, In Exod. nn. -, LW II ,; ,-; ,-).
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Kosmos als auch in sich ein ganzer Mikrokosmos ist, verhalten muss, um seiner eigentlichen Natur gerecht zu werden. In der Beziehung zwischen Gott und Welt gibt es verschiedene Grundphänomene bzw. Grundgegebenheiten, die gleichsam Eckharts metaphysische Naturgesetze ausmachen: Die Wirkung des Oberen auf das Niedere ist sein ‚Gesetz der Gravitation‘; die schlagartige Ausbreitung des göttlichen Lichtes durch ein transparentes Medium und seine Reflexion auf der Spiegeloberfläche des menschlichen Geistes könnte man als seine ‚theologische Optik (bzw. Katoptrik)‘ bezeichnen; das allen Körpern eigene Streben nach und Ruhen in ihrem natürlichen Ort ist gewissermaßen sein ‚metaphysisches Trägheitsgesetz‘; die Anziehungskraft, die Gott auf die Dinge und insbesondere auf den Menschen ausübt, ist gleichsam Eckharts ‚theologische Elektromagnetik‘ usw. Von noch fundamentalerer Bedeutung ist allerdings ein Gesetz, das all seinen theologischen wie homiletischen Bemühungen zugrunde liegt und das man als ‚Gesetz der universalen Transformation‘ bezeichnen könnte – gleichsam Eckharts ‚Erster Hauptsatz der metaphysischen Thermodynamik‘, der vor allem in seinem Johanneskommentar zum Tragen kommt. . Das Gesetz der universalen Transformation aller Dinge in Gott Im Johannesevangelium geht es primär um die Selbstoffenbarung Jesu als desselben Logos, in dem Gott die Welt geschaffen hat und der seine göttliche Natur durch die zahlreichen ‚Ich bin …‘-Aussagen manifestiert. Im Vergleich zu seinen Genesiskommentaren betont Eckhart hier aber weniger den Hervorgang der geschaffenen Vielheit aus der absoluten Einheit als vielmehr die auf dem Begriff der Form beruhende, universale Transformationskraft der Wirklichkeit als ganzer, die es dem Menschen letztlich auch ermöglicht, in Gott hinübergeformt zu werden, derselbe Sohn zu sein wie Christus und seinerseits die Vielheit des Geschaffenen wieder in ihren göttlichen Grund zurückzutragen. Mit Aristoteles geht Eckhart davon aus, dass alle innerweltlichen Dinge nicht nur aus Form und Materie bestehen, sondern dass sich . Vgl. Eckhart, In Gen. I n. , LW I, ,-. . Eine ausführliche Aufstellung dieser metaphysischen ‚Naturgesetze‘ findet sich bei D. Gottschall, ‚La natura nel corpus omiletico di Meister Eckhart‘ (), -.
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aufgrund der völligen Unbestimmtheit und grenzenlosen Aufnahmefähigkeit der Materie grundsätzlich alles, was ist, auch in alles andere verwandeln kann. Was das Sosein der Dinge ausmacht, ist demnach Form, Materie und Privation, auf deren Grundlage sich jedes Naturphänomen und jeder Veränderungsprozess erklären lässt. Dies gilt in Eckharts Augen sogar für die von Jesus gewirkten Wunder, die für ihn keine supranaturalistische Durchbrechung der Naturordnung darstellen, ebenso wenig aber auch als bloß symbolische Erzählungen ohne reales Fundament gedeutet werden dürfen. Was in den Wundern zum Ausdruck kommt, ist die extrem stark beschleunigte und insofern aufsehenerregende Sichtbarmachung der Transformationskraft, die als solche der Natur immer schon innewohnt, sich in der Regel aber nicht in derartiger Geschwindigkeit zeigt. Die primäre Wirkung der Wunder besteht denn auch nicht in erster Linie in dem betreffenden Naturvorgang als solchem, sondern in der veränderten Perspektive, die der Mensch dadurch auf sich selbst und die Wirklichkeit in ihrer Gesamtheit gewinnt. Die Sichtbarmachung der Verwandlungskraft, die schon den endlichen Formen der materiellen Natur innewohnt, soll ihn zu der Einsicht führen, dass er selbst sich kraft seiner ungeschaffenen Vernunftnatur, die Ebenbild der unbegrenzten göttlichen Form ist, in Gott hinüberverwandeln kann und soll. Dies geschieht dadurch, dass der Mensch sich nicht primär von seiner personhaften Individualität, sondern von seiner Intellektnatur her versteht, die ihn mit der vom Logos angenommenen universalen Menschennatur als ganzer verbindet. In dem Maße, wie es dem Menschen gelingt, sich aus seiner Zersplitterung in das kreatürliche ‚Dies und das‘ zu lösen und sich in die Einheit der Menschheit als solcher zu transformieren, ist er im univoken Sinne ein und derselbe Sohn Gottes wie Christus. Das bedeutet aber auch, dass der Mensch für Eckhart nicht einfach ein passiver Gegenstand der Erlösung, sondern Mitakteur der Erlösung der Wirklichkeit als ganzer ist. . Vgl. Eckhart, In Ioh. n. , LW III ,-,. . Vgl. Eckhart, In Ioh. n. , LW III ,-,. Zu Eckharts Deutung des Wunders als eines eminenten Grenzfalles der natürlichen Transformationskraft vgl. Martina Roesner, ‚Verwandelnder Blick. Meister Eckharts spekulative Deutung der eucharistischen Realpräsenz‘, Theologie und Philosophie (), -. . Vgl. Eckhart, In Ioh. n. , LW III ,-,. . Vgl. Eckhart, In Ioh. nn. -, LW III ,-,.
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So, wie die ‚Sünde‘ für Eckhart keine ausschließlich moralischanthropologische Bedeutung hat, sondern ganz generell auf einen Bruch in der Naturordnung hindeutet, so ist auch der Begriff der Erlösung bei ihm derart universal gefasst, dass er sich auf die geschaffene Welt als ganze bezieht. Diese ist in sich zwar als gut geschaffen, doch bedeutet die Schöpfung als solche schon ein relatives Hinaustreten aus der absoluten Einheit des göttlichen Ursprungs in die Vielheit, und diese Vielheit ist es, die es dem Menschen ermöglicht, zu sündigen, indem er ‚diesem oder jenem‘ endlichen Guten den Vorzug gegenüber Gott als dem absolut Guten gibt. So gesehen, erfordert eine umfassend gedachte Erlösung für Eckhart nicht nur das Hinübergeformtwerden des Menschen in Gott, sondern verlangt darüber hinaus auch das durch den Menschen zu leistende Zurücktragen der in die Materie zersplitterten Vielheit der Formen in ihren göttlichen Einheitsgrund. Dies geschieht dadurch, dass der Mensch kraft seines Intellekts die intelligiblen Formen der Dinge aus der materiellen Wirklichkeit herauslöst und sie nicht nur in sich betrachtet, sondern sie in ihrem ersten Ursprung erkennt, aus dem sie ausgeflossen sind. Wenn man das Auseinandertreten der in Gottes Geist zugleich und in wechselseitiger Durchdringung enthaltenen Formen in die Vielheit der Wirklichkeit gleichsam als Beginn einer metaphysischen Entropie betrachtet, die zugleich mit der geschaffenen Natur auch die Möglichkeit einer Störung dieser Naturordnung und ihrer Gesetze begründet, so ist Eckharts These einer Rückführung der intelligiblen Formen in die Einheit ihres göttlichen Ursprungs gleichsam die metaphysische Umkehrung des Zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik: Das Maß der Zersplitterung und Unordnung innerhalb des Kosmos nimmt nicht zwangsläufig zu, sondern kann vom Menschen wieder umgekehrt werden, indem er sich von Gott überformen lässt und seinerseits alle Dinge in Gott zurückträgt und zurücktransformiert. Diese Rückführung der . Vgl. Eckhart, In Gen. I n. , LW I, ,-,; ibid. n. , LW I, ,-. . Vgl. Eckhart, In Gen. nn. -, LW I, ,-,. . Vgl. Eckhart, In Ioh. n. , LW III ,-; id., Super Eccl. n. , LW II ,-. . Vgl. dazu Wouter Goris, ‚The Unpleasantness with the Agent Intellect in Meister Eckhart‘, in S.F. Brown, T. Dewender und T. Kobusch (eds), Philosophical Debates at Paris in the Early Fourteenth Century (Leiden, Boston, ), -. . Vgl. Eckhart, In Ioh. nn. -, LW III ,-,. . Eckhart, Pr. , DW IV, ,-,.
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Vielheit in die Einheit ist etwas, das nicht nur dem Wesen Gottes, sondern auch dem Wesen der Natur gemäß ist. Dennoch verlangt sie von dem in das ‚Dies und das‘ seiner Kreatürlichkeit zerstreuten Menschen eine bewusste Umkehr und erneute Hinwendung zu dem ungeschaffenen Vernunftprinzip, das seine wahre Natur ausmacht. Diese Umkehrung der ‚metaphysischen Entropie‘ verlangt daher, so wie im Bereich der Physik auch, eine Anstrengung und einen gewissen Energieaufwand seitens des Menschen. Eckhart kleidet dies in das von ihm oft verwendete Bild des Feuers: Bei brennendem Holz kann man beobachten, dass sich einzelne Funken von ihrem irdischen Ursprung lösen und nach oben streben, um sich mit ihrem ‚natürlichen Ort‘, dem elementaren Feuer des Himmels, zu vereinigen, auch wenn sie auf dem Weg dorthin verlöschen. Ebenso ist auch das Streben der menschlichen Vernunftseele zu Gott, ihrem natürlichen Ort, mit einem Energieverlust auf der Ebene der Geschöpflichkeit verbunden, da der Mensch Kraft aufwenden muss, um den auf immer größere Zerstreuung und Unordnung ausgehenden Drang seiner geschöpflichen Leidenschaften umzukehren. In dem Maße, wie der Mensch sich ganz von Gott überformen lässt, wird er jedoch von der göttlichen Form durchdrungen und ganz in deren Glut hineingezogen. Die Zunahme der metaphysischen Entropie innerhalb der Wirklichkeit ist demnach kein unabänderlicher Prozess, sondern kann jederzeit umgekehrt werden, sofern sich der Mensch nur von seiner Vernunftnatur, die ihn mit dem göttlichen Einen verbindet, bestimmen lässt.
. Schlussbetrachtung Meister Eckharts exegetischer Ansatz nimmt innerhalb des scholastischen Denkens des . und . Jahrhunderts eine Sonderstellung ein, insofern er die methodische Unterscheidung von aristotelischer Philosophie und christlicher Offenbarungstheologie nicht übernehmen will, sondern dieser . Secundo notandum quod, sicut omnia esse desiderant, ut ait Avicenna, sic omnia numerum sive imperfectionem, utpote recessum et casum ab esse, fugiunt et detestantur. Et quo maior est recessus ab uno, quod cum ente convertitur, tanto magis odiosum et deo et naturae (Eckhart, In Gen. II n. , LW I, ,-,). . Vgl. Eckhart, BgT, DW V ,-,. . Vgl. Eckhart, BgT, DW V ,-,.
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Entwicklung vielmehr entgegenzusteuern versucht. Seine Bibelkommentare erweisen sich als eine besonders geartete Form der Schriftauslegung, die gerade nicht auf den biblischen Text als Text fixiert ist, sondern ihn als Anweisung auf ein bestimmtes Verständnis der Natur der Dinge und ihrer Gesetzmäßigkeiten liest. Das primäre und eigentliche Buch, um dessen Auslegung es Eckhart geht, ist die Wirklichkeit als solche in ihrer untrennbaren Verschlungenheit von ungeschaffener, göttlicher Vernunftnatur und geschaffener, materieller Natur. Entscheidend dabei ist, dass die physische Natur nicht nach dem Paradigma der aristotelischen Dingontologie gedeutet wird, sondern vielmehr unter dem Gesichtspunkt der Weitergabe der intelligiblen Form, die in sich schon einen kommunikativen Charakter besitzt. Wort und Antwort sind somit keine spezifisch menschlichen, von der äußeren Sprache abhängenden Phänomene, sondern bilden die Grundstruktur der Wirklichkeit als solcher. Insofern sich die immanenten Strukturen des göttlichen Intellekts in die intelligiblen Formen der einzelnen Dinge auseinanderfalten, stellt die geschaffene Welt als solche bereits eine erste Aus-legung und Hermeneutik des göttlichen Wortes dar, die aller exegetischen Schriftauslegung vorangeht und ihr die Richtung vorgibt. Das bedeutet zum einen, dass die Exegese, wie Eckhart sie versteht, sich nicht als eine von den anderen Disziplinen losgelöste Spezialwissenschaft etablieren kann, sondern auf den Dialog mit den anderen Wissenschaften und vor allem mit der Philosophie angewiesen bleibt. Zum anderen bedeutet die untrennbare Verflochtenheit der Offenbarung Gottes in der Hl. Schrift mit seiner Selbsterschließung in der geschaffenen Natur aber auch, dass der Mensch die Bibel als Text nie losgelöst von seiner eigenen Existenz verstehen kann, sondern nur unter der Bedingung, dass er bereit ist, sich seiner eigenen Vernunftnatur bewusst zu werden und seine Stellung als Protagonist im ‚Buch der Natur‘ entsprechend zu gestalten.
„Moraliter intellecta“. Meister Eckharts lebenspraktisch orientierte Schriftauslegung im Opus tripartitum CHRISTIAN STRÖBELE AKADEMIE DER DIÖZESE ROTTENBURG-STUTTGART, STUTTGART / UNIVERSITÄT TÜBINGEN, DEUTSCHLAND Abstract Eckhart’s reading of Scripture retraces a concordance of philosophy of nature, of ontology/theology, and ‘moral’ philosophy, where the latter is particularly concerned with the topic of human ‘perfection’. A closer reading shows that Eckhart’s focus is decidedly not on individual norms, virtues, or, e.g., outcomes of action, but on a foundational orientation of human will and, primarily, intellect. The veracious ‘good’ becomes a criterion of human action in a formal sense and according to a convergence of natural and divine order, thus also to an intertwining of ‘autonomous’ and ‘theonomous’ reason. This correspondence is most closely displayed by the application of ‘form’ and ‘matter’, ‘disposition’ and ‘actuality’ in Eckhart’s theory of virtue and action by way of the form of ‘goodness’, a theory that he develops amidst dense biblical references. Eckhart thereby elaborates his philosophy of human pursuit as a radically intentionalist and intellectualist ethics, culminating in the perfection of the ‘just’ in himself, whose action, as such, is univocally indifferent from enacting the epitome, or ‘form’, of justice, and which necessitates an overcoming of all outward evaluations from a self-centered viewpoint. Exceptional as Eckhart’s exegetical methodology might seem in the light of contemporary exegesis, his standards are challenging: The ‘exposition’ of scriptural meaning has to demonstrate its accordance with our best-explaining theories on matters of nature, metaphysics, and practical philosophy, thereby requiring the exegete to engage with contemporary philosophy of nature, morality, and science. This interrelation involves the human pursuit of beatitude, inasmuch as this desire proves insatiable within finite conceptions, making up not an addendum, but the centre and vanishing point of human praxis.
CHRISTIAN STRÖBELE
. Hinführung
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um allergrößten Teil haben wir Eckharts Denken in Form von Kommentierungen biblischer Texte vorliegen. Abgesehen von wenigen mittelhochdeutschen Traktaten und traktatartigen Passagen im Opus tripartitum entwickelt Eckhart seine Überlegungen als Auslegung der Wahrheit der Schrift. Die mittelhochdeutschen Predigten unternehmen dabei teilweise sehr weite Ausflüge über ganze Motivketten und Bildbereiche hinweg: Architektonische Szenarien wie Burgen werden ausgeschritten, das Verhalten diverser Tiere und Naturphänomene verfolgt, gelegentlich unter Anknüpfung an gewagte Umstellungen des biblischen Ausgangstextes. Die Auslegungsideen im lateinischen Werk sind zwar oft eher stenographische Notizen, aber sie sind nicht weniger kreativ, oftmals bieten sie eine ganze Fülle an weiterverfolgbaren Möglichkeiten; zu Joh , beispielsweise an der Zahl. Fragt man, was diese aus heutiger Sicht vielleicht kühn anmutende Umgangsweise mit dem heiligen Text legitimiert und was die umgreifende Zielsetzung zum Beispiel solcher Zusammenstellungen von Auslegungsmöglichkeiten, manchmal eine ungewöhnlicher als die andere, ist, fragt man also nach der Methodologie von Eckharts Schriftauslegung, so wird man bekanntlich die explizitesten Angaben dazu im lateinischen Werk finden: in den Prologen, vor allem auch zum sogenannten zweiten Genesiskommentar, der programmatisch als ‚parabolische‘ Schriftauslegung firmiert, und z.B. in einigen grundsätzlichen Passagen des Johanneskommentars. Eine frühere Tagung hat diese exegetische Programmatik Eckharts in den Blick genommen. Aus dem, was dort an Grundlagen darzustellen versucht wurde, seien hier nur fünf Aspekte kurz und thetisch verkürzt vorausgeschickt: .
Eckhart schreibt u.a. Thomas von Aquin weiter mit der These: jeder wahre Sinn ist Wortsinn. Denn der Wortsinn ist der vom Urheber
. Vgl. Eckhart, In Ioh. nn. -, LW III ,-,. . Vgl. Christian Ströbele, ‚Parabeln der Vernunft. Maimonides’ Schrifthermeneutik als Quelle für Eckharts philosophische Exegese‘, in M. Roesner (ed.), Subjekt und Wahrheit. Meister Eckharts dynamische Vermittlung von Philosophie, Offenbarungstheologie und Glaubenspraxis (Leuven, ), -.
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intendierte Sinn, und Urheber der biblischen Schriften ist der Hl. Geist, der alle Wahrheit lehrt, also geradezu jeden wahren Sinn intendiert; ohnehin müsse bisweilen der tropologische Sinn mit dem ‚geschichtlichen‘ und ‚buchstäblichen‘ Sinn identifiziert werden; ganz genauso, wie man Aussagen wie ‚die Wiese lacht‘ gar nicht sinnvoll oberflächlich-buchstäblich nehmen kann. Eckhart unterscheidet allegorische Interpretationen, die Einzelbegriffe vertiefen, und parabolische, die ein gesamtes Bild auslegen. Er versteht dies auch von Maimonides her, der die Unterscheidung adaptiert von Begriffsentleihung (hash’alah) und Bildauslegung (mashal, isti῾āra). Die klassische Unterscheidung von Oberflächen- und Tiefensinn versteht Eckhart ebenfalls in Anlehnung an Maimonides. Dieser folgt damit einer Unterscheidung, die auch im Sufismus weithin gebraucht wird, nämlich von oberflächlichem und innerem Sinn (al-ma῾nā al-bāṭin / al-ẓāhir), welcher der eigentliche Sinn ist. Schon Maimonides hatte diesen tieferen Sinn besonders auf Metaphysik und Naturphilosophie bezogen. Eckhart setzt das fort, ebenso wie das maimonidische Prinzip, wonach alles Wahre ‚aus derselben Ader‘ stammt. Dieses Einheitsprinzip der Wahrheit bezieht Eckhart programmatisch auf eine schon patristisch grundgelegte Trias von Wissensbereichen: i. Theologie bzw. Metaphysik, ii. Naturphilosophie,
. Vgl. Eckhart, In Gen. II n. , LW I, ,-. . Vgl. z.B. Eckhart, In Ioh. n. , LW III ,-, mit der augustinischen Unterscheidung von disciplina morum, disciplina naturalis christianis, rationalis disciplina. Id., In Ioh. n. , LW III ,- spricht davon, dass sich Gottes Weisheit durch die Inkarnation dergestalt als unser Erlöser erweise, dass sie fortwährend unser Lehrer in rebus divinis, naturalibus et moralibus ist. Id., In Sap. n. , LW II ,- führt für die drei wesentlichen Teile der Philosophie die Handschrift C morali, naturali et mathematicae an, Handschrift K naturali, mathematicae et metaphysicae und Handschrift E naturali, mathematicae et divinae. Nach id., In Gen. II Prol. n. , LW I, ,- behandelten Plato und alle antiken Theologen oder Dichter unter ‚Parabeln‘ divina, naturalia et moralia. Entsprechend sind etliche Einzelheiten (singula) Ausdruckformen (expressiva) der Eigentümlichkeiten der Gegenstände in Natur und ‚Moral‘, ‚wie die Philosophen davon sprachen‘: Id., In Ioh. n. , LW III ,-. So fließen gleichsam in Eckharts Auslegungen ‚aus derselben Ader‘ (ex eadem vena) die Wahrheit und Lehre der Theologie und der Natur- und Moralphilosophie (und weiterer wie etwa des Rechts): Id., In Ioh. n. , LW III ,-. . In dieser Dreiteilung sind Metaphysik und Theologie nicht unterschieden, wie dies der Bestimmung nach Aristoteles, Met. VI entspricht; andernorts folgt Eckhart der Auffassung, dass die Metaphysik das Sein als solches behandele, wobei beides aufgrund seiner zugespitzten Lesart der Austauschbarkeit von deus und esse eher die avicennische Position radikalisiert als die averroistische
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iii. Moralphilosophie. Diese stehen in Konkordanz und verweisen wechselseitig aufeinander. Mindestens in Eckharts späteren Schriftauslegungen ist diese Trias strukturgebend. Aber z.B. im Exoduskommentar finden sich überhaupt keine explizit als moraliter qualifizierten Auslegungen. Dieses Vorgehen kann man auch verbinden mit Eckharts Programmaussage, Auslegungen ‚mittels der naturbezogenen Gründe oder Gesichtspunkte (rationes naturales)‘ vorzulegen. Es geht dann weniger um einen Unterschied zwischen natürlichen Beweisgründen versus Glaubensmysterien, was sich bestätigt, wenn man die Auslegungen in naturalibus und die von Eckhart konstatierten Entsprechungen in divinalibus im Einzelnen nachvollzieht. Im Folgenden ist aber vor allem auf die Auslegungen moraliter einzugehen. Man könnte diese eine ‚lebenspraktische‘ Hermeneutik nennen. ‚Leben‘ und ‚Praxis‘ sind Begriffe, die mit Eckhart immer wieder verbunden wurden, z.B. in Anlehnung an den Eckhart zugeschriebenen Spruch wêger wêre ein lebemeister denne tûsent lesemeister. In der seltener mitzitierten Fortsetzung geht es darum, dass die Pariser Schrift-Gelehrsamkeit wenig beiträgt zu existentiellen Fragen nach der Bestimmung verlängert: Averroes hatte dabei ein ens commune im Blick, was im Blick auf Endliches für Eckhart entfallen muss aufgrund der alle Differenzierung ausschließenden letzten Simplizität des Göttlichen (ausführlich zu den unterschiedlichen Auffassungen vom proprium subiectum der Metaphysik Albert Zimmermann, Ontologie oder Metaphysik? Die Diskussion über den Gegenstand der Metaphysik im . und . Jahrhundert. Texte und Untersuchungen, Recherches de Théologie et Philosophie Médiévales – Bibliotheca [Leuven, ]). Gleichzeitig führt Eckhart damit die bei Albert zuerst zu findende Verbindung mit den Transzendentalbegriffen fort. Vgl. dazu Jan A. Aertsen, ‚Albert der Große und die Lehre von den Transzendentalien. Ein Beispiel der Vermittlung von Tradition und Innovation‘, in W. Senner (ed.), Omnia disce. Kunst und Geschichte als Erinnerung und Herausforderung (Köln, ), -; id., ‚Albertus Magnus und die mittelalterliche Philosophie‘, Allgemeine Zeitschrift für Philosophie (), -, -. . Eckharts ‚zweiter‘ Genesiskommentar eröffnet seine Absicht wie folgt: Der ‚erste‘ Kommentar habe sich mehr dem offener daliegenden Sinn (ad sensum apertiorem) gewidmet, nun solle der eher verborgene – andernorts: ‚verhüllte‘ (in velamento): Eckhart, In Gen. II n. , LW I, , – Sinn hervorgelockt werden, damit die ‚mehr mit der Sache Vertrauten angeregt werden‘, auch an den in Eckharts Kommentierung übergangenen Stellen erfolgreich zu suchen nach einem besseren Verständnis der verborgenen Wahrheiten ad divina, naturalia et moralia (id., In Gen. II n. , LW I, ,-). . Franz Pfeiffer, Deutsche Mystiker des vierzehnten Jahrhunderts, Band : Meister Eckhart (Göttingen, ), ,-; ausführlicher hierzu Bernard McGinn, The mystical thought of Meister Eckhart: The man from whom God hid nothing (New York, NY, ), -; Freimut Löser, ‚Meister Eckhart und seine Schüler. Lebemeister oder Lesemeister?‘, in A. Speer und T. Jeschke (eds), Schüler und Meister, Miscellanea Mediaevalia (Berlin, Boston, ), -, -.
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des Lebens: Solte ich einen meister suochen von der geschrift, den suohte ich ze Parîs und in hôhen schuolen umbe hôhe kunst. Aber wolte ich frâgen von vollekomenem lebenne, daz kunde er mir niht gesagen. Freimut Löser hat dargestellt, dass Eckhart solchen Prioritäten zumindest nahesteht. Ich ergänze nur noch ein Beispiel aus einer von Eckharts Auslegungen moraliter, und zwar zu ‚… und das Leben war das Licht der Menschen‘: Dies wolle besagen: Ein (‚heiliges‘) Leben erbaut und erleuchtet den Nächsten mehr als Worte. Aber natürlich entfällt bei Eckhart die Dichotomie von gelehrsamen Worten und erbauender Lebenszuwendung, von Lebe- und Lesemeisterschaft ohnehin. In diesem Sinne hat z.B. auch Loris Sturlese mit Bezug auf Seuse formuliert, was ähnlich auch von Eckhart zu sagen wäre, nämlich, dass ‚unter dieser Perspektive‘, nämlich in einer Linie, die u.a. über Cicero und Ammonius zu Eckhart führt (und die z.B. Theo Kobusch eingehender verfolgt hat, unter Einbezug von Stoa und Origenes etwa; hinzu gehört zumindest partiell auch Averroes), ‚die Begriffe „Lesemeister“ und „Lebemeister“ . Id., ‚Schüler‘ (), . . Vgl. Eckhart, In Ioh. n. , LW III ,-. . Vgl. nur Theo Kobusch, ‚Metaphysik als Lebensform. Zur Idee einer praktischen Metaphysik‘, in W. Goris (ed.), Die Metaphysik und das Gute, Recherches de Théologie et Philosophie Médiévales – Bibliotheca (Leuven, ), -, insbesondere auch zur stoischen Einteilung der Philosophie in Ethik – Physik – Logik bzw. Theologie, wie sie bei Origenes aufgenommen wird, S. - et passim; vgl. auch C. Ströbele, ‚Parabeln‘ (). . Der Apparat (Eckhart, In Gen. II n. , LW I, ) verweist für die Trias divina, naturalia et moralia auf Hieronymus und Averroes, De an. I com. (in A c. , a -, dort nach der Ausgabe der Werke des Aristoteles [Venedig, ]) mit den Kommentaren von Albert und Thomas. Averroes erklärt sich dort zur Priorität der Wissenschaft von der Seele und ihrem Nutzen für andere Wissensbereiche. Und zwar ist die Seele Prinzip alles Lebendigen, das Wissen um das Lebendige aber das Größtmögliche, was in Bezug auf die Bereiche der Natur wissbar ist. Für andere Wissenschaften bestehe dreierlei Nutzen: Erstens ist das Wissen von der Seele ein Teilbereich des Wissens von der Natur, und zwar der vornehmste; zweitens stellt das Wissen von der Seele anderen Wissenschaften mehr Prinzipien bereit, so den moralischen Wissenschaften (scientiae morali, dort weiter scilicet regendi civitates), denn diese beziehen daher die Zielursache des Menschen als solchen und das Wissen um sein Wesen, der Metaphysiker bzw. Theologe wiederum die Substanz seines Gegenstands, da die (von Materie) losgelösten Formen Intelligenzen sind; drittens ist das Wissen von der Seele allgemein nützlich und befähigt zur Erfassung und Bestätigung der ersten Prinzipien, nämlich durch das hier erworbene Wissen von der ersten Ursache von Propositionen; ist doch in Bezug auf jeden Gegenstand das von dessen Ursache ausgehende Wissen gewisser als das von dessen Sein ausgehende. – Hier finden sich also zumindest die drei Wissensbereiche von Natur, Metaphysik/Theologie und ‚Moral‘ genannt, und auch zu der von Eckhart angesprochenen Auffindbarkeit von Prinzipien der Wissenschaften und ihren ‚allgemeinen Regeln‘ (regulae generales) (Eckhart, In Gen. II n. , LW I, ,-) gibt es eine ungefähre Entsprechung. Die im Apparat (LW I, Anm. ) zur Stelle angeführten Kommentierungen bei Albert und Thomas führen davon aber eher noch weiter weg.
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keine Alternative bildeten; gipfelte doch die Lehre in einem gelebten intellektuellen Akt, der eine ausgesprochen religiöse und existentielle Dimension besaß und das ganze Sein des denkenden Subjekts betraf.‘ Tatsächlich sind die Begriffe ‚Leben‘ und ‚Praxis‘ oder ‚Akt‘ wiederkehrende Leitmotive auch in jenen Passagen von Eckharts Schriftauslegungen, die er als moraliter ausweist und in denen er mehrfach vom Leben des ‚vollkommenen Menschen‘ handelt. Schon das zeigt, dass kein Unterschied besteht zwischen dem ‚Lesemeister‘, der sich als theologischer Magister auf fachgemäße Auslegung der Schrift in Konkordanz mit Natur- und Moralphilosophie versteht, und dem ‚Lebemeister‘, der dabei ausweist, was Grund und Bestimmung des Menschen und seiner Praxis ist, vielfach in Einklang mit den Darlegungen in deutschen Predigten und Traktaten wie Von dem edeln Menschen oder den Reden. Was aber meint eigentlich eine Auslegung moraliter bei Eckhart? Die Übersetzer variieren: Mal ist die Rede von einer Auslegung ‚im Hinblick auf das geistliche Leben‘, mal ‚für das sittliche Leben‘ bzw. ‚mit Anwendung auf das Sittliche‘ oder ‚im Hinblick auf unser sittliches Verhalten‘, bisweilen auch schlicht ‚moralisch‘ oder gar auch ‚erbaulicher Art‘. Nichts davon ist falsch, aber nötig ist doch vielleicht zunächst eine vom Einzelnen ausgehende Zusammenschau der Zusammenhänge, die Eckhart moraliter entwickelt. Dabei lässt sich dann vielleicht auch beantworten, was Michael Egerding zu der zitierten Charakterisierung Sturleses anmerkt: dass nämlich erklärungsbedürftig sei, ‚was unter „einem gelebten intellektuellen Akt“ genauerhin zu verstehen ist‘ und wie dabei ‚vernünftiges Leben‘ ‚rationale Reflexion‘ sein könne. In vier Schritten sollen dazu Eckharts Auslegungen moraliter diskutiert werden: . als Tugend-, Haltungs- und Strebensethik, . als intentionalistische und intellektualistische Ethik, . als theologische und . als ‚biblische‘ Ethik. . Loris Sturlese, Homo divinus: Philosophische Projekte in Deutschland zwischen Meister Eckhart und Heinrich Seuse (Stuttgart, ), . . Vgl. z.B. zu Eckhart, In Gen. I n. , LW I, ; zu Tab. auct. Libri parab. Gen., LW I, ,. . Vgl. zur Tabula auct. libri Gen., LW I, -; vgl. Eckhart, In Gen. I nn. -, LW I, u.ö. . Vgl. zu Eckhart, In Gen. I n. , LW I, . . Vgl. zu Eckhart, In Gen. I n. , LW I, . . Vgl. zu Eckhart, In Ioh. n. , LW III . . Michael Egerding, Die Metaphorik der spätmittelalterlichen Mystik (Paderborn u.a., ), Bd. , .
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. Auslegungen moraliter als Tugend-, Haltungs- und Strebensethik Wenn Eckhart von der Konkordanz von Metaphysik bzw. Theologie, Naturphilosophie und Moralphilosophie spricht, dann kann man philosophia moralis in einem weiten Sinne verstehen als Reflexionstheorie der mores. Dass die Schrift einen ‚moralischen Sinn‘ habe, ist natürlich breit überliefert, und Eckhart verweist selbstverständlich auch auf die Praxis ‚der Heiligen‘ in der Schriftauslegung, fast jede Stelle einem tieferen Sinn nach auszulegen, und namentlich auf Thomas von Aquin und dessen Unterscheidung, wonach sich rationes figurales et mysticae beziehen können auf . . .
die Allegorie, wenn sie von Christus und der Kirche verstanden werden, die ‚Moral‘ (ad moralitatem), wenn sie auf die mores des „christlichen Volkes“ bezogen werden, die Anagogie, wenn sie auf den Zustand zukünftiger Herrlichkeit bezogen werden, in den wir durch Christus hineingeführt werden.
Eckhart geht über klassische „moralische“ Auslegungen aber hinaus, z.B. insofern er nicht zuvörderst einzelne ‚mores‘ behandelt, also keine Einzelnormen und Handlungsweisen, sondern es geht um die fundierende Formung des Willens und der Zielorientierung menschlichen Strebens. Wenn entsprechend der erste Schöpfungsbericht damit schließt, dass Gott nach seinem gesamten Wirken zur Ruhe kommt, so könne eine ratio moralis dies so erklären, dass Gott (als Inbegriff des Guten) in jedem guten Werk ruht, sei es auch noch so gering. Entscheidend ist für Eckhart also nicht die ‚Größe‘ der Handlung und ihrer Folgen, sondern die Orientierung des Wollens und Strebens. Eckhart beschreibt sie als Habitualisierung der Tugend. Deren Zielpunkt ist das Entfallen des subjektiven Eigenwollens im Wollen des Guten um seiner selbst willen, wie dies ansonsten ununterschieden wäre vom Wollen Gottes. . Eckhart, In Gen. II Prol. n. , LW I, ,-. . Thomas von Aquin, Summa Theologica I-II, q. , a. . . Siehe auch zuvor Thomas von Aquin, Summa Theologica I, q. , a. . Zu den thomasischen Prinzipien der Schriftauslegung ausführlich Maximino Arias Reyero, Thomas von Aquin als Exeget. Die Prinzipien seiner Schriftdeutung und seiner Lehre von den Schriftsinnen (Einsiedeln, ); Thomas Gilby (ed.), St Thomas Aquinas: Summa Theologiae: Volume (a. ): Christian Theology (Cambridge, ), -. . Vgl. Eckhart, In Gen. I n. , LW I, .
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Einen solchen ‚moralischen‘ Sinn, der sich auf die Orientierung des Wollens bezieht, gibt Eckhart bereits zu ‚Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde‘: Erst der Himmel, dann die Erde, damit zeige der Schrifttext an, dass die himmlischen Dinge den irdischen vorzuziehen sind. Wer es anders halte, gleiche einem Hund, der das Fleisch verliert, weil er nach dessen Spiegelbild schnappt. Oder er gleiche jemandem, der den Kopf unten und die Füße oben hat, wider die natürliche Neigung, die Ordnung Gottes und der Natur. Ein solcher werde sich selbst zur Last, und so verwundere es nicht, wenn er Mühsal leide. Aber auch wer zwar Gutes tut, aber dies nur aus Furcht, habe gleichsam die Erde im Auge (die irdische Strafe nämlich), statt das Gute um der Liebe zum Guten (‚den Himmel‘) willen. Man kann schon hier mehrere typische Gesichtspunkte festhalten: .
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.
Es geht Eckhart nicht um Einzelnormen, sondern um den formalen Gesichtspunkt, wonach das wahrhaft Gute (das ‚Himmlische‘) Bestimmungsgrund des Willens sein soll, anstatt eines Folgenkalküls, das auf weltliche oder göttliche Sanktionierung rechnet. Mögliche Handlungsfolgen werden nur als Gegenfolie aufgerufen: Wer die Orientierung seiner Existenz vom Kopf auf die Füße stellt, beschwert zuvörderst sich selbst. Wenn dann Negativeffekte erwartbar sind, so hat dies eher explanativen als motivierenden Status. Theologisch-fundamentalethisch konvergieren die Ordnung Gottes und der Natur, was Eckhart vielfach festhält. Modern gesprochen, konvergieren Vernunftautonomie und Theonomie im Entdecken des Moralischen. Das wird bezeichnenderweise lediglich formaliter postuliert. Die inhaltliche Einzelfüllung bleibt Sache konkreter Urteilsbildung.
. Vgl. Eckhart, In Gen. I n. , LW I, ,-. Ganz ähnlich noch an mehreren Stellen, z.B. könne der über Adam kommende tiefe Schlaf (Gen ,) bedeuten, dass der Mensch gleichsam ‚ein Schläfer‘ sein muss für weltliche und irdische Neigungen (vgl. In Gen. II n. , LW I, ,-). . Vgl. In Gen. I n. , LW I, -. . Vgl. Eckhart, In Gen. I n. , LW I, ,-. Dass Zielen an sich selbst besondere Würde zukommt, da sie um ihrer selbst willen sind, ist natürlich traditionelle Lehre, vgl. z.B. Thomas von Aquin, In De An. I, lect. , . . In diesem Sinne spricht Eckhart immer wieder davon, dass Gottes Ordnung gleichsam als Wurzel und Quelle das Gute bewirkt, z.B. In Gen. II n. , LW I, ,- und ,; vgl. auch In Gen. I nn. -, LW I, ,-,: Der Mensch ist der Natur nach vortrefflicher gegenüber allen übrigen Geschöpfen; der Naturordnung nach herrscht das Obere über das Niedere; aber die Leidenschaft stört ebendiese Ordnung.
„MORALITER INTELLECTA“
Wenn Eckhart Hinweise moraliter gibt, dann also weniger im Sinne einer normativen Ethik, die Einzelmaximen begründet bzw. empfiehlt oder Handlungsfolgen abwägt, gar solche der Nützlichkeit zugunsten subjektiver Präferenzen. Es geht vielmehr um eine Tugend- und Haltungsethik. Dabei werden aber wiederum von Eckhart gerade kaum einzelne Tugenden thematisiert und z.B. konkrete Handreichungen zu deren Voranbildung gegeben. ‚Tugend‘ ist eher ein Sammelbegriff für die handlungswirksame Orientierung am Guten selbst. Diesen formalen und holistischen Gebrauch des Tugendbegriffs reflektiert Eckhart mehrfach. Wenn z.B. (in Gen ,) Gott ‚am siebenten Tag von dem gesamten Werk ruhte‘, könne diese ‚Gesamtheit‘ auch so verstanden werden, dass Gott in denen ruht, welche die Gebote insgesamt erfüllen – und nicht nur einzelne, oder die nur ein bestimmtes gutes Werk tun. Denn die Tugenden seien miteinander verbunden (conexae). Die bekannteste Ausnahme ist Eckharts Aufmerksamkeit für die Tugend der Demut. So z.B. in einer ‚moralischen‘ Auslegung zu Joh ,: . So z.B. Eckhart, In Gen. II n. , LW I, ,- für die Gen ,- im Traum geschaute Leiter, die den Himmel berührt und auf der Engel Gottes auf- und absteigen: Nach einer möglichen Auslegung ad moralia könne man dafür Cicero bzw. Macrobius folgen und die vier Leitersprossen mit den vier Haupttugenden identifizieren, durch die man zum Himmel aufsteigt, oder mit den vier Tugendgattungen (politische, läuternde, geläuterte, vorbildliche) nach Macrobius, welche die Leidenschaften des sinnlichen Strebens besänftigen, aufheben, vergessen machen. . Eckhart, In Gen. I n. , LW I, ,-. . Dies hatte Eckhart schon zu Gen ,b (In Gen. I n. , LW I, ,-) vermerkt, dort ohne explizit von einer Auslegung moraliter zu sprechen; der Apparat weist nach, dass sich das Prinzip von der Verbindung der Tugenden z.B. bei Petrus Lombardus und Thomas von Aquin findet; vgl. auch Eckhart, In Sap. n. , LW II ,- und ibid. n. , LW II ,; id., Pr. (Pf. ), DW II ,: daz von nôt alle tugende zesamenhaftent. Der Zusammenhang der Tugenden in Ursprung, Vollzug und Ziel prägt weitere Predigten, so Pr. (Pf. ) mit dem Gedanken, dass jede Tugend als solche in der Liebe erfolgt, in welcher der Heilige Geist der zur Liebe Bewegende ist – zu einer Liebe, die nichts als die Gutheit und damit das Göttliche um seiner selbst willen will, so dass in der Einheit und Gleichheit dieses Ziels und Vollzugs alle Andersheit entfällt und geradezu alle je von Menschen gewirkten Tugenden dem derart lauter Liebenden zugehören (derselbe Gedanke z.B. auch id., In Ioh. nn. -, LW III ,-,). Pr. (Pf. ) führt alle Gebote Gottes zurück auf die wesenhafte Liebe und Güte Gottes, weshalb die Liebe auch kein Warum hat und der wahrhaft Liebende von allem Bezug auf sich selbst und einzelnes Geschaffenes lässt und die Tugenden selbst will und darin Gott gleichkommt, der gleichsam Frucht und Befruchtender aller Tugenden ist. Allerdings geht es Eckhart auch nicht etwa um einen bloßen allgemeinen Vorbegriff der Tugenden oder von Tugendhaftigkeit überhaupt, sondern – wie Pr. (Pf. ) mit Martha gegenüber Maria und mit ‚heidnischen Meistern‘ gegenüber Paulus selbst in einer bereits durch diese Konstellierung provokativen Zuspitzung herausstellt – die Tugenden werden erst durch die Übung in Werken erkannt (vgl. DW III ,-). . Eckhart selbst sah darin einen Schwerpunkt seiner Predigten in Paris, wie auch L. Sturlese, Homo divinus (), mit Verweis auf Acta Echardiana n. , LW V hervorhebt. Schon in
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‚Niemand ist in den Himmel hinaufgestiegen als der vom Himmel herabgestiegen ist: der Menschensohn, der im Himmel ist‘: Hinaufsteigen kann man zu Gott nur durch Demut, denn ‚wer sich erniedrigt, wird erhöht werden‘ (Lk ,). Das spiegelt gleichsam die Auf- und Abstiegsbewegung nochmals: Wie der Menschensohn herab- und hinaufsteigt, so soll der Mensch in Demut seinen Eigenwillen ablegen, um frei zu werden für den Aufstieg zum ‚Himmlischen‘, also zum vollendet Guten. Aber: Der Demut gebührt kein absoluter Vorrang. Sie ist nicht deshalb immer der Weg, weil es keinen anderen gäbe, sondern weil alle Wege ohne die Demut nicht zum Ziel führen. Mit Einzeltugenden verhalte es sich vielmehr wie bei partikular Wirkendem im Naturbereich. So vermerkt Eckhart moraliter zu Weish , ‚Du bist es, der von allem Übel erlöst‘: Allein Gott erlöst als Ursache von allem – und auch von allem Übel. Aber wie ein partikuläres Wirkendes nur von dem ihm entgegengesetzten partikulären Übel befreit, wie z.B. die Feuer-Form nur vom Nicht-Feuer-Sein befreit, so befreit im Sittlichen die Tugend der Demut nur vom Übel des Stolzes und nicht von allem Übel. Eben die Befreiung von Stolz und Eigensinn ist allerdings eine Ermöglichungsbedingung für die Zuwendung zum eigentlichen Ziel ‚freien‘ und letztlich glückenden Lebens. Strukturbildend für Eckharts allgemeine Analyse dazu, wie Tugend als ein habitus erworben und handlungswirksam wird, ist die Analogie den Reden bezieht Eckhart die Demut nicht auf Äußerliches, sondern auf die Vernichtung des Eigenselbst (vgl. DW V ,-: … vernihten sîn selbes … Danne ist diu dêmüeticheit allerêrst genuoc volkomen…); ähnlich z.B. id., Pr. a, DW I ,-; id., Pr. , s. bes. den Predigtschluss (DW II ,-,); id., Pr. (s. DW III ,-,). . Vgl. Eckhart, In Ioh. n. , LW III ,-. . Vgl. ähnlich z.B. auch Eckhart, Pr. , DW I ,-; id., Pr. , DW I ,-: Swenne sich der mensche dêmüetiget, sô enmac sich got niht enthalten von sîner eigenen güete, er enmüeze sich senken und giezen in den dêmüetigen menschen. . Der Traktat Von abegescheidenheit stellt sogar explizit der Demut die Abgeschiedenheit des Geistes voran. Freilich handelt es sich grundlegend um ein Bestimmungsverhältnis: Wahre, ‚vollkommene‘ Demut ist ausgezeichnet durch das Lassen vom Eigenselbst (wan volkomeniu dêmüeticheit gât ûf ein vernihten sîn selbes, DW III ,-) und dessen vermeintlicher Eigenmächtigkeit und dem Sich-Unterstellen unter Wirken und Barmherzigkeit Gottes, vgl. z.B. neben den vorbenannten Stellen auch Eckhart, Pr. , DW II ,-. Eine ausführliche Diskussion zum Thema bei Markus Enders, ‚Abgeschiedenheit des Geistes – höchste „Tugend“ des Menschen und fundamentale Seinsweise Gottes. Eine Interpretation von Meister Eckharts Traktat Von abegescheidenheit‘, Theologie und Philosophie (), -. . Vgl. Eckhart, In Ioh. n. , LW III ,-. . Vgl. Eckhart, In Sap. n. , LW II ,-,.
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zu metaphysischen bzw. naturphilosophischen Zusammenhängen, was sich gerade in der Konkordanz der diesbezüglichen Schriftauslegungen mehrfach widerspiegelt. So sollen Eckharts Ausführungen über Veränderung (alteratio) und Erzeugen (generatio) bezüglich der Wesensformen in der Natur auch für das Entstehen des Habitus oder der Tugend in moralibus gelten. Eckhart benennt insgesamt sieben Eigentümlichkeiten (proprietates) der Veränderung, darunter (etwas verkürzt): .
Veränderung und Erzeugen verhalten sich wie Ungeformtes zur Form bzw. Unvollendetes zu Vollendetem und . wie Weg und Ziel; der Weg führt hin zur Form und hat an der Form selbst teil und lässt sie bereits spüren, denn die Bewegung ist die Form selbst im Fluss (motus enim est ipsa forma fluens)! . Ihrem Was nach ist die Veränderung von und wegen der Form und des Erzeugens (generatio); . Veränderung beeinflusst, was ihr unterliegt, nur akzidentell, das Entstehen hingegen wesentlich; . Die Veränderung dient der Verwirklichung der Wesensform, die in der Materie als Möglichkeit verborgen liegt und dann zur Kenntnis kommt; diese (verborgene) Möglichkeit aber ist das Wesen der Materie (während umgekehrt die Akzidentien oberflächlich sichtbar und gerade nicht verborgen sind); . Das Erzeugen ist gegenüber der Veränderung früher der Absicht (und der Erkenntnis des Wirkenden) nach und später der (äußeren) Natur nach (d.i. im Blick auf die letztendliche Ausführung);
. Vgl. Eckhart, In Ioh. n. , LW III ,-,. Namentlich geht es hier um die Anfangsverse des Johannesprologs Joh ,- nebst einbezogenen späteren Versen wie Joh ,... Was dort von Johannes gesagt werde, weise auf die Natur der Veränderung, also des Werdens und Gelangens zum Sein sowohl der natürlichen Formen wie der moralischen Haltungen (habitus morales); was dagegen Johannes von Christus sage, mache die Eigentümlichkeiten der Wesensformen und der moralischen Haltungen selbst offenbar. . Eckhart, In Ioh. n. , LW III ,- verweist auf Avicenna (Met. IX c. , ra -, ed. S. van Riet, Liber de philosophia prima sive scientia divina [Leiden, ], -), demzufolge die Wesensformen wie die Tugenden vom Geber der Formen stammen und sich demnach gleichen. . Vgl. Eckhart, In Ioh. nn. -, LW III ,-,. . Vgl. Eckhart, In Ioh. n. , LW III ,-. . Vgl. Eckhart, In Ioh. n. , LW III ,-,, nach Avicenna, Sufficientia II c. , v b -, ed. S. van Riet u.a., Liber primus naturalium II (Bruxelles, ), . . Vgl. Eckhart, In Ioh. n. , LW III ,-.
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Gleichsam wie zum Schuh der Riemen gehört, der Schuh und Sohle verbindet, so verbindet die Disposition Form und Materie und gehört darin mehr zur Form, zu der sie notwendig hinführt, also mehr zum Erzeugen als zur Veränderung; sie hat bereits mehr von der (durch Erzeugen) entstehenden Form an sich als von der durch Veränderung vergehenden Form.
Da Eckhart die analoge Anwendbarkeit moraliter der geschilderten Verhältnisse von Form und Materie, Disposition und Verwirklichung hier nur beansprucht, aber nicht eigens ausführt, muss man sie supplementieren, was immerhin durch Paralleltexte erleichtert wird. Offenbar geht es ihm darum, dass der Tugendhafte bzw. der Gute als solcher nicht durch diese oder jene äußeren Zurichtungen zur Form der Güte hin verändert wird, sondern die Güte bereits als seine Möglichkeit bzw. Disposition vorausliegen muss. Er muss gleichsam der Absicht des Schöpfers nach zum Guten disponiert sein, so dass die Güte bereits sein Wesen und seine Form bestimmt, was durch Lassen von einer Orientierung am Vielen und am Wirken aus Eigenmächtigkeit freizulegen ist. An anderer Stelle verdeutlicht Eckhart dies mit Verweis auf die ‚natürliche Ordnung‘, in der z.B. Kälte nur vertrieben werden kann, wenn im fraglichen Ding bereits Wärme angelegt ist. Gleichsam wie die Statue schon im Stein verborgen liegt, aber erst herausgehauen . Vgl. Eckhart, In Ioh. n. , LW III ,-,; der Veränderung mangele die nötige Vollkommenheit oder Würde, um diese Materie und Form verbindende Disposition einführen oder prägen (inducere, imprimere) zu können. . Eckhart äußert sich noch mehrfach zur Disposition für die Form und deren Vorrang, z.B. In Gen. I n. , LW I, ,-; Von dem edeln menschen, DW V ,-, auch mit dem Unterschied im Wirken der Natur (die mit dem Geringsten beginnt) und Gottes (der mit dem Vollkommensten beginnt) sowie der Anwendung auf die Rückwendung der Vernunft ins Erste, Göttliche, von dem Form und Sein stammen. . Vgl. unter vielen ähnlichen Lehren moraliter: Eckhart, In Gen. II n. , LW I, ,-. . Vgl. In Gen. I n. , LW I, ,- (hier allerdings wird, anders als in Von dem edeln menschen, Gottes Schöpfung und der ordo naturalis dem Wirken des homo divinus gleichgestellt, während auf der Gegenseite der malus homo steht; je nach Pointierung kann Eckhart beide Richtungen betonen: dass Gott und die Vernunft dem Nacheinander ‚natürlicher‘ Wirkzusammenhänge enthoben sind oder dass die ‚Eigentümlichkeiten‘ der ‚Natur‘ trefflich veranschaulichen und dem entsprechen können, wie es sich in Bezug auf Gott und moraliter verhält; manches spricht dafür, dass Eckhart allerdings Ersteres in späteren Werken stärker betont, zumindest um Missverständnisse zu vermeiden, wie sie auf einem angenommenen ens commune des Endlichen bzw. einem univoken Seinsbegriff oder auf einer Applikation unserer Normalbegriffe von ‚Wirkursächlichkeit‘ aufbauen könnten).
„MORALITER INTELLECTA“
werden muss, so gilt, wie Eckhart mit Verweis auf Joh , ‚Wir sind Söhne Gottes, aber es ist noch nicht offenbar‘ andernorts hervorhebt, dass die eigentliche göttliche Form da ist, aber verdeckt unter ‚darübergeschriebenen‘ Orientierungen. Konsequenterweise nennt Eckhart umgekehrt andernorts den Sünder als solchen bar jeden Seins. In der Verwirklichung seiner eigentlichen Form verwirklicht der Gute als solcher die Form des Guten – gleichsam wie der Sohn, der Christus und Gott selbst ist, und gerade nicht gleichsam wie der auf Christus hin erst nur vorbereitende Johannes der Täufer. So kommen entsprechend auch die anfänglichen Auslegungs-rationes zum Johannesprolog zum Tragen: Alles gibt seinen Ursprung kund (‚im Anfang war das Wort‘), wie der Gerechte als solcher gleichsam Wort und Kundgabe des Prinzips der Gerechtigkeit ist. Wie im ersten Hervorgang nicht dem Wesen nach etwas anderes ist als der göttliche Ursprung, so ist der Gerechte als solcher nicht etwas anderes als die Gerechtigkeit selbst und insofern schon ‚vorher in seinem Ursprung‘. Wie in moralibus Handlungen, die der Tugend vorausgehen, schwer und mühevoll sind, solche, die dem Habitus der Tugend nachfolgen, . Vgl. Eckhart, In Ioh. n. , LW III ,-. . Vgl. zu Gen , ‚Es werde eine Feste zwischen den Wassern‘: Als sechste mögliche Auslegung moraliter vermerkt Eckhart hier, dass der Sünder, der Gott nicht lobt, kein Sein hat und nichts ist (Eckhart, In Gen. I n. , LW I, ,-). Das versteht sich von der Ausgangsidee her, dass die zwei Wasser (zwischen welchen die „Feste“ wird) das zweifache Sein der Dinge (ibid. n. , LW I, ,-) meinen können, nämlich zum ersten das ursprüngliche, unvergängliche, ideale Sein in den Ursachen und zum zweiten das vergängliche Sein in der äußeren Wirklichkeit (esse rerum extra in rerum natura) in der jeweils eigentümlichen Formgestalt (in forma propria). Dies fand in einem vorausgegangenen Hinweis (ibid. n. , LW I, ,-) auch Anwendung auf die Geistnatur des Menschen (natura intellectualis): Diese könne nämlich wiederum als ‚Wasser‘ bezeichnet werden, sofern sie wandelbar ist und als Geschöpf zunichtewerden kann und als Wesen freien Willens vom Guten zum Bösen sich abkehren (vertere) kann. Die Implikation moraliter ist dort schon deutlich genug und wird dann (in der sechsten Auslegung, n. ) eigens herausgestellt: der Sünder (als solcher) ist geradezu des Seins überhaupt bar. Mit weiteren Voraussetzungen und Zwischenschritten ergeben sich weiterreichende Zuspitzungen, wie sie auch in der Verurteilungsbulle (siehe Artikel - und - sowie , LW V ,-,) Niederschlag fanden; hierzu auch: Christian Ströbele, ‚Religiöse Selbstbestimmung: Das Modell des Moses Maimonides und seine Rezeption bei Eckhart von Hochheim‘, in D. Mieth (ed.), Religiöse Selbstbestimmung: Anfänge im Spätmittelalter, Meister-Eckhart-Jahrbuch, Beiheft (Stuttgart, ), - (bes. Anm. ). Vgl. auch Eckhart, In Ioh. n. , LW III ,-, wo die metaphysische These, dass jedes Geschöpf gemäß dem, was es in sich es, nichts und aus nichts ist, moraliter appliziert wird. . Vgl. Eckhart, In Ioh. n. , LW III ,-,. . Vgl. Eckhart, In Ioh. n. , LW III ,-. . Vgl. Eckhart, In Ioh. n. und n. , LW III ,- und ,-.
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aber leicht und ‚lieblich‘, so verhält es sich auch in der Natur bei Handlungen, die der Wesensform vorausgehen oder nachfolgen. Auf der einen Seite also Werden, Vielheit (multum, multitudo), Wandel, Unvollkommenheit, auf der anderen Seite Sein, Erzeugen (generatio), Unwandelbarkeit, Ewigkeit, Geist und Einfachheit. Im Zielpunkt der ‚Leichtigkeit‘ des Wirkens, wo das Werk um seiner selbst willen getan wird, ist dieses dann als solches in sich selbst angenehm, gleichsam wie bei Gott Wirken und Ruhe ineins fallen. Auch einige der wenigen Auslegungen moraliter im Weisheitskommentar gehören in diesen Themenkreis der anfangs beschwerlichen Habitualisierung der Tugend. Beispielsweise gelte wie allgemein in der Natur, dass der Aufstieg zu einem jeweils günstigeren Zustand nur allmählich erfolgt und sich dabei Habitus, Disposition und Tugend zueinander verhalten wie gebärende Form, geborener Spross und Veränderung. Die Beschwernis auf dem Weg zur Habitualisierung der Tugend konkretisiert Eckhart mehrfach, z.B. in der Auslegung moraliter . Eckhart, In Ioh. n. , LW III ,-,, vgl. z.B. ibid. n. , LW III ,-; jedes gute, göttliche, tugendhafte Werk ist im Anfang beengt und schwierig, am Ende aber süß, unbeengt und leicht; umgekehrt beim schlechten Werk, wie der Weg breit ist, der ins Verderben führt (Mt ,-); Eckhart, Sermo XLIII n. , LW IV ,-,. . Eckhart nennt noch Geändertwerden, Verwandeltwerden (fieri, alterari, mutari), Zeit, Körperliches, Teilung (divisio), Zerstörung (corruptio), Zahl, Vieles ‚und dergleichen‘: Eckhart, In Ioh. n. , LW III ,-. . Vgl. Eckhart, In Ioh. n. , LW III ,-; Eckhart nennt noch Unversehrtheit, Eins oder Einheit (unum, unitas). Derartige Entsprechungen zwischen (a) dem passiven und alles Viele verlassenden ‚göttlichen‘ Mensch, (b) dem Intellekt, der nichts vom Erkannten ist, (c) dem Gesichtssinn bzw. dem Auge, das selbst keine Farbe hat und so für jede Farbe aufnahmefähig ist, (d) den Akzidentien, die der Form vorausgehen versus nachfolgen (mit dem vielfachen Beispiel von Feuer-Hitze und Wand-Weiße) und (e) den mühsamen Akten, die dem habitus vorausgehen, versus den leichten, die ihm nachfolgen, bringt Eckhart mehrfach, z.B. in dieser Reihenfolge In Ioh. nn. -, LW III ,-, und zu (d) und (e) auch ibid. n. , LW III ,-,; wie (ad a) an die Stelle des Eigenwirkens die Passivität und das Wirken aus Gott tritt, so (ad e) treten im Gerechten als solchem an die Stelle der mit Mühsal verbundenen Tätigkeiten jene, welche freudvoll dem habitus nachfolgen, vgl. z.B. auch Eckhart, In Ioh. n. , LW III ,-, und mit diesem gattungsgleich sind, vgl. Eckhart, In Gen. I n. , LW I, ,-; s. Eckhart, In Ioh. n. , LW III ,-, zum Selbstbestimmtsein des Wirkens des Gerechten als solchen sowie Eckhart, In Ioh. n. , LW III ,-, zum (ad d und e) erst mit der Form bzw. dem habitus erreichten Genügen; wie (ad d) die Form alles zu ihr Stimmende gebietet, so (ad e) nimmt der habitus den Akt vorweg, vgl. Eckhart, In Gen. II n. , LW I, ,-. . Vgl. Eckhart, In Gen. I n. , LW I, ,-; vgl. id., In Sap. n. , LW II ,- und ibid. n. , LW II ,-. . Vgl. Eckhart, In Gen. I n. , LW I, ,. . Vgl. Eckhart, In Sap. n. , LW II ,-. . Vgl. Eckhart, In Sap. n. , LW II ,-,.
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von Gen , ‚Es ward Abend und Morgen, ein Tag‘: Dies zeige an, dass kein einziger Tag von einem Menschen völlig beschwerdelos durchlebt werden kann, da er nie alles besitzt oder allem Unerwünschten fernbleibt. Stets entbehrt er der Güter unvergleichlich mehr, als er besitzt. Solange also noch eine Existenzorientierung an irdischen Gütern und Präferenzen vorherrscht, ist der Mensch ‚eher elend als glücklich zu nennen‘. Der Mensch ist dann gleichsam noch ein Knecht und nicht frei, wie Eckhart bei vielen Vorkommnissen aus diesen Motivfeldern vermerkt, z.B. zu Joh , ‚Der Knecht bleibt nicht auf ewig im Haus, der Sohn bleibt auf ewig‘. Natürlich deutet Eckhart das ‚Haus‘ im Sinne der Seele und mit Blick auf das bleibende Innewohnen des Göttlichen in ihr. Auch hier zieht er die Analogie zu Form und Materie in der Natur: ‚Ewig‘ bleiben diejenigen Eigentümlichkeiten, die von der Form ‚gezeugt‘ werden, solange diese besteht. Wie in der Natur, so überhaupt dient das Wirken vorbereitend der Form und ihrer Aufnahme. Im Prozess solcher Vorbereitung und Veränderung hat das Erleiden noch Vorrang gegenüber der Freiheit. So auch im Falle der Orientierung am bloß nützlichen und lustvollen Guten (bonum utile et delectabile). Frei dagegen ist, was um seiner selbst willen ist, wie sittlich gut ist, was uns aus eigener Kraft anzieht – und so handelt freiwillig, wer um des Handelns willen handelt; in diesem Sinne geht es dann um das unbedingt Gute (absolute bonum, honestum). . Auslegungen moraliter als intentionalistische und intellektualistische Ethik Diese erste Übersicht, die um weitere Beispiele zu vermehren wäre, zeigt also: Eckharts Auslegungen moraliter sind nicht primär an Einzelnormen, Einzeltugenden oder den Folgen einzelner Werke orientiert. Sie gehören vielmehr erstens in den Kontext einer Tugend-, Haltungs- und Strebensethik. Und dabei steht zweitens vor allem die Handlungsintention als eine innere Bestimmung des Wirkens im Zentrum, die wiederum prinzipiell der Vernunfterkenntnis unterstellt ist. . Vgl. Eckhart, In Gen. I n. , LW I, ,-. . Vgl. Eckhart, In Ioh. n. , LW III ,-. . Vgl. Eckhart, In Ioh. n. , LW III ,-; ibid. nn. -, LW III ,-,. . Vgl. Eckhart, In Ioh. n. , LW III ,-,. . Vgl. Eckhart, In Ioh. n. , LW III ,-.
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Sehr deutlich wird das intentionalistische und intellektualistische Moment z.B. bei Eckharts Auslegung von Gen , ‚Wenn du wohl tust, wirst du empfangen‘: Es heiße nicht, so Eckhart, wenn du Gutes (bonum) tust, sondern wenn du wohl (bene) tust, denn das Verdienst hänge nicht am Nomen, sondern am Adverb; so ist auch nicht der ein Grammatiker, der grammatisch Richtiges vorbringt, sondern, wer dies aufgrund seiner grammatischen Wissenschaft vollbringt; entsprechend ist nicht der ein Gerechter, der etwas Gerechtes tut, sondern der recht (iuste) tut. Die kritische Edition bringt für iuste hier die Übersetzung ‚in rechter Gesinnung‘, was die Tendenz Eckharts durchaus trifft: ‚Gerecht‘ ist ein Werk, in dem nichts als der Hunger nach Gerechtigkeit wirksam ist. Und so besteht das Gutsein (bonitas) dem Ursprung nach (principaliter) und der Form nach im inneren Akt, wie auch das Ziel im eigentlichen Sinn Gegenstand des inneren Aktes ist, das Mittel aber Gegenstand des äußeren Aktes. Es geht also nicht primär um die Qualität des äußeren Werks – dieses könnte, wie ein grammatisch richtiger Satz, z.B. auch durch Zufall oder durch Nachsprechen gelungen sein. Es versteht sich von daher natürlich auch, warum das äußere Werk als solches nicht als ‚göttlich‘ oder als Verwirklichung von Gottes Willen im eigentlichen Sinn zählen kann – auch wenn die Verurteilungsbulle dies nicht annehmen möchte. Man könnte für eine solche Abstellung auf die formale Bestimmtheit des inneren Aktes an sehr viel spätere moralphilosophische Entwürfe denken wie etwa jenen Kants, der ja z.B. in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten in einer Art Ausschlussverfahren verschiedene Gesichtspunkte an zunehmend speziellen Beispielfällen durchspielt, um herauszufinden, in welchem Fall genau wir letztlich bereit sind, etwas ‚ohne Einschränkung für gut‘ zu halten – was darin mündet, dass das Kriterium dafür ‚allein ein guter Wille‘ sein könne, keineswegs aber eine Absehung auf Ansehen oder eigenen Nutzen. Enger im zeitlichen Kontext wäre diesbezüglich auf Abaelard, Anselm und andere zu verweisen, deren Moralphilosophie ebenfalls stark am Kriterium der Handlungsabsicht . Diese wird aber dort nicht eigens als moraliter oder anderweitig qualifiziert. . Eckhart, In Gen. II n. , LW I, ,-. . Zu Eckhart, In Gen. II n. , LW I, . . Vgl. Eckhart, In Gen. I n. , LW I, ,-. . Vgl. Eckhart, In Ioh. n. , LW III ,-. . Vgl. Bulle In agro dominico, Artikel -, LW V ,-,.
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orientiert ist; bezeichnenderweise nimmt Eckhart gerade mehrfach auf Anselms Begriff rectitudo Bezug, um seinen eigenen strikt formalen Begriff der ‚Gerechtigkeit‘ zu profilieren. Ein weiteres Beispiel für Eckharts in diese Richtung gehenden Auslegungen moraliter sind die vier diesbezüglichen Verstehensmöglichkeiten, die er zu Gen , vorschlägt: ‚Und Kain wurde sehr zornig, und seine Züge entstellten sich (nachdem Gott seine Gabe nicht ansah)‘: .
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Wenn ‚Abel‘ das Werk des Verstandes (ratio) und der Tugend, ‚Kain‘ dagegen das sinnliche Vermögen darstellt, dann wird letzteres durch ersteres gemindert und zurückgerufen. Unvollkommene sind gleichsam um Lohn arbeitende Knechte, die missmutig werden, wenn ihre Arbeit nicht beachtet und belohnt wird; der Lohn der Vollkommenen hingegen ist der Herr selbst. Unvollkommene tun ihr Werk gleichsam widerwillig, aus Furcht vor Strafe, Vollkommene (perfecti) hingegen tun das Gute um seiner selbst willen, weil es gut ist, aus Liebe zum Guten; Furcht aber ist ein Erleiden, Liebe aber Ziel und Ende allen Erleidens. Die Schlechten sind zornig über die Güter der andern, und zwar aus Neid, der wiederum aus Hochmut (superbia) entspringt, den Neider selbst mit Schaden bedeckt und so allein sich selbst schadet; in den durch Kain repräsentierten (significatis) Schlechten ist also zuvörderst der Hochmut und in dessen Folge Neid und Zorn.
Auch hier finden wir die deutliche Betonung, dass das letztliche ‚Gute‘ nicht durch ‚Lohn‘ oder ‚Furcht‘, sondern um seiner selbst willen als solches bestimmt ist und dass die Tugenden wie die Laster ihren Bestimmungsgrund in der Grundorientierung (Hochmut versus Demut) des Geistes haben. . Vgl. Eckhart, In Ioh. n. , LW III , nach Anselm, De veritate , ed. F.S. Schmitt (Edinburgh, ), I ,-; Eckhart, In Ioh. n. , LW III nach De veritate c. , ed. F.S. Schmitt (), I ,; c. , ed. F.S. Schmitt (), I ,. . Vgl. Eckhart, In Gen. II n. , LW I, ,-. . Vgl. Eckhart, In Gen. II n. , LW I, ,-; in diesem Sinne noch öfter, z.B. Eckhart, In Gen. II n. , LW I, ,-: Deshalb soll unsere Absicht (intentio) immer rein (pura) sein von allem äußeren Lohn (mercedis exterioris); Eckhart, In Sap. n. , LW II ,-: das Gute ist anziehend durch eigene Kraft; ibid. n. , LW II ,-,; ibid. n. , LW II ,-,; id., In Ioh. n. , LW III ,-,; id., Sermo XXIV, n. , LW IV ,-. . Vgl. Eckhart, In Gen. II n. , LW I, ,-,. . Vgl. Eckhart, In Gen. II n. , LW I, ,-,.
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Ein weiteres wiederkehrendes Motiv ist, dass die Orientierung am Guten um seiner selbst willen wahrhaft freimacht, dagegen die Orientierung am Sinnlichen, ‚Irdischen‘ und an den Leidenschaften den Menschen gleichsam zum ‚Knecht‘ macht. In diesem Sinne erklärt Eckhart z.B. Gen ,b (‚und der Mensch herrsche über die Fische des Meeres‘) moraliter: Wer selbst von Leidenschaften beherrscht wird und nicht ‚der Tugend nach‘ hervorragt, darf und soll nicht über andere herrschen. So versteht sich auch Eckharts bereits erwähnte systematische Unterscheidung zwischen dem ‚nützlichen und lustvollen Guten‘ (bonum utile et delectabile) (das nämlich noch dem Bereich der Leidenschaften, dem Irdischen, Sinnlichen zugehört) und dem ‚unbedingt Guten‘ (absolute bonum). Eckharts Hinweise in moralibus zielen fast ausnahmslos in dieser formalen Hinsicht ab auf die Orientierung am Guten um seiner selbst willen. Es gibt nur wenige Ausnahmen, wo materialiter bestimmte Handlungsweisen und -maximen diskutiert werden, und diese bestätigen diese Gesamtanlage eher. Dazu gehört die mehrfache Diskussion der Fallgruppe der Simonie: Wer etwa ‚im Tempel Gottes‘, ‚in der Kirche‘, Gutes tut, aber dabei Zeitliches oder anderes als Gott im Sinn hat, verhält sich gleichsam wie die von Jesus aus dem Tempel geworfenen Kaufleute (Joh ,-), ist gleichsam ‚ein Judas‘ (vgl. Mt ,-), ein ‚Simon‘ (vgl. Apg ,-), ein ‚Mietling‘ (mercennarius) und ‚Knecht‘ (servus). Denn wer ein Werk um des eigenen Nutzens willen sucht, tut ein Werk für sich selbst und nicht für Gott, ebenso auch, wer beim Fasten das, was er sich zeitweise entzieht, nicht den Armen gibt, sondern für sich selbst aufspart. Diese Fallgruppen veranschaulichen also gerade besonders deutlich, was Eckhart allgemein als Prüfkriterium vorlegt: Man soll Prinzip und Ziel (finis) der Absicht (intentio) prüfen. Das Werk soll vernünftig sein (rationabile) und der Anordnung (dictamen) der ratio folgen. Wie man die Form des Menschen findet, wenn man gleichsam wie ein Bildhauer das Verdeckende abschlägt, so findet man bei einem Werk heraus, ob es
. Vgl. Eckhart, In Gen. I n. , LW I, ,-. . Vgl. Eckhart, In Ioh. n. , LW III ,-. . Vgl. Eckhart, In Ioh. n. , LW III ,-,. . Vgl. Eckhart, In Ioh. n. , LW III ,-,.
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gut ist, wenn man äußere Gesichtspunkte entfernt und prüft, was das Ziel der Absicht beim Wirken ist. Auch zu Joh ,- ‚Was geworden ist, war in ihm Leben‘ verweist Eckhart auf eine solche Selbstprüfung: Wird das Werk ‚in der Liebe‘ getan, also aus Liebe zum Guten selbst; hat es seinen Beweggrund (movens) in sich selbst? Denn nur dann kann es ‚lebendig‘ heißen. Denn lebendig ist, was seine Bewegung aus sich oder von innen her hat, tot aber, was nur von etwas Äußerem bewegt wird. Immer wieder, z.B. in der Auslegung moraliter der SündenfallErzählung, entwickelt Eckhart allgemeine anthropologische und axiologische Grundlagen, dort etwa bezüglich des Vorrangs von innerem gegenüber äußerem Werk und der Zuteilung an Einzelmotive oder Figuren wie hier ‚Mann‘ und ‚Frau‘. Diese Auslegungen – die hier gar nicht im Einzelnen vorgestellt werden können und sollen – beabsichtigen dann, dass auch allgemeinere Aspekte in moralibus klar werden mögen, wie etwa, was gut oder besser und was böse ist oder welche Sünden schwerer wiegen als andere. In der Tat folgen mehrere Absätze zu den entsprechenden anthropologischen Grundlagen, wonach die Rechtordnung des Menschen an der Orientierung des höchsten Vernunftvermögens an Gott hängt wie die erste Nadel am Magneten, ohne welche alle übrigen ihre Haftung verlieren. Eckhart zeigt also gerade kein Interesse, solche Fragen im Einzelnen materialiter zu erörtern, sondern es kommt ihm auf die Klärung der Kriterien formaliter an, die bei solchen Erwägungen anzulegen sind. Ein solches Kriterium ist also die Prüfung, ob die wirkende Handlungsintention das Gute um seiner selbst willen erstrebt und darin der Vernunft folgt, die im Menschen Inbegriff seines Lebens ist. So legt Eckhart Joh , (‚Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott‘) moraliter aus (denn die Vernunft spricht zu uns gleichsam anfangshaft vom Guten) . Vgl. Eckhart, In Ioh. n. , LW III ,-,. . Vgl. Eckhart, In Ioh. n. , LW III ,-: Denn ein Tugendwerk ist und geschieht immer in der Tugend, denn niemand handelt gerecht außerhalb der Gerechtigkeit. . Vgl. Eckhart, In Ioh. n. , LW III ,-. . Vgl. Eckhart, In Gen. II nn. -, LW I, ,-,; entsprechend könnte auch ‚das ganze Hohelied dem Wortsinn nach lichtvoll ausgelegt werden‘; vgl. id., In Gen. II n. , LW I, ,-. . Vgl. Eckhart, In Gen. II nn. -, LW I, ,-,. . Vgl. Eckhart, In Ioh. n. , LW III ,-,.
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und verweist immer wieder auf die formale Maxime des Dionysius, wonach das Gute für den Menschen mit dem vernunftgemäßen Sein ineins fällt (secundum rationem esse). In diesem Sinn ist der Wille in der Vernunft und deshalb ein vernünftiges Streben (appetitus rationalis). Insofern hat allgemein in Eckharts Moralphilosophie die Vernunft den Vorrang vor dem Willen, da der Wille nur lieben kann, was zuvor erkannt worden ist. Oder, wie Eckhart für die Ordnung der Transzendentalien ausführt, das Gute liegt gegenüber dem Sein zurück; wie der Name finis sagt, ist das Gute erst das Letzte. Das Werk liegt gleichsam außen und kommt dort zum Stehen, der Intellekt aber inwendig in den Prinzipien der Dinge (intus in principiis), wie sein Name (in-tellectus) anzeigt, und die Prinzipien sind jeweils früher. So fügt auch das äußere Gute dem innerlich in Seele und Willen Guten nichts an moralischer Güte hinzu. Eckhart geht hier sogar so weit, dass das Gute gar nicht zu den Erstbestimmungen, den substantiellen Formen, gehöre, sondern zu den Akzidentien, da nicht jeder Mensch schon der Form des Menschseins nach gut ist, sondern erst, wenn er bestimmte akzidentelle Formen besitzt wie Weisheit oder Tugend. Das Gute ist, so gesehen, außerhalb der Substanz und des Seins. Stehen solche axiologischen und anthropologischen Bestimmungen nicht im Gegensatz zu anderen Passagen bei Eckhart? Etwa den vorhin behandelten, wonach der Mensch nur gut und gerecht sein kann, wenn die Form der Gerechtigkeit der Möglichkeit nach schon sein Wesen ausmacht und disponiert? Ist das ein weniger scharfer Gegensatz, als wenn Eckhart einmal geradezu axiomatisch esse est deus postuliert und . Vgl. auch Eckhart, In Gen. II n. , LW I, ,-: Gut für den Menschen ist deshalb das Leben nach der Vernunft (secundum rationem vivere) (mit Pseudo-Dionysius); vgl. unten Eckhart, In Gen. II n. , LW I, ,-; id., In Ioh. n. , LW III ,-. . Vgl. Eckhart, In Gen. I n. , LW I, , (mit Aristoteles, De anima III , b ). Eckhart knüpft dies an das von Augustinus übernommene allegorische Verständnis, wonach der Mann für die Rationalität und ihre Inwendigkeit steht, so dass anknüpfend an die Szene, wonach die Frau aus des Mannes Rippe entsteht, Eckhart folgern kann, dass der Wille sich herleite von der ‚Rippe‘ des ‚Mannes‘, d.i. vom vernünftigen Vermögen; von diesem her und diesem gemäß soll alles Wirken erfolgen (a ratione et secundum rationem) (ibid. n. , LW I, ,-). . Eckhart spricht hier von den mit dem Seienden vertauschbaren Allgemeinbegriffen (den communia): In Gen. II n. , LW I, ,- mit den Vergleichsstellen im kritischen Apparat. . Vgl. Eckhart, In Gen. II n. , LW I, ,-,. . Vgl. z.B. Eckhart, In Sap. n. , LW II ,-; id., In Ioh. n. , LW III ,-.
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ein anderes Mal Gott eher Nichtsein als Sein zuschreiben möchte? Unter der Vielzahl von Interpretationsvorschlägen für diese scheinbare Widersprüchlichkeit knüpfen viele zu Recht daran an, dass Eckhart sehr deutlich in engem textlichen Zusammenhang jeweils Verteilungen auf unterschiedliche Hinsichtnahmen vornimmt: Sofern die Tilgung von allem bloßen Dies-und-das, wo auch immer im Seienden angesetzt, dessen ersten Grund als das Absolute freilegt, heißt Gott esse, und auch z.B. im Blick auf die ‚Göttlichkeit‘ der Form als Seinsakt; aber wenn ein von der Gegenständlichkeit des Vorhandenen her genommener Seinsbegriff die Eigentümlichkeit Gottes als Inbegriff des Intelligierens verstellt (wie vielleicht beim Umgang einiger Franziskaner mit den Begriffen von Sein und Univozität), dann ist dieser Seinsbegriff von Gott fernzuhalten. Auch im Blick auf die Zusammenhänge in moralibus kann man m.E. solche systematisch unterschiedlichen Hinsichtnahmen bei Eckhart unterscheiden: Dazu zählt besonders der Blick auf die Innen- oder Außenseite des Wirkens. . Auslegungen moraliter als theologische Ethik Die bisher vor allem als ‚Moralphilosophie‘ verfolgten Ausführungen Eckharts werden nicht nur dezidiert von ihm präsentiert als Schriftauslegungen. Sie werden auch in Entsprechung gesetzt nicht nur zu Strukturzusammenhängen in der Natur, sondern auch zu Gott und seinem Wirken. Dass Eckharts ‚Moralphilosophie‘ zugleich theologische Ethik ist, zeigt sich natürlich am deutlichsten in der Zielgestalt der Bestimmung menschlichen Lebens: Der ‚Gerechte‘, der ‚vollkommene Mensch‘, der ‚göttliche Mensch‘ wirkt gleichsam so aus Gott und in Ununterscheidbarkeit seines und des göttlichen Wollens und Wirkens, wie dies theologisch für Christus zu sagen ist, der als Sohn nicht ‚etwas anderes‘ zu Gott selbst ist. Man kann diese Ineinsführung natürlich wiederum von beiden Seiten aus nachvollziehen: Was es bedeutet, dass der Mensch die Sohnschaft Gottes erreicht, erklärt sich in ‚moralischer‘ Hinsicht durch die vollendete Freiheit des Wirkens, aber eben auch umgekehrt. An dieser Stelle seien nur einige der Spitzenformulierungen ausgewählt, die Eckhart diesbezüglich bei seinen Schriftauslegungen moraliter unternimmt. So bietet er zu Gen , ‚Der Geist Gottes schwebte über
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dem Wasser‘ mehrere Auslegungsideen moraliter. Etwa könne . dies auf Gott bezogen werden, insoweit dieser unvermischt über allem Geschaffenen ist, und entsprechend werde . auch ein ‚vollkommener Mensch‘ (homo perfectus), der Gottes Geist hat, von nichts Geschaffenem berührt, da der Geist ihn hinausträgt über die Eigentümlichkeiten der Geschöpfe. Gott ist . eigentlich nicht ‚Ursache‘ (causa), sondern ‚Grund der Ursache‘ (ratio causae) zu nennen; . schließlich gelte moraliter, dass ‚heilige Menschen‘ (viri sancti), die den Geist Gottes haben, das Zeitliche verachten oder überschreiten (transcendere). In dieser Reihung könnte man die fünfte und siebte Auslegung nicht eigentlich ‚moralisch‘, sondern ‚theologisch‘ nennen. Aber sie haben direkte Implikationen moraliter. Denn die Höherordnung des Göttlichen als Inbegriff des Geistigen definiert auch den Menschen seiner letzten Bestimmung nach. Dazu zählt auch das Herausgenommensein aus den bloß ‚analogen‘ Ursache-Wirkungs-Verhältnissen und das Hineingenommensein in das univoke Wirken, wie es im Bereich des Göttlichen und Intelligiblen statthat – eine hier im siebten Punkt nur angedeutete Pointe. Im vir perfectus besteht gleichsam eine Berührung oder ein wechselseitiges, ‚unverhülltes‘ Sich-Anblicken zwischen Gerechtem und Gerechtigkeit in Unmittelbarkeit. So ist der Gerechte gleichsam nicht nur Hörer, sondern sich ganz aussprechendes Wort der Gerechtigkeit, unterschieden vom Charakter sonstiger Sprache als nur spurhaft und unvollkommen, demgegenüber ‚natürlichste Rede‘, in deren Hören der Gerechte ganz gleichgeformter (conformatur) ‚Sohn‘ der Gerechtigkeit wird, so dass an ihm als Gerechtem alles Nicht-Gerechte ‚abgetan‘ (amisso, liquefacto) wird und sie in der Verwirklichung eines sind (quorum unus est actus), gleichsam ‚taub‘ für alles, was nicht Gott ist, so dass auch die Seele in sich selbst verstummt. . Vgl. Eckhart, In Gen. I nn. -, LW I, ,-,. . Vgl. Eckhart, In Gen. I n. , LW I, ,-. . Vgl. Eckhart, In Gen. I n. , LW I, ,-. . Vgl. In Gen. II n. , LW I, ,: absque medio; vgl. ibid. n. , LW I, ,: immediate. Zur Unmittelbarkeitsthematik bei Eckhart vgl. auch C. Ströbele, ‚Unmittelbarkeit und Vermittlungsstrukturen göttlicher Gegenwart in der mystischen Theologie Eckharts von Hochheim und Nikolaus’ von Kues‘, Coincidentia / (), -. . Vgl. Eckhart, In Gen. II n. , LW I, ,-,. . Vgl. Eckhart, In Gen. II n. , LW I, ,-,; ibid. n. , LW I, ,-,. . Vgl. Eckhart, In Gen. II n. , LW I, ,-. . Vgl. Eckhart, In Gen. II n. , LW I, ,-. . Vgl. Eckhart, In Gen. II n. , LW I, ,-,.
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Was Eckhart an Auslegungen moraliter bietet, sind also weithin Hinweise dazu, wie der Mensch in der Orientierung seines Lebens und Handelns seine eigentliche und das heißt göttliche Bestimmung erreicht. Diese Verbindung von Theologie und Anthropologie bzw. ‚Moralphilosophie‘ ist natürlich besonders eng, wo es dezidiert um die Einheit von Gott und Mensch geht. Die Einheit in der Verwirklichung im Falle des ‚göttlichen Menschen‘ (homo divinus) beschreibt Eckhart gleich zu Anfang seiner Genesisauslegung zum Schaffen von ‚Himmel und Erde‘: Dass nämlich das eine gleichzeitig (simul cum tempore) auf das andere folgt, dass also gleichsam die Zeit entfällt zwischen dem Hinblick auf ‚Himmlisches‘ und ‚Irdisches‘, das gilt dann, wenn Gottes Wille identisch ist mit dem Bestimmungsgrund des wirkenden Willens. So wirkt der ‚göttliche Mensch‘ schlechterdings alles aus Liebe zum ‚himmlischen Gut‘. Eckhart geht in diesem Punkt – das ist den Anklägern als kritisch aufgefallen und hat Eingang in die Verurteilungsbulle gefunden – so weit, dass auch das Ausschlussverhältnis der Normalbegriffe von Gut und Böse entfällt: Der ‚göttliche Mensch‘ (homo divinus) weiß alles, das Gute wie das Böse (gleichsam Himmel wie Erde), wohl zu ordnen und zu gebrauchen. In ihrem Vernunftgrund nämlich sind Gut und Böse ungeschieden, wie Eckhart anmerkt, wenn es um das Verbot geht, vom Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen zu essen. Das Übel ist ja lediglich Beraubung des Guten und bezieht sich damit wie der Habitus des Guten auf dasselbe Subjekt. Daher kann nichts dem Guten schlechthin, d.i. Gott, entgegengesetzt sein. Überhaupt gehöre der Gegensatz von Gut und Übel eigentlich ins sinnliche Begehren; im Intellekt aber (dessen Inbegriff Gott ist) sei eigentlich weder Übel noch (irgendein) Entgegengesetztes, denn ‚die Gründe des Entgegengesetzten sind im Intellekt nicht entgegengesetzt‘. Das Wissen vom Schlechten ist deshalb ein und dasselbe mit dem Wissen vom Guten und selbst gut. . Vgl. Eckhart, In Gen. I n. , LW I, ,-. . Vgl. Artikel -, LW V ,-. . Vgl. Eckhart, In Gen. I n. , LW I, ,-. . Vgl. Eckhart, In Gen. II n. , LW I, ,-,. . Ibid.; die von Eckhart zitierte Maxime findet sich im Zusammenhang der Unvergänglichkeit der Seele bei Thomas von Aquin, Summa Theologica I, q. , a. co.; vgl. ibid. I-II, q. , a. ad (ea quae sunt contraria in rerum natura, secundum quod sunt in mente, non habent contrarietatem); id., Summa contra gentiles I, (Species autem intelligibiles, quibus intellectus formatur … nec
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Und wie Eckhart zu Joh , ‚das Licht leuchtet in der Finsternis‘ moraliter anmerkt, leuchtet die Tugend gerade in Widerwärtigkeiten und Gegensätzen (in adversis et oppositis). Aber nicht nur das: Finsternis und Übel erhellen nicht nur die Tugend durch Kontrastierung, sondern loben sogar Gott selbst! So sei etwa die Verdammung des Judas ein Lob der Gerechtigkeit Gottes und der Hass (gegen das Böse) ein Abkömmling der Liebe (zum Guten); deshalb verherrlicht die ‚Finsternis‘ Gott nicht wie gegeneinander stehende Gegensätze, sondern wie ineinander stehende: der Hass wider das Böse ist eben die Liebe zum Guten oder zu Gott, es ist eine und dieselbe Haltung (habitus), ein Akt. So kommentiert Eckhart etwa Joh , ‚Er kam in sein Eigen und die Seinen nahmen ihn nicht auf‘ moraliter: Gott kommt in die Herzen derjenigen Menschen, die sich ganz Gott geweiht und zu eigen gegeben haben (se totos deo dedicaverunt et proprios fecerunt), so dass sie nicht mehr sich selbst leben, sondern Gott; ‚die Seinen‘ heißt: die sich selbst leben, die das Ihre suchen, nicht das, was Gottes ist. Da Gott überall und in allem ist, ergibt sich moraliter, dass der Mensch sich überall und in allem einförmig (uniformiter) verhalten muss, um göttlich und gottförmig zu sein; wie Gott muss der Mensch in allem auf eine Weise (secundum unam dispositionem) sein statt nach Natur und Eigentümlichkeit der Geschöpfe. Derjenige aber ist überall, der nirgends ist, an keinem Ort, der nicht haftet mit seiner Liebe an Heimat oder Haus, der nicht berührt wird von jedwedem ‚Dies‘ oder Geschaffenen. Je eher jemand das Viele (multum) meidet und das Eine erstrebt (intendit), desto vollkommener und göttlicher ist er. Des Weiteren muss, wer Gott in sich finden will, Gottes ‚Sohn‘ sein und jedes Werk aus Liebe zum contrariae sunt per contrarietatem rerum quae sunt extra animam); ibid. I, (Contrariorum rationes in anima non sunt contrariae…); ibid. II, (Formae contrariorum … Secundum autem quod sunt in intellectu, non sunt contrariae); ibid. II, (… in intellectu ea etiam quae secundum suam naturam sunt contraria); ibid. III, (… in acceptione intellectus, quia est universalis, species contrariorum non sunt contrariae…); id., Super Sent. III, d. , q. , a. , qc. , arg. ; zu Entsprechungen bei Cusanus bereits Kurt Flasch, Die Metaphysik des Einen bei Nikolaus von Kues. Problemgeschichtliche Stellung und systematische Bedeutung (Leiden, ), -. . Vgl. Eckhart, In Ioh. n. , LW III ,- – wie allgemein jedes Vermögen von seinem Gegenstand oder Gegensatz (ab obiecto sive opposito) widerstrahlt und sein Sein empfängt. So komme die Tugend der Geduld und Gottesliebe umso mehr zum Vorschein, je stärker der Widerstand ist. . Vgl. Eckhart, In Ioh. n. , LW III ,-,. . Vgl. Eckhart, In Ioh. n. , LW III ,-. . Vgl. Eckhart, In Ioh. n. , LW III ,-,.
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Guten allein tun, insofern es gut ist, wie (lateinisch) filius, Sohn, von griechisch philos, Liebe, stamme. Die zahlreichen Bibelstellen aus dem Alten und Neuen Testament, die Eckhart in solchen Auslegungen anführt – z.B. Ps , ‚eines habe ich vom Herrn erbeten‘, Lk , ‚eines ist notwendig‘ oder Lk , ‚wenn dein Auge einfältig ist, wird dein ganzer Leib licht sein‘ –, erfahren hier natürlich en passant gleichfalls eine Auslegung moraliter, wie sie Eckhart in Kommentaren zu den entsprechenden biblischen Schriften einfügen konnte. Eckhart verbindet so die metaphysische Auffassung des Einen als Ursprung von allem mit der Orientierung des Willens und Strebens am Einen. ‚Den Gerechten wird gegeben, was sie ersehnen‘, diese Passage aus Spr , erklärt Eckhart in moralibus en passant in seinem ausführlichen Kommentar zu Joh ,- ‚Ich kenne meine Schafe, und meine Schafe kennen mich, wie mich der Vater kennt und ich den Vater kenne‘. Diese Verse bezieht Eckhart darauf, dass die Gerechtigkeit sich in sich selbst erkennt. Dabei ist die Erkenntnis als ‚Spross‘ das völlig gleiche Erkenntnisbild, durch das der Gegenstand erkannt wird und der Sehende in Wirklichkeit sieht, so dass Erkennendes und Erkanntes eins sind. Dann ist das Angesicht und Bild, in dem Gott uns sieht und wir ihn sehen, eins. Das Subjekt wird umgebildet (transformari) in das, was es wirklich denkt, betrachtet, erkennt, einsieht, und eins mit diesem: ‚Wo immer daher Gott gesucht, erkannt und betrachtet wird, da wird Gott gefunden‘. Das erklärt deshalb auch, dass den Gerechten gegeben wird, was sie ersehnen, oder weitere Aussagen wie ‚bittet und ihr werdet empfangen‘ (Joh , und Parallelstellen: Mt ,-; Lk ,-); dem entspricht in naturalibus, dass kein Vermögen vergebens (frustra) ist – und in derartiger Weise ‚stimmen Theologie und Moral- und Naturphilosophie überein, . Vgl. Eckhart, In Ioh. n. , LW III ,-. . Vgl. Eckhart, In Ioh. n. , LW III ,- (nach Augustinus): a quo principio unum est quidquid aliquo modo unum est. . Vgl. Eckhart, In Ioh. n. , LW III ,-,; diese Verbindung sieht Eckhart begründet in der umgreifenden Einheit von Einem, Wahrem und Gutem; so sei die Vielheit (multitudo) eine Widersacherin des Einen und immer gegen die Natur und Sitten (mores). . Vgl. Eckhart, In Ioh. n. , LW III ,-. . Vgl. Eckhart, In Ioh. n. , LW III ,-. . Vgl. Eckhart, In Ioh. n. , LW III ,-. . Vgl. Eckhart, In Ioh. n. , LW III ,-.
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was ein scharfsinniger Forscher vielleicht (fortassis) auf allen Gebieten finden wird‘. In ähnlicher Weise verbindet Eckhart ‚theologische‘ und ‚moralische‘ Themen in der Auslegung von Joh , ‚Ubi habitas?‘ Ausgangspunkt ist, dass Gott der eigentliche Ort von allem ist, an dem alles zur Ruhe kommt. Daraus ergibt sich moraliter zunächst ex negativo, wie und wer diejenigen sind, in denen Gott nicht wohnen will: Sofern jemand nur Zeitliches schmeckt und liebt, in sich geteilt ist, am Ausgedehnten haftet und an sinnlichen Einbildungen, sofern ihm mehr oder weniger zukommt, wohnt Gott noch nicht in ihm. Denn Gott ist einer, und im Einen gibt es nicht Mehr oder Weniger, keine Unterscheidung (distinctio), kein Dieses-oder-jenes an geschaffenem Sein, kein Eigensein (proprium), denn Eines und Sein sind allem gemeinsam (commune), kein Übel, keinen Mangel, keine Form-Minderung, allenfalls doppelte Verneinung (negatio negationis). Wo wohnt Gott aber? Eckhart sammelt mehrere Gruppen von Bibelstellen, z.B. ‚er wohnt in der Höhe‘ (Ps ,), und folgert: Entsprechend sollst auch du ‚in der Höhe sein, in der höchsten Höhe, im Himmel, in der Mitte, nämlich im eigenen Innersten, im Dunkel und in der Wolke, weil „das Licht“, Gott, „in der Finsternis leuchtet“ … du sollst heilig sein (sanctus, agios), frei von Erde …, d.h.fern von irdischem Affekt‘; wie Gott überall und nirgends ist, nirgendwo dem Raum und Ort nach, aber der Kraft nach überall, so dass es keinen Ort gibt, an dem Gott nicht wohnt, ‚so sollst auch du nirgends mit irdischem Affekt haften; du sollst in gleich-mäßigem Geist (mentis aequalitate) überall sein – dann wohnt Gott in dir!‘ Nimmt man die so zusammengestellten Punkte, wo Gott wohnt und wo nicht, so hat man insgesamt fünfzehn Eigenschaften, welche die göttliche Natur auszeichnen, und auch ebenso viele des geschaffenen Seins. Moraliter vero intellecta geben sie dem Menschen eine schöne Lehre davon, wie und wo er Gott suchen und finden kann – und in Gott Ruhe und Heil (salus).
. Vgl. Eckhart, In Ioh. n. , LW III ,-. . Vgl. Eckhart, In Ioh. nn. -, LW III ,-,. . Vgl. Eckhart, In Ioh. n. , LW III ,-,. . Vgl. Eckhart, In Ioh. n. , LW III ,-,. . Vgl. Eckhart, In Ioh. n. , LW III ,-,. . Vgl. Eckhart, In Ioh. n. , LW III ,-,.
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. Auslegungen moraliter als ‚biblische‘ Ethik Es ist typisch für Eckharts Auslegungen, dass er eine bestimmte Auslegungsrichtung an weiteren Schriftstellen exemplifiziert und damit zugleich die Textbasis der Anwendungsmöglichkeiten verbreitert sowie oft auch die semantischen Bezüge vertieft und einen bestimmten Kerngedanken gleichsam einwebt in das sprachliche Netz biblischer Ausdrucksweisen und Bilder. Den Kerngedanken des Vorrangs des Prinzips vor der Verwirklichung findet er beispielsweise angedeutet darin, dass man ‚zuerst den guten Wein vorsetzt‘ (Joh ,), und so setzt er ein metaphysisches Prinzip direkt in Verbindung mit einer Lebensweisheit, einem einprägsamen biblischen Gleichnis, und einem ‚moralischen‘ Prinzip, nämlich der Beschwernis des Werks ‚im Anfang‘ und seiner Leichtigkeit ‚am Ende‘, was er wiederum verbindet mit so einprägsamen Texten wie Mt ,-, also dem engen Weg, der zum Leben, und dem breiten, der ins Verderben führt; aber Eckhart verbindet damit noch zwei weniger vertraute Texte aus Spr : ‚ich will dich auf die Pfade der Gerechtigkeit führen (per semitas aequitatis), wenn du sie gehst, werden deine Schritte nicht beengt‘ (Spr ,-), denn Pfad, hier semita, komme von semis, also der Hälfte, und meine einen nur halbbreiten, engen Weg; ‚der Pfad der Gerechten ist wie ein glänzend Licht, er geht voran und wächst bis zum vollen Tag‘ (Spr ,). Eckhart versteht derartige Auslegungen als Möglichkeiten inter alia. Manche Auslegungen sind sogar bloß ‚für die Schwerfälligeren‘ (ad rudiores) notiert. Mit der Enthüllung eines Grundes ist deshalb dezidiert nicht gesagt, dass nicht auch andere ‚wahre und gute Gründe‘ bestehen mögen – was im Bereich der Naturerklärung ebenso gilt wie in der Schrifterklärung. Manche Auslegungs-rationes sind von begrenzter Tauglichkeit, weil sie ‚zu wenig sagen und unvollkommen‘ sind. Aber gerade ‚viel sagende‘ Ausführungsmöglichkeiten werden bisweilen von Eckhart auch nur angedeutet oder empfohlen, z.B. wenn er vermerkt, . Vgl. Eckhart, In Ioh. nn. -, LW III ,-,. . So z.B. Eckhart, In Gen. II n. , LW I, ,. . Vgl. Eckhart, In Gen. I n. , LW I, ,. . Vgl. Eckhart, In Gen. I n. , LW I, ,-. . Vgl. Eckhart, In Gen. I n. , LW I, ,.
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dass Weiteres, das von der ‚Ruhe Gottes‘ gesagt wird, ‚leicht moraliter auszulegen‘ sei. Was ist die Absicht seiner oft in großer Fülle nebeneinander gestellten und zur Weiteranwendung empfohlenen Deutungsvorschläge? Eckhart betont, dass es ihm nicht darum gehe, aus der Schrift Beweise für die drei sich entsprechenden Haupt-Themenfelder (divina, naturalia, moralia) zu führen. Sondern er will zeigen, dass das, was in der Schrift unter ‚Parabeln‘ verborgen liegt, übereinstimmt (consonant) mit dem, was wir beweisen und aussagen ‚de divinis, moralibus et naturalibus‘. Diese Übereinstimmung in moralibus ist für ihn offenbar besonders interessant für die Kommunikationssituation der Predigt, die ja ein Mehr an Unmittelbarkeit gegenüber dem Text hat. So vermerkt Eckhart etwa für einige Passagen, dass diese in besonderer Weise (specialiter) der ‚Moral‘ zugehören und (geeigneter) Gegenstand für Predigten (materia sermonum) seien; namentlich geht es dabei um Joh ,- und darum, wie die Seele beschaffen sein muss, um Jesus aufzunehmen, und was Jesus in ihr wirkt, ein Thema also, das, wie dargestellt, weite Teile seiner übrigen Anmerkungen moraliter bestimmt. Für den Bereich des ‚Moralischen‘ geht es also nicht primär darum, vom biblischen Text her sittliche Einzelnormen zu begründen. Wohl . Vgl. Eckhart, In Gen. I n. , LW I, ,. Vgl. z.B. auch id., In Ioh. n. , LW III ,-,: So lasse sich ‚leicht‘ auf das ‚Moralische‘ anwenden (de facili moraliter adaptari), dass Gott nach Lk , gefunden wird ‚von den Hirten im Stall‘, ‚von den Weisen im Haus‘ (Mt ,) und ‚von den Eltern im Tempel‘ (Lk ,). . Vgl. Eckhart, In Gen. II n. , LW I, ,-. In der Sache nicht unpassend, vermerkt die Berliner Handschrift B (Cod. Lat. Quart. , . Jh.) zum Beginn des Johanneskommentars, dass es sich ganz um eine Auslegung gemäß dem Zusammenklang von Natur- und Moralphilosophie handele (Expositio … quae tota est secundum consonantiam philosophiae naturalis et moralis, vgl. LW III ). . Vgl. Eckhart, In Ioh. nn. -, LW III ,-,. ‚Als es Abend war‘ etwa beziehe sich auf den ‚Untergang der Sonne der zeitlichen Dinge‘ (n. ), dass es ‚Tag sein‘ muss, auf das Licht der Vernunft und der Gnade, und ‚die Jünger waren versammelt‘ bedeute die Sammlung der Gemütsbewegungen und Seelenkräfte, damit die Seele aus ganzer Kraft Gott liebt (n. ). Dass der dann kommende Jesus ‚in der Mitte steht‘, beziehe sich auf das Innewohnen im Wesen der Seele selbst, die gleichsam Mittelpunkt aller Vermögen ist, und der Jesus das göttliche Sein mitteilt (conferendo ipsi esse divinum) (n. ). Dass Jesus spricht ‚Friede sei euch‘, das bedeutet das Fruchtbarmachen der Seele zum ‚Frieden‘ (n. ), und zwar zweimal ausgesagt, was beziehbar sei auf den Frieden mit sich selbst und denen, die draußen sind, oder auf Freunde und Feinde (n. ). Dass Jesus den Jüngern dann ‚die Hände und die Seite zeigt‘, das meine die Mitteilung des göttlichen Tuns und Fühlens durch Jesu Wirken in der Seele, denn die Hände bezeichnen das Tun und die Seite, in der das Herz verborgen ist, das Fühlen (n. ). Andeutungsweise seien auch weitere Texte in diesem Sinne auslegbar und auch ‚voll von Belehrung über die Natur‘ (n. ).
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aber geht es um einen Umgang mit dem biblischen Text, der diesen in Korrelation und Konkordanz bringen muss zu sonstigen tragfähigen Aussagen über die Lebensorientierung des Menschen – und wenn vielleicht nicht zu ‚beweismäßigen‘ Aussagen, so doch zumindest zu diesbezüglichen Fragen. So befremdlich Eckharts Vorgehen gegenüber den methodischen Standards heutiger Exegese wirken mag, so anspruchsvoll ist in der Umkehrung zumindest seine Programmatik: Inwiefern nämlich beabsichtigt die zeitgenössische Schriftauslegung eine derartige Konkordanz überhaupt noch? Teilt sie diesen Anspruch, dass christlich-theologische Ethik insofern wesentlich biblische Ethik ist, als sie sich praktisch bewährt in entsprechenden Vermittlungen zwischen ‚Moralsinn‘ und ‚Moralphilosophie‘ sowie Einsichtsversuchen in die Strukturprinzipien des Wirklichen? Oder sind ‚Lese-‘ und ‚Lebens-Meisterschaft‘ inzwischen eher weit entfernt? Wenn wir hier in der Tat eine Kluft wahrnehmen, wo hat sie ihren Ursprung, was ist ihre Genealogie? Hat sie vielleicht zu tun mit jener Entwicklung, die z.B. Hans-Josef Klauck als ‚Bruch zwischen Theologie und Mystik‘ beschrieben hat? Mit einer zunehmenden ‚Verwissenschaftlichung‘ der Schriftauslegung? Aber wäre dann nicht gerade verblüffend, dass ausgerechnet Eckhart, wie Alessandra Beccarisi es formuliert, ‚the first attempt at a „scientific“ reading of the sacred text‘ unternimmt? Während Eckharts Einzelauslegungen in ihren Voraussetzungen und Durchführungsmodalitäten einer anderen Zeit angehören mögen, fordern sie doch mindestens ihrem Anspruch nach dazu heraus, nachzudenken über Umsetzungsmöglichkeiten unter heutigen Bedingungen einer Verständigung über den Zusammenhang von Glaube und Vernunft, von Schriftauslegung und ‚Wissenschaft‘.
. Vgl. Hans-Josef Klauck, ‚Der Bruch zwischen Theologie und Mystik‘, Franziskanische Studien (), -. . Alessandra Beccarisi, ‚Eckhart’s Latin Works‘, in J.M. Hackett (ed.), A Companion to Meister Eckhart (Leiden, Boston, ), -, . . Vgl. in dieser Fragerichtung im Anschluss v.a. an Cusanus: Johannes Hoff, The Analogical Turn. Rethinking Modernity with Nicholas of Cusa (Cambridge, ).
Die Schrift als Leben und das Leben als Schrift bei Meister Eckhart MARKUS VINZENT KING’S COLLEGE LONDON, UK / MAX WEBER KOLLEG ERFURT, DEUTSCHLAND Abstract Eckhart has a complex concept of Scriptures, not only of its reading and interpretation, but also of its textual nature. The article is based on insights gained from the creation of the Index Biblicus of Eckhart’s works, and highlights his obsession with variatio. It then looks into how variatio impacts on both Eckhart’s Scriptures, the way he quotes and reads it. In a last section, the article develops the main theme with reference to Eckhart, Pr. , namely the intimate relationship between the life of the individual and Scriptures and vice versa. Einführung
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ie nachfolgenden Gedanken sind ein Ausschnitt aus einem Seitenprodukt der Zusammenarbeit mit Loris Sturlese, aus der heraus der Bibelindex zu Eckharts Lateinischen und Deutschen Werken entstanden ist. Da dieser Index auch für das englischsprachige Publikum zugänglich gemacht werden soll, werden die Einleitung und die Einführungen in die biblischen Bücher nicht nur ins Englische übersetzt, sondern wir werden dem Index auch eine etwas ausführlichere Untersuchung zu Eckharts Bibel voranstellen. Mit dem Index hat man zum ersten Mal die Gelegenheit, alle Schriftzitate Eckharts zusammen mit . Loris Sturlese und Markus Vinzent (eds), Meister Eckhart. Die deutschen und die lateinischen Werke. Die lateinischen Werke. Band VI: Indices in Opera Omnia Magistri Echardi. .-. Lieferung (S. -) (Stuttgart, ).
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ihren Einleitungen oder Ausleitungen im Überblick sehen zu können, sei es, dass ein Vers nur ein einziges Mal oder vielfach über die verschiedensten Schriften hinweg bei Eckhart bezeugt ist. Folglich kann man entdecken, welche Verse er singulär, welche er nur in der einen oder anderen Sprache, Latein oder Deutsch, und welche er in wie verschiedener Weise in beiden Sprachen benutzt. Es wird auch schnell erkennbar, welche Schriftverse zentral für ihn sind. Auf diese haben wir dann in den Einführungen zu den biblischen Büchern im Index eigens hingewiesen. Damit wir nicht nur lange Listen von Fundstellen anführen, haben wir auch die Referenzierungen Eckharts mitabgedruckt, ebenso die Varianten zur Vulgata. Bei dem Vergleich mit der Vulgata ergab sich sogleich die derzeit nicht überwindbare Problematik, dass wir leider nicht wissen können, welche Form der Vulgata, die zweifelsohne die Hauptreferenz für Eckhart darstellt, er benutzt hatte. Denn gleich mehrere Faktoren behindern die präzise Bestimmung des Bibeltextes von Eckhart. Zwar gibt es kleinere Einzeluntersuchungen, aber es liegt zur Bibel der Dominikaner im hohen Mittelalter leider noch keine umfassendere Studie vor, wie sie etwa erst in jüngster Zeit durch Matthias M. Tischler für die Bibel der Viktoriner vorgelegt wurde. Und gewiss können wir zustimmen, wenn Tischler zu bedenken gibt, dass es ‚in der deutschen geschichtswissenschaftlichen wie philologischen . Ein anderes Desiderat besteht darin, genau zu bestimmen, was ein ‚Zitat‘ ist, wir sind immer noch angewiesen auf Harald Hagendahl, ‚Methods of Citation in Post-Classical Latin Prose‘, Eranos (), - und Jean Andrieu, ‚Procédés de citation et de raccord‘, Revue des Études Latines (), -; vgl. auch Olga Weijers, Dictionnaires et répertoires au moyen âge. Une étude du vocabulaire, Études sur le vocabulaire intellectuel du moyen âge IV (Turnhout, ), -. . Vgl. z.B. Carlo Vercellone, Dissertazioni accademiche di vario argomento (Roma, ); Samuel Berger, ‚Des Essais qui ont été faits à Paris au XIIIe siècle pour corriger le texte de la Vulgate‘, Revue de Théologie et de Philosophie de Vuilleumier et Astié (Lausanne, ), -; Jean-PierrePaulin Martin, ‚Saint Etienne Harding et les premiers recenseurs de la Vulgate latine. Théodulfe et Alcuin‘, Revue des sciences ecclésiastiques (), -; ibid. (), -, -, -; id., ‚La Vulgate latine au treizième siècle, d’après Roger‘, Le Muséon (), -, -, -, -; id., ‚Le texte parisien de la Vulgate Latine‘, Le Muséon (), -; ibid. (), -, -; Heinrich Denifle, ‚Die Handschriften der Bibel-Correctorien des . Jahrhunderts‘, Archiv für Literatur- und Kirchengeschichte des Mittelalters (), -, -; Hans H. Glunz, History of the Vulgate in England from Alcuin to Roger Bacon (Cambridge, ); in jüngerer Zeit Gilbert Dahan, ‚La critique textuelle de la Bible au moyen âge et l’apport des Victorins‘, in R. Berndt (ed.), Bibel und Exegese in der Abtei Saint-Victoire: Form und Funktion eines Grundtextes im europäischen Rahmen, Corpus Victorinum, Instrumenta (Münster, ), -; Frans van Liere, An Introduction to the Medieval Bible (Cambridge, ), -. . Matthias M. Tischler, Die Bibel in Saint-Victor zu Paris, Corpus Victorinum, Instrumenta (Münster, ).
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Forschung … von wenigen Ausnahmen abgesehen, keine ausgeprägte Tradition (gibt), sich mit dem Überlieferungsschicksal der lateinischen Bibel als einer wesentlichen Ausdrucksform des kulturellen, sozialen und institutionellen Selbstverständnisses der „vita religiosa“ im Mittelalter zu beschäftigen‘. Wichtiger aber noch für mein jetziges Thema ist Eckharts eigener Umgang mit der Schrift, der sich gegen den einfachen Zugriff von Lesern und Forschern sperrt. Denn die Arbeit am Index hatte als herausragendstes Merkmal von Eckharts Benutzung der Schrift erwiesen, dass er verliebt oder geradezu vernarrt ist in variatio, eine Vielfalt, die weit über den freien Umgang des Augustinus mit dem Bibeltext hinausgeht und sich auch von diesem unterscheidet. Und es ist dieses Phänomen von Eckharts variatio, dem ich in diesem Beitrag auf die Spur kommen möchte. Ich möchte deshalb kurz zunächst das Phänomen selbst beschreiben und in einem zweiten Schritt dem Grund für dieses Phänomen nachspüren. Wie immer wieder durch den Index belegt wird, hatte Eckhart es sich offenkundig bewusst vorgenommen, Bibelstellen, wenn möglich – und zwar auch über seine verschiedensten Werke hinweg –, immer wieder anders zu zitieren, die Zitate neu zuzuschneiden, einzelne Elemente herauszuschälen und diese immer wieder verschieden zu beleuchten und zu gewichten, Wortumstellungen vorzunehmen und, als ob diese Vielfalt nicht bereits ausreichend gewesen wäre, in gleicher Weise variatio auch den Einleitungen bzw. Nachsätzen seiner Schriftzitate angedeihen zu lassen. Wenn etwa Eckhart eine Bibelstelle über hundertmal in seinem Werk anführt (und von solchen Versen gibt es einige), variiert der Meister – die Einleitungs- und Ausleitungsvarianten mitgezählt – dieselbe Stelle über fünfundsiebzigmal. Nun fragt man sich sofort: wie konnte Eckhart überhaupt bei der Abfassung so vieler Schriften in zwei Sprachen, in verschiedenen literarischen Genera und über den langen Zeitraum seines Wirkens hinweg noch wissen, wie er solche Schriftstellen an anderen Stellen bereits zitiert hatte, wie er sie dort eingeleitet oder im Ausgang referenziert hatte, um sie erneut anders und neu anzuführen? Hatte er alle . M.M. Tischler, Die Bibel in Saint-Victor zu Paris (), . . Vgl. zu Augustinus: Georg Nicolaus Knauer, Psalmenzitate in Augustins Konfessionen (Göttingen, ); Barbara Aland, ‚Die Rezeption des neutestamentlichen Textes in den ersten Jahrhunderten‘, in J.-M. Sevrin (ed.), The New Testament in Early Christianity (Leuven, ), -, .
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Texte, die er jemals verfasst hatte, mit all den Schriftzitaten und Ein- und Ausleitungen bildhaft und dem Wortlaut nach im Kopf? Hatte er einen Index, den wir dann jetzt nur rekonstruiert hätten? Der absichtliche Drang zu nova et rara, auch durch die Zitierweisen belegt, gilt nicht nur für die sehr häufig von ihm angeführten Stellen, sondern meist auch für Schriftstellen, die viel seltener bei ihm belegt sind. Es ist eine Ausnahme, wenn Eckhart eine Stelle identisch anführt, und, so muss man in diesem Fall zunächst vermuten, diese Präzision und Beharrlichkeit auf der einen Zitierweise wird einen inhaltlichen Grund haben, der Eckhart von seinem Grundprinzip der variatio abbringt. Ich will damit nur andeuten, dass der Index selbst neue Forschungsfragen aufwirft, auf die ich hier nur hinweisen kann. Zweifelsohne nutzt Eckhart sowohl im lateinischen wie auch im deutschen Werk weithin als Schriftgrundlage eine Vulgatatradition, auch wenn sich diese, wie gesagt, noch nicht präzise bestimmen lässt. Ich werde im Folgenden also von ‚der‘ oder ‚seiner‘ Vulgatatradition sprechen, auch wenn er selbst nie von der ‚Vulgata‘ spricht und uns vor Augen steht, dass es ‚die‘ Vulgatatradition weder vor Eckhart, noch zur Zeit Eckharts, noch Jahrzehnte nach ihm gegeben hat, und wer die modernen Ausgaben und ihre Varianten kennt, wird zugestehen, dass es eine solche gar nie gab. Und dennoch hatte Eckhart eine klare Vorstellung von seinem Bezugstext, der sich der scholastischen Vulgatatradition einreiht, wie sie etwa von Hans Hermann Glunz herausgearbeitet und als Pariser Bibel bezeichnet wurde. Diese Bezugsgröße seiner Bibel hatte Eckhart so bewusst vor Augen gestanden, dass er Abweichungen von ihr öfters ausdrücklich markiert und angibt. Und er selbst rückt von dieser Textvorlage nur dann stillschweigend ab, wenn er regelmäßig, wenngleich nicht an allen Stellen, grammatikalisch rückverweisende oder dem Satzduktus geschuldete Begriffe wie enim, autem etc. weglässt, ändert oder eigene hinzufügt, oder gegenüber der Vulgatatradition in der Regel auch dominus und deus vertauscht. Doch dies sind eher kleine Abweichungen, . H.H. Glunz, History of the Vulgate (), , -. . Ein besonderes Merkmal der Pariser Bibel war die Auslassung von IV Esdras, ein Buch, das auch von Eckhart nie zitiert wird. Zur Pariser Bibel vgl. H. Denifle, ‚Die Handschriften der Bibel-Correctorien des . Jahrhunderts‘ (), -; Guy Lobrichon, ‚Les éditions de la Bible latine dans les universités du XIIIe siècle‘, in G. Cremascoli und F. Santi (eds), La bibbia del XIII secolo: Storia del testo, storia dell’esegesi (Firenze, ), -.
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die im Index notiert sind. Aus den wenigen wissenschaftlichen Studien zu Vulgataversionen des späten . und frühen . Jahrhunderts können wir außerdem ableiten, dass Eckhart sich gewiss verschiedener in Paris damals umlaufender, gerade auch von Dominikanern erstellter Vulgatarevisionen bedient hatte, doch wir wissen leider noch nicht, auf welcher genauen Grundlage dies geschah. Auch wenn folglich Eckharts Vulgatatradition aufgrund ihrer Unschärfe derzeit nicht mit letzter Präzision zu bestimmen ist, so haben seine Vulgatazitate dennoch eine solch ausgeprägte Charakteristik, dass sich Eckharts grundsätzliches Abweichen von der Vulgata in bestimmten Versen schnell erkennen lässt. Es scheint, dass er stets nicht nur die Vulgata vor Augen hatte, sondern immer auch die Glossa, und dass er darüber hinaus auch andere Bibelmanuskripte, Zitate in anderen Autoren und vor allem den Bibelgebrauch in der Liturgie mit dem ihm vorliegenden Schrifttext auf Varianten hin abglich. Und immer dann nahm er Abstand vom Vulgatatext, wenn ihm eine andere Autorität einen überzeugenderen Bibeltext für einen bestimmten Vers bot, der ihm in seiner Interpretation half. In diesem Fall folgte er dieser Autorität, stellte einen Vergleich mit anderen Bibelübersetzungen an, las die Evangelien synoptisch, zog weitere Bibelausgaben zu Rate oder erinnerte sich an die Liturgie und gewann aus dem so bewusst abweichend gewählten Text sein exegetisches Argument. So sehr die Vulgata also grundsätzlich seine Bibeltradition bildete – sklavisch hielt er sich nicht an sie. Welche Vulgata? Die verschiedenen Vulgatakorrekturen Aus all dem lässt sich schon entnehmen, dass wir aus dem Index noch nicht auf Eckharts Bibel rückschließen oder gar eine bestimmte Bibelhandschrift als die Wiedergabe seiner Schrift bezeichnen können. Manchmal entspricht Eckharts Text demjenigen der späteren sog. Vulgata Clementina, nämlich der Edition, die in Rom im Auftrage des Papstes Klemens VIII. erschien. Tatsächlich inkorporiert diese aus der Zeit der Renaissance stammende Ausgabe viele Varianten, die im Mittelalter entstanden und die daher aus der modernen kritischen VulgataAusgabe als unecht eliminiert wurden. Die ‚Clementinische Vulgata‘ hatte aber bereits eine Geschichte. Inauguriert durch die Päpste Sixtus V. und Clemens VII., beruhte sie ihrerseits auf den Bibelrezensionen des
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Alkuin (/-) und des Theodulf (c. -), die den Scholaren der Pariser Schulen dienten und von den stationarii der pecia in der Universität verwaltet wurden, mit lediglich beschränkter Kontrolle der Universität. Aufgrund der integrierten Glosse und ihrer patristischen Verweise scheinen die Ausgaben erheblich durch diese kontaminiert und keineswegs einheitlich gewesen zu sein, was Inhalt, Form und Größe betrifft. Lanfranc von Bec (d. ), der Erzbischof von Canterbury, hatte schließlich die Initiative ergriffen, ‚gemäß dem orthodoxen Glauben alle Bücher des Alten und Neuen Testaments und auch die Schriften der Väter zu korrigieren‘, da er festgestellt hatte, dass ‚die Schrift durch die Schwächen vieler Schreiber verderbt war‘; dann veranstaltete im Jahr Stephen Harding (-), Abt von Cîteaux, seine eigene . Vgl. Maria Elisa Garcia Barraco, In Petiis – Il Sistema della Pecia e la Produzione del Libro Universitario nel Medioevo (Roma, ); Raphael Loewe, ‚The Medieval History of the Latin Vulgate‘, in G.W.H. Lampe (ed.), The Cambridge History of the Bible II (Cambridge, ), -, -. . Zur neueren Forschung zur Glosse vgl. Rainer Berndt, ‚Neue Forschungen zur Glossa der Bibel‘, Archa Verbi (), -; G. Lobrichon, ‚Les éditions de la Bible latine dans les universités du XIIIe siècle‘ (), -; Gillian Rosemary Evans, ‚Gloss or Analysis? A Crisis of Exegetical Method in the Thirteenth Century‘, in G. Cremascoli und F. Santi (eds), La bibbia del XIII secolo (), -. Die Glossa ordinaria war so verbreitet, dass wir selbst bei vorsichtiger Schätzung mit ‚some Gloss manuscripts, scattered mostly throughout Europe‘, rechnen dürfen, so Mark Zier, ‚The Development of the Glossa Ordinaria to the Bible in the Thirteenth Century: The Evidence from the Bibliothèque nationale, Paris‘, in G. Cremascoli und F. Santi (eds), La bibbia del XIII secolo (), -, n. . . R. Loewe, ‚The Medieval History of the Latin Vulgate‘ (), . . Vgl. Frans van Liere, ‚The Latin Bible, c. to the Council of Trent‘, in J.C. Paget (ed.), The New Cambridge History of the Bible (Cambridge, ), -, -; G. Lobrichon, ‚Les éditions de la Bible latine dans les universités du XIIIe siècle‘ (), -; Laura Light, ‚The New Thirteenth-Century Bible and the Challenges of Heresy‘, Viator (), -, : ‚Before the thirteenth century, the Bible, whether we are speaking of the great English and French twelfth-century romanesque Bibles, the Italian „giant“ Bibles of the eleventh and twelfth centuries, the lavish Ottonian gospel books, or the ninth-century products of the scriptorium at Tours, was an impressive embodiment of the word of God, functioning as a symbol of the corporate identity of a monastery, of the office of a bishop, or of the sacred duties of the lay ruler. The Bible in these centuries – large, usually multi-volume, and often sumptuously illustrated – was preeminently a public book, and its physical characteristics reflect this fact. It is only in the thirteenth century that the Bible which we so take for granted today, the individually-owned volume containing the complete Old and New Testaments in a modest format, appears in significant numbers. … the pocket Bible was a Bible shaped by purely utilitarian needs: one no longer valued primarily as a symbol, but rather simply as a useful book, designed both for reading, and, for the first time in the Middle Ages, for reference‘; another desideratum is mentioned (ibid.), that of the study of the pocket Bible in the Middle Ages. . Milo Crispin, Vita Lanfranci (PL , B-C), trans. F. van Liere, ‚The Latin Bible, c. to the Council of Trent, ‘ (), .
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Kollation, die er in vier Bänden publizierte, und um die Mitte des . Jahrhunderts brachte Nikolaus Maniacoria von Rom Revisionen ein. Inwieweit diese Korrekturen für den gesamten Bibeltext gelten, ist umstritten, da damals die meisten Bibeln noch keine ‚pandecten‘ waren, also noch nicht Kodizes, in denen alle biblischen Bücher zusammengebunden waren, sondern ‚die meisten mittelalterlichen Bibelkodizes beinhalteten Teilbibeln (etwa die Evangelien oder den Oktateuch) oder einzelne biblische Bücher, deren Text natürlich durchaus auch aus Pandekten kopiert sein oder umgekehrt in solche gelangen konnte[n]‘, oft aber wurde der Text der verschiedenen Bücher aus unterschiedlichen Quellen zusammengebracht. Von Sigebert von Gembloux etwa besitzen wir einen Bericht über Abt Olbert von Gembloux (d. ), wie dieser seinen Bibelkodex ‚aus nicht weniger als Bänden heiliger Bücher‘ zusammengebracht habe. Schließlich besitzen wir für unsere Vorstellungen überaus ungewöhnliche Bibeln, wie sie etwa in der sogenannten Middle English Bible vorliegt. Kurzum, was wir für eine verlässliche Untersuchung von Eckharts Bibeltext brauchten, wäre eine gründliche Erforschung der Vulgatarevisionen des hohen Mittelalters,
. Noch vorhanden in der Stadtbibliothek von Dijon, Pergamenthandschrift mss. -, vgl. H. Denifle, ‚Die Handschriften der Bibel-Correctorien des . Jahrhunderts‘ (), -. Nach der Enzyklika des Abtes (Mss. , fol. v, abgedruckt in Denifle, -) hat sich Harding bei jüdischen Rabbinen erkundigt und die chaldäische oder hebräische Version bei dunklen Stellen verglichen. Er hatte Varianten notiert und falsche Lesarten getilgt, vgl. den Katalogeintrag (mit weiterer Lit.): http://patrimoine.bm-dijon.fr/pleade/ead.html?id=FR_citeaux#!{„content“ :[„FR_citeaux_D“,false,““]} . Die Einleitung zu Nikolaus’ kritischen Bemerkungen über die Bibel ist abgedruckt in H. Denifle, ‚Die Handschriften der Bibel-Correctorien des . Jahrhunderts‘ (), -. Vgl. R. Loewe, ‚The Medieval History of the Latin Vulgate‘ (). . F. van Liere, ‚The Latin Bible, c. to the Council of Trent, ‘ (), ; vgl. id., An Introduction to the Medieval Bible (). . F. van Liere, ‚The Latin Bible, c. to the Council of Trent, ‘ (), , vgl. Sigebert of Gembloux, Gesta abbatium Gemblacensium et vita Wicberti (PL , B). . A Fourteenth Century English Biblical Version, ed. A.C. Paues (Cambridge, ). . Vgl. den Kommentar von F. van Liere, ‚The Latin Bible, c. to the Council of Trent, ‘ (), : ‚Modern scholars know a good deal more about the state of the Vulgate Bible text before and during the Carolingian renaissance than in the five centuries after . In an essay published in Laura Light pointed out that very little systematic study had been done on manuscripts of the Bible dating from after the tenth century … Despite progress in some fields … this state of affairs has not fundamentally changed over two decades later‘, vgl. L. Light, ‚Versions et révisions du texte biblique‘ (), .
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insbesondere der Dominikaner- und Franziskanerrevisionen. Denn gerade die Dominikaner hatten es sich zu einer Hauptaufgabe gemacht, während des . und . Jahrhunderts Bibeln nicht nur zu kopieren, sondern auch kritisch zu revidieren. Um diese Revisionen näher zu bestimmen, bedürfte es eines dominikanischen Bibelrepertoirs des . bis . Jahrhunderts. Erst dadurch könnte man die spezifische, von Eckhart genutzte Schrift näher bestimmen – bislang weithin ein wissenschaftlich noch wenig erkundetes Gebiet. Nach all dem, was wir heute wissen, hat es bei den Dominikanern mindestens vier Versuche gegeben, die ‚Vulgata‘ zu korrigieren, doch gibt es lediglich handschriftliche Überlieferungen für zwei derselben. Das Generalkapitel des Ordens vom Jahr in Paris beschloss, ‚dass gemäß der Korrekturen, welche die Brüder, die zu dieser Provinz [Frankreich] gehören, unternehmen, andere Bibeln des Ordens korrigiert und interpungiert werden sollen‘. Wie Dahan hervorgehoben hat, deutet das Präsens ‚unternehmen‘ (faciunt) darauf hin, dass zu dieser Zeit die Korrekturarbeiten an der Schrift noch im Gange oder zumindest noch nicht abgeschlossen waren. Doch wissen wir leider nicht, welcher Natur diese Korrekturen waren: ging es nur um kleinere Textkorrekturen, Interpunktionen oder um eine völlige Neuedition der Bibel? Schließlich gibt es noch einen weiteren, Jahre später gefassten Beschluss des Generalkapitels von in Paris: ‚Wir approbieren weder die Korrekturen der . Selbst eine gründliche Studie des ‚Pariser Texts‘ der ‚Vulgata‘ fehlt, vgl. Gilbert Dahan, ‚La connaissance du grec dans les correctoires de la Bible du XIIIe siècle‘, in D. Nebbiai-Dalla Guarda und J.-F. Genest (eds), Du copiste au collectionneur. Mélanges d’histoire des textes et des bibliothèques en l’honneur d’André Vernet, Bibliologia (Turnhout, ), -, ; id., ‚Les textes bibliques dans le lectionnaire du „Prototype“ de la liturgie Dominicaine‘, in L.E. Boyle und P.-M. Gy (eds), Aux origines de la liturgie Dominicaine (Rome, ), -; Sabina Magrini, ‚La bibbia all’università (secoli XII-XIV): La „Bible de Paris“ e la sua influenza sulla produzione scritturale coeva‘, in P. Cherubini (ed.), Forme e modelli della tradizione manoscritta della bibbia, Littera antiqua (Citta del Vaticano, ), -; was die franziskanische Korrektur betrifft, braucht man lediglich an Roger Bacons Versuch von zu erinnern, vgl. Roger Bacon, Opus Majus, ed. S. Jebb (London, ), . . Vgl. G. Lobrichon, ‚Les éditions de la Bible latine dans les universités du XIIIe siècle‘ (), . . M.M. Tischler, Die Bibel in Saint-Victor zu Paris (), . . Vgl. G. Dahan, ‚Les textes bibliques dans le lectionnaire du „Prototype“ de la liturgie‘ (), . . Constitutiones, art. , Acta Capitulorum Generalium Ordinis Praedicatorum I, ed. B.M. Reichert (Paris, ), : Volumus et mandamus ut secundum correctionem quam faciunt fratres quibus hic iniungitur in provincia biblie alie ordinis corrigantur et punctentur.
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Senonenser Bibliothek, noch wollen wir, dass sich die Brüder auf diese Korrekturen stützen‘. Leider wissen wir nicht, ob dieser Beschluss mit dem zuvor zitierten zusammenhängt, und auch nicht, ob er Bezug nimmt auf die Vulgatakorrektur, die von Hugo von St. Cher zuvor durchgeführt worden war. Leider haben wir bis heute auch kein Exemplar einer solchen Bibel von Sens finden können. Die älteste Bibelkorrekturversion, die wir also nachweisen können, ist diejenige des genannten Hugo von St. Cher, von der immerhin zwölf Handschriften bekannt sind, auch wenn wir nicht die genaue Entstehungszeit dieser Korrektur bestimmen können; vermutet wird die Zeit vor . Dieser Versuch wurde gefolgt von einer weiteren Korrektur, die Theobald von Sézanne, der Subprior von Saint-Jacques in Paris, unternommen hatte, die jedoch verloren zu sein scheint. Lediglich einige Hinweise auf seine Korrekturen sind in den Handschriften erhalten. Theobald war ein konvertierter Jude, sehr gut des Hebräischen mächtig und ein Kenner der rabbinischen Literatur, wie seine Übersetzungen von Auszügen des Talmuds, von Rashi und der jüdischen Liturgie belegen. Der vierte Versuch einer Vulgatakorrektur ist belegt durch vier Pariser Handschriften (Bibliothèque Nationale, MS Lat. -). Diese Kodizes bieten uns den gesamten Bibeltext, allerdings ohne die Psalmen, zusammen mit kritischen Interlinearanmerkungen bzw. Marginalnotizen. Der von ihnen . Constitutiones, art. , Acta Capitulorum Generalium Ordinis Praedicatorum I - (), : Correctionem bibliothece Senonensem non approbamus nec volumus quod illi correctioni fratres aliquatenus innitantur, unter Berücksichtigung der ältesten Handschrift aus dem . Jh. und den Bemerkungen bei H. Denifle, ‚Die Handschriften der Bibel-Correctorien des . Jahrhunderts‘ (), , der darauf hinweist, dass hier nicht von einer Biblia Senonensis gesprochen wird, sondern von einer Korrektur, die in Sens unternommen wurde. . Vgl. G. Dahan, ‚Les textes bibliques dans le lectionnaire du „Prototype“ de la liturgie Dominicaine‘ (), . . Vgl. R. Loewe, ‚The Medieval History of the Latin Vulgate‘ (), ; in der Fußnote verweist Loewe auf MS Paris BN lat. ‚as being the bible from which the Dominicans started: essentially the Paris text, it agrees with citations from the „Sens Bible“ in the Sorbonne Correctorium, … MS B.N. , ff. f.‘ Vgl. auch Acta Capitulorum Generalium Ordinis Praedicatorum (), (Kapitel des Jahres ) und (Kapitel des Jahres ); vgl. auch Gilbert Dahan, ‚„Sorbonne II“. Un correctoire biblique de la seconde moitié du XIIIe siècle‘, in G. Cremascoli und F. Santi (eds), La bibbia del XIII secolo (), -, -. . G. Dahan, ‚Les textes bibliques dans le lectionnaire du „Prototype“ de la liturgie Dominicaine‘ (), . . G. Dahan, ‚„Sorbonne II“. Un correctoire biblique de la seconde moitié du XIIIe siècle‘ (), . . G. Dahan, ‚Les textes bibliques dans le lectionnaire du „Prototype“ de la liturgie Dominicaine‘ (), -.
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gebotene Text ist sorgfältig durchgesehen, doch der von ihnen benutzte Bibeltext entspricht einer älteren, nicht näher bestimmbaren Tradition, bietet also gar nicht denjenigen, den die Korrekturen eigentlich verbessern wollen. Zu diesen vier Korrekturversuchen sei noch auf zwei mögliche weitere Unternehmen verwiesen, die als Sorbonne I und Sorbonne II bekannt sind, aus der Zeit vor bzw. um stammen und in einer Handschrift belegt sind (Bibliothèque Nationale, MS Lat. , Sorbonne I fol. r-r; Sorbonne II fol. r-r). Der Text war, vielleicht als exemplar, durch Petrus von Limoges (gest. ) der Sorbonne gestiftet worden. Manche der Korrekturversuche, von denen kein Manuskript auf uns gekommen ist, mag vielleicht gar keine vollständige Bibelkorrektur gewesen sein, sondern lediglich den Einzelversuch eines Exegeten darstellen, Fehler, die sich im Laufe der Bibeltransmission in den Text eingeschlichen hatten und ihm aufgefallen waren, aus dem Bibeltext zu entfernen. Dahan schließt daraus, dass seit Karl dem Großen bis ins . Jh. vielleicht keine neue Bibelversion geschaffen wurde mit Ausnahme der genannten Bibel von Sens, doch erscheint dieser Schluss noch verfrüht und müsste erst durch eine systematische Untersuchung erhärtet oder widerlegt werden. Mein eigener Vergleich zwischen dem, was von den genannten Korrekturversuchen bekannt ist, und den Texten Eckharts ergab, dass sich Eckhart zwar nie ausdrücklich auf ältere Bibelmanuskripte beruft, sich aber tatsächlich der verschiedenen Korrektureditionen bediente. Der Vergleich wird dadurch gestützt, dass Eckhart bei aller Variation, mit der er den Text zitiert, doch immer sehr genau darauf achtet, wie er einen bestimmten Vers bietet. So fand ich Spuren der sogenannten Pariser Bibel, er hatte vielleicht auch hier und da die Korrektur Sorbonne II benutzt und scheint sich auch der Senensis bedient zu haben.
. G. Dahan, ‚Les textes bibliques dans le lectionnaire du „Prototype“ de la liturgie Dominicaine‘ (), . Dahan (n. ) kündigt hierzu eine Studie (mit Jean Figuet) an, die noch nicht publiziert zu sein scheint. . G. Dahan, ‚„Sorbonne II“. Un correctoire biblique de la seconde moitié du XIIIe siècle‘ (), . . Vgl. Nicole Bériou, L’avènement des maîtres de la Parole. La prédication à Paris au XIIIe siècle (Paris, ), . . Ähnlich auch William of Alton, so Timothy Bellamah, The Biblical Interpretation of William Alton, Oxford Studies in Historical Theology (Oxford, ), -.
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Wenn Eckhart etwa Matth. n. , ‚ab ore (de ore V)‘, in n. ‚super firmam petram‘, in n. ‚in se divisum (divisum contra se V)‘ und Ioh. n. ‚peccata tollere (tollit peccatum V)‘, nutzt, weist dies darauf hin, dass er sich sogenannter Pariser Bibelversionen bedient hatte. Leider gibt es in der Forschung keine vollständige Vergleichsliste der typischen Lesarten dieser sogenannten Pariser Bibel (die vielleicht auch gar nicht zu erstellen ist, da die ‚Pariser Bibel‘ nie als Ausgabe und damit als fixierter Text existiert hatte), doch wir kennen einige typische Lesarten, die sich in verschiedenen Bibelhandschriften aus dem Paris dieser Zeit finden, von denen z.B. die Genannten auf Eckharts Kenntnis derselben hinweisen. Schließlich zitiert Eckhart Prov. , n. nach der Art, wie sie sich in der sogenannten Biblia Senonensis findet. Diese Bibelrevision der Vulgata wurde von den Dominikanern während der Dekade nach in der Provinz von Sens unternommen. Das Ergebnis wurde schließlich vom Generalkapitel der Dominikaner im Jahr für den Gebrauch im Orden empfohlen, auch wenn das Kapitel des Jahres schließlich die Korrektur wieder verwarf. Vielleicht hatte Eckhart Handschriften mit solchen Reformvarianten, vermittelt durch einen weiteren Reformversuch, kennengelernt, der im letzten Viertel des . Jh.s, gewiss jedoch vor dem Jahr und höchstwahrscheinlich im Dominikanerkloster von St. Jacques in Paris, in Angriff genommen worden war und in der Forschung als Sorbonne II bezeichnet wird. Auch wenn es Eckhart vielleicht wie den Viktorinern hätte gehen können, die keine bestimmte Bibel benutzten, sondern sich jeweils der ihnen zur Verfügung stehenden Ausgaben bedienten, so scheint Eckhart wählerischer zu arbeiten. Doch es bleibt das Desiderat, hier weitere Untersuchungen anzustellen. . Die Referenz bezieht sich auf unseren Index, der für jedes Kapitel einer biblischen Schrift die Zitate bei Eckhart durchnummeriert. D.h. Matth. n. bedeutet das zweite Zitat eines Verses des vierten Kapitels des Matthäusevangeliums (im Index auf S. zu finden). . Vgl. H.H. Glunz, History of the Vulgate (), -. . G. Dahan, ‚„Sorbonne II“. Un correctoire biblique de la seconde moitié du XIIIe siècle‘ (). . M.M. Tischler, Die Bibel in Saint-Victor zu Paris (), . . Man braucht nur an Timothy Bellamahs jüngste Studie zu William von Alton zu denken, um zu erkennen, in welchen Anfängen unsere Arbeit zur Geschichte der Exegese steckt. Von den ‚fünfundzwanzig Bibelkommentaren, die ihm verschiedentlich zugeschrieben werden‘, akzeptiert Bellamah nur drei, vgl. T. Bellamah, The Biblical Interpretation of William Alton (), (ibid. ), und ibid. : ‚The evidence left by medieval scribes is fragmentary and often contradictory.‘
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Die Schrift als Leben, das Leben als Schrift Lassen Sie mich auf mein Hauptthema zu sprechen kommen – das Leben als Schrift. Für Eckhart ist die Schrift mehr als ein Buch, es ist ‚Gottes eigenes Wort‘, nicht in Stein gemeißelt wie die Gesetze, die dem Mose übergeben wurden, auch nicht nur geschrieben auf das Papier des Neuen Testaments, sondern eingeschrieben in den Menschen. Der Mensch ist nämlich nach Eckhart Gottes letztes Buch, dasjenige, das er über alle anderen Bücher hinaus liebt und ‚welches er allezeit bei sich trägt‘, sein ‚Handbuch, in welchem er liest, mit dem er spielt und dessen er sich erfreut‘. Also noch bevor wir an die Schrift des Alten und Neuen Testaments denken, sind wir, Eckhart folgend, mit uns selbst als Gottes Buch konfrontiert, das alle anderen Offenbarungsschriften in den Schatten stellt. Solche Vorrangstellung minimiert nun nicht die Autorität des Geschriebenen, aber sie verdeutlicht, dass es in der Schrift um mehr als um Worte, Grammatik und Buchstaben geht. Da Gott der Schöpfer ist, geht der wörtliche oder literale Sinn über den Text im engen Sinn hinaus. Auch wenn Eckhart mit diesem weiteren Verständnis vom literalen Sinn der Autorität seines Lehrers Thomas zu folgen scheint, geht er gleichsam doch auch über ihn hinaus. Der Aquinate meinte, dass Gott als primärer Autor aufgrund seiner Allmacht Dinge, die mit Worten bezeichnet sind, auch mit anderen Bedeutungen ausstatten kann, während der Mensch lediglich Worten verschiedene Bedeutung zumisst. Während also in der Schrift Dinge . Vgl. Eckhart, Sermo XXIV, n. , LW IV ,-. . Vgl. Eckhart, Pr. , DW IV, ,-,: Und hât bewîset, daz der mensche sî daz beste under allen crêatûren. Moyses hâte gemachet vier buoch, diu nütze wâren. Dar nâch mahte er daz vünfte. Daz was daz minste und daz beste, und hiez ez die wârheit von aller der schrift … Sant Augustînus machete ouch vil büecher. Ze leste machete er ouch ein kleinez buochelîn, in dem was geschriben allez, daz man in den andern niht verstân enkunde. Daz hâte er alle zît mit im und bî im und was im daz liebeste. Alsô ist ez zemâle umbe den menschen: den hât got gemachet als ein hantbuoch, dâ er în sihet und dâ er mite spilet und lust ane hât. . Eckhart, Sermo XXIV, n. , LW IV ,-: Magna ergo est auctoritas, magna reverentia sacrae scripturae. Unde Ioh. consulit ipsa veritas dicens: ‚scrutamini scripturas‘. Propter hoc Richardus I De trinitate c. sic dicit: ‚quali, quaeso, studio, quanto desiderio debemus illo incumbere negotio, illi inhiare spectaculo, de quo pendet salvandorum omnium summa beatitudo?‘. . Thomas von Aquin, Summa theologiae I, q. , a. : … dicendum quod auctor sacrae Scripturae est Deus, in cuius potestate est ut non solum voces ad significandum accommodet (quod etiam homo facere potest), sed etiam res ipsas. Et ideo, cum in omnibus scientiis voces significent, hoc habet proprium ista scientia, quod ipsae res significatae per voces, etiam significant aliquid. Illa ergo prima significatio, qua voces significant res, pertinet ad primum sensum, qui est sensus historicus vel litteralis.
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per se andere Dinge bezeichnen können, ist der Mensch auf Epistemologie verpflichtet und der literale Sinn lediglich auf die Bezeichnung einer bestimmten Sache, nicht auf die Sache selbst bezogen. Da nun die Theologie auf dem Wort Gottes gründet, muss der Theologe die Autorenintention verstehen, die sich mit dem literalen Sinn deckt. Diese aber ist aufgrund von Gottes Intellekt, der alles mit einem Mal ergreift, komplex, so dass ‚eine einzige Schriftpassage mehr als einen Sinn haben kann, sogar, was den literalen Sinn betrifft‘. Wir haben folglich mit weiteren, vielleicht sogar vielfachen inhärierenden spirituellen Bedeutungen gerade auch im literalen Sinn zu rechnen. Das führt nach dem Aquinaten allerdings nicht zur Konfusion, da jeglicher spirituelle Sinn auf dem Literalsinn aufbaut und nur aus dem Literalsinn ein Argument entnommen werden kann (trahi), ‚nicht von Dingen, die nur allegorisch gesagt sind‘. Folglich solle man immer beim Literalsinn beginnen. Diesem filigranen Gedankengang des Aquinaten gegenüber ist Eckhart fast holzschnittartig einfach, vielleicht gar grobschlächtig, wenn er im zweiten Genesiskommentar drastisch formuliert: ‚Jeglicher Sinn, der wahr ist, ist der Literalsinn‘ (omnis sensus qui verus est sensus litteralis est). Ein solch genereller Ansatz (omnis sensus) öffnet natürlich Tür und Tor für die Interpretation und bürdet dem Interpreten eine ungeheure Verantwortung auf, den wahren Sinn zu treffen. Andererseits schreibt Illa vero significatio qua res significatae per voces, iterum res alias significant, dicitur sensus spiritualis; qui super litteralem fundatur, et eum supponit … Quia vero sensus litteralis est, quem auctor intendit, auctor autem sacrae Scripturae Deus est, qui omnia simul suo intellectu comprehendit, non est inconveniens, ut dicit Augustinus XII confessionum, si etiam secundum litteralem sensum in una littera Scripturae plures sint sensus; vgl. A.J. Minns und A.B. Scott (eds), Medieval Literary Theory and Criticism (Oxford, ), -. . Vgl. Thomas von Aquin, Summa theologiae I, q. , a. . Aus der breiten Literatur zu Thomas’ biblischer Exegese vgl. etwa Thomas Prügl, ‚Thomas Aquinas as Interpreter of Scripture‘, in R. van Nieuwenhove und J. Wawrykow (eds), The Theology of Thomas Aquinas (Notre Dame, ), -. . Zur modernen Debatte über die Pluralität des Literalsinnes der Schrift bei Thomas vgl. Ian C. Levy, ‚The Literal Sense of Scripture and the Search for Truth in the Late Middle Ages‘, Revue d’histoire ecclésiastique (), -, -. . So Florian Wöller, ‚The Bible as Argument: Augustine in the Literal Exegesis of Peter Auriol (c. -) and Nicholas of Lyra (c. -)‘, in J.T. Slotemaker und J.C. Witt (eds), Augustine in Late Medieval Philosophy and Theology, Studia Patristica (Leuven, ), -. . Eckhart, In Gen. II n. , LW I, ,-: Cum ergo sit ‚sensus‘ etiam ‚litteralis, quem auctor scripturae intendit, deus autem sit auctor sacrae scripturae‘, ut dictum est, omnis sensus qui verus est sensus litteralis est.
MARKUS VINZENT
Eckhart den Ansatz des Thomas von der Komplexität des Literalsinns so weiter, dass er diesen gewissermaßen auf den Kopf stellt und damit auch jeglichen Literalsinn unterminiert. Denn nach Eckhart ist der literale Sinn nicht mehr nur ein vielfacher, wie bei Thomas, der der Autorenintention Gottes zu entsprechen hat, sondern Eckhart schließt aus Gottes Autorschaft der Schrift, dass jede Interpretation, die die Wahrheit ausdrückt, den Literalsinn einer Passage oder auch eines einzigen Wortes trifft. Literalität ist damit kombiniert mit Wahrheit – eine gefährliche Öffnung der interpretativen Schiene, die Wort und Bedeutung voneinander löst, andererseits aber auch den Leser von einer positivistischen Wortsklaverei befreit. Ohne Definition von Wahrheit ist damit natürlich auch die Basis für doktrinären Totalitarismus gelegt, dem nur durch eine höchst reflektierte, selbstkritische Annäherung an eine nicht klar definierte Wahrheit entgegnet werden kann. Wie wenig Eckhart daran gelegen ist, Standardlehren wiederzugeben, mag ein Beispiel verdeutlichen. Zweimal deutet er Joh ,, wo es heißt, man solle ‚die Schriften gründlich studieren‘. Das schlichte ‚es ist geschrieben‘ drücke die große Autorität des göttlichen Gesetzes und der Schrift aus, deren ‚unser Herr das Beispiel sei, „die Quelle der Weisheit, das Wort Gottes in Herrlichkeit“ (Eccli. ,), die er bezeugen und bestätigen wollte als sein Wort und seine Tat durch die Schrift‘. Dass ‚es geschrieben‘ sei, lehre, dass ‚hohe Verehrung, große Autorität und unbestreitbare Wahrheit in den Heiligen Schriften läge‘. Daran schließt sich Joh , an, wonach die ‚Schrift nicht verdorben werden kann‘. . Eckharts Position scheint kritisiert zu werden bei Nikolaus von Lyra, Postilla, trans. in A.J. Minns und A.B. Scott (eds), Medieval Literary Theory and Criticism (), -. Nikolaus war Magister Regens in Paris von bis oder und, zusammen mit Jakobus von Aescoli, auch im Gespräch mit Eckhart, außerdem war er involviert in das kirchliche Verhör der Marguerite Porète; vgl. die Einführung zu Nicholas of Lyra: The Senses of Scripture, ed. P.D. W. Krey und L.J. Smith, Studies in the History of Christian Thought (Leiden, Boston, Cologne, ), . . Vgl. Eckhart, In Gen. n. (LW I, , [=,]); Sermo XXIV, n. , LW IV ,-. . Vgl. Eckhart, Sermo XXIV, n. , LW IV ,-; vgl. auch Eckhart, In Ioh. n. , LW III ,-. . Eckhart, Sermo XXIV, n. , LW IV ,-: Primum est divinae legis sive scripturae grandis auctoritas: ‚scriptum est‘. Nota: salvator noster et exemplar, ‚fons sapientiae, verbum dei in excelsis‘, Eccli. , suum verbum, suum factum probare voluit et confirmare per scripturam. ‚Scriptum est‘
DIE SCHRIFT ALS LEBEN
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Als Gottes eigenes Wort ist sie ‚inspiriert‘ und mächtig. In der Tat, so behauptet Eckhart, findet er gerade in der Schrift die Gedanken, die er selbst nicht zu denken und formulieren gewagt hätte, etwa wenn geschrieben steht: ‚Ich sagte es: Ihr seid Götter‘. Und gerade für solche Propositionen, Quästionen und Expositionen, die die Hörer als monströs, zweifelhaft und falsch betrachteten, führe die genaue Prüfung der Autorität der ‚heiligen, kanonischen‘ Schriften zum Beleg ihrer Wahrheit. Verglichen mit anderen Autoritäten, etwa dem Papst oder den Bischöfen, oder auch anderen Autoren, christlichen und nichtchristlichen, gilt ihm die Schrift als die höchste. Hierin unterschied sich Eckhart nicht von Petrus von Ailly, der als Pariser Magister und nachmaliger Kanzler zwei, drei Generationen später als Prinzipien festlegte, dass die Magister der Theologie und die Prediger der Schrift die höchste Instanz in der Kirche seien (quasi precipuus in ecclesia). Für Eckhart hat folglich die Schrift eine herausgehobene Bedeutung. Von ihr sagt er gar, dass er ‚der Schrift mehr‘ als sich selbst glaube. In Predigt gibt er folgende Deutung der Schrift:
inquiens certe magnam reverentiam, magnam auctoritatem docet inesse scripturis sanctis et insolubilem veritatem, Ioh. : ‚non potest solvi scriptura‘. . Eckhart, Sermo XLVII, n. , LW IV ,-: ab ipso mediante scriptura inspirata effective et sic habent necessario impressum sibi aliquid divinum. . Eckhart, Sermo LV, n. , LW IV ,: Non audeo dicere ex me, scripturas audiamus: ‚ego dixi: dii estis‘ etc. . Eckhart, Prol. gen. n. , LW I, ,-: Luculenter enim invenietur dictis attestari veritas et auctoritas ipsius sacri canonis seu alicuius sanctorum aut doctorum famosorum. . John van Engen, ‚Studying Scripture in the Early University‘, in R.E. Lerner (ed.), Neue Richtungen in der hoch- und spätmittelalterlichen Bibelexegese, Schriften des Historischen Kollegs (München, ), -, : ‚Supreme juridicial authority belonged to the pope, as did a lesser and subordinate judicial authority to bishops, each to define matters of the faith as judges (iudicialiter definire). Doctors of theology, by comparison, were to define matters of the faith as teachers (doctrinaliter definire) because the faith rested on Sacred Scripture and masters of theology had the task of teaching it (ad doctores theologos pertinet sacram scripturam docere). This made masters of theology and preachers of Scripture, as it were, the highest order in the Church (quasi precipuus in ecclesia). In an ideal world, bishops defining judicially and masters defining doctrinally would coincide in one and the same person.‘ . Eckhart, Pr. , DW IV, ,: … wie ich doch der schrift mê gloube dan mir selber.
MARKUS VINZENT
Ein meister sprichet, daz diu schrift ist an irm sinne als ein vliezende wazzer, daz bî sîten ûzbrichet und machet tiefe und tîche nützlîche und vliuzet doch vür sich. Sant Augustînus sprichet: diu schrift ist nützlîche verborgen an irm sinne, daz man die êrsten wârheit zehant | () niht vinden enkan. Dar umbe vindet man manige nützlîche und lustlîche rede, diu wol bî der êrsten wârheit bestât, als Moyses sprichet, daz wazzer boben uns und bî nidere uns sint. Wer kan daz bevinden?
Ein Meister sagt, dass die Schrift nach eigenem Verständnis ein fließendes Wasser ist, das nach beiden Seiten ausbricht und tiefe und nützliche Seen bildet, selbst aber fließe. Der hl. Augustinus spricht: Die Schrift ist nützlich dunkel, was den Sinn betrifft, so dass man nicht unmittelbar die erste Wahrheit treffen kann. Das ist der Grund, warum man viele nützliche und wohlgefällige Interpretationen findet, die der ersten Wahrheit nahe kommen, wenn etwa Moses sagt, dass da Wasser über uns und unter uns sind. Wer kann sich darauf einen Reim machen?
Nach Eckhart beinhaltet die Schrift ‚die erste Wahrheit‘, auch wenn der Schatz nicht gleich gefunden werden könne. Dennoch scheint Eckhart der Meinung zu sein, dass die Suche nach dieser Wahrheit prinzipiell nicht nutzlos ist. Mit Augustinus nimmt er an, dass es das Wesen der Schrift ist, nicht nur eine richtige und nützliche, der einen Wahrheit nahekommende Interpretation zu beinhalten, sondern dass sie offen ist für mehrere dergleichen. Das Wasser eines Flusses, das nach gegensätzlichen Seiten hin Seen bildet und doch weiterfließt, zwingt zur Akzeptanz oppositioneller Lesarten der Schrift. Mehr noch: wie Eckhart mit dem letzten Beispiel des Mose hinzufügt, gibt es Stellen, auf die sich niemand einen Reim zu machen versteht.
. Augustinus, Confessiones XII, c. , n. , ed. L. Verheijen (Turnhout, ), ,-,: Sicut enim fons in parvo loco uberior est pluribusque rivis in ampliora spatia fluxum ministrat quam quilibet eorum rivorum, qui per multa locorum ab eodem fonte deducitur, ita narratio dispensatoris tui sermocinaturis pluribus profutura parvo sermonis modulo scatet fluenta liquidae veritatis, unde sibi quisque verum, quod de his rebus potest, hic illud, ille illud, per longiores loquellarum anfractus trahat. . Augustinus, De trinitate I, c. , n. , ed. W.J. Mountain und F. Glorie (Turnhout, ), ,-: Mentis humanae acies invalida in tam excellenti luce non figitur, nisi per iustitiam fidei nutrita vigoretur, zitiert in Eckhart, In Ioh. n. , LW III ,. . Gen ,: Et fecit Deus firmamentum, divisitque aquas, quae erant sub firmamento, ab his, quae erant super firmamentum. . Eckhart, Pr. , DW IV, ,-,; trans. d. Vf.
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Diese Vielschichtigkeit der Schrift und ihre ungeklärte, unerklärliche und grundsätzliche Unabgeschlossenheit, nicht nur in ihrer Interpretation, sondern sogar in ihrer Textualität, bringt uns zurück zu den Anfängen dieses Beitrages. Eckhart scheint es bei aller Sorge um den Text der Schrift gar nicht so sehr um dessen Eindeutigkeit gegangen zu sein, sondern er scheint die Interpreten, die Leser und auch die Textschreiber als Teil des kreativen Stromes gesehen zu haben, für die das Leben Schrift war und deren Leben zugleich Schrift darstellte. Schrift war für ihn kein Abstraktum, sondern nachdem der Mensch für Gott selbst das erste und wichtigste Buch darstellt, ist auch die Schrift kreatives Produkt Gottes mit und in dem schreibenden, lesenden, deutenden und hörenden Menschen. Auch diesbezüglich setzt sich Eckhart ab gegenüber anderen großen Meistern. Im Vergleich etwa mit dem nicht minder bedeutsamen Konfuzianischen Lehrer Zhu Xi formuliert Shuhong Zhen: ‚Der Kontrast zwischen Zhu Xis Suche nach Orthodoxie und Eckharts Offenheit für Diversität erklärt, warum der eine kanonisiert und [Lehren] des anderen verurteilt wurden: die moralischen und politischen Implikationen ihres Denkens haben zu einem Großteil die spätere Verbreitung ihrer Werke beeinflusst.‘ Eckharts Liebe der variatio als Ausdruck der unerschöpflichen Kreativität des Göttlichen im Menschen hat auch sein Verständnis der Schrift zutiefst geprägt.
. Shuhong Zheng, Zhu Xi and Meister Eckhart: Two Intellectual Profiles, Eckhart: Texts and Studies (Leuven, ), . . Vgl. Markus Vinzent, ‚Sermo XXVIII: „Bene omnia fecit“‘, in G. Steer und L. Sturlese (eds), Lectura Eckhardi IV (Stuttgart, ), -, - (zur Ursache der Vielfalt).
Scholastische Schriftauslegung als Darbietung geistlicher Nahrung in der frühen akademischen Predigttätigkeit des Bruders Eckhart
THOMAS-INSTITUT
MAXIME MAURIÈGE KÖLN, DEUTSCHLAND
Abstract The aim of this contribution is to examine both the form and the substance of the academic preaching of the young ‘Brother Eckhart’, i.e. when he was not yet Master of Theology, but still a ‘lecturer on the Sentences’ at the University of Paris (/), and therefore to sketch his preacher’s profile in its original formative context. The study is composed of two main parts. Starting with an overview of Eckhart’s surviving Latin sermons and focusing in this respect on those which are, strictly speaking, to be considered as sermones academici, the first (and introductory) part consists of preliminary remarks on the only thus far known sermo dating from Eckhart’s time as lector Sententiarium, namely the so-called Sermo Paschalis, and on his duty of preaching as Dominican Bachelor. The second part provides an extensive analysis of the above sermon, drawing particular attention to its liturgical and doctrinal background respectively as well as to the method of structuring, the level of scholarship, and the depth of thinking displayed therein. In doing so, it will become clear that already in his first academic steps, Eckhart uses the chief tools of scholastic exegesis in order to construct an edifying discourse that is conceived as spiritual nourishment. . Einleitung . Eckharts lateinische Predigten
L
oris Sturlese hat Eckharts Predigttätigkeit in zutreffender Weise folgendermaßen charakterisiert: ‚[A]us den wenigen Zeugnissen [zu
MAXIME MAURIÈGE
seiner Biografie] ergibt sich eher das Curriculum eines Intellektuellen internationalen Ranges … als das eines Predigers. Dennoch ist das erste Dokument seiner Biografie eine lateinische Predigt, die auf Ostern datierbar ist. … Dass ihm auch die Textsorte Predigt wichtig war, zeigt das Programm seines großen wissenschaftlichen Projekts, … das z.T. direkt aus seiner Predigttätigkeit (in praedicationibus) hervorgeht.‘ Von Eckharts lateinischen Predigten, die ‚sich in Charakter und Zuhörerschaft von seinen besser bekannten deutschen Ansprachen unterscheiden‘, wurden bisher als authentisch anerkannt. Davon sind innerhalb einer Sammlung im Codex Cusanus überliefert, allerdings nicht als vollständig ausgeführte sermones, sondern als vorläufige (teilweise fragmentarische) Entwürfe von bzw. zu lateinischen Predigten, und zwar voraussichtlich als Vorarbeiten für das von Meister Eckhart geplante und insofern nur als ‚Torso‘ hinterlassene Opus sermonum, d.h. . Loris Sturlese, ‚Hat es ein Corpus der deutschen Predigten Meister Eckharts gegeben? Liturgische Beobachtungen zu aktuellen philosophietheoretischen Fragen‘, in id., Homo divinus. Philosophische Projekte in Deutschland zwischen Meister Eckhart und Heinrich Seuse (Stuttgart, ), -, , (zuerst erschienen in A. Speer und L. Wegener [eds], Meister Eckhart in Erfurt, Miscellanea Mediaevalia [Berlin, ], -). . Bernard McGinn, ‚Zu Sermo IV: Ex ipso, per ipsum et in ipso‘, in G. Steer und L. Sturlese (eds), Lectura Eckhardi – Predigten Meister Eckharts von Fachgelehrten gelesen und gedeutet (Stuttgart e.a., ), -, . Zum Verhältnis zwischen den lateinischen und den deutschen Predigten Eckharts siehe Norbert Winkler, Exegetische Methoden bei Meister Eckhart, Beiträge zur Geschichte der biblischen Hermeneutik (Tübingen, ), - (‚II.. Predigt und Exegese‘); Georg Steer, ‚Zur Authentizität der deutschen Predigten Meister Eckharts‘, in H. Stirnimann und R. Imbach (eds), Eckhardus Theutonicus, homo doctus et sanctus. Nachweise und Berichte zum Prozess gegen Meister Eckhart, Dokimion (Freiburg [Schweiz], ), -. . Vgl. Meister Eckhart, Sermones, LW IV. Siehe dazu Joseph Koch, ‚Zur Einführung‘, in ibid. S. XIII-XXIII (‚. Die handschriftliche Überlieferung‘); Yoshiki Nakayama, ‚Bemerkungen zu den lateinischen Predigten Meister Eckharts‘, in M. Gerwing und H.J.F. Rinhardt (eds), Wahrheit auf dem Weg. Festschrift für Ludwig Hödl zu seinem fünfundachtzigsten Geburtstag, Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters – Neue Folge (Münster, ), -; Jean Devriendt, ‚La prédication d’Eckhart et les Sermons latins‘, in M.-A. Vannier (ed.), Encyclopédie des mystiques rhénans d’Eckhart à Nicolas de Cues et leur réception, L’Apogée de la théologie mystique d’Occident (Paris, ), -; Alessandra Beccarisi, ‚Eckhart’s Latin Works‘, in J.M. Hackett (ed.), A Companion to Meister Eckhart, Brill’s Companion to the Christian Tradition (Leiden, Boston, ), -, . . Eckharts lateinisches Predigtkorpus umfasst sermones für Sonn- und Festtage des Kirchenjahres (= ‚Pars prior: Sermones de tempore‘, LW IV -) und für Festtage der Heiligen (= ‚Pars altera: Sermones de sanctis‘, LW IV -). Zum Entwurfcharakter dieser sermones siehe J. Koch, ‚Zur Einführung‘, in LW IV, S. XXIX-XXX: ‚Der außerordentliche Reiz der Sammlung liegt gerade darin, daß hier nichts fertig ist. Wir stehen in Eckharts Werkstatt und können alle Stadien seiner Arbeit von einer kurzen Skizze oder aneinandergereihten Notizen bis zur formgerechten Predigt verfolgen.‘ . Vgl. J. Koch, ‚Zur Einführung‘, in LW III, S. XX-XXI. Siehe dazu auch Kurt Ruh, Meister Eckhart: Theologe, Prediger, Mystiker (München, ), , der ‚die überlieferten Sermones … als
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‚für jenen Teil des Opus expositionum, der Modelle zum Predigen über ausgewählte Bibeltexte bereitstellen sollte‘. Neben diesen ‚in einem geschlossenen Corpus‘ überlieferten Predigtentwürfen verfügen wir noch über fünf weitere, diesmal aber ausgearbeitete sermones, von denen jedoch zwei uns lediglich in reportationes erhalten sind und eine Sonderstellung als ‚akademische Leistungen‘ innerhalb der lateinischen Werke Eckharts bzw. außerhalb seines Opus tripartitum einnehmen. Es handelt sich um zwei Predigten, die er im Rahmen verschiedener Lehraufenthalte an der Theologischen Fakultät der Pariser Universität vorgetragen hat: die erste als Sentenzenlektor zum Osterfest und die zweite als Magister zu Ehren des heiligen Augustinus entweder im Jahr oder . Andersgeartet sind die drei letzten sermones, weil sie einerseits von Eckhart selbst aufgezeichnet und andererseits in sein Opus expositionum aufgenommen wurden: Platzhalter des geplanten Predigtwerks‘ betrachtet, sowie Wouter Goris, Einheit als Prinzip und Ziel. Versuch über die Einheitsmetaphysik des ‚Opus tripartitum‘ Meister Eckharts, Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters (Leiden e.a., ), , der seinerseits dafür eintritt, ‚diese Predigtentwürfe dennoch dem Opus sermonum zuzurechnen‘. . B. McGinn, ‚Zu Sermo IV‘ (), . Vgl. Eckhart, Prol. gen. in op. tripart. n. , LW I, ,-: Opus vero tertium, scilicet expositionum, in duo dividitur. Quia enim nonnullas auctoritates utriusque testamenti in sermonibus specialiter diffusius auctor pertractavit et exposuit, placuit ipsi alias seorsum exponere et hoc opus sermonum nominari. Laut Koch ‚ergibt sich aus der Allgemeinen Vorrede wie aus den Vorreden zu dem Opus expositionum, dass er [scil. Eckhart] mit diesen Auslegungen seinen Brüdern und Schülern eine Hilfe für die Predigt leisten wollte‘, und deshalb lässt sich in verschiedenen Hinsichten der Einfluss des Predigtstils auf seine Bibelkommentare feststellen (‚Sinn und Struktur der Schriftauslegungen‘ in id., Kleine Schriften I [], -, [zuerst erschienen in U.M. Nix und R. Öchslin (eds), Meister Eckhart der Prediger (Freiburg e.a., ), -]). . L. Sturlese, ‚Corpus der deutschen Predigten‘ (), . . Nicht darin enthalten und somit zu den ‚akademischen Leistungen‘ zählend sind auch Eckharts Collatio in Libros Sententiarum (LW V - und LW I, -), Quaestiones Parisienses (LW V - und LW I, -) und – ob zutreffend oder nicht – Tractatus super Oratione Dominica (LW V -). Siehe dazu A. Beccarisi, ‚Eckhart’s Latin Works‘ (), . . Vgl. Eckhart, Sermo Paschalis a. Parisius habitus, LW V -; L. Sturlese (ed.), Acta et regesta vitam mag. Echardi illustrantia n. , LW V . Zu Eckharts Osterpredigt siehe Kurt Flasch, Meister Eckhart – Philosoph des Christentums (München, ), -; Maxime Mauriège, ‚Sermon pour la fête de Pâques (Sermo paschalis)‘, in M.-A. Vannier, Encyclopédie (), -; Marie-Anne Vannier, Cheminer avec Maître Eckhart. Au cœur de l’anthropologie chrétienne (Paris, ), -; Alessandra Beccarisi, Eckhart, Pensatori (Roma, ), -; ead., ‚Eckhart’s Latin Works‘ (), -; Markus Vinzent, ‚Eckhart’s Early Teaching and Preaching in Paris‘, in D. Mieth, M.-A. Vannier, M. Vinzent und C. Wojtulewicz (eds), Meister Eckhart in Paris and Strasbourg, Eckhart: Texts and Studies (Leuven e.a., ), -, - (mit einer englischen Übersetzung der Osterpredigt). . Vgl. Eckhart, Sermo die b. Augustini Parisius habitus, LW V -; L. Sturlese (ed.), Acta et regesta n. , LW V . Siehe dazu Marie-Anne Vannier, ‚Sermon pour la fête de saint Augustin‘, in ead., Encyclopédie (), -; A. Beccarisi, ‚Eckhart’s Latin Works‘ (), -.
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zwei – jeweils mit einer anschließenden Vorlesung – über das . Kapitel des Buchs Jesus Sirach, die er vor den Ordensbrüdern anlässlich der Abhaltung zweier Provinzialkapitel zwischen und gehalten hat, und eine zum biblischen Thema Sequere me (Joh ,), die zwar in Eckharts Expositio sancti Evangelii secundum Iohannem ausgeführt wurde, aber eigentlich zum Opus sermonum gehört. In dieser Hinsicht beweist die Einflechtung der drei genannten Predigten in seine Schriftkommentare, ‚dass Eckhart sich genau des Unterschieds von Exegese und Predigt bewusst bleibt. Nicht nur, dass er ausdrücklich feststellt, wann ein Text im Predigtstil ausgelegt wird; man spürt in der Ausführung etwas vom besonderen Charakter dieses Stils‘. Doch obwohl die Sermones super Ecclesiastici und der sermo zum Thema Sequere me nach dem Muster der akademischen Predigt ausgearbeitet sind, d.h. gemäß der Predigttechnik und -rhetorik der im universitären Milieu entstandenen artes praedicandi, sollten sie streng genommen nicht als sermones academici . Vgl. Eckhart, Sermones et lectiones super Ecclesiastici cap. ,-, LW II -; L. Sturlese (ed.), Acta et regesta n. , LW V . Siehe dazu J. Koch, ‚Zur Einführung‘, in LW III, S. XVII-XVIII; id., ‚Zur Einführung‘, in LW IV, S. XXXI; id., ‚Kritische Studien zum Leben Meister Eckharts‘, in id., Kleine Schriften I, Storia e Letteratura – Raccolta di Studi e Testi (Roma, ), -, - (zuerst erschienen in Archivum Fratrum Praedicatorum [], - und [], -); K. Ruh, Meister Eckhart (), -; M.-A. Vannier, ‚Sermons et leçons sur l’Ecclésiastique‘, in ead., Encyclopédie (), -; A. Beccarisi, ‚Eckhart’s Latin Works‘ (), -. . Vgl. Eckhart, In Ioh. nn. -, LW III -. . Vgl. Eckhart, In Ioh. n. , LW III ,: Verbum hoc et eius prosecutio pertinet ad Opus sermonum. Deshalb wurde das Bibelwort Jesu aus Joh , hier in modum sermonis ausgelegt (ibid. n. , LW III ,). Siehe dazu J. Koch, ‚Zur Einführung‘, in LW IV, S. XXXI; id., ‚Sinn und Struktur der Schriftauslegung‘ (), -. . N. Winkler, Exegetische Methoden (), . . Siehe J. Koch, ‚Zur Einführung‘, in LW IV, S. XXI, laut dem sich diese drei von Eckhart selbst aufgezeichneten sermones daher als ‚Maßstab‘ für die im Codex Cusanus enthaltenen Predigtentwürfe eignen. Zu den artes praedicandi siehe Marie-Madeleine Davy, Les sermons universitaires parisiens de -. Contribution à l’histoire de la prédication médiévale, Études de philosophie médiévale (Paris, ), -; Harry Caplan, Medieval Artes Praedicandi. A Handlist, Cornell Studies in Classical Philology (Ithaca, ); id., Medieval Artes Praedicandi. A Supplementary Handlist, Cornell Studies in Classical Philology (Ithaca, ); Thomas-Marie Charland, Artes praedicandi. Contribution à l’histoire de la rhétorique au Moyen Âge, Publications de l’Institut d’études médiévales d’Ottawa (Paris, Ottawa, ); Marianne G. Briscoe, Artes praedicandi – Artes orandi, Typologie des Sources du Moyen Âge Occidental (Turnhout, ); Sibylle Hallik, Sententia et proverbium. Begriffsgeschichte und Texttheorie in Antike und Mittelalter, Ordo: Studien zur Literatur und Gesellschaft des Mittelalters und der frühen Neuzeit (Köln, Weimar, Wien, ), -; Siegfried Wenzel, Medieval Artes Praedicandi: A Synthesis of Scholastic Sermon Structure (Toronto e.a., ).
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bzw. Universitätspredigten betrachtet werden; denn dem Begriff nach wurden diese anerkanntermaßen im Rahmen des akademischen bzw. universitären Schulbetriebs als wichtiger Bestandteil der statutenmäßigen Lehrverpflichtungen gehalten.Als Ergebnis einer solchen Redesituation und -funktion erweisen sich dann nur die zwei als Parisius habitus bezeichneten lateinischen Predigten, welche uns die bisher einzigen echten Textzeugnisse von Eckharts praedicatio ad scholares coram universitate liefern, auf deren Grundlage er anscheinend das Konzept seines Opus sermonum zur Unterweisung eifriger Mitbrüder über wissenschaftliche Schriftauslegung in Predigtform entworfen hat.
. Vgl. Olga Weijers, Terminologie des universités au XIIIe siècle, Lessico Intellettuale Europeo (Roma, ), , Anm. : ‚On ne peut appeler „sermon universitaire“ tout sermon prêché par un membre de l’université, par exemple devant un public non universitaire.‘ . Siehe dazu M.-M. Davy, Les sermons universitaires parisiens de - (), -; Palémon Glorieux, ‚L’enseignement au Moyen Âge. Techniques et méthodes en usage à la Faculté de Théologie de Paris, au XIIIe siècle‘, in Archives d’histoire doctrinale et littéraire du Moyen Âge (), -, -; Johann Baptist Schneyer, Geschichte der katholischen Predigt (Freiburg i. B., ), -; O. Weijers, Terminologie (), -. . Laut der in Eckharts Prologus generalis in opus tripartitum vorgegebenen Untergliederung der von ihm verwendeten mündlichen Kommunikationsformen bzw. -gattungen (n. , LW I, ,-) wären der im Universitätskontext gehaltene Sermo Paschalis und der Sermo die b. Augustini daher primär unter die Schulübungen (actibus scholasticis) einzuordnen. Unter dem Ausdruck in praedicationibus würde man infolgedessen Eckharts außeruniversitäre, d.h. im Ordenskontext gehaltene Predigten (neben den cottidianis collationibus) verstehen. Zum Unterschied und Verhältnis zwischen den universitären und außeruniversitären Predigten siehe P. Glorieux, ‚L’enseignement au Moyen Âge‘ (), -, der aber erklärt, dass die außeruniversitären Predigten, auch wenn sie vor den verschiedensten Auditorien außerhalb der akademischen Welt gehalten wurden und insofern gegebenenfalls einige Anpassungen erforderten, jedoch in mehrfacher Hinsicht aus diesem Milieu hervorgingen und sich daher kaum von den in universitären Predigten ausgeübten Techniken und Methoden entfernten. Vielmehr bezeugten und veranschaulichten sie die innerhalb der Fakultäten geleistete Arbeit in diesem Bereich. . Dazu könnte man auch die Collatio in Libros Sententiarum rechnen; doch auch wenn sie traditionsgemäß in Predigtform vor allen Universitätsangehörigen gehalten wurde, handelt es sich in diesem Fall eher – Glorieux zufolge – um einen Festvortrag (‚discours de circonstance‘), nämlich die Antrittsvorlesung bzw. das Principium eines Bakkalars zur Verherrlichung der Sentenzenbücher, als um eine Predigt stricto sensu (‚L’enseignement au Moyen Âge‘ [], -). Siehe dazu auch J. Koch, ‚Die Collatio in Libros Sententiarum als feierlicher Universitätsakt‘, in LW V -; O. Weijers, Terminologie (), -. Zu Eckharts Collatio in Libros Sententiarum siehe K. Ruh, Meister Eckhart (), -; Alain de Libera, Maître Eckhart et la mystique rhénane, Initiations au Moyen Âge (Paris, ), -; Erik Alexander Panzig, Gelâzenheit und abegescheidenheit. Eine Einführung in das theologische Denken des Meister Eckhart (Leipzig, ), -; Maxime Mauriège, ‚Collatio in Libros Sententiarum (Conférence sur les livres des Sentences)‘, in M.-A. Vannier, Encyclopédie (), -; A. Beccarisi, ‚Eckhart’s Latin Works‘ (), -.
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Da Sturlese aber weiter behauptet, dass ‚[d]as enge Zusammenspiel von wissenschaftlicher Exegese und praktizierter Predigt von Anfang an Eckharts Verständnis seiner Mission kennzeichnet‘, wollen wir dies im Folgenden anhand des Sermo Paschalis überprüfen, der uns zu den Anfängen von Eckharts akademischer Predigttätigkeit führt und dadurch über seine entsprechende Predigtweise in ihrem Entstehungskontext aufklärt. . Vorbemerkungen zum Sermo Paschalis in Anbetracht des Kremsmünsterer Codex Eckharts Sermo Paschalis wurde von Thomas Kaeppeli im Codex der Bibliothek des Benediktinerstiftes Kremsmünster in Oberösterreich entdeckt. Diese Pergamenthandschrift enthält eine Sammlung von größtenteils anonym überlieferten sermones und collationes für jeden Festtag des Kirchenjahres, die liturgisch nach den üblichen Zyklen de tempore und de sanctis angeordnet sind. Durch einen Abgleich der auf einen Sonntag fallenden Heiligenfeste mit einigen der wenigen Verfasserangaben wies Kaeppeli nach, dass die Sammlung zweifelsohne aus dem Umfeld der Pariser Universität stammt und daher aus Nachschriften von akademischen Predigten und Kollationen besteht, die in dieser Stadt zwischen Mai und Mai von Predigern aus verschiedenen
. L. Sturlese, ‚Corpus der deutschen Predigten‘ (), . . Siehe Thomas Kaeppeli, ‚Praedicator monoculus. Sermons parisiens de la fin du XIIIe siècle‘, Archivum Fratrum Praedicatorum (), -. . Für eine Beschreibung der Handschrift siehe T. Kaeppeli, ‚Praedicator monoculus‘ (), -. . Siehe T. Kaeppeli, ‚Praedicator monoculus‘ (), -. . Siehe T. Kaeppeli, ‚Praedicator monoculus‘ (), -. Insgesamt wurden Predigten bzw. Kollationen ( im Zyklus de tempore und nur im Zyklus de sanctis) am Rand mit verschiedenen Verfasserangaben versehen, von denen mit Sicherheit und mit Wahrscheinlichkeit Dominikaner bezeichnen (ibid. ). Die Tatsache, dass der Kompilator bei seiner Wahl den Vertretern des Predigerordens den Vorzug gab, lässt Kaeppeli vermuten, dass er selbst zu diesem Orden gehörte (ibid.) und daher unter den Dominikanerbrüdern von Saint-Jacques zu suchen sei (ibid. ). . Siehe T. Kaeppeli, ‚Praedicator monoculus‘ (), -: ‚Le fait que les prédicateurs mentionnés dans les deux séries de sermons sont d’origine internationale et portent, en partie, des titres académiques, nous indique clairement que la collection provient d’un centre universitaire; la carrière scolaire d’un certain nombre d’entre eux nous permet de préciser que ce centre d’études ne peut être que Paris‘.
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Ländern, zumeist Dominikanern (darunter auch namhafte Brüder), gehalten wurden. Eine dem Osterfest gewidmete Predigt (Nr. auf ff. r-v) trägt am Rand den Vermerk: ‚fr. Ekhardus, lector Sententiarum‘. Es besteht kein Grund, die Zuverlässigkeit dieser Zuschreibung infrage zu stellen. Denn erstens legt das Vorkommen dieses Namens in einer Pariser Predigtsammlung aus dem späten . Jahrhundert nahe, dass der genannte Sentenzenlektor mit dem fast zehn Jahre später zum Magister der Theologie promovierten Eckhart von Hochheim zu identifizieren ist. . Siehe dazu oben Anm. . Neben Eckhart werden in dieser Sammlung folgende bekannte Dominikanerbrüder als Verfasser einer oder mehrerer Predigten genannt: Johannes Quidort (als Predicator monoculus), Johannes von Rom, Laurent von Orléans, Gentilis von Rom, Wilhelm von Cayeux (als Prior predicatorum) und wahrscheinlich auch Wilhelm von Macclesfield (unter Wilhelmus Anglicus). . Diese wie alle anderen Verfasserangaben in der Sammlung wurden gewiss vom Kopisten der Handschrift aus seiner Vorlage übernommen, die damals vermutlich von einem nahegelegenen Kloster geliehen wurde und bisher nicht wiederaufgefunden worden ist (vgl. T. Kaeppeli, ‚Praedicator monoculus‘ [], , , ). Hierzu ist allerdings zu erwähnen, dass neben den von Kaeppeli entdeckten verschiedenen reportationes von fünf Predigten dieser Sammlung in zwei anderen Handschriften (Paris, Bibliothèque nationale de France, ms. lat. und München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm ; siehe ibid. -) Johannes Baptist Schneyer auf die Überlieferung von weiteren Predigten im Codex I.G. der Tschechischen Nationalbibliothek in Prag hinweist (siehe Johann Baptist Schneyer, Repertorium der lateinischen Sermones des Mittelalters für die Zeit von -: Anonyme Predigten – Bibliotheken O bis Z, Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters – Texte und Untersuchungen / [Münster, ], -). Der Prager Codex (./. Jhdt.) enthält auf ff. bisv-r eine Sammlung von sermones de precipuis festivatibus et sermones de sanctis per circulum anni, de quibus multi sunt parysienses boni valde fratris anzelmi de mylawsk (f. bisv). Der im Incipit genannte Bruder stammte offenbar – in Anbetracht seines Namens – aus dem Prämonstratenserkloster Milevsko (Mühlhausen) in Südböhmen und wurde von der dortigen Klosterschule nach Paris an die Theologische Fakultät geschickt, wo er angeblich gepredigt hat. Sichere biografische Informationen zu diesem Prediger konnte ich leider nicht finden. . Ungefähr ein Jahr vor der Veröffentlichung seiner Studie teilte Kaeppeli Koch seine Entdeckung einer Osterpredigt des Sentenziars Eckhart mit, von deren Authentizität er bereits zu diesem Zeitpunkt überzeugt war: ‚An der Echtheit kann man, so viel ich sehe, kaum zweifeln‘ (Brief von T. Kaeppeli an J. Koch, Rom, .., Meister-Eckhart-Archiv, Sign.: TI MEA-GGAII-BW---); und nachdem er Koch eine Abschrift der Predigt zugeschickt hatte, schloss sich Koch der Meinung Kaeppelis mit der gleichen Überzeugung an: ‚An der Echtheit ist nicht zu zweifeln‘ (Brief von J. Koch an T. Kaeppeli, Köln, .., Meister-Eckhart-Archiv, Sign.: TI MEA-GGA-II-BW---). Wenig später – nach näherer Untersuchung dieser Predigt – bekräftigte Koch erneut seine Zustimmung wie folgt: ‚[H]ier begegnet man auf Schritt und Tritt Parallelen, sowohl in den Zitaten wie in anderen Teilen‘ (Brief von J. Koch an T. Kaeppeli, Köln, .., Meister-Eckhart-Archiv, Sign.: TI MEA-GGA-II-BW---). . Vgl. L. Sturlese (ed.), Acta et regesta n. , LW V -. Hier sei daran erinnert, dass ‚Meister‘ Eckhart nur als bewährter bzw. qualifizierter lector Sententiarum zum graduierten magister in theologia avancieren konnte; siehe dazu Walter Senner, ‚Meister Eckhart’s life, training, career,
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Zweitens wird diese Annahme durch den Predigtinhalt eindeutig bestätigt, der nicht nur eine Reihe von Parallelen mit Stellen in echten lateinischen und deutschen Werken Eckharts aufweist, sondern zugleich mit dessen Denkweise, Methode und umfassender Kenntnis heidnischer und christlicher Autoritäten übereinstimmt. Dass die Bezeichnung ‚lector‘ hier nicht auf Eckhart als magister, sondern als baccalarius verweist, ergibt sich aus der Datierung dieser Predigtsammlung. So wurde einst ‚fr. Ekhardus‘ – als vielversprechender Student – vom eigenen Provinzialprior und Ordensgeneral zu Beginn des akademischen Jahres / als Bakkalar an die Universität Paris geschickt, um das Standardlehrbuch mittelalterlicher Theologie, die Sentenzen des Petrus Lombardus, cursorie zu kommentieren. Dort hielt er am . März in seiner Eigenschaft als lector Sententiarum die Osterpredigt (In die resurrectionis). Seit dieser ‚großartigen Entdeckung‘ bestand allerdings die Bedeutung des Sermo Paschalis für die Forschung wesentlich mehr in einer and trial‘, in J.M. Hackett (ed.), Companion (), -, : ‚The task of lector was the decisive qualification for a theologian to advance to become a magister at this faculty himself – the most prestigious position in occidental theology‘. Was den ziemlich beträchtlichen Zeitabstand betrifft, der in Eckharts akademischer Laufbahn sein Sentenzenlektorat von der Erlangung seiner licentia docendi im Jahr trennt, die ihn zum Theologiemagister machte (mit einer ersten Berufung auf den für nicht-französische Dominikaner reservierten Lehrstuhl an der Pariser Theologischen Fakultät), so stellt dies nach Kaeppeli ‚keine Seltenheit‘ dar, denn ‚es gibt größere Interstizien bei anderen‘ (Brief von T. Kaeppeli an J. Koch, Rom, .., Meister-Eckhart-Archiv, Sign.: TI MEA-GGAII-BW---; siehe dazu auch T. Kaeppeli, ‚Praedicator monoculus‘ [], ). . Siehe T. Kaeppeli, ‚Praedicator monoculus‘ (), , . . Nach Olga Weijers wurde damals der Terminus lector von der Universität wahrscheinlich auch verwendet, um eine bestimmte Kategorie von Studenten zu bezeichnen, die – neben den Professoren – am Unterricht beteiligt waren, nämlich die Bakkalaren. Diese hielten jedoch keine ordentlichen Vorlesungen (lectiones ordinariae) wie die Professoren, sondern lasen cursorie, d.h., sie wurden mit der beständigen und kommentierten Lesung eines vorgesehenen Textes beauftragt, ohne einen Lohn dafür zu beziehen (vgl. O. Weijers, Terminologie [], , ). . Siehe dazu W. Senner, ‚Meister Eckhart’s life‘ (), : ‚The Dominican order assigned only the most promising members to this office and only after they had already a long teaching experience‘. . Vgl. L. Sturlese (ed.), Acta et regesta n. , LW V . . Zum Verfahren der lectio Sententiarum siehe P. Glorieux, ‚L’enseignement au Moyen Age‘ (), -. . Siehe oben Anm. . . Vgl. Brief von J. Koch an T. Kaeppeli, Köln, .., Meister-Eckhart-Archiv, Sign.: TI MEA-GGA-II-BW---: ‚Was soll ich nun zu Ihrer großartigen Entdeckung sagen? Das ist der bedeutendste Eckhart-Fund seit der Auffindung der . Hs. des Johannes-Kommentars in Berlin. Wichtiger als der Brügger Sent.-Kommentar, weil dessen Echtheit ja noch immer umstritten ist.‘ Siehe dazu auch J. Koch, ‚Kritische Studien zum Leben Meister Eckharts‘ (), : ‚Durch
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sicheren Datierung der Sentenzenvorlesung Eckharts (und vielleicht auch seines ersten Pariser Aufenthalts) als in der Bereicherung, die diese Osterpredigt für unsere Kenntnis seines Werkes darstellt. Dies hatte zur Folge, dass der Sermo Paschalis selten in extenso untersucht wurde, was jedoch erforderlich ist, um ein Gesamtprofil des Denkers Eckhart herausarbeiten und dabei seine Entwicklung als Theologe, Exeget und v.a. Prediger aufzeigen zu können. Genauso angemessen wäre zugleich Kaeppelis scharfsinnige Untersuchung der von ihm in der Hs. von Kremsmünster entdeckten Sammlung von Pariser akademischen Predigten und Collationen sind wir einen entscheidenden Schritt weitergekommen. … In ihr wird die Osterpredigt (. April ) dem „frater Ekhardus, lector sententiarum“ zugewiesen. Mit der Entdeckung dieser Predigt … und ihrer Datierung auf hat er für die Erforschung der Frühzeit Eckharts eine neue Grundlage geschaffen.‘ . Zunächst war diese Datierungsfrage für Koch deswegen ‚außergewöhnlich wichtig‘ (Brief von J. Koch an T. Kaeppeli, Köln, .., Meister-Eckhart-Archiv, Sign.: TI MEA-GGA-IIBW---), weil sie seine ‚bisherigen chronologischen Vermutungen ins Wanken‘ brachte (Brief von J. Koch an T. Kaeppeli, Köln, .., Meister-Eckhart-Archiv, Sign.: TI MEA-GGAII-BW---). Demnach war Kaeppelis Datierung für die Forschung ‚im Hinblick auf die Rekonstruktion von Eckharts Leben von erheblicher Bedeutung‘, ‚denn sie erlaubt eine Reihe biographischer Rückschlüsse‘ (L. Sturlese, ‚Meister Eckhart: Ein Porträt‘, in id., Homo divinus [], [zuerst erschienen in Eichstätter Hochschulreden (Regensburg, )]). In der Tat: setzt man z. B. die üblichen Studienzeiten eines Dominikanerbruders bis zu seiner Zulassung als baccalarius sententiarius an, so dürfte frater Ekhardus um bzw. vor geboren worden sein; siehe L. Sturlese (ed.), Acta et regesta n. , LW V , und W. Senner, ‚Meister Eckhart’s life‘ (), . Zum studentischen Bildungsgang Eckharts siehe ibid. -, und id., ‚Appendix – Dominican education‘, in ibid. - sowie Helmut G. Walther, ‚Ordensstudium und theologische Profilbildung. Die Studia generalia in Erfurt und Paris an der Wende vom . zum . Jahrhundert‘, in A. Speer und L. Wegener (eds), Meister Eckhart in Erfurt (), -. . Siehe T. Kaeppeli, ‚Praedicator monoculus‘ (), : ‚le résultat le plus précieux à cet égard est l’obtention d’une date fixe pour le premier séjour parisien d’Eckhart‘. Zur Frage, ob es sich dabei wirklich um den ersten Aufenthalt Eckharts an der Pariser Universität handelte, führte Koch dagegen anhand von drei Belegtexten Überlegungen an, die für die verlockende Annahme sprechen könnten, dass Eckhart schon um sein Artes-Studium in Paris absolviert hat (‚Kritische Studien‘ [], -), was aber von Helmut G. Walther klar widerlegt wurde: ‚Koch hat … die Ausführungen Eckharts lediglich als Steinbruch für die Gewinnung biographischer Daten benutzt‘ (‚Ordensstudium‘ [], -). Für Ruh und Sturlese ist jedoch nicht auszuschließen, dass Eckhart dort ein theologisches Zusatz- bzw. Fortbildungsstudium für Hochbegabte absolviert hat, und zwar – nach Sturlese – in den Jahren / (siehe K. Ruh, Meister Eckhart [], ; id., Geschichte der abendländischen Mystik, Bd. : Die Mystik des deutschen Predigerordens und ihre Grundlegung durch die Hochscholastik [München, ], ; L. Sturlese, Acta et regesta n. , LW V , Anm. ). . Siehe T. Kaeppeli, ‚Praedicator monoculus‘ (), . . Ausführlich behandelt wurde der Sermo Paschalis insbesondere in M. Vinzent, ‚Eckhart’s Early Teaching and Preaching in Paris‘ (), -. An dieser Stelle sei allerdings daran erinnert, dass es bis , d.h. mehr als Jahre nach Kaeppelis Entdeckung dauerte, bevor eine kritische Edition des Sermo Paschalis in Band V der Lateinischen Werke (./. Lfg.) erschien. . Laut Sturlese liegen die Gründe einer allgemeinen Vernachlässigung der ersten Schriften Eckharts ‚in der verbreiteten Überzeugung, Eckhart habe seine spekulative Reife erst im Jahr /
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auch eine eingehende Erforschung der gesamten Kremsmünsterer Sammlung, um einerseits die Predigtweise bzw. -kunst des jungen Bruders Eckhart im Vergleich zu derjenigen in den anderen sermones und collationes näher zu charakterisieren und andererseits dabei womöglich unter diesen noch weitere von Eckhart verfasste Predigten aufzufinden. . Enthält die Kremsmünsterer Predigtsammlung weitere Predigten von Eckhart? Kaeppeli stellte sich bereits diese Frage in seiner Studie und gab dementsprechend wichtige Hinweise. Zuerst beschäftigte er sich mit dem verwirrenden Vermerk am Rand einer Predigt zum Thema Tres qui sunt testimonium dant in celo, da man dort lesen kann: Item alius s. Tres sunt Ekhardi. Require alibi (f. v). Nach Kaeppeli – und ich teile seine Betrachtungsweise – ist dieser Vermerk so zu interpretieren: Der Kompilator dieser Sammlung, der diesen Vermerk hinzugefügt hat, wollte hier lediglich darauf hinweisen, dass noch eine weitere Predigt zum selben Thema existiert, die sich aber in einer anderen Sammlung befindet und uns bedauerlicherweise unbekannt ist. Denn nichts in dieser Predigt gibt uns Anlass, sie Eckhart zuzuschreiben. Außerdem bildet dieser anlässlich seiner Lehrtätigkeit als Magister regens in Paris erreicht‘ bzw. ‚seine früheren literarischen Zeugnisse seien völlig unoriginell und stünden alle unter den Einfluß des damals vom Dominikanerorden befürworteten Schulthomismus‘ (L. Sturlese, ‚Meister Eckhart: Ein Porträt‘, in id., Homo divinus [], ). Siehe dazu u.a. Karl Albert, Meister Eckhart und die Philosophie des Mittelalters. Betrachtungen zur Geschichte der Philosophie, Teil II (Dettelbach, ), : ‚Die Predigt enthält zwar, wie Sturlese bemerkt, schon Gedanken, die auch später bei Eckhart auftauchen, doch fehlt noch ganz der grundlegende metaphysische Entwurf, der Eckharts reife Werke auszeichnet‘. . Zum Pariser Universitätsumfeld des Bakkalars Eckhart siehe W. Senner, ‚Meister Eckhart’s life‘ (), . Magister Johannes Jordani Romanus, unter dessen Leitung Eckhart wahrscheinlich sein Amt als Lektor ausübte, wird im Manuskript von Kremsmünster nachweislich erwähnt (vgl. Kremsmünster, Stiftsbibliothek, Cod. , f. : ‚fr. Iohannes Romanus‘, und T. Kaeppeli, ‚Praedicator monoculus‘ [], , ). . Vgl. den Brief von T. Kaeppeli an J. Koch, Rom, .., Meister-Eckhart-Archiv, Sign.: TI MEA-GGA-II-BW---: ‚Was besagt nun die Rubrik? Normal eher bloß folgendes: Der Kopist, oder derjenige der Vorlage, verweist auf eine weitere ihm bekannte Predigt über das gleiche Thema, die Eckhart zugeschrieben war.‘ – Antwort von Koch an Kaeppeli vom ..: ‚Leider muß man die Rubrik so interpretieren, wie Sie es an erster Stelle tun: Nach dem zweiten (oder dritten??) Sermo in octava Pentecostes sagt der Kopist: Es gibt noch einen Sermo über „Tres sunt …“, nämlich von Eckhart. Der steht aber anderswo.‘ . Vgl. den Brief von Koch an Kaeppeli vom ..: ‚Ich kann beim besten Willen nichts finden, was uns berechtigte, sie für E in Anspruch zu nehmen. … Mit der Osterpredigt ist es ganz anders: hier begegnet man auf Schritt und Tritt Parallelen‘.
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sermo eine Einheit mit der unmittelbar folgenden collatio, die ihrerseits Johannes Quidort (dem Praedicator monoculus) zugeschrieben werden soll. Kaeppeli führt hingegen drei andere Predigten an, die Parallelstellen mit authentischen Schriften Eckharts aufweisen, worauf eine Zuschreibung dieser drei Predigten beruhen könnte. Bevor man aber diese Predigten Eckhart zuschreibe, solle man deren Inhalt sehr gründlich untersuchen, wie Kaeppeli zu Recht hervorhebt. Nach meinen Bemühungen um eine solche inhaltliche Untersuchung erweist sich nur eine einzige davon als äußerst überzeugend, nämlich die auf f. v-r niedergeschriebene collatio zum Thema Qui miseretur in hilaritate (aus Röm ,). Dieser Text zeigt nicht bloß ‚Anklänge an Eckhart‘, sondern auch unverkennbare sprachstilistische, strukturelle bzw. methodologische Ähnlichkeiten zum Sermo Paschalis sowie inhaltliche und wörtliche Übereinstimmungen mit späteren Schriften Eckharts (insbesondere mit dem Sermo XII, der in gleicher Weise und anhand derselben auctoritates von der Barmherzigkeit handelt), die meines Erachtens eindeutig für Eckharts Autorschaft sprechen, und zwar trotz anonymer Überlieferung in der Kremsmünsterer Predigtsammlung. Dementsprechend liefere uns diese am ersten Sonntag nach der Oktav von Epiphanie, d.h. am . Januar gehaltene collatio einen zweiten Textzeugen der akademischen Predigttätigkeit Eckharts aus derselben Periode, dessen (sich in Vorbereitung befindliche) kritische Edition und vergleichende Untersuchung mit dem Sermo Paschalis dazu beitragen soll, ein festes Muster der Auslegungsmethode und -zielsetzung des jungen Predigers Eckhart als Bakkalar herauszustellen und somit – gemäß Kaeppelis abschließender Anregung – die Frage, inwieweit die in den Artes praedicandi . Vgl. T. Kaeppeli, ‚Praedicator monoculus‘ (), . Im Sommer unternahm Kaeppeli daher eine Durchsuchung des handschriftlichen Bestands der Kremsmünsterer Bibliothek, um diese alibi-Predigt zu finden, leider jedoch ohne Erfolg (vgl. den Brief von T. Kaeppeli an J. Koch, St. Katharina/Wil [St. Gallen], .., Meister-Eckhart-Archiv, Sign.: TIMEA-GGAII-BW---). Die beiden Predigten über dasselbe Thema, die in dem Prager Manuskript enthalten sind, haben ebenfalls keine eindeutige Beweiskraft. . Siehe T. Kaeppeli, ‚Praedicator monoculus‘ (), . . Schon in seinem Briefwechsel machte Kaeppeli Koch auf ihre ‚Anklänge an Eckhart‘ aufmerksam (vgl. Brief von Kaeppeli an Koch vom ..). . Brief von Kaeppeli an Koch vom ..: ‚Unter den anonymen Predigten hat Nummer (Collatio) meiner Zählung Anklänge an Eckhart.‘ . Vgl. Eckhart, Sermo XII, nn. -, LW IV -. . Siehe T. Kaeppeli, ‚Praedicator monoculus‘ (), .
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vorgetragenen Theorien von ihm in der Praxis angewandt wurden, weiter zu vertiefen. Vorerst, d.h. als Vorarbeit dafür, werden wir uns in der vorliegenden Studie nur dem Sermo Paschalis zuwenden. Doch zunächst ist es angebracht, noch einige Worte über das officium praedicationis eines Dominikanerbakkalars zu verlieren. . Bruder Eckhart und das officium praedicationis eines Dominikanerbakkalars Das officium praedicationis war für Bruder Eckhart in doppelter Hinsicht eine Verpflichtung: Als Dominikaner bestand seine eigentliche Aufgabe und vornehmste Pflicht in der an seine Mitmenschen gerichteten, der Sorge um deren Seelenheil dienenden Predigttätigkeit, was das ursprünglich erklärte Gründungsziel – und somit die praktische Ausrichtung – des Dominikanerordens war. Als Mittel zu diesem Zweck knüpfte die erste Ordenssatzung daher bereits eine effektive bzw. ‚nützliche‘ Predigtpraxis an ein qualifizierendes Studium, das ‚mit Eifer und äußerster Hingabe‘ betrieben werden musste. Außerdem war der Nachweis in propria persona einer gewissen Beherrschung in eloquentia et arte praedicandi auch eine Voraussetzung, um als Bakkalar an der Pariser Universität zugelassen zu werden. Deshalb wurden von ihm für eine ordnungsgemäße Erfüllung seiner akademischen Predigttätigkeit grundsätzlich zwei Dinge verlangt: erstens, dass er über eine ausreichende Kenntnis der Redekunst verfügte, d.h. der kodifizierten Vorgehensweise, um die Wahrheit und . A.H. Thomas (ed.), Constitutiones antique Ordinis Fratrum Predicatorum / De oudste constituties van de Dominicanen. Voorgeschiedenis, tekst, bronnen, ontstaan en ontwikkeling (-), met uitgave van de tekst, Bibliothèque de la Revue d’histoire ecclésiastique (Leuven, ), Prologus, : … cum ordo noster specialiter ob predicationem et animarum salutem ab initio noscatur institutus fuisse, et studium nostrum ad hoc principaliter ardenterque summo opere debeat intendere, ut proximorum animabus possimus utiles esse. Laut diesen Konstitutionen sollte ein Dominikanerbruder für die Erlangung des officium praedicationis folgende Anforderungen erfüllen: ein Mindestalter von Jahren, eine theologische Ausbildung von mindestens einem Jahr, die generelle Eignung für das Predigtamt und praktische Erfahrung im Predigen (vgl. ibid. ., ). Dazu siehe u.a. Heribert C. Scheeben, ‚Prediger und Generalprediger im Dominikanerorden des . Jahrhunderts‘, Archivum Fratrum Praedicatorum (), - und Jean-Pierre Renard, La formation et la désignation des prédicateurs au début de l’Ordre des prêcheurs (-), unveröffentlichte Dissertation (Université de Fribourg, ). . Vgl. Chartularium Universitatis Parisiensis, ed. H. Denifle et A. Chatelain, t. II, Appendix: Statuta Facultatis Theologiae (Paris, ), n. (Pro baccalariis Sententiarum et biblicis ordinariis), .
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das Wissen der christlichen Glaubenslehre auszudrücken; zweitens, dass er demnach eine sehr gute theologische Ausbildung erhalten hatte, die für die Predigttätigkeit erforderlich war und auf sie vorbereitete. Zu dieser Zeit standen Lehr- und Predigttätigkeit im Unterrichtsbetrieb der Pariser Universität durchaus gleichrangig nebeneinander. Für den Magister war das Predigen eine Verpflichtung seines Amtes und für den Bakkalar eine Übung zur Vorbereitung auf dieses Amt. Der Unterschied lag folglich nicht in der Form des Predigtvortrags, sondern in der Kunstfertigkeit, die jeder Einzelne darin bewies. Das Predigen coram universitate – genauso wie die Vorlesung über die Sentenzen – war also ein fester Bestandteil der Lehrtätigkeit Eckharts als Pariser Bakkalar. Deshalb musste er schon damals seine Fähigkeit im Predigen, seine Predigtkunst, unter Beweis stellen. Da er sich an dasselbe Auditorium wie in seiner Sentenzenvorlesung richtete, wandte er überdies in seinen akademischen Predigten die gleiche Kunstfertigkeit und die gleiche Gewandtheit im Umgang mit Texten sowie mit Autoritäten an, auch wenn er sich beim Übergang zu dieser anderen verpflichtenden Tätigkeit an die Vorschrift der scholastischen Predigttheorie halten musste. Diesbezüglich boten die sogenannten artes praedicandi genaue Anweisungen. Wegen ihres Zweckes, der darin bestand, sowohl auszubilden als auch zu belehren und zu ermahnen, weisen die akademischen Predigten einige Charaktermerkmale auf: Verwendung des Lateins – als Sprache des Klerus und v.a. gemeinsame Sprache für ein internationales Auditorium –, spezifische Rhetorik, kunstvoller Aufbau und gelehrtes Niveau der Ausführungen. Alles in allem: eine hohe Fachlichkeit, um – wie Thomas Waleys in seinem Traktat De modo componendi sermones betont – ‚eine feinsinnigere und glänzendere Darbietung der geistlichen Nahrung‘ zu leisten. Die Wissenschaftlichkeit einer akademischen Predigt sollte sich infolgedessen nicht nur dem Inhalt, sondern auch der Form nach zeigen. Der Sermo Paschalis gibt uns zum einen die Gelegenheit zu untersuchen, inwieweit diese Grundsätze der scholastischen Predigttheorie von dem Sentenziar Eckhart in die Praxis umgesetzt . P. Glorieux, ‚L’enseignement au Moyen Âge‘ (), . . Siehe dazu oben Anm. . . Thomas Waleys, De modo componendi sermones, Prologus, ed. Thomas-Marie Charland, in Artes praedicandi (), : … et hoc clero praecipue, qui, ad mensam Scripturam continue, spiritualis alimenti subtiliorem et splendidiorem quam populus expetit apparatum.
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wurden. Zum anderen soll der Frage nachgegangen werden, ob der Sermo Paschalis – als Textzeuge der frühen akademischen Predigttätigkeit Eckharts – in erster Linie eine Weisheit der Lehre, eine sapientia doctrinalis, oder – bzw. und – eine Weisheit des Lebens, eine sapientia experimentalis vermittelte. . Der Sermo Paschalis a. Parisius habitus . Liturgischer Zusammenhang: Osterfeier (In die resurrectionis) Erwartungsgemäß liegt der Predigt die im alten Missale der Dominikaner vorgesehene Lesung zum Ostersonntag zugrunde, nämlich ein Schriftzitat aus dem ersten Brief des Paulus an die Korinther: ‚Als unser Osterlamm ist Christus geopfert worden. Und so lasst uns ein Mahl halten‘ (Kor ,-), was Bruder Eckhart den Anlass gab, eine Rede über den Eucharistieempfang zu halten. Obwohl das liturgisch-sakramentale Motiv in dieser Predigt sehr stark zurücktritt, kann man jedoch nicht behaupten, dass sie eine völlig unliturgische Haltung einnimmt. Denn der Sermo Paschalis bezeugt zumindest, dass Eckhart die Feier des Osterfestes mit der Kirche gelebt hat, indem er in seinem Vortrag von dem liturgischen Text und Kontext ausgeht, auch wenn er den eigentlichen Festgegenstand lediglich streift. Dieser wird nur kurz in dem eröffnenden Abschnitt der Predigt angedeutet, insbesondere was die Bedeutung der Auferstehung Christi betrifft. So findet man in n. Eckharts längste Erläuterung (in seinen uns bekannten Werken) zur Bedeutung des Geschehens am Ostertag. Doch der Hauptteil der Predigt führt nicht zu einer Aufwertung des Geschichtlichen im biblischen Leitzitat, d.h. des historischen Ereignisses, sondern des Übergeschichtlichen, d.h. der ahistorischen und verborgenen Wahrheit.
. Vgl. Paris, Bibliothèque nationale de France, ms. lat. , f. rb-; digitale Reproduktion des Originals online abrufbar unter: https://gallica.bnf.fr/ark://btvbm/f.item (letzten Zugriff: ..). . Siehe Joseph Koch, ‚Liturgie und Mystik: Die Liturgie bei Meister Eckhart‘, Liturgisches Leben (), -, , . . Siehe dazu B. Weiss, Die Heilsgeschichte bei Meister Eckhart (), -. . Siehe dazu unten die Ausführungen zum Exordium.
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Diesbezüglich ist zweierlei zu unterscheiden: Das Osterfest bedeutet zunächst, des Todes und der Auferstehung Christi feierlich zu gedenken; denn das Wesentliche des christlichen Glaubens besteht gerade darin, an den auferstandenen Christus zu glauben. Dennoch ist Ostern nicht nur ein Fest, sondern auch ein Sakrament (sacramentum). Die sollemnitas bezieht sich demnach auf die historische Begebenheit und die daraus zu ziehende Lehre; aber das sacramentum führt die Gläubigen in eine unsichtbare Realität, die sie direkt betrifft – was Eckhart zu Beginn des Sermo Paschalis deutlich betont: ‚Denn was heute die Kirche begeht, betrifft die einzelnen‘, nämlich die geistige Neubelebung der menschlichen Seele (ad refectionem animae), wie in n. zur Darlegung der Erhabenheit des Ostermahls hervorgehoben wird. Dabei stützt sich Eckhart stillschweigend auf die Lehre des Petrus Lombardus im vierten Buch der Sentenzen, wo man am Anfang der Distinktion zum Altarssakrament lesen kann, dass eucharistia spiritualiter reficit. Unde excellenter dicitur eucharistia. Dies führt uns zum doktrinalen Hintergrund dieser Predigt. . Lehrmäßiger Zusammenhang: die Eucharistielehre des Petrus Lombardus Gegenstand dieser Predigt ist der Empfang der Osterkommunion und die würdige Vorbereitung auf sie, d.h. ein zur Sakramentstheologie gehörender Gegenstand, den Eckhart zwangsläufig im Rahmen seiner Erklärung des vierten Buches der Sentenzen behandelt hat. Und in Anbetracht dessen, dass Predigen eine verpflichtende Lehraufgabe des Bakkalars war, sollte sich der Sermo Paschalis logischerweise an den von Eckhart erteilten Unterricht im Rahmen seiner Sentenzenvorlesung anschließen. Die Collatio in Libros Sententiarum Eckharts hatte bereits dafür in angemessener Weise die Sakramente im Allgemeinen thematisiert. In der Darstellung des vierten Buches sagt Eckhart insbesondere, dass ‚der Meister [der . De quibus hodie agit ecclesia, tangunt singulos (Eckhart, Serm. Pasch. n. , LW V ,). . Petrus Lombardus, Sent. IV, d. , c. . Zur Eucharistielehre des Petrus Lombardus siehe Heinz R. Schlette, Die Lehre der geistlichen Kommunion bei Bonaventura, Albert dem Großen und Thomas von Aquin, Münchener Theologische Studien – II. Systematische Abteilung (München, ), -; Marcia L. Colish, Peter Lombard, vol. II, Brill’s Studies in Intellectual History / (Leiden, New York, Köln, ), -; Philipp W. Rosemann, Peter Lombard, Great Medieval Thinkers (Oxford, New York, ), -.
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Sentenzen] in ihm zuerst von den Sakramenten als den Gefäßen der Gnade (vasa gratiae) handelt‘. Nun aber finden wir die perfekte Veranschaulichung davon im Sermo Paschalis, weil Eckhart dort behauptet (wie vor ihm Thomas von Aquin in seinem eigenen Sentenzenkommentar), dass im Altarssakrament ‚die Quelle der Gnade verborgen ist‘, weshalb diese Osterpredigt sich auf den würdigen Empfang dieses Sakraments als Gnadenvermittlung beschränkt. Eine solche Beschränkung gründet sich ebenfalls auf die Eucharistielehre des Petrus Lombardus, nach der es – gemäß der Glosse zu Kor , – zwei Weisen gibt, an dem eucharistischen Mahl teilzunehmen (duo modi manducandi): ‚eine sakramentale Weise (sacramentalis), auf welche die Guten und Schlechten sie verzehren, und eine geistliche Weise (spiritualis), auf welche nur die Guten sie verzehren‘, d.h. – nach Augustinus – nicht auf unwürdige Weise (indigne). Die große Bedeutung, die Eckhart der Würdigkeit des Eucharistieempfangs im Sermo Paschalis beimisst und die den Gedankengang dieser Predigt bestimmt, ergibt sich offenbar aus dieser Unterscheidung und folglich aus seiner Vorlesung über die Sentenzen als theologischer Grundlage. . Aufbau der Predigt: Hält sich Eckhart streng an das vorgeschriebene Schema der artes praedicandi? In der kritischen Edition setzt sich der Sermo Paschalis aus Paragrafen zusammen, deren Anordnung ‚ein sehr schönes Beispiel für die literarische Gattung der akademischen Predigt‘ erkennen lässt: Nach der Verkündigung des biblischen Themas, das als Ausgangspunkt bzw. Grundlage für den Aufbau der gesamten Predigt dient, bietet Eckhart zunächst die . Primo enim determinatur in ipso de sacramentis, quae sunt vasa (Eckhart, Coll. in Libr. Sent. n. , LW V ,-). Siehe dazu B. Weiss, Die Heilsgeschichte bei Meister Eckhart (), -. . [I]n quo latet fons gratiae (Eckhart, Serm. Pasch. n. , LW V , und Anm. ). . Petrus Lombardus, Sent. IV, dist. , c. . . Petrus Lombardus, Sent. IV, dist. , c. . Vgl. Augustinus, In Iohannis euangelium, tr. VI, n. . . Für eine Antwort auf diese Frage bezüglich der deutschen Predigten Eckharts siehe u.a. Monika Hansen, Der Aufbau der mittelalterlichen Predigt unter besonderer Berücksichtigung der Mystiker Eckhart und Tauler (Diss. Hamburg, ), mit einem ersten Teil über die entsprechenden Vorschriften der Predigttheorie bis zum Mittelalter. . L. Sturlese, ‚Einleitung‘ zum Sermo Paschalis, in LW V .
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Auslegung eines Prothemas zur captatio benevolentiae der Zuhörerschaft (exordium), gefolgt von einem Aufruf zum Gebet (oratio). Im Anschluss daran wird das Thema wiederholt und mit einer spezifischen Einführung (introductio thematis) zu dessen Teilung in einzelne Glieder (divisio thematis) übergeleitet, worauf sich eine inhaltliche Behandlung im Hauptteil der Predigt (amplificatio sive dilatatio thematis mit weiteren subdivisiones) stützt. Was alles zu der Kunstform dieser Predigt gehört, sei anhand einiger wichtiger Punkte erläutert. ) Zum Exordium Als Prothema verwendet Eckhart einen Bibelvers aus dem Lukasevangelium (Lk ,), der durch das Verb ‚feiern‘ mit dem vorangestellten Thema in einer wörtlichen Anknüpfung bzw. concordantia vocaliter steht, d.h., das erste Wort des Prothemas (epulari) nimmt das letzte Wort des Themas (epulemur) auf. Die Verwendung eines Prothemas als Vorrede bzw. methodisch einleitende Mitauslegung des Themas, d.h. als bewusste Heranziehung eines anderen Schriftwortes zur Erklärung des Leitzitats, sodass sich beide gegenseitig erhellen, entspricht – als bibelhermeneutisches Prinzip – einer Vorschrift der scholastischen Homiletik. Die Wahl dieses Prothemas regt Eckhart selbst dann zu einer kurzen homiletischen Unterweisung im Sinne eines Predigtunterrichts der Zuhörerschaft an. In Anlehnung an Ciceros Autorität in seinen beiden Rhetorikbüchern werden die Hauptkriterien einer guten Rede genannt. Zuerst muss eine Predigt die einzelnen Zuhörer (ad singulos) direkt betreffen: ‚Es geht um deine Angelegenheit‘ (de tua enim re agitur); so bezieht Eckhart anhand von Gen , und , den Tod und die Auferstehung Christi performativ durch die Anerkennung seiner Person als ‚unser Bruder‘ und seiner Inkarnation als ‚Bein von meinem Bein‘ auf das persönliche Heil. Um dabei die Aufmerksamkeit der Zuhörer . Zur Funktion des Prothemas siehe u.a. T.-M. Charland, Artes praedicandi (), -; Johannes B. Schneyer, Die Unterweisung der Gemeinde über die Predigt bei scholastischen Predigern. Eine Homiletik aus scholastischen Prothemen, Veröffentlichungen des Grabmann-Instituts N.F. (München, Paderborn, Wien, ); S. Wenzel, Medieval Artes Praedicandi (), -. . Eckhart, Serm. Pasch. n. , LW V ,-,. . Eckhart, Serm. Pasch. n. , LW V ,-. Siehe dazu M. Vinzent, ‚Eckhart’s Early Teaching and Preaching in Paris‘ (), . Dies wurde von Kurt Ruh ‚als spezifisch Eckhartsche Note‘ gewertet (in id., Geschichte der abendländischen Mystik, Bd. [], ).
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weiter zu fesseln, muss aber auch der Inhalt dessen, was vorgetragen wird, ‚unglaublich, weil wunderbar‘ (incredibilia quia mirabilia), ‚neu, weil ungewöhnlich‘ (nova quia insolita) und ‚gewaltig, weil übernatürlich‘ (magna quia supernaturalis) sein. Denn all dies war nach Eckharts Ansicht, was die Zuhörer ‚begierig‘ (cum aviditate) vom Prediger erwarten und was dieser infolgedessen nicht versäumen darf. Insofern bietet dieses Prothema ‚mehr als eine nur paränetische Einstimmung auf das Hauptthema der Predigt oder auf das einleitende Gebet, da [es] vielmehr die Zuhörer mit grundlegenden Gedanken der Homiletik vertraut mach[t]‘. Als Ausdruck der Selbstbesinnung des jungen Eckhart auf seine Predigttätigkeit liefert uns daher die Ausarbeitung dieses Prothemas – genauso wie im ersten Sermo super Ecclesiastici – wichtige Hinweise zu Eckharts Auffassung der erforderlichen Eignung und Eigenschaften eines Predigers. Ferner steht das hier in didaktischer Hinsicht dargestellte Auswahlprinzip des in einer Predigt zu behandelnden biblischen Stoffes, d.h. dessen inhaltliches Potenzial zu möglichst originellen und anregenden Auslegungen, quasi programmatisch in völligem Einklang mit Eckharts Vorgehensweise in seinem später entstandenen Opus expositionum, das – laut einer Vorbemerkung im Prologus generalis in Opus tripartitum – ‚ungewöhnliche Auslegungen (rara expositiones) zahlreicher Aussprüche der Heiligen Schrift beider Testamente‘ enthalten sollte, und zwar ‚weil Neues und Ungewöhnliches (nova et rara) ja einen angenehmeren Reiz auf den Geist ausübt als Gewohntes (usitata)‘. Darüber hinaus ist zu erwähnen, dass Eckhart am Ende der Auslegung dieses Prothemas sorgfältig darauf achtet, seine typologische Deutung dessen, was ‚dem Wortlaut nach (ad litteram) von dem verschwenderischen und bösen Sohn gemeint ist‘, im Sinne der erlösenden Passion Christi bzw. einer kenotischen Christologie durch zwei intertextuelle Bezüge zu legitimieren, ‚da ja von Christus geschrieben steht: „er wurde zu den Übeltätern gerechnet“ (Lk ,)‘, und ‚daher heißt es auch bei Jesaias: „Gott hat unser aller Bosheit auf ihn gelegt“ (Jes ,)‘. . J.-B. Schneyer, Die Unterweisung der Gemeinde über die Predigt bei scholastischen Predigern (), . . Eckhart, Super Eccl. n. , LW II -. . Eckhart, Prol. gen. n. , LW I ,-,. Siehe dazu M. Vinzent, ‚Eckhart’s Early Teaching and Preaching in Paris‘ (), -. . Siehe L. Sturlese, ‚Einleitung‘ zum Sermo Paschalis, in LW V . . Siehe M. Vinzent, ‚Eckhart’s Early Teaching and Preaching in Paris‘ (), . . Eckhart, Serm. Pasch. n. , LW V ,-.
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) Zur Oratio Gemäß den Leitregeln der scholastischen Homiletik folgt anschließend an das Prothema und in untrennbarer Einheit mit ihm eine Aufforderung zum gemeinsamen Gebet, die Eckhart allerdings nicht an die Zuhörer, sondern in geschickter Weise an sich selbst richtet, um den wirksamen Beistand Gottes für eine noch angemessenere Auslegung des Themas als diejenige des Prothemas zu erflehen. Es handelt sich hiermit um eine zu jener Zeit geläufige Gepflogenheit, der die Rechtfertigung zugrunde lag, dass sich die göttliche Hilfe als erforderlich für solch eine von übernatürlichem Charakter geprägte Tätigkeit wie das Predigen – als Verkündigung des Gotteswortes – erweist. Um dabei das Gebet als Überleitung zur Wiederaufnahme des Themas einzusetzen und dafür jenes mit diesem in inhaltliche Verbindung zu bringen, beruft sich Eckhart auf die von Augustinus am Anfang des ersten Buches der Soliloquia gelehrte Gebetsweise zur Erlangung der Erhörungswürdigkeit vor Gott, was in zweierlei didaktischer Hinsicht als sach- und zweckdienlich erscheint: zum einen als Vorgriff auf den noch zu behandelnden Kernpunkt des Predigtvortrags, nämlich die Verfassung zum würdigen Empfang des Sakraments der Eucharistie, zum anderen aber auch – und vor allem – als erste praktische Unterweisung für die Zuhörer, damit sie durch dieses Bittgebet die Vorbedingung erfüllen, um eine solche Würdigkeit zu erlangen.
. Siehe T.-M. Charland, Artes praedicandi (), : ‚toute la raison d’être du prothème est de servir d’introduction à cette prière‘; ibid. : ‚L’invitation à prier qui termine le prothème doit toujours être en dépendance du développement qui précède‘. . Eckhart, Serm. Pasch. n. , LW V ,. Zu Eckharts Gebetslehre siehe die ausführliche Studie von Freimut Löser, ‚Oratio est cum deo confabulatio. Meister Eckharts Auffassung vom Beten und seine Gebetspraxis‘, in W. Haug und W. Schneider-Lastin (eds), Deutsche Mystik im abendländischen Zusammenhang. Neu erschlossene Texte, neue methodische Ansätze, neue theoretische Konzepte (Tübingen, ), -, die allerdings die einschlägige, zwar kurze, aber doch instruktive Ausführung Eckharts in seinem Sermo Paschalis nicht berücksichtigt und somit den Aspekt einer quasi persönlichen Bitte um göttliche Hilfe seitens des Predigers übergeht. . Siehe T.-M. Charland, Artes praedicandi (), ; M.-M. Davy, Les sermons universitaires parisiens de - (), und Anm. . . Eckhart, Serm. Pasch. n. , LW V ,-. . Siehe dazu unten die Ausführungen zum Thema sowie zur Gedankenentwicklung der Osterpredigt (.).
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) Zum Thema Bislang hält sich Bruder Eckhart ziemlich streng an das vorgeschriebene Schema der ars praedicandi. Und bei der Auslegung des Themas scheint dies auf den ersten Blick auch weiterhin der Fall zu sein, denn auf die Wiederholung des Themas folgt das vorgeschriebene Vorgehen zu dessen gebührender Behandlung mit Einführung (introductio thematis), Haupteinteilung (divisio) und Ausweitung (amplificatio) bzw. Entfaltung (dilatatio) mittels Unterteilungen (subdivisiones). Dennoch erlaubt Eckhart sich dabei einige Freiheiten gegenüber der idealen Kunstform einer akademischen Predigt: . Statt einer klassischen Dreiteilung des Themas entscheidet sich Eckhart eher für eine nur aus dem betreffenden Schriftwort selbst hergeleitete und daher einprägsame Zweiteilung, die sehr synthetisch dargestellt wird mit einer anschließenden sprachlichen Erläuterung zur angenommenen Lesart des itaque und somit zur besseren Nachvollziehbarkeit bzw. als Begründung dieser divisio intra: ‚Der Apostel, der uns zum Genuss des Osterlammes anregen will, bringt daher erstens dessen Erhabenheit vor mit den Worten: „als unser Osterlamm (ist Christus . So wurde damals zur Vermittlung der scholastischen Predigttheorie die Struktur der Predigt in Form eines Baumes (Arbor de arte praedicandi) bildlich dargestellt, dessen Stamm sich in drei Hauptäste teilt bzw. entfaltet, welche die divisio thematis veranschaulichen. Vgl. das älteste Beispiel aus einer Handschrift der Bayerischen Staatsbibliothek München (Clm , fol. v-r, digitale Reproduktion des Originals online abrufbar unter: http://daten.digitale-sammlungen. de//bsb/images/index.html?fip=...&seite=&pdfseitex= [letzter Zugriff: ..]); auf dem Stamm steht dort explizit geschrieben: ‚Thema dividitur in tres partes‘. Siehe dazu u.a. Otto A. Dieter, ‚Arbor picta. The Medieval Tree of Preaching‘, The Quarterly Journal of Speech (), -. Zur divisio thematis siehe insbes. T.-M. Charland, Artes praedicandi (), -. . Siehe dazu M. Vinzent, ‚Eckhart’s Early Teaching and Preaching in Paris‘ (), : ‚Interestingly, already in this early text, Eckhart uses the argument of grammar: “the term therefore is taken as an adverb”, connected with to celebrate, a form of perspectivity which is based on modistic theories‘. . Siehe dazu T.-M. Charland, Artes praedicandi (), sowie Dorothea Roht, Die mittelalterliche Predigttheorie und das Manuale curatorum des Johann Ulrich Surgant, Basler Beiträge zur Geschichtswissenschaft (Basel, ), -. Letztere bezeichnet diese Technik – im Vergleich zur divisio extra, bei der das Gliederungsschema des Themas außerhalb des zugrunde liegenden Bibelzitats gesucht wird – als ‚schwieriger, denn es wird kein Gedanke von außen an den Text herangetragen‘; demnach erweist sie sich als ‚sehr kunstvoll und stellt an das formale Können des Predigers höchste Ansprüche‘ (ibid. ). Deshalb sollte man nach dem Bonaventura zugeschriebenen Traktat Ars concionandi (n. , in Doctoris seraphici S. Bonaventurae opera omnia, vol. IX [Quaracchi, ], B) die divisio intra vorzugsweise beim Predigen vor Klerikern anwenden, vor einem Laienpublikum hingegen darauf verzichten.
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geopfert worden)“. Zweitens ermahnt er uns in rechter Ordnung zum würdigen Empfang eines so großen Sakraments (mit den Worten): „und so lasst uns denn ein Mahl halten“, (und zwar so), dass dieser Ausdruck „und so“ adverbial aufgefasst wird, das heißt: „lasst uns ein Mahl halten“ in Übereinstimmung mit einem so großen Sakrament‘. . Der erste Teil wird aber sehr rasch, ohne subdivisio und innerhalb eines einzigen Paragrafen behandelt: Eckhart lobt darin die Erhabenheit des Ostermahls mittels einer Aneinanderreihung von Zitaten, ohne eigene Gedanken vorzubringen, und geht danach unverzüglich zum zweiten Teil über (Sic de primo. Nunc de secundo), indem die Bedeutung der richtigen Verfassung zum würdigen Empfang des Sakraments hervorgehoben wird, was den inhaltlichen Kernpunkt des Sermo Paschalis bildet. Dieser Fragestellung sind dann die elf letzten Paragrafen gewidmet, sodass ein erhebliches quantitatives Ungleichgewicht in der Auslegung des Themas besteht. . Der zweite Teil wird seinerseits in drei nacheinander zu behandelnde Aspekte untergliedert: ‚Um aber die Erhabenheit des Sakraments, seine Empfehlung und die Verfassung der würdig Empfangenden zu erlangen, wollen wir für den Moment drei entsprechende Aspekte betrachten, nämlich [erstens,] wem dieses Ostermahl bereitet wird, zweitens, wo (es bereitet wird), und drittens, was es bewirkt‘. Doch fügt Eckhart im Verlauf seiner Rede eine weitere, zwar ergänzende, aber nicht in der subdivisio vorgegebene Betrachtung hinzu, indem er sich – inspiriert von Ps ,: ‚Du, Gott, hast bereitet‘ – zusätzlich fragt, ‚von wem es bereitet wird‘, obgleich er die Beantwortung der ersten Frage noch nicht abgeschlossen hat. Es gibt hier allerdings offensichtlich eine Lücke im Text, eine Auslassung in der handschriftlichen Überlieferung, da einerseits nur einer von den zwei von Eckhart . Unde volens nos provocare ad manducandum pascha, primo proponit eius excellentiam dicens: ‚pascha nostrum etc.‘ Secundo recto ordine hortatur nos ad dignam receptionem tanti sacramenti: ‚itaque epulemur‘, ut hae dictio ‚itaque‘ teneatur adverbialiter, id est ‚epulemur‘ secundum tanti sacramenti convenientiam (Eckhart, Serm. Pasch. n. , LW V ,-). . Vgl. Eckhart, Serm. Pasch. n. , LW V ,-. . Eckhart, Serm. Pasch. n. , LW V ,-. . Ut autem habeamus sacramenti excellentiam et commendationem et digne recipientium dispositionem, videamus quoad praesens tria circa ipsum, scilicet quibus hoc pascha paratur, secundo ubi, et tertio quid operetur (Eckhart, Serm. Pasch. n. , LW V ,-). . ‚Parasti, deus‘. Sic videtur a quo paratur, scilicet a deo (Eckhart, Serm. Pasch. n. , LW V ,).
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angekündigten Gründen, weshalb Gott ‚dieses Ostermahl auch den Verächtern der Welt bereitet‘, ausgeführt wird, und da andererseits, das argumentative Verhältnis zwischen n. und n. unklar ist. . Eine andere Besonderheit finden wir in der Unterteilung des ersten betrachteten Aspekts, nämlich ‚wem dieses Ostermahl bereitet wird‘, bzw. in ihrer Ausweitung, die sich nicht an die in dieser weiteren subdivisio vorgegebene Reihenfolge hält. Denn Eckhart sagt zunächst, dass es . den Armen, . denen, die ein reines Gewissen haben, und . denen, die die Welt verachten, bereitet wird; aber später tauscht er das secundo mit dem tertio, was im Endeffekt sinnvoller ist, da man durch die Verachtung der Welt ein reines Gewissen erlangt. . Schließlich ist erstaunlich, dass der dritte Betrachtungsaspekt – ‚was das Ostermahl bewirkt‘ – im Vergleich zu den zwei ersten und in Anbetracht seiner tief- bzw. weitgehenden Deutung relativ kurz behandelt wird. Trotz allem erkennt man hier ‚die bereits professionelle Gewandtheit‘, mit welcher Bruder Eckhart diese akademische Predigt aufgebaut hat, um die lehrinhaltliche Substanz ausgewählter Schriftworte herauszuarbeiten. Dafür wusste er aber seine umfassende biblisch-theologische und philosophische Gelehrsamkeit ebenfalls sehr geschickt zu nutzen. . Gelehrsamkeit der Predigt: Ein Ineinander von (christlich-)theologischer und (heidnisch-)philosophischer Argumentation Eckhart entwarf seinen Sermo Paschalis mit dem dreifachen Rüstzeug der Berufung auf Autoritäten (auctoritates), der logischen Beweisführung (argumenta) sowie der Veranschaulichung durch Beispiele (exempla) als exegetischer Hilfsmethoden (nach den Anweisungen der ars praedicandi). . De primo sciendum quod paratur pauperibus et mundas conscientias habentibus et mundum contemnentibus (Eckhart, Serm. Pasch. n. , LW V ,-). In literarischer Hinsicht ist hierbei der color rhythmicus zu beachten, den Eckhart dieser grundlegenden subdivisio (mit ihrer Gliederung in Reimprosa) verleiht. . Siehe dazu weiter unten Abschnitt .. . L. Sturlese, ‚Einleitung‘ zum Sermo Paschalis, in LW V . . Siehe dazu J. Koch, ‚Zur Einführung‘, in LW IV, S. XXXIII-XXXIV, sowie N. Winkler, Exegetische Methoden (), -. . Siehe dazu insbes. M.-M. Davy, Les sermons universitaires parisiens de - (), -; T.-M. Charland, Artes praedicandi (), -.
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Was die Autoritäten betrifft, so gebraucht Eckhart hier am meisten Schriftzitate aus beiden Testamenten: insgesamt, von denen aus dem Alten und aus dem Neuen Testament stammen. Diese Predigt zeigt uns daher schon das Hauptprinzip der biblischen Hermeneutik Eckharts: Die erste und grundlegende Autorität, die es ihm ermöglicht, die Heilige Schrift auszulegen, ist die Heilige Schrift selbst, welche dann – wie in seinem gesamten Auslegungswerk – als ,Ausgangs- und Orientierungspunkt für die theologischen und philosophischen Gedanken‘ fungiert, ,aber auch deren Umfang und Ausmaß [reguliert]‘. Ein Bibelvers verweist auf andere, die sich gegenseitig erhellen, sodass sich dabei ein ganzes Verzeichnis zu einer gemeinsamen Thematik bzw. eine Kette von Konkordanzen bildet. Doch ‚Eckharts Methode‘, wie Koch hervorhebt, ,ist nicht seine Erfindung, sondern gehört zu der im . Jahrhundert ausgebildeten „theologischen Exegese“‘. In zweiter Linie greift Eckhart auf die Kirchenväter zurück – mit einer Vorliebe für Augustinus (zwölfmal explizit zitiert) und in geringerem Maße für Pseudo-Dionysius (nur zweimal). Bemerkenswert ist hierbei die Genauigkeit der Quellenangaben zu diesen beiden patristischen Autoritäten, auch wenn der Wortlaut der zitierten Texte häufig unpräzise dem Original entspricht. Hingegen stützt sich die Osterpredigt meist stillschweigend auf die Lehre der großen Theologen der Scholastik, und zwar nicht nur auf den Meister der Sentenzen (wie es schon gezeigt wurde), sondern natürlich auch auf die zwei Hauptvertreter des Dominikanerordens, nämlich Albertus . Gen ,; ,-; , / Sap ,- / Num , / Reg ,; , / Iob ,-; , / Ps ,; ,; , (× ) / Spr , / Jes ,; , / Ez , / Mich ,. . Mt , / Mk ,; ,- / Lk ,; , (Prothema); ,-; , / Joh ,-; ,; ,; ,; ,-; ,; ,; , / Röm ,; , / Kor ,- (Thema) / Jak , / Petr , / Offb ,-. . Konrad Weiss, ,Meister Eckharts biblische Hermeneutik‘, in La mystique rhénane (Paris, ), -, . . J. Koch, ‚Sinn und Struktur der Schriftauslegungen‘ (), . . Vgl. Eckhart, Serm. Pasch. n. , LW V ,; ibid. n. , LW V ,; ibid. n. , LW V ,; ibid. n. , LW V ,; ibid. n. , LW V ,-; ibid. n. , LW V ,; ibid. n. , LW V ,; ibid. n. , LW V , und ,; ibid. n. , LW V ,-; ibid. n. , LW V ,- und ,-. . Vgl. Eckhart, Serm. Pasch. n. , LW V ,; ibid. n. , LW V ,. . Siehe dazu L. Sturlese, ‚Einleitung‘ zum Sermo Paschalis, in LW V -, wonach ‚es unmöglich festzustellen [ist], ob diese Stellen von Eckhart selbst frei zitiert oder vielmehr vom Schreiber frei mitgeschrieben wurden‘. . Siehe oben unter Punkt .. Für weitere Beispiele indirekter Anlehnungen an Petrus Lombardus siehe Eckhart, Serm. Pasch. n. , LW V , Anm. ; ibid. n. , LW V , Anm. , und ibid. n. , LW V , Anm. .
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Magnus und Thomas von Aquin. Dem ersteren schreibt Bruder Eckhart allerdings ausdrücklich ein Dictum zu, dessen Anführung zur Erläuterung des Demutsideals eines Gelehrten nicht nur insofern Beachtung verdient, als es ‚offensichtlich auf einer mündlichen deutschen Dominikanertradition beruht‘, sondern v.a. als ‚dieser Hinweis schlicht als die Erfüllung der Huldigungspflicht gegenüber der wichtigsten Persönlichkeit der eigenen Provinz gedeutet werden mag … und auf jeden Fall als Zeichen eines offenen Bekenntnisses zur Schule Alberts verstanden werden [dürfte]‘. Neben all diesen christlichen Quellen nutzt Eckhart aber auch philosophische und naturwissenschaftliche Beweisgründe bzw. Beispiele heidnischer Provenienz, um nach Bedarf seine Argumentation entweder in Gang zu setzen oder sie zu verstärken. So wendet er z.B. die pseudohermetische Definition von Gott als ‚geistige[r] … Kugel, deren Mittelpunkt überall und deren Oberfläche nirgends ist‘, an, obwohl festzuhalten ist, dass im Vergleich zu dem entsprechenden Satz im Liber XXIV philosophorum Eckhart an dieser Stelle von einer sphaera intelligibilis anstatt von einer sphaera infinita spricht, was er höchstwahrscheinlich aus den Regulae caelestis iuris von Alanus ab Insulis übernommen hat. . Vgl. Eckhart, Serm. Pasch. n. , LW V , Anm. und ibid. n. , LW V , Anm. . . Vgl. Eckhart, Serm. Pasch. n. , LW V , Anm. ; ibid. n. , LW V , Anm. ; ibid. n. , LW V , Anm. und ibid. n. , LW V , Anm. . . Et Albertus saepe dicebat: ‚hoc scio sicut scimus, nam omnes parum scimus‘ (Eckhart, Serm. Pasch. n. , LW V ,-). . L. Sturlese, ‚Einleitung‘ zum Sermo Paschalis, in LW V . Für Sturlese dürfte dieses Diktum ‚aber auch als persönliche Erinnerung an die Studienzeit [Eckharts] in Köln‘ (ibid.) interpretiert werden, d.h. – wie schon Joseph Koch meinte – wo Albert seine letzten Lebensjahre verbracht hat und ‚dem wissbegierigen jungen Theologen am Studium generale in seiner Zelle zur Verfügung‘ stand (‚Kritische Studien‘ [], ). Abgesehen davon betrachtet Kurt Flasch immerhin die Anführung dieses Zitats als ‚de[n] einzige[n] Beleg dafür, dass Eckhart Albert wohl persönlich gekannt hat‘ (Meister Eckhart – Philosoph des Christentums [], ). ‚Und mit dem Hinweis, Albert habe dies oft gesagt, gerade so, als sei er dabei gewesen, stilisiert sich Eckhart auch‘, laut Freimut Löser, ‚zum persönlichen Albert-Schüler‘ (‚Meister Eckhart und seine Schüler. Lebemeister oder Lesemeister?‘, in A. Speer und T. Jeschke [eds], Schüler und Meister, Miscellanea Mediaevalia [Berlin, Boston, ], -, ). Vor kurzem brachte Alessandra Beccarisi mit stichhaltigen Argumenten ihre Überzeugung zum Ausdruck, ‚dass die zarte Erinnerung, durch die der Schüler dem Meister huldigt, auf dessen Kommentar zum Matthäusevangelium Bezug nimmt‘ (Sicut Albertus saepe dicebat. Albertus Magnus und Meister Eckhart im Lichte neuerer Forschungen, Lectio Albertina [Münster, ], -). . [Q]uia ‚deus‘ qui est ‚sphaera intelligibilis‘ et incomprehensibilis, ‚cuius centrum ubique et circumferentia nusquam‘ (Eckhart, Serm. Pasch. n. , LW V ,-). . Siehe dazu Eckhart, Serm. Pasch. n. , LW V , Anm. und A. Beccarisi, ‚„noch sint ez allez heidenischer meister wort, die nicht enbekanten dan in einem natiurlîchen liehte“: Eckhart e
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Außerdem besteht Eckharts Einführung des Hauptthemas in einem sich auf Avicennas Lehre stützenden Exkurs über die psychosomatische Einwirkung der Vorstellungskraft, anhand dessen sich erklären lässt, wieso der Apostel uns zum Genuss des Osterlammes durch Hervorhebung seiner Erhabenheit anregen will, da ‚eine solche erste Vorstellung von etwas Gutem‘ über eine gewisse formgebende Dynamis verfügt, indem sie einen Verwandlungsprozess des Niederen in das Höhere auszuüben vermag. Ansonsten rekurriert Eckhart explizit auf die Sprichwörter des Ptolemäus sowie zweimal auf ‚andere Schriften‘ (in aliis litteris), womit jeweils Werke von Aristoteles gemeint sind. Dieses Heranziehen (heidnisch-)philosophischer Autoren neben und im Einklang mit (christlich-)theologischen Quellen im Dienst der Schriftauslegung, um dabei biblisch geoffenbarte Glaubensinhalte zu erschließen, zeigt folglich, dass Eckhart schon bei seinen ersten akademischen Gehversuchen als Bakkalar die nachher für sein ganzes Opus expositionum – d.h. sowohl für die Bibelkommentare als auch für die Predigten – geltende wissenschaftlich-exegetische Methode erprobt bzw. festgelegt hat. . Gedankenentwicklung der Osterpredigt: die ‚geistliche Nahrung‘ Um den ganzen intrinsischen Wert des Sermo Paschalis ermessen zu können, sollte man aber nicht nur dessen Kunstform und Gelehrsamkeit berücksichtigen, sondern auch die erbauliche Behandlung des Predigtstoffes und die dadurch vermittelte geistige Haltung des Predigers bzw. die Tiefsinnigkeit seiner Botschaft beachten. Dafür richten wir nun unsere Aufmerksamkeit auf die bei der Entfaltung des
il Liber vigintiquattuor philosophorum‘, in Loris Sturlese (ed.), Studi sulle fonti di Meister Eckhart, vol. II, Dokimion (Freiburg [Schweiz], ), -, -. . Eckhart, Serm. Pasch. n. , LW V ,-. . Eckhart, Serm. Pasch. n. , LW V ,-. . Eckhart, Serm. Pasch. n. , LW V ,; ibid. n. , LW V ,. . Vgl. z.B. Eckhart, In Ioh. n. , LW III ,-: In cuius verbi expositione et aliorum quae sequuntur, intentio est auctoris, sicut et in omnibus suis editionibus, ea quae sacra asserit fides christiana et utriusque testamenti scriptura, exponere per rationes naturales philosophorum. Siehe dazu u.a. N. Winkler, Exegetische Methoden (), - und Sigrun Jäger, Meister Eckhart – ein Wort im Wort: Versuch einer theologischen Deutung von vier deutschen Predigten, Quellen und Forschungen zur Geschichte des Dominikanerordens – Neue Folge (Berlin, ), - (‚Meister Eckhart als Theologe, Philosoph, Prediger und Mystiker des ./. Jahrhunderts‘).
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Themas von Schritt zu Schritt weiterführende Gedankenentwicklung, um damit den dabei zu erreichenden lehrhaften Endzweck der Predigt besser herauszustellen. Ausgehend vom biblisch-liturgischen Kontext, mündet der Hauptteil des Vortrags in der Darbietung geistlicher Nahrung durch Erläuterung thematischer Grundgedanken, mit denen sich Eckhart sein Leben lang auseinandersetzen wird. Sieht man von der akademischen Form dieser Predigt ab, so ergeben sich entscheidende Berührungspunkte mit seinen späteren Schriften. Statt sich hier wie ein Sentenziar mit der von Petrus Lombardus eingeführten zweifachen res des Altarssakraments – res contenta et significata (d.h. mit der Bezeichnung des wahren Leibes und Blutes Christi durch die äußere Gestalt von Brot und Wein) und res significata et non contenta (d.h. die Einheit der Kirche im mystischen Leib Christi) – zu befassen, verhält sich Eckhart lieber wie ein Seelsorger und legt deshalb den Fokus seiner Rede auf die innerliche Vorbereitung seiner Zuhörer ‚zum würdigen Empfang eines so großen Sakraments‘ (ad dignam receptionem tanti sacramenti), um sie in die dementsprechende Verfassung zu bringen. Seinen Begriff einer digna receptio verdeutlicht er anhand von drei hintereinander zu beantwortenden Fragestellungen und somit unter drei verschiedenen, aber komplementären Betrachtungsweisen, ‚nämlich [erstens,] wem dieses Ostermahl bereitet wird, zweitens, wo (es bereitet wird), und drittens, was es bewirkt‘. Bemerkenswerterweise fällt diese Dreiteilung des Gedankengangs sowohl . Siehe J. Koch, ‚Zur Einführung‘, in U.M. Nix und R. Öchslin (eds), Meister Eckhart der Prediger (), : ‚Im übrigen zeigt die Osterpredigt in der Art und Weise der Exegese, in der Auswahl der Zitate und in der Betonung gewisser Grundgedanken (z.B. der Notwendigkeit der Demut) eine so enge Verwandtschaft mit den sicher später niedergeschriebenen Schriftauslegungen, daß – wenn wir das genaue Datum der Predigt nicht kennten – sie ganz gewiß „aus inner[e]n Gründen“ in eine viel spätere Zeit verlegt würde‘. Siehe auch Alain de Libera, ‚Maître Eckhart à Paris‘, in M. Parisse (ed.), Les échanges universitaires franco-allemands du Moyen Âge au XXe s., Actes du Colloque de Göttingen, Mission Historique Française en Allemagne, - novembre (Paris, ), -, Anm. : ‚En fait, on peut bien dire que l’essentiel de la doctrine reproposée ensuite dans les sermons allemands est acquis dès cette toute première œuvre. … La continuité de l’enseignement d’Eckhart apparaît ici d’une manière extraordinaire, ce qui revient à poser que le jeune bachelier sententiare de est déjà en possession d’un des grands axes de sa prédication allemande.‘ . Petrus Lombardus, Sent. IV, d. , c. , n. . . Eckhart, Serm. Pasch. n. , LW V ,-. . Nunc de secundo: ‚itaque epulemur‘, scilicet secundum convenientiam. Ut autem habeamus sacramenti excellentiam et commendationem et digne recipientium dispositionem, videamus quoad praesens tria circa ipsum, scilicet quibus hoc pascha paretur, secundo ubi, et tertio quid operetur (Eckhart, Serm. Pasch. n. , LW V ,-).
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methodisch als auch inhaltlich mit derjenigen zusammen, die einige Jahre später (mutmaßlich zwischen und ) in der als ‚Programm-‘ bzw. ‚Grundsatzpredigt‘ des Weihnachtszyklus Von der êwigen geburt geltenden deutschen Predigt angewandt wird: ‚Drei Dinge soll man hier beachten: Das erste ist: wo Gott der Vater sein Wort in der Seele spricht und wo die Stätte für diese Geburt sei und wo sie für dieses Werk empfänglich (enpfenclich) sei. … Der zweite Teil der Predigt ist, wie sich der Mensch zu diesem Werk oder zu diesem Einsprechen oder Gebären verhalten soll. … Das dritte ist, wie groß der Nutzen sei, der in dieser Geburt liegt.‘ Trotz geänderter Reihenfolge und abweichender Formulierung der Fragestellungen legen beide Predigten dasselbe Erleben (das In-Sich-Empfangen des Sohnes Gottes) unter denselben Aspekten (Verfassung bzw. Haltung des Empfangenden, Ort des Empfangens, Wirkung bzw. Nutzen des Empfangenen) dar, und zwar mit grundsätzlich ähnlichen Lehräußerungen. Die gleiche Feststellung veranlasst MarieAnne Vannier dazu, den Sermo Paschalis als ‚Vorbereitung‘ des o.g. Predigtzyklus zu betrachten und dabei anzunehmen, dass der Reflexion und Lehre Eckharts über die Gottesgeburt in der Seele – das Hauptmotiv seiner Predigttätigkeit – ‚ein entscheidendes österliches Erlebnis‘ zugrunde lag, das er in seinen jüngeren Jahren hatte und danach in seinen Predigten zum Ausdruck bringen wollte. Ohne so weit in der Ausdeutung der Parallelität gehen zu wollen, ist Vannier dennoch zuzustimmen, dass bei Eckhart ‚Weihnachten und Ostern die zwei Seiten desselben . Georg Steer, ‚Echtheit der Predigt ‘, in DW IV, ; id., ‚Zu Predigt : Dum medium silentium tenerent omnia‘, in id. und L. Sturlese (eds), Lectura Eckhardi I (Stuttgart, Berlin, Köln ), -, : ‚Unter den vier Predigten des Zyklus erscheint die Predigt als Primär- und Grundsatzpredigt, deren Aussagen in drei anschließenden Fragepredigten vertieft, breit gedeutet und auf das geistliche Leben appliziert werden‘. Zur Datierung dieses Predigtzyklus siehe id., ‚Meister Eckharts Predigtzyklus von der êwigen geburt. Mutmaßungen über die Zeit seiner Entstehung‘, in W. Haug und W. Schneider-Lastin (eds), Deutsche Mystik im abendländischen Zusammenhang (), -; Caroline F. Mösch, ‚Daz disiu geburt geschehe‘. Meister Eckharts Predigtzyklus Von der êwigen geburt und Johannes Taulers Predigten zum Weihnachtsfestkreis, Dokimion (Freiburg [Schweiz], ), -. . Eckhart, Pr. , DW IV, ,-,; ,-; , (dt. Übersetzung in DW IV, ). . Siehe Josef Quint, Meister Eckehart. Deutsche Predigten und Traktate (München, ), : ‚Wer nicht erfaßt hat, daß die Geburt des Sohnes durch den göttlichen Vater im Seelenfunken den einzigen Anlaß, den Inhalt und das Ziel der Predigt Eckeharts ausmacht und seinen Ausführungen, fast möchte ich sagen, eine großartige Eintönigkeit gibt, der hat Eckehart verkannt‘. . M.-A. Vannier, Cheminer avec Maître Eckhart (), , , .
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Mysteriums‘ bzw. ‚derselben Realität‘ darstellen, da er ‚das einzigartige Geschehen der Auferstehung Christi‘ als ‚Eckstein‘, ja sogar ‚Bedingung unserer [Auferstehung]‘ und deshalb im übertragenen Sinne als Wiedergeburt des Sohnes Gottes in der menschlichen Seele auffasst, dessen prototypischer Vorgang und Vollzug im Eucharistieempfang (aufgrund der Realpräsenz Christi unter den sakramentalen Gestalten) stattfindet. Im Sermo Paschalis besteht die Beantwortung der ersten Fragestellung grundlegend in einer Ausdeutung der Armutsforderung des Evangeliums, die in diesem Zusammenhang bis zur Selbsterniedrigung bzw. tiefsten Demütigung der Seele getrieben werden muss. Denn ‚je tiefer und niedriger jedes Empfangene ist, um so empfänglicher ist es. Je tiefer eine Seele, die dieses Sakrament empfangen soll, durch die Demut am Boden liegt, um so empfänglicher ist sie für Gott‘. Um dabei Gott nicht in seiner Vortrefflichkeit herabzusetzen, werden die Empfangenden genötigt, das Irdische so zu verachten (contemptus mundi), bis sie von ihrer Seele ‚die geringsten Flecken‘ entfernt und folglich ein reines Gewissen (munda conscientia) erlangt haben. In Anlehnung an Pseudo-Dionysius erklärt Eckhart genauer, inwiefern diejenigen ‚rein‘ sein sollen, die am Ostermahl teilhaben wollen: Sie ‚müssen sich bis auf
. M.-A. Vannier, Cheminer avec Maître Eckhart (), . . M.-A. Vannier, Cheminer avec Maître Eckhart (), -. . Siehe Joachim Theisen, Predigt und Gottesdienst. Liturgische Strukturen in den Predigten Meister Eckharts, Europäische Hochschulschriften – Reihe I: Deutsche Sprache und Literatur (Frankfurt a.M., Bern, New York, ), , der zu Recht behauptet (zwar in Bezug auf die deutschen Predigten und , aber durchaus mit allgemeinerer Gültigkeit), ‚daß Eckhart das eucharistische Geschehensmodell, das im Gottesdienst präsent ist, in der Predigt aktiviert, um die Struktur der Gottesgeburt aus dem religiösen Erfahrungsbereich der Gemeinde zu erhellen. Die Eucharistie ist zu verstehen als Prototyp der Gottesgeburt.‘ Siehe auch B. Weiss, Die Heilsgeschichte bei Meister Eckhart (), : ‚Es scheint so, daß Eckhart in seinen späteren Werken die Eucharistie fast nur noch erwähnt als Gleichnis oder Beispiel für eine ihm wichtiger erscheinende Wahrheit. … Eckhart vergleicht die Vereinigung Gottes in der Gottesgeburt mit der Vereinigung und Verwandlung in der Eucharistie‘; Dietmar Mieth, Die Einheit von vita activa und vita contemplativa in den deutschen Predigten und Traktaten Meister Eckharts und bei Johannes Tauler, Studien zur Geschichte der katholischen Moraltheologie (Regensburg, ), Anm. : ‚Die Gottesgeburt und ihr spiritueller Vollzug stehen dabei etwa in demselben Verhältnis wie Eucharistieempfang und geistliche Kommunion‘. . [O]mne continens quanto est bassius et inferius, tanto capacius. Unde anima quae debet capere hoc sacramentum, quanto est per humilitatem bassior, tanto dei capacior (Eckhart, Serm. Pasch. n. , LW V ,-). . Eckhart, Serm. Pasch. n. , LW V ,. . Eckhart, Serm. Pasch. n. , LW V ,-,.
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die letzten Vorstellungsbilder der Seele reinigen‘, d.h. den Verstand entleeren bzw. die äußeren Sinne gefangen halten (mit Ausnahme des Hörens aufgrund seiner Wahrnehmungsfähigkeit für die göttliche Wahrheit), und ‚in möglichst treuer Angleichung an das heiligste Opfer hinzutreten‘. Was Eckhart hier zur Bewerkstelligung einer reinen Empfänglichkeit für die Gabe Gottes verlangt, ist eigentlich nichts anderes als ‚eine wohlgeübte Abgeschiedenheit‘, wie sich aus seiner Behandlung derselben Fragestellung in den Reden der Unterweisung (Niederschriften abendlicher Lehrgespräche, die der Erfurter Prior mit Novizen und Ordensbrüdern geführt hat, als er nach dem Erwerb des Pariser Bakkalaureats in sein Heimatkloster zurückkehrte) ablesen lässt. Demzufolge setzt die Erlangung der würdigen Verfassung zum Eucharistieempfang einen individuellen Lernprozess voraus durch die freiwillige Aus- und Einübung der geistigen Armut, der Welt- sowie Selbstverachtung und folglich der Demut bis zur Verinnerlichung und
. … purgari oportet ab extremis animae phantasiis … (Eckhart, Serm. Pasch. n. , LW V ,). . Siehe Eckhart, Serm. Pasch. n. , LW V ,-,: … in sacramento altaris intellectus evacuatur, visus, gustus et alii sensus captivantur, sed solus auditus illigatus evadit et verum nobis nuntiat. Diese Außerkraftsetzung des diskursiven Erkenntnisvermögens wird in der deutschen Predigt näher betrachtet; siehe dazu Rodrigo Guerizoli, Die Verinnerlichung des Göttlichen. Eine Studie über den Gottesgeburtszyklus und die Armutspredigt Meister Eckharts, Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters (Leiden, Boston, ), -. Zudem gibt Eckhart in der deutschen Predigt (DW IV, ,-) eine ausführliche Rechtfertigung der Überlegenheit des Hörens gegenüber den anderen Sinnen, insbesondere dem Sehen: Dar umbe sprichet ein meister, daz diu kraft des hœrennes vil edeler sî dan diu kraft des sehennes, wan man lernet mê wîsheit mit hœrenne dan mit sehenne und lebet hie mê in der wîsheit. Man vindet von einem heidenischen meister: dô er lac und sterben wolte, dô redeten sîne jünger vor im von grôzer kunst, und er huop sîn houbet ûf alsô sterbende und hôrte zuo und sprach: ‚eyâ, lâzet mich noch dise kunst lernen, daz ich ir êwiclîche gebrûche‘. Daz hœren bringet mê în, aber daz sehen wîset mê ûz, jâ, daz werk des sehennes an im selber. Und dar umbe suln wir in dem êwigen lebene vil sæliger sîn in der kraft des hœrennes dan in der kraft des sehennes. Wan daz werk des hœrennes des êwigen wortes daz ist in mir und daz werk des sehennes daz gât von mir. Und daz hœren bin ich lîdende, aber daz sehen bin ich würkende. . Unde Dionysius in Ecclesiastica hierarchia c. alludit themati nostro ‚pascha nostrum immolatus est Christus‘: ‚ad sanctissimam venientes immolationem purgari oportet ab extremis animae phantasiis et in similitudine ipsi, quantum possibile, advenire‘ (Eckhart, Serm. Pasch. n. , LW V ,-,). . Vgl. Eckhart, Die rede der underscheidunge, Kap. , DW V ,-: Triuwen, des enist niht genuoc, daz des menschen gemüete abegescheiden sî in einem gegenwertigen puncten, als man sich gote vüegen wil, sunder man muoz eine wolgeüebete abegescheidenheit haben, diu vor- und nâchgânde sî. Denne mac man grôziu dinc von gote enpfâhen und got in den dingen. Und ist man unbereit, man verderbet die gâbe und got mit der gâbe.
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Habitualisierung dieser Tugenden ‚in ihrem Wesen und Grunde‘. Nun aber fungiert bei Eckhart das daraus gewonnene ‚abgeschiedene‘ oder ‚ledige Gemüt‘ nicht nur als Hauptanforderung des geistigen Empfangs und Maßstab für die Aufnahmebereitschaft, sondern zugleich auch als Vollzugsort der Vorbereitung, da die Reinigung und Entleerung der Seele vermag, in ihrem Innersten Raum für denjenigen zu schaffen und freizuhalten, der de facto dieses Ostermahl bereitet, nämlich für Gott. Insofern ist es inhaltlich konsequent, dass sich der nächste Gedankenschritt mit der Frage ‚ubi paretur‘ befasst. Als biblischen Ausgangspunkt für seine Antwort findet Eckhart deutliche Worte in Ez ,: ‚„auf den hohen Bergen Israels“, „dort sollen sie ruhen“; „an fruchtbaren Stätten“, „auf sprossenden Auen“ „soll ihre Weide sein“ usw.‘. Da aber in der vorliegenden Reportation die – gewiss vorgetragene – Erläuterung dieser allegorischen Motive fehlt (Lücke im Text), lässt sich die ihnen beigemesse Bedeutung nur aus den vorhergegangenen Ausführungen herauslesen. So dient das ‚Berg‘-Motiv zur Veranschaulichung des Übersteigens der Seele jenseits ihres sinnlichen Wahrnehmungsvermögens und diskursiven Denkvermögens bis dorthin, wo alle Seelenkräfte zum Schweigen bzw. zur Ruhe gebracht werden, d.h. im Seelengrund, der seiner Natur nach für nichts anderes als für Gott empfänglich ist und sich demnach als eigentlicher Ort göttlicher Fruchtbarkeit, gleichsam als ein immergrüner Weideplatz für die Seele erweist. Außerdem bringt . Ouch ist ez sêre nütze, daz im der mensche niht lâze genüegen dar ane, daz er hât die tugende in dem gemüete als gehôrsame, armuot und ander tugende, sunder der mensche sol sich selber an den werken und an den vrühten üeben der tugende und sich dicke versuochen und begern und wellen von den liuten werden geüebet und versuochet. Wan dâ mite enist ez niht genuoc, daz man tuo diu werk der tugent oder die gehôrsame getuon müge oder armuot oder smâcheit enpfâhen müge oder daz man sich mit einer andern wîse gedêmüetigen oder gelâzen müge, sunder man sol dar nâch stân und niemer ûfhœren, biz man die tugent gewinne in irm wesene und in irm grunde (Eckhart, Die rede der underscheidunge, Kap. , DW V ,-,). . Vgl. Eckhart, Die rede der underscheidunge, Kap. , DW V ,-; ibid., Kap. , DW V ,-, und ,-. . Siehe dazu Ludwig Völker, Die Terminologie der mystischen Bereitschaft in Meister Eckharts deutschen Predigten und Traktaten (Tübingen, ), - (abegescheidenheit) und - (ledic). . Eckhart, Serm. Pasch. n. , LW V ,. . Ubi autem paretur, in Ezechiele ostensum est, utcumque ‚in montibus excelsis Israel‘: ‚ibi requiescunt‘, ‚in locis pinguibus‘, ‚in herbis virentibus‘ ‚erunt pascua eorum‘ et. (Eckhart, Serm. Pasch. n. , LW V ,-). . Eckhart, Serm. Pasch. n. , LW V ,. . Vgl. Eckharts deutsche Predigt (DW III -) zum biblischen Thema ‚Videns Iesus turbas, ascendit in montem etc.‘ (Mt ,), wo auch die Berg-Stelle in Ez , herangezogen wird
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diese Aufstiegsmetapher das proportionale Bedingungsverhältnis (als Ineinanderfallen der Gegensätze) zwischen der für einen würdigen Eucharistieempfang durch geistige Armut und wahre Demut zu erreichenden Tiefe der Seele und der daraus resultierenden Höhe ihrer Erhebung zu Gott zum Ausdruck. Mit Bezugnahme auf die in Mk , berichtete Weisung Christi an seine Jünger zur Einsetzung seines letzten Abendmahls ‚ite in civitatem‘ vergleicht Eckhart ferner das Seeleninnerste mit einer Stadt, indem er den sich etymologisch (sogar wortspielerisch) sowie bedeutungsmäßig von civium unitas ableitenden Begriff civitas im übertragenen Sinne als Ort der Sammlung und Einigung aller Begehren der Seele auf Gott hin versteht. Gemäß der mittelalterlichen Vorstellung vom Stadtbild wird eine solche in sich verschlossene und Gott geweihte Seele weiterhin als Befestigungsanlage – gegen Angriffe der äußeren Sinnenwelt – allegorisiert; ‚denn dort fließt der Quell aller Gnaden‘. Der innere Aufstiegsweg zu dieser befestigten Seelenstadt vollzieht sich in zwei Stufen, die Eckhart aus der Bedeutung der in Lk , überlieferten Namen beider Jünger herleitet, die Jesus im Zuge der Abendmahlsvorbereitung in Jerusalem vorausgesandt hat: ‚Petrus und Johannes‘. Da der erste ‚soviel wie „der Erkennende“ heißt‘, fungiert demnach hier – in ergänzender Anknüpfung an das bereits Gesagte über die demütige Geisteshaltung zum würdigen Empfang – ‚die Selbsterkenntnis und die der eigenen Schwäche‘ als ‚eine der Bedingungen zur Vorbereitung‘. Im Anschluss an Augustinus weist er die falsche Überschätzung des Wissens um die irdischen und himmlischen Dinge auf; denn diejenigen, (ibid. ,-). Siehe dazu Walter Haug, ‚Zu Predigt : Videns Iesus turbas‘, in G. Steer und L. Sturlese (eds), Lectura Eckhardi II (Stuttgart, ), -. . Vgl. Eckhart, Die rede der underscheidunge, Kap. , DW V ,-,: Er sol sich selber nidern, und daz selbe enmac niht genuoc sîn, got der entuo ez; und er sol erhœhet werden, niht daz diz nidern einez sî und daz erhœhen ein anderz; sunder diu hœhste hœhe der hôcheit liget in dem tiefen grunde der dêmüeticheit. Wan ie der grunt tiefer ist und niderr, ie ouch diu erhœhunge und diu hœhe hœher und unmæziger ist, und ie der brunne tiefer ist, ie er ouch hœher ist; diu hœhe und diu tiefe ist einez. Vgl. auch id., Pr. , DW I ,-. . Eckhart, Serm. Pasch. n. , LW V ,-, und ,; siehe auch ibid. , Anm. und . Vgl. id., Sermo XXXVI n. , LW IV ,-): ‚in civitatem‘, id est animam bene munitam et securam contra temptationes carnis, mundi et diaboli… . Item civitas, id est civium, id est virium, potentiarum et affectuum, unitas, tranquillitas; id., Pr. , DW I ,-, und ,-; id., Pr. , DW II ,- und ,; id., Pr. , DW III ,-. . Quia ibi stillat fons omnium gratiarum (Eckhart, Serm. Pasch. n. , LW V ,). . Lucas dicit quod ‚Petrum et Iohannem‘ etc. usque: ‚et ibi parate‘. Petrus interpretatur ‚agnoscens‘, ergo agnitio sui ipsius et infirmitatis propriae est unum quod praemittitur ad parandum (Eckhart, Serm. Pasch. n. , LW V ,-); siehe auch LW V , Anm. .
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die jener Wissenschaft die Selbsterkenntnis vorziehen, sind ‚wahrlich besser‘ (profecto meliores), d.h. ‚mehr gutzuheißen und zu loben‘ (probabilior laudabiliorque) als diejenigen, ‚die sich nicht um die Kenntnis ihrer eigenen Schwachheit kümmer[n] und die Bahnen der Gestirne erforsch[en], selbst wenn sie sie kennenlernen [werden]‘. So scheint es an dieser Stelle, dass der Sentenziar Eckhart mit einer gewissen Kühnheit angesichts seines Auditoriums auf die Insuffizienz der scholastischen Gelehrsamkeit – vielleicht sogar auf die Selbstgefälligkeit der Lesemeister – hinweisen möchte. Vermutlich deshalb beruft er sich anschließend auf ein Diktum Alberts des Großen, der selbst ‚oft sagte: „Dies weiß ich, wie wir es eben wissen, denn wir wissen alle wenig“‘. Anhand der Autorität dieses hoch angesehenen Dominikanermagisters versucht Bruder Eckhart hier, zumindest seine als Akademiker wissbegierigen Zuhörer vor dem zu tadelnden Hochmut eines ‚Wissens ohne Gewissen‘, d.h. einer Welterforschung ohne Selbsterforschung zu warnen. Etwas weiter im Sermo Paschalis behauptet er noch deutlicher: ‚Jeder aber, der stolz ist, ist kein Wissender‘; und umgekehrt (nach einem Sprichwort des Ptolemäus): ‚Wer unter den Weisen der Demütigere ist, der ist unter ihnen der Weisere.‘ Für Eckhart fungiert aber diese durch innere Selbsterkenntnis tief reichende Demütigung nicht nur als Bedingung zur geistigen Vorbereitung, sondern auch als Voraussetzung für deren Vollendung durch die gnadenhafte Mitwirkung Gottes, ‚denn aus der Erkenntnis der eigenen Schwäche erheben sich [zunächst] Demut und . Unde Augustinus De trinitate l. IV in principio: ‚scientiam terrestrium atque caelestium rerum magni aestimare solet genus humanum, in quo profecto meliores sunt qui huic scientiae proponunt nosse semet ipsos. Unde probabilior laudabiliorque est animus cui infirmitas propria nota est quam qui ea non respecta vias siderum scrutatur, etiam cogniturus‘ (Eckhart, Serm. Pasch. n. , LW V ,,); siehe auch LW V , Anm. . Vgl. id., Pr. , DW IV, ,-. . Zu Eckharts Skepsis gegenüber der lesemeisterlichen Gelehrsamkeit siehe F. Löser, ‚Meister Eckhart und seine Schüler‘ (), -. . Et Albertus saepe dicebat: ‚hoc scio sicut scimus, nam omnes parum scimus‘ (Eckhart, Serm. Pasch. n. , LW V ,-). . Siehe Émilie Zum Brunn und Alain de Libera, Maître Eckhart. Métaphysique du Verbe et théologie négative, Bibliothèque des Archives de Philosophie – Nouvelle série (Paris, ), . . Dazwischen gibt er sich einem kurzen Exkurs zur ethischen Lebenführung hin, und zwar unter erneutem Rückgriff auf Augustins Lehre in seinem Büchlein De disciplina christiana, ausgehend von dessen Überzeugung, ‚dass viele mehr den Mantel als die Seele … lieben‘ (Eckhart, Serm. Pasch. n. , LW V ,-). . Quicumque vero est superbus, non est sciens. Unde in proverbiis Ptolemaei: ‚qui inter sapientes est humilior, inter eos est sapientior‘ (Eckhart, Serm. Pasch. n. , LW V ,-). . Vgl. Eckhart, Serm. Pasch. n. , LW V ,-.
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[dadurch] Gnade‘, auf welche der Name ‚Johannes‘ deutet. Die Art und Weise sowie der bedingende Grund dieses Miteinandergehens lassen sich durch die Heranziehung bzw. Mitauslegung der allegorisch verwandten Schriftworte über den Lauf derselben Jünger zum Grab Christi am Ostermorgen (Joh ,) erschließen: ‚Petrus ging also zuerst hin, aber Johannes lief voraus, weil die Gnade dorthin erhebt, wohin die [menschliche] Natur [aus eigenen (Seelen-)Kräften] nicht gelangen kann‘. Demnach deckt Eckhart in einem dritten und letzten Gedankenschritt auf, was durch die übernatürliche Gnade Gottes das Sakrament der Eucharistie als ‚heilige vervollkommnende Handlung‘ eigentlich bewirkt, nämlich – unter Rückgriff auf Pseudo-Dionysius – eine ‚einförmige Vergöttlichung‘ bzw. ‚gottförmige Vereinigung‘, wodurch sich erklären lässt, ‚warum dieses Sakrament [mit Recht] eine heilige Kommunion oder Synaxis genannt wird‘. Doch dieser Beschreibung der im Sakrament der Eucharistie ‚bezeichneten und nicht enthaltenen Sache‘ räumt Eckhart in Abgrenzung zu deren traditionellem sakramentstheologischen Verständnis keine ausgeprägte ekklesiologische Bedeutung im Sinne einer organischen Einheit aller Glieder des mystischen Leibes Christi, d.h. einer Einheit der Kirche als Eucharistiegemeinschaft ein. Stattdessen versteht er unter der Ein- bzw. Gottförmigkeit eine individuelle und unmittelbare Vereinigung mit Gott in Form einer Eingliederung, ja sogar Einverleibung der Menschenseele in Christus selbst durch die verwandelnde Wirksamkeit der eucharistischen Gnade. Dabei zeigt Eckhart, dass im Vergleich zum Prozess der körperlichen Nahrungsaufnahme und folglich zum realen Essvorgang im Sakrament der Eucharistie – als Zeichen der incorporatio – der rein geistige Genuss der Abendmahlsgaben eine umgekehrte Auswirkung hat . Praemisit etiam Iohannem, qui interpretatur ‚in quo est gratia‘, quia ex cognitione propriae infirmitatis consurgit humilitas et gratia (Eckhart, Serm. Pasch. n. , LW V ,-). . Siehe dazu E. Winkler, Exegetische Methoden (), -. . Ergo ibant simul Petrus et Iohannes. Unde in Ioh.: ‚currebant duo simul‘ etc. Petrus ergo primus exivit, sed Iohannes praecucurrit, quia illic elevat gratia, ubi non attingit natura (Eckhart, Serm. Pasch. n. , LW V ,-). . Unde Dionysius ubi supra, cur dicatur hoc sacra communio vel synaxis, dicit: ‚unaquaeque sacra perfectiva actio partitas nostras vitas in uniformem deificationem colligit et divisarum deiformem complicationem et communionem donat‘. Unde si hoc facit quaevis sacra actio, longe facit hoc sacra. Unde nomen ‚communionis‘ merito datur huic sacramento (Eckhart, Serm. Pasch. n. , LW V ,-); siehe auch LW V , Anm. . . Siehe oben Anm. .
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bzw. sich ‚in einer höheren Form der metabolischen Umwandlung‘ entfaltet, indem die genossene Nahrung nicht in den eigenen Leib des Essenden übergeht, sondern im Gegenteil der Essende in den Leib dessen eingegliedert wird, den er genießt. Gerade unter diesem Gesichtspunkt wird offensichtlich, dass sich bei Eckhart die innigste Einswerdung mit Gott in der manducatio spiritualis vollzieht, die dadurch die manducatio sacramentalis derart an Wirksamkeit übertrifft, dass die Spendung der heiligen Kommunion als Gnadenvermittlung in übersakramentaler Weise aufgefasst wird. Vermutlich deshalb hält er es in seinem Sermo Paschalis nicht für notwendig, die Zeichenhaftigkeit der beiden eucharistischen Gestalten von Brot und Wein in ihrer Materialität und Medialität – als Instrumentalursache – zu erörtern, und beschränkt sich lediglich bei der Behandlung des Predigtstoffes auf die einem würdigen Empfang zugrunde liegende geistige Vorbereitung. Denn ‚je reiner eine Speise, um so schneller und leichter wird sie ins Innere gezogen, ebenso wird der Mensch, je reiner er ist, (um so schneller und leichter) durch dieses Ostermahl Christus eingegliedert‘. Diese Auffassung einer in der Eucharistie bewirkten persönlichen und seinsmäßigen Eingliederung in Christus vermag ferner unter Berufung auf Augustinus zu erläutern, ‚welches Geheimnis dieses Wort in sich schließt: Verbum caro factum est‘, und trägt somit bereits, wenn auch nur keimhaft, den leitenden Grundgedanken in sich, der später Eckharts Christologie bzw. christologische Anthropologie wie ein roter Faden durchzieht und an der einschlägigen Stelle seines Johanneskommentars . Martina Roesner, ‚Verwandelnder Blick. Meister Eckharts spekulative Deutung der eucharistischen Realpräsenz‘, Theologie und Philosophie (), -, . . Eckhart, Serm. Pasch. n. , LW V ,-: Unde inter corporalia haec est differentia et spiritualia, quia corporalia sustinent in se contenta; non sic spiritualia, immo anima contenta in corpore ipsum continet. . Siehe dazu B. Weiss, Die Heilsgeschichte bei Meister Eckhart (), , -. ‚Überraschenderweise bedeutet dies jedoch nicht, dass Eckhart die eucharistische Realpräsenz als solche bestritte oder gar die Sakramente überhaupt für überflüssig erklärte. Vielmehr ist er bestrebt, den für die theologische Deutung des Altarssakramentes so zentralen Begriff der „Wandlung“ auf eine Weise zu deuten, die das Paradigma der aristotelischen Substanzontologie mitsamt ihren zum Teil sehr problematischen und schon im Mittelalter zu Recht häufig kritisierten Implikationen überwindet‘ (M. Roesner, ‚Verwandelnder Blick‘ [], ). . Et sicut cibus quanto purior, tanto citius et melius trahitur ad intima membrorum, sic quanto homo est purior, per hoc pascha incorporatur Christo (Eckhart, Serm. Pasch. n. , LW V ,-). . Eckhart, Serm. Pasch. n. , LW V ,-,.
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besonders hervorgehoben wird: ‚[D]ie erste Frucht der Menschwerdung des Wortes, welches Gottes Sohn von Natur ist, … besteht [darin], dass wir Gottes Söhne durch die Annahme an Sohnes Statt seien. Denn wenig bedeutete es mir, dass das Wort für die Menschen Fleisch wurde in Christus, jener von mir verschiedenen Person, wenn es nicht auch in mir persönlich [Fleisch annähme], damit auch ich Gottes Sohn wäre‘. Einen ähnlichen Ausdruck findet dieser Gedanke nicht zuletzt am Anfang der oben erwähnten deutschen Predigt , welche daher den gleichen evangelischen Botschaftscharakter wie der Sermo Paschalis und dabei mit ihm Eckharts Grundanliegen seines Predigens offenlegt, nämlich die Verkündigung des Geschehens eines unterschiedslosen Einsseins des Menschen mit dem Erstgeborenen durch gnadenhafte Teilhabe an der hypostatischen Union. . Schluss Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Sermo Paschalis des Sentenziars Eckhart zwar eigentlich zu dessen Jugendschriften gehört, . Eckhart, In Ioh. n. , LW III ,-,: primus fructus incarnationis verbi, quod est filius dei naturaliter, est ut nos simus filii dei per adoptionem. Parum enim mihi esset ‚verbum caro factum‘ pro homine in Christo, supposito illo a me distincto, nisi et in me personaliter, ut et ego essem filius dei. Ergänzend dazu wird weiter klargestellt, dass ‚man nicht die falsche Vorstellung haben darf, als wäre durch den einen Sohn oder das eine Bild Christus Gottes Sohn, und durch ein anderes wäre der gerechte und gottförmige Mensch (homo iustus et deiformis) Gottes Sohn‘ (ibid. n. , LW III ,-), woraufhin noch ausdrücklicher betont wird, dass ‚wir Gerechten und Gottförmigen alle durch denselben Sohn Gottes, der das „Fleisch gewordene Wort“ in Christus ist, Gottes Söhne genannt werden und … es wirklich [sind] (Joh ,), und zwar dadurch, daß er in uns wohnt und uns durch seine Gnade sich gleichförmig macht (nos sibi per gratiam conformando)‘ (ibid. n. , LW III ,-). . Eckhart, Pr. , DW IV, ,-,: Wir begân hie in der zît von der êwigen geburt, die got der vater hât geborn und gebirt âne underlâz in êwicheit, daz diu selbe geburt nû ist geborn in der zît in menschlîcher natûre. Sant Augustînus sprichet: daz disiu geburt iemer geschehe und aber in mir niht engeschihet, waz hilfet mich daz? Aber daz si in mir geschehe, dâ liget ez allez ane. ‚Häufiger als von der Eingliederung in Christus‘, wie Josef Koch zu Recht festgestellt hat (‚Meister Eckhart. Versuch eines Gesamtbildes‘, in id., Kleine Schriften I [], -, ), ‚spricht Eckhart von der Geburt des Sohnes Gottes in der Seele. Der Sache nach ist beides dasselbe, der Unterschied liegt in der Betrachtungsweise; spreche ich von der Eingliederung, so gehe ich von dem Menschen aus‘, was beim Sermo Paschalis zutrifft; ‚spreche ich von der Geburt, so denke ich vornehmlich an Gott‘, wie in der deutschen Predigt . ‚Im ersteren Falle liegt der Nachdruck auf der Einheit, in die wir aufgenommen werden, im zweiten auf dem göttlichen Leben, das wir empfangen. Aber auch wenn Eckhart von ihm spricht, vergißt er nicht, die Einheit hervorzuheben; denn es ist derselbe Sohn, durch den Christus und der gerechte Mensch Gottes Sohn ist. Freilich ist es jener von Natur, dieser von Gnaden‘.
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jedoch schon das ausgeglichene Profil des späteren Lese- und Lebemeisters als an und für sich ‚personale Einheit‘ verrät. Denn diese gemäß den Vorschriften der ars praedicandi geleistete akademische Predigt weist die gleichartige methodische Geltungsmachung der Beweiskraft scholastischer, z.T. rein naturphilosophischer Quellen im Dienst der Exegese (als ‚chiffriertes Signal eines theologischen Programms‘) auf, um aus dem biblischen Text in Bezug auf den liturgischen Kontext die darin verborgene Bedeutung als Wegweisung für die Gestaltung des Einzellebens und des eigenen Gotterlebens zu erschließen. Dem Inhalt und Vollzug nach ist Eckharts erste akademische Predigt wohl eine Rede ad aedificationem, die (richtungsweisend) von einer christozentrischen, d.h. auf das Geheimnis der Menschwerdung und der Gottessohnschaft gerichteten Spiritualität kündet und darauf abzielt, nicht nur die Aktualität dieses Geheimnisses aufzuzeigen, sondern auch und vor allem die Zuhörer in diese Aktualität einzubeziehen.
. K. Ruh, Geschichte der abendländischen Mystik, Bd. III (), . . L. Sturlese, ‚Meister Eckhart: Ein Porträt‘, in id., Homo divinus (), . . Alain de Libera, Eckhart, Suso, Tauler ou la divinisation de l’homme (Paris, ), : ‚Comme chez tous les mystiques „rhénans“, la spiritualité d’Eckhart est christocentrique, parce qu’elle est centrée sur les deux grâces de l’incarnation et de l’inhabitation intérieure, et déploie, dans toutes ses conséquences, la thèse théologique selon laquelle Dieu s’est fait homme pour que l’homme soit fait Dieu‘. . ‚Diese These einer unmittelbaren Gottessohnschaft jedes einzelnen Menschen ist letztlich nur die letzte und radikalste Konsequenz von Eckharts theologischer Grundüberzeugung, dass sämtliche Inhalte der biblischen Offenbarung, die aufgrund ihres historischen Charakters zunächst in objektivierender Distanz und heterogener Äußerlichkeit erscheinen, in den vernünftigen Bewusstseinsvollzug selbst hineinverlegt und vom Modus des Glaubens in den des selbstevidenten Wissens überführt werden müssen‘ (M. Roesner, ‚Verwandelnder Blick‘ [], -).
Meister Eckharts seelsorgerische Schriftauslegung WALTER SENNER OP (†) PONTIFICIA UNIVERSITÀ ANGELICUM, ROM, ITALIEN Abstract This paper intends to establish the degree to which Meister Eckhart’s work, despite its highly speculative presuppositions, also presents a genuinely pastoral dimension. Against the backdrop of Dominican spirituality with its inseparable union of contemplation (i.e. studying and praying) and action (i.e. preaching and spiritual guidance, especially to nuns and laypeople), we shall analyse Eckhart’s use of Holy Scripture in several of his vernacular sermons and treatises and raise the question concerning his possible audiences. One is bound to recognise that some of Eckhart’s seemingly ‘pastoral’ texts, like the Book of Divine Consolation, are not aimed at the specific spiritual problems of an individual person but offer a general introduction to the Christian interior life. In other cases, however, Eckhart’s homiletic approach is visibly influenced by the specific context of his sermons and the public he addresses. Especially in his German sermons, Eckhart puts particular emphasis on an exegesis that shows the relevance of the Biblical text with regard to the individual human soul, its faculties, and its spiritual development. In a similar way, Eckhart’s Latin sermones and collationes on Sir :-, which he pronounced at the occasion of a provincial chapter of his Order, deal with the question of pastoral duties from a theoretic viewpoint. Eckhart stresses the fact that the Dominican preacher must have no other objective than Christ himself and, therefore, teach, preach and defend Christian truth accordingly. This leads us to the conclusion that despite its solid speculative foundation, Eckhart’s interpretation of the Bible in his sermons always has a strong pastoral thrust, in perfect accordance with the specific Dominican charisma.
WALTER SENNER OP
. Was ist Seelsorge? . Begriffsbestimmung von ‚Seelsorge‘
I
m kirchlichen Sprachgebrauch ist ‚Seelsorge‘ ein sehr weit gefasster Begriff. Kirchenrechtlich und pastoraltheologisch wird darunter die gesamte Verkündigung und ihre Strukturen verstanden, wie auch der kirchliche Dienst an speziellen Personengruppen. Mit cura animarum wird seit dem Frühmittelalter insbesondere ‚die parochiale Amtszuständigkeit‘ bezeichnet, ‚die ein Bischof an einen Priester delegiert‘. Mit dem Auftreten der Bettelorden, die vor allem in den Städten seit dem . Jahrhundert die Lücke füllten, welche infolge der unzureichenden Ausbildung der Pfarrgeistlichen gegenüber gewachsenen Ansprüchen der Gläubigen klaffte, wurde auch deren Verkündigung cura animarum genannt, jedoch alsbald in ihrer Berechtigung bestritten. Im sogenannten ersten Pariser Mendikantenstreit hat insbesondere Thomas von Aquin diese Seelsorge – als im direkten Auftrag des Papstes als Bischofs der Universalkirche durchgeführt – gerechtfertigt. Im engeren Sinn – auch als ‚personale Seelsorge‘ bezeichnet – wird der Terminus für das helfende Gespräch mit einzeln oder in kleinen (Familien-)Gruppen Ratsuchenden gebraucht. Ein besonderer, auch bereits im Mittelalter nicht ausschließlicher Ort hierfür ist die Beichte als sakramentale Form des Bekenntnisses als konkret gesündigt habender Mensch und der Zusage von Gottes Vergebung. . Cura animarum als Zweck des Dominikanerordens Der Orden der Predigerbrüder (Ordo Fratrum Praedicatorum), nach seinem Gründer, dem hl. Dominikus von Guzman (-), auch Dominikanerorden genannt, ist aus einer Konfliktsituation im Südfrankreich des beginnenden dreizehnten Jahrhunderts, im Bemühen um die
. Philipp Müller, ‚Seelsorge‘, in Lexikon für Theologie und Kirche, . Ausg., Bd. (Freiburg i.Br. [u.a.], ), Sp. -. . Ibid. Sp. . . Ulrich Horst, Bischöfe und Ordensleute: Cura principalis und Via perfectionis in der Ekklesiologie des hl. Thomas von Aquin, Quellen und Forschungen zur Geschichte des Dominikanerordens [N.F.] (Berlin, ); id., Wege in die Nachfolge Christi: die Theologie des Ordenslebens nach Thomas von Aquin (Berlin, ), besonders -, -.
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Bekehrung der dortigen Katharer entstanden. Ab Ende predigte Dominikus, ein Kanoniker der nordspanischen Domkirche von Osma, in dieser Gegend, zunächst weitgehend erfolglos. Im Laufe der Zeit schlossen sich ihm einige Gefährten an, und schließlich wurde aus einer lokalen Toulouser Predigerkommunität der über die westliche Christenheit hinaus verbreitete Dominikanerorden. In der späteren Ordenshistoriographie ist herausgestellt worden, dass Dominikus nicht mit Feuer und Schwert, sondern mit der Kraft des Wortes wirken wollte. So wurde das eigene Lebenszeugnis zur Bekräftigung der Predigt der Predigerbrüder; daher kommt der offizielle Name Ordo fratrum Praedicatorum. In den ersten Konstitutionen wird das so ausgedrückt: Cum ordo noster specialiter ob predicationem et animarum salutem ab initio noscatur institutus fuisse, et studium nostrum ad hoc principaliter ardenterque summo opere debeat intendere, ut proximorum animabus possimus utiles esse. Die Verkündigung des Glaubens, besonders an Zweifelnde und Ungläubige, die sich die junge Gemeinschaft als Aufgabe gestellt hatte, erforderte nicht nur gründliche Kenntnis der Glaubenslehre, sondern auch ihre rationale Begründung und Durchdringung. In diesem Sinn bildeten – und bilden auch heute noch – Glaube und Wissen, Seelsorge und Wissenschaft keinen Gegensatz, sondern eine notwendige Ergänzung. Der hl. Dominikus legte seinen Brüdern ans Herz: ‚… sie sollen bei Tag und bei Nacht, zuhause und unterwegs, immer etwas lesen oder meditieren und sich bemühen, auswendig zu lernen, was sie können, damit sie zur rechten Zeit voll Eifer für die Predigt sind‘. Auch in seinem späteren Selbstverständnis ist Predigt und Seelsorge das Grundanliegen des Ordens, auf das hin das Studium auszurichten ist. Als ein . Zu Leben und Werk des hl. Dominikus ist weiterhin der Klassiker: Marie-Humbert Vicaire, Histoire de S. Dominique, Bd. + (Paris, , ), dt.: Geschichte des hl. Dominikus, Bd. + (Freiburg i. Br., /). Die Quellen liegen weitgehend gut aufgearbeitet vor in Monumenta historica sancti patris nostri Dominici, ed. M.-H. Laurent et al., t. I+II, Monumenta Ordinis Praedicatorum Historica [in der Folge: MOPH] - (Roma, -) und Monumenta diplomatica sancti Dominici, ed. V.J. Koudelka et al., MOPH (Roma, ). . Das wichtigste erzählende Quellenwerk ist Jordanus de Saxonia, Libellus de initiis Ordinis Praedicatorum. Eine neue kritische Edition durch Simon Tugwell, in der die komplexe Überlieferung berücksichtigt wird, soll in MOPH erscheinen; hier wurde die Edition von Heribert C. Scheeben in Monumenta historica, t. II, MOPH (), - benutzt. . Constitutiones antiquae, Prologus / De oudste constituties van de Dominicanen, ed. A.H. Thomas, Bibliothèque de la Revue d’histoire ecclésiastique (Leuven, ), ,-. . Constitutiones antiquae OP, d. I, c. , ed. A.H. Thomas (), ,-.
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wichtiger Bereich wurde dabei die Verteidigung des katholischen Glaubens gegen Häresien gesehen. Neu sind in den dominikanischen Konstitutionen Bestimmungen über das zur Vorbereitung auf Predigt und Beichthören nötige Studium. Aus ihnen und weiteren Präzisierungen ging schließlich die von Albertus Magnus, Thomas von Aquin, Petrus de Tarantasia und Florentius de Hesdino erarbeitete und durch das Generalkapitel in Kraft gesetzte Studienordnung hervor und in den Jahrzehnten danach ein gegliedertes scholastisches Studiensystem – ein gewaltiger Fortschritt zu einer Zeit, da es keine näher geregelte, gar verbindliche Priesterausbildung gab und gerade der Seelsorgeklerus oft nur über ein gänzlich unzureichendes theologisches Wissen verfügte. . Die Quellenproblematik Die eigentliche seelsorgliche Tätigkeit im genannten engeren Sinn besteht in vertraulichen Gesprächen. Naturgemäß haben wir von solchen keine direkte Kenntnis. Indirektes Wissen geben die sekundären Niederschläge solcher Gespräche, beispielsweise in den Schwesternbüchern der Dominikanerinnenklöster Oetenbach und St. Katharinental. Es ist . Fidei defensio fuit initium movens ad cogitandum de statuendo talem ordinem: sed cum statutus fuerit auctoritate Ecclesiae, amplificata fuit intentio, ut non solum statueretur ob fidei defensionem, sed generaliter ob praedicationem (Humbertus de Romanis, Expositio super constitutiones Fratrum Praedicatorum, n. XII, in id., Opera de vita regulari, ed. J.J. Berthier, Bd. (Roma, ; Nachdr.: Torino, ), . . Constitutiones antiquae OP, d. ,, ed. A.H. Thomas (), ,,-; d. , -, ed. A.H. Thomas (), ,,-,,. . Zum Studium im Dominikanerorden allgemein: Marian M. Mulchahey, ‚First the bow is bent in study …‘. Dominican education before , Pontifical Institute of Medieval Studies, Studies and Texts (Toronto, ); Isnard W. Franck, Die Bettelordensstudien im Gefüge des spätmittelalterlichen Universitätswesens (Wiesbaden, ); Walter Senner, Johannes von Sterngassen und sein Sentenzenkommentar, Bd. (Berlin, ), -; id., ‚Die Studienorganisation des Dominikanerordens im Mittelalter mit Berücksichtigung Estlands‘, in R. Altnurme (ed.), Estnische Kirchengeschichte im vorigen Jahrtausend (Kiel, ), -. . Leonard E. Boyle, ‚Notes on the education of the fratres communes in the Dominican order in the th century‘, in R. Creytens und P. Künzle (eds), Xenia medii aevi historiam illustrantia [Festschrift Thomas Kaeppeli] (Roma, ), I -. . Johannes Meyer OP, Die Stiftung des Klosters Oetenbach und das Leben der seligen Schwestern daselbst, ed. H. Zeller-Werdmüller und J. Bächtold, Zürcher Taschenbuch auf das Jahr [N.F.] (Zürich, ), -; Hieronymus Wilms, Das Beten der Mystikerinnen dargestellt nach den Chroniken der Dominikanerinnen-Klöster zu Adelhausen, Diessenhofen, Engeltal, Kirchberg, Oetenbach, Töß und Unterlinden, Quellen und Forschungen zur Geschichte des Dominikanerordens
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allerdings eine in jüngerer Zeit kontroverse Frage, ob Frauen, speziell Nonnen, Adressatinnen von Meister Eckharts Predigten waren. Nachdem Heinrich Suso Denifle auf die Bedeutung dominikanischer Prediger für die mittelhochdeutsche Frauenmystik hingewiesen hatte, ist es lange Zeit für sicher gehalten worden, dass Meister Eckhart nach seinem zweiten Pariser Magisterium etwa im Zeitraum - mit einem besonderen Predigt- und Seelsorgeauftrag für Ordensschwestern, namentlich Dominikanerinnen, in Oberdeutschland, der Schweiz und dem Elsass unterwegs war. Loris Sturlese hat gezeigt, dass sich das aus den uns zugänglichen Quellen nicht hinreichend belegen lässt – Eckhart hat allerdings sicher auch vor Ordensschwestern gepredigt, wie nicht zuletzt die Ortsangaben für seine Kölner Predigten bezeugen. Dietmar Mieths weitergehende Hypothese kann ich allerdings nicht ganz teilen: ‚Die Adressatinnen dieser Kommunikation waren Frauen, die im Kloster und außerhalb des Klosters lebten, letzteres z. B. … „Beginen“ …, aber auch als Bürgersfrauen … Eckharts Predigten
in Deutschland (Leipzig, ) – allerdings nicht nach Orten, sondern nach Themen geordnet (ibid. ); vgl. Martina Wehrli-Johns und Wolfram Schneider-Lastin, ‚Zürich, Oetenbach‘, in Die Dominikaner und Dominikanerinnen in der Schweiz, Bd. , ed. P. Zimmer, Helvetia sacra ,, (Basel, ), -. Erwin Eugster und Verena Baumer-Müller, ‚St. Katharinental‘, in ibid. ; Sabine Schmolinsky, ‚Maria Magdalena oder Katharina als Patrozinien von Dominikanerinnenklöstern – arm oder reich?‘, in S. von Heusinger et al. (eds), Deutsche Dominikaner und Dominikanerinnen im Mittelalter (Berlin, ), -, . Siehe auch Kurt Ruh, Meister Eckhart: Theologe, Prediger, Mystiker (München, ), -. . Dietmar Mieth, ‚Religiöse Freiheit in der Mystik: Das Beispiel der Frauenpredigten Meister Eckharts‘, in D. Mieth und B. Müller-Schauenburg (eds), Mystik, Recht und Freiheit: Religiöse Erfahrungen und kirchliche Institutionen im Spätmittelalter (Stuttgart, ), -. H. Wilms, Beten (), verteidigt die Dominikanerinnen gegen den Vorwurf einer Vorliebe für ‚Äußerlichkeiten, … Visionen, Offenbarungen, Prophezeiungen, Wunder und sinnliche Ergötzungen‘. Stattdessen habe das gemeinsame und private Gebet, der Empfang der Sakramente und die Betrachtung ihr religiöses Leben geprägt. Für die seelsorgerische Einflussnahme auf die Schwestern nennt er ‚Eckhart, Tauler und Seuse‘ (ibid. -), ersteren allerdings relativierend: ‚Eckhart weicht nicht bloß von Thomas ab, sondern verrannte sich in pantheistische Ideen … tatsächlich spiegelt sich in den Chroniken viel mehr Seuses Geist wider als Eckharts Lehre‘ (ibid. ). . Loris Sturlese, ‚Meister Eckhart und die cura monialium: kritische Anmerkungen zu einem forschungsgeschichtlichen Mythos‘, in A. Quero-Sánchez und G. Steer (eds), Meister Eckharts Straßburger Jahrzehnt, Meister-Eckhart-Jahrbuch (Stuttgart, ), -, besonders -. . Walter Senner, ‚Meister Eckhart in Köln‘, in K. Jacobi (ed.), Meister Eckhart: Lebensstationen – Redesituationen, Quellen und Forschungen zur Geschichte des Dominikanerordens [N.F.] (Berlin, ), -, -, -; Karl-Heinz Witte, ‚Von Straßburg nach Köln: die Entwicklung der Gottesgeburtslehre Eckharts in den Kölner Predigten‘, in A. Quero-Sánchez und G. Steer (eds), Meister Eckharts Straßburger Jahrzehnt (), -, -.
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über Frauen für Frauen‘. Dass Meister Eckhart mit Ordensschwestern und wahrscheinlich zumindest auch mit Beginen geistliche Gespräche geführt hat, kann als sicher gelten, auch wenn manche erhaltenen Hinweise eher legendarischer Natur sind, wie die pseudo-eckhartschen Traktate Schwester Katrei und Meister Eckhart und der Laie. Ein eingehendes und sicheres Zeugnis für Meister Eckhart als Seelsorger legt sein Mitbruder Heinrich Seuse ab, was Alois Haas so charakterisiert: … machte sich der junge Mönch zehn Jahre lang Gewissensbisse über seinen verfrühten Eintritt, da er meinte, dieser sei – wegen der elterlichen Gabe – Folge einer simonistischen Sünde. Erst Meister Eckhart konnte ihn von dieser Anfechtung befreien, was anschaulich zeigt, daß Seuses Beziehung zu Meister Eckhart weit über ein Lehrer-Schüler-Verhältnis hinausging. Bislang hat in diesem Zusammenhang wenig Beachtung gefunden, was Heinrich im Prolog zum Büchlein der Wahrheit über seine geistliche Entwicklung schreibt: Es waz ein mensche in Cristo, der hatte sich in sinen jungen tagen geuͤbet nach dem ussern menschen uf ellú dú stúke, da sich anvahendú menschen pflegent ze uͤbenne, un beleip aber der inr mensch ungeuͤbet in sin selbs nehsten gelazenheit und bevand wol, daz im neiswaz gebrast, er enwiste aber nit waz. Und do er daz langú zit und vil jaren getreib, do ward im eins males ein inker, in deme er wart getriben zů im selben, und ward in im gesprochen also: du solt wissen, daz inrlichú gelazenheit bringet den menschen zů der nehsten warheit. … Nu waz im dis edel wort dennoch wild und unbekant, und hatte doch vil minne dar zů, und ward uf daz selbe und des glich gar vestiklich getriben, ob er vor sime tode iemer dar zů moͤchte komen, daz er daz selb bloz erkandi und ze grunde ervolgti. Also kam er dar zů, daz er wart gewarnet un wart ime fúr geworfen, daz in dem schine des selben bildes verborgen . D. Mieth, ‚Religiöse Freiheit‘ (), . . Franz-Josef Schweitzer, Der Freiheitsbegriff der deutschen Mystik: seine Beziehung zur Ketzerei der ‚Brüder und Schwestern vom Freien Geist‘ mit besonderer Rücksicht auf den pseudoeckhartischen Traktat ‚Schwester Katrei‘, Europäische Hochschulschriften I, (Frankfurt a.M., ). . Meister Eckhart und der Laie, ed. F.-J. Schweitzer, Quellen und Forschungen zur Geschichte des Dominikanerordens [N.F.] (Berlin, ). . Alois M. Haas, ‚Heinrich Seuse, Autobiographie und Mystik‘, in J. Kaffanke (ed.), Heinrich Seuse – Diener der Ewigen Weisheit (Freiburg i. Br., ), -, .
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legi valscher grunt ungeordenter friheit und bedeket legi groze schade der heiligen kristenheit. … Und eins males do wart im ein kreftiger inschlag in sich selb und luhte im in von goͤtlicher warheit, daz er hier abe kein gedrang soͤlte nehmen. Wird die Begegnung mit Meister Eckhart hier in Seuses Inneres verlegt? Angesichts der Stellung des Abschnitts am Anfang der Verteidigungsschrift für den Meister verwundert es nicht, dass sein Name nicht genannt wird, da Heinrich sich damit sogleich dem Vorwurf zu großer Nähe ausgesetzt hätte. Wie diese Stelle auch zu verstehen ist – es ist der seelsorgliche Rat Meister Eckharts, wie Seuse in der Vita hervorhebt, der ihn aus seinen Ängsten und einer selbstzerstörerisch übertriebenen Askese befreite. Meister Eckharts Predigten lassen sich aus dem angegebenen Grund nur eingeschränkt als seelsorgerische Quellentexte betrachten. Immerhin ist es möglich, aus ihnen, wie aus der Auslegung von Bibelstellen im Rahmen von Kommentaren der Heiligen Schrift, Indizien einer Aufmerksamkeit zu erheben für Situationen, in denen sich seelsorgliches Gespür zeigen könnte – was im Folgenden geschehen soll. . Einige seelsorgliche Bezüge in Meister Eckharts Werken . Das Buch der göttlichen Tröstung Das Buch der göttlichen Tröstung, auch nach dem einleitenden Bibelzitat Benedictus Deus et pater domini nostri Iesu Christi (Kor ,-) Liber Benedictus genannt, ist lange Zeit von manchen Interpreten als ein der Königstochter Agnes gewidmetes Trostbuch betrachtet worden; ihre Mutter Elisabeth hatte ihren Gatten, den deutschen König Albrecht I., durch ein Mordkomplott seines Neffen Johann – nachmals als ‚Parricida‘, Vatermörder apostrophiert – verloren. Agnes hatte sich in das . Heinrich Seuse, Büchlein der Wahrheit [in der Folge: BdW], Prolog, in id., Deutsche Schriften, ed. K. Bihlmeyer (Stuttgart, ; Nachdr.: Frankfurt a.M., ), ,-,. . In der Diskussion machte Karl-Heinz Witte darauf aufmerksam, wie wichtig auch in einer Psychotherapie der ‚inschlag‘ ist, dass etwas den Menschen existentiell trifft und so bei ihm ‚ankommt‘. . BdW (), Prolog, ed. K. Bihlmeyer (), ,-. . Heinrich Seuse, Vita, c. , in id., Deutsche Schriften, ed. K. Bihlmeyer (), ,-.
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durch ihre Mutter auf der Stätte des Mordes gestiftete Klarissenkloster Königsfelden zurückgezogen. Doch Meister Eckhart gibt keinen Hinweis auf Anlass und Entstehungszeit des Werkes – in den Kölner Prozessakten wird lediglich erwähnt, er habe es Königin Agnes übersandt. Ebenso wenig findet sich darin ein persönlicher Trostzuspruch seelsorglicher Art, auch wenn der Autor zu Anfang seine Absicht so formuliert: ‚… möchte ich in diesem Buch einige Lehren aufschreiben, mit denen sich der Mensch trösten kann bei all seinem Unglück, bei Schmerzen und Leid‘. Meister Eckhart stellt sein Werk als unsystematisch vor: Der erste Teil enthält so viel an Wahrheit, daß sich daraus ein Trost gewinnen läßt, der den Menschen gewiß völlig trösten kann und wird in all seinem Leid. Danach kommen an die dreißig Lehrstücke, von denen jedes ausreicht um begründeten, vollständigen Trost zu gewähren. Im dritten Teil des Buches finden sich Exempel von Taten und Reden, die weise Menschen, als sie litten, getan und gesprochen haben. Kurt Flasch interpretiert den Liber Benedictus konsequent als philosophisches Werk und bezieht sich dafür auf die berühmte Consolatio philosophiae des Christen Anicius Manlius Severinus Boethius, der sich . Zum Mord an König Albrecht I. (er herrschte -): Michael Menzel, Die Zeit der Entwürfe -, Handbuch der deutschen Geschichte, Bd. a, begr. von B. Gebhardt (Stuttgart, ), -. . ‚Processus Coloniensis contra magistrum Echardum‘, in Acta Echardiana n. ,, ed. L. Sturlese, LW V ,-; Winfried Trusen, Der Prozeß Meister Eckharts: Vorgeschichte, Verlauf und Folgen, Rechts- und Staatswissenschaftliche Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft [N.F.] (Paderborn, ), -. Dass der Liber Benedictus für die Königinwitwe Agnes geschrieben worden sei, hält auch Ruh für wahrscheinlich; vgl. dazu K. Ruh, Meister Eckhart (), . . Hier nach der Übersetzung: Meister Eckhart: Das Buch der göttlichen Tröstung, trans. und mit einem Nachwort versehen von K. Flasch (München, ), ; vgl. Eckhart, BgT, DW V ,- und die spätere Ausgabe: Meister Eckharts Buch der göttlichen Tröstung und Von dem edlen Menschen (Liber ‚Benedictus‘), unter Benutzung bisher unbekannter Handschriften neu hrsg. von Josef Quint, Kleine Texte für Vorlesungen und Übungen (Berlin, ), ,-: hân ich willen ze schrîben an disem buoche etliche lêre, in der sich der mensche troesten mac in allem sînem ungemache, betrüepnisse und leide. . Nhd. nach K. Flasch, Meister Eckhart: Das Buch der göttlichen Tröstung (), ; mhd. nach J. Quint, Meister Eckharts Buch der göttlichen Tröstung (), ,-,: und hât diz buoch driu teil. In dem êrsten hât man etlîche wârheit, dar ûz und dâ von genomen wirt, daz den menschen billîche und wol genzlîche getrœsten mac und sol in allem sînen leide. Dar nâch vindet man hie bî drîtic sachen und lêre, in der man sich in ieglîcher wol und ganze getrœsten mac. Her nâch vindet man in dem dritten teile dis buoches bilde an werken und an worten, diu wîse liute hânt getân und gesprochen, als si wâren in lîdenne. . Vgl. K. Flasch, Meister Eckhart: Das Buch der göttlichen Tröstung (), -.
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eigenartigerweise nicht auf Christus beruft, sondern auf die philosophisch erkannte Schönheit, Wahrheit und Gutheit des Kosmos. Meister Eckhart dagegen konzentriert alles auf Gott, bei dem allein wahrer Trost zu finden ist. An Bezugnahmen auf die Bibel fehlt es in Eckharts Liber Benedictus allerdings durchaus nicht – im Unterschied zu Heinrich Seuse fällt dabei auf, dass eine an der Passion Christi ausgerichtete Leidensmystik keine zentrale Stellung einnimmt. Doch vergessen wir nicht: Seuses Exemplar entstand in der Zeit nach der Großen Pest, die ein Drittel der Bevölkerung Europas dahinraffte und den Anstoß zur Intensivierung von Passionsfrömmigkeit und entsprechenden künstlerischen Darstellungen gab. Eckharts Trostbuch liegt davor und hat einen eher lehrhaften als im engeren Sinn seelsorglichen Charakter. . Die Begegnung am Jakobsbrunnen (Joh ,-) Aus der Johannes-Perikope vom Gespräch Jesu mit der Frau aus Samaria werden im Johanneskommentar nur zwei Verse ausgelegt, nämlich Joh ,, Omnis qui bibet ex aqua hac, sitiet iterum; qui autem bibet ex aqua quam ego dabo ei, non sitiet in aeternum, und Joh ,, Spiritus est deus, et eos qui adorant eum, in spiritu et veritate oportet adorare. In ähnlicher Weise wie bereits im Trostbuch stellt Meister Eckhart die nicht wirklich, das heißt unvergänglich erfüllende Freude und Tröstung ‚des Fleischlichen‘, d.h. dieser Welt, der erfüllenden des Göttlichen gegenüber. Die Auslegung der zweiten Stelle steuert darauf zu, dass ‚äußere Werke nicht gut machen‘ und dass auch das Gebet sich nicht um Äußerliches, Vergängliches drehen sollte: Dicens ergo ‚adorabunt in spiritu et veritate‘ ostendit non esse orandum pro temporalibus, corporalibus, exterioribus, universaliter pro rebus creatis, sed pro aeternis et divinis. . Vgl. ibid. -. . ‚Jeder, der von diesem Wasser trinkt, wird wiederum dürsten; wer aber von dem Wasser getrunken hat, das ich ihm geben werde, wird nicht dürsten in Ewigkeit‘ (Eckhart, In Ioh. nn. -, LW III -). . ‚Gott ist Geist, und die, die ihn anbeten, müssen ihn in Geist und Wahrheit anbeten‘ (Eckhart, In Ioh. nn. -, LW III ,-,). . Eckhart, In Ioh. n. , LW III ,-. . ‚Indem sagt „sie beten in Geist und Wahrheit an“, zeigt er, daß nicht um Zeitliches, Körperliches, Äußerliches – allgemein um Geschaffenes – bitten sollen, sondern um Ewiges und Göttliches‘ (Eckhart, In Ioh. n. , LW III ,-,). Vgl. hierzu Freimut Löser, ‚Oratio est cum deo confabulatio: zu Meister Eckharts Auffassung vom Beten und seiner
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. Maria und Martha Hinsichtlich des Verhältnisses von Kontemplation und Aktion bürstet der Meister die berühmte Erzählung von Maria und Martha im Lukasevangelium gewissermaßen gegen den Strich. Für ihn ist Maria, die lauschend dem Herrn zu Füßen sitzt, noch nicht vollkommen, Martha hingegen, die inzwischen tut, was im Haus zu tun ist, weiter fortgeschritten: aus der Fülle der Kontemplation kann sie aktiv werden – ein deutlicher Anklang an die dominikanische Devise: contemplari et contemplata aliis tradere. Etwas Ähnliches finden wir bereits bei Albertus Magnus, der in seinem Kommentar zum Lukasevangelium geschrieben hatte: Maria und Martha sind Schwestern, die aufeinander angewiesen sind, Kontemplation und Aktion gehören als Aspekte christlichen Lebens zusammen. Eckhart geht noch tiefer und findet in dem Wunsch nach ungestörter beschaulicher Abgeschlossenheit einen subtilen Egoismus, der gläubige Gottverbundenheit in innerem Frieden nicht fördert, sondern hindert: ‚Wir haben sie im Verdacht, die liebe Maria, daß sie irgendwie mehr um des wohligen Gefühls als um des geistigen Gewinns willen dagesessen habe‘. Dietmar Mieth sieht darin einen milden Spott. Doch der Zusammenhang zeigt eine feine seelsorgerische Beobachtungsgabe. Die Bitte Marthas, Jesus solle Maria sagen, ihr zu helfen, geschieht, so wie Meister Eckhart sie interpretiert, aus Sorge um das geistliche Wachstum Marias: ‚daß sie in diesem Wohlgefühl stecken bliebe und nicht weiterkäme‘. Die abschlägige Antwort Jesu sieht er nicht als Tadel: ‚vielmehr gab er
Gebetspraxis‘, in W. Haug und W. Schneider-Lastin (eds), Deutsche Mystik im abendländischen Zusammenhang (Tübingen, ), -. . Lk ,-. . Eckhart, Pr. , DW III -. . Thomas von Aquin, Summa theologiae, IIa IIae, q. , a. , co. Dies ist in Summa theologiae, IIa IIae, q. , co. bereits angeklungen, worin Hans Urs von Balthasar keine sonderliche Originalität des Aquinaten sieht. Vgl. id., ‚Besondere Gnadengaben und die zwei Wege menschlichen Lebens, Kommentar‘, in Deutsche Thomas-Ausgabe, Bd. (Heidelberg [u.a.], ), -. . Albertus Magnus, Enarrationes in Evangelium Lucae ,-, in Opera omnia, ed. A. Borgnet, Bd. XXIII (Paris, ), b-b. . Eckhart, Pr. , DW III ,-; trans. : Wir hân sie arcwænig, die lieben Marîen, sie sæze etwenne mê durch lust dan durch redelîchen nutz. . Vgl. D. Mieth, ‚Religiöse Freiheit‘ (), . . Eckhart, Pr. , DW III ,-; trans. : daz si blibe in dem luste und niht vürbaz enkæme.
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ihr den Trost, daß Maria werde, wie sie’s wünschte‘. Maria braucht noch Zeit für ihren geistlichen Weg bis zu der Vollendung, die Martha bereits erreicht hat. ‚Darum erklärte Christus, als wolle er sagen: „Sei beruhigt, Martha, ‚sie hat den besten Teil erwählt‘. Dies hier wird sich bei ihr verlieren. Das Höchste, das einer Kreatur zuteil werden kann, das wird ihr zuteil werden: sie wird selig werden wie du“.‘ . Jesus und Maria Magdalena Bei der Kommentierung von Joh ,: ‚Maria stand weinend außen am Grab‘ nimmt Eckhart in klassisch scholastischer Art die sinntragenden Worte, ein jedes einzeln, und erklärt sie. Nach einer längeren Einlassung über das Stehen als Ermöglichung weitblickenderer Sicht kommt er zum Eigentlichen: Maria Magdalena stand, weil sie nichts mehr zu fürchten, nichts mehr zu verlieren hatte, denn sie liebte nichts außer Christus, und den hatte sie bereits verloren. So wollte sie ihn wenigstens unter den Toten wiederfinden. Sie ‚weinte draußen‘, weil sie sich nun ‚draußen‘ fühlte, nicht mehr in der Gemeinschaft Gottes, ja sterben wollte für Jesus, der für sie gestorben war. Von Origenes hat Meister Eckhart übernommen: ‚Sie suchte einen Toten und fand zwei Lebende‘, nämlich die beiden Engel (Joh ,a). Einfühlsam bemerkt er dazu: ‚Wer einen Menschen sucht und wahrhaft liebt, dem ist alles verhaßt, was nicht Mensch ist, ein Engel wie eine Ameise. So ist auch für den, der einen Toten sucht und ihn wahrhaft liebt, alles lästig und peinvoll, was nicht Tote ist‘. Damit bricht die Erklärung dieser Bibelstelle ab. Die Predigt Maria Magdalena venit ad monumentum etc. beinhaltet im Wesentlichen die gleichen Erklärungen. . Eckhart, Pr. , DW III ,: … er … gap ir trôst, daz Marîâ werden sölte als si begerte. Hier folge ich nicht der m.E. an dieser Stelle unpräzisen neuhochdeutschen Übersetzung von Quint. . Eckhart, Pr. , DW III ,-; trans. : Dâ von sprach Kristus, als ob er spræche: gehap dich wol, Marthâ, ‚si hât den besten teil erwelt‘; diz sol ir abegân. Daz næhste, daz crêatûre werden mac, daz sol ir werden: si sol sælic werden als dû. . Maria stabat ad monumentum foris plorans (Eckhart, In Ioh. nn. -, LW III -). . Eckhart, In Ioh. nn. -, LW III ,-,. . Eckhart, In Ioh. n. , LW III ,-. . Eckhart, In Ioh. n. , LW III ,. . Eckhart, In Ioh. n. , LW III ,-,. . Eckhart, In Ioh. n. , LW III ,-. . Eckhart, In Ioh. n. , LW III ,-. Vgl. id., Pr. , DW II ,-. . Eckhart, Pr. , DW II -.
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In der Predigt ‚Maria stand bei dem Grabe und weinte‘ geht es jedoch weiter: Jesus ‚offenbarte sich ihr Zug um Zug. Hätte er sich ihr auf einmal geoffenbart, als sie sich noch im Zustand des Verlangens befand, sie wäre vor Freude gestorben. Wüßte die Seele, wann Gott in sie träte, sie stürbe vor Freude, und wüßte sie, wann er von ihr geht, sie stürbe vor Leid. Sie weiß weder, wann er kommt, noch, wann er geht. Wohl spürt sie, wenn er bei ihr ist‘. Eventuell ist das nicht zum Nennwert zu nehmen, sondern als Hyperbole zu verstehen, ‚die die Intensität des Affektes veranschaulichen‘ soll, wie Meister Eckhart sie öfter in seinen Schriftauslegungen anwendet. Jedenfalls lässt sich auch diese Stelle als Ergebnis seelsorglicher Erfahrung sehen: Die Erfahrung von Gottseligkeit und von Gottesferne ist besonders von Mechthild von Magdeburg großartig beschrieben worden – und Meister Eckharts Umgang mit solchen Frauen war keine Einbahnstraße. . ‚Eine gute Frau hat die Stiege ihres Hauses erhellt und ihr Brot nicht müßig gegessen‘ In einer Predigt auf St. Elisabeth bezieht sich Meister Eckhart auf den Einleitungsvers der Epistel aus dem Messformular ihres Festes: Consideravit semitas domūs suae et panem otiose non comedit, der sogleich allegorisch ausgelegt wird: ‚Das Haus bedeutet im ganzen die Seele und die Stege des Hauses bedeuten die Kräfte der Seele‘. Die Seele des . Eckhart, Pr. , DW II -. . Eckhart, Pr. , DW II ,-,; trans. : Dar nâch offenbârte er sich ir al einzelen. Hæte er sich ir zemâle geoffenbâret, dô si an der begerunge was, si wære gestorben von vröuden. Weste diu sêle, wanne got in sie træte, si stürbe von vröuden; weste ouch si, wanne er von ir vert, si stürbe von leiden. Si enweiz, wanne er kumet oder wanne er vert. Si entsebet wol, wanne er bî ir ist. . Vgl. Eberhard Winkler, Exegetische Methoden bei Meister Eckhart, Beiträge zur Geschichte der biblischen Hermeneutik (Tübingen, ), -, der auf Eckharts Erklärung im Rahmen seiner Verteidigung im Kölner Prozeß hinweist: ‚Processus Coloniensis contra magistrum Echardum, Responsio ad articulos sibi impositos‘, in Acta Echardiana n. , LW V ,-. . Mechthild von Magdeburg, Das fließende Licht der Gottheit, mhdt.-nhdt., ed. G. VollmannProfe, Bibliothek des Mittelalters (Frankfurt a.M., ). . Bardo Weiss, ‚Mechthild von Magdeburg und der frühe Meister Eckhart‘, Theologie und Philosophie (), -, besonders -, -. . Spr ,; Eckhart, Pr. , DW II -; trans. -; D. Mieth, ‚Religiöse Freiheit‘ (), -. . Eckhart, Pr. , DW II ,-,; trans. : Diz hûs meinet genzlîche die sêle, und die stîge des hûses bezeichent die krefte der sêle.
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Menschen steht zwischen Zeit und Ewigkeit, der körperlichen Welt und Gott: ‚daß die Seele mit den obersten Kräften die Ewigkeit, das ist Gott, berühre; mit den niedersten Kräften (hingegen) berührt sie die Zeit‘. Die Menschenseele braucht die (körperliche) Welt, ‚daß der Seele Auge geübt und gestärkt werde, auf daß sie das göttliche Licht aushalten könne‘. Das ‚Anrühren‘ Gottes mit den obersten Seelenkräften führt dazu, dass die Seele nach Gott gebildet wird, der nur sich selbst Bild ist, und ‚ihm in diesem Bilde gleich‘ ist. Die durch diese Gottesbegegnung dem Einfluss des Vergänglichen entzogene Seele kann durch die fünf Sinne die Welt wahrnehmen: ‚Ich bin des gewiß: was immer der gute Mensch sieht, davon wird er gebessert. Sieht er böse Dinge, so dankt er Gott, daß er ihn davor behütet hat, und bittet für jenen, in dem das Böse ist, daß Gott ihn bekehre. Sieht er Gutes, so begehrt er, es möchte an ihm vollbracht werden‘. Vieles Fasten, Wachen und andere aszetische Übungen nutzen nichts ohne Besserung des ganzen Verhaltens. Den Weg zu einer solchen Besserung illustriert der Meister durch ein nicht leicht verständliches Exempel: Ein Mann hatte einen Igel und beobachtete, dass dessen Fell und Ausrichtung ein Anzeichen für einen Wechsel der Windrichtung waren. Diese Information verkaufte der Mann (Segel-) Schiffern und wurde dadurch reich. Eckharts Nutzanwendung ist nicht . Eckhart, Pr. , DW II ,-; trans. : daz diu sêle mit den obersten kreften rüeret die êwicheit, daz ist got, und mit den nidersten kreften rüeret si die zît. Hierfür beruft sich Eckhart auf ‚ein alt meister‘, den wenig bekannten Alcher von Clairvaux (. Jahrhundert, Zisterzienser der zweiten Generation, dessen De spiritu et anima oft Augustinus zugeschrieben wurde). . Eckhart, Pr. , DW II ,-,; trans. : … daz der sêle ouge geübet und gesterket werde, daz si daz götlîche licht liden mac. Dass die geschaffene Welt zur Erkenntnis Gottes führt, findet sich öfter bei Meister Eckhart; siehe Pr. , DW II , App. , n. . . Eckhart, Pr. , DW II ,-,; trans. : Mit den obersten kreften rüeret diu sêle got; da von wirt si gebildet nâch gote. Got ist gebildet nâch im selben und hât sîn bilde von im selben und von niemanne mê. . Eckhart, Pr. , DW II ,-; trans. : Swenne in diu sêle rüeret mit rehter bekanntnisse, sô ist si im glîch an dem bilde. Dafür wird das Beispiel eines kräftig durch Wachs gedrückten Siegels angeführt, das das Wachs vollständig prägt (ibid. ,-). . Eckhart, Pr. , DW II ,-; trans. : Ich bin des gewis: swaz der guote mensche sihet, des wirt er gebezzert. Sihet er bœsiu dinc, er danket gote, daz er in dâ vor bewart hât und bitet vür jenen, daz in got bekêre, andem ez ist. Sihet er guotiu dinc, des gert er, daz ez an im volbrâht werde. . Vgl. Eckhart, Pr. , DW II ,-. Zu den Parallelen in Eckharts Werk vgl. ibid. , App. , n. . . Eckhart, Pr. , DW II ,-,. Parallele in Eckharts Johanneskommentar: In Ioh. n. , LW III ,-. Die (unzutreffende) zoologische Beobachtung findet sich erstmals bei Aristoteles, Historia animalium IX , b -. Sie ist von Avicenna und Albertus Magnus, De animalibus VIII, tr. , c. , n. , ed. H. Stadler (Münster, ), ,- übernommen worden; vgl. Quints Anmerkung in Pr. , DW II , App. , n. .
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gerade naheliegend: ‚So auch würde der Mensch wahrlich reich an Tugenden, wenn er prüfte, worin er am schwächsten wäre, auf daß er dafür Besserung schüfe und daß er seinen Fleiß daran kehrte, dies zu überwinden‘. Erst hier wird die heilige Elisabeth genannt als Vorbild für ein ganz auf Gott gerichtetes Leben: ‚Sie hatte auch ihre obersten Kräfte unserem Gott zugekehrt‘. Das wiederum wird zum Anlass, die höchsten Kräfte der Seele und ihr Wirken zu erläutern: Die höchsten Kräfte der Seele sind drei. Die erste ist Erkenntnis; die zweite ist irascibilis, das ist eine aufstrebende Kraft; die dritte ist der Wille. [] Wenn die Seele sich der Erkenntnis der rechten Wahrheit hingibt, der einfaltigen Kraft, in der man Gott erkennt, dann heißt die Seele ein Licht. Und auch Gott ist ein Licht, und wenn das göttliche Licht sich in die Seele gießt, so wird die Seele vereint wie ein Licht mit dem Lichte. Dann heißt es ein Licht des Glaubens, und das ist eine göttliche Tugend. Und wohin die Seele mit ihren Sinnen und Kräften nicht kommen kann, da trägt sie der Glaube hin. [] … die aufstrebende Kraft; deren Werk ist es recht eigentlich, daß sie nach oben strebt. … In dieser Kraft wird Gott in der Seele ergriffen, soweit es (überhaupt) der Kreatur möglich ist, und im Hinblick darauf spricht man von der Hoffnung, die auch eine göttliche Tugend ist. … [] Die dritte Kraft, das ist der innere Wille, der wie ein Antlitz allezeit in göttlichem Willen Gott zugekehrt ist und aus Gott die Liebe in sich schöpft. Da wird Gott durch die Seele gezogen, und die Seele wird gezogen durch Gott, und das heißt eine göttliche Liebe, und auch das ist eine göttliche Tugend. . Eckhart, Pr. , DW II ,-; trans. : Alsô würde der mensche wærliche rîche an tugenden, daz er prüefte, da er aller krenkest an wære, daz er dâ zuobüezte und daz er sînen vlîz dâ zuo kêrte daz er daz überwünde. . Eckhart, Pr. , DW II ,; trans. : Daz hât vlîzelîche getân sant Elizabêt: ‚Das nun hat emsig Sankt Elisabeth getan‘. . Eckhart, Pr. , DW II ,; trans. : Si hâte ouch ir obersten krefte zu unserm got gekêret. . Eckhart, Pr. , DW II ,-,; trans. -: Der hœhsten krefte der sêle der sint drî: diu êrste ist bekanntnisse, diu ander irascibilis, daz ist ein ûfkriegendiu kraft; daz dritte ist der wille. [] Swenne sich diu sêle ziuhet an die bekantnisse der rehten wârheit, an die einvaltige kraft, dâ man got ane bekennet, dâ heizet diu sêle ein licht. Und got ist ouch ein licht; und swenne sich daz götlîche licht giuzet in die sêle, so wirt diu sêle mit gote vereinet als ein licht mit lichte; sô heizet es ein licht des glouben, und daz ist ein götlîchîu tugent. Und dar diu sêle mit irn sinnen noch kreften niht komen enmac, dâ treget sie der gloube hine. – [] Daz ander ist diu ûfkriegende kraft, der werk ist daz
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Geschickt verbindet Meister Eckhart hier die traditionelle Lehre von den drei göttlichen Tugenden Glaube, Hoffnung und Liebe mit seiner Lehre von der Einung des Menschen mit Gott. In der abschließenden Anwendung auf Sankt Elisabeth spricht er ihr in ihrer Verbindung von Glaube, Hoffnung und Liebe die in Aktion überfließende vollendete Kontemplation zu: Und als ihr der äußere Trost abging, da floh sie zu ihm, zu dem alle Kreaturen fliehen, und verachtete die Welt und sich selbst. Damit kam sie über sich selbst und verachtete es, daß man sie verachtete, so, daß sie sich darüber nicht bekümmerte und ihre Vollkommenheit nicht aufgab. Sie begehrte danach, kranke und schmutzige Menschen waschen und pflegen zu dürfen mit reinem Herzen. Diese in der Hinwendung auf Gott keineswegs weltabgewandte Haltung wünscht Meister Eckhart seinen Hörerinnen, Hörern und sich selbst: ‚Daß auch wir ebenso die „Stege unseres Hauses ableuchten und unser Brot nicht müßig essen“, dazu helfe uns Gott. Amen‘. . Ein Himmelreich für einen Trunk Wasser In der von Georg Steer edierten Predigt zum . Adventssonntag, die sich auch als erste in der Sammlung Paradisus animae intelligentis findet, stellt Meister Eckhart in einer dreifachen Steigerung die jämmerliche eigentliche, daz si ûfkriegende ist. … An dirre kraft wirt got begriffen an der sêle als verre, als ez der crêatûre mügelich ist, und sô heizet ez ein hoffnunge, daz ist ouch ein götlîch tugent (ibid. ,-; ,,). [] Diu dritte kraft daz ist der inwendige wille, der als ein antlütze alle zît ze gote gekêret ist in götlichem willen und schepfet von gote die minne in sich. Dâ wirt got gezogen durch die sêle und diu sêle wirt gezogen durch got und heizet ez ein götlîchîu minne, und daz ist ouch ein götlîchîu tugent (ibid. ,-). Bemerkenswert ist, dass für die Parallelisierung der höchsten Seelenkräfte und der göttlichen Tugenden der Wille in die vis irascibilis und die hier nur ausschließend ‚Wille‘ genannte vis concupiscibilis aufgeteilt wird. . Eckhart, Pr. , DW II ,-; trans. : Und dô ir der ûzwendic trôst abegie, dô vlôch si ze dem alle crêatûren vliehent, und versmâhte die werlt und sich selben. Dâ mite kam si über sich selben und versmâhte daz man si versmâhte, also daz si sich dâ mite niht enbewar und daz si volkomenheit dar umbe niht enliez. Si gerte des, daz si sieche und unvläetige liute waschen und handelen müeste mit einem reinen herzen. . Eckhart, Pr. , DW II ,-; trans. ibid. : Daz wir alsus umbeliuhten die stîge unsers hûses und unser brôt niht müezic essen, des helfe uns got. Amen. . Eckhart, Pr. , DW IV, -; zur Ansetzung vgl. Loris Sturlese, in id., Meister Eckhart: Le prediche sul tempo liturgico (Milano, ), .
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Situation des Menschen dar, der sich fern von Gott fühlt: Ohne Gott kann kein Mensch selig sein, ja, überhaupt nicht wirklich sein, und schließlich ist es das Jämmerlichste, dass er fern von Gott ist, der die ewige Seligkeit des Menschen ist. Die gute Botschaft [des Propheten] in dieser beklagenswerten Lage ist: Gott verlangt vom Menschen nichts Unmögliches. ‚Denn das ist wahr, dass Gott sein Himmelreich gibt für einen kalten Trunk Wasser, der in der rechten Absicht dargeboten wird; das genügt. Und ich nehme es auf meine Seele: Wer in der ewigen Liebe, in der Gott Mensch geworden ist, einen guten Gedanken darbringt, der wird gerettet‘. Wir haben hier eine Ähnlichkeit mit den sogenannten Alberti-Tafeln, wo es unter anderem heißt: ‚Wer Gott Stätte und Reue gibt, damit er in seinem Herzen und seiner Seele wirken kann, das ist Gott löblicher und den Menschen nützer, als wenn er von einem Ende der Welt bis ans andere ginge‘. Doch noch stärker knüpft der ‚Trunk kalten Wassers‘ an die Verheißung himmlischen Lohns in Mt ,/Mk , an: ‚Wer einem von diesen Kleinen auch nur einen Becher frisches Wasser zu trinken gibt, weil es ein Jünger ist – amen, ich sage euch: Er wird gewiss nicht um seinen Lohn kommen‘. In Meister Eckharts Auslegung ist das universalisiert und hier mit der Gerichtsrede Jesu nach Mt ,- verbunden. Gott will nicht übermenschliche Vollkommenheit, sondern das ‚reine Herz‘, die rechte Gesinnung, die seine Liebe beantwortet. Wer das auch nur ansatzweise lebt, braucht sich nicht vor Tod und Teufel zu fürchten, nicht vor sich selbst, seinen eigenen Schwächen, und nicht vor Gottes Gericht. In der Predigt , ebenfalls aus dem Paradisus animae, wird dieses Thema im Rahmen von Trostworten gegen die Angst vor dem Tod in einer dramatischen Formulierung aufgenommen: . Eckhart, Pr. , DW IV, ,-. . [D]az der mensche von dem ist , âne den er kein wesen gehaben mac (Eckhart, Pr. , DW IV, ,-). . Vgl. Eckhart, Pr. , DW IV, ,. . Wan daz ist wâr, daz got gibet sîn himelrîche umbe einen kalten trunk wasserz und an einem guoten herzen. Dâ mite ist ez genouc. Und ich nime ez ûf mîn sele: Wer einen guoten gedank opfert in der êwigen minne, dâ got inne mensche ist worden, der wirt behalten (Eckhart, Pr. , DW IV, ,-; trans. d. Vf.). . Albertus Magnus: Ausstellung zum . Todestag [Katalog], Historisches Archiv der Stadt Köln (Köln, ), n. . . Dar umbe endarf der mensche niht vorhten den tiuvel noch die werlt och sein eigen vleisch noch unsern herren got (Eckhart, Pr. , DW IV, ,-).
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Ich setze mîne sele ze pfande an dem jüngesten tage ze der helle ze gebenne, daz diz wâr sî, daz ich nû sprechen wil: ob alliu diu kraft aller selen und aller engel und aller crêatûren zemâle geachtet waere ûf eine sêle, si enmöhte daz minste lôn eines guoten gedanken niht empfâhen, der in der êwigen liebe gedâht wirt, si mueste zerglîten und zervliezen und sterben. . Eckhart spricht als Provinzial über Seelsorge Die auf Beschluss des Generalkapitels von nach einem zweijährigen Vorlauf durch Abteilung von der Teutonia entstandene Ordensprovinz Saxonia wählte Meister Eckhart zu ihrem ersten Provinzial. Als Provinzial hatte Eckhart Visitationsreisen zu unternehmen – zu Fuß. Jährlich hatte er das jeweils an einem anderen Ort stattfindende Provinzkapitel vorzubereiten und zu leiten und alle drei Jahre an dem Generalkapitel der Provinziale teilzunehmen. Humbertus de Romanis beschreibt in seinem offiziösen Werk De officiis ordinis die Pflichten eines Provinzials. Er muss ein Mann des Gebetes sein, nicht übereilt in seinem Handeln, und soll gute Verfügungen seiner Vorgänger fortführen. Die Feier der Liturgie und der aktuelle Stand der dafür nötigen Bücher soll ihm ein wichtiges Anliegen sein. Zum Wohl des Ordens muss er die Konvente und Mitbrüder seiner Provinz gut kennen und für ein friedliches Zusammenleben von Brüdern mit verschiedenen Interessen und unterschiedlichem Temperament sorgen, wie auch zwischen benachbarten Klöstern, anderen Ordensgemeinschaften und mit dem Weltklerus. Dafür sind häufige Visitationen nötig. Weiterhin hat er die Aufgabe, neue Klöster zu gründen und sie mit einer gut zusammenlebenden und -arbeitenden Gemeinschaft von
. Eckhart, Pr. , DW IV, ,-. Weniger dramatische Parallelen: id., Pr. , DW II ,-,; id., Pr. , DW IV, ,-,. . Wie ein Provinzkapitel ablief, ist eingehend beschrieben von Benedikt M. Reichert, ‚Feier und Geschäftsordnung der Provinzkapitel des Dominikanerordens im . Jahrhundert‘, Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und für Kirchengeschichte (), -. . Kap. II: Humbertus de Romanis, Expositio (), II -. Der Gesetzestext De potestate prioris provincialis findet sich in Constitutiones antiquae OP, d. II, c. ; ed. A.H. Thomas (), -. . Humbertus de Romanis, Expositio (), II, n° , . . Ibid. n° , .
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Brüdern zu bestücken. Er soll nicht ohne Not Schwächen einzelner Brüder oder Häuser anderen offenbaren. Fehlhandelnde muss er korrigieren und, wo das nicht möglich ist oder man ihm nicht gehorcht, dem Provinz- oder in gravierenden Fällen dem Generalkapitel melden. Schlechte Prioren und andere Amtsträger soll der Provinzial absetzen. Er suche, gerecht und voll brüderlicher Liebe zu allen Brüdern zu sein, die Schwachen zu ermutigen, die gut Arbeitenden zu bestärken, die fehlhandelnden Brüder zu bessern. ‚Gefährliche‘ und ungehorsame Brüder sind dorthin zu versetzen, wo sie keinen großen Schaden anrichten können, sich schwer Vergehende müssen sogar gefangengesetzt werden. Er selbst oder von ihm bestellte Visitatoren sollen nachprüfen ‚ob die Brüder in beständigem Frieden leben, ausdauernd im Studium sind und eifrig in der Predigt, wie ihr Ruf ist, welche Früchte , ob die Regeln des Ordens befolgt werden, was Nahrung, Kleidung und anderes angeht‘. Als Provinzial der Saxonia hielt Meister Eckhart anlässlich eines Provinzkapitels zwei Predigten über Sir ,-, die uns in offenbar nachträglich redigierter Form zusammen mit jeweils einer Vorlesung zur Auslegung der Schriftworte und dem Kommentar zum Buch der Weisheit erhalten sind. Joseph Koch dachte an zwei verschiedene Kapitel, doch die Geschäftsordnung verlangte ausdrücklich eine Predigt des Provinzials am ersten und eine weitere, die er allerdings delegieren konnte, am zweiten Tag. Die erste Auslegung hat den Anspruch an den Predigerbruder zum Thema: ‚Wir sind Christi Wohlgeruch‘. Der rechte Prediger beabsichtigt nichts außer Christus. Das Wohlriechende wird mit einem Beispiel weiter erläutert: . Ibid. n° , -. . Ibid. n° , . . Ibid. n° , -. . Ibid. n° , -. . … referre debent de hiis, quos visitaverint, fratribus, si in pace continui, in studio assidui, in predicatione ferventes, que de eis fama, quis fructus, si in victu et vestitu et in aliis secundum tenorem institutionum ordo servetur (Constitutiones antiquae OP, d. II, c. ; ed. A.H. Thomas [], ,-,). Das gilt auch für den Provinzial auf Visitation. . B.M. Reichert, ‚Feier‘ (), ; , n° I, und II,; , n° I,; , n° II,. . Alessandra Beccarisi, Eckhart (Roma, ), -. . Joseph Koch, ‚Kritische Studien zum Leben Meister Eckharts‘, in id., Kleine Schriften I, Storia e letteratura (Roma, ), -, -; zur Geschäftsordnung siehe B.M. Reichert, ‚Feier‘ (). . Kor ,-.
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Wirte, die zu ihrem eigenen Nutzen und Gewinn die Vorüberziehenden zu ihren Herbergen rufen und einladen, pflegen … ihnen Bequemlichkeiten zu versprechen, die erfahrungsgemäß Reisende und solche, die schwere Mühen hinter sich haben, schätzen und lieben. … Solche Wirte empfehlen daher Stallung, Futter, Wein, den Speisesaal und dergleichen mehr und versprechen das alles zu einem billigen Preis. Der Herr lädt ein zum Wasser des Lebens und verspricht Wein und Milch – ohne jede Bezahlung. Er verheißt dreierlei, was alle lieben: die Reinheit des Geliebten, seine Fülle und seine Lieblichkeit. Auch wenn der heilige Dominikus für das Selbstverständnis des Ordens der Predigerbrüder nicht die überragende zentrale Bedeutung hat wie der heilige Franziskus für die Minderbrüder, ist die Evokation der Ideale des Gründers durch Meister Eckhart deutlich: die Bedeutung des eigenen Lebenszeugnisses für die Glaubhaftigkeit der Predigt des Predigerbruders: ‚Ihr seid Christi Wohlgeruch‘. Geschickt nutzt der Provinzial hierzu die Schrifttexte der Liturgie. Scheinbar unvermittelt fügt Eckhart dieser Predigt einen letzten Teil an, in dem er das Schriftwort auf Maria, ‚Mutter der fleischgewordenen Weisheit‘, auslegt. Diese marianische Wendung – am . September, dem Fest Mariä Geburt, traditionell erster Tag der deutschen Provinzkapitel – lässt sich als Bezug auf Maria als Protektorin des Predigerordens verstehen. Auch die zweite Kapitelspredigt zum Thema ‚Mein Geist ist weit süßer als Honig‘ ist zunächst in eine direkt auf Christus bzw. die göttliche Weisheit und indirekt auf die Prediger bezogene Auslegung und in eine marianische aufgeteilt. Nach den üblichen drei Jahren in Paris finden wir Eckhart und wiederum und in Straßburg bezeugt. Da an anderer Stelle bereits eingehend behandelt, sei hier nur erwähnt, dass die opinio communis in der älteren Literatur, Meister Eckhart sei während dieser ganzen Zeit in Straßburg und von dort aus als vom Generalmeister der Dominikaner speziell Beauftragter in der Nonnen- und Beginenseelsorge tätig
. Eckhart, Super Eccl. n. , LW II ,-; trans. ibid. . Eckhart, Super Eccl. n. , LW II ,-; trans. ibid.; Anspielung auf Jes ,. Vom hl. Dominikus heißt es in der am Schluss der Komplet gesungenen Antiphon O lumen ecclesiae: Aquam sapientiae propinasti gratis. . Eckhart, Super Eccl. n. , LW II ,-,. . Spiritus meus super mel dulcis; Sir ,; Eckhart, Super Eccl. nn. -, LW II -.
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gewesen, aufgrund jüngerer Forschungen nicht mehr so sicher erscheint. Auch wenn der Meister nicht geraume Zeit Vikar des Ordensmeisters für die Dominikanerinnen Oberdeutschlands gewesen sein sollte, hieße es allerdings das Kind mit dem Bade auszuschütten, wollte man ihm Ordensschwestern als Predigtpublikum und seelsorgliche Gesprächspartnerinnen gänzlich absprechen. Spätestens treffen wir Meister Eckhart in Köln; dass er Leiter des dortigen Generalstudiums der Dominikaner gewesen sei, ist bloße Vermutung. Gesichert ist dagegen – womöglich bereits zuvor in Straßburg – seine Auseinandersetzung mit der sogenannten ‚Sekte vom Freien Geist‘ – nicht mit Feuer und Schwert, sondern mit der Kraft von Argumenten. Besonders deutlich wird das in einer Predigt zum Fest Christi Himmelfahrt, die allerdings nicht sicher in diese Kölner Zeit situiert werden kann, in der es heißt: ‚Nun sprechen etliche Menschen: „habe ich Gott und Gottes Liebe, so mag ich wohl alles tun, was ich will“. Dieses Wort verstehen sie unrecht. Solange du noch irgend etwas vermagst, was gegen Gott und seine Gebote ist, so hast du Gottes Liebe nicht; du magst die Welt vielleicht täuschen, als habest du sie‘. Jedenfalls hat er in Köln in verschiedenen Kirchen gepredigt und ist dort wegen gerade auch in diesen Predigten vorgetragener Thesen von zweien seiner eigenen Mitbrüder vor dem erzbischöflichen Gericht denunziert worden. Dass ihn sein Orden dabei im Stich gelassen habe, lässt sich nicht sagen. Auch nach seinem Tod wurde seiner als eines ‚gelehrten und heiligen Mannes‘ gedacht. . J. Koch, ‚Kritische Studien‘ (), besonders ; K. Ruh, Meister Eckhart (), ; Eugen Hillenbrand, ‚Der Straßburger Konvent der Predigerbrüder in der Zeit Eckharts‘, in K. Jacobi (ed.), Meister Eckhart: Lebensstationen – Redesituationen (), -; Marie-Anne Vannier, Eckhart à Strasbourg (Strasbourg, ), -. . L. Sturlese, ‚Meister Eckhart und die cura monialium‘ (), ; W. Senner, ‚Meister Eckharts Straßburger Ordensauftrag‘, in A. Quero-Sánchez und G. Steer (eds), Eckharts Straßburger Jahrzehnt (), -. Siehe auch oben Abschnitt . . Vgl. W. Senner, ‚Meister Eckhart in Köln‘ (), -. . Vgl. ibid. -; vgl. auch id., ‚Meister Eckhart und der „Freie Geist“‘, Meister-EckhartJahrbuch (Stuttgart, ), -. . Eckhart, Pr. , DW II ,-; trans. . . Walter Senner, ‚Meister Eckharts Prozesse‘, in D. Mieth und B. Müller-Schauenburg (eds), Mystik, Recht und Freiheit (), -, -; id., ‚Meister Eckhart’s Life, Academic Career, and Process‘, in J. Hackett (ed.), Companion to Meister Eckhart (Leiden [u.a.], ), -, -. . W. Senner, ‚Meister Eckharts Prozesse‘ (), -, -; id., ‚Meister Eckhart’s Life‘ (), -. . W. Senner, ‚Meister Eckharts Prozesse‘ (), -, -; id., ‚Meister Eckhart’s Life‘ (), .
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. Meister Eckhart und die Ordensspiritualität Die Lebensform des Ordens der Predigerbrüder ist durch die Synthese von Kontemplation und Aktion geprägt, für die Thomas von Aquin die treffende Kurzformel ‚betrachten und das Betrachtete anderen mitteilen‘ gefunden hat. Meister Eckharts am weitesten verbreitetes Werk sind die nachmals so genannten Reden der Unterscheidunge, entstanden als geistliche Vorträge (collationes) für seine Klostergemeinschaften, aber in ihren Beobachtungen und Empfehlungen nicht auf Ordensleute beschränkt: Die Menschen sagen: ‚ei, Herr, ich wollte gerne, daß mir so wohl mit Gott wäre und ich so viel Andacht hätte und Friede mit Gott, wie andere‘ … oder: ‚es wird mit mir nimmer recht , ich müßte denn dort oder dort sein … im Elend, oder in einer Klause oder in einem Kloster‘. In Wahrheit, das bist du alles selber und nichts anderes. … nimmer kommt ein Unfriede in dir auf, es komme denn von eigenem Willen, … du bist es in den Dingen selber, was dich hindert. Darum appelliert der Meister: ‚hebe an dir selber an zu dem Ersten und laß dich‘. Alois Haas sieht das als ‚das wohl radikalste Zeugnis christlicher Introversionsmystik‘, und Kurt Ruh bemerkte: ‚Er stellt hohe und höchste Anforderungen an den Christenmenschen, der nach dem „rechten“ Leben, einem Leben in Gott, strebt. Doch es sind Anforderungen ohne jegliche asketische Härte‘. Seel. Contemplari et contemplata aliis tradere. Summa theologiae IIa IIae, q. , a. , co. Siehe auch oben Abschnitt .. . In der Folge abgekürzt RdU, in DW V -; trans. -. Siehe auch K. Ruh, Meister Eckhart (); zu meiner etwas abweichenden Auffassung ihres ‚Sitzes im Leben‘ vgl. Walter Senner, ‚Die Rede der unterscheidunge als Dokument dominikanischer Spiritualität‘, in A. Speer und L. Wegener (eds), Meister Eckhart in Erfurt, Miscellanea Mediaevalia (Berlin, ), -. . Eckhart, RdU , DW V ,-,; trans. -: Die menschen sprechent: ‚eya, herre, ich wölte gerne, daz mir alsô wol mit gote wære und alsô vil andâht hæte und vride mit gote, als ander liute hânt, und wölte, daz mir alsô wære oder ich alsô arm sî‘, oder: ‚mir enwirt niemer reht, ich ensî denne dâ oder dâ und tuo sus oder sô, ich muoz in ellende sîn oder in einer klûsen oder in einem klôster. In der wârheit, diz bist dû allez selber und anders niht zemâle. … niemer enstât ein unvride in dir ûf, ez enkome von eigenem willen … dû bist ez in den dingen selber, daz dich hindert, wan dû heltest dich unordentliche in den dingen. . Eckhart, RdU , DW V ,; trans. : Dar umbe hebe an dir selber an ze dem êrsten und lâz dich. Vgl. auch ibid. ,-: Nim dîn selbes war … swâ dû dich vindest, dâ lâz dich, daz ist daz aller beste. . Alois M. Haas, Nim din selbes war (Freiburg i. Ue., ), . . Kurt Ruh, Geschichte der abendländischen Mystik, Bd. : Die Mystik des deutschen Predigerordens und ihre Grundlegung durch die Hochscholastik (München, ), .
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sorge, wenn sie nicht billige Vertröstung sein soll, geschieht aus einer solchen Grunderfahrung und ist Ermutigung zu ihr, zu einem ‚Leben aus dem Grunde des Lebens‘. Ein gründlicher Durchgang auf seelsorgliche Motive durch alle Werke konnte hier nicht geleistet werden, doch auch wenn Meister Eckharts seelsorgliches Wirken sich aus der Natur der Sache direkter historischer Kenntnis entzieht, hoffe ich, ein paar Indizien dafür zusammengetragen zu haben, dass wir in ihm nicht nur den großen theologischen und philosophischen Theoretiker und den bei allen spekulativen Höhenflügen nüchternen Mystiker sehen können, sondern auch und gerade den verständnisvollen Seelsorger.
. Karl-Heinz Witte, Meister Eckhart: Leben aus dem Grunde des Lebens. Eine Einführung (Freiburg i. Br., ). Nicht von ungefähr ist ‚die Erfahrungsweise, die der Mystik zugrunde liegt, auch in der Psychoanalyse anzutreffen‘ (ibid. ).
Eckhart als Exeget? LUDGER SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER UNIVERSITÄT WIEN, ÖSTERREICH Abstract This contribution critically discusses the assertion expressed by Kurt Flasch that Eckhart’s exposition of Scripture does not represent exegesis in its true sense. Flasch is of the opinion that the designation of Eckhart as exegete is misleading. Contrary to this opinion, Reiner Manstetten and others argue that without his exposition of Scripture, Eckhart’s philosophy remains incomprehensible. Against the backdrop of this controversy, we here propose that Eckhart’s exegesis is to be understood as an interpretation of Scripture permeated both by illuminative and discursive elements, which places him firmly within a widely approbated Christian tradition. Eckhart, however, utilizes and develops this tradition in a very definite own manner. From the onset, Christian tradition is informed by the knowledge that the reading of Scripture is closely associated with an intuitive comprehension of its truths. These processes of reading and intuitive comprehension may be distinguished, but ultimately are not to be separated from each other. Eckhart’s genius lies in his unobtrusive coupling of the illuminative and the exegetical-speculative aspects of Scriptural interpretation. While accounting for the philosophical-theological controversies of the twelfth and thirteenth centuries, Eckhart presents an innovative synthesis of monastic and scholastic theology in a thoroughly thought-through yet speculative form. He thus marries Scriptural interpretation and the philosophical-speculative permeation of its very content, pointing out that his teaching can, ultimately, only be understood when it is also practised. This, in turn, is reminiscent of the close connection between practice and understanding, which is a constitutive element of the classical model of Christian Scriptural hermeneutics. This contribution further investigates whether – and if so, to what degree – the tradition of spiritual exercises may be presupposed in Eckhart’s work. Furthermore, if present, what is the extent of the influence of this tradition on the understanding of Holy Scripture? Eckhart’s reading of
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the pericope on Martha and Mary illustrates that he most certainly comprehended the meaning of the text, even by the standards of modern exegesis. Einführung
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ie erhaltenen lateinischen Werke Meister Eckharts sind zum überwiegenden Teil Bibelkommentare. In den meisten seiner Schriften legt Eckhart die Bibel aus. In den deutschsprachigen Predigten nimmt er in aller Regel ein Wort der Heiligen Schrift zum Ausgangspunkt seiner Gedankenführung, und auch seine deutschsprachigen Traktate weisen durchgehend einen starken Schriftbezug auf. Vor diesem Hintergrund ist das Urteil Kurt Ruhs verständlich: ,Eckhart muss in der Exegese die Mitte seiner theologischen Arbeit gesehen haben.‘ Dem hat Kurt Flasch widersprochen. Eckhart, so Flasch, war weder Exeget noch Mystiker, sondern Philosoph, ,Philosoph des Christentums‘. Eckhart, dem ,Theologen, Prediger und Mystiker‘ – so der Titel des Buches von Kurt Ruh – stellt Kurt Flasch Eckhart den Philosophen entgegen. Natürlich weiß auch Flasch, dass Eckhart ständig die Bibel auslegt: ,De facto kommentiert Eckhart die Bibel. Nur käme es dann darauf an, die besondere Art von Eckharts Bibelerklärung abzugrenzen … Eckharts Schriftdeutung war keineswegs die um allgemein übliche Exegese … Man muss sich die „Exegese“ Eckharts einmal näher ansehen, um zu begreifen, wie leer und irreführend der Titel „Exeget“ in seinem Falle wird … Manchmal stellt der „Exeget“ Eckhart die Aussage der Bibel geradezu auf den Kopf.‘ Ein Blick in die Werke der Auslegungs- und Rezeptionsgeschichte der Bibel scheint die These von Flasch zu bestätigen. Die Bibelwissenschaft hat in den zurückliegenden Jahren in dieser Hinsicht einen Lernprozess durchgemacht. Die noch vor einigen Jahren bei ihr häufig anzutreffende polemische Absetzung von der vormodernen Auslegungsgeschichte ist inzwischen einer selbstkritischen Nachdenklichkeit und einer gewissen
. Kurt Ruh, Meister Eckhart. Theologe, Prediger, Mystiker (München, ), . . So der programmatische Untertitel der breit diskutierten Monographie von Kurt Flasch, Meister Eckhart. Philosoph des Christentums (München, ). . Kurt Flasch, Meister Eckhart. Die Geburt der ,Deutschen Mystik‘ aus dem Geist der arabischen Philosophie (München, ), -; Hervorhebung im Original.
ECKHART ALS EXEGET?
Offenheit gewichen. Der Blick in die Auslegungsgeschichte ist in der zeitgenössischen Exegese nicht mehr durchgehend ein Blick zurück im Zorn. Rezeptions- und wirkungsgeschichtliche Studien gehören heute zum Selbstverständnis der Bibelwissenschaft. Meister Eckhart allerdings scheint vom neu erwachten Interesse an der Auslegungsgeschichte nicht zu profitieren. Bei dem Meister aus Erfurt praktiziert die Bibelwissenschaft den Geist der Abgeschiedenheit. In dem verdienstvollen fünfbändigen Werk Epochen der Bibelauslegung des Alttestamentlers Henning Graf Reventlow kommt Meister Eckhart nicht vor. Aus der Zeit des Mittelalters werden Abaelard, Rupert von Deutz, Hugo von Sankt Viktor, Joachim von Fiore, Thomas von Aquin und Bonaventura in je einem eigenen Kapitel vorgestellt, Meister Eckhart fehlt vollständig. Das gleiche Bild zeigt sich in der im Vergleich zu Reventlows Werk weitaus umfangreicheren vierbändigen Reihe Hebrew Bible / Old Testament. The History of Its Interpretation. Darin wird Eckhart nur einmal kurz erwähnt, während andere mittelalterliche Autoren ausführlich behandelt werden. Ebenso sucht man bei Beryl Smalley nach Eckhart vergebens. Im vierbändigen Klassiker zur mittelalterlichen Exegese von Henri de Lubac finden sich nur vereinzelt Hinweise auf Eckhart. Auch unter Eckhart-Experten, die den Meister und seine Lehre schätzen, wird die Schriftauslegung des Dominikaners gewöhnlich als merkwürdig angesehen. So fragt Josef Koch, einer der Herausgeber der Lateinischen Werke, in einem Aufsatz aus dem Jahre , ‚wer eigentlich diese merkwürdigen Schriftauslegungen lesen mag. Denn bei aller Verehrung für den alten Meister kann ich es mir nicht verhehlen, daß auch ein theologisch und philosophisch gebildeter Leser unserer Tage nur schwer einen Zugang zu dieser Art Exegese findet.‘ Selbst wer . Henning Graf Reventlow, Epochen der Bibelauslegung, Bd. II: Von der Spätantike bis zum Ausgang des Mittelalters (München, ). . M. Sæbo (ed.), Hebrew Bible / Old Testament. The History of Its Interpretation, vol. I/: The Middle Ages (Göttingen, ), -. . Beryl Smalley, The Study of the Bible in the Middle Ages (Notre Dame, ). . Vgl. Henri de Lubac, Exégèse médiévale. Les quatre sens de l’Écriture (Paris, -), Bd. II/, -, -, , . In der von Rudolf Voderholzer herausgegebenen Werkauswahl kommt Meister Eckhart auch nicht vor: Henri de Lubac, Typologie, Allegorie, Geistiger Sinn. Studien zur Geschichte der christlichen Schriftauslegung. Aus dem Französischen übertragen und eingeleitet von Rudolf Voderholzer (Einsiedeln, Freiburg, ). . Josef Koch, ,Sinn und Struktur der Schriftauslegungen‘, in U.M. Nix und R. Öchslin (eds), Meister Eckhart der Prediger. FS zum Eckhart-Gedenkjahr (Freiburg, ), .
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grundsätzlich gegenüber der Schriftauslegung eines Augustinus und eines Thomas von Aquin aufgeschlossen ist, wird bei Eckhart ins Stocken geraten. Zwei grundlegende Aufsätze zur Schriftauslegung Meister Eckharts verdanken wir Reiner Manstetten. Ich möchte daraus einen Aspekt herausgreifen und vertiefen. Eckharts Werk, so Manstetten, ,lässt sich nicht ohne den Hintergrund einer intensiven Bibellektüre verstehen‘. Damit ist das Stichwort der folgenden Erörterungen genannt: intensive Bibellektüre. Dass Eckhart die Bibel sehr gut kannte und sie deshalb auch häufig zitierte, dürfte unbestritten sein. Folglich muss er sie auch intensiv gelesen haben. Ob und gegebenenfalls wie diese Lektüre mit seiner Philosophie und seiner philosophischen Exegese in Zusammenhang steht, bleibt jedoch höchst umstritten. Nach dem Urteil von Kurt Flasch hat die Schriftauslegung Meister Eckharts nichts mit Exegese im eigentlichen Sinn des Wortes zu tun. Flasch hat richtig erkannt, dass bei Eckhart die Philosophie der Bibelauslegung vorgeordnet ist. Er zeigt dies anhand des Aufbaus des Dreiteiligen Werks (Opus tripartitum). Die drei Teile bilden die Abfolge: ‚Thesen – Fragen – Auslegungen‘ (Opus propositionum – Opus quaestionum – Opus expositionum). Das Opus expositionum befasst sich mit der Schriftauslegung und steht an dritter Stelle. Dazu schreibt Flasch: Seine [= Eckharts, L.S.S.] entwickelte Gesamtkonzeption erschließt die Heilige Schrift auf neue Weise. Sie löst Schwierigkeiten leicht auf und ermöglicht so eine philosophisch argumentierende Neufassung der christlichen Lehre … Was den geplanten Aufbau angeht, so schärft Eckhart ein: Die beiden letzten Teile hängen vom ersten Teil ab. Der zweite und der dritte Teil haben ohne den ersten kaum Wert … Man muss sich über die fromme Dreistigkeit derjenigen Eckhartdeuter wundern, die sich über diese logische Verknüpfung, die Eckhart so sorgfältig und ausdrücklich vorgenommen hat, glauben hinwegsetzen zu können und sagen, die Bibelauslegung sei bei ihm . Reiner Manstetten, ,Die Gleichnisse bewahren die Wahrheit, die Wahrheit zerbricht die Gleichnisse: Meister Eckharts Programm der Bibelauslegung‘, in H.-J. Röllicke (ed.), Auslegung als Entdeckung der Schrift des Herzens (München, ), -; id., ,Meister Eckharts Verfahren der Schriftauslegung‘, in G. Bonheim und P. Kattner (eds), Mystik und Schriftkommentierung, BöhmeStudien – Beiträge zu Philosophie und Philologie (Berlin, ), -. . R. Manstetten, ,Die Gleichnisse bewahren die Wahrheit‘ (), .
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das Entscheidende. Sie ist ihm wichtig, wie die Tatsache zeigt, dass er sie teilweise auch ausgeführt hat, aber sie ist argumentativ vom philosophischen Teil abhängig. Die Bibelauslegung in Rang und argumentativer Abfolge vor die Lehre von den Erstbestimmungen zu setzen, das heißt Eckhart widersprechen. Dies ist die Umformung des Eckhartschen Werks im Sinn einer biblizistischen protestantischen Theologie. Flasch legt großen Wert auf historisch korrekte Rekonstruktionen und warnt vor kurzschlüssigen Aktualisierungen Eckharts. Hier aber scheint ihm der Fehler unterlaufen zu sein, dass er ein Verständnis von Exegese, Philosophie und Mystik unterstellt, das der Tradition, in der Eckhart steht, nicht gerecht wird. Zu Recht sprechen Flasch und andere von einer philosophischen Bibelerklärung Eckharts. Man gewinnt bei Flasch jedoch den Eindruck, dass Eckhart seine Auslegung von außen an die Bibel herangetragen und folglich in sie hineingetragen habe, dass seine Auslegungen also nichts mit Exegese im eigentlichen Sinne des Wortes zu tun haben. Diese Deutung möchte ich im Folgenden in Frage stellen. Eckharts Lehre und Schriftauslegung sind auf das Engste miteinander verbunden. Eckhart selbst sagt es mehrfach und nachdrücklich. Er möchte zeigen, dass Philosophie und Offenbarung in Einklang miteinander stehen. Moses, Jesus und der Philosoph lehren dasselbe mit unterschiedlichen Worten und Graden der Gewissheit. Nach Reiner Manstetten sind ,Auslegung der Schrift und Weitergabe des eigenen Anliegens … bei Eckhart unlösbar verbunden. So kann man nicht über Eckharts Schriftauslegung sprechen, ohne gleichzeitig über seine Lehre zu sprechen. Das gilt allerdings auch umgekehrt: Eckharts Anliegen wird radikal verfremdet, wenn man versäumt, in seiner Gedankenführung die Beziehung zur Bibel mit zu denken‘.
. K. Flasch, Meister Eckhart. Philosoph des Christentums (), -. Zur ‚Wissenschaftsarchitektonik‘ Eckharts vgl. grundlegend: Martina Roesner, Logik des Ursprungs. Vernunft und Offenbarung bei Meister Eckhart (Freiburg, München, ), insbesondere -. . K. Flasch, Meister Eckhart. Philosoph des Christentums (), -, -. Vgl. Karl Albert, Meister Eckharts These vom Sein. Untersuchungen zur Metaphysik des ‚Opus tripartitum‘ (Kastellaun, ), : ,Bei Eckhart haben wir nun eine Theologie vor uns, die in vielem nichts anderes darstellt als gewissermaßen eine biblisch gegründete Philosophie.‘ . Eckhart, In Ioh. n. , LW III ,-. . R. Manstetten, ,Meister Eckharts Verfahren der Schriftauslegung‘ (), .
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Lectio divina Im Folgenden soll der Frage nachgegangen werden, wie diese Beziehung genauer zu denken ist. Es geht dabei um die Frage, ob es in der Tradition, in der Eckhart steht, nicht eine enge Verbindung zwischen der Lektüre der Heiligen Schrift und einem intuitiven Verständnis derselben gegeben hat, das einerseits aus der Lektüre der Heiligen Schrift hervorgeht und sich andererseits selbst wiederum auf das Verständnis der Schrift auswirkt. Die These, die hier zur Diskussion gestellt werden soll, lautet: Bei der philosophischen Schriftauslegung Eckharts handelt es sich nicht um eine Auslegung, die der Heiligen Schrift als etwas ihr Fremdes von außen her willkürlich zugetragen wird, sondern um eine Form der Auslegung, die aus der Lektüre der Heiligen Schrift selbst hervorgegangen ist. Um die These zu verstehen, ist daran zu erinnern, dass die Lektüre der Heiligen Schrift in der Tradition, in der Eckhart steht, in eine spirituelle Praxis eingebunden war, die auf das intuitive Erfassen der biblischen Wahrheit ausgerichtet war. Lektüre und Auslegung der Bibel waren der erste und grundlegende Schritt eines spirituellen Weges, der in der Kontemplation zur intuitiven Schau der göttlichen Wahrheit führte. Im Lichte dieser intuitiven Erkenntnis der göttlichen Wahrheit wiederum las und deutete man die Heilige Schrift. So entstand ein hermeneutischer Zirkel von lectio, meditatio und contemplatio, bei der das eine in das andere übergehen konnte. Eckhart liest die Schrift im Lichte einer ‚philosophischen Einsicht‘. Die philosophische Einsicht aber, in deren Licht er die Heilige Schrift liest, ist nicht ohne die Bibel zu verstehen. Der Zusammenhang von Exegese und philosophischer Betrachtung ist nach Auskunft von Beryl Smalley in den zwei ersten Jahrzehnten des . Jahrhunderts in Paris auseinandergebrochen. Dagegen richtet sich Eckhart, indem er betont, dass es nur eine Wahrheit gibt und dass Philosophie und Offenbarung einander nicht widersprechen können. Philosophie und Offenbarung artikulieren sich nach Eckhart lediglich in unterschiedlicher Weise. Die Wahrheit bedient sich in der Heiligen Schrift einer bildlichen Redeweise (parabolice). In der Exegese kommt es darauf an, ,den Kern der Schriften, Christus, die Wahrheit, die darin verborgen ist‘, zu finden. . B. Smalley, The Study of the Bible in the Middle Ages (), -. . Eckhart, In Gen. II n. , LW I, ,- (LWSA I ). . Eckhart, In Gen. II n. , LW I, , (LWSA I ).
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Damit knüpft Eckhart nach der Verurteilung des radikalen Averroismus von unter den veränderten Bedingungen des späten . und frühen . Jahrhunderts an das ältere Modell der patristischen Philosophie und Exegese wieder an, worauf vor allem Theo Kobusch und Martina Roesner hingewiesen haben. Bei Eckhart, so Kobusch, sind alle Einzeldisziplinen unter dem Dach der einen Philosophie vereinigt, die in patristischer Zeit ausdrücklich ‚christliche Philosophie‘ genannt worden war. Durch die Rezeption dieser Tradition hat Meister Eckhart seine deutlichste Kritik an Thomas und dem am aristotelischen Wissenschaftsbegriff orientierten Theologieverständnis seiner Zeit zum Ausdruck gebracht. Die christliche Philosophie Meister Eckharts, die in der Hl. Schrift und ihren Auslegungen greifbar ist, sieht sich in Übereinstimmung mit der paganen Philosophie, hier des Aristoteles, so wie die Patristik im großen und ganzen eine Übereinstimmung zwischen der christlichen und der nichtchristlichen, besonders der platonischen Philosophie gesehen hatte. Moses, Aristoteles und Christus unterscheiden sich nur graduell so wie das Glaubwürdige, das Wahrscheinliche und die Wahrheit. Ich möchte nun einen kurzen Einblick in die Geschichte jener Tradition geben, die den engen Zusammenhang zwischen Lektüre der Heiligen Schrift und kontemplativer Schau der ,göttlichen Dinge‘ (divina) betont hat. Aus dieser Tradition heraus lässt sich nicht nur die Verbindung von Exegese . Theo Kobusch, Die Philosophie des Hoch- und Spätmittelalters, in W. Röd (ed.), Geschichte der Philosophie, Bd. V (München, ), -, ; M. Roesner, Logik des Ursprungs (), : ,Auf den ersten Blick wirkt Eckharts philosophisch-theologischer Grundentwurf wie ein Anachronismus im Gesamthorizont der Scholastik des späten . und frühen . Jahrhunderts, und doch handelt es sich nicht einfach um eine Rückkehr zu älteren, bei seinen Zeitgenossen bereits überwundenen Modellen der Erkenntnistheorie und Wissenschaftsarchitektonik, sondern um einen Ansatz, der in seiner Zeit und zugleich doch quer zur Zeit steht. Eckhart weigert sich, die Gräben zu akzeptieren, die sich im Gefolge der Verurteilung von zwischen Theologie und Philosophie aufgetan haben, und entwickelt stattdessen ein alternatives Wissenschaftsmodell, das zeigt, wie man biblisch fundierte Theologie und platonisch-aristotelische Philosophie zueinander in Beziehung setzen und in einen Gesamtentwurf integrieren kann, ohne ihre jeweilige Eigenständigkeit zu gefährden.‘ . T. Kobusch, Philosophie des Hoch- und Spätmittelalters (), . M. Roesner, Logik des Ursprungs (), , Anm. stimmt dem grundsätzlich zu, betont jedoch stärker die Differenz zwischen Eckharts Projekt einer philosophischen Schriftauslegung und dem patristischen Konzept einer philosophischen Durchdringung christlicher Glaubensinhalte. Noch stärker betont K. Flasch, Philosoph des Christentums (), den Unterschied. Eckhart erdachte ,eine neue Auslegung des Christlichen und predigte eine neue Konzeption der christlichen Lebenspraxis‘.
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und Philosophie bei Meister Eckhart besser verstehen, sondern auch der Konflikt entschärfen, der um die Frage kreist, ob Eckhart ein Mystiker war. Denn die Kontemplation, die gemeinhin als die höchste Form christlicher Mystik angesehen wird, ist selbst philosophischen Ursprungs. Sie ist Ausdruck, nicht Widerpart der Vernunft. Die inhaltliche Umschreibung dessen, was in dieser Tradition unter Kontemplation verstanden wird, weist grundlegende Gemeinsamkeiten mit der Lehre des Meisters auf. Verständlich wird dabei allerdings auch, weshalb Eckhart in Theologie und Bibelwissenschaft ebenso wie in der kirchlichen Verkündigung im Unterschied zu seinem Ordensbruder Thomas von Aquin nicht traditionsbildend wurde. Die Einheit von philosophischer und theologischer Kontemplation zerbrach und wurde nicht mehr wirklich verstanden. Zugleich dürfte ebenso nachvollziehbar sein, dass Eckhart in jenen Kreisen auf besonderes Interesse stößt, in denen dieser verlorengegangene Zusammenhang wieder gesucht wird. Kontemplation Als eine Form aufmerksamer Beobachtung und Wahrnehmung ist die Kontemplation philosophischen Ursprungs. Gerne wird in diesem Zusammenhang auf Thales von Milet (ca. - v. Chr.) verwiesen, der – so weiß es eine Anekdote zu erzählen – in eine Grube fiel, als er in die Betrachtung des Himmels versunken war. Das dürfte aber wohl eine bösartige Unterstellung sein, da er sich den tiefer gelegenen dunklen . Die Frage, ob Eckhart ein Mystiker war, soll hier nicht diskutiert werden. Kurt Flasch hat sie entschieden verneint, dabei allerdings ein Verständnis von Mystik vorausgesetzt, das zwar bei denen, die Eckhart für einen Mystiker hielten, verbreitet war, das aber heute nicht mehr vorausgesetzt werden kann. Nur vor dem Hintergrund eines Verständnisses von Mystik als (ausschließlich) affektiver Mystik ist das Urteil von K. Flasch, Philosoph des Christentums (), zu verstehen: ,Mystikfreunden ist das Buch [scil. Reden der Unterweisung] nicht zu empfehlen. Sie wären irritiert, lesen zu müssen, dass sie bei allen Dingen (bî allen dingen) von ihrer Vernunft entschiedenen Gebrauch zu machen haben (c. DW V, ,-).‘ Vgl. auch T. Kobusch, Philosophie des Hoch- und Spätmittelalters (), : ,Die unselige moderne Diskussion um das Unangemessene des Mystikbegriffs im Hinblick auf das Denken Meister Eckharts geht davon aus, dass Philosophie und Mystik im Gegensatz zueinander stünden … Doch diese Unterscheidung widerspricht dem Geist der patristischen und übrigens auch: neuplatonischen Philosophie, nach dem das Mystische die höchste Stufe der Philosophie und die Metaphysik infolgedessen eine Art der „Mystagogie“ (so z. B. Gregor von Nyssa und Proclus) … darstellt.‘ . Vgl. Simon Peng-Keller, Kontemplation. Einübung in ein achtsames Leben (Freiburg, ), -.
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Beobachtungsraum wahrscheinlich bewusst ausgewählt hatte, weil von dort die Himmelserscheinungen besser zu beobachten waren. In ihrer klassischen christlichen Form ist die Kontemplation in eine spirituelle Praxis eingebunden, die mit der Lektüre der Heiligen Schrift beginnt. Es gibt unterschiedliche Differenzierungen und Zuordnungen der einzelnen Stufen. Ein verbreitetes Modell, das des Kartäusers Guigo II. (gest. ) aus der Mitte des . Jahrhunderts, kennt die vier Stufen: lectio – meditatio – oratio – contemplatio. Hugo von Sankt Viktor () fügt noch eine weitere Stufe hinzu, die des Handelns (operatio), und präsentiert die Abfolge: lectio – meditatio – oratio – operatio – contemplatio. Bonaventura (-) orientiert sich in seinem Werk De triplici via, wie der Name sagt, an den drei Stufen: meditatio – oratio – contemplatio. Es geht mir im Folgenden nicht um die Unterschiede zwischen den einzelnen Modellen, sondern um ihren gemeinsamen Grund. Dieser besteht darin, dass die Schriftlesung (lectio), so wie sie in der christlichen Tradition ursprünglich verstanden wurde, aus der inneren Logik ihres Vollzugs auf die Kontemplation hin ausgerichtet war. In der christlichen Tradition existierte eine Form der Schriftlektüre, die konstitutiv mit der Kontemplation in Verbindung stand. Meine These lautet, dass die beiden auf den ersten Blick disparat nebeneinanderstehenden Elemente von Schriftauslegung und spekulativer Theologie bei Eckhart vor dem Hintergrund dieses Modells zu verstehen sind. Die spekulative Theologie Eckharts wäre demnach ein Element, das der Schriftlektüre nicht als etwas Fremdes entgegensteht, sondern aus ihr hervorgegangen ist. Exegese, Mystik und Theologie stehen bei Eckhart nicht in Spannung oder gar Widerspruch zueinander, sondern bilden eine innere, sich wechselseitig durchdringende dynamische Einheit. Auf den bereits genannten Kartäuser Guigo II. gehen die sogenannte Scala Claustralium (‚Leiter für Ordensleute‘), auch unter dem Namen Scala paradisi (‚Leiter zum Paradies‘) bekannt, und die Epistola de vita contemplativa (‚Brief über das kontemplative Leben‘) zurück. Den über hundert überlieferten Handschriften nach zu urteilen, gehörte die um . Hugo von Sankt Viktor, Didascalicon de studio legendi / Studienbuch V , lat./dt., trans. und eingeleitet von T. Offergeld, Fontes Christiani (Freiburg, ), -. . Bonaventura, De triplici via / Über den dreifachen Weg, lat./dt., trans. und eingeleitet von M. Schlosser, Fontes Christiani (Freiburg, ), . . Vgl. H. de Lubac, Exégèse médiévale, Bd. I, (), -: ,Exégèse et contemplation‘.
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die Mitte des . Jahrhunderts verfasste Scala Claustralium zu den am meisten gelesenen spirituellen Schriften des Mittelalters. Guigo entwickelt in der Scala ein konzises System von aufeinander aufbauenden Stufen des geistlichen Lebens: Cum die quadam corporali manuum labore occupatus de spiritali hominis exercitio cogitare coepissem, quatuor spiritales gradus animo cogitandi se subito obtulerunt, lectio scilicet, meditatio, oratio, contemplatio. Haec est scala claustralium qua de terra in coelum sublevantur. Est autem lectio sedula scripturarum cum animi intentione inspectio. Meditatio est studiosa mentis actio, occultae veritatis notitiam ductu propriae rationis investigans. Oratio est devota cordis in Deum intentio pro malis removendis vel bonis adipiscendis. Contemplatio est mentis in Deum suspensae quaedam supra se elevatio, eternae dulcedinis gaudia degustans. [Als ich eines Tages bei der Handarbeit war, fing ich an, über die geistlichen Übungen des Menschen nachzudenken. Da kamen mir plötzlich vier geistliche Stufen in den Sinn: Lesung, Meditation, Gebet, Kontemplation. Das ist die Leiter, auf der die Mönche zum Himmel aufsteigen. Die Lesung ist das eifrige Studium der Heiligen Schrift mit wachsamem Geist. Die Meditation ist eine Verstandestätigkeit, um mit Hilfe der eigenen Vernunft eine verborgene Wahrheit zu entdecken. Das Gebet ist eine andächtige Hinwendung des Herzens zu Gott, um von Übeln befreit zu werden und Gutes zu erlangen. Die Kontemplation ist die Erhebung der von Gott ergriffenen Seele, die einen Vorgeschmack der ewigen Freuden genießt]. Bei dem Schema Guigos handelt es sich um die Ausformung einer älteren Tradition, die auf die Wüstenväter zurückgeht. Zugrunde liegt eine im gesamten antiken Raum einschließlich des Judentums verbreitete Form des Lesens. Sie wird im Griechischen mit μελέτη, im Lateinischen mit meditatio, meditari und im Hebräischen mit haga bezeichnet. Bei ihr geht es um ein halblautes, murmelndes Rezitieren von Texten, die . Guiges II le Chartreux, Lettre sur la vie contemplative (L’échelle des moines). Douze méditations, ed. und Einführung von E. Colledge und J. Walsh, Sources Chrétiennes / Série des Textes Monastiques d’Occident (Paris, ), Epistola II, . . Übersetzung im Anschluss an Guigo der Kartäuser, Scala claustralium – Die Leiter der Mönche zu Gott. Eine Hinführung zur Lectio divina, trans. D. Tibi (Nordhausen, ), -.
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man weitgehend auswendig konnte. Schon im Judentum und dann im frühen Christentum wurde diese Form des Lesens auf die Heilige Schrift übertragen. Von großem Einfluss wurde Psalm : ,Selig der Mann, der nicht nach dem Rat der Frevler geht, nicht auf dem Weg der Sünder steht, nicht im Kreis der Spötter sitzt, sondern sein Gefallen hat an der Weisung des HERRN, in seiner Weisung murmelt ( – יהגהμελετήσει – meditabitur) bei Tag und bei Nacht.‘ Die Rezitation diente der beständigen Vergegenwärtigung der im Text enthaltenen Botschaft. Schon früh verglich man diese Form des wiederholenden und verinnerlichenden Lesens mit wiederkäuenden Tieren, die nach Lev , und Dtn , als rein galten. Sie wird deshalb auch als ruminatio (‚Wiederkäuen‘) bezeichnet. Die intensive Form des Lesens sollte gewährleisten, dass es bei der Lektüre der Schrift nicht bei einem oberflächlichen, rein kognitiven Erfassen des biblischen Wortes blieb, sondern dass das heilige Wort gleichsam inkorporiert wurde und die ganze Existenz des Menschen durchdrang. Eine methodische Exegese spielte dabei gewöhnlich keine Rolle, sie wurde sogar als hinderlich angesehen. Die mnemotechnisch abgestützte Rezitation konnte hin und wieder von kurzen Gebeten unterbrochen werden. Wichtig für unsere Fragestellung ist nun die Tatsache, dass das später unter den Begriffen lectio – meditatio – oratio – contemplatio tradierte spirituelle Modell eine Entfaltung jener Aspekte darstellt, die in der ursprünglichen ruminatio zusammengehalten wurden. Diese ursprüngliche Form der Schriftrezitation war von Anfang an offen für den Übergang zum wort- und bildlosen Gebet und damit zu dem, was unter Kontemplation verstanden wurde. Bei Johannes Cassian (ca. -) heißt es: Nach und nach wird unser Geist zu jenem höheren Gebet, Glutgebet oder Ruhegebet gelangen – vorausgesetzt, der Herr will es uns schenken. Bei diesem Gebet sind wir weder damit beschäftigt, ein Bild zu betrachten oder bewusst Gedanken zu denken noch irgendwelche Laute oder gar gesprochene Sätze von uns zu geben. Unser Geist und unser Herz sind erfüllt von Glück und Freude, da sie sich jenseits aller Sinneswahrnehmungen, aller Gedanken und Relativität in einem Zustand der grenzenlosen Hingabe an Gott befinden. . Peter Dyckhoff, Einübung in das Ruhegebet. Eine christliche Praxis nach Johannes Cassian, . Band (München, ), ; Jean Cassien, Conférences VIII-XVII, Einführung, lat. Text, trans. und Anm. von E. Pichery, Sources Chrétiennes (Paris, ), Conlatio Abbatis Isaac secunda XI,
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In den älteren Klostergemeinschaften wurde die Rezitationspraxis der Einsiedler zunächst übernommen. Doch schon bald löste sie sich von der täglichen Arbeit und wurde als Auswendiglernen biblischer Texte zu liturgischen Zwecken veräußerlicht. Ihre ursprüngliche Einbindung in eine von spontanem Gebet und kontemplativem Schweigen durchzogene Lebensform löste sich auf. Diese klassische Form einer von der Heiligen Schrift ausgehenden Kontemplation kam in der von Bernard McGinn so genannten ‚Neuen Mystik‘ im . Jahrhundert wieder zur Geltung und in den darauf folgenden Jahrhunderten zu reicher Blüte. Die ‚Neue Mystik‘ wurde eingeleitet durch eine Renaissance der Mystica theologia des Dionysius Areopagita. Sie fand ihren programmatischen Ausdruck unter anderem in der ‚Wolke des Nichtwissens‘ (Cloud of Unknowing), einem zwischen und wahrscheinlich von einem Kartäuser- oder Augustinermönch auf Mittelenglisch verfassten ‚Handbuch der Kontemplation‘. In diesem Werk wurde erstmals die Kontemplation als eine eigene, von der Meditation zu unterscheidende Übung gelehrt. Der Autor sieht in der Kontemplation die höchste Form christlicher Spiritualität verwirklicht. Er ist mit den Techniken der meditativen und imaginativen Übungen vertraut, weist aber auf deren Gefahren hin. Ihm geht es darum, alle Vorstellungen und mentalen Akte hinter sich zu lassen und sich ,wortlos‘ ,in Gottes reine Gegenwart‘ zu versenken. Diese reine und ursprüngliche Form von Kontemplation wurde in den vorangehenden und folgenden Jahrhunderten immer wieder verdunkelt. Kontemplation wurde zu weiten Teilen in die diskursiven und imaginativen Praktiken der Meditation hineingezogen und dabei verwässert. Die ,Kultivierung einer von Bußfertigkeit getragenen, hochemotionalen Beziehung zu Jesus Christus . Vgl. auch die Ausgaben im Rahmen des Cassian-Projekts Münsterschwarzach: Johannes Cassian, Unterredungen mit den Vätern – Collationes Patrum, Teil -, trans. und erläutert von Gabriele Ziegler (Münsterschwarzach, -). . Bernard McGinn, Die Mystik im Abendland, Bd. : Blüte (Freiburg, ), -. . Wolke des Nichtwissens und Brief persönlicher Führung, trans. und ed. von W. Massa (Freiburg, ), Kap. ; Kap. (die Zahlen bezeichnen die Kapitel in dieser Ausgabe). Vgl. auch die Ausgabe Das Buch von der mystischen Kontemplation, genannt: Die Wolke des Nichtwissens, worin die Seele sich mit Gott vereint, trans. und eingeleitet von W. Riehle, Christliche Meister (Einsiedeln, ). Vgl. zum Folgenden Karl-Heinz Steinmetz, Mystische Erfahrung und mystisches Wissen in den mittelenglischen Cloudtexten (Berlin, ); Karl Baier, Meditation und Moderne, Bd. I (Würzburg, ), -; Bernard McGinn, Die Mystik im Abendland, Bd. : Vielfalt (Freiburg, ), -; Wolfgang Riehle, Englische Mystik des Mittelalters (München, ), -.
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und seiner Mutter‘ wurde ,zu so etwas wie der lingua franca spätmittelalterlicher Spiritualität‘. Äußerst einflussreich wurde die Vita Christi des Kartäusers Ludolf von Sachsen (ca. -). Nach Karl Baier wird hier die ‚aus Gebet, geistlicher Schriftbetrachtung und Imagination bestehende Meditation des Lebens Jesu Christi … zu einem selbstgenügsamen Ritual, von dem nicht mehr erwartet wird, dass es in eine höhere Stufe des Gottesbezugs übergeht.‘ Damit ging die in der älteren Tradition von Guigo dem Kartäuser noch aufrechterhaltene Verbindung von meditatio, oratio und contemplatio verloren. Die Wolke des Nichtwissens greift auf diese alte, klassische Form des kontemplativen Gebetes zurück. Sie bietet eine kohärente Theologie der Kontemplation. Wenn es dort heißt: ‚Mach dir keine genauen Vorstellungen von Gott oder seinem Wirken‘, dann klingt darin die Aufforderung des Evagrius Pontikus (ca. -) an: ,Wenn du betest, dann stelle dir die Gottheit nicht als Bild vor. Halte deinen Geist überhaupt frei von jeglicher Form und nähere dich ohne jede Materie dem immateriellen Wesen, denn so nur wirst du es erkennen.‘ Es geht nicht darum, das Leben Jesu zu betrachten, sondern eins mit ihm zu werden. Entsprechend empfiehlt der Cloud-Autor: Daher übe fleißig dieses ‚Nichts‘ und ‚Nirgendwo‘. Lass deine äußeren leiblichen Sinne ruhen, denn es ist wirklich so: Für dieses innere Geschehen sind sie nicht zuständig … Versuch also nicht, Geistiges mit deinen äußeren oder inneren Sinnen zu erfassen. Schalte also äußere Sinneswahrnehmungen aus! Gebrauche sie weder drinnen noch draußen! Alle, die geistig und im Inneren arbeiten und dabei wähnen, draußen oder drinnen geistige Dinge hören, riechen, schmecken oder fühlen zu können, täuschen sich. Ihr Üben ist falsch und Verkehrung der Naturordnung. Denn von Natur sind die Sinne eingerichtet, die äußeren Dinge zu erkennen, aber in keiner Weise fähig, geistige Dinge zu erkennen.
. K. Baier, Meditation und Moderne (), . . Ibid. . . Wolke des Nichtwissens (), Kap. . . Evagrius Pontikus, Über das Gebet / Tractatus de oratione, eingeleitet und trans. von J.E. Bamberger, trans. aus dem Englischen von G. Joos mit einer Einführung von A. Grün, Quellen der Spiritualität (Münsterschwarzach, ), Kap. . . Wolke des Nichtwissens (), Kap. .
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Die Kritik an den (übertriebenen) imaginativen Übungen im Rahmen der Betrachtungen des Lebens Jesu und seiner Passion sind hier deutlich zu vernehmen. Der Autor steht damit in der apophatischen Tradition frühchristlicher Spiritualität. Er zitiert den ,heiligen Dionysius‘: ,Das tiefste Erkennen Gottes ist: Erkennen durch Nichterkennen.‘ Er fährt fort: ,Wer die Bücher des hl. Dionysius studiert, findet dort alles bestätigt, was ich von Anfang bis Ende dieses Buches sagte bzw. noch ausführen werde.‘ Eine ausdrückliche Zurückweisung bildlicher Vorstellungen und Gedanken beim kontemplativen Gebet findet sich auch bei Evagrius Pontikus. Er weist auf die Gefahren der Bilder hin und spricht die Warnung aus: Du darfst dir beim Beten auf keinen Fall ein Bild von irgendetwas machen, du darfst dir nichts vorstellen. Gib dich auch nicht dem Verlangen hin, mit deinen Augen die Engel, die Mächte oder selbst Christus zu sehen, du läufst sonst Gefahr, deinen Verstand zu verlieren, den Wolf für den Hirten zu halten und schließlich die Dämonen zu verehren, die dir übel wollen.‘ Der Cloud-Autor gibt den Rat: Ruhe in dem einfachen Bewusstsein, dass er ‚ist‘ … Lass tiefe Dunkelheit dein ganzes Bewusstsein erfüllen und es wie ein Spiegel sein, in den du schaust. Ich möchte gern, dass das Bewusstsein deiner selbst so unmittelbar und einfach sei wie dein Bewusstsein von Gott, damit du geistig eins mit ihm bist, ohne dass du innerlich gespalten und zerstreut wirst. Gott ist dein Sein, und in ihm bist du, was du bist. Nicht nur, weil er der Grund und das Sein der Welt ist, sondern weil er dein eigener Grund und die Mitte deines eigenen Seins ist. Bereits diese wenigen Zitate aus der Wolke des Nichtwissens dürften deutlich gemacht haben, dass der Sache nach zwischen ihr und der Lehre Meister Eckharts grundlegende Affinitäten bestehen. Eckhart hat intensiv die Mystische Theologie des Dionysius Areopagita studiert; der Cloud-Autor teilt uns mit, dass er im Grunde nichts anderes sage als das, was dort geschrieben steht. Es geht mir jetzt nicht um einen Vergleich . Ibid. . E. Pontikus, Über das Gebet (), Kap. -. . Brief persönlicher Führung (), .
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zwischen Eckhart und der Wolke des Nichtwissens. Das würde den Rahmen meines Beitrags sprengen. Ich berufe mich – den Gedanken abschließend – auf Bernard McGinn, der seine ausführliche Darstellung der Cloud-Texte mit den Worten beschließt: ,Der Verfasser der Cloud will es, genau wie Meister Eckhart, nicht anders haben: der einzige Weg, zum ALLES zu gelangen, führt über das NICHTS.‘ Worauf es hier ankommt, ist die Einsicht in den engen Zusammenhang von lectio Sacrae scripturae und contemplatio. Das Motto der Dominikaner lautet: Contemplata aliis tradere. Thomas von Aquin weist in der Summa theologiae darauf hin, ,dass es etwas Größeres sei, das in der Kontemplation Erfasste an andere weiterzugeben, als sich der Kontemplation nur für sich selbst zu widmen‘ (ita maius est contemplata aliis tradere quam solum contemplari). Eckhart war mit diesem Gedanken vertraut und zutiefst davon durchdrungen. Das contemplata aliis tradere kommt vor allem in seinen mittelhochdeutschen Predigten zum Ausdruck. ,Eckharts Predigten lullen nicht ein; sie fordern auf, richtig zu denken und richtig zu leben.‘ Nach Bernard McGinn ,gehörte es ganz wesentlich zur dominikanischen Lebensweise, die lehrmäßigen wie mystischen Früchte der eigenen Kontemplation weiterzugeben‘. Erleuchtungserfahrung und Schriftauslegung Die Seligkeit besteht nach Eckhart darin, dass der Mensch ,Gott erkennt und weiß, wie nahe ihm Gott ist (daz er got bekennet und weiz, wie nâhe er im ist)‘. Diese Erkenntnis kann einem Menschen plötzlich als eine Erleuchtung zuteilwerden, sie kann aber auch langsam wachsen und reifen: ,Und um soviel seliger bin ich, je mehr ich das erkenne, und um soviel weniger bin ich selig, je weniger ich dies erkenne. Nicht dadurch bin ich selig, daß Gott in mir ist und daß er mir nahe ist und daß ich ihn habe, sondern dadurch, daß ich erkenne, wie nahe er mir ist und daß ich um Gott wisse‘. Die Heilige Schrift vermittelt kein seligmachendes . B. McGinn, Die Mystik im Abendland, Bd. : Vielfalt (), (Großschreibung im Original). . Thomas von Aquin, Summa theologica II-II, q. , a. c. . K. Flasch, Philosoph des Christentums (), . . Bernard McGinn, Die Mystik im Abendland, Bd. : Fülle (Freiburg, ), . . Pr. , DW III ,; trans. ; EW II . . Pr. , DW III ,-; trans. ; EW II -.
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Wissen im eigentlichen Sinne des Wortes. Ihre Lektüre kann jedoch dazu führen, dass das in der Seele naturhaft vorhandene seligmachende Wissen ausstrahlt und gewusst wird. Mit Verweis auf Augustinus und Plato betont Eckhart, ,dass die Seele in sich alles Wissen naturhaft besitzt; darum braucht sie das Wissen nicht von außen in sich hineinzuziehen; vielmehr wird durch die äußere Anwendung des Wissens das Wissen offenbar, das in der Seele naturhaft verborgen ist‘. Die Geburt des Wortes in der Seele bleibt dem Bewusstsein in der Finsternis verborgen. Tritt sie in ihrer Ausstrahlung ans Licht, so ist dies nach Karl Heinz Witte für Eckhart die Erleuchtung, die ,als eine nie gekannte Einsicht den Erleuchteten beglücken kann‘. Witte weist darauf hin, dass dieser Vorgang für Eckhart und seine Lebenswelt ganz selbstverständlich mit geistiger Übung in Verbindung steht: Der ontologisch gegebene ständige Zufluss des Seins und mit diesem der Wahrheit, des Guten und Rechten konkretisiert sich auch psychologisch im Phänomen des Einfalls. Wissen und Verstehen kommen zum Menschen, sofern und sobald er ‚sich zu Gott kehrt‘, sagt Eckhart. Das darf mit dem mittelalterlichen Frommen ganz naiv verstanden werden, indem der Mensch sich in Andacht, Liebe, Vertrauen dem Ruf des inneren Wortes öffnet, das Jesus spricht, wenn die Seele nicht ‚fremde Gäste‘ hat, ‚mit denen sie redet. Sie muss allein sein und selbst schweigen, um Jesus reden zu hören. Ja, dann tritt er ein und beginnt zu sprechen.‘ Eckhart vertraut auf diese Art der Inspiration. Für den kreativ Schreibenden und Denkenden wie für jeden Künstler hat die Eingebung dieselbe Erscheinungsweise. Sie ist Frucht eines Zufalls, selbst wenn in der Vorbereitung oder Ausarbeitung viel Fleiß, Technik und Anstrengung stecken. Kurt Flasch, der nicht im Verdacht steht, Eckhart zu einem vernunftfernen Mystiker zu machen, spricht im Zusammenhang seiner Bibelauslegung bezeichnenderweise auch von den Erleuchteten: ,Eckhart tritt nicht als Glaubensverkündiger auf, sondern er will zeigen, dass man wissen kann, was der Glaube sagt … Was er vorträgt, müssen die Grobsinnigen glauben, die Erleuchteten wissen es.‘ . Pr. b, DW II ,-; trans. ; EW I . . K.H. Witte, Meister Eckhart (), . . Pr. , DW I ,-; trans. ; EW I ,- (trans. Witte). . K.H. Witte, Meister Eckhart (), -. . K. Flasch, Philosoph des Christentums (), .
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Eckhart rechtfertigt seine Schriftauslegung mehrfach mit Verweis auf die Autorität Augustins. Der Kirchenlehrer entwirft in seinem Werk De doctrina christiana (‚Die christliche Bildung‘) im Kontext eines spätantiken Rationalitätskonzeptes eine hochreflektierte biblische Hermeneutik und Methodenlehre. Gleich im Prolog seines Werkes fragt er nach dem Verhältnis eines ,durch göttliche Gabe (divino munere)‘ eröffneten Verständnisses der Heiligen Schrift ,ohne Regeln‘ zu einer methodisch reflektierten Form der Schriftauslegung ,nach gewissen Regeln‘. Augustinus rechnet mit der Möglichkeit, dass jemand ‚durch keine Regeln unterrichtet (nullis praeceptis instructum) aufgrund einer göttlichen Gabe (divino munere) alles versteht, was in der Heiligen Schrift dunkel ist.‘ Die klassischen Vertreter einer Illuminationstheorie auf dem Felde biblischer Hermeneutik waren im Westen Johannes Cassian (ca. -) und Priszillian (ca. -). Nach Cassian wird das Verständnis der Heiligen Schrift nicht durch das Studium von Kommentaren, sondern durch ‚Erleuchtung des Heiligen Geistes‘ (per illuminationem sancti spiritus) ermöglicht. Cassian erzählt, wie Abt Theodor, als er sich einst um die Lösung einer schwierigen Frage der Auslegung bemühte, sieben Tage und Nächte im Gebet verharrte, bis er durch göttliche Offenbarung die Lösung fand. Augustins Intention geht in eine andere Richtung. Er möchte in De doctrina christiana den rationalen Aspekt der Schriftauslegung entfalten. Umso bedeutender erscheint in diesem . Vgl. Konrad Weiss, ‚Meister Eckharts Biblische Hermeneutik‘, in La mystique rhénane. Colloque de Strasbourg - mai (Paris, ), -. . Im Folgenden stütze ich mich auf meinen Beitrag ,Erleuchtungserfahrung und Schriftverständnis‘, in P. Lengsfeld (ed.), Mystik – Spiritualität der Zukunft. Erfahrung des Ewigen (Freiburg, ), -. . Augustinus, De doctrina christiana, Prooemium, . Textausgaben: Sant’Agostino, L’istruzione cristiana, lat./ital., ed. M. Simonetti, Fondazione Lorenzo Valla (Milano, /); Aurelius Augustinus, Die christliche Bildung (De doctrina christiana), trans., Anm. und Nachwort von K. Pollmann (Stuttgart, ). . Augustinus, De doctrina christiana (), Prooemium, . . Vgl. Karla Pollmann, Doctrina christiana. Untersuchungen zu den Anfängen der christlichen Hermeneutik unter besonderer Berücksichtigung von Augustinus, De doctrina christiana, Paradosis (Freiburg [Schweiz], ), -; Karl Suso Frank, ,Asketischer Evangelismus. Schriftauslegung bei Johannes Cassian‘, in G. Schöllgen und C. Scholten (eds), Stimuli. Exegese und ihre Hermeneutik in Antike und Christentum. FS E. Dassmann (Münster, ), -. . Iohannes Cassianus, Conlationes XIV, , ed. M. Petschenig, CSEL XIII (Wien, ), . . Iohannes Cassianus, Institutiones V, , ed. M. Petschenig, CSEL XVII (Wien, ), -.
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Zusammenhang jedoch die Tatsache, dass er dabei die illuminative und intuitive Dimension des Schriftverständnisses nicht aufgehoben sieht. Dies dürfte seinen Grund wohl nicht nur in der ihm vorgegebenen christlichen Tradition, sondern auch in den Erfahrungen seines eigenen Lebens haben, wie sie uns in seinen Bekenntnissen überliefert sind. Die Bekenntnisse (Confessiones) Augustins können als eine Art von Modellexegese verstanden werden. Eckhart weist im Prolog seines Liber parabolarum Genesis an drei Stellen darauf hin. Das Exemplarische des Werkes besteht darin, dass in ihm der Exeget in autobiographischer Form über Lebensformen und damit verbundene Bewusstseinsstrukturen reflektiert, die ein Verstehen der Heiligen Schrift verhindern bzw. ermöglichen. Erst nach jener Erfahrung, von der Augustinus in der Mitte seines Werkes, im siebten Buch der Confessiones, mit Metaphern von ,Schauen‘, ,unwandelbares Licht‘ (lux incommutabilis) und ,Erwachen‘ (evigilare) spricht, eröffnet sich ihm der Sinn der Heiligen Schrift. Der innere Zusammenhang von Erleuchtungserfahrung und Schriftverständnis spiegelt sich auch in der Makrostruktur des Werkes wider. Denn die letzten drei Bücher der Confessiones (Xl-XIII) sind der Auslegung des biblischen Schöpfungsberichtes Gen ,-, gewidmet. Lange Zeit hat man den autobiographischen Teil der Confessiones in den Büchern I-X und die Auslegung des biblischen Schöpfungsberichtes in den Büchern XI-XIII als zwei separate Teile angesehen, die nichts miteinander zu tun haben und unabhängig voneinander gelesen werden könnten. Die neuere Forschung hat jedoch gezeigt, dass die Bücher I-X und XI-XIII in vielfältiger Weise aufeinander Bezug nehmen. ,Die Bücher - sind
. Als beeindruckendes Beispiel für diese Form des Glaubenswissens galt Antonius. Vgl. Augustinus, De doctrina christiana (), Prooemium . Ferner ibid. I, : ,Deshalb wird der Mensch, der sich auf Glauben und Hoffnung und Liebe stützt und an diesen unerschütterlich festhält, nicht der Hl. Schriften bedürfen, es sei denn, um andere zu unterweisen. Daher leben auch viele, gestützt auf diese drei, in der Einsamkeit ohne Schriftrollen.‘ . Vgl. K. Pollmann, in Augustinus, Die christliche Bildung (), . Textausgabe: Augustinus, Confessiones / Bekenntnisse (lat./dt.), Eingeleitet, trans. und erläutert von J. Bernhart (München, ). . Augustinus, Confessiones VII, . . Augustinus, Confessiones VII, . . Die inhaltliche Ausgestaltung der Sinneröffnung ist variabel. Das hängt mit der Vieldeutigkeit (Polysemie) biblischer Texte zusammen. Dies wird von Augustinus eigens reflektiert (Conf. XII, : ,… da man doch Verschiedenes, aber gleichwohl die Wahrheit Treffendes, unter diesen Worten verstehen kann‘).
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deshalb keine Anhängsel zum autobiographischen Part … sie sind vielmehr integrierender Teil eines Gesamtkonzeptes.‘ Im VII. Buch der Confessiones (c. -) findet sich nun jener Bericht, der nach Adolf von Harnack ,in der Beschreibung eines unbeschreiblichen Vorgangs zu dem Größten gehört, was geschrieben worden ist‘. Augustinus beschreibt hier im Bild einer Rückkehr zu sich selbst, in sein Inneres, wie er ,mit dem Auge seiner Seele‘ ein ,unwandelbares Licht schaut‘ (lucem incommutabilem). Die Erzählung endet mit einer Aussage über die Grenzen der Sprache, diese Erfahrung zu umschreiben oder gar zu vermitteln. Augustinus appelliert an mögliche ähnliche Erfahrungen oder Einsichten des Lesers, wie wir sie einige Male auch bei Eckhart finden: ,Wer die Wahrheit kennt, kennt es, und wer es kennt, der kennt die Ewigkeit.‘ Bei Eckhart heißt es: ,Könntet ihr mit meinem Herzen erkennen, so verstündet ihr wohl, was ich sage; denn es ist wahr, und die Wahrheit sagt es selbst.‘ Erkenntnis der Wahrheit und Lebensform sind innerlich aufeinander bezogen. Zwischenbilanz In der christlichen Tradition finden wir von ihren Anfängen an ein Wissen darum, dass die Lektüre der Heiligen Schrift und das intuitive Erfassen der in ihr bezeugten Wahrheit eng miteinander verbunden sind. . Cornelius Mayer, ,„Caelum caeli“: Ziel und Bestimmung des Menschen nach der Auslegung von Genesis I, I f.‘, in N. Fischer und C. Mayer (eds), Die Confessiones des Augustinus von Hippo. Einführung und Interpretationen zu den Büchern (Freiburg, /), . Ähnlich haben sich geäußert: Christof Müller, ,Confessiones, Buch – Der ewige Sabbat. Die eschatologische Ruhe als Zielpunkt der Heimkehr zu Gott‘, in N. Fischer und C. Mayer (eds), Confessiones (/), ; Ursula Schulte-Klöcker, Das Verhältnis von Ewigkeit und Zeit als Widerspiegelung der Beziehung zwischen Schöpfer und Schöpfung. Eine textbegleitende Interpretation der Bücher XI-XIII der ,Confessiones‘ des Augustinus (Bonn, ), ; Norbert Fischer, in Augustinus, Was ist Zeit? Conf. XI (lat./dt.), Einleitung, trans. und Anm. von N. Fischer (Hamburg, ), XXXII-XLI; Erich Feldmann, ,Das literarische Genus und das Gesamtkonzept der Confessiones‘, in N. Fischer und C. Mayer (eds), Confessiones (/), versteht die Confessiones als einen christlichen Protreptikos in Analogie zu Ciceros Hortensius: ,Die Einheit und die Gattung der Confessiones werden somit verstehbar, wenn man sie als einen durch das dialogische Wechselverhältnis nach Art des Psalmenbeters durchformten Protreptikos begreift, in dem Augustinus den Gott der Wahrheit (Weisheit) bekennt, der sich dem suchenden Augustinus offenbart hat und in dessen einleuchtende Wahrheit der erweckte („excitatus“) Augustinus die Menschen hineinzureißen sucht.‘ . Zitiert nach der Ausgabe von J. Bernhart, Confessiones (), , Anm. . . Augustinus, Confessiones VII, . . Eckhart, Pr. , DW I ,-; trans. ; EW I ,-.
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Sie können unterschieden, dürfen aber letztlich nicht voneinander getrennt werden. Die Genialität Eckharts besteht nun darin, dass er den illuminativen Aspekt der Schriftauslegung – ohne ihn eingehend zu thematisieren – der Sache nach mit der exegetisch-spekulativen Durchdringung der Texte verbindet. Anders gesagt: Er präsentiert unter Berücksichtigung der philosophisch-theologischen Diskurse des . und . Jahrhunderts in hochreflektierter und spekulativer Form eine innovative Synthese von monastischer und scholastischer Theologie. Schriftauslegung und philosophisch-spekulative Durchdringung ihres Inhalts gehen dabei Hand in Hand. Dass er dabei – vor allem in seinen Predigten – darauf hinweist, dass seine Lehre letztlich nur verstanden werden kann, wenn sie auch gelebt wird, erinnert an den Zusammenhang von Leben und Verstehen, wie er für das hier skizzierte Modell christlicher Schrifthermeneutik konstitutiv ist. Geistliche Übungen? An dieser Stelle ist ein Einwand zu diskutieren. Er lautet, dass Eckhart nirgends von einer Übung spricht, die zu der von ihm beschriebenen Einsicht führen könnte. Das widerspräche seiner Lehre, die jede Vermittlung und jedes ‚Um-zu‘ verwirft. Eckhart lehrt keine Meditationsmethoden, sein Weg ist ein ,wegloser Weg‘. Die Gottesgeburt in der Seele kann nicht durch eine bestimmte Methode herbeigeführt werden: Und dementsprechend muß man wissen, daß bei der Ankunft des Sohnes in den Geist jedes Mittel schweigen muß. Denn Vermittlung widerspricht von Natur aus der Einigung, welche die Seele mit Gott und in Gott erstrebt … Jeder Gedanke an ein Mittel muß also abgetan werden, muß weichen, zum Schweigen und zur Ruhe gebracht werden, damit die Seele in Gott Ruhe finde. . Vgl. K. Flasch, Philosoph des Christentums (), -: ,Unter dieser allgemeinen Voraussetzung mittelalterlicher Bibelauslegung konnte Eckhart seine Auslegungskunst entfalten. Anders konnte er keine neue Philosophie des Christentums entwickeln. Diese nennt Lebens- und Denkbedingungen, die Bibel zu verstehen. Es geht nicht um Fachwissenschaft, sondern um Einsicht und richtiges Leben: Wer nicht alles verlassen hat, wird Jesus nie verstehen können (/DW I ,-), und warum man alles verlassen muss und warum dies keinen Verlust bedeutet, das erklärt Eckharts Philosophie des Christentums.‘ . Eckhart, Pr. , DW III ,; trans. ; EW II . . Eckhart, In Sap. nn. -, LW II ,-; ,-.
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Andreas Schönfeld ist in einer Monographie der Frage nach geistlichen Übungen bei Meister Eckhart nachgegangen. Seine Ergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen: Eine Durchsicht seiner Schriften ergibt, dass sich bei ihm keine Einweisung in eine bevorzugte Übungsform, erst recht keine genaue Anleitung finden lässt, die für die Kontemplation einen bestimmten Ablauf festlegen würde. Im Unterschied zu der Methodik des ignatianischen Exerzitienbuches, des ostkirchlichen Jesus-Gebets oder Zen und Yoga bleibt in Eckharts Schriften die Frage nach der praktischen Vorgehensweise unbeantwortet … Ein Hauptgrund für solch fehlende Unterweisung liegt darin, dass viele seiner Hörer bereits mit geistlichen Übungen vertraut waren. Methodische Erklärungen waren nicht notwendig, weil das Gebet zum täglichen Lebensrhythmus gehörte. Ausgangspunkt für Eckharts Weisung sind die geistlichen Übungen, welche im Predigerorden, bei Dominikanerinnen, Beginen und mystisch interessierten Laien verbreitet waren. Hier sind an erster Stelle die meditative Schriftauslegung, Betrachtung des Lebens Jesu und das Beten ‚ohne Unterlass‘ zu nennen. Ebenso war die Unterstützung der Meditation durch verschiedene Gebetsgesten und die aufrechte Sitzhaltung selbstverständlich und bedurfte keiner besonderen Erwähnung. Weiter ist zu beachten, dass Eckhart nicht als Novizenmeister oder Hausgeistlicher auftritt, dem solche Erklärungen angemessen gewesen wären. Er spricht vielmehr meist als Prediger im Amt des Ordensoberen oder Visitators vor einer religiösen Elite, die an einer Vertiefung ihres Gebetslebens interessiert war. Daher ist seine Unterweisung in erster Linie auf spirituelle Fragen ausgerichtet, die im Zusammenhang mit einer längeren Meditationspraxis und Tugendübung stehen. Andreas Schönfeld führt eine Reihe von Belegen für seine These an, die hier nicht näher diskutiert werden sollen. Andere Forscher gelangen zu einer ähnlichen Einschätzung. Reiner Manstetten erläutert eingehend den ‚Sinn der Übung‘ bei Eckhart: ,Die Verwandlung des Menschen und die Erzeugung des Sohn-Seins ist keine eigene Leistung . Andreas Schönfeld, Meister Eckhart. Geistliche Übungen. Meditationspraxis nach den ,Reden der Unterweisung‘ (Mainz, ). . Ibid. -. . Reiner Manstetten, Esse est Deus (Freiburg [Breisgau], ), -.
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des Menschen; sie kann nicht zum Worum-Willen bestimmter Anstrengungen gemacht werden. Dennoch bedarf es einer bestimmten Art von Geübtheit im Annehmen, um in die Dimension des SohnSeins zu gelangen.‘ Manstetten unterscheidet dabei zwei Arten von Übungen, zum einen Techniken äußerer Askese, zum anderen Formen innerer Sammlung. Eckhart verwirft die Praktiken der Askese nicht, sieht ihren Sinn jedoch allein in der Übung der inneren Haltung: ,Praktiken der Askese konnte Eckhart bei seinen Zuhörern selbstverständlich voraussetzen – ihm ging es aber nie um diese Praktiken als solche, sondern um den Sinn, die Haltung und die Ausrichtung (die meinunge), die der Übende mit ihnen verband.‘ Ebenso weist Karl Heinz Witte auf ,die Einbettung Eckharts in die Gebetspraxis des Klosters und de[n] biblische[n] und liturgische[n] Rahmen seiner theologischen Arbeit und seiner Predigten‘ hin: ,Davon ist nicht viel die Rede; aber die Texte setzten diese Einbindung voraus. Eckharts Erläuterungen zum Schweigen, zur Ruhe der Bewusstseinstätigkeiten und zum Stehen oder Sitzen (Pr. ) zeigen, dass er die stille Meditation gekannt hat. Er macht aber kein Aufhebens davon, da diese Praxis für ihn und seine Hörerinnen und Hörer selbstverständlich war.‘ Auf der Grundlage zweier Frühwerke Eckharts, den Reden der Unterscheidung und den Predigten des Gottesgeburtszyklus, befasst sich Witte ausführlich mit der Übung des Lassens und der Erfahrung der Gottesgeburt: ,Es gehört also Übung dazu, der Gottesgeburt zu begegnen, denn allein aus natürlichem Verstand weiß man von ihr nichts und ist ihr fern.‘ Auch Theo Kobusch spricht von geistigen Übungen und praktischer Kontemplation, ohne welche die zentralen Aussagen Eckharts unverständlich bleiben. Die Gottesgeburt ist kein ‚kontingentes Ereignis, das auf die Seele gewissermaßen hereinbricht. Vielmehr vollzieht die oberste Vernunft des Menschen, die Eckhart mit so vielen Namen (des Fünkleins, Bürgleins usw.) belegt und ausdrücklich von der Vernunft im Sinne eines Vermögens der Seele unterscheidet, jene geistigen Übungen, die notwendig zur Gottesgeburt führen. Zu den geistigen . Ibid. -. . Ibid. . . K.H. Witte, Meister Eckhart (), . . Ibid. -. . Ibid. .
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Übungen, die die Geburt Gottes geradezu veranlassen, gehört auch das „Durchbrechen“, das nicht einen intellektiven Vorgang meint. Der Durchbruch ist die Selbstbefreiung der Seele von den Bindungen an die endlichen Dinge, durch die sie in die „göttliche Freiheit“ gelangt. Der Durchbruch ist nicht die Eroberung eines Neuen, sondern die Rückkehr zu einem Ursprünglichen. Im Durchbrechen „bin ich, was ich war“. Auch die für Eckharts Lehre so bedeutende Gelassenheit kann nicht ohne geistige Übung verstanden werden: Die Gelassenheit meint jene Haltung, in der der Mensch alle Dinge dieser Welt hinter sich lässt und sie als ein Nichts, d. h. als für sein Selbst Unbedeutendes, ansieht. Es ist keine Weltverachtung oder Weltverneinung, die aus solchen Worten spricht. Denn die Welt ist dem gelassenen Menschen gerade wieder auf neue Weise zuteil geworden … Die Gelassenheit ist kein augenblickshaftes Erlebnis, sondern eine geistige Übung wie die anderen auch, durch die das menschliche Bewusstsein die Transformation seiner selbst vollzieht. Der gelassene Mensch ist der in der Gelassenheit geübte Mensch. Ihm ist alles zueigen, weil er auf alle Intentionalitäten verzichtet und in diesem Sinne alles ‚Eigene‘ gelassen hat … Sein Handeln ist, wie Eckhart sagt, ‚ohne Warum‘. Es hat seinen Sinn in sich selbst. Das ist das Göttliche am gelassenen Menschen, dass er, was er tut, um seiner selbst willen tut und so ohne Warum. Denn Gott hat keinen Zweck außerhalb seiner. Metaphysik wird von Eckhart hier nicht mehr als ,unbeteiligte Schau des Unbewegten Bewegers gedacht‘, sondern als praktische Kontemplation …, in der sich das betrachtende Subjekt selbst verändert, indem die Seele – wie Plotin sagt – zum Geist und zum Einen ‚wird‘, oder, wie z.B. Gregor von Nyssa in seinem Hoheliedkommentar ausführt, die Angleichung an Gott durch eine Transformation ihrer selbst vollzieht. Die Metaphysik des Lebemeisters ist die Fortsetzung dieser Tradition, in der die Metaphysik als eine geistige Übung, als die Übung der Gottangleichung oder Gottwerdung verstanden wird. . T. Kobusch, Philosophie des Hoch- und Spätmittelalters (), (Pr. , DW II ,). . T. Kobusch, Philosophie des Hoch- und Spätmittelalters (), -. . Ibid. .
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Wir können also davon ausgehen, dass geistige Übungen zur Lebenswelt Eckharts gehörten. Wer die Exegese des Erfurter Meisters in einem streng historischen Sinn zu verstehen sucht, darf von der Prägung seiner Lebenswelt durch die Tradition einer in geistige Übung eingebundenen Schriftlektüre nicht absehen. Marta und Maria An einem bekannten Beispiel soll nun die These verdeutlicht werden. Eckharts Auslegung der Perikope von Marta und Maria aus dem Lukasevangelium (Lk ,-) könnte auf den ersten Blick als ein ‚Gegenden-Strich-Lesen‘ verstanden werden. Die neuere Literaturwissenschaft versteht das ,Gegen-den-Strich-Lesen‘ als ,eine Form der Lektüre, welche die von einem Text offen oder implizit vorgegebenen Richtlinien ablehnt, indem sie diese ironisch unterläuft oder ihnen explizit eine andere Sichtweise entgegensetzt‘. Eckharts Auslegung steht in Spannung zum seinerzeit üblichen Verständnis des Textes. Er scheint den Sinn der Erzählung geradezu in sein Gegenteil zu verkehren, wenn er Marta und nicht Maria dem Leser als persona imitabilis vor Augen stellt. Doch so einfach ist die Sache nicht, wie sich zeigen wird. Eckhart liest die Perikope im Lichte seiner Intellekttheorie und zugleich in einem doppelten Kontext, einem zeitgeschichtlichen und einem literarischen, und ringt so dem Text eine Bedeutung ab, die seinem Anspruch, Neues und Ungewöhnliches (nova et rara) aus den Schriften zu erheben, durchaus gerecht wird. Die traditionelle Auslegung sah in Marta und Maria Personifikationen der vita activa und der vita contemplativa. Aus dem an Marta gerichteten Wort Jesu hörte sie eine Höherbewertung des beschaulichen gegenüber dem tätigen Leben heraus. Auch die deutsche Einheitsübersetzung aus dem Jahre steht in dieser Tradition, wenn sie Lk ,- wie folgt übersetzt: ,Der Herr antwortete: Marta, Marta, du machst dir viele Sorgen und Mühen. Aber nur eines ist notwendig. Maria hat das Bessere gewählt, das soll ihr nicht genommen werden.‘ . Doris Feldmann und Sabine Schülting, Art. ,Gegen-den-Strich-Lesen‘, in A. Nünning (ed.), Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. Ansätze – Personen – Grundbegriffe (Stuttgart, Weimar, ), . . Eckhart, Prol. gen. n. , LW I, ,; EW II, .
ECKHART ALS EXEGET?
Diese Übersetzung ist nicht korrekt. Im griechischen Text heißt es: Μαριὰμ γὰρ τὴν ἀγαθὴν μερίδα ἐξελέξατο. Richtig übersetzt muss es lauten: ,Maria hat den guten Teil erwählt.‘ Die Vulgata hat τὴν ἀγαθὴν μερίδα mit optimam partem übersetzt, was nicht unbedingt im Sinne eines Superlativs (,den besten Teil‘), sondern auch im Sinne eines Elativs (,den sehr guten Teil‘) verstanden werden kann. Die Revision der Einheitsübersetzung aus dem Jahre hat an dieser Stelle den Text korrigiert und sich wieder dem griechischen Original angenähert: ,Maria hat den guten Teil erwählt.‘ Eckhart dreht gegenüber der traditionellen Deutung den Spieß um. Für ihn ist Marta das Modell des wahren und gelungenen Menschseins. Zwei Predigten sind uns unter dem Titel Intravit Iesus in quoddam castellum überliefert, in denen Eckhart mit einer je unterschiedlichen Akzentsetzung die Perikope auslegt (Pr. und Pr. ). In Predigt entfaltet er den für ihn zentralen Gedanken der Gottesgeburt. Marta ist Jungfrau, insofern sie den Herrn empfängt, und Weib, insofern sie Gott zur Welt bringt. Jungfräulichkeit (Empfänglichkeit) und Mutterschaft (Fruchtbarkeit) sind innerlich aufeinander bezogen. Wahres Leben vollzieht sich im Einklang dieser beiden Lebensvollzüge. Maria, so Eckhart, verharrt noch im Stadium der Jungfräulichkeit. Sie empfängt den Herrn, ist aber noch nicht in der Lage, ihn zu gebären, das heißt, zur Welt zu bringen. Marta ist weiter. Sie hat den Herrn bereits empfangen und bringt ihn zur Welt, das heißt: sie steht in rechter Sorge bei den Dingen, sie kann ungehindert in der Welt tätig sein. Wenn nun der Mensch immerfort Jungfrau wäre, so käme keine Frucht von ihm. Soll er fruchtbar werden, so ist es notwendig, daß er Weib sei. Weib ist der edelste Name, den man der Seele zulegen kann, und ist viel edler als Jungfrau. Daß der Mensch Gott in sich empfängt, das ist gut, und in dieser Empfänglichkeit ist er Jungfrau. Daß aber Gott fruchtbar in ihm werde, das ist besser; denn Fruchtbarwerden der Gabe, das . Aus der umfangreichen Literatur zu den beiden Predigten sei verwiesen auf den jeweils ausführlichen Kommentar von Niklaus Largier, in EW I -; EW II -; Dietmar Mieth, Die Einheit von vita activa und vita contemplativa in den deutschen Predigten und Traktaten Meister Eckharts und bei Johannes Tauler. Untersuchungen zur Struktur des christlichen Lebens, Studien zur Geschichte der katholischen Moraltheologie (Regensburg, ); id., Meister Eckhart. Einheit mit Gott (Düsseldorf, , ), -, -; id., Meister Eckhart (München, ), -; R. Manstetten, Esse est Deus (), -; K.H. Witte, Meister Eckhart (), -, -.
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allein ist Dankbarkeit für die Gabe, und da ist der Geist Weib in der wiedergebärenden Dankbarkeit, wo er Jesum wiedergebiert in Gottes väterliches Herz. Kurt Flasch führt diese Auslegung als eines von vielen Beispielen für seine Behauptung an, dass ,der „Exeget“ Eckhart‘ manchmal ,die Aussage der Bibel geradezu auf den Kopf‘ stellt. Flasch lehnt jeden Versuch einer abschwächenden Deutung ab: Der Jesus des Evangeliums stellt mit unbezweifelbarer Deutlichkeit Maria über Martha: Sie hat den besseren Teil erwählt. Aber Eckhart nimmt sich die Freiheit, die Rangfolge umzukehren, und erteilt Martha den Vorrang. Manche Eckhartverehrer stört diese Selbständigkeit. Günter Stachel sprach daher diese Predigt Eckhart kurzerhand ab. Dietmar Mieth versucht, Eckharts ‚Exegese‘ wieder in die ‚Tradition‘ einzuordnen; er fand zaghafte Versuche einer relativen Höherbewertung des aktiven Lebens, für das Martha steht, bei einigen mittelalterlichen Autoren. Aber das historische Phänomen ist doch Eckharts radikale Umdeutung. Statt sie abzuschwächen, ist sie in ihrer Eigenart zu beschreiben und historisch zu positionieren … Ein Forscher, der sich diese eigentümliche Schriftauslegung genauer angesehen hat [scil. Yossef Schwartz], kam zu dem Ergebnis, dass Eckhart zufolge bei ihr nichts herauskommt, als ‚was uns nicht schon mittels der Vernunft und der Wissenschaften bekannt wäre‘. Eckhart ist ein individueller, ein eigenwilliger Denker. Wir haben ihn als solchen zu lesen und zu interpretieren. Die Deutung des Befundes durch Kurt Flasch bedarf der Modifikation. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass auch für die zeitgenössische . Eckhart, Pr. , DW I ,-; trans. ; EW I . . K. Flasch, Meister Eckhart (), -. Vgl. ibid. : ,„Exegese“ im Sinne heutiger Theologen betreibt er nicht. Der Gang der Argumentation ist immanent-philosophisch.‘ Das Zitat von Yossef Schwartz findet sich in dessen Aufsatz ,Meister Eckharts Schriftauslegung als maimonidisches Projekt‘, in G.K. Hasselhoff und O. Fraisse (eds), Moses Maimonides (-). His Religious, Scientific, and Philosophical ‚Wirkungsgeschichte‘ in Different Cultural Contexts (Würzburg, ), . In dem instruktiven Beitrag weist Schwartz auf den bedeutenden Einfluss hin, den Maimonides auf Eckhart ausgeübt hat: ,Eckharts Auseinandersetzung mit den Schriften des Maimonides hat an Umfang, Tiefe und Empathie weder vor noch nach ihm in der Welt des lateinischen Denkens ihresgleichen … Dieser achtet durchgehend darauf, die Gedanken des „Rabbi Moyses“ seiner Vorlage getreu wiederzugeben und zögert nicht, sich selbst gegen Thomas auf dessen Seite zu stellen. Eckharts Einstellung Maimonides gegenüber ist so empathisch, dass er, wenn er Aussagen des Maimonides widerspricht oder diese ins Extrem wendet, Divergenzen zu verhüllen sucht‘ (ibid. ).
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Exegese die Bedeutung des Textes nicht so eindeutig ist, wie Flasch behauptet. François Bovon schreibt in seinem Kommentar zum Lukasevangelium: ,Die kurze Geschichte von Marta und Maria bleibt durch das bloß Andeutende der Erzählweise oft mehrsinnig … Der suggestive Charakter dieser Zeilen ist mit einem Dunstschleier belegt, der sich verdichtet, je mehr wir uns um Aufklärung bemühen … Der Exeget findet sich vor einer schwierigen Aufgabe.‘ Für Michael Wolter hingegen ist der Text keineswegs dunkel und mehrdeutig. Gegenüber ,allegorisierenden Interpretationen‘ insistiert Wolter darauf, ,dass es sich bei der Episode nicht um eine Frauengeschichte, sondern um eine Jesusgeschichte handelt, die genauso auch mit zwei Männern erzählt werden könnte. Ihr Thema ist nicht die Rolle der Frauen in einer christlichen Gemeinde, sondern es geht um Jesus und die richtige Reaktion auf die Begegnung mit ihm: ob man den Alltag seinetwegen unterbricht wie Maria, oder ob man so weitermacht wie bisher, wie Martha es tut. Ohne diesen Bezug auf die Anwesenheit Jesu könnte die Erzählung nicht funktionieren.‘ Eckhart liest den Text im Lichte seines intellekttheoretischen Offenbarungsbegriffs. Offenbarung wird von ihm als Enthüllung des in der menschlichen Vernunft angelegten Grundes verstanden, der mit der Gottheit eins ist. Sie kommt also nicht von außen auf den Menschen zu, sondern enthüllt sich im Innersten der menschlichen Vernunft: scientia enim dei et divinorum cognitio non est ab extra a rebus accepta, sed secundum revelationem, Matth. : ‚caro et sanguis non revelavit tibi, sed pater meus qui in caelis est‘. Gal. : ‚neque ab homine accepi neque didici, sed per revelationem Iesu Christi‘ (,Denn das Wissen von Gott und die Erkenntnis des Göttlichen empfängt man nicht von außen, von den Dingen, sondern auf dem Wege der Offenbarung: „Fleisch und Blut hat dir das nicht geoffenbart, sondern mein Vater, der im Himmel ist“ [Matth. ,]. „Ich habe es nicht von einem Menschen empfangen oder gelernt, sondern durch eine Offenbarung Jesu Christi“ [Gal. ,]‘).
. François Bovon, Das Evangelium nach Lukas, EKK III/ (Neukirchen-Vluyn, , ), . . Michael Wolter, Das Lukasevangelium, HNT (Tübingen, ), -, . . Vgl. dazu M. Roesner, Logik des Ursprungs (), -. . Eckhart, In Ioh. n. , LW III ,-.
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Damit leugnet Eckhart keineswegs die zentralen Ereignisse und Gestalten der Heilsgeschichte, doch sind diese gerade nicht als innergeschichtliche von Interesse, sondern lediglich insofern, als sie in exemplarischer Weise universale Wahrheiten zum Ausdruck bringen bzw. verkörpern, die alle Menschen zu allen Zeiten gleichermaßen angehen. Eine ‚Geschichtstheologie‘ im eigentlichen Sinne des Wortes wäre für Eckhart daher weder möglich noch wünschenswert, weil sie die Erfüllung dessen, was das Wesen des Menschen ausmacht, in entfremdender Weise auf eine ihm äußerliche, geschichtliche Zukunft projizieren würde. Eckhart geht es vielmehr um den Nachweis, dass sich die ‚Fülle der Zeit‘ im Sinne der absoluten Einheit mit Gott in jedem Augenblick der menschlichen Existenz und der menschlichen Geschichte ereignet und als solche wirksam werden kann, so dass der Mensch eine innere Freiheit gegenüber den äußeren Zeitumständen erlangt. Vernunft und Offenbarung sind nach Eckhart gemeinsamen Ursprungs. Die Erkenntnis Gottes lässt sich sowohl anhand der Heiligen Schrift als auch im Grunde der Seele, der mit der obersten Vernunft identisch ist, gewinnen. Nach Eckhart kann es demnach keinen Widerspruch zwischen Vernunft und Heiliger Schrift geben. Ein und dieselbe Wahrheit wird auf unterschiedliche Weise bezeugt und mitgeteilt. Beide Formen von Offenbarung, die Enthüllung des göttlichen Seins in der Vernunft wie die ,unter den Bildern und der Oberfläche des Wortsinnes verborgenen Wahrheiten über Gott, die Naturordnung und das sittliche Handeln‘ (latentia sub figura et superficie sensus litteralis) in der Heiligen Schrift, durchdringen sich ,gleichsam in einer epistemologischen Osmose gegenseitig‘. Folglich kann Eckhart sowohl die Struktur des menschlichen Intellekts im Rückgriff auf die Heilige Schrift als auch die Heilige Schrift im Lichte seiner Intellekttheorie erschließen. Das lässt die . M. Roesner, Logik des Ursprungs (), . . Vgl. N. Largier, EW I . Vgl. ibid. : ,Der Seelengrund ist also gleichzeitig eins mit der Gottheit und geht aus dieser in der Weise der Gottesgeburt hervor … Der Seelengrund ist denn auch von den Vermögen der Seele, ja von allen kreaturhaften Vermögen verschieden und diesen unzugänglich … Die Gnade, die der Mensch empfängt, empfängt er im Seelengrund, nicht in den Vermögen der Seele … Der Seelengrund ist mithin der Ort der unmittelbaren gnadenhaften Überformung des Menschen in der Gottesgeburt, in der sich Gott dem Menschen ganz, also mit allem, das er ist, mitteilt.‘ . Eckhart, In Gen. II n. , LW I, ,-; LWSA I . . M. Roesner, Logik des Ursprungs (), .
ECKHART ALS EXEGET?
Schlussfolgerung zu, dass die beiden unterschiedlichen Bezeugungen ein und derselben Wahrheit in ihrer wechselseitigen Durchdringung jede von ihnen davor bewahrt, in die Irre zu gehen. Die Heilige Schrift ist nach Eckhart im Lichte der Vernunft zu lesen, so wie die Vernunft in ihren Grundvollzügen nur recht verstanden wird, wenn sie mit der Heiligen Schrift übereinstimmt. In diesem Sinne ist die programmatische Doppel-Aussage Eckharts im Prolog zu seinem Kommentar zum Johannesevangelium zu verstehen: Wie in allen seinen Werken hat der Verfasser bei der Auslegung dieses Wortes [scil. Im Anfang war das Wort] und der folgenden die Absicht, die Lehren des heiligen christlichen Glaubens und der Schrift beider Testamente mit Hilfe der natürlichen Gründe der Philosophie auszulegen … Ferner beabsichtigt das Werk zu zeigen, wie die Wahrheit der Prinzipien, Folgerungen und Eigentümlichkeiten in der Natur für den, ‚der Ohren hat zu hören‘ (Matth. ,), gerade in den Worten der Hl. Schrift, welche mit Hilfe dieser natürlichen Wahrheiten ausgelegt werden, klar angedeutet sind. Auslegung der Heiligen Schrift im Lichte der Vernunft und Auslegung der Vernunft im Lichte der Heiligen Schrift sind kompatibel. Schöpfung und Offenbarung fallen bei Eckhart nicht auseinander. ,Die existenzielle Überformung des Erkennenden durch die von ihm unmittelbar erkannte, göttliche Form befähigt ihn, die Autorität der Hl. Schrift und die aus der Außenwelt stammenden Erkenntnisse über die Natur zueinander in Beziehung zu setzen und jede der beiden Wissensformen unter Zuhilfenahme der jeweils anderen zu erhellen.‘ Sein erkenntnistheoretisches Apriori hindert Eckhart nicht daran, die Perikope von Marta und Maria in einem zeitgeschichtlichen Kontext zu lesen. Seine Auslegung lässt eine Kritik an falsch verstandenen Formen von Askese erkennen. Mit seiner gegen die traditionelle Auslegung gerichteten Höherbewertung der tätigen Marta kritisiert Eckhart indirekt Fehlformen christlicher Askese, ,alle diejenigen, die ichhaft gebunden sind (alle die mit eigenschaft gebunden sint) an Gebet, an Fasten, an Wachen und allerhand äußerliche Übungen und Kasteiungen‘. Die an . Eckhart, In Ioh. nn. -, LW III ,-; ,-. . M. Roesner, Logik des Ursprungs (), . . Eckhart, Pr. , DW I ,-; trans. ; EW I .
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solche ‚Eigenschaften‘ gebundenen Früchte sind wenige und gering. Wer dagegen ganz ohne Eigenschaften ist, der bringt viele Früchte hervor. Er ist Jungfrau und Weib zugleich, ganz eins mit Gott, der zugleich empfangen und geboren wird. Mit dieser Jungfrau, die zugleich ein Weib ist, ist Jesus vereint und sie mit ihm. Die traditionelle Höherbewertung der vita contemplativa gegenüber der vita activa konnte zu einer Verzerrung der christlichen Botschaft führen. Christlich leben heißt, den Willen Gottes tun. Dazu muss der Mensch lernen, den Willen Gottes zu erkennen; er muss lernen, auf Gott zu hören. Maria verkörpert die Haltung des Hörens: Sie ,setzte sich dem Herrn zu Füßen und hörte seinen Worten zu‘ (Lk ,). Wenn der Mensch jedoch in der Haltung des Hörens verharrt, weil er an ihr Gefallen findet, bleibt er unfruchtbar. Eckhart deutet Martas Klage in diesem Sinn. Jesus möge Maria doch einen Anstoß geben, dass sie endlich auf ihrem geistigen Weg voranschreite: vom Hören zum Tun. ,Martha fürchtete, daß ihre Schwester im Wohlgefühl und in der Süße stecken bliebe, und wünschte, daß sie würde wie sie (selbst).‘ Jesus beruhigt Marta mit dem Hinweis, dass Maria noch nicht so weit sei. Sie ist aber auf dem Weg, ,das Höchste, das einer Kreatur zuteil werden kann‘, zu erlangen. Maria lernt das Leben, Marta lebt es. Letztlich geht es Eckhart um die Einheit von vita activa und vita contemplativa. Damit legt er den Kern der biblischen Botschaft frei. Es gibt einen Vers im Buch Exodus, der diesen Gedanken in einer paradox anmutenden Weise zur Sprache bringt und der vor allem für das jüdische Verständnis von Orthopraxie leitend wurde. Im Kontext der Sinai-Theophanie antwortet das Volk, nachdem Mose die Urkunde des Bundes verlesen hat, mit den Worten: ,Alles, was der HERR gesagt hat, wollen wir tun und wollen wir hören‘ (Ex ,). Christoph Dohmen bemerkt dazu, dass die Reihenfolge dieser beiden Verben von der Sache her eigentümlich ist, ,denn man würde zuerst das Hören und dann das Tun erwarten‘. Doch die Reihenfolge hat einen spezifischen Sinn.
. Eckhart, Pr. , DW I ,; trans. ; EW I . . Eckhart, Pr. , DW III ,-; trans. ; EW II . . Eckhart, Pr. , DW III ,-; trans. ; EW II . . Eckhart, Pr. , DW III ,; trans. ; EW II . . Christoph Dohmen, Exodus , HThKAT (Freiburg, ), .
ECKHART ALS EXEGET?
Mit dem ‚wir wollen tun und wir wollen hören‘ gibt das Volk zu verstehen, dass es das sein bzw. werden will, was Ex ,- für das Bundesverhältnis verheißen hat. Die bildreiche Rede in Ex ,- zielt letztlich darauf ab, dass die ansonsten Priestern eigene – und ihnen vorbehaltene – besondere Nähe zu Gott hier dem ganzen Volk zugesagt wird … Die Antwort aus V bedeutet also: Wir wollen ein heiliges Volk im Sinne der göttlichen Zusage sein, wir wollen in jener besonderen Nähe zu Gott leben. Eckharts Exegese ist also sowohl in ihrem lebensweltlichen als auch in ihrem literarischen Kontext aus theologischer Perspektive als originell zu würdigen. Sie bringt ein zentrales Anliegen der biblischen Botschaft zu Gehör und nimmt zu Fehlentwicklungen und Einseitigkeiten in der zeitgenössischen Spiritualität kritisch Stellung. Man wird seiner Auslegung jedoch nur gerecht, wenn man sie in ihrer geistigen und spekulativen Tiefe im Gesamtgefüge seiner Lehre erfasst. Jungfrau ist jener Mensch, der frei ist von allen Bildern. Er ist ,so ledig, wie er war, da er noch nicht war‘. Er hat nichts als sein Eigenes ergriffen und ist in diesem Sinne ,ohne Eigenschaften‘ (âne eigenschaft) und frei für den Willen Gottes. In diesem Sinne muss der Mensch Jungfrau sein, um Jesus empfangen zu können. Das hier vorgestellte Beispiel eckhartscher Exegese zeigt, dass ein deduktives Verständnis biblischer Texte, also eine Lektüre im Lichte eines theologisch-philosophischen Aprioris, keineswegs in die Irre führen muss. Natürlich stellt sich die Frage, ob es überhaupt eine voraussetzungslose Form der Schriftauslegung geben kann. Genau besehen, ist Eckharts schrifthermeneutisches Apriori kein reines Apriori. Es ist das in langer Tradition gereifte und reflexiv durchdrungene Wissen um die Heilige Schrift, das sich Eckhart im Laufe seiner Ausbildung als Dominikaner und Magister der Theologie angeeignet hat. Im Lichte dieses Wissens liest er die Heilige Schrift. Er tut damit genau das, was auch Augustinus in seinem bibelhermeneutischen Grundlagenwerk De doctrina christiana jedem Leser der Heiligen Schrift ans Herz legt: Bevor er sich mit schwierigen Fragen der Auslegung befasst, möge er zunächst die gesamte Heilige Schrift lesen, um einen Eindruck zu bekommen,
. Ibid. .
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worum es überhaupt geht. Erst im Lichte dieses aus der Schrift gewonnenen Vorverständnisses möge er sich dann einzelnen, durchaus auch schwer verständlichen Perikopen zuwenden. Die Auslegung Eckharts ist inzwischen in theologischen Kreisen nicht mehr unbekannt. Dort lässt sich vereinzelt beobachten, dass Eckharts Auslegung gegen die Kontemplation in Stellung gebracht wird, und zwar von Personen, bei denen offenkundig ist, dass sie mit der Lehre Eckharts nicht wirklich vertraut sind. Nach Karl Heinz Witte führt uns Eckhart in Predigt zwei Stadien in der Entwicklung des Mystikers vor Augen. Eine kontextuell ausgerichtete Exegese müsste mit der Auslegung Eckharts so verfahren, wie Eckhart mit dem Bibeltext verfährt. In einer Lebenswelt, die mit der Haltung der Empfänglichkeit aus eigener Erfahrung und Übung nicht vertraut ist, kann der Rekurs auf Marta im Sinne Eckharts in die falsche Richtung führen. Was also – kontextuell gesehen – in Eckharts Zeit und Lebenswelt die richtige Auslegung war, könnte in unserer Zeit die falsche sein. In diesem Kontext müsste man die ältere, traditionelle, von Eckhart kritisierte Deutung wieder in Anschlag bringen, wohl wissend, dass auch sie nur eine Phase, nur einen Aspekt des mystischen Weges beschreibt. Unserer Zeit, so Karl Heinz Witte, vermittelt Eckhart eine Botschaft, ,die die moderne angestrengte Schaffensmentalität durch Ruhe und Zuversicht erlösen könnte. Eckhart sagt, dass die Lösungen uns von innen geschenkt werden, wenn wir empfänglich sind. Diese Botschaft ist schwer zu glauben, weil zu wenige Menschen, die etwas zu sagen haben, diese Haltung üben‘. Marta hat die Lebensform der Maria nicht übersprungen, sondern in sich integriert. Sie ist Jungfrau und Weib – Jungfrau, da sie den Herrn empfängt, Weib, da sie den Herrn zur Welt bringt. Eckharts Exegese will letztlich keine Inhalte vermitteln, sondern Menschen helfen, in die Wahrheit des Lebens hineinzufinden, eines Lebens in Zeit und Ewigkeit. Die doppelte Ansprache ,Marta, Marta‘ versteht Eckhart als eine zweifache Vollkommenheit: Martha war vollkommen im zeitlichen Wirken und zugleich mangelte ihr nichts von der ewigen Seligkeit. Sie lebte in der Welt, aber nicht von der Welt (vgl. Joh ). . Augustinus, De doctrina christiana II, . . K.H. Witte, Meister Eckhart (), . . Ibid. . . Eckhart, Pr. , DW III ,-,; trans. ; EW II .
Eine Lectio Meister Eckharts über die Affektivität in Vernunft, Verstand und Sinnlichkeit (Liber parabolarum Genesis, Kap. ) KARL HEINZ WITTE MÜNCHEN, DEUTSCHLAND Abstract Chapter of Eckhart’s Liber parabolarum Genesis offers an interpretation of the interaction between God’s intellect, human’s higher and lower reason, and human’s sensuality. Eckhart conceives of their reciprocal interaction in his terminology of the general transcendental relation, i.e. the higher and the lower, active and passive, or justice and the just, etc. According to his philosophy, the relationship of the transcendentals mirrors the relationship between God and the human soul. The exceptional quality of this interpretation is that Eckhart characterizes this relationship in metaphors, such as kiss, embracement, sweetest love, face to face, but also speech, address, and dialog. According to Eckhart, these expressions are not metaphors in the classical sense, but ‘the metaphorical sense is actually the literal sense’. Thus, we are to read these apparent metaphors as equations. – This paper attempts to demonstrate a similar understanding of metaphors in Blumenberg’s and Heidegger’s approaches and, resulting from Eckhart’s use of metaphors, to depict the receptive and affective character of his concept of intellectus. Gegenstand und Ziel
D
as dritte Kapitel des Buches der Bildreden der Genesis (Liber parabolarum Genesis) ist eine herausgehobene Komposition in dem lockeren Gefüge der ersten drei Kapitel. Das ganze dritte Kapitel (nn. -) kommentiert nur den einen Satz: ‚Die Schlange aber war listiger als alle Tiere der Erde‘ (Gen ,). Es ist thematisch und durch
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Rückverweise mit dem ersten und zweiten Kapitel verknüpft, aber vom übrigen Kommentar deutlich abgehoben. Insofern ist diese Lectio vergleichbar den beiden Vorlesungen im Ecclesiasticus-Kommentar. Der Mensch soll ‚seiner geschöpflichen Natur nach‘ ausgelegt werden, und zwar wie im Bild der ‚Schlange das Sinnesvermögen wahrhaftig und buchstäblich mit dem Weib, nämlich dem niederen Teil der Vernunft, spricht und wieso dieser [Teil] mit dem oberen Teil und dieser oberste mit Gott und Gott mit allen drei Genannten spricht.‘ Es geht also im Folgenden um das menschliche Denken in seinem Bezug zu Gott. Ich werde darlegen, dass Eckhart in diesem Kapitel das Zusammenwirken des Oberen und Unteren als transzendentale Beziehung in Form einer reichhaltigen Metaphernkette erläutert. Damit erweitert er sein angekündigtes Thema ins Grundsätzliche, und indem er auch die Beziehung der Gerechtigkeit zum Gerechten einschließt, trägt er hier eine neuartige Auslegung seiner Transzendentalienlehre und damit seiner Ontologie und Gottesgeburtslehre vor – in Form von Metaphern. Gleichzeitig versuche ich, Eckharts hermeneutisches Prinzip, dass der übertragene Sinn der Literalsinn sei, auf seine Metaphorik anzuwenden. Indem Eckhart seine Auslegung des dritten Kapitels der Genesis nach der Wirkweise des Oberen und des Niederen strukturiert, knüpft er an die Grundsatzerklärung im Allgemeinen Prolog zum Opus tripartitum (Prologus generalis in opus tripartitum) an. Er stellt seine Auslegung unter die Leitidee seines neunten Traktats, ‚De natura superioris et inferioris eius oppositi‘. Jan Aertsen definiert Eckharts ‚System‘ als ‚Transzendentalien-Metaphysik‘. Am klarsten tritt die Ordnung der Transzendentalien im neunten Traktat (über superius und inferius) zutage. Die Beziehung . Eckhart, In Gen. II n. , LW I, ,- (LW I, ,-): Praeterea quarto apparebit quod in his verbis: serpens, mulier et vir exprimitur consistentia et natura humanae conditionis in sua constitutione quantum ad principia sua et eorum naturales proprietates, et quomodo serpens, sensitivum scilicet, verissime et ad litteram loquitur mulieri, inferiori scilicet rationalis, et quomodo illud inferius rationale loquitur suo superiori, et hoc supremum loquitur deo, et quomodo deus loquitur cum praemissis tribus. . Eckhart, Prol. gen. n. , LW I, , (LW I, ,). . Jan A. Aertsen, ‚Der „Systematiker“ Eckhart‘, in A. Speer und L. Wegener (eds), Meister Eckhart in Erfurt, Miscellanea Mediaevalia (Berlin, New York, ), -; id., ‚Meister Eckhart: Eine außerordentliche Metaphysik‘, Recherches de Théologie et Philosophie médiévales (), -, . . J.A. Aertsen, ‚Der „Systematiker“ Eckhart‘ (), . Elf von den zweiundzwanzig Rückverweisen auf die Traktatenliste im Opus tripartitum beziehen sich auf den neunten Traktat.
EINE LECTIO MEISTER ECKHARTS
ÜBER DIE
AFFEKTIVITÄT IN VERNUNFT, VERSTAND UND SINNLICHKEIT
des Oberen und des Niederen zueinander ist in der Tat das Paradigma für alle transzendentalen Zuordnungen. Darum entscheiden sich an diesem Verhältnis Schlüsselfragen der Eckhart’schen Metaphysik, zum Beispiel: Schöpfung oder Pan(en)theismus, Idealismus oder Realismus, platonischer oder aristotelischer Charakter, Vorrang des Allgemeinen vor dem Konkreten, Nichtigkeit oder Dignität des Seienden. Die Auslegung des übertragenen Schriftsinns Die sachlich wichtigste der Vorbemerkungen Eckharts gilt der Auslegung des übertragenen Schriftsinns. Zwar mit vorsichtiger Formulierung eingeführt, ist Eckharts hermeneutisches Prinzip erstaunlich weitreichend: ‚Unbeschadet anderer Auslegungen könnte man vielleicht mit Recht sagen, dass der übertragene Sinn (sensus tropologicus) von Mann, Frau und Schlange derselbe ist wie der historische oder literarische.‘ Im Prolog des zweiten Genesiskommentars erläutert Eckhart einen ähnlichen Satz theologisch. Hier begründet er seine Behauptung literarisch mit einem traditionellen Beispiel einer Metapher: ‚Auch bei solchen Aussagen wie „die Wiese lacht“ oder „das Wasser läuft“ ist ja der buchstäbliche Sinn der, daß die Wiese blüht und das Blühen ihr Lachen und das Lachen ihr Blühen ist.‘ Diese Erläuterung hat grundsätzliche Bedeutung. Eckhart meint jedenfalls, dass mithilfe seiner Auslegungsmethode, die er im vorliegenden Text vorstellt, zahlreiche Schwierigkeiten in verschiedenen Büchern des Alten und Neuen Testaments leicht ausgelegt werden könnten.
. Eckhart, In Gen. II n. , LW I, ,- (LW I, ,-): His praemissis videtur quod salvis aliis expositionibus sanctorum et doctorum tam historice quam tropologice posset dici probabiliter fortassis quod sensus tropologicus serpentis, mulieris et viri ipse est, qui et historicus sive litteralis est. . Eckhart, In Gen. II n. , LW I, ,- (LW I, ,-). . Eckhart, In Gen. II n. , LW I, ,-, (LW I, ,-): Sic enim et cum dicimus ,pratum ridet‘ vel ,aqua currit‘, sensus litteralis est quod pratum floret et floritio risus eius est et risus floritio. . Eckhart, In Gen. II n. , LW I, ,- (LW I, ,-): Rursus etiam secundo diversa in diversis libris utriusque testamenti facile exponuntur ex praemissorum verborum expositione.
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Das Obere und Niedere im Buch der Bildreden der Genesis Die Hauptabschnitte seiner Lectio gelten der Charakterisierung des Zusammenspiels von Oben und Unten. Ich werde die metaphorischen Aussagen kurz zusammenstellen: Diese Zuordnung und der Blickwechsel Gottes und des obersten Seelenteils ist ganz natürlich, ist voller Wahrheit und voller Süße, denn er ist ganz angemessen und gegründet in der Wurzel und Quelle alles Guten. … Denn dieses Zwiegespräch findet zwischen dem Heiligen und dem Allerheiligsten statt, zwischen dem Heiligen und der Heiligkeit, zwischen dem Guten und der Güte, zwischen dem Gerechten und der Gerechtigkeit. Die folgenden Themen werden hier erstmals zur Charakterisierung des Oberen und des Unteren, das ist zugleich des Göttlichen und des Menschlichen, angeschlagen: Die Zwiesprache und der Blick, Wahrheit und Süße, Wurzel und Quelle des Guten. Auch werden die perfectiones generales, also die geistigen und ethischen Wesensauszeichnungen Gottes und des Menschen, angeführt. Diese sind nicht einfach Eigenschaften oder Tugenden (habitus), sondern lebendige Beziehungen, in die sich der Mensch gesetzt findet: Angesprochensein und Entsprechung (Antwort), also eine innere Zwiesprache (confabulatio), die der faktische Mensch mit seiner höchsten Möglichkeit führt. Hier eröffnet sich ein interessanter Ausblick auf die moralischen und humanen Qualitäten des Menschen, auf Charakterzüge und Charaktererziehung. ‚Edel sei der Mensch, hilfreich und gut.‘ Wenn wir solche Qualitäten eines Menschen und deren Gegenteil nicht als seiende Eigenschaften, Merkmale oder Wertordnungen betrachten würden, sondern, wie es die zuvor entfalteten Formulierungen nahelegen, als Szenen und Phasen eines inneren Dialogs, als Zwiegespräch der faktischen Person mit ihren Möglichkeiten?
. Eckhart, In Gen. II n. , LW I, ,-, (LW I, ,-): Iste autem ordo et respectus mutuus dei et supremi animae naturalissimus est, verissimus est et dulcissimus est, utpote convenientissimus et fundatus in radice et fonte omnis boni … Haec enim confabulatio est inter sanctum et sanctum sanctorum, inter sanctum et sanctitatem, inter bonum et bonitatem, inter iustum et iustitiam, sicut notavi in expositione illius libri. Quid enim tam dulce iusto, in quantum iustus, quam ipsa iustitia?
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ÜBER DIE
AFFEKTIVITÄT IN VERNUNFT, VERSTAND UND SINNLICHKEIT
Auch die Sinnlichkeit wird durch die von Gott erleuchteten menschlichen Vernunftvermögen beeinflusst. Neben Metaphern der Infiltration werden wiederum Verben gehäuft, die ein Sprechen versinnbilden: Das niedere Vernunftvermögen [der Verstand], das, wie gezeigt, vom Licht und der Kraft des ihm Übergeordneten [der Vernunft] erfüllt ist und das auch von der Kraft des göttlichen Lichtes, eben seines ihm Übergeordneten, durchtränkt ist – und ich sage, daß es [das niedere Vernunftvermögen] all dies spürt und vernimmt –, dieses ruft, formt und prägt, führt und zieht auch das sinnliche Vermögen, sein Niederes. Hier ist festzuhalten, dass dies eine der wenigen Stellen ist – eine weitere findet sich im ‚Gottesgeburtszyklus‘ –, an denen Eckhart ausdrücklich feststellt, dass die niedere Vernunft, das ist das empirische menschliche Denkvermögen, den Einfluss der Erleuchtung durch Gott und die transzendentale reine Vernunft ‚spürt und hört‘ (sentiens et audiens). Exkurs: Parallelen im ‚Gottesgeburtszyklus‘ Das schlägt eine Brücke von diesem späten lateinischen Werk zu der frühen deutschen Predigt aus dem ‚Gottesgeburtszyklus‘ Nr. Ubi est, qui natus est rex Iudaeorum, in der es heißt, dass in der Geburt Gottes das göttliche Licht im Wesen und im Grunde der Seele so ‚groß‘ wird, dass es sich aus dem Grund ‚auswirft‘ und ‚überfließt‘ in die Seelenkräfte und auch in den äußeren Menschen. Die Erleuchtung durch dieses überfließende Licht Gottes kann der Mensch wahrnehmen. Sowohl der zweite Genesiskommentar als auch der ‚Gottesgeburtszyklus‘ sagen also, dass der erleuchtete Verstand auch die Sinnlichkeit durchformt und dass das Licht auch den ‚äußeren Menschen‘ erleuchtet. . Eckhart, In Gen. II n. , LW I, ,- (LW I, ,-): Hinc est quod tertio loco rationale inferius sic infusum lumine et virtute sui superioris et etiam lucis divinae imbibitae ipsi superiori, haec, inquam, sentiens et audiens vocat etiam, format et informat, ducit et trahit sensitivum, suum inferius. . Pr. , DW IV, ,-: Eigenschaft dirre geburt ist, daz si alwege geschihet mit niuwem liehte. Si bringet alwege grôz lieht in die sêle, wan der güete art ist, daz si sich muoz ergiezen, swâ si ist. In dirre geburt ergiuzet sich got in die sêle mit liehte alsô, daz daz lieht alsô grôz wirt in dem wesene und in dem grunde der sêle, daz ez sich ûzwirfet und übervliuzet in die krefte und ouch in den ûzern menschen; ibid. DW IV, ,-: Dises liehtes wirt der mensche wol gewar. Swenne er sich ze gote kêret, alzehant glestet und glenzet in im ein lieht und gibet im ze erkennenne, waz er tuon und lâzen sol und vil guoter anewîsunge, dâ er vor niht abe enweste noch enverstuont.
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Damit ist aber nicht die aristotelische und thomasische Erkenntnistheorie aufgehoben, nach der der ‚Verstand eine leere Tafel‘ und ‚die Vorstellung eine von den Sinnen ausgehende Bewegung‘ ist; vielmehr ‚braucht der Mensch zu seiner Vollständigkeit die Sinne‘. Eckhart lehrt jedoch eine Erweiterung der klassischen (aristotelisch-thomasischen) Erkenntnistheorie, insofern der Verstand nicht nur mit dem intellectus agens verarbeitet, was er von den Sinnesvermögen empfangen hat, sondern er ist selbst von dem höheren Vernunftvermögen und von Gott erleuchtet, und so beeinflusst er auch die Sinneswahrnehmung. Die Verben, die diese Einwirkung benennen, sind vocat, format et informat, ducit et trahit. Dies sind keine den Inhalt betreffenden Tätigkeiten, sondern eher qualifizierende. Man könnte sie paraphrasierend übersetzen als ‚ansprechen, Form und Sinn verleihen, anleiten und herausfordern‘. Insgesamt dürfte diese Form der Einwirkung dem Prozess der ‚Bildung‘ nahekommen, ein Wort, das ja auch durch Eckharts Eindeutschung von formare/informare als ‚bilden/einbilden‘ anklingt. Das entspricht der psychologischen Erfahrung, dass die Sinneswahrnehmung durch veredelnde Übung gebildet werden muss, damit Sehen, Hören, Schmecken, Tasten und Riechen und damit die gesamte Persönlichkeit verfeinert werden können und müssen, so dass sie für Kulturleistungen aufgeschlossen werden. Ein weiterer Bezug der Ausführungen Eckharts zum ‚Gottesgeburtszyklus‘ soll aber noch problematisiert werden, und zwar die Erläuterung Eckharts in Predigt In his, quae patris mei sunt, oportet me esse zum Wirken Gottes in der Seele anstelle des intellectus agens. Hier findet sich der eigenartige Abschnitt über das Wirken Gottes, der besagt, dass Gott im Menschen sein [göttliches] Werk verrichtet. Solange die wirkende Vernunft sich vernünftig in Geschöpflichkeit übt, indem sie das Geschöpf zuordnet und zurückbezieht auf seinen Ursprung oder solange sich die wirkende Kraft selbst hinaufträgt zu göttlicher Ehre und zu göttlichem Lob, so steht . Eckhart, In Gen. II n. , LW I, ,- (LW I, ,-): Intellectus autem in nobis se habet sicut tabula nuda et rasa, secundum philosophum, et est in ordine intellectualium sicut materia prima in ordine corporalium, ut ait commentator. Item nobis etiam ,non‘ contingit ,intelligere sine phantasmate‘, sicut nec ,texere vel aedificare‘ sine instrumentis corporalibus. ,Phantasia autem est motus a sensu factus.‘ A primo ergo ad ultimum oportet quod ipse homo in sua integritate habeat sensitivum. Die Zitate sind aus Aristoteles, De memoria et reminiscentia c. , b und id., De anima I , b -.
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ÜBER DIE
AFFEKTIVITÄT IN VERNUNFT, VERSTAND UND SINNLICHKEIT
das alles noch in ihrem Vermögen und ihrer Macht, und so heißt dies noch wirkend. Wenn aber Gott sich des Werks annimmt, muss der Geist [des Menschen] in Passivität (lîdelicheit) verharren. Es ist missverständlich zu sagen, dass Gott ‚an die Stelle‘ des intellectus agens tritt, sofern das meinen könnte, Gott wirke durch den intellectus agens. Genauer betrachtet, tritt die menschliche Vernunft vielmehr zurück, wenn Gott wirkt, und wird passiv. Der intellectus agens ist, wie bei Thomas, nur eine geschöpfliche Kraft, die die geschöpflichen Dinge, die mit dem Verstand erfasst werden, ordnet und auf ihren Ursprung zurückführt und die auch die Kräfte der Seele zu Gottes Lob und Ehre beflügelt. Aber wenn Gott im Menschen wirkt, überlässt die menschliche Vernunft Gott das Feld: ‚Wenn sich aber der [menschliche] Geist, soweit er es vermag, in treuer Haltung (rehter triuwen) übt [das ist wohl die rechte Einstellung der Gottesgeburt gegenüber, die in Predigt ein mügelich enpfenclicheit genannt wird], so übernimmt Gottes Geist das Wirken der Vernunft, und dann schaut und erleidet der [menschliche] Geist Gott.‘ Trotz problematischer Überlieferungssituation hat Georg Steer mit überzeugenden Gründen diese Predigt Meister Eckhart zugewiesen. Inhaltlich ist aber auffallend, dass diese Form des Zusammenwirkens von Gott und dem intellectus agens in Eckharts Werk nur in dieser Predigt vorkommt. Bei genauer Analyse tritt hervor, dass hier im Wirken der menschlichen Vernunft neben Gott eine agierende und eine erleidende Kraft benannt wird. Damit herrscht hier dieselbe Struktur vor, die im zweiten Genesiskommentar das Verhältnis Gottes zur oberen Vernunft sowie der oberen zur niederen Vernunft kennzeichnet. Das wird in einer zweiten Passage über die wirkende Vernunft an etwas späterer Stelle derselben Predigt bestätigt. Dort wird wiederum . Eckhart, Pr. , DW IV, ,-; trans. d. Vf.: Swenne si [diu würkende vernunft] sich vernünfticlîche üebet in der crêatûre als in einer ordenunge und widertragenne der crêatûre wider in irn ursprunc oder sich selber ûftreget ze götlîcher êre und ze götlîchem lobe, daz stât noch allez wol in ir maht und in irm gewalt und heizet noch würkende. Sô sich aber got des werkes underwindet, sô muoz der geist sich halten in einer lîdelicheit. . Eckhart, Pr. , DW IV, ,. . Eckhart, Pr. , DW IV, ,-; trans. d. Vf.: Sô sich aber der geist üebet nâch sîner maht in rehten triuwen, sô underwindet sich sîn gotes geist und des werkes und denne sô schouwet und lîdet der geist got. Vgl. ähnliche Formulierungen ibid. DW IV, ,-; ,-,. . DW IV, -.
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der würkenden vernunft ihre Aufgabe im natürlichen Erkenntnisprozess zugewiesen. Dann fährt Eckhart fort: Seht, alles, was die wirkende Vernunft in einem natürlichen Menschen bewirkt, dasselbe und viel mehr tut Gott in einem abgeschiedenen Menschen. Er nimmt ihm die wirkende Vernunft ab und setzt sich selber an deren Stelle und wirkt da selbst alles, was die wirkende Vernunft wirken würde. Ja, wenn der Mensch sich ganz und gar ruhig hält und die wirkende Vernunft in ihm niedersinkt, so muss Gott notwendig das Werk übernehmen und muss selbst dort der Werkmeister sein und sich selbst in die passive Vernunft gebären. Wenn hier gesagt wird, dass Gott sich selber an die Stelle der wirkenden Vernunft setzt, so zeigt die genaue Betrachtung wieder, dass Gott hier ‚im abgeschiedenen Menschen‘, das heißt in der transzendentalen Dimension, sein Werk tut, also selber der Wirkende ist, während die im faktisch Menschlichen wirkende Vernunft jetzt zur leidenden Vernunft wird. Es wird dann ausgeführt, dass es Gott ist, der selber wirkt, was die menschliche Vernunft erleidet, und im menschlichen Bereich, ‚schwanger geworden‘, selber wirkt: Gerade so [wie die Sonne mit ihrem Licht durch die Luft wirkt] ist es in der Seele: Gott zeugt in der Seele seine Geburt und sein Wort, und die Seele nimmt es auf und gibt es den Seelenkräften in vielfältiger Weise weiter, jetzt in einem Begehren, jetzt in gutem Streben, jetzt in Werken der Liebe, jetzt in Dankbarkeit, oder wie immer es dich anrührt. Es gehört alles ihm und in keiner Weise dir. Was immer Gott da wirkt, das nimm ganz als das Seine und nicht als Deines. . Eckhart, Pr. , DW IV, ,-,: Diu würkende vernunft houwet diu bilde abe von den ûzern dingen und entkleidet sie von materie und von zuovalle und setzet sie in die lîdende vernunft, und diu gebirt ir geistlîchiu bilde in sie. Und sô diu lîdende vernunft von der würkenden swanger worden ist, sô behebet und bekennet si diu dinc mit helfe der würkenden vernunft. . Eckhart, Pr. , DW IV, ,-,; trans. d. Vf.: Sehet, allez daz diu würkende vernunft tuot an einem natiurlîchen menschen, daz selbe und verre mê tuot got an einem abegescheiden menschen. Er nimet im abe die würkende vernunft und setzet sich selber an ir stat wider und würket selber dâ allez daz, daz diu würkende vernunft solte würken. Eyâ, swenne sich der mensche zemâle müeziget und diu würkende vernunft an im gesîget, sô muoz sich got von nôt des werkes underwinden und muoz selber dâ werkmeister sîn und sich selber gebern in die lîdende vernunft. . Eckhart, Pr. , DW IV, ,-: Und sô diu lîdende vernunft von der würkenden swanger worden ist, sô behebet und bekennet si diu dinc mit helfe der würkenden vernunft. . Eckhart, Pr. , DW IV, ,-,; trans. d. Vf.: Rehte alsô ist ez in der sêle: got gebirt in der sêle sîn geburt und sîn wort, und diu sêle enpfæhet ez und gibet ez vürbaz den kreften in
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Hier haben wir ein Beispiel für die These des ‚Gottesgeburtszyklus‘, dass die Gottesgeburt selbst von den Seelenkräften nicht erfahrbar ist, dass aber das ‚Licht‘ der Gottesgeburt in die Seelenkräfte und den äußeren Menschen überströmt. Diese Wirkungen sind hier identifiziert als Begehren, Streben, tätige Liebe, Dankbarkeit und weitere Formen des Angerührtseins. Das berührt die Streitfrage, ob die Tugenden geschöpfliche Leistungen des Menschen oder unmittelbare Wirkungen des Heiligen Geistes seien. In Predigt des ‚Gottesgeburtszyklus‘ wird das Problem in der Terminologie der würkenden und lîdenden vernunft dargestellt. Gott ist der zuerst Wirkende, indem er dem Menschen die Tugenden schenkt. Das Wirken Gottes wird in der lîdenden vernunft des Menschen entgegengenommen, bevor der ‚äußere Mensch‘ sie in sichtbare Handlungen umsetzt. Was hier durch das vorausgehende Wirken Gottes und die Aufnahme Gottes in der leidenden Vernunft erklärt wird, stellt das Buch der Bildreden mithilfe des Zusammenwirkens Gottes mit der gestuften oberen und der niederen Vernunft dar. Die Ausführungen der Predigt können ohne Diskrepanz in die Sprache des zweiten Genesiskommentars übersetzt werden, das heißt in die Sprache der transzendentalen Bezüge des Oberen und Niederen sowie des Aktiven und Passiven. Die Terminologie des intellectus agens, passivus und possibilis hat bei Eckhart wie bei Thomas ihren Platz in der natürlichen Erkenntnislehre. Da Eckhart aber die Aufgabe der Vernunft und der menschlichen Verstandestätigkeit darüber hinaus in eine Verbindung mit Gott als dem Agens der Gotteserfahrung und aller transzendentalen Wirkzusammenhänge erweitert, ist es konsistent, wenn er nach dem ‚Gottesgeburtszyklus‘ in seinem späteren Werk auf diese Bezeichnungen verzichtet. Die Qualität der transzendentalen Beziehungen Nachdem die Konstitution der menschlichen Vernunft nach dem Schema der höheren und niederen Stufen und deren Zusammenwirken maniger wîse: nû in einer begerunge, nû in guoter meinunge, nû in minnewerken, nû in dankbærkeit, oder swie ez dich rüeret. Ez ist allez sîn und niht dîn mit nihte. Swaz got dâ würket, daz nim allez als daz sîn und niht als daz dîn. . Petrus Lombardus, Sent. I, d. ; zum Widerstreit der Thesen siehe Johann Auer, Die Entwicklung der Gnadenlehre in der Scholastik: Zweiter Teil: Das Wirken der Gnade, Freiburger theologische Studien (Freiburg i. Br., ), -.
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erläutert worden ist, folgt ein Abschnitt, der vor allem die Qualität der Verbindungen auslegt. Beherrschend ist die emotionale Qualität der Liebe. . Hier wird nicht nur das Wesen und Wirken der menschlichen Vernunft angesprochen, sondern darüber hinaus ganz allgemein die Wirkweise der transzendentalen Bezüge des Oberen zum Niederen bzw. des Aktiven und Passiven. Bei der Berührung, Begegnung und Vereinigung des wesensgemäß Oberen mit der obersten Stufe des Niederen küssen und umarmen Oberes und Niederes einander in innigster und süßester Liebe, wie sie ihrer Natur und ihrem Wesen entspricht, nach dem Wort, das der Gerechte zu der ungezeugten Gerechtigkeit spricht: ‚Sie küsse mich mit dem Kuß ihres Mundes.‘ (Cant ,) … Diese gegenseitige Berührung, in der das Obere das Niedere anblickt und umgekehrt das Niedere den Anblick des Oberen erwidert, ist Stimme und Wort, Rede, Ausspruch und Name, wodurch sich das Obere dem Niederen bekannt gibt und sich ihm ausbreitet, öffnet und kundgibt, und zwar alles kundgibt, was in ihm ist. Das Augenmerk liegt auf den Gleichsetzungen: Die Beziehungen des Oberen und Unteren sind Begegnung, Kuss und Umarmung, wie auch nach dem Hohelied die Gerechtigkeit den Gerechten ‚mit dem Kuss ihres Mundes‘ küsst (Cant ,), worin der Gerechte gezeugt wird und die Sehnsucht verspürt, ganz vollendet und umgeformt zu werden. Es wird wiederholt, dass die Berührung ein Küssen und Umarmen in Liebe ist. Die abschließende metaphorische Aussage tritt als Akkumulation katachrestischer Metonymien auf, die aber gleichzeitig ein ganz neues Bildfeld eröffnen. Denn die Berührung, der Kuss, ist ‚Stimme und Wort, Rede, Ausspruch und Name‘ (aspectus, vox, verbum, locutio, dictio, . Eckhart, In Gen. II n. , LW I, ,-, (LW I, ,-): Adhuc autem ad evidentiam praemissorum et multorum aliorum rursus notandum quod in attactu, occursu et unione superioris essentialis cum sui inferioris supremo mutuo se osculantur et amplexantur naturali et essentiali amore intimo et dulcissimo superius et inferius, secundum illud, quod vir iustus loquens iustitiae ingenitae, a qua, per quam et in qua gignitur inquantum iustus, se toto perfici et absque medio quolibet transformari desiderans ait: ,osculetur me osculo oris sui‘, Cant. . … Quin immo ipse attactus mutuus, quo superius aspicit inferius et e converso ipsum inferius respicit ad aspectum superioris, vox est et verbum, locutio et dictio et nomen, quo innotescit superius inferiori et se illi pandit, aperit et manifestat; manifestat, inquam, omnia quae in se sunt.
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nomen), wodurch ‚das Obere dem Niederen bekannt wird, sich ausbreitet, öffnet und kundgibt‘ (innotescit, pandit, aperit, manifestat). . Das zuletzt eröffnete Metaphernfeld wird ausgestaltet. Die Metonymien, durch die die transzendentalen Beziehungen hier bestimmt sind, kreisen um die unmittelbare Offenbarung: Ein offenkundiges Beispiel für das Gesagte ist die Beziehung der Gerechtigkeit zum Gerechten. Denn die Gerechtigkeit gibt alles, was zur Gerechtigkeit gehört, durch sich selbst kund, verbreitet es und breitet es aus und läßt es und sich selbst ganz, und zwar durch sich selbst ohne Mittel in den Gerechten als solchen überströmen … Diese Kundgabe, sage ich, ist Wort und Rede, durch die das Obere und das Niedere miteinander reden und ‚von Angesicht zu Angesicht‘ Zwiesprache halten. Wie zuvor das Obere dem Unteren ‚bekannt wird, sich ausbreitet, öffnet und kundgibt‘ (innotescit, pandit, aperit, manifestat), so jetzt die Gerechtigkeit dem Gerechten: Sie gibt sich und alles kund, verbreitet es und breitet es aus und lässt alles und sich selbst in den Gerechten überströmen (manifestat, pandit et expandit et transfundit). Die Wiederholungen und die Reihung der Verben sind offenkundig. . Im nächsten Abschnitt werden die Beziehungen, die miteinander in Rede und Zwiesprache stehen, um ein neues Paar erweitert: id quod est et quod quid est, rerum quiditates, ‚das [reine] Seiende und das EtwasSeiende, d. h. die Washeit [der Seienden]‘. Dieses Paar entspricht dem, was uns sonst in anderen Formulierungen begegnet: esse et esse hoc oder quo est et quod est – das ist der zwölfte Traktat aus dem Prologus generalis, oder auch ens absolute, non hoc aut illud tantum. Auch diese Grundtermini Eckharts werden in die transzendentalen Beziehungen
. Eckhart, In Gen. II n. , LW I, ,-, (LW I, ,-,): Exemplum manifestum est praemissorum in iustitia respectu iusti. Iustitia enim omnia, quae iustitiae sunt, per se ipsam et se ipsam totam et se ipsa sine medio manifestat, pandit et expandit et transfundit in ipsum iustum, inquantum iustus est … ipsa, inquam, manifestatio verbum est et locutio, quo sibi loquuntur et colloquuntur superius et inferius ,facie ad faciem‘. . Vielfach, z. B. Eckhart, Prol. in op. prop. n. , LW I, , (LW I, ,). . Eckhart, Prol. gen. n. , LW I, , (LW I, ,). . Eckhart, In Gen. I n. , LW I, ,- (LW I, ,).
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aufgenommen und in die affektive Qualität einbezogen: ‚Sie reden miteinander, küssen sich und vereinigen sich in ihrem Innersten und aufs innigste.‘ . Abschließend wird konstatiert, dass all diese Verflechtungen des Oberen und Unteren, der Rede und Zwiesprache nur vernehmbar werden, wenn der Mensch sich vom Vielen abwendet und ins Eine kehrt, das heißt, wenn der empfangende Geist für die transzendentale Dimension offen ist, das heißt die reine Empfänglichkeit übt. Rückübertragung der Metaphern Es schließt sich ein Abschnitt an (nn. -), der ‚zusammenfassend‘ (colligendo) die Metaphorik der Berührung des Oberen und Unteren, die in den vorausgehenden Erläuterungen eindringlich entwickelt worden ist, zurücküberträgt in die gewohnte Sprache der Theologie. Gottes ‚Rede‘ und ‚Ansprache‘ an uns werden hier mit seinen natürlichen und gnadenhaften ‚Gaben und Eingebungen‘ gleichgesetzt und mit dem Licht, das in unseren Geist einstrahlt. Doch betont Eckhart, ‚dies ist die eigentlichste und süßeste Rede und Ansprache oder das Wort, wohingegen die [dem entsprechende] äußere Rede, Ansprache und das Wort verborgen bleibt‘. Dass wir mit Gott sprechen, heißt, dass wir auf ihn hören, uns von anderem abwenden und uns zu ihm kehren, um ihm ähnlich zu werden (ad ipsum et ipsius assimilationem converti). Diese hörende Zwiesprache wird mit dem Echo und dem Spiegel verglichen. Die Bedeutung dieser Hinweise liegt darin, dass einerseits eine Verknüpfung der Metaphernketten mit dem üblichen theologischen Sprachgebrauch hergestellt wird, dass Eckhart andererseits aber auch darauf beharrt, dass die ‚Gnadengaben‘ wirklich und eigentlich (propriissima) Rede und Wort sind.
. Eckhart, In Gen. II n. , LW I, ,- (LW I, ,-): dicendum quod deum nobis loqui non est aliud prorsus quam donis suis nobis innotescere, donis suis et inspirationibus, sive naturalibus sive gratuitis, nos excitare et mentes nostras suo lumine irradiare. Et haec est propriissima et dulcissima locutio, sermo vel verbum, cuius exterior locutio, sermo et verbum ignobile est. . Eckhart, In Gen. II n. , LW I, ,-, (LW I, ,-).
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Hier ist daran zu erinnern, dass Eckhart einleitend gesagt hatte, der übertragene Sinn sei der Wortsinn. Wenn Eckhart dann die ‚lachende Wiese‘ auslegt, benützt er die Metapher in einem Sinne, der von dem klassischen, von Aristoteles begründeten Verständnis der Metapher als Übertragung eines Namens von einer Sache auf eine andere abweicht. Er sagt: Das Lachen ist ein Blühen und das Blühen ist ein Lachen. Dieselbe Redeform benützt er auch im Hauptteil dieser Lectio zur Erläuterung der Vernunftvermögen und generell der Wechselbeziehung des Oberen zum Unteren: Die transzendentale Beziehung ist Begegnung, ist Kuss, Anblick, Rede, Zwiesprache. Das heißt, Eckhart hebt das tertium comparationis und dadurch eigentlich die Übertragung auf. Der übertragene Sinn ist der Wortsinn. Es sei hier nur kurz erwähnt, dass seine Referenzautoren, Maimonides und Thomas von Aquin, ausdrücklich am klassischen Verständnis der Metapher festhalten. ‚Absolute Metaphern‘ (Hans Blumenberg) Hier steht das Wesen der Metapher auf dem Spiel: Können Metaphern wahr sein? Es geht um die Frage, ob das, was Eckhart hier über Vernunft und Verstand metaphorisch ausdrückt, einen philosophischen oder nur einen übertragenen Sinn hat. Ich will, ohne die verwickelten linguistischen
. Aristoteles, Poetik, cap. , b -, gr./dt., ed. u. trans. M. Fuhrmann, ReclamUniversalbibliothek (Stuttgart, ), . . Eckhart, In Gen. I n. , LW I, ,- (LW I, ,-): Rabbi Moyses I. c. dicit: dicere et loqui sive dictum et loquela attribuuntur creatori secundum duos modos, id est cum ponuntur pro voluntate vel pro conceptu mentis. Diesen Satz kommentiert Maimonides im nachfolgenden Kapitel so: ‚Dass aber die Worte „Reden“ und „Sprechen“, wie ich bei der Darlegung ihrer homonymen Bedeutungen erwähnte, auch für den Willen und die Absicht gebraucht werden, geschieht allerdings auch, wie ich im Vorhergehenden bemerkte, vom Gesichtspunkte der Ähnlichkeit mit uns, weil der Mensch auf den untersten Stufen des Denkens nicht verstehen kann, in welcher Weise jemand, der ein Ding hervorbringen will, dieses nur durch seinen Willen allein hervorzubringen vermag‘ (Moses Maimonides, Führer der Unschlüssigen B. I, c. , trans. u. Komm. Adolf Weiß; mit einer Einl. von Johann Maier, Philosophische Bibliothek a-c (Hamburg, ), -. . Thomas von Aquin, Super Cor., cap. , v. : Respondeo. Dicendum quod in omni figurata locutione, commune est quod sensus non est ille quem primo aspectu verba praetendunt, sed ille quod ille qui loquitur significare intendit, sicut si dicam: pratum ridet, non est sensus huius locutionis quod illud pratum rideat, sed illud quod ego significare intendo, scilicet quod pratum similiter se habet in decore cum floret sicut homo cum ridet (http://www.corpusthomisticum.org/cr.html#). Vgl. Thomas von Aquin, In Sent. lib. , d. , q. , a. , ad : sicut qui dicit, quod pratum ridet, sub quadam rei similitudine intendit significare prati floritionem.
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und philosophischen Diskussionen über die Metaphorologie weiter zu berücksichtigen, der ‚lachenden Wiese‘ und weitergehend Eckharts Metaphern eine phänomenologische Auslegung zu geben versuchen. Das kann nicht mehr als ein anfänglicher thesenhafter Deutungsversuch sein. Dabei mache ich Anleihen bei zwei Philosophen, die einen ausgezeichneten phänomenologischen Blick haben, auch wenn sie im Sinne der Schulzugehörigkeit nicht einfach zu den Phänomenologen gerechnet werden können: Hans Blumenberg und Martin Heidegger. Blumenberg hat zum Verständnis der Metapher ‚Die Wiese lacht‘ die Situationsbedingtheit in ‚lebensweltlichen Erfahrungsweisen‘ betont. Die Wiese lacht in einer ‚Spaziergänger- und Dichterwelt‘. Ich möchte bemerken, dass darüber hinaus diese Metapher nur für einen Menschen Sinn hat, der Wiesen gesehen hat, die nicht von der intensiven Milchviehproduktion in monochrome Grünflächen verwandelt wurden, auf denen vielmehr Löwenzahn, Sumpfdotterblumen, Mohn und Frauenschuh wachsen. Genau betrachtet, ist die traditionelle Ableitung der Metapher von einem Ähnlichkeitsmerkmal wie ‚Heiterkeit‘ oder ‚Fröhlichkeit‘ nicht überzeugend. Wenn Eckhart schreibt, dass das Blühen der Wiese ihr Lachen und das Lachen ihr Blühen ist, sieht er das Phänomen und gibt dem Leser oder Hörer etwas zu sehen. Er sieht im lachenden Mund die Blüte und in der aufgehenden Blüte das Lachen. Weitergehend kann man auch in der ganzen blühenden Wiese das Aufgehen sehen; und auch das Gesicht eines Menschen geht im Lachen auf. So lässt sich die Metapher nicht nur zu einem Gleichnis erweitern, sondern sie erweitert auch unsere Wahr-Nehmung, und zwar in diesem Fall des Blühens wie des Lachens. Blumenberg schreibt: ‚Aber es bleibt, dass, was Lachen für uns bedeutet, nicht nur einmal auf eine Wiese „übertragen“ worden ist, sondern auch als diese Bedeutung „Lachen“ dadurch angereichert und „erfüllt“ wurde, dass es in der Lebenswelt wiederkehren konnte.‘ Angesichts von Eckharts Metaphern für die . Vgl. Philipp Stoellger, Metapher und Lebenswelt: Hans Blumenbergs Metaphorologie als Lebenswelthermeneutik und ihr religionsphänomenologischer Horizont, Hermeneutische Untersuchungen zur Theologie (Tübingen, ), . Er schreibt: ‚Die einschlägigen Bibliographien zur Metaphorologie zählen bereits in Tausenden, und wenn man sich auf die datenbank- und internetgestützte Suche begibt, verschärft sich diese prekäre Lage noch.‘ . Hans Blumenberg, ‚Ausblick auf eine Theorie der Unbegrifflichkeit‘ (), in A. Haverkamp (ed.), Theorie der Metapher, Wege der Forschung (Darmstadt, ), -. . Ibid.
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Oben-Unten-Beziehung wird zu beachten sein, dass sie in Blumenbergs Sinn ‚absolute Metaphern‘ sind, deren bildlicher Charakter nicht in eine begriffliche Aussage überführt werden kann. Sie bilden vielmehr durch ihren Bildcharakter zusammen mit dem Bezeichneten (hier dem Oberen/ Unteren) eine neue nicht-begriffliche Gestalt, deren Bedeutung genau und eindringlich ist, aber begrifflich nicht eindeutig. Den reinen Vernunftbegriffen entspricht keine Anschauung. Aber: ‚Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind. Daher ist es eben so nothwendig, seine Begriffe sinnlich zu machen (d.i. ihnen den Gegenstand in der Anschauung beizufügen), als seine Anschauungen sich verständlich zu machen (d.i. sie unter Begriffe zu bringen).‘ Darum kann Kant, hier auch für Eckhart zutreffend, sagen, dass ‚alle unsere Erkenntnis von Gott bloß symbolisch‘ ist, wobei Kant die Bezeichnung ‚symbolisch‘ für die der Vernunftidee fehlende ‚Anschauung‘ verwendet, was wiederum Blumenbergs ‚absoluter Metapher‘ entspricht. Die ‚absolute Metapher‘ bekommt dadurch einen besonderen Rang, dass ‚alle unsere objektivierenden, sogar fachsprachlichen Mittel Transformationen der lebensweltlichen Erfahrungsweisen sein müssen‘. ‚Erhören‘ und ‚Erblicken‘ (Martin Heidegger) Das Fazit dieser Überlegungen, auf Eckharts Metaphern angewandt, heißt: Diese Metaphern geben eine Ahnung, eine Quasi-Anschauung für die Wirkweise der transzendentalen Beziehungen, mit anderen Worten: von der Einwirkung Gottes auf den Menschen. Die Metaphern geben Hinweise, wie diese Beziehungen sich gestalten, jedoch nicht in begrifflicher Eindeutigkeit, sondern durch den Gehalt der Metaphern. Dieser . Ibid. ; ferner Anselm Haverkamp, ‚Kommentar‘, in id. (ed.), Paradigmen zu einer Metaphorologie, Suhrkamp-Studienbibliothek (Frankfurt a.M., ), -. . Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft: Erster Teil, in id., Werke in Bänden, ed. W. Weischedel, Bd. [= AA II] (Darmstadt, ), (B | A ). . Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft (), in id., Werke in Bänden, ed. W. Weischedel, Bd. : Kritik der Urteilskraft und Schriften zur Naturphilosophie [= AA V] (Darmstadt, ), -, . . Hans Blumenberg, Theorie der Unbegrifflichkeit, hg. von A. Haverkamp (Frankfurt a.M., ), . . Hans Blumenberg, ‚Bruchstücke des „Ausblicks auf eine Theorie der Unbegrifflichkeit“‘, in id., Theorie der Unbegrifflichkeit (), -.
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Gehalt ist nicht das tertium comparationis zwischen dem Bildsinn (der Metapher) und dem denotativen Sinn (dem angezielten Begriff). Der Gehalt der Metapher ist also weder das wörtlich Ausgesagte noch der implizite Vergleichspunkt, sondern das Nicht-Gesagte, das heißt das Zu-Denkende. Ich referiere zur Verdeutlichung die Überlegungen Heideggers zur Metapher, in seinem Sinn besser: zur Nicht-Metapher, und zu dem, was ein Satz uns zu ‚erblicken‘ und zu ‚erhören‘ gibt. In der Vorlesung Der Satz vom Grund geht es um die Auslegung des von Leibniz formulierten Grund-Satzes ‚Nichts ist ohne Grund‘. Auf der Hand liegt die Bedeutung dieses Satzes über das Seiende: ‚Jedes Seiende hat einen Grund.‘ Man kann in diesem Satz aber anderes hören und etwas Anderes ‚erblicken‘, wenn man den Satz in anderer Betonung hört: ‚Nichts ist ohne Grund.‘ Nun hören wir, dass vom ‚ist‘, also vom Sein gesprochen wird, dem der ‚Grund‘ zugeordnet ist. Heidegger hört den Satz nun wie folgt: ‚Zum Sein gehört dergleichen wie Grund. Das Sein ist grundartig, grundhaft.‘ Wenn wir bei dieser Überlegung ‚hören‘ und ‚sehen‘ lesen, könnte man meinen, es würden die Tätigkeiten der Sinnesorgane auf das Denken ‚übertragen‘, das ‚Erhören‘ und ‚Erblicken‘ im Denken seien Metaphern. Diese Bezeichnung wäre aber hier, gemäß Heideggers Denken, unzutreffend; denn wir hören zwar mithilfe des Ohres; aber das Ohr ‚hört‘ von dem, was wir hier verstehen, nichts, und doch ist dies Verstehen ein Hören. Ähnlich steht es mit dem, was wir zuvor Eckharts ‚Metaphernkette‘ genannt haben. Die Bezeichnungen für die Beziehung des Oberen zum Unteren als ‚Rede, Zwiesprache, Hören‘ u.a. treten zwar wie Metaphern auf, sind es aber, wie Eckhart sie verwendet, eigentlich nicht. Diese ‚Rede‘ ist höchst eigentliche (propriissima) Rede, auch wenn sie in einem anderen sprachlichen Kontext ‚Gnadengabe‘ heißt. Die scheinbaren Metaphern geben uns demnach etwas ‚Un-erhörtes‘ zu denken. Das mag nochmals an einer bekannten . Martin Heidegger, ‚Vorlesung „Der Satz vom Grund“‘, in id., Der Satz vom Grund, Gesamtausgabe , ed. P. Jaeger (Frankfurt a.M., ), -. Ich klammere Heideggers These, das Metaphorische gebe es nur innerhalb der Metaphysik (ibid. ), aus, und damit zugleich die Stellungnahme von Jacques Derrida, ‚Der Entzug der Metapher‘, in V. Bohn (ed.), Romantik. Literatur und Philosophie. Internationale Beiträge zur Poetik (Frankfurt a.M., ), -. . Dies und das Folgende: M. Heidegger, ‚Vorlesung „Der Satz vom Grund“‘ (), -. . Ibid. . Hervorhebung von Heidegger. . Ibid. , . . Ibid. .
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Nicht-Metapher Heideggers deutlich werden: ‚Das Denken baut am Haus des Seins … Die Rede vom Haus des Seins ist keine Übertragung des Bildes vom „Haus“ auf das Sein, sondern aus dem sachgemäß gedachten Wesen des Seins werden wir eines Tages eher denken können, was „Haus“ und „wohnen“ sind.‘ Auf Eckharts (Nicht-)Metaphern angewandt, hätten wir aus ihnen erst noch zu lernen, was die Beziehung Gottes zu den Menschen (die transzendentalen Beziehungen) sind, und zugleich zu lernen, was Rede, Zwiesprache und Hören eigentlich sind. Korrelierende Metaphernfelder Wir können aus der Vielzahl der Metaphern Eckharts im vorliegenden Text drei Felder umgrenzen: . Metaphern der Nähe, das sind: Berührung, Küssen, Umarmung u.ä.; . Zugewandtheit im gegenseitigen Anblick ‚von Angesicht zu Angesicht‘, . Rede und Zwiesprache, Ansprache und Hören. Wie gezeigt, eröffnen die Ausführungen im dritten Kapitel der Bildreden der Genesis eine neue Sicht auf die Wirkweisen der Transzendentalien. Das heißt: Die Eckhart’schen (Nicht-)Metaphern charakterisieren die Beziehungen zwischen Gott und dem Menschen, zum Beispiel zwischen der göttlichen Vernunft und dem menschlichen Verstand, den göttlichen Tugenden (perfectiones generales) und den menschlichen, konkreten perfectiones (der Gerechtigkeit und dem Gerechten, dem Sein und dem Seienden usw.). Das heißt wiederum, dass die Zusammenhänge, die uns sonst unter anderen Formulierungen begegnen, durch die Ausführungen der ‚Bildreden‘ neu beleuchtet werden. Ich führe einige weitere Beispiele an, in denen Eckhart die transzendentalen Beziehungen in anderem Bedeutungshorizont kennzeichnet, und nenne exemplarisch Predigten, in denen diese Lehrstücke ausgeführt werden. •
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Die verborgene Geburt im Grund und Wesen der Seele und das überfließende Licht, das die konkrete Person erfüllt, wie es im ‚Gottesgeburtszyklus‘ (Pr. -) dargestellt wird Eine Existenz des trinitarischen und des adoptierten Sohnes vor der Geburt, zugleich die ewige Geburt in Gott und in der Seele als
. Martin Heidegger, ‚Brief über den Humanismus‘, in id., Wegmarken, Gesamtausgabe , ed. F.-W. von Herrmann (Frankfurt a.M., ), -, .
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Braut und deren Rückkehr in die verborgene Finsternis der Gottheit (Pr. ) Das Etwas in der Seele (der Funke, das Bürglein), das geschaffen und ungeschaffen ist (Pr. )
Konkret und abgekürzt gefragt: Was heißt es, wenn die Beziehung Gottes zu dem Menschen Kuss, Anblick ‚von Angesicht zu Angesicht‘, Rede und Hören ist? Die affektive Qualität des Gottesbezugs ‚Bei der Berührung, Begegnung und Vereinigung des wesensgemäß Oberen mit der obersten Stufe des Niederen küssen und umarmen Oberes und Niederes einander in innigster und süßester Liebe‘. – Wenn man daran erinnert, dass dieser Satz zur Charakterisierung des Zusammenspiels von Vernunft und Verstand gesagt ist, werden sich manche Leser wundern und vielleicht Zuflucht beim ‚tropologischen Sinn‘ der Auslegung suchen, der ja bekanntlich auf der Beziehung von Mann und Frau aufruht. Das liegt auch im literarischen Bezug auf das Hohelied nahe, sofern man diesen Bezug individuell auf das Verhältnis von Christus und der liebenden Seele auslegt. Ohne Zweifel gilt aber in der vorliegenden Auslegung Eckharts diese Qualifizierung des Oberen und Unteren für die ontologische Beziehung. Demnach hat nicht nur die mystische Verbindung mit Gott, sondern die gesamte transzendentalontologische Beziehung des Menschen zu Gott eine affektive Qualität, und auch Vernunft und Verstand haben demnach affektive Natur. Das würde ein neues Licht auf Eckharts berühmte Intellektlehre werfen. Man kann diesen Gesichtspunkt am besten im Zusammenhang mit dem dritten Metaphernfeld verstehen, wenn man Kuss, Rede Gottes und Hören des Menschen zusammendenkt. Traditionell wird darauf hingewiesen, dass das Erkennen im griechischen Denken mit Vokabeln der Sichtbarkeit (Theorie, Idee, Phänomen, Evidenz) assoziiert ist, während . Eckhart, In Gen. II n. , LW I, ,-,. . Markus Enders, ‚Vernunft, Verstand. III. Mittelalter. A. Augustinus, Frühmittelalter, Frühscholastik‘, in J. Ritter und K. Gründer (eds), Historisches Wörterbuch der Philosophie (Darmstadt, ), Bd. , -; Andreas Speer, ‚Vernunft, Verstand. III. Mittelalter. B. Lateinische Traditionen im . Jahrhundert‘, in ibid. -; id., ‚Vernunft; Verstand. III. Mitttelalter. D. Hochscholastik‘, in ibid. -.
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das Hören in der Bibel beider Testamente im Vordergrund steht. Bei Eckhart bedeutet das Hören aber nicht im engeren Sinne das Gehorchen. Um die Bedeutung des Hörens für Eckhart zu unterstreichen, sei an jene Textstelle im ‚Gottesgeburtszyklus‘ erinnert, in der er sogar die ewige Seligkeit mehr ins Hören verlegt als ins Sehen, als ob er neben die visio beatifica eine auditio beatifica stellen würde: ‚Das Hören bringt mehr herein, aber das Sehen deutet mehr hinaus, ja der Akt des Sehens an sich [geht hinaus]. Und darum werden wir im ewigen Leben in der Kraft des Hörens viel seliger sein als in der Kraft des Sehens. Denn der Akt des Hörens des ewigen Wortes, der ist in mir, und der Akt des Sehens geht von mir [fort]. Und das Hören erleide ich, aber das Sehen wirke ich.‘ Es mag vielleicht sein, dass ein Interpret nicht von einer affektiven, sondern von einer rein intellektuellen Seligkeit ausgeht und das mit der dominikanischen Bevorzugung des Intellekts vor dem Willen und der Liebe begründet. Jedoch das greift allein schon angesichts der überreichen Rede Eckharts von der Freude in Gott zu kurz. Wenn Eckhart Hören mit Erleiden in Verbindung bringt, so ist zu bedenken, dass auch die Freude wie jeder Affekt erlitten ist. Intellectus ist ‚innen lesen‘ (intus legere), Vernunft oder Vernünftigkeit sind reines Vernehmen, Eckharts Wort dafür ist enpfenclicheit. Die Belege dafür sind ungezählt; hier nur ein charakteristisches Beispiel: ‚Jesus offenbart sich zudem mit einer unermesslichen Süßigkeit und Fülle, die herausquillt aus des Heiligen Geistes Kraft und überquillt und einströmt mit überfließend reicher Fülle und Süßigkeit in alle empfänglichen Herzen.‘ Zur Verbindung zwischen Intellekt, Empfänglichkeit und Freude mag das folgende Zitat stehen: ‚Ein einfaches Erkennen ist so rein in sich selbst, dass es das reine, bloße göttliche Sein unmittelbar erkennt. Und in diesem Einfluss
. Michael Moxter, ‚Hören‘, in R. Konersmann (ed.), Wörterbuch der philosophischen Metaphern (Darmstadt, ), -. . Eckhart, Pr. , DW I, ,-: Daz hœren bringet mê în, aber daz sehen wîset mê ûz, jâ, daz werk des sehennes an im selber. Und dar umbe suln wir in dem êwigen lebene vil sæliger sîn in der kraft des hœrennes dan in der kraft des sehennes. Wan daz werk des hœrennes des êwigen wortes daz ist in mir und daz werk des sehennes daz gât von mir. Und daz hœren bin ich lîdende, aber daz sehen bin ich würkende. . Eckhart, Pr. , DW I ,-: Jêsus der offenbâret sich ouch mit unmæzigen süezicheit und rîcheit ûz des heiligen geistes kraft ûzquellende und überquellende und învliezende mit übervlüzziger voller rîcheit und süezicheit in alliu enpfenclîchiu herzen.
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[des göttlichen Seins] empfängt es [die] göttliche Natur ganz wie die Engel, worin die Engel große Freude erfahren.‘ Gründlich hat sich Gerard Visser mit der Frage der Affektivität in Eckharts lûter gemüete und intellectus auseinandergesetzt. Leider ist seine Studie in der deutschsprachigen Eckhartforschung wenig rezipiert worden. In den Mittelpunkt seiner Überlegungen stellt er die Beobachtung, dass in Eckharts Denken das ledige gemüete neben dem intellectus purus oder der vernünfticheit eine zentrale Funktion für die Gotteserfahrung haben, sofern sie leer, von allen Vorstellungen und Leidenschaften frei und abgeschieden sind, also ausdrücklich keine Gefühle kennen: ‚Da liebt sie nicht noch hat sie Angst oder Furcht‘, ‚als ob wir tot seien, so dass uns weder Lieb noch Leid berühre‘. Andererseits finden sich selbst in Gott Leiden und Freude. ‚Gott leidet mit dem Menschen‘, ja ‚Leiden ist ihm so wonniglich, dass Leiden für ihn nicht Leiden ist‘. Darum fragt Visser, und trägt damit zugleich seine These vor: ‚Ist das Vernehmen rein intellektueller Natur? Wenn er [Eckhart] behaupten kann, dass die Seele „Gottes gewahr wird oder ihn schmeckt“ (Pr. , DW III ,), und wenn er von einem wahrhaft armen Menschen, einem Menschen mit einem ledigen Gemüt, sagen kann, dass Gott in im lîdende ist (Pr. , DW II ,) – ist dann das Vernehmen nicht auch affektiv? Kurz gesagt, erfährt und schmeckt sich das Vernehmen nicht auch selbst?‘ Visser führt diese bei Eckhart häufig anzutreffenden Widersprüche zwischen abgeschiedener Leere und affektiver Erfüllung auf die zweifache . Eckhart, Pr. , DW I ,-,: Ain ainualtig verstantniss ist so luter in im selber, das es begriffet das luter blos goͤtlich wesen svnder mittel. vnd in dem influss enpfahet es goͤtlich natur glich den engeln, dar an die engel enpfahend gross froͤd. . Gerard Visser, Gelatenheid: Gemoed en hart bij Meister Eckhart, beschouwd in het licht van Aristoteles’ leer van het affectieve, Filosofische diagnosen (Amsterdam, ). Das . Kapitel daraus in deutscher Übersetzung liegt vor in Gerard Visser, ‚Ein nur noch von „Gottheit“ berührtes Gemüt. Die Erweiterung des Affektiven bei Meister Eckhart‘, in R. Kühn und S. Laoureux (eds), Meister Eckhart – Erkenntnis und Mystik des Lebens. Forschungsbeiträge der Lebensphänomenologie, Seele, Existenz und Leben (Freiburg, München, ), -. Eine essayistische Darstellung findet sich in Gerard Visser, Nichts ist geschenkt: Ein philosophischer Essay über die Seele, trans. A. Sikora, Libri nigri (Nordhausen, ), -. . G. Visser, ‚Ein nur noch von „Gottheit“ berührtes Gemüt‘ (), . Visser zitiert hier Eckhart, Pr. , DW III ,- und id., Pr. , DW I ,. . G. Visser, ‚Ein nur noch von „Gottheit“ berührtes Gemüt‘ (), ; Eckhart, BgT, DW V ,; ,. . G. Visser, ‚Ein nur noch von „Gottheit“ berührtes Gemüt‘ (), -.
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Seinsweise (duplex esse) zurück, die in dem vorliegenden Aufsatz mit dem Begriffspaar ‚transzendental‘ und ‚konkret‘ angesprochen wird und die Visser auch in die Aspekte ‚ontologisch‘ und ‚ontisch‘ fasst. Das Paradox bei Eckhart ist, dass im Bereich des konkret natürlich Seienden die Abgeschiedenheit, und das heißt die Leere, anempfohlen wird, aber im Bereich der Transzendentalien, das heißt in Gott und in der menschlichen Seligkeit, die affektiv geladenen Metaphern und Konnotationen überreich begegnen. Dieses Phänomen wird in der Lectio (Kap. des Liber parabolarum) verdichtet vorgestellt. Zwei Forschungsfragen erhalten auf dieser Basis eine verschärfte Dringlichkeit. Erstens: Wie hat Eckhart dieses Zusammenspiel des Transzendentalen und des Konkreten verstanden, das er immer wieder mit dem Paradigma der Gerechtigkeit und des Gerechten anspricht oder in einem anderen Sprachspiel mit der Geburtsmetapher, womit, wie oben schon erwähnt, die Schemata des Idealismus und Realismus, der aristotelischen oder platonischen Tradition oder auch der via antiqua versus moderna (Nominalismus) berührt werden. Und zweitens wäre psychologisch-phänomenologisch zu untersuchen, wie – angeregt von Eckharts Entwurf – die Konstitution und Erfahrung der ‚Werte‘ und ‚Tugenden‘ oder, mit Derrida gesprochen, des nicht Dekonstruierbaren, beschreibbar sind, womit eine Anfrage an die zeitgenössische soziologisch-sozialpsychologische Konsensethik verbunden wäre. Visser greift eine Formulierung Meister Eckharts auf, die er ausführlich phänomenologisch untersucht. ‚Wenn der Seele ein Kuss widerfährt von der Gottheit, so steht sie in ganzer Vollkommenheit und in Seligkeit, da wird sie umfangen von der Einheit.‘ Dieser Satz greift nicht nur eine Zentralmetapher unserer Lectio auf, sondern bringt auch deren Transzendentalienlehre auf den Punkt. Ich will anhand dieses Zitats nur knapp einige Bestimmungspunkte dieser Erfahrung hervorheben: Es handelt sich um ein Widerfahrnis, der Kuss beschihet. Seine Quelle ist die Gottheit, nicht der Gott. Die Seele wird in einen herausgehobenen Zustand versetzt: Seligkeit, Glück, Freude und zugleich ‚Vollkommenheit‘, mit anderen Worten: Eigentlichkeit, Bei-sich-Sein, ‚umfangen
. G. Visser, ‚Ein nur noch von „Gottheit“ berührtes Gemüt‘ (), -; Eckhart, Pr. , DW I ,-: Wenne der sêle ein kus beschihet von der gotheit, sô stât si in ganzer volkomenheit und in sælicheit; dâ wirt si umbevangen von der einicheit.
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von der Einheit‘. Das signalisiert, dass die Einheit der geschöpflichen Seele aus der transzendentalen Quelle gestiftet wird. Im Geschöpflichen werden wir vom Anderen umarmt, den wir auch selbst umarmen. Hier ist das Umarmende die Einheit. Die Identität wird uns geschenkt im Kuss des Entzückens. Visser sagt es so: ‚Von der Einheit der Gottheit umfangen zu werden, meint für die Seele, von ihrer eigenen ewigen Identität mit der Gottheit umfangen zu werden. … Umbevangen ist eine affektive Bestimmung zum abstrakten Begriff der Einheit oder des Einen. Das Eine umfängt die Seele als die alles umfassende Weite, die für alles empfänglich ist, in der alles entstehen und entschwinden darf.‘ Hypostatische Union – ein weiteres Fundament der transzendentalen Beziehung Eine gewichtiges, aber meistens verborgenes Argument findet sich in der Predigt Got ist diu minne, und der in der minne wonet, der wonet in gote und got in im, die auch Visser zitiert. Hier heißt es: ‚Dies ist die wesenhafte Vernunft Gottes, die die lautere, reine Kraft intellectus ist, die die Meister ein „Empfängliches“ nennen.‘ Die Predigt ist sicher einer der schwierigsten Texte in Eckharts deutschsprachigem Werk, nicht zuletzt, weil Quints Edition zahlreiche Fragen aufwirft. Gleichwohl können aus den anscheinend sicheren Passagen einige aufschlussreiche Erkenntnisse gewonnen werden, die jedoch weiterer Untersuchung bedürfen. Zu der eben zitierten wesentlichen Vernünftigkeit Gottes ist zu bemerken: Es handelt sich um die Vernunft, die der Mensch in seiner transzendentalen Seinsweise, das heißt in der wesenhaften Einheit, mit Gott gemeinsam hat: ‚Nicht nur von Natur aus, sondern über ihre Natur [hinaus] erfreut sich meine Seele aller Freude und aller Seligkeit, der Gott sich selbst in seiner göttlichen Natur erfreut, es sei ihm lieb oder leid; denn da ist nichts als Eines, und wo Eines ist, da ist alles, und wo alles ist, da ist Eines. Das ist eine gewisse Wahrheit. Wo die Seele ist, da ist Gott, und wo Gott ist, da ist die Seele.‘ . G. Visser, ‚Ein nur noch von „Gottheit“ berührtes Gemüt‘ (), (Hervorhebungen von Visser). . Eckhart, Pr. , DW III ,-: Ez ist diu wesenlich vernünfticheit gotes, der diu lûter blôz kraft ist ‚intellectus‘, daz die meister heizent ein ‚enpfenclîchez‘. . Eckhart, Pr. , DW III ,-: Niht aleine von natûre, mêr: über natûre vröuwet sich mîn sêle aller vröude und aller der sælicheit, der got sich selber vröuwet in sîner götlîcher natûre, ez sî
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Hier wird deutlich, dass die wesentliche Freude des Menschen keine bloß empirische Gemütsverfassung ist, sondern in der göttlichen Seligkeit wurzelt, an der der Mensch teilhat. Damit wäre auch die Affektivität, speziell die Freude, einbezogen in die transzendentalen Beziehungen, die im dritten Kapitel der Bildreden für alles Obere und Untere, zum Beispiel für Vernunft und Verstand sowie für die Gerechtigkeit und den Gerechten, geltend gemacht werden. Allerdings ist in Predigt noch deutlicher die inkarnatorische Grundlage benannt: Konkrete menschliche Freude wie Gerechtigkeit, Güte, Wahrheit usw. wurzeln in der hypostatischen Union, in die der Mensch einbezogen ist. Denn die reine Erfahrung der Absolutheit Gottes im Grund und als reiner Grund jenseits aller Seiendheit ‚ist die höchste Vollkommenheit des Geistes, zu der man in diesem Leben zu gelangen vermag auf geistige Weise. Aber das ist nicht die höchste Vollkommenheit, die wir je in Leib und Seele besitzen werden.‘ Die rein geistige Vollkommenheit, die nach diesem Text offenbar in der menschlichen Verfassung denkbar ist, ist demnach nicht die vollständige Vollkommenheit, die nur in der personalen Einheit von Leib und Seele liegt. Die Einheit von Leib und Seele des Menschen ist in derselben Weise vollendet, wie in der Einheit der Person Christi göttliche und menschliche Natur zusammenbestehen, ‚indem der äußerste Mensch völlig in der Substanz des Personseins enthalten ist, wie Menschheit und Gottheit in dem Personsein Christi [nur] ein Personsein ist‘. Damit deutet sich eine weitere Auslegung der Beziehung des Transzendentalen zum Konkreten an: Das Obere und das Untere wirken demnach in dem einen Personsein zusammen wie die beiden Naturen in der hypostatischen Union in der Person Christi. Die Übertragung des Strukturelements der hypostatischen Union von Christus auf den edlen Menschen ist, wie mir scheint, ein verborgenes Einheitsmotiv, das gote liep oder leit; wan dâ enist niht dan ein, und dâ ein ist, dâ ist al, und dâ al ist, dâ ist ein. Daz ist ein gewissiu wârheit. Wâ diu sêle ist, dâ ist got, und wâ got ist, dâ ist diu sêle. . Eckhart, Pr. , DW III ,-,: Nû merket mich! Dar obe nimet si êrste die lûter absolûciô des vrîen wesens, daz dâ ist sunder dâ, dâ ez ennimet noch engibet; ez ist diu blôze isticheit, diu dâ beroubet ist alles wesens und aller isticheit. Dâ nimet si got blôz nâch dem grunde dâ, dâ er ist über allez wesen. Wære dâ noch wesen, sô næme si wesen in wesene; dâ enist niht wan éin grunt. Diz ist diu hœhste volkomenheit des geistes, dâ man zuo komen mac in disem lebene nâch geistes art. Aber ez enist niht diu beste volkomenheit, die wir iemer besitzen suln mit lîbe und mit sêle. . Eckhart, Pr. , DW III ,-: daz der ûzerste mensche alzemâle enthalten werde in dem understantnisse haben von dem persônlîchen wesene alsô, als diu menscheit und diu gotheit an der persônlicheit Kristî ein persônlich wesen ist.
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wiederum einen theologischen Erklärungsgrund bietet für die mystische Präsenz Gottes im Menschen, die in der Lectio des zweiten Genesiskommentars durch die Metaphern vom Kuss, von der Zwiesprache und dem Anblick ‚von Angesicht zu Angesicht‘ beschworen wird. Partizipation an der hypostatischen Union Das theologische Lehrstück, dass das Wort die menschliche Natur in der Weise angenommen habe, dass jeder Gerechte sie mit Christus teilen könne, steht nicht so im Vordergrund der Predigten Eckharts wie andere Formulierungen der Gottesgeburt. Es scheint, dass Eckhart dieses Theologoumenon nur selten publiziert hat. Ich möchte die Belege, wie sie sich in den Kölner und Avignoneser Prozessdokumenten zeigen, in diesem Anhang darstellen. Eine Andeutung davon findet sich zum Beispiel in der Predigt Sant Paulus sprichet: întuot iu. Hier wird die menschliche Natur nicht, wie aristotelisch üblich, als die allgemeine Substanz der Menschen (substantia secunda, humanitas) gekennzeichnet, sondern als eine übernatürliche Qualität aller Menschen, die zeitlos, unberührbar und dem Menschen inniger ist als er sich selbst, und zwar gerade durch die Vereinigung des Menschen mit dem göttlichen Wort. Darum nahm Gott die menschliche Natur an und vereinigte sie mit seiner Person. Da wurde die menschliche Natur Gott; da er die reine menschliche Natur annahm und nicht einen Menschen. Darum, willst du derselbe Christus und Gott sein, laß alles das weg, was das ewige Wort nicht an sich genommen hat. Das ewige Wort nahm keinen Menschen an; darum laß ab von dem, was Mensch an dir ist und was immer du bist, und nimm dich rein in der menschlichen Natur, so bist du dasselbe in Beziehung zum ewigen Wort, das die menschliche Natur an ihm [Christus] ist. Denn die menschliche Natur und Christi Natur unterscheiden sich nicht: Sie ist eines, denn, was sie in Christus ist, das ist sie in dir. Darum habe ich in Paris gesagt, daß im gerechten Menschen erfüllt ist, was die Heilige Schrift und die Propheten von Christus gesagt haben; denn . Eckhart, Pr. , DW I ,-: Die meister sprechent, daz menschlich natûre mit der zît niht habe ze tuonne und daz si zemâle unberüerlich sî und dem menschen vil inniger und næher sî dan er im selber.
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wenn es mit dir recht ist, wird alles in dir vollendet, was im alten und neuen Testament je gesagt wurde. Diese Eckhart’sche Sonderlehre hat offenbar im Prozessgeschehen von Köln bis Avignon eine Rolle gespielt. Der Anlass war die bekannte Stelle aus der Predigt a In hoc apparuit charitas dei: [Ein Meister sagt …] Er sagt auch, daß der Vater in all dem, was er seinem Sohn Jesus Christus je in der menschlichen Natur gegeben hat, mich eher im Blick hatte und mich mehr geliebt hat als ihn, und er gab es mir eher als ihm. Wie das? Er gab es ihm um meinetwillen; denn mir war es notwendig. Darum: Was er ihm gab, damit meinte er mich, und er gab es mir ebenso wie ihm. Ich nehme nichts aus, weder die Einung noch die Heiligkeit der Gottheit noch überhaupt etwas. Alles, was er ihm in der menschlichen Natur je gab, das ist mir nicht fremder noch ferner als ihm. Dieser Passus wird in die Kölner Anklageschrift mit einer leichten Abwandlung aufgenommen. Während es in der Predigtüberlieferung heißt, der Meister spreche, zitiert die Anklageschrift: Plus dico – ‚Weiterhin sage ich‘. Diesem Zitat wird dort noch eine Erklärung angehängt: ‚Als Motiv wird angegeben, dass der Sohn „nicht eine menschliche Person angenommen hat, sondern die [menschliche] Natur“‘. Sturlese führt in der Edition der Prozessakten als Quelle dieses Zusatzes die Predigt b an: ‚Ich sage etwas Anderes und Eindringenderes: Gott ist . Eckhart, Pr. , DW I ,-,: Und dar umbe nam got menschlîche natûre an sich und einigete sie sîner persônen. Dâ wart menschlich natûre got, wan er menschlîche natûre blôz und keinen menschen an sich nam. Dar umbe, wilt dû der selbe Krist sîn und got sîn, sô ganc alles des abe, daz daz êwige wort an sich niht ennam. Daz êwige wort nam keinen menschen an sich; dar umbe ganc abe, swaz menschen an dir sî und swaz dû sîst, und nim dich nâch menschlîcher natûre blôz, sô bist dû daz selbe an dem êwigen worte, daz menschlich natûre an im ist. Wan dîn menschlîche natûre und diu sîne enhât keinen underscheit: si ist ein, wan, swaz si ist in Kristô, daz ist si in dir. Dar umbe sagete ich ze Parîs, daz an dem gerehten menschen ervüllet ist, swaz diu heilige schrift und die prophêten ie gesageten; wan, ist dir reht, allez, daz in der alten und in der niuwen ê gesaget ist, daz wirt allez an dir volbrâht. . Eckhart, Pr. a, DW I ,-: [Ein meister sprichet …] Er spricht ouch daz der vatter an allem dem, daz er sinem sun Jesum Chrm ye gegab in menschlicher natur, so hat er mich ee angesehen und mich mer liebgehebt dann in und gab mir es ee dann im: alz wie? Er gab im durch mich, wann es war mir not. dorum, was er im gab, do meinet er mich mit und gab mirs als wol als im; ich nim nút úz weder eynung noch heilikeit der gotheit noch nútzend nit. alles daz er im in menschlicher natur ye gegab, daz enist mir nit frömbder noch verrer dan im. . Acta n. (Proc. Col. I n. ), LW V ,-. . Ibid. LW V ,-; trans. d. Vf.
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nicht nur Mensch geworden, vielmehr: er hat die menschliche Natur angenommen‘. Auch die zuvor zitierte Textstelle aus Predigt ist ein zutreffender Beleg für diese Position Meister Eckharts. Dies ist der Stand des Verfahrens im Prozess, der uns im Avignoneser Gutachten begegnet und der auch in die Verurteilungsbulle Eingang findet. ‚Was immer Gott (der Vater) seinem eingeborenen Sohn in der menschlichen Natur gab, das hat er ganz mir gegeben. Davon nehme ich nichts aus, weder die Einheit noch die Heiligkeit. Vielmehr hat er alles mir gegeben wie ihm.‘ Die Gutachter komprimieren das, was der Vater dem Sohn gab, auf das Personsein in der menschlichen Natur, das keinem Anderen gegeben wurde. Ferner legen sie fest, dass der Vater uns den Sohn gab, diesem aber, was zu unserer Erlösung nötig war. Jedoch gab er uns nicht alles, was dem Sohn eigen war, andernfalls ‚wäre ich so vollkommen wie Christus, und das ist häretisch‘. Die Gutachter beschränken also das Anstößige der Formulierungen Eckharts im Allgemeinen auf den Pantheismusvorwurf, im Besonderen auf die Gleichsetzung des Menschen mit dem Gottessohn. Damit ist die Zugehörigkeit dieser Beziehung des Menschen zum Logos in die Transzendentalienlehre, um die es in der Lectio und in diesem Aufsatz geht, außer Acht gelassen. Auffallend ist, dass in der Stellungnahme der Avignoneser Gutachter die Erwähnung der Übergabe der von Christus angenommenen Menschennatur an den Menschen fehlt, obwohl man sie aus den angeführten deutschen Texten (Pr. a/b und Pr. ) hätte entnehmen können. Der lateinische Text des inkrimierten Artikels aus Pr. a hat in der Kölner Anklageschrift am Anfang und am Ende des zitierten Eintrags . Ibid.; id., Pr. b, DW I ,-,. . Vot. Aven. n. , art. , Acta n. , DW V ,-; trans. d. Vf.: Item praedicavit: Quidquid deus (pater) dedit filio suo unigenito in humana natura, hoc totum dedit mihi. Hic nihil excipio, nec unionem, nec sanctitatem. Sed totum dedit mihi sicut sibi. Mit gleichem Wortlaut in der Bulle In agro dominico, art. , Acta n. , LW V ,-. . Ibid. n. , LW V ,-; trans. d. Vf.: Constat enim quod cum deus pater dedit nobis filium, non dedit ipsum nobis nisi ut salvatorem et actorem nostrae salutis, non autem quod sua natura vel quae in ipso sunt formaliter sint in nobis formaliter et nostra formaliter. Unde sicut dedit nobis filium salvatorem, sic dedit ad salutem nostram ipsum ‚verbum caro factum‘, ‚plenum gratiae et veritatis‘, sed tamen per hoc non habetur quod omnia quae deus pater dedit filio in humana natura, hoc totum sine exceptione dederit mihi sicut sibi, quia sibi dedit quod sit deus homo formaliter et sic non dedit mihi. Unde si omnia quae dedit filio dedit mihi sine exceptione sicut dedit filio, sicut articulus dicit, sequitur quod sim ita perfectus sicut Christus. Quod est haereticum.
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eine präzise Angabe zu der problematischen These Eckharts: ‚Darum ist die menschliche Natur gemeinsam und in gleicher Weise allen zu eigen. Darum hat mir der Vater in der menschlichen Natur alles das gegeben, was er je seinem Sohn gegeben hat.‘ Dieser Passus ist im Avignoneser Gutachten aus der Anklage entfernt worden. Er ist aber in einer vorausgehenden Fassung noch enthalten, und zwar im Gutachten des Kardinals Fournier, des späteren Papstes Benedikt XII., das Johannes Hiltalingen von Basel überliefert hat. Zu der in Rede stehenden Sache wird zunächst der Text angeführt, der auch im Gutachten der Theologen aus Avignon steht. Daran anschließend teilt Hiltalingen eine sonst unbekannte Stellungnahme Eckharts und deren begründete Ablehnung durch Kardinal Fournier mit. Beide sind darum interessant, weil zu erkennen ist, wie Eckhart die klassisch aristotelisch-thomasische Konzeption der Menschennatur überschreitet, und auch, wie der konservative Gutachter Eckharts vermeintlichen Irrtum korrigiert. Eckhart: Es steht ja auch fest, dass Gott die menschliche Natur im Individuum angenommen hat, nämlich in Christus als Person, um die Natur zu heilen, die mir und allen Menschen gemeinsam ist. Daraus folgt ja nach den erfahreneren [Theologen]: Wäre nicht die Natur wiederherzustellen gewesen, wäre Christus nicht inkarniert worden, gemäß jenem Schriftwort: ‚Das Wort ist Fleisch geworden und hat in uns gewohnt‘ (Joh ,) und dem folgenden: ‚Gott war in Christus und hat sich die Welt versöhnt‘ (Kor ,). Daraus folgt aber nicht, wie die Ungebildeten meinen, dass ich oder ein anderer als reiner Mensch das Ganze der Vollkommenheit, was alles Christus besaß, empfinge. . Acta n. (Proc. Col. I n. ), LW V ,-; ,-. . Votum domini Benedicti, Acta n. , LW V -; Karl Heinz Witte, ‚Die Rezeption der Lehre Meister Eckharts durch Johannes Hiltalingen von Basel: Untersuchung und Textausgabe‘, Recherches de Théologie et Philosophie médievales (), -, , -. . Vot. Aven. nn. -, (art. ), Acta n. , LW V ; siehe auch oben Anm. . . Thomas von Aquin, Sent. , d. , q. , a. , ad : Ad quartum dicendum, quod natura humana quam Christus assumpsit, est multo nobilior quam quaelibet creatura; sed hoc habet ex unione divinitatis, et non ex principiis essentialibus; et ideo non sequitur similis ratio de mentibus humanis non unitis. Assumpsit enim Dei filius humanam naturam, ut Damascenus dicit, in atomo, idest in individuo, et non in specie; et sic etiam natura mentis humanae in Glossa praedicta accipitur. . Vot. dom. Ben., Acta n. , LW V ,-; trans. d. Vf.: Constat etiam quod deus assumpsit naturam humanam in atomo, Christo sc. supposito, propter naturam salvandam, communem mihi et omnibus hominibus. Unde secundum peritiores: nisi natura fuisset reparanda, Christus incarnatus non fuisset, secundum illud: ‚Verbum caro factum est et habitavit in nobis‘, et illud: ‚Deus erat
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Hier spricht Eckhart deutlich von der gemeinsamen Natur des Menschen, was zuvor in den deutschen Texten so deutlich nicht ausgesprochen war. Er sagt aber auch, dass diese allgemeine von Christus transformierte Menschennatur in atomo, ‚im Individuum‘ angenommen wurde; Eckhart sagt im Zitat ‚mir‘ und ‚ich‘. Das wirft ein Licht auf die Frage, ob die Gottesgeburt in der Seele den individuellen Menschen oder die allgemeine Menschennatur mit Gott vereine. Kardinal Fournier sieht das Wesen der Menschennatur ganz anders als Eckhart. Bemerkenswert ist, dass dieser eigens darauf hinweist, dass damit nicht gemeint sei, dass der Mensch damit zugleich jede Vollkommenheit Christi empfinge. Damit ist also genau die Gleichsetzung Gottes und des Menschen zurückgewiesen, die ihm im Avignoneser Theologengutachten vorgehalten wird. In der Zurückweisung der Lehre Eckharts stützt sich Kardinal Fournier auf die gängige theologische Auffassung: Aber in Wahrheit nach seiner Auslegung und dem Klang der Worte ist dies falsch und häretisch, und es kann nichts gelten, was er für sich anführt über die gemeinsame Natur, da keine solche Sache allen Menschen gemeinsam ist, sondern das Sein ist je nach seiner Art besonders und wird allein durch die Erkenntnis begriffen und durch Nachdenken angenommen. Und so könnte es keine wahre Annahme [der Menschennatur durch Christus] geben, sondern nur eine fiktive. Aber das Wort hat die individuelle Natur Christi so angenommen, dass sie in keiner Weise meine ist. Der Gutachter hält also daran fest, dass die menschliche Natur jeweils das Menschsein des Einzelnen, nämlich des Sokrates, des Platon und hier des Jesus Christus ist. Die Menschheit ist demnach keine gemeinsame reale Sache, sondern eine durch Abstraktion (cogitatio und consideratio) erschlossene Bestimmung. Diese Festlegung geht parallel zur Seinslehre in Christo mundum reconcilians sibi‘. Ex quibus tamen non sequitur, ut imperiti putant, quod ego aut aliusquis purus homo totum acceperit perfectionis quidquid Christus habuerit. . Siehe dazu Karl Heinz Witte, Meister Eckhart – Leben aus dem Grunde des Lebens. Eine Einführung, Neuausgabe (Freiburg i. Br., ), -. . Vot. dom. Ben., Acta n. , LW V ,-; trans. d. Vf.: Sed re vera secundum expositionem et sonum verborum haec falsa sunt et heretica, nec valet aliquid quod pro se inducit, quod de natura communi, cum nulla res talis sit omnibus hominibus communis, sed esse specificum sit, solum secundum cogitationem conceptum vel considerationem recipitur. Et sic non posset esse vera assumptio, sed potius fictitia. Sed verbum sic assumpsit individuam Christi naturam quod nullomodo meam. Et hoc plenius ostendit Damascenus libro c. diffuse.
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des Thomas, nach der es auch kein gemeinsames Sein der Geschöpfe (esse commune, esse formale) gibt, sondern jeweils nur ein spezifisches Sein. Damit reicht diese Kontroverse in die Auseinandersetzung hinein, die Eckhart um die Unterscheidung führen musste, ob Gott das formgebende Sein der Geschöpfe sei, worüber Thomas von Aquin verbindlich in der Summa contra gentiles I, Kap. gehandelt hatte. Das führt in die Transzendentalienlehre zurück, in die Eckhart das Verhältnis des Göttlichen und des Menschlichen fassen wollte, ohne eine ontologische Gleichsetzung zu behaupten.
Die Leerstelle im Denken. Übung und Erfahrung bei Meister Eckhart
UNIVERSITÄT
REINER MANSTETTEN, HEIDELBERG, DEUTSCHLAND
Abstract This paper intends to provide fresh stimuli to the ongoing controversial debate on Eckhart’s mysticism. The following questions shall serve as a guideline: Is there a knowledge beyond the arguments expressed in Eckhart’s texts and if so, where did he get it from and what significance does it have for himself and his audience? How can we nowadays regain access to this knowledge and its origin? Can the Zen practice with its orientation towards Kenshō (the intuition of essence) be a valid option? Can this practice still be discussed in a rational manner? Through an analysis of Plato’s unwritten doctrine, as interpreted by Wolfgang Wieland, it will become clear that the dimension of the non-conceptualizable is not necessarily synonymous with mysticism but is part of practical, useful every-day knowledge. Especially the practical knowledge, which is crucial to Plato’s discussion of the question of the Good Life, is not a ‘know-what’ that can be expressed in propositions. In order to live a good and just life, we need ‘know-how’ that requires experience and exercise. The conditions of this knowledge and its acquisition have to be rationally discussed by philosophy. In much the same way, Eckhart’s sermons present the right relationship between man and God as based on a form of knowledge that cannot be expressed in propositional language. He reflects this knowledge through the concept of ‘detachment’ (Abgeschiedenheit). The nothingness that forms the core of detachment is both the non-objective presupposition of all objective knowledge and the fundamental orientation of a life practice that has freed itself from all entanglement with external circumstances and the dependence on internal motives and representations. For Eckhart, detachment is a virtue whose understanding is furthered less through discursive thought and theoretic reflexion than through practice and
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life experience. Eckhart’s interpretation of Paul’s Damascus experience as intuition of the all-encompassing nothingness seems to suggest that it also contains a dimension that can be qualified as mystical experience. In conclusion, we will provide some practical examples of how detachment can be understood and realized in various life forms on the conditions of our time. Mystische Erfahrung oder elitärer Dünkel?
I
m Jahre war ich Teilnehmer einer Konferenz der Katholischen Akademie der Erzdiözese Freiburg über ‚Meister Eckhart: Lebensstationen – Redesituationen‘. Einer der Vortragenden war der Benediktinerpater und Zenlehrer Willigis Jäger. Kurz vor Beginn seines Vortrags füllte sich der Sitzungssaal plötzlich mit einer Zuhörerschaft, die nach dem Vortrag ebenso plötzlich wieder verschwand. Es war, salopp gesprochen, sein Fan-Club, der, an wissenschaftlichen Auseinandersetzungen über den mittelalterlichen Dominikanergelehrten Eckhart wenig interessiert, wegen der spirituellen Botschaft eines Meisters unserer Tage gekommen war. Die Zentralthese des Vortrags war, dass man, um Meister Eckhart zu verstehen, erfahren haben müsse, was Eckhart erfahren habe. Rationale Interpretationen aus dem bloßen Textbefund heraus würden sein Anliegen verfehlen. Nur wer selbst eine Erfahrung jenseits aller Begriffe und Worte gemacht habe, so wie sie als Kenshō, Erleuchtung oder Wesensschau, Ziel der Zenübung sei, könne verstehen, wovon in allen Texten Eckharts eigentlich die Rede sei. Bei den teilnehmenden Wissenschaftlern stieß der Vortrag nicht etwa auf Widerspruch – die anschließende Diskussion war unergiebig –, sondern verbreitet auf Unverständnis und manchmal auf Empörung. Anlass dafür war eine gewisse Anmaßung, die, wenngleich von Pater Willigis kaum beabsichtigt, in der Logik seiner These lag. Den anwesenden Eckhartforschern schien er zu sagen: ‚Ich weiß etwas, was ihr nicht wisst und was ihr so, wie ihr an Eckhart herangeht, nicht wissen könnt. Das, was ich weiß, ist aber das Wesentliche. Wie glaubt ihr Gelehrten, die ihr euch um Argumente, Worte und Fakten bemüht, Zugang zu . Aus der Konferenz ging ein Tagungsband hervor: K. Jacobi (ed.), Meister Eckhart: Lebensstationen – Redesituationen (Berlin, ). Der im Folgenden erwähnte Vortrag von Pater Willigis Jäger wurde nicht darin aufgenommen.
DIE LEERSTELLE IM DENKEN
einem Mystiker zu finden, dem es um etwas geht, was nie Argument, Wort oder Faktum sein kann? Wer nicht erfahren hat, was ich erfahren habe, hat keine Chance, Eckhart zu verstehen.‘ Ich befand mich während und nach dem Vortrag in einer unerquicklichen Lage. Meine Dissertation über Meister Eckhart war zwei Jahre zuvor im Druck erschienen, und ich nahm zum ersten Mal an einer Diskussionsrunde mit namhaften Eckhartforschern teil. Gleichzeitig war ich seit über zehn Jahren Zenschüler von Pater Willigis. Die Stimmung war jedoch so, dass es mir kaum ratsam erschien, diese Schülerschaft gegenüber denen, die davon nichts wussten, auch nur zu erwähnen. Ich hielt mich an die Rolle des Wissenschaftlers unter Wissenschaftlern, reiste aber mit einem tiefen Unbehagen ab. Der Vortrag von Pater Willigis war offensichtlich verfehlt, aber was war der Fehler? Aus heutiger Sicht würde ich sagen: Willigis hielt eine fertige Antwort bereit auf eine Frage, die er nicht formulierte und über deren Implikationen er sich nicht klar war. Die Antwort war gewiss anfechtbar, hätte aber durchaus Interesse verdient, wäre nur die Frage klar gewesen, die ich versuchsweise so formulieren möchte: Gibt es ein Wissen jenseits der Argumente, dem Eckharts Texte Ausdruck verleihen, und wenn ja, welche Bedeutung hat es für ihn und seine Hörer, und woher ist es ihm zugekommen? Und – sofern man zulässt, dass ein derartiges Wissen auch heute prinzipiell zugänglich sein und durch erfahrene geistliche Lehrer weitergegeben werden könnte – man müsste weiterfragen: Auf welche Weise können wir uns heute dieses Wissen und seinen Ursprung vergegenwärtigen? Und wie steht es mit der Möglichkeit einer vernünftigen Auseinandersetzung über ein solches Wissen? Oder muss man sich damit abfinden, dass es sich damit so verhält, wie es im Zen gelehrt wird: Wer nie Tee getrunken hat, dem wird man auf keine Weise begreiflich machen können, wie Tee schmeckt. Meister Eckhart führt ja selbst das Beispiel vom Wein im Keller an, vom dem man kosten müsse, um zu wissen, ob er gut ist. Die Gefahr dabei ist allerdings: Wer dem Gestus des spirituellen Meisters folgt, der sagt: ‚Ich habe es erfahren, du hast es nicht erfahren; du hast nur dann eine Chance, zu verstehen, was ich weiß, wenn du auch den Weg gehst, den ich dir weise‘, unterwirft sich möglicherweise einem autoritär und elitär präsentierten . Eckhart, Pr. , DW I ,-; trans. .
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Herrschaftswissen, das sich vernünftiger Reflexion entzieht. Es könnte dem Irrationalismus Raum geben und als Grundlage für Manipulation und Gehirnwäsche dienen. Es scheint mir für das Verständnis Eckharts notwendig, sich sorgfältig mit solchen Fragen zu beschäftigen. Das übersahen nicht nur diejenigen, die von Pater Willigis spirituelle Erbauung erwarteten, sondern auch diejenigen, die ihn einer intellektuellen Auseinandersetzung nicht für wert befanden. Die Letzteren schienen nicht zu bemerken, dass er, wenngleich ohne Reflexion der Implikationen und Konsequenzen seines Zugangs, ein sachliches und – in den Zeiten, da esoterische Strömungen Konjunktur haben – aktuelles Interesse an Meister Eckhart vertrat. So sehr ich eine Auseinandersetzung mit Eckhart schätze, für die Argumente, Textbefunde oder erschlossene Lebensumstände zählen, und so sehr ich dafür eintrete, Eckharts besondere Stimme als die eines Theologen in der Tradition des Christentums und als die eines Philosophen in der Tradition der Metaphysik seit Heraklit, Parmenides, Platon, Aristoteles und Plotin ernst zu nehmen, so sehr gibt es mir doch zu denken, dass bei dieser Sicht ein nicht wesentlicher Aspekt seines Anliegens allenfalls verkürzt in den Blick gerät. Ich möchte diesen Aspekt versuchsweise folgendermaßen fassen: Es gibt in der Rede und Schrift Eckharts eine Gewissheit, die sich nicht allein aus dem argumentativ Erwiesenen und sprachlich Artikulierten speist, und es geht Eckhart explizit darum, diese Gewissheit nach Möglichkeit seinen Hörern weiterzugeben. Sie betrifft nichts Geringeres als die Frage, wie man sein Leben ausrichten und führen sollte. Dafür ein Beispiel aus den Predigten Eckharts: Es gibt zweierlei Geburt des Menschen: eine in die Welt und eine aus der Welt, will sagen: geistig in Gott hinein. Willst du wissen, ob dein Kind geboren werde und ob es entblößt sei, das heißt, ob du zu Gottes Sohn gemacht seist? – Solange du Leid in deinem Herzen hast um irgendetwas, und sei es selbst um Sünde, solange ist dein Kind nicht geboren. Hast du Herzeleid, so bist du nicht Mutter, du bist vielmehr noch im Gebären und nahe der Geburt. Gerate deshalb nicht in Zweifel, wenn du leidvoll bist um dich oder deinen Freund: ist es nicht geboren, so ist es doch nahe der Geburt. Dann aber ist es geboren, wenn der Mensch um nichts von Herzen Leid empfindet: dann hat der Mensch das Sein und die Natur und die Substanz und die Weisheit und die Freude und alles, was Gott hat. Dann wird
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das Sein des Sohnes Gottes unser und in uns, und wir kommen in dasselbe Sein Gottes. Christus sagt: ‚Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst und hebe sein Kreuz auf und folge mir.‘ Das heißt: Alles Herzeleid wirf hinaus, daß in deinem Herzen nichts als stete Freude sei. So ist dann das Kind in mir geboren, und sähe ich dann meinen Vater und alle meine Freunde vor meinen Augen töten, so würde dadurch mein Herz nicht bewegt. Würde aber mein Herz dadurch bewegt, so wäre das Kind in mir nicht geboren, vielleicht aber wäre es nahe der Geburt. Woher weiß Eckhart, was er hier sagt? Was erwartet er von denen, die sich das anhören und es verstehen sollen? Denn es ist offensichtlich: Wer so spricht, stellt das unmittelbare Empfinden und die gewöhnlichen Vorstellungen seiner Hörer von Grund auf infrage und verlangt ihnen eine radikale Wende ihrer Denk- und Lebenseinstellungen ab. Da muss er wissen, wovon er spricht. Überdies muss er seinen Hörern zutrauen, dass auch ihnen ein solches Wissen prinzipiell zugänglich ist. Zwar spielt Eckhart hier auf Orientierungen, Einstellungen und praktische Folgerungen an, wie sie der Nachfolge Christi und bestimmten Ausprägungen der antiken Ethik entsprechen – es ließen sich hier Stellen aus der Bibel wie aus der stoischen Philosophie anführen. Aber wenn Eckhart nicht als Person für das Gesagte einstünde, wenn er nicht den Hörern glaubhaft vermitteln könnte: Ich weiß, wovon ich rede, wäre seine Rede haltlos. Betrachtet man die Wege und Irrwege der Eckhartforschung in den letzen Jahren, so war zwar verständlich, aber seinem Anliegen eher abträglich, dass der Ursprung dieser personalen Gewissheit mit Begriffen wie mystisches Erlebnis oder, in heutigem Jargon, spirituelle Erfahrung bedacht wurde. Wenn man einmal in solchen Kategorien dachte, war es nur folgerichtig zu fragen: Hatte er solche Erlebnisse oder nicht, und wenn er sie hatte, musste man nicht in ihnen den Ursprung der exponiertesten Teile seiner Lehre aufsuchen? Solche Fragen sind legitim, aber wenn man sie nüchtern beantworten will, ist zunächst festzustellen, dass Eckhart nirgendwo außergewöhnliche Erlebnisse oder Erfahrungen als Argumente für sein Anliegen geltend macht. Nirgendwo begründet er seine Lehre mit Privatoffenbarungen, nur einigen Erleuchteten zugänglichen Intuitionen, . Eckhart, Pr. , DW III ,-; trans. .
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transrationalen Eingebungen oder Ähnlichem. Andererseits enthält seine Rede offensichtlich Elemente, die sich nicht im Denkraum einer streng philosophisch argumentierenden Metaphysik oder einer bibel- und traditionsgestützten Theologie verorten lassen. Vor allem die Medien der Predigt und des erbaulichen Traktates in der Volkssprache treiben ihn an, sich seinen Hörern als Person zu präsentieren, die für das, was sie sagt, nicht nur mit ihren Argumenten, sondern mit ihrer Erfahrung und ihrem Leben einstehen kann. Zu den Merkmalen, die eine Predigt von einer philosophischen oder theologischen Abhandlung unterscheiden, gehört das offenkundige Hervortreten appellativer Momente. Denn für die Predigt, wie für die religiöse Rede überhaupt, ist kennzeichnend, dass sie Einfluss nehmen will auf Orientierungen, Haltungen und Gewohnheiten der Hörer. Dazu gehört, dass diese als du oder ihr persönlich angeredet werden, dazu gehört oft, dass der Prediger von sich selbst in der ersten Person als ich spricht. Eine gelungene Predigt enthält somit fast immer Züge der persönlichen Ansprache. All dies trifft auch für die Predigten Meister Eckharts zu, vor allem für die in der mittelhochdeutschen Volkssprache überlieferten. Darin unterscheiden sie sich prinzipiell von seinen lateinischen Schriften: nicht nur von den metaphysischen Traktaten der ersten beiden Teile des Opus tripartitum, sondern auch von den lateinischen Predigtskizzen des Opus sermonum, die zwar das gedankliche Gerüst, nicht aber die lebendige Redesituation der Predigt und die personale Ausgesetztheit des Predigers wiedergeben. Das Besondere an den Appellen in Eckharts volkssprachlicher Predigt ist, dass sie sich bevorzugt an das Verstehen der Hörer richten. Das Verstehen, das Eckhart sich wünscht, ist jedoch weder die Unmittelbarkeit der sinnlichen Wahrnehmung noch die Auffassungsweise des diskursiven Verstandes, dessen Überzeugung sich aus der Evidenz der Prämissen und der logischen Stringenz der Folgerungen speist: ‚Könntet ihr mit meinem Herzen erkennen (mhd. gemerken), so verstündet ihr wohl, was ich sage; denn es ist wahr, und die Wahrheit sagt es selbst.‘ Dieser Appell spricht mit dem Herzen einen Bereich an, der sich nicht ohne weiteres in die Wahrnehmung und die Ratio einzeichnen lässt – es ist eben mehr verlangt als die Rezeptivität der Sinne oder ein rein . Eckhart, Pr. , DW I ,-; trans. .
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verstandesmäßiger Nachvollzug. Unübersehbar ist eine gewisse Emphase, mit der Eckhart an exponierten Stellen einer seiner Predigten betont, was er sage, sei wahr, aber man müsse selbst als ganze Person dieser Wahrheit gleich sein, um zu verstehen, was er meine. Dem, was es hier zu verstehen gilt, muss man in seinem Wesen entsprechen, einzustehen dafür hat man mit seiner ganzen Existenz. Was ist es aber, was man mit dem Herzen auffassen soll, welcher Wahrheit soll man gleich sein, damit man Eckhart verstehen kann? Kann man das Erfragte überhaupt benennen und begreifen, oder gehört es schlechterdings zu derjenigen Dimension des Wortes, die Eckhart als ungesprochen bezeichnet? Solche Winke in der Rede Eckharts kann man als Hinweise auf mystische Erfahrungen oder einen intuitus mysticus lesen. Man kann, aber man muss sie nicht so lesen. Denn man bewegt sich hier in einem Bereich, in dem man kaum mit Beweisen oder Widerlegungen arbeiten kann. Illegitim ist eine mystische Lesart deswegen allerdings nicht. Sie wäre es nur dann, wenn sie sich anmaßen würde, an die Stelle der begrifflich-gedanklichen Arbeit an den Texten zu treten, oder wenn sie einen privilegierten Zugang zum eigentlichen Anliegen Eckharts behauptete. Ansonsten scheint es mir durchaus wahrscheinlich (ich kenne wenigstens eine Stelle in Eckharts Werk, die dafür spricht, s.u.), dass Eckhart Einsichten ohne Bild und Begriff aus einer Dimension erfuhr, wie sie Johannes vom Kreuz in der Tradition des Dionysios Areopagita der mystischen Theologie zuschreibt: ‚Diese dunkle Nacht ist ein Einströmen Gottes in den Menschen, das ihn von seinen gewohnheitsmäßigen natürlichen und geistlichen Unkenntnissen und Unvollkommenheiten läutert; die Kontemplativen nennen sie eingegossene Kontemplation oder auch „mystische Theologie“. Hier belehrt Gott den Menschen geheimnisvoll und unterrichtet ihn in der Vollkommenheit der Liebe, ohne daß er dabei etwas tut noch das Wie versteht.‘ Andererseits: Wenn man die Möglichkeit solcher Einsichten zugibt, ist damit zum Verständnis Eckharts vielleicht weniger gewonnen, als man erwarten könnte. Denn von der ausgefeilten Kriteriologie für die Unterscheidung echter von falscher mystischer Einsicht, wie sie Johannes vom . Vgl. Eckhart, Pr. , DW II ,-; trans. . . Vgl. Eckhart, Pr. , DW II ,; trans. . . Johannes vom Kreuz, Die Dunkle Nacht, trans. und ed. U. Dobhan OCD, E. Hense, E. Peters OCD (Freiburg, ), .
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Kreuz bietet, findet sich bei Eckhart fast nichts, und die Stadien der Gotteserfahrung in seiner Predigt Vom edlen Menschen lassen sich keineswegs mit der eindrucksvollen Beschreibung eines stufenweisen Aufstiegs zur Begegnung mit Gott vergleichen, wie sie Johannes vom Kreuz in seinem Aufstieg auf den Berg Karmel bietet. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen wollen wir uns nun der Klärung der eingangs gestellten Frage zuwenden: Woraus speist sich die unerschütterliche Gewissheit des Predigers, soweit sie nicht aus rational nachvollziehbaren Argumenten oder aus der Autorität der christlichen Überlieferung hergeleitet werden kann? Zusätzlich wollen wir fragen: Was bedeutet die Reflexion solcher Gewissheit jenseits des Denkens für den Denker, den Philosophen und Theologen Meister Eckhart? Wissen, was das gute Leben ist: Know-what oder Know-how. Platons siebter Brief Bekanntlich verstand sich Eckhart nicht nur als einen Gelehrten (lesemeister), sondern als einen Meister der Lebensführung (lebemeister). Was erwartet man von einem solchen Meister? Wer sich auf das rechte Leben versteht und andere zum rechten Leben führen will, muss nicht außergewöhnliche, den normalen Sterblichen unzugängliche Erfahrungen haben. Wohl aber muss er erfahren sein in den wesentlichen Angelegenheiten des Lebens. Leben ist für Eckhart immer Leben von Gott her und auf Gott hin, und es ist dieses Verständnis von Leben, in dessen Rahmen er sich als lebemeister versteht. Es wäre viel gewonnen, wenn man von der Frage nach der mystischen Erfahrung Eckharts überginge zu der Frage nach dem Grund der Erfahrenheit Eckharts, seiner Bewandertheit in den Problemen des innerseelischen Lebens mit Gott und aus Gott, von der insbesondere seine Predigten zeugen. Damit wird übrigens die Frage nach der Erfahrung Eckharts keineswegs einfacher, denn das Leben, zu dem Eckhart als Lebemeister anleiten möchte, ist so weit entfernt von aller Lebenskunst, auch in ihren philosophischen Ausprägungen von Epiktet bis Wilhelm Schmid, dass die Frage nach der Art von Erfahrung, die . Johannes vom Kreuz, Aufstieg auf den Berg Karmel, trans. und ed. U. Dobhan OCD, E. Hense, E. Peters OCD (Freiburg, ). . Wilhelm Schmid, Philosophie der Lebenskunst. Eine Grundlegung (Frankfurt a.M., ).
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sich bei Eckhart findet, keineswegs trivial ist. Ich möchte mich nun auf einem Umweg dieser Frage annähern. Eckhart ist nicht der erste Denker, aus dem man, je nach Standpunkt, einen Mystiker gemacht hat, obwohl er keiner war, oder dem man alles Mystische abgesprochen hat, obwohl es sich überall in seinem Werk aufspüren lässt. Viele Argumente aus der Auseinandersetzung über Eckharts Mystik oder Nicht-Mystik begegnen uns in der Diskussion über die sogenannte ungeschriebene Lehre Platons. In seinem siebten Brief spricht Platon über vier Momente der Einsicht in eine Sache – (i) Name, (ii) Bild, (iii) Begriff, die (iv) zur wissenschaftlichen Erschließung der Sache zusammengeschlossen werden – um dann fortzufahren: Es gebe noch ein fünftes Moment jenseits der Wissenschaft: (v) Die Sache selbst. Während die ersten vier Momente durch Beobachtung und argumentierende Rede erschlossen würden, verhalte es sich mit dem fünften ganz anders. Weder sprachlich artikulierbar noch begrifflich erfassbar, gehe es nach langer Übung in dem Suchen plötzlich auf, so, wie aus einem Funken Licht entspringe. Bereits Immanuel Kant zeigte sich irritiert über den ‚Briefsteller‘ Platon, der – anders als der Begründer der Ideenlehre, der der Vernunft den Weg gewiesen habe – in die Mystik geraten sei und Denken durch Schwärmen ersetzen wolle: Das fünfte Moment, das angeblich allein Wesentliche, sei nur das überflüssige fünfte Rad am Wagen der Erkenntnis. Die Debatte über die Bedeutung und den Stellenwert der ungeschriebenen Lehre im Werk Platons hält bis heute an. Eine Deutung, die sich meines Erachtens auch für Meister Eckhart fruchtbar machen lässt, hat Wolfgang Wieland in seinem großen Platonbuch vorgelegt, auf das sich die nun folgenden Überlegungen stützen. Das Wissen, das auf . Platon, Siebenter Brief, trans. D. Kurz in Platon, Werke V, ed. G. Eigler, trans. F. Schleiermacher, D. Kurz (Darmstadt, ), -, -. Vgl. ibid. - ( a - d ). . Ibid. - ( d). . Immanuel Kant, ‚Von einem neuerdings erhobenen vornehmen Ton in der Philosophie‘, in id., Gesammelte Schriften VIII, Akademieausgabe (Berlin, ), -, . Vgl. hierzu Reiner Manstetten, ‚Kant und das Problem der Mystik‘, in C. Fricke, P. König und T. Petersen (eds), Das Recht der Vernunft. Kant und Hegel über Denken, Erkennen, Handeln (Stuttgart, Bad Cannstatt, ), -. . Ich möchte hier auf den Artikel Ungeschriebene Lehre in der deutschsprachigen Wikipedia verweisen (abgerufen am ..), der die Debatte gut wiedergibt und nützliche Literaturhinweise bietet. . Wolfgang Wieland, Platon und die Formen des Wissens (Göttingen, ).
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das Wesentliche geht und sich nicht sagen lässt, ist in Analogie zu ganz alltäglichen Erfahrungen konzipiert. Platon bringt des Öfteren das Beispiel der Handwerker, der Töpfer, Schuster oder Schreiner, deren Produkte sich einem Herstellungswissen verdanken, welches sie, dazu aufgefordert, kaum in Worte fassen könnten. Fragt man den Töpfer, wie er das Gefäß so schön hinbekommen habe, so wird er dies und das sagen, aber kaum etwas, was den Hörer, selbst wenn er etwas vom Töpfern verstünde, dazu bringen würde, selbst Ähnliches herzustellen. In dem gelungenen Krug, Schuh oder Tisch steckt ein persönliches Können, manchmal ein Dreh, ein Kniff, kurz, ein Wissen, wie man es nur durch lange Übung und Erfahrung erwirbt. Wer solches Wissen erwerben will, wird dazu in erster Linie nicht Bücher über die Herstellung von Krügen, Schuhen oder Tischen lesen, sondern jahrelang bei einem Meister seines Handwerks in die Lehre gehen und sich in der Sache üben, so lange, bis er merkt: Jetzt kann ich es selbst. Ähnliches gilt für alle künstlerische Betätigung: Die Sicherheit, die in einer Oper von Mozart, einem Gedicht von Goethe oder einer Zeichnung von Michelangelo steckt, verdankt sich einem staunenswerten Know-how, das Mozart, Goethe oder Michelangelo kaum in klare Propositionen hätten fassen können. Das Wissen, über das solche Menschen verfügen, lässt sich nicht in Propositionen (Know-what) erfassen, es ist vielmehr, in den Worten Wielands, ein personengebundenes Gebrauchs- oder Dispositionswissen (Know-how). Neben einer natürlichen Veranlagung sind Schulung, Übung und Erfahrung seine Quellen. Die Menschen, die über dieses Wissen verfügen, legen auf ihrem Gebiet Meisterschaft an den Tag. Ohne dass man nach besonderen Erlebnissen fragen müsste, die sie dazu gebracht haben, ist bekannt, dass manchen unter ihnen etwas widerfahren ist, eine Eingebung, eine Erkenntnis, die ihnen blitzartig klarmachte, dass sie zur Musik, Dichtung oder Malerei berufen waren. Die Bedeutung eines solches Wissens in Bereichen, in denen es um die Herstellung von Gebrauchsdingen und Kunstwerken geht, wird allgemein fraglos anerkannt. Wie aber verhält es sich im Bereich des Denkens, der Herstellung von Gedanken, wie ist es gar erst um das ‚Handwerk des Lebens‘ selbst bestellt, worum es uns als Menschen in gewisser Weise immer geht oder gehen sollte? Wenn Menschen sich sprachlich artikulieren, wird im Ausgesprochenen immer Unausgesprochenes mitgesagt, und oft ist das Unausgesprochene das Entscheidende.
DIE LEERSTELLE IM DENKEN
Alles Verstehen, aber auch alles Missverstehen hat hier seine Wurzel. Nur wenigen Menschen ist jedoch die Tragweite dieser Einsicht bewusst. Das Anliegen Platons ist, so Wieland, die Implikationen dieser Struktur und ihre Folgen für die Erkenntnis und das Leben der Menschen herauszuarbeiten und nach Möglichkeit begrifflich zu artikulieren. Anders gesagt: Die Dimension des Unbegrifflichen, die zu allem Begreifen gehört, selbst begreiflich zu machen, wäre eine wesentliche Intention Platons. Wer die für Menschen wesentlichen Wahrheiten in Gedanken erfassen und in Propositionen auszudrücken versucht, muss mehr wissen, als der Buchstabe seiner Aussagen besagt, wer solche Aussagen verstehen will, muss im Gesagten das Ungesagte mithören. Dieses ungesagte Mehr aber ist das Entscheidende, denn es ist das Wesen, der Kern dessen, was ausgesagt werden soll. Wenn diese Dimension des ständig präsenten Ungesagten den Menschen nicht bewusst wird, hat das negative und oft destruktive Folgen für die eigene Lebensführung, die zwischenmenschlichen Beziehungen oder die Ordnung des Gemeinwesens. Für das eigene Leben, in dem jeder Mensch Meister sein sollte, oder die Politik, in der jeder Staatsbürger, vor allem aber der Politiker und der politische Redner, sich als kompetent erweisen sollte, gilt, dass es dort nicht nur Unfähigkeit, Stümperei und Pfusch gibt, sondern sogar Scharlatanerie und bewusste Irreführung: Die propositionale Rede angeblicher Lehrer setzt in der Politik ungesagte Untertöne gezielt ein, um Menschen zu täuschen; diese Lehrer leben an ihrem eigentlichen Leben vorbei und gefährden mit ihren Taten die Existenz des Gemeinwesens. Diese Erfahrung brachte, Wieland zufolge, Platon darauf, die Probleme des rechten Denkens und der Lebensführung in einer der handwerklichen Herstellung analogen Weise zu thematisieren. Für Platon war dabei die Politik, die Ordnung der Angelegenheiten einer Gemeinschaft, das paradigmatische Feld, um Probleme des Lebens im Ganzen abzuhandeln. Die Frage nach dem Leben im Ganzen unterscheidet sich allerdings, wie Platon erkannte, grundlegend von den Bereichen, in denen es um die Verfertigung von Schuhen, Krügen oder Gedichten geht. Das hier geforderte Wissen ist kein technisches, sondern ein praktisches Wissen. Während jeder weiß, was ein guter Schuh ist, wissen nur wenige, was ein gutes Leben für den Einzelnen und die Gemeinschaft ist, obwohl die meisten glauben, sie wüssten es, und gerade auf dem Feld der Politik ihre Meinungen dazu entschieden zur Geltung bringen. Dabei werden sie oft
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in die Irre geführt von Menschen, die erfahren sind im Umgang mit Worten und Argumenten, ihre Erfahrung aber dazu verwenden, in ihrer Lebensführung Motive wie Machtgier und Habsucht zu befriedigen. Zwar gilt, dass auch, wer sich wahrhaft auf die Politik versteht, wie ein guter Handwerker über Gebrauchswissen verfügt, das sich nur unvollkommen in Propositionen aussprechen lässt. Aber anders als im Bereich handwerklicher Produktion, wo das Produkt ganz ohne Worte und Begriffe für sich spricht, muss Politik Rechenschaft ablegen, Gründe für ihr Vorgehen angeben. Was das Leder für den Schuster, der Ton für den Töpfer, ist der Logos, das Argument, für den Politiker. Während aber, wer Schuhe und Töpfe herstellt, sich keine Gedanken über die Zwecke und Ziele machen muss, für die seine Produkte eingesetzt werden, muss der Politiker den Zweck, für den er den Logos einsetzt, kennen und verstehen. Wer als Politiker wirkt, ohne zu wissen, was das gute Leben ist und was ihm dienlich ist, wird das Dasein der Gemeinschaft gefährden. Der Logos der Politik muss dem guten Leben dienen: Damit ergibt sich das Paradox, dass jeder Mensch, insbesondere aber der gute Politiker und der Staatsbürger, wie ein Handwerker über ein personengebundenes Gebrauchswissen in Bezug auf das gute Leben verfügen muss, das sich nie restlos in Propositionen aussprechen lässt, dass aber ebendieses Wissen mehr als jedes andere der sprachlichen Artikulation und der begrifflichen Reflexion bedürftig ist. Dass im Wesen des Handwerks der Politik, das mit Worten und Begriffen operiert, Ungesagtes und Unbegreifliches liegt, das muss man, mit allem, was daraus folgt, begreifen. Wieland zufolge entwirft Platon vor diesem Hintergrund die Figur des Philosophen als die eines Therapeuten. Der Philosoph will die wahre menschliche Natur wiederherstellen, die zur vernünftigen Einsicht in das Gute und zu seiner Verwirklichung im Leben bestimmt ist. Diese Natur ist zwar allen Menschen gemeinsam, aber bei den meisten, und leider selbst bei den Führungskräften der Gesellschaft, tritt sie verkehrt und verdorben in Erscheinung. Das zeigt sich bei dem, worum es, dem Namen nach, allen Menschen geht: dem Guten, Wahren und Schönen. Alle Menschen streben nach Gutem, wollen (zumindest von anderen) die Wahrheit hören und sehnen sich nach Harmonie und Übereinstimmung. Gleichsam als Schatten der Erinnerung an ihre wahre Natur führen daher alle Menschen die Ausdrücke gut, wahr, schön, gerecht, tapfer, klug etc.
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im Munde. Aber die meisten tun dies, ohne zu wissen, was sie damit meinen: Beim Guten denken sie an ihren Nutzen, bei der Wahrheit klammern sie sich an ihre Vorteile, und schön ist, was ihnen ein Wohlgefühl bereitet. Dem Philosophen, der sich dessen bewusst ist, wird hier ein Gebrauchswissen besonderer Art abverlangt. Er muss sich über alle Argumente hinaus, die sich so oder anders wenden lassen, auf die Sache selbst, auf das Gute, Wahre und Schöne jenseits aller Bedürfnisse und Interessen verstehen, er muss es in Person, wie das Höhlengleichnis zeigt, in einem unfehlbaren Licht reiner Erkenntnis aufgefasst haben. Was immer er aber davon anderen Menschen mitteilen kann, die doch die gleichen Worte wie der Philosoph verwenden: Insofern sie auf ihre gewohnten Verstehensbedingungen beschränkt sind, wird das Wesentliche für sie ungesagt bleiben. Was man Platons Ideenlehre nennt, verdankt sich dem paradoxen Versuch, ein auf das Wesentliche bezogenes personengebundenes Gebrauchswissen, das jeder gedankenlos in Anspruch nimmt, wenn er Ausdrücke wie gut, wahr, schön, gerecht oder weise in den Mund nimmt, wenigstens so weit in allgemeinen Termini zu artikulieren, dass dem Missbrauch dieser Ausdrücke durch Demagogen und Dummköpfe Einhalt geboten wird. Im Idealfall aber lassen sich die Menschen durch die Philosophen an ihr unbewusstes Gebrauchswissen erinnern, sie wenden sich selbst von innen heraus dem zu, was in den Ideen zwar angesprochen wird, aber unausgesprochen bleibt. Dazu muss der Philosoph erfahren sein im Umgang mit dem Wahren, Guten und Schönen, er muss die Weisheit und Gerechtigkeit so intim kennen, dass sein Denken weise und sein Tun gerecht ist. Diese Erfahrenheit bezeugt er mit seinem Leben und sogar, wie Sokrates, mit seinem Sterben. Aber obwohl der Philosoph verpflichtet ist, die Grenzen propositionaler Rede so weit wie möglich auszudehnen, muss er akzeptieren, dass die Quelle seiner Gewissheit, die intime Kenntnis des Wesens und des Wesentlichen, der Sache selbst, so wie sie ist, nie zu Wort kommen kann. Platon und Christus Ähnlich wie Platon gibt auch Meister Eckhart, wie wir sahen, Hinweise auf ein Verstehen, das sich nicht allein an den Wortlaut und die Argumentation seiner Rede halten kann, ähnlich wie Platon geht es Eckhart um
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das menschliche Leben im Ganzen. Anders aber als im Fall Platons kann es keine Auseinandersetzung über Meister Eckharts ungeschriebene Lehre geben, da jegliche Verweise darauf fehlen. Der Grund dafür ist, wie mir scheint, dass sich das, woran Platon leidet, nämlich die Unmöglichkeit, das Entscheidende angemessen zur Sprache zu bringen, für Eckhart geradezu von selbst versteht. Die große Tradition der negativen Theologie hat hier ganze Arbeit geleistet. Zugleich aber bewahrt Eckhart ein entscheidendes Motiv Platons: Gelingendes Leben besteht für einen Menschen einzig darin, im rechten Verhältnis zu diesem Unaussagbaren zu stehen und sein ganzes Denken und Handeln darauf auszurichten, dass dieses Verhältnis, das durch die Sünde gestört oder, besser gesagt, zerstört ist, in seine ursprünglich vorgesehene Ordnung gelangt. Der Weg dazu ist für den christlichen Denker Eckhart in einer Weise vorgezeichnet, die Platon nicht kennen konnte: Das, was man nicht aussagen kann, hat sich vollendet offenbart in dem Menschen, in dem das Wort Gottes Fleisch geworden ist: Jesus Christus. Meisterschaft in der Führung des Lebens, wenn man so sagen darf, erweist ein Mensch nur, wenn er Jesus Christus nachfolgt. Wer aber diese Meisterschaft hätte, wer sein Kreuz auf sich nehmen und den Weg der imitatio Christi einschlagen könnte, für einen solchen Menschen würden sich alle Fragen auflösen, die mit der ungeschriebenen Lehre Platons verbunden sind. Das unsagbare und unbegreifliche Wesen selbst, das, laut Kant, fünfte Rad am Wagen der Erkenntnis, zeigt sich im Zeugnis, das das je eigene Leben in Christus darstellt. In der Lehre Meister Eckharts sind sowohl das ungelöste Problem Platons als auch die Antwort des Christentums gegenwärtig. Für den Prediger Eckhart stellt sich jedoch überdies eine seelsorgerliche Frage: Wie kann der Mensch, den der Prediger als Hörer anspricht, auf den Weg der Nachfolge Christi gelangen, was ist einem solchen Menschen anzuraten? Für den Denker Eckhart stellt sich darüber hinaus auch eine Frage, die das Handwerk des Denkens betrifft: Wie lässt sich die personengebundene Dimension des theoretischen Wissens angemessen
. Im Unterschied zu Platon spielt bei Eckhart die Analogie zwischen der Lebensführung und der handwerklichen Herstellung keine Rolle. Von einem Handwerk des Lebens spricht er, soweit ich sehe, nicht einmal in einem metaphorischen Sinn.
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artikulieren, das heißt, wie lässt sich im Medium des Begriffes so auf sie verweisen, dass ihre Unbegreiflichkeit bewahrt bleibt? Für das, was ich im Folgenden sagen werde, ist eine unabdingbare Voraussetzung, dass man Eckhart zutraut, dass er wusste und mit seiner Lebensweise bekundete, was Nachfolge Christi sein kann und sein soll. Oder, einfacher ausgedrückt: Man muss ihm zutrauen, dass er das Leben, das er lehrte, selbst in persona vorgelebt hat. Das Besondere an Eckhart ist jedoch, dass er Denken und Leben nie als getrennte Bereiche behandelt, so wenig, dass er den Hörern seiner Predigt, auf deren Leben er einwirken will, zugleich höchst anspruchsvolle Gedankenwege mit Anspielungen auf komplexe Denkfiguren aus der Tradition der Metaphysik zumutet. Sein besonderer Weg der Nachfolge Christi nimmt, anders als die Wege sonstiger Heiliger, mit der Akzentuierung des Denkens ein platonisches Motiv auf: Wer intellektuell dazu in der Lage ist, muss, um recht zu leben, sich auch auf das rechte Denken verstehen. Daher gehören die Unaussagbarkeit des Wesentlichen und der Versuch, ihm mit allen Mitteln des Denkens zu entsprechen, unauflöslich zusammen. Abgeschiedenheit – philosophische und biblische Wurzeln Ich möchte nun Eckharts Herangehensweise an die hier präsentierten Fragen auf einen Begriff konzentrieren, der, wie mir scheint, der dafür entscheidende ist: Der Begriff der Abgeschiedenheit. Ich möchte zeigen, dass (i) dieser Begriff einen Zugang zur Quelle der Gewissheit darstellt, die Eckharts Predigt in Anspruch nimmt, dass (ii) in diesem Begriff das nicht-propositionale Moment aller propositionalen Rede über das Wesen aufgehoben ist, und dass Abgeschiedenheit (iii) ein auch heute aktuelles Konzept ist, das aufmerksam macht auf Momente persönlicher Erfahrung jenseits dessen, was sich in Worte und Begriffe fassen lässt. Im Ausdruck abegescheidenheit ist ein dynamisches Moment gleichsam stillgestellt: Die Bewegung des Abschiednehmens und Abscheidens von allem Äußerlichen, Vergänglichen, von allem, was als umgrenztes Dies und Das identifizierbar ist, wird in der Abgeschiedenheit gleichsam zum Zustand. In vollendeter Abgeschiedenheit wäre der Geist des Menschen jene leere, unbeschriebene Tafel, als die Aristoteles in De anima den Intellekt der Seele anspricht. Für das Verständnis von Abgeschiedenheit ist zunächst bedeutsam, dass Eckhart mit diesem Ausdruck einen
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eigenen Akzent innerhalb der ihm vorliegenden Tradition von Theorien der Vernunft setzt, deren Ursprung er, Aristoteles folgend, bei Anaxagoras ansetzt. Dieser habe erkannt, dass die Vernunft (intellectus), wenn sie rein und vollständig das ist, was sie wahrhaft ist, abgelöst und abgetrennt sei von allem, was sie erkennt (abstractus oder separatus), mit nichts Gegenständlichem gemischt sei (immixtus) und mit nichts etwas gemeinsam habe (nulli nihil habens commune). Sie sei wie das Auge, das von aller Farbe ledig sein müsse, um alle Farben zu erkennen. Diesem Auge gleich, das nur als ungefärbtes, empfängliches Nichts aller Farbe der wahre Ort aller Farben sein kann, ist die Vernunft ungegenständlich und eben damit empfänglich für alle Arten von Gegenständlichkeit. Sie ist das Nichts alles Gegenständlichen, um alle Gegenstände zu erkennen. Distanz des Denkens zu, Unberührtheit des Denkens von und Offenheit gegenüber allem Gegenständlichen bedenkt Eckhart in seinen mittelhochdeutschen Texten mit dem Ausdruck abegescheidenheit. Darin ist ein aktives Moment. Wenn die Vernunft nicht rein für sich ist, sondern etwa als menschliche Vernunft in einem Menschen wirksam wird, verfügt sie nicht automatisch über ihre Abgeschiedenheit, sondern muss sich immer wieder neu von allem Gegenständlichen, das äußerlich und innerlich den Menschen in Besitz zu nehmen droht, befreien. Jede wahrhafte Erkenntnis löset abe und schält abe, was zu Ort und Zeit, zum Dies und Das gehört. Nur im Vollzug dieser Tätigkeit ist Erkenntnis, was sie zu sein bestimmt ist: Wirkkraft, die die Gegenstände im ungegenständlichen Nichts der Vernunft erscheinen lässt, wie sie sind. Abgeschieden ist nicht nur der Bereich des Erkenntnisvermögens, abgeschieden sind auch seine eigentlichen Gegenstände, die Ideen, wie es schon Platon ausdrückte, als er in seiner Lehre vom Chorismos die Ideen wie durch eine Kluft von der Erscheinungswelt und den gewöhnlichen Vorstellungen schied. Gültige Wahrheiten sind nur in der Abgeschiedenheit zugänglich, ansonsten verfängt sich die erkennende Seele in den Privatbedingungen ihres Trägers, des menschlichen Subjektes, oder in den Verengungen, die Umstände und kontingente Diskursstrukturen einer bestimmten Zeit oder Kultur ihr auferlegen. . Eckhart, In Gen. I n. , LW I, ,-,. . Eckhart, Pr. , DW I ,-; vgl. id., In Gen. II n. , LW I, ,-. . Eckhart, Pr. , DW I ,.
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Weiterhin hat der Ausdruck Abgeschiedenheit auch biblische Bezüge. Eckhart selbst sieht in den Pharisäern gemäß der ihm vorliegenden Etymologie Vertreter einer Haltung der Abgeschiedenheit. Er fasst sie in der Tradition eines, wie man es mit Michael Theunissen nennen könnte, abschiedlichen Lebens auf, dessen Ursprung man in der Figur des Abraham aufsuchen kann, der ausgeht aus seinem Land, seiner Verwandtschaft und seinem Vaterhaus (Gen ,). Die stärkste Manifestation eines solchen Abscheidens stellt wohl der Exodus, der Auszug des Volkes Israel aus Ägypten dar. Seine Bestätigung ist ein Leben, wie es fromme Juden bis heute führen, wenn sie sich in der Treue zur Thora absondern von den Vorgaben der in die Welt verstrickten Menschen. Abgeschiedenheit lehrt Jesus, wenn er die Menschen auffordert, sich selbst zu verleugnen, ihr Leben zu verlieren, um es in seiner Nachfolge neu zu gewinnen (Lk ,; Mt ,-). Die Vollendung der Abgeschiedenheit in diesem biblischen Sinne zeigt sich für Eckhart in dem armen Menschen gemäß der Bergpredigt, der nichts will, nichts weiß und nichts hat. Die biblische Tradition der Abgeschiedenheit bringt in die Intellekttheorien der klassischen Metaphysik das Moment der Lebenspraxis ein, ja, sie hebt dieses Moment, mit Eckharts Augen gelesen, als Basis wahrer vernünfticheit eigens hervor. Damit wird deutlich, dass der Begriff Abgeschiedenheit als Grenzbegriff zwischen Denken und Leben steht und zugleich eine Art Brücke von der einen Seite zur anderen darstellt: Als Grundlage jeder Intellekttheorie, die diesen Namen verdient, liegt Abgeschiedenheit allen wahren Propositionen zugrunde, ohne selbst im Propositionalen erfasst zu werden. Damit kommt jedoch ein personales Moment in alles Sach-Verstehen. Wer sich der wahren Abgeschiedenheit versichern will, muss über die rein theoretische Reflexion hinausgehen. Sicher sein kann sich dieser Grundlage allen Denkens nur – soweit man ihrer als Mensch überhaupt sicher sein kann – derjenige, der sein ganzes Leben auf sie ausrichtet, so wie es biblische Figuren von Abraham bis Jesus Christus und Heilige wie Benedikt oder Elisabeth von Thüringen . ‚„Phariseus“ besagt soviel wie: einer der abgeschieden ist und um kein Ende weiß‘ (Eckhart, Pr. , DW I ,-,; trans. ). . ‚Menschlich leben wir dann und nur dann, wenn wir abschiedlich leben, und das heißt: wenn wir uns ständig von der Welt und uns selbst abscheiden. So zu leben ist nicht willkürlicher Entscheidung anheimgegeben. Denn unser Leben ist abschiedlich‘ (Michael Theunissen, ‚Die Gegenwart des Todes im Leben‘, in id., Negative Theologie der Zeit (Frankfurt a.M., ), -, .
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taten. Zusammengefasst lässt sich sagen: Abgeschiedenheit öffnet alles Denken auf ein Nicht-Propositionales hin, das nicht propositional gewusst, aber in der Klarheit des Denkens und der Wahrheit der Erkenntnis manifest wird; Abgeschiedenheit löst alles Handeln vom Anhaften an äußeren Handlungsgegenständen und innerseelischen umgrenzten Handlungsmotiven. Abgeschiedenheit verbindet also den Grund aller Metaphysik mit einem wahrhaft guten Leben. Abgeschiedenheit als Tugend Vor diesem Hintergrund kann Eckharts zunächst provozierend erscheinender eigener Zugang zur Abgeschiedenheit verständlich werden. Sein Traktat Von Abgeschiedenheit beginnt mit folgenden Worten: Ich habe viele Schriften gelesen, sowohl der heidnischen Meister wie der Propheten, des Alten und des Neuen Testamentes, und habe mit Ernst und ganzem Eifer danach gesucht, welches die höchste und die beste Tugend sei, mit der sich der Mensch am meisten und am allernächsten Gott verbinden und mit der der Mensch von Gnaden werden könnte, was Gott von Natur ist, und durch die der Mensch in der größten Übereinstimmung mit dem Bilde stände, das er in Gott war, in dem zwischen ihm und Gott kein Unterschied war, ehe Gott die Kreaturen erschuf. Und wenn ich alle Schriften durchgründe, soweit meine Vernunft es zu leisten und soweit sie zu erkennen vermag, so finde ich nichts anderes, als daß lautere Abgeschiedenheit alles übertreffe, denn alle Tugenden haben irgendein Absehen auf die Kreatur, während Abgeschiedenheit losgelöst von allen Kreaturen ist. Darum sprach unser Herr zu Martha: ‚Unum est necessarium‘ (Lk ,), das besagt so viel wie: Martha, wer unberührt und lauter sein will, der muß Eines haben, das ist Abgeschiedenheit. Wie kommt Eckhart darauf, unter dem Namen Abgeschiedenheit eine Tugend zu postulieren und gar als die höchste anzusetzen, von der die ihm vorausgehenden Tugendkataloge, seien sie aus der Bibel abgeleitet oder in der philosophischen Ethik formuliert worden, nichts wissen? Kriterium für den Rang einer Tugend ist, laut Eckhart, in welchem . Eckhart, Von abegescheidenheit (VA), DW V ,-,; trans. .
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Maße sie den Menschen mit Gott verbindet, in anderen Worten, inwieweit sie es dem Menschen ermöglicht, im wahren Grund und Ursprung seiner Existenz anzukommen und aus ihm heraus zu leben und zu handeln. Das leistet Abgeschiedenheit, so Eckhart, am meisten und am besten. Er schreibt ihr sogar zu, dass sie andere Tugenden, die traditionell als die wesentlichen angesehen werden, in sich einschließt. Die Liebe, die nach Paulus die größte unter den (später so genannten) göttlichen Tugenden ist, erscheint ebenso wie die oft als höchste Tugend gepriesene Demut oder die Barmherzigkeit aufgehoben in der Abgeschiedenheit. Selbst diese göttlichen Tugenden sind nur im Hinblick auf eine Beziehung zum Kreatürlichen zu verstehen. Da sie jedoch darauf angelegt sind, den Menschen zu einem Leben zu führen, worin Kreatürliches keine Macht über ihn hat, werden sie zugleich aufbewahrt und überwunden in der Tugend der Abgeschiedenheit, in der es keine Beziehung zum Kreatürlichen mehr gibt. Nicht eine Eingebung, sondern, wie Eckhart sagt, gründliche Lektüre und Durchdringung der ihm vorliegenden Schriften aus der griechischen und arabischen Philosophie und aus den Traditionen des Judentums und Christentums hat ihn zu dieser Einsicht geführt. Nur deswegen kann er den Anspruch auf Allgemeinheit formulieren. Diese Traditionen setzen Abgeschiedenheit, wie wir sahen, der Sache nach voraus, in der Metaphysik ist sie als abstractio oder separatio in Theorien der Vernunft angesprochen, in der Schrift ist ihr Sinn durch Figuren wie Abraham und Jesus von Nazareth offenbar geworden. Aber dass die Intentionen von Metaphysik und Bibel zusammenlaufen in einer begrifflich wenigstens partiell bestimmbaren Tugend namens Abgeschiedenheit, die gleichermaßen das Denken des Geistes wie den Lebensvollzug der Person umfasst, das ist das Neue an der Sichtweise Eckharts. Seit Platon und Aristoteles ist bekannt, dass man über Tugenden anders sprechen muss als etwa über Sachverhalte der Logik oder der Mathematik. Letztere kann man beweisen, erstere müssen sich bewähren. Erfahrung und Urteilskraft sind notwendig, um eine Tugend recht zu verstehen. Allerdings gilt: Auch wenn das Verständnis einer Tugend über den Bereich der strengen begrifflichen Rede hinausführt, ist es erforderlich, dass man sich nach Möglichkeit um Klärungen, Definitionen und Beschreibungen bemüht. Wie aber soll dies bei der Abgeschiedenheit gelingen, die von Eckhart so konzipiert ist, dass sie ihrer
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Struktur nach sowohl über den Bereich des Gegenständlichen als auch über den Bereich der propositionalen Rede hinausführt? Eckharts entscheidender Begriff, mit dem er zugleich den Grund und das Bezugsobjekt der Abgeschiedenheit als Tugend zu fassen versucht, ist das bloße Nichts. Dieses Nichts ist zugleich Ablösung von und Offenheit für alles Gegenständliche: Hier frage ich, was der lauteren Abgeschiedenheit Gegenstand sei. Darauf antworte ich wie folgt und sage, daß weder dies noch das der lauteren Abgeschiedenheit Gegenstand ist. Sie steht auf einem bloßen Nichts … . Da nun das abgeschiedene Herz auf dem Höchsten steht, so muß dies auf dem Nichts sein, denn darin liegt die größte Empfänglichkeit. Dafür nimm ein Gleichnis in der Natur. Will ich auf eine Wachstafel schreiben, dann kann nichts so edel sein, was auf der Tafel geschrieben steht, daß es mich nicht behindert, so daß ich nicht darauf schreiben kann; will ich aber doch schreiben, so muß ich alles das tilgen und auslöschen, was auf der Tafel steht. Und die Tafel schickt sich mir nimmer so wohl zum Schreiben, wie wenn gar nichts auf der Tafel steht. Ganz ebenso muß, soll Gott auf das allerhöchste in mein Herz schreiben, alles das aus dem Herzen herauskommen, was dies und das heißen mag, und ganz so steht es mit dem abgeschiedenen Herzen. Abgeschiedenheit unterscheidet sich von allem, was sonst Tugend genannt wird, darin, dass sie statt auf Tun und Handeln ganz auf Zulassen, Leiden und Empfangen ausgerichtet ist. Das abgeschiedene Herz bezeichnet, wie das Beispiel der Wachstafel zeigt, einen Gemütszustand, in dem nichts vor das Bewusstsein tritt oder in ihm sich bildet, so dass auch, im Gegensatz zu anderen Tugenden, nicht von einem besonderen Gebiet gesprochen werden kann, in dem die Abgeschiedenheit tätig werden könnte. Das widerspräche ihrem rein rezeptiven Charakter der ungehinderten, freien Empfänglichkeit. Mit anderen Tugenden hat Abgeschiedenheit jedoch gemeinsam, dass sie in ihrem Kern nicht theoretisch vermittelt werden kann. Sie muss, wie schon Aristoteles lehrt, in der Praxis zur Haltung (Habitus) werden. Die Haltung, die ein abgeschiedener Mensch . Eckhart, VA, DW V ,-; trans. . . Eckhart, VA, DW V ,-,; trans. .
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an den Tag legt, wird von Eckhart so beschrieben: ‚Hierzu sollst du wissen, daß rechte Abgeschiedenheit nichts anderes ist, als daß der Geist so unbeweglich stehe gegenüber allem anfallenden Lieb oder Leid, Ehren, Schanden und Schmähung, wie ein bleierner Berg unbeweglich ist gegenüber einem schwachen Winde.‘ Vollendet ist Abgeschiedenheit da, wo das Innere des Menschen völlig leer ist von aller konkreten Gegenständlichkeit und gänzlich offen ist gegenüber dem ‚formenlosen Sein‘ (formelôsem wesene): ‚Und du sollst wissen: Leer sein aller Kreatur ist Gottes voll sein, und voll sein aller Kreatur ist Gottes leer sein.‘ Zu dieser Vollendung der Abgeschiedenheit in gänzlichem Leersein kann der Mensch allerdings nicht mit eigenem Wollen und Können gelangen, denn sie ist Wirkung der Gnade: Diese ‚zieht den Menschen von allen zeitlichen Dingen weg und läutert ihn von allen vergänglichen Dingen.‘ Abgeschiedenheit kann also nicht – wie die bürgerlichen Tugenden Selbstbeherrschung, Tapferkeit, Gerechtigkeit und Klugheit – intentional aus dem Wollen des Menschen heraus erworben werden. Dennoch soll der Mensch alle Kraft seines Wollen und Trachtens auf sie hin ausrichten. Denn Gott darf man, so Eckhart, vertrauen, da er die Liebe selbst ist und gar nicht anders kann, als seine Gnade überall dort wirken zu lassen, wo er Bereitschaft findet. Daher gehört zur Abgeschiedenheit die Übung, in der der Mensch das Seine tut, um bereit zu sein. Vor allem in den Reden der Unterweisung betont Eckhart, dass für die Abgeschiedenheit gilt, was Aristoteles für den Erwerb jeder Tugend geltend macht: Es geht darum, dass ihre Ausübung zur Gewohnheit wird, die schlechte Gewohnheiten ablöst. Der Prozess der Gewöhnung, der für die Abgeschiedenheit notwendig ist, beginnt im Innersten, der Vernunft – womit für Eckhart der gesamte Bereich der Erkenntnisvermögen, des Bewusstseins und des Selbstbewusstseins angesprochen ist: Wenn sie [= die Vernunft] dann in einem jungen oder sonst einem Menschen verdorben ist, dann muß sie mit großem Bemühen gezogen werden, und man muß alles daransetzen, was man vermag, das die Vernunft wieder hergewöhnen und . Eckhart, VA, DW V ,-,; trans. . . Eckhart, VA, DW V ,; trans. . . Eckhart, VA, DW V ,-; trans. . . Eckhart, VA, DW V ,-; trans. .
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herziehen kann. Denn so eigen und naturgemäß Gott ihr auch sein mag: sobald sie erst einmal falsch gerichtet und auf die Kreaturen gegründet, mit ihnen bebildert und an sie gewöhnt ist, so wird sie in diesem Teil so geschwächt und ihrer selbst unmächtig und an ihrem edlen Streben so behindert, daß dem Menschen aller Fleiß, den er aufzubringen vermag, immer noch zu klein ist, sich völlig wieder zurückzugewöhnen. Und setzt er alles daran, so bedarf er selbst dann noch beständiger Hut. Was ein abgeschiedener Mensch vermag, ‚daß ihn keine Menge und kein Werk behindere … und daß Gott ihm beständig gegenwärtig sei und ihm stets ganz unverhüllt zu jeder Zeit und in jeder Umgebung leuchte‘, ist für ‚einen ungeübten Menschen ein ungewöhnliches Unterfangen.‘ Für den, der es sich zutraut, mahnt Eckkart zwei Dinge an: [D]as eine, daß sich der Mensch innerlich wohl verschlossen halte, auf daß sein Gemüt geschützt sei vor den Bildern, die draußen stehen, damit sie außerhalb seiner bleiben und nicht in ungemäßer Weise mit ihm wandeln und umgehen und keine Stätte in ihm finden. Das andere, daß sich der Mensch weder in seine inneren Bilder, seien es nun Vorstellungen oder ein Erhobensein des Gemütes, noch in äußere Bilder oder was es auch sein mag, was dem Menschen gegenwärtig ist, zerlasse noch zerstreue noch an das Vielerlei veräußere. Daran soll der Mensch alle seine Kräfte gewöhnen und darauf hinwenden und sich sein Inneres gegenwärtig halten. Ziel der Übung ist allerdings nicht das Versinken in weltloser Innerlichkeit, auch nicht die stoische Unverwirrbarkeit, auch wenn Eckhart selbst in diese Richtung zu weisen scheint, wenn er das abgeschiedene Gemüt inmitten aller äußeren und inneren Unruhe mit dem Berg aus Blei vergleicht, dem alle Bewegung nur wie ein Windhauch vorkommt. Denn Abgeschiedenheit bewährt sich nicht außerhalb, sondern mitten in den Anforderungen des weltlichen Lebens. Wie er sich das vorstellt, macht Eckhart am Bild der Türe deutlich, die sich umso besser bewegen lässt, je gefestigter sie in den Angeln verankert ist, in denen sie ihren unbewegten Halt hat. Das abgeschiedene Innere befähigt demgemäß den . Eckhart, Diu rede der underscheidunge (RdU), DW V ,-,; trans. . . Vgl. Eckhart, RdU, DW V ,-,; trans. -. . Eckhart, RdU, DW V ,-; trans. .
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Menschen, durchaus sensibel auf seine Mitmenschen und die Welt zu reagieren, ohne sich im Äußeren zu verlieren. Das allerdings bedarf langanhaltender Übung und realistischer Selbsteinschätzung: Wollte sich ein ungewöhnter und ungeübter Mensch so halten und so handeln wie ein gewöhnter, der würde sich ganz und gar verderben, und es würde nichts aus ihm. Wenn sich der Mensch erst einmal aller Dinge selbst entwöhnt und entfremdet hat, so mag er hinfort dann umsichtig alle seine Werke wirken und sich ihnen unbekümmert hingeben oder sie entbehren ohne alle Behinderung. Hingegen: Wenn der Mensch etwas liebt und Lust daran findet und er dieser Lust mit Willen nachgibt, sei’s in Speise oder in Trank, oder in was immer es sei, so kann das bei einem ungeübten Menschen nicht ohne Schaden abgehen. Eckhart verzichtet auf konkrete Übungsanleitungen und betont an vielen Stellen, dass alle Weisen recht seien, wenn nur ihre Ausrichtung (meinunge) recht sei. Aber zugleich mahnt er, dass man irgendeine solche Weise in der Tat kräftig und ausdauernd ergreifen und sich ihr mit ganzem Ernst widmen müsse, damit die Übung ans Ziel gelange. Das plötzliche Innewerden des Nichts – Eckharts Deutung des Damaskuserlebnisses Was Abgeschiedenheit ist, und was das bloße Nichts ausmacht, auf dem sie gründet, lässt sich nach allem, was wir bisher gesagt haben, nicht vollständig in Worte fassen. Worum es Eckhart geht, muss man im eigenen Leben erfahren, und die volle Bedeutung der Abgeschiedenheit scheint am ehesten derjenige ausmessen zu können, der gerade die leidvollen Momente seines Lebens in Demut annimmt. Die der Abgeschiedenheit entsprechende Erfahrung ist, so gesehen, nichts anderes als das wachsende Sich-Einlassen auf und das Vertrautwerden mit einem Leben, wie es dem Menschen von Gott her zukommt, ohne dass der Mensch es steuern könnte. Eine solche Erfahrung erwächst aus dem vertrauensvollen Gehen des Weges in einem gleichmäßigen Annehmen all dessen, was einem dort begegnet. Alles spricht dafür, dass Eckhart selbst auf . Eckhart, RdU, DW V ,-; trans. -.
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diesem Weg der Abgeschiedenheit gegangen ist und ihn aus eigener Erfahrung seinen Hörern anempfohlen hat. Die Gewissheit, dass dieser Weg der rechte ist, scheint Eckhart aber nicht alleine aus dem Umgang mit den einzelnen seiner Stadien zuteilgeworden zu sein, sondern vor allem aus einer Einsicht in das Ganze des Weges, in seine Vollendung und sein Ziel. Wir haben zu Beginn gefragt, ob man Eckhart eine solche Einsicht unterstellen darf, und wenn ja, wie man sich eine solche Einsicht vorzustellen hätte. Aus seinen Texten lässt sich, wenn auch nur an wenigen Stellen, entnehmen, dass Eckhart von herausgehobenen Momenten weiß, in denen dem Menschen, ohne dass er es beabsichtigt, eine plötzlicher Klarheit zuteil wird, in der ihm jenes Nichts bewusstwird, das den Grund seines ganzen Erdenlebens, ja, sogar seines Seins jenseits des irdischen Daseins ausmacht. In diesem Sinn unterzieht Eckhart eine der, wenn man so sagen darf, kanonischen mystischen Erfahrungen der Christenheit einer neuen Deutung. Es handelt sich um das sogenannte Damaskuserlebnis des Saulus. Saulus war nahe Damaskus, so berichtet die Apostelgeschichte, da ‚umleuchtete ihn plötzlich ein Licht vom Himmel; und er fiel auf die Erde und hörte eine Stimme, die sprach zu ihm: Saul, Saul, was verfolgst du mich?‘ Es ist Jesus, der sich auf diese Weise dem offenbart, der ihn bis zu diesem Moment verfolgte und in diesem Augenblick an sich die Umkehr und Verwandlung all dessen erlebt, was ihn zuvor ausmachte. Eckhart aber legt den Akzent auf das, was unmittelbar folgt: Hat das, was ihm widerfuhr, den Saulus buchstäblich ‚umgeworfen‘ (er fiel auf die Erde), so findet er danach, indem er aufsteht, zu einem neuen Sehen und Erkennen. Eckhart führt den Vers Apg , so an: ‚Paulus (sic: in der Vulgata: Saulus, d. Vf.) stand auf von der Erde, und mit offenen Augen sah er nichts.‘ Was dem Paulus widerfuhr – aus Gnade, nicht aus eigener Leistung –, war, in der Deutung Eckharts, dies: dass er das Nichts, das der Grund allen Erkennens und Handeln ist, plötzlich ‚sah‘, dass er seiner innewurde und erkannte, dass es zugleich alles ist und alles transzendiert. So deutet Eckhart den Kern des Damaskuserlebnisses: ‚Mich dünkt, daß dies Wörtlein vierfachen Sinn habe. Der eine Sinn ist dieser: Als er . Vgl. Eckhart, Pr. , DW III ,-,. . Eckhart, Pr. , DW III ,-.
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aufstand von der Erde, sah er mit offenen Augen nichts, und dieses Nichts war Gott: denn als er Gott sah, das nennt er ein Nichts. Der zweite Sinn: Als er aufstand, da sah er nichts als Gott. Der dritte: In allen Dingen sah er nichts als Gott. Der vierte: Als er Gott sah, da sah er alle Dinge als ein Nichts.‘ An späterer Stelle präzisiert Eckhart bei einer Wiederaufnahme des Zitats aus Apg ,: ‚Ich kann nicht sehen, was Eins ist. Er sah nichts: das war Gott. Gott ist ein Nichts, und Gott ist ein Etwas. … Sieht einer irgend etwas oder fällt irgend etwas in dein Erkennen, so ist das nicht Gott; eben deshalb nicht, weil er weder „dies“ noch „das“ ist.‘ Dieses Sehen ist im gewöhnlichen Sinne keineswegs Sehen, da ja nichts zu sehen ist. Eben ein solches Sehen widerfuhr dem Paulus. Zum Abschluss eines ihn buchstäblich ‚umwerfenden‘ Geschehens gewinnt er seine Freiheit, indem er aufsteht, und im Augenblick, da er diese Freiheit realisiert, wird ihm jenes Nichts klar, das immer schon in ihm und um ihn ist, ohne dass er es zuvor kannte. Etwas Derartiges kann jeder menschlichen Seele widerfahren: ‚Wenn die Seele in das Eine kommt und darin eintritt in eine lautere Verwerfung ihrer selbst, so findet sie dort Gott als in einem Nichts.‘ Dass dieses Finden Gottes sich deutlich von einem Akt der Reflexion im Medium des Denkens abhebt, wird durch die anschließende Erzählung Eckharts deutlich: ‚Es deuchte einem Menschen wie in einem Traume – es war ein Wachtraum –, er würde schwanger vom Nichts wie eine Frau mit einem Kinde, und in diesem Nichts ward Gott geboren; der war die Frucht des Nichts. Gott ward geboren in dem Nichts.‘ Wer ist dieser Mensch? Paulus spricht von seiner mystischen Erfahrung (Kor ,) in der dritten Person: ‚Ich kenne einen Menschen in Christus; vor vierzehn Jahren – ist er in dem Leibe gewesen, so weiß ich’s nicht, oder ist er außer dem Leibe gewesen, so weiß ich’s auch nicht; Gott weiß es – da ward derselbe entrückt bis an den dritten Himmel.‘ Ich möchte beinahe annehmen, dass Eckhart da, wo auch er in der dritten Person von einem Menschen spricht, der im Wachtraum erfuhr, wie aus seiner vom Nichts bewirkten Schwangerschaft Gott als Frucht des Nichts geboren wurden, von eigenen Erfahrungen berichtet. Das . Ibid. ,-,; trans. . . Ibid. ,-,; ,-; trans. . . Ibid. ,-; trans. . . Ibid. ,-,; trans. .
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Ereignis, das diesem Menschen im Wachtraum widerfuhr, wird jedenfalls von Eckhart selbst in seiner Lehre von der Gottesgeburt in der Seele theoretisch reflektiert. Es bleibt zwar eine unbeweisbare Mutmaßung, dass Eckhart hier aus eigenem Erleben berichtet, aber offenkundig ist, dass nach seiner Überzeugung das bloße Nichts, das Zentrum der Abgeschiedenheit, Menschen in Augenblicken besonderer Klarheit in der Weise eines Ereignisses treffen und ergreifen kann. Ein solches Ereignis erlebt die Seele so intensiv wie eine Frau die Momente der Empfängnis, der Schwangerschaft und des Gebärens. Wenn irgendwo, dann ist hier eine Stelle, die es nahelegt, in Eckharts Worte Parallelen zu Aussagen von Mystikern anderer Religionen und Kulturkreise aufzusuchen. Ist, was Eckhart über Abgeschiedenheit sagt, in seiner Gültigkeit auch nicht von derartigen Widerfahrnissen abhängig, so bestärken diese doch den Prediger in seiner Zuversicht, dass der Weg, den er weist, ein wahrhaft zu Gott führender Weg ist. Durch sie wird zwar nicht der propositionale Gehalt der Botschaft, wohl aber die Zuversicht und Glaubwürdigkeit des Boten bekräftigt. Abgeschiedenheit heute Eckharts Lehre von der Abgeschiedenheit kann man in zwei gegenläufigen Hinsichten betrachten. Abgeschiedenheit als Tugend, derer der Mensch sich bewusst ist und an deren Ausübung er gewöhnt ist, wird in der Konsequenz und Ausdauer, die Eckhart fordert, gewiss nur von wenigen ausgeübt. Gleichwohl ist Abgeschiedenheit als implizite Voraussetzung allen Denkens und Handelns für alle Menschen von Bedeutung. Es ist eine Haltung, die jedem, der sich überhaupt in irgendeiner Weise um rechtes Denken und Handeln bemüht, nahe sein muss, denn rechtes Denken setzt immer eine Abstandnahme von allen beschränkten Vorstellungen und Vorurteilen voraus; rechtes Handeln aber ist nur auf der Folie einer Freiheit denkbar, die sich von allen sich aufdrängenden Orientierungen, Motivationen und Sachzwängen distanzieren kann. Dass diese immer mitgedachte, immer unbewusst mitschwingende Abgeschiedenheit bewusstwird und dann in einer ihr gemäßen Praxis eingeübt wird, darauf kommt es an, wenn man Eckhart folgt. Will man Eckharts Lehre von der Abgeschiedenheit für die eigene Lebensführung in den Verhältnissen unserer Zeit fruchtbar machen,
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sollte man sich zunächst daran erinnern, dass Eckhart zwar mahnt, Abgeschiedenheit müsse geübt werden, aber zugleich hervorhebt, die Übung dürfe nicht auf einen ausgezeichneten, allen anderen überlegenen Weg reduziert werden, es gebe viele Weisen. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit möchte ich abschließend einige Möglichkeiten für eine solche Übung der Abgeschiedenheit darstellen, wie ich sie heute sehe. . Max Webers Postulat der Wertfreiheit fordert von jedem Wissenschaftler, insofern er Wissenschaftler ist, eine Haltung, die Eckharts Konzept der Abgeschiedenheit entspricht. Die Person des Wissenschaftlers muss vorurteilsfrei und intentionslos gänzlich offen sein für die Gegenstände, die sie erforscht. Weder das Interesse an Reputation, Rechthaben, Reichtum und Macht noch die eigene Weltanschauung darf sie davon abhalten, sich ganz von der Sache, ihrem Wesen und ihren Gesetzmäßigkeiten bestimmen zu lassen. Wer sich dieser Forderung zu unterwerfen vermag, wer bereit ist, die eigenen Überzeugungen loszulassen, wenn sie durch bessere Argumente oder neuere Forschungen widerlegt werden, wird in dieser Haltung eine Befriedigung finden, die tiefer und nachhaltiger ist als die flüchtige Anerkennung, die Wissenschaftsbetrieb und Öffentlichkeit oft dem Blendenden, aber Halt- und Gehaltlosen entgegenbringen. . Für das Urteil über das Schöne, also für den Bereich der Ästhetik, hat Kant die Abstandnahme von allen Privatbedingungen auf Seiten des Subjekts gefordert. Im Austausch über große Dichtung, Musik, Malerei oder Filmkunst kann man immer wieder die Erfahrung machen, dass sich da, wo man, von Reiz und Rührung frei, sich ganz dem Mitvollzug der inneren Bewegung eines Kunstwerks überlässt, ein Raum des Angekommen-Seins auftut. Das Subjekt kann sich mit seinen Wünschen und Ängsten vergessen in einer überwältigenden Manifestation des schöpferischen Geistes, wo die Fragen des eigenen Lebens wenigstens für eine gewisse Zeit suspendiert sind. . Das Studium eminenter Texte aus Dichtung, Philosophie und Religion führt, ernsthaft betrieben, dazu, dass der Interpret darauf verzichtet, seine eigenen Vorstellungen und Probleme dem Text zu unterlegen. Dieser Abschied vom Ich lässt ihn umgekehrt sein Leben von der Schrift her verstehen und sich als den im Wort, das von der anderen Seite kommt, Gemeinten erkennen.
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. Die aktive oder passive Mitwirkung an einer echten Liturgie erscheint mir ebenfalls als eine Übung der Abgeschiedenheit. Nachdem man aus dem Raum des Profanen heraus- und in den Raum des Heiligen eingetreten ist, vertraut man sich mit allen Sinnen und mit ganzem Herzen dem Ritus an, während die Empfindungen von Lust und Unlust, die Fragen nach richtig und falsch und die Urteile über die Qualität der heiligen Handlung und der sie vollziehenden Personen zum Schweigen gebracht sind. . Die schweigende Kontemplation in unbewegter, von allen äußeren und inneren Gegenständen abgewandter Haltung, getragen von der Achtsamkeit auf den eigenen Atem und gerichtet auf das Lauschen in das innere Nichts, unterstützt von einer heiligen Silbe wie dem Mu oder dem Om in buddhistischen Traditionen oder einer Gebetsformel, wie sie die ostkirchliche Tradition mit dem Jesusgebet bereithält, kann dazu beitragen, das Bewusstsein von allem Dies und Das zu entwöhnen, mit dem es sonst, in den Worten Meister Eckharts, bebildert ist. Leer- und Ledigwerden von täuschenden Gedanken und Gefühlen ist ein Anliegen des Zen ebenso wie des Gebetes der Ruhe, das die kontemplative Tradition von Johannes Cassian über Teresa von Avila und Gerhard Tersteegen bis zum heutigen Tag lehrt. Über das, was dem Menschen zuteilwird, wenn sein Bewusstsein von allen eigenen Zutaten gereinigt ist, und über das Wesen seines Ursprunges mögen zwar unterschiedliche Lehren unterschiedliche Ansichten vertreten, aber den Akzent auf das, was Meister Eckhart das bloße Nichts nennt, setzen sowohl Lehrer der Kontemplation wie Johannes vom Kreuz als auch die großen Zenmeister. Alle bisher genannten Zugänge zur Abgeschiedenheit heben auf besondere Umstände, besondere Räume und Zeiten ab, in denen sie eingeübt wird. Meister Eckharts Intention wird damit jedoch nur unvollständig entsprochen. Dass der Mensch angesichts der Erforschung eines Papyrus’ oder Zellbausteins oder angesichts eines bedeutenden Gemäldes Abgeschiedenheit erfährt, dass er in der Kirche oder im Meditationsraum Triebregungen, bildhafte Vorstellungen und diskursives Denken für eine Weile ablegt, würde Meister Eckhart gutheißen, aber er würde hinzufügen: ‚Achte darauf, wie du deinem Gott zugekehrt bist, wenn du in der Kirche bist oder in der Zelle (oder im Museum oder im Konzertsaal oder im Meditationsraum, d. Vf.): diese selbe Gestimmtheit behalte und trage sie unter die Menge und in die Unruhe
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und in die Ungleichheit.‘ Ähnlich fordert das Zen die Bewährung dessen, was in der Übung der Versenkung erfahren wird, im Treiben des Marktplatzes. Wem das nicht gelingt, wer sein Leben teilt einerseits in Zeiten und Räume der Abgeschiedenheit und andererseits in Umstände und Verhältnisse, in denen er von den Zerstreuungen und Zwängen der Außenwelt und dem Drang innerer Regungen beherrscht wird, der ist noch weit entfernt von ‚der größten Übereinstimmung mit dem Bilde …, das er in Gott war, in dem zwischen ihm und Gott kein Unterschied war, ehe Gott die Kreaturen erschuf.‘ Das sollte indes niemanden entmutigen. Wenn vollkommene Abgeschiedenheit ein Ziel ist, das nur durch Gnade Wirklichkeit werden kann, dann ist es ratsam, Abschied zu nehmen von allen Konzepten einer Vollkommenheit, die man, sei es auch durch eifrigste Übung, selbst erreichen könnte. Die Sicherheit, Abgeschiedenheit erreicht zu haben, ihrer aufgrund einer tiefen Erfahrung endgültig gewiss zu sein, könnte Anzeichen für eine verborgene Überheblichkeit sein, die den Menschen in unendliche Ferne von der wahren Abgeschiedenheit rücken würde. Wie Paulus erfuhr, muss auch derjenige, dem tiefste Gotteserfahrung zuteilwurde, weiter mit dem ‚Pfahl im Fleische‘ kämpfen und sich belehren lassen: ‚Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft vollendet sich in der Schwachheit.‘ (Kor ,). So ist es dem gebrechlichen Status unseres Menschseins wohl angemessen, sich damit abzufinden, dass alle Übung der Abgeschiedenheit Stückwerk bleibt. Sofern einen das nicht davon abhält, beharrlich weiter zu üben, muss das nicht negativ bewertet werden: Wäre unsere Abgeschiedenheit nicht unfertig, wie könnte sie wachsen, sich vertiefen und entfalten? Abgeschiedenheit vom, wenn man so sagen darf, Vollkommenheitsstress wäre dann selbst eine Station auf dem Weg der Abgeschiedenheit.
. Eckhart, RdU, DW V ,-; trans. . . Eckhart, VA, DW V ,-; trans. .
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